Rechtsästhetik: Sinnliche Analogien im juristischen Denken [1 ed.] 9783428548415, 9783428148417

Nietzsche nannte sie den »Fundamentaltrieb des Menschen«: die Neigung und Befähigung, das Unbegreifliche als etwas Vertr

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German Pages 409 Year 2016

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Rechtsästhetik: Sinnliche Analogien im juristischen Denken [1 ed.]
 9783428548415, 9783428148417

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DANIEL DAMLER Rechtsästhetik

Rechtsästhetik Sinnliche Analogien im juristischen Denken

Von

Daniel Damler

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Wintersemester 2015/2016 als Habilitationsschrift angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: Das Druckteam, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-14841-7 (Print) ISBN 978-3-428-54841-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84841-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Et moi aussi, je suis peintre, ai-je dit avec le Corrège. Montesquieu, De lʼesprit des lois

Jener Trieb zur Metapherbildung, jener Fundamentaltrieb des Menschen, den man keinen Augenblick wegrechnen kann, weil man damit den Menschen selbst wegrechnen würde, ist dadurch, dass aus seinen verflüchtigten Erzeugnissen, den Begriffen, eine reguläre und starre neue Welt als eine Zwingburg für ihn gebaut wird, in Wahrheit nicht bezwungen und kaum gebändigt … Fortwährend verwirrt er die Rubriken und Zellen der Begriffe dadurch, dass er neue Uebertragungen, Metaphern, Metonymien hinstellt, fortwährend zeigt er die Begierde, die vorhandene Welt des wachen Menschen so bunt unregelmäßig folgenlos unzusammenhängend, reizvoll und ewig neu zu gestalten, wie es die Welt des Traumes ist. Friedrich Nietzsche, Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne

Vorwort Die Arbeit wurde im Wintersemester 2015 / 16 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Habilitationsschrift angenommen. Mein besonderer Dank gilt meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Jan Schröder, der mich – weit jenseits des Selbstverständlichen – mit großem Einsatz und Nachsicht unterstützt hat. Danken möchte ich ferner Herrn Prof. Dr. Heinz-Dieter Assmann für die Erstellung des Zweitgutachtens und für wertvolle Anregungen. Vielfältige Unterstützung habe ich auch durch andere Mitglieder der Fakultät erfahren, namentlich aus dem Kreise der Tübinger Rechtshistoriker. Gedankt sei den Herren Prof. Dr. Thomas Finkenauer, Prof. Dr. Wolfgang Forster, Prof. Dr. Gottfried Schiemann und Prof. Dr. Jan Thiessen. Für alle gilt: Sie haben mich vor so manchem Fehler bewahrt, sind aber nicht für die verbleibenden Mängel verantwortlich. Dem Verlag Duncker & Humblot – Herrn Verleger Dr. Florian R. Simon, LL.M., Herrn Dr. Andreas Beck und Frau Heike Frank – bin ich für die professionelle Zusammenarbeit und großzügige Förderung außerordentlich dankbar. Gewidmet ist die Schrift meinen Eltern. Frankfurt am Main, im Februar 2016

Daniel Damler

Inhaltsverzeichnis Dikes Unterwelt – Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Erster Teil

Konstitutive Sinnbilder 

36

I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Experimentelle Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Studien zur Ästhetik des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Der Mensch: Fleischwerdung und Beseelung des Kapitals . . . . . . . . . . . 63 Annex: West-östliche Rechtsästhetik (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Die Ware: Verdinglichung und Kommerzialisierung der Schuld . . . . . . . 123 3. Das Feuer: Von der terrestrischen zur energetischen Rechtsgeschäfts­ lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Zweiter Teil

Regulative Sinnbilder 

192

I. kalos kai agathos als kognitive Interferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Introspektives Erleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Experimentelle Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 II. Studien zur Ästhetik der Staatslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Harmonie: Die musikalische Schönheit des werdenden Staates . . . . . . . . 210 Annex: West-östliche Rechtsästhetik (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Balance: Sternenglanz und konstitutionelle Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . 267 3. Transparenz: Zur Genealogie der juristischen Glaskultur . . . . . . . . . . . . . 302 Aisthesis und Politeia – Epilog. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Abbildungsnachweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 Quellen- und Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Personen- und Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

Dikes Unterwelt – Prolog Eine uralte Truhe aus Zedernholz, reich verziert mit Gold und Elfenbein, hatte es dem Touristen aus Kleinasien besonders angetan: Als Pausanias, der Perieget, irgendwann in der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. dem westgriechischen Heiligtum Olympia einen Besuch abstattete, ließ er es sich nicht nehmen, im Tempel der Hera die „Kypseloslade“ in Augenschein zu nehmen, ein in der Antike weithin bekanntes, sagenumwobenes Kunstwerk. Staunend, in jedem Fall recht lange stand der Reisende vor dem kunsthandwerklichen Kleinod, denn um einen Gegenstand so detailliert, wie es Pausanias (5.17.5–19.10) tut,1 zu beschreiben, benötigt man einige Zeit und Ausdauer. Zahlreiche Legenden rankten sich um die – heute verschollene – Lade. In ihr versteckte einst Labda, so heißt es, ihren Knaben Kypselos, später erster Tyrann von Korinth (wohl 657–627 v. Chr.), und rettete ihn so vor den Bakchiaden, die ihm nach dem Leben trachteten.2 Es war aber vermutlich nicht nur diese alte Geschichte, die den spätantiken Besucher faszinierte – er erwähnt sie nur am Rande (5.15.5)3 – sondern mehr noch der Umstand, dass das Bildprogramm der Lade mit ihren fünf umlaufenden Friesen den Blick frei gab auf die Götter und Helden des griechischen Altertums in ihrer ganzen Vielfalt und Pracht: Apollo ist zu sehen, wie er den Gesang der Musen leitet, Herakles, wie er mit der Hydra kämpft, Menelaos, wie er schwer bewaffnet dahin eilt, um Helena zu töten usw. Allein die Kunst vermochte es, Hellas’ allmähliche im Nebel der Zeiten entschwindende Sagenwelt noch einmal für wenige Momente zum Leben zu erwecken. Dieser Welt gehörte auch Dike an, des Zeus Tochter (Hes. theog. 902). Sie personifizierte das menschliche Recht, so wie ihre Mutter Themis die göttlich gesetzte Ordnung verkörperte.4 Pausanias entdeckte Dikes Abbild 1  Pausanias, Reisen in Griechenland, übers. von Ernst Meyer, hrsg. von Felix Eckstein, Bd. 2: Olympia, 3. Aufl., Zürich, München 1986/87, S. 46–53. 2  Vgl. Barbara Patzek, Art. „Kypselos [2]“, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 6, Stuttgart 1999, Sp. 997; Richard Neudecker, Art. „Kypseloslade“, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 6, Stuttgart 1999, Sp. 997–998. 3  Pausanias, Reisen in Griechenland, übers. von Ernst Meyer, hrsg. von Felix Eckstein, Bd. 2: Olympia, 3. Aufl., Zürich, München 1986/87, S. 46. 4  Harvey A. Shapiro, Personifications in Greek Art. The Representations of abstract concepts 600–400 B.C., Kilchberg 1993, S. 39–44; Fritz Graf, Art. „Dike“

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Dikes Unterwelt – Prolog

Abb. 1

auf dem zweiten Fries der Lade (5, 18, 2). „Die schöne Frau“, schreibt er, „die eine hässliche bestraft, indem sie sie mit der einen Hand würgt, mit der anderen mit einem Stock schlägt, ist Dike (‚das Recht‘), die das der Adikia, der ‚Ungerechtigkeit‘, antut.“5 Diese Beschreibung stimmt überein mit der Darstellung Dikes auf einer im Kunsthistorischen Museum Wien verwahrten Amphora (Abb. 1). Es handelt sich um ein frühes Zeugnis rotfiguriger Vasenmalerei, stammt also in etwa aus der Zeit um 520 v. Chr.6 Da die Kypseloslade einige Jahrzehnte älter war,7 ist anzunehmen, dass sie dem (Religion), in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 3, Stuttgart 1997, Sp. 570–571; Ludwig v. Sybel, Art. „Dike“, in: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, hrsg. von Wilhelm Heinrich Roscher, Bd. 1, Leipzig 1884–1890, Sp. 1018–1020. Zu „Dike“ als Idee und Ideal vgl. Hugh LloydJones, The Justice of Zeus, Berkeley u. a. 1971. 5  Pausanias, Reisen in Griechenland, übers. von Ernst Meyer, hrsg. von Felix Eckstein, Bd. 2: Olympia, 3. Aufl., Zürich, München 1986/87, S. 48. 6  Harvey A. Shapiro, Personifications in Greek Art. The Representations of abstract concepts 600–400 B.C., Kilchberg 1993, S. 40; Otto Rudolf Kissel, Die Justitia. Reflexionen über ein Symbol und seine Darstellung in der bildenden Kunst, München 1984, S. 22. 7  Richard Neudecker, Art. „Kypseloslade“, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 6, Stuttgart 1999, Sp. 997–998.



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Künstler als Vorlage diente.8 Attribute der „Schönheit“ Dikes, von der Pausanias spricht, sind das nach griechischer Mode elegant nach hinten gebundene Haar, makellose Haut und edle, ebenmäßige Gesichtszüge. Aidikias Haare hingegen fallen in langen, filzigen Zöpfen über die Schulter. Ihr Körper ist überdeckt mit kreisförmigen Tätowierungen (oder Ekzemen), ihre Physiognomie entstellt durch eine Hakennase und wulstige Lippen. Kein Zweifel: Aidikia, das Unrecht, war eine „Barbarin“ – und sie war hässlich, unsagbar hässlich. Das Phänomen, das der Künstler der legendären Kypseloslade zu einem Bild verdichtet hat, soll uns auf den folgenden Seiten beschäftigen. Der schauerlich-schöne Kampf zwischen Dike und Aidika verweist auf zwei Merkmale des juristischen Denkens, die nur selten Erwähnung finden, sofern man sie überhaupt zur Kenntnis nimmt. Die Rede ist, erstens, von der allen Menschen gemeinsame Befähigung und Neigung, abstrakte Begriffe (Konzepte) sich als sinnlich erfahrbare Erscheinungen vorzustellen, sowie, zweitens, von der Gabe und dem Drang, Recht und Moral ästhetische Normen zu unterlegen. Wenngleich es sich bei diesen kognitiven Eigentümlichkeiten um anthropologische Universalien handelt, steht außer Frage, dass das kulturelle Vermächtnis Griechenlands – und der gesamten vorderasiatisch-ägäische Koiné9 – besonders reich ist an Zeugnissen, die deren Präsenz und Wirkungsmacht dokumentieren. Alles Fremde, Übernatürliche, Unbegreifbare nahm menschliche Gestalt an und wurde auf die Weise den Sterblichen zur vertrauten zweiten Natur. Bereits die Götter Homers „sind menschlich fast bis zur letzten Konsequenz“10, doch sie stehen weitgehend für das Göttliche als solche und manche sogar nur für sich. Erst seit Hesiod, erst seit dem späten 8. Jahrhundert v. Chr. bevölkern Abstrakta mit menschlichem Antlitz den Olymp.11 Auch Dike taucht erstmals (wenn wir von mythischen Zu8  Harvey A. Shapiro, Personifications in Greek Art. The Representations of abstract concepts 600–400 B.C., Kilchberg 1993, S. 41. 9  Eingehend Walter Burkert, Hesiod in Context: Abstractions and Divinities in an Aegean-Eastern Koiné, in: ders., Kleine Schriften, Bd. 2: Orientalia, Göttingen 2003, S. 171–191. 10  Walter Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, Stuttgart 1977, S. 283. 11  Zur Personifikation abstrakter Begriffe vgl. Ludwig Deubner, Art. „Personifikationen abstrakter Begriffe“, in: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, hrsg. von Wilhelm Heinrich Roscher, Bd. 3/2, Leipzig 1902–1909, Sp. 2067–2169; Hermann Usener, Götternamen. Versuch einer Lehre von der reli­ giö­sen Begriffsbildung, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1948, S. 364–375; Walter Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, Stuttgart 1977, S. 282–292; T. B. L. Webster, Personification as a Mode of Greek Thought, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 17 (1954), S. 10–21; Harvey A. Shapiro,

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schreibungen absehen) in der Dichtung Hesiods auf. „Der andere Weg aber“, heißt es in „Werke und Tage“ (Hes. erg. 215–223), „der zum Recht, vorbei am Unrecht, ist besser. Recht nämlich siegt zu guter Letzt über Willkür, und nur ein Tor wird durch Schaden erst weise. Gleich nämlich läuft der Eid neben krummen Rechtssprüchen einher, und Murren steigt auf, wenn man Dike fortzerrt, wohin gabenfressende Männer sie ziehen und das Recht mit krummen Beschlüssen verfälschen. Sie aber folgt, in Nebel gehüllt, bejammert Stadt und Wohnsitze der Völker und bringt Unheil über Menschen, die sie verjagten und sie nicht gehörig zuteilten.“12 Hesiod denkt Dike und damit das Recht konsequent weiblich. Das Recht lässt sich von den an Kraft und Macht Überlegenen „fortzerren“, ist also physisch schwach, hilfsbedürftig und auch ein wenig weinerlich. Doch die hinterlistige Dame weiß sich zu helfen. In Nebel gehüllt verfolgt sie ihre Peiniger und straft die Wehrlosen – des Weibes Rache nicht fürchtend und an den Kampf Mann gegen Mann gewöhnt – mit Unheil und Verderben. Wenn Dike nicht selbst handeln kann oder will, schwärzt sie die Verächter des Rechts bei ihrem Vater an, dem Kroniden Zeus, der immer ein offenes Ohr hat für die Anliegen der geliebten Tochter (Hes. erg. 255–265).13 Der ausgeprägte, exzessive Anthropomorphismus der altgriechischen Dichtung war insofern ein Glücksfall, als er bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der kulturellen Entwicklung ein Nachdenken über die Bedeutung von Sprachbildern in Gang setzte. Es waren griechische Philosophen, die erkannten und schonungslos offen legten, wie sehr der Mensch, der nach Antworten auf metaphysische Fragen sucht, der irdischen Welt verhaftet bleibt. Die bekannteste Kritik an Homers und Hesiods Götterwelt stammt von Xenophanes (etwa 570–475 v. Chr.).14 „Die Menschen meinen“, stellte er fest, „Götter würden geboren, und hätten Kleidung, Stimme und Körper wie sie selbst … Doch wenn Ochsen oder Löwen Hände hätten, so dass sie mit den Händen malen und Bildwerke herstellen könnten wie eben Menschen, dann würden Pferde pferdähnlich und Ochsen ochsenähnlich die Personifications in Greek Art. The Representations of abstract concepts 600–400 B.C., Kilchberg 1993, S. 12–29. Walter Burkert, Hesiod in Context: Abstractions and Divinities in an Aegean-Eastern Koiné, in: ders., Kleine Schriften, Bd. 2: Orientalia, Göttingen 2003, S. 171–191; vgl. auch Emma Stafford, Worshipping Virtues. Personification and the Divine in Ancient Greece, London 2000. 12  Hesiod, Werke und Tage, übers. u. hrsg. von Otto Schönberger, Stuttgart 1996, S. 19. 13  Hesiod, Werke und Tage, übers. u. hrsg. von Otto Schönberger, Stuttgart 1996, S. 23. 14  Zu Leben und Werk M. Laura Gemelli Marciano, Xenophanes. Leben und Werk, in: Die Vorsokratiker, Bd. 1, hrsg. und übers. von M. Laura Gemelli Marciano, Düsseldorf 2007, S. 254–268.



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Gestalten der Götter malen und solche Körper bilden, wie sie gerade jeweils selbst die Gestalt hätten.“15 Xenophanes erkannte, wie leicht die Menschen der Neigung nachgeben, das Göttliche nach ihrem Bilde zu formen. Sie schreiben den höchsten Mächten alle möglichen vertrauten Eigenschaften zu, seien sie auch noch so banal, gewöhnlich und würdelos. In den Augen des Vorsokratikers war dies ein unzulässiges, ja blasphemisches Verfahren, denn „ein Gott ist unter Göttern und Menschen der größte, weder an Körper den Sterblichen gleich noch an Einsicht.“16 Die Aufklärung hat viele Jahrhunderte später Xenophanes’ fragmentarische Kritik am griechischen Götterreigen zu einer Psychologie des religiösen Empfindens erweitert. „There is“, heißt es bei David Hume 1757, „an universal tendency amongst mankind to conceive all beings like themselves, and to transfer to every object those qualities with which they are familiarly acquainted, and of which they are intimately conscious.“17 Wie Xenophanes bezweifelte Hume, dass eine anthropomorphe Gottesvorstellung dem Wesen des Schöpfers und seinen über-menschlichen Qualitäten gerecht werde: „The absurdity is not less, while we cast our eyes upwards; and transferring, as is too usual, human passions and infirmities to the deity, represent him as ­jealous and revengeful, capricious and partial, and, in short, a wicked and foolish man, in every respect but his superior power and authority.“18 Das anthropomorphe Denken führe häufig genug auch Philosophen in die Irre, also keineswegs nur Kinder und einfache Leute. So sei es üblich, Erscheinungen der unbelebten Natur mit genuin menschlichen Empfindungen zu erklären (man denke an Newtons Theorie der Gravitation – „Anziehungskraft“ – als anthropomorphes Analogon zu zwischenmenschlichen Neigungen und Abneigungen, zu Liebe und Hass19). „Nay, philosophers“, schreibt Hume, „cannot entirely exempt themselves from his natural frailty; but have oft ascribed to inanimate matter the horror of vacuum, sympathies, antipathies, and other affections of human nature.“20 15  Xenophanes, Fragmente und Werk, in: Die Vorsokratiker, Bd. 1, hrsg. und übers. von M. Laura Gemelli Marciano, Düsseldorf 2007, S. 223–253, 249 f. 16  Xenophanes, Fragmente und Werk, in: Die Vorsokratiker, Bd. 1, hrsg. und übers. von M. Laura Gemelli Marciano, Düsseldorf 2007, S. 223–253, 249. 17  David Hume, The Natural History of Religion, with an Introduction by John M. Robertson, London 1889, S. 11. 18  David Hume, The Natural History of Religion, with an Introduction by John M. Robertson, London 1889, S. 12. 19  Vgl. Joseph Agassi, Art. „Anthropomorphism in Science“, in: Dictionary of the History of Ideas. Studies of Selected Pivotal Ideas, hrsg. von Philip Paul Wiener, Bd. 1, New York 1973, S. 87–91. 20  David Hume, The Natural History of Religion, with an Introduction by John M. Robertson, London 1889, S. 12.

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In Deutschland war es vor allem Johann Gottfried Herder, der sich mit der Bedeutung des Anthropomorphismus für die Religionsgeschichte befasste. Die Annahmen, die er seiner Schrift „Vom Geist der Ebräischen Poesie“ (1782 / 83) zu Grunde legte, decken sich weitgehend mit denen Humes: „Es ist die Natur der menschlichen Seele, alles auf sich zu beziehen, also auch sich ähnlich zu denken … Hierinn sind alle alte Nationen gleich; ihr Wörterbuch konnte nicht anders gesammelt, ihre Grammatik nicht anders geordnet werden, als dass Namen in beiderlei Geschlechtern, dass Begebenheiten als Wirkungen, und Handlungen lebendiger Wesen nach der Analogie des Menschen gedichtet wurden.“21 Indes begriff Herder das anthropomorphe Denken nicht vornehmlich als eine Fehlleistung, als ein Defizit „der menschlichen Seele“. Für ihn hatte der Anthropomorphismus eine sinnstiftende Funktion, ja er war eigentlich eine göttliche Gabe und Gnade: „So übertrieben diese Dichtung einem kalten Deisten scheinen mag, so natürlich und nothwendig war sie der Menschenempfindung. Ohne Gott ist uns die Schöpfung Chaos, und ohne einen menschlichen Gott, der wie wir denkt und empfindet, ist keine freundschaftliche oder kindliche Liebe, keine Vertraulichkeit mit diesem uns so unbekannten und doch so innigst nahen Wesen möglich. Der Unendliche ließ sich also herab, die ersten Ideen von ihm dem Menschen so nahe zu machen, als es seyn konnte.“22 Von diesem Punkt aus ist es nicht mehr weit zu einer allgemeinen, die Grenzen der Religionspsychologie überschreitenden Theorie des sinnlich unterlegten abstrakten Denkens. Bei Kant sind Ansätze zu einer solchen Theorie an verschiedenen Stellen nachweisbar. 1786 schrieb er: „Wir mögen unsre Begriffe noch so hoch anlegen, und dabei noch so sehr von der Sinnlichkeit abstrahieren, so hängen ihnen doch noch immer bildliche Vorstellungen an, deren eigentliche Bestimmung es ist, sie, die sonst nicht von der Erfahrung abgeleitet sind, zum Erfahrungsgebrauche tauglich zu machen. Denn wie wollten wir auch unseren Begriffen Sinn und Bedeutung verschaffen, wenn ihnen nicht irgend eine Anschauung (welche zuletzt immer ein Beispiel aus irgend einer möglichen Erfahrung sein muß) untergelegt würde?“23 Ähnlich äußerten sich andere Vertreter der deutschen Aufklärung und Klassik. „Kein Denken,“ bemerkte Wilhelm von Humboldt, „auch das 21  Johann Gottfried Herder, Vom Geist der Ebräischen Poesie. Eine Anleitung für die Liebhaber derselben und der ältesten Geschichte des menschliches Geistes, 2. Theil, 3. Aufl., hrsg. von Karl Wilhelm Justi, Leipzig 1825, S. 8 f. 22  Johann Gottfried Herder, Vom Geist der Ebräischen Poesie. Eine Anleitung für die Liebhaber derselben und der ältesten Geschichte des menschliches Geistes, 2. Theil, 3. Aufl., hrsg. von Karl Wilhelm Justi, Leipzig 1825, S. 10. 23  Immanuel Kant, Was heißt: sich im Denken orientieren?, in: ders., Werke in zwölf Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Band 5, Frankfurt am Main 1968, S. 267–283, 267.



Dikes Unterwelt – Prolog

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reinste nicht, kann anders, als mit Hilfe der allgemeinen Formen unsrer Sinnlichkeit geschehen; nur in ihnen können wir es auffassen und gleichsam festhalten.“24 Und in Schillers Abhandlung „Von den notwendigen Grenzen des Schönen“ heißt es: „So abstrakt wir auch denken mögen, so ist es doch zuletzt etwas Sinnliches, was unserem Denken zum Grund liegt.“25 Welche Funktion solchen Überlegungen im Einzelnen zukam, sei an dieser Stelle nicht vertieft. Fest steht jedenfalls, dass die Idee der sinnlich grundierten Abstraktion den Bedeutungsverlust der aufgeklärten Religionskritik überlebte und jetzt sogar von Zeit zu Zeit – wenngleich nur en passant – die Juristen beschäftigte. Es lag ja auch nicht ganz fern, das Konzept auf Staat und Kapitalgesellschaft, die abstrakten „Götter“ der Moderne, zu übertragen. Als Otto von Gierke sich dem Vorwurf ausgesetzt sah, etwas zu anschaulich und bilderreich die Wirklichkeit des „Staatskörpers“ zu beschreiben, trat er die Flucht nach vorne an und rechtfertigte sein Vorgehen mit dem Hinweis, Bezüge zur sinnlich erfahrbaren Welt seien auch in der Staatslehre gar nicht zu vermeiden, man müsse sich lediglich vor gewissen „Ausschreitungen“ hüten: „Allein wir betrachten das soziale Ganze gleich dem Einzelorganismus als ein Lebendiges und ordnen die Gemeinwesen zusammen mit den Einzelwesen dem Gattungsbegriff des Lebewesens unter. Was darüber hinaus an Bildlichem mitunterläuft, entspringt theils dem Bedürfniss der Anschaulichkeit, theils dem sprachlichen Nothstande. Alle gedanklichen Fortschritte haben sich mit Hülfe von Bildlichkeit vollzogen. Auch unsere abstraktesten Begriffe sind aus Bildern geboren. Wir dürfen auch in der Wissenschaft uns des Bildes bedienen, wenn wir uns nur dessen bewusst bleiben und nicht das Bild für die Sache nehmen.“26 Wenngleich demnach früheren Zeiten die menschliche Neigung zur „Bildlichkeit“ nicht entgangen war, so lässt sich doch ohne Übertreibung sagen, dass erst in der Gegenwart die existentielle Bedeutung unserer Befähigung, „sich mithilfe des Alten und Bekannten das Neue und Unbekannte zu erschließen“27, zu Bewusstsein gelangt. Analogien – als Oberbegriff für das habituelle Verknüpfen gedanklicher Inhalte zur Erweiterung und Übertra24  Wilhelm von Humboldt, Über Denken und Sprechen, in: ders., Werke in fünf Bänden, hrsg. von Andreas Flitner, Klaus Giel, Darmstadt 1981, S. 97–99, 97. 25  Friedrich Schiller, Von den notwendigen Grenzen des Schönen (Über die notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen), in: ders., Sämtliche Werke (Berliner Ausgabe), Bd. 8: Philosophische Schriften, bearb. von Barthold Pelzer, Berlin 2005, S. 409–426, 414. 26  Otto von Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände. Rede bei Antritt des Rektorats gehalten in der Aula der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität am 15.  Oktober 1902, Berlin 1902, S. 16. 27  Douglas Hofstadter/Emmanuel Sander, Die Analogie. Das Herz des Denkens, Stuttgart 2014, S. 17.

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Dikes Unterwelt – Prolog

gung von Erfahrungswissen – sind in unserem Denken allgegenwärtig. Sie sind das „Herz des Denkens“.28 Einen großen Anteil an dem stetig wachsenden Interesse an unserer Gabe, gespeicherte Erfahrung in den Dienst der Sinnstiftung zu stellen, hat die moderne kognitionswissenschaftliche Forschung. Für Aufsehen sorgte insbesondere die Entdeckung des „verkörperten Denkens“29 (embodied cognition oder embodiment30) und verwandter, noch nicht in allen Einzelheiten verstandener Phänomene31 (grounded cognition32, situated cognition33, neural reuse34, scaffolded mind35 usw.). Die „Körperlichkeit“ des Denkens manifestiert sich unter anderem in der Aktivierung des sensori-motorischen Cortex bei dem Verstehen und Generieren von Sprache.36 Es soll ausreichen, 28  Douglas Hofstadter/Emmanuel Sander, Die Analogie. Das Herz des Denkens, Stuttgart 2014, S. 35. 29  „Verkörperte Konzepte und Gefühle“: Raoul Schrott/Arthur Jacobs, Gedicht und Gehirn. Wie wir unsere Wirklichkeit konstruieren, München 2011, S. 128 f. 30  Vgl. etwa Lawrence Shapiro, Embodied Cognition, London 2011; ders. (Hrsg.), The Routledge Handbook of Embodied Cognition, London/New York 2014; Arthur M. Glenberg, Embodiment as a unifying perspective for psychology, Wiley Interdisciplinary Reviews: Cognitive Science 1 (2010), S. 586–596; Mark Rowlands, The New Science of the Mind. From Extended Mind to Embodied Phenomenology, Cambridge (MA) 2010; Anthony Chemero, Radical embodied cognitive science, Cambridge (MA) 2009; Paco Calvo/Antoni Gomila, Handbook of Cognitive ­Science: an embodied approach, Amsterdam 2008; Gün R. Semin/Eliot R. Smith, Embodied Grounding: social, cognitive, affective, and neuroscientific approaches, Cambridge 2008; Andy Clark, Supersizing the Mind. Embodiment, Action, and Cognitive Extension, Oxford 2008; Paula M. Niedenthal, Embodying Emotion, Science 316 (2007), S. 1002–1005; Raymond W. Gibbs, Embodiment and Cognitive Science, Cambridge 2006; George Lakoff/Mark Johnson, Philosophy in the Flesh. The Embodied Mind and its Challenge to Western Thought, New York 1999. 31  Vgl. Lawrence W. Barsalou, Grounded Cognition: Past, Present, and Future, Topics in Cognitive Science 2 (2010), S. 716–724, 720 f. 32  Lawrence W. Barsalou, Grounded Cognition: Past, Present, and Future, Topics in Cognitive Science 2 (2010), S. 716–724, 717; ders., Grounded Cognition, Annual Review of Psychology 59 (2008), S. 617–645, 619; Diane Pecher/Rolf A. Zwaan (Hrsg.), Grounding Cognition. The Role of Perception and Action in Memory, ­Language, and Thinking, Cambridge 2005. 33  Philip Robbins/Murat Yadede (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Situated Cognition, Cambridge 2009. 34  Michael L. Anderson, Neural reuse: a fundamental organizational principle of the brain, Behavioral and Brain Sciences 33 (2010), S. 245–266. 35  Lawrence E. Williams/Julie Y. Huang/John A. Bargh, The scaffolded mind: Higher mental process are grounded in early experience of the physical world, European Journal of Social Psychology 39 (2009), S. 1257–1267. 36  Dazu der Überblick von Roel M. Willems/Daniel Casasanto, Flexibility in embodied language understanding, Frontiers in Psychology, June 2011, vol. 2, art. 116, S. 1–11.



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in Marmor modellierte Bewegungen und Haltungen – Körperskulpturen der Antike oder der Renaissance – zu betrachten, um die äquivalenten motorischen Zentren zu stimulieren.37 Das legt den Schluss nahe, dass das Gehirn, um Vorgänge in der äußeren Welt zu verstehen, diese auf der Grundlage eigener Erfahrung simuliert. Wenn das Betrachten von in Stein gemeißelten Bewegungen unser sensori-motorisches System aktiviert, dann erscheint es nicht ausgeschlossen, dass auch verbalisierte Bewegungen solche Reaktionen auslösen.38 Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass Menschen, denen ein konkretes Konzept – etwa ein Waldspaziergang – sprachlich (durch Erzählung oder Lektüre) vermittelt wird, auf die Steuerungssysteme zurückgreifen, die das Gehirn für die konkrete Durchführung der betreffenden Handlung zur Verfügung stellt. Das Verstehen von Texten impliziert offenbar zumindest partiell ein Simulieren realer sinnlicher Erlebnisse.39 Möglicherweise gilt das auch für 37  Cinzia di Dio/Emiliano Macaluso/Giacomo Rizzolatti, The golden beauty: brain response to classical and renaissance sculptures, PloS ONE 2007, e1201, S. 1–9, 4; Cinzia di Dio/Vittorio Gallese, Neuroaesthetics: a review, Current Opinion in Neurobiology 19 (2009), S, 682–687, 683. 38  Vgl. nur Jerome A. Feldman, From Molecule to Metaphor. A Neural Theory of Language, Cambridge (MA), London 2006, S. 171, 216 f.; Raymond W. Gibbs Jr./ Teenie Matlock, Metaphor, Imagination, and Simulation. Psycholinguistic Evidence, in: Raymond W. Gibbs, The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought, Cambridge 2008, S. 161–176, 164; George Lakoff, The Neural Theory of Metaphor, in: Raymond W. Gibbs, The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought, Cambridge 2008, S. 17–38, 18 f. Zum „Florida-Effekt“, ein besonders eigenartigen Fall ideomotorischer Verknüpfung: John A. Bargh/Mark Chen/Lara Burrows, Automaticity of Social Behavior. Direct Effects of Trait Construct and Stereotype Activation on Action, Journal of Personality and Social Psychology 71 (1996), S. 230–244. 39  Vgl. Rolf A. Zwaan/Carol J. Madden, Embodied sentence comprehension, in: Diane Pecher/Rolf A, Zwaan (Hrsg.), Grounding cognition: The role of perception and action in memory, language, and thinking, Cambridge 2005, S. 224–245; Arthur M. Glenberg/Michael P. Kaschak, Grounding, language in action, Psychonomic Bulletin & Review 9 (2002), S. 558–565; Arthur M. Glenberg, Language and action: creating sensible combinations of ideas, in: Gareth Gaskell (Hrsg.), Handbook of Psycholinguistics, Oxford 2007, S. 361–371; Raoul Schrott/Arthur Jacobs, Gedicht und Gehirn. Wie wir unsere Wirklichkeit konstruieren, München 2011, S. 128 f.; Rolf A. Zwaan/Lawrence A. Taylor, Seeing, acting, understanding: motor resonance in language comprehension, Journal of Experimental Psychology 135 (2006), S. 1–11; Véronique Hauk/Ingrid S. Johnsrude/Friedemann Pulvermüller, Somatotopic representation of action words in human motor and premotor cortex, Neuron, 41 (2004), S. 301–307; Véronique Boulenger/Olaf Hauk/Friedemann Pulvermüller, Grasping ideas with the motor system: Semantic somatotopy in idiom comprehension, Cerebral Cortex, 19 (2009), S. 1905–1914; Friedemann Pulvermüller, Brain mechanism linking language and action, Nature Reviews Neuroscience 6 (2005), S. 576–582; Paula M. Niedenthal, Embodying Emotion, Science 316 (2007), S. 1002–1005; Anna M. Borghi/Arthur M. Glenberg/Michael P. Kaschak, Putting words in perspec-

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die kognitive Verarbeitung abstrakter Konzepte, wenn wir – wie in der Rechtssprache häufig – Begriffe, die eine bestimmte Bewegung oder Empfindung benennen, in übertragener Bedeutung gebrauchen. Alles in allem gibt es also gute Gründe dafür, das Erfassen neuer Sinnzusammenhänge durch das Verwerten elementarer Erfahrungen und Erlebnisse als allgemeines Organisationsprinzip des menschlichen Denkens und Daseins anzuerkennen. Interessanter als der Befund selbst ist die Frage, in welchem Ausmaß das Konkrete das Abstrakte, das Bekannte das Unbekannte determiniert, mithin bis zu welchem Grade sich das Neue gegenüber dem Alten, auf das es sich bezieht, zu emanzipieren vermag. Gierkes Bemerkung, auch in der Wissenschaft dürfe man sich des Bildes bedienen, „wenn wir uns nur dessen bewusst bleiben und nicht das Bild für die Sache nehmen“, gibt die gängige Auffassung zur Relevanz „des Bildes“, zur Relevanz der dem abstrakten Sachverhalt unterlegten sinnlichen Referenz wider. Das unscheinbare, beiläufige „nur“ ist Ausdruck der Gewissheit, ein wenig Disziplin, ein Mindestmaß an wissenschaftlicher Manneszucht reiche aus, um Kurs zu halten und sich nicht von einer Metapher zu falschen Schlüssen verleiten zu lassen. Diese Gewissheit ist fragwürdig geworden. Die neuere kognitionswissenschaftliche Forschung führt vor Augen, wie anfällig unser Urteilsvermögen ist für Interferenzen, die ihren Ursprung haben in der sachfremden Logik des Bildfeldes. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass schon die Analogiebildung als solche, die Auswahl der Metaphern eigenen – in funktionaler Hinsicht – „irrationalen“ Gesetzen folgt.40 Maßgeblich ist oft die aktuelle Verfügbarkeit, die Präsenz eines Bildfeldes zum Zeitpunkt der Entscheidung. Maßgeblich können sein die Geräusche und Gerüche, denen wir ausgesetzt sind, die Lichtverhältnisse in den Räumen, in denen wir uns aufhalten, die Beschaffenheit – Farbe, Form, Gewicht – der Gegenstände, die sich in unserer Umgebung befinden, und vieles mehr. Erst recht kann keine Rede davon sein, der Mensch überblicke jederzeit alle Implikationen, die einem Bildfeld eigentümlich sind, und beziehe sich nur auf diejenigen, die seinen Intentionen entsprechen. Zweifellos läuft diese Erkenntnis, das Eingeständnis der Unzulänglichkeit unseres Denkens, der Intuition zuwider. So schwer es uns fällt vorzustellen, tive, Memory & Cognition 32 (2004), S. 863–873; Daniel C. Richardson/Michael J. Spivey/Lawrence W. Barsalou/Ken McRae, Spatial representation activated during real-time comprehension of verbs, Cognitive Science 27 (2003), S. 767–780. 40  Zu den Einzelheiten II. 1. und III. 1. Ein aktueller Überblick über den Stand der Forschung bietet Mark J. Landau/Michael D. Robinson/Brian P. Meier (Hrsg.), The Power of Metaphor. Examining Its Influence on Social Life, Washington D.C. 2014.



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dass eine winzige Abweichung in den Anfangsbedingungen eines nicht­ linearen dynamischen Systems, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, gravierende Folgen zeitigen, beispielsweise meteorologische Phänomene beeinflussen kann,41 so schwer fällt es uns, den Einfluss unscheinbarer lebensweltlicher Vorgänge oder Zustände auf unser (abstraktes) Denken anzuerkennen. Der Nachweis solcher kognitiver Schmetterlingseffekte kommt dem nahe, was Freud in seinem berühmten Aufsatz von 1917 über die „Schwierigkeit der Psychoanalyse“42 eine narzisstischen „Kränkung der Menschheit“ nannte. Es ist nun einmal eine unbehagliche, befremdliche Vorstellung, „dass das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus“.43 Der Rechtswissenschaft fällt das Eingeständnis systemimmanenter Mängel in der Gedankenführung erwartungsgemäß besonders schwer. Aus Sicht der Juristen steht nicht nur der Stolz der Menschheit, sondern auch die Akzeptanz der Rechtsordnung auf dem Spiel. Allerdings gibt es in jüngerer Zeit Ansätze, sich den Herausforderungen, die der Rechtswissenschaft aus den Zumutungen der kognitiven Psychologie erwachsen, zu stellen.44 Schon einmal, nämlich unter dem Eindruck des durch die psychoanalytischen Studien Freuds erschütterten Vertrauens in die Urteilsfähigkeit des Menschen, hatten Juristen Anlass dazu, dem Verdacht nachzugehen, dass sie fortwährend mit unzureichenden Instrumenten und Methoden operieren. Als besonders empfänglich für tiefen- und gestaltpsychologische Argumente erwies sich die amerikanische Rechtswissenschaft zu Beginn der 1930er Jahre.45 Die Lehren Oliver Wendell Holmes, Jr. hatten den Boden bereitet für eine Hinwendung zur Empirie und zu einem pragmatischen Rechtsverständnis. 41  Edward Lorenz, Predictability. Does the flap of a butterfly’s wings in Brazil set off a tornado in Texas? [1972], in: ders., The Essence of Chaos, Seattle 1993, S. 181–184. 42  Sigmund Freud, Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse, Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaft 5 (1917), S. 1–7. 43  Sigmund Freud, Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse, Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaft 5 (1917), S. 1–7, 7. 44  Vgl. Eyal Zamir/Doron Teichman (Hrsg.), The Oxford Handbook of Behavioral Economics and the Law, Oxford 2014; Adam Benforado, The Body of the Mind: Embodied Cognition, Law, and Justice, Saint Louis University Law Journal 54 (2010), S. 1185–1216; Joshua I. Davis/Adam Benforado/Ellen Esrock/Alasdair Turner/Ruth C. Dalton/Leon van Noorden/Marc Leman, Four Applications of Embodied Cognition, Topics in Cognitive Science 4 (2012), S. 786–793; Barbara Spellman/ Simone Schnall, Embodied rationality, Queen’s Law Journal 35 (2009), S. 117–164; Neil Vidmar, The Psychology of Trial Judging, Current Directions in Psychological Science 20 (2011), S. 58–62. 45  Einführend aus dem deutschen Schrifttum: Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Band II: Anglo-amerikanischer Rechtskreis, Tübingen 1975, S. 273–325; Maria Anna Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus: Karl N. Llewellyn, Jerome Frank, Underhill Moore, Berlin 2006.

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Die im Zeitalter des „New Deal“ populäre Kritik an dem gesellschaftlichen und politischen Status quo tat ihr Übriges, um die Juristen von der Notwendigkeit zu überzeugen, die bisherige Rechtspraxis und ihre theoretischen Grundlagen in Frage zu stellen. Vor allem Jerome Frank – neben Karl N. Llewellyn einer der einflussreichsten „Realisten“ – kommt das Verdienst zu, die Aufmerksamkeit des Faches auf die vermeintlich nebensächlichen Umstände einer Gerichtsverhandlung oder Zeugenvernehmung gelenkt zu haben. „The influences“, schreibt Frank, „operating on a particular trial judge, when he is listening to, and observing, witnesses, cannot be neatly caged within the categories of his fairly obvious social, economic and political views … The ‚new psychology‘, Freudian or otherwise properly emphasizes these peculiarly individual factors. These uniquely, highly individual, operative influences are far more subtle, far more difficult to get at.“46 Oft reiche eine unauffällige Bewegung oder eine winzige Veränderung im Gesichtsausdruck aus, um Assoziationen auszulösen und den Richter in seinem Urteil zu beeinflussen: „A certain facial twitch or cough or gesture may start up memories, painful or pleasant. Those memories of the trial judge, while he is listening to a witness with such a facial twitch or cough or gesture, may effect the judge’s initial hearing, or subsequent recollection, of what the witness said, or the weight or credibility which the judge will attach to the witness’ testimony.“47 Als der Stern der Tiefenpsychologie zu sinken begann und ihre wissenschaftlichen Mängel zu Tage traten, geriet der legal realism in eine Krise, wenngleich auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg Studien erschienen, die einer „Psychoanalytischen Rechtswissenschaft“ das Wort redeten.48 Gegenwärtig erlebt der Rechtsrealismus eine Renaissance, denn so grundlegend sich Tiefenpsychologie und kognitive Psychologie ihrer Methode und ihrem empirischen Gehalt nach auch unterscheiden: Beide Disziplinen eint das Wissen um die Macht unbewusster (kognitiver oder „seelischer“) Prozesse,49 46  Jerome Frank, Courts on Trial. Myth and Reality in American Justice, 2. Aufl., Princeton 1950, S. 151. 47  Jerome Frank, Courts on Trial. Myth and Reality in American Justice, 2. Aufl., Princeton 1950, S. 151. 48  Vgl. Albert A. Ehrenzweig, Psychoanalytische Rechtswissenschaft, Berlin 1973 [Leiden 1971]. 49  Zur Unterscheidung zwischen dem intuitiven und dem bewussten Denkmodus, zwischen dem automatisch, willenlos operierenden „System 1“ – entgegen unserer Selbstwahrnehmung oft der wahre Urheber unserer Urteile und Überzeugungen – und dem kontrollierten, analytischen „System 2“ („Dual Process Theory“) vgl. ­Jonathan St. B. T. Evans/Keith Frankish (Hrsg.), In Two Minds. Dual Processes and Beyond, Oxford 2009 (zur Ideengeschichte insbes. dies., The duality of mind: An



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und folglich bereitet es keine große Mühe, den alten psychoanalytischen im Gewand eines kognitiven legal realism wiederauferstehen zu lassen. Sogar die heitere, Jerome Frank50 zugeschriebene Devise des Rechtsrealismus „justice is what the judge ate for breakfast“ stößt heute wieder auf Interesse und inspirierte zu einer viel diskutierten Studie, die den Einfluss eines so banalen Umstandes wie den Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme auf den Ausgang eines juristischen Verfahrens belegt.51 Es ist nicht beabsichtigt, auf diesem Weg fortzuschreiten und eine umfassende Kritik der juristischen Praxis auf der Grundlage kognitions- und sozialpsychologischer Erkenntnisse vorzulegen – so sinnvoll eine Bestandsaufnahme auch wäre.52 Zwar befassen wir uns im Folgenden ebenfalls mit subtilen Einwirkungen jenseits der – in den Worten Franks – „fairly obvious social, economic and political views“, doch stehen anders als bei den amerikanischen Rechtsrealisten solche untergründig wirkenden Kräfte im Mittelpunkt, denen gleichzeitig eine Vielzahl von Menschen ausgesetzt sind, Kräfte, die das Staats- und Rechtsdenken einer ganzen Epoche prägen. Der historical perspective, S. 1–29); Jonathan St. B. T. Evans, Dual-Processing Accounts of Reasoning, Judgment, and Social Cognition, Annual Review of Psychology 59 (2008), S. 255–278; Daniel Kahneman/Carey K. Morewedge, Associative Processes in Intuitive Judgment, Trends in Cognitive Sciences 14 (2010), S. 435–440; Jonathan J. Rolison/Jonathan St. B. T. Evans/Ian Dennis/Clare R. Walsh, Dual-Processes in Learning and Judgment: Evidence from the Multiple Cue Probability Learning Paradigm, Organizational Behavior and Human Decision Processes 118 (2012), S. 189–202. Einführend Daniel Kahneman, Schnelles Denken, Langsames Denken, München 2012, S. 31–38. 50  Vgl. Jerome Frank, Courts on Trial. Myth and Reality in American Justice, 2. Aufl., Princeton 1950, S. 162, sich auf Charles Dickens berufend: „A good, ­contended, well-break-fasted juryman, is a capital thing to get hold of. Discontented or hungry jurymen, my dear sir, always find for the plaintiff.“ 51  Shai Danziger/Jonathan Levav/Liora Avnaim-Pesso, Extraneous factors in judicial decisions, Proceedings of the National Academy of Sciences 108 (2011), S. 6889–6892: Ob (erfahrene) Richter einer vorzeitigen, bedingten Haftentlassung, wie sie das israelische Recht kennt, zustimmen, hängt maßgeblich davon, ob sie ihre Entscheidung mit vollem oder mit leeren Magen treffen. In dem einen Fall liegt die Chance auf ein günstiges Votum bei 65 %, in dem anderen bei nahezu 0 %. 52  Aus dem neueren deutschen Schrifttum zu Recht und Verhaltensökonomik: Holger Fleischer, Behavioral Law and Economics im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht – ein Werkstattbericht, in: Festschrift Ulrich Immenga, München 2004, S. 575–587; Cristoph Engel/Markus Englerth/Jörn Lüdemann/Indra Spiecker (Hrsg.), Recht und Verhalten. Beiträge zu Behavioral Law and Economics, Tübingen 2007; Markus Englerth, Behavioral Law and Economics – eine kritische Einführung, Bonn 2004; Ulrich Falk/Matthias Alles, Verhaltensökonomik und Anwaltsrhetorik. Ein interdisziplinärer Forschungsbericht zu Wahrnehmungsverzerrungen bei Risikoabwägungen, Prognosen und Richtigkeitswertungen, ZIP 2014, S. 1209– 1218.

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Zugriff ist demnach – von dieser Seite her betrachtet – ein ideengeschichtlicher, freilich unterscheidet er sich von der Vorgehensweise der konventionellen Ideengeschichte (in ihren verschiedenen Spielarten) dadurch, dass weder die Lektüre des intellektuellen Establishments noch dessen gesellschaftliche oder wirtschaftliche Lage Gegenstand der Untersuchung sind. Skinner bezeichnet in seiner programmatischen Schrift „Meaning and Understanding in the History of Ideas“ die Ideengeschichte unumwunden als ein „linguistisches Unternehmen“ und ihren Fokus als „essentially linguistic“.53 Als ein Kind der „linguistischen Wende“ erweist sich auch die ideengeschichtliche Praxis. Untersucht wird üblicherweise das Vokabular eines Autors, die Herkunft seiner Begriffe. Auf die Weise wies Skinner nach, dass die politischen Theoretiker der Renaissance ihr Vokabular den Texten der Stoa entlehnten54 und Shakespeares Dramaturgie auf den Lehren der (antiken) juristischen Rhetorik basiert.55 Der Umstand, dass Ideenhistoriker ihre Gedanken zu Papier zu bringen pflegen, also Aufsätze und Bücher verfassen, begünstigt den linguistischen Essentialismus und leistet dem Missverständnis Vorschub, nur weil das Medium der Ideenhistoriker die Sprache sei, müsse auch das Medium jeder Idee das Wort und ihre Wirklichkeit ein Sprechakt sein.56 Es entsteht – zum Teil unbeabsichtigt – der Eindruck, allein das gesprochene oder geschriebene Wort verändere die Welt, nur die in Texten gespeicherte Idee erzeuge intellektuelle Wirkungen und sei daher im eigentlichen Sinne überhaupt eine für die Ideengeschichte relevante Idee.57 Bezeichnenderweise widmet sich die auf Texte fixierte Ideengeschichte mit Vorliebe der Analyse spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Schriften. Keine Epoche eignet sich besser als das Zeitalter der humanistischen Gelehrsamkeit, um die Überwältigung einer Kultur durch die Rezeption sprachlich vermittelter Ideen einer überlegenen fremden Zivilisation zu demonstrieren. Wer nicht alle Annahmen teilt, die der „linguistischen Wende“ zu Grunde liegen, hat Anlass, über eine Ideengeschichte nachzudenken, die neben der 53  Quentin Skinner, Meaning and Understanding in the History of Ideas, History and Theory 8 (1969), S. 3–53, 49. 54  Quentin Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, Bd. 1: The Renaissance, Cambridge 1978 (2005), S. xiv: „I have thought to emphasise the remarkable extent to which the vocabulary of Renaissance moral and political thought was derived from Roman stoic sources.“ 55  Quentin Skinner, Forensic Shakespeare, Oxford 2014, S. 1: „My central claim is that among Shakespeare’s plays there are several in which the dramaturgy is extensively drawn from classical and Renaissance treatises on judicial rhetoric.“ 56  Andreas Dorschel, Ideengeschichte, Göttingen 2010, S. 33. 57  Vgl. die Kritik am „sprachlichen Essentialismus“ der bisherigen Ideengeschichte von Andreas Dorschel, Ideengeschichte, Göttingen 2010, S. 33–38.



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sprachlichen Vermittlung andere Formen der Übertragung und Generierung von Ideen in Erwägung zieht. Aktueller denn je ist Marxens grundsätzliche Kritik an einem intellektuellen Autismus,58 an einer „phantastischen Abgeschlossenheit und Fixierung“, an einer Philosophie, „welche vom Himmel auf die Erde herabsteigt.“59 Das, was Marx die „deutsche Ideologie“ nannte – die Stilisierung der „spekulativen Idee“ und „abstrakten Vorstellung“ zur „treibenden Kraft der Geschichte“60 – hat sich als sehr beständig erwiesen. Ihr modernes Gewand ist der Glaube an die Existenz geschlossener geistiger Wirkungszusammenhänge und hochselektiver, selbstreferentieller „Diskurse“ und (Kommunikations-)„Systeme“. Auch in dieser „Geister- und Ge­ spens­ter­geschichte“61 neueren Datums kommt der materiellen Kultur allenfalls eine Statistenrolle zu. Sie ist immer nur Objekt, niemals Subjekt des Geschehens. Wie selbstverständlich heißt es, diese oder jene Architektur, Mode oder Musik sei Ausdruck dieser oder jenen Glaubenslehre, Staatsform oder Ideologie. In den Tanz- und Tischsitten des Mittelalters soll sich ein theologisch tradiertes Gesellschaftsmodell spiegeln, in der Gartenkunst der späten Barockzeit die absolutistische Staatsauffassung, in der Architektur des Dritten Reiches die nationalsozialistische Ideologie, in der postmodernen Kunst der libertäre Zeitgeist usw.62 Marxens materialistischer Gegenentwurf leidet daran, dass er den Materialismus auf einen Ökonomismus verengt und anderen Wechselwirkungen zwischen dem Geistigen und dem materiell Gegebenen – als dem sinnlich Erfahrbaren – kaum Beachtung schenkt. Das Wissen um die „körperliche“, die „sinnliche“ Bedingtheit und die extreme Volatilität der menschlichen Kognition erlaubt es uns heute, einen Schritt weiter zu gehen. Kopernikanisch gewendet: Nicht der Sternenhimmel der materiellen Kultur dreht sich um das abstrakte Denken, sondern dieses rotiert um die Wahrnehmungsgewohnheiten und äußeren Lebensumstände, deren Licht es empfängt und absorbiert.63 Eine zeitgemäße materialistische Ideengeschichte steigt „von der Erde zum Himmel“, indem sie den lebensweltlichen Kristallisationskern einer Idee freizulegen versucht. 58  Vgl. auch Karl Popper, Was ist Dialektik?, in: ders., Vermutungen und Widerlegungen, Tübingen 2009, S. 478–514, 509 („…  diesbezüglichen Marxschen Beiträge von wirklicher Bedeutung und anhaltendem Einfluss …“). 59  Karl Marx/Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 3, 4. Aufl., Berlin 1969, S. 26 f. 60  Karl Marx/Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 3, 4. Aufl., Berlin 1969, S. 113. 61  Karl Marx/Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 3, 4. Aufl., Berlin 1969, S. 113. 62  Daniel Damler, Der Staat der Klassischen Moderne, Berlin 2012, S. 120. 63  Daniel Damler, Der Staat der Klassischen Moderne, Berlin 2012, S. 120.

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Jeder, der Erkenntnisziele verfolgt, die über die einer reinen Diskursgeschichte des Rechts und der politischen Philosophie hinausreichen, muss (auch) die Umbrüche in der materiellen Welt im Blick haben. Lebensweltliche Revolutionen wie die Elektrifizierung im 19. Jahrhundert oder der radikale Bruch mit Architektur- und Designtraditionen im frühen 20. Jahrhundert veränderten dramatisch den Bestand an Bildern und Metaphern, auf die wir angewiesen sind, um uns in einem abstrakten – in dem Fall: juristischen – Modell zurecht zu finden. Wer zugesteht, dass metaphorischen Konzepten ein Eigengewicht zukommt und sie eine nur schwer beherrschbare Eigendynamik entfalten, muss prüfen, ob ein überindividuell wirksamer Austausch der metaphorischen Bezugsebene Paradigmenwechsel in der Rechtspolitik und Rechtswissenschaft befördert haben könnte, namentlich solche, die sich auf der Grundlage herkömmlicher sozial- und ideengeschichtlicher Ansätze nicht befriedigend erklären lassen. Die Auswirkungen lebensweltlicher Revolutionen auf das Recht, die uns interessieren, sind nicht zu verwechseln mit den sich aus solchen Veränderungen ergebenen neuen normativen Anforderungen und dem Entstehen neuer Rechtsgebiete.64 Zur Diskussion steht hier nicht die offenkundige Reaktion einer Rechtsordnung auf technischen Wandel – wie etwa die Einführung des Straftatbestandes „Entziehung elektrischer Energie“ (§ 248c StGB) im Jahr 1900 – sondern die Substitution allgemeiner Denkfiguren, die neue genauso wie traditionelle juristischen Disziplinen regulieren. Einen Sonderfall stellen die „Denkapparate“ der intellektuellen Elite und Avantgarde dar. Ihnen – und nicht etwa den gedruckten Werken antiker Schriftsteller – ist eines der bekanntesten Gemälde der Renaissance gewidmet: Hans Holbeins „Die Gesandten“ von 1533 (Abb. 2). Zu erkennen sind auf der Etagere im Zentrum des Bildes ein Himmelsglobus, Sonnenuhren, ein Torquetum, ein Erdglobus, Richtwinkel, Zirkel, eine Laute und ein Querflötenensemble, ferner ein Rechenbuch, ein Gesangbuch und ein ottomanischer Teppich mit geometrischen Mustern. Das auffällige Arrangement dient natürlich in erster Linie dazu, die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die symbolische Bedeutung der einzelnen Artefakte – Sinnbilder der septem artes liberales – zu lenken.65 Nebenbei legt Holbeins Gemälde aber auch Zeugnis ab von der Gewohnheit, Musikinstrumente und wissenschaftliche 64  Beispielhaft dazu Miloš Vec, Recht und Normierung in der industriellen Revolution. Neue Strukturen der Normsetzung in Völkerrecht, staatlicher Gesetzgebung und gesellschaftlicher Selbstnormierung, Frankfurt am Main 2006. 65  Eingehend John North, The Ambassadors’ Secret. Holbein and the World of the Renaissance, London 2002; Daniela Roberts, „Imago mundi“. Eine ikonographische und mentalitätsgeschichtliche Studie, ausgehend von Hans Holbein d. J. „The Ambassadors“, Hildesheim 2009.



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Abb. 2

Arbeitsgeräte als Statussymbole und den – wenngleich oft nur laienhaften – Umgang mit ihnen als eine Form höherer Bildung der Hommes d’État (also auch der Juristen) zu betrachten, denn bei den beiden prachtvoll gekleideten Herren zur Linken und zur Rechten handelt es sich um solche „Männer des Staates“, um die französischen Gesandten am Hofe des englischen Königs Heinrich VIII., Jean de Dinteville und Georges de Selves.66 Von dem Prestige wissenschaftlicher Artefakte kündet ein weiteres Bildnis Holbeins, das Porträt des deutschen Instrumentenmachers Nikolaus Kratzers, zugleich Astronom und Astrologe Heinrichs VIII. und Privatlehrer im Hause von Thomas Morus.67 66  John North, The Ambassadors’ Secret. Holbein and the World of the Renaissance, London 2002, S. 29–52; Daniela Roberts, „Imago mundi“. Eine ikonographische und mentalitätsgeschichtliche Studie, ausgehend von Hans Holbein d. J. „The Ambassadors“, Hildesheim 2009, S. 53–74. 67  John North, The Ambassadors’ Secret. Holbein and the World of the Renaissance, London 2002, S. 53–70; Daniela Roberts, „Imago mundi“. Eine ikonographische und mentalitätsgeschichtliche Studie, ausgehend von Hans Holbein d. J. „The Ambassadors“, Hildesheim 2009, S. 154–160.

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Die Verehrung von Apparaten, Werkzeugen, Maschinen und Instrumenten als Mittel der Kontemplation und Sinnstiftung ist weder ein Faible der Renaissance noch eine europäische Besonderheit, wie am Beispiel der nordamerikanischen Revolutionszeit68 und des chinesischen Altertums69 zu zeigen sein wird. Die aus den Objekten der materiellen (Hoch-)Kultur70 durch sorgsame Beobachtung und ritualisierte Vertiefung gewonnenen „Ding-­ Ideen“ sind den „Text-Ideen“ gleichberechtig zur Seite zu stellen. „Ding-Ideen“ können allerdings auch durch Texte vermittelt werden. Dass dem so ist, hängt mit der Allgegenwart metaphorischer Ausdrücke zusammen und mit dem Umstand, dass es keines körperlichen, sinnlichen Erlebnisses in situ bedarf, um Assoziationen auszulösen.71 Die Verwendung eines Begriffs, der das Erlebnis benennt, reicht aus. Man könnte einwenden, dass der Effekt dennoch nicht vergleichbar ist, weil man Metaphern selbst auswählt und sie ohnehin nur dazu dienen, eine bereits vorhandene Idee zu veranschaulichen. Ob diese Annahme zutrifft, ist indes mehr als fraglich. Vieles spricht dafür, dass der schlichten Präsenz eines sinnlichen Phänomens erhebliches Eigengewicht zukommt, dass also lebensweltliche Veränderungen als solche – ohne dass dies in der Sache geboten wäre – zu einem Austausch der Leitmetapher führen können.72 Die hier nur in ihren Umrissen skizzierte Funktion der Metapher als Gelenkstelle zwischen materieller und geistiger Kultur ist Gegenstand eines eigenen Kapitels.73 Zwar befassen sich auch Rechtsikonographie und Rechtsarchäologie74 mit den materiellen Überresten der Vergangenheit, doch der Ausgangs68  2.

Teil, II. 2. Teil, II. 1. (Annex). 70  Eingehend zum Forschungsfeld „Materielle Kultur“ bzw. „Material Culture Studies“: Dan Hicks/Mary C. Beaudry (Hrsg.), The Oxford Handbook of Material Culture Studies, Oxford 2010; Chris Tilley/Webb Keane/Susanne Küchler/Mike Rowlands/Patricia Spyer (Hrsg.), Handbook of Material Culture, London 2010; Stefanie Samida/Manfred K. H. Eggert/Hans Peter Hahn (Hrsg.), Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen, Konzepte, Disziplinen, Stuttgart/Weimar 2014; Hans Peter Hahn, Materielle Kultur: eine Einführung, Berlin 2005; Daniel Miller (Hrsg.), Materiality, Durham, London 2005. 71  Spike W. S. Lee/Norbert Schwarz, Metaphor and Judgement and Decision Making, in: Mark J. Landau/Michael D. Robinson/Brian P. Meier (Hrsg.), The Power of Metaphor. Examining Its Influence on Social Life, Washington D.C. 2014, S.  85–108, 102 f. 72  Zur Wandelbarkeit der zur Beschreibung mentaler Phänomene gebrauchten Metaphern: Dedre Gentner/Jonathan Grudin, The Evolution of Mental Metaphors in Psychology: A 90-Year Retrospective, American Psychologist 40 (1985), S. 181–192. 73  1. Teil, I. 74  Vgl. Barbara Dölemeyer, Dinge als Zeichen des Rechts: Zur Rechtsikonographie und Rechtsarchäologie, in: Tobias L. Kienlin (Hrsg.), Die Dinge als Zeichen. Kulturelles Wissen und materielle Kultur, Bonn 2005, S. 221–229; Witold Maisel, 69  2.



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punkt dieser beiden seit langem etablierten Disziplinen ist ein ganz anderer, ja gegensätzlicher: Ihr Hauptinteresse gilt den materialisierten Rechtsauffassungen, also den Vorstellungen von Recht, wie sie sich in Örtlichkeiten und Artefakten der Rechtsausübung spiegeln, während die „Rechts­ ästhetik“ die materielle, lebensweltliche Bedingtheit des juristischen Denkens in den Blick nimmt. Der Begriff verweist demnach weder auf eine Theorie oder Philosophie der Kunst in der Tradition von Hegels „Vorlesungen über die Ästhetik“ noch auf eine empirische Evaluation des Wohl­ gefallens, wie sie dem Inaugurator der experimentellen „Ästhetik von unten“, Gustav Theodor Fechner, vorschwebte (wenngleich es zweifellos zahlreiche Schnittmengen gibt).75 Maßgeblich ist für unser Anliegen die Be­ deutung des griechischen Ursprungsbegriffs aisthesis, also „Wahrnehmung“, „Sinnesempfindung“, eine Bedeutung, die Baumgarten76 und Hegel77 noch präsent war.78 Insoweit unterscheidet sich diese Studie grundlegend von anderen, meist von den Kultur- und Literaturwissenschaften inspirierten79 Versuchen, Recht und „Ästhetik“ zueinander in Beziehung zu setzen.80 Rechtsarchäologie Europas, Wien/Köln/Weimar 1992; Claudius Freiherr v. Schwerin, Einführung in die Rechtsarchäologie, Berlin 1943. 75  Eine neuere instruktive Bilanz der „Schönheitslehre“ bei Winfried Menninghaus, Das Versprechen der Schönheit, Frankfurt am Main 2003. Zur „Ästhetik“ der Religion: Navid Kermani, Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran, München 1999; Martin Mosebach, Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind, Wien 2002. 76  „Aesthetica … est sciencia cognitionis sensitivae“ – Alexander Gottlieb Baumgarten, Aesthetica, Bd. 1, Frankfurt a. d. Oder 1750, S. 1 (§ 1). 77  „Für diesen Gegenstand [die Kunst] freilich ist der Name Ästhetik eigentlich nicht ganz passend, denn ‚Ästhetik‘ bezeichnet genauer die Wissenschaft des Sinnes, des Empfindens“ – Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, in: ders., Werke in zwölf Bänden (Theorie Werkausgabe), Bd. 13: Vorlesungen über die Ästhetik (I), Frankfurt am Main 1983, S. 13. 78  Zur neueren Entwicklung vgl. Karlheinz Barck, Art. „Ästhetik/ästhetisch“, in: ders. (Hrsg.), Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 1, Stuttgart 2000, S. 308–400; vgl. auch Pierre Schlag, The Aesthetics of American Law, Harvard Law Journal 115 (2002), S. 1047–1118, 1050: „In this conception, the aesthetic pertains to the forms, images, tropes, perceptions, and sensibilities that help shape the creation, apprehension, and even identity of human endeavors, including, most topically, law.“ 79  Vgl. Posners Kritik an der „Law and Literature“-Bewegung: Richard Posner, Law and Literature, 3. Aufl., Cambridge (MA) 2009, S. 1–20. 80  Gustav Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Göttingen 1959, S. 86–97 („Ästhetik des Rechts“); Karl Llewellyn, On the Good, the True, the Beautiful, in Law, The University of Chicago Law Review 9 (1941/42), S. 224–265; Heinrich Triepel, Vom Stil des Rechts. Beiträge zu einer Ästhetik des Rechts, Heidelberg 1947 (dazu Andreas von Arnauld/Wolfgang Durner, Heinrich Triepel und die Ästhetik des Rechts, in: Heinrich Triepel, Vom Stil des Rechts. Beiträge zu einer Ästhetik des Rechts, Berlin 2007, S. V–XLII; Fabian Steinhauer, Verankerung und Verhäkelung. Scheidewege im Werk von Heinrich Triepel, Rechtsphilosophie. Zeit-

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Freilich wäre der Begriff schlecht gewählt, wenn die „Rechtsästhetik“ nicht auch die normative Kraft des Schönen in Betracht ziehen würde. Im Bereich des sinnlich Erfahrbaren werten und bewerten wir unablässig, und wir tun es mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass sich der Verdacht aufdrängt, dem Empfinden für Schönheit und Hässlichkeit könnte das Empfinden für Gut und Böse, für Recht und Unrecht, für Richtig und Falsch nachgebildet sein. Die Scheidewand zwischen den verschiedenen Ausprägungen des Gefallens und Nichtgefallens ist jedenfalls, wie zahlreiche neuere Studien dokumentieren, viel dünner und durchlässiger als gemeinhin angenommen.81 Die Folgen des multidimensionalen Wertens sind keineswegs immer erfreulich und stellen eine große Herausforderung für das juristische Urteilsvermögen dar. Wenn es zutrifft, dass „die kulturelle Entfesselung von Schönheitskonsum und Schönheitsarbeit … eine bestimschrift für Grundlagen des Rechts 1 (2015), S. 13–27); Costas Douzinas/Lynda Nead (Hrsg.), Law and the Image. The Authority of Art and the Aesthetics of Law, Chicago 1999; Roberta Kevelson (Hrsg.), Law and Aesthetics. New York 1992; Desmond Manderson, Songs Without Music: Aesthetic Dimensions of Law and Justice. Berkeley 2000; Simona Andrini, Le miroir du réel. Essais sur l’esthétique du droit, Paris 1997; Costas Douzinas/Ronnie Warrington, (Hrsg.), Justice Miscarried. Ethics and Aesthetics in Law, New York 1994; Mark Packer, The Aesthetic Dimension of Ethics and Law: Some Reflections on Harmless Offense, American Philosophical Quarterly 33 (1996), S. 57–74; Adam Gearey, Law and Aesthetics, Oxford 2001; Robin West, Jurisprudence as Narrative: An Aesthetic Analysis of Modern Legal Theory, New York University Law Review 60 (1985), S. 145–211; James Boyd White, Heracles’ Bow: Essays on the Rhetoric and Poetics of the Law. Madison 1985; Alfred C. Yen, Copyright Opinions and Aesthetic Theory, Southern California Law Review 71 (1998), S. 247–297; Louis B. Schwartz, Justice, Expediency, and Beauty, University of Pennsylvania Law Review, 136 (1987), S. 141–182; „Droit et Esthétique“, Archive de philosophie du droit 40 (1995); Chongko Choi, East Asian Jurisprudence, Seoul 2009, S. 311; Wilf Stevens, Imagining Justice: Aesthetics and Public Executions in Late Eighteenth-Century England, Yale Journal of Law and the Humanities 5 (1993), S. 51–78; Janice Toran, Tis a Gift to be Simple: Aesthetics and Procedural Reform, Michigan Law Review 89 (1990), S. 352–397; Wolfgang Durner, Normakzeptanz, in: Andreas von Arnauld (Hrsg.), Recht und Spielregeln, Tübingen 2003, S. 245–262; Christian Klein, Ästhetik des Spiels als Ästhetik des Rechts. Anmerkungen aus literaturwissenschaftlicher Perspektive, in: Andreas von Arnauld (Hrsg.), Recht und Spielregeln, Tübingen 2003, S. 273–297; Helge Dedek, Die Schönheit der Vernunft – (Ir)Rationalität von Rechtswissenschaft in Mittelalter und Moderne, Rechtswissenschaft. Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung 1 (2010), S. 58–83; Pierre Schlag, The Aesthetics of American Law, Harvard Law Journal 115 (2002), S. 1047–1118; Thilo Tetzlaff, Der Sound des Rechts. Rechtsästhetik und Rechtsakustik, in: Günther Kreuzbauer u. a. (Hrsg.), Der juristische Streit. Recht zwischen Rhetorik, Argumentation und Dogmatik (ARSP Beiheft 99), Stuttgart 2004, S. 86–110.; Leif Dahlberg (Hrsg.), Visualizing Law and Authority. Essays on Legal Aesthetics, Berlin 2012; „Rechtsästhetik“, Rechtsphilosophie. Zeitschrift für Grundlagen des Rechts 1 (2015), Heft 1. 81  Dazu 2. Teil, I. 2.



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mende Signatur der Gegenwart“ ist,82 besteht heute mehr denn je Anlass zur Sorge. Der Begriff „Ästhetik“ – das terminologische Kondensat der These, dass das Denken in den „allgemeine Formen der Sinnlichkeit“ (Humboldt), im „Sinnlichen“ (Schiller), in der „bildliche Vorstellung“ (Kant) wurzelt – bedarf einer weiteren Präzisierung: Eine „sinnliche“ Qualität haben nach unserem Verständnis auch die Phänomene des Alltags, die sich nicht auf ein isoliertes, für sich stehendes Wahrnehmungsereignis reduzieren lassen. Auf die Bedeutung solcher kompositorischer Elementarerfahrungen hat vor allem Husserl hingewiesen. „In allen Bewährungen des natürlichen Interessenlebens“, schreibt er, „des sich rein in der Lebenswelt haltenden, spielt der Rückgang auf die ‚sinnlich‘ erfahrende Anschauung eine prominente Rolle.“83 Auch die Husserlsche Phänomenologie und Wissenschaftstheorie hat ihren Ausgangspunkt in der Tätigkeit der Wahrnehmungsorgane, in dem einzelnen unmittelbaren Sinneserlebnis. Doch der von Husserl geprägte „Lebenswelt“-Begriff84 geht darin nicht auf. In den Blick genommen wird die „wirklich anschauliche, wirklich erfahrene und erfahrbare Welt, in der sich unser ganzes Leben praktisch abspielt“, die „Welt der wirklich erfahrenen Anschauung“,85 der „Urboden alles theoretischen wie praktischen Lebens“,86 die „in unserem konkreten Weltleben uns ständig als wirklich gegebene Welt.“87 Wenn sich die „Rechtsästhetik“ diese Begrifflichkeit und perspektivische Erweiterung zu eigen macht, so ist sie doch keine „Rechtsphänomenologie“, da die Husserlsche Philosophie eine andere Zielrichtung hat.88 Ähn82  Winfried Menninghaus, Das Versprechen der Schönheit, Frankfurt am Main 2003, S. 10. 83  Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie [1936], Hamburg 2012, S. 114. 84  Einführend Rüdiger Welter, Der Begriff der Lebenswelt. Theorien vortheoretischer Erfahrungswelt, München 1986 (auch zur Mehrdeutigkeit des Begriffs bei Husserl); vgl. auch Hans Blumenberg, Theorie der Lebenswelt, hrsg. von Manfred Sommer, Berlin 2010; Alfred Schütz/Thomas Luckmann, Strukturen der Lebenswelt, Neuwied/Darmstadt 1975. 85  Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie [1936], Hamburg 2012, S. 54. 86  Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie [1936], Hamburg 2012, S. 53. 87  Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie [1936], Hamburg 2012, S. 55. 88  Beispiele für eine eng an die philosophische Phänomenologie angelehnte „Rechtsphänomenologie“: Sophie Loidolt, Einführung in die Rechtsphänomenolo-

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liches gilt für verwandte phänomenologische Konzepte wie die Heideggers („nächste Welt des alltäglichen Daseins“89) oder Merleau-Pontys („Leiblichkeit“, „Leiberfahrung“90). Der Begriff „Lebenswelt“ hat sich im Übrigen längst verselbständigt91 und gehört heute zum gängigen Vokabular einer Kulturgeschichte, die das gesamte Spektrum vortheoretischer Konditionierung – Essen und Trinken, Kleidung und Mode, Musik und Tanz, Stadterfahrung, Wohnkultur, Hygiene usw. – zu vermessen versucht.92 Nicht beabsichtigt ist, einen überkommenen Essentialismus durch einen neuen zu ersetzen. An der Genese von Ideen sind fast immer eine ganze Reihe von Faktoren beteiligt. Eine sinnliche, lebensweltliche Gegebenheit ist nur eine unter vielen mitbestimmenden Ursachen. Wenn im Verlauf der Darstellung der gegenteilige Eindruck entstehen sollte, dann ist dies allein der Notwendigkeit geschuldet, bislang nur selten (oder gar nicht) in Erwägung gezogenen Wirkungszusammenhängen zu einer größeren Aufmerksamkeit zu verhelfen. In einen Dialog mit der kognitiven Psychologie und verwandten Disziplinen einzutreten,93 setzt nicht die Überzeugung voraus, dass die von diesen Wissenschaften vermittelten Erkenntnisse ausreichen, um zu begreifen, wie gie. Eine historisch-systematische Darstellung, Tübingen 2010; Wilhelm Schapp, Die neue Wissenschaft vom Recht. Eine phänomenologische Untersuchung, Berlin 1930. 89  Martin Heidegger, Sein und Zeit, 14. Aufl., Tübingen 1977, S. 66. Zur Bedeutung Heideggers für die Archäologie und (materielle) Kulturwissenschaft: Stefanie Samida/Manfred K. H. Eggert/Hans Peter Hahn, Materielle Kultur in den Kulturund Sozialwissenschaften, in: dies. (Hrsg.), Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen, Konzepte, Disziplinen, Stuttgart/Weimar 2014, S. 1–12, 5 f. 90  Maurice Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, übers. von Rudolf Boehm, Berlin 1966, S. 91–96 et passim. Zur Bedeutung Husserls, Heideggers und Merleau-Pontys für die Kognitionswissenschaften, insbesondere die Lehre vom „verkörperten Denken“: Shaun Gallagher, Phenomenology and Embodied Cogni­ tion, in: Lawrence Shapiro, (Hrsg.), The Routledge Handbook of Embodied Cognition, London/New York 2014 S. 9–18, 9–11; vgl. auch Shaun Gallagher/Daniel Schmicking (Hrsg.), Handbook of Phenomenology and Cognitive Science, Dordrecht/ New York/Heidelberg/London 2010; Dan Zahavi, Phänomenologie und Kognitionswissenschaft. Möglichkeiten und Risiken, in: Dieter Lohmar/Dirk Fonfara (Hrsg.), Interdisziplinäre Perspektiven der Phänomenologie. Neue Felder der Kooperation: Cognitive Science, Neurowissenschaften, Psychologie, Soziologie und Religionswissenschaft, Dordrecht/Boston/London 2006, S. 296–315. 91  Dazu Rüdiger Welter, Der Begriff der Lebenswelt. Theorien vortheoretischer Erfahrungswelt, München 1986, S. 15. 92  Vgl. etwa Bernd Roeck, Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der Frühen Neuzeit, 2. Aufl., München 2011. 93  Vgl. zur Bedeutung der (kognitionswissenschaftlichen) Gedächtnisforschung für die Geschichtswissenschaft die wegweisende Schrift von Johannes Fried, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004.



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Meinungen entstehen und Entscheidungen zustande kommen.94 Erforderlich ist lediglich die Bereitschaft, sich auf kontra-intuitive Erklärungsansätze einzulassen.95 Die Ergebnisse der experimentellen Psychologie sind schon deshalb nicht ohne weiteres für die Geisteswissenschaften bindend, weil häufig die Belastbarkeit dieser Ergebnisse in der psychologischen Forschung selbst umstritten ist. Bei der (freilich meist nur einmaligen) Wiederholung von Experimenten können in vielen Fällen die Resultate der überprüften Studien nicht bestätigt werden. Das stellt allerdings keine Besonderheit der psychologischen Forschung dar, sondern gilt in gleichem Maße für die Biowissenschaften und die Medizin.96 Die Versuchsanordnungen der Experimente, die in den folgenden Kapiteln erörtert werden, haben zudem auf den ersten Blick wenig gemein mit den realen Bedingungen komplexer Problemanalysen, wie sie für die juristische Tätigkeit typisch sind. Den Versuchsteilnehmern steht in der Regel wenig Zeit zur Verfügung. Sie müssen mehr oder weniger spontan auf die ihnen dargebotenen Reize reagieren und ohne Hilfsmittel und Aussprache beurteilen, ob ihrer Meinung nach eine bestimmte Aussage zutrifft oder nicht. Juristen hingegen, gleich ob sie Gesetze auslegen oder sich rechts­ politisch engagieren, werden sich für ihre Aufgaben mehr Zeit nehmen. Auch stehen sie unter einem permanenten Rechtfertigungsdruck und unter der Aufsicht der scientific community. 94  Kritisch zu einer naiven neurowissenschaftlichen Welterklärung: (exemplarisch) Jan Plamper, Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotions­geschichte, München 2012, S. 283–294; Maxwell R. Bennett / Peter M. S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, Darmstadt 2010. 95  Vorbehalte gegenüber angeblich „neurophysiologischen Wirksamen“ sind keineswegs per se „aufgeklärter“ (Fabian Steinhauer, Verankerung und Verhäkelung. Scheidewege im Werk von Heinrich Triepel, Rechtsphilosophie. Zeitschrift für Grundlagen des Rechts 1 (2015), S. 13–27, 20), ganz abgesehen davon, dass (kognitions-)psychologische nicht ohne weiteres mit neurophysiologischen Erkenntnissen gleichzusetzen sind. 96  Gravierende Unstimmigkeiten belegt eine neuere Untersuchung zu hundert im Jahr 2008 in den Zeitschriften Psychological Science, Journal of Personality and Social Psychology und Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition erschienenen Studien: Open Science Collaboration, Estimating the reproducibility of psychological science, Science 349 (2015), aac4716. Die „Erfolgsquote“ war bei kognitionspsychologischen Experimenten deutlich höher als bei sozialpsychologischen. Die Gründe für die Unstimmigkeiten und Abweichungen sind, wie auch die Verfasser der Kontrollstudie betonen, unklar. Kritisch zur Belastbarkeit vieler „Wiederholungsstudien“ (u. a. wegen geänderter Rahmenbedingungen): Norbert Schwarz/Fritz Strack, Does Merely Going Through the Same Moves Make for a „Direct“ Replication? Concepts, Contexts, and Operationalizations, Social Psychology 45 (2014), S. 305 f.

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Das alles ist richtig, doch sollte man die Einwände in ihrer Bedeutung nicht überschätzen. Abgesehen davon, dass inzwischen immer mehr Studien auf realitätsnahen Simulationen basieren (mit den gleichen oder ähnlichen Ergebnissen), sind die Besonderheiten der Jurisprudenz als Geisteswissenschaft sowie ihre Nähe zur Politik in Rechnung zu stellen: Irrtümer und Fehlleistungen lassen sich – darin liegt der entscheidende Unterschied zu den Ingenieur- und Naturwissenschaften – oft nur schwer nachweisen, weil man für fast jede Position eine rationale Begründung konstruieren und ins Feld führen kann, selbst wenn der rationale Gehalt gar nicht für die Entscheidung verantwortlich war. Für unzutreffend erkannte Rechtsauffassungen so zu verteidigen, als ob man sie für zutreffend hielte, ist problemlos möglich und gehört zum juristischen Tagesgeschäft. Dann aber ist es erst recht problemlos möglich, ratio­ nale Argumente so zu arrangieren, dass sie eine intuitive, unbewusst gebildete Überzeugung stützen. Solche einen irrationalen Kern umschließenden Argumentationsaggregate können sehr stabil sein und über Jahrzehnte oder Jahrhunderte Bestand haben, denn die traditionelle juristische Methodenlehre mit ihren formalen, grobmaschigen Kontrollinstrumenten vermag gegen den subtilen Fremd- und Selbstbetrug wenig auszurichten. Es spricht also grundsätzlich nichts dagegen, auch im Recht kognitiven Anomalien nachzuspüren, zumal solchen, die den Charakter einer (Rechts-)Kultur prägen. Der erste Teil der Arbeit befasst sich mit der Bedeutung von Sinnbildern bei der Konstruktion und Veranschaulichung abstrakter juristischer Konzepte, während der zweite Teil „ästhetischen Tugenden“ gewidmet ist, sinnlich erfahrbaren Qualitäten, aus denen rechtspolitische Forderungen abgeleitet werden. Der Unterschied liegt zum einen in der Absicht des Gebrauchs, zum anderen im Bedeutungsgehalt. Konstitutive Sinnbilder sollen helfen zu verstehen, wie etwas beschaffen ist. Regulative Sinnbilder sind dazu bestimmt, zu begreifen, wie etwas beschaffen sein soll. Konstitutive Sinnbilder beziehen sich auf Sinneinheiten mit einer Vielzahl einander bedingender Merkmale. Regulative Sinnbilder beziehen sich auf einzelne meist zeitgebundene, nicht wesensbestimmende Merkmale solcher Sinneinheiten. So kann ein Musikstück „harmonisch“97 und ein Gebäude „transparent“98 sein, doch gibt es auch Musikstücke, die nicht harmonisch, und Gebäude, die nicht transparent sind. Da sich regulative immer aus konstitutiven Sinnbildern ableiten und sie voraussetzen, ist es vielleicht irreführend, die beiden Kategorien gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Man könnte die unter den Rubriken 97  2. 98  2.

Teil, II. 1. Teil, II. 3.



Dikes Unterwelt – Prolog35

„Harmonie“99, „Balance“100 und „Transparenz“101 erörterten Sachverhalte ebenso übergreifenden Sinneinheiten zuordnen, die „Harmonie“ der Musik, die „Balance“ der Himmelskunde, die „Transparenz“ der Architektur. Die Unterscheidung erfüllt jedoch in anderer Hinsicht eine wichtige Funktion: Sie bringt zum Ausdruck, dass in manchen Fällen die Umwertung einer Rechtsordnung ihren Anfang nimmt nicht von der Einführung eines neuen umfassenden (metaphorischen) Erklärungsmodells, sondern von der Verbreitung einzelner ästhetischer Parolen, Stilmerkmale (im weitesten Sinne), die so sehr ersehnt und begehrt werden, dass die an sich nur auf die materielle Welt bezogene Verheißung in einen politischen und juristischen Ästhetizismus umschlägt. Im ersten wie im zweiten Teil nehmen Fallstudien den größten Raum ein, da jede Theorie sich am Fall bewähren muss. Ziel war es, ein möglichst breites Spektrum an Ländern, Epochen und Themen abzudecken, ohne den Umfang der Arbeit ungebührlich auszudehnen.

99  2.

Teil, II. 1. Teil, II. 2. 101  2. Teil, II. 3. 100  2.

Erster Teil

Konstitutive Sinnbilder In diesem Kapitel soll es darum gehen, die Mechanismen zu identifizieren und zu beschreiben, die es uns ermöglichen, der Anschauung nicht zugängliche Rechtsfiguren gedanklich so präzise zu erfassen, als ob wir es mit Erscheinungen der uns vertrauten sinnlich erfahrbaren Welt zu tun hätten.

I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung Das wichtigste Reflexions- und Verständigungsmedium des Menschen im Allgemeinen und des Juristen im Besonderen ist die Sprache. Der Bedeutung des gesprochenen, geschriebenen und gedachten Wortes als Speicher und Spiegel gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen trägt die Begriffsgeschichte Rechnung, die in Deutschland seit den 1960er Jahren einen starken Rückhalt hat. Die Begriffsgeschichte, diese Begriffsgeschichte erhebt den Anspruch, Leit- und nicht lediglich Teildisziplin der Geschichtswissenschaft zu sein. Schlüsselbegriffe der Staats- und Rechtstheorie standen von Anfang an auf der begriffsgeschichtlichen Agenda.1 Da zumindest die politische Philosophie sich schon immer prägnanter Metaphern2 zur Veranschaulichung ihres Sujets bediente, war es unvermeidbar, dass auch Metaphern in den Blick einer der Sprache zugewandten Historiographie gerieten.3 Die For1  Zur Begriffsgeschichte von „Gesetz“ und „Recht“ Jan Schröder, Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit (1500– 1933), 2. Aufl., München 2012, S. 9 f., 99–102, 194–196, 281–296. 2  Der Begriff der Metapher, der dieser Studie zu Grunde liegt, ist bewusst weit gefasst. Für andere Zwecke mögen Binnendifferenzierungen sinnvoll sein, vorliegend würde sie nur den Blick auf das Wesentliche verstellen – in diesem Sinne auch Alexander Demandt, Metaphern für Geschichte. Sprachbilder und Gleichnisse im historisch-politischen Denken, München 1978, S. 3 f.: „Der Terminus ‚Metapher‘ steht für Worte, die aus ihrem gewöhnlichen Verwendungszusammenhang herausgenommen und auf einen anderen Sachverhalt … angewandt werden“. Zum ebenfalls recht weiten Metapherbegriff der Aristotelischen Poetik vgl. Ottfried Höffe, Bild – Metapher – Modell. Eine philosophische Einführung mit einigen Exempla, in: Ottfried Höffe (Hrsg.), Bild und Bildlichkeit, Nova Acta Leopoldina, N.F. 113, Nr. 386, Halle/Saale 2012, S. 9–21, 10 f. 3  Der Status der Metapher innerhalb der Begriffsgeschichte ist allerdings umstritten – vgl. einerseits Anselm Haverkamp, Metapher. Die Ästhetik in der Rhetorik,



I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung

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schung konzentrierte sich freilich auf zentrale Aspekte der politischen Metaphorik, etwa auf die sprachliche Repräsentation des Staates als „Maschine“ oder „Organismus“.4 Solche Metaphern waren selbst Gegenstand historischer Debatten und Reflexionen und wurden von den Zeitgenossen je nach politischer Couleur bewusst verwendet oder bewusst ignoriert. Insofern ließ sich eine Verbindung zur traditionellen Ideen- und Geistesgeschichte herstellen, was sicherlich die Akzeptanz des Ansatzes im Fach erhöhte. Damit ist das Thema indes noch nicht ganz ausgeschöpft.5 Belebt wurde die Debatte über die Macht der Metapher in Politik und Ökonomie in jüngster Zeit durch die kognitive Psychologie und Linguistik.6 Allerdings beruhen auch diese neuen Ansätze auf gedanklichen Vorarbeiten, die weit in die Vergangenheit zurückreichen.7 München 2007, andererseits Gottfried Gabriel, „Begriffsgeschichte vs. Metaphorologie?“ Zu Anselms Haverkamps dekonstruktiver Vereinnahmung Blumenbergs, Zeitschrift für Ideengeschichte 2008, S. 121–125. Nunmehr grundlegend zu philosophischen Metaphern: Ralf Konersmann (Hrsg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, 3. Aufl., Darmstadt 2011. 4  Vgl. Gerhard Dohrn-van Rossum/Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organ, Organismus, Politischer Körper, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. IV, Stuttgart 1978, S. 519–622; Barbara Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine. Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaats, Berlin 1986; Dietmar Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik in literarischen Zeugnissen von der Antike bis zur Gegenwart, München 1983. 5  Vgl. jüngst Michael Stolleis, Bilder im Recht, in: Ottfried Höffe (Hrsg.), Bild und Bildlichkeit, Nova Acta Leopoldina, N.F. 113, Nr. 386, Halle/Saale 2012, S. 83– 92, insbes. 89 f.; ferner ders., Das Auge des Gesetzes. Geschichte einer Metapher, 2. Aufl., München 2004. 6  Zur Wissenschaftsgeschichte und den zentralen Positionen der kognitiven Linguistik vgl. die Skizzen von Peter Harder, Cognitive Linguistics and Philosophy, in: Dirk Geeraerts (Hrsg.), The Oxford Handbook of Cognitive Linguistics, Oxford 2007, S. 1241–1265; William Croft/D. Alan Cruse, Cognitive Linguistics, Cambridge 2004, S. 1–4; Monika Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, 3. Aufl., Tübingen, Basel 2008, S. 15–77; David Lee, Cognitive Linguistics. An Introduction, Oxford 2001, S. 1–12; Joseph E. Grady, Metaphor, in: Dirk Geeraerts (Hrsg.), The Oxford Handbook of Cognitive Linguistics, Oxford 2007, S. 188–213; Zoltán Kövecses, Metaphor. A Practical Introduction, 2. Aufl., Oxford 2010. Vgl. ferner Eckard Rolf, Metaphertheo­ rien. Typologie, Darstellung, Bibliographie, Berlin/New York 2005, S. 235–241. 7  Einen (allerdings in der Gewichtung angreifbaren) Überblick über die verschiedenen Theorieansätze bietet Eckard Rolf, Metaphertheorien. Typologie, Darstellung, Bibliographie, Berlin/New York 2005; ferner Vanessa Albus, Weltbild und Metapher. Untersuchungen zur Philosophie im 18. Jahrhundert, Würzburg 2001, S. 12–130. Zu den Möglichkeiten und Grenzen der „Metapherngeschichte“ Lutz Danneberg, Sinn und Unsinn einer Metapherngeschichte, in: Hans Erich Bödeker (Hrsg.), Begriffs­ geschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte, Göttingen 2002, S. 259–421 (mit umfangreichen Literaturnachweisen).

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

1. Sprachgebrauch Als Gründungsmanifest der kognitiven Metaphertheorie gilt gemeinhin die von George Lakoff und Mark Johnson 1980 veröffentlichte Schrift „Metaphors We Live By“.8 Die kognitive Linguistik in der Tradition Lakoffs und Johnsons betont die Rolle der Metapher als zentrale Steuerungsinstanz des menschlichen Denkens. Sie verweist darauf, dass es so gut wie keinen Bereich unserer Geistestätigkeit gibt, der nicht durch und durch metaphorisch strukturiert ist. Sie interessiert sich nur am Rande für die „großen“ Metaphern, die jedermann sofort als Metaphern erkennt. Die kognitive Linguistik zielt – in den Worten Nietzsches – auf jene „Illusionen, von denen man vergessen hat, dass es welche sind.“9 Der kognitive Ansatz hat vor allem konzeptuelle Metaphern (oder metaphorische Konzepte) im Blick.10 „Konzept“ bedeutet in dem Zusammenhang, dass wir in der Alltags- wie in der Wissenschaftssprache abstrakten Phänomenen ein kohärentes metaphorisches Bedeutungssystem unbewusst unterlegen, dass wir also einzelne metaphorische Ausdrücke zu größeren Sinnaggregaten zusammenschließen, ohne darüber zu reflektieren. So handelt es sich beispielsweise um eine konzeptuelle Metapher, wenn wir „Zeit“ sprachlich und damit auch gedanklich in „Geld“ verwandeln.11 In der Terminologie der kognitiven Linguistik ist „Zeit“ die „Zieldomäne“ (target domain) und „Geld“ die „Ursprungsdomäne“ (source domain).12 Auch die Personifikation zählt zu den konzeptuellen Metaphern. Mit ihrer Hilfe „können wir eine Fülle von Erfahrungen mit nichtpersonifizierten Entitäten begreifen, indem wir diesen Erfahrungen menschliche Motivationen, Merkmale und Tätigkeiten zugrunde legen“.13 Personifikationen kom8  Dt.: George Lakoff/Mark Johnson, Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, übers. von Astrid Hildenbrand, 6. Aufl., Heidelberg 2008. 9  Friedrich Nietzsche, Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, in: ders., Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari, Bd 1, 6. Aufl., München 2003, S. 873–890, 881. 10  Zur conceptual metaphor und ihrer Abgrenzung von metaphorical linguistic expressions vgl. Zoltán Kövecses, Metaphor. A Practical Introduction, 2. Aufl., Oxford 2010, S. 4–6. 11  „Sie vergeuden meine Zeit“, „dieses Gerät wird Ihnen viel Zeit ersparen“, „ich habe keine Zeit zu verschenken“, „ich habe viel Zeit in diese Frau investiert“, „Ihnen wird die Zeit knapp“, „Du musst mit Deiner Zeit haushalten“ usw. – George Lakoff/Mark Johnson, Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, übers. von Astrid Hildenbrand, 6. Aufl., Heidelberg 2008, S. 16. 12  Zoltán Kövecses, Metaphor. A Practical Introduction, 2. Aufl., Oxford 2010, S. 4. 13  George Lakoff/Mark Johnson, Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, übers. von Astrid Hildenbrand, 6. Aufl., Heidelberg 2008, S. 44.



I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung39

men sehr häufig vor, etwa wenn wir über die Inflation wie über einen Gegner reden: „Die Inflation hat die Grundfeste unserer Volkswirtschaft erschüttert“, „Unser größter Feind ist im Moment die Inflation“, „Der Dollar ist durch die Inflation ruiniert worden“, „Die Inflation hat mir meine Ersparnisse genommen“ usw.14 Erst solche Metapherlisten fördern zutage, in welchem Ausmaß bestimmte Themenfelder von Konzepten beherrscht werden, die unser Denken strukturieren, aber es auch einengen und begrenzen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Es gibt offenbar so etwas wie eine Logik der Metapher, der wir uns zwar nicht immer, aber doch recht häufig verpflichtet fühlen. Konzeptuelle Metaphern finden sich in allen Sprachen.15 So wird zum Beispiel im Englischen und im Chinesischen die Gesichtsmetapher zur ­Beschreibung der gleichen abstrakten Eigenschaften verwendet.16 Gut dokumentiert ist die universale Verbreitung von Metaphern, die in der Selbst­ erfahrung des menschlichen Körpers und dessen sensori-motorischen Fer­ tigkeiten wurzeln. Am Beispiel der Schlagzeile „Frankreich tanzt in die Rezession“ („France waltzed into a recession“) illustriert Feldman, wie verschiedene metaphorische Annahmen zusammenwirken und einen einzigartigen Bedeutungsgehalt kreieren: zum einen die Personifikation des Staates, der dadurch als emotionales, sich am Tanz erfreuendes Wesen erscheint, zum anderen die Konzeptualisierung politischer, sozialer und wirtschaft­ licher Veränderungen als Ortsveränderung.17 Bewegungserfahrungen spielen überhaupt eine zentrale Rolle bei dem Erfassen von abstrakten Wirkungszusammenhängen. So könnte das Ideal der politischen Freiheit in dem Negativerlebnis der körperlichen Unbeweglichkeit seinen Ursprung und emotionalen Anknüpfungspunkt haben (worin sich der Freiheitsgedanke natürlich nicht erschöpft).18 Ebenso wichtig ist die Erkenntnis, dass bei der Darstellung politischer Entwicklungen häufig die Weg-Ziel-Metapher zur Anwendung kommt, was zu einer unbewussten 14  George Lakoff/Mark Johnson, Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, übers. von Astrid Hildenbrand, 6. Aufl., Heidelberg 2008, S.  44 f. 15  Dazu Zoltán Kövecses, Metaphor. A Practical Introduction, 2. Aufl., Oxford 2010, S. 195–213; Joseph E. Grady, Metaphor, in: Dirk Geeraerts (Hrsg.), The Oxford Handbook of Cognitive Linguistics, Oxford 2007, S. 188–213, 194. Zu den kulturell bedingten Variationen Zoltán Kövecses, Metaphor. A Practical Introduction, 2. Aufl., Oxford 2010, S. 215–229 (mwN). 16  Ning Yu, Metaphor from Body and Culture, in: Raymond W. Gibbs, The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought, Cambridge 2008, S. 247–261. 17  Jerome A. Feldman, From Molecule to Metaphor. A Neural Theory of Language, Cambridge (MA), London 2006, S. 12 f. 18  George Lakoff, The Neural Theoy of Metaphor, in: Raymond W. Gibbs, The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought, Cambridge 2008, S. 17–38, 33 f.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Gleichsetzung der Erfolgsquote von politischen Entscheidungen und Bewegungsentscheidungen verleitet. Wenn die Rede davon ist, ein Staat befinde sich nunmehr aufgrund irgendwelcher institutioneller Reformen „auf dem Weg zur Demokratie“, dann besteht die Gefahr, die Fragilität dieser Entwicklung zu unterschätzen und vorschnell Erfolge zu antizipieren, weil wir nach unserer täglichen Erfahrung bei geplanten Ortsveränderungen gewöhnlich unser Ziel erreichen.19 Damit sind wir bei der Frage nach den erwünschten wie unerwünschten Begleiterscheinungen des meta-phorein angelangt. Die kognitive Linguistik behauptet nicht nur die Ubiquität von Metaphern, sondern misst ihnen auch eine große Bedeutung für das Denken und Handeln der Menschen zu. Lakoff und Johnson haben beispielsweise auf die Folgen hingewiesen, die sich aus der Gewohnheit ergeben, den Ablauf von Diskussionen mit dem Vokabular des Krieges zu beschreiben („unhaltbare Behauptungen“, „Abwehr von Argumenten“ usw.): „Stellen wir uns einmal eine Kultur vor, in der man den Argumentationsvorgang nicht in kriegerischen Termini sieht, bei dem niemand gewinnt und verliert, bei dem niemand an Attacke oder Verteidigung denkt, bei dem man weder an Boden gewinnt noch verliert. Stellen wir uns einmal eine Kultur vor, in dem man den Argumentationsvorgang als Tanz betrachtet, bei dem die Argumentierenden als Künstler auftreten und das Ziel haben, sich harmonisch und ästhetisch ansprechend zu präsentieren. In einer solchen Kultur würden die Menschen die Argumentationshandlungen in einem anderen Licht sehen, sie anders erleben, anderes ausführen und anders darüber sprechen.“20 Im Fall des Mediziners Hans Selye hat offenbar der Austausch einer Konzeptmetapher neue Erkenntnisse generiert. Selye gilt als einer der Wegbereiter der modernen Stressforschung. Er unterschied erstmals zwischen Krankheits- und Stresssymptomen, wobei er unter „Stress“ einen unspezifischen Mechanismus der Selbstregulation verstand, der zur Bewältigung besonderer Anforderung befähigt. Dass die Medizin das Phänomen so lange ignoriert hatte, hing unter anderem mit der Repräsentation des Körpers als maschineller Mechanismus zusammen, denn dadurch wurden dessen homöostatischen Qualitäten ausgeblendet oder zumindest unterschätzt.21 19  Vgl. Mark Johnson, Philosophy’s Debt to Metaphor, in: Raymond W. Gibbs, The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought, Cambridge 2008, S. 38–52, 42 f. 20  George Lakoff/Mark Johnson, Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, übers. von Astrid Hildenbrand, 6. Aufl., Heidelberg 2008, S. 13. 21  Eingehend Mark Johnson, The Body in the Mind. The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason, Chicago 1987, S. 127–137. Vgl. auch David Lee, Cognitive Linguistics. An Introduction, Oxford 2001, S. 7.



I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung41

Eine konzeptuelle Leitmetapher kann im Laufe der Zeit durch eine andere ersetzt werden.22 So hat die statistische Auswertung von Artikeln einer führenden psychologischen Fachzeitschrift – der Psychological Review – ergeben, dass während einer Zeitspanne von etwa neunzig Jahren (1894– 1975) mindestens drei verschiedene Ursprungsdomänen zur Repräsentation mentaler Prozesse im Umlauf waren.23 In den frühen Jahrgängen um 1900 dominierten konzeptuelle Metaphern aus dem Bereich der belebten Welt („through lying, mind grows wary“; „ideas struggle with one another“) und der räumlichen Ordnung („anything hiding in the background is not mental activity“). Von der Jahrhundertmitte an entstammten die Metaphern dann hauptsächlich dem Wortschatz der expandierenden Elektro- und Computerwissenschaften.24 Auch wenn man in verschiedenen Epochen, Kulturen oder sozialen Mi­ lieus die gleiche Metapher verwendet, bedeutet das noch nicht, dass eine Verständigung ohne weiteres möglich ist, da mit den gleichen konzeptuellen Metaphern unterschiedliche Erfahrungen und Emotionen verbunden sein können. So sind einige Differenzen im Verständnis der „Nation“ zwischen den beiden großen politischen Lagern in den Vereinigten Staaten wohl nicht darauf zurückzuführen, dass die eine Seite diese, die andere Seite jene Metapher verwendet, sondern darauf, dass ein und dieselben Metapher – die „Nation“ als „Familie“ – unterschiedlich interpretiert wird.25 Der Einfluss der kognitiven Metaphertheorie reicht inzwischen weit über die Linguistik hinaus. Der Erfolg der Schriften Lakoffs und anderer moderner Linguisten verdeckt ein wenig, dass eine Reihe von Autoren, die nicht diesem Kreis angehören, ähnliche Positionen vertreten.26 Zumindest in 22  Zum „metaphorischen Wandel“ vgl. auch Dietmar Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik in literarischen Zeugnissen von der Antike bis zur Gegenwart, München 1983, S. 888–895. 23  Dedre Gentner/Jonathan Grudin, The Evolution of Mental Metaphors in Psychology: A 90-Year Retrospective, American Psychologist 40 (1985), S. 181– ­ 192. 24  Dedre Gentner/Jonathan Grudin, The Evolution of Mental Metaphors in Psychology: A 90-Year Retrospective, American Psychologist 40 (1985), S. 181–192, 191. 25  Eingehend George Lakoff, Moral Politics. What Conservatives know that ­Liberals don’t, Chicago 1996. 26  Auf diesen Umstand hat insbesondere Olaf Jäkel hingewiesen: Olaf Jäkel, Kant, Blumenberg, Weinrich. Some forgotten contributions to the cognitive theory of metaphor, in: Raymond W. Gibbs/Gerard J. Stehen (Hrsg.), Metaphor in Cogni­ tive Linguistics, Amsterdam 1999, S. 9–27. Als ein früher Versuch der „psycholo­ gischen“ Erklärung von Metaphern verdient Erwähnung: Wilhelm Stählin, Zur Psychologie und Statistik der Metapher. Eine methodologische Untersuchung, Archiv für die gesamte Psychologie 31 (1914), S. 297–425.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Deutschland ist nie ganz in Vergessenheit geraten, dass Kant in seiner „Kritik der Urteilskraft“ dafür geworben hat, sich mit metaphorischen – in seinen Worten „symbolischen“ – Anschauungen und Transformationen zu beschäftigen.27 „Alle Anschauungen, die man Begriffen a priori unterlegt“, schreibt Kant, „sind also entweder Schemate oder Symbole, wovon die erstern direkte, die zweiten indirekte Darstellungen des Begriffs enthalten. Die erstern tun dieses demonstrativ, die zweiten vermittelst einer Analogie (zu welcher man sich auch empirischer Anschauungen bedient), in welcher die Urteilskraft ein doppeltes Geschäft verrichtet, erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung, und dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz andern Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden. So wird ein monarchischer Staat durch einen beseelten Körper, wenn er nach inneren Volksgesetzen, durch eine bloße Maschine aber (wie etwa eine Handmühle), wenn er durch einen einzelnen absoluten Willen beherrscht wird, in beiden Fällen aber nur symbolisch vorgestellt.“28 Der letzte Satz, der von der viel zitierten „symbolischen Vorstellung“ des Staates als Handmühle handelt, spricht dafür, dass Kant vornehmlich unkonventionelle metaphorische Ausdrücke der politischen Theorie im Blick hatte. Doch schon im nächsten Absatz (der nicht mehr so häufig zitiert wird) lässt Kant erkennen, dass es ihm auch und gerade auf alltägliche, unbewusst vorgenommene „Übertragungen“ ankommt: „Dies Geschäft ist bis jetzt noch wenig auseinander gesetzt worden, so sehr es auch eine tiefere Untersuchung verdient; allein hier ist nicht der Ort, sich dabei aufzuhalten. Unsere Sprache ist voll von dergleichen indirekten Darstellungen, nach einer Analogie, wodurch der Ausdruck nicht das eigentliche Schema für den Begriff, sondern bloß ein Symbol für die Reflexion enthält. So sind die Wörter Grund (Stütze, Basis), abhängen (von oben gehalten werden), woraus fließen (statt folgen), Substanz (wie Locke sich ausdrückt: der Träger der Akzidenzen), und unzählige andere nicht schematische, sondern symbolische Hypotyposen, und Ausdrücke für Begriffe nicht vermittelst einer direkten Anschauung, sondern nur nach einer Analogie mit derselben, d. i. der Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz andern Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direkt korrespondieren kann. Wenn man eine bloße Vorstellungsart schon Erkenntnis 27  Vgl. Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt am Main 1998, S. 12 f.; zu den Unterschieden zwischen Blumenbergs und Kants Metapherverständnis Ottfried Höffe, Bild – Metapher – Modell. Eine philosophische Einführung mit einigen Exempla, in: Ottfried Höffe (Hrsg.), Bild und Bildlichkeit, Nova Acta Leopoldina, N.F. 113, Nr. 386, Halle/Saale 2012, S. 9–21. 28  Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: ders., Werke in zwölf Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Band 10, Frankfurt am Main 1968, S. 459 f. (§ 59).



I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung43

nennen darf (…): so ist alle unsere Erkenntnis von Gott bloß symbolisch …“.29 In der Tradition Kants steht Ernst Cassirer, der im ersten Teil seiner „Philosophie der symbolischen Formen“ die verschiedenen konkreten Erfahrungsbezüge zu erkunden versucht, die unser abstraktes Denken durchwirken. Als eine der wichtigsten Ursprungsdomänen gilt ihm der „Raum“: „Vor allem ist es die räumliche Erscheinung, an der sich dieses Ineinander des sinnlichen und des geistigen Ausdrucks in der Sprache durchgehend beweist. Gerade in den allgemeinsten Ausdrücken, die die Sprache zur Bezeichnung geistiger Prozesse erschafft, tritt die entscheidende Mitwirkung der räumlichen Vorstellung aufs deutlichste hervor. Noch in den höchstentwickelten Sprachen begegnet diese ‚metaphorische‘ Wiedergabe geistiger Bestimmungen durch räumliche. Wie sich im Deutschen dieser Zusammenhang in den Ausdrücken des Vorstellens und Verstehens, des Begreifens, des Begründens und Erörterns usf. wirksam erweist, so kehrt er fast gleichartig nicht nur in den verwandten Sprachen des indogermanischen Kreises, sondern auch in völlig unabhängigen und weit entlegenen Sprachgebieten wieder.“30 Neben der Raumerfahrung ist es die Erfahrung des eigenen Körpers, die uns als „Koordinationsebene“ des Denkens dient: „Nachdem sich für den Menschen das Bild des eigenen Körpers einmal scharf ausgeprägt hat, dient er ihm gleichsam zum Modell, nach welchem er sich das Ganze der Welt aufbaut. Hier besitzt er eine ursprüngliche Koordinationsebene, auf die er sich im weiteren Fortgang immer wieder zurückzieht und zurückbezieht – und der er demgemäß auch die Benennung entnimmt, die dazu dienen, diesen Fortgang sprachlich zu be­ zeich­ nen.“31 Die Beispiele, die Cassirer anführt (vorstellen, begreifen, begründen), belegen, dass er – wie Kant – nicht zuletzt basale, unauffällige Metaphern im Sinn hat. An Kants programmatische Skizze in der „Kritik der Urteilskraft“ knüpft auch Hans Blumenberg an,32 der in seinen 1960 erschienenen „Paradigmen zu einer Metaphorologie“ den Versuch unternimmt, „an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösung der systema29  Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: ders., Werke in zwölf Bänden,  hrsg. von Wilhelm Weischedel, Band 10, Frankfurt am Main 1968, S. 460 f. (§ 59). 30  Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Erster Teil: Die Sprache, bearb. von Claus Rosenkranz, Hamburg 2010, S. 148. 31  Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Erster Teil: Die Sprache, bearb. von Claus Rosenkranz, Hamburg 2010, S. 157. 32  Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt am Main 1998, S.  11 f.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

tischen Kristallisationen“.33 Zu diesem Zweck untersucht er philosophische Leitmetaphern in historisch-philologischer Perspektive, beispielsweise die metaphorische Repräsentation der „Wahrheit“ als Licht34 und als „energetische Qualität“: als Macht der Wahrheit, als vis veri, als la force invincible de la vérité.35 Solchen „absoluten“ Metaphern, die „nicht in Begrifflichkeit aufgelöst“, sondern nur durch andere Metaphern ersetzt werden können,36 schreibt Blumenberg eine epochale Bedeutung zu: „Ihr Gehalt bestimmt als Anhalt von Orientierungen ein Verhalten, sie geben einer Welt Struktur, repräsentieren das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität. Dem historisch verstehenden Blick indizieren sie also die fundamentalen, tragenden Gewissheiten, Vermutungen, Wertungen, aus denen sich Haltungen, Erwartungen, Tätigkeiten und Untätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und Gleichgültigkeiten einer Epoche regulierten.“37 Blumenberg analysiert nicht nur einzelne metaphorische Ausdrücke, sondern auch „elementare Modellvorstellungen“. Diese können, müssen aber nicht „in der Gestalt von Metaphern bis in die Ausdruckssphäre durch­ schlagen“.38 Dadurch, dass Blumenberg sich des „unsichtbaren“ metaphorischen Denkens annimmt, erweitert er den Anwendungsbereich seiner „Metaphorologie“ erheblich: Er erweitert ihn auf Texte, die prima facie ohne jeden Bezug auf Objekte und Vorgänge der „Anschauung“ auszukommen scheinen. Als Beispiel führt Blumenberg eine Sentenz aus dem De animaKommentar des Thomas von Aquin an (De veritate 1,1): Cognitio est quidam veritatis effectus. „Das sieht wie eine bildlose, rein terminologische Aussage aus, wie ‚pure Scholastik‘ eben, aber ist doch bei näherem Hinsehen deutlich an einem metaphorischen Hintergrund orientiert, den wir ‚implikatives Modell‘ zu nennen vorschlagen. Das bedeutet, dass Metaphern in ihrer hier besprochenen Funktion gar nicht in der sprachlichen Ausdruckssphäre in Erscheinung zu treten brauchen; aber ein Zusammenhang von Aussagen schließt sich plötzlich zu einer Sinneinheit zusammen, wenn man 33  Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt am Main 1998, S. 13. 34  Hans Blumenberg, Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung, in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, hrsg. von Anselm Haverkamp, Frankfurt am Main 2001, S. 139–171. 35  Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt am Main 1998, S. 14–22. 36  Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt am Main 1998, S.  12 f. 37  Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt am Main 1998, S. 25. 38  Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt am Main 1998, S. 16.



I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung45

hypothetisch die metaphorische Leitvorstellung erschließen kann, an der diese Aussagen ‚abgelesen‘ sein können.“39 In einem anderem Kapitel spricht Blumenberg explizit von „Hintergrundmetaphorik“ als einer Metaphorik, die dort im Spiel sei, „wo ausschließlich terminologische Aussagen auftreten, die aber ohne Hinblick auf eine Leitvorstellung, an der sie induziert und ‚abgelesen‘ sind, in ihrer umschließenden Sinneinheit gar nicht verstanden werden können“.40 Wenn es zutrifft, dass scheinbar nüchterne philosophische oder theologische Traktate metaphorisch unterlegt und strukturiert sind, muss das Gleiche für Rechtstexte gelten, auch wenn Blumenberg sich offenbar nie eingehend mit juristischen Themen befasst hat. Der Metaphertheorie der kognitiven Linguistik noch etwas näher als Hans Blumenberg steht Harald Weinrich. In einem bereits 1958 veröffentlichten Aufsatz („Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld“) nimmt er deren Kernthesen weitgehend vorweg.41 Eine Bemerkung Goethes gegenüber Eckermann veranlasste Weinrich, die Verbreitung von Begriffen aus dem Geld- und Finanzwesen in Diskursen über Sprache und Literatur zu untersuchen. „Es geht mir“, bemerkte Goethe über den zweiten Teil des „Faust“, „damit wie einem, der in seiner Jugend sehr viel kleines Silberund Kupfergeld hat, das er während dem Lauf seines Lebens immer bedeutender einwechselt, so dass er zuletzt seinen Jugendbesitz in reinen Goldstücken vor sich sieht“.42 Weinrich fällt es nicht schwer ähnliche Zitate aus der europäischen Geistesgeschichte zusammenzutragen: Lukrez kennt „goldene Worte“, Martin Luther möchte Bibelsprüche „in die Säcklein und Beutlein stecken, wie man die Pfennige und Groschen oder Gulden in die Tasche steckt“, für Montesquieu sind Übersetzungen nur „Kupfergeld“ usw.43 Auch die Alltagssprache ist reich an Münzmetaphern, die es uns ermöglichen, über „Sprache“ nachzudenken. So werden beispielsweise Worte geprägt, die dann den Wortschatz bereichern. Für Weinrich ist die Einzelmetapher in der Regel Teil eines größeren „Bildfeldes“.44 Dadurch werden ganze „Sinnbezirke“ miteinander verbun39  Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt am Main 1998, S. 20. 40  Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt am Main 1998, S. 91. 41  Harald Weinrich, Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart 1976, S. 276–290. 42  Zitiert nach Harald Weinrich, Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart 1976, S. 276–290, 276. 43  Zitiert nach Harald Weinrich, Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart 1976, S. 276–290, 280 f., 286. 44  Vorüberlegungen zu einer Theorie des Bildfeldes bei Dietmar Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik in literarischen Zeugnissen von der

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

den. „In der Metapher Wortmünze ist nicht nur die Sache ‚Wort‘ mit der Sache ‚Münze‘ verbunden, sondern jeder Terminus bringt seine Nachbarn mit, das Wort den Sinnbezirk der Sprache, die Münze den Sinnbezirk des Finanzwesens. In der aktualen und scheinbar punktuellen Metapher vollzieht sich in Wirklichkeit die Koppelung zweier sprachlicher Sinnbezirke.“45 Unterscheidet die kognitive Linguistik zwischen „Ursprungs-“ und „Ziel­ domäne“, differenziert Weinrich im Anschluss an Jost Trier zwischen dem „bildspendenden“ und dem „bildempfangenden Feld“. In seinem Beispiel bildet der Sinnbezirk „Sprache“ das bildempfangende und der Sinnbezirk „Geld“ das bildspendende Feld.46 Weinrich bestreitet zwar nicht die Existenz der beliebigen, isolierten Metapher, doch: „Sie ist seltener, als man denkt, und – was wichtiger ist – sie hat gewöhnlich keinen Erfolg bei der Sprachgemeinschaft. Die Sprachgemeinschaft will die integrierte Metapher, vornehmlich (aber nicht ausschließlich) für den Bereich der inneren Erfahrung. Die in einem Bildfeld integrierte Metapher hat alle Aussichten, von der Sprachgemeinschaft angenommen zu werden, und die Sprachmeister wissen das.“47 Die Stärke von Weinrichs Ansatz liegt darin, dass er Metaphern als eine unser Denken gestaltende Macht begreift und nicht lediglich als einen Spiegel unserer intellektuellen Biographie. Für Weinrich gehört die „metaphorische Logik“ zu den wirkungsmächtigsten Formen der kognitiven Manipulation: „So wird nun verständlich, dass unser Weltbild entscheidend von unseren Bildfeldern (mehr als von den Wortfeldern!) bestimmt ist … Das Bildfeld Wortmünze hat die Bildstelle Wortreichtum (copia verborum). Da die Menschen nun im allgemeinen der Ansicht sind, dass der Reichtum etwas Gutes ist, musste sich daraus mit der immanenten Logik des Bildfeldes ergeben, dass eine Sprache um so vollkommener ist, je mehr Wörter sie aufnimmt – durch Prägung oder Entlehnung. Der Denkzwang, der von dieser metaphorischen Logik ausgeht, hat viele Jahrhunderte die europäischen Sprachen und Literaturen beherrscht.“ In gleicher Weise sei der klassizistische Topos von der Sparsamkeit im Ausdruck durch die „Logik des Bildfeldes“ determiniert: Antike bis zur Gegenwart, München 1983, S. 24–27; vgl. auch ders., Bildfelder in historischer Perspektive, in: Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Bd. 21: Lexikologie. Ein internationales Handbuch zur Natur und Struktur von Wörtern und Wortschätzen, hrsg. von David A. Cruse/Herbert Ernst Wiegand, Berlin 2002, S. 764–771. 45  Harald Weinrich, Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart 1976, S. 276–290, 283. 46  Harald Weinrich, Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart 1976, S. 276–290, 284. 47  Harald Weinrich, Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart 1976, S. 276–290, 286.



I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung

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„Heute ist der Wert- und Ökonomiebegriff aus Sprach- und Literaturwissenschaft nicht mehr fortzudenken. Aus ihm heraus gewinnt André Gide einen neuen Klassikerbegriff in seiner berühmten Formel: ‚Le classicisme … c’est l’art d’exprimer le plus en disant le moins‘ Das aber ist ein Gedanke, der sich bereits bei Plutarch findet, und zwar eingebettet in ein Bild aus dem Bildfeld Wortmünze: ‚Wie nämlich die beste Münze diejenige ist, die bei möglichst geringer Masse einen möglichst hohen Wert hat, so beruht die Macht der Rede darauf, dass sie mit wenig Worten viel besagt‘ “.48 Die Lehren der kognitiven Linguistik und verwandter Ansätze als Arbeitshypothesen zu akzeptieren, bedeutet selbstverständlich nicht, sich auch die reduktionistischen und deterministischen Aussagen zu Eigen zu machen, die gelegentlich aus ihnen abgeleitet werden. So lassen sich die Kontroversen zwischen den großen philosophischen Schulen des Abendlandes gewiss nicht allein auf metaphorische Inkongruenzen zurückführen.49 Es ist richtig, dass (konzeptuelle) Metaphern faktisch unvermeidbar sind. Die Alternative zur weniger treffenden Metapher ist nicht der reine, unverfälschte Ausdruck, sondern die treffende Metapher. Immerhin aber hat der Mensch es in der Hand, sich metaphorisch annähernd „richtig“ auszudrücken, und häufig macht er von dieser Möglichkeit auch Gebrauch. Gegebenenfalls korrigiert er irreführende Metaphern und ersetzt sie. Die Metapherpathologie kommt erst dann zu ihrem Recht, wenn die reflexiven Kontrollmechanismen nicht funktionieren. Das ist – um es zu wiederholen – nicht der Regelfall, kommt jedoch so häufig vor, dass es sich lohnt, vergangene oder gegenwärtige Erscheinungen auf solche Repräsentationsinfarkte hin zu untersuchen. Vor allem im Rahmen von (rechts-)politischen Debatten und populären Diskursen ist die metaphorische Präzision nicht immer gewährleistet. Sind Fehlschlüsse, die sich aus einem Fehlgebrauch ableiten, einmal in der Welt, fällt es schwer, sie wieder zu korrigieren, so dass sie unter Umständen Eingang in die Regierungspraxis und Gesetzgebung finden. Aber auch die Wissenschaft ist nicht gefeit gegen Missgriffe. Selbst ein gewissenhafter Autor übersieht nicht immer alle Implikationen eines metaphorischen Konzepts, denn Metaphern „konservieren den Reichtum ihrer Herkunft“50, wie es Blumenberg formulierte, sie entziehen sich einer vollständigen Kontrolle. 48  Harald Weinrich, Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart 1976, S. 276–290, 290. 49  Trotz aller Relativierungen im Ansatz bedenklich daher George Lakoff/Mark Johnson, Philosophy in the Flesh. The Embodied Mind and its Challenge to Western Thought, New York 1999, insbes. S. 335–548. 50  Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt am Main 1979, S. 80.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Missverständnisse lassen sich vielleicht am ehesten vermeiden, wenn man Metaphern als sprachliche Ausprägung einer spezifischen Urteilsheuristik begreift – nach Art jener Heuristiken, die Tversky und Kahneman untersucht haben.51 Da Menschen häufig gezwungen sind, unter Zeitdruck und ohne ausreichende Informationen Entscheidungen zu komplexen Problemen zu treffen, greifen sie auf kodierte oder erlernte Faustregeln zurück, die in der Regel zu richtigen Ergebnissen führen. Das geschieht unbewusst und automatisch. In einem zweiten Zugriff kann – je nach Zeitbudget und Rele­ vanz – das kontrollierte (aber eben auch aufwendige) Denken sich der Sache annehmen, doch das ist längst nicht immer der Fall. Zu den bekanntesten Heuristiken gehört die Verfügbarkeitsheuristik. Sie bewirkt, dass wir die Häufigkeit oder Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses anhand der Verfügbarkeit von in unserem Gedächtnis gespeicherten Informationen über dieses Ereignis bestimmen. Als Nebenwirkungen von Heuristiken treten regelmäßig kognitive Verzerrungen (cognitive biases) auf,52 denn selbstverständlich ist es denkbar, dass – um bei der Verfügbarkeitsheuristik zu bleiben – ein an sich seltenes Ereignis nur deshalb so schnell erinnert wird, weil es gerade eben erst stattgefunden hat. Dem metaphorischen Denken sehr nahe kommt das als attribute substitution bezeichnete heuristische Schlussverfahren. Darunter versteht man die Neigung, die Lösung eines schwierigen Problems stillschweigend durch die Lösung eines vertrauten und damit einfacheren zu substituieren.53 Im Grunde geschieht beim Gebrauch metaphorischer Konzepte nichts anderes: Wir ziehen Erfahrungen über uns und unsere unmittelbare Umwelt heran, um uns in abstrakten Welten zurecht zu finden. Wir plündern also fortwährend unseren sowohl ontogenentisch als auch phylogenetisch zusammengetragenen reichen Erfahrungsschatz über Bewegungsabläufe, Körperfunktionen, Landschaften, Beschaffenheit von Materialien usw. in dem Vertrauen darauf, dass sich die Inhalte auch in anderen Zusammenhängen als nützlich erweisen. Das Verfahren ist fehleranfällig, in der Summe jedoch hocheffizient. 51  Grundlegend Amos Tversky/Daniel Kahneman, Judgement under uncertainty. Heuristics and biases, Science 185 (1974), S. 1121–1131. Vgl. auch die Beiträge in Thomas Gilovich/Dale Griffin/Daniel Kahneman (Hrsg.), Heuristics and Biases. The Psychology of Intuitive Judgement, Cambridge 2002. 52  Aus evolutionsbiologischer Perspektive: Martie G. Haselton/Daniel Nettl/Paul W. Andrews, The Evolution of Cognitive Bias, in: David M. Buss (Hrsg.), Handbook of Evolutionary Psychology, Hoboken 2005, S. 724–746. 53  Benjamin R. Newell/David A. Lagnado/David R. Shanks, Straight Choices. The Psychology of Decision Making, London 2007, S. 71–74; Daniel Kahneman/ Shane Frederick, Representativeness Revisited: Attribute Substitution in Intuitive Judgment, in: Thomas Gilovich/Dale Griffin/Daniel Kahneman (Hrsg.), Heuristics and Biases. The Psychology of Intuitive Judgement, Cambridge 2002, S. 49–81.



I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung49

Diese Deutung steht in Einklang mit einem Modell zur Entwicklung des menschlichen Denkvermögens, das die kognitive Archäologie entwickelt hat. Sie erklärt den Eintritt in eine neue oder überhaupt die erste Phase der Menschheitsgeschichte – the big bang of human culture – mit der Ausbildung einer bis dato nicht vorhandenen Fähigkeit: der kognitiven Fluidität.54 Jene Revolution im Denken vollzog sich im Übergang vom Mittel- zum Jungpaläolithikum, also 60.000 bis 40.000 Jahre vor unserer Zeit. Zum ersten Mal gelang damals die Verknüpfung verschiedener kognitiver Domänen, so dass das in einem bestimmten funktionellen Reservat akkumulierte Wissen zum Verständnis anderer Phänomene genutzt werden konnte. Statt wie bisher ausschließlich Tiere als Tiere und Artgenossen als Artgenossen zu denken, war es nun möglich, Tieren menschliche Qualitäten zuzuweisen. Tier-Mensch-Gestalten als Artefakte oder (Höhlen-)Zeichnungen – zum Bei­ spiel der „Zauberer“ von Trois-Frères, eine Figur mit menschlichen Gliedmaßen und einem Hirschgeweih – tauchten etwa vor 40.000 Jahren erstmals auf und bezeugen das Erwachen des Anthropomorphismus.55 Gleichzeitig vollzog sich ein einschneidender Wandel in der Jagdtechnik. Die frühen Menschen jagten nun nicht mehr wahllos das Wild in den Wäldern, sondern spezialisierten sich auf einzelne Tierarten, deren Verhalten sie versuchten gedanklich zu antizipieren. Die auf die Weise gewonnene Jagd­ expertise nutzen sie, indem sie die Herden auf ihren jährlichen Wanderungen dort angriffen, wo die Tiere nicht fliehen oder sich wehren konnten: in engen Tälern oder an Flussübergängen. Dadurch waren die Menschen – spätestens vor 18.000 Jahren – in der Lage, Wildtiere in Massen abzuschlachten.56 Mithen vermutet, dass ein kausaler Zusammenhang besteht, zwischen der Genese des – in der frühmenschlichen Kunst manifesten – Anthro­ 54  Steven Mithen, The Prehistory of the Mind. A search for the origins of art, religion and science, London 1996, S. 151–184. Ein Überblick über die neuere Forschung zum „Anthropomorphismus“ bei Alexandra C. Horowitz/Marc Bekoff, Naturalizing Anthropomorphism. Behavioral Prompts to Our Humanizing of Animals, Anthrozoös 20 (2007), S. 23–35; Nicholas Epley/Adam Waytz/John T. Cacioppo, On seeing Human. A Three-Factor Theory of Anthropomorphism, Psychological Review 114 (2007), S. 864–886; Lorraine Daston/Greg Mitman (Hrsg.), Thinking with Animals. New Perspectives on Anthropomorphism, New York 2005; Jesse Chandler/Norbert Schwarz, Use does not wear ragged the fabric of friendship: Thinking of Objects as alive makes people less willing to replace them, Journal of Consumer Psychology 20 (2010), S. 138–145, 138 f. Zu den neurowissenschaftlichen Grundlagen: Andrea S. Heberlein/Ralph Adolphs, Impaired spontaneous anthro­ pomorphizing despite intact perception and social knowledge, Proceedings of the National Academy of Science 101 (2004), S. 7487–7491. 55  Steven Mithen, The Prehistory of the Mind. A search for the origins of art, religion and science, London 1996, S. 164. 56  Steven Mithen, The Prehistory of the Mind. A search for the origins of art, religion and science, London 1996, S. 167 f.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

pomorphismus und dem Aufkommen neuer Strategien und Techniken in der Jagd.57 Anthropomorphes Denken war demnach eine der frühesten und wichtigsten Ausdrucksformen kognitiver Fluidität. Auch wenn sich diese zunächst bei der Nahrungssuche als vorteilhaft erwies und vielleicht allein aus dem Grund sich etablierte, reicht ihre Bedeutung weit darüber hinaus. Die geistige Befähigung, die belebte wie die unbelebte Natur und ihre Kausalbeziehungen zu „vermenschlichen“, könnte eine der entscheidenden Voraussetzungen für das Entstehen von Religionen gewesen sein,58 so wie auch ein Nachdenken über politische Gemeinwesen – „Staaten“ – erst möglich wurde, als die Menschen sich solche Verbände als Ihresgleichen vorzustellen vermochten. Dass es sich jedenfalls um einen Vorgang von großer Tragweite handelt, darauf hat Ernst Gombrich schon vor vielen Jahren hingewiesen: „Die Möglichkeit metaphorischer Ausdrucksweise entspringt der unbegrenzten Plastizität des menschlichen Geistes, seiner Fähigkeit, neue Erlebnisse als Modifikationen von vorhergegangenen wahrzunehmen und zu assimilieren, und seiner Eigenschaft, in den verschiedenartigsten Phänomenen Parallelen zu sehen und sie untereinander zu vertauschen. Ohne diesen ständigen Prozess der Substitution gäbe es weder Sprache noch Kunst noch überhaupt Kultur.“59 2. Experimentelle Nachweise Schon die Tatsache, dass die psychologische Metaphertheorie amerikanischer Prägung und die philosophische Metaphorologie deutscher Provenienz ungeachtet der verschiedenen Wissenschaftstraditionen und offenbar unabhängig voneinander zu ähnlichen Resultaten gelangten, legt nahe, dass die Thesen, soweit sie übereinstimmen, so abwegig nicht sein können.60 Zudem ist die Existenz kohärenter metaphorischer Strukturen („konzeptuelle Meta57  „Even though a deer or a horse may not think about its foraging and mobility patterns in the same way as Modern Humans, imaging that it does can act as an excellent predictor for where the animal will feed and the direction in which it may move“ – Steven Mithen, The Prehistory of the Mind. A search for the origins of art, religion and science, London 1996, S. 168. 58  Vgl. Stewart Guthrie, Faces in the Clouds. A New Theory of Religion, Oxford 1993. 59  Ernst H. Gombrich, Wertmetaphern in der bildenden Kunst, in: ders., Meditationen über ein Steckenpferd. Von den Wurzeln und Grenzen der Kunst [1952], Frankfurt am Main 1988, S. 34–64, 37. 60  Olaf Jäkel, Kant, Blumenberg, Weinrich. Some forgotten contributions to the cognitive theory of metaphor, in: Raymond W. Gibbs/Gerard J. Stehen, Metaphor in Cognitive Linguistics, Amsterdam 1999, S. 9–27, 23.



I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung51

phern“ oder „Bildfelder“) ein starkes Indiz für die Richtigkeit der Annahme, dass Metaphern – um einen Ausdruck Sartres zu gebrauchen – „geladene Pistolen“ und eben alles andere als „tot“ sind. Natürlich lässt sich nicht ganz ausschließen, dass der Kohärenz erzeugende Mechanismus immer nur für eine kurze Zeit aktiv ist, dass also Metaphern, sobald sie zum festen Bestandteil, zum Inventar einer Sprache gehören, nicht (mehr) unser Denken und Fühlen beeinflussen. Inzwischen liegen jedoch eine Reihe von Untersuchungen der experimentellen Psychologie vor, die Aufschluss darüber geben, welcher Wirkungsgrad solchen konventionellen Metaphern zukommt. Welche Auswirkungen die Wahl der Metapher auf unsere Affekte hat, zeigt eine Studie, die sich der Frage widmet, inwieweit anthropomorphe Vorstellungen von Gegenständen tatsächliche eine Art soziale, interpersonale „Beziehung“ zwischen Mensch und Objekt konstituieren können.61 Die Studie vergleicht die Reaktionen von zwei Personengruppen. Die Probanden der ersten Gruppe wurden mit Begriffen konfrontiert, die sie dazu animieren sollten, einen bestimmten Gegenstand, der ihnen gehört, in menschlichen Kategorien zu erfassen, während man die übrigen Versuchsteilnehmer durch die Verwendung mechanischer, sachbezogener Ausdrücke dazu veranlassen wollte, die Sache ausschließlich in ihrer Eigenschaft als Sache wahrzunehmen. Anschließend mussten die Probanden ihr Eigentum mit eigenen Worten beschreiben und zudem angeben, ob sie planen, die Sache in nächster Zeit gegen ein anderes Exemplar auszutauschen.62 Es stellte sich heraus, dass die Probanden der ersten Gruppe eine signifikant geringere Bereitschaft an den Tag legten, den Gegenstand zu ersetzen und dass sie bei ihrer Entscheidung eher (projizierte) emotionale Eigenschaften der Sache als objektive Qualitätsmerkmale berücksichtigten.63 Diese Reaktionen lassen sich nur so erklären, dass Menschen genuin soziale Verhaltensmuster adaptieren, wenn sie ihr Verhältnis zu einer als „menschlich“ imaginierten unbelebten Welt bestimmen.64 61  Diese und die folgenden Versuchsbeschreibungen sind stark vereinfacht – ausführlich: Jesse Chandler/Norbert Schwarz, Use does not wear ragged the fabric of friendship: Thinking of Objects as alive makes people less willing to replace them, Journal of Consumer Psychology 20 (2010), S. 138–145. 62  Jesse Chandler/Norbert Schwarz, Use does not wear ragged the fabric of friendship: Thinking of Objects as alive makes people less willing to replace them, Journal of Consumer Psychology 20 (2010), S. 138–145, 140. 63  Jesse Chandler/Norbert Schwarz, Use does not wear ragged the fabric of friendship: Thinking of Objects as alive makes people less willing to replace them, Journal of Consumer Psychology 20 (2010), S. 138–145, 140 f., 143. 64  „In the social realm, people are reluctant to replace close others and our findings suggest that the same is true for anthropomorphized possessions. Numerous

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Ebenfalls mit den Implikationen des Anthropomorphismus befasst sich eine Studie, die Voraussagen potentieller Investoren zu Börsentrends untersucht.65 Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass die Berichterstattung über die Entwicklung an den Finanzmärkten von zwei konzeptuellen Metaphern dominiert wird: Agent metaphors, die das Vorhandensein einer internen Antriebskraft suggerieren, wie sie für Lebewesen typisch ist, und object metaphors, die auf externe physikalische Kräfte verweisen. Beispiele für agent metaphors sind Aussagen wie „The Nasdaq climbed higher“, „The Dow fought its way upward“, „The S&P dove like a hawk“, „The Dow vaulted higher“; object metaphors enthalten folgende Sätze: „The Nasdaq was swept upwards“, „The Dow fell through a resistance level“, „The S&P bounced back“, „The S&P slipped downhill“, „The Nasdaq dropped off a cliff“. Um festzustellen, ob Unterschiede in der metaphorischen Konfiguration ansonsten inhaltsgleicher Texte die Reflexion über die in dem Text beschriebenen Vorgänge beeinflusst, wurden Probanden entsprechend manipulierte Berichte über die Entwicklung des Leitindex Nasdaq während eines bestimmten Zeitraums vorgelegt. Die Versuchsteilnehmer mussten anschließend unter anderem eine Voraussage treffen, ob der Index in den nächsten Tagen eher Gewinne oder eher Verluste verzeichnen wird.66 Die Auswertung der Prognosen brachte ans Licht, dass Probanden, die zuvor den mit agent metaphors angereicherten Text gelesen hatten, geneigter waren, die Fortsetzung eines für einen vergangenen Zeitraum nachgezeichneten Trends zu prognostizieren, als Teilnehmer, die Aussagen mit object metaphors studiert hatten.67 Dieses Ergebnis spricht dafür, dass die variables – from social norms to personal attachment and high regard for persons and objects with which we form a unit relationship – are likely to contribute to this hesitancy. More importantly, in the social realm, information of instrumental relevance, pertaining to the other’s capability and performance, must be balanced with other information such as communality and intentions, both of which often matter more than (and do not perfectly with) actual outcomes. Hence, instrumental considerations are often of limited relevance in the decision to maintain or terminate a social relationship“ – Jesse Chandler/Norbert Schwarz, Use does not wear ragged the fabric of friendship: Thinking of Objects as alive makes people less willing to replace them, Journal of Consumer Psychology 20 (2010), S. 138–145, 143. 65  Michael W. Morris/Oliver J. Sheldon/Daniel R. Ames/Maia J. Young, Metaphors and the market: Consequences and preconditions of agent and object metaphors in stock market commentary, Organizational Behavior and Human Decision Process 102 (2007), S. 174–192. 66  Michael W. Morris/Oliver J. Sheldon/Daniel R. Ames/Maia J. Young, Metaphors and the market: Consequences and preconditions of agent and object metaphors in stock market commentary, Organizational Behavior and Human Decision Process 102 (2007), S. 174–192, 179. 67  Michael W. Morris/Oliver J. Sheldon/Daniel R. Ames/Maia J. Young, Metaphors and the market: Consequences and preconditions of agent and object meta-



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zentrale Implikation der agent metaphor, nämlich die Existenz einer auf einen bestimmten Weg und ein bestimmtes Ziel fixierten, autonomen Steuerungsinstanz, Wirkung entfaltet und die Probanden dazu verleitet hat, einer so fiktiven Entität wie einem Börsenindex einen Willen zu zielgerichtetem Handeln zu unterstellen.68 Die systematische Durchsicht von Börsenberichten zu ausgewählten Perioden und weitere Experimente ergaben, dass die Bereitschaft, sich agent metaphors zu bedienen, größer bei einem positiven als bei einem negativen Trend ist.69 Wenn man sich einen positiven Trend (mit einer Raummetapher) als eine „Aufwärtsbewegung“ und einen negativen Trend als eine „Abwärtsbewegung“ vorstellt, kann man diese Neigung damit erklären, dass die Wahrscheinlichkeit, eine – der Schwerkraft entgegengesetzte – Aufwärtsbewegung zu beobachten, in der belebten Natur größer ist als in der unbelebten.70 Inzwischen liegen auch empirische Studien vor, die das Manipulationspotential von Metaphern im Rahmen von (rechts-) politischen Kontroversen thematisieren. So hat man untersucht, wie Probanden, denen zuvor Bilder von Krankheitskeimen gezeigt wurden, die amerikanische Einwanderungspolitik bewerten, wenn sie das Konzept „Nation“ (oder „Staat“) metaphorisch als „Körper“ repräsentieren, und wie sie urteilen, wenn ihnen die Körpermetapher nicht präsent ist. Das Resultat entsprach den Erwartungen: Die Wahl des metaphorischen Konzepts beeinflusste das Urteilsvermögen in der Weise, dass Versuchsteilnehmer, die „Nation“ als „Körper“ imaginierten, im Vergleich zu den Probanden, die das nicht taten, Einwanderung als besonders problematisch empfanden und sich für Einreisebeschränkungen aussprachen, ein Schutzmechanismus, der offenbar ein Analogon zu Hygienemaßnahmen darstellt.71 phors in stock market commentary, Organizational Behavior and Human Decision Process 102 (2007), S. 174–192, 180 f. 68  „Object causality schemas trace movements primarily to external forces, whereas action schemas trace movements to enduring internal properties. Hence action schemas create a bias to expect that observed trends will continue“ – Michael W. Morris/Oliver J. Sheldon/Daniel R. Ames/Maia J. Young, Metaphors and the market: Consequences and preconditions of agent and object metaphors in stock market commentary, Organizational Behavior and Human Decision Process 102 (2007), S. 174–192, 176. 69  Michael W. Morris/Oliver J. Sheldon/Daniel R. Ames/Maia J. Young, Metaphors and the market: Consequences and preconditions of agent and object metaphors in stock market commentary, Organizational Behavior and Human Decision Process 102 (2007), S. 174–192, 182–188. 70  Zu den möglichen Ursachen vgl. Michael W. Morris/Oliver J. Sheldon/Daniel R. Ames/Maia J. Young, Metaphors and the market: Consequences and preconditions of agent and object metaphors in stock market commentary, Organizational Behavior and Human Decision Process 102 (2007), S. 174–192, 177 f.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine andere Untersuchung, die auf einer repräsentativen Erhebung mit einigen hundert Probanden basiert. Diese sollten Vorschläge unterbreiten, wie man die steigende Kriminalität in der Stadt Addison in den Griff bekommen könnte. Zu dem Zweck erhielten die Teilnehmer eine kurze zusammenfassende Beschreibung der Situation sowie einige Kriminalitätsstatistiken. Die Statistiken waren in allen Versuchsvarianten identisch ebenso die in der einleitenden Beschreibung enthaltene Information als solche. Allerdings stellte der Text in der Versuchsanordnung A eine metaphorische Verbindung her zwischen „Kriminalität“ und „Krankheitskeim“, während der Text der Versuchsanordnung B Kriminalität mit einem Raubtier verglich.72 In einem Vorversuch waren (andere) Probanden gebeten worden, die Maßnahmen zu beschreiben, die sie ergreifen würden, wenn ein Virus oder – alternativ – ein wildes Tier Leib und Leben der Bürger bedrohe. Im ersten Fall plädierten die Befragten für eine Ursachenanalyse und die Implementierung von sozialen und gesundheitspolizeilichen Reformen, im zweiten Fall sprachen sie sich für die Verfolgung und Tötung des Tieres aus.73 71

Genau diese beiden Handlungsschemata wurden auch bei dem Hauptversuch aktiviert und zwar je nachdem, ob man die Kriminalität in Addison metaphorisch als Krankheitskeim oder als Raubtier repräsentierte: In der Versuchsanordnung A dominierten Vorschläge, die der Kriminalität mit Hilfe von gesellschaftlichen Reformen Herr werden wollten, während in der Versuchsanordnung B repressive Maßnahmen, insbesondere eine Intensivierung der Verfolgung und eine Verschärfung der Strafdrohung, die Mittel der Wahl waren.74 Die Art der Repräsentation erwies sich als viel bedeutender für die Reaktion der Teilnehmer als etwa Parteizugehörigkeit, weltanschauliche Bindung oder Geschlecht.75 Befragt nach den Gründen für ihre Ent71  Mark J. Landau/Daniel Sullivan/Jeff Greenberg, Evidence that self-relevant motives and metaphoric framing interact to influence political and social attitudes, Psychological Science 20 (2009), S. 1421–1427. 72  Paul H. Thibodeau/Lera Boroditsky, Metaphors we think with: The role of metaphor in reasoning, PloS ONE 2011, e16782, S. 1–11, 3; vgl. auch dies., Natural Language Metaphors Covertly Influence Reasoning, PloS ONE 2013, e52961. Kritisch dazu Gerard J. Steen/W. Gudrun Reijnierse/Christian Burgers, When Do Natural Language Metaphors Influence Reasoning? A Follow-Up Study to Thibodeau and Boroditsky (2013), PloS ONE 2014, e113536; dagegen wiederum Paul H. Thibodeau/Lera Boroditsky, Measuring Effects of Metaphor in a Dynamic Opinion Landscape, PloS ONE 2015, e0133939. 73  Paul H. Thibodeau/Lera Boroditsky, Metaphors we think with: The role of metaphor in reasoning, PloS ONE 2011, e16782, S. 1–11, 2. 74  Paul H. Thibodeau/Lera Boroditsky, Metaphors we think with: The role of metaphor in reasoning, PloS ONE 2011, e16782, S. 1–11, 4 f. 75  Paul H. Thibodeau/Lera Boroditsky, Metaphors we think with: The role of metaphor in reasoning, PloS ONE 2011, e16782, S. 1–11, 10.



I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung55

scheidung verwiesen die Probanden auf die Kriminalitätsstatistiken (die jedoch in beiden Experimenten identisch waren). Die Möglichkeit einer Manipulation durch Sprache kam ihnen dagegen nicht in den Sinn.76 Noch überraschender ist die Erkenntnis, die eine Wiederholung des Versuchs (mit anderen Probanden) zu Tage förderte. In diesem Durchgang hatte man die Unterschiede zwischen den beiden Texten auf ein einziges Wort reduziert: In der Versuchsanordnung A war an einer Stelle beiläufig von „Virus“ die Rede, in der Versuchsanordnung B von „Raubtieren“. Ansonsten wiesen die Beschreibungen, Statistiken usw. keine Differenzen auf – und doch wichen die Reaktionen der Teilnehmer wiederum signifikant voneinander ab, abhängig davon, welche sprachliche Einkleidung gewählt wurde.77 Das lässt den Schluss zu, dass der Gebrauch einer konzeptuellen Metapher schon in minimalen, kaum wahrnehmbaren Dosen die Sicht auf einen Sachverhalt radikal verändern kann und in erheblichem Maße Einfluss nimmt auf unser Verhalten – „that even minimal (one-word) metaphors can significally shift people’s representations and reasoning about important real world domains“78 – freilich wohl nur dann, wenn es sich um eine Metapher handelt, der nach der Intuition des Verwenders ein heuristischer Wert zukommt. Dass es noch nicht einmal zwingend eines begrifflichen Anknüpfungspunktes bedarf, um ein metaphorisches mindset zu aktivieren, bezeugt ein anderer Versuch: Ausgehend von der Beobachtung, dass die Neigung zu extremen moralischen Urteilen in der Alltagssprache mit dem Gegensatz von „schwarz“ und „weiß“ in Verbindung gebracht wird („Schwarz-weißDenken“), hat man Versuchsteilnehmern, die auf einer Skala von 1 (richtig) bis 7 (falsch) die Handlung einer Person in einem moralischen Dilemma bewerten sollten, den Text, der Sachverhalt und Fragestellung enthielt, in einem schwarz-weiß-karierten Rahmen präsentiert.79 Probanden, die ihr Urteil unter den in dieser Weise visuell manipulierten Bedingungen fällten, zeigten eine größere Bereitschaft, extreme Positionen einzunehmen – verglichen mit solchen Versuchsteilnehmern, die bei ihrer Lektüre einen grauen oder einen blau-gelb-karierten Rahmen vor Augen hatten.80 76  Paul H. Thibodeau/Lera Boroditsky, Metaphors we think with: The role of metaphor in reasoning, PloS ONE 2011, e16782, S. 1–11, 3. 77  Paul H. Thibodeau/Lera Boroditsky, Metaphors we think with: The role of metaphor in reasoning, PloS ONE 2011, e16782, S. 1–11, 5 f. 78  Paul H. Thibodeau/Lera Boroditsky, Metaphors we think with: The role of metaphor in reasoning, PloS ONE 2011, e16782, S. 1–11, 10. 79  Theodora Zarkadi/Simone Schnall, „Black and white thinking“: Visual contrast polarizes moral judgment, Journal of Experimental Social Psychology 49 (2013), S. 355–359, 356. 80  Theodora Zarkadi/Simone Schnall, „Black and white thinking“: Visual contrast polarizes moral judgment, Journal of Experimental Social Psychology 49 (2013),

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Eher der metaphorischen Grundlagenforschung zuzurechnen sind die Experimente von Ramscar, Matlock und Boroditsky, die sich mit der räumlichen Repräsentation der Zeit befassen.81 Wie die deutsche Sprache kennt das Englische zahllose metaphorische Wendungen, die „Raum“ und „Zeit“ zueinander in Beziehung setzen, wobei die Bewegung im Raum – als das der sinn­ lichen Erfahrung zugängliche Konzept – die Ursprungsdomäne bildet. Die Zeit-Raum-Bewegung kann in zwei Richtungen erfolgen: Wir sehen entweder die Zeit auf uns zukommen („Ego-Bewegungsperspektive“) oder sich von uns weg bewegen („Zeit-Bewegungsperspektive“). Unter neutralen Bedingungen gibt es keine eindeutige Präferenz für eine der beiden Optionen (jedenfalls innerhalb der englischen Sprachgemeinschaft).82 Die doppeldeutige Feststellung und Frage „Next Wednesday’s meeting has been moved forward two days. What day is the meeting now that it has been rescheduled?“ verstehen also regelmäßig die einen so, dass der Termin auf Montag vorverlegt wurde (Zeit-Bewegungsperspektive), während die anderen annehmen, das Treffen finde nunmehr am Freitag statt (Ego-Bewegungsperspektive). Um zu testen, ob sich die räumliche Selbstwahrnehmung auf das Verständnis zeitlicher Raummetaphern auswirkt, wurden in einem Großversuch Besucher und Reisende eines Flughafens gebeten, den Tag des Treffens nach der Verlegung des Termins zu bestimmen. Außerdem sollten sie angeben, ob sie gerade gelandet sind, auf ankommende Fluggäste warten oder in nächster Zeit selbst fliegen. Die Reaktionen der drei Personengruppen wichen erstaunlich deutlich voneinander ab: 76 % der soeben gelandeten Fluggäste waren der Überzeugung, der Termin sei auf Freitag verschoben worden (Ego-Bewegungsperspektive). Diese Ansicht teilten immerhin noch 62 % der Passagiere, die auf ihren Abflug warteten, indes nur 51 % der Besucher, die andere Reisende abholen wollten.83 Das Ergebnis bestätigte S. 355–359, 358: „Two experiments provided converging evidence that incidental visual experiences relating to color contrast can influence moral judgment. Priming participants with a black and white background while considering a moral dilemma (Experiment 1) or a series of social issues (Experiment 2) resulted in them making judgments in a ‚black and white‘ and therefore extreme manner, by selecting response options closer toward the scale’s end points.“ 81  Michael Ramscar/Teenie Matlock/Lera Boroditsky, Time, Motion, and Meaning: The Experiental Basis of Abstract Thought, in: Kelly S. Mix/Linda B. Smith/ Michael Gasser (Hrsg.), The Spatial Foundatin of Language and Cognition, Oxford 2010, S. 67–82  – auf der Basis von Michael Ramscar/Lera Boroditsky, The Roles of Body and Mind in Abstract Thought, Psychological Science 13 (2002), S. 185– 189. 82  Vgl. Lera Boroditsky, Metaphoric structuring: understanding time through spatial metaphors, Cognition 75 (2000), S. 1–28. 83  Michael Ramscar/Teenie Matlock/Lera Boroditsky, Time, Motion, and Mean­ ing: The Experiental Basis of Abstract Thought, in: Kelly S. Mix/Linda B. Smith/



I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung

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sich auch bei anderen Versuchsanordnungen. So entschieden sich 57 % der Probanden, die man zuvor animiert hatte, gedanklich eine Bewegung in Richtung auf ein bestimmte Ziel hin zu simulieren, für die Ego-Bewegungsperspektive, nahmen also an, der Termin finde jetzt Freitag statt. Ganz anders fiel die Reaktion derer aus, die man gebeten hatte, sich vorzustellen, einen Gegenstand mit Hilfe eines Seils zu sich heranzuziehen: Von ihnen adaptierten nur 33 % die Ego-Bewegungsperspektive, die übrigen 67 % die Zeit-Bewegungsperspektive.84 Sogar „fiktive Bewegungen“ vermochten Unterschiede zu generieren. „Fiktive Bewegungssätze“ sind solche, die ein Bewegungsverb in einer übertragenen statischen Bedeutung verwenden, etwa: „The road goes along the coast“.85 Probanden, die solche fiktiven Bewegungssätze gelesen hatten, plädierten zu 70 % für den Freitagstermin. Hingegen entsprach unter den Versuchsteilnehmern, denen man Sätze mit der gleichen Information, aber ohne Bewegungsvokabeln vorgelegt hatte („The road is next to the coast“), die Anzahl derjenigen, die den Freitagstermin für maßgeblich hielten, in etwa der Anzahl derer, die sich für den Montagstermin entschieden.86 Aus diesen und ähnlichen Experimenten lässt sich eine wichtige allgemeine Erkenntnis ableiten: Die Ursprungsdomäne – das bildspendende Feld – bleibt selbst in metaphorischen Ausdrücken aktiv, die in einem hohen Maße „konventionalisiert“ sind, wie das bei der Zeit-Raum-Metapher der Fall ist. Auch eine konventionelle Metapher „lebt“ und empfängt gleichsam weiterhin die Signale aus der Ursprungsdomäne. Vollziehen sich in dieser Veränderungen, schlägt ein solcher Wandel auf die Zieldomäne durch. Unser Verhältnis zur äußeren Welt kann also unser (metaphorisch strukturiertes) abstraktes Denken beeinflussen, was uns in der Regel nicht zu Bewusstsein gelangt, so dass wir dazu neigen, Meinungsverschiedenheiten mit Differenzen in der Sache und nicht mit unterschiedlichen Repräsentationen oder Erlebniskulissen zu erklären. Michael Gasser (Hrsg.), The Spatial Foundatin of Language and Cognition, Oxford 2010, S. 67–82, 69 f. 84  Michael Ramscar/Teenie Matlock/Lera Boroditsky, Time, Motion, and Mean­ ing: The Experiental Basis of Abstract Thought, in: Kelly S. Mix/Linda B. Smith/ Michael Gasser (Hrsg.), The Spatial Foundatin of Language and Cognition, Oxford 2010, S. 67–82, 74 f. 85  Zur Valenz „fiktiver Bewegungssätze“ vgl. auch Teenie Matlock, Fictive motion as cognitive simulation, Memory and Cognition 32 (2004), 1389–1400. 86  Michael Ramscar/Teenie Matlock/Lera Boroditsky, Time, Motion, and Mean­ ing: The Experiental Basis of Abstract Thought, in: Kelly S. Mix/Linda B. Smith/ Michael Gasser (Hrsg.), The Spatial Foundatin of Language and Cognition, Oxford 2010, S. 67–82, 76.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Die Zukunft wird zeigen, ob und inwieweit neurowissenschaftliche Experimente bei der Interpretation der Daten helfen können.87 Dass das Verstehen von Begriffen, die eine Bewegung bezeichnen (wie „greifen“, „treten“ usw.), den Motorcortex und damit die Hirnareale aktivieren, die auch bei der Ausführung solcher Bewegungen involviert sind, ist gut belegt und wird kaum noch bestritten.88 Die Ergebnisse einer neueren fMRI-Untersuchung sprechen dafür, dass das Gleiche für Idiome wie „He grasped the idea“ oder „He kicked the habit“ gelten könnte. Das bildgebende Verfahren markiert zerebrale motorische Areale, wenn Bewegungsbegriffe in übertragender Bedeutung gebraucht wurden.89 Offenbar ist demnach der Motorcortex auch in das abstrakte Denken eingebunden, was erklären könnte, warum bestimmte körperliche Zustände mit bestimmten gedanklichen Dispositionen korrespondieren, obwohl es an einem inhaltlichen Zusammenhang fehlt.90 87  Ein Überblick über neuere fMRI- und PET-Studien zu Sprachgebrauch und Textverständnis bei Evelyn C. Ferstl, Neuroimaging oft text comprehension: Where are we now?, Italian Journal of Linguistics 22 (2010), S. 61–88, insbes. 69–73; Friedemann Pulvermüller/Luciano Fadiga, Active perception: sensorimotor circuits as a cortial basis for language, Nature Neuroscience 11 (2010), S. 351–359. Zur Diskrepanz von „metaphor theory“ und „embodiment“ Roel M. Willems/Daniel Casasanto, Flexibility in embodied language understanding, Frontiers in Psychology June 2011, vol. 2, art. 116, S. 1–11, 7. 88  Wessel O. van Dam/Shirley-Ann Rueschemeyer/Harold Bekkering, How specifically are action verbs represented in the neural motor system: An fMRI study, Neuroimage 53 (2010), S. 1318–1325; D. Kemmerer/J. G. Castillo/T. Tala­ vage/ S. Patterson/C. Wiley, Neuroanatomical distribution of five semantic components of verbs: evidence from fMRI, Brain & Language 107 (2008), S. 16–43; Lisa AzizZadeh/Stephen Wilson/Giacomo Rizzolatti/Marco Iacoboni, Congruent embodied representations for visually presented actions and linguistic phrases describing actions, Current Biology 16 (2006), S. 1818–1823; M. Tettamanti/G. Buccino/M. C. Saccuman/V. Gallese/M. Danna/P. Scifo/P. Fazio/G. Rizzolatti/S. F. Cappa/D. Perani, Listening to actionrelated sentences activates fronto-parietal motor circuits, Journal of Cognitive Neuoscience 17 (2005), S. 273–281; Olaf Hauk/Ingrid Johnsrude/ Friedemann Pulvermüller, Somatotopic representation of action words in human motor and premotor cortex, Neuron 41 (2004), S. 301–307. 89  Véronique Boulenger/Olaf Hauk/Friedemann Pulvermüller, Grasping Ideas with the Motor System: Semantic Somatotopy in Idiom Comprehension, Cerebral Cortex 19 (2009), S. 1905–1914 (1910: „These results establish for the first time the differential involvement of motor and premotor cortex in idiom processing and support theories that view abstract semantics as grounded in action-perception systems“). Vgl. auch Friedemann Pulvermüller/Luciano Fadiga, Active perception: sensorimotor circuits as a cortial basis for language, Nature Neuroscience 11 (2010), S. 351–359, 355. 90  Allerdings sind die Resultate der erwähnten Studie umstritten. Frühere Versuche konnten keine Aktivierung des Motorkortex nachweisen, wenn die Verarbeitung von Bewegungsbegriffen in einem nicht-bewegungsbezogenen semantischen Kontext erfolgte (Ana Raposo/Helen E. Moss/Emmanuel A. Stamatakis/Lorraine K. Tyler, Modulation of motor and premotor cortices by actions, action words and action



I. Meta-phorein: Sinnstiftung durch Übertragung59

Wichtiger als eine exakte neurowissenschaftliche Rekonstruktion der Art und Weise, wie wir Metaphern verstehen, ist für unsere Zwecke die richtige Bewertung der Folgen, die sich aus der menschlichen Neigung, abstrakte Phänomene metaphorisch zu erfassen, ergeben. An experimentellen Nachweisen dafür, dass der Austausch einer Metapher essentielle Auswirkungen auf unser Denken und Fühlen haben kann, fehlt es – wie gesehen – nicht. Aus guten Gründen, nämlich um auszuschließen, dass andere Faktoren als die zu untersuchenden die Probanden beeinflussen, sind die von diesen zu lösenden Aufgaben in der Regel einfach und setzen kein Fachwissen oder wissenschaftliche Expertise voraus. Doch ist es wenig überzeugend, deshalb die Relevanz der Ergebnisse für das Verständnis komplexerer Denk- und Entscheidungsprozesse in Frage zu stellen. Im Übrigen hat man – schon in den 80er Jahren – auch Versuche durchgeführt, die sich durch eine größere Wirklichkeitsnähe auszeichnen und stärker die Bedingungen „höherer Geistestätigkeit“ berücksichtigen. Den Anstoß hierzu gaben autobiographische Berichte prominenter Naturwissenschaftler und Mathematiker, in denen auffallend häufig von Metaphern und Bildern als Inspirationsquelle die Rede ist.91 Für Maxwell, den Begründer der modernen Elektrizitätslehre, waren Metaphern nicht nur „legitimate products of science, but capable of generating science in turn“.92 sentences, Neuropsychologia 47 (2009), S. 388–396; Shirley-Ann Rueschemeyer/ Marcel Brass/Angela D. Friederici, Comprehending Prehending: Neural Correlates of Processing Verbs with Motor Stems, Journal of Cognitive Neuroscience 19 (2007), S. 855–865 (kein Unterschied in der Aktivierung des Motorcortex bei der Verarbeitung von „begreifen“ und „bedenken“). Möglicherweise beruhen die Differenzen darauf, dass sich die verschiedenen Studien auf unterschiedliche Zeiträume der kognitiven Verarbeitung beziehen. Außerdem ist denkbar, dass es sich bei der zerebralen Reaktion nicht um einen Alles-oder-Nichts-Effekt handelt. Sie könnte auf verschiedene Intensitätsstufen ablaufen, wobei die Abstufungen dem Grad der sinnlichen Valenz von Begriffen und Kontexten entsprechen – vgl. Wessel O. van Dam/ Shirley-Ann Rueschemeyer/Harold Bekkering, How specifically are action verbs represented in the neural motor systems: An fMRI study, Neuroimage 53 (2010), S. 1318–1325. 91  Vgl. Robert R. Hoffmann, Metaphor in Science, in: Richard P. Honeck/Robert R. Hoffman, Cognition and Figurative Language, Hillsdale 1980, S. 393–423; Dedre Gentner, Structure-mapping: A theoretical framework for analogy, Cognitice Science 7 (1983), S. 155–170; Dedre Gentner/Donald R. Gentner, Flowing Waters or Teem­ ing Crowds: Mental Models of Electricity, in: Dedre Gentner/Albert L. Stevens (Hrsg.), Mental Models, London 1983, 99–129. Vgl. auch Richard Boyd, Metaphor and Theory Change: What is „Metaphor“ a Metaphor for?, in: Andrew Ortony (Hrsg.), Metaphor and Thought, Cambridge 1979, S. 356–408; Thomas S. Kuhn, Metaphor in Science, in: Andrew Ortony (Hrsg.), Metaphor and Thought, Cambridge 1979, S. 409–419. 92  James Clerk Maxwell, The scientific papers, hrsg. von J. Larmor, Bd. 2, Cambridge 1890, S. 227  – zitiert nach Robert R. Hoffmann, Metaphor in Science, in:

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Als Paradebeispiel für die Übertragung von Erkenntnissen aus einer Wissensdomäne in eine andere gilt die „Entdeckung“ des Rutherfordschen Atommodells. Während das Vorgängermodell von Thomson eine gleichmäßige Verteilung von Masse und positiver Ladung postuliert und daher als Plumpudding-Modell in die Geschichte einging, soll Rutherford seine Atomstruktur in Analogie zum Sonnensystem entwickelt haben: Wie sich die Planeten um die Sonne drehen, kreisen in diesem Modell die Elektronen um den Atomkern.93 Die Anekdote entspricht zwar nicht ganz der Wahrheit, weil Rutherford in dem fraglichen Aufsatz kein eigenes Atommodell präsentiert, sondern lediglich auf Nagaokas Vorarbeiten verweist,94 dennoch darf man annehmen, dass das Denken in planetarischen Strukturen bei der Neukonzeption und erst recht später bei der Popularisierung von Atommodellen eine Rolle gespielt hat. Man hat versucht, wissenschaftliche Schöpfungsakte oder jedenfalls die Vorstufen dazu in Experimenten zu simulieren.95 So hat Gentner zwei Formen der mentalen Repräsentation von Elektrizität untersucht. Die Zieldomäne „Elektrizität“ ist in dem einen Fall mit der Ursprungsdomäne „fließendes Wasser“ (flowing-fluid model) verbunden, in dem anderen Fall mit dem bildspendenden Feld „bewegte (Fest-)Körper“ (moving-crowd model).96 Vor Durchführung des Experiments wurde sichergestellt, dass Probanden – gegebenenfalls nach entsprechenden Manipulationen – ausschließlich eines der beiden Modelle verwendeten. Die beiden Gruppen erhielten – jeweils identische – Aufgaben zur Funktionsweisen von Batterien und Widerständen, die sie ohne Hilfsmittel und Absprachen lösen mussten. Die Tests setzten kein Spezialwissen voraus, über das die Versuchsteilnehmer im Übrigen auch (durchgehend) nicht verfügten. Andererseits waren die Aufgaben so gewählt, dass sie den Probanden eine gedankliche Durchdringung des Stoffes abverlangten, um sie dazu zu veranlassen, sich von den Implikationen der jeweiligen Ursprungsdomäne leiten zu lassen. TatRichard P. Honeck/Robert R. Hoffman, Cognition and Figurative Language, Hillsdale 1980, S. 393–423, 396. 93  John R. Anderson, Kognitive Psychologie, 6. Aufl., Heidelberg 2007, S. 298. 94  Ernest Rutherford, The Scattering of α and β Particles by Matter and the Structure of the Atom, Philosophical Magazine 21 (1911), S. 669–688, 688. 95  Diese werden gewöhnlich der Forschung zu den „mentalen Modellen“ oder zur Analogiebildung zugerechnet – vgl. John R. Anderson, Kognitive Psychologie, 6. Aufl., Heidelberg 2007, S. 298–301. Zum Verhältnis von mentalen Modellen und konzeptuellen Metaphern vgl. Dedre Gentner, Are Scientific Analogies Metaphors?, in: David S. Miall (Hrsg.), Metaphor: Problems and Perspectives, Atlantic Highlands, N.J. 1982, S. 106–132. 96  Dedre Gentner/Donald R. Gentner, Flowing Waters or Teeming Crowds: Mental Models of Electricity, in: Dedre Gentner/Albert L. Stevens (Hrsg.), Mental Models, London 1983, 99–129, 107–111.



II. Studien zur Ästhetik des Privatrechts

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sächlich kamen die Versuchsteilnehmer in Abhängigkeit davon, welche Ursprungsdomäne sie zu Grunde legten, zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Wie vermutet97, fiel es denjenigen, die in hydraulischen Kategorien dachten und elektrische Spannung als Wasserdruck imaginierten, leichter als Anhängern des moving-crowd model, die Funktionsweise von Batterien zu erklären. Umgekehrt hatten letztere weniger Probleme damit, Sinn und Bedeutung von Widerständen zu verstehen.98

II. Studien zur Ästhetik des Privatrechts Da auch Juristen – nicht anders als Physiker, Chemiker oder Mathematiker – sich fortwährend über Inhalte verständigen, die der unmittelbaren Anschauung unzugänglich sind, wäre es sehr ungewöhnlich, wenn ausgerechnet sie nicht des Beistands der Metapher bedürften. Tatsächlich enthält jede Rechtssprache eine Fülle an Metaphern. Studien, die sich der metaphorischen Repräsentation des Staates etwa als Organismus oder Maschine widmen, haben wir bereits erwähnen. Sie stammen freilich überwiegend aus der Feder von Historikern und sind daher eher der politischen Philosophie als der juristischen Dogmatik zuzurechnen. Gar nicht so selten finden sich indes auch in der juristischen Literatur Glossen und Bemerkungen über „metaphorische Irrtümer“ oder die Gefahren eines „juristischen Ästhetizismus“, die darauf hindeuten, dass auch die Vertreter des geltenden Rechts zumindest intuitiv den Einfluss von Sprachbildern auf die juristische Argumentation erkennen. Dennoch ist es bislang nicht gelungen, das Thema als Bestandteil der juristischen Methodenlehre (im weitesten Sinne) zu etablieren, was wohl damit zusammenhängt, dass Metaphern gemeinhin als eine Sondermaterie der Sprachwissenschaften gelten, die den Juristen nichts angeht. Wie dargelegt, stehen (konzeptuelle) Metaphern jedoch für eine spezifische Form des Denkens – und das Denken, sofern es sich auf das Recht bezieht, geht auch Juristen etwas an. Sie können und dürfen es nicht anderen überlassen. Jenseits des Atlantiks hat die juristische Metaphorologie einen leichteren Stand, überraschenderweise nicht auch, sondern gerade bei Richtern, Anwälten und anderen Juristen mit einem engen Bezug zur Praxis.99 Ansätze 97  Dedre Gentner/Donald R. Gentner, Flowing Waters or Teeming Crowds: Mental Models of Electricity, in: Dedre Gentner/Albert L. Stevens (Hrsg.), Mental Models, London 1983, 99–129, 115 f. 98  Dedre Gentner/Donald R. Gentner, Flowing Waters or Teeming Crowds: Mental Models of Electricity, in: Dedre Gentner/Albert L. Stevens (Hrsg.), Mental Models, London 1983, 99–129, 118 f., 124–127. 99  Vgl. Thomas Morawetz, Metaphor and Method. How not to think about constitutional interpretation, Connecticut Law Review 27 (1994), S. 227–230; Michael

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

finden sich schon im legal realism, etwa bei dem einflussreichen Kartellrechtler Thurman Arnold.100 Das Interesse amerikanischer Juristen an Sprache im Allgemeinen und Metaphern im Besonderen hat verschiedene Gründe. Der wichtigste ist wohl, dass die Rechtsordnung ihnen einen vergleichsweise großen Freiraum lässt, auch in sprachlicher Hinsicht eigene Akzente zu setzen und Recht durch Sprache zu prägen, einen Freiraum, den die Stilisten unter den Richtern wie Oliver Wendell Holmes, John Marschall und Benjamin N. Cardozo weidlich nutzten.101 Auch mag die dem case law inhärente Tendenz zur Analogiebildung, zur Verknüpfung unterschiedlicher Tatbestände und Sachverhalte, die Sensibilität für metaphorische Übertragungen erhöhen.102 Die terminologische Offenheit und Flexibilität der amerikanischen Jurisprudenz hat allerdings vornehmlich die Verbreitung extravaganter metaphorischer Ausdrücke befördert. Es sind daher auch in erster Linie diese eingängigen, ausdrucksstarken Wendungen mit zum Teil quasi-normativen Charakter, auf die sich die juristische Metapherkritik konzentriert. So gibt es Untersuchungen zu den Doktrinen des fruit of the poison tree103, piercing the veil104, wall of separation105, bottleneck106, marketplace of Boudin, Antitrust Doctrin and the Sway of Metaphor, Georgetown Law Journal 75 (1986), S. 395–422; Bernard J. Hibbitts, Making Sense of Metaphors. Visuality, Aurality, and the Reconfiguration of American Legal Discourse, Cardozo Law Review 16 (1994), S. 229–356; Chad M. Oldfather, The Hidden Ball. A Substantive Critique of Baseball Metaphors in Judicial Opinions, Connecticut Law Review 27 (1994), S. 17–51; Haig Bosmajian, Metaphor and Reason in Judicial Opinions, Carbondale 1992, S. 95–117; Thomas Ross, Metaphor and Paradox, Georgia Law Review 23 (1989), S. 1053–1084; Steven L. Winter, A Clearing in the Forest. Law, Life, and Mind, Chicago 2003 (2001); ders., What is the „color of law“?, in: Raymond W. Gibbs (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought, Cambridge 2008, S. 363–379; Anthony G. Amsterdam/Jerome Bruner, Minding the Law. How Courts Rely on Storytelling and How Their Stories Change the Way We Understand the Law and Ourselves, Cambridge (MA) 2000, S. 189–192. Zur Rolle von Metaphern in der Organisationstheorie vgl. die Beiträge in David Grant/Cliff Oswick (Hrsg.), Metaphor and Orgsnizations, London u. a. 1996. 100  Thurman W. Arnold, The Folklore of Capitalism, New Haven 1937. 101  Vgl. Richard Posner, Law and Literature, 3. Aufl., Cambridge (MA) 2009, S. 341–361. 102  Michael Boudin, Antitrust Doctrin and the Sway of Metaphor, Georgetown Law Journal 75 (1986), S. 395–422, 406. 103  Thomas Ross, Metaphor and Paradox, Georgia Law Review 23 (1989), S. 1053–1084, 1071–1075. 104  Philip I. Blumberg, The Multinational Challenge to Corporation Law. The Search for a New Corporate Personality, Oxford 1993, S. 84–88; ders., The Law of Corporate Groups, Bd. 3: Substantive Law, Boston 1987, S. 105–136. 105  Haig Bosmajian, Metaphor and Reason in Judicial Opinions, Carbondale 1992, S. 73–94.



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ideas107, central nervous system108, chilling effect109 und color of law110. Seltener finden sich Analysen umfassender metaphorischer Konzepte wie etwa „Spiel“ und „Sport“, Konzepte, die die gesamte nordamerikanische Kultur111 und damit auch die Denkmuster der Jurisprudenz prägen.112 In Anbetracht der Kohärenz stiftenden Kraft von Kodifikationen liegt die Vermutung nahe, dass die kontinentaleuropäischen im Vergleich zu den angelsächsischen Rechtsordnungen reicher, jedenfalls nicht ärmer an konzeptuellen Metaphern sind. Daher gibt es allen Grund, der Frage nachzugehen, in welchem Ausmaß konzeptuelle Metaphern das deutsche Recht strukturieren. 106

1. Der Mensch: Fleischwerdung und Beseelung des Kapitals Von Geburt an sind wir existentiell darauf angewiesen, das Verhalten und Empfinden unserer Mitmenschen genau zu studieren und richtig zu deuten. Das auf die Weise erlangte Wissen nutzen wir heute nicht mehr allein dazu, um Vorgänge in der Natur besser zu verstehen, sondern wir gebrauchen es auch, um uns über Abstrakta wie Religion und Recht zu verständigen. Der Anwendung sind keine Grenzen gesetzt. Als Personen gedachte Verfassungen und Gesetze „gewähren“ uns (Grund-)Rechte, die ihrerseits wie ein Mensch „verletzt“ und „geheilt“ werden können. Im case law werden sogar Präzedenzentscheidungen personifiziert, die „handeln“ und „Nachkommen“ (andere Urteile gleichen juristischen Inhalts) „zeugen“.113 106  Michael Boudin, Antitrust Doctrin and the Sway of Metaphor, Georgetown Law Journal 75 (1986), S. 395–422, 396–404. 107  Chad M. Oldfather, The Hidden Ball. A Substantive Critique of Baseball Metaphors in Judicial Opinions, Connecticut Law Review 27 (1994), S. 17–51, 27–29; Haig Bosmajian, Metaphor and Reason in Judicial Opinions, Carbondale 1992, S. 49–72. 108  Richard Posner, Law and Literature, 3. Aufl., Cambridge (MA) 2009, S. 357; Michael Boudin, Antitrust Doctrin and the Sway of Metaphor, Georgetown Law Journal 75 (1986), S. 395–422, 408 f. 109  Haig Bosmajian, Metaphor and Reason in Judicial Opinions, Carbondale 1992, S. 95–117. 110  Steven L. Winter, A Clearing in the Forest. Law, Life, and Mind, Chicago 2003 (2001), S. 166–185; ders., What is the „color of law“?, in: Raymond W. Gibbs (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought, Cambridge 2008, S. 363–379. 111  Vgl. Michael Oriard, Sporting with the gods. The rhetoric of play and game in American culture, Cambridge 1991. 112  Chad M. Oldfather, The Hidden Ball. A Substantive Critique of Baseball Metaphors in Judicial Opinions, Connectiticut Law Review 27 (1994), S. 17–51. 113  Haig Bosmajian, Metaphor and Reason in Judicial Opinions, Carbondale 1992, S. 179–185.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Besonders ausgeprägt ist der Drang, menschliche Gemeinschaften als Körper zu imaginieren. Diese Tradition reicht weit in die Antike zurück.114 Es war allerdings fast immer ein öffentliches Gemeinwesen, das in dieser Gestalt repräsentiert wurde. In der Entwicklungsgeschichte der Metapher kommt der Lehre Platons eine besondere Bedeutung zu, der in seiner Politeia die Polis an mehreren Stellen ausdrücklich mit einem Körper vergleicht.115 Einen nachhaltigen Einfluss auf die späteren Generationen übte ferner die von Platon im Timaios eingeführte Idee von der körperlichen Existenz der Welt aus.116 In Rom erwies sich die (unter anderem bei Li­ vius117 überlieferte) Geschichte von der historischen Leistung des Senators Menenius Agrippa als wirkungsmächtig. Menenius Agrippa gelang es angeblich, die rebellische römische Plebs zur Anerkennung des Primats des Senats allein mit Hilfe einer Fabel, der Fabel vom Aufstand der Glieder gegen den Magen, zu überzeugen. Die Formel corpus rei publicae bürgerte sich spätestens seit Cicero in der politischen Sprache ein, zunächst noch mit Hinweisen auf Platon und die griechische Tradition versehen, bis auch diese verschwanden.118 In der Rechtssprache fanden die Ausdrücke corpus und persona ebenfalls bereits in Rom Verwendung. Mit Blick auf die rechtliche Qualität der in der Kaiserzeit von der Obrigkeit kontrollierten und zugelassenen Berufsverbände sprachen die Juristen von corpus habere.119 Seit dem 2. Jahrhundert n.  Chr. verwendete man corpus und collegium synonym. Zunehmend verdrängte der jüngere Begriff (corpus) den älteren (collegium). Die Deutung der religiösen Gemeinschaft – Gemeinde und Kirche – als Leib Christi ist bereits in Augustinus’ corpus Christi-Theologie angelegt. Die Personifikation der Gesellschaft privaten Rechts konnte selbstverständlich erst erfolgen, als „unpersönliche“ private Gesellschaften überhaupt in einem nennenswerten Umfang existierten. Das ist erst seit dem 19. Jahrhundert der Fall. Die frühen, staatlich privilegierten „Aktiengesellschaften“ wie die 1602 gegründete Vereenigde Oostindische Compagnie waren noch keine Kapitalgesellschaften im modernen Sinne.120 Georg Beselers Bemü114  Zum Folgenden Gerhard Dohrn-van Rossum/Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organ, Organismus, Politischer Körper, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland, Bd. IV, Stuttgart 1978, S. 519–622, 519–560. 115  Plat. Pol. 465b2, 556e. 116  Plat. Tim. 30b.d; 34b ff. 117  Liv. 2, 32. 118  Vgl. Cic. Off. 1, 25, 85. 119  D. 3, 4, 1 pr. (Gaius). 120  Zu der vormodernen Aktiengesellschaft vgl. Albrecht Cordes, Aktiengesellschaften vor 1807?, in: Walter Bayer/Mathias Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1: Die Entwicklung des Aktienrechts, Tübingen 2007, S. 1–22.



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hungen um einen modernen Körperschaftsbegriff haben zur Akzeptanz der Kapitalgesellschaft in Deutschland beigetragen. Die ältere Genossenschaftstheorie grenzte sich ab sowohl gegen den materiellen Begriff der Korporation im Sinne einer ständischen Ordnung als auch gegen das technische Korporationsverständnis, das die Körperschaft allein auf die freie Schöpfungsmacht des Staates zurückführte.121 Im Rahmen dieser Auseinandersetzung mag die Verknüpfung mit dem Bild vom menschlichen Organismus hilfreich und zulässig gewesen sein. Nach und nach geriet die Metapher außer Kontrolle. Als juristischer Körper par excellence galt im 19. Jahrhundert das öffentliche Gemeinwesen, so dass sich die Texte, die radikale anthropomorphe Bekenntnisse enthalten, explizit meist nur auf den Staat beziehen. Da man indes eine allgemeine Genossenschaftstheorie im Auge hatte, sind die entsprechenden Äußerungen im Prinzip auch auf private Korporationen übertragbar. Obwohl Gierke, der die Genossenschaftstheorie seines Lehrers Beselers weiter entwickelte, mehrfach die Exzesse, „Ausschreitungen“122, des naturalistischen Denkens verurteilte, unterliefen ihm fortwährend ähnliche Fehlschlüsse. 1874 umriss Gierke den Kerngedanken der „organischen Theorie“ wie folgt: „Man bezeichnete und dachte den Menschen in seiner staatlichen Zugehörigkeit als ‚Glied‘ des Gemeinwesens, die einzelnen staatlichen Thätigkeiten als ‚Funktionen‘ des Gemeinlebens, die für bestimmte Funktionen des Ganzen gebildete Staatstheile als ‚Organe‘, den Komplex der inneren Einrichtungen hierfür als ‚Organisation‘, das grundlegende Lebensgesetz des Staates als ‚Konstitution‘ oder ‚Verfassung‘, die unsichtbare Einheit in der Vielheit als die für das geistige Wesen des Ganzen substanzielle, mit einheitlichem Willen begabte ‚Persönlichkeit‘ des Staates.“123 Diese „Persönlichkeit“ hatte natürlich für Gierke ein „Haupt“, das die übrigen Glieder kommandierte: Es sei „mit der Auffassung des Staates sehr wohl vereinbar, daß die öffentliche Rechtsordnung unter allen Staatsgliedern Einem oder auch einer Mehrheit eine sehr überwiegende Stellung im Staatskörper zuweist … Der Monarch erscheint nicht als ein gewöhnliches Staatsglied, das nur durch die Verfassung zu einem hauptsächlichen Organ des Staatslebens bestellt wird, sondern er erscheint als das Haupt des Staatskörpers, als ein von vornherein 121  Dazu eingehend Jan Schröder, Zur älteren Genossenschaftstheorie. Die Begründung des modernen Körperschaftsbegriffs durch Georg Beseler, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), S. 399–459. 122  Otto von Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände, Darmstadt 1954 [1902], S. 18. Vgl. auch Albrecht Koschorke/Susanne Lüdemann/Thomas Frank/ Ethel Matala de Mazza, Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankfurt am Main 2007, 368 f. 123  Otto von Gierke, Die Grundbegriffe des Staatsrechts, 2. Aufl., Tübingen 1915 [1874], S. 73.

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besonders qualificirtes, schlechthin wesentliches, durch seine innere Natur zu hervorragender Thätigkeit für das Ganze berufenes Glied.“124 Gierke übersetzte sein Bild also gleichsam zurück in eine staatsrechtliche Aussage von erheblicher Tragweite, die den Status quo im Kaiserreich legitimierte. Dreißig Jahre später, in der berühmten Rektoratsrede von 1902 über „Das Wesen der menschlichen Verbände“ wiederholte der Germanist sein Credo mit ungebrochener Leidenschaft: „Das Recht schreibt dem Verbande Persönlichkeit zu. Somit muß er gleich dem Individuum eine leiblich-geistige Lebenseinheit sein, die wollen und das Gewollte in der Tat umsetzen kann.“125 Gierke hielt das alles für so selbstverständlich, dass er jeden, der die Dinge anders sah, Lebensfremdheit unterstellte. Entgeistert nahm er zur Kenntnis, dass einige allen Ernstes glaubten, die juristische Person sei eine vom Recht aufgestellte Fiktion, also eine „Homunkulus-Schöpfung“, eine „ausstaffierte Vogelscheuche“, ein „blutloses Gespenst“.126 Der blanke Unsinn, rief er seinen Kritikern zu, denn es sei unrichtig, „daß die sinnliche Wahrnehmung uns nichts über das Dasein von Verbänden sagen soll. Auch das Verbandleben spielt sich in körperlichen Ganzen ab, die in die äußere Erscheinung treten. Wir sehen ein Regiment mit klingendem Spiel marschieren, wir erblicken Wähler, die den Stimmzettel in die Urne werfen, wir werden bei einem öffentliche Aufzuge vom Schutzmann unsanft zurückgedrängt.“127 Dank einer frühen Übersetzung und der Protegierung durch Maitland wurde Gierkes „Genossenschaftstheorie“ auch im anglo-amerikanischen Rechtskreis wahrgenommen.128 Im Jahre 1900 erschienen Auszüge unter dem Titel „Political Theories of the Middle Age“.129 Überdies hatte der in Deutschland ausgebildete Ernst Freund, Professor in Chicago, schon 1897 in seinem Werk „The Legal Nature of Corporations“ auf Gierkes Theorie hingewiesen. „The history of the corporate idea on the Continent of Europe“, heißt es gleich zu Beginn im Vorwort, „has been most exhaustively 124  Otto von Gierke, Die Grundbegriffe des Staatsrechts, 2. Aufl., Tübingen 1915 [1874], S. 120 [Hervorhebung im Original]. 125  Otto von Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände, Darmstadt 1954 [1902], S. 15. 126  Otto von Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände, Darmstadt 1954 [1902], S.  8 f. 127  Otto von Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände, Darmstadt 1954 [1902], S. 19. 128  Morton J. Horwitz, Santa Clara Revesited. The Development of Corporate Theory, West Viginia Law Review 88 (1985/86), S. 173–224, 179–181; Sandford A. Shane, The Corporation is a Person. The Language of a Legal Fiction, Tulane Law Review 61 (1986/87), S. 563–609, 565–569. 129  Otto von Gierke, Political Theories of the Middle Age, with an introduction by Frederic William Maitland, Cambridge 1900.



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treated by Professor Gierke in his great work on Deutsches Genossen­ schaftsrecht“.130 Der Ansatz, eine juristische Person als natural entity und nicht länger als Fiktion zu begreifen, kam den Advokaten der Kapitalgesellschaften gerade recht, obwohl die luftigen Konstruktionen des amerikanischen Big Business Lichtjahre von den „leiblich-geistigen Lebenseinheiten“131 des deutschen Mittelalters entfernt waren. In den Vereinigten Staaten steht die fortschreitende Nivellierung der Differenzen zwischen natürlicher und juristischer Person seit Jahrzehnten im Zentrum der populären wie der wissenschaftlichen Kritik an Rechtsprechung und Jurisprudenz. Die Entwicklung in Nordamerika ist besonders brisant, weil sie in erster Linie den verfassungsrechtlichen, nicht den privatrecht­ lichen Status der Korporationen betrifft.132 Noam Chomsky sieht in der Angleichung nicht weniger als einen Frontalangriff auf die bedeutendsten Errungenschaften der westlichen Zivilisation, auf die Ideale der Aufklärung und des Liberalismus.133 Sechzig Jahre vor Chomsky hatten Vertreter des legal realism wie Thurman W. Arnold versucht, die „Maskerade“ oder „Folklore“ des korporativen Kapitalismus zu entschleiern. Arnold, zeitweise Mitarbeiter der „Antitrust Division“ im Justizministerium und Professor an der Yale Law School, veröffentlichte 1937 eine scharfsinnige Abrechnung mit den „perfiden“ Repräsentationspraktiken der Großunternehmen und der Unfähigkeit der Justiz, diesen Paroli zu bieten. „One of the essential and central notions which give our industrial feudalism logical symmetry“, beklagte er, „is the personification of great industrial enterprise. The ideal that a great corporation is endowed with the rights and prerogatives of a free individual is as essential to the acceptance of the corporate rule in temporal affairs as was the ideal of the divine right of kings in an earlier day.“134 Besonders die Haltung des 130  Ernst

Freund, The Legal Nature of Corporations, Kitchener 2000 [1897], S. 6. Otto von Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände, Darmstadt 1954 [1902], S. 15. 132  Auch dem deutschen Recht ist dieser Aspekt natürlich nicht unbekannt. Mit Art. 19 Abs. 3 GG („Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind“) steht sogar eine verfassungsrechtliche Bezugsnorm zur Verfügung, aber in dieser Form eben erst seit 1949. Zur Diskussion in der Weimarer Republik und im 19. Jahrhundert vgl. Barbara Remmert, in: Theodor Maunz/Günter Dürig, Grundgesetz: Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rn. 2–7 (Mai 2009). 133  „The courts accorded corporations the rights of person. That’s a very sharp attack on classical liberalism in which rights are inherent in people – people of flesh and blood, not corporate entities“ – Interview with Noam Chomsky, October 24, 2000, in: Joel Bakan, The Corporation. The Pathological Pursuit of Profit and Power, London 2004, Appendix, S. 169–196, 170. 134  Thurman W. Arnold, The Folklore of Capitalism, New Haven 1937, S. 185. 131  Vgl.

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Abb. 3

Supreme Court erregte Arnolds Zorn. „This court invented most of the ceremonies which kept the myth alive and preached about them in a most dramatic setting. It dressed huge corporations in the clothes of simple farmers and merchants and thus made attempts to regulate them appear as attack on liberty and the home. So long as men instinctively thought of these great organizations as individuals, the emotional analogies of home and freedom and all the other trappings of ‚rugged individualism‘ became their most potent protection.“135 Neben der sprachlich-begrifflichen „Folklore“ spielte die graphische „Einkleidung“ der Großunternehmen eine zunehmend wichtige Rolle. Spätestens seit den 1920er und 1930er Jahren widmen sich hochbezahlte Werbezeichner der Außen- und Selbstdarstellung, der „corporate imagery“.136 Die unnahbare Kapitalgesellschaft erhält ein menschliches Antlitz. Meist ist es das Antlitz junger, gut aussehender Frauen, das Verpackungen und Annoncen, aber auch Aktienzertifikate und andere Wertpapiere ziert. Sittsam (Abb. 3) oder spärlich (Abb. 4) bekleidet, meist mit einigen charakteristischen Requisiten der jeweiligen Branche ausgestattet (Abb. 5, 6), buhlen die gefallenen Göttinnen um die Gunst des Publikums und stellen die erstrebte gedankliche Verknüpfung her zwischen „Person“ und „Gesellschaft“. Aus Anlass der Zweihundertjahrfeier der amerikanischen Bill of Rights erschienen zahlreiche Beiträge in der Tagespresse und in juristischen Zeit135  Thurman

W. Arnold, The Folklore of Capitalism, New Haven 1937, S. 190. Roland Marchand, Creating the Corporate Soul. The Rise of Public Relations and Corporate Imagery in American Big Business, Berkley u. a. 1998. 136  Eingehend



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Abb. 4

Abb. 5

schriften, die von den Gerichten eine größere Zurückhaltung bei der Anwendung der Bill of Rights zu Gunsten von Korporationen forderten. Die Kritiker verwiesen darauf, dass in der jüngeren Vergangenheit nicht wenige regulatorische Maßnahmen am Widerstand der Justiz gescheitert seien. So berief sich ein Textilunternehmen erfolgreich auf den Ne-bis-in-idem-

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Abb. 6

Grundsatz (double jeopardy) im fünften Amendment, um einer AntitrustAnklage zu entgehen, in einem anderen Fall machte ein Banken- und Industriekonsortium, das sich gegen Restriktionen bei der Finanzierung politischer Kampagnen wehrte, Rechte aus dem ersten Amendment geltend, in wieder einem anderen Fall torpedierte ein Elektronikkonzern mit Hilfe des vierten Amendment Inspektionen des Gesundheitsbehörden usw.137 Angesichts derartiger „Erfolge“ sei es nicht verwunderlich, dass Großunternehmen wie Philip Morris sich finanziell stark engagierten, als es galt, „ihre“ Bill of Rights gebührend zu ehren. Philip Morris investierte die beachtliche Summe von 60 Millionen $, das Dreifache des Betrages, den die Regierung in ­Washington für die Jubiläumsfeierlichkeiten zur Verfügung stellte.138 Wenngleich Kapitalgesellschaften erst nach 1960 von der Berufung auf die Bill of Rights (die ersten zehn Amendments der Verfassung) im großen 137  Carl J. Mayer, Personalizing the Impersonal. Corporations and the Bill of Rights, Hasting Law Review 41 (1989/90), S. 577–667, 578. Vgl. United States v. Martin Linen Supply Co., 430 U.S. 564 (1976); First Nat’l Bank v. Bellotti, 435 U.S. 765 (1977); Marshall v. Barlow’s Inc., 436 U.S. 307 (1978). 138  Carl J. Mayer, Personalizing the Impersonal. Corporations and the Bill of Rights, Hasting Law Review 41 (1989/90), S. 577–667, 577.



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Stil profitierten139, ereignete sich der eigentliche juristische Dammbruch bereits kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Während des 19. Jahrhunderts dominierten in den Vereinigten Staaten Vorstellungen über den juristischen Status von Korporationen, die sich im Großen und Ganzen noch wenig unterschieden von den Ansichten eines Coke oder Black­stone.140 In dem ersten landmark case zu diesem Thema – „Bank of the United States v. Deveaux“ – behandelten die Richter des Supreme Court die klagende Bank wie jede corporation als ein „bloßes künstliches Geschöpf des Rechts“. Chief Justice Marshall formulierte es so: „As our ideas of a corporation, its privileges, and its disabilities, are derived entirely from the English books, we resort to them for aid in ascertaining its character. It is defined as a mere creature of the law, invisible, intangible, and incorporeal.“141 Der Streit drehte sich damals um die Frage, ob die Bank gegen den Steuer­ einnehmer Deveaux aus dem Staat Georgia vor einem Gericht dieses Staates klagen musste oder ob sie ein Bundesgericht anrufen konnte. Die Bank bevorzugte die zweite Alternative, Deveaux die erste. Maßgeblich war Article III, Section 2, Clause 1 der Verfassung. Danach konnte ein Bundes­ gericht entscheiden, wenn sich „citizen“ aus verschiedenen Staaten als Parteien gegenüber standen. Waren also auch Korporationen „Bürger“? Auf der Grundlage der Ausgangsdefinition konnte das Gericht eigentlich nur zu einem negativen Resultat gelangen, denn einer „mere creature of the law, invisible, intangible, and incorporeal“ fehlt notwendigerweise die Dignität des „citizen“. Das hätte freilich bedeutet, dass es für alle Zeiten auf Bundesebene unmöglich gewesen wäre, Verfahren unter Beteiligung von Korporationen zu führen, eine Vorstellung, die dem Supreme Court offenkundig nicht behagte. Das 139  Carl J. Mayer, Personalizing the Impersonal. Corporations and the Bill of Rights, Hasting Law Review 41 (1989/90), S. 577–667, 578. 140  Zur Geschichte der Korporation als (verfassungs-)rechtliche Zurechnungseinheit im 19. und frühen 20. Jahrhundert vgl. unter anderem John Dewey, The Historical Background of Corporate Legal Personality, Yale Law Journal 35 (1926), S. 655–673; Herbert Hovenkamp, The Classical Corporation in American Legal Thought, Georgetown Law Journal 76 (1988), S. 1593–1689; Sandford A. Shane, The Corporation is a Person. The Language of a Legal Fiction, Tulane Law Review 61 (1986/87), S. 563–609, 563–592; Anon., Constitutional Rights of a Corporate Person, Yale Law Journal 91 (1981/82), S. 1641–1658, 1641–1651; Morton J. Horwitz, Santa Clara Revesited. The Development of Corporate Theory, West Viginia Law Review 88 (1985/86), S. 173–224; Carl J. Mayer, Personalizing the Impersonal. Corporations and the Bill of Rights, Hasting Law Review 41 (1989/90), S. 577–667, 577–582; James Willard Hurst, The Legitimacy of the Business Corporation in the Law of the United States 1780–1970, Charlottesville 1970; Philip I. Blumberg, The Multinational Challenge to Corporation Law. The Search for a New Corporate Personality, New York/Oxford 1993, S. 30–45. 141  9 U.S. 88 (1809).

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Gericht verfiel daher auf den Gedanken, die Zuschreibung „unsichtbar“ ernst zu nehmen und gleichsam durch die Korporation hindurch zu sehen, denn es stellte – etwas überraschend – auf die natürlichen Personen ab, die hinter der Gesellschaft standen. Diese seien in der Regel „Bürger“ und sie blieben es, auch wenn sie sich entschließen sollten, sich mit anderen „citizen“ zu einer Gesellschaft zu verbinden: „The Judicial Department was introduced into the American Constitution under impressions and with views which are too apparent not to be perceived by all. However true the fact may be that the tribunals of the states will administer justice as impartially as those of the nation to parties of every description, it is not less true that the Constitution itself either entertains apprehensions on this subject or views with such indulgence the possible fears and apprehensions of suitors that it has established national tribunals for the decision of controversies between aliens and a citizen or between citizens of different states. Aliens or citizens of different states are not less susceptible of these apprehensions, nor can they be supposed to be less the objects of constitutional provision, because they are allowed to sue by a corporate name. That name, indeed, cannot be an alien or a citizen, but the persons whom it represents may be the one or the other, and the controversy is, in fact and in law, between those persons suing in their corporate character, by their corporate name, for a corporate right, and the individual against whom the suit may be instituted.“142

Das salomonische Urteil von 1809 sorgte dafür, dass Korporationen nicht von vornherein der Zugang zu den Gerichten versagt blieb. Das war wichtig, weil ihre Repräsentanten auf die Weise eine Rechtsentwicklung in ihrem Sinne forcieren konnten. Einen Durchbruch in der Sache bedeutete die Entscheidung, die ja gerade den Charakter der corporation als ein fiktionales Wesen bekräftigte, indes nicht. Die Wende vollzog sich, so scheint es, im Jahre 1886. Der Supreme Court verhandelte in der Angelegenheit „Santa Clara County v. Southern Pacific Railroad“. En passant stellte das Gericht fest: „The court does not wish to hear argument on the question whether the provision in the Fourteenth Amendment to the Constitution, which forbids a State to deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws, applies to these corporations. We are all of the opinion that it does.“143 Im späten 20. Jahrhundert hat der Supreme Court sich immer wieder wie selbstverständlich auf „Santa Clara“ berufen und die Entscheidung zur ersten verfassungsgerichtlichen Anerkennung der corporation als Grundrechtsträger stilisiert.144 Gegen die These, das Gericht habe eine Entscheidung von so großer Tragweite treffen wollen, spricht jedoch schon die Kürze und das Unvermittelte der Stellungnahme. Neuere Untersuchungen zum Kontext von 142  9

U.S. 87 (1809). U.S. 396 (1886). 144  Vgl. First Nat’l Bank v. Bellotti, 435 U.S. 780 (1978). 143  118



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„Santa Clara“ haben weitere Indizien zusammen getragen145, die den Schluss nahe legen, der Supreme Court habe in komprimierter Form lediglich die durch „Deveaux“ vorgegebenen Grundsätze wiederholen wollen. Freilich können auch unbeabsichtigte Verkürzungen und Ungenauigkeiten die Erosion eines Dogmas einleiten oder beschleunigen. Insofern hatte „Santa Clara“ vielleicht doch keinen ganz geringen Anteil an der Etablierung der neuen Lehre während der folgenden zwanzig Jahre. Was sich änderte, zeigt am deutlichsten ein Vergleich der Entscheidungen „Pembina Consolidated Silver Mining Co. v. Pennsylvania“ und „Southern Railway v. Greene“. Die erste stammt aus dem Jahre 1888, die zweite von 1910. Beide Urteile betrafen den im vierzehnten Amendment (1868) niedergelegten Gleichbehandlungsgrundsatz, eine Regelung, die nach dem Bürgerkrieg und der Abschaffung der Sklaverei den Geist des Neuanfangs in der Verfassung fixierte und vornehmlich darauf zielte, die Diskriminierung von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und ethnischer Herkunft zu unterbinden. Von der Stärkung der Bürgerrechte profitiert haben dann allerdings vor allem die großen Korporationen. 1888 erklärte das Gericht, eine private Gesellschaft sei insoweit eine „Person“ im Sinne der Equal Protection Clause, als sie eine Vereinigung von Individuen darstelle, die als natürliche Personen selbstverständlich ein Recht auf Gleichbehandlung einfordern können: „The inhibition of the amendment that no state shall deprive any person within its jurisdiction of the equal protection of the laws was designed to prevent any person or class of persons from being singled out as a special subject for discriminating and hostile legislation. Under the designation of ‚person‘ there is no doubt that a private corporation is included. Such corporations are merely associations of individuals united for a special purpose and permitted to do business under a particular name and have a succession of members without dissolution.“146 Auf das Urteil von 1888 verwies der Supreme Court in einer Entscheidung aus dem Jahr 1910, doch nicht dieser Umstand, sondern die Unvollständigkeit des Verweises ist das Bemerkenswerte. Das Gericht übernahm nämlich nur den ersten Teil des Zitats und überging den Zusatz „such corporations are merely associations of individuals united for a special purpose and permitted to do business under a particular name and have a succession of members without dissolution“. Indem es so verfuhr,147 brachte es 145  Insbesondere Morton J. Horwitz, Santa Clara Revesited. The Development of Corporate Theory, West Viginia Law Review 88 (1985/86), S. 173–224. 146  125 U. S. 188–189 (1888). 147  „The equal protection of the laws means subjection to equal laws, applying alike to all in the same situation. If the plaintiff is a person within the jurisdiction

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zum Ausdruck, dass es die Korporation als solche als vollwertige „Person“ im Sinne der Equal Protection Clause anerkannte.148 Dass die überkommene Anschauung einer Korporation als „mere creature of law“ und „artificial being“ nicht mit einem Schlag aus den Köpfen verschwand, davon zeugt der restriktive Umgang mit dem im fünften Amendment enthaltenen Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare. In „Hale v. Henkel“ (1905) weigerte sich der Supreme Court, das Selbstbelastungsverbot auf eine corporation anzuwenden. Das Gericht argumentierte, es wäre „eine merkwürdige Anomalie“, dem Staat, ohne den es eine Korporation gar nicht gäbe, zu untersagen, das Gebaren seiner Schöpfungen zu überwachen und von ihnen Rechenschaft zu verlangen.149 An dieser Doktrin zum Nemo-tenetur-Grundsatz hielt der Supreme Court auch noch fest, als er längst die Anwendbarkeit anderer Grundrechte auf Korporationen bejahte, obwohl eine solche Differenzierung nicht jeden überzeugte. In „United States v. White“ (1944) bemühte sich das Gericht zunächst, das spezifisch Menschliche, das Individuelle eines juristischen Tatbestandes herauszuarbeiten, um dann die Frage entschieden zu verneinen, ob eben dieser Tatbestand noch auf irgendein anderes „Wesen“ als den Menschen zugeschnitten sein könnte: „The constitutional privilege against self-incrimination is essentially a personal one, applying only to natural of the State of Alabama within the meaning of the Fourteenth Amendment, it is entitled to stand before the law upon equal terms, to enjoy the same rights as belong to, and to bear the same burdens as are imposed upon, other persons in a like situation. That a corporation is a person within the meaning of the Fourteenth Amendment is no longer open to discussion. This point was decided in Pembina Mining Co. v. Pennsylvania, 125 U.S. 181, wherein this Court declared: ‚The inhibition of the Amendment that no state shall deprive any person within its jurisdiction of the equal protection of the laws was designed to prevent any person or class of persons from being singled out as a special subject for discriminating and hostile legislation. Under the designation of ‚person‘ there is no doubt that a private corporation is included‘ “  – 216 U. S. 412–413 (1910). 148  Philip I. Blumberg, The Multinational Challenge to Corporation Law. The Search for a New Corporate Personality, New York/Oxford 1993, S. 37. 149  „Upon the other hand, the corporation is a creature of the state. It is presumed to be incorporated for the benefit of the public. It receives certain special privileges and franchises, and holds them subject to the laws of the state and the limitations of its charter. Its powers are limited by law. It can make no contract not authorized by its charter. Its rights to act as a corporation are only preserved to it so long as it obeys the laws of its creation. There is a reserved right in the legislature to investigate its contracts and find out whether it has exceeded its powers. It would be a strange anomaly to hold that a state, having chartered a corporation to make use of certain franchises, could not, in the exercise of its sovereignty, inquire how these franchises had been employed, and whether they had been abused, and demand the production of the corporate books and papers for that purpose“ – 201 U. S. 74–75 (1905).



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individuals. It grows out of the high sentiment and regard of our jurisprudence for conducting criminal trials and investigatory proceedings upon a plane of dignity, humanity and impartiality. It is designed to prevent the use of legal process to force from the lips of the accused individual the evidence necessary to convict him or to force him to produce and authenticate any personal documents or effects that might incriminate him … Since the privilege against self-incrimination is a purely personal one, it cannot be utilized by or on behalf of any organization, such as a corporation.“150 Schon in den 40er Jahren wirkten Feststellungen dieser Art seltsam antiquiert und waren nicht mehr als ein Nachklang vergangener Zeiten, als es noch ein Empfinden dafür gab, dass die natürliche Person eben das „Natürliche“, der Normalfall, ist und bleiben muss. In Deutschland verlief die Entwicklung ganz ähnlich wie in den Vereinigten Staaten – mit dem Unterschied, dass in Ermangelung vergleichbarer verfassungsrechtlicher Vorgaben lange Zeit nur das Privatrecht betroffen war. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellten die führenden Rechtswissenschaftler in ihren Lehrbüchern den dogmatischen Ausführungen meist ein Bekenntnis zur sittlichen Bestimmung des Rechts voran. Perspektivischer Fixpunkt war der Mensch, dessen Freiraum es zu sichern galt. „Der Mensch“, schreibt Savigny, „steht inmitten der äußeren Welt und das wichtigste Element in dieser seiner Umgebung ist ihm die Berührung mit denen, die ihm gleich sind durch ihre Natur und Bestimmung. Sollen nun in solcher Berührung freye Wesen nebeneinander bestehen, sich gegenseitig fördernd, nicht hemmend in ihrer Entwicklung, so ist dieses nur möglich durch Anerkennung einer unsichtbaren Gränze, innerhalb welcher das Dasein und die Wirksamkeit jedes Einzelnen einen sicheren, freyen Raum gewinne. Die Regel, wodurch jene Gränze und durch sie dieser freye Raum bestimmt wird, ist das Recht.“ Das Recht diene demnach der Sittlichkeit, „aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freye Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen innewohnenden, Kraft sichert“.151 Dieser Ansatz verbietet es Savigny, irgendwelchen Gegenständen, Ideen und Begriffen so wenig wie dem Zusammenschluss von Menschen die gleiche Dignität zuzuweisen wie dem sittlich autonomen Einzelmenschen.152 „Alles Recht ist vorhanden um der sittlichen, jedem einzelnen Menschen innewohnenden Freyheit willen. Darum muss der ursprüngliche Begriff der Person oder des Rechtssubjects zusammen fallen mit dem Begriff des Men150  322

U. S. 698–699 (1944). Carl von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. I, Berlin 1840, § 52 (S. 331 f.). 152  Vgl. Malte Diesselhorst, Zur Theorie der juristischen Person bei Carl Friedrich von Savigny, in: Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), S. 319–337, 321. 151  Friedrich

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schen, und diese ursprüngliche Identität beider Begriffe lässt sich in folgender Formel ausdrücken: Jeder einzelne Mensch, und nur der einzelne Mensch, ist rechtsfähig.“153 Auf diese elementare „Formel“, auf die Feststellung, ausschließlich der Mensch sei rechtsfähig, kommt Savigny wieder zurück, als er in § 85 des „Systems“ die juristische Person behandelt. „Die Rechtsfähigkeit“, referiert er, „wurde oben dargestellt als zusammenfallend mit dem Begriff des einzelnen Menschen. Wir betrachten sie jetzt als ausgedehnt auf künstliche, durch bloße Fiction angenommene Subjecte. Ein solches Subject nennen wir eine juristische Person welche blos zu juristischen Zwecken angenommen wird. In ihr finden wir einen Träger von Rechtsverhältnissen noch neben dem einzelnen Menschen.“154 Das zweifache „bloß“ („bloße Fiktion“, „blos zu juristischen Zwecken“) ist doppelt zu unterstreichen, gerade weil es später erst missverstanden und dann überlesen wurde. Savigny war sich vollständig im Klaren darüber, dass er einen überaus heiklen Eingriff vornahm, gleichsam am offenen Herzen des Privatrechts operierte. Unbedingt notwendig sei es, mahnte er, „das Gebiet der Rechtsverhältnisse, worauf sich diese Fähigkeit beziehen soll, enger zu begränzen.“ Denn „der Mangel einer solchen Begränzung hat nicht wenig Verwirrung in die Behandlung dieses Gegenstandes gebracht“.155 Die erste der beiden „Begränzungen“, die Savigny für unentbehrlich erachtete, ist die Begrenzung der „künstlichen Fähigkeit der juristischen Person“ auf die Verhältnisse des Privatrechts.156 In dem Zusammenhang wird deutlich, dass Savigny mitnichten die soziale Realität des Substrats der juristischen Person verkannte. Eine solche lebensfremde Behauptung wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Ausdrücklich stellt er fest: „Indem nun hier das Wesen der juristischen Personen ausschließend in die privatrechtliche Eigenschaft der Vermögensfähigkeit gesetzt wird, soll damit keineswegs behauptet werden, dass an den wirklich vorhandenen Personen nur allein diese Eigenschaft zu finden oder doch von Wichtigkeit wäre.“157 Es ist ein Unterschied, ob man sich für ein Phänomen nicht interessiert oder ob man seine Existenz leugnet. Savigny interessierte sich schlichtweg nicht für die Frage nach der Wirklichkeit der menschlichen Verbände und 153  Friedrich Carl von Savigny, System des Berlin 1840, § 60 (S. 2). 154  Friedrich Carl von Savigny, System des Berlin 1840, § 85 (S. 236). 155  Friedrich Carl von Savigny, System des Berlin 1840, § 85 (S. 236). 156  Friedrich Carl von Savigny, System des Berlin 1840, § 85 (S. 236). 157  Friedrich Carl von Savigny, System des Berlin 1840, § 85 (S. 240) [Hervorhebung nicht

heutigen römischen Rechts, Bd. II, heutigen römischen Rechts, Bd. II, heutigen römischen Rechts, Bd. II, heutigen römischen Rechts, Bd. II, heutigen römischen Rechts, Bd. II, im Original].



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Organisationen, weil sie für ihn keine rechtliche, jedenfalls keine privatrechtliche Relevanz hatte. Insoweit läuft die Kritik Gierkes und seiner Mitstreiter an der angeblich von Savigny begründeten „Fiktionstheorie“ ins Leere.158 Dessen Rückgriff auf die Fiktion war einzig und allein durch den sittlichen Bestimmungsgrund des Rechts bedingt, nicht durch Zweifel am Realitätsgehalt der Personenverbände. „Ein ‚künstlich angenommes Subjekt‘ ist die juristische Person nur in Hinsicht auf die Ausgangsthese der alleinigen Rechtsfähigkeit des Menschen.“159 Savigny hat nicht nur in allgemeinen Worten den sittlichen Rahmen des Rechts umrissen, sondern sich auch zur praktischen Umsetzung eingehend geäußert. Für ihn gab es – neben der Begrenzung auf das Privatrecht – noch „eine zweyte, nicht minder wesentliche Begränzung des Begriffs der juristischen Person“160: Von der Rechtsfähigkeit unberührt bleiben sollten alle Verhältnisse, die nicht Vermögensverhältnisse sind. Insbesondere erfasst die Fiktion nach Savignys Verständnis grundsätzlich nicht die vom sittlichen Grund unmittelbar abhängigen Rechtsbeziehungen des Familienrechts.161 „Alles Familienverhältniß nämlich, in seinem ursprünglichen Begriff, bezieht sich auf den natürlichen Menschen, und die juristische Behandlung desselben ist etwas Abgeleitetes und Untergeordnetes; daher ist eine Anwendung desselben auf Subjecte, die nicht Menschen sind, unmöglich.“162 Im Folgenden untersucht Savigny sehr sorgfältig, welche Rechtsverhältnisse im Einzelnen einer „künstlichen Erweiterung“ zugänglich sein sollten und welche nicht, denn „einige sind an rein menschliche Zustände angeknüpft, die dadurch ausgebildet oder geschützt werden sollen, und diese werden auf die juristischen Personen keine Anwendung finden können: andere sind auf Vermögensverhältnisse gegründet, und sind daher, so wie diese, allerdings bey juristischen 158  Eingehend: Werner Flume, Savigny und die Lehre von der juristischen Person, in: Okko Behrends (Hrsg.), Festschrift Franz Wieacker zum 70.  Geburtstag, Göttingen 1978, S. 340–360; ders., Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. I/2: Die juristische Person, Berlin/Heidelberg/New York 1983, § 1 I 3 (S. 13–15); Wolfgang Kunkel, Art. „Juristische Person“, in: Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslandes, Bd. 4, Berlin 1933, S. 560–597, 562 f. 159  Werner Flume, Savigny und die Lehre von der juristischen Person, in: Okko Behrends (Hrsg.), Festschrift Franz Wieacker zum 70.  Geburtstag, Göttingen 1978, S. 340–360, 344. 160  Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. II, Berlin 1840, § 85 (S. 238). 161  Vgl. auch Franz Wieacker, Zur Theorie der juristischen Person des Privatrechts, in: Ernst Forsthoff/Werner Weber/Franz Wieacker (Hrsg.), Festschrift für Ernst Rudolf Huber zum 70.  Geburtstag, Göttingen 1973, S. 339–383, 362. 162  Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. II, Berlin 1840, § 85 (S. 238).

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Personen anwendbar“.163 Savignys Fiktion „verstand sich also noch nicht, wie in den späteren Personifikationstheorien, als umfassende technische Rechtsfolgenverweisung, die mit dem einen Wort ‚Person‘ die gesamte einzelmenschliche Privatrechtsordnung auf Verbände anwendbar machte“.164 Savigny war keineswegs der einzige namhafte Jurist des 19. Jahrhunderts, der die juristische Person als solche zwar anerkannte, doch über die praktische Notwendigkeit einer solchen Anerkennung nicht den heiklen sittlichen Status der juristischen Person vergaß. Auch Puchta beharrte bei allen Konzessionen an die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs darauf, dass die Übertragung von Rechten auf andere als menschliche Subjekte einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand darstellt. „Der natürlichen Betrachtung nach“, heißt es in einem von Puchta verfassten Eintrag für „Weiskes Rechtslexikon“ aus dem Jahre 1841, „ist nur der Mensch Person, rechtsfähig, Subject von Rechten. Die Persönlichkeit ist hier an ein Subject geknüpft, welches ein natürliches Dasein, ein Dasein auch außer dem Recht hat, an das mensch­ liche Individuum, mit dessen Entstehung die Person entsteht, mit dessen Aufhebung sie aufhört. Person ist der Mensch nur durch das Recht, aber das Subject der Persönlichkeit ist nichts Juristisches, sondern etwas Natürliches, und darum heißt der Mensch natürliche (physische) Person. Das Recht ist aber dabei nicht stehen geblieben. Umstände verschiedener Art haben gefordert, noch anderen Subjecten, außer dem Menschen, Rechte zuzuschreiben, und sie damit als Personen anzuerkennen. Solche Persönlichkeiten sind als Ausnahmen von der Regel zu betrachten, ihr Kreis darf nicht willkürlich erweitert werden.“165 Schon Brinz war aufgefallen, mit welchem Widerwillen, mit welchem „fast religiösen Abscheu“166 Puchta von den nicht-natürlichen Persönlichkeiten sprach. In den meisten Fällen verletze allein schon der Gedanke an die Vermenschlichung des Dinglichen das sittliche Gefühl. „An sich lassen sich Subjecte der verschiedensten Art für diese Ausdehnung der Persönlichkeit denken, in unserem Rechte aber besteht eine entschiedene Schranke, über die hinaus die Ausdehnung für schlechthin unstatthaft betrachtet werden muss. Das Recht ist nämlich nie so weit gegangen, körperlichen Dingen 163  Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. II, Berlin 1840, § 85 (S. 239). 164  Franz Wieacker, Zur Theorie der juristischen Person des Privatrechts, in: Ernst Forsthoff/Werner Weber/Franz Wieacker (Hrsg.), Festschrift für Ernst Rudolf Huber zum 70.  Geburtstag, Göttingen 1973, S. 339–383, 362. 165  Georg Friedrich Puchta, Art.  „Corporationen“, in: Julius Weiske (Hrsg.), Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, Bd. 3, Leipzig 1841, S. 65–79, 66. 166  Alois von Brinz, Lehrbuch der Pandekten, 2. Aufl., Bd. 1, Erlangen u. a. 1873, § 60 (S. 198).



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außer dem Menschen die Persönlichkeit beizulegen, also sie dem Menschen gleichzustellen, und in der Tat ist dieses eine sittliche Unmöglichkeit. Die Zumuthung, leblose Körper oder Thiere als Personen, also als unseres Gleichen anzuerkennen, wäre höchstens unter solchen Nationen denkbar, welche körperliche Dinge, nicht blos als Bilder von Göttern, sondern als Götter selbst betrachten, und sie dadurch nicht allein den Menschen gleich, sondern sogar über die Menschen stellen.“167 Erträglich erschien Puchta ausschließlich eine Gleichsetzung mit „unsichtbaren Dingen“ und „Begriffen“, nur dann sei die Grenze zum Unsittlichen noch nicht überschritten.168 Doch nach dem an Bedenken und Zweifel reichen Vorspann wirkt diese Ausnahme seltsam halbherzig und inkonsequent. Offenkundig wollte auch Puchta dem Rechtsanwender, der dazu neigt, die juristische in gleicher Weise wie die natürliche Person zu behandeln, keinen Blankoscheck ausstellen. Er sollte wissen, was die Regel und was die Ausnahme ist, sollte wissen, dass er sich stets hart am Abgrund der „sittlichen Unmöglichkeit“ bewegte. Der Gedanke tauchte in aller Deutlichkeit noch einmal bei Brinz auf, der boshaft die Frage aufwarf, warum wir Korporationen, indes nicht „unsere Darwianischen Vetter“ Personen nennen.169 Auf lange Sicht waren alle Mahnungen vergeblich. Die folgenden Juristengenerationen haben sich zwar über die Bedenken nicht von heute auf morgen hinweggesetzt, aber diese traten nach und nach in den Hintergrund.170 Die Anhänger der Theorie von der realen Verbandspersönlichkeit hatten für sie nur noch wenig Verständnis. Das BGB enthält keine Definition der juristischen Person, sondern begnügt sich damit, den Begriff als Überschrift für die Regelungen der Vereine, Stiftungen und juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu verwenden (§§ 21–89 BGB). Diejenigen, die den ersten Entwurf des Gesetzbuches zu verantworten hatten, gingen von der Annahme aus, dass die Rechtsfigur der juristischen Person „jedem nur einigermaßen entwickelten Rechte“ unentbehrlich sei. „Neben den Sonderzwecken, welche der Einzelne seinen jeweiligen Bedürfnissen gemäß mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln verfolgt, liegen andere, im 167  Georg Friedrich Puchta, Art.  „Corporationen“, in: Julius Weiske (Hrsg.), Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, Bd. 3, Leipzig 1841, S. 65–79, 66. 168  Georg Friedrich Puchta, Art.  „Corporationen“, in: Julius Weiske (Hrsg.), Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, Bd. 3, Leipzig 1841, S. 65–79, 66 f. 169  Alois von Brinz, Lehrbuch der Pandekten, 2. Aufl., Bd. 1, Erlangen u. a. 1873, § 60 (S. 199). 170  Vgl. Wolfgang Schild, Art. „Person (Recht)“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, Basel 1989, Sp. 322–335, 330.

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Interesse des öffentlichen Wohles oder privater Gemeinschaften gesetzte Zwecke, deren Verwirklichung nur dadurch sichergestellt werden kann, dass ihnen ein selbständiger, die Herrschaft des Einzelnen entrückter Vermögensbereich unmittelbar dienstbar gemacht wird.“171 Das klingt nach Normalität, nach Routine im Umgang mit der juristischen Person, schließt aber nicht aus, dass der Gesetzgeber die Vorbehalte eines Savigny oder Puchta in seinen Willen aufgenommen hat, zumal sich in den Motiven ebenso die Bemerkung findet: „Den Begriff [der juristischen Person] zu konstruieren und zu rechtfertigen, ist Aufgabe der Wissenschaft.“172 Die Verfasser des zweiten Entwurfs legten sich eine noch größere Zurückhaltung auf und vermieden peinlich genau jede Stellungnahme zu dem zermürbenden Theorienstreit zwischen den Anhängern der Theorie der realen Verbandspersönlichkeit und den Parteigängern der Fiktionstheorie173, um die Akzeptanz des Gesetzbuches im Ganzen nicht zu gefährden. Wiederum heißt es, die Wissenschaft solle es richten: „Die Entscheidung der Konstruktionsfrage, ob die juristische Person ein handlungsfähiges Wesen sei und durch ihre Organe sich im Verkehr betätige, oder ob sie handlungsfähig sei und deshalb einer Vertretung bedürfe, solle der Wissenschaft überlassen bleiben.“174 Der Theorienstreit war das eine, die fast vollständige Angleichung des Status von natürlicher und juristischer Person in der Rechtsanwendung das andere. Daran hatten auch diejenigen einen Anteil, die der Fiktionstheorie zuneigten, wenngleich sie zweifellos über das bessere Rüstzeug verfügten, um sich einem Automatismus zu widersetzen. Das vielleicht prominenteste Beispiel für die Kapitulation der Rechtspraxis gegenüber der Eigendynamik der Personifikation ist die Anerkennung der GmbH & Co KG durch die Gerichte und die herrschende Meinung in der Literatur. Bekanntlich handelt es sich bei der GmbH & Co KG nicht um eine eigenständige Rechtsform, sondern um eine Personengesellschaft in der ­ 171  Mot. I, 78 (Benno Mugdan (Hrsg.), Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. I: Einführungsgesetz und Allgemeiner Teil, Berlin 1899, S. 395). 172  Mot. I, 78 (Benno Mugdan (Hrsg.), Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. I: Einführungsgesetz und Allgemeiner Teil, Berlin 1899, S. 395). 173  Einen (allerdings nur teilweise brauchbaren) Überblick über die verschiedenen Theorieansätze im 19. Jahrhundert bietet Christian Tietze, Zur Theorie der Juristischen Person in der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, Diss. Göttingen 1974. 174  Prot. I, 1023 (Benno Mugdan (Hrsg.), Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. I: Einführungsgesetz und Allgemeiner Teil, Berlin 1899, S. 609).



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Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, an der eine juristische Person, die GmbH, als persönlich haftende Gesellschafterin beteiligt ist.175 Das Reichsgericht hatte diese Schöpfung der Kautelarjurisprudenz in einer Grundsatzentscheidung am 4. Juli 1922 anerkannt.176 Damit war aus Sicht der Rechtsprechung die Sache erledigt. Der BGH stellte im September 1955 lapidar fest177: „Das Reichsgericht hat sich in RGZ 105, 101 ff. mit den Bedenken auseinander gesetzt, die gegen die GmbH & Co erhoben worden sind. Es hat ausgesprochen, dass sich aus der Natur weder der KG nach der GmbH rechtliche Hindernisse dafür ergeben, eine GmbH als persönlich haftenden Gesellschafter einer KG zuzulassen. Das entspricht der heute herrschenden Auffassung. Von ihr abzugehen besteht kein Anlass.“178 Die „Kommanditgesellschaft eigenartiger Natur“, wie Hachenburg179 sie nannte, ist heute aus dem Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenken. Ganz genau lässt sich ihre Anzahl nicht bestimmen, die Statistiken weichen voneinander ab, doch die Tendenz ist eindeutig: 1980 existierten rund 40.000 GmbH & Co KG180, 1985 ca. 60.000181, Ende 1999 bereits 74.299182, Anfang 2004 lag die Zahl 175  Zum Verhältnis von Rechtsform- und Typenzwang vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., Köln u. a. 2002, § 5 III. 1.c), S. 111 f.; Herbert Wiedemann, Gesellschaftsrecht. Ein Lehrbuch des Unternehmens- und Verbandsrechts, Band 1: Grundlagen, München 1980, § 1 IV.1. b) aa), S. 73 f. 176  RGZ 105, 101. 177  BGH, WM 1956, S. 61, 63. 178  Im Jahre 1997 bejahte der BGH zudem die Zulässigkeit der GmbH & Co KGaA: BGHZ 134, 392. Die Entscheidung war so nicht unbedingt erwartet worden, weil die KGaA keine Personengesellschaft, sondern kapitalmarktfähige Kapitalgesellschaft ist, vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., Köln u. a. 2002, § 5 III. 1.c), S. 113; Herbert Wiedemann, Gesellschaftsrecht. Ein Lehrbuch des Unternehmens- und Verbandsrechts, Band 2: Recht der Personengesellschaft, München 2004, § 9 IV.1.d), S. 840 f. Zur „Auslands & Co KG“: BayObLG, NJW 1986, S. 3029; OLG Saarbrücken, NJW 1990, S. 647. Dazu u. a. Werner F. Ebke, Die „ausländische Kapitalgesllschaft & Co KG“ und das europäische Gemeinschaftsrecht, ZGR 16 (1987), 245–270. 179  Max Hachenburg, Steuerlast und Gesellschaftsform. Ein Beitrag zur Besteuerung der Gesellschaften mit beschränkter Haftung, DJZ 1913, Sp. 53–57, 53. 180  Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission (1980), Rn. 825 – zitiert nach: Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., Köln u. a. 2002, § 56 II.5., S. 1628; Heinz-Dieter Assmann/Friedrich Kübler, Gesellschaftsrecht. Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, 6. Aufl., Heidelberg 2006, § 22 I.3 S. 349. 181  Udo Kornblum/Werner Kleinle/Roland Baumann/Bernhard Steffen, Neue Rechtstatsachen zum Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (I), GmbHR 1985, S. 7–18. 182  DAI-Factbook 2004, Tab. 01–2/01–2-a, zitiert nach: Heinz-Dieter Assmann/ Friedrich Kübler, Gesellschaftsrecht. Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, 6. Aufl., Heidelberg 2006, § 22 I.3 S. 349.

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bei 127.999183 und im Januar 2007 bei etwa 155.000184. Die Ausübung der Komplementärrechte ist ausschließlicher Unternehmensgegenstand bei rund 15 % aller Gesellschaften mit beschränkter Haftung.185 Die Rechtswissenschaft hat es sich nach 1922 nicht so leicht gemacht wie die Rechtsprechung. Allerdings beruht der Streit, der nach der Entscheidung des Reichsgerichts zwischen den Anhängern und Gegnern der GmbH & Co KG entbrannte und bis in die 70er Jahre andauerte, auf anderen (an dieser Stelle nicht zu erörternden) Grundlagen als die Diskussion in den Jahrzehnten vor der Grundsatzentscheidung. Soweit diese frühe Phase in der Auseinandersetzung um die GmbH & Co KG überhaupt Erwähnung findet, genießt sie einen denkbar schlechten Ruf. Insbesondere die Kritiker von damals müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, weltfremd, engstirnig und positivistisch zu argumentieren.186 Doch aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts betrachtet, als es noch nicht so selbstverständlich war, Korporationen als gleichberechtigte Akteure des Privatrechts – eben als „Personen“ – zu behandeln, erscheint die Kritik, die älter ist als die GmbH und zu Anfang noch der Beteiligung einer Aktiengesellschaft an einer oHG galt, keineswegs abwegig. Diejenigen, die den Eintritt einer juristischen Person als persönlich haftende Gesellschafterin in eine oHG oder KG ablehnten, stellten unter anderem auf den Wortlaut der diese Gesellschaften betreffenden Vorschriften ab, in denen die Rede war etwa vom „Tode“ des Gesellschafters oder dessen „Vornamen“. Weil aber eine juristische Person weder sterben könne noch einen Vornamen habe, folgerte man, seien diese Regelungen nicht anwendbar und somit erweise sich der Eintritt einer juristischen Person in eine handelsrechtliche Personengesellschaft überhaupt als unzulässig. So heißt es in einer Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom Dezember 1890: „Es muss aber auch weiter angenommen werden, dass unter dem Worte ‚Personen‘ im Art. 85 nur physische Personen zu verstehen sind. Dafür ist entscheidend, dass Art. 80 als nothwendigen Bestandtheil der Anmeldung einer offenen Handelsgesellschaft die Angaben des Namens, Vor183  Mark K. Binz/Martin H. Sorg, Die GmbH & Co KG, 10. Aufl., München 2005, S. 10. 184  DIHK, HR-Unternehmen nach Rechtsform (2007), Tab. 2, zitiert nach: Thomas Mueller-Thuns, in: Malte Hesselmann/Bert Tillmann/Thomas Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co KG. Gesellschaftsrecht, Steuerrecht, 20. Aufl., Köln 2009, § 1 Rn. 9 (S. 4). 185  Udo Kornblum/Thorsten Hampf/Nicole Naß, Neue Württembergische Rechtstatsachen zum Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, GmbHR 2000, S. 1240–1251, 1248. 186  Vgl. nur Rudolf Wiethölter, Die GmbH & Co KG. Chancen und Grenzen, in: Aktuelle Probleme der GmbH & Co KG, Köln 1967, S. 11–52, 15 f.



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namens, Standes und Wohnortes jedes Gesellschafters vorschreibt, eine Vorschrift, deren Befolgung unmöglich wäre in einem Falle, wo eine juristische Person Theilhaberin einer offenen Handelsgesellschaft wäre.“187 Ähnliche Bedenken äußerte zwei Monate später – im Februar 1891 – das Kammergericht: „Aber auch die sonstigen Bestimmungen des Handelsgesetzbuches lassen klar erkennen, dass als Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft nur physische Personen in Betracht genommen sind. So erfordert Art. 86 Abs. 2 Ziffr. 1 für die Anmeldung der Gesellschaft zum Handelsregister Angaben des Namens, Vornamens, Standes und Wohnorts jedes Gesellschafters. So spricht Art. 88 von persönlicher Zeichnung der Anmeldung und der Firma. Der Art. 105 giebt dem nicht in dem Geschäftsbetriebe der Gesellschaft thätigen Gesellschafter die Befugnisse, sich persönlich von dem Gange der Angelegenheiten zu unterrichten, jederzeit in das Geschäftslokal zu kommen. Der Art 123 Ziffr. 2 benennt als Auflösungsgrund der Gesellschafter, wenn nicht der Vertrag bestimme, dass die Gesellschaft mit den Erben des Verstorbenen fortbestehen solle (vgl. 133 Abs. 1), und der Art. 123 Zffr. 6 kennzeichnet als Gesellschaft von unbestimmter Dauer eine auf Lebenszeit eingegangene Gesellschaft. In Art. 125 Abs. 2 Zffr. 5 ist endlich unter den Gründen, welche das Verlangen sofortiger Auflösung rechtfertigen, anhaltende Krankheit eines Gesellschafters hervorgehoben. Dem aus der Gesamtheit dieser Rechtsnormen zu ziehenden Schlusse, dass das Handelsgesetzbuch nur physische Personen als offene Gesellschafter anerkennt, ist nicht die Erwägung entgegenzustellen, als halte das Gesetz in seinen Bestimmungen nur den Normalfall der Betheiligung physischer Personen im Auge, ohne damit den Beitritt Anderer als physischer Personen bei analoger Anwendung seiner Rechtssätze auszuschließen.“188

Diese Argumente mögen für sich genommen etwas vordergründig sein, wie die Kritiker nicht müde wurden zu betonen189, dem Verständigen sollte dennoch das Unbehagen zu denken geben, das die Feinde der GmbH & Co 187  HansOLG,

HansGZ, Hauptblatt 12 (1891), S. 21–23, 21. KGJ 11 (1892), S. 17–23, 20 f. 189  Vgl. nur Moll, Kann eine Aktiengesellschaft Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft sein?, Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen [Holdheim’s Monatsschrift] 13 (1904), S. 150–155, 150 f. („Aber diese Gründe sind so sehr dem Wortlaut und so wenig dem Geiste des Gesetzes entlehnt, dass sie nicht stichhaltig erscheinen“); Richard Schwarting, Kann eine GmbH persönlich haftender Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft sein? (Diss. Kiel 1913), Schwerin 1913, S. 20 f.; Fritz Semmel, Die Beteiligung einer Aktiengesellschaft an anderen handelsgesellschaftlichen Unternehmungen, München 1919, S. 15; Paul Eltzbacher, Offene Handelsgesellschaft und Aktiengesellschaft als Theilunternehmerinnen einer offenen Handelsgesellschaft, ZHR 45 (1896), S. 41–68, 61–63; Alfred Kunz, Rechtsgebilde als Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, Diss. Breslau 1914, S. 11; Hugo Ehrlich, Die juristischen Personen und die Handelsgesellschaften als Mitglieder von Handelsgesellschaften (Diss. Heidelberg), Berlin 1905, S. 7–11. 188  KG,

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KG und ähnlicher Konstruktionen umtrieb. Diese wehrten sich dagegen, allein um wirtschaftlicher Vorteile willen den Unterschied zwischen natürlichen und juristischen Personen zu nivellieren, obgleich der Gesetzgeber erkennbar nur „an natürliche Personen, wirkliche Menschen gedacht“190 habe. Gelegentlich mochte es angehen, über den Wortlaut hinwegzusehen, aber in dem Fall eben nicht, da essentielle Attribute der menschlichen Individualität auf dem Spiel standen. Es gab im Übrigen durchaus Gerichtsentscheidungen, die sich vom Wortlautargument lösten und deutlicher den grundsätzlichen Charakter der Kritik hervorhoben. „Das Wesen der Actiengesellschaft“, befand das OLG Dresden im Januar 1899, „steht deren Betheiligung an einer off. Handelsgesellsch. entgegen. Die Act.-Gesellsch. ist eine Handelsgesellschaft, die das Recht mit der juristischen Persönlichkeit ausgestattet hat. Eine juristische Person besteht nur kraft der Form, die das Gesetz für sie vorschreibt, sie kann auch nur in dieser Form am Rechtsverkehr theilnehmen. Die Folge ist, dass die Act.-Gesellsch. das den Gegenstand ihres Unternehmens bildenden Gewerbe nur in der ihr nach dem Gesetze eigenen Form betreiben und nicht dabei zugleich Träger einer anderen Handelsgesellschaft sein kann. Schon dies hindert ihre Betheiligung an einer off. Handelsgesellschaft.“191 Auch das LG Hamburg brach 1922 eine Lanze für das Prinzip der unvollkommenen, bedingten Gleichsetzung von natürlicher und juristischer Person, das sich aus der „Begränzung des Begriffs der juristischen Person“ im Sinne Savignys ergab. Es folgte exakt dem von diesem vorgegebenen Prüfungsansatz, indem es feststellte, in einer Kommanditgesellschaft sei wie in einem Familienverhältnis die „lebendige Individualität“, das „spezifisch menschliche Moment“, von entscheidender Bedeutung, das der juristischen Person gerade fehle, folglich könne eine solche unmöglich Komplementärin sein: „Die Hauptrolle für Tätigkeit und Kredit der Kommanditgesellschaft spielen jedoch der oder die Komplementäre, entsprechend den Gesellschaftern der offenen Handelsgesellschaft, und auf deren Individualität kommt es demnach für eine solche Arbeitsgesellschaft an; die Kommanditgesellschaft setzt voraus und verlangt ein persönliches Moment in ihrem Komplementär … Dieses persönliche Moment, diese lebendige Individualität fehlt der GmbH, wie jeder juristischen Person. Sie steht zwar im allgemeinen der natürlichen Person rechtlich gleich, aber immer nur soweit, als es auf das spezifisch menschliche Moment nicht ankommt. Darauf kommt es beispiels190  Christoph Kolb, Kann eine Aktiengesellschaft a) einem anerkannten Verein b) einer offenen Handelsgesellschaft c) einer eingetragenen Genossenschaft als Mitglied angehören?, Diss. Erlangen 1896, S. 20 f. 191  J. A. Seuffert’s Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten [Seuffert’s Archiv] 55 (1900), S. 172–174, 172 f.



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weise an bei der elterlichen Gewaltherrschaft, darauf kommt es auch an für den Komplementär einer Kommanditgesellschaft als einer Personal- und Arbeitsgesellschaft.“192 In der Literatur bekämpfte vor allem Brodmann den Automatismus bei der Substitution einer natürlichen durch eine juristische Person. Die Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses war ihm ein Dorn im Auge und erzürnte ihn derart, dass man wie im Falle Puchtas geneigt ist, von einem „fast religiösen Abscheu“ zu sprechen, so sehr ekelte er sich vor der „sittlichen Unmöglichkeit“. Nicht ohne Sarkasmus notierte er mit Blick auf die Standardformel, die zur Rechtfertigung der GmbH & Co KG Verwendung fand193: „Jeder Mensch kann mit einem anderen Menschen eine Gesellschaft, jeder Kaufmann mit einem anderen eine offene Handelsgesellschaft bilden. Die GmbH besitzt Persönlichkeit, ist Kaufmann, also …. Dass ein natürlicher Mensch doch noch etwas anderes ist, als ein künstlicher, darf dabei keine Rolle spielen. Warum auch. Beweist mir das Gegenteil. Nun ja, es muss bewiesen werden. Erstens und vor allem, die GmbH ist durchaus nur Vereinigung von Kapital hinter welchem die Menschen als solche, die Gesellschafter verschwinden, nicht immer tatsächlich, aber rechtlich.“ Und noch deutlicher: „Der Gegensatz von Einzel- und Kollektivperson ist handgreiflich. Der Untersatz im Syllogismus der Gegner, dass von der juristischen Person alle Rechtssätze gelten, die im Laufe der Zeit an der natür­ lichen erwachsen sind, ist falsch.“194 Nicht auf alle Befürworter der GmbH & Co KG traf dieser Vorwurf zu. Autoren wie Eltzbacher registrierten durchaus noch, dass sich die Gleichsetzung von natürlicher und juristischer Person nicht von selbst verstand. In seinem viel zitierten Aufsatz von 1896, der wesentlichen Anteil hatte an dem Wandel des Meinungsbildes seit der Jahrhundertwende, stellt er an den Anfang Erörterungen über „die Theilnahmefähigkeit der juristischen Person“. So lautet auch die Überschrift des betreffenden Kapitels. Der dogma192  LG

Hamburg, HansGZ, Hauptblatt 43 (1922), S. 97–99, 97. 105, 101–107, 104: „Es handelt sich in beiden Fällen um Personalund Arbeitsgemeinschaften mit stark persönlichem Einschlage im Gegensatze zu den Kapitalgesellschaften, insbesondere der Aktiengesellschaft. Darauf weisen insbesondere auch die Vorschriften der §§ 106 Nr. 1, 108, 118, 131 Nr. 4, 139, 161 Abs. 2 HGB hin. Aber diese Vorschriften betreffen nur den Regelfall, und es besteht kein rechtliches Hindernis, sie entsprechend auf solche Gesellschaften anzuwenden, welche, wie die GmbH juristische Personen sind. Mit Recht weist bereits Elzbacher … darauf hin, dass ebensowenig aus gewissen Vorschriften der ZPO, welche nur auf natürliche Personen gemünzt sind, z. B. §§ 132, 268, 217 ä.F., der Schluss gezogen werden dürfe, als könnten juristische Personen nicht Prozesspartei sein.“ 194  Erich Brodmann, Gesellschaft m. b. H. und Compagnie. Ein Epilog, JW 1922, S. 1656–1658, 1656. 193  Vgl.RGZ

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tische Ausgangspunkt entsprach also immerhin dem Ansatz Savignys und Puchtas, zugleich steht der Beitrag Eltzbachers freilich schon für das folgenschwere Vertauschen von Regel und Ausnahme. „Die Rechtsfähigkeit der juristischen Person auf dem Gebiete des Vermögensrechtes“, lesen wir, „ist in sämmtlichen deutschen Rechtsgebieten grundsätzlich unbeschränkt. Von einem einzelnen Rechtsverhältniß kann die juristische Person durch ihre besondere Natur ausgeschlossen sein, im Zweifel aber steht sie der natürlichen Person gleich.“195 Von dieser Warte aus ist es nachvollziehbar, wenn Eltzbacher196 den Hinweis auf Regelungstatbestände wie „Tod“ oder „dauerhafte Krankheit“, die nicht so recht zu einer juristischen Person passen wollen, kurzerhand mit der Begründung erledigt, das Gesetz unterscheide „nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen; möglicherweise hat man ja bei seinem Erlass an die Theilnahme juristischer Personen nicht gedacht, aber die mehr oder minder vollständige Erkenntniß des Gesetzgebers von der Tragweite seines Gesetzes kann dessen Auslegung nicht beeinflussen.“197 Die meisten Juristen hatten etwa seit der Jahrhundertwende das Credo von der unbedingten Gleichsetzung auf eine Weise verinnerlicht, dass ihnen die Gegenauffassung mit ihren „so sehr dem Wortlaut und so wenig dem Geiste des Gesetzes“ entlehnten198 Argumenten geradezu absurd erschien. Kurz und bündig formulierte Hachenburg das neue Dogma: „Dass die GmbH fähig ist, Gesellschaftsverträge zu schließen, fließt mit zwingender

195  Paul Eltzbacher, Offene Handelsgesellschaft und Aktiengesellschaft als Theilunternehmerinnen einer offenen Handelsgesellschaft, ZHR 45 (1896), S. 41– 68, 60 f. 196  Paul Eltzbacher, Offene Handelsgesellschaft und Aktiengesellschaft als Theilunternehmerinnen einer offenen Handelsgesellschaft, ZHR 45 (1896), S. 41– 68, 61. 197  Etwas unbeholfen mutet im Vergleich dazu der Versuch anderer Autoren an, den Nachweis zu erbringen, dass der „Tod“ kein exklusives Merkmal der natürlichen Person sei: Zwar gehe dem Ende einer juristischen Person in der Regel eine bewusste Entscheidung voran (Rudolf Schultze-Görlitz, Die Führung des Handels- und Musterregisters, Berlin 1893, S. 160), indes „auch die physische Person kann ihren Tod wollen, indem sie Selbstmord begeht. Demgemäss ist die Auflösung eines Rechtsgebildes dem Tode der physischen Person vollkommen gleich zu stellen“ – Alfred Kunz, Rechtsgebilde als Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, Diss. Breslau 1914, S. 11. Vgl. schon Paul Eltzbacher, Offene Handelsgesellschaft und Aktiengesellschaft als Theilunternehmerinnen einer offenen Handelsgesellschaft, ZHR 45 (1896), S. 41–68, 63. 198  Moll, Kann eine Aktiengesellschaft Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft sein?, Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen [Holdheim’s Monatsschrift] 13 (1904), S. 150–155, 151.



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Notwendigkeit aus ihrer Eigenschaft als selbständige Rechtsperson.“199 Das war übrig geblieben von der Furcht, eine „sittliche Unmöglichkeit“ im Recht zu etablieren. Der Gedanke bereitete offenkundig nur noch wenigen schlaflose Nächte. Heute lässt sich die GmbH & Co KG schon deshalb nicht mehr so ohne weiteres aus der Welt schaffen, weil der Gesetzgeber sie inzwischen dadurch indirekt anerkannt hat, dass er Einzelprobleme dieser Gestaltungsform regelt. Beispielsweise muss nach § 19 Abs. 2 HGB die Firma eine Bezeichnung enthalten, welche die Haftungsbeschränkung kennzeichnet, „wenn in einer offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft keine natürliche Person persönlich haftet“. Ebenfalls auf eine „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit mit (persönlich haftenden) Gesellschaftern, die (gegebenenfalls ausschließlich) keine natürlichen Personen sind“, beziehen sich die §§ 125a, 129a, 130a, 131 Abs. 2, 172 Abs. 6, 172a, 177a, 264a, 264c HGB, § 19 Abs. 3 InsO, § 4 Abs. 1 MitbestG.200 Waren sich die Juristen zu Anfang noch über die Grenzen der Gleichsetzung von Person und Korporation im Klaren, verloren sie diese sowohl in der Theorie als auch in der Praxis zunehmend aus dem Blick. Wer die Personifikation der Kapitalgesellschaft nicht mehr permanent in Frage stellte, dem musste es selbstverständlich erscheinen, dass solche Gesellschaften – als juristische Personen – Grundrechte in Anspruch nehmen oder als persönlich haftende Gesellschafter in eine Handelsgesellschaft eintreten. So selbstverständlich ist es indes – wie gesehen – keineswegs, wenn Kapitalvereinigungen, bloße Rechnungseinheiten des Big Business, deren Anteilsinhaber für Fehlverhalten persönlich nicht haften, Freiheitsrechte in Anspruch nehmen, die auf den Menschen in seiner einzigartigen psychischen und physischen Konstitution zugeschnitten sind, oder wenn sie von dem über Generationen gewachsenen Vertrauen auf die „Ehrbarkeit“ und Solvenz eines Komplementärs profitieren, vom dem man wusste, dass er „mit Haut und Haaren“ für seine Schulden einstehen werde. Entfernt erinnert der beschriebene Prozess an Thomas Kuhns „Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“. Nach einer Phase der kontroversen „Metapherfindung“, in der gewissenhaft der zulässige Anwendungsbereich der Metapher festgelegt wird, gewinnt die „immanente Logik des Bildfeldes“ 199  Max Hachenburg, Steuerlast und Gesellschaftsform. Ein Beitrag zur Besteuerung der Gesellschaften mit beschränkter Haftung, DJZ 1913, Sp. 53–57, 54. 200  Vgl. Karsten Schmidt, Die GmbH & Co KG als Lehrmeisterin des Personengesellschaftsrechts. 18 Leitsätze zum gewandelten Rechtsbild der Kommanditgesellschaft, JZ 2008, S. 425–436, 426; Heinz-Dieter Assmann/Friedrich Kübler, Gesellschaftsrecht. Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, 6. Aufl., Heidelberg 2006, § 22 III.4 S. 356.

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für alle Beteiligten einen solchen Grad an Gewissheit und Prägnanz, dass es kaum noch möglich ist, die Dinge anders zu sehen.201 Selbstverständlich ist es nicht ausgeschlossen, dass etwa dann, wenn eklatante Fehlentwicklungen sichtbar werden, eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen restriktiven Ansätze erfolgt oder die Suche nach einer anderen, geeigneteren konzeptuellen Metapher einsetzt. Allerdings bereitet der Rechtswissenschaft eine solche Korrektur unter Umständen größere Probleme als anderen Disziplinen: Sobald nämlich der Gesetzgeber selbst der metaphorischen Logik folgt, ist es der Rechtsprechung nicht mehr möglich, die Uhren zurück zu drehen, wie der Fall der GmbH & Co KG zeigt. Der Gesetzgeber freilich hat es in der Hand, der metaphorischen Eigendynamik entgegen zu wirken und bestimmte Anwendungen, die der Logik des dominanten Bildfeldes entsprechen, aber zu sachlich falschen Ergebnissen führen, auszuschließen. Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Verfassungsgeber in Art. 19 Abs. 3 GG Gebrauch gemacht, der statuiert, dass die Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten, „soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.“ Die Vorschrift, eine Art konstitutionelle „Metapherbremse“, ist sowohl in rechtsvergleichender als auch in rechtshistorischer Hinsicht ­bemerkenswert. Ähnliche Regelungen finden sich nur in den Verfassungen Italiens (Art. 2 Verf. 1948) und Portugals (Art. 12 Abs. 2 Verf. 1976), nicht aber – wie gesehen – in der Leitkonstitution der westlichen Welt, der amerikanischen Verfassung.202 Auch historische Vorbilder sind rar: Die Verfassung des Königreichs Bayern von 1818 eröffnete Gemeinden die Möglichkeit, Beschwerden über die Verletzung konstitutioneller Rechte der Ständeversammlung vorzutragen; die Paulskirchenverfassung und die preußischen Verfassungen von 1848 und 1850 gewährten Korporationen Petitionsrechte; Art. 153 Abs. 2 S. 4 der Weimarer Reichsverfassung verpflichtete zur Entschädigung bei Enteignungen von Gemeinden und gemeinnützigen Verbänden.203 201  „Es ist fast“, schreibt Kuhn über „Revolutionen als Wandlungen des Weltbildes“, „als wäre die Fachgemeinschaft plötzlich auf einen anderen Planeten versetzt worden, wo vertraute Gegenstände in einem neuen Licht erscheinen und auch unbekannte sich hinzugesellen. Natürlich geschieht in Wirklichkeit nicht ganz dies: es gibt keine geographischen Verpflanzung; außerhalb des Labors gehen die alltäglichen Geschehnisse wie bisher weiter. Und doch, Paradigmawechsel veranlassen die Wissenschaftler tatsächlich, die Welt ihres Forschungsbereichs anders zu sehen. Soweit ihre einzige Beziehung zu dieser Welt in dem besteht, was sie sehen und tun, können wir wohl sagen, dass die Wissenschaftler nach einer Revolution mit einer andere Welt zu tun haben“ – Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1976, S. 123. 202  Horst Dreier, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz: Kommentar, Bd. 1, Tübingen 1996, Art. 19 Abs. 3 Rn. 15. 203  Barbara Remmert, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz: Kommentar, München 2009, Art. 19 Abs. 3 Rn. 2–4.



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Dergleiche beiläufige Erwähnungen deuten darauf hin, dass eine intensivere Beschäftigung mit der Problematik in der deutschen Staats- und Verfassungslehre bis 1919 nicht stattfand. Tatsächlich hat erstmals die Weimarer Staatsrechtswissenschaft das Thema kontrovers diskutiert.204 Nach Ansicht Carl Schmitts kamen Freiheitsrechte „selbstverständlich nur der physischen Einzelperson“ zu205, nach Auffassung Gebhards hingegen sollte es auf das „Wesen“ der einzelnen Freiheitsrechte ankommen206. In dieser Tradition, in der Tradition Gebhards, steht das Bonner Grundgesetz.207 Aus der Perspektive der Verfassungsväter erweiterte demnach Art. 19 Abs. 3 GG den Anwendungsbereich der Grundrechte zu Gunsten der juristischen Person, während die Funktion der Vorschrift heute gerade darin besteht, Vorbehalte gegenüber einer Grundrechtsträgerschaft der juristischen Personen wach zu halten. Dass selbst eine so stabile konzeptuelle Metapher wie die Personifikation gegen Konkurrenz nicht gefeit ist, haben die letzten drei Jahrzehnte gezeigt. Zumindest in den Vereinigten Staaten befindet sie sich seither im Gesellschaftsrecht in der Defensive. Dahinter stehen nicht etwa Kapitalismuskritiker, die ungleich länger und ungleich erfolgloser gegen die Angleichung von natürlicher und juristischer Person im Verfassungsrecht anrennen, sondern ausgerechnet radikale Marktapologeten in der Tradition Friedmans und Hayeks. Ihr Erfolg erklärt sich damit, dass sie – anders als die antikapitalistischen Frondeure – es verstanden, die Verwendung einer alternativen Metapher zu fördern, einer Metapher, die infolge von Veränderungen in der materiellen Welt ohnehin in aller Ohren und Munde war und ist: die Metapher des Netzes und der Verknüpfung (nexus). Dass Gesellschaftsrechtler, die Hayek gelesen hatten, für die Macht der Metaphern sensibilisiert waren, ist nicht verwunderlich, denn der österreichische Jurist und Ökonom, dessen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik und -theorie der 70er und 80er Jahre kaum zu überschätzen ist, betrachtete das Prägen und Verbreiten neuer Sprachbilder als eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben des reanimierten Liberalismus. In einem Kapitel seines „Law, Legislation and Liberty“, das mit „Unsere anthropomorphe Sprache“ über204  Vgl. Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, München 1988, S. 1092–1094; Barbara Remmert, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz: Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rn. 4 f. (Mai 2009). 205  Carl Schmitt, in: Gerhard Anschütz/Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, Tübingen 1932, § 101, S. 572–606, 591. 206  Ludwig Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919, Berlin/Leipzig/München 1932, Vor Art. 109–118, Anm. 6. 207  Zur Entstehungsgeschichte des Art. 19 Abs. 3 GG: Barbara Remmert, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz: Kommentar, München 2009, Art. 19 Abs. 3 Rn. 7–14.

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schrieben ist, bejaht Hayek mit Nachdruck die Frage, ob die allerorten zu beobachtende Faszination für wirtschaftspolitische Steuerung begünstigt wird durch eine fehlerhafte Repräsentation ökonomischer Abläufe und Strukturen. Nach seiner Ansicht sind die meisten Irrtümer juristischer und ökonomischer Theorien so tief in unserer Sprache verwurzelt, dass der Gebrauch der üblichen Ausdrücke den Unachtsamen beinahe zwingend zu falschen Schlüssen, namentlich zu intentionalistischen oder konstruktivistischen Interpretationen, verleitet: „Die Sprache, die wir gebrauchen müssen, hat sich im Verlaufe von Jahrtausenden entwickelt, in denen sich der Mensch eine Ordnung nur als das Produkt eines Entwurfs vorstellen konnte, und in denen er jede Ordnung, die er in den Phänomenen entdeckte, als Beweis für die Handlung eines persönlichen Plans ansah. Infolgedessen sind praktisch alle Ausdrücke, die uns zur Verfügung stehen, um solche Ordnungsstrukturen oder ihr Funktionieren zu beschreiben, mit der Andeutung belastet, dass ein persönlicher Urheber sie geschaffen hat.“ Von der Gesellschaft zu sagen, sie „handle“, beschwöre Assoziationen herauf, die sehr irreführend seien.208 An anderer Stelle setzt sich Hayek kritisch mit der Organismus-Metapher auseinander. Die Interpretation der Gesellschaft als ein Organismus sei seit den Tagen des Menenius Agrippa fast immer zur Stützung hierarchischer oder autoritärer Anschauungen bemüht worden, was nicht überrasche, denn „die Vorstellung von festen, den besonderen Elementen nach ihren bestimmten ‚Funktionen‘ zugewiesenen Plätzen und die sehr viel konkretere Konstanz der biologischen Strukturen“ lasse wenig Raum für die Imagination felixibler, spontaner Ordnungen.209 Hayek kritisierte ausschließlich den Hang, Wirtschaftsordnungen zu „vermenschlichen“. Doch liegt für denjenigen, der sich Hayeks Kritik zu Herzen nimmt, der Gedanke nicht allzu fern, auch die Binnenstruktur einer Wirtschaftsordnung nach anthropomorphen Repräsentationen zu untersuchen und die Personifikation von Kapitalgesellschaften  – als die wichtigsten „Akteure“ westlicher Volkswirtschaften – zu überdenken. Jensen und Meckling gehörten zu den ersten, die sich dieser Aufgabe annahmen. Ihr im Jahre 1976 im „Journal of Financial Economics“ erschienener Aufsatz hat wesentlich dazu beigetragen, eine ganzen Generation von Juristen und Ökonomen in dem Glauben zu bestärken, dass man sich bislang ein völlig falsches „Bild“ von einer Aktiengesellschaft gemacht habe.210 Diese sei in Wahrheit 208  Friedrich August von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnung, übers. von Martin Suhr, München 1980, S. 44. 209  Friedrich August von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnung, übers. von Martin Suhr, München 1980, S. 77. 210  Michael C. Jensen/William H. Meckling, Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure, Journal of Financial Economics 3 (1976), S. 305–360.



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kein einheitliches „Gebilde“, erst recht keine „Person“, sondern lediglich ein nexus of contracts, ein set von Verträgen.211 Jensen und Mecklings Plädoyer, inspiriert von der auf Coase zurückgehenden theory of the firm212, stand am Anfang einer Entwicklung, die Anhänger wie Gegner als eine Revolution des Gesellschaftsrechts, ja schlechthin des Privatrechts erlebten. In mancher Hinsicht erinnert das Pathos, das den Wandel begleitete, an Gierkes feurige Eloge auf die „reale Verbandspersönlichkeit“. „Corporate law“, schrieb unlängst eine Sympathisantin, „is a field that underwent as thorough a revolution in the 1980s as can be imagined, in scholarship and in practice, methodogy, and organization. The term ‚revolution‘ is invoked all too often in popular culture, but … it is entirely apt in this case. The revolution in corporate law has been so thor­ ough and profound that those working in the field today would have considerable difficulty recognizing what it was like twenty-five to thirty years 211  „Viewed this way, it makes little or no sense to try to distinguish those things which are ‚inside‘ the firm (or any other organization) from those things that are ‚outside‘ of it. There is in a very real sense only a multitude of complex relationships (i. e., contracts) between the legal fiction (the firm) and the owners of labor, material and capital inputs and the consumers of output. Viewing the firm as the nexus of a set of contracting relationships among individuals also serves to make it clear that the personalization of the firm implied by asking questions such as ‚what should be the objective function of the firm‘, or ‚does the firm have a social responsibility‘ is seriously misleading. The firm is not an individual. It is a legal fiction which serves as a focus for a complex process in which the conflicting objectives of individuals (some of whom may ‚represent‘ other oganizations) are brought into equilibrium within a framework of contractual relations. In this sense the ‚behavior‘ of the firm is like the behavior of a market; i. e., the outcome of a complex equilibrium process. We seldom fall into the trap of characterizing the wheat or stock market as an individual, but we often make this error by thinking about organizations as if they were persons with motivations and intentions“ – Michael C. Jensen, William H. Meckling, Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure, Journal of Financial Economics 3 (1976), S. 305–360, 311. 212  Ronald H. Coase, The Nature of the Firm, Economia N.S. 4 (1937), S. 386– 405. Vgl. ferner die Beiträge in Oliver E. Williamson/Sidney G. Winter (Hrsg.), The Nature of the Firm. Origins, Evolution, and Development, Oxford/New York 1991; Oliver E. Williamson, Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus, übers. von Monika Streissler, Tübingen 1990; insbes. S. 238–298; ders., Corporate Governance, Yale Law Journal 93 (1984), S. 1197–1231; Arman A. Alchian/Harold Demsetz, Production, Information Costs, and Economic Organization, American Economic Review 62 (1972), S. 777–795; William A. Klein, The Modern Business Organiza­ tion: Bargaining Under Constraints, Yale Law Journal 91 (1982), S. 1521–1564. Kritisch: William W. Bratton Jr., The New Economic Theory of the Firm: Critical Perspectives from History, Stanford Law Review 41 (1989), S. 1471–1528; ders., The „Nexus of Contracts“ Corporation. A Critical Appraisal, Cornell Law Review 74 (1989), S. 407–465.

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ago.“213 Ähnlich hatte sich Kornhauser bereits Ende der 80er Jahre geäußert. Ihm bereitete die „Revolution“ allerdings Unbehagen: „Critics and advocates agree that a revolution, under the banner ‚nexus of contracts‘, has in the last decade swept the legal theory of the corporation. Though the revolution has undoubtedly transformed not only our understanding of the law, but the law itself, the nature and significance of that transformation remain obscure because, in some sense, the revolution has simply replaced one legal metaphor, the trust, with another legal metaphor, the nexus of contracts.“214 Die juristische Revolution war also nach Kornhausers Überzeugung eine Revolution der Metaphern. Was ihn offenbar beunruhigte und irritierte, war der Umstand, dass die Anhänger der Nexus-of-contracts-Doktrin zwar mit einem enormen Aufwand eine neue Leitmetapher im Gesellschaftsrecht implementiert, jedoch nicht mit dem gleichen Aufwand untersucht hatten, ob die revolutionären juristischen Veränderungen, die sich daraus ergaben, zu gerechten und wirtschaftlich sinnvollen Ergebnissen führten. Auch in Deutschland hat es Versuche gegeben, die überkommenen anthro­ pomorphen Denkfiguren über Bord zu werfen,215 doch waren diese Versuche bislang bei weitem nicht so erfolgreich wie in den Vereinigten Staaten. Hierzulande steht nicht zur Debatte, die Personifikation gegen eine andere konzeptuelle Metapher auszutauschen, sondern es wird erwogen, sie ersatzweise oder zusätzlich auf andere Sachverhalte anzuwenden. Solche Bestrebungen sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass aufgrund ökonomischer und kautelarjuristischer Innovationen Rechtsträgerschaft und Organisation, die im 19. Jahrhundert noch eine Einheit bildeten, sich seit einiger Zeit auseinander entwickeln. Paradebeispiel ist der Konzern als die „denkbar engste Zusammenfassung mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen zu einer neuen wirtschaftlichen Einheit unterhalb der Schwelle der Fusion“216. Diese Definition bildet die herrschende Meinung ab, die den Konzern nicht als rechtliche, sondern nur als wirtschaftliche Einheit anerkennt. 213  Roberta Romano, After the Revolution in Corporate Law, Journal of Legal Education 55 (2005), S. 342–359, 342. 214  Lewis A. Kornhauser, The Nexus of Contracts Approach to Corporations. A Comment on Easterbrook and Fischel, Columbia Law Review 89 (1989), S. 1449– 1460, 1449. Vgl. auch Jeffrey N. Gordon, The Mandatory Structure of Corporate Law, Columbia Law Review 89 (1989), S. 1549–1598, 1549 f.; Jan von Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, Tübingen 2008, S. 619 f. 215  Gunther Teubner, Unitas Multiplex. Das Konzernrecht in der neuen Dezentralität der Unternehmensgruppen, ZGR 1991, 189–217, insbes. 204 f.; ders., Recht als autopoietisches System, Frankfurt am Main 1989, S. 149–185. 216  Volker Emmerich/Mathias Habersack, Konzernrecht, 9. Aufl., München 2008, § 4 Rn. 1.



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Wirklich befriedigend ist das nicht. Karsten Schmidt hat das Dilemma wie folgt beschrieben: „Gehen wir von der Realität etablierter Organisationen aus, so steht ein konsolidiertes Konzerngebilde vor uns als ein Vorhandenes, nicht als bloß Gedachtes. Je umfassender dann die einheitliche Leistung (§ 18 Abs. 1 AktG) ist, um so mehr scheinen die in ihm verbundenen ‚rechtlich selbständigen Unternehmen‘ (§ 15 AktG) im Nebel des Virtuellen zu verschwinden und zu bloßen Konzernorganen des ganz in den Vordergrund gerückten ‚Konzernunternehmens‘ zu verkümmern. Gehen wir umgekehrt von den ‚rechtlich selbständigen Unternehmen‘ (§ 15 AktG) aus, so erscheint uns die Unternehmensgruppe zunächst nur als die Summe der Konzernglieder: als Vielheit im Dienst der nur virtuellen, weil eben nicht zum Rechtssubjekt hypostasierten, mithin nicht ‚rechtlich selbständigen‘ Einheit ‚Konzern‘. Dieser Befund überfordert unsere Schulweisheit und wird deshalb als Paradoxon wahrgenommen.“217 Für die Gesellschaftsrechtswissenschaft ist die Bewältigung dieses Paradoxon eine Jahrhundertaufgabe, zumal Konzerne nicht die einzigen virtuellen Rechtsträger sind.218 Es wächst also die Bereitschaft, die rechtliche Selbständigkeit von Konzernunternehmen in Frage zu stellen und sich stärker an den ökonomischen Realitäten zu orientieren.219 Die Diskussion um ein Konzernverfassungsrecht weist in diese Richtung.220 Besonders leicht für die Praxis zu handhaben und daher besonders verlockend wäre es, die Personifikation gleich217  Karsten Schmidt, Konzernunternehmen, Unternehmensgruppe und KonzernRechtsverhältnis. Gedanken zum Recht der verbundenen Unternehmen nach §§ 15 ff., 291 ff. AktG, in: Uwe H. Schneider u. a. (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter zum 70.  Geburtstag, Köln 2000, S. 1167–1192, 1174. 218  „Gegliederte Konzernstrukturen unter dem Dach eines einzigen Rechtsträgers, virtuelle Handelsgesellschaften in der Form organisierter Innengesellschaften und eben auch Unternehmensgruppen als organisierte Einheitsgebilde lehren uns, dass die Inkongruenz von Rechtsträgerschaft und Organisation kein Paradoxon bleiben darf, sondern Rechtsfolgen haben muss, die über die Korrektur bloß schuldrecht­ licher Rechte und Pflichten unter ‚rechtlich selbständigen Unternehmen‘ weit hinausgehen“ – Karsten Schmidt, Konzernunternehmen, Unternehmensgruppe und Konzern-Rechtsverhältnis. Gedanken zum Recht der verbundenen Unternehmen nach §§ 15 ff., 291 ff. AktG, in: Uwe H. Schneider u. a. (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter zum 70.  Geburtstag, Köln 2000, S. 1167–1192, 1174. Vgl. auch Tim Florstedt, Der „stille Verband“, Köln 2007, S. 1 f. 219  Volker Emmerich/Mathias Habersack, Konzernrecht, 9. Aufl., München 2008, § 4 Rn. 8. 220  Vgl. dazu Marcus Lutter, Organzuständigkeit im Konzern, in: Marcus Lutter/ Hans Joachim Mertens/Peter Ulmer (Hrsg.), Festschrift Stimpel, Berlin 1985, S. 825–854; Wolfram Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze. Die Zuständigkeitsordnung bei der Konzernbildung und Konzernumbildung, Köln u. a. 1980; Peter Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht. Zentrale Aspekte eines Konzernverfassungsrechts, Köln u. a. 1982; Veit Denzer, Konzerndimensionale Beendigung der Vorstands- und Geschäftsführerstellung, Berlin 2004.

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sam nur um eine Ebene zu verschieben, so dass dann der Konzern als der Einheit stiftende „Rechtskörper“ erschiene. Die einzelnen Konzernunterneh­ men könnten metaphorisch als „Organe“ repräsentiert werden. Im Steuerrecht hat sich eine solche Betrachtungsweise teilweise schon durchgesetzt. Verpflichtet sich etwa eine Aktiengesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist nach § 14 Abs. 1 S. 1 KStG unter bestimmten Umständen das Einkommen der Aktiengesellschaft dem Träger des Unternehmens zuzurechnen. Das Gesetz selbst bezeichnet die sich verpflichtende Gesellschaft als „Organgesellschaft“ und den Träger des Unternehmens als „Organträger“. Ob sich die Einheitsbetrachtung auch im Gesellschafts- und Konzernrecht durchsetzen kann, ist dennoch ungewiss. Gegen sie spricht, dass eine Reihe von Rechtsinstituten keinen Sinn ergeben oder nur schwer verständlich sind, wenn man dem Konzern und nicht mehr den einzelnen Gesellschaften Rechten und Pflichten zuweist. Das gilt beispielsweise für die Verschmelzung nach §§ 2 ff. UmwG und die Spaltung nach §§ 123 ff. UmwG.221 Vielleicht würde es der Gesellschaftsrechtswissenschaft heute leichter fallen, auf die Herausforderungen des modernen Wirtschaftslebens zu reagieren, wenn zu den Zeiten, als das Kapitalgesellschaftsrecht noch jung und unbelastet von gesetzlichen Vorgaben war, Rechtswissenschaft und Rechtsprechung sich auf die Seite der Einheitstheorie geschlagen hätten. Immerhin hatte Isay222 zu einem sehr frühen Zeitpunkt (1910) für eine „einheitliche Betrachtung“ plädiert. Wenn dem holistischen Ansatz die Literatur223 und (nach anfänglichen Sympathien224) auch die Gerichte225 die Anerkennung versagten, dann nicht 221  Karsten

Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., Köln 2002, § 17 I 2.b. S. 490. Isay, Das Recht am Unternehmen, Berlin 1910. 223  Kritisch zu Isay insbesondere Fritz Haussmann, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen, Mannheim/Berlin/Leipzig 1926, S. 92–97; Hellmuth Fricke, Mutter- und Tochtergesellschaft im Aktien- und Steuerrecht, Zentralblatt für Handelsrecht 1928, S. 313–330, 361–376, 316; Wilhelm Ludewig, Hauptprobleme der Reform des deutschen Aktienrechts, Marburg 1929, S. 173 f.; Egbert Bülter, Die Einheitstheorie und die Organtheorie im Rechte der Unternehmenszusammenfassungen, Diss. Göttingen 1931, S. 24–27. Vermittelnd („relativer Konzernbegriff): Heinrich Friedländer, Konzernrecht. Das Recht der Betriebs- und Unternehmenszusammenfassungen, Mannheim/Berlin/Leipzig 1927, S. 42–45; Peter Hecker, Die rechtlichen Grundformen der Konzernorganisation, Diss. Freiburg i. Br. 1928, S. 22–25. Vgl. auch Heinrich Kronstein, Die abhängige juristische Person, Berlin 1931, S. 3. 224  RGZ 108, 41, 43 („Neu-Straßfurt“). 225  RGZ 115, 246, 253. 222  Rudolf



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zuletzt deshalb, weil eine ingeniöse Metapher zur Verfügung stand, die versprach, individuelle Rechtsträgerschaft und überindividuelle Bindung miteinander zu versöhnen. Der Kunstgriff, der dies leistete, war die Repräsentation des Konzerns als „Familie“ – mit „Mutter-“, „Tochter-“ und „Enkel-“ Gesellschaften. Die Ausformung dieses Bildes fällt genau in jene Zeit, als das Schicksal der Einheitstheorie besiegelt wurde. Wie häufig bei der Konstituierung eines Faches, so war auch im frühen Konzernrecht die Wahl der Leitmetapher alles andere als unumstritten. Man erfasste intuitiv die Bedeutung, die dem Sprachbild für die Rechtsfindung zukommt, wenngleich in diesem Fall die Sorge einer eher harmlosen Fehldeutung galt und nicht den eigentlich problematischen Implikationen. So ist in einem steuerrechtlichen Kommentar aus dem Jahre 1920 zu lesen, das Verhältnis von „Mutter“- und „Tochtergesellschaft“ eigne sich nicht zur Beschreibung des Falles, dass eine Gesellschaft erst später Aktien einer schon bestehenden Gesellschaft erwerbe.226 Noch deutlicher formulierte es Passow: „Ich will nicht geltend machen, dass Töchter wohl oft im Laufe der Zeit aus dem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der Mutter herauswachsen, aber für mein Sprachgefühl gehört es zum Begriff der Tochtergesellschaft, dass sie von der Muttergesellschaft gegründet, ins Leben gesetzt ist. Das aber ist bei den Konzernen vielfach ja gar nicht der Fall, da es sich oft darum handelt, dass erst nachträglich die Herrschaft über Gesellschaften, die vielleicht viel älter sind als die ‚Muttergesellschaft‘, erworben ist.“227 Durchsetzen konnten sich die Kritiker nicht. Andere Autoren wie Haussmann228 oder Fricke räumten zwar ein, dass die „genetische Vorstellung“ dem Sprachgefühl entspreche, dafür aber seien die Begriffe „Mutter-“ und „Tochtergesellschaft“ nicht so „farblos“ wie etwa „Ober-“ und „Untergesell­ schaft“.229 Die Gewöhnung verhalf der ausdrucksstärkeren Metapher zum Sieg. Bald war der Streit vergessen. Annex: West-östliche Rechtsästhetik (I) Wenngleich es gute Gründe dafür gibt, den Begriff der juristischen Person nicht zu überdehnen und es bei einer Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zu belassen, so besteht doch bei einem solchen Vorgehen die Gefahr, 226  Georg Strutz, Kommentar zum Gesetz über eine Kriegsabgabe von Vermögenszuwachs und zum Gesetz über eine außerordentliche Kriegsabgabe für das Rechnungsjahr 1919, Berlin 1920, § 18 KriegsabgabenG, Anm. II.3 (S. 405). 227  Richard Passow, Betrieb, Unternehmung, Konzern, Jena 1925, S. 109. 228  Fritz Haussmann, Die Tochtergesellschaft. Eine rechtliche Studie zur Konzernbildung und zum Effektenkapitalismus, Berlin 1923, S. 22. 229  Hellmuth Fricke, Mutter- und Tochtergesellschaft im Aktien- und Steuerrecht, Zentralblatt für Handelsrecht 3 (1928), S. 313–330, 361–376, 315.

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den Anteil der Vormoderne an der Entwicklung zu übersehen oder nicht angemessen zu gewichten. Auch in der Geschichte der Denkfiguren gibt es eine Ebene der longue durée. Aus universalhistorischer Perspektive versteht sich die Bereitschaft, andere Geschöpfe als Menschen am Rechtsverkehr teilhaben zu lassen, nicht von selbst. Unser vertrauter Umgang mit Wesen, die nur in der Vorstellung existieren, lässt sich nicht allein mit der Menschen aller Kulturen eigenen Befähigung zur Personifikation erklären, sondern setzt einen sinnlich vermittelten Kult des Körperlichen voraus, eine Inszenierung des menschlichen Leibes als Objekt der Sehnsucht und Andacht. Wer die Genese der juristischen Person seit der Antike in den Blick nimmt, dem wird nicht entgehen, dass dieses Konzept einem Milieu entwachsen ist, das über ein Jahrtausend lang die visuelle Kultur Europas prägte, eine visuelle Kultur, in deren Mittelpunkt die Darstellung und Überhöhung des menschlichen Körpers stand: Es war die Kirche, die sich als eine „Rechtsperson“ erfand und zugleich auf beispiellose Weise die Gestalt des Religionsstifters – den Leib Christi – zu einem Signet des Glaubens stilisierte. Grundlegende Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass Paulus in seinen Briefen immer wieder einen Zusammenhang herstellt zwischen der Kirche (Orts- oder Gesamtgemeinde) und dem Leib Christi.230 „Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben,“ heißt es in Rom. 12, 4. 5, „aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied.“ Und in 1 Cor. 10, 16. 17: „Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot ist’s: So sind wir viele ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben.“ Besonders intensiv widmet sich Paulus der Corpus Christi-Metaphorik und ihren Implikationen in 1 Cor. 12, 12–31. Nicht nur dass der Apostel der Gemeinde zuruft „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied“ (27), durch einen Geist „alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie“ (13), 230  Dazu eingehend Heinrich Schlier, Art. „Corpus Christi“, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 3, Stuttgart 1957, Sp. 437–453, 437–439; Gerhard Dohrn-van Rossum/Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organ, Organismus, Politischer Körper, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. IV, Stuttgart 1978, S. 519–622, 533–535; Hasso Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 3. Aufl., Berlin 1998, S. 121 f.; Tilman Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1978, S. 21–24; Albrecht Koschorke/Susanne Lüdemann/Thomas Frank/Ethel Matala de Mazza, Der fiktive Staat. Konstruk­ tionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankfurt am Main 2007, S. 69–77.



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er veranschaulicht auch das Verhältnis des Einzelnen zu seiner Gemeinde anhand der Beziehung des einzelnen Körpergliedes zum Gesamtorganismus: „Wenn aber alle Glieder ein Glied wären, wo bliebe der Leib? Nun aber sind es viele Glieder, aber der Leib ist einer. Das Auge kann nicht sagen zu der Hand: Ich brauche dich nicht; oder auch das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht. Vielmehr sind die Glieder des Leibes, die uns die schwächsten zu sein scheinen, die nötigsten … Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ Das zuletzt angeführte Beispiel – die Unmöglichkeit einer Verselbständigung der einzelnen Glieder oder Organe – deutet darauf hin, dass Paulus an griechische und römische Traditionen anknüpfte. Als Vorbild in Betracht kommt namentlich die jedem gebildeten Römer geläufige und unter anderem bei Livius (2, 32) überlieferte Fabel des Menenius Agrippa. Jener Senator soll, wie schon erwähnt, das Kunststück vollbracht haben, die rebellische römische Plebs zur Anerkennung des Primats des Senats allein mit Hilfe einer Geschichte, der Fabel vom Aufstand der Glieder gegen den Magen, zu bewegen. Bereits Platon hatte in seiner Politeia die Polis an mehreren Stellen ausdrücklich mit einem Körper verglichen.231 Einen nachhaltigen Einfluss auf spätere Generationen übte ferner die von Platon im Timaios eingeführte Idee von der körperlichen Existenz der Welt aus.232 Die Vorstellung vom Kosmos als einem erschaffenen Lebewesen hat dann die stoische Philosophie weiter entwickelt. Bei Cicero, Seneca, Marc Aurel und zahlreichen anderen von den Ideen der Stoa beeinflussten Autoren taucht die Gleichsetzung der Menschheit mit einem großen Organismus in verschiedenen Spielarten auf.233 „Wie zwangsläufig der ganze Körper geschwächt würde und zugrunde ginge“, schreibt Cicero in De officiis (3, 22), „wenn jedes einzelne Glied so dächte, dass es annähme, es könne Lebenskraft haben, wenn es sich die Lebenskraft eines benachbarten Gliedes geholt habe, so müssen auch die Gemeinschaft und die Verbindung vernichtet werden, wenn jeder Einzelne von uns den Besitz der anderen an sich risse und jedem soviel wie möglich um des eigenen Vorteils wegnähme.“234 231  Plat.

Pol. 465b2, 556e. Tim. 30b.d; 34 b ff. 233  Tilman Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1978, S. 18–21; Gerhard Dohrn-van Rossum/Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organ, Organismus, Politischer Körper, in: Otto Brunner/Werner Conze/ Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. IV, Stuttgart 1978, S. 519–622, 526. 234  M. Tullius Cicero, Vom pflichtgemäßen Handeln, in: ders., Ausgewählte Werke, Bd. 1: Philosophische Schriften, hrsg. und übers. von Rainer Nickel und Olof Gigon, Düsseldorf 2008, S. 139. 232  Plat.

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Im Ganzen betrachtet ist die politische Corpus-Metaphorik antiker Autoren freilich recht allgemein und unspezifisch.235 Neben Kosmos und Menschheit werden gelegentlich auch regnum236, civitas237, res publica238 und imperium239 als „Körper“ veranschaulicht. Die Kirchenväter und -schriftsteller der Alten Kirche – wie Cyprian240 und Augustinus241 – hingegen beziehen corpus (überdies ein ganz bestimmtes, individualisiertes corpus) im Anschluss an Paulus vornehmlich auf eine konkrete Institution, nämlich auf die Kirche als Gesamtheit aller Gläubigen.242 Die Theologen des Mittelalters behielten diesen Sprachgebrauch bei, nur die Attribute änderten sich: Findet sich in karolingischer Zeit für den eucharistischen Leib Christi die Bezeichnung „corpus Christi mysticum“ (im Unterschied zu dessen „corpus verum“), spricht man seit dem 12. Jahrhundert für die Eucharistie vom „corpus verum Christi“, während die Kirche als Institution zum „corpus Christi mysticum“ wurde.243 „Sicut tota Ecclesia“, heißt es bei Thomas von Aquin, „dicitur unum corpus mysticum per similitudinem ad naturale corpus hominis“.244 In der Bulle „Unam Sanctam“ von 1302 bekräftigt Bonifaz VIII. den Satz, dass die Heilige Kirche sich im mystischen

235  Vgl. die Nachweise in Tilman Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1978, S. 24–35; Gerhard Dohrn-van Rossum/Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organ, Organismus, Politischer Körper, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. IV, Stuttgart 1978, S. 519–622, 526–531. 236  Aen. 11, 313. 237  Liv. 26, 16, 9. 238  Cic., off. 1, 85; Tac., ann. 1, 12. 239  Ov., trist 2, 231 f.; Tac., hist. 1, 16. 240  Cyprian, De unitate ecclesiae 23 (Migne, Patr. Lat. Bd. 4 [1891] 534). 241  Augustin, Enarratio in psalmos 56, 1; 62, 2. 242  Vgl. Tilman Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1978, S. 22–24; Gerhard Dohrn-van Rossum/Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organ, Organismus, Politischer Körper, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. IV, Stuttgart 1978, S. 519–622, 535–538. 243  Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990, S. 206–217; Gerhard Dohrn-van Rossum/Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organ, Organismus, Politischer Körper, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. IV, Stuttgart 1978, S. 519–622, 540. 244  Thomas von Aquin, S. th. 3, qu. 8, art. 1; vgl. auch Hasso Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 3. Aufl., Berlin 1998, S. 121–132.



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Leib Christi darstelle, der nur ein Haupt trage (und nicht zwei wie ein Ungeheuer).245 Mit einiger Verzögerung – lange nach des Paulus Worten von der „Gemeinschaft des Leibes Christi“ – machten sich Tendenzen bemerkbar, die als „corpus Christi“ imaginierte Kirche als eine verselbständigte rechtliche Einheit zu begreifen, als eine zur Institution verdichtete Einheit, unter der man sich nicht mehr nur die Versammlung der Gläubigen vorstellte.246 Verbargen sich hinter der bereits für das 4. Jahrhundert nachweisbaren kaiserlichen Erlaubnis, die ecclesia als Erbe einzusetzen,247 wohl nur ökonomische Erwägungen, so deutet die insbesondere von Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert vorangetriebene Ausstattung der Kirche mit weiter gehenden zivilrechtlichen und zivilprozessualen Kompetenzen auf ein sich allmählich verfestigendes institutionelles Denken hin: Die Kirche kann, verlautbarten in den Jahren 529 / 530 ergangene Erlasse, durch ihre Bischöfe Rechtsgeschäfte abschließen (bestimmte Geschäfte werden allerdings – zum Schutze der Kirche – für ungültig erklärt)248 und Prozesse führen (in dem Fall: Klage auf Rückgabe geweihter heiliger Gefäße und Gewänder erheben).249 Just zu dieser Zeit, im 6. Jahrhundert, freundeten sich Christen in Ost und West mit der Verehrung von (Kult-)Bildern an. Auch die offizielle Kirche akzeptierte diese neue Praxis.250 Das war ein grundstürzender, tiefer Einschnitt in der Geschichte des Christentums, denn bislang hatten das alttestamentarische, in Ex 20, 4–6 und Dtn 5, 8–10 niedergelegte Bilderverbot gegolten: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.“ Da das Bilderverbot in 245  Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus, hrsg. von Carl Mirbt, 4. Aufl., Tübingen 1924, S. 210 f. 246  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 2: Die nachklassischen Entwicklungen, 2. Aufl., München 1975, S. 156 f. Zur (spät-)antiken (Vor-)Geschichte der juristischen Person vgl. auch Ludwig Schnorr von Carolsfeld, Geschichte der juristischen Person, Bd. 1: universitas, corpus, collegium im klassischen römischen Recht, München 1933; P. W. Duff, Personality in Roman Private Law, Cambridge 1938; Arnold Erhardt, Das Corpus Christi und die Korporationen im spät-römischen Recht, ZRG (RA) 70 (1953), S. 299–347; Alexander Philipsborn, Der Begriff der juristischen Person im römischen Recht, ZRG (RA) 71 (1954), S. 41–70. 247  C. 1, 2, 1 (Konstantin [321]). 248  C. 1, 2, 24 (Justinian [530]). 249  C. 1, 2, 21 pr. (Justinian [529]). 250  Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1990, S. 54; J. Kollwitz, Art. „Bild III (christlich)“, in: Real­ lexikon für Antike und Christentum, Bd. 2, Stuttgart 1954, Sp. 318–341, 325; Hans Georg Thümmel, Art. „Bilder V/1: Byzanz“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 6, Berlin/New York 1980, S. 532–540, 532.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Ex 20 in einem engen Zusammenhang mit dem Verbot der Verehrung fremder Götter steht, ist zu vermuten, dass es der Abgrenzung gegenüber konkurrierenden Kulten im alten Israel diente.251 Eine ähnliche Funktion erfüllte das Verbot auch in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten, als es darauf ankam, das Christentum in Opposition zur traditionellen römischen Staatsreligion zu positionieren. Man polemisierte gegen die Bilder der heidnischen Götter, die ohne jede Empfindung und ohnmächtig, bar jeder eigenen Kraft, seien, was sich schon daraus ergebe, dass Spinnen, Vögel und Mäuse in ihnen nisteten.252 Die Gottheit sei in einem irdischen Bildnis nicht zu erfassen, heißt es bei Eusebius und Epiphanius, toter Stoff und Farbe könne sie nicht nachbilden.253 Dennoch sind erste christliche Ikonen – zumindest in schriftliche Quellen – schon für das 4. Jahrhundert nachweisbar.254 Auch gab es damals aus dem Kreise der Gläubigen immer wieder Anfragen bei den Theologen und Bischöfen, ob man von einem Bildnis Christi wisse und, wenn ja, wie es beschaffen sei.255 In den nächsten ein bis zwei Jahrhunderten gelang es der Kirche noch leidlich, sich solchen Bestrebungen zu widersetzen, doch dann brachen alle Dämme, wohl auch, weil sich das Christentum inzwischen als Staatsreligion so gefestigt hatte, dass die Notwendigkeit zur Abgrenzung gegenüber anderen Religionen und Kulten entfiel. Ohne Scheu knüpfte man sogar an heidnische Traditionen an. Insbesondere die Verehrung des Kaiserbildes diente als Vorbild. Wie dieses wurden auch die Christus- und Heiligenikone in feierlichen Prozessionen eingeholt, auf einen Thron getragen, mit goldenen Zeptern, Weihrauchfässern und Lichtern geschmückt, geküsst, gewaschen usw. Das Bild kam als Taufpate in Betracht, vor ihm schwur man Eide und schloss Ehen.256 Parallel dazu gewann die Partei der Bildbefürworter auch theologisch an Boden. Das zentrale Argument war und ist denkbar einfach: Weil Christus als Mensch geboren wurde, dürfen, ja müssen die Menschen ihn auch als ihresgleichen abbilden. Dadurch, dass der 251  Vgl. Peter Welten, Art. „Bilder II: Altes Testament“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 6, Berlin/New York 1980, S. 517–521, 520 f. 252  J. Kollwitz, Art. „Bild III (christlich)“, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 2, Stuttgart 1954, Sp. 318–341, 319. 253  J. Kollwitz, Art. „Bild III (christlich)“, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 2, Stuttgart 1954, Sp. 318–341, 324. 254  Martina Pippal, Kunst des Mittelalters. Eine Einführung, 3. Aufl., Wien u. a. 2010, S. 114. 255  J. Kollwitz, Art. „Bild III (christlich)“, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 2, Stuttgart 1954, Sp. 318–341, 321. 256  J. Kollwitz, Art. „Bild III (christlich)“, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 2, Stuttgart 1954, Sp. 318–341, 325–327, 329 f. (mit umfangreichen Quellenbelegen); Hans Georg Thümmel, Art. „Bilder V/1: Byzanz“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 6, Berlin/New York 1980, S. 532–540, 532 f.



II. Studien zur Ästhetik des Privatrechts101

Logos Fleisch annahm, wurde das Bilderverbot des Alten Testaments aufgehoben. Bilderfeindschaft stellt die Wirklichkeit der Menschwerdung in Frage.257 Die Bildverächter gaben sich indes so schnell nicht geschlagen. Im Osten eskalierte der Konflikt im großen Bilderstreit des 8.–9. Jahrhundert. Er begann mit bildfeindlichen Predigten Kaiser Leos III. im Jahr 726 und der Entfernung des Christusbildes am Chalke-Tor des Palastes. Drei Jahrzehnte später erklärte ein Konzil unter Kaiser Konstantin III. die Herstellung und Verehrung von Bildern für häretisch. Es kam zu ikonoklastischen Ausschreitungen und Verfolgungen. Doch in der Mitte des 9. Jahrhundert gewannen die Ikonodulen wieder die Oberhand – diesmal dauerhaft. Im Jahre 843 stellte die Kaiserwitwe Theodora die Bilderverehrung wieder her.258 Im Westen verlief die Entwicklung nicht ganz so stürmisch, wenngleich auch hier die Frage der Bilderverehrung im 8. und 9. Jahrhundert kontrovers diskutiert wurde. Die Synode von Nicäa (787) dekretierte, dass dem heiligen Kreuz, den Bildern Christi, der Gottesmutter, der Engel und der Heiligen andächtige Verehrung mit Lichtern und Weihrauch zuteil werden dürfe.259 Eine andere Position vertraten die fränkischen Theologen um Karl den Großen. Die „Libri Carolini“ von 791 sprachen sich zwar gegen Bilderzerstörung aus, lehnten aber ebenso eine Anbetung derselben ab.260 Vergeblich. Die römische Kirche behielt ihre bildfreundliche Position bei (ohne indes die Bildmetaphysik der griechischen Theologen zu überneh­ men)261 und avancierte im Verlaufe des Mittelalters zur bedeutendsten Förderin der figürlichen, gegenständlichen Kunst. Großkruzifixe mit dem gemarterten „corpus Christi“ (wie das Gerokreuz im Kölner Dom) sowie Altarbilder, Fresken, Reliefs und Mosaike mit dem Konterfei des Heilands prägten und dominierten über Jahrhunderte die visuelle Kultur der christlichen Welt. In diesem Rahmen vollzogen sich wichtige Entwicklungsschritte hin zu der Vorstellung einer von den einzelnen Mitgliedern einer Personengesamtheit und der Gesamtheit selbst gänzlich abstrahierten und davon verschie257  J. Kollwitz, Art. „Bild III (christlich)“, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 2, Stuttgart 1954, Sp. 318–341, 324, 336. 258  Hans Georg Thümmel, Art. „Bilder V/1: Byzanz“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 6, Berlin/New York 1980, S. 532–540, 534 f. 259  Walther von Loewenich, Art. „Bilder V/2: Westen“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 6, Berlin/New York 1980, S. 540–546, 540. 260  Walther von Loewenich, Art. „Bilder V/2: Westen“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 6, Berlin/New York 1980, S. 540–546, 540 f. 261  Walther von Loewenich, Art. „Bilder V/2: Westen“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 6, Berlin/New York 1980, S. 540–546, 543.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

denen („fiktiven“) Person. Im Zentrum jenes gedanklichen Ablösungs- und Translationsprozesses stand die ecclesia. Bahnbrechende Beiträge stammen von den Kanonisten des 13. Jahrhunderts, allen voran von Innozenz IV.262 Entscheidend ist zu erkennen, dass es sich bei der Formel „corpus Christi“, die seit Paulus zur Bezeichnung der Kirche, der Gemeinschaft der Gläubigen, Verwendung fand, um keine blasse Façon de parler, um keine kalte, ausdruckslose Metapher handelte. Die von keinem Bilderverbot beschwerte zeitgenössische kultische und künstlerische Praxis vor Augen, war der Körper des Erlösers vielmehr eine höchst reale, allgegenwärtige, in der täglichen Andacht erlebte Erscheinung. Auf die Weise wurde der juristische Anthropomorphismus permanent aktualisiert. Erst durch die existentielle, „zwischenmenschliche“ Identifikation mit dem sinnlich präsenten Leib Christi konnte die Vorstellung einer kollektiven Vielheit der Gläubigen, auf die sich das Bild ursprünglich bezog, so in den Hintergrund treten, dass sie rechtlich keine Wirkung mehr entfaltete. Einmal in der Welt war die Idee eines autonomen Rechts-corpus auf weltliche Gemeinschaften und Vereinigungen übertragbar. Ihrer bedienten sich namentlich die Theologen und Juristen, die den aufstrebenden nationalen Monarchien im Westen Europas eine tragfähige Legitimationsgrundlage zu verschaffen suchten. So rief Philipp der Schöne 1305 dem Klerus von Tours zu, auch er solle sich als Teil des nationalen corpus begreifen, und in England war schon 1483, in einem Predigerentwurf zur Parlamentseröffnung, vom „politik body of Englonde“ die Rede.263 Insbesondere Kantorowicz hat wiederholt darauf hingewiesen, „wie sehr die spätmittelalterlichen und modernen Staaten direkt vom kirchlichen Modell beeinflusst waren, vor allem von dem allumfassenden geistlichen Prototyp körperschaftlicher Begriffe, dem corpus mysticum der Kirche.“264 Ähnliches lässt sich von den Vorläufern moderner Kapitalvereinigungen sagen:265 Auch die rechtliche Ausgestaltung und Organisation der frühen kapitalistischen Unternehmungen war beeinflusst von den Denkfiguren des Kirchenrechts – und darüber hinaus von den Bildern, die seit Jahrhunderten 262  Pars pro toto Hasso Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 3. Aufl., Berlin 1998, S. 126–134. 263  Gerhard Dohrn-van Rossum/Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organ, Organismus, Politischer Körper, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. IV, Stuttgart 1978, S. 519–622, 547 f. 264  Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990, S. 206. 265  „Vorläufer“, weil sich die Rechtsformen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit erheblich von denen der Gegenwart unterscheiden.



II. Studien zur Ästhetik des Privatrechts103

die juristische Imagination unterstützen und stabilisierten. Abbildungen des „corpus Christi“ und der Mutter Gottes finden sich nämlich nicht nur an sakralen Bauten und in liturgischen Büchern, sondern ebenso auf Geschäftsund Wertpapieren. Schon wegen des theologisch heiklen Status kaufmännischer Tätigkeit war es für Kaufleute und Handelsgesellschaften empfehlenswert, Rechtgläubigkeit nach außen hin zu dokumentieren. Überdies gab es immer wieder Initiativen aus dem Umfeld der Kirche und religiösen Orden, sich selbst im Geld- und Kreditgewerbe zu engagieren, um das Unwesen des Wuchers einzudämmen. Aus einer solchen Initiative sind im späten 15. Jahrhundert die „Monti di Pietà“ hervorgegangen, in der Literatur mehr oder weniger treffend als Vorläufer (öffentlicher) Banken, Fonds- und Versicherungsgesellschaften bezeichnet. Gegen Ausgabe eines Pfandes gewährten diese Institutionen in Not Geratenen Kredite zu vergleichsweise günstige Konditionen. Das dazu notwendige Kapital stellten Stiftungen, Fürsten und vermögende Privatleute zur Verfügung, denen (soweit es sich nicht um Schenkungen oder Zwangsabgaben handelte) die „Monti di Pietà“ die Gelegenheit zu einer zwar nicht außerordentlich lukrativen, wohl aber relativ sicheren Geldanlage bot.266 Eine der größten Kreditinstitute Italiens (beworben als älteste noch existierende Bank der Welt), die Banca Monte dei Paschi di Siena, geht auf einen „Monte di Pietà“ von 1472 zurück. Sie ist heute als „Società per azioni“, als Aktiengesellschaft, organisiert. Ein von dem Monte di Pietà della Città di Firenze (gegründet 1495) im Jahr 1645 ausgegebenes Wertpapier macht deutlich, wie nahe, buchstäblich nahe, die religiöse Bilderpraxis den Praktiken der institutionalisierten Finanzwirtschaft kam. Es zeigt den Leib Christi, den Körper des Gekreuzigten und dessen Wundmahle, wenige Zentimeter oberhalb des Urkundentextes, der die Konditionen des Kreditgeschäfts (Rendite, Auszahlung, Umlauffähigkeit usw.) festlegt (Abb. 7).267 Der kultisch überhöhte menschliche Körper – Zentralachse der vormodernen visuellen Kultur – war als Aide-mémoire, als Merk- und Vorstellungshilfe bei der gedanklichen Repräsentation von Institutionen schlechthin konkurrenzlos, wie auch an einem anderen Beispiel zu besichtigen, dem Anteilszertifikat der Real Compañia de San Fernando de Sevilla aus der 266  Vgl. Menning Carol Bresnahan, The Monte’s ‚Monte‘. The Early Supporters of Florence’s Monte di Pieta, Sixteenth Century Journal 23 (1992), S. 661–676; J. Mees, Art. „Montes“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, München/Zürich 1993, Sp. 796 f.; Irini Athanassakis, Die Aktie als Bild. Zur Kulturgeschichte von Wert­ papieren, Wien u. a. 2008, S. 110–113. 267  Zum Kontext Irini Athanassakis, Die Aktie als Bild. Zur Kulturgeschichte von Wertpapieren, Wien u. a. 2008, S. 102–115.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Abb. 7

Mitte des 18. Jahrhunderts, das die Mutter Gottes und den „Körper des Königs“ (Ferdinand VI.) opulent in Szene setzt (Abb. 8).268 Für den engen Zusammenhang zwischen religiösem und juristischem Anthropomorphismus gibt es Belege nicht nur aus den christlich geprägten Kulturkreisen. Wer den Blick gen Osten richtet, wird schnell Parallelen entdecken: Die meisten Hindu-Religionen sind bekanntlich sehr bildfreundlich. Das gilt sowohl für den öffentlichen wie den privaten Kultus. Als mūrti, Bild der Gottheit, verehrt werden in erster Linie anthropomorphe Figuren und Gestalten (und erst in zweiter Linie heilige Steine oder andere unbeseelte Objekte).269 Genau genommen indes bezieht sich auch nach hinduistischem Verständnis die Verehrung nicht auf das Bild, sondern auf die Gottheit, von der sich allenfalls sagen lässt, sie habe ihren Aufenthaltsort im Bildnis genommen.270 Das Göttliche ist transpersonal, überschreitet also unsere menschliche Vorstellung vom Personsein.271 „Ein Gott in seiner 268  Zum Kontext Irini Athanassakis, Die Aktie als Bild. Zur Kulturgeschichte von Wertpapieren, Wien u. a. 2008, S. 130–141. 269  Gary Michael Tartakov, Art. „mūrti“, in: The Encyclopedia of Religion, hrsg. von Mircea Eliade, Bd. 10. New York/London 1987, S. 159 f., 159. 270  Swami Harshananda, Art. „Mūrtisilpaśāstra“ in: ders., A Concise Encyclopae­ dia of Hinduism, Bd. 2, Bangalore 2008, S. 342–348, 347. 271  Stephan Schlensog, Der Hinduismus. Glaube, Geschichte, Ethos, München 2006, S. 231.



II. Studien zur Ästhetik des Privatrechts105

Abb. 8

höchsten, ‚eigentlichen‘ Form ist eigenschaftslos (irguņa) und zugleich voller Eigenschaften (saguņa). In dieser höchsten Form ist Gott unsichtbar, unsagbar und damit nicht darstellbar.“272 Folglich qualifiziert sich ein Bild als mūrti nicht aufgrund des Umstandes, dass es der wahren Gestalt der Gottheit möglichst nahe kommt, sondern dass bestimmte, in den einschlägigen Handbücher – Śilpaśāstras – detailliert beschriebene Anforderungen an Materialbeschaffenheit, Maße, Proportionen, Formen, Herstellungsverfahren usw. erfüllt sind.273 272  Stephan Schlensog, Der Hinduismus. Glaube, Geschichte, Ethos, München 2006, S. 219. 273  Gary Michael Tartakov, Art. „mūrti“, in: The Encyclopedia of Religion, hrsg. von Mircea Eliade, Bd. 10. New York/London 1987, S. 159 f., 160. Vgl. auch Swami Harshananda, Art. „Mūrtisilpaśāstra“ in: ders., A Concise Encyclopaedia of Hinduism, Bd. 2, Bangalore 2008, S. 342–348, 343.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Ungeachtet dieses theologischen Grundverständnisses vollzog und vollzieht sich die Verehrung vieler hinduistischer Gottheiten unverkennbar in enger Anlehnung an menschliche Gewohnheiten und ausgerichtet an menschliche Bedürfnisse. Man behandelt ein Kultbild nicht anders als einen guten Gast oder Freund, reicht ihm sorgsam zubereitete Speisen und Getränke, sorgt für Blumen, Licht und frische Luft, wäscht es und stellt saubere Kleider zur Verfügung. Im religiösen Alltag tritt dank der Suggestivkraft der Bilder das Wissen um die Transpersonalität und Unbegreiflichkeit des Göttlichen stark in den Hintergrund. Dass es sich bei der Eigenschaft eines Idols, Prozesse zu führen und selbst verklagt zu werden, nur um einen von vielen Aspekten des durch Bilderverehrung verstärkten anthropomorphen Denkens handelt, geht unmissverständlich hervor aus einer Entscheidung des Privy Councils274, die im Jahr ihrer Verkündung – 1925 – für einiges Aufsehen im British Empire sorgte.275 Auf die Einzelheiten des Falles an dieser Stelle einzugehen, ist nicht erforderlich. Worauf es ankommt, ist die Feststellung des Gerichts, dass ein hinduistisches Idol – in dem Fall „Thakur“, ein Familienidol, gestiftet im 19. Jahrhundert – als vollwertige juristische Person gelten müsse, die durch eine (zum Beispiel testamentarisch) dazu beauftragte natürliche Person vertreten werde: „A Hindu idol is, according to long established authority, founded upon the religious customs of the Hindus, and the rec­ ognition thereof by Courts of law, a ‚juristic entity‘. It has a juridical status with the power of suing and being sued. Its interests are attended to by the person who has the deity in his charge and who is in law its manager with all the powers which would, in such circumstances, on analogy, be given to the manager of the estate of an infant heir.“276 Im unmittelbaren Anschluss an diese Passage folgt ein Hinweis auf weitere anthropomorphe Praktiken, deren Existenz die Notwendigkeit und Berechtigung zur juristischen Personifikation unterstreichen soll: „We need not describe here in detail the normal type of continued worship of a consecrat­ ed image, the sweeping of the temple, the process of smearing, the removal of the previous day’s offerings of flowers, the presentation of fresh flowers, the respectful oblation of rice with flowers and water, and other like practices. It is sufficient to state that the deity is, in short, conceived as a living being and is treated in the same way as the master of the house would be 274  Nach Vorlage des High Courts in Kalkutta: Pramatha Nath Mullick v. Pradyumna Kumar Mullick (1925), L.R. 52 Ind. App. 245. 275  Vgl. P. W. Duff, The Personality of an Idol, The Cambridge Law Journal 3 (1927), S. 42–48, 42. 276  Pramatha Nath Mullick v. Pradyumna Kumar Mullick (1925), L.R. 52 Ind. App. 245 (n. 8).



II. Studien zur Ästhetik des Privatrechts

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treated by his humble servant. The daily routine of life is gone through with minute accuracy; the vivified image is regaled with the necessaries and luxuries of life indue succession, oven to the changing of clothes, the offering of cooked and uncooked food, and the retirement to rest.“277 Wenn es zutrifft, dass bildfreundliche religiös-kultische Traditionen sich günstig auf die Imagination künstlicher juristischer „Körper“ auswirken, dann drängt sich – gleichsam als Gegenprobe – ein Vergleich mit Kulturen auf, die durch bildfeindliche Überlieferungen geprägt sind. Paradebeispiel hierfür ist die islamische Welt, die figürliche Kunst aus dem öffentlichen und sakralen Raum verbannte und die Pflanzenornamente antiker Vorlage radikal geometrisierte, „entkörperlichte“. Dieser Prozess, die Ausbildung des abstrakten, von allen körperlichen Eindrücken gereinigten „girih“-Stils (persisch für „Knoten“), war im 12. Jahrhundert weitgehend abgeschlossen.278 Bereits Ende des 7. Jahrhunderts trat im Machtbereich der Kalifen an die Stelle des traditionellen Herrscherbildes, das seit Jahrhunderten die Münzen des römischen und dann byzantinischen Imperiums schmückte, das bildlose Wort, die reine Inschrift, den Namen des einzigen Gottes anrufend (695 auf den Goldmünzen, 698 auf den Silbermünzen).279 Nicht der figürlichen Kunst kommt seither die Bedeutung zu, die reli­ giöse und weltliche Macht zu repräsentieren, sondern der Kalligraphie und dem Ornament. Zwar hat die Auseinandersetzung mit dem fernöstlichen (Bild-)Vokabular infolge der Mongolen-Einfälle zu einer Renaissance des Pflanzendekors geführt (im christlichen Europa bekannt geworden als „Maureske“ oder „Arabeske“), doch an der Dominanz der „entsinnlichten“, abstrakten Kunst änderte sich dadurch nichts.280 Regionale Unterschiede gibt es natürlich (so war und ist die bildlose Tradition im Maghreb stärker als etwa in Persien), auch Unterschiede zwischen privater und offizieller, öffentlicher Kunst,281 indes steht dergleichen ebenfalls nicht im Widerspruch zur allgemeinen Feststellung, dass die Ästhetik des Islam eine ganz eigene, unverwechselbare Prägung aufweist, indem sie sich der sinnlich erfahrbaren äußeren Welt verschließt und stattdessen das an sich Undarstellbare zur 277  Pramatha Nath Mullick v. Pradyumna Kumar Mullick (1925), L.R. 52 Ind. App. 245 (n. 9). 278  Hans Belting, Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks, 2. Aufl., München 2008, S. 50. 279  Hans Belting, Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks, 2. Aufl., München 2008, S. 72 f.; Oleg Grabar, Die Entstehung der islamischen Kunst, Köln 1977, S. 97. 280  Hans Belting, Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks, 2. Aufl., München 2008, S. 50. 281  Silvia Naef, Bilder und Bilderverbot im Islam. Vom Koran bis zum Karikaturstreit, München 2007, S. 68 f.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Abb. 9

Darstellung bringt. Wie groß der Abstand ist zu der im christlichen Westen vorherrschenden Bild-Kultur ist, führt ein Holzschnitt aus Cipriano Piccolpassos „Arte del Vasario“ (1559) vor Augen, der Bild und bildloses Muster, menschliche Antlitze und Gegenstände („TROFEI“) und gegenstandlose, geometrische Ordnung („ARABESCHE“) unvermittelt gegenüberstellt (Abb. 9).282 Man ist geneigt, diese Spaltung in eine „orientalische“ und eine „okzidentale“ Ästhetik auf ein dem Islam wesenseigenes Bilderverbot zurückzuführen. Doch ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Der Koran kennt keine dem alttestamentarischen Gebot ebenbürtige Absage an jede Form der Bildverehrung. Die Sure 5.90, die immer wieder als Beleg angeführt wird, verurteilt „Wein“, „Lospfeile“ und „Opfersteine“, doch ist ihr kein generelles Bilderverbot zu entnehmen. Ähnliches gilt für die Sure 6.74, die davon berichtet, wie Abraham den Götzendienst seines Vaters Asar tadelt.283 In den Hadithen, den in den ersten islamischen Jahrhunderten zusammengetra282  Dazu eingehend Hans Belting, Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks, 2. Aufl., München 2008, S. 48 f. 283  Oleg Grabar, Die Entstehung der islamischen Kunst, Köln 1977, S. 86; Silvia Naef, Bilder und Bilderverbot im Islam. Vom Koran bis zum Karikaturstreit, München 2007, S. 12.



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genen Überlieferungen über das Leben und Wirken des Propheten Mohammeds, tritt die Abneigung gegenüber der Verwendung und Herstellung von Bildern etwas deutlicher zu Tage. So heißt es, ein Engel betrete kein Haus, in dem sich ein Hund oder eine bildliche Darstellung befinde; der Prophet habe erst die dreihundertsechzig in Mekka aufgestellten Götzenbilder zerstören müssen, bevor er in der eroberten Stadt habe beten können; Gott werde alle Maler in die Hölle verdammen, weil sie es nicht vermögen, ihren Bildern Leben einzuhauchen usw.284 Dennoch wäre es übertrieben zu behaupten, dass im frühen Islam der Auseinandersetzung mit visuellen Symbolen und künstlerischen Ausdrucksformen eine überragende Bedeutung zukam. Richtig ist allerdings, dass der im Koran angelegte entschiedene Monotheismus, das Beharren auf der absolute Einzigartigkeit und Allmacht Gottes, auf lange Sicht eine Eigendynamik zu Lasten einer figürlichen, das Leben abbildenden Kunst entfaltete, weil diese in den Verdacht geriet, mit der Schöpfung Gottes zu konkurrieren. Allah allein ist „ein ‚Bildner‘, ein musawwir (59.24), wobei musawwir zugleich die Bezeichnung für Maler ist. Als alleiniger Schöpfer kann Gott niemanden neben sich dulden; deshalb auch der Widerstand gegen religiöse Bildwerke, aus dem assoziativ und übergreifend ein Widerstand gegen bildliche Darstellungen werden konnte. Aber dieser letzte Schritt wurde zu der Zeit, als der Glaube entstand, noch nicht bewusst vollzogen.“285 Zur Bildfeindschaft beigetragen hat ferner der Umstand, dass die junge Glaubensgemeinschaft sich gegenüber etablierten Religionen im Westen wie Osten behaupten musste, die bereits über ausgereifte bildliche Ausdrucks- und Zeichensysteme verfügten. Sich auf die gleiche Ebene zu begeben, hätte schon angesichts der (zunächst) fehlenden technischen Fertigkeiten die Gefahr heraufbeschworen, in den Augen potentieller Gläubiger als eine schlechte Kopie bereits bestehender Bekenntnisse zu gelten. Hingegen unterstrich das kompromisslose Eintreten für eine bildlose Welt nicht nur die Einzigartigkeit des Einen Gottes, sondern auch die Einzigartigkeit des neuen Glaubens.286 Von der Ikonodulie (Ikonolatrie, Idolatrie) zu unterscheiden ist das metaphorische Reden über Gott, das suggeriert, Allah sei von menschlicher Gestalt und handle wie ein Mensch. Die Vorbehalte gegenüber anthropomorphen Zuschreibungen sind im Islam weit weniger ausgeprägt als die gegen284  Silvia Naef, Bilder und Bilderverbot im Islam. Vom Koran bis zum Karikaturstreit, München 2007, S. 15, 18. 285  Oleg Grabar, Die Entstehung der islamischen Kunst, Köln 1977, S. 88. 286  Oleg Grabar, Die Entstehung der islamischen Kunst, Köln 1977, S. 100 f. Vgl. auch Silvia Naef, Bilder und Bilderverbot im Islam. Vom Koran bis zum Karikaturstreit, München 2007, S. 31.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

über bildlichen Darstellungen. Das liegt vornehmlich daran, dass der Koran selbst an der einen oder anderen Stelle Gott mit menschlichen Attributen beschreibt. So erwähnt der berühmte „Thronvers“ (2.255) einen „Thron“ oder „Richterstuhl“ Gottes, außerdem ist von der „Hand“ Gottes (3.73) die Rede und von der Aufsicht durch das „Auge“ Gottes (20.39).287 Vor allem Theologen der frühen Jahren scheinen aus derartigen Bemerkungen weitreichende Schlüsse gezogen und Gott unbeschwert in menschlichen Kategorien vermessen zu haben. Dadurch setzten sie sich dem Vorwurf aus, auf eine Lehre des tashbīh („Anthropomorphismus“) hinzuarbeiten und Gott als Körper (jism) zu denken (tajīsm).288 Vor allem die mu‘tazilitische Theologie, die ihre Blütezeit zwischen dem 8. und dem 11. Jahrhundert erlebte, sprach sich entschieden gegen ein wörtliches Verständnis der einschlägigen Koranstellen aus. Die Mu’taziliten propagierten stattdessen die Methode des ta’wil, die es erlaubte, einzelne Begriffe im Koran metaphorisch zu deuten.289 Letztlich durchgesetzt hat sich eine vermittelnde Position, die sich auf bedeutende Theologen und Rechtsgelehrten wie Ibn Hanabal und al-Ash’arī berufen kann: Man müsse sich vergegenwärtigen, dass Gott „der ganz Andere“ sei, dürfe jedoch die Begrifflichkeit des Korans nicht in Frage stellen; diese sei so hinzunehmen, wie es der Überlieferung entspreche.290 Bei aller berechtigten Skepsis gegenüber allgemeinen Aussagen über die Eigenheiten eines Volkes, einer Religion oder einer Kultur lässt sich ernsthaft nicht bestreiten, dass im Einflussbereich des Islam sich eine ganz eigene, von der christlich-okzidentalen unschwer zu unterscheidende Ästhetik entwickelt hat, die sich durch ein hohes Abstraktionsniveau, eine Absage an figürliche, perspektivische Abbildungen der Wirklichkeit, auszeichnet. Ob diese „entkörperte“ visuelle Kultur Spuren hinterlassen hat im juristischen Denken, ist hingegen nicht so einfach zu beantworten, schon deshalb, weil man sich darüber streitet, ob das islamische Recht der Vormoderne die Idee der juristischen Person, die sich im ikonophilen christlichen Erdkreis so vollendet entwickeln konnte, kannte oder nicht. Wohlgemerkt ist vom traditionellen islamischen Recht die Rede. Dass seit dem späten 19. Jahrhundert in den islamisch geprägten Ländern juristische 287  Richard C. Martin, Art.  „Anthropomorphism“, in: Encyclopaedia of the Qur’ān, hrsg. von Jane Dammen McAuliffe, Bd. 1, Leiden 2001, S. 103–107, 103. 288  William Montgomery Watt, The formative period of Islamic thought, Edinburgh 1973, S. 248. 289  Richard C. Martin, Art.  „Anthropomorphism“, in: Encyclopaedia of the Qur’ān, hrsg. von Jane Dammen McAuliffe, Bd. 1, Leiden 2001, S. 103–107, 106 f.; William Montgomery Watt, The formative period of Islamic thought, Edinburgh 1973, S. 248. 290  Richard C. Martin, Art.  „Anthropomorphism“, in: Encyclopaedia of the Qur’ān, hrsg. von Jane Dammen McAuliffe, Bd. 1, Leiden 2001, S. 103–107, 106 f.



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Abb. 10

Personen, etwa in Gestalt von Aktiengesellschaften nach europäischem Vorbild, anerkannt sind, steht außer Frage. Immerhin fällt auf, dass diese Rezeption einher ging mit der Übernahme des für westliche Wertpapiere charakteristischen Bildprogramms, in dessen Zentrum der menschliche Körper steht. Zu besichtigen ist die Abhängigkeit von westlichen Mustern am Beispiel eines Zertifikats der Société Anonyme Ottomane de Balia-Karaidin (eine maßgeblich unter französischer Beteiligung 1892 gegründete osmanische Gesellschaft mit einem Startkapital von 4,5 Millionen Francs291) aus den frühen 1920er Jahren (Abb. 10). Das gleichberechtigte Nebeneinander des französischen und des arabischen Textes hat keine Entsprechung auf der Bildebene. Zwar sind auch Ornamente zu erkennen, doch zieren sie lediglich den Bildrahmen, wie das im Westen seit der Trennung zwischen „freier Kunst“ und „Kunstgewerbe“ üblich ist.292 Dem schmückenden Beiwerk kommt die Funktion zu, den Hauptakteur – in dem Fall die perspektivische Ansicht einer Mine mit einer stilisierten Grubenarbeiterin in der Pose einer Göttin oder Heiligen – ansprechend in Szene zu setzen. 291  V. Necla Geyikdagi, Foreign Investment in the Ottoman Empire. International Trade and Relations 1854–1914, London/New York 2011, S. 120. 292  Vgl. Hans Belting, Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks, 2. Aufl., München 2008, S. 47 f.

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Mit Blick auf die vormodernen Verhältnisse galt lange Zeit weitgehend unwidersprochen der Grundsatz, dass dem herkömmlichen islamischen Recht die Vorstellung einer der natürlichen ebenbürtigen juristischen Person unbekannt war,293 in den Worten Joseph Schachts: „Islamic law does not recognize juristic persons.“294 Neuerdings mehren sich die Stimmen, die diesen Befund in Frage stellen.295 Einige Argumente der Kritiker sind nicht von der Hand zu weisen. In der Tat lässt sich mangels Belege nur schwer oder gar nicht ermitteln, ob allgemeine Aussagen wie die Joseph Schachts hinreichend durch Quellen abgesichert sind. Hinzu kommt, dass meist offen 293  Timur Kuran, The Long Divergence. How Islamic Law Held Back the Mid­dle East, Princeton 2011, S. 59, 139, 141; ders., The Absence of the Corporation in Islamic Law. Origins and Persistence, The American Journal of Comparative Law 53 (2005), S. 785–834, 831; Gabriel Baer, The Muslim Waqf and Similiar Institutions on Other Civilizations, in: Michael Borgolte (Hrsg.), Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne. Auf der Suche nach ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden in religiösen Grundlagen, praktischen Zwecken und historischen Transformationen, Berlin 2005, S. 257–280, 277; Johannes Christian Wichard, Art. „Legal Personality in Islamic Law“, in: The Oxford International Encyclopedia of Legal History, hrsg. von Stanley N. Katz, Bd. 4, Oxford 2009, S. 64–65, 64; Mathias Rohe, Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., München 2009, S. 118; R. Peters, Art. „wakf (classical Islamic law)“, in: The Encyclopaedia of Islam, 2. Aufl., Bd. 11, Leiden 2000, S. 59–63, 62; Imran Ashan Khan Nyazee, Islamic Law of Business Organization (Corporations), Islamabad 1998, S. 94–104; Toby E. Huff, The Rise of Early Modern Science. Islam, China, and the West, Cambridge 1993, S. 138 f.; Abraham L. Udovitch, Partnership and Profit in Medieval Islam, Princeton 1970, S. 99; Joseh Schacht, Islamic Religious Law, in: Joseph Schacht/C. E. Bosworth (Hrsg.), The Legacy of Islam, 2. Aufl., Oxford 1974, S. 392–403, 398; ders., An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 125; Wilhelm Heffening, Art. „wakf“, in: Enzyklopädie des Islam. Geographisches, ethnographisches und biographisches Wörterbuch der muhammedanischen Völker, Bd. 4, Leiden/Leipzig 1934, S. 1187–1194, 1188; Abdur Rahim, The Principles of Muhammadan Jurisprudence. According to the Hanafi, Maliki, Shafi’i and Hanbali Schools, London, Madras 1911, S. 218; vgl. auch Ann K. S. Lambton, State and Government in Medieval Islam. An Introduction to the Study of Islamic Political Theory. The Jurists, London 1981, S. 17; John Robert Barnes, An Introduction to Religious Foundations in the Ottoman Empire, Leiden 1986, S. 15 f. 294  Joseh Schacht, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 125. 295  Zulkifi Hasan, Corporate Governance from Western and Islamic Perspectives, The Islamic Quarterly 53 (2009), S. 39–61, 41; Mahmood Mohamed Sanusi, The Concept of Artificial Legal Entity (Saksiyyah I’tibariyah) and Limited Liability in Islamic Law, The Malayan Law Journal 2009, S. LVIII–LXIV; Murat Cizakça, Long Term Causes of Decline of the Ottoman/Islamic Economies, in: Religion and Religious Institutions in the European Economy 1000–1800, hrsg. von Fondazione Istituto internazionale di storia economica F. Datini, Florenz 2012, S. 361–376; Mahdi Zahraa, Legal Personality in Islamic Law, Arab Law Quarterly 10 (1995), S. 193– 206, 202  – jeweils mit Nachweisen weiterer Autoren aus der arabischsprachigen Literatur, vgl. auch die Übersicht bei Imran Ashan Khan Nyazee, Islamic Law of Business Organization (Corporations), Islamabad 1998, S. 90 f.



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bleibt, was die Autoren, in der Regel Orientalisten und keine Juristen, überhaupt unter einer juristischen Person verstehen. Schließlich ist der Begriff keineswegs so klar konturiert, wie man es sich wünschte. Er lässt sich nicht völlig ablösen von den vielfältigen Erscheinungsformen der juristischen Person in den verschiedenen Rechtsgebieten und Rechtsordnungen. Es macht einen Unterschied, ob sich der Vergleich auf die amerikanische Aktien­gesellschaft oder die deutsche Stiftung bezieht. Überdies existieren eine Reihe von Konzepten, die der juristischen Person nahe kommen und mit ihr leicht zu verwechseln sind (Gesamthand, Trust, Treuhand, Sonderund Zweckvermögen, unselbständige Stiftungen usw.). Allerdings können die Kritiker von solchen allgemeinen Einwänden (und dem Vorwurf eurozentrischer Forschung) einmal abgesehen in der Sache bislang wenig vorweisen. In dem einen oder anderen Fall liegt sogar der Verdacht nahe, man wolle um jeden Preis verhindern, dass moderne Kapitalgesellschaften, die aus dem Wirtschaftsleben des Nahen und Mittleren Ostens nicht mehr wegzudenken sind, als „unislamisch“ gelten.296 Leichtfertig wird unterstellt, als Grund für ein etwaiges Fehlen juristischer Personen in der Rechtspraxis komme nur ein Verbot derselben durch die maßgeblichen juristischen und theologischen Autoritäten und Rechtsschulen des frühen Islam in Betracht. Doch ist es denkbar, dass Theologen und Juristen der Idee eines gedachten, imaginierten Rechtsträgers die Anerkennung nicht versagten (oder nicht versagt hätten), sie gleichwohl aber – aus anderen Gründen – nicht Fuß zu fassen vermochte. Soweit über das tatsächliche Vorkommen der juristischen Person im Rechtsleben gestritten wird, steht der waqf im Vordergrund, ein altes, jedoch im Koran noch nicht erwähntes Institut des islamischen Rechts,297 das insoweit die Funktion einer Stiftung oder eines Trusts erfüllt, als es ebenfalls dazu dient, über einen langen Zeitraum ein Vermögen in den Dienst wohltätiger, frommer Zwecke zu stellen. Mit Hilfe des waqf wurden in der Vormoderne vor allem in den urbanen Zentren der islamischen Welt bedeutende bildungs- und sozialpolitische Projekte (Errichtung und Unterhaltung von Moscheen, Madāris, Krankenhäusern, Brücken, Wasserleitungen 296  Zu den Hintergründen vgl. Halyani Hassan/Zuhairah Abd Ghadas/Nasrudin Abdul Rahman, „The Myth of Corporate Personality“. A comparative Legal Analysis of the Doctrine of Corporate Personality of Malaysan and Islamic Law, Australian Journal of Basic and Applied Sciences 6 (2012), S. 191–198, 196. 297  Zu den Anfängen des waqf als Gegenstand juristischer und theologischer Erörterungen Joseph Schacht, Early Doctrines on Waqf, in: Fuad Köprülü Armağani. Mélanges Fuad Köprülü, Istanbul 1953, S. 443–452; ferner Moshe Gil, The earliest Waqf Foundations, Journal of Near Eastern Studies 57 (1998), S. 125–140; Peter C. Hennigan, The Birth of a Legal Institution. The Formation of the Waqf in Thirdcentury A.H. Hanafī Legal Discourse, Leiden 2004.

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usw.298) realisiert (und nebenbei Macht, Wohlstand und Ansehen des Stifters und seiner Familie befestigt).299 Freilich kann einer Rechtsform eine überzeitliche Bestimmung zukommen, ohne dass sie schon dadurch zur juristischen Person wird. Die Einrichtung eines waqf zielt darauf, eine Sache, die bei Erhaltung ihrer Substanz einen Nutzen abwirft, dauerhaft dem Rechtsverkehr zu entziehen und den gezogenen Nutzen einem guten Zweck zukommen zu lassen.300 Um zu gewährleisten, dass die Sache – in der Regel eine Immobilie – in ihrer Substanz erhalten bleibt, also regelmäßig instand gesetzt oder erneuert wird, bedarf es organisatorischer Maßnahmen und administrativer Strukturen, bedarf es zumindest eines Verwalters (Nāzir, Kayim, Mutawallī) und je nach Aufwand auch weiterer Bediensteter. Dass aufgrund der Tätigkeit dieses ausschließlich „im Dienst des waqf“ agierenden Personals es in der Außendarstellung zu einer Verselbständigung und Institutionalisierung des waqf kommt, versteht sich von selbst. Doch scheinen die Juristen nie so weit gegangen zu sein, daraus abzuleiten, dem waqf selbst gehöre das gestiftete Vermögen. Wer durch die Einrichtung eines waqf Eigentümer wird, ist zwar zwischen den großen Rechtsschulen umstritten. Allein keine dieser Schulen zieht die Rechtsträgerschaft des waqf in Erwägung. Vielmehr endet nach einer Ansicht (u. a. Shāfi’iten, spätere Hanafiten) wie bei der Freilassung eines Sklaven das Eigentumsrecht des Stifters und überhaupt jedes Sterblichen – die gestiftete Sache verliert die Eigenschaft, jemandem zu gehören, und ist von nun an Gott zugeordnet; nach anderer Ansicht (Hanafiten, einzelne Shāfi’iten und Mālikiten) bleiben der Stifter und seine Erben Eigentümer, sie dürfen aber ihr Recht nicht ausüben; nach einer dritten Ansicht schließlich (einzelne Shāfi’iten, Hanabaliten) erlangen die 298  Wilhelm Heffening, Art. „wakf“, in: Enzyklopädie des Islam. Geographisches, ethnographisches und biographisches Wörterbuch der muhammedanischen Völker, Bd. 4, Leiden/Leipzig 1934, S. 1187–1194, 1187. 299  Adam Sabra, Public Policy or Private Charity? The Ambivalent Character of Islamic Charitable Endowments, in: Michael Borgolte (Hrsg.), Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne. Auf der Suche nach ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden in religiösen Grundlagen, praktischen Zwecken und historischen Transformationen, Berlin 2005, S. 95–108; John Robert Barnes, An Introduction to Religious Foundations in the Ottoman Empire, Leiden 1986, S. 154– 156; Gabriel Baer, The Muslim Waqf and Similiar Institutions on Other Civilizations, in: Michael Borgolte (Hrsg.), Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne. Auf der Suche nach ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden in religiösen Grundlagen, praktischen Zwecken und historischen Transformationen, Berlin 2005, S. 257–280. 300  Wilhelm Heffening, Art. „wakf“, in: Enzyklopädie des Islam. Geographisches, ethnographisches und biographisches Wörterbuch der muhammedanischen Völker, Bd. 4, Leiden/Leipzig 1934, S. 1187–1194, 1187.



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Bedachten das Eigentum (denen auch – nach einhelliger Auffassung – der Ertrag zusteht).301 Nur schwer vereinbar mit den Merkmalen einer juristischen Person ist des Weiteren der Umstand, dass der waqf aufhört zu existieren, sobald die gestiftete Sache (z. B. eine Bibliothek) durch höhere Gewalt (vollständig oder in wesentlichen Teilen – darüber sind sich die Juristen uneins302) zerstört wird.303 Auch besteht eine sehr enge Bindung an den Willen des Gründers, die der Verwaltung wenig Spielraum für eigene Entscheidungen (im Sinne der Drittorganschaft) lässt.304 Nach Ansicht der meisten Rechtsschulen kann der Gründer den waqf zu Lebzeiten selbst verwalten.305 Ohne ein gründliches Studium der Quellen nur schwer zu beantworten ist die Frage, ob nach Lehrmeinung der Rechtsschulen der Verwalter des waqf mit Wirkung für und gegen diesen Verträge abschließen kann oder ob der Verwalter, auch soweit er im Rahmen des Stiftungszwecks handelt, selbst Vertragspartner wird, also persönlich haftet und Ansprüche erwirbt. In der (Forschungs-)Literatur stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber:306 Die einen bejahen die Vertreterfunktion des Verwalters ebenso entschieden wie sie die anderen verneinen.307 Fallstudien zur Gerichtspraxis könnten 301  Dietrich Kneller, Der Rechtscharakter des Islāmischen Institutes wakf und des Anglo-Amerikanischen Institutes trust. Eine rechtsvergleichende Untersuchung, Diss. Tübingen 1966, S. 49 f.; R. Peters, Art. „wakf (classical Islamic law)“, in: The Encyclopaedia of Islam, 2. Aufl., Bd. 11, Leiden 2000, S. 59–63, 62; Wilhelm Heffening, Art. „wakf“, in: Enzyklopädie des Islam. Geographisches, ethnographisches und biographisches Wörterbuch der muhammedanischen Völker, Bd. 4, Leiden/ Leipzig 1934, S. 1187–1194, 1188; John Robert Barnes, An Introduction to Religious Foundations in the Ottoman Empire, Leiden 1986, S. 16. 302  R. Peters, Art. „wakf (classical Islamic law)“, in: The Encyclopaedia of Islam, 2. Aufl., Bd. 11, Leiden 2000, S. 59–63, 62 f. 303  Imran Ashan Khan Nyazee, Islamic Law of Business Organization (Corporations), Islamabad 1998, S. 111. Freilich kann auch nach § 87 Abs. 1 BGB die zuständige Behörde der Stiftung eine andere Zweckbestimmung geben oder sie aufheben, sollte die Erfüllung des Stiftungszwecks (z. B. wegen Untergang des Stiftungsvermögens) unmöglich geworden sein. 304  Vgl. Timur Kuran, The Absence of the Corporation in Islamic Law. Origins and Persistence, The American Journal of Comparative Law 53 (2005), S. 785–834, 800. 305  R. Peters, Art. „wakf (classical Islamic law)“, in: The Encyclopaedia of Islam, 2. Aufl., Bd. 11, Leiden 2000, S. 59–63, 63. 306  Stellvertretend für beide Lager: einerseits Mahdi Zahraa, Legal Personality in Islamic Law, Arab Law Quarterly 10 (1995), S. 193–206, 205, andererseits Imran Ashan Khan Nyazee, Islamic Law of Business Organization (Corporations), Islamabad 1998, S. 108. 307  Letztere verweisen immerhin auf konkrete Aussagen eines so einflussreichen islamischen Rechtsgelehrten wie al-Marghinānī (1135–1197): Imran Ashan Khan Nyazee, Islamic Law of Business Organization (Corporations), Islamabad 1998, S. 108.

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etwas Licht in das Dunkel bringen, doch sind – soweit ersichtlich – die Befunde ebenfalls widersprüchlich (was wohl auch mit der sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Ausrichtung der Studien zusammenhängt). So ist zum Teil die Rede davon, die Gläubiger könnten, wenn ein rechtmäßiges Kreditgeschäft vorliegt, das Geld später „vom waqf zurückfordern“308, indessen richten sich die Klagen offenbar vornehmlich gegen den Mutawallī, den Verwalter.309 Wie auch immer dieser Streit zu entscheiden ist, selbst wenn man anerkennt, dass der waqf – gleich den möglicherweise als Vorbild dienenden spätrömischen (byzantinischen) Stiftungen piae causae310  – „einem Zweckvermögen mit selbständiger Rechtsfähigkeit“ nahe kommt,311 ändert das nichts an der insgesamt untergeordneten Bedeutung der Denkfigur „juristische Person“ in der islamischen Rechtslehre und -praxis, da außer dem allenfalls in Ansätzen rechtlich verselbständigten waqf keine rechtsfähige Organisationsform von Gewicht sich entwickelt hat. Namentlich in Bezug auf den Fiskus, Bait al-Māl (wörtlich „das Schatzhaus“, das Gebäude, in dem die öffentlichen Gelder verwaltet werden312), blieb immer die Vorstellung lebendig, dass öffentliche Güter und Einnahmen im Eigentum der umma, der Gesamtheit 308  Stefan Knost, Die Organisation des religiösen Raums in Aleppo. Die Rolle der islamischen religiösen Stiftungen (auqāf) in der Gesellschaft einer Provinzhauptstadt des Osmanischen Reiches an der Wende zum 19. Jahrhundert, Beirut 2009, S. 52. 309  Stefan Knost, Die Organisation des religiösen Raums in Aleppo. Die Rolle der islamischen religiösen Stiftungen (auqāf) in der Gesellschaft einer Provinzhauptstadt des Osmanischen Reiches an der Wende zum 19. Jahrhundert, Beirut 2009, S. 72. 310  Zur möglichen Vorbildfunktion der piae causae vgl. R. Peters, Art. „wakf (classical Islamic law)“, in: The Encyclopaedia of Islam, 2. Aufl., Bd. 11, Leiden 2000, S. 59–63, 60; Wilhelm Heffening, Art. „wakf“, in: Enzyklopädie des Islam. Geographisches, ethnographisches und biographisches Wörterbuch der muhammedanischen Völker, Bd. 4, Leiden/Leipzig 1934, S. 1187–1194, 1189; John Robert Barnes, An Introduction to Religious Foundations in the Ottoman Empire, Leiden 1986, S. 15 f.; Gabriel Baer, The Muslim Waqf and Similiar Institutions on Other Civilizations, in: Michael Borgolte (Hrsg.), Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne. Auf der Suche nach ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden in religiösen Grundlagen, praktischen Zwecken und historischen Transformationen, Berlin 2005, S. 257–280. 311  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 2: Die nachklassischen Entwicklungen, 2. Aufl., München 1975, S. 158; vgl. auch Michael Borgolte, Die Stiftung des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht, SZ (KA) 74 (1988), S. 71–94, 81 f.; Hans-Rudolf Hagemann, Die Stellung der Piae Causae nach justinianischem Recht, Basel 1953, S. 44, 71–73. 312  N. J. Coulson, Art. „Bait al-Māl (The Legal Doctrine)“, in: The Encyclopaedia of Islam, 2. Aufl., Bd. 1, Leiden 1960, S. 1141–1143; C. H. Becker, Art. „Bait alMāl“, in: Enzyklopädie des Islam. Geographisches, ethnographisches und biographisches Wörterbuch der muhammedanischen Völker, Bd. 1, Leiden/Leipzig 1913, S. 622.



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der Gläubigen, stehen.313 So erklärt sich, warum die berüchtigte Hadd-Strafe, vorgesehen für bestimmte Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung (u. a. Diebstahl), deren Verfolgung nicht zur Disposition des Richters oder des Geschädigten steht, keine Anwendung auf das Entwenden von „Staatseigentum“ findet: Wenn öffentliches Vermögen nicht nur ideell allen zusteht, sondern auch allen gehört, gibt es kein Eigentum „des Staates“. Als Miteigentümer des Bait al-Māl kann ein Mitglied der umma, das sich an Gütern des Fiskus vergreift, nur das Miteigentum anderer Gläubiger entwenden, was für die Verurteilung zu einer Hadd-Strafe nicht ausreicht. Darüber scheint Einigkeit bestanden zu haben zwischen den einflussreichsten Rechtsgelehrten des Islam (wie Abū Hanīfa und al-Shafi’i).314 Umgekehrt hafteten Bedienstete und Beauftragte muslimischer Herrscher (und nicht diese oder der Fiskus) persönlich für alle Schäden, auch für solche, die in einem Zusammenhang mit der offiziellen, amtlichen Tätigkeit standen.315 Sichtbar wird das Fehlen einer Möglichkeit zur umfassenden rechtlichen Verselbständigung von Organisationen auch im Bildungssystem. Im Unterschied zu den mittelalterlichen europäischen Universitäten waren die zeitgenössischen Madāris, die höheren islamischen Lehranstalten, genau genommen nur ein Ort der Zusammenkunft von Gelehrten, die ihr Wissen an ihre Schüler weitergeben wollten.316 Es fehlte an einer kollektiven Identität und an nach außen hin wahrnehmbaren, handlungsfähigen „Organen“. Keine Fakultät, kein Kanzler regulierte durch korporative Rechtssetzung die akademischen Abläufe. Allgemein verbindliche Vorgaben für zu erbringende Leistungen und gemeinsame Prüfungen aller Unterrichtenden existierten nicht oder nur in Ausnahmefällen. Akademische Grade vergaben nicht die Madāris, sondern die einzelnen Gelehrten. Die mit der licentia docendi vergleichbare ijazah war insoweit mit dieser nicht vergleichbar, als der individuelle Lehrer und nicht die Institution die Befugnis zur Weitergabe von Wissen erteilte.317 Bemerkenswert ist an diesem west-östlichen Gegensatz, 313  Zum Verhältnis von umma und Staat vgl. Ann K. S. Lambton, State and Government in Medieval Islam. An Introduction to the Study of Islamic Political Theory. The Jurists, London 1981, S. 13–20. 314  Imran Ashan Khan Nyazee, Islamic Law of Business Organization (Corporations), Islamabad 1998, S. 112 f. (mwN). 315  Zur Verantwortung der Kuriere des osmanischen Sultans für ihre Pferde Timur Kuran, The Long Divergence. How Islamic Law Held Back the Middle East, Princeton 2011, S. 131 (mit Quellennachweisen zu osmanischen Gerichtsverfahren des 17. Jahrhunderts). 316  Timur Kuran, The Absence of the Corporation in Islamic Law. Origins and Persistence, The American Journal of Comparative Law 53 (2005), S. 785–834, 802. 317  Toby E. Huff, The Rise of Early Modern Science. Islam, China, and the West, Cambridge 1993, S. 155 f.; 162–164; George Makdisi, The Rise of Colleges. Institutions of Learning in Islam and the West, Edinburgh 1981, S. 140–152.

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dass zu Anfang möglicherweise ausgerechnet der waqf als Vorbild für universitäre Stiftungen in Europa diente. So gibt es Hinweise darauf, dass die frühen Statuten des Merton College in Oxford (von 1264) Elemente der waqf-Doktrin enthalten. Doch sehr schnell, schon zehn Jahre später, erfolgte eine Änderung der Statuten, die das College in eine rechtsfähige Institution mit Selbstverwaltungskompetenzen verwandelte. In dieser Fassung haben die Regula Mertonensis Einfluss genommen auf die Statuten anderer Colleges in Oxford und Cambridge.318 Es bleibt also dabei, dass nach gegenwärtiger Sachlage die besseren Argumente gegen die Annahme sprechen, die Idee eines juristischen „Körpers“, einer selbständigen „Rechtsperson“, habe in der vormodernen islamischen Rechtslehre und -praxis eine nennenswerte Bedeutung erlangt. Damit steht die Frage im Raum, warum sich die Dinge in den christlichen und den islamischen Ländern so unterschiedlich entwickelten. Das ist schon deshalb alles andere als selbstverständlich, weil ungeachtet der religiösen und politischen Spannungen allein die wirtschaftlichen Beziehungen während des Mittelalters und der frühen Neuzeit so eng waren, dass es für die lokalen Händler und Herrschenden im Einflussbereich des Islam, in dem sich zahllose Vertreter westlicher Handelskompanien und Selbstverwaltungskörperschaften aufhielten, nahe gelegen hätte, juristische Modelle und Konzepte zu übernehmen, soweit sie sich als überlegen erwiesen.319 In der Literatur sind eine Reihe von Erklärungen für die Disparität im Umlauf, die jedoch nicht alle überzeugen. So mag das egalitäre islamische Erbrecht verantwortlich gewesen sein für hohe Liquidationskosten und eine unzureichende Akkumulation von Kapital (so dass für größere Investitionen in Handelsunternehmungen kein Geld zu Verfügung stand),320 indessen wird dadurch eine Entwicklung hin zu einer rechtlichen Verselbständigung von Organisationen nicht behindert, wenn man in Rechnung stellt, dass – wie das europäische Beispiel zeigt – zumindest in vormodernen Gesellschaften der wichtigste Anwendungsfall für ein Recht der juristischen Person der öffentliche Bereich und nicht die kapitalistische Unternehmung sein dürfte. 318  Monica M. Gaudiosi, The Influence of the Islamic Law of waqf on the Development of the Trust in England. The Case of Merton College, University of Pennsylvania Law Review 136 (1987/88), S. 1231–1261. 319  Vgl. Timur Kuran, The Absence of the Corporation in Islamic Law. Origins and Persistence, The American Journal of Comparative Law 53 (2005), S. 785–834, 813. 320  Vgl. Timur Kuran, The Long Divergence. How Islamic Law Held Back the Middle East, Princeton 2011, S. 281; ders., The Absence of the Corporation in Islamic Law. Origins and Persistence, The American Journal of Comparative Law 53 (2005), S. 785–834, 816.



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Von den in der Forschung diskutierten Gründen für den unterschied­ lichen Umgang mit künstlichen Rechtsträgern in Ost und West kommen im Ergebnis nur zwei ernsthaft in Betracht: zum einen die Unvereinbarkeit einer „zweiten Schöpfung“ mit grundlegenden Prinzipien des islamischen Rechts, zum anderen Vorbehalte gegenüber der Möglichkeit, die ohnehin bestehenden Fragmentierungen einer Stammesgesellschaft auch noch rechtlich zu zementieren. Was den ersten Punkt betrifft, so könnte die Lehre von der dhimma, die mit der Geburt erworbenen und mit dem Tod endenden Rechtsfähigkeit,321 der Anerkennung der juristischen Person entgegen stehen, denn nach verbreiteter Ansicht unter den großen Rechtsgelehrten und Theologen (u. a. al-Ghazālī, al-Sarakhsī und al-Taftāzānī) ist anderen Wesen als Menschen die dhimma zu versagen.322 Daraus folgt freilich nicht zwingend, dass auch einer Vereinigung von Menschen, die für sich genommen alle über die dhimma verfügen, keine Rechtsfähigkeit zukommen kann. Die Stellungnahmen der genannten Autoritäten beziehen sich offenbar ausschließlich auf Tiere, auf nicht-menschliche Lebewesen. Zwar haben in der Tat einige Juristen der hanafitischen Rechtsschule (u. a. Ibn ‘Ābidīn) explizit dem waqf die dhimma abgesprochen.323 Ob man solche vereinzelt gebliebenen Äußerungen verallgemeinern darf, ist aber mehr als fraglich.324 Bedenkenswerter sind die Überlegungen Nyazees, der einen Zusammenhang herstellt zwischen der Kritik an jeder Form von Götzendienst im Koran und der Nichtanerkennung der Rechtsfähigkeit von Vereinigungen und Stiftungen, sofern diese religiösen Zwecken dienen. Mit etwas Mühe lässt sich der Sure 6.136 der Gedanke entnehmen, ein Götze sei nicht rechtsfähig, daher stehe ihm kein Anspruch auf irgendwelche versprochenen Opfergaben zu, sei es Vieh oder Getreide. Daraus mag man ableiten, das Konzept der juristischen Person, übertragen auf religiöse Einrichtungen (islamische eingeschlossen), stehe im Widerspruch zu zentralen Glaubens321  Chafik Chehata, Art. „Dhimma“, in: The Encyclopaedia of Islam, 2. Aufl., Bd. 2, Leiden 1965, S. 231; Johannes Christian Wichard, Art. „Legal Personality in Islamic Law“, in: The Oxford International Encyclopedia of Legal History, hrsg. von Stanley N. Katz, Bd. 4, Oxford 2009, S. 64–65, 64; Imran Ashan Khan Nyazee, Islamic Law of Business Organization (Corporations), Islamabad 1998, S. 97–102; Mahdi Zahraa, Legal Personality in Islamic Law, Arab Law Quarterly 10 (1995), S. 193–206, 203 f. 322  Imran Ashan Khan Nyazee, Islamic Law of Business Organization (Corporations), Islamabad 1998, S. 102 f. (mit Nachweisen). 323  Mahdi Zahraa, Legal Personality in Islamic Law, Arab Law Quarterly 10 (1995), S. 193–206, 205; Imran Ashan Khan Nyazee, Islamic Law of Business Organization (Corporations), Islamabad 1998, S. 110 f. 324  Mahdi Zahraa, Legal Personality in Islamic Law, Arab Law Quarterly 10 (1995), S. 193–206, 205.

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lehren.325 Unabweisbar ist dieser Schluss freilich nicht. Im Übrigen sind auch nach dieser Ansicht artifizielle Rechtsträger ohne religiöse Zweckbindung zulässig. Bleibt als letzte Erklärung also nur noch der Hinweis auf die der Expansion des neuen Bekenntnisses abträglichen Stammeskonflikte in frühislamischer Zeit: Um zu verhindern, dass stammesbedingte Rivalitäten die erstrebte Solidarität zwischen den Gläubigen untergraben, habe man von vornherein, heißt es, jeder Rechtsform die Unterstützung versagt, die sich dazu eigne, bestehende Stammes-, Sippschafts- und Familienbanden zu stabilisieren. Die Rechtsfähigkeit einzelner Gruppen innerhalb der umma anzuerkennen, hätte sezessionistischen Bestrebungen Auftrieb gegeben und den Zusammenhalt zwischen den Gläubigen in Frage gestellt.326 Die Verbrüderung einstmals unversöhnlicher Gegner und verfeindeter Völker sei schlechthin der welthistorische Auftrag des Islam: „Und haltet fest an Allahs Seil insgesamt und zerfallet nicht und gedenket der Gnade Allahs gegen euch, da ihr Feinde waret und Er eure Herzen so zusammenschloss, dass ihr durch Seine Gnade Brüder wurdet“ (Sure 3.103).327 Dieser Gedanke leuchtet zwar ein, doch bestehen Zweifel, inwieweit die Unterstellung trägt, die Sorge um den Bestand der Gemeinschaft sei ein spezifisch islamisches Phänomen. Jede religiöse oder weltanschauliche Bewegung hat ein elementares Interesse daran, dass Zwietracht und Separatismus nicht die Oberhand gewinnen, zumal in den kritischen Anfangsjahren, die über Erfolg oder Misserfolg des Projekts entscheiden. Das war im frühen Christentum nicht anders als im frühen Islam. Wie gesehen hatte des Paulus metaphorische Rede vom corpus Christi keinen anderen Sinn als den, den Zusammenhalt der über verschiedene Erdteile verstreuten, sozial und ethnisch heterogenen Gemeinden – alle Christen, „alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie“ (1 Cor. 12, 13) – zu beschwören und ein Bewusstsein für die gemeinsamen Aufgaben und Werte zu schaffen. Was Christentum und Islam tatsächlich fundamental voneinander unterscheidet, ist das Leitbild, das den Willen zur Einheit für alle Anhänger sichtbar macht und fortwährend vergegenwärtigt. Um ein solches „Leitbild“ in einer aus den Fugen geratenden Welt zu etablieren und über die Jahrhunderte zu konservieren, bedarf es mehr als einer Sprachkonven­tion, erst recht mehr als einer punktuellen metaphori325  Imran Ashan Khan Nyazee, Islamic Law of Business Organization (Corporations), Islamabad 1998, S. 96. 326  Timur Kuran, The Long Divergence. How Islamic Law Held Back the Mid­dle East, Princeton 2011, S. 139; ders., The Absence of the Corporation in Islamic Law. Origins and Persistence, The American Journal of Comparative Law 53 (2005), S. 794–796. 327  Der Koran, übers. von Max Henning, Stuttgart 1996, S. 78.



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schen Innovation. Sie wäre ohne die Rückendeckung durch nicht-sprachlich vermittelte Sinn stiftende Eindrücke viel zu instabil, um den Erfolg zu gewährleisten. Nur das in sich stimmige Zusammenspiel von Wort und Bild, von Sprache und sinnlicher Erfahrung vermag eine dauerhafte Wirksamkeit sicher zu stellen. Von den beiden konkurrierenden Modellen war das christliche keineswegs das originellere oder elaboriertere. Im Gegenteil: Die Eigendynamik, die das Bild vom „Leib Christi“ als vermeintlich vollkommener Ausdruck und Regulator des Gemeinschaftsgefühls entfaltete, war – das hatte man im Osten richtig erkannt oder zumindest erahnt – dem Einheitsdenken und der Befriedung nach innen nicht förderlich. Da der Körper ein in seinen Ausmaßen begrenztes, in seiner Form genau definiertes Gebilde ist und offenkundig viele Körper die Welt bevölkern, spielte die Corpus-Ästhetik, je weiter die Zeit voranschritt, denen in die Hände, die sich für etwas Besseres hielten und sich von der großen Gemeinschaft abzugrenzen wünschten. Dass die auf die Weise beförderte „körperschaftliche“ Fragmentierung Europas als unvorhergesehenes Nebenprodukt in Politik, Wirtschaft und Bildungswesen Institutionen von erstaunlicher, atemberaubender Effizienz hervorbrachte, steht auf einem anderen Blatt. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Körper- und Organismus-Metaphorik in der politischen Theorie und Rechtslehre des Islam heimisch zu machen, was nicht verwundert, denn bei der Gleichung corpus-ecclesia handelt es sich nicht um einen einsamen Geniestreich des Paulus, sondern dieser hat – davon war schon die Rede – sich lediglich die Lehre der Stoa von der leiblichen Beschaffenheit des Kosmos angeeignet und sie auf die Bedürfnisse des frühen Christentums zugeschnitten. Diese Lehre war auch den muslimischen Gelehrten zugänglich. Prominentestes Beispiel für eine Rezeption stoischen Gedankenguts ist der „Der Musterstaat“ (Mabādi’ ārā’ ahl al-madīna alfādila) des bedeutendsten Philosophen des 10. Jahrhunderts, Abū Nasr Muhammad al-Fārābī, ein Werk, das sich überdies dadurch auszeichnet, dass es auf originelle Weise aus der aristotelischen „Tierkunde“ gewonnene Erkenntnisse über den Aufbau des Organismus mit staatstheoretischen Überlegungen verknüpft.328 „Die Vorzugsstadt (Musterstaat)“, schreibt al-Fārābī, „gleicht dem vollständig gesunden Leib, dessen Glieder sich allesamt einander beistehen, um das kreatürliche Leben voll herzustellen und zu erhalten“.329 Doch alle noch so scharfsinnigen Ableitungen und Analogien der Philosophen hal328  Tilman Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1978, S. 71 f., 81. 329  Abū Nasr Muhammad Ibn Muhammad Ibn al-Fārābī, Risāla fī ārā’ ahl almadīna al-fādila (Der Musterstaat), hrsg. und. übers. von Friedrich Dieterici, Frankfurt am Main 1999 (ND Leiden 1900), S. 86.

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Abb. 11

fen nichts: Die Vorstellung eines leiblich-organisch verfassten Gemeinwesens wurde im Einflussbereich des Islam nie richtig populär, vornehmlich weil sie inkompatibel war mit der dort omnipräsenten „unkörperlichen“ Ästhetik. Dem christlichen Kult des Körperlichen begegnete der Islam mit der subtileren, aber für die angestrebten Zwecke – die Konstituierung einer solidarischen Glaubensgemeinschaft – geeigneteren Ästhetik des Ornaments (Abb. 11). Wenn die soeben zitierte Sure 3.103 die befriedete umma als „Allahs Seil“ versinnbildlicht, dann setzt sie ein hochwirksames Gegenbild zum verselbständigten „Rechtskörper“ in die Welt, das deshalb so wirksam ist, weil es als Leitmotiv in der islamischen Kunst und Architektur, überhaupt im gesamten sinnlich erfahrbare Lebensraum wiederkehrt und dadurch eine ständige Aktualisierung erfährt. Man hat versucht, in der Tradition der christlichen Ikonographie und Emblematik aus den Mustern, Formen und Farbarrangements der Ornamente philosophische oder theologische Positionen herauszulesen; die Wahrheit ist wohl, dass derart ausgreifende Deutungen den Sinn der islamischen Kunst verfehlen,330 dass überhaupt vielleicht 330  Edward H. Madden, Some Characteristics of Islamic Art, Journal of Aesthetics and Art Criticism 33 (1975), S. 423–430, 428–430; Isma’il R. al Fārūqī/Lois Lamyā al Fārūqī, The Cultural Atlas of Islam, New York/London 1986, S. 175 f.; weitergehende Kritik bei Yasser Tabbaa, The Transformation of Islamic Art during the Sunni Revival, London 2002, S. 4–7.



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nur ein einziges Thema sich benennen lässt, das Verstand und Bewusstsein zugänglich ist: die Einheit Gottes (tauhīd) und die Einheit der umma, zur Anschauung gebracht durch ein endlos gewundenes, geknotetes Band.331 Im Unterschied zum corpus handelt es sich bei der Arabeske um ein ästhetisches Signet, das auch bei tausendfacher Verwendung und Deutung seinen ursprünglichen, einzigen Sinn nicht verliert. In ihrer Ausdehnung prinzipiell unendlich, ohne natürliche Konturen, ohne innen und außen, ohne oben und unten verkündet die von „Allahs Seil“ durchwobene Fläche stets die egalitäre Botschaft, die zu verkünden sie bestimmt ist. 2. Die Ware: Verdinglichung und Kommerzialisierung der Schuld Man mag darüber streiten, welche juristische Innovation der letzten hundertfünfzig Jahren den Wohlstand der Nationen stärker befördert hat – die „Erfindung“ der Kapitalgesellschaft oder die der Forderungsabtretung. Bereits im späten 19. Jahrhundert gab es Stimmen, die in der Möglichkeit, Forderungen wie eine Handelsware zu veräußern, den größten Fortschritt in der Geschichte der Menscheit sahen. „If we were asked“, bemerkte der schottische Nationalökonom Macleod, „Who made the discovery which has most deeply affected the fortunes oft the human race? We think, after full consideration, we might safely answer – The man who first discovered that a Debt is a Saleabe Commodity.“332 Wäre Macleod noch am Leben, er hätte wenig Anlass, seine Aussage zu widerrufen. Die Zession erscheint im frühen 21. Jahrhundert bedeutsamer und unentbehrlicher denn je. Der Streit um die Rangfolge der wichtigsten privatrechtlichen Innovationen der letzten Jahrhunderte mag auf sich beruhen. Uns genügt die Erkenntnis, dass die beiden aussichtsreichsten Anwärter auf den Titel – Kapitalgesellschaft und Forderungsabtretung – ihre Existenz der menschlichen Befähigung zum metaphorischen Denken verdanken. Bevor wir die Geschichte der Zession unter diesem Gesichtspunkt näher betrachten, müssen wir uns einige Grundprobleme und Entwicklungsstufen vergegenwärtigen und uns insbesondere über die Doppelnatur der Obligation Klarheit verschaffen. 331  Vgl. Titus Burckhardt, Art of Islam. Language and Meaning, Bloomington (Ind.) 2009, S. 51; Edward H. Madden, Some Characteristics of Islamic Art, Journal of Aesthetics and Art Criticism 33 (1975), S. 423–430, 426; Isma’il R. al Fārūqī/Lois Lamyā al Fārūqī, The Cultural Atlas of Islam, New York/London 1986, S. 163–165, 176; Patrick Riggenberg, L’univers symbolique des arts islamique, Paris 2009, S. 339. 332  Henry Dunning MacLeod, Principles of Economical Philosophy, Bd.  1, 2. Aufl., London 1872, S. 481.

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Das BGB erkennt diese Doppelnatur grundsätzlich an, wenn auch die Meinungen darüber auseinander gehen, ob das Gesetz die beiden Dimen­ sionen nicht noch deutlicher hätte akzentuieren müssen: Nach § 241 Abs. 1 S. 1 BGB ist der Gläubiger kraft des Schuldverhältnisses berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Nach § 398 BGB steht es ihm zugleich frei, durch Vertrag mit einem anderen die nämliche Forderung auf den Dritten zu übertragen, so dass mit Abschluss des Vertrages der neue Gläubiger an die Stelle des bisherigen tritt. Daraus ergibt sich, dass das Gesetz zum einen die Obligation als ein Verpflichtungs- und Leistungsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner behandelt, zum anderen derselben den Status eines gegenwärtigen Vermögenswerts zubilligt, über den der Gläubiger nach seinem Belieben verfügen kann.333 Mit anderen Worten: „Als Geltungsanordnung enthält die Obligation mit Leistungsverpflichtung und Verhaltensberechtigung ein Programm von Verhaltensanweisungen für beide Partner, als Faktum repräsentiert sie für den Gläubiger einen positiven und für den Schuldner einen negativen Vermögenswert. Die Zurechnung obligatorischen Fremdverhaltens in Gestalt eines privativen Übergangs von Rechten und Pflichten auf Dritte stellt sich dementsprechend gleichermaßen als Auswechselung eines Normenadressaten und als Transferierung eines Vermögenswertes dar.“334 Genau genommen enthält das Dogma von der Übertragbarkeit der Forderung, so wie es § 398 BGB statuiert, drei Regelungen335: 1. Eine Abtretung ist zulässig und wahrt die Identität der Forderung. 2. Einer Zustimmung und Benachrichtung des Schuldners bedarf es nicht. 3. Die Abtretung ist ein abstrakter Verfügungsvertrag. Wie der spiegelbildliche Fall der Schuldübernahme (§§ 414 ff. BGB) zeigt, folgt aus dem Grundsatz der identitätswahrenden Übertragung (1.) nicht zwingend, dass der betroffene Vertragspartner kein Mitspracherecht hat (2.). Allerdings befördert die Annahme einer identitätswahrenden Übertragung die Neigung, auf eine Zustimmung zu verzichten. Im Folgenden werden wir daher nicht mehr zwischen den Regelungen (1.) und (2.) differenzieren. Um die Darstellung nicht zu überla333  Allg. Meinung: vgl. nur Karl Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd 1: Allgemeiner Teil, 14. Aufl., München 1987, S. 569; Klaus Luig, Zession und Abstraktionsprinzip, in: Helmut Coing/Walter Wilhelm, Wissenschaft und Privatrecht im 19. Jahrhundert, Band 2: Die rechtliche Verselbständigung der Austauschverhältnisse vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung und Doktrin, Frankfurt am Main 1977, S. 112–143, 113; Franz Wieacker, Die Forderung als Mittel und Gegenstand der Vermögenszuordnung. Ein Beitrag zur Kritik der Unterscheidung zwischen Schuldrecht und Sachenrecht, Deutsche Rechtswissenschaft 6 (1941), S. 49–66, 61. 334  Heinrich Dörner, Dynamische Relativität. Der Übergang vertraglicher Rechte und Pflichten, München 1985, S. 379 (Hervorhebung im Original). 335  HKK-Chr. Hattenhauer, §§ 398–413 Rn. 1.



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den, werden wir zudem davon absehen, auf die Besonderheiten des Abstraktionsprinzips (3.) einzugehen.336 Im Einflussbereich des römischen Rechts war eine Zession, in der Form, wie wir sie kennen, bis weit in die Neuzeit hinein nicht zulässig.337 Das antike römische und das gemeine Recht gelang es nur über Umwegen und mit ziemlich umständlichen Notbehelfen einen Gläubigerwechsel herbeizuführen. Eine Möglichkeit bestand darin, dass sich der „neue“ Gläubiger vom Schuldner die Erfüllung der Leistung versprechen lässt, die er bislang dem „alten“ Gläubiger schuldete. Bei der Novation geht die bisherige Obligation unter und es entsteht eine neue.338 Die Nachteile liegen auf der Hand: Wenn der Schuldner kein Interesse daran hat, seinen bisherigen, möglicherweise generösen Gläubiger zu verlieren, kann er das verhindern, indem er sich weigert, an dem Gläubigerwechsel mitzuwirken. Aber selbst wenn der Schuldner sich grundsätzlich zu einer Novation bereit erklärt, nützt das in der Regel nur dann etwas, wenn er auch damit einverstanden ist, etwaige Bürgschaften und Pfandrechte neu zu bestellen, denn die Sicherheiten beziehen sich ausschließlich auf die alte Forderung und verschwinden mit dieser.339 Wer die Beteiligung des Schuldners vermeiden wollte, dem stand noch ein anderer Weg offen, der allerdings auch seine Nachteile hatte: Der Zedent konnte den Zessionar zum cognitor oder procurator in rem suam bestellen und ihn ermächtigen, die Forderung im eigenen Namen einzuklagen, zu vollstrecken und das Erlangte als das Seine zu behalten. Auf die Weise mussten die Parteien zwar nicht mehr auf die Belange und Launen des Schuldners Rücksicht nehmen, dafür aber lebte der Zessionar mit der Ge336  Dazu Klaus Luig, Zession und Abstraktionsprinzip, in: Helmut Coing/Walter Wilhelm, Wissenschaft und Privatrecht im 19. Jahrhundert, Band 2: Die rechtliche Verselbständigung der Austauschverhältnisse vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung und Doktrin, Frankfurt am Main 1977, S. 112–143; HKK-Chr. Hattenhauer, §§ 398–413 Rn. 28–33. 337  Einen guten Überblick über die Entwicklung bieten Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition, Cape Town 1992, S. 58–67; HKK-Chr. Hattenhauer, §§ 398–413 Rn. 7–37 – ferner die wegweisenden Monographien von Klaus Luig, Zur Geschichte der Zessionslehre, Köln 1966, und Bruno Huwiler, Der Begriff der Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung der vermögensrechtlichen Lehren, Zürich 1975. 338  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 653; Heinrich Honsell / Theodor Mayer-Maly / Walter Selb, Römisches Recht, 4. Aufl., Berlin 1987, S. 277. 339  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 653; Heinrich Honsell / Theodor Mayer-Maly / Walter Selb, Römisches Recht, 4. Aufl., Berlin 1987, S. 277.

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fahr, dass der Zedent kurzfristig seinen Auftrag widerrief oder, da er ja weiterhin der Gläubiger war, selbst den Schuldner verklagte, und die empfangene Leistung für sich verwendete. Erst die litis contestatio erlöste den Zessionar von dieser Sorge, doch konnte es bis dahin zu spät sein.340 Die Stellung des Zessionars verbesserte sich seit der Hochklassik durch kaiserliche Reskripte, die ihm in bestimmten Fälle eine actio utilis verschafften, so dass er aus eigenem Recht klagen und gegen den Schuldner vorgehen konnte. Die Klage konnte der Zessionar unabhängig vom Willen des Zedenten geltend machen. Auch dessen Tod bildet jetzt kein Hindernis mehr, wohl aber der Umstand, dass des Zedenten Recht fortbestand und dieser es auf Kosten des Zessionars ausüben konnte. Die Konstitutionen des Severus Alexander (C. 8,16,4) und des Gordian (C. 8.41.3) stärkten die Position des Zessionars noch weiter,341 doch erst das nachklassische Recht des Westens kennt eine echte Forderungsübertragung oder zumindest Vorgänge, die dem nahe kommen.342 Da Ostrom sich stärker als der Westen an der klassischen Tradition orientierte343 und sich in der justinianischen Kompilation allenthalben Spuren des Dogmas von der Unübertragbarkeit der Forderung finden, haben die mittelalterlichen Juristen, zumindest die Glossatoren und Kommentatoren, die die Vorgaben des Corpus juris zu harmonisieren versuchten, das Dogma übernommen und es in ihren Schriften nun gleichfalls über die Jahrhunderte hinweg konserviert.344 Die humanistische Jurisprudenz wie auch die Vertreter des Usus modernus hielten in der Mehrheit am Grundsatz der Unübertragbar340  Heinrich Honsell/Theodor Mayer-Maly/Walter Selb, Römisches Recht, 4. Aufl., Berlin 1987, S. 277 f.; Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 653 f. 341  Heinrich Honsell/Theodor Mayer-Maly/Walter Selb, Römisches Recht, 4. Aufl., Berlin 1987, S. 278 f. 342  Ernst Levy, Weströmisches Vulgarrecht. Das Obligationenrecht, Weimar 1976, S. 149–157; Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 2: Die nachklassische Entwicklung, 2. Aufl., München 1975, S. 452. 343  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 2: Die nachklassische Entwicklung, 2. Aufl., München 1975, S. 452. 344  Vgl. Klaus Luig, Zur Geschichte der Zessionslehre, Köln 1966, S. 11–16; Richard Fränkel, Die Abtretbarkeit der Forderungsrechte bei den Glossatoren, Berlin 1906; ders., Zur Zessionslehre der Glossatoren und Postglossatoren, ZHR 66 (1910), S. 305–348; Klaus Graner, Die Forderungsavtretung in der Fortbildung des deutschen und französischen Rechts. Ein rechtsgeschichtlicher und rechtspolitischer Beitrag unter Berücksichtigung der Bedeutung der Denuntiation (signification) im französischen Recht, Diss. Tübingen 1967, S. 14–16; Erich Genzmer, Nomina ossibus inhaerent, in: Mélanges Philippe Meylan. Recueil de travaux, Bd. 1: Droit romain, Lausanne 1963, S. 159–165.



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keit fest. Auf ihn beriefen sich so angesehene und einflussreiche Rechtsgelehrte wie Benedikt Carpzov, David Mevius, Heinrich Brunneman und Georg Struve.345 Allerdings gab es auch Kritik, vor allem von Seiten französischer und niederländischer Praktiker. Nach ihrer Ansicht hatte Gewohnheitsrecht den römischrechtlichen Lehrsatz verdrängt.346 Auch deutsche Juristen wie Johann Schilter und Justus Henning Boehmer zweifelten zunehmend an der Richtigkeit und Anwendbarkeit des römischen Dogmas.347 Den entscheidenden Schlag führte indes das Naturrecht. Samuel Pufendorf und Christian Wolff bejahten die Vollrechtsübertragung uneingeschränkt.348 So ist es kein Wunder, dass die von den naturrechtlichen Schulmeinungen inspirierte Gesetzgebung des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts der römischen Zes­ sionslehre den Garaus machte. Der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, das ALR und der Code civil optierten für die neue Lehre.349 Dieselbe geriet indes zunehmend in Misskredit bei den Juristen, die im Geist der Historischen Rechtsschule eine Rückkehr zu den römischen Quellen postulierten. Christian Friedrich Mühlenbruchs Schrift „Die Lehre von der Cession der Forderungsrechte“  – 1817 erschienen350 – war maßgeblich dafür verantwortlich, dass ein Großteil der deutschen Rechtswissenschaft sich für eine Revision der naturrechtlichen Neuerungen aussprach.351 Die Rechtsprechung tat sich ungleich schwerer. Das Reichs-Oberhandelsgericht (1872)352 und das Reichsgericht (1881)353 verweigerten schließlich der wie345  Klaus Luig, Zur Geschichte der Zessionslehre, Köln 1966, S. 26–29; HKKChr. Hattenhauer, §§ 398–413 Rn. 14. 346  Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Bd.  1: Älteres gemeines Recht (1500–1800), München 1985, S. 445–449; HKK-Chr. Hattenhauer, §§ 398–413 Rn. 15. 347  HKK-Chr. Hattenhauer, §§ 398–413 Rn. 16. 348  Eingehend Bruno Huwiler, Der Begriff der Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung der vermögensrechtlichen Lehren, Zürich 1975, S. 37–67. 349  Dazu Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 2: 19. Jahrhundert. Überblick über die Entwicklung des Privatrechts in den ehemals gemeinrechtlichen Ländern, München 1989, S. 468–470; Bruno Huwiler, Der Begriff der Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung der vermögensrechtlichen Lehren, Zürich 1975, S. 103–131. 350  Christian Friedrich Mühlenbruch, Die Lehre von der Cession der Forderungsrechte  – nach den Grundsätzen des römischen Rechts dargestellt, Greifswald 1817 (mehrere Auflagen). 351  Zu Mühlenbruchs Lehre und der Rezeption durch die Historische Rechtsschule: Klaus Luig, Zur Geschichte der Zessionslehre, Köln 1966, S. 47–76. 352  ROHGE 6, 332 f. 353  RGZ 4, 111, 115. Auf beide Entscheidungen beziehen sich die Motive zum BGB: Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. 2: Recht der Schuldverhältnisse, Berlin/Leipzig 1888, S. 118.

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derbelebten Zessionslehre ihre Zustimmung. Damit war der Streit – jedenfalls für die Praxis – entschieden. Den Motiven zum BGB lässt sich nur noch mit Mühe entnehmen, gegen welche Widerstände die Anhänger der Vollrechtsübertragung im 19. Jahrhundert anzukämpfen hatten.354 Seither, seitdem der Gesetzgeber des BGB die identitätswahrende Forderungsabtretung als zulässig anerkannt hat, schlägt das Pendel in die Gegenrichtung aus. Die Übertragbarkeit von Forderungsrechten gilt heute Juristen und Ökonomen „als etwas Selbstverständliches“ und als „ein dringendes Bedürfnis“ jeder Wirtschaftsordnung, die auf einem entwickelten Geld- und Kreditverkehr beruht.355 Es müsse möglich sein, „dass durch einen und denselben Vertrag nicht nur eine einzelne Forderung, sondern auf einen Schlag ganze ‚Pakete‘ von Forderungen abgetreten werden“, darunter auch solche, „von denen im Zeitpunkt der Abtretung ungewiss ist, ob sie künftig überhaupt entstehen, gegen wen sie sich richten und wann sie fällig werden“.356 In der Tat kommt der Zession in der Gegenwart eine enorme wirtschaftliche Bedeutung zu. In Deutschland betrug das Umsatzvolumen von Forderungsverkäufen (Factoring) im Jahr 2010 weit über 130 Mrd. Euro.357 Das 354  „Wenn auch das Prinzip der Sondernachfolge in die Forderung dem röm. Recht fremd war und in der Doktrin des heutigen gemeinen Rechts wieder Gegner gefunden hat, so ist andererseits von einer großen Zahl gewichtiger Autoritäten des gemeinen Rechtes die volle Vereinbarkeit der Sondernachfolge in Forderungen aus Schuldverhältnissen mit der Natur der Forderungen anerkannt, und die Anerkennung durch das Verkehrsbedürfnis sowie die auch in der Praxis der Gerichte mehr und mehr zum Durchbruch gekommene Anschauung geboten. Hierbei folgt der Entwurf überdies der modernen Gesetzgebung, welche, abgesehen von dem hess. Entw. und dem sächs. G. B., durchweg auf dem Boden des Prinzipes der Sondernachfolge in die Forderungen steht“ – Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. 2: Recht der Schuldverhältnisse, Berlin/Leipzig 1888, S. 118. 355  Konrad Zweigert/Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, 3. Aufl., Tübingen 2006, S. 439; Hein Kötz, Art. „Abtretung“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, hrsg. von Jürgen Basedow/Klaus J. Hopt/Reinhard Zimmermann, Bd. 1, Tübingen 2009, S. 9–12, 9; ders., Art. „Rights of Thrid Parties: Third Party Beneficiaries and Assignment: The Transfer of Rights by Assignment, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Bd. VII/2, Tübingen 2008 (1990), S. 52–101, 54; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition, Cape Town 1992, S. 59. 356  Hein Kötz, Art. „Abtretung“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, hrsg. von Jürgen Basedow/Klaus J. Hopt/Reinhard Zimmermann, Bd. 1, Tübingen 2009, S. 9–12, 10. 357  Deutscher Factoring-Verband e. V., Jahresbericht 2010, Berlin 2011, S. 6. (Die Angaben beziehen sich nur auf die im Deutschen Factoring-Verband e. V. vertretenen Institute. Der Verband vertritt allerdings einen Großteil der deutschen FactoringAnbieter).



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entspricht etwa 5,3 Prozent des gesamten deutschen Inlandsproduktes. In anderen Ländern lag die Factoring-Quote noch höher: in Großbritannien bei 15 Prozent, in Frankreich bei 7 Prozent.358 Forderungen werden natürlich nicht nur im Rahmen von Forderungsverkäufen übertragen. Die Zession spielt auch noch bei zahlreichen anderen volkswirtschaftlich bedeutsamen Geschäften eine Rolle, etwa bei der Kreditvergabe, falls die Bank Sicherheiten in Gestalt von Forderungen verlangt. Viele Verbriefungstransaktionen sind zudem ohne die Möglichkeit der Forderungsabtretung nicht denkbar. Das gilt insbesondere für die Emission forderungsbesicherter Wertpapiere (Asset Backed Securities), die den Erwerb von Forderungen durch die emittierenden Zweckgesellschaften voraussetzten. Das Emissionsvolumen forderungsbesicherter Wertpapiere lag in den Vereinigten Staaten 2010 bei 82,6 Mrd. Euro (2009: 102,9 Mrd. Euro) und in Europa bei immerhin 31,3 Mrd. Euro (2009: 52,5 Mrd. Euro).359 Zu denken ist auch an die ökonomische Relevanz des Debt Equity Swap und anderer Methoden und Techniken zur Sanierung von Unternehmen außerhalb des förmlichen Insolvenzverfahrens. Bei einem Debt Equity Swap kaufen auf Sanierungsfälle spezialisierte Finanzinvestoren notleidende Kreditforderungen (meist) unter Nennwert auf, um sie – die Forderungen – danach im Zuge einer Sachkapitalerhöhung gegen die Gewährung von Anteilen an dem zu sanierenden Unternehmen einzubringen.360 Sogar eine weitere Liberalisierung des Zessionsrechts steht inzwischen zur Diskussion. Kritik wird vor allem am Ausschluss der Abtretung durch Vereinbarung (§ 399 BGB) geübt,361 jedenfalls insoweit, als nach Ansicht des BGH durch die Vereinbarung eines Abtretungsverbotes die betreffende Forderung dem Rechtsverkehr mit absoluter Wirkung entzogen sein soll.362 Der Gesetzgeber363 hat 1994 zumindest die Fungibilität solcher Geldforde358  Deutscher

Factoring-Verband e. V., Jahresbericht 2010, Berlin 2011, S. 7 f. Securisation Data Report, Q4 2010, S. 3. 360  Marc Löbbe, Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten des Dept Equity Swap, Liber amicorum für Martin Winter, Köln 2011, S. 423–446. Vgl. ferner Christian von Sydow/Oliver Beyer, Erwerb von notleidenden Krediten und anschließende Kapitalerhöhung mit Sacheinlage. Rechten und Pflichten nach dem WpÜG, AG 2005, S. 635–244; Rainer Himmelsbacher/Jan Achsnick, Investments in Krisenunternehmen im Wege sanierungsprivilegierter debt-equity-swaps, NZI 2006, S. 561–564; Jens Ekkenga, Sachkapitalerhöhung gegen Schuldbefreiung, ZGR 2009, S. 581–622. 361  Aus rechtshistorischer Perspektive: Dietmar Willoweit, Das obligatorisch wirkende Zessionsverbot, in: Hermann Lange/Knut Wolfgang Nörr/Harm Peter Westermann (Hrsg.), Festschrift für Joachim Gernhuber zum 70.  Geburtstag, Tübingen 1993, S. 549–561. 362  BGHZ 70, 299, 301 ff.; 102, 293, 300 ff.; 108, 172, 175 ff. 363  BGBl. 1994 I, S. 1682, 1686. 359  AFME/ESF

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rungen erhöht, die auf Rechtsgeschäften basieren, die für beide Teile ein Handelsgeschäft sind (oder an denen eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder ein öffentlich-rechtliches Sondervermögen als Schuldner beteiligt ist): Nach § 354a BGB steht bei derartigen Forderungen ein Abtretungsverbot der Wirksamkeit der Zession nicht entgegen. Noch weniger Rücksicht auf das Interesse des Schuldners an einer wirkungsvollen rechtsgeschäftlichen Vinkulierung nehmen die für den inter­ nationalen Rechtsverkehr konzipierten Regelwerke.364 So können nach Art. 9.1.9 Abs. 1 S. 1 der UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts Geldforderungen ungeachtet einer entgegen stehenden Absprache übertragen werden.365 Das Gleiche gilt nach Abs. 2 S. 2 für alle anderen Forderungen, falls der Zessionar gutgläubig war. Die Principles of European Contract Law validieren in Art. 11:301 ebenfalls die Übertragbarkeit von (an sich vinkulierten) Forderungen, sofern der neue Gläubiger die Vertragswidrigkeit der Abtretung nicht kannte oder hätte kennen müssen (Abs. 1b) oder die Zession auf einem Vertrag über die Abtretung von künftigen Ansprüchen auf Geldzahlung beruht (Abs. 1c). Ferner statuiert Art. 9 Abs. 1 des UN-Übereinkommens über die Abtretung von Forderungen im internationalen Handel (2001): „An assignment of a receivable is effective notwithstanding any agreement between the initial or any subsequent as­ signor and the debtor or any subsequent assignee limiting in any way the assignor’s right to assign its receivables.“ Allerdings sind davon nur bestimmte Forderungen betroffen.366 Die Geschichte der Zessionslehre wirft viele Fragen auf, nicht zuletzt die Frage nach den Ursachen für die rigorose Anerkennung der Forderungsübertragung in der einen Epoche und für die ebenso rigorose Ablehnung der Zession in der anderen. Nimmt man freilich nur den Ausgangs- und den Endpunkt der Entwicklung in den Blick, sind plausible Erklärungen schnell gefunden. Dass es den Römern zur Zeit der frühen Republik nicht in den 364  Dazu eingehend Horst Eidenmüller, Die Dogmatik der Zession vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung, AcP 204 (2004), S. 457–501, insbes. 459–466. 365  Eine schuldrechtliche Haftung des Zedenten bleibt freilich unberührt: Art. 9.1.9 Abs. 1 S. 2. 366  Art. 9 Abs. 3: This article applies only to assignments of receivables: (a) Arising from an original contract that is a contract for the supply or lease of goods or services other than financial services, a construction contract or a contract for the sale or lease of real property; (b) Arising from an original contract for the sale, lease or licence of industrial or other intellectual property or of proprietary information; (c)  Representing the payment obligation for a credit card transaction; or (d)  Owed to the assignor upon net settlement of payments due pursuant to a netting agreement involving more than two parties.



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Sinn kam, den Austausch des Gläubigers ohne Zustimmung des Schuldners zuzulassen, ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass der Schuldner dem Gläubiger nach dem Recht der XII Tafeln völlig ausgeliefert war. Wer fürchten musste, versklavt oder getötet zu werden, der hat ein wahrhaft existentielles Interesse daran, keinen Gläubiger zu erhalten, den er sich nicht selbst ausgesucht hat.367 „It could not be otherwise“, schreibt Fritz Schulz, „A law in which execution on the person of the debtor is a living institution cannot allow a creditor to transfer his right to another without the consent of the debtor, thereby perhaps substituting a harsh creditor for a mild one.“368 Umgekehrt lässt sich die Selbstverständlichkeit, mit der die Rechtsordnungen der Gegenwart die Zession anerkennen, scheinbar zwanglos mit dem Fehler solcher drakonischer Sanktionen und den Bedürfnissen kapitalintensiver Volkswirtschaften erklären. Die Forderungsübertragung könnte heute wohl nur zu dem Preis eines dramatischen wirtschaftlichen Niedergangs aus der Welt geschafft werden. Die These von den ökonomischen Ursachen des Wandels ist besonders populär. Ihr eifrigster Verfechter war Jhering. Alle Stellungnahmen, die einen Zusammenhang herstellen zwischen veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und privatrechtlichen Innovationen (wie die „Entdeckung“ der direkten Stellvertretung oder eben der Forderungsabtretung), sind nicht viel mehr als Kommentare oder Fußnoten zu Jherings fulminanter Kritik an der „Begriffsjurisprudenz“. Das Eigentümliche an dieser Kritik war, dass es für sie auf der Grundlagen des Jheringschen Dogmas vom Gleichklang der ökonomischen und der rechtlichen Entwicklung eigentlich gar kein Bedürfnis gab. So schreibt er: „Der Kredit, das Talent, die Idee fungiren in unserem heutigen Güterleben als höchst werthvolle wirthschaftliche Factoren, aber wie lange haben sie unbenutzt und unbekannt da gelegen, bis die Noth des Lebens dazu zwang, auch sie zu beachten und zu verwerthen. Mit der wirthschaftlichen Entwicklung aber hält die des Rechts gleichen Schritt, letzteres läßt sich als das Flußbett der wirthschaftlichen Strömung bezeichnen, d. h. es ist zu jeder gegebenen Periode so weit und breit, als das Verkehrsbedürfnis es erheischt.“369 Wenn jedoch tatsächlich eine exakte Kongruenz von ökonomischen Interessen und juristischer Doktrin bestünde, bliebe unverständlich, wie es geschehen konnte, dass Historische Rechtsschule und „Begriffsjurisprudenz“ dem 19. Jahrhundert, also ausgerechnet dem Jahrhundert, das in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht die Wasserscheide zwischen Vormoderne Hattenhauer, §§ 398–413 Rn. 7. Schulz, Classical Roman Law, Oxford 1951, S. 628. 369  Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. II/2, 8. Aufl., Darmstadt 1954, S. 431 f. 367  HKK-Chr. 368  Fritz

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und Moderne bildet, ein derart rückständiges, gleichsam altrömisches Zessionsrecht diktierten, das weit hinter den „fortschrittlicheren“ vernunftrecht­ lichen Lehren des 18. Jahrhunderts zurückblieb. Gerade sie, die (angeblich) doktrinär erstarrten, bar jeder ökonomischen Einsicht agierenden Juristen seiner Zeit, erbosten Jhering ja so maßlos. „Sprengen wir die Fesseln, in denen der Irrwahn uns gefangen hält“, rief er seinen Zeitgenossen zu, „Jener ganze Kultus des Logischen, der die Jurisprudenz zu einer Mathematik des Rechts hinaufzuschrauben gedenkt, ist eine Verirrung und beruht auf einer Verkennung des Wesen des Rechts. Das Leben ist nicht der Begriffe, sondern die Begriffe sind des Lebens wegen da. Nicht was die Logik sondern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühlt postuliert, hat zu geschehen, möge es logisch deduzierbar oder unmöglich sein.“370 Auch bei Otto Bähr stehen die Erkenntnis, dass ökonomische und recht­ liche Entwicklung stets Hand in Hand gehen, und die Kritik daran, dass sich die zeitgenössische Jurisprudenz von der Logik der Begriffe, anstatt von der wirtschaftlichen Vernunft leiten lässt, unvermittelt nebeneinander. In seinem 1857 erschienen Aufsatz „Zur Zessionslehre“ verwies er auf die vielfältigen Innovationen im Sachen- und Obligationsrecht infolge tief greifender ökonomischer Veränderungen: „Der große Umschwung, den die Verkehrsverhältnisse seit den letzten Jahrhunderten erlitten, konnte auch auf die Rechtsbildung nicht ohne Einfluß bleiben. Alle Vermögensrechte gewannen das Streben, aus dem Zustand der Stabilität in den der Mobilität überzugehen. Dieses Streben, soweit man ihm Folge gab, musste aber für das Eigenthum und für die Obligation ganz verschieden wirke; dort musste es zu einer Annäherung an die römische Lehre, hier zu einer Entfernung von derselben führen.“371 Andererseits klagt Bähr über den „theoretischen, unfruchtbaren Charakter“ der Lehren und Kontroversen in der Rechtswissenschaft der Gegenwart: „Statt von concreten Fragen auszugehen und mit Rücksicht auf sie die leitenden Principien zu erforschen, hat man sich mit allgemeinen Sätzen herumgetrieben, bei denen man oftmals kaum weiß, ob der über sie geführte Streit ein Sachen- oder nur ein Wortstreit ist.“372 Ein Widerspruch besteht nur dann nicht, wenn man – wie offenbar Jhering und Bähr – in der „Begriffsjurisprudenz“ eine einmalige Verirrung, eine absolute Ausnahmeerscheinung in der Rechtsgeschichte sieht. Doch selbst wenn wir das 19. Jahrhundert außer Betracht lassen, ist der Nachweis nicht so einfach zu erbringen, dass das Flussbett des Rechts stets genau so 370  Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. III/1, 8. Aufl., Darmstadt 1954, S. 321. 371  Otto Bähr, Zur Cessionslehre, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 351–502, 354. 372  Otto Bähr, Zur Cessionslehre, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 351–502, 355.



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breit ist, wie es die wirtschaftliche Strömung erfordert. So bestehen erhebliche Zweifel, ob es tatsächlich zum Zeitpunkt der größten Ausdehnung des römischen Imperiums keinen Bedarf an der Vollrechtsübertragung von Forderungen gab, wohl aber in der weströmischen Spätantike oder im vorindustriellen Bayern. Es ist sicherlich richtig, dass die Zession, so wie sie im BGB und anderen Privatrechtskodifikationen seit der Aufklärung gesetzlich geregelt ist, einen integralen Bestandteil der modernen, hochentwickelten Wirtschafts- und Finanzordnung bildet. Doch berechtigt diese Tatsache nicht dazu, dem Recht allein die Rolle des Vollstreckungsgehilfen ökonomischer Interessen zuzuweisen. Dahinter steht letztlich die falsche Vorstellung, nur technologischer Wandel (der sichtbar und für jedermann begreifbar ist) generiere ökonomischen Fortschritt. Indes ist längst erwiesen,373 dass institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen mindestens ebenso wichtig sein können für die Prosperität einer Volkswirtschaft wie technologische Innovationen, die ja häufig die Existenz eines funktionierenden Kapital- und Kreditwesens voraussetzen. Soweit das Recht Ursache und Antriebskraft einer wirtschaftlichen Dynamik ist, kann es nicht zugleich deren Folge sein. Zumindest empfiehlt es sich nach anderen, zusätzlichen Ursachen für die Fortbildung des Rechts Ausschau zu halten. In Betracht kommt auch ein Wandel der philosophischen oder theologischen Annahmen. Unglücklicherweise führt dieser Ansatz im Fall der Zessionslehre nicht sehr weit. Zwar erlebte das 19. Jahrhundert tatsächlich so etwas wie den Austausch der ideellen Basis des Privatrechts, das damals überhaupt erst zu einem Privatrecht wurde, konstituiert durch das Prinzip der Privatautonomie und Vertragsfreiheit. Jedoch widerspricht die Vollrechtsübertragung ohne Beteiligung des Schuldners gerade diesem konstituierenden Grundsatz: „Für das unbefangene Auge bedeutet Forderungsabtretung … nichts anderes als Vertragsänderung in Bezug auf den Vertragspartner in seiner Eigenschaft als Gläubiger. Wenn nun das Gesetz den Forderungsschuldner, obwohl Vertragspartei, als Prinzip an der gläubigerbezogenen Vertragsänderung nicht beteiligt, dann greift es tief in die Vertragsfreiheit dieser Partei ein.“374 Der Eingriffscharakter der modernen Zession fällt heute gewöhnlich unter den Tisch oder wird als quantité négligeable verharmlost.375 Aber so margi373  Vgl. nur Douglass C. North, Theorie des institutionellen Wandels. Eine neue Sicht der Wirtschaftsgeschichte, Tübingen 1988. 374  Knut Wolfgang Nörr/Wolfgang Pöggeler/Robert Scheyhing, Sukzessionen. Forderungszession, Vertragsübernahme, Schuldübernahme, 2. Aufl., Tübingen 1999, S. 6. 375  Vgl. Hein Kötz, Art. „Rights of Thrid Parties: Third Party Beneficiaries and Assignment: The Transfer of Rights by Assignment, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Bd. VII/2, Tübingen 2008 (1990), S. 52–101, 61 („… the assignor might have been more lenient with respect to timely payment of the debt than

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nal sind die Auswirkungen eines Gläubigerwechsels durchaus nicht.376 Die Person des Gläubigers gehört seit jeher zu den wesentlichen Bestandteilen einer Vereinbarung. Wenn auch heute der Schuldner nicht fürchten muss, versklavt oder getötet zu werden wie nach altrömischen Recht, so kann doch der Wegfall eines Gläubigers, zu dem ein über Jahre oder Jahrzehnte gewachsenes Vertrauensverhältnis bestand, den Schuldner in eine ökonomisch existentielle Krise stürzen. Die Internationalisierung des Forderungsverkaufs hat die Situation noch weiter verschärft. Einem Kleinunternehmer, der ein Darlehen bei seiner Kreissparkasse aufnimmt oder sich bei einem lokalen Lieferanten verschuldet, wird es nicht gleichgültig sein, wenn ihm plötzlich ein amerikanischer Hedgefonds oder eine chinesische Staatsbank als Gläubiger gegenüber treten. Wenn wir im Folgenden die Einführung einer neuen konzeptuellen Metapher als Ursache für die Ausbildung des modernen Zessionsrechts in Erwägung ziehen, so wollen wir damit nicht behaupten, dass andere Faktoren keine Rolle spielen. Selbstverständlich gibt es einen Zusammenhang zwischen ökonomischen Zwängen und Rechtsfortbildung. Doch hat es die „Interessenjurisprudenz“ – zu der auch der späte Jhering zählt – etwas zu weit g ­etrieben, als sie im Verlaufe der Auseinandersetzung mit der „Begriffsjurisprudenz“377 sich auf die Rechtsgeschichte als Kronzeugin für die ins Auge gefasste Neuausrichtung der juristischen Dogmatik und Methode berief. Weil bis in das 20. Jahrhundert hinein ein Rekurs auf das antike römische Recht die größte Anerkennung innerhalb der scientific community versprach, haben Jhering und seine Nachfolger mit Verve behauptet, die römische Rechtswissenschaft sei eine Interessenjurisprudenz avant la lettre gewesen und den Römern es nie in den Sinn gekommen, aus Begriffen anstatt aus praktischen Bedürfnissen Rechtssätze abzuleiten. Ganz im Sinne Jhering schrieb Philipp Heck einige Jahrzehnte später: „Die Annahme, dass … begriffliche Vorstellungen, Strukturformeln, für die Entstehung wichtiger Rechtssätze wirklich kausal gewesen sind, ist m. E. nicht zutreffend. Auch die Rechtssätze der Vergangenheit sind auf praktische Bedürfnisse zurückzuführen.“378 was the assignee. In view of the desirability from the economic standpoint of making money claims freely alienable, the law does not regard slight burdens of this kind as sufficient to refuse to give effect to the assignment“). 376  Hans Giger, Das Schicksal des Rechts beim Subjektwechsel unter besonderer Berücksichtigung der Erbfolgekonzeption, Bd. 2: Wertkritische Deutung des ideologischen Gedankenguts im 20. Jahrhundert – eine privatrechtsvergleichende Studie, Zürich 1975, S. 202 f. 377  Zu dieser Auseinandersetzung vgl. insbes. Hans-Peter Haferkamp, Georg Friedrich Puchta und die „Begriffsjurisprudenz“, Frankfurt am Main 2004, S. 26–46. 378  Philipp Heck, Grundriß des Schuldrechts, Tübingen 1929, S. 212 (ebenso S. 10).



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So wie seit einigen Jahren Korrekturen vorgenommen werden an dem Bild, das die an Jhering geschulte Rechtswissenschaft des späten 19. und des 20. Jahrhunderts von der „Begriffsjurisprudenz“ zeichnete,379 ist es an der Zeit, den Primat ökonomischer Theorien und Modellannahmen in Frage zu stellen. Nach allem, was wir über die sinnliche Verstrickung unseres Denkens wissen, liegt die Vermutung nahe, dass das Verfahren der „Begriffsjurisprudenz“ nicht anderes war als eine systematische und gleichsam zu allgemeinem Bewusstsein gelangte Rechtsfortbildung nach den Gesetzen der metaphorischen Logik, ein Verfahren, das die Juristen allenthalben, aber eben meist verdeckt und unbewusst anwenden. Tatsächlich handelt es sich bei den „Begriffen“ der „Begriffsjurisprudenz“ in Wahrheit oft um Metaphern oder Ableitungen aus Metaphern, etwa wenn die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts mit dem Tod eines Lebewesens verglichen und daran gemessen wird.380 Jhering hat Fälle dieser Art in „Scherz und Ernst in der Jurisprudenz“ und im „Geist des römischen Rechts“ schonungslos karikiert. Doch was er als Skurrilität schmäht, sind wichtige Vorarbeiten zu einer Rechtsästhetik, die darauf zielt, die Implikationen juristischer Metaphern zu ermitteln – nicht um aus solchen Implikationen Rechtssätze zu gewinnen, wie das (angeblich) die „Begriffsjurisprudenz“ tat, sondern um besser zu verstehen, warum geltendes Recht und „praktisches Bedürfnis“ so häufig auseinanderfallen und ihre eigenen Wege gehen. Jhering, der sich zu Beginn seiner Karriere, „als junger Mensch“ die „begriffsjuristische Methode“ angeeignet hatte,381 wusste nur allzu gut, welche weitreichenden Schlüsse Juristen aus einem einzelnen unscheinbaren Sprachbild ziehen. Wenn er die anspruchsvolle juristische Tätigkeit als „künstlerische Production“ bezeichnete, die eher Kreativität als „consequentes logisches Denken“ erfordere,382 dann weil er es als eine zentrale Aufgabe ansah, bestehende begriffliche Strukturen auf ihre Zweckmäßigkeit und 379  Hans-Peter Haferkamp, Georg Friedrich Puchta und die „Begriffsjurisprudenz“, Frankfurt am Main 2004; Ulrich Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid. Erkundungen auf den Feldern der sogenannten Begriffsjurisprudenz, Frankfurt am Main 1989; Joachim Rückert, Autonomie des Rechts in rechtshistorischer Perspektive, Hannover 1988, S. 79–88; Jan Schröder, Art. „Begriffsjurisprudenz“, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Bd. 1, Berlin 2008, Sp. 500–502; ders., Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit (1500–1933), 2. Aufl., München 2012, S. 276 f. 380  Vgl. Jan Schröder, Art. „Begriffsjurisprudenz“, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Bd. 1, Berlin 2008, Sp. 500–502. 381  Rudolf von Jhering, Scherz und Ernst in der Jurisprudenz. Eine Weihnachtsgabe für das juristische Publikum, Darmstadt 1964 (ND 13. Aufl., Leipzig 1924), S. 337. 382  Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. II/2, 8. Aufl., Darmstadt 1954, S. 370 f.

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ihren Wirklichkeitsgehalt hin zu überprüfen und gegebenenfalls neue, geeignetere zu ersinnen: „Eine Täuschung ist es, als ob die Begriffe bloß, weil sie einmal da sind, die Geltung unumstößlicher logischer Wahrheiten beanspruchen könnten. Sie stehen und fallen mit den Rechtssätzen, denen sie entnommen sind. Werden letztere beseitigt, weil sie nicht mehr passen, so müssen auch sie weichen oder eine veränderte Gestalt annehmen, so gut wie das Futteral weggeworfen, erweitert oder verändert werden muß, wenn der Gegenstand, für den es bestimmt war, gegen einen andern vertauscht oder größer oder kleiner gemacht worden ist.“383 Was Jhering von anderen forderte, hat er versucht, selbst umzusetzen, sei es bei der Lösung dogmatischer Einzelprobleme, sei es bei der Beantwortung methodischer Grundsatzfragen. Kein anderer deutscher Jurist hat eine derart überbordende Fülle an begrifflichen Innovationen hinterlassen. Jhering experimentierte ohne Unterlass mit neuen, unkonventionellen Ausdrücken, immer auf der Suche nach einer adäquaten, zeitgemäßen Repräsentation zeitgemäßer Inhalte. Seine „linguistische Willkürlichkeiten“ und „ablenkenden Metaphern“ haben ihm viele übel genommen.384 Doch war es nicht Schwadroniersucht oder mangelnde Selbstdisziplin, sondern die Einsicht in die Notwendigkeit, eine Veränderung der Inhalte durch eine Veränderung der Sprache herbeizuführen, was den Mut voraussetzt, zunächst alle in Betracht kommenden Varianten auf die Probe zu stellen. Jhering ist es auch, der uns einen Hinweis darauf gibt, warum die Geschichte der Zessionslehre einen so eigenartigen Verlauf nahm. Psychophoros, den Seelenführer im „juristischen Begriffshimmel“, legt er die Worte in den Mund: „Eine Succession in eine Forderung – kann man sich etwas Widersinnigeres denken? Die Forderung ist kein Objekt, das man hat, sondern eine Eigenschaft, die man ist; sie verhält sich zu ihrem Subjekt ebenso wie die Prädialservitut zum herrschenden Grundstück, beide sind juristische Qualitäten. Wie in aller Welt soll man sich nun vorstellen, daß diese Qualität Gläubiger zu sein, auf einen Andern übertragen wird? Dann müßte ja auch Schönheit, Gesundheit, Kraft, Verstand sich übertragen lassen, was allerdings sehr wünschenswert wäre, aber leider unausführbar ist. Ebensowenig läßt sich, wenn man nicht allen Gesetzen des juristischen Denkens 383  Rudolf von Jhering, Scherz und Ernst in der Jurisprudenz. Eine Weihnachtsgabe für das juristische Publikum, Darmstadt 1964 (ND 13. Aufl., Leipzig 1924), S. 344. 384  Mario G. Losano, Studien zu Jhering und Gerber, Ebelsbach 1984, S. 127 f.; Helmut Coing, Der juristische Systembegriff bei Rudolf von Ihering, in: Jürgen Blühdorn/Joachim Ritter, Philosophie und Rechtswissenschaft. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1969, S. 149–171, 165; Maximilian Herberger, Dogmatik. Zur Geschichte von Begriff und Methode in Medizin und Jurisprudenz, Frankfurt a. M. 1981, S. 404.



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Hohn sprechen will, die Möglichkeit einer Übertragung der Forderung behaupten. Sie ist in der Person dieses bestimmten Gläubigers zur Existenz gelangt und ihrem Begriff nach mit ihr unlöslich verbunden.“385 Wenn wir einmal davon absehen, dass Jhering sich wieder einmal ausschließlich über die „Begriffsjurisprudenz“ des 19. Jahrhunderts lustig macht und andere Epochen verschont, so lässt sich dem fiktiven Vortrag des Psychophoros doch eine Aussage von grundsätzlicher Bedeutung entnehmen: Dass eine Rechtskultur der Forderungsabtretung die Anerkennung verweigert, könnte daran liegen, dass Forderungen in dieser Rechtskultur gedanklich nicht als Objekte oder Gegenstände repräsentiert werden. So wie es umgekehrt den Juristen des 20. und 21. Jahrhunderts schwer fällt, die Objekteigenschaft von Forderungen von jetzt auf gleich auszublenden, und die daher – wie Heck in der eingangs angeführten Bemerkung – die Relevanz von Repräsentationsdifferenzen zwischen Antike und Gegenwart vehement bestreiten.386 Obligatio est iuris vinculum, heißt es in den Insitutionen, quo necessitate adstringimur alicuius solvendae rei, secundum nostrae civitatis iura.387 Das Schuldverhältnis wird demnach als vinculum, als „Band“, „Strick“, „Fessel“, „Seil“ usw. imaginiert, das die am Geschäft Beteiligten in irgendeiner Weise „bindet“. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Belege, die darauf hindeuten, dass das Bild von der Forderung als „Band des Rechts“ tief im römischen Rechtsdenken verwurzelt war: Um die gedankliche Verbindung von „Band“ und „Forderung“ herzustellen, bedurfte es gar nicht der Vinculum-iuris-Definition, denn der zentrale Begriff obligatio bezeichnete seiner Herkunft nach ja selbst etwas „Gebundenes“. Obligare bedeutete nichts anderes als „anbinden“, „zubinden“, „verbinden“ und „befestigen“. Das Verb verweist also auf ganz handfeste Tätigkeiten. „Obligiert“ werden konnte etwa ein Sack, ein Paket oder eine Wunde.388 Nexum, der alte Oberbegriff für alle Libralakte – die Geschäfte „durch Kupfer und Waage“ – leitet sich ab von nectere,389 das heißt: „binden“, 385  Rudolf von Jhering, Scherz und Ernst in der Jurisprudenz. Eine Weihnachtsgabe für das juristische Publikum, Darmstadt 1964 (ND 13. Aufl., Leipzig 1924), S. 308. 386  Unter „Verdinglichung“ verstehen wir die Verknüpfung der Ursprungsdomäne „Ding/Sache“ mit der Zieldomäne „Forderung/Recht“ und nicht im Sinne Dulckeits die Ausstattung von Forderungsrechten mit „Zügen dinglicher Rechte“: vgl. Gerhard Dulckeit, Die Verdinglichung obligatorischer Rechte, Tübingen 1951, S. 10. 387  Inst. 3, 13 pr. 388  Quellennachweise bei Karl Ernst Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Bd. 2, 10. Aufl., Basel 1959, Sp. 1247 f. (Art. „obligo“). 389  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 43, 166.

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„ineinanderschlingen“, „zusammenknüpfen“, „fesseln“.390 Der Ausdruck ist noch Cicero vertraut, der ihn – gelegentlich auch nexu traditio – vorzugsweise für die mancipatio verwendet.391 Livius und andere Historiker392 gebrauchen nexi im Sinne von „Schuldknechte“, wenn sie von Schuldnern sprechen, die der Zugriffsgewalt ihrer Gläubiger unterworfen sind. Sogar das mündliche Schuldversprechen, die stipulatio, die bekanntlich von großer praktischer Bedeutung war,393 soll – jedenfalls nach Ansicht eines Teils der Literatur394 – ihren Namen der Praxis des „Fesselns“, des „Anbindens“ mit einem Halm – stipula  – verdanken. Der Logik der Vinculum-Metapher entspricht es, dass man das Gegenstück zur „Bindung“ als „Lösung“ oder „Befreiung“ bezeichnete. Im altrömischen Recht konnte der Gläubiger bestimmten Schuldner mit Hilfe der nexi liberatio oder solutio per aes et libram die Schuld erlassen.395 Auch im klassischen Recht heißt die durch Erfüllung herbeigeführte Beendigung des Schuldverhältnisses weiterhin solutio  – „Losbinden“396: Solutionis verbo satisfactionem quoque omnem accipiendam placet. Solvere dicimus eum, qui fecit quod facere promisit.397 Wer sich an diesem Bildfeld orientiert, dem wird es schwer fallen, den Austausch von Personen in einem Schuldverhältnis als Selbstverständlichkeit hinzunehmen, schwerer jedenfalls als dem, der sich eine Forderung in einem beweglichen Gegenstand verkörpert denkt, der sich mühelos von Hand zu Hand reichen lässt. Selbst wenn man das Schuldverhältnis als etwas Unbewegliches, als eine Örtlichkeit begreift, so liegt die Idee des 390  Quellennachweise bei Karl Ernst Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Bd. 2, 10. Aufl., Basel 1959, Sp. 1126 f. (Art. „necto“). 391  Cic., Top. 5, 28; ad fam 7, 30, 2. Weitere Quellennachweise bei Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 43. 392  Liv. 2, 27, 1; 7, 19, 5. Weitere Quellennachweise bei Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 166. 393  Dazu jetzt Thomas Finkenauer, Vererblichkeit und Drittwirkungen der Stipulation im klassischen römischen Recht, Tübingen 2010. 394  Georg Beseler, Miszellen (Bindung und Lösung), SZ 45 (1925), S. 396–431; ders., Miszellen (Bindung und Lösung), SZ 49 (1929), S. 404–460, 458; ders., Miszellen (Bindung und Lösung), SZ 55 (1935), 226–272, 270. Dem zugeneigt auch Max Kaser, Das altrömische Ius. Studien zur Rechtsvorstellung und Rechtsgeschichte der Römer, Göttingen 1949, S. 268 f. 395  Liv. 6, 14, 5; Cic., de leg. 2, 20, 51. Weitere Quellennachweise bei Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 172. 396  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 635. 397  Ulp. D. 50, 16, 176.



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identitätswahrenden Austauschs doch immer noch näher als bei der Imagination eines vinculum iuris: So wie aus einem Raum kann man sich aus einer Forderung oder Schuld hinausbewegen (cedere, „abtreten“) und das, was zurückbleibt, einem anderen überlassen, ohne dass sich Raum, Forderung oder Schuld ändern. Natürlich kommt es auch darauf an, welche Beschaffenheit des imaginären vinculum man zu Grunde legt. Windscheid hat, um den buchstabentreuen Romanisten seiner Zeit die Hinwendung zur freien Zession zu erleichtern, das vinculum iuris als ein loses, lockeres Band beschrieben: „So bleibt es also wahr, daß der Übergang der Obligation sich in der Weise vollzieht, daß der Gläubiger das rechtliche Band, mit dem ihm der Schuldner gebunden war, einem Andern in die Hand gibt; die Person des Gläubigers hat gewechselt, das Band – die bindende rechtliche Herrschaft – ist dasselbe geblieben.“398 Allerdings ist es sehr fraglich, ob Windscheids gut gemeinter Vorschlag die antike Vorstellung adäquat erfasst, wenn wir uns vergegenwärtigen, welche realen Vorgänge den Hintergrund der prima facie recht eigenartigen Vinculum-Metapher bilden. Die Allgegenwart des „Binde“-Jargons in der römischen Rechtssprache ist wohl darauf zurückzuführen, dass ursprünglich bei Vertragsschluss oder zumindest bei der Vollstreckung dem persönlich Haftenden tatsächlich Fesseln angelegt wurden.399 Nach altrömischem Verständnis erfolgte eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung dadurch, dass sich eine Person von einer anderen die Zugriffsgewalt auf dessen Körper einräumen ließ, falls dieser nicht leistete, was er versprochen hatte. Die volle körperliche Zugriffsgewalt auf einen Hausfremden und nicht irgendeine Leistung war also der eigentliche Kern des „Schuldverhältnisses“.400 Unter Umständen stellte der Haftende schon bei Vertragsschluss sich selbst oder einen anderen als Geisel zur Verfügung. Da eine Geisel für den Berechtigten nur dann einen Wert hat, wenn sie sich nicht sogleich wieder seinem Zugriff entzieht, wird er ihre Flucht durch ein Ingewahrsamnehmen zu verhindern versuchen. Spätestens im Rahmen der Vollstreckung, sobald feststand, dass nach Vollzug der förmlichen manus iniectio niemand es übernehmen will, dem Haftenden beizustehen und den fehlenden Betrag zu 398  Bernhard Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, vom Standpunkte des heutigen Rechts, Düsseldorf 1856, S. 169. 399  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 150; Georg Beseler, Miszellen (Bindung und Lösung), SZ 45 (1925), S. 396–432; ders., Miszellen (Bindung und Lösung), SZ 49 (1929), S. 404–460; ders., Miszellen (Bindung und Lösung), SZ 51 (1931), S. 398–401. 400  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 146–148.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

begleichen, spätestens dann drohte diesem das Anlegen eines realen vinculum.401 Den Gang in die Unfreiheit beschreiben die XII Tafeln ziemlich detailliert. Eine der letzten Stationen war die 60tägige Privathaft im Haus des Berechtigten, der den Haftenden mit Hilfe von Riemen (nervus) und Fußfesseln (compedes) an einer Flucht hindern durfte. Sogar das Gewicht der Fesseln (fünfzehn Pfund) war gesetzlich vorgegeben.402 Eilte auch während der Privathaft niemand dem nunmehr gefesselten Vollstreckungsschuldner zur Hilfe, durfte der Verfolger ihn töten oder versklaven (trans Tiberim vendere). In der Praxis erkannte man indes schon bald, dass es meist für alle Beteiligte vorteilhafter war, wenn der „Gefesselte“ den Lösungsbetrag abarbeitete, also in Form von Dienstleistungen erbrachte.403 Der schwerwiegendste Akt in der Genese eines Schuldverhältnisses, der Verlust der körperlichen Freiheit, wurde vermutlich recht schnell zum Sinnbild für das Schuldverhältnis als solches. Das vinculum iuris war also seiner Grundbedeutung nach kein loses Band, sondern eine Fessel, die nur durchschlagen, d. h. zu dem Preis ihrer Zerstörung gelöst werden konnte. Die Konnotation des Starren, Statischen, Singulären, die Begriffen wie obligare, nectere usw. – in einem juristischen Kontext verwendet – anhaftete, wird sich nicht deshalb verflüchtigt haben, weil man die Ausdrücke irgendwann nur noch in einem übertragenden Sinn gebrauchte und keine realen Vorgänge mehr vor Augen hatte404, so wenig wie sich die charakteristischen Konnotationen anderer Ursprungsdomänen verflüchtigen.405 Dass der Ausruck vinculum iuris eher eine Fessel als ein loses Band bezeichnet, entsprach übrigens auch dem Sprachempfinden des lateinischen Mittelalters. Accursius glossierte die Definition der obligatio in Inst 3, 13, pr. mit den Worten: … ut enim boves funibus visualiter ligantur, sic homines verbis ligantur intellectualiter …406 Man dachte sich die obligatio als ein 401  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 153 f.; Max Kaser/Karl Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., München 1996, S. 142–145. 402  NI IUDICATUM FACIT AUT QUIS ENDO EO INIURE VINDICIT, SECUM DUCITO, VINCITO AUT NERVO AUT COMPEDIBUS XV PONDO, NE MINORE, AUT SI VOLET MAIORE VINCITO – XII T. 3, 3. 403  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 154. 404  Vgl. Heinrich Honsell/Theodor Mayer-Maly/Walter Selb, Römisches Recht, 4. Aufl., Berlin 1987, S. 212. 405  S. o. II. 1. 406  Zitiert nach Erich Genzmer, Nomina ossibus inhaerent, in: Mélanges Philippe Meylan. Recueil de travaux, Bd. 1: Droit romain, Lausanne 1963, S. 159–165, 159.



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Seil, das so eng anliegt, so stabil und gut befestigt ist, dass auch ein Ochse sich nicht von ihm lösen kann. Accursius war zudem einer der ersten, der die Formel obligatio ossibus inhaeret (oder nomina ossibus inhaerent) gebrauchte: Die Obligation haftet an den Knochen.407 Bis weit in die Neuzeit hiniein diente der Satz als eine Art argumentative Abreviatur derer, die sich gegen die Übertragbarkeit von Forderungen aussprachen.408 Auf den ersten Blick scheint die Formel in keiner Beziehung zur antiken Vinculum-Metapher zu stehen. Genzmer hat indes plausibel dargelegt, dass auch der Aussage obligatio ossibus inhaeret letztlich die Ursprungsbedeutung der obligatio zu Grunde liegt.409 Denn vermutlich entnahmen die mittelalterlichen Juristen die etwas ungewöhnliche Wendung ossibus inhaeret einer im strafprozessualen Teil des Codex überlieferten Konstitution des Kaisers Konstantin. Die Verordnung handelt von den Privilegien des Untersuchungsgefangenen. Während der Dauer der Ermittlung soll der – bislang nur – Tatverdächtige eine günstigere Behandlung erfahren als ein bereits rechtskräftigt Verurteilter. Ihm wird unter anderem zugestanden, sich „bequemere“ Handfesseln anlegen zu lassen als die üblichen, die „die Knochen (die Gelenke) eng umschließen“. Im lateinischen Wortlaut: Interea vero exhibito non ferreas manicas et inhaerentes ossibus mitti oportet, sed prolixiores catenas, si criminis qualitas etiam catenarum acerbitatem postulaverit, ut et cruciatio desit et permaneat fida custodia.410 Die schweren eisernen Ketten und geschmiedeten Fußfesseln eines verurteilten Straftäters (Abb. 12) kamen den mittelalterlichen Juristen also in den Sinn, wenn sie mit Begriffen wie obligatio, solutio und vinculum iuris hantierten. Das Bild ist offenkundig ungeeignet, um die Vorstellung zu entwickeln, Forderungen seien ein fungibles, freies Wirtschaftsgut mit austauschbaren Beteiligten. Eine solche Vorstellung hätte die metaphorische „Verdinglichung“ der Forderung vorausgesetzt, die den Römern und ihren geistigen Erben fremd war. Allerdings gibt es bereits für die Zeit der Klassik den einen oder anderen Hinweis darauf, dass man die Möglichkeit erkannte oder erahnte, Forderungen gedanklich als (Vermögens-)„Gegenstände“ zu repräsentieren. Gaius beispielsweise verwendet den Schlüsselbegriff transferre, als er Forderungs- und Eigentumsübertragung miteinander vergleicht. Allerdings 407  Glosse zu D. 17, 2, 3, pr.: Erich Genzmer, Nomina ossibus inhaerent, in: Mélanges Philippe Meylan. Recueil de travaux, Bd. 1: Droit romain, Lausanne 1963, S. 159–165, 160. 408  Nachweise bei Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 1: Älteres gemeines Recht (1500–1800), München 1985, S. 445 Fn. 3. 409  Erich Genzmer, Nomina ossibus inhaerent, in: Mélanges Philippe Meylan. Recueil de travaux, Bd. 1: Droit romain, Lausanne 1963, S. 159–165, 164 f. 410  C. 9, 4, 1, 2.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Abb. 12

spricht Gaius genau genommen nur von der „Übertragung“ des Eigentums (transferuntur) und vermeidet es, den Begriff auf Forderungen zu beziehen. In der Sache sieht er ohnehin keine Übereinstimmung: Obligationes quoquo modo contractae nihil eorum recipiunt; nam quod mihi ab aliquo debetur, id si velim tibi deberi, nullo eorum modo, quibus res corporales ad alium transferuntur, id efficere possum.411 Die stabile Hintergrundmetapher des vinculum iuris geriet durch solche Gedankenspiele noch nicht in Gefahr und wohl auch noch nicht durch die explizite Verbindung zwischen translatio (transfusio) und obligatio (debitum), die Ulpian einige Zeit später herstellte: Novatio est prioris debiti in aliam obligationem vel civilem vel naturalem transfusio atque translatio, hoc est cum ex praecedenti causa ita nova constituatur, ut prior perematur. Novatio enim a novo nomen accepit et a nova obligatione.412 Der Bruch mit der Tradition erfolgte erst in der nachklassischen Periode. Damals änderten sich natürlich auch die ökonomischen Rahmenbedingun411  Gai. 412  D.

2, 38. 46, 2, 1 pr.



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gen, doch noch wichtiger war die kulturelle Transformation, die Auflösung tradierter Sprach- und Umgangsformen, das Eindringen neuer Begriffe usw. Veränderungen dieser Arten schlagen in der Regel unmittelbar auf die Rechtsordnung durch. Moderne Rechtshistoriker, soweit sie als Vergleichsmaßstab das klassische römische Recht heranziehen, neigen dazu, das spätantike Privatrecht in den Kategorien des Verfalls, des Abstiegs, der Degeneration zu beschreiben. Charakteristisch sei „der auffällige Wechsel in den Ausdrucksformen und der tiefgreifende Schwund in der juristischen Substanz der Regeln“.413 Doch „der katastrophale Tiefstand begrifflicher Verantwortlichkeit“414 führte auch dazu, dass bestimmte konzeptuelle Metaphern, die über Jahrhunderte das Denken der römischen Juristen reguliert hatten, an Bedeutung verloren und durch andere ersetzt wurden. Daraus konnten sich juristische Innovationen ergeben, die dem Recht der Moderne näher stehen als die vergleichbaren Rechtsinstitute des klassischen römischen Rechts. So liegen die Dinge im Fall der Zession, die als Vollrechtsübertragung – mit und ohne Zustimmung des Schuldners – in nachklassischer Zeit Anerkennung fand.415 Wenn nicht alles täuscht, steht die Auflösung des römischen Zessionsdogmas in einem engen Zusammenhang mit der zunehmenden Bereitschaft, die Obligation gedanklich zu „verdinglichen“ und den Austausch der Gläubiger als „Übertragung“ zu versinnbildlichen.416 Sowohl im Codex Theodosianus als auch im justinianischen Codex ist jetzt ganz unbefangen die Rede von actionem transferre417 und cautionem deferre418. Mit der Rezeption des römischen Rechts seit dem Hochmittelalter kehrte das alte Dogma der Unübertragbarkeit mit Macht zurück. So tief war die Vinculum-Metapher eingewoben in den Texten der klassischen Juristen, die Justinian hatte kompilieren lassen, dass auch einem Großteil der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rechtsgelehrten es abwegig erschien, es könne ein Gläubigerwechsel bei Fortbestehen der Identität des Schuldverhältnisses stattfinden. Ausnahmen, beachtliche Ausnahmen, gab es. Insbesondere in der 413  Ernst Levy, Weströmisches Vulgarrecht. Das Obligationenrecht, Weimar 1956, S. 5. Vgl. auch Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 2: Die nachklassische Entwicklung, 2. Aufl., München 1975, S. VII f.; 17–31. 414  Ernst Levy, Weströmisches Vulgarrecht. Das Obligationenrecht, Weimar 1956, S. 5. 415  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 2: Die nachklassische Entwicklung, 2. Aufl., München 1975, S. 452. 416  Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 2: Die nachklassische Entwicklung, 2. Aufl., München 1975, S. 452. 417  CT 2, 13 rubr.: De actionibus ad potentes translatis; C. 2, 13 rubr.: Ne liceat potentioribus patrocinium litigantibus praestare vel actiones in se transferre. 418  CT 2, 13, 1; C. 2, 13, 2.

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notariellen Praxis hatte die Vollrechtsübertragung viele Anhänger.419 Der enge Bezug zu lokalen Rechtstraditionen und volkssprachlichen Imaginationen erleichterte es offenbar, sich vom römischen Obligationenverständnis zu lösen. Der Basler Notar Johann Rudolph Sattler definiert in seinem „Thesaurus Notariorum“ von 1619 die Zession als iuris & actionis translatio (!) vel directi iuris & actionis plena remissio. Der Vorgang werde deshalb cessio genannt, ergänzt Sattler in deutscher Sprache, „weil du von deinem Rechten weichest, dich dessen entsetzest, und einem andern ubergibst.“ Das lässt darauf schließen, dass Sattler sich die „Rechten“ räumlich oder gegenständlich dachte, jedenfalls aber nicht in einem Band verkörpert.420 Eine Breitenwirkung entfalteten solche Äußerungen nicht. Noch fehlte es an der Rückendeckung durch das akademische Establishment. Das änderte sich in der (Früh-)Aufklärung, als die Volkssprachen in der Wissenschaft an Ansehen gewannen. Diese Aufwertung brachte zahlreiche semantische Verschiebungen mit sich und damit zwangsläufig auch eine Veränderung im Bestand der konzeptuellen Metaphern. Ökonomische Gesichtspunkte spielten hingegen eine eher untergeordnete Rolle. Vor allem Samuel Pufendorf und Christian Wolff hatten einen wichtigen Anteil daran, dass das Prinzip der Singularsukzession in der Wissenschaft und in den Gesetzgebungskommissionen Anklang fand. Beide Autoren sprachen sich mit Verve für eine gedankliche „Verdinglichung“ von Forderungen aus, ja behandelte diese sogar als Sachen im Rechtssinn. „Eine Sache (res)“, schreibt Wolff, „nennen wir ein jedes Ding (ens omne), welches uns nützlich seyn kann; nämlich um das Leben zu erhalten, und vergnügt und bequemlich zu leben; entweder die Vollkommenheit des Leibes und der Seele auf alle Art und Weise zu befördern, oder die Unvollkommenheit abzuwenden. Es ist eine Sache aber entweder körperlich (corporalis), welche durch die Sinnen empfunden werden kann, oder unkörperlich (incorporalis), welche durch die Sinnen nicht empfunden werden kann, sondern durch den Verstand allein begriffen wird; dergleichen sind die Rechte und Fertigkeiten der Seele.“421 419  Bruno Huwiler, Der Begriff der Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung der vermögensrechtlichen Lehren, Zürich 1975, S. 30 f. 420  Johann Rudolph Sattler, Thesaurus Notariorum. Das ist: Notariat und Formular Buch, 5. Aufl., Basel 1619, Cap. 18, qu. 1 und 2, nach Bruno Huwiler, Der Begriff der Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung der vermögensrechtlichen Lehren, Zürich 1975, S. 31. 421  Christian Wolff, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts, Halle (Saale) 1754, 1.  Theil, 4. Hauptstück, § 121 (S. 78). Vgl. auch Jan Schröder, Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit (1500–1933), 2. Aufl., München 2012, S. 186 f.



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Die Unterscheidung zwischen res corporales und res incorporales findet sich zwar vereinzelt schon in den römischen Quellen422, doch diente sie in der Antike lediglich didaktischen Zwecken.423 Vorherrschend war ein enger Sachbegriff, der sich heute in § 90 BGB wiederfindet424: „Sachen im Sinne des Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände.“ Bei Pufendorf und Wolff hingegen ist der weite Sachenbegriff, der alle Rechte und daher auch auch Forderungen einschließt, Dreh- und Angelpunkt der Privatrechtslehre. Die Einbeziehung von Forderungen in den Sachenbegriff hat die Naturrechtler dazu verleitet, in der Frage der Zession einen Umweg zu nehmen, der in gewisser Weise aber von Vorteil war, weil er die Akzeptanz der Lösung erhöhte. Pufendorf und Wolff zogen nämlich aus der Sacheigenschaft von Forderungen den Schluss, dass es auch ein Eigentum an diesen geben müsse, gleich dem Eigentum an körperlichen Gegenständen.425 So heißt es in Wolffs „Grundsätzen des Natur- und Völkerrechts“ explizit: „Weil wir nicht weniger mit unkörperlichen Sachen, als z. B. dem Rechte zu jagen, Vögel zu fangen und allen anderen verfahren können, wie wir wollen; so können auch unkörperliche Sachen eigenthümlich seyn, und dem Eigenthume unterworfen werden. Aus dieser Ursach werden sie, eben wie die körperlichen, unsere genannt, und es gilt von ihnen eben das, was vermöge des Eigenthums bey den körperlichen statt findet.“426 Von da war der Weg nicht mehr weit zum Gedanken der Forderungsübertragung als Eigentumsübertragung: Wenn das Eigentum an körperlichen Sachen übertragen werden konnte, dann musste das Gleiche für das Eigentum an unkörperlichen Sachen gelten. Dieser letzte gedankliche Schritt ergab sich fast von selbst und bereitet offenbar weder Pufendorf noch Wolff größere Schwierigkeiten.427 Das römische Recht kam ihnen entgegen. Zwar hat man sich im 20. Jahrhundert lebhaft darüber gestritten, ob bereits das 422  Gaius

2, 12–14. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 376. 424  Zu den Hintergründen und den Probleme, die sich daraus für moderne Volkswirtschaften ergeben: vgl. zuletzt Stefan Leible/Matthias Lehmann/Herbert Zech (Hrsg.), Unkörperliche Güter im Zivilrecht, Tübingen 2011. 425  Vgl. HKK-Chr. Hattenhauer, §§ 398–413 Rn. 18; Bruno Huwiler, Der Begriff der Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung der vermögensrechtlichen Lehren, Zürich 1975, S. 43, 58. 426  Christian Wolff, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts, Halle (Saale) 1754, 2.  Theil, 1. Hauptstück, § 206 (S. 131). 427  Vgl. Samuel Pufendorf, De iure naturae et gentium libri VIII, Londini Scanorum 1672, L. 4, C. 9, § 2 (S. 528); Christian Wolff, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts, Halle (Saale) 1754, 2.  Theil, 5. Hauptstück, § 338 (S. 208), § 342 (S. 209). Dazu: Klaus Luig, Zur Geschichte der Zessionslehre, Köln 1966, S. 40 f.; Bruno Huwiler, Der Begriff der Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunft423  Max

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klassische römische Recht den Austausch der Eigentümerposition durch Übertragung anerkannte.428 Doch dürften die Versuche der rigorosen Textkritik, Ausdrücke wie dominium transferre generell für interpoliert und unecht zu erklären, heute wohl als überholt gelten.429 Gegen die Annahme, es handle sich bei der Verwendung der translatio-Metapher lediglich um den Gebrauch eines „harmlosen Verdeutlichungsmittels“430, spricht beispielsweise die schon erwähnte Gaius-Stelle 2, 38.431 Da Gaius streng zwischen der translatio der res corporales und der novatio von Obligationen unterscheidet, kann das nur bedeuten, dass er nicht nur von einer begrifflichen, sondern auch von einer gewichtigen inhaltlichen Differenz zwischen diesen beiden Formen des „Inhaberaustauschs“ ausging.432 In vorklassischer Zeit mag es sich anders verhalten haben, als Herrschaftsrechte über Sachen so wie Forderungen gegen Personen als ein Beziehungsverhältnis imaginiert wurden und nicht als „Gegenstand“, der sich „übertragen“ ließ. Begriffen wie mancipium und mancipatio haben die Vorstellung von der relationalen, nicht-gegenständlichen Natur solcher Rechte eine Zeit lang konserviert (die „Hand“ (manu capere) als Verkörperung der macipium-Gewalt433). Allerdings war die Suggestionskraft dieser Sprachbilder nicht besonders groß. Und vermutlich noch aus einem anderen Grund vollzog sich die Anerkennung der Vollrechtsübertragung bei körperlichen Sachen schneller als bei Forderungen: Soweit reale Gegenstände betroffen waren, lag es nahe, das „Eigentum“ an diesen Gegenständen metaphorisch zu verdinglichen und „übertragbar“ zu machen. So konnte die Ortsveränderung der Dinge in der sichtbaren Wirklichkeit des Güterausrecht. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung der vermögensrechtlichen Lehren, Zürich 1975, S. 44, 67. 428  Vgl. einerseits Filippo Gallo, Studi sul trasferimento della proprietà in diritto romano, Turin 1955; andererseits Pietro de Francisci, Il trasferimento della pro­ prietà. Storia e critica di una dottrina, Padua 1924. 429  „Unanfechtbare klassische Stellen sprechen, wie von dominium (proprietatem) vindicare, dare, adquirere, mancipare, so auch von dominium (proprietatem) transferre, transire“ – Max Kaser, Rez. von Filippo Gallo, Studi sul trasferimento della proprietà in diritto romano, SZ (RA) 74 (1957), S. 433–441, 435. Anders noch Max Kaser, Art. „Translatio“, in: RE Bd. VI A,2, Stuttgart 1937, Sp. 2158– 2170, 2159 f. 430  Max Kaser, Rez. von Filippo Gallo, Studi sul trasferimento della proprietà in diritto romano, SZ (RA) 74 (1957), S. 433–441, 441. 431  Obligationes quoquo modo contractae nihil eorum recipiunt; nam quod mihi ab aliquo debetur, id si velim tibi deberi, nullo eorum modo, quibus res corporales ad alium transferuntur, id efficere possum. 432  In dem Sinne wohl auch Heinrich Honsell/Theodor Mayer-Maly/Walter Selb, Römisches Recht, 4. Aufl., Berlin 1987, S. 277. 433  Vgl. Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, S. 44.



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tauschs (rem transferre) leicht zum Modell und Vorbild für die Veränderung der rechtlichen Zuordnung der Dinge werden (dominium transferre). Da dank Pufendorf und Wolff sich der Oberbegriff translatio iuris in der Rechtswissenschaft verbreitete,434 war es nur eine Frage der Zeit, bis die Konstruktion der Forderungsübertragung als Eigentumsübertragung durch das Institut der unmittelbaren Forderungsübertragung ersetzt wurde. Bereits der Wolff-Schüler Joachim Georg Darjes sprach sich für eine Singularsukzession in Forderungen aus, obwohl er ein Eigentum an Rechten – anders als sein Lehrer – ablehnte.435 Das BGB hat sich dem angeschlossen und behandelt die Forderungsübertragung im allgemeinen Schuldrecht und nicht im Sachenrecht. Allerdings sind die Stimmen nie ganz verstummt, die Forderungen nicht nur als (übertragbare) „Gegenstände“ des Rechtsverkehrs begreifen, sondern auch als „Sachen“, die Objekte eines (übertragbaren) Rechts sein können.436 Diese Mindermeinung verkennt nicht die systematische Stellung der §§ 398 ff. BGB, verweist aber auf die Möglichkeit, Nießbrauch (§ 1068 BGB) und Pfandrechte an Rechten (§ 1273 Abs. 1 BGB) zu bestellen.437 Im Zuge der Bemühungen um eine „nationalsozialistische Rechtserneuerung“ wurde sogar erwogen, Forderungen konsequent Sachen (im Sinne des § 90 BGB) gleichzustellen und das Recht der Forderungsübertragung in das Sachenrecht zu integrieren. Als Argument diente nicht zuletzt die alltägliche Sprachpraxis: Im deutschen Privatrecht „wird die Forderung, besonders die umlauffähige Geldforderung, unbefangen ihrem wirtschaftlichen Funktionswert entsprechend den körperlichen Gegenständen gleichgestellt; so redet der tägliche Sprachgebrauch durchaus sachgemäß von ‚guten‘ und ‚schlechten‘ Forderungen, von ‚Gehören‘ und ‚Übereignen‘ eines Guthabens, als ob es eine Sache wäre.“438 Heute lehnt die bei HKK-Chr. Hattenhauer, §§ 398–413 Rn. 18 f. Huwiler, Der Begriff der Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung der vermögensrechtlichen Lehren, Zürich 1975, S. 82 f. 436  Insbesondere Otto Bähr, Zur Cessionslehre, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 351–502, 401 f.; Franz Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des BGB, Bd. 1, München/Leipzig 1929, S. 60 f. Dazu Philipp Heck, Rez. von Franz Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des BGB, AcP 134 (1931), S. 357–362, 360 f.; Klaus Luig, Zur Geschichte der Zessionslehre, Köln 1966, S. 140 f. 437  Dazu HKK-Chr. Hattenhauer, §§ 398–413 Rn. 5. 438  Franz Wieacker, Die Forderung als Mittel und Gegenstand der Vermögenszuordnung. Ein Beitrag zur Kritik der Unterscheidung zwischen Schuldrecht und Sachenrecht, Deutsche Rechtswissenschaft 6 (1941), S. 49–66, 63. Dazu Heinrich Dörner, Dynamische Relativität. Der Übergang vertraglicher Rechte und Pflichten, München 1985, S. 115 f. 434  Nachweise 435  Bruno

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ganz herrschende Meinung ein Eigentumsrecht an Forderungen als „unnötige Rechtsverdoppelung“439 ab.440 Die etwas verwickelte Diskussion um die „Rechte an Rechten“ sollte nicht den Blick für das Wesentliche verstellen: Der Austausch der Bindedurch die Gegenstandsmetapher im Recht der Forderungen stellt einen wichtigen Wendepunkt in der europäischen Rechts- und Wirtschaftsgeschichte dar. Indem es gelang, eine so imaginäre Größe wie schuldrecht­ liche Ansprüche als bewegliche körperliche Gegenstände zu veranschau­ lichen, als sichtbare, begreifbare Objekte, mit denen umzugehen und zu hantieren wir gelernt haben, wurde es möglich, Kapital in einer bislang nicht gekannten Größenordnung zu mobilisieren. Nur weil im Rückblick der Austausch der Leitmetapher als ökonomisch geradezu zwingend erscheint, sollte man nicht das Eigengewicht anderer – nicht-ökonomischer – Ursachen unterschätzen. Fest steht, dass es uns heute – anders als den Menschen in früheren Epochen – schwer fällt, Rechte und Forderungen nicht als übertragbare „Gegenstände“ unseres Vermögens anzusehen. Ein Grund dafür könnte in der ungeheuren Expansion der materiellen Kultur, in dem Bedeutungszuwachs der beweglichen „Ware“ in den letzten zweihundert Jahren liegen. Während in traditionellen Gesellschaften der Sachbesitz 200–300 Objekte selten überschreitet, sind in modernen Konsumgesellschaften Haushalte mit bis zu 10.000 Objekten keine Seltenheit.441 „Das Berlin von 1811“, notierte Walther Rathenau im frühen 20. Jahrhundert, „besaß im Umkreise seiner Mauern nicht so viel an Ladengütern wie ein einziges Häuserviereck des Berlin von 1911.“442 Man muss nur einen Blick werfen in die damals in Millionen-Auflage verteilten Warenkataloge des „Kaufhaus des Westens“443 oder des Versandhändlers „August Stukenbrok“444, um zu ermessen, in welchem Ausmaß die Industrie ihr Warenangebot erweitert hatte und fortwährend erweiterte (Abb. 13). Das von der Dürerbund-Werkbund-Genossenschaft publizierte „Deutsche Warenbuch“ von 1915 ästheti439  Rudolf Löbl, Geltendmachung fremder Forderungsrechte im eigenen Namen. Ein Beitrag zur Lehre von der Innen- und Außenwirkung der Obligation, AcP 129 (1928), S. 257–339, 297. 440  Ausführlich Karl Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts. Bd. 1: Allgemeiner Teil, 14. Aufl., München 1987, S. 572–574. 441  Hans Peter Hahn, Materielle Kultur: eine Einführung, Berlin 2005, S. 35 f., 81 f. (mwN). 442  Walther Rathenau, Zur Kritik der Zeit, Berlin 1912, S. 60. 443  Kaufhaus des Westens, Illustrierter Haupt-Katalog 1913, ND Hildesheim 1998. 444  August Stukenbrok, Illustrierter Hauptkatalog 1912, mit einer Einführung von Erich Plümer, ND Hildesheim 1973.



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Abb. 13

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Abb. 14

sierte die „gediegene“, „brauchbare und billige“ Massenware für „weiteste Volkskreise“.445 Die – oft karikierte (Abb. 14) – Inszenierung des Produkts in Schaufenstern und Vitrinen, in Prospekten und auf Plakaten, wurde zum Fetisch und zur Signatur der Moderne. Es entstand eine Konsumkultur und industrielle Dingwelt, die historisch ohne Vorbild war und das Verhältnis zwischen 445  Joseph Popp, Deutsches Warenbuch, Hellerau bei Dresden 1915, S. XXVII: „Aus der Zeit der schlechten Fabrikation, der achziger und neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts, gilt heute noch ‚die Fabrikware‘ als etwas Minderwertiges, ja selbst Verächtliches. Das ist bedauerlich und schädlich, weil unsere Fabrikation inzwischen bedeutende Fortschritte gemacht hat, weil wir vielfach ohne sie gar nicht bestehen könnten und gute Fabrikware sogar künstlerisch zu befriedigen vermag. Nur durch die Massenherstellung der Fabriken können die weitesten Volkskreise mit brauchbarer und billiger Ware versorgt werden.“



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Mensch und Sache revolutionierte.446 Pioniere der dingweltlichen Verführungskunst waren die großen Kauf- und Warenhäuser, die seit dem späten 19. Jahrhundert das Stadtbild der westlichen Metropolen prägen. In Paris buhlten „Le Bon Marché“, „Les Grands Magasins du Louvre“ und „Les Grands Magasins Dufayel“ mit einer solchen Verve und Raffinesse um die Gunst der Kundschaft, dass es den Besuchern aus der Provinz die Sprache verschlug. Phänomene wie „conspicuous consumption“ (Thorstein Veblen), Kaufzwang und Kleptomanie beschäftigten schon vor 1900 Psychologen, Soziologen und Ökonomen. Ein literarisches Denkmal hat dem übersteigerten Konsumverhalten und Warenfetisch Émile Zola in seinem 1883 erschienenen Roman „Au Bonheur des Dames“ gesetzt. Anschaulich schildert der Autor am Beispiel der Denise Baudu, einer 20jährigen Frau aus einer Kleinstadt in der Normandie, wie das überbordende Warenangebot der „Konsumtempel“ die Menschen in den Bann zog und überwältigte: „Doch Denise stand immer noch versunken vor der Auslage zu Seiten des Haupteingangs. Hier lag, sozusagen auf dem Gehsteig, ein ganzer Haufen von billigen Waren, Gelegenheitsartikel, welche die Kunden im Vorbeigehen anziehen sollten … Unten schließlich waren in Fächern und auf Tischen mitten unter Stößen von Stoffresten Berge von Waren aufgestapelt, die für eine Kleinigkeit zu haben waren: gewirkte Handschuhe und Schals, Kopftücher, Leibchen, eine förmliche Ausstellung von Wintersachen in bunten, scheckigen, gestreiften Mustern. Es war ein riesiger Jahrmarkt; das Geschäft schien vor Überfülle bersten und seinen Überfluss auf die Straße ausschütten zu wollen.“447 Artefakte traten von nun an immer häufiger an die Stelle sozialer Beziehungen. Sie definierten und prägten den individuellen way of life.448 Dadurch erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass auch zwischenmenschliche Verpflichtungen und Rechte im Allgemeinen gedanklich als „Dinge“, als „Waren, als „Produkte“449 repräsentiert werden. 446  Eingehend Gudrun M. König, Konsumkultur. Inszenierte Warenwelt um 1900, Wien/Köln/Weimar 2009. 447  Émile Zola, Das Paradies der Damen, übers. von Armin Schwarz, Berlin 2015, S. 4. 448  Vgl. dazu Daniel Miller, The Comfort of Things, Cambridge 2008; ders., Stuff, Cambridge 2010; Sherry Turkle, Evocative Objects. Things we think with, Cambridge (MA) 2007. Zum Aspekt der „Kommerzialisierung“ („Ökonomisierung“) der Lebenswelt vgl. Heinz-Dieter Assmann/Frank Baasner/Jürgen Wertheimer (Hrsg.), Ware Mensch – die Ökonomisierung der Welt, Baden-Baden 2014. 449  Vgl. etwa Roberta Romano, Law as a Product. Some Pieces of the Incorporation Puzzle, Journal of Legal Economics and Organization 1 (1985), S. 225–283; Meinrad Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt. Die Privatversicherung und ihre rechtliche Gestaltung, Tübingen 1991; Georg Bachmann, Private Ordnung. Grundlagen ziviler Regelsetzung, Tübingen 2006, S. 50–52.

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3. Das Feuer: Von der terrestrischen zur energetischen Rechtsgeschäftslehre Zu den charakteristischen Merkmalen der Privatrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts gehört „die Einbeziehung rechtlich relevanten Verhaltens in die Lehre von der Willenserklärung“450. Die Unterscheidung zwischen Rechtsgeschäft und rechtlich relevantem Verhalten war für das Privatrecht in der Tradition des 19. Jahrhunderts und damit auch im Grundsatz für das BGB konstitutiv:451 Bei einem Rechtsgeschäft treten die Rechtsfolgen ein, weil dies die Parteien so gewollt haben. Einer weiteren Begründung oder Rechtfertigung bedarf es nicht. Bei einem rechtlich relevanten Verhalten hingegen ergeben sich die Rechtsfolgen aus einer Wertung und Entscheidung des Gesetzgebers, ohne dass es insofern auf den Willen der Beteiligten ankommt. Anders gewendet: „Der Unterschied des rechtlich relevanten Verhaltens zum rechtsgeschäftlichen Handeln besteht darin, dass das rechtsgeschäftliche Handeln … als ein final auf Rechtsgestaltung gerichteter Akt auf Grund der Anerkennung durch die Rechtsordnung die rechtsgeschäftliche Regelung in Geltung setzt, während das Verhalten, wenn es rechtlich relevant ist, als bloßes Faktum eines Tuns oder Unterlassens in Anbetracht seiner Umstände ex lege rechtliche Bedeutung hat. Das Rechtsgeschäft ist eine rechtliche Regelung. Das rechtlich relevante Verhalten ist dagegen, auch wenn die gleichen Rechtsfolgen wie bei einer rechtsgeschäftlichen Regelung eintreten, keine Regelung, sondern es wird geregelt, es ist der Tatbestand einer Regelung von Rechts wegen, die auf Grund rechtlicher Wertung des Verhaltens erfolgt.“452 Freilich kann es in manchen Fällen das Bedürfnis geben, einen nicht final auf Rechtsgestaltung gerichteten Akt (oder Nicht-Akt) wie ein Rechtsgeschäft zu behandeln und in einen rechtsgeschäftlichen Kontext zu integrieren. Um diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen, bedienten sich die Juristen des 19. Jahrhunderts der Fiktion. Neben der Willenserklärung, schreibt Savigny im „System“, „gibt es auch wichtige Fälle, welchen eine positive Rechtsregel die Kraft einer Willenserklärung beilegen, ohne daß deshalb der Wille als Tatsache behauptet werden kann; ich bezeichne diese als fingierte Erklärung“.453 450  Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., Berlin 1979, § 10.1 (S. 115). 451  Grundlegend Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., Berlin 1979, § 10 (S. 113–133). 452  Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., Berlin 1979, § 10.1 (S. 114). 453  Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. III, Berlin 1840, § 133 (S. 253).



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Das BGB hat diese Technik übernommen, etwa in §§ 108 Abs. 2 und 177 Abs. 2 BGB. Danach „gilt“ die Genehmigung des Geschäfts eines Minderjährigen (eines Vertreters ohne Vertretungsmacht) als verweigert, wenn der gesetzliche Vertreter (der Vertretene) nicht binnen zwei Wochen seit Empfang der Aufforderung, sich zur Genehmigung zu äußern, die Genehmigung erklärt hat. Umgekehrt „gilt“ nach § 516 Abs. 2 S. 2 BGB eine Schenkung, die ohne den Willen des Beschenkten erfolgt, als angenommen, wenn der Beschenkte nicht innerhalb der vom Zuwendenden gesetzten (angemessenen) Frist die Zuwendung ablehnt. Ferner statuiert § 625 BGB, dass ein Dienstverhältnis auf unbestimmte Zeit als verlängert „gilt“, wenn es nach Ablauf der Dienstzeit von dem Verpflichteten mit Wissen des anderen Teils fortgesetzt wird und der andere Teil nicht unverzüglich widerspricht. Nach § 612 Abs. 1 BGB „gilt“ eine Vergütung überdies als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Den Beispielen ist gemeinsam, dass Rechtsfolgen eintreten, die an sich eine Willenserklärung voraussetzen, obwohl eine solche nicht vorliegt. Den Beispielen ist allerdings auch gemeinsam, dass Willenserklärungen erkennbar fingiert („gilt“) werden. Von einer privatautonomen Gestaltung kann also keine Rede sein. Die scharfe Trennung zwischen dem Eintritt einer Rechtsfolge ex lege und ex voluntate entsprach der herrschenden Meinung im Schrifttum des 19. Jahrhunderts.454 Es war das Empfinden für das Essentielle der Rechtsgeschäftslehre, das Willensdogma, das Savigny immer wieder zu Klarstellungen veranlasste. So schreibt er über das Verhältnis von fingierter und stillschweigender – konkludenter – Willenserklärung: „Die gänzliche Verschiedenheit von der stillschweigenden Willenserklärung, die stets eine wirkliche ist, zeigt sich darin, dass manche hierher gehörende Fälle gar nicht auf einer einzelnen Handlung beruhen, die etwa als Zeichen des Willens interpretiert werden könnten, sondern auf einem allgemeinen, bleibenden persönlichen Verhältnis: ferner dass diese Fiktion in mehreren Fällen zur Anwendung kommt, worin der wirkliche Wille noch nicht einmal möglich ist.“455 Eben weil eine wirkliche Willenserklärung grundverschieden sei von einer fingierten, wollte Windscheid „die ganze Vorstellung“ (einer fingierten Willenserklärung) lieber ad acta legen.456 454  Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., Berlin 1979, § 10.1 (S. 115, 117). 455  Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. III, Berlin 1840, § 133 (S. 253 f.). 456  Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandaktenrechts, Bd. 1, Düsseldorf 1862, § 72 (S. 154); vgl. auch Eduard Böcking, Institutionen, Bd. 1: Die Einleitung und die Lehre von den Voraussetzungen des Privatrechts, Bonn 1843, § 118 (S. 489).

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Seit dem Ausgang des vorletzten Jahrhunderts nahmen es die Juristen mit der „gänzlichen Verschiedenheit“ nicht mehr so genau. Zunehmend war man bereit, die Unterschiede zwischen Rechtsgeschäft und rechtlich relevantem Verhalten einzuebnen. Erst Ende der 1950er Jahre wurden die Stimmen lauter, die eine Rückbesinnung auf die von der Privatrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts herausgearbeiteten Differenzierungen fordern,457 wohl auch als Reaktion auf die Rechtsprechung des BGH, der damals in einer Reihe von Fällen mit Figuren der Rechtsgeschäftslehre operierte, auch wenn es keine Anhaltspunkte für einen final auf die Gestaltung von Rechtsverhältnissen gerichteten Wille gab. Die „Hofübergaberechtsprechung“458 des BGH ergibt allein dann Sinn, wenn man dessen Überzeugung teilt, „dass Vertragsverhältnisse nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auch durch tatsächliche Vorgänge, nicht bloß durch auf die Rechtsfolgen gerichtete rechtsgeschäftliche Erklärungen begründet werden können.“459 Das höchste deutsche Zivilgericht bekannte sich damals also ausdrücklich zur Lehre von den „Schuldverhältnissen aus sozialtypischen Verhalten“. Diese war zwar als Antwort auf die Herausforderungen des modernen Massenverkehrs konzipiert worden, doch nach Auffassung des BGH ließ sie sich auch auf andere Sachverhalte mit Gewinn übertragen.460 Am Beispiel der „Anscheinsvollmacht“ lässt sich zeigen, wie sich nach und nach die Idee einer „Willenserklärung ohne Willen“ etablierte.461 Auch wenn die Bedingungen, unter denen sich diese Entwicklung vollzog, heute nicht mehr gegeben sind und wir die zu Grunde liegenden rechtstheoretischen und -methodischen Annahmen nicht mehr teilen, so sind doch die juristischen Innovationen jener Zeit – vom Ausgang des 19. bis in die 457  Bahnbrechend war Flumes „Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts“, erschienen in der ersten Auflage 1965  – aber auch Claus-Wilhelm Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971, insbes. S. 411–467. Vgl. ferner Josef Essers Bericht über die Zivilrechtslehrertagung von 1957: Josef Esser, Gedanken und Dogmatik der „faktischen Schuldverhältnisse“, in: ders., Wege der Rechtsgewinnung. Ausgewählte Aufsätze, Tübingen 1990, S. 51–64. 458  BGHZ 12, 286–308; 23, 249–263. 459  BGHZ 23, 249, 261. 460  „Die im Bauernstand seit langem verbreitete Übung, die Erbfolge in den Hof schon zu Lebzeiten bindend zu regeln …, legt eine Übertragung der Gedankengänge von den Erscheinungen des Massenverkehrs auf typische Vorgänge auf dem Gebiete des Höferechts nahe“  – BGHZ 23, 249, 261. 461  Zur Geschichte der „Anscheins-“ oder „Rechtscheinsvollmacht“ namentlich HKK-Schmoeckel, §§ 164–181 Rn. 20–24; Wolfgang Fikentscher, Scheinvollmacht und Vertreterbegriff, AcP 154 (1955), 1–21, 1–9; Gunter Bienert, „Anscheinsvollmacht“ und „Duldungsvollmacht“. Kritik der Rechtsprechung und ihrer Grundlagen, Marburg 1975; Peter Bader, Duldungs- und Anscheinsvollmacht, Frankfurt a. M. 1978.



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zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts – zum Teil nach wie vor präsent und nach verbreiteter Auffassung inzwischen gewohnheitsrechtlich anerkannt. Der BGB-Gesetzgeber hatte es noch abgelehnt, die „vermuthete Vollmacht“ als eigenständiges Rechtsinstitut nach dem Vorbild des ALR anzuerkennen.462 Nach ALR I 13 § 19 waren „Anverwandte in auf- und absteigender Linie, Eheleute, Geschwister und Geschwisterkinder ersten Grades, Schwiegerältern und Schwiegerkinder, Schwäger und Schwägerinnen“ in eiligen Fällen zur Besorgung der Angelegenheiten solcher Personen, mit denen sie in einer dergleichen Verbindung standen, auch ohne ausdrückliche Vollmacht zugelassen. Die Protokolle begründen die Ablehnung mit „praktischen Unzuträglichkeiten“, indes waren die Vorbehalte wohl auch grundsätzlicher Natur, wie sich aus der Zurückweisung eines anderen, ähnlich gelagerten Änderungsvorschlags ergibt.463 Die nach dem Willen der Antragsteller einzufügende Vorschrift lautete (§ 144a): „Ist Jemand ermächtigt, einen Anderen insoweit zu vertreten, als es zur ordnungsmäßigen Versorgung einer Angelegenheit des Anderen erforderlich ist, so gilt ein Rechtsgeschäft, das der Vertreter einem Dritten gegenüber vornimmt, zu Gunsten des Dritten als innerhalb der Vertretungsmacht vorgenommen, es sei denn, dass der Dritte weiß oder wissen muss, dass das Rechtsgeschäft nicht zum Zwecke der ordnungsmäßigen Besorgung der Angelegenheit vorgenommen wird.“464 Die Antragsteller begründeten ihr Begehren damit, dass die vorgeschlagene Bestimmung „im Interesse des Verkehres“ unentbehrlich sei.465 Ein Dritter müsse sich auf die vom Berufenen getroffene Entscheidung verlassen können. Die Gegner des Antrags bestritten ein solches Bedürfnis. Sie verwiesen darauf, dass der Inhalt der rechtsgeschäftlichen Vollmacht sich nun einmal „nach dem zu ermittelnden Willen des Vollmachtgebers“ bestimme. Es gehe nicht an, „den gutgläubigen Dritten durch eine generelle Vorschrift in dem Umfange zu schützen, wie es der Antrag vorschlage, man müsse auch auf das Interesse des Vertretenen Rücksicht nehmen.“466 Diese Ansicht setzte sich in den Beratungen durch. Nicht „generell“, sondern nur in besonders gelagerten Fällen war man damals bereit, dem Inte­ 462  Mot. I, 230 (Benno Mugdan (Hrsg.), Die gesamten Materialen zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 1, Berlin 1899, S. 479). 463  Protokolle S. 8381–8383 (Benno Mugdan (Hrsg.), Die gesamten Materialen zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 1, Berlin 1899, S. 746 f.). 464  Protokolle S. 8381 (Benno Mugdan (Hrsg.), Die gesamten Materialen zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 1, Berlin 1899, S. 746). 465  Protokolle S. 8382 (Benno Mugdan (Hrsg.), Die gesamten Materialen zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 1, Berlin 1899, S. 746). 466  Protokolle S. 8383 (Benno Mugdan (Hrsg.), Die gesamten Materialen zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 1, Berlin 1899, S. 747).

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resse des Verkehrs Vorrang vor dem Interesse und dem Willen des Vertretenen einzuräumen. So bleibt nach § 171 Abs. 2 BGB eine Vertretungsmacht solange bestehen, bis die Kundgebung in derselben Weise, wie sie erfolgt ist, widerrufen wird. Wer also durch besondere Mitteilung an einen Dritten oder durch öffentliche Bekanntmachung kund gibt, dass er einen anderen bevollmächtigt habe (§ 171 Abs. 1 BGB), muss auch den Widerruf gegenüber dem Dritten oder im Wege der öffentlichen Bekanntmachung erklären, will er den Fortbestand der Vertretungsmacht verhindern. Ähn­liches gilt, wenn der Vollmachtgeber eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt hat und der Vertreter sie dem Dritten vorlegt (§ 172 Abs 1 BGB). Dann hat die Vertretungsmacht solange Bestand, bis die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtgeber zurückgegeben oder für kraftlos erklärt wird (§ 172 Abs. 2 BGB).467 Die Anerkennung der „Anscheinsvollmacht“ vollzog sich weitgehend unabhängig von den Entscheidungen des Gesetzgebers. Wann die Entwicklung ihren Anfang nahm, darüber lässt sich streiten. Als eine der ersten Wegmarken gilt ein Urteil des Reichsgerichts vom 5. November 1879.468 Zu entscheiden war, unter welchen Voraussetzungen die stillschweigende Bestellung eines Handlungsbevollmächtigten möglich ist. Nach Ansicht der Richter reichte es aus, dass der Vertretene – der Beklagte – ein Handeln in seinem Namen zuließ – denn „es geschah … unter den Augen des Beklagten“.469 Von einem „Anschein“ der Vollmacht war noch nicht die Rede, vielmehr ging das Gericht davon aus, dass sich der Vertretene einen entsprechenden Willen gebildet hatte. Im Unterschied zum Normalfall erfolgte die Erklärung dieses Willens allerdings nicht ausdrücklich, sondern lediglich konkludent („stillschweigend“). Den Willen des Vertretenen als perspektivischen Fixpunkt verlor das Reichsgericht wohl erstmals im Jahr 1907 aus den Augen.470 Zu befinden hatte es damals über die Klage einer Bank gegen einen Verein auf Zahlung von 5.000 Mark nebst Zinsen. Den Anspruch leitete die Bank aus dem Abschluss eines Kreditvertrages mit dem durch W. vertretenen Verein, hilfsweise aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) ab. Tatsächlich hatte einst W., ein Angestellter des Vereins, ohne Wissen und Billigung des Vorstands bei der Bank angefragt, ob und unter welchen Bedingungen der Verein in der nächsten Zeit von der Bank 10.000 Mark erhal467  Zur Kontroverse um die Einordnung der §§ 171 ff. BGB in die „Rechtsscheinhaftung“ vgl. einerseits Claus-Wilhelm Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971, S. 32 f.; andererseits Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., Berlin 1979, § 49.2 (S. 827). 468  RGZ 1, 8 f. 469  RGZ 1, 8, 9. 470  RGZ 65, 292–299.



II. Studien zur Ästhetik des Privatrechts

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ten könne. Diese ließ ihm daraufhin den Betrag durch einen Boten zukommen. Den Vorstand des Vereins informierte sie nicht. Nur die Hälfte der Summe wurde zurückbezahlt. Die Rückzahlung der zweiten Tranche verweigerte der Verein, da W. nach den Statuten weder zum Abschluss eines Darlehensvertrages noch zum Empfang von Geldern bevollmächtigt gewesen sei. Dem schloss sich das Oberlandesgericht Hamm an und wies die Klage ab.471 Das Reichsgericht teilte die Auffassung der Vorinstanz, es sei mangels Vertretungsmacht des W. kein Darlehensvertrag zustande gekommen. „Die allgemeine Behauptung der Klägerin, der Vereinsvorstand habe sich um die Geschäfte nicht gekümmert, und W. habe infolgedessen die Geschäfte tatsächlich allein besorgt,“ sei nicht geeignet, „die Folgerung zu rechtfertigen, W. sei durch den Vorstand auch ermächtigt gewesen, bei Geldbedarf des Vereins für diesen Darlehen aufzunehmen.“472 Den Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung bejahte das Reichsgericht hingegen. Der beklagte Verein – und nicht W. – habe die 10.000 Mark „erlangt“ i. S. des § 812 Abs. 1 S. 1 BGB. Zwar legitimiere das Statut des Vereins in der Tat W. nicht, Geld für den Verein anzunehmen, doch sei er zumindest nach außen als dazu ermächtigt anzusehen gewesen. „Die Frage, ob ein Kaufmann einem seiner Angestellten Vollmacht zur Vornahme von Rechtsgeschäften erteilt hat, und der Umfang der Vollmacht“ müssten im kaufmännischen Verkehr „nach dem in die äußere Erscheinung getretenen Verhalten des Kaufmannes beurteilt werden.“ Es komme daher darauf, „ob der Vorstand des verklagten Vereins, indem er duldete, dass W. in Fällen, wo es der Zustimmung des Vorstandes bedurft hätte, ohne solche Gelder für den Verein annahm und darüber quittierte, den Willen gehabt hat, damit ein gleiches Verfahren auch für zukünftige Fälle gutzuheißen, überhaupt nicht an, und entscheidend ist auch nicht ohne weiteres, ob er von solchem Verfahren des W. Kenntnis gehabt hat, oder nicht.“473 Nimmt man das Gericht beim Wort, spricht nichts dagegen, die Geschichte der später sogenannten „Anscheinsvollmacht“ mit dem Urteil von 1907 beginnen zu lassen, die Geschichte einer Vollmacht, die der Vertretene erteilt, ohne dass er von der Existenz eines Vertreters und dessen Handeln weiß.474 Bestenfalls missverständlich ist es, wenn das Reichsgericht als Beleg das Urteil aus dem Jahr 1879 anführt, denn in dem Sachverhalt, der jener Entscheidung zugrunde lag, war der Vertretene ja über die Aktivitäten des Vertreters unterrichtet. 471  RGZ

65, 292, 292 f. 65, 292, 294. 473  RGZ 65, 292, 295. 474  Vgl. auch HKK-Schmoeckel, §§ 164–181 Rn. 21. 472  RGZ

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Die Entscheidung von 1907 ließ immerhin noch einen gewissen Interpretationsspielraum. Erst die Urteile des II. Zivilsenats vom 24.  Juni 1926475 und vom 27.  Mai 1927476 haben dann alle Zweifel beseitigt. Kurz und bündig formulierte das Reichsgericht 1926 den neuen Lehrsatz: „Für die Frage stillschweigender Vollmachterteilung kommt es nicht sowohl darauf an, ob der Vertretene das Geschäftsgebaren des Vertreters gekannt und geduldet hat, als vielmehr darauf, wie das ganze Verhalten des Vertretenen in Ansehung der Handlungen des Vertreters von dem mit diesem kontrahierenden Dritten aufgefasst werden musste, ob es von ihm nach Treu und Glauben dahin gedeutet werden durfte, dass der Vertretene bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt von dem Verhalten des Vertreters Kenntnis haben müsse und es dulde.“477 Bald darauf bekam der Senat wieder Gelegenheit, sich zu der Frage zu äußern: Ein gewisser Dr. G., Sohn des kürzlich verstorbenen Geschäftsführers der beklagten R. L. Sp. Zünderwerke GmbH, hatte das Akzept zu einem Wechsel mit der Firma der Beklagten gezeichnet, obwohl er – unstreitig – zu diesem Zeitpunkt weder Geschäftsführer noch ausdrücklich bevollmächtigt war, ja möglicherweise noch nicht einmal die wahren Geschäftsführer über die Angelegenheit informiert hatte. Die Inhaberin des Wechsels, eine Bank, verlangte nun Zahlung des ausgewiesenen Betrages von 7.190 RM nebst Zinsen und Wechselunkosten. Sie verwies darauf, dass Dr. G. die Geschäfte der Beklagten (oder zumindest die der Feder führenden Zweigniederlassung derselben) damals völlig selbständig geleitet habe.478 Das Reichsgericht gab – wie schon zuvor das Kammergericht – der K ­ lage statt. Als Begründung genügte ihm die Feststellung der Vorinstanz, Dr. G. habe vor Ausstellung des Klagewechsels bereits in etwa zehn Fällen Kundenwechsel giriert. Auch sei ein Teil jener Wechsel nach Vollziehung des Giros an die Hauptniederlassung der beklagten R. L. Sp. Zünderwerke gelangt. „Da diese Betätigung sich über den Zeitraum von zwei Jahren erstreckt hat und der Geschäftsleitung der Hauptniederlassung bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht verborgen bleiben konnte …, so kann die Beklagte nicht mit der Entschuldigung gehört werden, dass ihre Geschäftsleitung von diesen Girierungen keine Kenntniss genommen habe. Denn der Verkehr durfte sich darauf verlassen, dass die Vornahme solcher Girierungen durch einen Unbefugten einer sorgsamen Geschäftsleitung während eines Zeitraumes von zwei Jahren nicht wohl entgehen konnte.“479 475  RG,

JW 1927, 1249–1250. 117, 164–167. 477  RG, JW 1927, 1249, 1249 f. 478  RGZ 117, 164, 164. 479  RGZ 117, 164, 166. 476  RGZ



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Schon einem der ersten Kommentatoren der Entscheidung von 1926480 war aufgefallen, dass diese einen doppelten Rückschluss aus dem Verhalten des Vertretenen impliziert.481 In einem ersten Schritt prüft das Gericht, ob der Verkehr das Verhalten des Vertretenen so verstehen muss, dass jener um das Auftreten des Vertreters in seinem Namen wisse und es dulde. Von dieser angenommenen Duldung schließt es dann auf das Vorliegen einer Vollmacht. Der erste Schritt ist der innovativere und – aus Sicht der traditionellen Rechtsgeschäftslehre – bedenklichere. In jedem Fall wäre zu erwarten gewesen, dass der Senat seine Entscheidungen ausführlich erläutert und die Rechtsgrundlagen offen legt, indes enthält sich das Gericht nicht nur einer „theoretisch vollkommen klärenden Begründung“482, sondern überhaupt jeder Begründung, sofern man nicht den beiläufigen Zusatz „nach Treu und Glauben“ (§ 242 BGB) bereits als eine solche ansehen möchte. Stattdessen verweist es auf das Urteil von 1907, das wiederum auf die Entscheidung von 1879 verweist, einer Entscheidung, der sich – wie gesehen – keine Argumente zur Rechtfertigung einer „willenlosen Willenserklärung“ entnehmen lassen. Die Gerichte blieben der „Anscheinsvollmacht“ auch nach dem Ende des Krieges gewogen. Ohne Bedenken beriefen sie sich auf die Grundsätze der „Rechtsscheinshaftung“, wenn sie über Sachverhalte zu entscheiden hatten wie über jenen, mit dem sich das OLG Koblenz und der BGH zu Beginn der 50er Jahre beschäftigen mussten:483 Der Kläger hatte für die beiden Fußballspieltage vom 17. und 18.  April 1949 Wettscheine der beklagten Sport-Toto GmbH ausgefüllt und sie mit einem Einsatz von 15 DM der Inhaberin einer Gaststätte, Frau S., übergeben. Frau S., die nicht von der Beklagten zur Annahme von Sportwetten bestellt, sondern lediglich (unzulässigerweise) dazu von dem bestellten Annehmer beauftragt war, nahm die Wettscheine entgegen und versah sie mit den Wertmarken und dem Stempel der Beklagten. Allerdings versäumte sie es, den Coupon an die Beklagte zu übersenden, so dass diese sich weigerte den Betrag von 22.500 DM, der auf die Wette entfiel, an den Kläger auszuzahlen, der seinerseits erklärte, er habe alles getan, was er habe tun müssen, nämlich die Wettscheine bei einer (Anscheins-)Bevollmächtigten der Beklagten fristgerecht eingereicht.484 480  Schmidt-Rimpler,

Anm. zu RG, JW 1927, 1249, JW 1927, 1249–1250, 1250. Wolfgang Fikentscher, Scheinvollmacht und Vertreterbegriff, AcP 154 (1955), 1–21, 6 f. 482  Schmidt-Rimpler, Anm. zu RG, JW 1927, 1249, JW 1927, 1249–1250, 1249. Vgl. auch Wolfgang Fikentscher, Scheinvollmacht und Vertreterbegriff, AcP 154 (1955), 1–21, 6 f. 483  BGHZ 5, 111–116. 484  BGHZ 5, 111, 112. 481  Eingehend

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Das OLG Koblenz hatte keine Probleme damit, Frau S. aufgrund ihres professionellen Verhaltens und „den dadurch erweckten Rechtsschein“ als bevollmächtigt anzusehen. Der BGH teilte die Prämissen zur „Anscheinsvollmacht“, die das OLG seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hatte, und stellte in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts fest: „Auf den Rechtsschein der Vollmacht kann sich der Geschäftsgegner des Vertretenen in solchen Fällen berufen, in denen er nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Vertretene kenne und dulde das Verhalten des für ihn auftretenden Vertreters.“485 Zu Recht, meinte der BGH, habe das OLG im vorliegenden Fall diese Voraussetzung als erfüllt angesehen. Indes habe es verkannt, dass damit die Prüfung noch nicht abgeschlossen sei, da es sich offenkundig nicht mit der Frage beschäftigt habe, ob die vertretene TotoGesellschaft bei pflichtgemäßer Sorgfalt das Verhalten des Vertreters hätte erkennen können und verhindern müssen.486 Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass der BGH den Eifer der Instanzgerichte zügeln musste. Im Jahr 1975 war zu entscheiden,487 ob ein Grundstückskaufvertrag, den der Ehemann der Beklagten in deren Namen und unter Vorlage einer Vollmachtsurkunde mit der Klägerin abgeschlossen hat, mit Wirkung für und gegen die Beklagte zustande gekommen ist. Dafür sprach, dass die Beklagte es ihrem in der Vollmachtsurkunde benannten Ehemann ermöglicht hatte, sich eigenmächtig in den Besitz dieser Urkunde zu setzen und durch deren Verwendung „den Rechtsschein entsprechender Legitimation“ hervorzurufen.488 Doch das reiche nicht aus, um eine Haftung zu begründen, stellte der BGH fest. Es sei nicht einzusehen, dass das Bedürfnis nach Rechtssicherheit einen so weitgehenden Schutz gutgläubiger Dritte erfordere. Die Rechtsordnung dürfe das aus der Verwendung einer abhanden gekommenen Vollmachtsurkunde im Rechtsverkehr entstandene Risiko nicht allein dem Aussteller aufbürden, indem er die von dem angeblichen Vertreter abgegebene Erklärung gegen sich gelten lassen müsse. Das sei selbst dann unverhältnismäßig, wenn der Aussteller der Vollmacht diese nicht hinreichend sorgfältig verwahrt habe. Der gutgläubig auf die Vollmacht vertrauende Dritte müsse sich in einem solchen Fall „nach den Grundsätzen, wie sie zu der Haftung auf das negative Interesse entwickelt worden sind, mit dem Ersatz seines Vertrauensschadens begnügen“.489 Auf den ersten Blick, nicht zuletzt wegen der Übereinstimmung in der zeitlichen Abfolge, erscheint die Denaturierung der Grenze zwischen einer 485  BGHZ

5, 111, 116. 5, 111, 116. 487  BGHZ 65, 13–15. 488  BGHZ 65, 13, 13. 489  BGHZ 65, 13, 14 f. 486  BGHZ



II. Studien zur Ästhetik des Privatrechts

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Verantwortung ex lege und ex voluntate, die seit dem späten 19. Jahrhundert zu beobachten ist und in Instituten wie der Anscheinsvollmacht bis heute Spuren im deutschen Privatrecht hinterlassen hat, nichts weiter als eine Spielart des viel diskutierten Phänomens „Kollektivierung des Privatrechts“ im 20. Jahrhundert,490 der Überformung des Arbeits-, Miet- und Kaufrechts durch den „Gemeinschaftsgedanken“. Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Gedanklich lassen sich beide Sachverhalte ohne weiteres voneinander trennen. Man kann das Vertrauensprinzip als essentiellen Bestandteil des Privatrechts ansehen, man kann das Vordringen zwingender gesetzlicher („sozialer“) Regelungen zu Lasten privatautonomer Gestaltungsmöglichkeiten begrüßen und dennoch an der prinzipiellen Unterscheidung zwischen einer Verantwortung ex lege und ex voluntate festhalten. In dem einen Fall geht es um die Frage nach dem Stellenwert von sozialer Verantwortung und individueller Freiheit in einer Privatrechtsordnung, in dem anderen Fall – den wir im Blick haben – um das Problem der „Methodenehrlichkeit“491. So hat beispielsweise Canaris in seiner Habilitationsschrift von 1967 die für das Verständnis des deutschen Privatrechts elementare Bedeutung der Vertrauenshaftung betont, zugleich aber großen Wert auf die Feststellung gelegt, dass es sich eben gerade nicht um eine rechtsgeschäftlich begründete Haftung handelt.492 Die Unterscheidbarkeit der beiden Problemkreise schließt Überschneidungen und Wechselwirkungen selbstverständlich nicht aus. Wem das Gespür für die – in den Worten Savignys – „gänzliche Verschiedenheit“ zwischen 490  Jan Schröder, Kollektivistische Theorien und Privatrecht in der Weimarer Republik am Beispiel der Vertragsfreiheit, in: Knut Wolfgang Nörr (Hrsg.), Geisteswissenschaften zwischen Kaiserreich und Republik. Zur Entwicklung von Nationalökonomie, Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaft im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1994, S. 335–359; vgl. auch Hans-Peter Haferkamp, Die Bedeutung der Willensfreiheit für die Historische Rechtsschule, in: Ernst-Joachim Lampe/Michael Pauen/ Gerhard Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, Frankfurt a. M. 2008, S. 196–225; Sybille Hofer, Freiheit ohne Grenzen? Privatrechtstheoretische Diskussionen im 19. Jahrhundert, Tübingen 2001; Tilmann Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts. Eine Grundfrage in Wissenschaft und Kodifikation am Ende des 19. Jahrhunderts, Tübingen 2001; Joachim Rückert, Zur Legitimation der Vertragsfreiheit im 19. Jahrhundert, in: Diethelm Klippel (Hrsg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert. Kontinuität  – Inhalt  – Funktion  – Wirkung, Goldbach 1997, S. 135–183; Knut Wolfgang Nörr, Eher Hegel als Kant. Zum Privatrechtsverständnis im 19. Jahrhundert, Paderborn 1991 (alle mit umfangreichen Nachweisen). 491  Dieses Thema wird weitaus seltener behandelt, vgl. aber den instruktiven Beitrag von Hans-Peter Haferkamp, „Methodenehrlichkeit“? – Die juristische Fik­ tion im Wandel der Zeit, in: Klaus Peter Berger (Hrsg.), Zivil- und Wirtschaftsrecht im Europäischen und Globalen Kontext, Festschrift für Norbert Horn zum 70.  Geburtstag, Berlin 2006, S. 1077–1089. 492  Claus-Wilhelm Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971, S. 428–431.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

einer Inanspruchnahme ex lege und ex voluntate abhanden gekommen ist, dem fällt es vergleichsweise leicht, die privatautonome, finale Gestaltung eines Rechtsverhältnisses überhaupt nicht mehr als das entscheidende Merkmal der Rechtsgeschäftslehre anzuerkennen und sie durch irgendwelche sozialen, gemeinschaftsbezogenen Universalprinzipien zu ersetzen.493 Umgekehrt hat derjenige, der für eine Beschränkung oder gar Aufhebung der Privatautonomie eintritt, in der Regel kein besonderes Interesse daran, sich im Detail mit der Grenzziehung zwischen rechtsgeschäftlicher und gesetzlicher Haftung zu befassen, weil dann der Bruch mit der Vergangenheit, der Bruch mit den rechtstheoretischen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr zu übersehen wäre. Ungeachtet solcher Zusammenhänge sollte man den Verlust der Differenzierungsfähigkeit als ein eigenständiges Phänomen der Privatrechtsgeschichte an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ernst nehmen, das sich nicht (allein) mit dem Gegensatz von individualistischen und kollektivistischen Privatrechtstheorien erklären lässt. Auch ökonomische Erklärungsansätze helfen im Grunde nicht viel weiter, wie das Beispiel der Anscheinsvollmacht zeigt. Üblicherweise wird die Anerkennung dieser eigentümlichen Vollmacht und anderer Rechtscheinstatbestände mit dem (angeblich) notwendigen Schutz Unerfahrener erklärt – als „Ausfluss ökonomischer Erwägungen zur Einschränkung des freien Marktes“.494 Daran ist richtig, dass in arbeitsteiligen Volkswirtschaften das Bedürfnis besteht, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Vor- und Nachteilen des Handelns im fremden Namen herzustellen. Wer von einer arbeitsteiligen Betriebsorganisation profitiert, weil sie ihn in die Lage versetzt, im ganzen Land oder in der ganzen Welt Geschäfte zu tätigen, der muss die damit verbundenen Nachteile in Kauf nehmen, etwa wenn ein Mitarbeiter, der dazu nicht bevollmächtigt ist, Wechsel akzeptiert, Darlehen aufnimmt oder einen unzuverlässigen Dritten mit der Annahme von Toto-Scheinen beauftragt. Zumindest besteht eine größere Wahrscheinlichkeit, dass er ein Fehlverhalten abstellen kann als dass ein Außenstehender das Fehlverhalten erkennt. Die Versuchung wäre andernfalls zu groß, sich bei jedem nachteilhaften Geschäft mit der Behauptung aus der Affäre ziehen, dieser oder jener Mitarbeiter oder Vertraute sei gar nicht zur Vornahme gerade dieses Geschäfts bevollmächtigt gewesen, ein Vertrag also nicht zustande gekommen. Derartigen Ausflüchten vorzubeugen, liegt auch und gerade im Interesse der gewerblichen Verkehrsteilnehmer. Bezeichnenderweise waren es ja in den Leitentscheidungen des Reichsgerichts häufig Banken und nicht Angehörige sozialer Randgruppen, die Klage gegen den Vertretenen erhoben. 493  Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., Berlin 1979, § 10.1 (S. 115 f.). 494  HKK-Schmoeckel, §§ 164–181 Rn. 24.



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Es kann also nicht darum gehen, in den referierten Fällen die Verantwortlichkeit des Vertretenen grundsätzlich in Frage zu stellen. Zu problematisieren ist aber der genaue Umfang und die dogmatische Begründung der Haftung. Die Rechtsprechung lässt gewöhnlich unter den Tisch fallen, dass es durchaus Alternativen zu einem Einstehenmüssen ex voluntate gibt. Nur in der Entscheidung von 1975, als der BGH sich gezwungen sah, einen Vertragsschlusses in den Fällen zu verhindern, in denen eine Vollmachts­ urkunde entwendet wurde, verwies er auf die „Haftung aus dem negativen Interesse“.495 Indes stellt sich die Frage, warum eine solche Haftung nicht stets greifen soll, also immer dann wenn jemand, dessen Willen nachweislich nicht auf die Gestaltung eines Rechtsverhältnisses gerichtet war, entweder sorgfaltspflichtwidrig den Eindruck erweckt, er wolle eine Willenserklärung abgeben, oder es sorgfaltspflichtwidrig zulässt, dass ein anderer sich als sein Bevollmächtigter ausgibt. Mit der Haftung aus culpa in contrahendo (heute § 311 Abs. 2 BGB iVm § 280 Abs. 1 BGB iVm § 241 Abs. 2 BGB) steht seit langer Zeit ein anerkanntes Rechtsinstitut zur Verfügung, um pflichtvergessene Rechtssubjekte zur Rechenschaft zu ziehen, ohne gleich den für die Rechtsgeschäftslehre konstitutiven Selbstbestimmungsgrundsatz außer Kraft zu setzen.496 Wem eine Haftung auf das negative Interesse nicht als eine ausreichende und angemessene Sanktion erscheint, der muss zumindest darlegen, wie sich eine weitergehende „Haftung auf Grund einer – u. U. auch ungeschriebenen – Norm des objektiven Rechts“497 rechtfertigen lässt, und vor allem muss er klar stellen, dass es sich eben um eine Verpflichtung ex lege handelt. Das ist in der Literatur vereinzelt auch geschehen,498 aber erst als wesentliche Elemente der „Rechtsscheinshaftung“ sich bereits verfestigt hatten und als „ständige Rechtsprechung“ tradiert wurden. Dass Reichsgericht und BGH sich mit Nachdruck zur „Anscheinsvollmacht“ und überhaupt zum „Rechtsscheinsprinzip“ bekannten, ist demnach – angesichts respektabler Alternativen – mit „praktischen Bedürfnissen“, „rechtspolitischen Erwägungen“ oder „ökonomischen Zwängen“ allein nicht zu erklären. Der Umstand, dass es sich bei der Einbeziehung rechtlich relevanten Verhaltens in die Lehre von der Willenserklärung um eine wichtige, aber subtile Veränderung im juristischen Denken handelt, spricht dafür, 495  BGHZ

65, 13, 14 f. (s. o.). Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., Berlin 1979, § 47.3, S. 808 f., § 49.4 (S. 834 f.). 497  Claus-Wilhelm Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971, S. 429. 498  Claus-Wilhelm Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971, S. 428 f. 496  Werner

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

dass der für diese Veränderung verantwortliche Mechanismus ebenfalls subtiler Natur ist.499 Um den richtigen Ausgangspunkt zu gewinnen, muss man auf Blumenbergs Idee der „Hintergrundmetapher“ („implikatives Modell“) zurückgreifen, also auf die Erkenntnis, dass Metaphern nicht stets in der sprachlichen Ausdruckssphäre in Erscheinung treten müssen, um Wirkung zu entfalten. Auch ein an bildlichen Ausdrücken armer Text kann an einer zentralen Metapher „abgelesen“ sein, die den Ausführungen Form und Struktur verleiht. Als bildempfangendes Feld einer solchen Hintergrundmetapher kommt vorliegend nur der (freie) Wille in Betracht. Er steht fraglos im Zentrum der modernen Rechtsgeschäftslehre und determiniert schlechthin unser Verständnis von Privatrecht. Umso bemerkenswerter, dass sich die Rechtswissenschaft – anders als die ebenfalls in mannigfacher Weise mit Willenskonzepten befasste Psychologie500 – bislang kaum für die metaphorische Dimension dieses juristischen Zentralbegriffs interessiert hat. Der Wille ist nicht weniger ein Abstraktum als die juristische Person. Was der Wille „ist“ und wie er „wirkt“, lässt sich nicht mit den Sinnen erfahren, bedarf vielmehr der Übersetzung in einen uns vertrauten Sachverhalt. Im Unterschied zur juristischen Person ist der Wille freilich nicht ganz so offensichtlich das Produkt metaphorischen Denkens. Doch finden sich im BGB immerhin einige im weitesten Sinne auf Wille und Willenserklärung bezogene Begriffe, die in übertragender Bedeutung gebraucht werden und Rückschlüsse auf das dahinter stehende implikative Modell zulassen. Dazu gehört namentlich die im Gesetz omnipräsente Vokabel „erlöschen“: Vom „Erlöschen“ der Vollmacht handelt § 168 BGB, vom „Erlöschen“ des Auftrags § 672 BGB, vom „Erlöschen“ des Schuldverhältnisses durch Leistung § 362 BGB, vom „Erlöschen“ des Schuldverhältnisses durch Annahme an Erfüllungs statt § 364 BGB, vom „Erlöschen“ des Schuldverhältnisses durch Aufrechnung § 389 BGB, vom „Erlöschen“ des Schuldverhältnisses durch Erlass § 397 BGB usw. Das versteht sich keineswegs von selbst. Zwar ist auch dem 19. Jahrhundert (und ebenso den römischen Juristen) die Verwen499  Flume hat mit Blick auf die Diskussionen um die kundgegebene Vollmacht (§ 171 BGB) und die Vollmachtsurkunde (§ 172 BGB) hellsichtig den Verdacht geäußert, die Idee einer Vertretungsmacht kraft „Rechtsschein“ beruhe auf einer irreführenden „naturalistischen Auffassung“: Es werde so getan, „als ob der ‚äußere Tatbestand‘, der durch die Erklärung nach §§ 171, 172 BGB geschaffen werde, als ‚Rechtsschein‘ der ‚natürlichen‘ Existenz der Vertretungsmacht gegenüber stehe“ – Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., Berlin 1979, § 49.2 (S. 827). 500  Vgl. Franz E. Weinert, Bildhafte Vorstellungen des Willens, in: Heinz Heckhausen/Peter M. Gollwitzer/Franz E. Weinert (Hrsg.), Jenseits des Rubikon. Der Wille in den Humanwissenschaften, Berlin/Heidelberg u. a. 1987, S. 10–26.



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dung dieser Vokabel in einem juristischen Kontext nicht völlig unbekannt,501 doch in den führenden zivilrechtlichen Lehr- und Handbüchern wie denen von Savigny, Puchta und Windscheid, findet sich der Ausdruck kaum oder gar nicht. Man spricht von „Beendigung“, „Auflösung“ oder „Aufhebung“ eines Rechtsverhältnisses, einer Obligation, einer Vollmacht usw., aber eben nicht von einem „Erlöschen“. Das übergeordnete Bildfeld, dem der Begriff entstammt, ist das Feuer, die mit den Sinnen erfahrbare Freisetzung von Energie par excellence. Verwandte energetische Ausdrücke sind im Vertretungsrecht beispielsweise die „Kraftloserklärung“ (§ 176 BGB). In Einklang mit der dem BGB unterlegten Feuer- und Energie-Metaphorik verbreitete sich nach 1900 in der juristischen Literatur der Begriff „Rechtsschein“ – zur Bezeichnung defizienter Formen der Willensbetätigung – geradezu epidemisch, wie sich oft bereits aus den Titeln und Überschriften der Monographien, Aufsätzen und Urteilsbesprechungen ablesen lässt.502 Als Beispiele seien genannt die Arbeiten von v. Seeler („Vollmacht und Scheinvollmacht“  – 1906)503, Wilutzky („Das Gesetz des äußeren Anscheins“ – 1907)504, Fischer („Sein und Schein im Rechtsleben“ – 1909)505, Jacobi („Theorie der Willenserklärung – 1910)506, Herbert Meyer („Vom Rechtsschein des Todes“ – 1912)507, Stintzing („Besitz, Gewere, Rechtsschein“ – 1912)508, Brülle („Der Rechtsschein bei der gesetzlichen Vollmacht des Privatrechts unter besonderer Berücksichtigung des Handelsrechts“ – 501  Vgl. etwa Robert von Römer, Das Erloeschen des klägerischen Rechts nach der Einleitung des Prozesses in seinem Verhältniß zum Endurtheil. Ein geschichtl. und dogmat. Beitr. zur Lehre von den Wirkungen des Prozesses, Stuttgart 1852; J. Schott, Über die Natur der weiblichen Erbfolge in Allodial-, Stamm- und altväterliche Güter nach Erlöschen des Mannsstammes, sowohl beim hohen als niedern Adel in Teutschland, Erlangen 1806. 502  Zur Geschichte der „Rechtsscheinslehre“ vgl. Wolfgang Selter, Die Entstehung und Entwicklung des Rechtsscheinsprinzips im deutschen Zivilrecht, Hamburg 2006; HKK-Schmoeckel, §§ 164–181 Rn. 22 f.; Adalbert Erler, Art. „Rechtsschein“, in: HRG, Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 339; Claus-Wilhelm Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971, S. 9–28. 503  Wilhelm von Seeler, Vollmacht und Scheinvollmacht, ArchBürgR 28 (1906), S. 1–52. 504  Paul Wilutzky, Das Gesetz des äußeren Anscheins, Das Recht 11 (1907), Sp. 925–932. 505  Otto Fischer, Sein und Schein im Rechtsleben, Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik 3 (1909), Sp. 1437–1462. 506  Ernst Jacobi, Die Theorie der Willenserklärung, München 1910. 507  Herbert Meyer, Vom Rechtsschein des Todes, in: Festgabe der Breslauer Juristenfakultät für Siegfried Brie zum fünfzigsten Doktorjubiläum am 13. Dezember 1911, Leipzig 1912, S. 71–131. 508  Wolfgang Stintzing, Besitz, Gewere, Rechtsschein, AcP 109 (1912), S. 347– 435.

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1916)509, Reinicke („Die Scheinvollmacht im Rahmen der Lehre vom Rechtsschein“ – 1922)510, Walterscheid („Über den Vollmachtsrechtsschein im Bürgerlichen Gesetzbuch“ – 1924)511, Hans Meyer („Die Scheinvollmacht im System der Lehre von der Vertretungsmacht nach dem Bürger­ lichen Gesetzbuch“  – 1926)512, Kahl („Der Rechtsschein der Urkunde bei der Forderungsabtretung“ – 1928)513, Lell („Der Rechtsschein in der Zes­ sionslehre“ – 1928)514, Naendrup („Die Verjährung als Rechtscheins­ wirkung“ – 1925515, „Die Ersitzung als Rechtscheinswirkung“ – 1929516) und Ehlerding („Scheinvollmacht“ – 1929)517. Sogar eine ausschließlich der „Rechtsscheinsforschung“ gewidmete Schriftenreihe wurde ins Leben gerufen.518 Selbst unter den Anhängern des „Rechtsscheinsgedankens“ machte sich angesichts der Konturenlosigkeit dieses „Gedankens“ zu Beginn der 30er Jahre ein gewisses Unbehagen breit. „Über den ‚Rechtschein‘ “, klagte Oertmann, „ist in den letzten Jahrzehnten von Berufenen und minder Berufenen unendlich viel geredet worden, ohne dass doch über Begriff, Bedeutung und Bezeichnung auch nur annähernd Einklang der Ansichten hätte erzielt werden können. Zwar hat der Ausdruck sich, wie mir scheint, allmählich immer mehr eingebürgert, und grundsätzliche Widersacher sind derzeit selten. Aber es fehlt noch immer an der dringend notwendigen Durchforschung des gesamten Stoffes.“519 509  Oskar Brülle, Der Rechtsschein bei der gesetzlichen Vollmacht des Privatrechts unter besonderer Berücksichtigung des Handelsrechts, Diss. Breslau 1916. 510  Hans Joachim Reinicke, Die Scheinvollmacht im Rahmen der Lehre vom Rechtsschein, Diss Marburg 1924. 511  Josef Walterscheid, Über den Vollmachtsrechtsschein im Bürgerlichen Gesetzbuch, Diss. Köln 1924. 512  Hans Heinrich Meyer, Die Scheinvollmacht im System der Lehre von der Vertretungsmacht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, Diss. Göttingen 1926. 513  Hans-Ulrich Kahl, Der Rechtsschein der Urkunde bei der Forderungsabtretung. Ein Beitrag zur Lehre vom Rechtsschein, Diss. Kiel 1928. 514  Heinz-Günther Lell, Der Rechtsschein in der Zessionslehre, Diss Erlangen 1928. 515  Hubert Naendrup, Die Verjährung als Rechtsscheinswirkung, JherJb 75 (1925), S. 237–332. 516  Hubert Naendrup, Die Ersitzung als Rechtsscheinswirkung, in: Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 3, S. 35–78. 517  Wilhelm Eldering, Scheinvollmacht, Diss. Göttingen 1929. 518  Hubert Naendrup, Begriff des Rechtsscheins und Aufgabe der Rechtsscheinsforschung, Münster 1910. 519  Paul Oertmann, Grundsätzliches zur Lehre vom Rechtsschein, ZHR 95 (1930), S. 443–485.



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Der Aufruf zu ein wenig mehr intellektueller Redlichkeit und Selbstdisziplin sorgte dann wohl dafür, dass exzentrische, allzu expansive Ansätze sich nicht durchsetzen konnten, doch erschienen weiterhin Monographien, die vom „Rechtsschein“ handelten: „Grenzen der Rechtsscheinwirkungen“ (1931)520, „Die Scheinvollmacht“ (1931)521, „Die Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins“ (1933522 und 1935523), „Wesen und Wirken des Rechtsscheins“ (1935)524 usw. Überhaupt war das Entscheidende, dass sich die „Schein“-Terminologie in der Rechtsprechung525 und in führenden Kommentaren526 – wie es Oertmann formulierte – „eingebürgert“ hatte. Vereinzelt wird in der juristischen Literatur des späten 19. Jahrhunderts der Wille explizit mit „Energie“ gleichgesetzt. So schreibt Kuntze in seinem „Exkurse über römisches Recht“: „Ich verstehe den Willen als eines der geistigen Grundvermögen, welche die menschliche Persönlichkeit bilden, nenne ihn, um seinen fundamentalen und freiheitlichen Karakter zu betonen, Energie.“527 Und an anderer Stelle heißt es: „In diesem Zusammenhang, meine ich, wird der freien Willenskraft oder Energie, welche als das Element des Rechts gedacht wird, die unendliche Lebensfülle gewahrt, die ihr eignet und dem Recht nicht vorenthalten werden darf.“528 Auch in der psychologischen Willensforschung der Jahrhundertwende, etwa in den Werken von Narziss Ach,529 wird 520  Heinrich

Theis, Grenzen der Rechtsscheinwirkung, Diss Marburg 1931. Schmidt-Colinet, Die Scheinvollmacht, Diss. Göttingen 1931. 522  Karl Meltz, Die Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins, Diss. Rostock 1933. 523  Curt Tengelmann, Die Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins, Diss. Münster 1935. 524  Hero Reershemius, Wesen und Wirken des Rechtsscheins, Diss. Göttingen 1935. 525  S. o. die Nachweise zur „Anscheinsvollmacht“. 526  Zur Bedeutung der Kommentierung von Danckelmann in den frühen Auflagen des „Palandt“ vgl. Wolfgang Selter, Die Entstehung und Entwicklung des Rechtsscheinsprinzips im deutschen Zivilrecht, Hamburg 2006, S. 240; HKK-Schmoeckel, §§ 164–181 Rn. 23. 527  Johannes Emil Kuntze, Exkurse über römisches Recht. Hülfsbuch für academische Privatstudien im Gebiet der Institutionen sowie der äusseren und inneren Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Leipzig 1880, S. 3; vgl. auch ders., Cursus des römischen Rechts. Lehrbuch der Institutionen sowie der äusseren und inneren Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Leipzig 1879, S. 2: „Die Energie, dieses eine Grundvermögen des menschlichen Geistes, bildet die Substanz der Rechtsidee, und demgemäß definieren wir das Recht als die Ordnung der (menschlichen) Energie, oder als die Richtschnur für den ‚aktiven‘ Menschen.“ 528  Johannes Emil Kuntze, Exkurse über römisches Recht. Hülfsbuch für academische Privatstudien im Gebiet der Institutionen sowie der äusseren und inneren Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Leipzig 1880, S. 4. 529  Vgl. dazu Horst Gundlach, Anfänge der experimentellen Willenspsychologie, in: Heinz Heckhausen/Peter M. Gollwitzer/Franz E. Weinert (Hrsg.), Jenseits des 521  Herbert

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wie selbstverständlich mit energetischen Konzepten („Willensenergie“, „Willenskraft“) operiert.530 Mit Belegen für eine energetische Begrifflichkeit muss man sich indes nicht zufrieden geben. Wichtiger ist der Nachweis, dass der Gebrauch der Hintergrundmetapher „Feuer“ („Energie“) zur Veranschaulichung des freien Willens in einem größeren historischen Kontext Sinn ergibt, ja sich geradezu aufdrängt: Da die Begegnung mit dem Feuer zu den intensivsten Erlebnissen zählt, die einem Menschen widerfahren können, steht das Feuer in allen Kulturen für Kraft und Stärke. Es ist das Attribut der höchsten Mächte einer Zivilisation.531 Als Hüter der Wärme und Licht spendenden Flammen kommen nicht nur Götter und Herrscher in Betracht, sondern auch abstrakte „Mächte“ wie Glaube und Wahrheit, wie ein Blick in Ripas „Iconologia“ zeigt.532 Die Fackel, die in der Vormoderne die allegorische „Verità“ und „Fede Cattolica“ gen Himmel streckten, kehrt auf Abbildungen aus den Revolutionsjahren des 18. und 19. Jahrhunderts wieder: in den Händen der neuen Leitallegorie, in den Händen der „Freiheit“.533 Ob auf Pamphleten, Schautafeln oder Gedenkmünzen, fast immer sehen wir die „Freiheit“ im Besitz von Fackeln, Feuerschalen oder Blitzen, die das Dunkel der Nacht, das Dunkel der feudalen und religiösen Unfreiheit erleuchten.534 Man denke an Auguste Dumonts Freiheitsskulptur (La Génie de la Liberté) auf der Place de la Bastille – ein schwebender Engel mit lodernder Fackel – oder an die Statue of Liberty auf Liberty Island vor New York, die ihrem Motto Liberty Enlightening the World (La liberté éclairant le monde) in doppelter Weise gerecht wird, ist sie doch zum einen mit der obligatorischen Fackel, zum anderen mit der Strahlenkrone des Helios aus-

Rubikon. Der Wille in den Humanwissenschaften, Berlin/Heidelberg u. a. 1987, S. 66–85. 530  Narziss Ach, Über den Willensakt und das Temperament. Eine experimentelle Untersuchung, Leipzig 1910, S. 2, 19 u. ö. 531  Vgl. nur die Belege in Johan Goudsblom, Feuer und Zivilisation, Frankfurt a. M. 1995, u. a. S. 109–113 (Feuer als Zeichen göttlicher Macht im alten Israel); ferner Thomas Macho, Licht und Fest. Konflikte zwischen Sonne und Feuer in der europäischen Kulturgeschichte, in: Christina Lechtermann/Haiko Wandhoff (Hrsg.), Licht, Glanz, Blendung. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Leuchtenden, Bern u. a. 2008, S. 49–58. 532  Cesare Ripa, Iconologia. Edizione practica a cura di Piero Buscaroli, 4. Aufl., Turin 1991 [Padua 1618], Bd. 1 S. 154, Bd. 2, S. 228. 533  Zum „Feuer“ in der Bildpublizistik der Revolutionszeit Klaus Herding, Die Bildpublizistik der Französischen Revolution, Frankfurt am Main 1989, S. 50 f. 534  Vgl. die Belege in Jean Garrigues, Images de la Révolution. L’imagerie républicaine de 1789 à nos jours, Paris 1988, S. 61 f., 62, 67, 78; Michel Vovelle, La Révolution française. Images et recit, Bd. 3, Paris 1986, S. 44.



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Abb. 15

gestattet (Abb. 15).535 Die Freiheit, so die Botschaft, ist die zentrale, die wichtigste Kraft- und Energiequelle der neuen Zeit. In einer seiner bedeutendsten Reden, in der vor beiden Häusern des Kongresses gehaltenen Inaugural Address vom 30.  April 1789, gebrauchte George Washington explizit die Wendung the sacred fire of liberty,536 die bald zum geflügelten Wort wurde. Auch im deutschen Vormärz war das 535  Zur ikonographischen Tradition vgl. Marvin Trachtenberg, The Statue of Liberty, New York 1977, S. 63–83. 536  „And since the preservation of the sacred fire of liberty, and the destiny of the Republican model of Government, are justly considered as deeply, perhaps as finally staked, on the experiment entrusted to the hands of the American people“ – George Washington, First Inaugural Address vom 30. April 1789, in: Writings of Washington from the Original Manuscript Sources 1745–1799, hrsg. von John C. Fitzpatrick, Bd. 30: June 20, 1788–January 21, 1790, Washington 1939, S. 291–296, 294 f.

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Abb. 16

„Feuer der Freiheit“ eine beliebte Formel der politischen Agitation.537 Die Neigung, die Freiheitsrevolution von 1789 als ein weltgeschichtliches Flammeninferno zu deuten, nahm im Verlaufe des 19. Jahrhunderts eher zu als ab, da erst im Abstand von ein bis zwei Generationen das ganze Ausmaß der durch das Geschehen in Frankreich in ganz Europa ausgelösten Veränderungen sichtbar wurde.538 Wann immer im bürgerlichen Zeitalter eine neue Revolution drohte, veranschaulichte man sich die Folgen eines solchen Umsturzes – je nach Perspektive zur Mahnung oder als Ansporn – mit Hilfe der stärksten nur denkbaren Naturgewalten. Ein besonders beliebtes Motiv war der „Vulkan von 1789“, der die Freiheit in Gestalt feuriger, glühender Lava in luftige Höhen katapultierte (Abb. 16).539 Im Zeitalter der Hochindustrialisierung kam das ungeheure Potential des Feuers erst richtig zu Bewusstsein. Offenkundig vermochte es viel mehr, als nur Licht und Wärme zu spenden oder Speisen zu erhitzen. Die „Feuerkraft“ bewegte Kreuzfahrtschiffe und Dampflokomotiven über den Erdball, schmolz 537  Zu den Freiheitsmetaphern jener Zeit vgl. Sylvia Peuckert, Freiheitsräume. Georg Herwegh und die Herweghianer. Politische Gedichte der 1840er Jahre und Metaphern für Freiheit in dieser Zeit, Frankfurt a. M. 1985, insbes. S. 260–278. 538  Umfassende Nachweise zu Frankreich bei Daniela Kneißl, Die Republik im Zwielicht. Zur Metaphorik von Licht und Finsternis in der französischen Bildpublizistik 1871–1914, München 2010. 539  Vgl. Joachim Thüsen, „Die Lava der Revolution fließt majestätisch“. Vulkanische Metaphorik zur Zeit der Französischen Revolution, Francia 23/2 (1996), S. 113–143.



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Abb. 17

Eisen und Stahl, trieb Generatoren an usw. Die beiden konkurrierenden Industrie- und Energie-Großmächte Europas – das Viktorianische England und das Wilhelminische Deutschland – standen buchstäblich „unter Dampf“ und „unter Strom“. In Gemälden wie Adolph von Menzels „Eisenwalzwerk“ ­ (1872 / 75) spiegelt sich die Faszination für die Feuer speienden Hochöfen und Fabriken der Schwerindustrie (Abb. 17): Der Mensch in einem Meer von Funken und Rauch, beleuchtet vom Schein und Widerschein der Flammen bezwingt als kraftstrotzender entfesselter Prometheus die Elemente.540 Die „Elektrifizierung der Welt“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte zwar dazu, dass das Feuer als solches aus dem Alltag der Menschen nach und nach verschwand – an die Stelle der Öllampe und der Kerze trat die Glühbirne,541 später an die Stelle des Kamins und Ofens Elektroherd und -heizung – doch dafür stand die Energie des Feuers, standen Licht und Wärme jetzt in einem bislang unvorstellbaren Ausmaß zur Disposition des Staates, der Wirtschaft und der Privathaushalte.542 Erst die großflächige 540  Vgl. Feuerländer – Regions of Vulcan. Malerei um Kohle und Stahl, Begleitbuch zur Sonderausstellung, hrsg. vom LVR-Industriemuseum, Münster 2010. 541  Vgl. Wolfgang Schivelbusch, Die Entzauberung des Lichtes, in: Evelyn GröblSteinbach (Hrsg.), Licht und Schatten. Dimensionen von Technik, Energie und Politik, Wien/Köln 1990, S. 11–16. 542  Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Elektrifizierung u. a. Beate Binder, Elektrifizierung als Vision. Zur Symbolgeschichte einer Technik im Alltag, Tübingen 1999; Rolf Spilker (Hrsg.), Unbedingt modern sein. Elektrizität und Zeitgeist um 1900, Bramsche 2001. Reiche Nachweise auch (einschließlich der juristischen Be-

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Abb. 18

Beleuchtung von Straßen und Plätzen ermöglichte in den Städten ein echtes „Nachtleben“ (Abb. 18).543 Nun konnte man rund um die Uhr die bedeutendsten Wahrzeichen und Denkmäler der Metropolen bewundern. In einigen Fällen verbanden sich Freiheitspathos und Energie-Enthusiasmus zu unvergleichlichen Monumenten des Fortschrittsglaubens. Auch die Fackel der New Yorker Freiheitsstatue wurde „modern“, also elektrisch, beleuchtet (wenngleich sich wirklich befriedigende Resultate erst 1916 mit Verlegung eines Unterseekabels einstellten). Da die Neugründung des Privatrechts im Geist der Privatautonomie Revolution und Aufklärung zur Voraussetzung hatte, ist es verständlich, dass züge und Implikationen) bei Miloš Vec, Recht und Normierung in der industriellen Revolution. Neue Strukturen der Normsetzung in Völkerrecht, staatlicher Gesetzgebung und gesellschaftlicher Selbstnormierung, Frankfurt am Main 2006, insbes. S. 233–250. 543  Zur Entwicklung der Straßenbeleuchtung Wolfgang Schivelbusch, Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2004, S. 113–125.



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das wichtigste Sinn-Bild jener Zeit die Hintergrundmetaphorik des Privatrechts prägte. Nach den Maßstäben einer Disziplin, die sich von der Vertragsfreiheit her definierte (ohne diese als schrankenlos und absolut zu begreifen544), konnte allein der freie Wille die Rolle des Rechtschöpfers, der erleuchtenden Urgewalt, ausfüllen. Die Feuer (Energie)-Metapher fand Anwendung nicht nur auf den freien Willen selbst, sondern zugleich auf alle von einem solchen Willen getragenen Rechtsinstitute (die folglich wie ein Feuer auch „erlöschen“ können). Darüber hinaus war und ist die Metapher – sofern erst einmal im juristischen Diskurs etabliert – auch auf rechtliche Vorgänge und Ansprüche übertragbar, die in keinem Zusammenhang mit willentlich begründeten Forderungen stehen, denn natürlich gibt es keine echte „metaphorische Logik“ im Sinne einer Kontrollinstanz, die eine nicht stimmige Verwendung von Begriffen auszuschließen vermag. Im Bereich des metaphorischen (analogen) Denkens haben wir es immer nur mit Annäherungen, Tendenzen, Affinitäten zu tun, nicht mit ausnahmslos geltenden Regeln. Was sind nun aber – abgesehen von der offenkundigen Nützlichkeit und Gefährlichkeit – die charakteristischen Eigenschaften von Feuer und Energie? Und inwieweit könnten diese Eigenschaften unser Verständnis der Eigenheit und Reichweite rechtlichen Wollens beeinflusst haben? Mit Gewissheit lässt sich sagen, dass wir Feuer als ein sinnlich vielschichtiges Phänomen erleben, können wir doch die verschiedenen Energiestufen einer Flamme anhand der Färbung und Helligkeit unterscheiden („Flammenmantel“, „Flammenkern“ usw). Aber auch Schein und Rauch gehören nach dem Alltagsverständnis („kein Rauch ohne Feuer“) noch zum Feuer. Der Bildzyklus „Die vier Elemente“ des niederländischen Kupferstechers Jan van de Velde bringt das sehr deutlich zum Ausdruck. Die Illustration, die ignis  – dem Feuer – gewidmet ist, zeigt einen nächtlichen Artillerieangriff. Die Geschütze, aus denen die Flammen lodern, befinden sich nicht in der Mitte, sondern am linken Rand des Bildes. Es ist der „Schein“, der den Künstler fasziniert und den er als einen, ja als den wesentlichen Aspekt des Feuers herausstellt. Sorgfältig hat van de Velde die Nuancen des „Scheins“ visualisiert. So sind die Personen, die nahe an den Kanonen stehen, noch hell erleuchtet, während einige Meter dahinter bereits lediglich ein schwacher Schimmer das Anlitz der Soldaten illuminiert. Allmählich verliert sich der „Schein“ im Dunkel der Nacht (Abb. 19). 544  Jan Schröder, Kollektivistische Theorien und Privatrecht in der Weimarer Republik am Beispiel der Vertragsfreiheit, in: Knut Wolfgang Nörr (Hrsg.), Geisteswissenschaften zwischen Kaiserreich und Republik. Zur Entwicklung von Nationalökonomie, Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaft im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1994, S. 335–359, 337; Sybille Hofer, Freiheit ohne Grenzen? Privatrechtstheoretische Diskussionen im 19. Jahrhundert, Tübingen 2001, S. 276.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Abb. 19

Das Graduelle als Eigenheit von Feuer und Energie ist so evident, dass die Gefahr auf der Hand liegt, dieses Merkmal dem Objekt der gedank­ lichen Übertragung ungeprüft zu unterlegen. Auch der Pionier der psychologischen Willensforschung, Narziss Ach, der, wie erwähnt, den Willen in energetischen Kategorien erfasst, widmet der „graduellen Verschiedenheit“ des Wollens ein eigenes Kapitel (§ 19).545 Immerhin fällt es ihm selbst auf, dass bei vielen seiner Beispiele „von einem Wollen im eigentlichen Sinne“ keine Rede sein kann. Ach schreibt (1910): „Sämtliche Arten der graduellen Verschiedenheiten, abgekürztes, schwaches und geübtes Wollen, stellen eine Verflachung der Tatbestände des eigentlichen, des primären Wollens dar, die unter Umständen einen derartigen Grad erreichen kann, daß von einem Wollen im eigentlichen Sinne keine Rede mehr ist. Da es sich nicht bloß um eine graduelle Abstufung der Eindringlichkeit bzw. der Intensität der charakteristischen Momente des Wollens handelt, sondern da auch einzelne der spezifischen Momente überhaupt fehlen können, so ergibt sich eine sehr große Variabilität der Erscheinungsformen.“546 Wie die Metaphorik des Lichts das Gegensätzliche im Graduellen auflöst und dadurch neue Bedeutungsinhalte hervorbringt, hat unter anderem Blu545  Narziss Ach, Über den Untersuchung, Leipzig 1910, 546  Narziss Ach, Über den Untersuchung, Leipzig 1910,

Willensakt und das Temperament. Eine experimentelle S. 275–306. Willensakt und das Temperament. Eine experimentelle S. 277.



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menberg am Beispiel der Wahrheit und ihres „Scheins“, der Wahr-Scheinlichkeit, vorgeführt. Wer das „Licht der Wahrheit“ preist, wie das seit unvordenklicher Zeit üblich ist, der wird auch noch dem „Schein der Wahrheit“ etwas abgewinnen, obwohl es an sich nur ein „wahr“ oder „falsch“ geben kann. Eine wahr-scheinliche Aussage ist nicht wahr, sie wird aber dennoch der Wahrheit zugerechnet. „Im Spielraum zwischen dem Wahren und dem Falschen steht das Wahrscheinliche prope verum, nimmt an seinem Scheinen teil, weil es an seinem Wesen teilhat.“547 Es findet also eine Expansion des Wahrheitsbegriffs in Bereiche des Nichtwahren, des Unsicheren statt, das wir nun glauben besser beherrschen zu können. Ein Faible für das Graduelle ist vor allem bei Nietzsche zu erkennen, der – aus Gründen, auf die wir sogleich zu sprechen kommen – abstrakte Schlüsselbegriffe der Philosophie wie Wille und Wahrheit energetisch imaginierte.548 Folglich gibt es für Nietzsche keinen „freien“ und „unfreien“ Willen, sondern nur einen „starken“ und „schwachen“.549 Und zur angeblichen Notwendigkeit einer Abgrenzung von „wahr“ und „falsch“ heißt es: „Ja, was zwingt uns überhaupt zur Annahme, dass es einen wesenhaften Gegensatz von ‚wahr‘ und ‚falsch‘ giebt? Genügt es nicht, Stufen der Scheinbarkeit anzunehmen und gleichsam hellere und dunklere Schatten und Gesamttöne des Scheins, – verschiedene valeurs, um die Sprache der Maler zu reden?“550 Mit dem „Schein“ verhält es sich demnach ganz ähnlich wie mit dem „Schatten“. Dieser wird ebenfalls nicht als ein aliud wahrgenommen, sondern als eine Eigenschaft des Objekts, das den Schatten wirft. Nur so erklärt sich, wieso Peter Schlemihl in Adelbert von Chamissos berühmter Erzählung seinen Schatten an den Teufel verkaufen konnte: Es war eben „sein“ 547  Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt am Main 1998, S.  120 f. 548  Zur Aufwertung des „Scheins“ in der Philosophie Nietzsches vgl. Norbert Bolz, Eine kurze Geschichte des Scheins, München 1991, S. 52–94; Karl Heinz Bohrer, Plötzlichkeit. Zum Augenblick des ästhetischen Scheins, Frankfurt am Main 1981; Sigridur Thorgeirsdottir, Vis creativa. Kunst und Wahrheit in der Philosophie Nietzsches, Würzburg 1996, S. 85–144; Josef Früchtl, Konzeptionen des Scheins. Ausgänge aus der Platonischen Höhle, Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 45 (2000), S. 167–185, 172–175; ders., Art. Schein, in: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 5, Stuttgart 2003, S. 365–390, 376–379; P. Rohs/D. Liebsch, Art. „Schein“ in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, Basel 1992, Sp. 1230–1243, 1238, 1241. 549  Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft (1886), in: ders., Werke. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari Abt. 6, Bd. 2, Berlin 1968, S. 30. 550  Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft (1886), in: Nietzsche (KGA), Abt. 6, Bd. 2, S. 49 f.

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Schatten. So gesehen sind, um noch ein letztes Beispiel aus der Philosophie anzuführen, auch die Schatten in Platons Höhlengleichnis – der Urfabel des Idealismus – keine völlige Illusionen, kein Nichtseiendes, sondern defiziente Seinsformen, Ableitungen des wahrhaft Seienden (οὐσία). Was die Gefesselten in Platons Höhle zu Gesicht bekommen, als man hinter ihrem Rücken, von einem Feuer beleuchtet, Gefäße und Skulpturen vorbeiträgt,551 sind nicht die Gefäße und Skulpturen selbst. Aber ihre Schatten partizipieren doch immerhin an der Wirklichkeit und würden ohne sie nicht existieren: „Weil Sein ‚Bestimmtheit qua Einheitlichkeit‘ bedeutet, ist Sein im vollen und eminenten Sinne nur die ‚unteilbare und sich selbst ewig gleichbleibende Substanz‘ der Ideen; insofern jedoch auch die Erscheinungen einen gewissen Grad an Einheitlichkeit und Bestimmtheit aufweisen müssen, muss auch ihnen eine οὐσία zuerkannt werden, die freilich als ‚eine im Bereich der Körper teilbar werdende‘ (πεϱί τά σώματα γιγυομέυη μεϱιστή) nur einen defizienten Modus des Seins darstellt.“552 Wer – wie Aristoteles – nicht in den Kategorien von Feuer und Schein, von Einzelding und Schatten denkt, der wird dem Nebeneinander von Ideenund Sinneswelt nichts abgewinnen können und die Inkommensurabilität beider Sphären betonen: „Wenn die sinnfällige Welt so zum Wesenlosen wird, das die Wahrheit außer sich hat, dann ist es in der Tat schwierig, beides wieder zu versöhnen: so sind für Aristoteles der platonische Begriff der Teilhabe und die Rede von den Ideen als Urbilder auch ‚leere Worte und poetische Metaphern‘ (κευολογείυ έστί καί μεταφοράϛ λέγειυ ποητικάϛ)“.553 Dieser uralte Imaginationskonflikt der Philosophie kehrte – wenngleich auf etwas andere Weise – in der Auseinandersetzung um die dogmatische Einordnung von Rechtsscheintatbeständen wieder. Den Juristen des 20. Jahrhunderts, die sich daran gewöhnt hatten (ohne es sich bewusst zu machen), den auf eine privatrechtliche Gestaltung gerichteten Willen ignifikatorisch (energetisch) zu repräsentieren, fiel es leicht, ein Verhalten, das nicht alle Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes erfüllt, als einen „Schein“, als ein unvollkommenes, „werdendes Sein“ des Willens zu deuten („unechte“ Wil551  Politeia 514a–515a. Zur Höhle des Höhlengleichnisses vgl. u. a. Hans Blumenberg, Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung, in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, hrsg. von Anselm Haverkamp, Frankfurt am Main 2001, S. 139–171, 148–153; Gernot Böhme/Hartmut Böhme, Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente, München 2004 S. 151–153. 552  J. Halfwassen, Art. „Substanz (Antike)“ in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 10, Basel 1998, Sp. 497–507, 496. 553  H. Meinhardt, Art. „Idee (Antike)“ in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Basel 1976, Sp. 55–65, 58.



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lenserklärungen, „typisierte“ Willenserklärungen, „fahrlässige“ Willenserklärungen usw.554) und in die Rechtsgeschäftslehre zu integrieren.555 Vielleicht hätte die Ignifikation für sich genommen nicht ausgereicht, um derart weitreichende Veränderungen im juristischen Denken auszulösen. Immerhin ist die Verherrlichung des freien Willens ein wenig älter als die Auflösung der Grenze zwischen der Haftung ex lege und ex voluntate. Vor allem stellt sich die Frage, ob eine so selbstverständliche, aber eben deshalb gewöhnlich nicht zu Bewusstsein gelangende Eigenschaft des Feuers wie die der kontinuierlich abnehmenden Beleuchtungsstärke bereits ausreicht, um Juristen zu einer Präferenz für graduelle Unterscheidungen zu verleiten. Die Frage kann auf sich beruhen, denn just im späten 19. Jahrhundert, als in der Rechtswissenschaft sich erste Ansätze zu einer Einheits- und Stufendogmatik zeigten, war die Flüchtigkeit und Wandelbarkeit von Energie in aller Munde. „Energieforschung“ stieß damals auf ein enormes öffentliches Interesse.556 Allenthalben war von einem neuen „energetischen“ Weltbild die Rede, das an die Stelle des alten, „materialistischen“ getreten sei. Wir neigen heute dazu, den durch Charles Darwins „On the Origin of Species“ eingeleiteten Aufstieg der Evolutionstheorie als die bedeutendste naturwissenschaftliche Errungenschaft des 19. Jahrhunderts anzusehen, doch nach Einschätzung der Zeitgenossen gab es mindestens einen gleichrangigen Aspiranten auf diesen Titel: die Entdeckung des Energieerhaltungssatzes, die unter anderem Julius Robert von Mayer, James Prescott Joule und Hermann von Helmholtz zugeschrieben wird.557 Als Friedrich Engels auf die herausragenden wissenschaftlichen Leistungen seiner Zeit zu sprechen kam, stellte er das Wissen um die „Verwandlung von Energie“ an den Anfang: „Von entscheidender Wichtigkeit aber waren drei große Entdeckungen. Die erste war der von der Entdeckung des mechanischen Äquivalents der Wärme (durch Robert Mayer, Joule und Colding) sich herleitende Nachweis der Verwandlung der Energie. Alle die zahllosen wirkenden Ursachen in der Natur, die bisher als sogenannte Kräfte ein geheimnisvolles, unerklärtes Dasein führten – mechanische Kraft, Wärme, Strahlung (Licht und strahlende Wärme), Elektrizität, Magnetismus, chemische Kraft der Verbindung und Trennung –, sind jetzt nachgewiesen als besondre Formen, Daseinsweisen 554  Vgl. dazu Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., Berlin 1979, § 47.3 (S. 808 f.), § 10.1 (S. 114). 555  Zur dreifachen Abstufung der subjektiven Elemente der Willenserklärung seit dem späten 19. Jahrhundert vgl. HKK-Schermeier §§ 116 ff. Rn. 6, 10. 556  Vgl. Crosbie Smith, The Science of Energy. A Cultural History of Energy Physics in Victorian Britain, Chicago 1998. 557  Zur Frage der Priorität vgl. Crosbie Smith, The Science of Energy. A Cultural History of Energy Physics in Victorian Britain, Chicago 1998, S. 1–14.

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einer und derselben Energie, d. h. Bewegung … Die Einheit aller Bewegung in der Natur ist nicht mehr eine philosophische Behauptung, sondern eine naturwissenschaftliche Tatsache.“558 Etwa zur gleichen Zeit, in den frühen 1880er Jahren, begann Nietzsche damit, sich mit den Erkenntnissen der neueren Energieforschung zu beschäftigen. Im Sommer 1881 bat er seinen Freund Franz Overbeck, ihm Johann Gustav Vogts Schrift „Die Kraft. Eine real-monistische Weltanschauung“ (1878) nach Sils-Maria zu senden.559 Nicht alles, was Nietzsche in dem 650-Seiten-Buch des heute weitgehend vergessenen Naturphilosophen las, fand seine Zustimmung, doch die zentrale These Vogts über die „Kraft“ als den letzen Weltgrund, der alle Erscheinungsformen des Daseins hervorbringe, überzeugte ihn.560 Es ist sehr wahrscheinlich, dass Nietzsche den für das Verständnis seiner Philosophie so wichtigen Gedanke von der „ewigen Wiederkehr“ im Dialog mit Vogts „real-monistischer Weltanschauung“ entwickelte.561 Aber auch eine andere Einsicht Nietzsches, nämlich die, dass es einen „wesenhaften Gegensatz von ‚wahr‘ und ‚falsch‘ “ nicht gebe, sondern nur „Stufen der Scheinbarkeit“, könnten in einem Zusammenhang mit der Lektüre der Vogt’schen Schrift(en) stehen. So lesen wir bei Vogt über das „Wesen der Elektrizität“: „Die Elektrizität nach der alten Anschauung als eine spezifische Wesenheit aufgefasst, würde der Titel dieses Buches auf einen Nonsens hinauslaufen, denn wir vermögen keine absolute Wesenheit zu erfassen. Ist sie dagegen nur der Ausfluss einer bestimmten Konstellation und ich erkläre diese Konstellation, so erkläre ich damit auch das Wesen der Elektrizität. Betrachtete ich z. B. Wasserdampf, Wasser und Eis als drei spezifische Wesenheiten an und für sich, so könnte ich mich sicherlich nicht unterfangen, ihr Wesen ergründen zu wollen. Heute weiss ich, dass diesen drei Dingen keine spezifische Wesenheit zukommt, sondern dass sie nur die Formen sind, in denen die eine wirkliche Wesenheit, die Wassermolekel in den drei Aggregatzuständen in die Erscheinung tritt.“562 Was für die Elektrizität gilt, trifft nach Auffassung Nietzsches 558  Friedrich Engels, Dialektik der Natur, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Band 20, Berlin 1962, S. 467 f. 559  Martin Bauer, Zur Genealogie von Nietzsches Kraftbegriff: Nietzsches Auseinandersetzung mit J. G. Vogt. in: Nietzsche-Studien 13 (1984), S. 211–227, 212. 560  Volker Gerhardt, Vom Willen zur Macht. Anthropologie und Metaphysik der Macht am exemplarischen Fall Friedrich Nietzsche, Berlin 1996, S. 198 f. 561  Eingehend Martin Bauer, Zur Genealogie von Nietzsches Kraftbegriff: Nietzsches Auseinandersetzung mit J. G. Vogt. in: Nietzsche-Studien 13 (1984), S. 211– 227. 562  Johann Gustav Vogt, Das Wesen der Elektrizität und des Magnetismus auf Grund eines einheitlichen Substanzbegriffes, Leipzig 1891, S. III f.



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auch auf die Wahrheit zu: Sie ist nur ein „Aggregatzustand“ und hat keine „absolute Wesenheit“. Neben Vogt engagierten sich Ernst Haeckel563 und Wilhelm Ostwald564 unermüdlich für die Verbreitung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und die Überwindung philosophischer und theologischer Denktraditionen, die ihrer Ansicht nach dem „Fortschritt“ im Wege standen. Beide zählten zu den renommiertesten und einflussreichsten Wissenschaftlern des Kaiserreiches. Ihr Wort hatte Gewicht und wurde gehört, auch von denjenigen, die ihre Anliegen nicht teilten. Der von Haeckel gegründete, später dann von Ostwald geleitete „Deutsche Monistenbund“ propagierte eine einheitliche, auf Naturerkenntnis gegründete Welt- und Lebensanschauung, in der es keinen Platz gab für die „scheinbaren Gegensätze“ des überkommenen dualistischen Weltbildes, für das Gegen- und Nebeneinander von Freiheit und Notwendigkeit, Natur und Geist, Körper und Seele, Gott und Welt usw.565 Obwohl Haeckels Ruhm sich vornehmlich auf seine zoologische Arbeiten gründete und er als wichtigster deutscher Vertreter der Evolutionslehre gilt, ist auch für ihn der Energieerhaltungssatz, also ein physikalisches, kein biologisches Theorem,566 der Schlüssel zum Verständnis der Welt, zur Lösung des „Welträtsels“, wie der Titel seines populärsten, kurz vor der Jahrhundertwende erschienenen Buches lautet.567 „Da überragt“, schreibt Haeckel, „alle anderen Fortschritte und Entdeckungen des verflossenen ‚großen Jahrhunderts‘ das gewaltige, allumfassende Substanz-Gesetz, das ‚Grundgesetz von der Erhaltung der Kraft und des Stoffes‘. Die Thatsache, daß die Substanz überall einer ewigen Bewegung und Umbildung unterwor563  Zu Haeckel als „Monist“ Adrian Brücker, Die monistische Naturphilosophie im deutschsprachigen Raum um 1900 und ihre Folgen. Rekonstruktion und kritische Würdigung naturwissenschaftlicher Hegemonialansprüche in Philosophie und Wissenschaft, Berlin 2011, S. 77–198. 564  Zu Ostwald als „Monist“ Adrian Brücker, Die monistische Naturphilosophie im deutschsprachigen Raum um 1900 und ihre Folgen. Rekonstruktion und kritische Würdigung naturwissenschaftlicher Hegemonialansprüche in Philosophie und Wissenschaft, Berlin 2011, S. 198–476. 565  Heiko Weber/Olaf Breidbach, Der Deutsche Monistenbund 1906 bis 1933, in: Arnher E. Lenz/Volker Mueller (Hrsg.), Darwin, Haeckel und die Folgen. Monismus in Vergangenheit und Gegenwart, Neustadt am Rübenberge 2006, S. 157–205, 161 f. Ferner Adrian Brücker, Die monistische Naturphilosophie im deutschsprachigen Raum um 1900 und ihre Folgen. Rekonstruktion und kritische Würdigung naturwissenschaftlicher Hegemonialansprüche in Philosophie und Wissenschaft, Berlin 2011, S. 71–76. 566  Selbstverständlich ist auch die Evolutionslehre insoweit monistisch, als sie einen „wesensmäßigen“ Unterschied zwischen den Mensch und Tier leugnet. 567  Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie, Bonn 1899.

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fen ist, stempelt dasselbe zugleich zum universalen Entwicklungs-Gesetz.“ Die von diesem Gesetz abgeleitete Einheitslehre, der Monismus, werde über kurz oder lang „die drei großen Zentral-Dogmen der bisherigen dualistischen Philosophie, den persönlichen Gott, die Unsterblichkeit der Seele und die Freiheit des Willens“ beseitigen.568 „Indem dieses ‚kosmologische Grundgesetz‘ die ewige Erhaltung der Kraft und des Stoffes, die allgemeine Konstanz der Energie und der Materie im ganzen Weltall nachweist, ist es der sichere Leitstern geworden, der unsere monistische Philosophie durch das gewaltige Labyrinth der Welträtsel zu deren Lösung führt.“569 Weniger überraschend ist die entschiedene Parteinahme für ein „energetisches“ Weltbild bei Haeckels Weggefährten, dem Chemiker und Nobelpreisträger von 1909 Wilhelm Ostwald. Zum vermeintlichen Gegensatz von Energie und Materie heißt es bei ihm: „Die moderne Energetik ist nun dadurch gekennzeichnet, dass sie auch diesen Dualismus beseitigt und als allgemeinsten Oberbegriff allein die Energie eingeführt hat. Auf die Eigenschaften und Verhältnisse der Energie werden alle Erscheinungen zurückgeführt und insbesondere die Materie ist, soweit ein solcher Begriff sich überhaupt als zweckmässig erweisen sollte, auf energetischer Grundlage zu definieren.“570 Die These von der „energetischen“ Einheit allen Daseins, die Haeckel, Ostwald und andere namhafte Naturwissenschaftler propagierten, fiel deshalb bei vielen Zeitgenossen auf so fruchtbaren Boden, weil sie im Einklang stand mit dem Lebensgefühl des vom technischen Fortschritt berauschten Kaiserreiches und weil die Umwandlung von Energie als Erfahrungswert im Leben der Menschen inzwischen einen festen Platz hatte. Alle Errungenschaften der modernen Welt schienen auf irgendeine Weise in einem Zusammenhang zu stehen mit der Transformation und dem Transport von Energie: Verbrennungsmotoren bewegten Autos, Schiffe und Eisenbahnen von einem Ort zum anderen, so wie umgekehrt der Dynamo Bewegung in Licht und Wärme umsetzte.571 568  Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie, 7. Aufl., Bonn 1901, S. 438. 569  Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie, 7. Aufl., Bonn 1901, S. 5. 570  Wilhelm Ostwald, Die Forderung des Tages, Leipzig 1910, S. 22. 571  „Diese Umwandlungsfähigkeit unter Erhaltung der absoluten Menge stellt nun eben die Mannigfaltigkeit in der Einheit dar, durch welche der Energiebegriff geeignet wird, die oben geschilderte zusammenfassende Wirkung über die unabsehbare Vielfältigkeit der physischen Erscheinungen auszuüben. Die elektrischen Lampen, die uns heut Abend leuchten, strahlen Lichtenergie aus. Diese entsteht aber erst innerhalb der Lampe aus der elektrischen Energie, welche ihr durch die Leitung aus der Zentrale zugeführt wird. In der Zentrale stellt man die elektrische



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Abb. 20

Überdies war der „Gedanke der Wandelbarkeit der Kraft“, der Gedanke, dass alle Erscheinungen „nur Umwandlungen zwischen verschiedenen Formen der Energie“ seien,572 im gymnasialen Physikunterricht der Jahrhundertwende allgegenwärtig. Die Lehrbücher, die damals in Gebrauch waren, bezeugen, wie sehr die Vermittlung dieser naturwissenschaftlichen Erkenntnis den für die „höhere Bildung“ zuständigen Institutionen am Herzen lag. Mit Experimenten wie dem „Rumsford-Versuch“ (Abb. 20) versuchte man den Schülern nahe zu bringen, dass Energie sich niemals verflüchtige, sondern lediglich von einer Daseinsform in eine andere übergehe, so wie bei der Destillation Wasser sich in Wasserdampf und dann wieder in Wasser verwandle, ohne dass sich das „Wesen“ des Wassermoleküls verändere (Abb. 21). „Die lebendige Kraft“, ist in einem Schulbuch von 1908 zu leEnergie mittels der Dynamomaschine aus mechanischer Energie her, welche die dort aufgestellten Dampfmaschinen abgeben. Diese arbeiten durch die Wärmeenergie, welche in den Dampfkesseln vom Wasser aufgenommen und in Gestalt hochgespannten Dampfes in die Maschinen übergeführt wird. Die Wärme ihrerseits wird unter den Kesseln durch die Verbrennung der Steinkohle erzeugt, d. h. sie ist ein Umwandlungsprodukt der chemischen Energie der Kohle und des Sauerstoffs, und diese endlich ist ein Umwandlungsprodukt der strahlenden Energie der Sonne, welche vor vielen Jahrtausenden auf die Erde gefallen ist und dort den Pflanzenwuchs erzeugt hat, dessen Rückstände uns in der Steinkohle vorliegen“ – Wilhelm Ostwald, Die energetischen Elemente des Rechtsbegriffes (1909), in: Die Forderung des Tages, Leipzig 1910, S. 378–399, 386. Vgl. auch ders., Die Energie, 2. Aufl., Leipzig 1912, S. 4 f. 572  Paul Reis, Lehrbuch der Physik gemäß der neuen Anschauung und mit den neuesten Fortschritten für Gymnasien, Realschulen und andere höhere Lehranstalten, 8. Aufl., Leipzig 1893, S. 55.

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Abb. 21

sen, „geht also nicht verloren, sondern der Verlust an sichtbarer Bewegung wird in unsichtbare Bewegung der Molekeln, d. h. in Wärme verwandelt. Die scheinbar verlorene Energie tritt in anderer Form, aber in gleicher Größe wieder als Wärme auf.“573 Solche nach heutigem Verständnis recht unspektakuläre Aussagen lösten damals hitzige Kontroversen aus. Der „wissenschaftliche Materialismus“ sei erledigt, verkündete Ostwald in einem Vortrag im Jahr 1895, weil nunmehr feststehe, dass Materie nur eine besondere Art der Energie darstelle und nichts von dieser wesenhaft Verschiedenes sei.574 Als daraufhin viele auch 573  Carl Baenitz, Lehrbuch der Physik in gemeinfaßlicher Darstellung nach methodischen Grundsätzen für gehobene Lehranstalten sowie zum Selbstunterrichte, 14. Aufl., Bielefeld, Leipzig 1908, S. 280. 574  „Sind denn nun aber Materie und Energie wirklich etwas von einander Verschiedenes, wie etwa Körper und Seele? … Oder ist nicht vielmehr das, was wir von der Materie wissen und aussagen, schon in dem Begriff der Energie enthalten, so dass wir mit dieser einen Grösse die Gesammtheit der Erscheinungen darstellen können? Nach meiner Ueberzeugung kann die Antwort nicht zweifelhaft sein … Es handelt sich immer nur um Energie, und denken wir uns deren verschiedene Arten von der Materie fort, so bleibt nichts übrig, nicht einmal der Raum, den sie einnahm, denn auch dieser ist nur durch den Energieaufwand kenntlich, welchen es erfordert, um in ihn einzudringen. Somit ist die Materie nichts, als eine räumlich zusammengeordnete Gruppe verschiedener Energien, und Alles, was wir von ihr aussagen wollen, sagen wir nur von diesen Energien aus“ – Wilhelm Ostwald, Die Überwindung des wissenschaftlichen Materialismus. Vortrag, gehalten in der dritten



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den philosophischen Materialismus zu Grabe tragen wollten, sah sich Lenin zu seiner Stellungnahme veranlasst.575 Er konnte und durfte nicht erlauben, dass – wie er meinte – aufgrund eines Missverständnisses zentrale philosophische Annahmen des Marxismus in Misskredit gerieten. Lenins leidenschaftliche Auseinandersetzung mit der „energetischen“ Weltanschauung ist ein beredtes Zeugnis für die Bedeutung, die man ihr einst zumaß. Die Essenz der neuen Lehre hat der russische Revolutionär zweifellos zutreffend erfasst: „Wenn die Physiker sagen, ‚die Materie verschwindet‘, so wollen sie damit sagen, dass die Naturwissenschaft bisher alle ihre Forschungen über die physische Welt auf die drei letzten Begriffe: Materie, Elektrizität und Äther zurückgeführt hat; jetzt dagegen bleiben nur die zwei letzten übrig, denn es gelingt, die Materie auf Elektrizität zurückzuführen, … Die Naturwissenschaft führt also zur ‚Einheit der Materie‘ – das ist der wirkliche Inhalt jenes Satzes vom Verschwinden der Materie, von der Ersetzung der Materie durch Elektrizität usw., der so viele Köpfe verwirrt. ‚Die Materie verschwindet‘ heißt: Es verschwindet jene Grenze, bis zu welcher wir die Materie bisher kannten, unser Wissen dringt tiefer; es verschwinden solche Eigenschaften der Materie, die früher als absolut, unveränderlich, ursprünglich gegolten haben (Undurchdringlichkeit, Trägheit, Masse usw.) und die sich nunmehr als relativ, nur einigen Zuständen der Materie eigen erweisen.“576 Auch im bürgerlichen Lager war man alarmiert. In seinem Werk „Energetische Grundlagen der Kulturwissenschaft“ hatte Ostwald die Geistes-, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften scharf kritisiert und Vorschläge unterbreitet, wie diese Disziplinen ihrem wissenschaftlichen Jammertal entkommen können. Der schamlos zur Schau gestellte Hegemonial­ anspruch der Naturwissenschaften erregte verständlicherweise bei den Gemaßregelten großen Unmut. Kein Geringerer als Max Weber stieg in den Ring, um sich gegen den Versuch zur Wehr zu setzen, „bestimmte naturwissenschaftliche Abstraktionsformen zum Maßstab wissenschaftlichen Denkens überhaupt zu verabsolutieren.“577 Gewiss ist „Verriss“ noch ein freundliches Wort für das, was Weber veranstaltete, doch umso bemerkenswerter, dass er nicht weniger als 26 Seiten benötigte, um „diese zum Erbarmen allgemeinen Sitzung der Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte zu Lübeck, am 20. September 1895, Leipzig 1895, S. 28. 575  Wladimir Iljitsch Lenin, Werke, Bd. 14: Materialismus und Empiriokritizismus, Berlin 1971 [1908]. 576  Wladimir Iljitsch Lenin, Werke, Bd. 14: Materialismus und Empiriokritizismus, Berlin 1971, S. 259 f. 577  Max Weber, „Energetische“ Kulturtheorien, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Johannes Winckelmann, 6. Aufl., Tübingen 1985, S. 400–426, 400 f.

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schlechte Schrift“ zu besprechen. Warum ein solcher Aufwand für eine Hand voll „grotesker Entgleisungen“?578 Weber war sich des Missverhältnisses durchaus bewusst, sah aber keinen anderen Ausweg. Zum einen, schreibt er, lerne man aus den Irrtümern „sonst bedeutender Gelehrter“ mehr als aus „den Korrektheiten von Nullen“.579 Zum anderen – und vor allem – war Weber daran gelegen, vorzuführen, „wie der ‚Naturalismus‘, das heißt: der Versuch, Werturteile aus naturwissenschaftlichen Tatbeständen abzuleiten, überhaupt (gröber oder feiner) ein- für allemal verfährt.“ Der Soziologe erkannte, dass viel mehr auf dem Spiel stand als seine oder Ostwalds Reputation. Er befürchtete, die spektakulären Erfolge der Naturwissenschaften könnten andere Fächer dazu verleiten, unreflektiert Inhalte und Methoden der aufstrebenden Rivalen zu übernehmen. Deshalb, „um ihrer charakteristischen und typischen Irrtümer willen“, sei „die kleine Mißgeburt hier so eingehend behandelt worden.“580 Als besonders rückständig galt den Monisten die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts. „Während wir so heute mit gerechtem Stolze auf die gewaltigen Fortschritte des neunzehnten Jahrhunderts in der Naturerkenntnis und deren praktischer Verwertung zurückblicken,“ resümierte Haeckel in den „Welträtseln“, „so bietet sich uns leider ein ganz anderes und wenig erfreuliches Bild, wenn wir nun andere, nicht minder wichtige Gebiete dieses modernen Kulturlebens ins Auge fassen … Beginnen wir unsere Rundschau mit der Justiz, dem ‚Fundamentum regnorum‘. Niemand wird behaupten können, dass deren heutiger Zustand mit unserer fortgeschrittenen Erkenntnis des Menschen und der Welt in Einklang sei. Keine Woche vergeht, in der wir nicht von richterlichen Urteilen lesen, über welche der ‚gesunde Menschenverstand‘ bedenklich das Haupt schüttelt; viele Entscheidungen unserer höheren und niederen Gerichtshöfe erscheinen geradezu unbegreiflich.“581 Für die haarsträubende Uneinsichtigkeit und Beschränktheit der Juristen sei in erster Linie „das gründliche Studium von Bier und Wein … sowie das ‚veredelnde‘ Mensurenwesen“ verantwortlich, dozierte der auch „Affen-Haeckel“ genannte Zoologe.582 578  Max Weber, „Energetische“ Kulturtheorien, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Johannes Winckelmann, 6. Aufl., Tübingen 1985, S. 400–426, 424. 579  Max Weber, „Energetische“ Kulturtheorien, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Johannes Winckelmann, 6. Aufl., Tübingen 1985, S. 400–426, 424. 580  Max Weber, „Energetische“ Kulturtheorien, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Johannes Winckelmann, 6. Aufl., Tübingen 1985, S. 400–426, 424 (Hervorhebung im Original). 581  Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie, 7. Aufl., Bonn 1901, S. 8.



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Ähnlich verletzend und herablassend äußerte sich Ostwald. Wortreich beklagte er in seiner Autobiographie die „Rückständigkeit der juristischem Begriffsbildung“ und die „Mängel der juristischen Ausbildungsweise“.583 Nicht gerade von Feingefühl zeugt ferner sein Auftritt vor den „Leipziger Kollegen von der Juristenfakultät, von denen ich eigentlich nur den feinsinnigen Binding genießbar, ja erfreulich gefunden hatte.“ Das Erwachen der Wissenschaften beim Ausgang des Mittelalters, stellte der Nobelpreisträger im Beisein der „Kollegen“ fest, sei dadurch gekennzeichnet, „dass eine nach der anderen sich aus dem Banne des Vorurteils befreit, als sei das Höchste schon von den Griechen und Römern geleistet worden. … Dies läßt sich im Einzelnen für jede Wissenschaft nachweisen, mit einziger Ausnahme der Jurisprudenz.“584 Diese verehre „trotz offenbarer Mißerfolge“ nach wie vor „das Corpus juris als Inbegriff aller juristischen Weisheit“. Wie allseits bekannt habe der „bewunderte Senior der Leipziger Juristen, Windscheid, durch sein energisches Hineinarbeiten jener juristischen Bibel in den ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich diesen so völlig unbrauchbar gemacht, daß er ganz und gar umgearbeitet werden mußte.“585 582

Wer so wenig Rücksicht nimmt auf die Befindlichkeiten anderer, darf sich über Spott und Ablehnung nicht wundern, zumal es Ostwald mit seinen Beiträgen zur „juristischen Energetik“586, in denen es – wie Max Weber bemerkte – „hoch und zum Teil etwas toll … hergeht“,587 den Kritikern leicht machte, ihm Unkenntnis vorzuwerfen. Doch das alles ändert nichts an der Tatsache, dass die Juristen in die Defensive gerieten. Sie mussten zur Kenntnis nehmen, dass andere Disziplinen, die handfeste, jedermann einsichtige Erfolge vorzuweisen hatten, ihnen den Rang abliefen588 und die 582  Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie, 7. Aufl., Bonn 1901, S. 9. 583  Wilhelm Ostwald, Lebenslinien. Eine Selbstbiographie, Berlin 1926/1927, S. 317 f. 584  Wilhelm Ostwald, Lebenslinien. Eine Selbstbiographie, Berlin 1926/1927, S. 318. 585  Wilhelm Ostwald, Lebenslinien. Eine Selbstbiographie, Berlin 1926/1927, S. 319. 586  Wilhelm Ostwald, Lebenslinien. Eine Selbstbiographie, Berlin 1926/1927, S. 317; ders., Die energetischen Elemente des Rechtsbegriffes (1909), in: Die Forderung des Tages, Leipzig 1910, S. 378–399. 587  Max Weber, „Energetische“ Kulturtheorien, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Johannes Winckelmann, 6. Aufl., Tübingen 1985, S. 400–426, 419. 588  Zur Rivalität zwischen Technikern und Juristen um 1900 eingehend Miloš Vec, Recht und Normierung in der industriellen Revolution. Neue Strukturen der Normsetzung in Völkerrecht, staatlicher Gesetzgebung und gesellschaftlicher Selbstnormierung, Frankfurt am Main 2006, S. 352–365.

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Erster Teil: Konstitutive Sinnbilder

Ideale, Prinzipien und Methoden der Naturwissenschaften in der Öffentlichkeit zunehmend Gehör fanden. Haeckels „Welträtsel“ von 1899 war nicht irgendein Buch, sondern „der mit Abstand größte populärwissenschaftliche Erfolg der deutschen Buchgeschichte“.589 Im ersten Jahr nach der Veröffentlichung lagen schon mehr als hundert Besprechungen vor.590 Auflage reihte sich an Auflage. Später kamen „Volksausgaben“ und Taschenbuchausgaben hinzu. 1915 waren bereits 320.000 Exemplare gedruckt. Übersetzungen in 25 Sprachen folgten.591 Auf die Weise wurden Kerngedanken der „monistischen Weltanschauung“ zum Allgemeingut. Wohlgemerkt von Kerngedanken und Leitsätzen ist die Rede, nicht von irgendwelchen abseitigen, dilettantischen Anwendungen wie Ostwalds Entwurf einer „juristischen Energetik“, der allenfalls einen Platz im Skurrilitätenkabinett der Rechtsgeschichte verdient. Charakteristisch für den Monismus des Fin de siècle war eine ausgeprägte Abneigung gegenüber einem Entweder-oder, gegenüber endgültigen, nicht weiter auflösbaren kategorialen Unterscheidungen. Von dieser „energetischen“ Maxime592 gingen wichtige Impulse für die bildenden Künste und die Literatur aus (die erwähnten Einflüssen auf die Philosophie gar nicht eingerechnet).593 Die Bandbreite reicht von der Auflösung gegenständlicher Konturen in der Malerei bis hin zu unzweideutigen Anspielungen auf neue Paradigmen der Physik in Romanen wie Thomas Manns „Zauberberg“, in dem über „das Atom“ zu lesen ist, es sei „dermaßen klein, eine derart winzige, frühe und übergängliche Ballung des Unstofflichen, des noch nicht Stofflichen, aber schon Stoffähnlichen, der Energie, daß es kaum schon oder kaum noch als materiell, vielmehr als Mittel und Grenzpunkt zwischen dem Materiellen und dem Immateriellen gedacht werden mußte.“594 Die Suche nach einem einheitlichen, alle Erscheinungs- und Ausdrucksformen erfassenden Prinzip galt als Ausweis „guter“ Wissenschaft, ja 589  Hermann Lübbe, Religion und das Ende der wissenschaftlichen Weltanschauung, in: Wolfgang Hogrebe (Hrsg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen, XIX. Deutscher Kongress für Philosophie, Berlin 2004, S. 207–221, 216. 590  Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie, 11. Aufl., Leipzig 1919, S. 9. 591  Heiko Weber/Olaf Breidbach, Der Deutsche Monistenbund 1906 bis 1933, in: Arnher E. Lenz/Volker Mueller (Hrsg.), Darwin. Haeckel und die Folgen. Monismus in Vergangenheit und Gegenwart, Neustadt am Rübenberge 2006, S. 157–205, 159. 592  Nicht zu verwechseln mit Ostwalds „energetischem Imperativ“: „Vergeude keine Energie, verwerte sie!“ – Wilhelm Ostwald, Der energetische Imperativ, Leipzig 1912, S. 13. 593  Dazu Christoph Asendorf, Ströme und Strahlen. Das langsame Verschwinden der Materie um 1900, Gießen 1989. 594  Thomas Mann, Der Zauberberg. Roman, Stuttgart/Hamburg/München 1982, S. 365.



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schlechthin als ein Ausweis für korrektes wissenschaftliches Arbeiten. Hingegen indiziert nach monistischer Lesart eine Theorie, welche sich mit der Existenz von zwei oder mehr inkommensurablen Mechanismen, Prinzipien, Systemen usw. abfindet, ein wissenschaftlich unzulängliches Vorgehen, das bestenfalls vorläufige Ergebnisse zu Tage fördern kann. Jede die „große Einheit“ unterlaufende Differenzierung stand unter dem Generalverdacht, aus Mangel an „Ernst des Denkens und … Strenge der Empirie“ übernatürliche „Lückenbüßer“ zu verwenden.595 Ein solches „Arbeitsprinzip aller Wissenschaft“596 – das energetisch-monistische – unterschied sich erheblich von dem bislang vorherrschenden. Daher war es hilfreich, sich auf eine angesehene, dem Bildungsbürgertum vertraute Geistesgröße als Kronzeugen zu berufen. Die Wahl fiel auf Goethe, „unseren größten Dichter und Denker“, der – wie Haeckel nicht müde wurde hervorzuheben – der „Einheitsphilosophie schon im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts den vollendetsten poetischen Ausdruck gegeben [hat] in seinen unsterblichen Dichtungen: Faust, Prometheus, Gott und Welt!“597 Als Repräsentant der alten Zeit, als Ikone des zu überwindenden Dualismus musste Kant herhalten. „Die Autorität von Kant“, klagt Haeckel, „hat sich seit hundert Jahren in der deutschen Philosophie eine ähnliche Vorherrschaft errungen, wie sie im Mittelalter Aristoteles besaß. In unzähligen Schriften wird der Schild dieser dualistischen Autorität den Ansprüchen der monistischen Naturwissenschaft entgegengehalten.“598 Die Gegner der Monisten nahmen den Ball auf, indem sie den „Kampf um die Welträtsel“599 zu einem „Kampf um Kant“ stilisierten. Keine zwei Jahre nach der Erstausgabe der „Welträtsel“ erschien Erich Adickes’ Brandschrift „Kant contra Haeckel. Erkenntnistheorie gegen naturwissenschaftlichen Dogmatismus.“600 Der hellsichtigste Beitrag zur Kant-Goethe-Haeckel-Kontroverse der Jahrhundertwende stammt von Georg Simmel, der in „Kant und Goethe. Zur Geschichte der modernen Weltanschauung“ (1906) den Methodenstreit auf den entscheidenden Punkt zuspitzte. „Für Kant“, bemerkt Simmel, „kam 595  Johann Gustav Vogt, Der absolute Monismus. Eine mechanistische Weltanschauung auf Grund des pyknotischen Substanzbegriffes, Hildburghausen 1912, S.  10 f. 596  Wilhelm Ostwald, Der energetische Imperativ, Leipzig 1912, S. 14. 597  Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie, 11. Aufl., Leipzig 1919, S. 393. 598  Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie, 11. Aufl., Leipzig 1919, S. 403. 599  Heinrich Schmidt, Der Kampf um die „Welträtsel“. Ernst Haeckel, die „Welträtsel“ und die Kritik, Bonn 1900. 600  Erich Adickes, Kant contra Haeckel. Erkenntnistheorie gegen naturwissenschaftlichen Dogmatismus, Berlin 1901.

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alles darauf an, und so läßt sich seine gesamte Leistung zusammenfassen, die Kompetenzen der inneren Mächte, die das Erkennen und die das Handeln bestimmen, gegeneinander abzugrenzen: der Sinnlichkeit ihre Grenze gegen den Verstand, dem Verstand die seinige gegen die Vernunft, der Vernunft die ihrige gegen den Glückseligkeitstrieb, der Individualität die ihre gegen das Allgemeingültige zu setzen.“601 Für Goethe hingegen „ist die Einheit das Helle, die Getrenntheit das Dunkle …. Goethe kommt es auf die Einheit an, die trotz der Grenzen der Seelenvermögen besteht; für Kant auf die Grenzen der Seelenvermögen, die trotz ihrer Einheit bestehen.“602 Simmel unterstellte Goethe eine Präferenz für graduelle, abgestufte Unterscheidungen, ganz so, wie es den Erkenntnissen der expandierenden Energiewissenschaft entsprach. Der Dichter habe zwischen allen Phänomenen „eine durchgehende Verwandtschaft“ erkannt, „die höchstens einer Abstufung des Entwicklungsmaßes, aber keiner prinzipiellen Verschiedenheit mehr Raum gibt“.603 Ob die „monistische“ Deutung Goethes dessen Œuvre gerecht wird oder ob nicht vielmehr sich die Nachwelt den „Dichter und Denker“ erschuf, den sie gerade benötigte, sei dahin gestellt. Selbstverständlich setzt eine Einheitslehre in dem soeben beschriebenen Sinne nicht zwingend die Existenz der entwickelten technisch-wissenschaftlichen Lebenswelt um 1900 voraus. Ebenso unzweifelhaft ist aber auch, dass die Ausformung eines „energetischen“ Erfahrungshorizonts im Verlaufe der Hochindustrialisierung – die Allgegenwart von Energieübertragung und Energieverwandlung – auf breiter Front die Neigung befördern musste, prinzipielle Gegensätze, welcher Natur auch immer, zu relativieren. Denn stets verändert sich parallel zu gravierenden lebensweltlichen Umbrüchen auch das Reservoir an sinnlichen Denk­ figuren, derer man sich zur Vergegenwärtigung abstrakter Inhalte bedient. Die große Aufmerksamkeit, die unkörperliche, dynamische, transitorische Erscheinungen im Zeitalter der Motorisierung und Elektrifizierung auf sich zogen, brachte es mit sich, dass man nun auch das Verhältnis abstrakter Konzepte zueinander sich unkörperlich, dynamisch und transitorisch zu denken erlaubte. Die Metaphorik Kants weist solche Bezüge zur modernen Energiewissenschaft und -technik verständlicherweise nicht auf. Ihr liegt das Erfahrungswissen der alten, vorindustriellen Welt zu Grunde, einer Welt, in der als 601  Georg Simmel, Kant und Goethe (Die Kultur. Sammlung illustrierter Einzeldarstellungen, Bd. 10, hrsg. von Cornelius Gurlitt), Berlin o. J., S. 30 f. 602  Georg Simmel, Kant und Goethe (Die Kultur. Sammlung illustrierter Einzeldarstellungen, Bd. 10, hrsg. von Cornelius Gurlitt), Berlin o. J., S. 32. 603  Georg Simmel, Kant und Goethe (Die Kultur. Sammlung illustrierter Einzeldarstellungen, Bd. 10, hrsg. von Cornelius Gurlitt), Berlin o. J., S. 33.



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Urquelle von Macht, Prestige und Reichtum die Scholle, der Grund und Boden, galt. Qualität und Umfang des zur Verfügung stehenden Wald-, Weide- und Ackerlandes bestimmten ganz wesentlich den Wohlstand einer Nation, einer Region oder einer Familie. So ist es nicht überraschend, wenn häufig im übertragenen Sinn von „Feldern“ und „Gebieten“, von „Grenze“, „Begrenzung“ und „Grenzziehung“ die Rede ist. Ein Denken von Fläche und Grenze her akzentuiert die Eigentümlichkeiten und Differenzen, so wie es für Kant charakteristisch ist.604 Man müsse verhüten, mahnt jener beispielsweise in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft“ (1786), „dass die Grenzen der Wissenschaften nicht ineinanderlaufen, sondern ihre gehörig abgeteilte Felder einnehmen.“605 Kants „gehörig abgeteilte Felder“ waren (und sind) den Juristen ein vertrautes, ein eingängiges Bild. Ihnen liegt seit jeher ein Denken in Kategorien von Ort und Grenze, von hier und dort, von diesseits und jenseits besonders nahe, weil Angelegenheiten der Bodenzuteilung und -abmessung schon immer zu ihrem Kern- und Tagesgeschäft gehörten. Der Umstand, dass sich „nomos“ – Gesetz, Norm – von „nemein“ – Zuteilen (der Weide) – ableitet, hat Carl Schmitt bekanntlich zu weitreichenden Schlüssen veranlasst,606 die man nicht gut heißen muss, die aber auch nicht ganz von der Hand zu weisen sind.607 Ferner besteht wohl ein Zusammenhang zwischen den Praktiken der antiken römischen Feldmesskunst – der Entwicklung eines streng geometrischen, linearen Grenzsystems – und der Genese der Eigentumsidee.608 Mit dem „Verschwinden der Materie“ am Ende des 19. Jahrhunderts verschwanden natürlich nicht gänzlich die materiellen Bezüge in der juristischen Metaphorik. Doch immerhin musste sich der metaphorische Materialismus nun in manchen Bereichen der neuen Energie-Ästhetik unterordnen, die nicht der „Grenze“, sondern dem „Schein“ verpflichtet ist, die nicht Felder ab604  Zu „Kants Metaphern“, insbesondere dem „Scheiden der Materie“: Ottfried Höffe, Kants Kritik der reinen Vernunft. Die Grundlegung der modernen Philosophie, 4. Aufl., München 2004, S. 319–323 (322: „Kant hebt … hartnäckig die Eigentümlichkeiten hervor. Er trennt scharf Erscheinungen von den Dingen an sich, die Sinnlichkeit vom Verstand, die Tatsachen- von den Rechtsfragen …“). 605  Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, in: ders., Werke in zwölf Bänden. Band 9, Frankfurt am Main 1977, S. 18 (Vorrede). 606  Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 4. Aufl., Berlin 1997, S. 36–48. 607  Aus der neueren Literatur Albrecht Dihle, Der Begriff des Nomos in der griechischen Philosophie, in: Okko Behrends (Hrsg.), Nomos und Gesetz. Ursprünge und Wirkungen des griechischen Gesetzesdenkens, Göttingen 1995, S. 117–134. 608  Vgl. Okko Behrends, Bodenhoheit und privates Bodeneigentum im Grenz­ wesen Roms, in: Okko Behrends/Luigi Capogrossi Colognesi (Hrsg.), Die römische Feldmesskunst. Interdisziplinäre Beiträge zu ihrer Bedeutung für die Zivilisationsgeschichte Roms, Göttingen 1992, S. 192–284.

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steckt, sondern Übergänge ausleuchtet. Das trifft namentlich auf solche Bereiche zu, die – wie die Rechtsgeschäftslehre – von einer energetischen Zentralmetapher reguliert werden. Das Willens- und Freiheitspathos des bürgerlichen Zeitalters vermählte sich mit der Kraft- und Energieobsession der Hochindustrialisierung und brachte auf die Weise jenes eigentümliche Rechtsscheinparadigma hervor, das bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein auf die Privatrechtsentwicklung in Deutschland Einfluss nahm. Ein Blick in die Vorworte und Einleitungen der Rechtsscheinliteratur genügt, um zu erkennen, wessen Geistes Kind die Autoren waren. Ganz im Sinne des Monismus und (vermeintlich) ganz im Sinne Goethes, „des großen Wirklichkeitssuchers, des Meisters im Schauen“609, sah Herbert Meyer „in unserer Rechtsordnung eine höhere Einheit, die öffentliches und Privatrecht in sich zusammenfaßt.“610 Wie besessen suchte man nach einem „allgemeinen“611, einem „unser gesamtes deutsches Privatrecht durchziehenden Grundsatz“612, einem „gemeinsam zugrunde liegenden Rechts­ gedanken“613, einem Prinzip, das „unsere gesamte Privatrechtsordnung beherrscht“614, einem verbindendem „geistigem Band“, einer „als allgemein gültig erkannte Idee“, die „dem Gedanken der Einheitlichkeit des Rechts“ Rechnung trage,615 und stilisierte diese Erkundungen zu einer heroischen wissenschaftlichen Leistung. „Die Zurückführung mannigfacher Einzelerscheinungen auf einen einheitlichen großen Grundgedanken“616, die „Zurückführung der Rechtsnormen auf ihren wahren Grund“, „das Zusammenfassen des Mannigfaltigen zur Einheit“617: Das war der gemeinsame Nenner nahezu aller Studien der „Rechtsscheinforschung“.618 609  Herbert Meyer, Das Publizitätsprinzip im Deutschen Bürgerlichen Recht, München 1909, S. VII. 610  Herbert Meyer, Das Publizitätsprinzip im Deutschen Bürgerlichen Recht, München 1909, S. IX. 611  Karl Knief, Der Schutz des gutgläubigen Dritten beim Vertrauen auf eine Scheinvollmacht, Diss. Marburg 1929, S. 9. 612  Ernst Jacobi, Die Theorie der Willenserklärung, München 1910, S. 32. 613  Dietrich Vollmers, Begriff, Voraussetzung und Wirkung der Scheinvollmacht, Diss. Göttingen 1931, S. 11. 614  Oskar Brülle, Der Rechtsschein bei den gesetzlichen Vollmachten des Privatrechts mit besonderer Berücksichtigung des Handelsrechts, Diss. Breslau 1916, S. 22. 615  Heinz-Günter Lell, Der Rechtsschein in der Zessionslehre, Diss. Erlangen 1928, S.  1 f. 616  Herbert Meyer, Das Publizitätsprinzip im Deutschen Bürgerlichen Recht, München 1909, S. VIII. 617  Ernst Jacobi, Die Theorie der Willenserklärung, München 1910, S. 1. 618  Hubert Naendrup, Begriff des Rechtsscheins und Aufgabe der Rechtsscheinsforschung, Münster 1910.



II. Studien zur Ästhetik des Privatrechts191

Das juristische „Welträtsel“ auf diesem Wege zu lösen, bedeutete allerdings im Umkehrschluss, dass Phänomene von „gänzlicher Verschiedenheit“, wie Savigny sich ausdrückte, zu Spielarten, Varianten, Erscheinungsformen, Aggregatzuständen des großen Einheitsprinzips degradiert wurden. Die Verwendung von Attributen oder Präfixen wie „unecht“, „stillschweigend“, „typisiert“, „fahrlässig“, „Anschein-“ diente dazu, die Differenz zwischen der finalen Selbstgestaltung von Rechtsverhältnissen und einem Verhalten, das nur auf gesetzliche Anordnung hin bestimmte Rechtsfolgen auslöst, auch sprachlich einzuebnen. Zudem fiel der grundsätzliche Unterschied zwischen Identifikation einerseits und „fiktionaler“ Gleichwertung andererseits der Einheitseuphorie zum Opfer, wie Coing Ende der 50er Jahre erkannte: Eine Fiktion bewirke, dass ein Verhalten wie eine Willenserklärung gewertet werde. „Es ist aber falsch, wenn die h. L. das so ausdrückt, dass sie konkludentes Verhalten und Willenserklärung identifiziert und lehrt, das schlüssige Verhalten sei eine Willenserklärung.“ Die Rechtsfiktion könne „die rechtliche Gleichwertung, nicht aber die ontologische Identität ausdrücken. Daher ist es m. E. abzulehnen, wenn die h. L. das schlüssige Verhalten dem Begriff der Willenserklärung selbst einordnet. Dieser wird dadurch notwendigerweise unscharf.“619 Das Wissenschaftsideal des energetischen Monismus, das nach Überzeugung Ostwalds und Haeckels für alle Wissenschaften maßgeblich sein sollte, hat also auch in der deutschen Rechtswissenschaft Spuren hinterlassen, wenngleich sich der Einfluss auf völlig andere Weise bemerkbar machte, als sich das die naturwissenschaftlichen „Energetiker“ vorgestellt hatten. Besonders empfänglich für die Hinwendung zu der – in den Worten Thomas Manns – „übergänglichen Ballung des Unstofflichen“ war die Rechtsgeschäftslehre, da sie auf den (freien) Willen zugeschnitten ist und ausgerechnet dieser Wille in apotheotischer Absicht als Antriebskraft und Feuerstelle menschlichen Handelns imaginiert wurde. Die an existentielle Energie-Erfahrungen (Wärme, Licht, Bewegung) gebundene Idee des Graduellen und Transitorischen fand ihren Niederschlag in dem zeitweise sehr erfolgreichen Projekt, die Grenzen der privatautonomen Verantwortung unkenntlich zu machen. Somit hat ausgerechnet die metaphorische Verherrlichung der Willensautonomie als heilige Flamme des Privatrechts einen naturalistischen Fehlschluss befördert, der das Bekenntnis zu eben dieser Willensautonomie in Frage stellt.

619  Helmut Coing, in: J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Bd. 1: Allgemeiner Teil, 11. Aufl., Berlin 1957, Vor §§ 116 ff. Rn. 3 f.

Zweiter Teil

Regulative Sinnbilder Bislang haben wir uns mit dem „Denken-Können“ von Rechtsfiguren – juristische Person, Forderungsübertragung, Willenserklärung – beschäftigt und zu erkunden versucht, auf welche Weise solche Figuren gedanklich konstituiert, stabilisiert und schließlich durch die Eigendynamik der metaphorischen Logik von ihrem ursprünglichen „Mandat“ entfremdet werden. Dieses Kapitel nun widmet sich Sinnbildern, die unser Verhalten und die (Selbst-)Organisation menschlicher Gemeinschaften steuern, „regulieren“. Obwohl sie ihre Überzeugungskraft letztlich den konstitutiven Sinnbildern verdanken, verfügen die sinnlich determinierten regulativen Ideen – „ästhetische Tugenden“ oder „ästhetische Prinzipien“ (Gropius)1 – doch über ein so charakteristisches Profil und Eigengewicht, dass es gerechtfertigt erscheint, sie als ein eigenständiges Phänomen zu behandeln. Ob ein Sachverhalt in die eine oder in die andere Kategorie fällt, ist, wie schon anderer Stelle bemerkt, eine Wertungsfrage. So lässt sich mit Blick auf die im vorangegangenen Abschnitt2 geschilderten Veränderungen in der Privatrechtsdogmatik nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob der entscheidende Impuls für die Umbrüche von einer „ignifikatorischen“ Imagination des Willens ausging (konstitutives Sinnbild) oder ob dafür das neue Ideal einer in sich nur graduell differenzierten Einheit verantwortlich war, mit anderen Worten eine dem Erlebnisspektrum „Energie“ entnommene ästhetische Tugend, deren Geltungsanspruch weit über die Rechtsgeschäftslehre hinausreicht. Ebenso offen ist die Frage, ob es vornehmlich die der klassischen Mechanik entlehnte Vorstellung eines Kräftegleichgewichts war, die dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der balance of power zu seiner unvergleichlichen Popularität verhalf (regulatives Sinnbild),3 oder ob dieser Zuspruch sich vor allem auf die um 1800 verbreitete Neigung gründet, politische Institutionen als sich wechselseitig stabilisierende Himmelskörper zu 1  „Die Puritaner verkannten die Tatsache, dass ästhetische Prinzipien in der Lage sind, ethische Kräfte auszulösen und dass beide Prinzipien gleichzeitig hätten entwickelt werden sollen“ – Walter Gropius, Einheit in der Vielfalt – ein Paradox der Kultur, in: Hartmut Probst/Christian Schädlich (Hrsg.), Gropius. Ausgewählte Schriften, Berlin 1988, S. 194–200, 195. 2  1. Teil, II. 3. 3  2. Teil, II. 2.

I. kalos kai agathos als kognitive Interferenz

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veranschaulichen (konstitutives Sinnbild). Wie auch immer man sich entscheidet, wichtig ist allein zu erkennen, dass nicht nur zeitlose und umfassende Erklärungsmodelle in Gestalt „klassischer Metaphern“ unser Denken und Werten beeinflussen können. Im ersten Abschnitt des nun folgenden Kapitels soll es um die Frage gehen, „woher es kommt und wie es kam, dass für viele Menschen künstlerische Erlebnisse höchste Werte überhaupt, einschließlich sittlicher Werte, ausdrücken, verkörpern und repräsentieren.“4 Der zweite Abschnitt enthält drei Fallstudien, die den Anteil der sittlich-ästhetischen „Synästhesie“ an der Rechtsentwicklung evaluieren. Die Beispiele sind der Staatslehre entnommen – stellvertretend für alle anderen Rechtsgebiete.

I. kalos kai agathos als kognitive Interferenz Die Idee einer inneren Verbindung zwischen dem „Wahren, Schönen, Guten“ ist alt. Die Kalokagathia, der Zusammenklang von Schönheit und Gutheit („schön und gut“ – kalos kai agathos), gehörte bereits in der Antike zu den zivilisatorischen Leitbildern.5 Die Bedeutung dieses Ideals, das wir in seiner Vielschichtigkeit nur skizzieren können (1.),6 würde wohl schon für sich genommen erklären, warum sich so wenig Widerstand regt gegen die Verwendung ästhetischer Grundbegriffe in politischen und juristischen Texten. Hinzu tritt nunmehr die experimentell gewonnene Erkenntnis, dass die Befähigung zum Empfinden der Kalokagathia offenbar allen Menschen eigentümlich ist. Auch darauf wollen wir kurz eingehen (2.). 1. Introspektives Erleben Der Gedanke, dass die Attribute „schön“, „gut“ und „gerecht“ verschiedene Seiten ein und derselben Medaille darstellen, zieht sich wie ein roter 4  Ernst H. Gombrich, Wertmetaphern in der bildenden Kunst, in: ders., Medita­ tionen über ein Steckenpferd. Von den Wurzeln und Grenzen der Kunst [1952], Frankfurt am Main 1988, S. 34–64. 5  Zur Kalokagathia als Adelsideal in der griechischen Antike Christian Meier, Politik und Anmut. Eine wenig zeitgemäße Betrachtung, Stuttgart/Leipzig 2000, S. 25–34. Kritisch zu dem gängigen Verständnis der Kalokagathia als Verknüpfung ästhetischer und moralischer Persönlichkeitselemente Christoph Horn, Begriff, Ideenund Wirkungsgeschichte, in: Otto Depenheuer (Hrsg.), Staat und Schönheit. Möglichkeiten und Perspektive einer Staatskalokagathie, Wiesbaden 2005, S. 23–32. 6  Vgl. etwa Otto Depenheuer (Hrsg.), Staat und Schönheit. Möglichkeiten und Perspektive einer Staatskalokagathie, Wiesbaden 2005; ferner aus literaturwissenschaftlicher Perspektive Marie Wokalek, Die schöne Seele als Denkfigur. Zur Semantik von Gewissen und Geschmack bei Rousseau, Wieland, Schiller, Goethe, Göttingen 2011.

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Faden durch Platons Werk. Er begegnet uns im „Symposion“ (201c; 204e), im „Gorgias“ (476b; 476e) und „Protagoras“ (358) ebenso wie in den staatstheoretischen Abhandlungen, in der „Politeia“ und in den „Nomoi“. So heißt es in der zuletzt genannten Schrift (859d): „Über die Gerechtigkeit im allgemeinen und über die gerechten Menschen, Dinge und Handlungen sind wir uns doch alle irgendwie einig, dass dies alles schön ist; selbst wenn daher jemand behaupten wollte, dass die gerechten Menschen, auch wenn sie körperlich hässlich sind, dennoch aufgrund eben ihrer vollkommen gerechten Gesinnung vollkommen schön seien, so würde er mit einer solchen Behauptung wohl in keinem Fall etwas Verkehrtes zu sagen scheinen.“7 In der Politeia (444e) setzt Platon „Tugend“ mit „Gesundheit und Schönheit und Wohlbefinden der Seele“ gleich sowie „Schlechtigkeit“ mit „Krankheit und Hässlichkeit und Schwäche“, um daraus eine Handlungsempfehlung abzuleiten: „Führen nun nicht auch schöne Beschäftigungen zum Besitz der Tugend, hässliche aber zur Gerechtigkeit?“.8 Hingegen ist es in Platons Deutung des „Sonnengleichnisses“ das Gute, das Schönheit und Wahrheit hervorbringt (516b-c): „Was ich wenigstens sehe, das sehe ich so, dass zuletzt unter allem Erkennbaren und nur mit Mühe die Idee des Guten erblickt wird, wenn man sie aber erblickt hat, sie auch gleich dafür anerkannt wird, dass sie für alle die Ursache alles Richtigen und Schönen ist, im Sichtbaren das Licht und die Sonne, von der dieses abhängt, erzeugend, im Erkennbaren aber sie allein als Herrscherin Wahrheit und Vernunft hervorbringend, und dass also diese sehen muss, wer vernünftig handeln will, es sei nun in eigenen oder in öffentlichen Angelegenheiten.“9 In Anbetracht der Wirkungsmacht der platonischen Lehren versteht es sich fast von selbst, dass die Losung kalos kai agathos zu keiner Zeit in Vergessenheit geriet und als Leitmotiv in der europäischen Philosophie- und Geistesgeschichte nun schon seit mehr als zwei Jahrtausenden erklingt. „Im Mittelalter“, schreibt Eco, „sprach man ständig von der Schönheit alles Seienden. Und sosehr die Geschichte dieser Epoche von Schatten und Widersprüchen geprägt war; das Bild der Welt, das in den Schriften ihrer Theoretiker durchscheint, ist voller Licht und Optimismus. Die Schöpfungsgeschichte lehrt, dass Gott am sechsten Tag alles, was er geschaffen hatte, für gut befand; und aus dem von Augustinus kommentierten Buch der Weisheit Salomons erfuhr man, dass die Welt von Gott gemäß numerus, 7  Platon, Werke, Bd. 8/2: Nomoi, hrsg. von Gunther Eigler, übers. von Klaus Schöpsdau/Hieronymus Müller, 6. Aufl., Darmstadt 2011, S. 195. 8  Platon, Werke, Bd. 4: Politeia, hrsg. von Gunther Eigler, übers. von Friedrich Schleiermacher, 6. Aufl., Darmstadt 2011, S. 361. 9  Platon, Werke, Bd. 4: Politeia, hrsg. von Gunther Eigler, übers. von Friedrich Schleiermacher, 6. Aufl., Darmstadt 2011, S. 564 f.

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pondus und mensura geschaffen wurde: kosmologische Kategorien und Manifestationen, die … ästhetische Kategorien und Manifestationen des metaphysischen bonum sind.“10 Zugleich bemühte sich die scholastische Philosophie intensiv darum, zwischen pulchrum und aptum, decorum und honestum zu unterscheiden und die Autonomie der jeweiligen Werte zu begründen.11 In der Neuzeit hat wohl niemand sich so entschieden zur Einheit des „Wahren, Schönen, Guten“ bekannt wie Johann Gottfried Herder in seiner Spätschrift „Kalligone“. Erschienen im Jahre 1800 lässt sie sich als Programm und zugleich Genealogie alteuropäischer sittlich-ästhetischer Bildung lesen. Gleichgesinnte, wie er selbst „von der Fackel erleuchtet, in der das Wahre, Schöne und Gute, als ein dreifarbiger Stral erschien“, erblickte Herder in den Italienern Dante und Petrarca, in den Franzosen Crousaz, de Pouilly, Diderot, Rousseau und Montesquieu, in den Engländer Shakespeare, Milton, Pope, Young, Shaftesbury, Addison, Johnson, Cumberland, Hurd, Wharton und Webb, schließlich in seinen Landsleuten Lessing, Mendelssohn, Kästner, Baumgarten und Winckelmann.12 Andere haben diese Liste später noch ergänzt um die ritterlichen Poesie („bonté et beauté“), Thomas von Aquin („pulchrum respicit vim cognoscitivam“), Leonardo da Vinci („In der Wahrheit ist die Schönheit, in der Schönheit die Wahrheit“), Hume („beauty of honesty“), Wilhelm von Humboldt („ergreifende Schönheit der Tugend“) und Herbart („Der sittliche Geschmack als Geschmack überhaupt ist nicht verschieden von dem poetischen, musikalischen, plastischen Geschmack“).13 Zur Apotheose der Kalokagathia sah sich Herder veranlasst, weil unlängst  – 1790  – ein Werk im Druck erschienen war, das ihn maßlos erboste, da es in seinen Augen leichtfertig das Erbe der Antike, wenn nicht gar schlechthin die Errungenschaften der menschlichen Zivilisation aufs Spiel setzte: die „Kritik der Urteilskraft“ von Immanuel Kant. Nicht nur Herder störte sich damals an dem Analyse- und Differenzierungsfetisch des Königsberger Philosophen, über dessen Anmaßung, nach der Metaphysik nun auch noch die Ästhetik wie ein totes, blutleeres Tier sezieren zu wollen. Ein Dorn im Auge war den Liebhabern des „bonté et beauté“ insbesondere jene Passage in der „Kritik der Urteilskraft“, in der Kant mit der ihm 10  Umberto Eco, Kunst und Schönheit im Mittelalter, 8. Aufl., München 2011, S. 34. 11  Umberto Eco, Kunst und Schönheit im Mittelalter, 8. Aufl., München 2011, S.  32 f., 39. 12  Johann Gottfried Herder, Kalligone, Weimar 1955, S. 65 f. 13  Heinrich Triepel, Vom Stil des Rechts. Beiträge zu einer Ästhetik des Rechts, Heidelberg 1947, S. 26–30.

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eigenen Unerbittlichkeit auf die grundsätzliche Verschiedenheit zwischen moralischem und ästhetischem Urteil aufmerksam machte14: „1) Das Schöne gefällt unmittelbar (aber nur in der reflektierenden Anschauung, nicht, wie Sittlichkeit, im Begriffe). 2) Es gefällt ohne alles Interesse (das Sittlichgute zwar notwendig mit einem Interesse, aber nicht einem solchen, was vor dem Urteile über das Wohlgefallen vorhergeht, verbunden, sondern was dadurch allererst bewirkt wird). 3) Die Freiheit der Einbildungskraft (also der Sinnlichkeit unseres Vermögens) wird in der Beurteilung des Schönen mit der Gesetzmäßigkeit des Verstandes als einstimmig vorgestellt (im moralischen Urteile wird die Freiheit des Willens als Zusammenstimmung des letzteren mit sich selbst nach allgemeinen Vernunftgesetzen gedacht). 4) Das subjektive Prinzip der Beurteilung des Schönen wird als allgemein, d. i. für jedermann gültig, aber durch keinen allgemeinen Begriff kenntlich, vorgestellt (das objektive Prinzip der Moralität wird auch für allgemein, d. i. für alle Subjekte, zugleich auch für alle Handlungen desselben Subjekts, und dabei durch einen allgemeinen Begriff kenntlich, erklärt). Daher ist das moralische Urteil nicht allein bestimmter konstitutiver Prinzipien fähig, sondern ist nur durch Gründung der Maximen auf dieselben und ihre Allgemeinheit möglich.“15

Herder konnte sich für diese aufrichtige Belehrung ganz und gar nicht erwärmen. „Mit diesen Spielmarken zahlt man in Deutschland seit dem Jahr 1790“, spottete er, „die seit Homer und Plato bei allen cultivirten Völkern Europa’s über die Natur des Schönen geprägte Münze ist verrufen.“16 Was Herder auf keinen Fall gelten lassen wollte, war Kants Feststellung, das Schöne gefalle – anders als das Sittlichgute – „ohne alles Interesse“. Denn, fragte er, „was heißt das Wort? Interesse ist quod mea interest, was mich angeht. Betrifft eine Sache mich nicht, wie könnte ich an ihr Wohlgefallen finden? Um zu gefallen muss der Dichter, der Künstler, ja die Natur selbst uns zuerst interessant werden; sonst geht alles, was sie uns auftragen, uns wie ungewürzte Kost, wie ein Gericht Nußschalen vorüber. Interesse ist wie des Guten und Wahren, so auch der Schönheit Seele. Nimm ihr das, wodurch sie sich uns mittheilet, angeeignet; was habe ich mit ihr? Gieb ihm Interesse, und ein Mährchen der Mutter Gans gefället mehr, als eine langweilige Heroide.“17 Man sollte in dieser Frage die Wirkung Kants auf die Nachwelt nicht überschätzen. Das Ideal des „Sittlichschönen“ war – insofern hatte Herder natürlich recht – in der Literatur und Philosophie gerade jener Jahre um 14  Zu Kants „Geschmacksurtheil“ vgl. Astrid Wagner, Kognitive Dimensionen ästhetischer Erfahrung. Eine Untersuchung im Ausgang von Kants „Kritik der Urteilskraft“, Berlin 2008, S. 17–32. 15  Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: ders., Werke in zwölf Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Band 10, Frankfurt am Main 1968, S. 462 (§ 59). 16  Johann Gottfried Herder, Kalligone, Weimar 1955, S. 66. 17  Johann Gottfried Herder, Kalligone, Weimar 1955, S. 67.

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1800 so präsent, dass niemand es mit einem einzigen Federstrich aus der Welt zu schaffen vermochte.18 In der Dichtung Schillers und Goethes lebt das ehrwürdige kalos kai agathos fort, etwa in Goethes Künstlerlied in den „Wanderjahren“ oder in Schillers Gedicht „Die Künstler“ von 1789, das die Schönheit als die im Voraus geoffenbarte Vernunft, Tugend und Wahrheit verherrlicht („Was erst, nachdem Jahrtausende verflossen / Die alternde Vernunft erfand /  Lag im Symbol des Schönen und des Großen /  Voraus ge­ offenbart dem kindischen Verstand“).19 Solche Gedichte dienten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert als Steinbruch für erbauliche Sinnsprüche und prunkende Devisen, die noch heute die Dachfriese von Opernhäusern zieren. Auf die Weise fand die Idee der Kalokagathia weite Verbreitung im bildungsbürgerlichen Milieu, dem ein großer Teil der Juristen und anderer Funktionseliten entstammt. Ein Blick auf die Naturwissenschaften zeigt, dass selbst ihrer Prägung nach nüchterne Naturen dazu neigen, eine Verbindung herzustellen zwischen Schönheit, Tugend und Wahrheit. Der Mahnung Kants zum Trotz, der bemerkte, es gebe keine „schöne Wissenschaft, sondern nur schöne Kunst“20, haben im 20. Jahrhundert ausgerechnet Mathematiker, Quantenphysiker und Molekularbiologen sich als Herders gelehrigste Schüler erwiesen. Freilich war das Feld bereits durch die Ahnherren der modernen Wissenschaft bestellt, etwa durch Aristoteles, der diejenigen im Irrtum sah, „welche behaupten, die mathematischen Wissenschaften handelten nicht von dem Schönen“, oder durch Galilei, der von „bella struttura“ sprach, oder durch Leibniz, der ein „theorema pulchrum“ lobte und erklärte: „Je ne cherche presque plus rien en Geometrie, que l’art de trouver d’abord les belles constructions.“21 Dieser Tradition fühlten sich die Heroen der modernen Naturwissenschaften verpflichtet. So verwies Heisenberg in seinem viel beachteten Vortrag „Die Bedeutung des Schönen in der exakten Naturwissenschaft“ (1970) immer wieder auf Kepler, dem er den Satz zuschrieb geometria est archetypus pulchritudinis mundi.22 In dem gleichen Vortrag bekannte Hei18  Vgl. Marie Wokalek, Die schöne Seele als Denkfigur. Zur Semantik von Gewissen und Geschmack bei Rousseau, Wieland, Schiller, Goethe, Göttingen 2011. 19  Friedrich Schiller, Die Künstler, in: ders., Sämtliche Werke (Berliner Ausgabe), Bd. 1: Gedichte, bearb. von Jochen Golz, Berlin 2005, S. 201–214, 202. 20  Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: ders., Werke in zwölf Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Band 10, Frankfurt am Main 1968, S. 403 (§ 44): „Wortverwechselung“. 21  Nachweise und Zitate nach H. Wille, Art. „Schönheit der Wissenschaft“, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 12, Basel 2004, Sp. 952–954, 953 f. 22  Werner Heisenberg, Die Bedeutung des Schönen in der exakten Naturwissenschaft, in: ders., Gesammelte Werke, Abt. C, Bd. 3, Berlin 1985, S. 369–384, 383.

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senberg, schon als Gymnasiast habe er mathematische Abhandlungen „ganz unmittelbar als schön“ erlebt.23 Seine ästhetischen Empfindung verleugnete er auch später nicht, etwa als Einstein von ihm wissen wollte, warum ihn das Konzept der Quantenmechanik überzeuge. „Ich glaube ebenso wie Sie,“ antwortete Heisenberg, „dass die Einfachheit der Naturgesetze einen objektiven Charakter hat, dass es sich nicht nur um Denkökonomie handelt. Wenn man durch die Natur auf mathematische Formen von großer Einfachheit und Schönheit geführt wird … so kann man eben nicht umhin zu glauben, dass sie ‚wahr‘ sind … Sie können mir vorwerfen, dass ich hier ein ästhetisches Wahrheitskriterium verwende, indem ich von Einfachheit und Schönheit spreche. Aber ich muss zugeben, dass für mich von der Einfachheit und Schönheit des mathematischen Schemas, das uns hier von der Natur suggeriert worden ist, eine große Überzeugungskraft ausgeht.“24 Heisenberg machte sich berechtigte Hoffnung, dass Einstein ihn verstand, denn der bedeutendste Physiker des 20. Jahrhunderts stand selbst im Ruf, sich ästhetischer Argumente zu bedienen. „He had“, bemerkte sein Sohn Hans Albert Einstein, „a character more like that of an artist than of a scientist as we usually think of them. For instance, the highest praise for a good theory or a good piece of work was not that it was correct nor that it was exact but that it was beautiful.“25 Paul Dirac, ein weiterer Pionier der Quantenphysik, ergänzte: „When Einstein was working on building up his theory of gravitation he was not trying to account for some results of observations. Far from it … His entire procedure was to search for a beautiful theory … Somehow he got the idea of connecting gravitation with the curvature of space. He was able to develop a mathematical scheme incorporating this idea. He was guided only by consideration of the beauty of these equations.“26 Für Dirac selbst spielte die Aussicht auf ästhetischen Genuss ebenfalls eine große Rolle. Der experimentelle Nachweis sei zweitrangig: „It is more important to have beauty in one’s equitation than to have them fit experiment.“27 23  Werner Heisenberg, Die Bedeutung des Schönen in der exakten Naturwissenschaft, in: ders., Gesammelte Werke, Abt. C, Bd. 3, Berlin 1985, S. 369–384, 370. 24  Werner Heisenberg, Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik, 2. Aufl. München/Zürich 1998, S. 85 f. 25  Nach Gerald J. Whitrow, Einstein. The Man and His Achievement, London 1967, S. 19. 26  Paul A. M. Dirac, The Excellence of Einstein’s Theory of Gravitation, in: Maurice Goldsmith / Alan Mackay / James Wouldhuysen (Hrsg.), Einstein. The First Hundred Years, Oxford 1980, S. 41–46, 44. 27  Paul A. M. Dirac, The Evolution of the Physicist’s Picture of Nature, Scientific American 208 (1963), S. 45–53, 47.

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Die Liste derer, die ähnlich dachten und fühlten wie Heisenberg, Einstein oder Dirac, lässt sich problemlos um weitere illustre Namen ergänzen. Ernest Rutherford verglich – wiederum mit Blick auf Einstein – eine naturwissenschaftliche Entdeckung mit einem Kunstwerk und bewertete sie folglich nach künstlerischen Qualitäten.28 Jules Henri Poincaré behauptete gar, ein Wissenschaftler studiere die Natur nicht, weil dies von Nutzen sei, sondern er tue es, weil es ihm Freude bereite, und es bereite ihm Freude, weil es schön sei.29 Auch Physiker der nachfolgenden Generation haben sich bemüht, ihr Wirken ästhetisch zu legitimieren, etwa Subrahmanyan Chandrasekhar in seinem Vortrag „Beauty and the Quest for Beauty in Science“ (1979). Stets habe er versucht, zitiert er Hermann Weyl, das Wahre mit dem Schönen zu verbinden, aber wenn eine Entscheidung unvermeidlich gewesen sei, habe er ausnahmslos das Schöne gewählt.30 Und Steven Weinberg erklärte im Rückblick auf die Entwicklung der Physik im 20. Jahrhundert den kometenhaften Aufstieg der Relativitätstheorie unumwunden mit ihrer „Schönheit“.31 Ebenso gilt vielen die Entdeckung der Doppelhelix-Struktur der DNA durch James D. Watson und Francis Crick als ein Meilenstein der Wissenschafts­ ästhetik. Tatsächlich berichtete Watson, Rosalind Franklin habe das Model 28  „I think that a strong claim can be made that the process of scientific discovery may be regarded as a form of art. This is best seen in the theoretical aspects of Physical Science. The mathematical theorist builds up on certain assumptions and according to well understood logical rules, step by step, a stately edifice, while his imaginative power brings out clearly the hidden relations between its parts. A well constructed theory is in some respects undoubtedly an artistic production. A fine example is the famous Kinetic Theory of Maxwell … The theory of relativity by Einstein, quite apart from any questions of its validity, cannot but be regarded as a magnificent work of art“ – nach James W. McAllister, Beauty and Revolution in Science, Ithaca/London 1996, S. 14. 29  „Le savant n’étudie pas la nature parce que cela est utile; il l’étudie parce qu’il y prend plaisir et il y prend plaisir parce qu’elle est belle. Si la nature n’était pas belle, elle ne vaudrait pas la peine d’être connue, la vie ne vaudrait pas la peine d’être vécue. Je ne parle pas ici, bien entendu, de cette beauté qui frappe les sens, de la beauté des qualités et des apparences; non que j’en fasse fi, loin de là, mais elle n’a rien à faire avec la science; je veux parler de cette beauté plus intime qui vient de l’ordre harmonieux des parties, et qu’une intelligence pure peut saisir“ – Jules Henri Poincaré, Science et méthode, Paris 1920, S. 15. 30  Subrahmanyan Chandrasekhar, Beauty and the Quest for Beauty in Science, in: ders., Truth and Beauty. Aesthetics and Motivation in Science, Chicago, London 1987, S. 59–73, 65. 31  „Dass die allgemeine Relativitätstheorie allgemein anerkannt wurde, lag, glaube ich, zum großen Teil an der Attraktivität der Theorie selbst, mit einem Wort an ihrer Schönheit“ – Steven Weinberg, Der Traum von der Einheit des Universums, übers. von Friedrich Griese, München 1985, S. 105.

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nur deshalb akzeptiert, weil es einfach zu hübsch sei, um nicht wahr zu sein („too pretty not to be true“).32 Die Geistes- und Sozialwissenschaften tun sich zweifellos schwerer mit derart offenherzigen Bekenntnissen zur „Schönheit“ ihrer Theorien.33 Unbekannt ist das Phänomen aber nicht – auch nicht in der Rechtswissenschaft. Schon in den Institutionen des Gaius findet sich ästhetische Urteile etwa in Gestalt des Vorwurfs inelegantia iuris (Gai inst. 1,85: sed et in hac specie diuus Vespasianus inelegantia iuris motus restituit iuris gentium regulam, ut omni modo, etiamsi masculi nascantur, serui sint eius cuius et mater fuerit). Textstellen wie diese bestärkten Rudolph von Jhering in dem Vorhaben, dem „Gesetz der juristischen Schönheit“ ein eigenes Kapitel in seinem „Geist des römischen Rechts“ zu widmen. „Man wird es für gesucht halten“, schreibt er, „wenn ich von einem juristischen Kunst- oder Schönheitssinn spreche. Aber die Sache selbst bringt es mit sich, und wenn man mir einmal verstattet hat, von einer künstlerischen Gestaltung des Stoffes zu reden, so wird man sich auch den Kunstsinn gefallen lassen müssen. Auf ihm beruht das Wohlgefallen und Missfallen, das gewisse Constructionen in uns erregen. Die einen befriedigen uns durch ihre Natürlichkeit, Durchsichtigkeit, Einfachheit, Anschaulichkeit, die anderen stoßen uns durch das Gegentheil ab, erscheinen uns gezwungen, unnatürlich u.s.w., ohne dass wir sie doch für verkehrt erklären könnten.“34 Die defensive Einführung lässt erkennen, dass Jhering mit Widerspruch rechnete. Er plädierte dafür, nicht länger über den Umstand hinwegzusehen, dass dem „Schönheitssinn“ eine wichtige Funktion in juristischen Auseinandersetzungen zukommt. Jhering selbst hat übrigens immer wieder das „Schöne und Anziehende“ eines Rechtsinstituts oder einer Methode herausgestellt.35 In der Summe sind die Belege für die Relevanz ästhetischer Wertungen in der Wissenschaft so zahlreich, dass das Phänomen in das Blickfeld der Wissenssoziologie und -theorie geraten ist.36 Allerdings erweist es sich als 32  James D. Watson, The Double Helix. A Personal Account of the Discovery of the Structure of DNA, hrsg. von Gunther S. Stent, London 1981, S. 124. 33  Vgl. dazu Gunter Scholtz, Zum Ästhetischen in den Natur- und Geisteswissenschaften, in: ders., Zwischen Wissenschaftsanspruch und Orientierungsbedürfnis. Zu Grundlagen und Wandel der Geisteswissenschaften, Frankfurt am Main 1991, S. 269–292, 288. 34  Vgl. Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. II/2, 8. Aufl., Darmstadt 1954, S. 379 f. 35  Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. II/1, 8. Aufl., Darmstadt 1954, S. 198. 36  Vgl. Wolfgang Krohn (Hrsg.), Ästhetik in der Wissenschaft. Interdisziplinärer Diskurs über das Gestalten und Darstellen von Wissen, Hamburg 2006; Holger Wille, Was heißt Wissenschaftsästhetik? Zur Systematik einer imaginären Disziplin des

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ein schwieriges Unterfangen, aus den meist nur beiläufigen, anekdotischen Berichten und Aperçus substantielle Informationen über wissenschaftliche Verfahren auf der Grundlage ästhetischer Empfindungen zu gewinnen. Daher gehen die Meinungen insbesondere zum Verhältnis von Empirie und Ästhetik auseinander. Während nach Kuhn die ästhetische Eigenschaft einer Theorie und (zunächst) nicht ihr empirischer Gehalt eine „wissenschaftliche Revolution“ herbeiführt,37 behaupten andere das genaue Gegenteil.38 In vielen Fällen wird man die Äußerungen prominenter Wissenschaftler zur „Schönheit“ ihres Faches oder ihrer Theorien in inhaltlicher Hinsicht nicht überbewerten dürfen, vor allem wenn das Thema bei Festvorträgen oder anderen öffentlichen Veranstaltungen zur Sprache kommt. Belanglos sind solche ästhetischen Exkurse deshalb keineswegs, denn immerhin geben sie Auskunft über das Selbstverständnis einer Disziplin und ihrer Repräsentanten. Sie sind Teil des wissenschaftlichen self-fashioning und dienen dazu, vermittels eines Bekenntnisses zu bildungsbürgerlichen Idealen Vorbehalte gegenüber der geistlosen, „kalten“ Labor- und Maschinenwelt zu zerstreuen (was vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert von Bedeutung war). Dennoch steht außer Frage, dass es reale, nicht-inszenierte „Schönheitserlebnisse“ in der Wissenschaft gibt, wie Briefe und andere private, ja intime Zeugnisse belegen. Offenbart sich also doch im Sinne Schillers in der Schönheit die Wahrheit? Taugt ein affirmativer Affekt als (Früh-)Indikator für die Richtigkeit einer Theorie? Bisher ist es nicht gelungen, einen solchen Nachweis zu führen. Eher trifft das Gegenteil zu: Sich auf die ästhetische Intuition zu verlassen, kann der Wahrheitsfindung abträglich sein. Ein gutes Beispiel ist die Reaktion der scientific community auf die Entdeckung Keplers, dass sich die Planeten nicht auf kreisförmigen (wie von Imaginären, Würzburg 2004; Ernst P. Fischer, Das Schöne und das Biest. Ästhetische Momente in der Wissenschaft, München 1997; James W. McAllister, Beauty and Revolution in Science, Ithaca/London 1996. 37  „Glücklicherweise gibt es noch eine andere Betrachtungsweise, welche Wissenschaftler dazu bringen kann, ein altes Paradigma zugunsten eines neuen abzulehnen. Das sind die Argumente, die, wenn auch nur selten explizit, an den Sinn des einzelnen für das Passende oder das Ästhetische appellieren – die neue Theorie, so heißt es, sei ‚sauberer‘, ‚besser geeignet‘ oder ‚einfacher‘ als die alte“ – Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1976, S. 166. 38  „Kuhn’s expectations about the role of empirical and aesthetic factors in including and inhibiting revolutions are thus the converse of mine. My model predicts that, in a choice between a theory of familiar aesthetic form and one showing radically new aesthetic properties, scientists’ aesthetic preferences will weigh in favor of the former“ – James W. McAllister, Beauty and Revolution in Science, Ithaca/ London 1996, S. 138.

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Kopernikus angenommen), sondern auf elliptischen Bahnen bewegen. Kein Geringerer als Galilei verweigerte diesem Ersten Keplerschen Gesetz die Anerkennung, was die Verehrer des Italieners bis heute irritiert und verstört.39 Panofsky konnte nachweisen, dass Galilei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das (bereits 1609 veröffentlichte) Theorem Keplers kannte, ferner dass Galileis unmittelbares Umfeld früh die wissenschaftliche Überlegenheit des neuen Modells akzeptierte – nur eben der Meister selbst nicht.40 Dass Galilei auf dem privilegierten Status des Kreises beharrte, stand – wie Panofsky zeigt – in Einklang mit der antiken Überlieferung und zudem mit dem ästhetischen Programm der Hochrenaissance. Die Ellipse – als ein „verunstalteter Kreis“ – passte nicht in das Formenrepertoire einer Zeit, die das Schöne und Erhabene zur Ansicht bringen wollte. Die frühesten Darstellungen der Ellipse findet sich in der Plastik erst bei Pierino da Vinci und Guglielmo della Porta, in der Architektur nicht vor Baldassare Peruzzi.41 Demnach unterschlug der künstlerisch begabte und empfindsame Galilei ein Konzept, das ihn als Wissenschaftler hätte überzeugen müssen, allein deshalb, weil es sich mit seiner ästhetischen Prägung nicht vertrug. Das Erste Keplersche Gesetz war also „hässlich“, aber richtig. „Er muss erkannt haben“, schreibt Einstein über Kepler, „dass ein noch so klares logisch-mathematisches Theoretisieren allein keine Wahrheit verbürgt, sondern dass die schönste logische Theorie in der Naturwissenschaft ohne Vergleich mit der exaktesten Forschung nichts bedeutet.“42 Diese Bemerkung weckt im Übrigen Zweifel, ob Einstein, Heisenberg, Dirac und andere Physiker des 20. Jahrhunderts wirklich – wie so oft behauptet – vornehmlich oder gar ausschließlich ihrem ästhetischen Urteil vertrauten. 2. Experimentelle Nachweise Mit einer Entzauberung der Wissenschaftsästhetik ist es freilich nicht getan. Offenkundig haben die vormodernen wie modernen KalokagathiaApotheosen ihren Ursprung in einem realen psychischen Erleben, in einer Synästhesie der Affekte. Kant war weit davon entfernt, diesen Umstand in Frage zu stellen, ja gerade die Einsicht in die Fehlbarkeit unserer Intuition 39  „Dass in Galileos Lebenswerk dieser entscheidende Fortschritt keine Spuren hinterlassen hatte, ist ein groteskes Beispiel dafür, dass schöpferische Menschen oft nicht rezeptiv orientiert sind“ – Albert Einstein, Preface, in: Galileo Galilei, Dialogue Concerning the Two Chief World Systems, übers. von Stillman Drake, Berkeley 1953, S. XVI, zitiert nach Erwin Panofsky, Galileo as a Critic of the Arts, The Hague 1954, S. 24. 40  Erwin Panofsky, Galileo as a Critic of the Arts, The Hague 1954, S. 22 f. 41  Erwin Panofsky, Galileo as a Critic of the Arts, The Hague 1954, S. 25–28. 42  Albert Einstein, Johannes Kepler, in: ders., Aus meinen späten Jahren, 4. Aufl., Frankfurt am Main/Berlin 1993, S. 222–225, 225.

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hat ihn dazu bewogen, die Verschiedenheit des sittlichen und des ästhetischen Urteils hervorzuheben, ohne doch zugleich unseren Empfindungen jeden Eigenwert abzusprechen. „Wir benennen“, heißt es in der „Kritik der Urteilskraft“, „schöne Gegenstände der Natur, oder der Kunst, oft mit Namen, die eine sittliche Beurteilung zum Grunde zu legen scheinen. Wir nennen Gebäude oder Bäume majestätisch und prächtig, oder Gefilde lachend und fröhlich; selbst Farben werden unschuldig, bescheiden, zärtlich genannt, weil sie Empfindungen erregen, die etwas mit dem Bewusstsein eines durch moralische Urteile bewirkten Gemütszustandes Analogisches enthalten. Der Geschmack macht gleichsam den Übergang vom Sinnenreiz zum habituellen moralischen Interesse, ohne einen zu gewaltsamen Sprung, möglich, indem er die Einbildungskraft auch in ihrer Freiheit als zweckmäßig für den Verstand bestimmbar vorstellt, und sogar an Gegenständen der Sinne auch ohne Sinnenreiz ein freies Wohlgefallen finden lehrt.“43 Dass sinnliche Reize Empfindungen in uns erregen, „die etwas mit dem Bewusstsein eines durch moralische Urteile bewirkten Gemütszustandes Analogisches enthalten“, lässt sich experimentell belegen.44 „Analogisch“ sind das sittliche und das ästhetische Empfinden insoweit, als Empfindungen wie Ekel nachweisbar unser moralisches Urteil zu beeinflussen vermögen. So hat man die Teilnehmer eines Experiments just in dem Moment unangenehmen Gerüchen ausgesetzt, in dem sie Urteile zu ethisch brisanten Konfliktlagen abgeben mussten. Der Versuch wurde mit anderen Probanden wiederholt, diesmal aber ohne vorher die Örtlichkeit olfaktorisch zu kontaminieren. Ein Abgleich der Antworten brachte ans Licht,45 dass diejenigen Versuchsteilnehmer, die mit einer Geruchsbelästigung konfrontiert waren, das zu bewertende Verhalten kritischer beurteilten als diejenigen, die unter neutralen Bedingungen den Fragebogen ausfüllten.46 43  Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: ders., Werke in zwölf Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Band 10, Frankfurt am Main 1968, S. 462 f. (§ 59). 44  Simone Schnall/Jonathan Haidt/Gerald L. Clore/Alexander H. Jordan, Disgust as Embodied Moral Judgment, Personality and Social Psychology Bulletin 34 (2008), S. 1096–1109, 1097–1099. Kritisch dazu Justin F. Landy/Geoffrey P. Goodwin, Does incidental disgust amplify moral disgust? A meta-analytic review of experimental evidence, Perspectives on Psychological Science 10 (2015), S. 518–536; dagegen wiederum Simone Schnall/Jonathan Haidt/Gerald L. Clore/Alexander H. Jordan, Landy and Goodwin (2015) Confirmed Most of Our Findings Then Drew the Wrong Conclusions, Perspectives on Psychological Science 10 (2015), S. 537 f. 45  Simone Schnall/Jonathan Haidt/Gerald L. Clore/Alexander H. Jordan, Disgust as Embodied Moral Judgment, Personality and Social Psychology Bulletin 34 (2008), S. 1096–1109, 1097–1099. 46  Die Unterschiede waren erheblich und auch in den Folgeexperimenten nachweisbar. Diese variierten die Art der Reize: In einem Fall mussten die Probanden ihre Fragen in einem schmutzigen, unhygienischen Umfeld beantworten, in einem

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Wenn das Empfinden von Ekel zu einer strengeren moralischen Bewertung führt, liegt die Vermutung nicht fern, dass die Konfrontation mit Konzepten wie „Sauberkeit“ oder „Reinheit“ genau das Gegenteil bewirkt. Dieser Effekt konnte in der Tat nachgewiesen werden: Wiederum mussten die Versuchsteilnehmer eine Anzahl von ethisch problematischen Handlungen beurteilen. Diejenigen, die unmittelbar vorher einen mit Vokabeln wie „gewaschen“, „rein“ und „sauber“ angereicherten Text gelesen hatten, gaben im Durchschnitt eine mildere Bewertung ab als jene, deren Lektüre diese Begriffe nicht enthielt.47 Die gleiche Differenzierung zeigte sich bei einer realen körperlichen Reinigung, als man nämlich einen Teil der Probanden aufforderte, sich vor dem Test die Hände zu waschen, während andere Probanden diese Anweisung nicht erhielten.48 In den bisher beschriebenen Experimenten brachten die Teilnehmer offenbar den hygienischen Status allein mit dem Objekt in Verbindung und bezogen ihn nicht auf sich selbst. Veranlasste man sie indes, den eigenen Körper als „sauber“ und „rein“ zu imaginieren, verkehrte sich ihre Reaktion in das Gegenteil. Versuchsteilnehmer, die Texte gelesen hatten, die das Subjekt – den Leser – als hygienisch makellos beschrieben, tendierten dazu, etwa bei der Bewertung von Pornographie oder Abtreibung sich sittenstrenger zu gerieren als die Teilnehmer, die man nicht auf diese Weise manipuliert hatte.49 Weitere Untersuchungen ergaben, dass die tatsächliche oder vorgestellte Reinigung des Körpers sich auch auf die Bewertung eigener Entscheidungen und Handlungen auswirken kann.50 anderen Versuch hatten sie sich unmittelbar vor ihrer Befragung an einen Ekel erregenden Vorgang aus ihrem Leben zu erinnern, im vierten Experiment schließlich wurden ihnen Filmausschnitte mit unappetitlichen Szenen vorgeführt. Die Auswertung ergab, dass ein Teil der Probanden von vornherein völlig immun gegenüber den sinnlichen Manipulationen ist, ferner dass das Wissen der Teilnehmer um die Bedeutung körperlicher Empfindungen für sittliche Urteile den Manipulationseffekt reduziert und dass – drittens – der Manipulationseffekt in der Form wirklich nur bei sittlichen Urteilen auftritt und beispielsweise nicht bei der Bewertung politischer Sachverhalte (ohne ethische Implikationen) – Simone Schnall/Jonathan Haidt/ Gerald L. Clore/Alexander H. Jordan, Disgust as Embodied Moral Judgment, Personality and Social Psychology Bulletin 34 (2008), S. 1096–1109. 47  Simone Schnall/Jennifer Benton/Sophie Harvey, With a Clean Consience. Cleanliness Reduces the Severity of Moral Judgments, Psychological Science 19 (2008), S. 1219–1222, 1219 f. 48  Simone Schnall/Jennifer Benton/Sophie Harvey, With a Clean Consience. Cleanliness Reduces the Severity of Moral Judgments, Psychological Science 19 (2008), S. 1219–1222, 1220–1222. 49  Chen-Bo Zhong/Brendon Strejcek/Niro Sivanathan, A clean self can render harsh moral judgment, Journal of Experimental Social Psychology 46 (2010), S. 859–862, 860 f.

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Wenn demnach das Vertauschen von sinnlichen und sittlichen Kategorien mehr ist als nur ein belangloses Spiel mit Worten, dann stellt sich die Frage, ob das Gleiche für das Verhältnis von „Wahrheit“ und „Schönheit“ gilt. So wie ästhetische Empfindungen Einfluss nehmen auf das sittliche Urteilsvermögen, könnten sie auch Interferenzen bei der Wahrheitsfindung erzeugen. Dafür gibt es inzwischen ebenfalls Belege. 50

Auch der Weiseste von uns, schreibt Nietzsche, werde „gelegentlich zum Narren des Rhythmus, sei es auch nur darin, dass er einen Gedanken als wahrer empfindet, wenn er eine metrische Form hat und mit einem göttlichen Hopsasa daher kommt. Ist es nicht eine sehr lustige Sache, dass immer noch die ernstesten Philosophen, so streng sie es sonst mit aller Gewissheit nehmen, sich auf Dichtersprüche berufen, um ihren Gedanken Kraft und Glaubwürdigkeit zu geben?“51 Um zu überprüfen, ob der Reim als solcher tatsächlich, wie Nietzsche behauptet, einem Gedanken „Kraft und Glaubwürdigkeit“ verleiht, hat man Probanden gebeten, anzugeben, inwieweit die zur Begutachtung vorgelegten Aphorismen das menschliche Verhalten zutreffend beschreiben. Ihrem Inhalt nach waren die Aphorismen identisch, doch erhielt nur ein Teil der Probanden den Aphorismus in Form eines Reimes (z.  B. „What sobriety conceals, alcohol reveals“). Diese Gruppe bewertet den Wahrheitsgehalt der Aussage höher als diejenigen Versuchsteilnehmer, die eine nicht gereimte Version zu bewerten hatte („What sobriety conceals, alcohol unmasks“).52 Nur wenn man alle Teilnehmer vorher explizit aufforderte, sich nicht von der metrischen Form ablenken zu lassen, waren die Ergebnisse in beiden Versuchsreihen in etwa gleich.53 Denkbar erscheint es auch, dass der Anblick symmetrischer Muster – ähnlich wie die Perzeption eines Reimes – das Urteil über den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu beeinflussen vermag, da Symmetrien in nahezu allen Kulturen als angenehm, als „schön“ empfunden werden. Also hat man Versuchsteilnehmern Punktmuster in Form einer Gleichung vorgelegt, die 50  Spike W. S. Lee/Norbert Schwarz, Wiping the Slate Clean. Psychological Consequences of Physical Cleansing, Current Directions in Psychological Sciences 20 (2011), S. 307–311. 51  Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, in: ders., Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari, Bd 3, 2. Aufl., München 1988, S. 442. 52  Matthew S. McGlone/Jessica Tofighbakhsh, Birds of Feather Flock Conjointly (?) Rhyme as Reason in Aphorisms, Psychological Science 11 (2000), S. 424–428, 425 f. 53  Matthew S. McGlone/Jessica Tofighbakhsh, Birds of Feather Flock Conjointly (?) Rhyme as Reason in Aphorisms, Psychological Science 11 (2000), S. 424–428, 425 f.

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sie als wahr oder falsch bewerten sollten, wobei einige Muster symmetrisch, andere hingegen asymmetrisch angeordnet waren. Die Probanden hatten weniger als zwei Sekunden Zeit, um ihre Entscheidung zu treffen, eine Zeitspanne, die nicht ausreichte, um die Punkte korrekt abzuzählen.54 Es stellte sich heraus, dass die Versuchspersonen eher Gleichungen mit symmetrischen als mit asymmetrischen Punktmustern für richtig hielten. Dass die Symmetrie ein leichteres Abzählen ermöglichte, war auszuschließen, da die Probanden in falschen symmetrischen Gleichungen nicht häufiger Fehler erkannten.55 Das Phänomen lässt sich möglicherweise mit identischen Verarbeitungssystemen erklären: „Judgments of beauty and intuitive judgments of truth may share a common underlying mechanism. Although human reason conceptually separates beauty and truth, the very same experience of processing fluency may serve as a nonanalytic basis for both judgments.“56 Die Schnelligkeit oder Fluidität der Informationsverarbeitung indiziert, ob wir eine Aussage für „wahr“,57 aber auch ob wir ein Objekt als „schön“ empfinden.58 Beide Arten von Urteilen werden von dem positiven Affekt reguliert, der von dem Erlebnis einer schnellen Verarbeitung herrührt, erst in einem zweiten Schritt erfolgt dann die analytische Aufspaltung in die Kategorien „wahr-falsch“ und „schön-hässlich“. Dabei kann es zu Fehlattributionen kommen. Eine (zumindest partielle) Identität der kognitiven Prozesse könnte auch für die sittlich-ästhetischen Interferenzen verantwortlich sein. So ist es denkbar, dass Empfindungen wie Abscheu und Ekel zunächst allein dazu dienten, vor bestimmten gesundheitsgefährdenden Pflanzen, Tieren oder unhygienischen Verhaltensweisen zu warnen, bevor sie später auch als „sittliche“ Regulatoren für das zwischenmenschliche Verhalten zur Anwendung 54  Rolf Reber/Morten Brun/Karoline Mittendorfer, The use of heuristics in intui­ tive mathematical judgment, Psychonomic Bulletin and Review 15 (2008), S. 1174– 1178, 1175 f. 55  Rolf Reber/Morten Brun/Karoline Mittendorfer, The use of heuristics in intui­ tive mathematical judgment, Psychonomic Bulletin and Review 15 (2008), S. 1174– 1178, 1176. 56  Rolf Reber/Norbert Schwarz/Piotr Winkielman, Processing Fluency and Aesthe­ tic Pleasure. Is Beauty in the Perceiver’s Experience?, Personality and Social Psychology 8 (2004), S. 364–382, 377. Ebenso Rolf Reber/Morten Brun/Karoline Mittendorfer, The use of heuristics in intuitive mathematical judgment, Psychonomic Bulletin and Review 15 (2008), S. 1174–1178, 1177 f. 57  Rolf Reber/Christian Unkelbach, The Epistemic Status of Processing Fluency as Source for Judgment of Truth, Review of Philosophy and Psychology 1 (2010), S. 563–581. 58  Rolf Reber/Norbert Schwarz/Piotr Winkielman, Processing Fluency and Aesthe­ tic Pleasure. Is Beauty in the Perceiver’s Experience?, Personality and Social Psychology 8 (2004), S. 364–382.

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kamen.59 Diese doppelte Verwertung ein und desselben Mechanismus ist sehr effizient, hat aber – wie die in den Experimenten zu Tage getretenen Fehlschlüsse zeigen – auch ihren Preis. Die genauen Hintergründe, insbesondere die neuronalen Strukturen dieses Organisationsprinzips, sind noch unklar. Immerhin häufen sich die mit bildgebenden Verfahren geführten Nachweise, dass eine Hirnregion sehr verschiedene Aufgaben erfüllen kann,60 indem sie beispielsweise das Erleben sowohl körperlicher Schmerzen als auch gesellschaftlicher Zurückweisung und Missachtung steuert.61 Nicht zu übersehen sind die Übereinstimmungen und Überschneidungen zwischen den reuse models of embodied cognition und den kognitiven Meta­phertheorien.62 59  Jonathan Haidt/Paul Rozin/Clark McCauley/Sumio Imada, Body psyche, and culture. The relationship between disgust and morality, Psychology and Developing Societies 9 (1997), S. 107–131. 60  „An emerging class of theories concerning the functional structure of the brain takes the reuse of neural circuitry for various cognitive purposes to be a central organizational principle. According to these theories, it is quite common for neural circuits established for one purpose to be exapted (exploited, recycled, redeployed) during evolution or normal development, and be put to different uses, often without losing their original functions“ – Michael L. Anderson, Neural reuse. A fundamental organizational principle of the brain, Behavioral and Brain Sciences 33 (2010), S. 245–313, 245. 61  Ethan Kross/Marc G. Berman/Walter Mischel/Edward E. Smith/Tor D. Wager, Social rejection shares somatosensory representations with physical pain, Proceedings of the National Academy of Sciences USA, 108 (2011), S. 6270–6275; dazu kritisch Gian Domenico Iannetti/André Mouraux, Can the functional MRI responses to physical pain really tell us why social rejection „hurts“?, Proceedings of the National Academy of Sciences USA 2011, 10.1073/pnas.1105451108  – dagegen wiederum Ethan Kross/Marc G. Berman/Walter Mischel/Edward E. Smith/Tor D. Wager, Reply to Iannetti and Mouraux: What functional MRI responses to physical pain tell us about why social rejection „hurts“, Proceedings of the National Academy of Sciences USA 2011, 10.1073/pnas.1107241108. 62  „On the one hand, responses to moral transgressions may be scaffolded on physical disgust, an earlier adaptation that keeps us away from physical contaminants and prompts their removal in case of contact. This is consistent with re-use models of embodied cognition …, which emphasize that evolution builds new functions on existing mechanisms. On the other hand, human reasoning about abstract domains, including morality, is assumed to be grounded in concrete domains with which we have direct sensory experience … From this perspective, conceptual metaphors guide inferences by linking abstract and concrete domains …, here by grounding moral reasoning in the experience of physical purity and contamination. These perspectives are not mutually exclusive. For example, the parallels between physical and moral disgust may have given rise to the conceptual metaphor that links physical and moral purity. Once developed, the metaphor may influence reasoning independent of the concurrent experience of disgust“ – Spike W. S. Lee/ Norbert Schwarz, Wiping the Slate Clean. Psychological Consequences of Physical Cleansing, Current Directions in Psychological Sciences 20 (2011), S. 307–311, 307.

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Die Erkenntnis, dass Wahrheits-, Sittlichkeits- und Schönheitsempfinden eine gemeinsame Basis haben, hilft uns dabei zu verstehen, warum erstaunlicherweise nur selten jemand daran Anstoß nimmt, dass genuin ästhetische Begriffe im politischen, philosophischen und juristischen Diskurs Verwendung finden, obwohl offenkundig ist, dass eine Blume, nicht aber eine Norm „schön“, dass ein Glasgefäß, nicht aber der Staat „transparent“ sein kann. Wenn es sich bei ästhetischen, sittlichen und juristischen Idealen stets nur um „verschiedene Aspekte eines einzigen unaussprechlichen Erlebnisses …, des Erlebnisses von Wert schlechthin“63 handelt, dann verwundert diese Konfusion nicht. Eine Bedeutung für die Rechts- und Staatswissenschaft kommt dem Phänomen freilich überhaupt nur deshalb zu, weil wir es in manchen Fällen nicht mit einer lediglich beiläufigen Störung der begrifflichen Präzision zu tun haben. Davon ist immer dann auszugehen, wenn die Kalokagathia in Gestalt einer bestimmten ästhetischen Tugend habituelle Formen annimmt und dieses Prinzip zum Leitmotiv eines ganzen Zeitalters wird, ja es stellt sich die Frage, ob es nicht vornehmlich ästhetische Tugenden sind, die eine Epoche, einen Zeitabschnitt von einer gewissen Dauer und Geschlossenheit, konstituieren – und wir meinen damit nicht die konventionellen Stilepochen der Kunstgeschichte. Ästhetische Tugenden verdanken ihre gesellschaftliche Akzeptanz und Anziehungskraft unter anderem dem Umstand, dass sie sich dazu eignen, den Zusammenhalt eines Gemeinwesens zu festigen, nicht obwohl, sondern gerade weil man mit ihnen – zunächst – keine konkreten Inhalte und Direktiven assoziiert. Vor allem in Zeiten, in denen es an einem universal verbindlichen Kanon religiöser oder weltanschaulicher Leitsätze fehlt, ist die Konsens stiftende Kraft solcher inhaltlich indifferenter Prinzipien von unschätzbarem Wert für alle, die von einer Überwindung der gesellschaftlichen Fragmentierung profitieren. Die Unstimmigkeit der Projektion wird nicht empfunden, weil man sich von den doppeldeutigen Affekten täuschen lässt. Es entsteht die Illusion eines gesellschaftlichen Konsenses über zentrale Fragen des Zusammenlebens, ohne dass eine Auseinandersetzung über Inhalte je stattgefunden hätte. Es handelt sich bei einem ästhetischen Prinzip also um ein Surrogat, das an die Stelle konkreter Verhaltensmaßstäbe tritt und deren schwindende Verbindlichkeit kompensiert. Die positiven Effekte des kollektiven kognitiven Fehlschlusses – namentlich in Zeiten existentieller Krisen – sind nicht zu leugnen, doch gilt das Gleiche für dessen Nebenwirkungen. Die partielle inhaltliche Offenheit der ästhetischen Tugenden ermöglicht es nämlich politischen Akteuren, die über 63  Ernst H. Gombrich, Wertmetaphern in der bildenden Kunst, in: ders., Meditationen über ein Steckenpferd. Von den Wurzeln und Grenzen der Kunst, Frankfurt am Main 1988, S. 34–64, 64.



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entsprechende manipulative Mittel und Kompetenzen verfügen, ihre an sich nicht konsensfähige Position gleichsam durch die Hintertür einzuschleusen und auf die Weise eine Gewöhnung herbeizuführen. Aber das ist noch nicht alles. Als problematisch erweisen sich ästhetische Tugenden auch deshalb, weil sie sehr wohl ein gewisses inhaltliches Eigengewicht haben, das allerdings im Normalfall erst nach und nach zur Geltung kommt. Dass dem so ist, dass auf Objekte der äußeren, sinnlich erfahrbaren Welt bezogene Attribute fernliegende philosophische und juristische Diskurse beeinflussen und neue Ideen generieren können, hängt mit der außergewöhnlichen Plastizität unseres Denkens zusammen. Denn wir vermögen den in Aussicht genommenen Sachverhalt ad hoc so zu „übersetzen“, so zu imaginieren, dass auf ihn das Prinzip sinnvollerweise Anwendung finden kann, beispielsweise durch eine Überführung in mentale Diagramme mit räumlich-geometrischen Anordnungen oder in auditiv-tonale Modelle. Ästhetische Tugenden definieren selbstverständlich nur eine Art kognitiven „Rahmen“, einen überdies meist weit gespannten Rahmen, der sehr unterschiedliche Ausgestaltungen und Konkretisierungen zulässt, aber es bleibt doch ein Rahmen, der Grenzen zieht und deshalb eine Wirkung entfaltet. Ein Problem stellen die inhaltlichen Implikationen und Konnotationen ästhetischer Tugenden nicht nur deshalb dar, weil sie kaum vorauszusehen und zu beherrschen sind, sondern auch und vor allem, weil sie Reflexionen und Entscheidungen irrational determinieren. Zwar können die Tugenden für sich genommen rational sein – etwa „Transparenz“, „Schmucklosigkeit“ und „Reinheit“ als Reaktion auf die Notwendigkeit, in Kriegszeiten Mate­rial zu sparen und bakteriellen Infektionen vorzubeugen – doch hat diese Rationalität in der Regel keinen Bezug zu der politischen oder juristischen „Rationalität“, die dann aus ihr abgeleitet wird – in dem Fall: die Notwendigkeit, komplexe, „unübersichtliche“, „unsaubere“ Verfahren der politischen Willensbildung, wie sie für parlamentarische Demokratien typisch sind, durch ein „glasklares“ diktatorisches Regime zu ersetzen. Solche Hebelwirkungen sind eine kaum zu überschätzende Dauerbelastung für jede rationale Problemlösung.

II. Studien zur Ästhetik der Staatslehre Dass die Genese der Staatsidee im neuzeitlichen Europa und in Übersee ein sehr vielschichtiger Prozess ist, wird wohl niemand bestreiten. Trotz der großen Fortschritte bei dem Bemühen, diese Entwicklung zu verstehen und gedanklich nachzuvollziehen, haben wir es nach wie vor mit einigen sonderbaren Wendungen in der Geschichte der „Staatswerdung“ zu tun, die sich nur schwer mit den gängigen Paradigmen der Ideen-, Mentalitäts-, Sozial-

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oder Wirtschaftsgeschichte in Einklang bringen lassen. Die drei Fallstudien zu den ästhetischen Tugenden „Harmonie“ (16. Jahrhundert), „Balance“ (18. Jahrhundert) und „Transparenz“ (20. Jahrhundert) sollen zu einem Nachdenken über Alternativen anregen und zugleich die theoretischen Ausführungen zur kognitiven Kalokagathia an konkreten historischen Beispielen veranschaulichen. Sie erheben selbstverständlich nicht den Anspruch, alle Aspekte der „auditiven“, „vestibulären“ und „visuellen“ Staatslehre umfassend und abschließend zu behandeln. 1. Harmonie: Die musikalische Schönheit des werdenden Staates Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung einer Lebensleistung decken sich nicht immer.64 So gründet sich der Ruhm Jean Bodins vor allem auf seine Souveränitätslehre, obgleich dem Autor der „Six Livres de la République“ es wohl einige Mühe bereitet hätte, zu begreifen, warum spätere Jahrhunderte sich ausschließlich für das dürre begriffliche Kondensat „Souveraineté“ interessierten – in einem Werk, das immerhin mehr als tausend Seiten fasst. Besonders das letzte Kapitel des letzten Buches der „République“ („De la iustice distributiue, commutatiue, & harmonique, & quelle proportion il ya d’icelles à l’estat Royal, Aristocratique & Populaire“) hat die Nachwelt fast schon systematisch ignoriert.65 Den Wenigen aber, die sich mit Bodins Finale beschäftigt haben, ist nicht entgangen, dass dem Franzosen gerade dieser letzte Teil sehr am Herzen lag. Bei dem Kapitel handelt es sich schon deshalb nicht um ein Versehen oder gar eine intellektuelle Entgleisung, weil Bodin sein kraftvolles Abschlussplädoyer für eine „justice harmonique“ sorgfältig in den vorangegangen Kapitel vorbereitete.66 „L’idée de justice harmonique“, schreibt Michel Villey, „tient le rôle d’un leit-motiv, ou plutôt d’un fil conducteur, courant à travers tout l’ouvrage … Ce dernier chapitre de la République veut dévoiler la quintessence, la clé de l’ouvrage tout entier, du moins la clé philosophique.“67 64  Zum Folgenden bereits Daniel Damler, Harmonie und Melodie im Staatsdenken der Neuzeit, in: Festschrift für Jan Schröder, hrsg. von Arndt Kiehnle/Bernd Mertens/Gottfried Schiemann, Tübingen 2013, S. 609–632. 65  Eine Bibliographie des geistes- und sozialwissenschaftlichen Schrifttums zu Bodin seit 1800 findet sich bei Peter Cornelius Mayer-Tasch, Jean Bodin. Eine Einführung in sein Leben, sein Werk und seine Wirkung, Stuttgart 2011, S. 69–107. 66  Vgl. u. a. Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 2. Buch, 1. Kapitel (S. 254), 2. Buch, 7. Kapitel (S. 341), 4. Buch, 5. Kapitel (S. 608). 67  Michel Villey, La Justice Harmonique selon Bodin, in: Horst Denzer (Hrsg.), Jean Bodin. Verhandlungen der internationalen Bodin Tagung in München, München 1973, S. 69–86, 69.



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Bodin hat es modernen Interpreten seines Werkes allerdings leicht gemacht, das letzte Kapitel der „République“ außer Acht zu lassen. Was offenbar als krönender Abschluss der Staatslehre konzipiert war, präsentiert sich dem Leser als eine bunte Collage von Fällen aus der antiken und spätmittelalterlichen (oder frühneuzeitlichen) Gesetzgebungspraxis mit zahlen- und musiktheoretischen Einlagen. Da sich Bodin nicht sonderlich viel Mühe gibt, die ihm evident erscheinenden Zusammenhänge zwischen Heiratsverboten, Sitzordnungen, Zinssätzen und dem „Liebreiz der göttlichen Harmonie“ näher zu erläutern, bereitet die Lektüre des Textes einige Schwierigkeiten. Dennoch besteht kein Zweifel, dass Bodin ein wichtiges, dringendes Anliegen zu artikulieren versucht und die politische Lage seiner Zeit fest im Blick hat. Gleich zu Beginn des Kapitels stellt Bodin klar, dass er die eine oder andere kanonische Weisheit der antiken politischen Philosophie geradewegs über Bord zu werfen und durch eine neue Lehre zu ersetzen gedenke, eine neue Lehre, die sowohl dem musikalisch geschulten Gehör als auch den Ansichten der Rechtsgelehrten Rechnung trage: „Von der harmonischen Gerechtigkeit … hat nicht ein einziger von den alten Griechen oder Latinern oder sonst jemand je Erwähnung getan, sei es mit Blick auf die Austeilung der Gerechtigkeit sei es mit Blick auf die Regierung eines Staates. Dabei ist sie die göttlichste und herrlichste und damit charakteristisch für ein teils nach aristokratischen, teils nach demokratischen Grundsätzen regiertes Königtum.“68 Bodins Konzept einer „harmonischen“ Gerechtigkeit ist nichts weniger als ein Frontalangriff auf die alte aristotelische Unterscheidung zwischen der „geometrischen“ und der „arithmetischen“ Gerechtigkeit, wenngleich diese beiden Formen in der harmonischen Gerechtigkeit aufgehen und also in ihr enthalten sind. Genau genommen differenziert Aristoteles in der „Nikomachischen Ethik“ zwischen der „austeilenden“ und der „ausgleichenden“ Gerechtigkeit, wobei für die „Austeilung“ die geometrische Proportionalität und für den „Ausgleich“ die arithmetische Proportionalität maßgeblich ist. Die austeilende Gerechtigkeit bezieht sich auf die Verteilung öffentlicher Mittel und Ämter. Es handelt sich also um eine Form der politischen Gerechtigkeit.69 Hingegen findet die ausgleichende Gerechtigkeit im Verhältnis zwischen den Bürgern Anwendung (entweder in den unwillentlichen oder in den willentlichen Rechtsbeziehungen). Letztere, die ausgleichende Gerechtigkeit, nimmt keine Rücksicht auf den Status der Betroffenen, verteilt insofern 68  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 461 f.; Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1015). 69  Ursula Wolf, Aristoteles’ „Nikomachische Ethik“, Darmstadt 2002, S. 105.

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also „gleich“, denn es komme nicht darauf an, „ob ein guter Mann einen schlechten beraubt oder ein schlechter Mann einen guten, oder ob ein guter oder ein schlechter Mann einen Ehebruch begeht; vielmehr sieht das Gesetz nur auf den Unterschied des Standes, und es behandelt die Personen als gleiche, wenn die eine Unrecht getan, die andere es erlitten, die eine Schaden zugefügt hat, die andere geschädigt worden ist. Daher versucht der Richter dieses Unrecht, welches in der Ungleichheit besteht, auszugleichen“ (eth. Nic. 1132a2–8).70 Dieses an sich einfache Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit veranschaulicht Aristoteles ziemlich umständlich mit Hilfe einer mathematischen Analogie – der arithmetischen Proportionalität. Sich die aristotelische Pedanterie zu vergegenwärtigen, ist hilfreich, um die Bedeutung der Innovation Bodins zu ermessen: „Der Richter stellt die Gleichheit her und macht es, wie wenn er eine in ungleiche Teile geteilte Linie vor sich hätte, von deren größerem Teil er das Stück, um welches derselbe größer ist als die Hälfte, wegnähme und zu dem kleineren Teil hinzutäte. Wenn aber das Ganze in zwei Teile geteilt ist, so sagt man: ‚Jeder hat seinen Teil‘, wenn sie Gleiches bekommen haben. Das Gleiche aber ist die Mitte zwischen dem zu Großen und dem zu Kleinen nach der arithmetischen Proportion. Darum heißt es auch ‚dikaion‘ (gerecht), weil es ‚dicha‘ (zweiteilig) ist, wie wenn man sagt ‚dichaion‘ und statt ‚dikastes‘ (Richter) ‚dichastes‘ (Zweiteiler). Denn wenn man von zwei gleichen Größen die eine um ein Stück vermindert und die andere um dasselbe Stück vermehrt, so übertrifft diese jene um diese beiden Stücke. Würde die eine nur so vermindert, ohne dass die andere vermehrt würde, so würde diese jene nur um das einfache Stück übertreffen. So aber übertrifft sie die Mitte um das einfache Stück, und die Mitte wieder die verminderte Größe um dasselbe. Hieraus also mögen wir erkennen, was man dem, der zuviel hat, wegnehmen und dem, der zuwenig hat, hinzugeben muss. Dem, der zu wenig hat, muss man so viel hinzugeben, als die Mitte sein Teil übertrifft, und dem, der das meiste hat, so viel wegnehmen, als die Mitte von seinem Teil übertroffen wird. Die Linien aa’, bb’, cc’ seien einander gleich. Von aa’ werde ae genommen und zu cc’ als dc hinzugesetzt, so dass die ganze Linie dcc’ die Linie ea’ um das Stück dc und cf übertrifft, und mithin die Linie bb’ um das Stück dc“ (eth. Nic. 1132a25–1132b7).71

Im Unterschied dazu betrifft die austeilende (distributive) Gerechtigkeit des Aristoteles nicht die als „gerecht“ oder „richtig“ empfundene Wiederherstellung eines Status quo ante. Die „richtige“ Verteilung öffentlicher Güter ist Gegenstand der politischen Auseinandersetzung, so dass die Meinungen darüber auseinander gehen, nach welchem „Schlüssel“ die Vertei70  Aristoteles, Nikomachische Ethik, nach der Übers. von Eugen Rolfes bearb. von Günther Bien, Darmstadt 1995, S. 109. 71  Aristoteles, Nikomachische Ethik, nach der Übers. von Eugen Rolfes bearb. von Günther Bien, Darmstadt 1995, S. 110.



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lung zu erfolgen hat. In einem Gemeinwesen bestehe deshalb fortwährend Zank und Streit, weil „entweder Gleiche nicht Gleiches oder nicht Gleiche Gleiches bekommen und genießen. Das ergibt sich aus dem Moment der Würdigkeit. Denn darin, dass eine gewisse Würdigkeit das Richtmaß der distributiven Gerechtigkeit sein müsse, stimmt man allgemein überein, nur versteht nicht jedermann unter Würdigkeit dasselbe, sondern die Demokraten erblicken sie in der Freiheit, die oligarchisch Gesinnten im Besitz, andere in edler Abstammung, die Aristokraten in der Tüchtigkeit“ (eth. Nic. 1131a22–29).72 Gerecht ist nach Aristoteles eine Verteilung, wenn sich der einer Person A zugewiesene Anteil zu dem einer Person B zugewiesenen Anteil ebenso verhält wie die „Würdigkeit“ der Person A zur „Würdigkeit“ der Person B – kurz: Person A: Person B = Anteil a: Anteil b – oder – (Person A + Anteil a): (Person B + Anteil b) = Person A: Person B.73 Auch bei der Erörterung der distributiven Gerechtigkeit erweckt Aristoteles den Eindruck, dass ihn die mathematischen Grundlagen seiner Theorie weit mehr interessieren als Fragen der praktischen Umsetzung. Das Recht, heißt es, sei etwas Proportionales – und weiter: „Dass die diskrete Proportionalität sich in mindestens vier Gliedern finden muss, ist klar; aber es gilt ebenso von der kontinuierlichen. In ihr wird eins wie zwei verwandt und zweimal gesetzt, z. B. in der Proportion: wie die Linie a zu b, so verhält sich die Linie b zu c. Hier wird b zweimal genannt, und so bekommt man, wenn man b doppelt zählt, vier Glieder. So setzt also auch das Recht mindestens vier Glieder voraus, unter denen dasselbe Verhältnis besteht. Denn die Personen sind nach demselben Verhältnis unterschieden wie die Sache. Es verhalte sich also wie Glied a zu b, so Glied c zu d, und also auch umgekehrt, wie Glied a zu c, so Glied b zu d. So wird sich denn auch in derselben Weise das Ganze zum Ganzen verhalten, und das ist die Verbindung, die die Zuteilung vornimmt, und wenn sie die Personen und Sachen so zusammenstellt, so geschieht die Verbindung in gerechter Weise. Mithin liegt darin, dass a mit c und b mit d verbunden wird, das Gerechte der Verteilung, und dieses Gerechte ist das Mittlere zwischen dem, was der Proportionalität zuwiderläuft. Denn das Proportionale ist die Mitte, und das Gerechte ist das Proportionale. Eine solche Proportion nennen die Mathematiker eine geometrische“ (eth. Nic. 1131a30– 1131b13).74

Es ist dieser rigide mathematische Ansatz der Welterklärung, den Bodin bei der Niederschrift seines letzten Kapitels vor Augen hatte. Wer als poli72  Aristoteles, Nikomachische Ethik, nach der Übers. von Eugen Rolfes bearb. von Günther Bien, Darmstadt 1995, S. 107. 73  Günther Bien, Gerechtigkeit bei Aristoteles, in: Ottfried Höffe (Hrsg.), Aristoteles. Nikomachische Ethik, 2. Aufl., Berlin 2006, S. 135–164, 155. 74  Aristoteles, Nikomachische Ethik, nach der Übers. von Eugen Rolfes bearb. von Günther Bien, Darmstadt 1995, S. 107 f.

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tischer Theoretiker im 16. Jahrhundert ernst genommen werden wollte, tat gut daran, sich auf die aristotelische Lehre einzulassen. Bodin war sich dessen bewusst, doch gelang es ihm, die mathematische Gerechtigkeitsdoktrin antiker Provenienz auf eigentümliche Weise zu „modernisieren“ und zu einer zeitgemäßen Gesetzgebungslehre umzugestalten. Nicht obwohl, sondern weil Bodin sich über Aristoteles hinwegsetzte und pythagoreisch-platonische Denkfiguren adaptierte, konnte er die realpolitischen Herausforderungen seiner Zeit meistern.75 Der Anfang des sechsten Kapitels steht freilich ganz im Zeichen der Zahlen und Rechenkünste. Mit Hilfe von numerischen Reihen führt Bodin dem Leser vor Augen, was er unter dem geometrischen, dem arithmetischen und dem harmonischen Prinzip versteht. Die geometrische Reihe gewinnt er, indem er Zahl für Zahl immer wieder mit dem gleichen Faktor multipliziert (im Beispiel um Faktor 3): 3  – 9  – 27  – 81 usw. Bei der arithmetischen Reihe hingegen wird stets die gleiche Zahl addiert (im Beispiel die Zahl 6): 3  – 9  – 15  – 21  – 27 usw. „Harmonisch“ nennt Bodin indes eine Reihe, deren Abstände zwischen den Zahlen weder immer die gleichen noch immer vergleichbar sind: 3  – 4  – 6  – 8  – 12 usw. „Das geometrische Prinzip“, schreibt er, „ist gekennzeichnet von der Vergleichbarkeit der wechselseitigen Beziehungen, für das arithmetische Prinzip ist das Gleichbleiben der Wechselbeziehung typisch. Das harmonische Prinzip besteht zwar in einer Vermischung der beiden erstgenannten Prinzipien, unterscheidet sich aber von beiden. Gilt beim ersten die Vergleichbarkeit, beim zweiten die Gleichheit der Wechselbeziehungen, so werden sie beim dritten sowohl von Gleichheit als auch von Vergleichbarkeit bestimmt.“76 Bodin beeilt sich zwar zu versichern, dass das harmonische Prinzip sich auch mathematisch herleiten lasse, doch will er darauf erstaunlicherweise nicht näher eingehen („comme il se peut entendre par demonstrations mathematiques, ausquelles il n’est besoin d’entrer plus auant …“).77 Stattdessen reicht Bodin einige Seiten später eine musikalische Begründung nach und gibt so zu erkennen, dass die Musik seine eigentliche Inspirationsquelle ist. Die „harmonische“ Qualität der Zahlenreihe 4  – 6  – 8  – 12 führt 75  Anders Michel Villey, La Justice Harmonique selon Bodin, in: Horst Denzer (Hrsg.), Jean Bodin. Verhandlungen der internationalen Bodin Tagung in München, München 1973, S. 69–86, 79–83. 76  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 462; Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1016). 77  Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1016).



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Bodin darauf zurück, dass sich in dieser Reihe – und nur in dieser Reihe – alle Zahlen zueinander in Beziehung setzen lassen, ohne – als Töne imaginiert – einen Missklang zu erzeugen. Verbindet man nämlich die 4 mit der 8 „erklingt“ die Oktave (1:2), ebenso bei der Verbindung der 6 mit der 12. Die Quinte (2:3) entsteht aus dem Zusammenklang von 4 und 6 sowie 8 und 12, schließlich die Quarte (3:4) aus dem Zusammenklang von 6 und 8. „Nimmt man aber“, ergänzt Bodin, „das zwischen 6 und 8 bestehende harmonische Band der Quart heraus, dann ist das geometrische Verhältnis gestört. Ordnet man umgekehrt die Größen durchgängig nach dem geometrischen Prinzip, dann geht die Harmonie verloren, wie man an der Zahlen­reihe 2 – 4 – 8 – 16 sieht: Die Verhältnisse der einzelnen Zahlen zueinander, wie immer man sie auch zueinander in Beziehung setzt, weisen zwar eine starke Beziehung auf, ein Zusammenklang lässt sich daraus aber ebenso wenig herstellen wie wenn man die Zahlen nach dem arithmetischen Prinzip ordnet.“78 Anders als Aristoteles geizt Bodin nicht mit Beispielen, die er antiken und zeitgenössischen Geschichtswerken, aber auch Berichten über aktuelle Ereignisse entnimmt. Sein wichtigstes Anliegen ist es, mit ihrer Hilfe darzulegen, dass für sich genommen weder das geometrische noch das arithmetische Prinzip in der Gesetzgebungs- und Regierungspraxis zu brauchbaren Ergebnissen führt. Das arithmetische Prinzip – die Addition des immer gleichen Betrages – verhöhne die Realität in ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit: Nie seien die äußeren Umstände eines Ereignisses die gleichen, nie Anlage, Absicht und Status der handelnden Personen. Dass die arithmetische Gerechtigkeit sich mühelos pervertieren lasse, zeige der derbe Streich des römischen Millionärs Neratius (Veratius): „Alle Bußen und Geldstrafen betreffende Gesetze müssen ebenso wie die sogenannten polizeilichen Ordnungen der Anpassung zugänglich sein, sonst ergäben sich daraus zahlreiche Unzuträglichkeiten. So trat beispielsweise unter der Volksherrschaft in Rom, als die von den angedrohten Strafen von den Magistraten weder geschärft noch gemildert werden durften, ein gewisser Neratius auf, ein für damalige Verhältnisse reicher aber unverschämter Mann, der nach Lust und Laune Ohrfeigen austeilte und dann seinem Sklaven, der einen Sack voller Geld hinter ihm hertrug, befahl, die vom Zwölftafelgesetz bestimmte Buße von 25 Assen auszubezahlen. Dies führte dazu, dass das Gesetz insoweit aufgehoben und durch die Bestimmung ersetzt wurde, dass künftig jeder das ihm zugefügte Unrecht selbst bewerten solle, dem Magistrat blieb jedoch vorbehalten, auf die Einhaltung eines vernünf78  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 466; Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1020).

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tigen Maßes zu achten. Jedem war also klar, dass die arithmetische Gerechtigkeit eine Gefahr bedeute.“79 Nicht ganz so gefährlich sei, bemerkt Bodin, die geometrische Gerechtigkeit, da der Proportionalitätsgrundsatz den Besonderheiten des Einzelfalls ja in vollem Umfang Rechnung trage.80 Das sei andererseits genau das Problem, denn eine Berücksichtigung der individuellen Umstände „in vollem Umfang“ laufe auf eine endlose Kasuistik hinaus, die eine geordnete Gesetzesanwendung unmöglich mache: „Eine solche Vielfalt der Fallgestaltung kann man nicht mit nur mit einem einzigen für alle gleichermaßen geltenden Gesetz in den Griff bekommen. Wollte man umgekehrt jeden denkbaren Fall gesetzlich regeln, so würden dazu noch so viele Bücher nicht ausreichen, sie alle zu fassen.“81 An anderer Stelle heißt es: „Wer der geometrischen Gerechtigkeit in allen Einzelheiten Genüge tun und die Strafe den jeweiligen Vermögensverhältnissen [des Täters] und den Tatumständen anpassen wollte, der bräuchte überhaupt kein Gesetz zu machen. Denn die persön­ lichen, tatsächlichen zeitlichen und örtlichen Umstände sind unendlich vielfältig und nicht erfassbar.“82 Ein Gesetzgeber, der das Ideal der harmonischen Gerechtigkeit umzusetzen versuche, vermeide die Nachteile sowohl des arithmetischen als auch des geometrischen Prinzips und kombiniere allein die Vorteile. Die Umsetzung könne auf verschiedene Weise erfolgen. In Betracht komme zum Beispiel die Festsetzung einer einheitlichen Geldstrafe (nach dem arithmetischen Prinzip), die dann die Gerichte unter bestimmten Umständen vermindern, erhöhen oder um eine außerordentliche Strafe ergänzen sollten: „Die geometrische Gerechtigkeit bewirkt … im Ergebnis, dass die Reichen ihre gegenüber den Armen privilegierte Stellung einbüßen, die arithmetische Gerechtigkeit hingegen gibt den Reichen die Möglichkeit, den Armen unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit ins Verderben zu stürzen. Daher haben die Ordonanzen den Richtern gestattet, erforderlichenfalls zusätzlich zur ordentlichen Geldstrafe eine außerordentliche zu verhängen wie dies im Altertum in Griechenland üblich war, wo diese außerordentliche Geldstrafe 79  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 481 f.; Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1038). 80  Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1044). 81  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 626 f. Dieser Satz findet sich nur in der lateinischen, nicht in der französischen Fassung. 82  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 477; Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1033).



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Demosthenes zufolge ζημίαν έπωβελίας hieß. Damit wäre man der wahren Gerechtigkeit schon sehr nahe gekommen, würden die erwähnten Ordonnanzen den Richter oder doch wenigstens den obersten Gerichten [auch] gestatten, auf Armut und Unwissenheit Rücksicht zu nehmen und die Strafe herabzusetzen, wie es seit jeher beim Parlament von Rouen üblich gewesen ist.“83 Der Gesetzgeber, meint Bodin, könne auch noch auf andere Weise die Nebenwirkungen des arithmetischen und des geometrischen Prinzips vermeiden, indem er nämlich grundsätzlich die geometrische Gerechtigkeit zu verwirklichen suche, indes die proportionalen Verhältnisse typisiere und damit ein wenig „arithmetisiere“. Ferner dürfe und solle der Normengeber nur bestimmte Faktoren für relevant erklären, andere hingegen ausblenden. Als Beispiel führt Bodin die von Philipp dem Schönen erlassene Verordnung über Kleidung und übertriebene Festmähler an („l’ordonnance de Philippe le Bel touchant les habits & superfluités des banquets“).84 Sie sah Strafen von 100 Pfund vor, wenn Herzöge, Grafen, Freiherrn oder Prälaten sich etwas hatten zuschulden kommen lassen. Fähnriche mussten bei Zuwiderhandlung 50 Pfund Strafe zahlen, Ritter und Hintersassen 40, Dekane, Archidiakone, Priore und andere geistliche Würdenträger 25 Pfund. Den gleichen Betrag hatten Laien zu entrichten, die über ein Vermögen von mehr als 1000 Pfund verfügen. Alle übrigen zahlten 100 Sous. „Dieser Katalog weist zwar der geometrischen Gerechtigkeit entsprechend für ungleiche Delinquenten auch ungleiche Strafen auf. Trotzdem findet man in ihm aber auch identische Strafen für ungleiche Delinquenten, wie es der arithmetischen Gerechtigkeit entspricht. So durchdringen beide Typen einander in einer Weise, dass sich daraus die harmonische Gerechtigkeit ergibt.“85 In der Tat differenziert die Ordonnance einerseits zwischen verschiedenen Gruppen, denen bei Rechtsverstößen unterschiedliche Strafen auferlegt werden, anderseits fasst sie auch verschiedene Gruppen zusammen und behandelt sie gleich. Ebenso sei Justinian in seinem Gesetz über den Wucher verfahren („la loi des vsures“).86 Darin schreibe dieser vor, dass vornehme Persönlichkeiten 83  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 475; Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1031). 84  Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1032). 85  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 476; Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1032). 86  Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1047).

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5 %, Kaufleute 8 %, Korporationen und Kollegien 10 % und alle anderen 6 % Zinsen fordern dürfen, von Bauern allerdings nur 5 %. Man erkenne unschwer, dass dieses Gesetz harmonisch ausgewogen sei: „Im Verhältnis Adeliger untereinander, die, gleichgültig, ob sie dem Hochadel, dem mittleren oder dem niederen Adel angehören, allen ein und derselben Rechnung unterfallen, gilt nämlich die arithmetische Gleichheit. Das gilt auch für Beziehungen von Kaufleuten untereinander, die ebenfalls, ob reich oder arm, einer einzigen Bestimmung unterfallen, und auch für Bauersleute, obwohl es große Unterschiede gibt unter ihnen. Nichts anderes gilt für alle sonstigen Untertanen und ihre Beziehungen zueinander, obwohl sie sich nach Stand und Herkommen beträchtlich unterscheiden. Die geometrische Wechselbeziehung hingegen gilt im Verhältnis von Untertanen jeweils verschiedener Gruppenzugehörigkeit zueinander.“87 Eine Typisierung eigener Art erkennt Bodin in dem biblischen Gebot (Dtn 25, 2), einen Schuldigen nach dem Maß seiner Schuld zu bestrafen, und dem Verbot (Dtn 25, 3), mehr als vierzig Hiebe auszuteilen. So sei die Proportionalität der Strafe gewährleistet, freilich innerhalb eines arithmetischen Strafrahmens: „Auch wenn es im Gesetz Gottes heißt, wer Prügel verdient habe, solle seinem Fehltritt entsprechend bestraft werden, es sei jedoch verboten, mehr als 40 Hiebe auszuteilen, so steht dieses Gesetz im Einklang mit der harmonischen Gerechtigkeit. Denn bis zur Höhe von 40 Schlägen darf der Richter nach Gutdünken unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Täters nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestimmen. Das arithmetische Element hingegen ist in dem Verbot enthalten, mehr als 40 Hiebe zu verhängen. Auf diese Weise wird einer, der schwerer gefehlt, dennoch aber nicht den Tod verdient hat, für seine Tat nicht härter bestraft als einer, dessen Tat geringer wiegt, wofür uns das Gesetz auch die Begründung liefert: es soll nämlich vermieden werden, dass der Bestrafte zum Krüppel geschlagen wird.“88 Trotz allen Bemühens um ausgewogene Gesetze werde es immer wieder vorkommen, glaubt Bodin, dass eine an sich anwendbare Norm keine Anwendung finden sollte. Dann gebiete es die harmonische Gerechtigkeit, Verwaltung und Gerichten eine Nichtanwendung zu gestatten. In Rom habe man schlechte Erfahrungen gesammelt mit allzu rigiden Gesetzen, wie jener Vorschrift, dass es bei Todesstrafe verboten sein soll, jemandem auch nur das geringste Privileg einzuräumen, es sei denn, die Versammlung aller Stände 87  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 489; Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1047). 88  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 491; Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1049).



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stimme dem zu. „Suyuant ces loix les Magistrats furent contraints de gouuerner les subiects, en forte que l’equité & l’arbitrage n’auoit aucun lieu.“89 Die Forderung nach strikter Normenumsetzung und einem Verbot von Billigkeitserwägungen habe man unlängst wieder vernehmen können, nämlich nach der Unterwerfung Savoyens durch Franz I. „Als die neuen Statthalter und Magistrate immer wieder unter Verstoß gegen Gewohnheitsrecht und geschriebenes Recht nach Billigkeitsgesichtspunkten Recht gesprochen hatten, entsandten die Stände des Landes Abgeordnete mit der Bitte zum König, ihnen eine Urkunde auszufertigen, nach der es dem Magistrat künftig verboten sei, nach Billigkeit zu entscheiden. Das lief auf nichts anderes hinaus, als sie ohne die Möglichkeit einer gelegentlichen Abweichung strikt an die Gesetze zu binden.“90 Viele Richter verwahrten sich gegen eine solche Bevormundung, so auch Connan(us), der das Anliegen der savoyischen Abgesandten zu prüfen hatte. Er, Connan, würde sich nicht davon abhalten lassen, nach der Billigkeit zu entscheiden („iuger d’equité“), selbst wenn er der niedrigste Richter Frankreichs wäre.91 Bemerkenswert ist ein weiteres Beispiel Bodins aus der Regierungspraxis seiner Zeit, das drastisch vor Augen führt, dass gerade die Nichtanwendung einer königlichen Verordnung dem Gebot der harmonischen Gerechtigkeit entsprechen kann, sofern der Respekt gegenüber der Autorität des Herrschers formal gewahrt bleibt. „Jeder weiß“, schreibt Bodin, „dass es auf der ganzen Welt kein Gremium gibt, das bedeutendere Juristen mit größerer richterlicher Erfahrung zu seinen Mitgliedern zählen würde als das Parlament von Paris und dennoch hat es ohne Abstriche und ohne die geringste Einschränkung die Verordnung König Franz I. gegen Fälschungen bekannt gemacht, wonach sowohl im Strafprozess als auch im Zivilprozess Fälschungen ohne Rücksicht darauf, worin sie bestanden oder ob sie von einem Richter, einem Gerichtsvollzieher, einem Notar, einem Soldaten oder einem Bauer begangen wurden, mit der Todesstrafe bedroht waren. In der Folge hat das Gericht dieses Gesetz stillschweigend ignoriert, es aber klugerweise fortbestehen lassen, damit die darin angedrohte Strafe vor Fälschungen abschrecke.“92 Das erinnert an die bekannte spanische Formel „obedézcase 89  Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1022). 90  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 468; Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1022). 91  Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1023). 92  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 483; Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1040).

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pero no se cumpla“, die es der Verwaltung in Übersee ermöglichte, eine aufgrund der langen Beförderungsdauer (oder aus anderen Gründen) sachlich überholte Anordnung des Königs nicht zu befolgen, wenn man sie nur dem Grundsatz nach anerkennt.93 Damit ist bereits angedeutet, warum Bodin der „iustice harmonique“ – seiner „Entdeckung“ – eine solche Bedeutung zumaß und ihr das letzte, abschließende Kapitel der „République“ widmete.94 Die rigide Gerechtigkeitsmathematik des Aristoteles mit ihren beiden Polen „Gleichheit“ und „Verhältnismäßigkeit“ überforderte gewiss schon die Amtsträger einer griechischen Polis, doch in den frühen Flächenstaaten der Neuzeit war sie von vornherein ein nicht zu erfüllendes Versprechen, dazu geeignet, die sich gerade erst konstituierende Staatsgewalt zu desavouieren. Denn von einer einheitlichen Rechtsanwendung konnte damals in Ermangelung einheitlicher Verwaltungsstrukturen und leistungsfähiger Kommunikationssysteme selbst in vergleichsweise entwickelten Territorien keine Rede sein. Die Mannigfaltigkeit der Lebensumstände in Stadt und Land erforderte ein hohes Maß an Flexibilität und die Bereitschaft, Sachverhalte zu typisieren und Abweichungen von der Regel – in Gestalt „außerordentlicher“ Sanktionen oder Rechtsbehelfe – zuzulassen. Ein solches elastisches Regulierungsregime war unmöglich mit mathematischen Denkfiguren zu erfassen, jedenfalls nicht mit jenen aristotelischer Prägung. Das hatte Bodin erkannt. Die unvermeidbare Durchbrechung und Relativierung von Normen im juristischen Tagesgeschäft nicht als defizitäre, deviante Form der Herrschaft zu begreifen, sondern als den Normalfall, ja schlechthin als das Ideal guter Regierung, war die einzige Möglichkeit für den „Souverän“, seine Würde und Autorität in der gänzlich unarithmetischen und ungeometrischen politischen Realität der (Spät-)Renaissance zu wahren. Man könnte insofern von der „kleinen“ Staatsräson sprechen im Unterschied zur „großen“, machiavellistischen, die von der Normendurchbrechung in existentiellen Staatskrisen – im „Ausnahmezustand“ – handelt.95 93  Dazu Daniel Damler, Herr der Welt und König der Frösche. Von der ästhetischen zur teleologischen Weltherrschaftsidee, in: Renate Dürr/Gisela Engel/Johannes Süßmann (Hrsg.), Expansionen in der Frühen Neuzeit, Berlin 2005, S. 279–305, 302. 94  Zu dem – an dieser Stelle nicht zu vertiefendenden – Kontext der französischen Gesetzgebungslehre in der frühen Neuzeit grundlegend Lothar Schilling, Normsetzung in der Krise. Zum Gesetzgebungsverständnis im Frankreich der Religionskriege, Frankfurt am Main 2005. 95  Zur Staatsräson als Rechtsdurchbrechungsbefugnis in der Tradition Machiavellis insbes. Herfried Münkler, Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1987, S. 187–193. Zu Bodins „Staatsräson“ Helmut Quaritsch, Staatsraison in Bodins „République“, in: Roman



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Was im Rückblick als ein geradezu selbstverständlicher Akt der Machterhaltung, als eine unvermeidliche realpolitische Volte im Legitimationsdiskurs erscheint – die Überwindung der mathematischen Gerechtigkeitslehre  – war aus der Perspektive des 16. Jahrhunderts eine beachtliche emanzipatorische Leistung. Keinesfalls sollte man die enorme Attraktivität einer politischen und juristischen „Rechenkunst“ unterschätzen, schon gar nicht, wenn jene aus der Feder des Aristoteles stammt und sich so die Autorität der Zahl mit der Autorität der Überlieferung paart. Wir können und müssen an dieser Stelle die Frage nach den Ursachen für die Anziehungskraft mathematischer Welterklärungen nicht beantworten. Zumindest erwähnt sei aber die unlängst formulierte These, dass auch dem mathematischen Denken – wie jedem abstrakten Denken – letztlich unser sinnliches Erleben der äußeren Welt zu Grunde liegt.96 Die Vertreter dieser Ansicht weisen beispielsweise darauf hin, dass für ein so fundamentales mathematisches Konzept wie „Gleichheit“ bis ins 16. Jahrhundert kein Symbol existierte, sondern über Jahrtausende anstatt des uns heute vertrauten Gleichheitszeichens („=“) Begriffe in Gebrauch waren, die sinnlich erfahrbare Vorgänge oder Zustände bezeichneten.97 Wie auch immer man zu dieser – umstrittenen98 – These vom Ursprung der Mathematik stehen mag, so fällt doch auf, dass jedenfalls Aristoteles „Gleichheit“ und „Proportionalität“ – die Essenzen der arithmetischen und der geometrischen Gerechtigkeit – als Phänomene des Sichtbaren veranschaulicht. In den zitierten Passagen aus der „Nikomachischen Ethik“ vergleicht Aristoteles fortwährend in Gedanken die Länge von Linien, um zu ermessen, wann etwas „gleich“ oder „ungleich“ ist. Bezüge zu konkreten, lebensweltlichen Teilungsvorgängen sind allgegenwärtig („Dem, der zu wenig hat, muss man so viel hinzugeben, als die Mitte sein Teil übertrifft, und dem, der das meiste hat, so viel wegnehmen, als die Mitte von seinem Teil übertroffen wird“). Offenbar hat Aristoteles, wenn er von „Gleichheit“ Schnur (Hrsg.), Staatsräson. Studien zur Geschichte eines politischen Begriffs, Berlin 1975, S. 43–63. In der deutschen Geschichtswissenschaft hat vor allem Meinecke Begriff und Konzept der Staatsräson maßgeblich geprägt: Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, München 1924. Dazu Michael Stolleis, Friedrich Meineckes „Die Idee der Staatsräson“ und die neuere Forschung, in: ders. (Hrsg.), Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts, Frankfurt am Main 1990, S. 134–166. 96  George Lakoff/Rafael E. Núñez, Where Mathematics Comes From. How the embodied mind brings mathematics into being, New York 2000. 97  George Lakoff/Rafael E. Núñez, Where Mathematics Comes From. How the embodied mind brings mathematics into being, New York 2000, S. 376 f. 98  Vgl. Joseph Auslander, Embodied Mathematics, American Scientist 89 (2001), S. 366 f.

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spricht, eine einfache (Achsen-)Symmetrie im Sinn: die Spiegelung zweier gleich langer Linien. Wenn dem so ist, dann verwundert die besondere Wertschätzung nicht, derer sich die „Gleichheit“ bei Aristoteles – und nicht nur bei Aristoteles – erfreut, denn die Bevorzugung der Symmetrie gehört zu den wenigen ästhetischen Universalien, die sich in kulturvergleichenden und ethnologischen Studien haben nachweisen lassen.99 Die menschliche Wahrnehmung ist auf eine Symmetrie entlang der vertikalen Achsen ausgerichtet. Das entspricht der Orientierung eines Erwachsenen im Raum. Horizontale Spiegelsymmetrien hingegen werden oft gar nicht als Symmetrien erkannt.100 Symmetrie ist überdies ein Kennzeichen des Lebens. Etwa 95 Prozent aller Tierarten sind – wie der Mensch – bilateralsymmetrisch aufgebaut, die linke Körperhälfte ist also symmetrisch zur rechten (das gilt natürlich nicht für die inneren Organe). Die meisten übrigen Tiere weisen zumindest eine radiärsymmetrische Struktur auf.101 Da das schnelle Identifizieren von Mitgeschöpfen – seien es Feinde, Beutetieren, Eltern oder Partner – überlebenswichtig sein kann, bietet sich die Symmetrie als Orientierungshilfe an. Ein System, das auf Symmetrien reagiert, ist bei Erkennungsaufgaben im Vorteil.102 Das 99  „A comparison of the available data, drawn from several dozen cultures, suggests that a number of aesthetic standards are indeed applied universally. To be more on the safe side, one should say that these standards are found pluriculturally, i. e., that they are applied in many cultures. However, the virtual absence of counterexamples to these basic standards would make an extrapolation into a pancultural occurence seem reasonable … Among the aesthetic standards that would seem to be applied panculturally we find first of all what in Western terms would be called symmetry and balance“ – Wilfried van Damme, Universality and Cultural Particularity in Visual Aesthetics, in: Neil Roughley (Hrsg.), Being Humans. An­ thropological Universality and Particularity in Transdisciplinary Perspectives, Berlin/New York 2000, S. 258–283, 263 (Hervorhebung im Original). Umfangreiche Nachweise zu den ethnologischen Befunden in: Wilfried van Damme, Beauty in Context. Towards an Anthropological Approach to Aesthetics, Leiden u. a. 1996, S. 76–82. 100  Dorothy Washburn, Perceptual Anthropology. The Cultural Salience of Symmetry, American Anthropologist 101 (1999), S. 547–562, 552; Klaus Richter, Die Herkunft des Schönen. Grundzüge der evolutionären Ästhetik, Mainz 1999, S. 176. 101  Klaus Richter, Die Herkunft des Schönen. Grundzüge der evolutionären Ästhetik, Mainz 1999, S. 169–171. 102  „Ein farblich getarntes Objekt, z. B. ein Käfer im Laub, kann von der Umgebung oft nur aufgrund der Symmetriebeziehungen zwischen seinen Konturen unterschieden werden. Tiere können solche Beziehungen hervorragend, oft besser als der Mensch, auswerten. Es müssen sich also zentralnervöse Verschaltungen herausgebildet haben, die bei Vorliegen symmetrischer Beziehungen und ohne vorherigen Lernprozess bevorzugt in Resonanz geraten“ – Wolf Singer, Neurobiologische Anmerkungen zum Wesen und zur Notwendigkeit von Kunst, in: ders., Der Beobachter im Gehirn. Essays zur Hirnforschung, Frankfurt am Main 2002, S. 211–234, 227.



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Erleben des Ich, des eigenen, bilateralsymmetrischen Körpers spielt wahrscheinlich ebenfalls eine Rolle bei der Ausprägung der Präferenz.103 Sich den Reizen der symmetrischen Gleichheit zu entziehen, ist also nur schwer möglich, es sei denn, diese steht in Konkurrenz zu einem anderen ästhetischen Prinzip, das eine vergleichbare Präsenz und Wirkungsmacht aufweist. Bodin deutet in der „République“ an, dass ein solches konkurrierendes Prinzip seinerzeit existierte: die musikalische Harmonie. Einen harmonischen Wohlklang im Sinne Bodins erzeugten für sich genommen bestimmte Zahlenverhältnisse (1:2; 2:3; 3:4), die Intervalle Oktave, Quinte und Quarte. Bodin sah sich zu keinen weitschweifigen Erklärungen genötigt, sondern konnte ohne weiteres unterstellen, dass seine Zeitgenossen die Anspielung verstanden und ihnen das beschriebene Klangexperiment in Theorie und Praxis vertraut war. Die auf die Pythagoreer zurückgehende Entdeckung der akustischen Valenz von Zahlenverhältnissen zählt Heisenberg „zu den stärksten Impulsen menschlicher Wissenschaft überhaupt“104 – und in der Tat kann die erstmals von Nikomachos von Gerasa (im 2. Jahrhundert n. Chr.)105 überlieferte Legende von Pythagoras in der Schmiede als ein Urmythos der Wissenschaft gelten, der von der Antike bis in die Neuzeit hinein Einfluss nahm auf Inhalt und Methode nahezu aller Disziplinen. Die Legende bildete das programmatische Fundament der musica scientia, der Musik als Wissenschaft, die neben der Arithmetik, Geometrie und Astronomie Bestandteil des Quadriviums war. Von Nikomachos übernahm Boethius den Bericht – und dieser wiederum war die Quelle für die meisten Überlieferungen des Mittelalters und noch des 16. Jahrhunderts. Auf Boethius beruft sich auch Gioseffo Zarlino, ein Zeitgenosse Bodins, dessen „Istitutioni harmoniche“ (1573) in ganz Europa großes Ansehen genoss. Boethius berichte, schreibt Zarlino, es sei Pythagoras gewesen, „der die natürliche Beschaffenheit der musikalischen Propor­ tionen im Klang der Hämmer entdeckte. Beim Spaziergang kam er an einem Handwerksladen vorbei, wo mit verschiedenen Hämmern ein glühendes Eisen auf einen Amboss geschlagen wurde. Dabei gelangte eine gewisse Reihenfolge von Tönen an seine Ohren, die sein Gehör mit Freude erfüllte. Er blieb stehen und suchte zu erkennen, wodurch diese Wirkung hervorgebracht würde. Zunächst erschien es ihm so, dass sie von der ungleichen 103  Klaus Richter, Die Herkunft des Schönen. Grundzüge der evolutionären Ästhetik, Mainz 1999, S. 176. 104  Werner Heisenberg, Gedanken der modernen Naturphilosophie in der modernen Physik, in: ders., Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft, 10. Aufl., Stuttgart 1973, S. 77–84, 81. 105  Nikom. harm. I 6 (245–248). Zur Überlieferungsgeschichte Barbara Münxelhaus, Pythagoras musicus. Zur Rezeption der pythagoreischen Musiktheorie als quadrivialer Wissenschaft im lateinischen Mittelalter, Bonn 1976, S. 36–41.

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Kraft der Männer herrühren könnte. Er veranlasste, dass die Männer ihre Hämmer untereinander tauschten, und trotzdem hörte er keine anderen Töne als beim ersten Mal. Daraus zog er den Schluss, dass die Ursache in der Verschiedenheit des Gewichts der Hämmer liegt (wie es wahr ist). Deswegen ließ er jeden Hammer einzeln wiegen, und so entdeckte er zwischen den Zahlen der Gewichte die Verhältnisse der Konsonanzen und Harmonien. Mit ganzer Kraft verschönerte er nun diese Harmonie auf folgende Weise: Er machte sich aus Schafdarm Saiten in gleicher Größe und befestigte an ihnen Gewichte, die denen jener Hämmer entsprachen. Und so entdeckte er die nämlichen Konsonanzen: sie waren um soviel klangvoller, als Saiten natürlicherweise den Klang für die Ohren weit angenehmer werden lassen. Diese Harmonie dauerte eine Weile fort. Die Nachfolger, die bereits wussten, dass die Grundlagen der Harmonie auf einigen bestimmten Zahlen beruhten, untersuchten sie nun noch gründlicher und gaben ihr die Bezeichnung einer vollkommenen und sicheren Wissenschaft.“106 Die für die Schmiedehämmer genannten Rationen entsprechen in Wahrheit nicht den realen Proportionen der zu spannenden Gewichte und der Körpermasse der Hämmer, denn um die Schwingungszahl zu verdoppeln, zu verdreifachen und zu vervierfachen, müssten die zu spannenden Gewichte auf das 4-, 9-, und 16-fache erhöht werden.107 Offenbar baut die Legende auf einem noch älteren Mythos auf, der den phrygischen Daktylen die Rolle der Erfinder der Schmiedekunst und zugleich der Musik zuweist.108 Noch zu Zarlinos Zeiten war die physikalische Unrichtigkeit des pythagoreischen Experiments nicht erwiesen.109 Dass die Richtigkeit niemand in Zweifel zog, hing paradoxerweise damit zusammen, dass ein ähnliches Experiment die Kernthese der Legende empirisch bestätigt: Nicht für die Spannkraft der Saiten, sondern für ihre Länge gelten die Rationen der Grundkonsonanzen. Das lässt sich mit Hilfe des Monochords nachweisen. Möglicherweise hat es bereits Pythagoras verwendet. 106  Gioseffo Zarlino, Theorie des Tonsystems. Das erste und zweite Buch der Istitutioni harmoniche (1573), übers. von Michael Fend, Frankfurt am Main 1989, 1. Teil, 1. Kapitel (S. 8 f.). 107  Barbara Münxelhaus, Pythagoras musicus. Zur Rezeption der pythagoreischen Musiktheorie als quadrivialer Wissenschaft im lateinischen Mittelalter, Bonn 1976, S. 37. 108  Walter Burkert, Weisheit und Wissenschaft. Studien zu Pythagoras, Philolaos und Platon, Nürnberg 1962, S. 355; Barbara Münxelhaus, Pythagoras musicus. Zur Rezeption der pythagoreischen Musiktheorie als quadrivialer Wissenschaft im lateinischen Mittelalter, Bonn 1976, S. 38 f. 109  Zweifel in anderer Hinsicht artikuliert allerdings auch Zarlino: Gioseffo Zarlino, Theorie des Tonsystems. Das erste und zweite Buch der Istitutioni harmoniche (1573), übers. von Michael Fend, Frankfurt am Main 1989, 2. Teil, 3. Kapitel (S. 189).



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Abb. 22

Bei dem Monochord (Abb. 22) handelt es sich um einen in der Regel etwa ein Meter langen rechteckigen Resonanzkasten, über dessen ganze Länge eine Saite gespannt ist, die zur Klangerzeugung – beispielsweise durch Dreiteilung (2 + 1), Fünfteilung (3 + 2) oder Siebenteilung (4 + 3) – verkürzt und deren Teilabschnitte mit einem Finger oder Plektrum angezupft werden. Eine auf dem Resonanzkasten aufgetragene Skala der Verkürzungen hilft dabei, die Teilungspunkte sofort zu bestimmen. Die Bauart des Instruments variiert allerdings stark. Auch mehrsaitige Monochorde sind seit der Antike in Gebrauch.110 Die seit Euklid belegte Bezeichnung kanón („Regel, Norm, Maßstab“) zeigt an, welche Bedeutung dem Monochord als Messinstrument im Altertum zukam. Im Mittelalter fand es Verwendung zum einen in der musiktheoretischen Lehre – zur Demonstration von Intervallen, Konsonanzen und 110  Marianne Bröcker, Art. Monochord, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Aufl., Bd. 6, Kassel 1997, Sp. 456– 466, 456 f., 461.

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Zweiter Teil: Regulative Sinnbilder

Tonarten – zum anderen in der Praxis als Hilfsmittel zur Gehörbildung und Intonationshilfe für den Gesangsunterricht. Seit dem Spätmittelalter traten zunehmend andere Instrumente in Konkurrenz zum Monochord, doch behielt dieses weiterhin einen Platz im Schul- und Universitätsunterricht.111 Mit dem Monochord kamen in der Vormoderne demnach nicht nur professionelle Musiker in Berührung. Es diente im weitesten Sinne der ästhetischen Allgemeinbildung und vermittelte in dieser Funktion eine so schlichte wie wichtige Botschaft: Auch komplexe Objektbeziehungen und Teilungsverhältnisse (1:2; 2:3; 3:4)  – jenseits der symmetrischen Gleichheit  – können anziehend und reizvoll – „schön“ – sein. Damit stand ein ästhetisches Gegenmodell zum Diktat des aristotelischen Ebenmaßes zur Verfügung, das es ermöglichte, eine pragmatische Herrschaftspraxis positiv zu bewerten und „gute Regierung“ als die Kunst zu definieren, gelegentlich von der Regel abzuweichen, an sich rechtskräftige Normen zuweilen nicht anzuwenden und mehr als nur einen Maßstab bei der Verteilung öffentlicher Güter zuzulassen. Genau das tat Bodin. Für ihn gab es durchaus so etwas wie ein objektiv richtiges Maß, aber es bedurfte nach dem Vorbild des Pythagoras einiger Nachforschungen um es zu bestimmen, um es aus der Vielfalt der Reize „herauszuhören“. Die Hinwendung zur elastischeren pythagoreischen Ästhetik bewirkte ferner, dass Bodin sich nicht nur – wie Aristoteles – für den Modus, sondern auch für das Resultat der staatlichen Distribution und Sanktion interessierte. So formulierte er – wenngleich eher beiläufig – den Grundsatz, dass das Bemühen um den richtigen „Verteilungsschlüssel“ nicht zu einem falschen oder gar absurden Ergebnis führen dürfe (daher sei beispielsweise die durch die physische Belastbarkeit des Menschen bedingte absolute Obergrenze bei der Zuteilung von Peitschenhieben, wie sie die Bibel kenne, gerechtfertigt). Bodins „akustisches Denken“ gründete sich indes wohl nicht nur und vielleicht noch nicht einmal in erster Linie auf seine Erfahrung mit der vergeistigten quadrivialen Tonwissenschaft. Natürlich schickte es sich in einem gelehrten Traktat, sich auf diese Tradition zu berufen. Doch ab und an gehen dem Franzosen die Zügel durch. Voller Begeisterung spricht er dann verräterisch von einer harmonie melodieuese oder ganz allgemein von der bonne musique,112 Ausdrücke, die sich auf die Musikpraxis – auf intensive Klangerlebnisse bei Instrumental- und Gesangdarbietungen – beziehen. Dass ein in der Regierungszeit Franz I. geborener und aufgewachsener 111  Marianne Bröcker, Art. Monochord, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Aufl., Bd. 6, Kassel 1997, Sp. 456– 466, 462; Michael Steinberg, Art. Monochord, in: The New Grove dictionary of music and musicians, Bd. 17, 2. Aufl., London 2001, S. 2–4, 4. 112  Vgl. Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1050, 1058).



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Bürger von Angers, der später als königlicher Berater und Anwalt am Parlament von Paris tätig war,113 von der sehr lebendigen Musikkultur der französischen Renaissance keine Anregung empfangen haben sollte, wäre auch sehr verwunderlich.114 Bodin lebte in einer Zeit, in der sich der Status der Musik fundamental wandelte (oder sich gerade gewandelt hatte) und diese im europäischen Bewusstsein zur künstlerischen Ausdrucksform par excellence aufstieg.115 „By the mid-16th century,“ schreibt Lockwood, „then, music had shed its former theoretical status as a pure science of relationships, in the medieval sense, and had settled into the European consciousness as a form of expression closely allied to poetry and religion and suitable for ritual and festive occasions, and as a form of pleasurable lei­sure activity normally carried on in the home or academy.“116 Ein Motor dieses Wandels war die Verbreitung musikalischer Werke mit Hilfe der Druckerpresse seit 1500.117 Auf die Weise konnte sich zumindest das Bürgertum in den Städten musikalische Grundkenntnisse aneignen. „En mettant à la disposition d’une importante fraction de la société des chansons ainsi que tout un répertoire instrumental, l’imprimerie musicale joua un rôle moteur dans le développement de la pratique individuelle ou en petite groupe.“118 Musizieren im privaten Kreis, wie auf dem zeitgenössischen Gemälde zu sehen, das eine musikalische Darbietung – nach gedruckten Noten – vor den Toren von Paris zeigt (Abb. 23), wurde zum Bildungserlebnis eigener Art. Frankreich stand an der Spitze des Fortschritts. Zwar erschien die erste gedruckte musikalische Sammlung 1501 in Venedig – bei Ottaviano Petrucci – doch entwickelte sich seit der Privilegierung durch Franz I. im Jahre 1529 das Atelier von Pierre Attaingnant119 zu dem führenden Verlagshaus für musikalische Druckerzeugnisse in Europa.120 Zwischen 1528 und 1549 edierte Attaingnant nahezu zweitausend Chansons 113  Zu den Einzelheiten vgl. den biographischen Überblick bei Simone GoyardFabre, Jean Bodin et le droit de la république, Paris 1989, S. 9–40. 114  Zur höfischen Musikkultur in der späten französischen Renaissance Jeanice Brooks, Courtly Song in Late Sixteenth-Century France, Chicago 2000, S. 31–49. 115  Reinhard Strohm, The rise of European Music 1380–1500, Cambridge 1993, S. 2. 116  Lewis Lockwood, Art. Renaissance, in: The New Grove dictionary of music and musicians, Bd. 21, 2. Aufl., London 2001, S. 179–186, 182. 117  Allan W. Atlas, Renaissance Music. Music in Western Europe 1400–1600, New York 1998, S. 457–472. 118  Christelle Cazaux, La musique à la cour de François 1er, Paris 2002, S. 35. 119  Zu ihm Daniel Heartz, Pierre Attaingnant. Royal Printer of Music, Berkeley 1969. Zum Musik-Buchdruck in Lyon Frank Dobbins, Music in Renaissance Lyons, Oxford 1992, S. 134–172. 120  Vgl. Christelle Cazaux, La musique à la cour de François 1er, Paris 2002, S. 33; Allan W. Atlas, Renaissance Music. Music in Western Europe 1400–1600, New York 1998, S. 456–460.

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Zweiter Teil: Regulative Sinnbilder

Abb. 23

(Abb. 24). Die von Attaingnant gedruckten „Pariser“ Chansons erfreuten sich in ganz Europa großer Beliebtheit und waren alles andere als ein lokales Genre.121 In unseren Tagen, heißt es in Tielman Susatos „Premier livre des chansons a deux ou a troix parties“ von 1544, erlernen und praktizieren immer mehr Menschen die noble Wissenschaft der Musik, anstatt die Zeit mit nutzlosen Dingen zu vergeuden. Das Buch wolle die vielen wissbegierigen Amateure bei ihren Bemühungen unterstützen.122 Dass das Thema bonne musique im 16. Jahrhundert in aller Munde war, hing auch mit der Musik selbst und nicht nur mit der Verbreitung des Buchdrucks zusammen. In der Renaissance stand die für die europäische Musikkultur charakteristische komplexe Mehrstimmigkeit erstmals in voller 121  Howard M. Brown/Louise K. Stein, Music in the Renaissance, 2. Aufl., Upper Saddle River 1999, S. 191; Donald Jay Grout/Claude V. Palisca, A History of Western Music, 4. Aufl., New York 1988, S. 250. 122  Nach Allan W. Atlas, Renaissance Music. Music in Western Europe 1400– 1600, New York 1998, S. 465.



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Abb. 24

Blüte.123 „Keine andere Musikkultur der Welt hat ein so komplexes System entwickelt, das ein gleichzeitiges Auftreten von mehr oder weniger selbständig agierenden Melodien regelt.“124 Die außereuropäische Musik ist hingegen oft nur einstimmig. Das Gleiche galt für die europäische Musik der Antike. Die Mehrstimmigkeit als solche ist freilich keine Erfindung des 15. oder 16. Jahrhunderts. Bereits in den beiden vorangegangenen Jahrhunderten wurden mehrstimmige Stücke komponiert und aufgeführt, etwa die Werke der „Schule von Notre-Dame“ und der „Ars antiqua“. Trotzdem spricht einiges dafür, dass – auch nach dem Urteil der Zeitgenossen – im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts ein neues Zeitalter der polyphonen Musik anbrach.125 Johannes Tinctoris, Musiktheoretiker und Komponist im Dienste König Ferrantes von Neapel bemerkte 1477 in der Einleitung zu seinem „Liber de arte contrapuncti“, dass nach Meinung der Kenner keine schätzenswerte Komposition existiere, die nicht während der letzten vierzig Jahre entstanden sei – so unglaublich sich das anhöre. 123  Reinhard

S.  2 f.

Strohm, The rise of European Music 1380–1500, Cambridge 1993,

124  Herbert Bruhn, Mehrstimmigkeit und Harmonie, in: Thomas H. Stoffer / Rolf Oerter (Hrsg.), Allgemeine Musikpsychologie, Göttingen 2005, S. 403–449, 405. 125  Vgl. Reinhard Strohm, The rise of European Music 1380–1500, Cambridge 1993, S. 3.

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Zweiter Teil: Regulative Sinnbilder

Als Meister des neuen Stils erwähnt Tinctoris den Engländer John Dunstable sowie Guillaume Dufay und Gilles Binchois.126 Der Diplomat und Dichter Martin le Franc hatte bereits 1441 in dem Gedicht „Le champion des dames“ emphatisch die Qualitäten der contenance angloise gepriesen, wie er die aus England stammende Musik mit ihrem warmen, vollen, fröhlichen (joyeux et notable) Klang nannte.127 Die Eleganz und Süße der polyphonen contenance angloise weckte auf dem Kontinent das Interesse für mehrstimmiges Musizieren – und bald erlernte und praktizierte man diese Kunst in ganz Europa. So groß war die Anziehungskraft, dass selbst Leonardo da Vinci, der immer wieder den Vorrang der Malerei vor allen anderen Künsten betonte, nicht umhin kam, die Vortrefflichkeit mehrstimmiger Musik zu loben und die Vielheit der Sinnesreize – also eine genuin musikalisch-polyphone Kategorie – als ein künstlerisches Qualitätsmerkmal zu akzeptieren. Neben der Musik genüge nur die Malerei diesen Anforderungen.128 Doch nicht alle waren von Güte und Wert der polyphonen Musik überzeugt. Humanisten wie Erasmus hielten sie sogar für schädlich und gefährlich. Als jener im Rückblick auf seinen langjährigen Englandaufenthalt in den 1519 publizierten „Annotationes“ auf die Musik zu sprechen kommt, findet er wenig lobende Worte. Die englischen Mönche seien von morgens bis abends nur mit Gesangübungen beschäftigt und glaubten allen Ernstes, 126  „Neque, quod satis admirari nequeo, quippiam compositum nisi citra annos quadraginta extat, quod auditu dignum ab eruditis existimetur; hac vero tempestate, ut praeteream innumeros concentores venustissime pronuntiantes, nescio an virtute cujusdam coelestis influxus, an vehementia assiduae exercitationis infiniti florent compositores, ut Joannes Okeghem, Joannes Regis, Anthonius Busnois, Firminus Caron, Guillermus Faugues, qui novissimis temporibus vita functos Joannem Dunstaple, Egidium Binchois, Guillermum Dufay se praeceptores habuisse in hac arte divina gloriantur“ – Johannes Tinctoris, Liber de arte contrapuncti, in: Scriptorum de musica medii aevi nova series a Gerbertina altera, hrsg. von Edmond de Coussemaker, Bd. 4, Paris 1876, Prologus (S. 77). 127  Howard M. Brown/Louise K. Stein, Music in the Renaissance, 2. Aufl., Upper Saddle River 1999, S. 7 f. Vgl. auch Allan W. Atlas, Renaissance Music. Music in Western Europe 1400–1600, New York 1998, S. 3 f.; Knud Jeppsen, The Style of Palestrina and the Dissonance, New York 1970, S. 221 f. 128  „Die Musik schafft in ihrem harmonischen Zusammenklang … die süßen Melodien, die sich aus verschiedenen Stimmen zusammensetzen, während dem Dichter dieser Zusammenklang fehlt. Und obschon die Dichtung gleich der Musik über das Gehör zum Urteilsvermögen gelangt, kann der Dichter doch nicht dasselbe hervorbringen wie die Harmonie der Musik, denn es fehlt ihm die Fähigkeit, zur gleichen Zeit verschiedene Dinge zu sagen, wie es die harmonischen Proportionen der Malerei vermögen, die gleichzeitig aus mannigfachen Gliedern zusammengesetzt ist“ – Leonardo da Vinci, C.U. fol. 18r.-19r. (Biblioteca Vaticana), in: Leonardo da Vinci, Sämtliche Gemälde und die Schriften zur Malerei, hrsg. von André Chastel, übers. von Marianne Schneider, München 1990, S. 143.



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Gott mit ihrem Gewieher zu gefallen („Haec adeo placent, ut monachi nihil aliud agant, praesertim apud Britannos, & quorum cantus debuit esse luctus, hi lasciuis hinnitibus, & mobili gutture deum placari credunt“).129 Für einen ordentlichen Gottesdienst und literarische Studien bleibe unter diesen Umständen keine Zeit mehr („Atque his rebus occupati, nec attingunt bonas literas, nec audiunt quibus in rebus sita sit uera religio“).130 Ähnlich abfällig hatte sich bereits 1494 Paulus Niavis in seinen „Epistole longiores“ geäußert. Auch ihm erschien die polyphone Musikpraxis zu mühsam, zu zeitaufwendig, zu anspruchsvoll in Anbetracht des geringen Nutzens („Nam multum laboris habet, lucri uero parum aut nihil“). Selbst den in der Kunst Erfahrenen bereite eine Aufführung regelmäßig große Probleme („At uideo certe quod multi in hac disciplina educati magna ipsi difficultate modula­ tionem huiusmodi perficiunt“).131 Als besonders störend empfanden die Kritiker ferner, dass aufgrund der vielen Stimmen niemand mehr den Text verstand. Wie Battista Poggio überliefert, soll Kardinal Domenico Capranica die Sänger Papst N ­ ikolaus V. mit einem Sack voll Ferkel verglichen haben: Nichts als unverständ­lichen Lärm sei zu vernehmen („… respondit sacculum sibi porcellis p ­lenum ­videri, audiri namque clamantium strepitum, sed nihil ex eo percipi“).132 Noch hundert Jahre später beschwerte sich Bernadino Cirillo über die Inkohärenz der Stimmen und Texte: „Die heutigen Musiker setzen ihre ganze Seligkeit darein, die Sänger an die Fuge zu binden, und dass zur nämlichen Zeit während einer Sanctus sagt, der andere Sabaoth, wieder ein anderer das Gloria tua mit einigem Heulen, Brüllen, Gurgeln dermaßen schreit, dass sie sämtlich eher Katzen im Monat Januar, als Maiblumen gleichen möchten.“133 Trotz solcher drastischer Vergleiche konnten die Kritiker sich letztlich nicht durchsetzen. Immerhin gelang es ihnen, eine lebhafte Debatte über den Wert der Musik im Allgemeinen und ihre „richtige“ Beschaffenheit im Besonderen anzustoßen. Sich über musikalische Themen auszutauschen und sie engagiert zu diskutieren, gehörte von nun an zum guten Ton in den besseren Kreisen. Das zeigt sich unter anderem in Castigliones „Libro del 129  Nach Rob C. Wegman, The Crisis of 1530, New York 2008, S. 109. 130  Nach Rob C. Wegman, The Crisis of 1530, New York 2008, S. 109. 131  Nach Rob C. Wegman, The Crisis of 1530, New York 2008, S. 11. 132  Nach Rob C. Wegman, The Crisis of 1530, New York 2008, S. 24. 133  Nach Franz Sales Kandler, Über das da Palestrina, Leipzig 1834, S. 19.

Music in Early Modern Europe 1470– Music in Early Modern Europe 1470– Music in Early Modern Europe 1470– Music in Early Modern Europe 1470– Leben und die Werke des G. Pierluigi

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cortegiano“ von 1528, dessen Dialoge das Interesse der höfischen Gesellschaft an der Musik und ihrer Wirkung spiegeln.134 Ein zentrales Thema der polyphonen Musikpraxis und -theorie jener Tage war die Relation zwischen Konsonanzen und Dissonanzen. Das lag in der Natur der Sache. „Dass dem Phänomen der Konsonanz in der abendländischen Musik eine so große Bedeutung zukommt, liegt an der ausgeprägten Mehrstimmigkeit: Das Verhältnis gleichzeitig klingender Töne wurde dadurch zum Hauptproblem der Musiktheorie.“135 Anders als der quadrivialen Tonwissenschaft ging es den neueren, auch kompositorisch tätigen Musiktheoretikern nicht nur um die Bestimmung von Konsonanzen und Dissonanzen, sondern auch um deren korrekte Verwendung in einem musikalischen Arrangement. Nach dem traditionellen Modell Jeppesens sind historisch drei Phasen der Dissonanzbehandlung zu unterscheiden:136 Zu Beginn – etwa bis 1400 – billigte man der Dissonanz keine eigenständige Bedeutung zu und bewertete sie entschieden negativ, obwohl gerade in dieser ersten Phase es der Praxis aufgrund technischer Unzulänglichkeiten sehr schwer fiel, dissonante Klänge zu vermeiden.137 „Während der frühen Jahre spielten … Dissonanzen an und für sich keine Rolle, sondern wurden für übelklingend und unklar erklärt und infolgedessen auch möglichst von betonten Taktteilen ferngehalten, ohne übrigens bestimmten Regeln unterworfen zu sein.“138 In der zweiten Phase  – in dem Zeitraum zwischen 1400 und 1600  – werden Dissonanzen um ihrer selbst willen erstrebt und als Kontrastmittel zur Konsonanz verwendet. Um 1600 erfuhr die Dissonanz eine erneute Aufwertung, dergestalt, dass sie nunmehr einen inhaltlichen Zweck erfüllte, namentlich dazu diente, besonders intensive Emotionen darzustellen.139 134  Rob C. Wegman, The Crisis of Music in Early Modern Europe 1470–1530, New York 2008, S. 88 f., 167 f. Vgl. auch James Haar, The Courtier as Musician: Castiglione’s View of the Science and Art of Music, in: ders., The Science and Art of Renaissance Music, hrsg. von Paul Corneilson, Princeton 1998, S. 20–37. 135  Martin Ebeling, Konsonanz und Dissonanz, in: Herbert Bruhn/Reinhard Kopiez/Andreas C. Lehmann (Hrsg.), Musikpsychologie. Das neue Handbuch, Hamburg 2008, S. 499–521, 518. 136  Knud Jeppesen, The Style of Palestrina and the Dissonance, 2. Aufl., New York 1970, S. 94 f. Teilweise kritisch Carl Dahlhaus, Untersuchungen über die Entstehung der harmonischen Tonalität, 2. Aufl., Kassel 1988, S. 111–125. Zur Geschichte des Konsonanz- bzw. Dissonanzbegriffs vgl. auch James Tenney, A History of ‚Consonance‘ and ‚Dissonance‘, New York 1988. 137  Knud Jeppesen, The Style of Palestrina and the Dissonance, 2. Aufl., New York 1970, S. 94–99. 138  Knud Jeppesen, Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie, 10. Aufl., Wiesbaden 1980, S. 10. 139  Knud Jeppesen, The Style of Palestrina and the Dissonance, 2. Aufl., New York 1970, S. 95.



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Diese schematische Dreiteilung wird der geschichtlichen Vielfalt der Meinungen vermutlich nicht gerecht, doch kommt es vorliegend nicht so sehr auf die Details an. In der „zweiten Phase“, die uns vor allem interessiert, ist tatsächlich das Wissen um den Eigenwert der Dissonanz nachweisbar. Den später kanonischen Grundsatz, dass die Konsonanz ihren Wohlklang dem Kontrast zur Dissonanz verdanke, formulierte vermutlich erstmals Guilelmus Monachus in seinem Traktat „De praeceptis artis musice et practice compendiosus libellus“: „Obwohl wir nur zwölf Konsonanzen (sowohl vollkommene, als auch unvollkommene) aufgezählt haben, hindert uns nichts daran, im Einverständnis mit Sitte und Brauch der neuesten Zeit, auch Dissonanzen zu verwenden, so z. B. die Sekunde, die der tiefen Terz Süße gibt, oder der Septime, die der Sexte, die Quarte, die der hohen Terz, und diese letzte wiederum, dem neuen Verfahren gemäß der Quinte Süße verleiht.“140 Jeppesen betont die hohe psychologische Bedeutung, die Monachus der Dissonanz als Kontrastmittel zumaß. Monachus’ Bemerkung zur „Süße“ der Sekunde deute darauf hin, „dass die damaligen Menschen die Synkopendissonanz genauso hörten, wie wir sie heute hören, nämlich als bewusste Hervorhebung von Dissonanz in ästhetisch betontem Gegensatz zur Konsonanz, also nicht als etwas, das man möglichst umgehen oder abdämpfen soll, sondern als eine Wirkung, die an sich von hohem Wert ist und nicht durch andere ersetzt werden kann.“141 Von der zunehmenden Bereitschaft, die Dissonanz als Kontrastmittel anzuerkennen, berichtet auch Tinctoris im „Liber de arte contrapuncti“: „Et nonnulli sunt qui talis integrae discordantiae admissionem probant, eo quod concordantia immediate sequens suavior appareat, ut enim natura praescriptum est opposita juxta se posita magis elucescunt.“142 Tinctoris selbst äußerte sich allerdings kritisch und empfahl einen sehr sparsamen Gebrauch von Dissonanzen. Immerhin hatte auch er in dem einen oder anderen Fall keine Einwände: „Verumtamen modis aliquando praedictis discordantiae parvae a musicis sicut figurae rationabiles a grammaticis ornatus necessitatisve causa assumi permittuntur.“143 Im späten 16. Jahrhundert war es Zarlinos Meisterwerk „Istitutioni harmoniche“, das bestimmte, in welchem Verhältnis Konsonanzen und Disso140  Nach Knud Jeppesen, Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie, 10. Aufl., Wiesbaden 1980, S. 11. 141  Knud Jeppesen, Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie, 10. Aufl., Wiesbaden 1980, S. 11. 142  Johannes Tinctoris, Liber de arte contrapuncti, in: Scriptorum de musica medii aevi nova series a Gerbertina altera, hrsg. von Edmond de Coussemaker, Bd. 4, Paris 1876, L. 2 c. 30 (S. 144). 143  Johannes Tinctoris, Liber de arte contrapuncti, in: Scriptorum de musica medii aevi nova series a Gerbertina altera, hrsg. von Edmond de Coussemaker, Bd. 4, Paris 1876, L. 2 c. 31 (S. 144).

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nanzen idealiter zueinander stehen. Bemerkenswert ist zunächst, dass Zarlino sehr hart mit der Musik der Antike ins Gericht geht. Vor allem missbilligt er die Armut an Konsonanzen, das Unvermögen, ungeachtet empirischen Evidenz neben den „vollkommenen“ auch die „unvollkommenen“ Konsonanzen anzuerkennen. „Und wenn jemand“, schreibt er, „von der wahrlich großen Autorität der Alten mehr beeinflusst als von seinem eigenen Verstand, zu der Auffassung käme, dass man außer den besagten vollkommenen Konsonanzen keine andere entdecken könne, so darf ich versichern, dass eine derartige Meinung falsch ist. Denn sie widerspricht der sinnlichen Wahrnehmung in der all unsere Erkenntnis ihren Ursprung hat. Niemand wird vernünftigerweise leugnen, dass man außer den genannten vollkommenen Konsonanzen noch die unvollkommenen findet, die für all jene sehr angenehm, liebreich, klingend, süß und schön sind, deren Gehör – soweit man das sagen kann – nicht verdorben ist.“144 Der Erweiterung und Diversifizierung des Klangspektrums auf der Grundlage eigener Erfahrung dient auch das Einbeziehen der Dissonanz in das kompositorische Gesamtgefüge. Kein anderer Autor hat die anregende Kontrastwirkung der Dissonanz so eindringlich beschrieben wie Zarlino: „Obwohl man jede Komposition, jeden Kontrapunkt, ja mit einem Wort, jede Harmonie hauptsächlich und in erster Linie aus Konsonanzen zusammensetzt, benutzt man nichtsdestoweniger, um Schönheit und Ausschmückung zu fördern, gleichzeitig völlig sekundär und gelegentlich (per accidente) auch Dissonanzen, die, obgleich sie ziemlich unangenehm klingen, solange sie allein stehen, nicht nur erträglich sind, sondern das Ohr geradezu erquicken und erfreuen, wenn sie in passender und gesetzmäßiger Weise eingeflochten werden. Diese Dissonanzen erschließen dem Musiker unter anderem zwei vorteilhafte Möglichkeiten von bedeutendem Wert, fürs erste nämlich die, dass man mit Hilfe einer Dissonanz von der einen Konsonanz zur anderen Schreiten kann; der zweite Vorteil besteht darin, dass Dissonanzen die angenehme Wirkung der unmittelbar auf sie folgenden Konsonanz erhöhen, so dass das Ohr sie mit um so größerer Lust erfasst und erkennt, wie das Licht dem Auge ungleich angenehmer und lieblicher ist, wenn es dem Dunkel folgt, und wie das Milde nach dem Bitteren um so wohltuender und süßer erscheint. Unsere Erfahrung lehrt uns, dass das durch die Dissonanz verletzte Ohr die unmittelbar nachfolgende Konsonanz um so reizvoller und schöner findet … Kompositionen, die ausschließlich aus Konsonanzen zusammengesetzt sind, mögen an und für sich gut klingen und von schöner Wirkung sein; dennoch haftet ihnen sowohl in Singstimmen, als auch in Harmonien etwas Unvollkommenes an, weil ihnen der Reiz (oder die Abwechslung) fehlt.“145 144  Gioseffo Zarlino, Theorie des Tonsystems. Das erste und zweite Buch der Istitutioni harmoniche (1573), übers. von Michael Fend, Frankfurt am Main 1989, 2. Teil, 1. Kapitel (S. 184). 145  Nach Knud Jeppesen, Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie, 10. Aufl., Wiesbaden 1980, S. 21. Vgl. Gioseffo Zarlino, Theorie des Tonsystems. Das erste und zweite Buch der Istitutioni harmoniche (1573), übers. von



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Das also sind die – sehr belastbaren – ästhetischen Fundamente, auf denen Bodin seine „harmonische“ Gerechtigkeits- und Staatslehre errichtet. Zarlinos „Istitutioni harmoniche“ stammen aus dem Jahr 1558, eine erweiterte Neuauflage erschien 1573, drei Jahre vor Fertigstellung der „Six Livres de la République“. Aber es bedarf dieses Hinweises auf eine zeitliche Koinzidenz im Grunde gar nicht, denn Bodin selbst bekennt sich offen zu den Lehrsätzen der zeitgenössischen Musiktheorie – sowohl in der „République“ als auch in seiner Schrift „Colloquium heptaplomeres de rerum sublimium arcanis abditis“.146 Für einen französischen Rechtsgelehrten schien das damals nicht ungewöhnlich oder unschicklich. Bodins Kollege Pierre Grégoire (Petrus Gregorius Tholosanus), Anwalt und Professor in Cahors, später in Toulouse, beschrieb in seinen „Syntaxes artis mirabilis“ von 1576 ausführlich Wesen und Gebrauch der Konsonanzen (Cap. XIV De concordantia & discordantia; Cap. XV Quadam axiomata compendarum modulationum).147 Auch Tinctoris, der große Musikschriftsteller und Komponist des 15. Jahrhunderts, war offenbar Jurist, jedenfalls weist ihn sein „Liber de arte contrapuncti“ als einen solchen aus.148 „Es lässt sich ja“, schreibt Bodin, „auch keine so gute Musik machen, wenn es nicht auch den einen oder anderen Misston gibt, der unbedingt dazwischengestreut gehört, um den wohlklingenden Akkorden noch größere Anmut zu verleihen. Ein guter Komponist bedient sich dieses Mittels, um den Zweiklang von Quart, Quint und Oktave noch gefälliger zu gestalten und lässt ihnen dazu einen gewissen Misston vorausgehen, der den erwähnten Zweiklängen [erst recht] hinreißenden Liebreiz verleiht“149 („Et tout ainsi qu’il ne se peut faire si bonne musique, où il n’y ait quelque discord, qu’il faut par necesité entremesler, pour donner plus de grace aux bons accords: ce que fait le bon musicien pour rendre la consonance de Michael Fend, Frankfurt am Main 1989, 2. Teil, 12. Kapitel (S. 245): „Eine solche Harmonie entsteht nicht nur aus Konsonanzen, sondern auch aus Dissonanzen. Denn gute Musiker verwenden all ihre Mühe darauf, die Dissonanzen auf die Harmonien abzustimmen, so dass sie mit wunderbarer Wirkung zusammenklingen.“ 146  Ob Bodin tatsächlich das „Colloquium“ verfasst hat, ist allerdings nicht zweifelsfrei geklärt – vgl. Noel Malcolm, Jean Bodin and the autorship of the Colloquium Heptaplomeres, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 69 (2006), S. 95–150; Karl F. Faltenbacher (Hrsg.), Magie, Religion und Wissenschaften im Colloquium heptaplomeres. Ergebnisse der Tagungen in Paris 1994 und in der Villa Vigoni, Darmstadt 2002. 147  Petrus Gregorius Tholosanus, Syntaxeon [Syntaxes] artis mirabilis, Köln 1610, S. 312 f. 148  Liber de arte contrapuncti a Magistro Johanne Tinctoris, jurisconsulto ac musico serenissimique Regis Siciliae Capellano compositus feliciter incipit. 149  Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, Bd. 2, München 1986, S. 498 f.

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la quarte, de la quinte & de l’octaue, plus aggreable, coulant auparauant quelque discord, qui rend la consonance que l’ay dit donce à merueil­ les“150). Und mit ähnlichen Worten preist das „Colloquium“ den Wohlklang der integrierten Dissonanz: „Quin etiam summa illa suavitas concentus, quam modo avidissime hausimus, non tamen jucunda exstitisset, nisi dissonum aliquid ac durum auribus delicatis musicus artificiosissime prius adhibuisset, quoniam voluptatis ea vis est, ut non modo sine antecedente dolore non percipiatur, verum etiam fastidium pariat, diutius continuata.“151 Nur diese Ästhetik der Dissonanz war im 16. Jahrhundert nach Lage der Dinge dazu imstande, es mit dem Rigorismus mathematischer Denkfiguren – oder ihrer sinnlichen Entsprechungen – aufzunehmen. Aus ihr schöpfte Bodin die Kraft für seine mutige Vision eines offenen, flexiblen – an „arithmetischen“ und „geometrischen“ Maßstäben gemessen – notorisch imperfekten Herrschaftsverbandes, eine Vision, die gewiss den Vorzug hatte, Anspruch und Wirklichkeit miteinander zu versöhnen und der fragilen vormodernen Staatsgewalt aus der Verlegenheit zu helfen, die aber nicht schon deshalb ohne weiteres auf Zuspruch hoffen konnte. Der verführerischen Brillanz einer kompromisslosen Rechtssymmetrie setzte Bodin die reife musikalische Schönheit eines normativen Pragmatismus entgegen. Mit Blick auf Gesetzgebung und Gesetzesanwendung leitete er aus der Dissonanzästhetik eine Präferenz für Ausnahmeregelungen, Typisierungen und situative, punktuelle Normendurchbrechung ab, soweit dadurch die Autorität des Gesetzesbefehls nicht grundsätzlich in Mitleidenschaft gezogen wird. Auf die Staatsorganisation projiziert implizierte die harmonische Vollkommenheit der bonne musique nach Bodins Verständnis das Ideal ­einer partiellen Offenheit aller Institutionen und Ämter für alle Stände und Bevölkerungsgruppen, das Ideal eines maßvoll partizipativen und perme­ ablen Gemeinwesens, in dem sich niemand ausgegrenzt fühlt und dennoch die Konturen einer ständischen Gesellschaftsstruktur sichtbar bleiben.152 Die Attraktivität der harmonischen Staatslehre auch oder gerade für Nichtjuristen manifestiert sich darin, dass es ein Astronom war, der die Lehre Bodins einer umfassenden Prüfung unterzog, sie korrigierte und vollendete: Johannes Kepler, der berühmte Himmelsforscher und Entdecker der 150  Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1057 f.). 151  Colloquium heptaplomeres de rerum sublimium arcanis abditis, hrsg. von Ludwig Noack, Schwerin/Paris/London 1857, S. 114. 152  Besonders deutlich Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1583, 6. Buch, 6. Kapitel (S. 1053 f.).



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nach ihm benannten Gesetze über die Planetenbewegung, widmete dem Thema ein eigenes Kapitel in seiner „Harmonice mundi“ von 1619.153 Kepler bemerkt, dass zu seiner Zeit „oft“ (crebro) die Harmonielehre auf Ethik und Politik übertragen werde, doch hat er vor allem das letzte Kapitel in Bodins „République“ im Visier.154 Was den deutschen Astronomen und den französischen Juristen verbindet, ist das Empfinden für die Schönheit komplexer akustischer Erlebnisse, die sie dem sterilen „geometrischen“ und „arithmetischen“ Ebenmaß vorziehen. Diese gemeinsame Basis rechtfertigt es, Kepler in die Tradition Bodins zu stellen, obwohl der Astronom und Mathematiker kein gutes Haar an Bodins Definition der harmonischen Proportion lässt und auch sonst manche Einwände hat. Kepler legt größten Wert auf die Feststellung, dass alle seine Thesen sich empirisch belegen lassen, „auf der sichersten Erfahrung der Sinne beruhen“. Das unterscheide seine Methode von dem Vorgehen antiker Autoren und ihrer Epigonen. „Denn der Leser sieht ja,“ schreibt Kepler, „dass ich bei Aufstellung von Teilungen dem Urteil des Gehörs gefolgt bin zu einer Zeit, als ich über die Ursachen noch gar nicht im reinen war, und dass ich es nicht gemacht habe wie die Alten, die mit dem Urteil des Gehörs eine Weile mitgingen, dann aber bald diese Führung verschmähend und einer falschen Überlegung folgend den Rest des Weges vollendeten, indem sie gleichsam mit Gewalt die Ohren wegzogen und zum Nichthören zwangen.“155 Dem Urteil des Gehörs widerspreche es, wenn Bodin in Anlehnung an antike Autoritäten die harmonische Proportion als eine Verschmelzung oder Vermischung der geometrischen und der arithmetischen Verhältnissen definiere. Das sei nicht richtig, denn es gebe auch nichtharmonische Zahlen, die in der Weise gemischt seien, so wie umgekehrt harmonische Zahlen, „in denen weder Verhältnisse von gleichen noch solchen von ähnlichen Größen enthalten sind. Ja es gibt sogar harmonische Proportionen, in denen eine einfache geometrische Proportion steckt, wie 1, 2, 4, wenn diese auch identisch sind und allein kein besonderes Wohlgefallen erregen, so dass Bodinus behauptet, dass solche Proportionen aus sich selber keinen Zusammenklang, d. h. keine figurierte Harmonie bewirken.“156 Kurz: Für Kepler ist die har153  Keplers Bodin-Rezeption hat bislang erstaunlich wenig Beachtung gefunden – vgl. aber August Nitschke, Keplers Staats- und Rechtslehre, in: ders., Fremde Wirklichkeiten, Bd. 2: Dynamik der Natur und Bewegungen der Menschen, Goldbach 1995, S. 281–296. 154  Johannes Kepler, Weltharmonik, übers. von Max Caspar, München/Berlin 1939, III. Buch, 3. Kapitel (S. 113). 155  Johannes Kepler, Weltharmonik, übers. von Max Caspar, München/Berlin 1939, III. Buch, 2. Kapitel (S. 112). 156  Johannes Kepler, Weltharmonik, übers. von Max Caspar, München/Berlin 1939, III. Buch, Anhang (S. 177).

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monische Proportion etwas ganz und gar Selbständiges, ein aliud, das über das arithmetische und geometrische Verhältnis hinausweist. Dieses Verständnis der harmonischen Proportion, ihr „Anderssein“, bewirkt, dass Kepler bei der Anwendung derselben „auf Moral und Politik“ (ad Moralia et Politica) andere Akzente setzt als Bodin. Freilich übernimmt er weitgehend dessen Beispiele aus der Verwaltungs- und Rechtspraxis. Auch stimmt er den Lösungen des insoweit fachlich versierteren Franzosen meist zu. Was beide Ansätze voneinander unterscheidet, ist Keplers Bemühen, das Anderssein der harmonischen Ordnung zu benennen und „moralisch-politisch“ zu konkretisieren. Die Essenz, der perspektivische Fixpunkt einer solchen Ordnung sei, befindet Kepler, das Gemeinwohl, das Heil und Glück aller, das „Staatsinteresse“, der öffentliche Vorteil und Nutzen: salus universorum157, commodum publicum158, Reip. salus159, bonum publicum160, salus totius reip.161 Wie Bodin plädiert auch Kepler vehement für eine Berücksichtigung der individuellen Tatumstände und Tatabsichten bei der Strafzumessung. Die Ungleichheit der Bestrafung habe nicht so sehr mit Rücksicht auf die geschädigten Personen zu erfolgen „als vielmehr auf das Wohl des ganzen Staates, der es gestatte, dass alle Feinde des Vaterlandes ungestraft getötet werden, und der in der Unverletzlichkeit des Fürsten und der Optimaten und in der Erhaltung der öffentlichen Ruhe zugleich das Wohl aller Bürger schützt. Schon öfter ist aber ausgesprochen worden, dass das Allgemeinwohl in gewisser Weise dem Wohllaut des harmonischen Zusammenklangs entspricht. Beachtet man dieses eine oberste Gesetz, die Mutter aller Gesetze, dass das als heilig und recht geboten wird, was sich auf das Wohl des Staates bezieht, so erkennt man sogleich eine Ähnlichkeit mit unseren harmonischen Proportionen, wie ich sie nach meiner Überzeugung beschrieben habe, wenn auch dieses Gesetz sonst keinerlei Beziehung zur geometrischen und arithmetischen Proportion enthält. So halten die Zahlen 15, 20, 24, 30, die eine höchst wohlklingende Harmonie ausmachen, weder die eine noch die andere dieser Proportionen ein; denn die Differenzen 5, 157  Johannes Kepler, Harmonice mundi, in: ders., Gesammelte Werke, hrsg. von Max Caspar, München 1940, III. Buch, Anhang (S. 190, 203). 158  Johannes Kepler, Harmonice mundi, in: ders., Gesammelte Werke, hrsg. von Max Caspar, München 1940, III. Buch, Anhang (S. 190). 159  Johannes Kepler, Harmonice mundi, in: ders., Gesammelte Werke, hrsg. von Max Caspar, München 1940, III. Buch, Anhang (S. 195, 203). 160  Johannes Kepler, Harmonice mundi, in: ders., Gesammelte Werke, hrsg. von Max Caspar, München 1940, III. Buch, Anhang (S. 198). 161  Johannes Kepler, Harmonice mundi, in: ders., Gesammelte Werke, hrsg. von Max Caspar, München 1940, III. Buch, Anhang (S. 196).

Bd. 6, Bd. 6, Bd. 6, Bd. 6, Bd. 6,



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4, 6 sind weder gleich, noch in ihrem Verhältnis ähnlich den Proportionen der Glieder der Reihe; sie wachsen auch nicht in derselben Reihenfolge wie diese.“162 Wenn jemand einen Diebstahl begehe, ergänzt Kepler an anderer Stelle, dann könne das viele Ursachen haben. Die Gelegenheit, der Hunger, die Liebe zu den Kindern, das Vertrauen, nicht entdeckt zu werden, die Vermutung fremden Reichtums mache viele Menschen zu Dieben, doch gebe es auch Täter, die – Ratten gleich – allein aus Bösartigkeit und Niedertracht ihr schändliches Gewerbe betrieben. Bedauerlicherweise schere sich der gemeine Stadt- und Landrichter nicht um solche Unterschiede. Er schleppe einfach jeden zum Galgen, der ihm ins Netz gehe, ohne nach den Motiven zu differenzieren. „Hier entspricht sicherlich die Rücksicht auf das Gemeinwohl, wie schon oft gesagt wurde, dem harmonischen Zusammenklang; es kann auch die hier berührte Frage nicht ohne sorgfältigsten harmonischen Ausgleich behandelt werden, damit man nicht, indem man für das Gemeinwohl sorgen will, vielen, die hoffen lassen, später gute Bürger zu werden, wegen dieser Art von Verbrechen blindlings das Leben raubt.“163 Manchmal geht Kepler Bodins „harmonischer“ Pragmatismus etwas zu weit. So findet er wenig Gefallen an der französischen Praxis, dass schlecht alimentierte Richter von den Prozessparteien ein zusätzliches, an sich nicht vorgesehenes Honorar forderten. „Obgleich ich diese harmonische Lösung ihrem französischen Urheber Bodinus zugestehe, so muss ich doch sagen, dass bei uns Deutschen die Gerichte in den wichtigsten Städten und Ländern sich von solchen schmutzigen Geschäften fernhalten und nichts über die gesetzliche Taxe hinaus verlangen dürfen.“164 Solche Seitenhiebe auf den französischen Nachbarn sind bei Kepler jedoch die Ausnahme. Schwerer wiegen die Meinungsunterschiede in institutionellen Fragen. Während Bodin allen öffentlichen Institutionen – auch den unteren Gerichtsinstanzen – empfiehlt, sich am Ideal der harmonischen Gerechtigkeit zu orientieren, möchte Kepler nur der höchste Autorität des Gemeinwesens, dem summus moderator, die Kompetenz zubilligen, nach harmonischen Grundsätzen zu entscheiden und zu richten. Die Judikative solle, wie von Aristoteles gefordert, allein der geometrischen und arithmetischen Gerechtigkeit verpflichtet sein. Das gelte unabhängig davon, ob in dem betreffen162  Johannes 1939, III. Buch, 163  Johannes 1939, III. Buch, 164  Johannes 1939, III. Buch,

Kepler, Anhang Kepler, Anhang Kepler, Anhang

Weltharmonik, übers. von Max Caspar, München/Berlin (S. 185 f.). Weltharmonik, übers. von Max Caspar, München/Berlin (S. 186). Weltharmonik, übers. von Max Caspar, München/Berlin (S. 189).

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den Gemeinwesen ein König, der Adel oder das Volk die Macht innehabe: „Ich würde daher mit Aristoteles die geometrischen und arithmetischen Progressionen an die Rechtspflege verweisen, ohne die harmonischen Zusammenklänge, die ihnen zufällig zukommen, hereinzuziehen. Der Ausgleich nämlich, den Bodinus bisher noch in der Rechtsprechung vermisste, wird schließlich auf die Berufung an den obersten Beherrscher des Staates übertragen. Dieser spricht nicht Recht, wenn er hierbei Proportionen, die Aristoteles den Gerichten und der Rechtspflege zuwies, schmälert; er waltet eines höheren Amtes zum Schutz des Staates und seiner Glieder. Diesem Herrscher, also, mag er ein König, der Adel oder das gesamte Volk sein, würde ich die harmonischen Proportionen anraten, ohne Rücksicht auf die geometrische Analogie oder auf die arithmetische Gleichheit, sondern einzig und allein in Hinsicht auf die Zusammenklänge. Ich würde verlangen, dass jene subtilen Analogien den harmonischen Zusammenklängen, ebenso die starre Ausübung der beiden Seiten der Gerechtigkeit den obersten Gewalten und dem Wohl des Staates nachstehen müssen.“165 Die Einzelheiten dieser Aufgabenteilung lässt Kepler offen. Was dem Astronomen an politischer und juristischer Expertise fehlte, glich er mit seinen stupenden musikalischen Kenntnissen und Erfahrungen aus. Dass Kepler akustische Experimente am Monochord durchführte, steht außer Frage. Er widmet der „harmonische Teilung der Saiten“ sogar ein ganzes Kapitel seiner „Harmonice mundi“.166 Es war also kein leeres Gerede, wenn Kepler die Bedeutung der Empirie für die Theoriebildung hervorhob und immer wieder auf die „sicherste Erfahrung der Sinne“ rekurrierte. Aber auch in der zeitgenössischen Kompositionslehre und -praxis kannte sich der Deutsche aus. Anders als im Falle Bodins sind wir in der glücklichen Lage, Keplers musiktheoretische Lektüre, ja bis zu einem gewissen Grade seine Hörerlebnisse rekonstruieren zu können. Der Fall Kepler lässt Rückschlüsse zu sowohl auf die Intensität musikalischer Exerzitien als auch auf die Verbreitung kompositorischer Kenntnisse unter Nichtmusikern im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. So wie Kepler könnten auch Juristen und Theologen mit politischer und judizieller Verantwortung – die hommes d’État und Stützen des frühneuzeitlichen Staates – mit der musikalischen Praxis und Theorie in Berührung gekommen sein, wenngleich man natürlich regionale, konfessionelle und milieubedingte Unterschiede in Rechnung stellen muss.

165  Johannes 1939, III. Buch, 166  Johannes 1939, III. Buch,

Kepler, Weltharmonik, übers. von Max Caspar, München/Berlin Anhang (S. 192). Kepler, Weltharmonik, übers. von Max Caspar, München/Berlin 2. Kapitel (S. 107–112).



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Kepler, 1571 in Weil der Stadt geboren, war ein Zögling württembergischer Klosterschulen, die begabte Landeskinder auf ihr Studium an der Universität Tübingen vorbereiten sollten. Er besuchte zunächst – seit 1584 – die „grammatische“ Klosterschule von Adelberg. Nach zwei Jahren wechselte er dann auf die „höhere“ Klosterschule in Maulbronn, bis ihn 1589 schließlich das Tübinger Stift aufnahm.167 In den Klosterschulen spielten Musikpflege und theoretischer Musikunterricht eine bedeutende Rolle. Der Kenntnis- und Ausbildungsstand der Schüler und Lehrer war hoch. Neben dem lateinischen Choral und dem einfachen deutschen Kirchenlied gehörte auch die mehrstimmige Figuralmusik zum Unterrichtsstoff.168 Die von Herzog Ludwig 1582 erlassene Schulordnung legte auf die Vermittlung polyphoner Fertigkeiten sogar besonderen Wert: „Demnach das Exercitium musicae in Unsern Klöstern in Gebrauch, sollten der Prälat und die Praeceptores anordnen, dass der Gesang auf das Contrapunctum gerichtet werde, damit es dadurch um so lieblicher und verständlicher sei.“169 Der Tagesablauf für die Klosterschulen sah nach dem Mittagessen „ein pius Hymnus in contrapuncto figuriert“ sowie Singübungen vor. Täglich um 9 Uhr fand ein Exercitium Chori statt, und jeden Samstag stand Musiktheorie nach der „Musica“ des Nikolaus Listenius und Heinrich Fabers „Compendiolum musicae“ auf dem Lehrplan.170 Diese solide württembergische Ausbildung ermöglichte es Kepler später, sich an den großen musiktheoretischen Debatten seiner Zeit zu ergötzen. „Die Kompositionskunst, die musikalische Praxis“, bekennt Kepler, „… ist keineswegs mein Beruf. Diese mag, wer dazu Lust hat, besser aus den Büchern holen, die der obengenannte Artusi und mein ehemaliger Freund Sethus Calvisius über die Kunst der Komposition herausgegeben haben.“171 Sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen und in Bescheidenheit zu üben, war klug, denn Kepler wusste nur zu gut, dass ein heftiger Streit über die richtigen Mittel und Wege in der „Kompositionskunst“ tobte, den zu schlichten er nicht berufen war. Die von Kepler als Gewährsmänner ange167  Michael Dickreiter, Der Musiktheoretiker Johannes Kepler, Bern/München 1973, S. 123 f. 168  Michael Dickreiter, Der Musiktheoretiker Johannes Kepler, Bern/München 1973, S. 124. 169  Gustav Lang, Geschichte der württembergischen Klosterschulen von ihrer Stiftung bis zu ihrer endgültigen Verwandlung in evangelisch-theologische Seminare, Stuttgart 1938, S. 354. 170  Gustav Lang, Geschichte der württembergischen Klosterschulen von ihrer Stiftung bis zu ihrer endgültigen Verwandlung in evangelisch-theologische Seminare, Stuttgart 1938, S. 355 f. 171  Johannes Kepler, Weltharmonik, übers. von Max Caspar, München/Berlin 1939, III. Buch, 16. Kapitel (S. 175).

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führten Gelehrten, Sethus Calvisius und Giovanni Maria Artusi, repräsentierten die traditionelle Lehre und verstanden sich als Erben des großen Zarlino. Mit Calvisius war Kepler, wie er beiläufig erwähnt, eine Zeit lang befreundet. Von diesem persönlich erhielt er wohl auch dessen „Μελοποιία, sive melodiae condendae ratio, quam vulgo musicam poeticam vocant“ (1592), ein Kompendium, das Zarlinos „Institutioni harmoniche“ für den praktischen Unterricht zugänglich macht.172 Der andere Autor, den Kepler nennt, Giovanni Maria Artusi, war ein noch treuerer Anhänger und Schüler Zarlinos. In der Musikgeschichte Berühmtheit erlangt hat die Kontroverse zwischen ihm und Monteverdi.173 In der Streitschrift „L’Artusi, overo Delle imperfettioni della moderna musica“ (1600) warf Artusi dem Neuerer Monteverdi Verrat an den Idealen der bewährten Kontrapunktlehre vor. In der Artusi-Monteverdi-Kontroverse spielte auch die korrekte Verwendung von Dissonanzen eine Rolle, doch war Artusi durchaus bereit, die seit Zarlinos Zeiten noch einmal gewachsene Bedeutung der Dissonanz als Stilmittel und Ausdrucksform anzuerkennen.174 Kepler erwähnt in einem Brief, Artusis Streitschrift erhalten (aber noch nicht gelesen) zu haben: „Habeo et Artusij Italj discursus Italicos de imperfectione hodiernae Musicae“.175 Offenkundig versuchte der viel beschäftigte Astronom und Mathematiker sich – so gut es eben ging – auch in der ars compositoria auf dem Laufenden zu halten. Besonders angetan war Kepler von Vincenzo Galileis „Dialogo della musica antica et della moderna (1582 / 1602). Der Autor  – Vater Galileo Galileis  – zählte wie Monteverdi zu den Vertretern eines neuen Stils, der das Barockzeitalter einleitete. Der eher konservative Kepler war nicht mit allem einverstanden, was Vincenzo Galilei schrieb, doch das hielt den Schwaben nicht davon ab, sich in Galileis Buch mit Freude und größtem Interesse zu vertiefen. Es gehörte sogar zu Keplers Reiselektüre, wie er berichtet: „So reiste ich denn im Oktober mit meiner Tochter die Donau hinauf; bis Regensburg ging es sehr langsam. Da ich das im voraus wusste, nahm ich mir einen gefälligen Begleiter für meine Studien mit, ein italienisches Buch des Vinzenz Galilei über die 172  Michael Dickreiter, Der Musiktheoretiker Johannes Kepler, Bern/München 1973, S. 142. 173  Dazu Gary Tomlinson, Monteverdi and the End of the Renaissance, Oxford 1987, S. 21–30; Claude V. Palisca, The Artusi-Monteverdi Controversy, in: Denis Arnold/Nigel Fortune (Hrsg.), The New Monteverdi Companion, London 1985, S. 127–158. 174  Claude V. Palisca, The Artusi-Monteverdi Controversy, in: Denis Arnold /  Nigel Fortune (Hrsg.), The New Monteverdi Companion, London 1985, S. 127–158, 12 ff. 175  Nach Michael Dickreiter, Der Musiktheoretiker Johannes Kepler, Bern/München 1973, S. 141.



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Musik. Obwohl mir die Lektüre wegen der ungewohnten Sprache Schwierigkeiten machte, las ich doch das Buch mit größtem Genuss zu drei Vierteln durch. Ich fand darin einen ausgezeichneten Schatz alten Wissens, und obgleich ich in der Sache selber anderer Meinung bin als er, so freue ich mich doch über die gewandte Art, mit der er die gegenteilige Ansicht verficht.“176 Kein Wunder also, dass der passionierten Musikliebhaber Kepler entzückt war, als er bei Bodin die ihm wohl vertrauten kompositorischen Denkfiguren entdeckte. „Bodinus geht zum Schluss ganz zur Musik über … Indem er sie, wie es auch mir gefällt, zum politischen Leben in Parallele setzt, gewinnen seine Ausführungen ihren höchsten Reiz im ganzen Buch.“177 Vor allem ein musikalisches Phänomen hatte Kepler dabei im Sinn, dessen Projektion auf Recht und Politik ihm lohnenswert und ertragreich erschien: die Dissonanz. „Ja so sehr ist Bodinus zum Musiker geworden“, lobt Kepler, „… dass er sogar die Dissonanzen nicht vergessen hat. Unter diesem Vergleich gibt er den Rat, man soll manchmal auch einen, der es nicht verdient, höhere Ämter, Ehrenstellen und die übrigen für tüchtige Leistungen bestimmten Auszeichnungen überlassen, ohne sich Sorgen zu machen. Denn wie durch den Gegensatz einer einzelnen Dissonanz der Zusammenklang im übrigen um so besser unterschieden und um so begieriger aufgenommen wird, so werden alle, die eine solche staatliche Vorrechte genießende Drohne sehen und verwünschen, sich mehr und mehr angewöhnen, derartige Fehler zu vermeiden und sich tüchtiger Leistungen zu befleißigen.“178 Dass ausgerechnet die Befähigung, die Unzulänglichkeiten des institutionellen Gefüges und die Unvollkommenheit der Herrschaftsausübung widerspruchslos hinzunehmen, eine Existenzbedingung neuzeitlicher Staatlichkeit – also der historisch singulären Verdichtung öffentlicher Gewalt – sein könnte, mag paradox erscheinen. Und doch lässt sich das Rätsel der „Staatswerdung“ – nämlich mindestens zweihundert Jahre lang ein Ideal zu propagieren, ohne diesem Ideal auch nur ansatzweise Geltung verschaffen zu können – kaum anders erklären. Das Wunder der „Staatswerdung“ ist das Wunder einer schier unglaublichen Geduld und Nonchalance. Gewiss: Auch die symbolisch-rituelle Vermittlung von Herrschaft als ein Surrogat für ihre Verwirklichung hat einen erheblichen Anteil an der Akzeptanz des an sich Inakzeptablen. Doch entfalten Illusionen selbst in vormodernen Gesellschaf176  Nach Michael Dickreiter, Der Musiktheoretiker Johannes Kepler, Bern/München 1973, S. 137. 177  Johannes Kepler, Weltharmonik, übers. von Max Caspar, München/Berlin 1939, III. Buch, Anhang (S. 193). 178  Johannes Kepler, Weltharmonik, übers. von Max Caspar, München/Berlin 1939, III. Buch, Anhang (S. 193 f.).

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ten nur begrenzte Wirkung. Die Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit kommt – so prunkvoll und glänzend man beides zu verweben sucht – mit Notwendigkeit immer wieder zu Bewusstsein. Als Korrektiv und Stabilisator war demnach das pragmatische, „harmonische“ Gerechtigkeitsideal im Sinne Bodins (und Keplers) im 16. und 17. Jahrhundert unentbehrlich. Es bildete das Gegengewicht zu allen „mathematischen“ oder „absoluten“ Gesetzgebungs- und Gerechtigkeitslehren, die ihren Ursprung möglicherweise in dem Leitbild der perfekten Symmetrie haben. Kleist hat der destruktiven Kraft des „unharmonischen“ Rechtsgefühls in „Michael Kohlhaas“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Dieses Rechtsgefühl machte den Rosshändler von den Ufern der Havel zum Räuber und Mörder. Mit einem Handeln nach der Devise Fiat iustitia et pereat mundus war und ist eben kein Staat zu machen. Bodin – der Anti-Kohlhaas – hatte das erkannt und auch insoweit dem souverain zu seiner souveraineté verholfen. Um aus Ideal und Wirklichkeit eine Einheit zu schmieden, die es aufnehmen konnte mit den überkommenen Formen spannungsfreier Gerechtigkeitsarithmetik, bedurfte es eines starken Verbündeten. Dieser fand sich in der komplexen polyphonen Musik, deren Aufstieg in Europa Hand in Hand ging mit dem Aufstieg des Staates. Das mehrstimmige Klangerlebnis lehrte den Wert der harmonía, den Wert einer schöpferischen Verbindung von Gegensätzen179 zu achten und zu ehren. Die so verstandene und erlebte harmonía diente als sinnliches Denkmodell für das unvollkommen vollkommene Gemeinwesen – den Staat in statu nascendi. Annex: West-östliche Rechtsästhetik (II) Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist „Harmonie“ wieder in aller Munde und die Vokabel, wenn nicht alles täuscht, auf dem besten Wege, sich als Abbreviatur für ein neues Rechts- und Staatsverständnis zu etablieren. Die triumphale Rückkehr in das Vokabular der Rechts- und Staatstheorie verdankt der Begriff nicht etwa einer Bodin-Renaissance oder ganz allgemein einer Rückbesinnung auf frühneuzeitliche Gerechtigkeitsideale, sondern dem wachsenden Interesse an fernöstlichen Regierungs- und Gesellschaftsmodellen. Die „Harmonie“ des 21. Jahrhunderts ist eine Übersetzung des chinesischen he (和). Der ohnehin in China sehr populäre Begriff erfuhr 179  Zu den etymologischen Wurzeln und der antiken Verwendung der harmonía vgl. W. Hirschmann, Art. Harmonie, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 3, Tübingen 1996, Sp. 1297–1304, 1297 f.; Paul von Naredi-Rainer, Art. Harmonie, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Aufl., Bd. 4, Kassel 1996, Sp. 116–132, 116 f.



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dadurch eine zusätzliche Aufwertung, dass das 16. Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas am 11.  Oktober 2006 als Zielmarke für die kommenden Jahre und Jahrzehnte die „(Sozialistische) Harmonische Gesellschaft“ (hexie shehui 和谐社会) verkündete. Schon ein Jahr zuvor, am 19. Februar 2005, hatte der damalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Hu Jintao, auf einer Kaderversammlung der Parteihochschule den Führungsnachwuchs auf das neue Konzept eingeschworen: „Die harmonische sozialistische Gesellschaft, die wir aufzubauen versuchen, umfasst die Aspekte Demokratie, Rechtsstaat, Fairness, Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit, Brüderlichkeit, Dynamik, Stabilität, Ordnung und Harmonie zwischen Mensch und Natur.“180 Die Neuausrichtung war erforderlich geworden, weil immer deutlicher die gesellschaftlichen und ökologischen Nebenwirkungen des rasanten Wirtschaftswachstums der vorangegangenen Dekade zu Tage traten. Man hatte erkannt, dass es Korrekturen am bisherigen, primär an ökonomischen Zielen ausgerichteten Kurs bedurfte, um die um sich greifende Korruption und Wirtschaftskriminalität in den Griff zu bekommen und der wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Stadt und Land und zwischen den verschiedenen Volkgruppen entgegen zu wirken.181 Die Resonanz auf Hu Jintaos „Harmonie“-Offensive war innerhalb und außerhalb Chinas beachtlich, obwohl oder vielleicht gerade weil es an präzisen inhaltlichen Direktiven fehlte. Die Diskussion darüber, welche Merkmale eine „sozialistische harmonische Gesellschaft“ auszeichnen, ist nach wie vor im Gange und wird wohl auch so schnell nicht abgeschlossen sein.182 Immerhin zeichnet sich ab, dass – ungeachtet des Attributs „sozialistisch“ – das traditionelle, konfuzianische „Harmonie“-Verständnis auf die Interpretation und inhaltlichen Konkretisierung des neuen Ordnungsparadigmas großen Einfluss nimmt. Autoren, die sich auf die konfuzianische Tradition berufen,183 deuten das Bekenntnis zur sozialen Harmonie als Be180  Zitiert nach Nele Noesselt, Alternative Weltordnungsmodelle? IB-Diskurse in China, Wiesbaden 2010, S. 183. 181  Vgl. Ai Guo Han, Building a Harmonious Society and Achieving Individual Harmony, in: Sujang Guo / Baogang Guo (Hrsg.), China in Search of a Harmonious Society, Lanham (Md.) 2008, S. 13–33, 13–17. 182  Zum Stand der Diskussion vgl. Nele Noesselt, Alternative Weltordnungsmodelle? IB-Diskurse in China, Wiesbaden 2010, S. 189–193; Ai Guo Han, Building a Harmonious Society and Achieving Individual Harmony, in: Sujang Guo / Baogang Guo (Hrsg.), China in Search of a Harmonious Society, Lanham (Md.) 2008, S. 13– 33, 17–20. 183  Rosita Delios / R. James Ferguson, China’s Quest for Global Order. From Peaceful Rise to Harmonious World, Lanham (Md.) 2012, S. 12–14; Chenyang Li, The Confucian Ideal of Harmony, Philosophy of East & West 56 (2006), S. 583–603; ders., Harmony as a Guiding Principle for Governance, in: Julia Tao/Anthony B. L. Cheung/Martin Painter/Chenyang Li (Hrsg.), Governance for Harmony in Asia and

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kenntnis zu einer solidarischen pluralistischen Gesellschaft, als Bekenntnis zu einer Gesellschaft, die in sich vielfältig, heterogen ist und dennoch eine Einheit bildet, weil die Angehörigen dieser Gemeinschaft danach trachten, ihre unterschiedlichen Anlagen und Ansichten im Wechselspiel zur Geltung zu bringen, so dass die Eigenheiten sich gegenseitig ergänzen und vervollkommnen. „Harmonie“ bedeutet demnach weder Uniformität noch Selbstverwirklichung auf Kosten anderer. Der neo-konfuzianische Ansatz basiert wie Bodins Lehre von der „justice harmonique“ auf musikalischen Analogien. Ebenso wie der dem Altgriechischen entlehnte Begriff „Harmonie“ (harmonie, harmony, armonía usw.) findet das chinesische he in musikalischen wie nicht-musikalischen Kontexten Verwendung.184 Wenn die Kommunistische Partei Chinas für eine „harmonische Gesellschaft“ wirbt, gebraucht sie das Zeichen 和, dessen Vorläufer, das in der Schreibpraxis aufwendigere und daher unhandliche 龢, (auf der linken Seite) aus dem graphischen Element mit der Bedeutung „Musikinstrument“ besteht.185 Im „Shuowen jiezi“, einem der ersten Zeichenlexika der chinesischen Sprache (ca. 100 n. Chr.), wird das Zeichen mit „angenehme Mischung in der Musik“ umschrieben.186 In frühen chinesischen Dokumenten und literarischen Zeugnissen bildet he vornehmlich auditive Erlebnisse ab. So heißt es im „Guoyu“ („Gespräche über die Staaten“), einem klassischen chinesischen Geschichtswerk aus dem 5. oder 4. Jahrhundert v. Chr.: Wenn Töne sich entsprechen und gegenseitig stabilisieren (bao 保), Beyond, London/New York 2010, S. 37–57; Kam Por Yu, The Confucian Concep­tion of Harmony, in: Julia Tao/Anthony B. L. Cheung/Martin Painter/Chenyang Li (Hrsg.), Governance for Harmony in Asia and Beyond, London/New York 2010, S. 15–36; Sun Xiaohong/Zhu Liyu, Concept of Overall Situation, Rule of Law and Social Harmony, in: Thomas Bustamante/Oche Onazi (Hrsg.), Global Harmony and the Rule of Law. Proceedings of the 24th World Congress of the International Association for Philosophy of Law and Social Philosophy, Beijing, 2009, Bd. 1, ­ Stuttgart 2012, S. 91–102, 94–96. 184  Erica Fox Brindley, Music, Cosmology, and the Politics of Harmony in Early China, Albany 2012, S. 13. Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der griechischen (platonischen) und chinesischen (konfuzianischen) Harmonievorstellung der „Achsenzeit“ Chenyang Li, The Ideal of Harmony in Ancient Chinese and Greek Philosophy, Dao 7 (2008), S. 81–98; vgl. auch Marina Wong, A Comparison be­ tween the Philosophies of Confucius and Plato as Applied to Music Education, Journal of Aesthetic Education 32 (1998), S. 109–112. 185  Kam Por Yu, The Confucian Conception of Harmony, in: Julia Tao/Anthony B. L. Cheung/Martin Painter/Chenyang Li (Hrsg.), Governance for Harmony in Asia and Beyond, London/New York 2010, S. 15–36, 18 f. 186  Kam Por Yu, The Confucian Conception of Harmony, in: Julia Tao/Anthony B. L. Cheung/Martin Painter/Chenyang Li (Hrsg.), Governance for Harmony in Asia and Beyond, London/New York 2010, S. 15–36, 20; vgl. auch (mit einer etwas abweichenden Übersetzung) Chenyang Li, The Confucian Ideal of Harmony, Philosophy of East & West 56 (2006), S. 583–603, 583.



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werde das he genannt.187 In dem mindestens ebenso alten „Zuozhuan“, dem Zuo Qiuming zugeschriebenen Kommentar zu den „Frühlings- und Herbstannalen“, ist die Rede von männlichen und weiblichen (mythischen) Vögeln, deren Stimmen, wenn die Tiere gemeinsam fliegen, kraftvoll harmonisch zusammenklingen (he 和).188 In den „Analekten“ des Konfuzius wird beschrieben, wie dieser harmonisch (he 和) in den Gesang eines anderen einstimmte: „Wenn der Meister mit einem Mann zusammen war, der sang und es gut machte, so ließ er ihn sicher wiederholen und sang das zweite Mal selber mit“ (子與人歌而善,必使反之,而後和之).189 Schon zu einem frühen Zeitpunkt, in den beiden genannten vor- oder frühkonfuzianischen Geschichtswerken „Guoyu“ und „Zuozhuan“, wurden die auditiven he-Erlebnisse Ratschlägen und Weisungen der Regierungskunst und guten Staatsführung unterlegt. Im „Guoyu“ ist ein Gespräch zwischen dem Fürsten Huan von Zheng und dem Gelehrten Shi Bo überliefert (datiert auf das 8. Jahrhundert v. Chr.), das zu klären versucht, warum die Zhou-Dynastie im Niedergang begriffen ist. Für den Berater Shi Bo steht außer Zweifel, dass der Verfall zusammenhängt mit der Fixierung auf Homogenität (tong 同) statt auf Harmonie (he 和).190 Letztere befördere innovatives Handeln, hingegen führe die Bevorzugung von homogenen Strukturen und Verhaltensweisen unweigerlich in die Stagnation, so wie aus einem einzigen Ton noch keine Musik entstehe. Frühere Herrscher hätten mit Bedacht ihre Ehefrauen aus verschiedenen Clans erwählt, ihre Ressourcen aus fern liegenden Orten bezogen und Ministern vertraut, die zu widersprechen wagten.191 Ein ähnliches Gespräch führten, so berichtet die Schrift „Zuozhuan“, der Herrscher des Staates Qi und sein Premierminister Yanzi im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. Der Herrscher pries seinen Minister Ju, der Einzige, der mit ihm im „harmonischen“ Einverständnis stehe. Dem widersprach Yanzi. Der 187  Chenyang Li, The Confucian Ideal of Harmony, Philosophy of East & West 56 (2006), S. 583–603, 584 (mit Übersetzungsvarianten zu boa). 188  Chenyang Li, The Confucian Ideal of Harmony, Philosophy of East & West 56 (2006), S. 583–603, 583 f. 189  Konfuzius (Kongzi), Gespräche (Analekten), in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 247; dazu Erica Fox Brindley, Music, Cosmology, and the Politics of Harmony in Early China, Albany 2012, S. 14. 190  Kam Por Yu, The Confucian Conception of Harmony, in: Julia Tao/Anthony B. L. Cheung/Martin Painter/Chenyang Li (Hrsg.), Governance for Harmony in Asia and Beyond, London/New York 2010, S. 15–36, 16. 191  Chenyang Li, The Confucian Ideal of Harmony, Philosophy of East & West 56 (2006), S. 583–603, 584 f.; Kam Por Yu, The Confucian Conception of Harmony, in: Julia Tao/Anthony B. L. Cheung/Martin Painter/Chenyang Li (Hrsg.), Govern­ ance for Harmony in Asia and Beyond, London/New York 2010, S. 15–36, 16.

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Begriff sei falsch gewählt. Da Ju stets die gleiche Auffassung vertrete wie der Fürst, bestehen zwischen ihnen vollständige Einigkeit (tong 同) und eben gerade keine Harmonie (he 和), welche die Existenz von Unterschieden voraussetze.192 Seine Ablehnung einer auf tong basierenden Regierungspraxis begründet Yanzi unter anderem damit, dass ein tugendhafter Mensch sich nur von einer variantenreichen Tonkunst inspirieren lasse, von dem Zusammentreffen langer und kurzer, schneller und langsamer, trauriger und freudiger, starker und zarter Klänge. Monotone Musik hingegen sei unerträglich.193 Derartige auditive Bezüge und Analogie finden sich in der klassischen chinesischen Philosophie außerordentlich häufig (umgekehrt gibt es offenbar keine Belege für die Verwendung gesellschaftlicher oder politischer Analogien zur Veranschaulichung ästhetischer Phänomene194). Musik und Staatsführung gehörten keinen getrennten Sphären an, sondern waren aufeinander bezogen. Im dritten Buch der Analekten (ba yi) wechseln sich wie selbstverständlich ab Belehrungen über Fürsten- und Beamtenpflichten („Der Fürst behandle den Beamten wie es die Sitte verlangt, der Beamte diene dem Fürsten wie es sein Gewissen verlangt“195) und Anleitungen zum rechten Gebrauch der Musik („Man kann wissen, wie ein Musikstück ausgeführt werden muss. Beim Beginn muss es zusammenklingen. Bei der Durchführung müssen in harmonischer Weise die einzelnen Themen herausgehobenen werden in fließendem Zusammenhang bis zum Ende“196). Als ein Schüler Konfuzius nach den richtigen Grundsätzen für die Regierung eines Landes befragte, kam dieser sogleich auf die vom Herrscher zu bevorzugende Musikrichtung zu sprechen: „Was die Musik anbelangt, so nehme man die Schaumusik mit ihren rhythmischen Bewegungen. Den Klang der Dschong(musik) verbieten und beredte Menschen fernhalten; 192  Scott Bradley Cook, Unity and Diversity in the Musical Thought of Warring States China, Diss. Michigan 1995, S. 67; Kam Por Yu, The Confucian Conception of Harmony, in: Julia Tao/Anthony B. L. Cheung/Martin Painter/Chenyang Li (Hrsg.), Governance for Harmony in Asia and Beyond, London/New York 2010, S. 15–36, 16. 193  Chenyang Li, The Confucian Ideal of Harmony, Philosophy of East & West 56 (2006), S. 583–603, 586; Scott Bradley Cook, Unity and Diversity in the Musical Thought of Warring States China, Diss. Michigan 1995, S. 71. 194  Scott Bradley Cook, Unity and Diversity in the Musical Thought of Warring States China, Diss. Michigan 1995, S. 72 f. 195  Konfuzius (Kongzi), Gespräche (Analekten), in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 137. 196  Konfuzius (Kongzi), Gespräche (Analekten), in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 141, 143.



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denn der Klang der Dschong(musik) ist ausschweifend, und beredte Menschen sind gefährlich.“197 Sima Qian, der „Herodot Chinas“, der Vater der chinesischen Geschichtsschreibung (2. Jahrhundert v. Chr.), zählte das Zusammentragen des traditionellen Liedgutes, dessen Überarbeitung und Verbreitung zu den wichtigen Regierungsaufgaben: „Die Regionen sind vielfältig, die Länder unterscheiden sich, die Gefühle sind nicht gleich. Deshalb sammelte man die Lieder der Landesbräuche und passte sie den Tönen und Tonpfeifen an, ergänzte fehlendes, änderte die Form. So unterstützte man die Regierung und verbreitete den Unterricht.“198 Eine schlechte Regierung, ergänzt der Historiker, erkenne man gewöhnlich an ihren schlechten Melodien: „Als die Regierung fehlerhaft und unzureichend war, fanden die Melodien von Zheng Gefallen. Lehnsherren und fürstliche Geschlechter erhoben sich, machten ihren Namen in den benachbarten Provinzen bekannt und bekämpften sich gegenseitig um die Vorherrschaft.“199 Aus solchen Bemerkungen geht hervor, dass die Musik im alten China eine zweifache politische Dimension hatte. Zum einen galt sie „als diagnostisches Instrument“, als „Instrument der politischen Meinungsumfrage“200, also als ein Mittel, um die Stimmung im Land, den Zustand der Regierung und der Bewohner zu erkunden (bereits die mythischen Herrscher der Vorzeit sollen dieses Mittel angewendet haben, um sich über die Sorgen, Nöten und Wünsche ihrer Untertanen einen Überblick zu verschaffen). Zum anderen diente die Musik – nach Vorstellung des Konfuzius, seiner Zeitgenossen und Nachfolger – als ein wichtiges Steuerungsinstrument in den Händen der Regierung zur Beseitigung von Missständen und zur (Wieder-)Herstellung der guten, „harmonischen“ Ordnung.201 197  Konfuzius (Kongzi), Gespräche (Analekten), in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 477. 198  Sima Qian, Historische Aufzeichnungen, in: Musik im alten China, übers. von Robin P. Marchev, Zürich 1982, S. 144. 199  Sima Qian, Historische Aufzeichnungen, in: Musik im alten China, übers. von Robin P. Marchev, Zürich 1982, S. 145. 200  Eckhard Nolte, Musikalische Unterweisung im alten China bis zum Beginn der Kaiserdynastien, in: Eckhard Nolte/Reinhold Weyer (Hrsg.), Musikalische Unterweisung im Altertum. Mesopotamien – China – Griechenland, Frankfurt am Main 2011, S. 73–179, 117, 119. 201  Eckhard Nolte, Musikalische Unterweisung im alten China bis zum Beginn der Kaiserdynastien, in: Eckhard Nolte/Reinhold Weyer (Hrsg.), Musikalische Unterweisung im Altertum. Mesopotamien – China – Griechenland, Frankfurt am Main 2011, S. 73–179, 118–122; vgl. auch Erica Fox Brindley, Music, Cosmology, and the Politics of Harmony in Early China, Albany 2012, S. 30–41; Scott Bradley Cook, Unity and Diversity in the Musical Thought of Warring States China, Diss. Michigan 1995, S. 41–87.

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Reiches Material zur eminent politischen Funktion der Musik findet sich im „Buch der Riten (Sitten)“ (Li ji), einem der „Fünf Klassiker“, und im „Buch der Musik“ (Yue ji), einer Kompilation von Texten unterschiedlichen Alters über Musik und Musikanschauung des chinesischen Altertums, die im 2. Jahrhundert n. Chr. (als 19. Kapitel) in das „Buch der Riten (Sitten)“ integriert wurde.202 So soll Konfuzius, als er im Gespräch mit einem Fürsten seine Vision einer intuitiven, nicht-technokratischen Herrschaft entwickelte, musikalische Analysen als Mittel der Demoskopie mit Nachdruck empfohlen haben: „Wenn man die Saiten rühren lässt, um die Musik zu betrachten, so ist das genug um die Sitten des Volkes zu unterscheiden.“203 Der Edle, heißt es im „Buch der Musik“, studiere die Musik um das Regieren zu verstehen.204 „In wirren Zeiten klingen die Melodien grollend und zornig, weil die Regierung ungerecht ist. Ist das Land dem Untergang geweiht, klingen die Melodie schmerzlich und sorgenvoll, weil das Volk im Elend lebt. Töne und Melodie entsprechen dem Zustand der Regierung.“205 Die Charaktereigenschaften und politischen Ambitionen des Fürsten übertragen sich mittels der Musik auf das Volk: „Wenn die Ziele eines Herrschers klein sind, so macht er Töne von leise ersterbender Art, und des Volkes Gedanken werden dadurch traurig. Wenn er edel, harmonisch und ruhig behaglich ist, so macht er eine Musik mit verschlungener Linienführung und gemischtem Rhythmus, und das Volk wird dadurch stark und froh. Wenn er roh und grausam ist und leicht erregbar, so macht er eine Musik, die im Beginn erregt und am Ende breit und kühn ist, und das Volk wird wild und entschlossen.“206 Die Musik leiste auch deshalb einen wesent­ lichen Beitrag zur Stabilisierung eines Gemeinwesens, weil das Volk aus musikalischen gesellschaftliche Strukturen herauslesen könne, wodurch jeder die ihm zugewiesenen Aufgaben erkenne („Wenn die Musik herrscht, so werden die sozialen Pflichten klar“).207 Die früheren Könige „verbreiteten den Rhythmus der Musik und beschränkten ihren Schmuck, um der Lebens202  Robin P. Marchev, in: Musik im alten China, übers. von Robin P. Marchev, Zürich 1982, S. 9. 203  Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, übers. von Richard Wilhelm, Berlin 2013, S. 115. 204  „Buch der Musik“, in: Musik im alten China, übers. von Robin P. Marchev, Zürich 1982, S. 19; Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, übers. von Richard Wilhelm, Berlin 2013, S. 75 („Buch der Musik“). 205  „Buch der Musik“, in: Musik im alten China, übers. von Robin P. Marchev, Zürich 1982, S. 13; Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, übers. von Richard Wilhelm, Berlin 2013, S. 74 („Buch der Musik“). 206  Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, übers. von Richard Wilhelm, Berlin 2013, S. 81 („Buch der Musik“). 207  Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, übers. von Richard Wilhelm, Berlin 2013, S. 83 („Buch der Musik“).



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kraft Fülle zu regulieren. Sie ordneten die großen und kleinen Intervalle nach den zugehörigen Zeichen … So bewirkten sie, dass die Verhältnisse von naher und ferner Verwandtschaft, von vornehm und gering, von Alter und Jugend, von Mann und Frau alle in der Musik ihre sichtbare Gestalt gewannen.“208 Vordergründig erscheint das Projekt „harmonische Gesellschaft“, einschließlich der überkommenen ästhetischen Bezüge, ohne weiteres kompatibel mit westlichen Rechtsstaats- und Verfassungsidealen, entspricht es doch dem europäischen und nordamerikanischen Selbstverständnis, dass ein stabiles pluralistisches Gemeinwesen ohne die Existenz eines die Freiheit des Individuums garantierenden Rechtsstaats undenkbar ist. Freiheitsrechte, Verfahrensgarantien, politische Mitspracherechte, Gleichheit vor dem Gesetz und eine nur dem Gesetz verpflichtete Justiz gelten aus dieser Perspektive als Conditio sine qua non einer intakten „Zivilgesellschaft“. Aus chinesischem Blickwinkel sind „Harmonie“ und die Herrschaft von Recht und Gesetz jedoch keineswegs zwingend miteinander verknüpft. Zwar erwähnte Hu Jintao in seiner Rede von 2005 auch Rechtsstaatlichkeit als eine Bedingung für „harmonische“ Koexistenz, aber eben nur als eine unter zahlreichen anderen Bedingungen, darunter so schwer fassbare, (vermeintlich) unpolitische Phänomene wie „Dynamik“ und „Stabilität“. Im Übrigen hat seither – befördert durch die Weltwirtschaftskrise 2007 / 2008 – der Westen einen Teil seiner Vorbildfunktion eingebüßt. Nicht nur in Asien findet die Auffassung mehr und mehr Anklang, dass das systemische Versagen bei der Regulierung marktwirtschaftlicher Ökonomien in einem engen Zusammenhang steht mit der Dominanz juristischer Kategorien in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Diskursen, wie sie für den Westen typisch ist: Juristisch determiniertes, auf die eigenen Rechte fixiertes Denken verleite zu unsolidarischem, egoistischem Verhalten und beschädige die in jeder Gesellschaft vorhandenen, über viele Generationen gewachsenen Ausgleichs- und Konfliktlösungsmechanismen, die eigentlichen Garanten für soziale „Harmonie“. Auch im Westen gibt es inzwischen Sympathien für diesen Ansatz. Zu verzeichnen ist eine zunehmende Abneigung gegenüber „legalistic, right based solutions“209, weil damit die Zerstörung des Gemeinsinns einher gehe: „Excessive focus on legal mechanisms may cause reformers to lose sight of the power of rituals, not to mention the possibility that such legalistic solutions will further undermine the ­sense of community that makes the powerful care for the interests of the 208  Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, übers. von Richard Wilhelm, Berlin 2013, S. 82 („Buch der Musik“). 209  Daniel A. Bell, China’s New Confucianism. Politics and Everyday Life in a Changing Society, Princeton, Oxford, 2008, S. 54 f.

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vulnerable.“210 Sogar ein spezifisch konfuzianischer Konstitutionalismus ist im Gespräch.211 Die Vorbehalte gegenüber einer allein durch Recht und Gesetz regulierten und stabilisierten Gesellschaft gehören zum konfuzianischen Erbgut. Anstelle juristischer Garantien zum Schutz vor Übergriffen von privater oder staatlicher Seite propagierte Konfuzius die „harmonisierende“ Herrschaft des li (禮).212 Für diesen Schlüsselbegriff der klassischen chinesischen Philosophie gibt es unzählige Übersetzungen. Die Bandbreite reicht von „Umgangsformen“ bis „Gewohnheitsrecht“, von „Ritual“ bis „Naturrecht“ („Sittlichkeit, Tradition, Konvention, Riten, Höflichkeit, Anstand, Etikette, gutes Benehmen, Zeremoniell, Dekorum“213). Die Übersetzungsschwierigkeiten rühren zunächst schlicht daher, dass die beispielsweise im „Buch der Riten (Sitten)“ (Li ji) aufgeführten Grundsätze und Richtlinien tatsächlich sehr heterogen sind und sich kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. So findet man im Li ji Vorgaben für die Zahl der zu verehrenden Ahnen („Wer einen Besitz von einem Land hat, das fünf Kriegswagen stellt, opferte drei Generationen; wer einen Grundbesitz hat, der drei Kriegswagen hat, opfert zwei Generationen“214) ebenso wie Speisepläne und Kochrezepte 210  Daniel A. Bell, China’s New Confucianism. Politics and Everyday Life in a Changing Society, Princeton, Oxford, 2008, S. 55. 211  Jiang Qing, A Confucian Constitutional Order. How China’s Ancient Past can shape its Political Future, hrsg. von Daniel A. Bell, Princeton, Oxford 2012. 212  Vgl. (mit Unterschieden im Detail) R. P. Peerenboom, Law and Morality in Ancient China. The Silk Manuscripts of Huang-Lao, Albany 1993, S. 130–133; Chongko Choi, East Asian Jurisprudence, Seoul 2009, S. 12 f., 299–302; Stanley B. Lubman, Bird in a Cage. Legal Reform in China after Mao, Stanford 1999, S. 14 f.; Huang Jianwu, Rule of Law. The Value of Legal Formalism in Contemporary China, in: Thomas Bustamante/Oche Onazi (Hrsg.), Global Harmony and the Rule of Law. Proceedings of the 24th World Congress of the International Association for Philosophy of Law and Social Philosophy, Beijing, 2009, Bd. 1, Stuttgart 2012, S. 103–118, 104 f.; Robert Heuser, Das Rechtskapitel im Jin-Shu. Ein Beitrag zur Kenntnis des Rechts im frühen chinesischen Kaiserreich, München 1987, S. 21–26; ders., Einführung in die chinesische Rechtskultur, Hamburg 2002, S. 66–71; Oskar Weggel, Chinesische Rechtsgeschichte, Leiden, Köln 1980, S. 11–19; Endymion Wilkinson, Chinese History. A New Manual, Cambridge (MA), London 2013, S. 305; Konrad Zweigert/ Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Privatrechts, 3. Aufl., Tübingen 1996, S. 282 f.; Hubert Schleicher/Heiner Roetz, Klassische chinesische Philosophie. Eine Einführung, 3. Aufl., Frankfurt am Main 2009, S. 180; Yuanshi Bu, Einführung in das Recht Chinas, München 2009, § 1 Rn. 19. Zum modernen li-Diskurs in China Agnes S. Schick-Chen, Der Diskurs zur chinesischen Rechtskultur in der Volksrepublik China, Frankfurt am Main 2009, S. 69–78. 213  Hubert Schleicher/Heiner Roetz, Klassische chinesische Philosophie. Eine Einführung, 3. Aufl., Frankfurt am Main 2009, S. 21. 214  Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, übers. von Richard Wilhelm, Berlin 2013, S. 182.



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(„Zum Hackfleisch nimmt man im Frühling Zwiebel, im Herbst Senf; zum Spanferkel nimmt man im Frühjahr Lauch, im Herbst Polygonum“215). Der tiefere Grund für die Unsicherheit im Umgang mit der chinesischen „li-Kultur“216 liegt darin, dass der normentheoretische Hintergrund, soweit er sich anhand der frühen konfuzianischen Texte rekonstruieren lässt, nur schwer begreiflich ist, jedenfalls wenn man die gängigen Regulierungs- und Steuerungsmodelle zum Ausgangspunkt nimmt. Zwei Aspekte des eigenartigen Wirkungsmechanismus, der li vom (Gesetzes-)Recht (fa 法) unterscheidet, verdienen besondere Beachtung: Bemerkenswert ist – erstens – dass die Anleitung zum richtigen Handeln und nicht die Sanktionierung sozialschädlichen Verhaltens im Vordergrund steht, denn das Böse, so heißt es, habe kein Chance, wenn der Fürst das Gute vorlebe: „Freiherr Gi Kang fragte den Meister Kung nach (dem Wesen) der Regierung. Meister Kung sprach: ‚Regieren heißt recht machen. wenn Eure Hoheit die Führung übernimmt im Rechtsein, wer sollte es wagen, nicht recht zu sein?‘ “217 Des Konfuzius Vertrauen in die Überzeugungskraft, die Lehr- und Lernbarkeit des Gutes ist so ausgeprägt, dass er sich Konsultationen in prozess- und strafrechtlichen Angelegenheiten regelrecht verweigert – sogar dann, wenn er mit schweren Verbrechen konfrontiert wird: „Freiherr Gi Kang war in Sorge wegen des Räuberunwesens und fragte den Meister Kung. Meister Kung entgegnete: ‚Wenn Eure Hoheit es nicht wünscht, so wird, ob selbst Belohnung darauf gesetzt würde, niemand rauben.‘ “218 Dieses demonstrative Desinteresse an Strafverfolgung und Rechtsprechung, der Glaube, es genüge, den richtigen Weg aufzuzeigen, dann werde sich alles andere schon von selbst ergeben und niemand mehr willens sein, anderen Unbill zuzufügen, gehört zu den rätselhaftesten Eigenheiten der konfuzianischen Lehre und hat ihr den Vorwurf der Weltferne und Weltfremdheit eingetragen. An anderer Stelle heißt es: „Freiherr Gi Kang fragte den Meister Kung nach (dem Wesen) der Regierung und sprach: ‚Wenn man die Übertreter tötet, um denen, die auf rechtem Wege wandeln, zu helfen: 215  Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, übers. von Richard Wilhelm, Berlin 2013, S. 272. 216  Robert Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, Hamburg 2002, S. 119. 217  Konfuzius (Kongzi), Gespräche (Analekten), in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 371. 218  Konfuzius (Kongzi), Gespräche (Analekten), in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 371.

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wie wäre das?‘ Meister Kung entgegnete und sprach: ‚Wenn Eure Hoheit die Regierung ausübt, was bedarf es dazu des Tötens? Wenn Eure Hoheit das Gute wünscht, so wird das Volk gut.‘ “219 Aus dergleichen Äußerungen sollte man nicht, wie das gelegentlich geschieht, vorschnell schließen, der Konfuzianismus lehne Strafe und Strafgerichtsbarkeit, Recht und Justiz prinzipiell ab (also auch, wenn eine Straftat nicht hatte verhindert werden können), fest steht aber, dass nach konfuzianischer Lesart die Rechtspflege als solche keine besondere Wertschätzung verdient.220 „Im Anhören von Klagsachen“, bekennt der Meister, „bin ich nicht besser als irgendein anderer. Woran mir aber alles liegt, das ist, zu bewirken, dass gar keine Klagsachen entstehen.“221 Der zweite Aspekt, der viel Aufmerksamkeit und Widerspruch erfahren hat, betrifft die Art und Weise der Vermittlung von Normen. Der Konfuzianismus unterstellt, es sei möglich, Menschen zu sozialadäquatem Verhalten anzuleiten, ohne sich des gesprochenen oder geschriebenen Wortes zu bedienen. Auch mit Hilfe ritueller Praktiken könne man den Pfad der Tugend erkennen. Mehr noch: Diese Art der Vermittlung sei ungleich effizienter und dem Gemeinwohl zuträglicher als eine Verhaltenssteuerung durch Gesetze, die – sobald jedermann zugänglich – nur Zwietracht säten, weil jedermann versuche, die ihm zustehenden Rechte durchzusetzen. Die alten Könige, ist im „Zuozhuan“ zu lesen, hätten es im Interesse eines gedeihlichen Zusammenlebens stets vermieden, Strafgesetze zu veröffentlichen. Wenn den Menschen die Gesetze bekannt seien, gehe der Respekt gegenüber den Vorgesetzten verloren. Jeder werde sich auf den Gesetzeswortlaut berufen und ihn in seinem Sinne auslegen. Haarspalterische, kleinliche Auseinandersetzungen seien zu erwarten. Schließlich werde das Gemeinwesen in Streit und Hader versinken, so wie es das Sprichwort voraussage: Wenn ein Staat im Verfall begriffen sei, steige die Zahl der Verordnungen an.222 In die 219  Konfuzius (Kongzi), Gespräche (Analekten), in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 373. 220  Vgl. Huang Jianwu, Rule of Law. The Value of Legal Formalism in Contemporary China, in: Thomas Bustamante/Oche Onazi (Hrsg.), Global Harmony and the Rule of Law. Proceedings of the 24th World Congress of the International Association for Philosophy of Law and Social Philosophy, Beijing, 2009, Bd. 1, Stuttgart 2012, S. 103–118, 104 f.; Robert Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, Hamburg 2002, S. 76. 221  Konfuzius (Kongzi), Gespräche (Analekten), in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 369. 222  Nach der englischen Übersetzung The Chinese Classics: with a Translation, Critical and Exegetical Notes, Prolegomena, and Copious Indexes by James Legge, Bd. 5/2, Hongkong, London 1872, S. 609 f.



II. Studien zur Ästhetik der Staatslehre255

gleiche Richtung weist ein in den „Analekten“ überlieferter Ausspruch des Konfuzius: „Wenn man durch Erlasse leitet und durch Strafe ordnet, so weicht das Volk aus und hat kein Gewissen. Wenn man durch die Kraft des Wesens leitet und durch Sitte ordnet, so hat das Volk Gewissen und erreicht (das Gute).“223 Um diese beiden Aspekte der li-Kultur besser zu verstehen, ist es hilfreich, sich noch einmal etwas eingehender mit dem für das chinesische Altertum charakteristischen, unvergleichlichen Einfluss der Musik auf die politische Philosophie und Regierungslehre zu befassen. Der Einfluss fand nicht zuletzt darin seinen Niederschlag, dass fortwährend „in klassischen Texten … die li mit ‚Musik‘ (yue) in einem Atemzug genannt [werden].“224 Im „Buch der Riten (Sitten)“ ist die Paarformel „Sitte und Musik“ in einigen Kapiteln allgegenwärtig. Freilich hat es nicht an Versuchen gefehlt, li und yue unterschiedliche Wirkungen beizumessen. Schon im „Li ji“ gibt es zahlreiche Ansätze zu einer Binnendifferenzierung.225 Doch die nachträglich konstruierten, oft unstimmigen oder nichts sagenden Unterscheidungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass – wie es in dem bezeichnenderweise im „Buch der Riten (Sitten)“ integrierten „Buch der Musik“ heißt – „Sitte und Musik ihrem letzten Wesen nach übereinstimmen“226, dergestalt, dass musikalische Erlebnisse als Modell und Vorbild für den der Sitte zugeschriebenen eigenartigen Wirkungsmechanismus dienten. Die li-Kultur mit ihren auf das gute Beispiel ausgerichteten, affirmativen Handlungsanleitungen folgt insoweit der Logik der Kalokagathia, als des Konfuzius unerschütterlicher Glaube an die Macht des Guten nichts anderes ist als eine Spiegelung seiner Erfahrung mit der staunenswerten Kraft des Schönen, in dem Fall des schönen, angenehmen Klanges. Von der Ergriffenheit, die den Meister übermannt, wenn er der uralten Schaumusik lauscht, berichten die Quellen mehrfach: „Als der Meister in Tsi sich mit der Schaumusik beschäftigte, da vergaß er drei Monate lang den Geschmack des 223  Konfuzius (Kongzi), Gespräche (Analekten), in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 93. 224  Robert Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, Hamburg 2002, S. 68; vgl. auch ders., Das Rechtskapitel im Jin-Shu. Ein Beitrag zur Kenntnis des Rechts im frühen chinesischen Kaiserreich, München 1987, S. 24. 225  „Die Sitte bringt Rhythmus in die Gesinnung des Volkes. Die Musik bringt Harmonie in die Laute des Volkes … Die Musik bewirkt Vereinigung, die Sitte bewirkt Trennung … Die Musik kommt aus dem Innern hervor. Die Sitten gestalten von außen her“ usw.: Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, übers. von Richard Wilhelm, Berlin 2013, S. 76 f. 226  Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, übers. von Richard Wilhelm, Berlin 2013, S. 77.

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Fleisches. Er sprach: ‚Ich hätte nicht gedacht, dass die Musik eine solche Höhe erreichen könne.‘ “227 Auch in anderen altchinesischen Texten finden sich diverse Berichte über die berauschende oder gar magische Macht der Musik.228 So überliefert die daoistische Schrift „Liezi“ (4. Jahrhundert v. Chr.) die Geschichte einer jungen Frau namens Wo, die mit ihrer lieblichen Stimme das Kunststück vollbrachte, „dass meilenweit die Alten und die Jungen vor Wehmut Tränen vergossen und sich ansahen und drei Tage lang nicht essen konnten, … dass meilenweit die Alten und die Jungen vor Freude hüpften und sprangen, ohne sich halten zu können.“229 Wenn Musik demnach einen so nachhaltigen Eindruck hinterlässt, dass dem Zuhörer elementare Empfindungen wie Geschmackssinn und Hungergefühl nicht zu Bewusstsein gelangen, dann vermag sie – dieser Gedanke drängte sich auf – auch sozial verwerfliche, eigensüchtige Begierden zu unterdrücken. Da nach zeitgenössischer Ansicht „Sitte und Musik ihrem letzten Wesen nach übereinstimmen“230, lag es zudem nahe, die bei musikalischen Aufführungen zu Tage tretenden Veränderungen im Denken und Verhalten der Menschen, den alles überflutenden Rausch der Anmut, als ein Phänomen zu begreifen, das nicht nur für die Musik kennzeichnend ist, sondern auch für alle anderen Erscheinungsformen des li – gleich ob Teezeremonie oder gelebte Nächstenliebe. Was die implizite Vermittlung von Normen anbelangt, so kommen als Modell hierfür ebenfalls auditive Erlebnisse in Betracht. Beispielsweise wird im „Buch der Musik“ penibel der Assoziationsgehalt einzelner Klänge ausgelotet und registriert, welcher Klang mit welchen Gedanken in Bezug auf das institutionelle Gefüge und die Funktionsträger des Reiches verbunden ist: „Der Klang der Glocken hallt; er erinnert an Erteilen von Befehlen, durch die Begeisterung geweckt wird für den Krieg. Wenn der Edle daher den Klang der Glocken hört, so denkt er an seine Offiziere … Der Klang der Saiteninstrumente ist gefühlvoll; er erinnert an Demut bei der Fassung von Entschlüssen. Wenn daher der Edle den Klang von Zither und Harfe vernimmt, so denkt er an seine Beamten, die ihm in Entschlossenheit und 227  Konfuzius (Kongzi), Gespräche (Analekten), in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 229. 228  Vgl. Eckhard Nolte, Musikalische Unterweisung im alten China bis zum Beginn der Kaiserdynastien, in: Eckhard Nolte/Reinhold Weyer (Hrsg.), Musikalische Unterweisung im Altertum. Mesopotamien – China – Griechenland, Frankfurt am Main 2011, S. 73–179, 94–96. 229  Liä Dsi. Das wahre Buch vom quellenden Urgrund, übers. von Richard Wilhelm, Stuttgart 1980, S. 111. 230  Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, übers. von Richard Wilhelm, Berlin 2013, S. 77.



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Pflichttreue dienen.“231 Ist es möglich, allein mit Hilfe von Instrumentalmusik sich politische oder administrative Funktionen ins Gedächtnis zu rufen, so mag man es auch für denkbar halten, allein durch das aufmerksame Beobachten von gesellschaftlichen Praktiken und Verhaltensweisen – Anstandsformen und zeremonielle Handlungen eingeschlossen – die innere Ordnung sowie den Rechte- und Pflichtenkanon eines Gemeinwesens gleichsam assoziativ zu rekonstruieren, so dass es schriftlicher oder mündlicher Direktive nicht bedarf, die zu Pedanterie, Rabulistik und engstirnigem Anspruchsdenken verleiten. Die Neigung, Klangerlebnisse assoziativ zu deuten, wird begünstigt durch den teilweise meditativen Charakter der chinesischen Instrumentalmusik. Noch stärker geprägt von den Eigenheiten der vormodernen chinesischen Tonkunst (und nicht nur der Musik schlechthin) sind andere Facetten der li-Kultur, namentlich der Umstand, dass die li zu einem erheblichen Teil die persönlichen, die engsten sozialen Beziehungen betreffen und auf diese zugeschnitten sind. Dem Verhältnis zum Tischgenossen, trauernden Nachbarn, Not leidenden Freund usw. sowie den unscheinbaren Gesten, die diesen gesellschaftlichen Mikrokosmos stabilisieren, schenkt man größte Beachtung. Für Konfuzius und Menzius (Mengzi, Mong Dsï), seinem bedeutendsten Nachfolger, war die Funktionsfähigkeit der kleinen sozialen Einheiten die entscheidende Bedingung für die Harmonie des gesamten Erdkreises. „Die Wurzel des Weltreichs“, bemerkt Menzius, „sind im Einzelstaat, die Wurzeln des Staates sind in der Familie. Die Wurzeln der Familie sind in der einzelnen Person.“232 Der Schlüssel zum Erfolg liege nicht in der Ferne, vielmehr werde in der Welt erst dann Frieden einkehre, „wenn alle Menschen ihre Nächsten lieben und ihre Älteren ehren.“233 Vor allem die Kindesehrfurcht – der Respekt und die Loyalität gegenüber den Eltern – galt nach konfuzianischer Anschauung als bedeutende Tugend. Konfuzius ging so weit, dass er im Konfliktfall diesem sittlichen Gebot den Vorrang einräumte vor den Strafgesetzen: „Der Fürst von Schä redete mit Meister Kung und sprach: ‚Bei uns zulande gibt es ehrliche Menschen. Wenn jemandes Vater ein Schaf entwendet hat, so legt der Sohn Zeugnis ab (gegen ihn).‘ Meister Kung sprach: ‚Bei uns zulande sind die Ehrlichen verschieden davon. Der Vater deckt den Sohn und der Sohn den Vater. 231  Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche, übers. von Richard Wilhelm, Berlin 2013, S. 87 („Buch der Musik“). 232  Mong Dsï, in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 859. 233  Mong Dsï, in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 865.

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Darin liegt auch Ehrlichkeit.‘ “234 Dass den Konfuzianern die Familie alles, der Staat im Vergleich dazu nichts bedeutet, bestätigen ihre schärfsten Widersacher und Gegenspieler, die Legisten. „Einst lebte“, berichtet Han Fei, der einflussreichste der Legisten (3. Jahrhundert v. Chr.), „im Staate Chu ein Mann, den man den aufrechten Gong nannte. Als sein Vater eines Tages ein Schaf gestohlen hatte, zeigte der Sohn ihn beim Vorsteher an. Daraufhin befahl der erste Minister, den Sohn zu richten. Er sprach ihn schuldig, weil er zwar aufrecht zum Herrscher, gegenüber dem Vater aber pietätlos war … Es gab auch einen Mann aus Lu, der seinen Fürsten in den Krieg folgte und in drei Schlachten dreimal desertierte. Als Zhongni [Konfuzius] ihn nach seinen Gründen dafür zur Rede stellte, entgegnete er: ‚Ich habe einen alten Vater zu Hause. Sollte ich sterben, ist niemand mehr da, der ihn versorgt.‘ Zhongni betrachtete das Handeln dieses Mannes als Sohnesehrfurcht und erhob ihn in Rang und Würden.“235 Die kompromisslose Unterordnung des Gemeinwohls unter das Familien- und Elternwohl, wie sie in den beiden Entscheidungen zu Tage tritt, erregte den Zorn der Legisten. Das unerfreuliche Resultat dieser konfuzianischen Pietätspolitik, klagt Han Fei, sei gewesen, dass – erstens – in Chu sich nie wieder jemand dazu bereit erklärt habe, einen Verrat bei der Obrigkeit anzuzeigen, und – zweitens – das Volk von Lu nunmehr dazu neige, wenn es wirklich ernst werde, zu kapitulieren und mit wehenden Fahnen zum Feind überzulaufen.236 Das Bemühen, freundschaftliche, nachbarschaftliche und familiäre Bande nicht zu beschädigen, spiegelt sich des Weiteren in der Präferenz für diskrete, außergerichtliche Konfliktlösungsmechanismen. Es galt zu verhindern, dass Externe – in Gestalt der Magistrate und Richter – sich in die privaten, intimen Angelegenheiten der Menschen einmischen und gewachsene Strukturen zerstören.237 „Die Leute sind vom Prozessieren fernzuhalten“, heißt es in einem Beamtenhandbuch aus dem Jahre 1908, „davor, sich gegenseitig vor dem Magistraten zu beschuldigen. Es ist klar zu erkennen, dass die Leute in all ihren Zwistigkeiten über Schulden, Land und Grabstätten ihre 234  Konfuzius (Kongzi), Gespräche (Analekten), in: Die Lehren des Konfuzius. Die vier konfuzianischen Bücher. Chinesisch und Deutsch, übers. von Richard Wilhelm, Frankfurt am Main 2008, S. 401. 235  Han Fei, Die Kunst der Staatsführung. Die Schriften des Meisters Han Fei, übers. von Wilmar Mögling, Leipzig 1994, S. 554. 236  Han Fei, Die Kunst der Staatsführung. Die Schriften des Meisters Han Fei, übers. von Wilmar Mögling, Leipzig 1994, S. 554. 237  Vgl. Geoffrey MacCormack, The Spirit of Traditional Chinese Law, Athens (GA) 1996, S. 49 f.; Chongko Choi, East Asian Jurisprudence, Seoul 2009, S. 304 f.; Jerome Alan Cohen, Chinese Mediation on the Eve of Modernization, California Law Review 54 (1966), S. 1201–1226; Robert Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, Hamburg 2002, S. 122; Stanley B. Lubman, Bird in a Cage. Legal Reform in China after Mao, Stanford 1999, S. 23 f.



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eigenen altüberlieferten, festgefügten Grundsätze haben. Wenn nun jemand tatsächlich hintergangen wurde, so legt die Sache einem alten vertrauenswürdigen Verwandten, Freund, Nachbarn oder Sippenmitglied vor und lasst ihn die Angelegenheit erledigen. Dann wird der Streit im Guten beigelegt und die Sache hat sich.“238 Auch wenn dieses Dokument aus dem frühen 20. Jahrhundert stammt, so sind doch die darin niedergelegten Grundsätze unverkennbar (alt-)konfuzianischer Herkunft.239 Nüchtern betrachtet ist die Sorge um das Wohl der Eltern und Weggefährten natürlicher, verständlicher als sie Sorge um den Bestand eines ausgedehnten Gemeinwesens oder gar das Wohl irgendeines weit entfernt lebenden, unbekannten Menschen, der (oft ohne jede Gegenleistung) Anerkennung, Gehorsam und materielle Zuwendung einfordert. Dass gleichwohl einem solchen fremden Individuum – nenne er sich Lehnsherr, Fürst oder Kaiser – und dessen Vertretern und Gefolgsleuten in vielen Gesellschaften und Kulturen die beanspruchte Verehrung zuteil wird, die mit der Bereitschaft einher gehen kann, das eigene Leben oder das Leben der nächsten Angehörigen zu opfern, lässt sich nur erklären, wenn man die Effekte symbolischer Inszenierungen in Betracht zieht: „Die grundlegenden Begriffe und Klassifikationen einer Ordnung … sind in Symbolisierungen aller Art allgegenwärtig: angefangen bei den Begriffen, Namen, Titeln und Anredeformen über dingliche Symbole, Bilder und alltägliche Geste oder Ehrerbietungen bis zu komplexen, feierlichen rituellen Handlungen … Durch ihre materielle Handgreiflichkeit, ihre sinnliche Wahrnehmbarkeit machen diese Symbolisierungen die institutionellen Ordnung, die sie verkörpern, zu einer objektiven Wahrheit.“240 Im alten China gab es – wie im vormodernen Europa – eine ausgefeilte Choreographie zur Stabilisierung hierarchischer Herrschaft.241 Aus dem kollektiven Erleben aufwendiger Orchester- und Tanzdarbietungen speiste sich die Bereitschaft, den großräumigen, menschenreichen Herrschaftsverband, sofern in sich geordnet, als eine denkbare und sogar prinzipiell erstrebenswerte Organisationsform anzuerkennen. Wenn trotz der eindrucksvollen zeremoniellen Apologie der „öffentlichen“ Gewalt im Konfliktfall die Loyalität gegenüber der kleinen Gemeinschaft sich als stärker erwies als gegenüber der großen, dann wirft das die Frage 238  Zitiert nach Robert Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, Hamburg 2002, S. 122. 239  Vgl. Jerome Alan Cohen, Chinese Mediation on the Eve of Modernization, California Law Review 54 (1966), S. 1201–1226, 1206–1209; Chongko Choi, East Asian Jurisprudence, Seoul 2009, S. 304. 240  Barbara Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2008, S. 10. 241  Vgl. Scott Bradley Cook, Unity and Diversity in the Musical Thought of Warring States China, Diss. Michigan 1995, S. 41–44.

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Abb. 25

auf, ob es im chinesischen Altertum eine konkurrierende Ästhetik des Privaten, eine Ästhetik der intimen Gemeinschaft, gab. Wer dieser Frage nachgeht, wird schnell auf Berichte über die Wirkung der Qin-Musik stoßen, ein Phänomen, das in der westlichen Musikkultur keine Entsprechung hat (das Monochord ist verglichen mit der Bedeutung der Qin eine Randerscheinung). „Qin“ (auch guqin: „klassische Zither“ – 古琴) bezeichnet eine Wölbbrettzither (Halbröhrenzither), die – mit sieben Seiden-Saiten bespannt und mit Lack überzogen – aus dem Holz des Wutong-Baumes hergestellt wird (Abb. 25).242 Die Qin zählt zu den ältesten Instrumenten der chinesischen Kultur. Der Mythos datiert ihre Erfindung auf das 3. Jahrtausend v. Chr.243 Ein so hohes Alter lässt sich zwar archäologisch nicht belegen,244 doch im242  Martin Gimm, Art. „Qin“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Aufl., Bd. 7, Kassel 1997, Sp. 1915–1928, 1915–1917. 243  Liang Mingyue, Music of the Billion. An Introduction to Chinese Musical Culture, New York 1985, S. 197 f.; Manfred Dahmer, Qin. Die klassische chinesische Griffbrettziffer, Baden-Baden 1985, S. 9; Martin Gimm, Art. „Qin“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Aufl., Bd. 7, Kassel 1997, Sp. 1915–1928, 1918 f. 244  Zu den archäologischen Befunden vgl. Jenny F. So (Hrsg.), Music in the Age of Confucius, Washington D.C. 2000, S. 73–79; Werner Bachmann, Ensemblemusi-



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merhin könnte das antike, sehr alte Schriftzeichen für Musik (yue), das die Elemente „Seide“ und „Holz“ enthält, sich auf die Qin beziehen.245 Fest steht, dass bereits in der Östlichen Zhou-Zeit (770–256 v. Chr.) die Qin-Musik hohes Ansehen genoss. Auch Konfuzius soll die Zither beherrscht haben (wenngleich die „Analekten“ selbst die Qin nicht erwähnen).246 Sima Qian berichtet in seinen „Historischen Aufzeichnungen“, Konfuzius habe das QinSpiel bei dem berühmten Virtuosen Xiang, dem Meister des Klingsteins, erlernt.247 In Wort und Bild tradiert wurde ferner des Konfuzius Begegnung mit dem sich am Klang des Qin erfreuenden Laozi. Zu Konfuzius-Zeiten war die Zither bereits vornehmlich ein Solo- und nur noch in zweiter Linie eine Ensemble- und Orchesterinstrument.248 Das Qin-Spiel galt über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrtausenden schlechthin als die künstlerische Ausdrucksform der chinesischen Intelligenz und literarischen Elite.249 „For from a remote time“, heißt es in van Guliks wegweisender Kulturgeschichte der Qin, „the Lute was set apart as inseparable companion of the literatus, that engaging combination of official, poet, painter and philosopher, till gradually it became in itself a symbol of literary life, with all its elgant and tasteful pleasures. The musical properties came to be accessory to the instrument as center of a special system of thought, an ideology fitly encompassing the eclectic tendencies characteristic of the old-fashioned Chinese scholar.“250 Auch einige Fürsten und Kaisern des alten Chinas standen im Ruf, sich mit großer Hingabe dem QinSpiel zu widmen. Der künstlerisch hochbegabte Song-Kaiser Huizong (1082–1135) verfügte über eine bedeutende Qin-Sammlung und gab Bilder zieren im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Ein Vergleich der Bildquellen und der Instrumentenfunde, Imago Musicae IV (1987), S. 209–228, 225–227. 245  Martin Gimm, Art. „Qin“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Aufl., Bd. 7, Kassel 1997, Sp. 1915–1928, 1918. 246  Jenny F. So (Hrsg.), Music in the Age of Confucius, Washington D.C. 2000, S. 30 f.; Martin Gimm, Art. „Kongzi“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik (Personenteil), 2. Aufl., Bd. 10, Kassel 2003, Sp. 481–484, 481 f. 247  Manfred Dahmer, Qin. Die klassische chinesische Griffbrettziffer, Baden-Baden 1985, S. 12 f. 248  Yimin Jiang, „Große Musik ist tonlos“. Eine historische Darstellung der frühen philosophisch-daoistischen Musikästhetik, Frankfurt am Main 1995, S. 32. 249  Liang Mingyue, Music of the Billion. An Introduction to Chinese Musical Culture, New York 1985, S. 197; Yimin Jiang, „Große Musik ist tonlos“. Eine historische Darstellung der frühen philosophisch-daoistischen Musikästhetik, Frankfurt am Main 1995, S. 31 f.; Manfred Dahmer, Qin. Die klassische chinesische Griffbrettziffer, Baden-Baden 1985, S. 9 f. 250  R. H. van Gulik, The Lore of the Chinese Lute, Tokyo 1940, S. I.

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Abb. 26

in Auftrag (oder malte sie selbst), die ihn in der Pose des passionierten Qin-Spielers zeigen (Abb. 26).251 Dass neben dem Kaiser nur drei weitere Personen der Musikdarbietung beiwohnen, ist für bildliche Darstellungen der Qin-Praxis typisch. An den Klängen der Zither ergötzen sich in der Regel nur der Spieler selbst und 251  Dongsheng Liu, Die Geschichte der chinesischen Musik. Ein Handbuch in Text und Bild, Mainz 2009, S. 203.



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(allenfalls) einige wenige Zuhörer.252 Vorzugsweise findet die Darbietung in der freien, unberührten Natur statt – abseits des Lärms menschlicher Siedlungen. So habe Konfuzius, ist im daoistische „Zhuangzi“ (4. Jahrhundert v. Chr.) zu lesen, bei einer Rast „am Aprikosenschrein … im Wald der Schwarzen Vorhänge“ seine Zither hervorgeholt und gesungen, während seine Schüler in ihren Bücher studierten.253 Die rührende Geschichte von der Freundschaft zwischen dem berühmten Qin-Spieler Boya (Be Ya) und seinem nicht minder begabten Zuhörer Zhong Ziqi (Dschung Dsï Ki) soll bezeugen, wie selten und kostbar echte Seelenverwandtschaft ist. Nur ganz wenige Menschen vermögen in sich die gleiche Stimmung zu erzeugen, wie sie der Spieler empfindet: „Be Ya war trübselig gestimmt, nahm seine Zither und spielte. Erst spielte er eine Weise von tropfendem Regen, dann schuf er den Laut von stürzenden Bergen. Welche Melodie er immer spielte, Dschung Dsï Ki erriet sofort seine Stimmung. Da legte Be Ya die Zither weg und sagte seufzend: ‚Vortrefflich, vortrefflich hörst du, was ich im Sinne habe. Die Bilder, die du ersinnst, sie gleichen meiner Stimmung. Unmöglich ist es mir, dir mit meinen Tönen zu entgehen.‘ “254 Der Überlieferung zufolge soll Boya nach dem Tode Zhong Ziqis seine Qin zerbrochen und nie wieder gespielt haben, weil es nun niemanden mehr gab, der seine Musik noch verstand.255 Die kleine Zahl der Zuhörer hatte ihre letzte Ursache nicht in einer angeborenen, von vornherein bestehenden Vorliebe für den diskreten Musikgenuss, sondern in den spezifischen Klangeigenschaften der Zither, die wiederum bedingt waren durch die zur Verfügung stehenden Materialien und die kunsthandwerklichen Traditionen Chinas: Die in China seit Jahrtausenden bekannte Seide galt zwar als das wertvollste und vornehmste Material für Musikinstrumente,256 erzeugte aber nur einen zarten, dezenten 252  Vgl. Kenneth J. DeWoskin, A Song for One or Two. Music and the Concept of Art in Early China, Ann Arbor 1982, S. 123; Yimin Jiang, „Große Musik ist tonlos“. Eine historische Darstellung der frühen philosophisch-daoistischen Musik­ ästhetik, Frankfurt am Main 1995, S. 39. 253  Zhuangzi. Das klassische Buch daoistischer Weisheit, übers. von Victor H. Maur/Stephan Schumacher, Frankfurt am Main 1998, S. 428. 254  Liä Dsi. Das wahre Buch vom quellenden Urgrund, übers. von Richard Wilhelm, Stuttgart 1980, S. 112 f. 255  Yimin Jiang, „Große Musik ist tonlos“. Eine historische Darstellung der frühen philosophisch-daoistischen Musikästhetik, Frankfurt am Main 1995, S. 36; Manfred Dahmer, Qin. Die klassische chinesische Griffbrettziffer, Baden-Baden 1985, S. 11. 256  So schon Huan Tan im 1. Jahrhundert n. Chr.: „Von den acht Materialien, aus denen Musikinstrumente hergestellt werden, ist die Seide der Saiten das Beste und die Qin ist deren Haupt“ – Manfred Dahmer, Qin. Die klassische chinesische Griffbrettziffer, Baden-Baden 1985, S. 29.

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Klang. Das äußerst geringe Klangvolumen resultierte zudem aus dem Fehlen einer dünnen, leicht schwingenden Decke, denn das verwendete Holz war sehr dick und der Korpus überdies mit zahlreichen Lackschichten überzogen („Chinalack“ – ebenfalls seit Jahrtausenden in China in Gebrauch, unter anderem zur Verzierung und Härtung von Gefäßen und Rüstungen).257 Angesichts dieser Materialbeschaffenheit ist es nicht verwunderlich, dass das Instrument im Rahmen einer Orchesteraufführung und selbst bei einer Solodarbietung in einem großen, mit vielen Menschen gefüllten Raum akustisch kaum zur Geltung kommt.258 Doch aus der Not machte man eine Tugend. „Die für die chinesische Zithermusik so charakteristischen Besonderheiten wie die Feinheit der Klangnuancen, die unterschiedlichen Melismen und 26 Vibratoarten oder die spezifischen Glissandi, die den jeweiligen Zielton in unterschiedlicher Weise ‚anschleifen‘ und dabei Mikrotöne erzeugen“,259 beförderten das Interesse an den in der Natur allgegenwärtigen „leisen“, „leeren“, „stillen“ Geräuschen wie die durch den Flügelschlag eines Schmetterlings oder einer Libelle erzeugten Töne, das Zirpen der Grille, das Geraschel vom Wind bewegter Blätter, das Rieseln des Schnees in der Winternacht, das Knistern des Feuers usw., Geräusche, denen in den Qin-Lehrbüchern durch Handgriffe illustrierte Spielweisen zugeordnet wurden (Abb. 27).260 Die mit der Zither vertraute Elite stilisierte die exquisiten, nur für den Nahestehenden sinnlich erfahrbaren Klänge zur reinen, zur wahren Musik. So entstand eine musikalische Gegenkultur zur Staats- und Sakralmusik, zum auditiven Massenerlebnis.261 Dass die künstlerische Praxis der Qin-Musik, die auf die Synchronisierung des Denkens und Fühlens einer kleinen Schar Eingeweihter mittels sprachloser Kommunikation zielt, zu einem wirkungsmächtigen, die Akzep257  Manfred Dahmer, Qin. Die klassische chinesische Griffbrettziffer, Baden-Baden 1985, S. 44; Liang Mingyue, Music of the Billion. An Introduction to Chinese Musical Culture, New York 1985, S. 209 f. 258  Vgl. R. H. van Gulik, The Lore of the Chinese Lute, Tokyo 1940, S. 2; Kenneth J. DeWoskin, A Song for One or Two. Music and the Concept of Art in Early China, Ann Arbor 1982, S. 161. 259  Martin Gimm, Art. „Qin“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Aufl., Bd. 7, Kassel 1997, Sp. 1915–1928, 1924. 260  Manfred Dahmer, Qin. Die klassische chinesische Griffbrettziffer, Baden-Baden 1985, S. 51; Martin Gimm, Art. „Qin“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Aufl., Bd. 7, Kassel 1997, Sp. 1915– 1928, 1924. 261  Vgl. Martin Gimm, Art. „Qin“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Aufl., Bd. 7, Kassel 1997, Sp. 1915–1928, 1926 f.



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Abb. 27

tanz exoterischer obrigkeitlicher Reglementierung unterlaufenden Denkmodell für eine „harmonische“ Gesellschaftsordnung avancieren könnte, haben die Gegner des klassischen Konfuzianismus, allen voran die Legisten, früh erkannt oder zumindest erahnt. Der gleiche Han Fei, der – wie gesehen – die Konfuzianer scharf für ihre achtlose Haltung gegenüber Strafgesetzen kritisierte – insbesondere wenn diese mit familiären Verpflichtungen kollidierten – kritisierte ebenso scharf die von Konfuzius und seinen Nachfolger betriebene Verherrlichung intimer musikalischer Séancen.262 Für ganz besonders schädlich erachtete es das Schulhaupt der Legisten, wenn sich Fürsten oder allgemein Personen in Regierungsverantwortung der Musik verschrieben. Han Fei zählt musikalischen Eifer sogar zu den zehn Todsünden, den „zehn Verfehlungen“, die ein Herrscher begehen könne: „Viertens 262  Vgl. Liang Mingyue, The Chinese Ch’in, its History and Music, San Francisco 1969, S. 129 f.

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richtet man sich zugrunde, wenn man sich den Schönheiten der Musik und nicht den Pflichten der Politik widmet.“263 Wie aus dem zur Veranschaulichung dieser Voraussage angeführten Beispiel hervorgeht,264 war Han Fei vornehmlich die kontemplative Zithermusik ein Dorn im Auge: Er erzählt die Geschichte des Herzogs Ling von Wei, der auf dem Weg nach Jin eines Nachts eine fremde, ihn ungemein beglückende Trommelmelodie vernimmt und seinen Musikmeister Juan anweist, die Melodie zu notieren und ihm auf der Zither265 vorzuspielen. Bei einem Treffen mit Herzog Ping von Jin kommt das Stück zur Aufführung, obwohl der ebenfalls anwesende Musiker Kuang, nachdem er die ersten Klänge vernommen hat, davor warnt, die Darbietung fortzusetzen, weil es sich um „die Melodie eines untergehenden Staates“ handle. Doch Herzog Ping schlägt die Warnung in den Wind und verlangt fortwährend nach neuen Melodien. So nimmt, wie von Kuang vorhergesagt, das Unglück seinen Lauf: „Der Staat Jin erlebte daraufhin eine schreckliche Dürre, die drei Jahre lang nichts wachsen und gedeihen ließ, und Herzog Ping wurde schließlich von einer tödlichen Krankheit heimgesucht. Daher heißt es, dass sich zugrunderichtet, wer sich den Schönheiten der Musik hingibt, anstatt den Pflichten des Regierens nachzukommen.“266 Auch wenn Han Fei die Bedeutung der Qin-Musik für das politische Denken und Handeln anerkennt, so bezeugt er doch zugleich mit seiner Kritik am Konfuzianismus, dass es in China möglich war und ist, sich dieser Lehre samt ihrer untergründigen sinnlichen Bezügen zu widersetzen. Dann sollte es erst recht möglich gewesen sein, den durch die Qin-Praktiken beförderten Kult informeller Regulierung und familiärer (freundschaftlicher, nachbarschaftlicher) Loyalitäten in Einklang zu bringen mit Bedürfnissen nach jedermann zugänglichen, gesetzlichen Handlungsanleitungen und staatlich sanktionierten Konfliktlösungsmechanismen. Tatsächlich hat man im Westen viel zu lange den ritualisierten Bekenntnissen zur klassischen konfuzianischen Lehre Glauben geschenkt und daher verkannt, welchen hohen Stellenwert auch in der chinesischen Geschichte dem Recht als Mittler 263  Han Fei, Die Kunst der Staatsführung. Die Schriften des Meisters Han Fei, übers. von Wilmar Mögling, Leipzig 1994, S. 75. 264  Han Fei, Die Kunst der Staatsführung. Die Schriften des Meisters Han Fei, übers. von Wilmar Mögling, Leipzig 1994, S. 79–81. 265  „Qin“: Manfred Dahmer, Qin. Die klassische chinesische Griffbrettziffer, ­Baden-Baden 1985, S. 17 f.; „Laute“: Han Fei, Die Kunst der Staatsführung. Die Schriften des Meisters Han Fei, übers. von Wilmar Mögling, Leipzig 1994, S. 79. 266  Han Fei, Die Kunst der Staatsführung. Die Schriften des Meisters Han Fei, übers. von Wilmar Mögling, Leipzig 1994, S. 81.



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zwischen Gemeinwohl- und Individualinteressen zukam.267 In der Praxis gab es eher ein Nebeneinander als ein Gegeneinander von li und Gesetz. Direkte und indirekte Formen der Sozialkontrolle ergänzten sich.268 Der Seitenblick auf die Regierungslehren des chinesischen Altertums hat Anhaltspunkte dafür geliefert, dass auch in außereuropäischen Kulturen musikalische Analogien Einfluss nahmen (und nehmen) auf elementare politische wie gesellschaftliche Wert- und Ordnungsvorstellungen. Auditive Erfahrungen spiegeln sich etwa in dem Ideal einer auf eine integrative, geordnete Vielfalt ausgerichteten Herrschaftspraxis, in der Präferenz für eine Konfliktlösung und -prävention durch beispielhafte Lebensführung, in der Abneigung gegenüber verbalisierten, gar schriftlich fixierten Rechtsnormen im Allgemeinen und Strafnormen im Besonderen und in der Verherrlichung des engen persönlichen Lebenskreises als Fundament einer stabilen Friedensordnung. Pate stand zum Teil das musikalische Erleben schlechthin, das den Glauben an die konstruktive Kraft angenehmer Empfindungen und nonverbaler Sinnstiftung beförderte, zum Teil der Umgang mit einer bestimmten, für die chinesische (Hoch-)Kultur charakteristischen Form der musikalischen Darbietung, die als ein Bekenntnis zu dem Primat der vertrauten, intimen Gemeinschaft gedeutet wurde. Seiner Bedeutung und Funktion nach entspricht der Leitbegriff he (和) in mancher Hinsicht der Bodin’schen „iustice harmonique“, wenngleich er nicht alle Aspekte der von der Wirkung musikalischen Erlebens inspirierten alt-chinesischen Regierungslehre und politischen Philosophie erfasst. Die „Harmonie“ des in der Epoche der „Streitenden Reiche“ (475–221 v. Chr.) zur Reife gelangten Konfuzianismus diente wie die Bodin’sche Formel der Stabilisierung der Res publica – in der Weise, dass die Adhäsionskraft des ästhetischen Ideals dem Zusammenhalt des Gemeinwesens zugute kam. 2. Balance: Sternenglanz und konstitutionelle Mechanik Als Carl Schmitt über die „Prinzipien des modernen Parlamentarismus“ räsonierte, war das vornehmste dieser Prinzipien – „die Balance“ – bereits 267  William P. Alford, Law, Law, What Law? Why Western Scholar of China Have Not Had More to Say about Its Law, in: Karen G. Turner/James V. Feinerman/ R.  Kent Guy, The Limits of the Rule of Law in China, Seattle 2000, S. 45–64; Endymion Wilkinson, Chinese History. A New Manual, Cambridge (MA), London 2013, S. 305. 268  Vgl. Robert Heuser, Das Rechtskapitel im Jin-Shu. Ein Beitrag zur Kenntnis des Rechts im frühen chinesischen Kaiserreich, München 1987, S. 21–26; ders., Einführung in die chinesische Rechtskultur, Hamburg 2002, S. 66–85.

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dem Untergang geweiht. Doch noch als Schatten seiner selbst verbreitete das Ideal des Equilibrium unter den Feinden und Verächtern der parlamentarischen Demokratie – zu denen sich auch der deutsche Staatsrechtler zählte – Angst und Schrecken. „Über die allgemeine Bedeutung der Vorstellung von einer Balance braucht man nicht mehr viel Worte zu verlieren“, schrieb Schmitt 1926, „von den Bildern, die in der Geschichte politischen und staatsrechtlichen Denkens typisch wiederkehren und deren systematische Untersuchung noch nicht einmal begonnen ist …, ist sie für die moderne Zeit das Wichtigste. Seit dem 16. Jahrhundert herrschen auf allen Gebieten menschlichen Geisteslebens alle Arten von Balancen … Für die Staatstheorie lässt sich die zentrale Bedeutung dieser universalen Vorstellung aus einigen Namen ohne weiteres entnehmen: Harrington, Locke, Bolingbroke, Montesquieu, Mably, de Lolme, der Federalist und die französische Nationalversammlung von 1789.“269 Selbstverständlich findet das Konzept der „Balance“ zur Beschreibung juristischer oder politischer Gegebenheiten nicht erst seit der Neuzeit Verwendung. Schon in der altägyptischen Kultur symbolisierte die Waage die Gerechtigkeit – die Gerechtigkeit im Jenseits. Der Totenrichter Osiris richtet über die Verdienste und Verfehlungen des Verstorbenen, indem er auf einer großen Standwaage dessen Herz mit einer Feder abwog, „ausbalancierte“.270 In Rom gehörte die gleicharmige Doppelschalenwaage zwar nicht (wie in der Neuzeit) zu den Attributen der Justitia, wohl aber der Aequitas.271 Die aus der römischen Antike überlieferten Bildzeugnisse zeigen die Waagschalen der Aequitas stets im Gleichgewicht.272 Ferner übertrugen Bernardo Rucellai, Francesco Guicciardini und andere das Bild der „Balance“ bereits im 15. Jahrhundert auf die komplizierten Machtverhältnisse in Italien und damit auf „zwischenstaatliche“, „völkerrechtliche“ Beziehungen273 („… che 269  Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 8. Aufl., Berlin 1996 (Nachdruck der 2. Aufl., Berlin 1926), S. 50 f. 270  Lars Ostwaldt, Aequitas und Justitia. Ihre Ikonographie in Antike und Früher Neuzeit, Halle a. d. Saale 2009, S. 58 (mwN). 271  Lars Ostwaldt, Aequitas und Justitia. Ihre Ikonographie in Antike und Früher Neuzeit, Halle a. d. Saale 2009, S. 27. 272  Lars Ostwaldt, Aequitas und Justitia. Ihre Ikonographie in Antike und Früher Neuzeit, Halle a. d. Saale 2009, S. 63. 273  Hans Fenske, Art. „Gleichgewicht, Balance“, in: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache, Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 959–996, 961; WolfgangUwe Friedrichs, Gleichgewichtsdenken und Gleichgewichtspolitik zur Zeit des Teutschen Krieges, in: Wolf D. Gruner (Hrsg.), Gleichgewicht in Geschichte und Gegenwart, Hamburg 1989, S. 19–59, 19 f.; Arno Stromeyer, Art. „Gleichgewicht der Kräfte“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, hrsg. u. a. von Friedrich Jaeger, Bd. 4, Stuttgart 2006, Sp. 925–931, 927; ders., Theorie der Interaktion. Das europäische Gleich-



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le cose d’Italia si mantenessero in modo bilanciate, che piú in un altra parte non pendessero“274). Die Beständigkeit und universale Verbreitung des Balance-Ideals (wie auch anderer ästhetischer Prinzipien) spricht dafür, dass es sich aus einer elementaren Leibeserfahrung speist, die allen Menschen vertraut ist. In Betracht kommt in dem Fall nicht nur das positive Erleben des Gleichgewichts (im Rückschluss auf das negative Erleben des Ungleichgewichts) durch die vestibuläre Wahrnehmung, sondern auch die affirmative Resonanz beim Betrachten von Symmetrien.275 Umgekehrt kann man sich – mit Hannah Arendt – auf den Standpunkt stellen, dass in der Sache die Gewaltenbalance ungleich älter ist als die moderne Terminologie und schon lange vor Montesquieu und den Revolutionen des 18. Jahrhunderts in der Diskussion war: „Wir finden sie, wenn auch unausgesprochen, in den Theorien der gemischten Staatsform, können sie also in dieser Form bis auf Aristoteles oder doch zumindest Polybius zurückverfolgen; jedenfalls war Polybius vermutlich der erste, dem die Vorteile eines Systems von ‚checks and balances‘ … voll bewusst waren.“276 Abstraktionen und Verallgemeinerungen dieser Art haben freilich nur einen begrenzten Aussagegehalt und verführen überdies dazu, das Besondere und Einmalige einer Epoche überhaupt nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen. Auch „universale“ ästhetische Prinzipien und staatstheoretische Grundsätze haben ihre Konjunkturen, was nicht dadurch widerlegt wird, dass sich bereits bei diesem oder jenem (antiken) Autor ähnliche Begriffe und Gedanken nachweisen lassen. Welche Veränderungen in der materiellen Welt und im intellektuellen Milieu solche Konjunkturen auslösen, ist häufig die interessantere Frage. So wird jeder, der sich in die Debatten um die amerikanische Verfassung von 1787 vertieft, mit Erstaunen bemerken, wie häufig ihm in den Quellen die Ausdrücke balance und equilibrium begegnen, und er wird gewicht der Kräfte in der Frühen Neuzeit, Wien 1994, S. 117 f.; Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700–1785, Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, Bd. 4, Paderborn 1997, S. 11. 274  Nach Wolfgang-Uwe Friedrichs, Gleichgewichtsdenken und Gleichgewichtspolitik zur Zeit des Teutschen Krieges, in: Wolf D. Gruner (Hrsg.), Gleichgewicht in Geschichte und Gegenwart, Hamburg 1989, S. 19–59, 19. 275  Zur „Balance“ als Metapher des „embodied mind“ Mark Johnson, The Body in the Mind. The bodily meaning of meaning, imagination, and reason, Chicago 1987, S. 80–100. Vgl. auch Fred W. Mast/Luzia Grabherr, Mit dem Körper denken. Der Gleichgewichtssinn als fundamentale leibliche Selbsterfahrung, in: Körper, Dinge, Bewegung. Der Gleichgewichtssinn in materieller Kultur und Ästhetik, hrsg. von Rainer Schönhammer, Wien 2009, S. 49–60; Rainer Schönhammer, Der Gleichgewichtssinn in materieller Kultur und Ästhetik. Ein Überblick, in: Körper, Dinge, Bewegung. Der Gleichgewichtssinn in materieller Kultur und Ästhetik, hrsg. von Rainer Schönhammer, Wien 2009, S. 11–45. 276  Hannah Arendt, Über die Revolution, Frankfurt am Main 1968, S. 195.

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zugeben müssen, dass das Phänomen zu anderen Zeiten und an anderen Orten keine Entsprechung hat. Die Anfänge der neuzeitlichen Balance-Ästhetik liegen buchstäblich im Dunkeln. Denn nicht nur Kant erfüllte der „bestirnte Himmel“ über uns – die „zahllose Weltmenge“ – mit Bewunderung und Ehrfurcht,277 auch viele andere Protagonisten der Aufklärung faszinierte der Anblick des nächtlichen Firmaments: „Keine Epoche der deutschen Geistesgeschichte hat der Astronomie einen so herausragenden Platz im Gefüge der Gelehrsamkeit zugewiesen wie die Aufklärung. Zahllose Zeugnisse aus allen Bereichen des intellektuellen Lebens dokumentieren das überwältigende zeitgenössische Interesse an der Erforschung des Sternhimmels.“278 Beispielsweise schwärmte Abraham Gotthelf Kästner 1747 von den „Reizungen“ der Astronomie, die „so groß und so lebhaft“ seien, „dass man nur menschlichen Empfindungen haben darf, von ihnen gerührt zu werden, und nur mittelmäßige Geschicklichkeit braucht, davon mit Feuer und Anmuth zu reden.“279 Die Begeisterung für die „Sternkunst“ teilte man in ganz Europa und erst recht in Übersee. Seit der Erfindung des Fernrohrs in den Niederlanden zu Beginn des 17. Jahrhunderts und dessen Weiterentwicklung durch Galilei, später durch Newton, der 1668 das erste Spiegelteleskop entwickelte, interessierte sich eine wachsende Zahl von Gelehrten und gebildeten Laien für die Konfigurationen des Firmaments, bis schließlich der Blick zu den Sternen habituelle Züge annahm und einem Glaubensbekenntnis zu den Idealen der Aufklärung gleichkam. Star-gazing kam in Mode und galt einigen als erste Bürgerpflicht. „Ich bin demnach der unverwerflichen Meinung“, schrieb Johann Leonhard Rost bereits 1718, „es sey ein vernünftiger Mensch, durch einen allgemeinen Befehl des höchsten Schöpfers dazu verpflichtet, dass er die Sonne, Mond und Sterne täglich anschaue.“280 Als Étienne-Louis Boullée, der Großmeister des visionären Klassizismus, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sich daran machte, für den damals gottgleich verehrten Newton ein monumentales Denkmal zu entwerfen, verfiel er auf den Gedanken, in einer riesigen Kuppel mit Hilfe des Tageslichts die Wirkung des Firmaments zu simulieren (Abb. 28). „Das Licht in 277  Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, in: ders., Werke in zwölf Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Band 8, Frankfurt am Main 1968, S. 300 (Beschluss). 278  Rainer Baasner, Das Lob der Sternkunst. Astronomie in der deutschen Aufklärung, Göttingen 1987, S. 11. Vgl. auch Karl Richter, Literatur und Naturwissenschaft. Eine Studie zur Lyrik der Aufklärung. München 1972, S. 84–88. 279  Abraham Gotthelf Kästner, Das Lob der Sternkunst, Hamburgisches Magazin Bd. 1 (1747), S. 206–222, 206. 280  Johann Leonhard Rost, Astronomisches Handbuch, hrsg. von Georg Friedrich Kordenbusch, 2. Aufl., Nürnberg 1771 (1718), S. II (Vorrede).



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Abb. 28

diesem Monument“, erläutert Boullée. „das dem einer klaren Nacht gleichen soll, geht von den Planeten und Sternen aus, die das Himmelsgewölbe schmücken. Die Verteilung der Gestirne ist die gleiche wie in der Natur. Diese Gestirne entstehen durch kleine Öffnungen, die man in die Außenschale der Wölbung trichterförmig einführt und die dann auf der Innenseite ihre richtige, ihnen entsprechende Form annehmen. Das durch diese Öffnungen in das dunkle Innere eindringende Tageslicht lässt alles, was in der Wölbung zum Ausdruck gebracht wird, im lebendigsten und strahlendsten Licht erscheinen.“281 Nur diese natürliche, himmlische Pracht werde, glaubte der Architekt, dem astronomischen Genie Newtons gerecht. „Indem ich, o Newton, Dein göttliches System anwandte, um die Grablampe zu schaffen, die Deine Ruhestätte erhellt, scheint mir, dass ich selbst zum Erhabenen fand. Es wäre mir als ein Sakrileg erschienen, hätte ich dieses Monument anders ausgeschmückt.“282 Der Aufklärungsastronomie kam zugute, dass sie mit Bernard le Bovier de Fontanelle einen genialen Wissensvermittler auf ihrer Seite hatte, der es in seinen 1686 erstmals im Druck erschienenen „Entretiens sur la pluralité des mondes“ meisterhaft verstand, die Himmelsbetrachtung als ein künstlerisch-ästhetisches Erlebnis literarisch in Szene zu setzen. Ein Deutscher in 281  Étienne-Louis Hanna Böck, Zürich 282  Étienne-Louis Hanna Böck, Zürich

Boullée, Architektur. Abhandlung über die Kunst, übers. von 1987, S. 132. Boullée, Architektur. Abhandlung über die Kunst, übers. von 1987, S. 131 f.

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seiner Studierstube, seufzte Kästner Jahrzehnte später, vermöge eben „von solchen Sachen nicht vollkommen so artig als Fontanelle“ zu denken.283 Der Erfolg dieses Schlüsseltextes der Aufklärung war ungeheuer. An die hundert Auflagen sowie Übersetzungen ins Dänische, Deutsche, Englische, Griechische, Italienische, Polnische, Russische, Spanische und Schwedische sind nachgewiesen.284 Mit der Raffinesse eines Charmeurs führt Fontanelle in das Thema ein. „Wir gingen an einem Abend nach der Mahlzeit im Park spazieren“, beginnt der fiktive Erzähler seine astronomische Unterweisung, „es war angenehm kühl, und das entschädigte uns für die unmässige Hitze, die wir am Tage hatten ausstehn müssen. Der Mond war etwa seit einer Sunde aufgegangen; seine sich durch die Zweige zu uns hinstehlenden Stralen brachten durch ihr sehr blendendes Weis eine anmutige Mischung mit dem Grün ringshum hervor, das schwarz zu sein scheint. Nicht eine Wolke entzog oder verdunkelte uns den kleinsten Stern; sie stralten insgesamt wie hellleuchtende Goldkugeln, die durch den blauen Grund, worauf sie stehen, noch erhöht wurden. Dieses Schauspiel versenkte mich in ein Staunen, das von längerer Dauer würde gewesen sein, wenn die Gegenwart einer so liebenswürdigen Dame, wie die Marquise, mir’s erlaubt hätte, mich Mond und Sternen ganz zu überlassen.“285 Mit diesem gefühlvollen Entree, das auch noch in der zeitgenössischen deutschen Übertragung (von 1789) seinen Zauber entfaltet, ist der Boden bereitet für eine ungezwungene Plauderei über neue Weltbilder und die Gestalt der durch „Fernröhren“ erforschten Planeten. Bezeichnenderweise steht allerdings zunächst gar nicht die astronomische Wissensvermittlung im Vordergrund, sondern die Reflexion über Schönheit und Anmut der Sternennacht (Abb. 29). Auf die Frage der Marquise, warum der Tag nicht die gleiche Vertraulichkeit wie die Nacht wert sei, erwidert ihr kundiger Begleiter: „Vermutlich, weil er nicht solche ausschwärmerische, melancholische Empfindungen erzeugt“ – und fügt hinzu: „Vielleicht ist auch die Szene des Tages einförmig; sie enthält nur Eine Sonne, und ein kahles Gewölbe. Auch ist es möglich, dass der Anblick dieser ohne Ordnung hingeworfnen Sterne, die durch ein Ungefähr tausenderlei verschiedene Figuren bilden, ein angenemes Staunen begünstigt.“ Treuherzig pflichtet ihm die Marquise bei: „Was Sie da sagen, hab’ ich stets empfunden; ich liebe die Sterne, und 283  Abraham Gotthelf Kästner, Das Lob der Sternkunst, Hamburgisches Magazin Bd. 1 (1747), S. 206–222, 206 f. 284  Michael J. Crowe, The Extraterrestrial Life Debate. Antiquity to 1915. A Source Book, Notre Dame 2008, S. 72. 285  Bernard de Fontanelle, Dialogen über die Mehrheit der Welten, übers. von Johann Elert Bode, 2. Aufl., Berlin 1789, S. 4.



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Abb. 29

möchte mich herzlich gern über die Sonne beschweren, vor der sie verschwinden müssen.“286 Demnach war die glänzende Vielheit der Nacht, nicht die strahlende Einförmigkeit des Tages Emblem, Ikone, Sinnbild des Siècle des Lumières.287 Auch weniger schwärmerische Naturen haben damals wie jene Marquise empfunden, wenn sie des Abends die Augen zum Himmel richteten. Montesquieu zum Beispiel. „La trop grande régularité“, schreibt er in den „Pensées“, „quelquefois et même souvent désagréable. Il n’y a rien de si beau 286  Bernard de Fontanelle, Dialogen über die Mehrheit der Welten, übers. von Johann Elert Bode, 2. Aufl., Berlin 1789, S. 6 f. 287  Zur Lichtmetapher in der französischen Aufklärung vgl. Karin Elisabeth Becker, Licht – [L]lumière[s] – Siècles des Lumières. Von der Lichtmetapher zum Epochenbegriff der Aufklärung in Frankreich, Diss. Köln 1994.

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que le ciel; mais il est semé d’étoiles sans ordre“288: Ein Übermaß an Regelmäßigkeit bereite Missvergnügen. Schließlich sei nichts schöner als der Sternenhimmel, obwohl es an jeder Ordnung fehle. Allzu häufig fällt unter den Tisch, dass der französischen Staatstheoretiker auch Verfasser einer ästhetischen Grundlagenschrift war. In dem um 1726 entstandenen, aber erst post mortem veröffentlichten „Essai sur le goût dans les choses de la nature et de l’art“ – ein Projekt für die „Encyclopédie“ – entfaltet Montesquieu das Panorama einer Ästhetik der Vielheit und Mannigfaltigkeit.289 Zwar kommt in einem Abschnitt des „Essai“ auch das „Vergnügen der Ordnung“ („Des plaisirs de l’ordre“) zu ihrem Recht,290 doch ist damit gerade nicht das Vergnügen an Monotonie, Einfalt und Simplizität gemeint, wie sich aus den übrigen Kapiteln ergibt („De la curiosité“,291 „Des plaisir de la variété“,292 „Des plaisirs de la symétrie“,293 „Des contrastes“,294 „Des plaisirs de la surprise“295 usw.). Das ästhetische Credo Montesquieus lautete vielmehr: „Nous aimons à voir un grand nombre d’objets“296 – Wir mögen es, wenn wir Dinge in großer Anzahl zu Gesicht bekommen. „Ainsi on sera toujours sûr de plaire à l’âme lorsqu’on lui fera voir beaucoup de choses, ou plus qu’elle n’avait espéré d’en voir.“297 288  Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Pensées, in: ders., Oeuvres complètes, hrsg. von Roger Caillois, Bd. 1, Paris 1956, S. 972– 1574, 1265 (985). 289  Vgl. Laurent Versini, Baroque Montesquieu, Genf 2004, S. 79. 290  Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Essai sur le goût dans les choses de la nature et de l’art, in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 5, Paris 1820, S. 105–140, 113 f. 291  Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Essai sur le goût dans les choses de la nature et de l’art, in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 5, Paris 1820, S. 105–140, 110–113. 292  Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Essai sur le goût dans les choses de la nature et de l’art, in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 5, Paris 1820, S. 105–140, 114–116. 293  Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Essai sur le goût dans les choses de la nature et de l’art, in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 5, Paris 1820, S. 105–140, 116 f. 294  Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Essai sur le goût dans les choses de la nature et de l’art, in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 5, Paris 1820, S. 105–140, 117–120. 295  Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Essai sur le goût dans les choses de la nature et de l’art, in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 5, Paris 1820, S. 105–140, 120–122. 296  Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Essai sur le goût dans les choses de la nature et de l’art, in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 5, Paris 1820, S. 105–140, 111.



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Auch die Präferenz für die Symmetrie impliziert eine Vorliebe für die Vielheit, zumindest die Duplizität der Dinge. Ausdrücklich spricht Montesquieu in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit des balancement. Gebäude mit nur einem Flügel und Körper mit nur einem Arm seien eben nicht vollkommen: „L’âme qui voit ce tout veut qu’il n’y ait point de partie imparfaite. C’est encore pour cela qu’on aime la symétrie: il faut une espèce de pondération ou de balancement; et un bâtiment avec une aile, ou une aile plus courte qu’une autre, est aussi peu fini qu’un corps avec un bras, ou avec un bras trop court.“298 Obwohl Montesquieu fortwährend von nous oder on spricht, beschreibt er doch in erster Linie seine persönlichen Vorlieben, die in dieser Akzentuierung vielleicht der englischen, nicht aber unbedingt der zeitgenössischen französischen Ästhetik entsprachen. 297

Montesquieus Lehre von der Gewaltenteilung – astronomisch gewendet: die Lehre von der Pluralität der Gewalten – ist ein getreues Abbild seiner ästhetischen Neigung. Drei Gewalten konstituieren den Staat: „Il y a dans chaque État trois sortes de pouvoirs: la puissance législative, la puissance exécutrice des choses qui dépendent du droit des gens, et la puissance exécutrice de celles qui dépendent du droit civil.“299 Und diese drei Gewalten dürfen niemals durch eine Person oder Institution ausgeübt werden: „Lorsque dans la même personne ou dans le même corps de magistrature, la puissance législative est réunie à la puissance exécutrice, il n’y a point de liberté … Tout seroit perdu si le même homme, ou le même corps des principaux, ou des nobles, ou du peuple, exerçoient ces trois pouvoirs.“300 Singularität, Einfachheit, Uniformität: Ein Staat, der nach diesen Prinzipien organisiert ist, trägt, so sah es Montesquieu, notwendigerweise den Keim des Bösen in sich. Das wird in seiner Despotielehre (5. Buch, 14. Kapitel) besonders deutlich.301 Im despotischen Staat, heißt es dort, sei der 297  Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Essai sur le goût dans les choses de la nature et de l’art, in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 5, Paris 1820, S. 105–140, 111. 298  Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Essai sur le goût dans les choses de la nature et de l’art, in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 5, Paris 1820, S. 105–140, 117. 299  Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, De l’esprit des lois, livre 11, chapitre 6 in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 1, Paris 1820, S. 305. 300  Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, De l’esprit des lois, livre 11, chapitre 6 in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 1, Paris 1820, S.  305 f. 301  Dazu Arnd Morkel, Montesquieus Begriff der Despotie, in: Zeitschrift für Politik 13 (1966), S. 14–32; Françoise Weil, Montesquieu et le despotisme, in: Actes du Congrès Montesquieu, Bordeaux 1956, S. 191–215; Barbara Stollberg-Rilinger,

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gouvernement politique genauso einfach – simple – wie der gouvernement civil.302 Das Einförmige und Einfache gefalle freilich vielen Menschen. Das sei der Grund, warum das despotische Regiment – il est uniforme partout – noch heute die Geschicke so vieler Staaten bestimme, obwohl doch eigentlich für jedermann ersichtlich sei, dass eine solche Herrschaft nichts als Unglück über die Menschen bringe.303 In der Tat fanden nicht alle Gefallen an Montesquieus Vision einer komplexen, vielgestaltigen Staatsorganisation. Deutliche Kritik am Fetisch des Pluralen äußerten etwa Helvétius und Le Mercier de la Rivière. Letzterer empfahl, sich am Ideal der Einheit und Unteilbarkeit zu orientieren: „… par tout où se trouve une connoissance évidente de l’ordre, il ne peut exister deux forces publiques: l’évidence qui est une ne peu présenter qu’un seul point de réunion pour les volontés et les forces; elles ne peuvent donc se diviser.“304 Helvétius konnte Montesquieus komplizierten Staatsmechanik der Gewichte und Gegengewichte ebenfalls nichts abgewinnen – weil sie dem Gebot der simplicité zuwider laufe. „Je crois cependant à la possibilité d’un bon gouvernemen“, bekennt Helvétius gegenüber Montesquieu, „où, la libertè et la propriété du peuple respectées, on verrait l’intérêt général résulter sans toutes vos balances, de l’intérêt particulier. Ce serait une ma­ Der Staat als Maschine. Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaats, Berlin 1986, S. 152–158. 302  „La conservation de l’État n’est que la conservation du prince, ou plutôt du palais où il est enfermé. Tout ce qui ne menace pas directement ce palais ou la ville capitale, ne fait point d’impression sur des esprits ignorants, orgueilleux et prévenus; et, quant à l’enchaînement des événements, ils ne peuvent le suivre, le prévoir, y penser même. La politique, ses ressorts et ses lois y doivent être bornées; et le gouvernement politique y est aussi simple que le gouvernement civil“ – Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, De l’esprit des lois, livre 5, chapitre 14 in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 1, Paris 1820, S. 117. 303  „Après tout ce que nous venons de dire, il sembleroit que la nature humaine se soulèveroit sans cesse contre le gouvernement despotique. Mais, malgré l’amour des hommes pour la liberté, malgré leur haine contre la violence, la plupart des peuples y sont soumis. Cela est aisé à comprendre. Pour former un gouvernement modéré, il faut combiner les puissances, les régler, les tempérer, les faire agir; donner, pour ainsi dire, un lest à l’une, pour la mettre en état de résister à une autre; c’est un chef-d’oeuvre de législation, que le hasard fait rarement, et que rarement on laisse faire à la prudence. Un gouvernement despotique, au contraire, saute, pour ainsi dire, aux yeux; il est uniforme partout : comme il ne faut que des passions pour l’établir, tout le monde est bon pour cela“ – Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, De l’esprit des lois, livre 5, chapitre 14 in: Oeuvres complètes de Montesquieu, Bd. 1, Paris 1820, S. 124 f. 304  Nach Barbara Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine. Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaats, Berlin 1986, S. 157 [Hervorhebung im Original].



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chine simple, dont les ressorts, aisés à diriger, n’exigeraient pas ce grand appareil de rouages et de contrepoids si difficiles á remonter.“305 Auch in Übersee gab es engagierte Befürworter des simple, responsible government, die sich allerdings in den Verfassungsdiskussionen der 1770er und 1780er Jahren nicht durchsetzen konnten und immer in der Minderheit blieben.306 Die Formel „je einfacher der Staat geordnet, desto freier und glücklicher Volk“ war die Losung, mit der sie versuchte, das Volk, um deren Glückseligkeit sie sich sorgten und für das sie mehr Mitsprache forderten, auf ihre Seite zu ziehen. „The more simple, and the more immediately dependent … the authority is upon the people, the better,“ heißt es in dem Pamphlet „The People the Best Governors“.307 Nach Meinung Du Ponceaus waren die Amerikaner reif genug, um auch ohne allzu viele Beschränkungen und Kautelen regiert zu werden, im Übrigen gelte: „The simpler the machine of government, the more easily it is put in motion“ (1788).308 Als Referenz musste „die Natur“ herhalten, in der sich das Vollkommene als das Einfache präsentiere. So ist im „Common Sense“ (1776) von einem „principle in nature which no art can overturn“ die Rede, „that the more simple any thing is, the less liable it is to be disordered, and the easier repaired when disordered“.309 Wer die Simplizität in so hohen Tönen lobte, dem bereitete das komplizierte Mit- und Gegeneinander von Staaten und Institutionen, wie es die amerikanische Verfassung vorsieht, natürlich großen Kummer. „Thirteen complicated forms all under one form of government, still more complicated, seems to bid defiance to all responsibility“, stöhnte der „Federal Farmer“.310 Noch schärfer formulierten andere Anti-Federalisten ihr Unbe305  Nach Barbara Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine. Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaats, Berlin 1986, S. 158. 306  Dazu Jürgen Heideking, Die Verfassung vor dem Richterstuhl. Vorgeschichte und Ratifizierung der amerikanischen Verfassung 1787–1791, Berlin/New York 1988, S. 331–338; Willi Paul Adams, The First American consitutions. Republican ideology and the meaning of the state constitutions in the Revolutionary era, 2. Aufl., Lanham 2001, S. 257–260. 307  Nach Willi Paul Adams, The First American consitutions. Republican ideology and the meaning of the state constitutions in the Revolutionary era, 2. Aufl., Lanham 2001, S.  258 f. 308  Nach Jürgen Heideking, Die Verfassung vor dem Richterstuhl. Vorgeschichte und Ratifizierung der amerikanischen Verfassung 1787–1791, Berlin/New York 1988, S. 287. 309  Nach Willi Paul Adams, The First American consitutions. Republican ideology and the meaning of the state constitutions in the Revolutionary era, 2. Aufl., Lanham 2001, S. 258. 310  Nach Jürgen Heideking, Die Verfassung vor dem Richterstuhl. Vorgeschichte und Ratifizierung der amerikanischen Verfassung 1787–1791, Berlin/New York 1988, S. 288.

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hagen. Für General Thompson, der sich 1788 im Bostoner Konvent äußerte, war der neue Bundesstaat schlicht „hässlich“, ein Gebilde mit „13 horned monster“, das eine „artful, dark, mysterious, complex, expensive form of government“ gewählt habe.311 Die von den Anti-Federalisten artikulierte Position der preference for the primitive312 taucht in dieser oder jener Form in nahezu allen politischen Grundsatzdebatten seit der Antike auf. Umso bemerkenswerter ist es, dass sie bei den meisten Protagonisten der Amerikanischen Revolution nicht verfing. Einen großen Anteil daran hatte die Begeisterung für die pluralité des mondes, die in der Neuen Welt eine vielschichtige Erscheinung war und nicht wenig zur Identitätsbildung des sich konstituierenden Gemeinwesens beigetragen hat. Mit Leidenschaft widmete man sich nicht nur dem Betrachten des bestirnten Firmaments, sondern auch der mechanischen Rekonstruktion eines Teils desselben, des Sonnensystems. Die Planetenmaschine – nach Charles Boyle, Earl of Orrery, auch orrery genannt – hatte den Vorzug, beide große Passionen des Jahrhunderts, die Astronomie und die Mechanik, zu bedienen. Zudem war ihr Betrieb anders als das star-gazing ebenso ein akustisches und haptisches wie visuelles Erlebnis. Nicht zufällig stellt eines der berühmtesten Gemälde des 18. Jahrhunderts, das der Faszination wissenschaftlicher Erkenntnis gewidmet ist, ein Orrery dar (Abb. 30): A Philosopher Lecturing on the Orrery von Joseph Wright of Derby (um 1766). Bereits zur Kolonialzeit wetteiferten die amerikanischen colleges darum, in den Besitz der neuesten und kostbarsten wissenschaftlichen Apparaturen zu gelangen. Der Erwerb einer Planetenmaschine schien besonders dazu geeignet, das Prestige der Anstalt zu erhöhen und talentierte Studenten zu gewinnen. Im Harvard College kam 1732 das erste Orrery auf nordamerikanischen Boden zum Einsatz. „A very costly orrery“, war im „Boston Weekly News-Letter“ vom 14. September zu lesen, „an Instrument, that this, or any other Part of America, as far as we can learn, has never before been favoured with.“313 Es gehörte zur Ausstattung der 1727 von dem Londoner Kaufmann Thomas Hollis gestifteten Professur für Mathematik und Naturphilosophie, einer Institution, der eine große Bedeutung bei der Verbreitung der Lehren Newtons in Amerika zukommen sollte. Allerdings stammte nicht nur das Geld, sondern auch die Planetenmaschine der HollisProfessur aus England. Das Yale College dagegen konnte sich rühmen, das 311  Nach Jürgen Heideking, Die Verfassung vor dem Richterstuhl. Vorgeschichte und Ratifizierung der amerikanischen Verfassung 1787–1791, Berlin/New York 1988, S. 292. 312  Vgl. Ernst H. Gombrich, The Preference for the Primitive. Episodes in the History of Western Taste and Art, London 2002. 313  Howard C. Rice, The Rittenhouse Orrery. Princeton’s Eighteenth-Century Planetarium 1767–1954, Princeton 1954, S. 11.



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Abb. 30

erste in der Neuen Welt fabrizierte Orrery zu besitzen. Es handelte sich um eine relativ einfache Holzmaschine, konstruiert 1743 vom Präsidenten Thomas Clap.314 Das College of New Jersey (Princeton) wollte bei diesem Wettstreit nicht nachstehen. Um die mächtige Konkurrenz auszustechen, bedurfte es eines Orrery, das sich durch die Qualität seiner Mechanik auszeichnet. Angesichts des dringenden Bedürfnisses – „the great Want of a Philosophical Apparatus for the use of the Students in this College in Natural Philosophy“ – waren die trustees bereit, dafür einiges zu investieren. Sie beauftragten 1769 ein Komitee, dem unter anderen der Präsident des Colleges, der Schotte John Witherspoon, angehörte, das Gerät auszuwählen und zu erwerben, das als „most necessary & immediately wanted“ erscheine.315 Witherspoon hatte Glück. Ihm kam zu Ohren, dass ein gewisser David Rittenhouse aus Pennsylvania, wie er Mitglied der American Philosophical Society, sich anschickte, eine besonders aufwendige Planetenmaschine zu fertigen. Der Präsident des College of New Jersey zögerte nicht lange. „It 314  Howard C. Rice, Planetarium 1767–1954, 315  Howard C. Rice, Planetarium 1767–1954,

The Rittenhouse Orrery. Princeton’s Eighteenth-Century Princeton 1954, S. 12. The Rittenhouse Orrery. Princeton’s Eighteenth-Century Princeton 1954, S. 20.

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is with Pleasure we inform the Public“, vermeldete „The Pennsylvania Gazzette“ im April 1770, „that the Orrery, of which the American Philosophical Society formerly published an Account, projected and executed by Mr. David Rittenhouse, in this Province, is now almost finished. As this is an American Production, and much more complete than any Thing of the Kind ever mind in Europe, it must give great Pleasure to every Lover of this Country to see her rising to Fame in the sublimest Sciences, as well as every Improvement in the Arts. Dr. Witherspoon, accompanied by some Gentlemen, went on Saturday last, to see and converse with the ingenious Artist, and being convinced of the Superior Advantages that must arise from this new invented Orrery in the Study of Natural Philosophy, and desirous to encourage so truly great a Genius, purchased it for the Use of the College of New Jersey.“316 Anfang des Jahres 1771 hatte Rittenhouse das Orrery fertig gestellt. Da die winterliche Witterung einen Transport der empfindlichen Apparatur nach Princeton nicht zuließ, wurde sie zunächst nach Philadelphia befördert und dort der Öffentlichkeit präsentiert. Die Veranstaltung erregte großes Aufsehen und war hoffnungslos überfüllt. „The lectures are crowded“, berichtete ein Augenzeuge, „by such as think they can, thereby, be made capable of understanding that wonderful machine: whereas, after all, their eyes only will give them the truth, from the figures, and motions, and places, and magnitudes of the heavenly bodies.“317 So groß war die Begeisterung, dass das Repräsentantenhaus der Provinz Philadelphia im März 1771 eine Eloge auf den Erfinder verfasste und ihm in Anerkennung seiner Leistung eine Summe von dreihundert Pfund zuwies.318 Einige Jahre später wurde sogar erwogen, Rittenhouse eine Pension in Höhe von 600 bis 750 Pfund zu gewähren, damit er sich ganz seiner Forschung widmen könne.319 Dazu kam es zwar nicht, weil die Kassen leer waren, doch lässt die Petition Rückschlüsse zu auf eine andere Ehrung 316  Howard C. Rice, The Rittenhouse Orrery. Princeton’s Eighteenth-Century Planetarium 1767–1954, Princeton 1954, S. 33. 317  Howard C. Rice, The Rittenhouse Orrery. Princeton’s Eighteenth-Century Planetarium 1767–1954, Princeton 1954, S. 36. 318  „The Members of the Assembly having viewed the Orrery constructed by Mr. David Rittenhouse, A Native of this Province, and being of the Opinion that it greatly exceeds all others hitherto invented in demonstrating the true Situation of the celestrial Bodies, of their Magnitudes, Motions, Distances, Periods, Eclipses and Order upon the Principles of the Newtonian System, Resolved, That the Sum of Three Hundred Pounds be given to Mr. David Rittenhouse, as a Testimony of the high Sense which this House entertains of his Mathematical Genius and Mechanical Abilities in constructing the said Orrery“ – Howard C. Rice, The Rittenhouse Orrery. Princeton’s Eighteenth-Century Planetarium 1767–1954, Princeton 1954, S. 36. 319  Brooke Hindle, David Rittenhouse, Princeton 1964, S. 248 f.



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Abb. 31

Rittenhouses, die allerdings nicht sicher belegt ist: Auf die staatliche Besoldung des Astronomen drängte nämlich allen voran Francis Hopkinson, ein Jurist aus Philadelphia und Mitunterzeichner der Unabhängigkeitserklärung. Es gilt heute als wahrscheinlich, dass das Design der amerikanischen Nationalflagge, der stars and stripes, von dem glühenden Rittenhouse-Verehrer Hopkinson320 stammt. Wenn die Flag Resolution von 1777 bestimmt, „that the union be thirteen stars, white in a blue field representing a new constellation“321, dann könnten diese dreizehn Sterne, die bereits 1778 die Vierzig-Dollar-Note zieren (Abb. 31), eine versteckte Hommage an Rittenhouse und den Sternenhimmel seines berühmten Orrery (Abb. 32) sein. Außer Zweifel steht die hohe Wertschätzung, die Rittenhouse unter den Vätern der amerikanischen Verfassung genoss. Als John Adams Ende August 1774 auf dem Weg von Boston nach Philadephia in Princeton Halt machten, zeigte man ihm neben der Bibliothek, „die nicht groß war, aber einige gute Bücher enthielt“, auch Rittenhouses Planetenmaschine. Adams war begeistert. „Here we saw“, notierte er in seinem Tagebuch, „a most beautiful machine – an orrery or planetarium, constructed by Mr. Rittenhouse, of Philadelphia. It exhibits almost every motions in the astronomical world; the motions of the sun and all the planets, with their satellites, the eclipses of the sun and 320  „Few admired Rittenhouse more unrestrainedly than Francis Hopkinson, and none sought as eagerly to place the man on a pedestal where he would be celebrated and free for creative scientific work“ – Brooke Hindle, David Rittenhouse, Princeton 1964, S. 248. 321  Journal of Congress, Bd. II, S. 165 – nach Schuyler Hamilton, The History of the National Flag of the United States of America, Philadelphia 1853, S. 30.

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Abb. 32

moon, &c.“322 Das Orrery war so bekannt und so „amerikanisch“, dass 1776 ein Geheimagent in Paris John Jay, dem späteren ersten Chief Justice der USA, empfahl, die besagte Maschine nach Frankreich transportieren zu lassen, um sie dort der französischen Königin vorzuführen.323 Im höchsten Ansehen stand Rittenhouse bei Thomas Jefferson. Dieser hatte die Planetenmaschine zu Gesicht bekommen, als 1775 / 76 der Kontinentalkongress in Philadelphia tagte. Seither wurde Jefferson nicht müde, den Astronomen und seine Erfindung als Inkarnation des amerikanischen Genius zu preisen. Ein Erlass, den Jefferson 1779 zur Förderung des College of William and Mary erarbeitete, erinnert nachdrücklich an die Pflicht der Verantwortlichen, zum Besten der amerikanischen Jugend für eine Ausstattung mit astronomischen Apparaturen zu sorgen. Rittenhouse galt als das Maß aller Dinge: „And that this commonwealth may not be without so great an ornament, nor its youth such an help towards attaining astronomical 322  The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 2, Boston 1865, S. 356 (Eintrag vom 27. August 1774). 323  Howard C. Rice, The Rittenhouse Orrery. Princeton’s Eighteenth-Century Planetarium 1767–1954, Princeton 1954, S. 50.



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science, as the mechanical representation, or model of the solar system, conceived and executed by that greatest of astronomers, David Ryttenhouse.“324 In den viel gelesenen „Notes on the State of Virginia“ wiederholte Jefferson sein Lob und verhalf dadurch Rittenhouse – „den zweiten Schöpfer“ – zu landesweitem Renommee.325 Wir können demnach ohne weiteres davon ausgehen, dass die Verfassungsväter mit dem Aufbau des Sonnensystems und der Position der Planeten, wie sie ein Orrery abbildet, aus eigener, unmittelbarer Anschauung bestens vertraut waren. Was die framers besonders faszinierte, war die Stabilität der Himmelskörper im leeren Raum, der Umstand, dass sie sich wie von Geisterhand diszipliniert auf ihren Bahnen bewegten und nicht kreuz und quer durch das Universum schossen. Es lag nahe, zur Erklärung dieses Phänomens auf ein Prinzip zurückzugreifen, von dem damals in allen Lehrveranstaltungen zur Mechanik die Rede war: die Balance. Die führenden Lehrbücher des 18. Jahrhunderts enthalten eindrucksvolle Visualisierungen des Equilibriums, wie etwa ’s Gravesandes „Elementa Mathematica“ (1720 / 21),326 eine Schrift, die sogar in der vergleichsweise bescheiden ausgestatteten Bibliothek des College of New Jersey vorhanden war.327 Repräsentativ für die Zeit sind auch die Kräfteparallelogramme und Abbildungen in William Jones’ „Essay on the first Principles of Natural Philosophy“ von 1762 (Abb. 33). Skizzen dieser Art zeigen meist drei Gewichte oder Kräfte (A, B, C), die in verschiedene Richtungen wirken und sich so ausgleichen. Tatsächlich haben Jefferson, Adams und andere die stabile Position und Bewegung der Planeten im Raum als einen Balancezustand gedeutet. „The movements of the heavenly bodies,“ schrieb Jefferson 1823 an Adams, „so exactly held in their course by the balance of centrifugal forces …“.328 Ein 324  Howard C. Rice, The Rittenhouse Orrery. Princeton’s Eighteenth-Century Planetarium 1767–1954, Princeton 1954, S. 47 f. 325  „We have supposed Mr. Rittenhouse second to no Astronomer living: that in genius he must be the first, because he is self-taught. As an artist he has exhebited as great a proff of mechanical genius as the world has ever produced. He has not indeed made a world; but he has by imitation approached nearer its maker than any man who has lived from the creation to this day“ – Thomas Jefferson, Notes on the State of Virginia, Boston 1832, S. 68. 326  Vgl. I. Bernhard Cohen, Science and the Founding Fathers. Science in Political Thought of Jefferson, Franklin, Adams, and Madison, New York/London 1995, S. 204–210. 327  Howard C. Rice, The Rittenhouse Orrery. Princeton’s Eighteenth-Century Planetarium 1767–1954, Princeton 1954, S. 18. 328  Thomas Jefferson an John Adams am 11. April 1823, in: The Writings of Thomas Jefferson, hrsg. von H. A. Washington, Bd. 7, Washington D.C. 1854, S. 281.

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Abb. 33

Vierteljahrhundert zuvor hatte der gleiche Jefferson in einem Brief an Fitzhugh bekannt: „However, I dare say that in time all these as well as their central government, like the planets revolving round their common sun, acting and acted upon according to their respective weights and distances, will produce that beautiful equilibrium on which our Constitution is founded, and which I believe it will exhibit to the world in a degree of perfection, unexampled but in the planetary system itself. The enlightened statesman, therefore, will endeavor to preserve the weight and influence of every part, as too much given to any member of it would destroy the general equilibrium.“329 Jefferson bringt hier den Balance-Gedanken aus der Mechanik nicht nur mit den Abläufen im Orbit in Verbindung, sondern integriert ihn überdies in seine Verfassungslehre („dieses schöne Gleichgewicht, auf dem unsere Verfassung basiert“). Auch Adams verwies auf die „centripetal and centrifugal 329  Thomas Jefferson an Peregrine Fitzhugh am 23. Februar 1798, in: The Writings of Thomas Jefferson, hrsg. von H. A. Washington, Bd. 4, New York 1859, S. 217.



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forces by which the heavenly bodies are continued in their orbits, instead of rushing to the sun, or flying off in tangents among comets and fixed stars.“ So wie Kräfte und Gegenkräfte Natur und Kosmos beherrschten, so spreche auch alles in der Politik für eine Vervielfältigung und ein Gleichgewicht der Kräfte „… is all in favor of a complication of forces, of more powers than one; of three powers indeed, because a balance can never be established between two orders in society, without a third to aid the weakest.“330 Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein gehörten Lobpreisungen der „Balance“ als zugleich kosmisches und verfassungspolitisches Ideal zum Standardrepertoire bei Festreden und öffentlichen Vorträgen. Beispielsweise heißt es in einer 1829 vor der „Pilgrim Society“ in Plymouth gehaltenen Ansprache – ganz im Geiste der verblichenen founding fathers: „We find, for them a powerful auxiliary in a principle, which pervades all being, that is submitted to human notice. It is that which keeps the planets in their orbits, and which governs the physical structure, and the moral agency of men. It has never so fair an opportunity to disclose its powers, and produce its benefits, as among the American people. All our relations, moral, social, and political, are held in their proper spheres, by the power which attracts, and the power which repels. Among us, men, and things, check and balance each other.“331 Solche Äußerungen zeugen von der Neigung, politischen Vorgänge und rechtliche Strukturen an den Gesetzmäßigkeiten einer jedermann zugäng­ lichen Küchen- oder Alltagsmechanik zu messen, die damals im Gewande einer „kosmischen“ Mechanik auftrat. Erst durch die gedankliche Verknüpfung von mechanischem Equilibrium und planetarischer Konstanz, erst durch den Glauben an eine Weltformel, erlangte das Balance-Argument seine noch von Carl Schmitt gefürchtete Durchschlagskraft. Dass es in der Newtonschen Physik genau genommen keine balance of forces gibt, schon gar keine, die das planetarische System stabilisiert, steht auf einem anderen Blatt.332 Entscheidend ist allein, dass den Verfassungsvätern die Balance als 330  John Adams, Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 4, Boston 1851, S. 391. 331  William Sullivan, Discourse delivered before the Pilgrim Society, at Plymouth, on the twenty second day of december, 1829, Boston 1830, S. 27. 332  Das ist die zentrale Aussage der kenntnisreichen, aber auch etwas redundanten und pedantischen Studie von I. Bernhard Cohen, Science and the Founding Fathers. Science in Political Thought of Jefferson, Franklin, Adams, and Madison, New York/ London 1995, S. 226: „We cannot repeat often enough that in Newtonian dynamics and in the Newtonian system of the world, there is no balance, no equilibrium, but rather unbalanced forces producing accelerations“ – ausführlich S. 283–285. Ähnlich

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ein universales Wirkprinzip galt, das auf der Erde wie im Weltall für Ordnung und Beständigkeit sorgt. Insofern hatte Woodrow Wilson Recht, wenn er in seinen während der berühmten „The New Freedom“-Kampagne (1912) gehaltenen Reden333 das System der checks and balances als ein Abbild der Newtonian Theory bezeichnete.334 Wie es dazu kommen konnte, dass sich der Gedanke einer Balance der Himmelskörper in den Köpfen der founding fathers fest setzte, zeigen John Adams erhaltene Vorlesungsmitschriften zur „experimentellen Philosophie“. Aus Adams Notizen geht deutlich hervor, dass sein Lehrer Winthrop am 3. April 1754 das Equilibrium als Phänomen der Alltagsmechanik, demonstriert anhand von Instrumenten „chiefly in use in Common Life“, in einem Durchgang mit den Gravitationskräften im Sonnensystem unterrichtete: „The second lecture, which was wholly taken up in explaining the Propertys of the Center of gravity and motion, which were applyed to the instruments, Chiefly in use in Common life, such as, the lever, pulley, Ballance axis in peritrocheo. &c. But the Ballance was principally insisted on. The reason of it was fully explained … I had like to have forgot that he applied the doctrines of the center of gravity to heavenly Bodys, shewing us the affections of the sun and planets with respect to their Centers of gravity, and instructed us in the manner of finding the Common Center of gravity of any of ’em e. g. earth and moon …“335 Zwei Tage später, am 5. April, stand dann die Lehre von der Balance schon wieder auf dem Lehrplan, wie Adams berichtet: „The theory of the Ballance, scales, steel-yard &c. and bereits J. Robert Oppenheimer, Atom and Void. Essays on Science and Community, Princeton 1989, S. 12. 333  „Now, it came to me … that the Constitution of the United States had been made under the dominion of the Newtonian Theory. You have only to read the papers of The Federalist to see that fact written on every page. They speak of the ‚checks and balances‘ of the Constitution, and use to express their idea the simile of the organization of the universe, and particularly of the solar system, – how by the attraction of gravitation the various parts are held in their orbits; and then they proceed to represent Congress, the Judiciary, and the President as a sort of imitation of the solar system“ – Woodrow Wilson, The New Freedom. A call for the emancipation of the generous energies of a people, New York 1913, S. 45 f. Zu den Hintergründen und der Rezeption eingehend I. Bernhard Cohen, Science and the Founding Fathers. Science in Political Thought of Jefferson, Franklin, Adams, and Madison, New York/London 1995, S. 245–255. Zu neueren Ansätzen einer „Newtonian“ Verfassungslehre Michael Foley, Laws, men and machines. Modern American government and the appeal of Newtonian mechanics, London/New York 1990. 334  Auf Wilsons „Reden über die Freiheit“ bezieht sich auch Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 8. Aufl., Berlin 1996 (Nachdruck der 2. Aufl., Berlin 1926), S. 50. 335  The Earliest Diary of John Adams, hrsg. von L. H. Butterfield, Cambridge (MA) 1966, S. 62 (Eintrag vom 3. April 1754).



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the 3 species of lever’s continued to which (viz) the lever he referred allmost all the instruments in life, and universally. To make a aequilibrium, the product of the quantity of matter in the weight multiplyed into its distance from the Center of motion, must be equal to the quantity of matter in the power, multiplyed into it’s distance from said Center.“336 Es ist daher nachvollziehbar, wenn in der Erinnerung eines auf die Weise unterrichteten Studenten das Equilibrium zu einem universalen Phänomen avanciert, das auch den Orbit beherrscht.337 Anschaulichkeit stand in der naturwissenschaftlichen Pädagogik der nordamerikanischen Kolonien offenkundig hoch im Kurs, wie Adams Bemerkungen und der Bedarf an Planetenmaschinen bezeugen. Es gab sogar Bemühungen, den Lauf der Planeten und Gestirne dem Nachwuchs als ein sinnlich erfahrbares Erlebnis nahe zu bringen. Der schon mehrfach erwähnte Francis Hopkinson, mutmaßlicher Schöpfer der stars and stripes, empfahl, in den Schulen der Neuen Welt die Kinder darin zu unterrichten, wie sie durch Bewegung ihrer Körper die Bewegungen der Himmelskörper simulieren können – bis den Kleinen die Vorstellung über den Aufbau des Sonnensystems in Fleisch und Blut übergegangen sei: „Let the tutor place himself as the sun, in the centre: the larger boys representing the primary planets, and the small ones attending them as satellites. The tutor, by the help of a speaking trumpet, must direct them how to perform their several revolutions in due order of time and place; which cannot fail giving these peripatetic philosophers a competent idea of the solar system.“338 Schule und Universitäten sorgten demnach dafür, dass die Idee einer mechanisch-planetarischen Balance in Nordamerika zum kollektiven Bildungsgut gehörte. Damit war der Boden bereitet für die Verwendung dieser Denkfigur im verfassungspolitischen Diskurs. Bereits in der Kolonialzeit diente das Sonnensystem zur Veranschaulichung von Machtstrukturen. Als Thomas Pownall, zeitweise Governor der Provinz Massachusetts Bay, in seinem Traktat „The Adminisration of the Colonies“ in den 1760er Jahre untersuchte, wie es gelingen könne, die amerikanischen Kolonien dauerhaft an Großbritannien zu binden, wählte er wie selbstverständlich das Planeten336  The Earliest Diary of John Adams, hrsg. von L. H. Butterfield, Cambridge (MA) 1966, S. 63 (Eintrag vom 5. April 1754). 337  John Adams Faszination für die plurality of worlds blieb auch nach seiner Studienzeit lebendig, So führte er etwa im Sommer 1786 ein längeres Gespräch mit dem Astronomen Herschel, dessen berühmtes Teleskop ihm vorgeführt und erläutert wurde – dazu Richard Holmes, The Age of Wonder. How the Romantic Generation Discovered the Beauty and Terror of Science, London 2009, S. 166 f. 338  Francis Hopkinson, An improved plan of education (for the Pennsylvania Magazine), in: ders., The Miscellaneous Essays and Occasional Writings, Bd. 1, Philadelphia 1792, S. 12–19, 17.

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modell, um sich und dem Leser die Herausforderung vor Augen zu führen, die London in den nächsten Jahren zu meistern hatte. Es sei abzusehen, bemerkte Pownall, dass mit dem Bedeutungszuwachs der Kolonie, „revolving in an orbit which hath Great Britain for its center“339, sich auch der Schwerpunkt des gesamten Herrschaftsverbandes verschiebe. Diese Gesetzmäßigkeit könne und dürfe man nicht einfach ignorieren so wenig wie sich der Versuch lohne, den Gesetzen der Schwerkraft die Stirn zu bieten. Wer das nicht begreife und die überkommenen Strukturen mit aller Gewalt und um jeden Preis beibehalten wolle, werde am Ende alles verlieren: „The center of power, instead of remaining fixed as it now is in Great Britain, will, as the magnitude of the power and interest of the Colonies increases, be drawn out from the island, by the same laws of nature analogous in all cases, by which the center of gravity in the solar system, now near the surface of the sun, would, by an encrease of the quantity of matter in the planets, be drawn out beyond that surface.“340 Bei aller Sympathie für die amerikanischen Interessen ging es Pownall primär darum, Wege zur Stabilisierung des Gesamtreichs aufzuzeigen. Für ihn war es schlicht ein Gebot politischer Klugheit, „the real and constitu­ 339  Thomas Pownall, The Administration of the Colonies. Wherein Their Rights and Constitutions are Discussed and Stated, 4. Aufl., London 1768, S. 163. 340  „Knowing therefore the laws of nature, shall we like true philosophers follow, where that system leads, to form one general system of dominion by an union of Great Britain and her Colonies, fixing, while it may be so fixed, the common center in Great Britain, or shall we, without ever seeing that such center must be formed by an inter-communion of the powers of all the territories, as parts of the dominions of Great Britain, like true modern politicians, and from our own narrow temporary ideas of a local center, labour to keep the seat of government within Great Britain by force, against encreasing powers, which will, finally, by an overbalance from without, heave that center itself out of its place? Such measures would be almost as wise as his who standing in a scale should thrust his stick up against the beam to prevent it from descending, while his own weight brought it the faster down. That policy which shall ever attempt to connect the Colonies to Great Britain by power, will in that very instant connect them to one another policy“ – Thomas Pownall, The Administration of the Colonies. Wherein Their Rights and Constitutions are Discussed and Stated, 4. Aufl., London 1768, S. 37 f. – vgl. ferner S. 34 f.: „Great Britain, as the center of this system, of which the colonies by actual union, shall become organized, not annexed parts, must be the center of attraction, to which these colonies, in the administration of every power of their government, in the exercise of their judicial powers, in the execution of their laws, and in every operation of their trade, must tend. They will remain under the constant influence of the attraction of this center; and cannot move, but that every direction of such movement, will converge to the same. And as it is not more necessary to preserve the federal governments subordinate in their respective orbs, than it is essential to the preservation of the whole empire, to keep them disconnected and independent of each other.“



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tional balance of power“341 herzustellen. Es sollte bekanntlich anders kommen. Die Revolutionäre nahmen indes den von Pownall gesponnenen Faden dankbar auf und bedienten sich des Planetenmodells, um zu illustrieren, wie absurd doch die Herrschaft einer kleinen Insel über einen riesigen Kontinent sei.342 Nach der erfolgreichen Revolution hatte das „Empire“ als Projektionsfläche der Balance-Ästhetik ausgedient, doch fand sich schnell Ersatz, ja jetzt erst begann das goldene Zeitalter der nach allen Richtungen hin „ausbalancierten“ innerstaatlichen Ordnung. Damit ist nicht gesagt, dass die founding fathers und framers unbedacht agierten und den politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Realitäten keine Beachtung schenkten. Die Verfassungsdiskussionen nach 1776 waren geprägt von dem Bemühen um eine rationale Problemlösung, wie das dem Selbstverständnis des Age of Reason entsprach. Die Reden und Schriften der Beteiligten zeugen von einem wachen Verständnis für die zu meisternden praktischen Herausforderungen ebenso wie von erstaunlichen Fachkenntnissen und einer bemerkenswerten Befähigung zum prinzipiellen Denken. Und dennoch: Häufig setzte sich die Position durch, die dem Ideal eines politischen Equilibrium am nächsten kam, obwohl jeweils ganz unterschiedliche Aspekte der Staatsorganisation zur Diskussion standen und die Argumente der Gegenseite genauso fundiert, vernünftig und nachvollziehbar waren. Denn dass die Konzentration von Macht in einer Person oder Institution die Gefahr des Machtmissbrauchs in sich birgt – die sachliche Rechtfertigung für ein Gewaltengleichgewicht – ist zwar ein wichtiges, aber bei weitem nicht das einzige Argument, das im Rahmen einer Verfassungsdiskussion Gehör finden darf. Von einem „Widerlegen“ der konkurrierenden Ansichten konnte also keine Rede sein, wie es ja überhaupt sehr schwierig, wenn nicht unmöglich ist, die Überlegenheit eines bestimmten Regierungsund Wirtschaftssystems empirisch oder historisch zu verifizieren. Auf welche Weise ein Denken „in Balancen“ Verfassungsdiskussionen zu manipulieren vermag, hat bereits Carl Schmitt dargelegt: „Das Parlament soll aber nicht nur ein Glied der Balance, sondern gerade weil es Legislative ist, in sich wieder balanciert sein. Das beruht auf einer Denkweise, die überall 341  Thomas Pownall, The Administration of the Colonies. Wherein Their Rights and Constitutions are Discussed and Stated, 4. Aufl., London 1768, S. 116. 342  „Small islands not capable of protecting themselves, are the proper objects for kingdoms to take under their care; but there is something very absurd, in supposing a continent to be perpetually governed by an island. In no instance hath nature made the satellite larger than its primary planet, and as England and America, with respect to each other, reverses the common order of nature, it is evident they belong to different systems; England to Europe, America to itself“ – Thomas Paine, Common Sense, Dedham 1844 [Philadelphia 1776], S. 23.

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eine Vielheit schafft, um in einem System von Vermittlungen ein aus immanenter Dynamik sich ergebendes Gleichgewicht an die Stelle einer absoluten Einheit zu setzen. Erst dadurch, dass die Legislative selbst wieder in einem Zweikammersystem oder durch föderalistische Einrichtungen balanciert und mediiert wird, aber auch innerhalb einer Kammer wird infolge eines besonderen Rationalismus eine Balancierung von Ansichten und Meinungen in Funktion gesetzt,“343 Mit anderen Worten: Die „Logik der Balance“ zwingt dazu, eine vorgefundene Vielheit der Institutionen zu konservieren oder eben eine neue Vielheit erst zu erschaffen – denn eine Balance ohne Vielheit (zumindest Zweiheit) kann es nicht geben. Es war – wie gesehen – gerade das der Idee des Gleichgewichts innewohnende Versprechen, die Stabilität kosmischer Vielheit zu erklären, das dem Balancefetisch des 18. Jahrhunderts den Boden bereitete. Nunmehr verhielt es sich genau umgekehrt. Einmal in der Welt verlangte die „Balance“ nach einer Vielheit, deren Ordnung sie zu garantieren vermochte. Das Potential der „Balance“ als Argument trat erstmals im Verlauf der Auseinandersetzung um die Sinnhaftigkeit eines Zweikammersystems in aller Deutlichkeit zu Tage. Nüchtern betrachtet sprach recht wenig für eine Doppelung der parlamentarischen Verantwortung. Gewiss hatte die Unterscheidung zwischen einem Ober- und einem Unterhaus im englischen Mutterland Tradition. Doch gerade deshalb stellte sich die Frage, warum man in der Neuen Welt, die keinen Adel und keine Stände, sondern nur noch freemen kannte, den verzopften Brauch fortführen sollte. Nach dem blutigen Freiheitskampf den einen Willen des Volkes gleich wieder durch ein künstliches Gegen- und Nebeneinander von Institutionen in Ketten zu legen, erschien absurd.344 In Pennsylvania gab daher 1776 die verfassungsgebende Versammlung der Einkammerlegislative den Vorzug. Der Präsident des Konvents, Benjamin Franklin, konnte mit dieser Entscheidung zufrieden sein. Er selbst hatte das Zweikammersystem mit einer durstigen doppelköpfigen Schlange verglichen, die auf dem Weg zur Wasserstelle die Entscheidung treffen musste, einem Hindernis nach der rechten oder linken Seite hin auszuweichen. Da sich die beiden Köpfe nicht auf die Richtung einigen konnten, sei das Tier schließlich jämmerlich verdurstet.345 Mit derartigen Gleichnissen 343  Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 8. Aufl., Berlin 1996 (Nachdruck der 2. Aufl., Berlin 1926), S. 51. 344  Vgl. Willi Paul Adams, The First American consitutions. Republican ideology and the meaning of the state constitutions in the Revolutionary era, 2. Aufl., Lanham 2001, S. 257 f. 345  The Writings of Benjamin Franklin, hrsg. von Albert Henry Smyth, Bd. 10, New York 1907, S. 57 f.



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und dem Pathos des (fast) Befreiten im Gepäck begab sich Franklin nach Paris, um dort für die amerikanische Sache im Allgemeinen und die Verfassung von Pennsylvania im Besonderen zu werben. So jedenfalls berichtet es Franklins Gegenspieler John Adams: „In 1775 and 1776 there had been great disputes, in Congress and in the several States, concerning a proper constitution for the several States to adopt for their government. A Convention in Pennsylvania had adopted a government in one representative assembly, and Dr. Franklin was the President of that Convention. The Doctor, when he went to France in 1776, carried with him the printed copy of that Constitution, and it was immediately propagated through France that this was the plan of government of Mr. Franklin. In truth, it was not Franklin, but Timothy Matlack, James Cannon, Thomas Young, and Thomas Paine, who were the authors of it. Mr. Turgot, the Duke de la Rochefoucauld, Mr. Condorcet, and many others, became enamored with the Constitution of Mr. Franklin. And in my opinion, the two last owed their final and fatal catastrophe to this blind love.“346 Zu Adams großem Verdruss „verliebte“ sich Mr. Turgot – gemeint ist Anne Robert Jacques Turgot, Baron de l’Aulne, zeitweise Minister unter Ludwig XVI. – nicht nur in Franklins Einkammersystem, sondern setzte zugleich die Verfassungen anderer amerikanischer Staaten, die auf Empfehlung Adams sich für eine legislative „Balance“ entschieden hatten, öffentlich herab. Im März 1778 machte Turgot in einem Brief an Richard Price, der später ins Englische übersetzt und publiziert wurde, seinem Ärger über den seiner Meinung nach gründlich misslungenen Aufbruch in die Freiheit Luft. „I see“, klagte er, „in the greatest number an unreasonable imitation of the usage of England. Instead of bringing all the authorities into one, that of the nation, they have established different bodies, a house of representatives, a council, a governor, because England has a house of commons, a house of lords, and a king. They undertake to balance these different authorities, as if the same equilibrium of powers which has been thought necessary to balance the enormous preponderance of royalty, could be of any use in republics, formed upon the equality of all the citizens; and as if every article which constitutes different bodies, was not a source of divisions. By striving to prevent imaginary dangers, they have created real ones.“347 346  John Adams an Samuel Perley am 19. Juni 1809, in: The Works of John Adams, Second President of the United States, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 9, Boston 1856, S. 621–624, 622 f. Vgl. auch John Adams, Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 4, Boston 1851, S. 389 f. 347  Extract of a letter of Mr. Turgot to Dr. Richard Price, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 4, Boston 1851, S. 279.

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John Adams war außer sich: „The intention was to celebrate Franklin’s Constitution and condemn mine. I understood it, and undertook to defend my Constitution, and it cost me three volumes.“ Bei den „drei Bänden“, die Adams benötigte, um „seine“ Verfassung (die Verfassung von Massachusetts) angemessen zu verteidigen, handelte es sich um die Schrift „Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, against the Attack of M. Turgot in his Letter to Dr. Price, 22 March 1778“. Adams beeilte sich zu versichern, dass es nicht verletzte Eitelkeit gewesen sei, die ihn zu einem Gegenangriff veranlasst habe. Vielmehr sei es ihm darum gegangen, sich das Blut von den Händen zu waschen, mit dem sich die Revolution in Europa durch ihr blindes Vertrauen auf die Segnungen des Einkammersystems besudelt habe.348 Wer sich in das nicht eben gerade handliche Werk vertieft, den wird die Lektüre schnell ermüden, denn Adams autistische tour de force durch die Weltgeschichte lebt von der Zuspitzung auf einen Gedanken: dass alles Leid und Unrecht, das die Menschen in den letzten Jahrtausenden erleiden mussten, durch ein Mehr an „Balance“ hätte vermieden werden können. Adams hat nicht allein die Balance der Gewalten im eigentlichen Sinne im Blick oder gar nur die Balance innerhalb der Gesetzgebung, sondern nahezu alle denkbaren Gleichgewichte, etwa zwischen Armen und Reichen, Export und Import, Provinz und Metropole usw. Es ist eben das Equilibrium als solches, das aus seiner Sicht Erfolg und Bestand eines Gemeinwesens gewährleistet, ein Equilibrium, das ja schließlich auch die Beständigkeit des Orbits garantiert.349 348  „In justice to myself, however, I ought to say, that it was not the miserable vanity of justifying my own work, or eclipsing the glory of Mr. Franklin’s, that induced me to write. I never thought of writing till the Assembly of Notables in France had commenced a revolution, with the Duke de la Rochefoucauld and Mr. Condorcet at their head, who I knew would establish a government in one assembly, and that I knew would involve France and all Europe in all the horrors we have seen; carnage and desolation, for fifty, perhaps for a hundred years … In this situation I was determined to wash my hands of the blood that was about to be shed in France, Europe, and America, and show to the world that neither my sentiments nor actions should have any share in countenancing or encouraging any such pernicious, destructive, and fatal schemes“ – John Adams an Samuel Perley am 19. Juni 1809, in: The Works of John Adams, Second President of the United States, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 9, Boston 1856, S. 621–624, 623.  349  „… those centripetal and centrifugal forces by which the heavenly bodies are continued in their orbits, instead of rushing to the sun, or flying off in tangents among comets and fixed stars; impelled or drawn by different forces in different directions, they are blessings to their own inhabitants and the neighboring systems, but if they were drawn only by one, they would introduce anarchy wherever they should go“ – John Adams, Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 4, Boston 1851, S. 391.



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Wie den Sternen, glaubte Adams, sei es auch den Staaten vorherbestimmt, in Anarchie und Chaos zu versinken, sobald nur eine einzige Person, Institution, Gruppe usw. befugt sei, Entscheidungen zu treffen und Befehle zu erteilen. Das lehre die Geschichte: „A few short sketches of the ancient republics will serve to show, not only that the orders we defend were common to all of them; but that the prosperity and duration of each was in proportion to the care taken to balance them; and that they all were in­ debted, for their frequent seditions, the rise and progress of corruption, and their decline and fall, to the imperfection of their orders, and their defects in the balance.“350 Lakonisch stellte Adams nach einem kurzen Überblick über die Geschichte der Herrschaftsverhältnisse im archaischen Griechenland fest, damit sei belegt, „that the whole force of superstition, although powerful enough to produce crowns to these persons, yet, for want of the balance we contend for, was not sufficient to restrain the passions of the nobles, and prevent revolutions almost as rapid as the motion of a wheel. Nothing has ever been found to supply the place of the balance of three powers.“351 In Karthago war es natürlich nicht anders. Die Verhältnisse dort glichen nach Meinung Adams in mancher Hinsicht denen in Amerika – „but when we inquire for the balance it is not found. The suffetes had not more authority than Roman consuls; they had but a part of the executive, and none of the legislative power. Much of the executive and all the legislative was in the senate an people. The balance, then, could only be between these two. Now, it is impossible to balance two assemblies without introducing a third power.“352 Das eine oder andere Gegengewicht sei zwar vorhanden gewesen, so dass der Staat nicht sofort zu Grunde gegangen sei und immerhin fünfhundert Jahre florierte. Aber eben nur fünfhundert Jahre – in Ermangelung einer „natürlichen Balance“, belehrt Adams, hätte Karthago niemals siebenhundert Jahre existieren können.353 350  John Adams, Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 4, Boston 1851, S. 469 [Hervorhebung im Original]. 351  John Adams, Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 4, Boston 1851, S 499. 352  John Adams, Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 4, Boston 1851, S. 470. 353  „… yet all these checks, although they preserved the state five hundred years, could nor prolong its period above seven hundred; because, after all, the balance was not natural, nor effectual“ – John Adams, Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 4, Boston 1851, S. 471 f.

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Auch über den konstitutionellen Dilettantismus der Römer konnte Adams nur mit dem Kopf schütteln. Zumindest die Herrschaft der römischen Könige habe jedes Gespür für ein Gleichgewicht zwischen den gesellschaftlichen Kräften vermissen lassen: „This whole history from Romulus to Tarquin, is one continued struggle of the noble families for the first place; and another unanswerable proof of the necessity of having three orders, and each order independent, in order to form an effectual equilibrium.“354 Die spätere Entwicklung sei erfreulicher verlaufen. Partiell tauge die römische Verfassung sogar zum Vorbild, wenngleich auch sie – mangels „complete balances“355 – noch weit hinter dem Ideal zurückbleibe.356 Selbst die Geschichte der Republik Venedig, obwohl sie „länger Bestand hatte als die [Republik] von Rom oder Sparta“, sah der gestrenge Amerikaner immer wieder von verhängnisvollen Störungen des Gleichgewichts verdunkelt, begleitet von Mord und Totschlag, Versklavung und Verfall, etwa als man sich entschlossen habe, nur einem Magistrat die Macht zu übertragen: „… the people, having no adequate idea of the only natural balance of power among three orders, determined that one magistrate should be chosen as the centre of all authority – the eternal resource of every ignorant people, harassed with democratical distractions or aristocratical ­ enroachments.“357 Die Beispiele mögen genügen, um zu illustrieren, dass für John Adams „Balance“ keine Façon de parler, sondern eine echte Strukturformel war. Mehr noch: Die epidemische Häufung dieser Vokabel und ihrer Synonyme in Adams Texten spricht dafür, dass der Inhalt dem Begriff (oder Bild) und nicht der Begriff dem Inhalt verpflichtet war, dass also in Wahrheit das Streben nach „Balance“ als solches und nicht die reale Sorge um Machtkonzentration und Selbstermächtigung Adams Agenda diktierte. Die monomanische Verengung der staatstheoretischen Überlegungen und eine Diktion, die zum „Bekenntnis“ zwingt, sind deutliche Hinweise auf einen ästhetischen Totalitarismus, der sich pikanterweise als Bollwerk gegen die Despo354  John Adams, Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 4, Boston 1851, S. 546. 355  John Adams, Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 6, Boston 1851, S. 108. 356  John Adams, Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 4, Boston 1851, S. 493 f. 357  John Adams, Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 4, Boston 1851, S. 347.



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tie empfahl. Für Adams gab es in der Frage des „Equilibrium“, so wie es ihm als Ideal vor Augen stand, keinen Raum für Kompromisse. Apodiktisch stellte er – wieder und wieder – fest, dass ein Staat ohne inneres Gleichgewicht zu Grunde gehen müsse. „Balance oder Unfreiheit!“ – das war John Adams Ceterum censeo: „There will never probably be found any other mode of establishing such an equilibrium, than by constituting the representation of each an independent branch of the legislature, and an independent executive authority … The great art of lawgiving consists in balancing the poor against the rich in the legislature, and in constituting the legislative a perfect balance against the executive power … The nation which will not adopt an equilibrium of power must adopt a despotism. There is no alternative. Rivalries must be controlled, or they will throw all things into confusion; and there is nothing but despotism or a balance of power which can control them.“358 Adamsʼ Apologie traf den Nerv der Zeit. Die Parteigänger der Einkammerlegislative und überhaupt der uniformen, einfachen Staatsorganisation blieben in der Neuen Welt in der Minderheit. Der Wille zur „Komplexität“, „Vielheit“ und „Balance“ hatte triumphiert. Mit großer Genugtuung verwies der zweite Präsident der Vereinigten Staaten auf das achtfache Equilibrium der amerikanischen Verfassung, dessen sich keine andere Nation rühmen könne (wenngleich inzwischen manches sogar Adams zu weit ging): „Is there a constitution upon record more complicated with balances than ours? In the first place, eighteen states and some territories are balanced against the national government … In the second place, the house of representatives is balanced against the senate, and the senate against the house. In the third place, the executive authority is, in some degree, balanced against the legislative. In the fourth place, the judiciary power is balanced against the house, the senate, the executive power, and the state governments. In the fifth place, the senate is balanced against the president in all appointments to office, and in all treaties. This, in my opinion, is not merely useless, but a very pernicious balance. In the sixth place, the people hold in their own hands the balance against their own representatives, by biennial, which I wish had been annual elections. In the seventh place, the legislatures of the several states are balanced against the senate by sextennial elections. In the eighth place, the electors are balanced against the people in the choice of the president. And here is a complication and refinement of balances, which, for any thing I recollect, is an invention of our own, and peculiar to us.“359 358  John Adams, Discourses on Davila. A series of papers on political history by an American citizen, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 6, Boston 1851, S. 280 f. 359  John Adams an John Taylor am 14. April 1814, in: Letters to John Taylor of Caroline, Virginia, in reply to his strictures on some parts of the defence of the

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An dieser Bilanz hatte naturgemäß die verfassungsgebende Versammlung, die Grand Convention, die von Mai bis September 1787 in Philadelphia tagte, den größten Anteil.360 Auch in den Debatten von Philadelphia – und nicht nur in Festreden oder gelehrten Abhandlungen – war die Denkfigur der „Balance“ präsent. Immer wenn zu befürchten stand, dass durch einen Antrag „sich die Gewichte verschoben“, sei es zwischen national und state government oder zwischen den großen und den kleinen Staaten, wurde das Balance-Schema aktiviert. So mancher Delegierter verwendete große Mühe darauf, den Zuhörern die Segnungen des kosmischen Gleichgewichts in Erinnerung zu rufen, um der Empörung über ein (vermeintliches) Attentat auf das konstitutionelle Gleichgewicht besonderen Nachdruck zu verleihen. Als Anfang Juni 1787361, James Wilson, Vertreter Pennsylvanias, dafür plädierte, beide Häuser des Parlaments, also auch den Senat, direkt vom Volk wählen zu lassen, weil ohne eine solche Einheit und Gleichartigkeit der Legitimationsbasis Zwietracht entstehen werde,362 widersprach ihm der Delegierte von Delaware, John Dickenson, entschieden: „The preservation of the States in a certain degree of agency is indispensible. It will produce that collision between the different authorities which should be wished for order to check each other. To attempt to abolish the States altogether, would degrade the Councils of our Country, would be impractiable, would be ruinous. He [Dickenson] compared the proposed National System to the Solar System, in which the States were the planets, and ought to be left to move freely in their proper orbits. The Gentleman from Pa. (Mr. Wilson) wished he said to extinguish these planets.“363 Dickenson war also der Meinung, dass die Direktwahl des Senats die Gewichte zu Lasten der Einzelstaaten verschieben und diese aus der durch die übrigen Verfassungsbestimmungen vorgezeichneten „planetaren UmlaufAmerican constitutions, in: The Works of John Adams, hrsg. von Charles Francis Adams, Bd. 6, Boston 1851, S. 467 f. 360  Zur „Grand Convention“ vgl. nur Richard Beeman, Plain, honest man. The making of the American Constitution, New York 2009; Clinton Rossiter, 1787. The Grand Convention, New York, 1966; John P. Kaminski/Richard Leffler (Hrsg.), Creating the Constitution, Acton 1999; Jürgen Heideking, Die Verfassung vor dem Richterstuhl. Vorgeschichte und Ratifizierung der amerikanischen Verfassung 1787– 1791, Berlin/New York 1988, S. 107–125. 361  Zum Kontext Clinton Rossiter, 1787. The Grand Convention, New York, 1966, S. 159–181. 362  „If one branch of it should be chosen by the Legislatures, and the other by the people, the two branches will rest on different foundations, and dissentions will naturally arise between them“ – The Records of the Federal Convention of 1787, hrsg. von Max Farrand, Bd. 1, New Haven 1911, S. 151 (7.  Juni 1787 – Madison). 363  The Records of the Federal Convention of 1787, hrsg. von Max Farrand, Bd. 1, New Haven 1911, S. 152 f. (7.  Juni 1787 – Madison).



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bahn“ katapultieren, ja auslöschen werde. Gerade die Uneinheitlichkeit der Legitimationsgrundlage garantiere ein Höchstmaß an Sicherheit vor gegenseitigen Übergriffen. Wilson versicherte zwar, er wolle keineswegs, wie man ihm unterstelle, die Staaten – „these planets“ – entmachten oder gar beseitigen, wohl aber sei er dagegen, ihre Funktion im Verfassungsgefüge zu idealisieren: „He [Wilson] was not however for extinguishing these planets as was supposed by Mr. D. – neither did he on the other hand believe that they would warm or enlighten the Sun. Within their proper orbits they must still be suffered to act for subordinate purposes (for which their existence is made essential by the great extent of our country).“364 Doch die Mehrheit der Delegierten hatte Wilson gegen sich. Erst seit dem 17. Amendment von 1913 werden die Senatoren direkt vom Volk gewählt – ohne dass dadurch die Staaten ihre „Umlaufbahn“ verlassen hätten. Mit der Schreckensvision einer in Unordnung geratenen kosmischen Ordnung operierten bei anderer Gelegenheit auch die Befürworter einer starken Zentralgewalt, beispielsweise James Madison, als er dem Delegierten Pinkney zur Seite sprang, der beantragt hatte, „that the National Legislature should have authority to negative all Laws which they should judge to be improper“.365 Madison erklärte, seiner Ansicht nach sei eine solche Befugnis zur Annullierung von Gesetzen „absolut notwendig“ für die Etablierung eines „perfekten Systems“. Die Erfahrung habe gezeigt, dass in den Einzelstaaten die Tendenz vorherrsche, in die Kompetenzen des Bundes einzugreifen.366 Dieser Tendenz müsse unbedingt entgegengewirkt werden, andernfalls drohe ein Zerfall des Gesamtstaats. Anders ausgedrückt, „to recur to the illustrations borrowed from the planetary System, This prerogative of the General Govt. is the great pervading principle that must controul the centrifugal tendency of the States; which, without it, will continually fly out of their proper orbits and destroy the order & harmony of the political system.“367 Wenn auch diesmal die Sorge um Bestand und Funktionsfähigkeit der nationalen Regierung und nicht der Einzelstaaten im Vordergrund stand, so bediente sich Madison doch des gleichen implikativen Modells: ein komplexes Gesamtsystem, leicht zu entfesselnde zentrifugale Kräfte und eine Vielzahl an Subsystemen in Gestalt planetarer Umlaufbahnen. 364  The Records of the Federal Convention of 1787, hrsg. Bd. 1, New Haven 1911, S. 153. (7.  Juni 1787 – Madison). 365  The Records of the Federal Convention of 1787, hrsg. Bd. 1, New Haven 1911, S. 164 (8.  Juni 1787 – Madison). 366  The Records of the Federal Convention of 1787, hrsg. Bd. 1, New Haven 1911, S. 164 (8.  Juni 1787 – Madison). 367  The Records of the Federal Convention of 1787, hrsg. Bd. 1, New Haven 1911, S. 165 (8.  Juni 1787 – Madison).

von Max Farrand, von Max Farrand, von Max Farrand, von Max Farrand,

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Nach dem Ende des Konvents in Philadelphia galt es, die Bevölkerung und die Repräsentanten der Einzelstaaten von den Segnungen der neuen Verfassung zu überzeugen. Zu diesem Zweck erschienen zwischen Oktober 1787 und April 1788 in vier verschienen New Yorker Zeitungen eine Reihe von Artikeln, die noch im Jahr 1788 in Buchform unter dem Titel „The Federalist. A Collection of Essays“ publiziert wurden und als „The Federal Papers“ in die Geschichte eingingen. Autoren waren Alexander Hamilton, James Madison und John Jay, die es allerdings vorzogen, zunächst nicht als Verfasser in Erscheinung zu treten und daher das Pseudonym „Publius“ wählten. Trotz des beachtlichen Umfangs des Werkes – zwei Bände mit insgesamt 600 Seiten – fand es seine Leser und Abnehmer. Schon im Mai 1789 waren so gut wie alle Exemplare verkauft, und überall in der Union kannte und diskutierte man den Publius.368 Da Hamilton, Madison und Jay mit den „Federalist Papers“ konkrete politische Ziele verfolgten und ein größeres Publikum zu erreichen versuchten, ist anzunehmen, dass sie vornehmlich Begriffe und Konzepte verwendeten, die ihren Lesern vertraut waren. So gesehen belegen auch die Publius-Briefe, dass das Denken in „Gleichgewichten“ um 1788 / 89 akzeptiert und weit verbreitet gewesen sein muss, denn von balance und equilibrium ist in den Artikeln, wie schon Woodrow Wilson bemerkte, sehr häufig die Rede. Der Arten von „Gleichgewichten“ gab es in Publius’ Welt viele – ideale wie reale: machtpolitische Balancen zwischen Staaten369, Balancen zwischen Gläubiger und Schuldner370, Budgetgleichgewichte, Handelsgleichgewichte371 usw. Und natürlich gab es für Hamilton, Madison und Jay 368  Jürgen Heideking, Die Verfassung vor dem Richterstuhl. Vorgeschichte und Ratifizierung der amerikanischen Verfassung 1787–1791, Berlin/New York 1988, S.  194 f. 369  „With a view to establishing the equilibrium of power and the peace of that part of the world, all the resources of negotiation were exhausted, and triple and quadruple alliances were formed …“ – The Federalist. A Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 15 (Madison) [nach der elektronischen Ausgabe der Library of Congress]; „By a steady adherence to the Union we may hope, erelong, to become the arbiter of Europe in America, and to be able to incline the balance of European competitions in this part of the world as our interest may dictate“ – The Federalist. A Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 11 (Hamilton). 370  „Is a law proposed concerning private debts? It is a question to which the creditors are parties on one side and the debtors on the other. Justice ought to hold the balance between them“ – The Federalist. A Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 10 (Madison). 371  „The speculative trader will at once perceive the force of these observations, and will acknowledge that the aggregate balance of the commerce of the United States would bid fair to be much more favorable than that of the thirteen States without union or with partial unions“ – The Federalist. A Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 11 (Hamilton); „There are persons who imagine that they can



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auch die konstitutionelle Balance. Sie lag ihnen besonders am Herzen. Ungemach, glaubten sie, drohe dem mühsam austarierten System der checks and balances von zwei Seiten: zum einen von den Einzelstaaten, zum anderen von der Legislative. Dass in einem Bundesstaat die Gefahr einer Kompetenzerosion zu Lasten des Bundes bestehe, hatte Madison – wie gesehen – schon in der Grand Convention zu Protokoll gegeben. Nun wiederholten und präzisierten er und seine Mitstreiter diese Diagnose. „Im Verlauf dieser Artikelreihe“, schreibt er im 45. Artikel,372 „wurden verschiedene bedeutsame Überlegungen berührt, die der Annahme widersprechen, die Tätigkeit der Zentralregierung werde sich nach und nach als verhängnisvoll für die Regierungen der Staaten erweisen. Je länger ich über dieses Thema nachdenke, umso mehr bin ich davon überzeugt, dass das Gleichgewicht [balance] mit viel größerer Wahrscheinlichkeit durch ein Übergewicht [preponderancy] auf Seiten der Einzelstaaten als auf Seiten der Zentralregierung gestört wird.“373 Hamilton äußerte sich etwas vorsichtiger, doch neigte auch er dazu, die Gefahren, die der konstitutionellen Balance durch eine Selbstermächtigung der Staaten drohten, höher zu bewerten als die Risiken einer zentralstaatlichen Machtakkumulation, weil die State governments dem Volk näher seien und in einer Republik nun einmal das Volk das Sagen habe. Die Verfassung leiste immerhin einen Beitrag zur Stabilisierung der Verhältnisse. Die weitere Entwicklung müsse „der Klugheit und Festigkeit des Volkes überlassen bleiben; von dem man, da es die Waagschalen [scales] selbst in den Händen halten wird, hoffen kann, dass es immer darauf achtet, das verfassungsmäßige Gleichgewicht [equilibrium] zwischen der Unionsregierung und den Regierungen der Staaten zu bewahren.“374 An anderer Stelle setzt sich Hamilton kritisch mit dem gängigen Einwand auseinander, eine Republik never be carried to too great a length; since the higher they are, the more it is alleged they will tend to discourage an extravagant consumption, to produce a favorable balance of trade, and to promote domestic manufactures“ – The Federalist. A  Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 35 (Hamilton). 372  Alexander Hamilton/James Madison/John Jay, Die Federalist Papers, übers. von Barbara Zehnpfennig, Darmstadt 1993, S. 290. 373  „Several important considerations have been touched in the course of these papers, which discountenance the supposition that the operation of the federal government will by degrees prove fatal to the State governments. The more I revolve the subject, the more fully I am persuaded that the balance is much more likely to be disturbed by the preponderancy of the last than of the first scale“ – The Federalist. A Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 45 (Madison). 374  Alexander Hamilton/James Madison/John Jay, Die Federalist Papers, übers. von Barbara Zehnpfennig, Darmstadt 1993, S. 204 – „Every thing beyond this must be left to the prudence and firmness of the people; who, as they will hold the scales in their own hands, it is to be hoped, will always take care to preserve the consti-

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könne nur in kleinen Gemeinschaften funktionieren. Das sei nicht richtig, entgegnet der Amerikaner, und lässt erkennen, dass er in kosmischen Dimensionen dachte: „To this catalogue of circumstances that tend to the amelioration of popular systems of civil government, I shall venture, however novel it may appear to some, to add one more, on a principle which has been made the foundation of an objection to the new Constitution; I mean the Enlargement of the Orbit within which such systems are to revolve.“375 Neben der föderalen Kompetenzverteilung stand für Hamilton, Madison und Jay der Ausgleich der Gewalten und Institutionen auf Bundesebene im Zentrum des Interesses. Das Konzept der „Balance“ taucht in dem Zusammenhang besonders häufig auf und strukturiert die Argumentation selbst dann, wenn die Sprache es auf den ersten Blick nicht verrät. Immer steht das „Equilibrium“ für das Gute, das Vollkommene. Den „Federalisten“ gilt es als ein Qualitätsmerkmal, ja als die Errungenschaft der neuen Verfassung: „Eine auf Wahl beruhende Despotie ist nicht die Regierungsform, für die wir gekämpft haben; sondern eine, die nicht nur auf freiheitlichen Grundsätzen aufgebaut sein sollte, sondern bei der die Regierungsgewalten auch in einer Weise auf verschiedene Regierungseinrichtungen aufgeteilt und zwischen ihnen ausbalanciert [balanced] sind, dass keine ihre gesetzlichen Grenzen überschreiten können, ohne von den anderen wirkungsvoll kontrolliert und beschränkt zu werden“376 – „Die politische Wissenschaft hat jedoch, ebenso wie die meisten anderen Wissenschaften, große Fortschritte gemacht. Heute versteht man die Wirkungsweise verschiedener Prinzipien, die früher überhaupt nicht oder nur unzulänglich bekannt waren: die geregelte Verteilung der Macht auf verschiedene Ressorts; die Einführung von Insitutionen, die die Legislative ausbalancieren und kontrollieren [balances] …“.377 – „Aber tutional equilibrium between the general and the State governments“ – The Federalist. A Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 31 (Hamilton). 375  The Federalist. A Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 9 (Hamilton) [Hervorhebung im Original]. 376  Alexander Hamilton/James Madison/John Jay, Die Federalist Papers, übers. von Barbara Zehnpfennig, Darmstadt 1993, S. 310 – „An elective despotism was not the government we fought for; but one which should not only be founded on free principles, but in which the powers of government should be so divided and balanced among several bodies of magistracy, as that no one could transcend their legal limits, without being effectually checked and restrained by the others“ – The Federalist. A Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 48 (Madison). 377  Alexander Hamilton/James Madison/John Jay, Die Federalist Papers, übers. von Barbara Zehnpfennig, Darmstadt 1993, S. 89 – „The science of politics, how­ ever, like most other sciences, has received great improvement. The efficacy of various principles is now well understood, which were either not known at all, or imperfectly known to the ancients. The regular distribution of power into distinct



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unabhängig von diesem höchst wirksamen Prinzip, durch das dem nationalen Repräsentantenhaus das gleiche Gewicht [equilibrium] gesichert wird, hat der Entwurf der Versammlung zu seinen Gunsten noch einige wichtige Gegengewichte [counterpoises] zu den zusätzlichen Vollmachten vorgesehen, die dem Senat übertragen werden sollen.“378 Die Autoren der „Federalist Papers“ machen deutlich, dass dieser Fortschritt hart erkämpft wurde. Groß sei die Versuchung gewesen, der Legislative oder gar einer außerordentlichen Volksversammlung das Primat zuzusprechen. Wer aber einer Instanz den absoluten Vorrang einräume, gefährde notwendigerweise das Gleichgewicht der Gewalten. Da die Repräsentanten des Volkes, schreibt Hamilton, „gemeinhin das Volk auf ihrer Seite haben, handeln sie stets mit einer solchen Triebkraft [momentum], dass es den anderen Regierungszweigen große Schwierigkeiten bereitet, die in der Verfassung vorgesehene Balance [balance] zu halten“.379 Der gewichtigste Einwand gegen Verfassungsänderungen durch das Volk sei, bekräftigt Madison, „dass die Entscheidungen, die sich wahrscheinlich aus derartigen Aufrufen an das Volk ergeben würden, nicht den Zweck erfüllen würden, das verfassungsmäßige Gleichgewicht [equilibrium] der Regierung aufrechtzuerhalten“.380 Angesichts dieser enormen Präsenz des mechanisch-astronomischen Bildfeldes in den Schlüsseltexten des amerikanischen Konstitutionalismus war Carl Schmitts Respekt vor dem – in seinen Worten – „Bild der Balance“ alles andere als unbegründet. In dem Maße, in dem die Vereinigten Staaten zu einem ökonomischen und politischen Giganten erstarkten, in dem Maße, in dem die Strahlkraft des Amerikanischen Traums sich auch in der Alten departments; the introduction of legislative balances and checks …“ – The Federalist. A Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 9 (Hamilton). 378  Alexander Hamilton/James Madison/John Jay, Die Federalist Papers, übers. von Barbara Zehnpfennig, Darmstadt 1993, S. 397 – „But independent of this most active and operative principle, to secure the equilibrium of the national House of Representatives, the plan of the convention has provided in its favor several important counterpoises to the additional authorities to be conferred upon the Senate“ – The Federalist. A Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 66 (Hamilton). 379  Alexander Hamilton/James Madison/John Jay, Die Federalist Papers, übers. von Barbara Zehnpfennig, Darmstadt 1993, S. 425 „… and as they commonly have the people on their side, they always act with such momentum as to make it very difficult for the other members of the government to maintain the balance of the Constitution“ – The Federalist. A Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 71 (Hamilton). 380  Alexander Hamilton/James Madison/John Jay, Die Federalist Papers, übers. von Barbara Zehnpfennig, Darmstadt 1993, S. 314 – „But the greatest objection of all is, that the decisions which would probably result from such appeals would not answer the purpose of maintaining the constitutional equilibrium of the government“ – The Federalist. A Collection of Essays, New York 1787/88, Nr. 49 (Madison).

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Welt bemerkbar machte – in dem Maße, stand zu befürchten, werde den Menschen diesseits und jenseits des Atlantiks die Lehre vom Gleichgewicht der Gewalten als eine auf Verfassung und Staat projizierte Verheißung „unbegrenzter Möglichkeiten“ erscheinen. Indessen: Es hängt nicht allein von der Präsenz der Begriffe ab, ob ein ästhetisches Prinzip das Fühlen und Denken einer Generation prägt, sondern auch von der Gegenwärtigkeit der Anschauungs- und Lebensform, der die Begriffe ihre Konjunktur verdanken. Als die amerikanische Sternennacht des Siècle des Lumières der taghellen Glaskultur der klassischen Moderne wich, war es aus und vorbei mit der Herrlichkeit der konstitutionellen Himmelsmechanik. 3. Transparenz: Zur Genealogie der juristischen Glaskultur Im frühen 21. Jahrhundert gibt es kaum eine (rechts-)politische Zielvorgabe, die sich einer so breiten, überparteilichen Unterstützung sicher sein kann wie die Forderung nach „Transparenz“. Diese als Leitbild eines demokratisch verfassten Gemeinwesens gedeutete stoffliche Eigenschaft steht heute in der öffentlichen Wertschätzung den hehren Idealen der Französischen Revolution – liberté, égalité, fraternité – in nichts nach. „Transparency“, schrieb vor einigen Jahren Christopher Hood, „is a term that has at­ tain­ed quasi-religious significance in debate over governance and institu­ tional design. Since the 1980’s the word has appeared in the litanies of countless institutional-reform documents and mission statements.“381 Auch und gerade in Deutschland breitet sich der Begriff in atemberaubender Geschwindigkeit aus. Er findet sich inzwischen nicht nur in Parteiprogrammen aller Couleur, sondern auch in Gesetzestexten und in Gerichtsentscheidungen. Als werbende Überschrift von Artikelgesetzen ist „Transparenz“ schon seit längerer Zeit in Gebrauch. Erwähnt sei das „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich“ (KonTraG) vom 27. April 1998382 sowie das „Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität“ (TransPuG) vom 19. Juli 2002383. Daneben führen zahlreiche Rechtsverordnung, europäische Rechtsakte und Ländergesetze die „Transparenz“ im Titel – wie etwa die „Verordnung zur Umsetzung über die Datentransparenz“ (Datentransparenzverord381  Christopher Hood, Transparency in Historical Perspective, in: Chrisopher Hood/David Heald (Hrsg.), Transparency: The Key to Better Governance?, Oxford 2006, S. 3–23, 3. 382  BGBl. I S. 786. 383  BGBl. I S. 2681.



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nung) vom 10. September 2012384, die Richtlinie (2004 / 109 / EG) „zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind“, das „Gesetz zur Schaffung von mehr Transparenz in öffentlichen Unternehmen im Lande Nordrhein-Westfalen“ (Transparenzgesetz) vom 17.12.2009385 oder das „Hamburgische Transparenzgesetz“ (HambTG) vom 19. Juni 2012386. Inzwischen findet sich die Vokabel auch in den Gesetzestexten selbst. „Transparenz“ („transparent“) ist demnach heute ein Rechtsbegriff im engeren Sinn: Nach § 24 Abs. 1 Telekommunikationsgesetz kann die Bundesnetzagentur dem Betreiber eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes, der über beträchtliche Marktmacht verfügt, für bestimmte Tätigkeiten eine getrennte Rechnungsführung vorschreiben. „Die Bundesnetzagentur verlangt insbesondere von einem vertikal integrierten Unternehmen in der Regel, seine Vorleistungspreise und seine internen Verrechnungspreise transparent zu gestalten“ (§ 24 Abs. 1 S. 2 TKG).387 § 64b des „Gesetzes über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen“ statuiert, dass „die Vergütungssysteme für Geschäftsleiter, Mitarbeiter und Aufsichtsratsmitglieder von Versicherungsunternehmen … angemessen, transparent und auf eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens ausgerichtet sein“ müssen. § 17 S. 1 des „Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung“ verpflichtet die Betreiber von Energieversorgungsnetzen dazu, „Letztverbraucher gleich- oder nachgelagerte Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze sowie -leitungen, Erzeugungs- und Speicheranlagen sowie Anlagen zur Speicherung elektrischer Energie zu technischen und wirtschaftlichen Bedingungen an ihr Netz anzuschließen, die angemessen, diskriminierungsfrei, transparent und nicht ungünstiger sind, als sie von den Betreibern der Energieversorgungsnetze in vergleichbaren Fällen für Leistungen innerhalb ihres Unternehmens oder gegenüber verbundenen oder assoziierten Unternehmen angewendet werden.“388 384  BGBl. I

S. 1895. S. 950. 386  HmbGVBl. I S. 271. 387  Vgl. auch § 45n Abs. 2 TKG: „In der Rechtsverordnung nach Absatz 1 können Anbieter von öffentlichen Telekommunikationsnetzen und Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste verpflichtet werden, transparente, vergleichbare, ausreichende und aktuelle Informationen zu veröffentlichen.“ 388  Vgl. § 24 S. 4 EnWG: „Regelungen nach Satz 2 Nr. 3 können auch weitere Anforderungen an die Zusammenarbeit der Betreiber von Übertragungsnetzen bei der Beschaffung von Regelenergie und zur Verringerung des Aufwandes für Regel385  GV.NRW.

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Nach § 19b Abs. 1 Luftverkehrsgesetz ist die Entgeltordnung eines Flughafenbetreibers der Genehmigungsbehörde zur Genehmigung vorzulegen. „Die Genehmigung wird erteilt, wenn die Entgelte in der Entgeltordnung nach geeigneten, objektiven, transparenten und diskriminierungsfreien Kriterien geregelt sind“ (§ 19b Abs. 1 S. 2 LuftVG). Auch das Gesetz über das Kreditwesen389, das Umwandlungssteuergesetz390 und das Sozialgesetzbuch391 normieren explizit „Transparenzanforderungen“. Dass der Gesetzgeber „mehr Transparenz“ keineswegs nur von Großbanken, Energieunternehmen und Flughafenbetreiber fordert, sondern auch ungleich weniger exponierte Marktteilnehmer und Berufsgruppen in die Pflicht nimmt, zeigt eine so skurrile Norm wie die „Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Abschluss Geprüfter Tierpflegemeister / Geprüfte Tierpflegemeisterin“. Wer diesen Abschluss anstrebt, muss die Befähigung nachweisen, „Projekte und Prozesse analysieren, planen und transparent machen zu können“ (§ 5 Abs. 4 Ziff. 2 TierpflMstrV) – zum Schutze der „Kunden“ (sic) des Tierpflegers (§ 5 Abs. 4 Ziff. 2 e) TierpflMstrV). Die Beispiele illustrieren, dass „Transparenz“ mehr ist als nur eine Parole in der politischen Auseinandersetzung. Mit jedem neuen „Transparenzgesetz“ nimmt die Bereitschaft zu, „Transparenz“ zu einem integralen Bestandteil, zu einer Errungenschaft unserer Rechtsordnung zu stilisieren. energie sowie in Abweichung von § 22 Absatz 2 Satz 1 Bedingungen und Methoden für andere effiziente, transparente, diskriminierungsfreie und marktorientierte Verfahren zur Beschaffung von Regelenergie vorsehen.“ 389  § 45 Abs. 2 S. 2 KWG: „Der Restrukturierungsplan nach Satz 1 Nummer 7 muss transparent, plausibel und begründet sein“; § 20a Abs. 5 S. 3 KWG: „Der Immobilienwert muss transparent und klar dokumentiert werden.“ 390  § 20 Abs. 8 UmwStG 2006: „Ist eine gebietsfremde einbringende oder erworbene Gesellschaft im Sinne von Artikel 3 der Richtlinie 90/434/EWG als steuerlich transparent anzusehen, ist auf Grund Artikel 10a der Richtlinie 90/434/EWG die ausländische Steuer, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union erhoben worden wäre, wenn die einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte zuzurechnenden eingebrachten Wirtschaftsgüter zum gemeinen Wert veräußert worden wären, auf die auf den Einbringungsgewinn entfallende Körperschaftsteuer oder Einkommensteuer unter entsprechender Anwendung von § 26 Abs. 6 des Körperschaftsteuergesetzes und von den §§ 34c und 50 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes anzurechnen.“ 391  § 131 Abs. 4 SGB V: „Die pharmazeutischen Unternehmer sind verpflichtet, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 sowie die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 129 Abs. 1a erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen.“



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Schon ist von „Transparenz als Verfassungsprinzip“ die Rede392 – und tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren mehrmals dem Gesetzgeber den Rücken gestärkt, wenn dieser im Namen der „Transparenz“ von Institutionen oder Unternehmen die Offenlegung bislang nicht öffentlich zugänglicher Informationen verlangte. So weigerte sich das Gericht im Jahre 2008 eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen, die Vorstandsmitglieder einer Krankenkasse eingelegt hatten, um die Veröffentlichung ihrer Vergütungen nach § 35a Abs. 6 S. 2 SGB  IV – eingeführt durch das „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ vom 14. November 2003 – zu verhindern.393 Es stellt fest: „Nach dem Gesetzentwurf vom 8.  September 2003 (BTDrucks 15 / 1525) soll mit der Verpflichtung zur Veröffentlichung der Vorstandsvergütungen Transparenz geschaffen werden, um dem Informationsbedürfnis der Beitragszahler und der Öffentlichkeit an dem Einsatz öffentlicher Mittel, die auf gesetzlicher Grundlage erhoben werden, Rechnung zu tragen. Die Schaffung einer solchen Transparenz ist ein legitimer Zweck der Gesetzgebung. In einer demokratischen Gesellschaft tragen solche Informationen zum öffentlichen Meinungsbildungsprozess bei.“394 Aus den weiteren Ausführungen geht hervor, dass das Gericht „Transparenz“ nicht nur als einen legitimen Zweck der Gesetzgebung ansieht, sondern darüber hinaus als ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut von so hoher Wertigkeit, dass es sogar – wie die Richter einräumen395 – erhebliche, substantielle Eingriffe in das Recht der informationellen Selbstbestimmung aufzuwiegen vermag.396 Die Entscheidung des Gerichts ist deshalb nicht unproblematisch, weil – unstreitig – Vorstandsvergütungen, gemessen am Gesamthaushalt der Krankenkasse, nur einen geringfügigen Anteil ausmachen, der die Schwelle der Beitragsrelevanz üblicherweise nicht erreicht.397 Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme fragwürdig, es bestehe ein elementares Interesse der Beitragszahler, sich über die Höhe der Vergütung zu informieren. 392  Jürgen Bröhmer, Transparenz als Verfassungsprinzip. Grundgesetz und Europäische Union, Tübingen 2004. 393  § 35a Abs. 6 S. 2 SGB  IV: „Die Höhe der jährlichen Vergütungen der einzelnen Vorstandsmitglieder einschließlich Nebenleistungen sowie die wesentlichen Versorgungsregelungen sind in einer Übersicht jährlich zum 1. März, erstmalig zum 1. März 2004 im Bundesanzeiger und gleichzeitig, begrenzt auf die jeweilige Krankenkasse und ihre Verbände, in der Mitgliederzeitschrift der betreffenden Krankenkasse zu veröffentlichen.“ 394  BVerfG, Beschluss vom 25.  Februar 2008, 1 BvR 3255/07, Rn. 24. 395  BVerfG, Beschluss vom 25.  Februar 2008, 1 BvR 3255/07, Rn. 31 f. 396  BVerfG, Beschluss vom 25.  Februar 2008, 1 BvR 3255/07, Rn. 42. 397  BVerfG, Beschluss vom 25.  Februar 2008, 1 BvR 3255/07, Rn. 37.

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Zwei Jahre später hatte das Bundesverfassungsgericht darüber zu entscheiden, ob das nach § 16a des „Gesetzes zur Regelung der Gentechnik“ (GenTG) einzurichtende Standortregister, das die genehmigte Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen öffentlich zugänglich dokumentiert, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Wiederum fiel die Abwägung zu Gunsten der „Transparenz“ aus.398 Im dritten Leitsatz zum Urteil heißt es: „Die Schaffung von Transparenz im Zusammenhang mit dem gezielten Ausbringen von gentechnisch veränderten Organismen in die Umwelt (§ 16a GenTG) leistet einen Beitrag zum öffentlichen Meinungsbildungsprozess und stellt einen eigenständigen legitimen Zweck der Gesetzgebung dar.“ Kein Gehör fand der schwer wiegende Einwand, dass politische Aktivisten die von staatlicher Seite bereit gestellten Informationen nutzen könnten, um Anbauflächen zu zerstören,399 und überdies allgemeiner gefasste Standortangaben – zum Beispiel die Nennung der betroffenen Gemeinde – im Normalfall ausreichen, um den rechtstreuen Teil der Bevölkerung angemessen zu informieren.400 So zeitgemäß und legitim die Forderung nach „Transparenz“ erscheint, so schwer fällt es, diese Forderung inhaltlich zu konturieren. Genau genommen verbergen sich hinter dem Postulat mindestens drei verschiedene Reformansätze:401 Meist zielen „Transparenzgesetze“ auf einen erleichterten Zugang zu Informationen, über die der Staat, Großunternehmen, internationale Organisationen usw. verfügen und die sie bislang exklusiv verwalten. Ferner ist „Transparenz“ dem Juristen in der Bedeutung „Verständlichkeit“ geläufig. Nach dem in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB normierten „Transparenzgebot“ kann sich eine unangemessene, die Unwirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen herbeiführende Benachteiligung daraus ergeben, dass Bestimmungen eines vorformulierten Vertrages „nicht klar und verständlich sind“.402 Drittens schließlich ist an die Forderung nach „Strukturtranspa398  BVerfG,

Urteil vom 24.  November 2010, 1 BvF 2/05. BVerfG, Urteil vom 24.  November 2010, 1 BvF 2/05, Rn. 96, 190. 400  Vgl. BVerfG, Urteil vom 24.  November 2010, 1 BvF 2/05, Rn. 96. 401  Vgl. auch Jürgen Bröhmer, Transparenz als Verfassungsprinzip. Grundgesetz und Europäische Union, Tübingen 2004, S. 19–23. Allgemein zur Flexibilität und „universalen Verwendbarkeit des Transparenzarguments“: Jürgen Schäfer, Das Transparenzgebot im Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, Frankfurt am Main 1992, S. 3; Harm Peter Westermann, Das Transparenzgebot – ein neuer Oberbegriff der AGB-Inhaltskontrolle, in: Festschrift Ernst Steindorff, hrsg. von Jürgen F. Baur, Berlin 1990, S. 817–832; Johannes Köndgen, Grund und Grenzen des Transparenzgebots im AGB-Recht, NJW 1989, S. 943–952, 949; Frank Riemann, Die Transparenz der Europäischen Union. Das neue Recht auf Zugang zu Dokumenten von Parlament, Rat und Kommission, Berlin 2004, S. 17 f. 402  Dazu u. a. Tim Gero Joppich, Die Kodifikation des Transparenzgebots in § 307 BGB, Frankfurt am Main 2009, S. 80–86. 399  Vgl.



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renz“ zu denken. In dem Fall geht es um die Frage, wie „übersichtlich“ das institutionelle Gefüge eines Gemeinwesens oder Unternehmens gestaltet sein muss, damit es seine Zwecke erfüllt.403 Das Problem der „Strukturtransparenz“, die zuletzt genannte Variante, wird vor allem im Rahmen der Föderalismusdiskussion thematisiert.404 „Nach meinem Verständnis“, bekannte 2001 der damalige Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, „sind klare Verantwortlichkeit und Transparenz für die Akzeptanz politischer Entscheidungen von großer Bedeutung. Wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr erkennen und einsehen können, wer auf welcher Ebene für welche politische Entscheidung verantwortlich ist, dann ist eine demokratische Kontrolle politischer Entscheidungen nicht mehr voll und ganz gewährleistet. Wo alle nur irgendwie mitverantwortlich sind, trägt letztlich niemand mehr die politische Verantwortung … Klarheit und Transparenz sind eherne Gebote der Demokratie.“405 Fast wortgleich findet sich das Plädoyer für einen „transparenten Föderalismus“406 in einem dem entgegengesetzten politischen Lager zuzurechnenden Positionspapier: „Nur die eindeutige Zuordnung von Kompetenzen zu den verschiedenen staatlichen Ebenen macht die Politik handlungsfähig und damit zugleich politische Entscheidungen transparent und für den Bürger nachvollziehbar. Sie verhindert außerdem Blockaden im föderalen Institutionengefüge. Nur dann, wenn politische Verantwortung klar bestimmt ist, kann auch vom Bürger erwartet werden, dass er selbst Verantwortung übernimmt.“407 „Strukturtransparenz“ steht überdies bei jeder Reform des Gesellschaftsund Kapitalmarktrechts ganz oben auf der Agenda. In der Begründung zu dem Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung von Transparenz und Beschränkung von Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft“ vom 30. Januar 1995 heißt es gleich zu Anfang: „Offenkundige Defizite in der 403  Sehr allgemein dazu Birgit Ries/Petra Schackenberg, Kooperation – Verantwortung – Transparenz: Gesellschaftliche Reformfähigkeit stärken, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Transparenz – Grundlage für Verantwortung und Mitwirkung, Gütersloh 2002, S. 11–22, 15 f. 404  Insbesondere zum Bund-Länder-Finanzausgleich vgl. Wolfgang Kitterer/Robert C. Plachta, Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs als Kernelement einer Modernisierung des deutschen Föderalismus, Baden-Baden 2008, S. 80–82. 405  Wolfgang Clement, Verantwortung – Entscheidungsfähigkeit – Transparenz – Zur Modernisierung des Föderalismus in Deutschland, NWVBl. 2001, S. 417–424, 417 f. 406  Udo Margedant/Johannes von Thadden, Mehr Effizienz und Transparenz im föderalen Staat. Ein Konzept zur Föderalismusreform in zwei Stufen (Arbeitspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung Nr. 118/2003), Sankt Augustin 2003, S. 12. 407  Udo Margedant/Johannes von Thadden, Mehr Effizienz und Transparenz im föderalen Staat. Ein Konzept zur Föderalismusreform in zwei Stufen (Arbeitspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung Nr. 118/2003), Sankt Augustin 2003, S. 13.

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Kontrolle der Unternehmensverwaltungen, mangelnde Transparenz, Interessenskonflikte und Einflußkumulation belasten den deutschen Kapitalmarkt und behindern den Wettbewerb im Finanzdienstleistungssektor und darüber hinaus. Die engen personellen und kapitalmäßigen Verflechtungen deutscher Kapitalgesellschaften untereinander und insbesondere mit den Kerngesellschaften des Finanzsektors stellen ein entscheidendes Innovationshindernis dar.“408 Zur Behebung der Missstände sieht der Entwurf eine Reihe von Gesetzesänderungen vor, die insbesondere der „Transparenz im Beteiligungs­ bereich“409 zugutekommen soll, so dass leichter als bisher ersichtlich sein werde, welche Gesellschaft in einem Verbund von Gesellschaften das Sagen habe. Hinter den beiden anderen Spielarten politischer und juristischer Transparenz-Rhetorik stehen in der Sache keine völlig neuen Anliegen. Dass Rechtstexte – Gesetze, Verträge, Urteile – klar und verständlich abgefasst sein sollten, gehört seit dem Altertum zum Allgemeingut juristischer Stilistik. Mit besonderem Nachdruck wurden die Ideale der antiken Schreib- und Redekunst im Zeitalter der Aufklärungskodifikationen propagiert. Autoren wie Bentham warben unermüdlich für sprachliche Präzision, für eine einheitliche Terminologie und eine eindeutige Zuordnung von Begriffen und Inhalten.410 Auch der freie Zugang zu staatlichen Informationen war eine gängige Forderung der Revolutions- und Reformzeit um 1800.411 Der mündige Bürger wollte wissen, was sich in den Gerichtssälen und Amtsstuben tat, wollte wissen, was seine Rechte und Pflichten waren, um sich gegebenenfalls gegen staatliche Willkür zur Wehr zu setzen. „Das große Losungswort, das jetzt ein jeder kräht“, dichtete ein Zeitgenosse, „vor dem in ihren Staatsperücken, sich selbst des Volkes Häupter bücken, horch auf! es heißt: Publi­ cität!!!“412 Die Öffentlichkeit von legislativen, gerichtlichen und administ408  Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung von Transparenz und Beschränkung von Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft (Transparenz- und Wettbewerbsgesetz), BT-Drs. 13/367, S. 1. 409  Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung von Transparenz und Beschränkung von Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft (Transparenz- und Wettbewerbsgesetz), BT-Drs. 13/367, S. 2. 410  Eingehend Bernd Mertens, Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen. Theorie und Praxis der Gesetzgebungstechnik aus historisch-vergleichender Sicht, Tübingen 2004, S. 354–406. 411  Grundlegend dazu Pascale Cancik, Verwaltung und Öffentlichkeit in Preußen. Kommunikation durch Publikation und Beteiligungsverfahren im Recht der Reformzeit, Tübingen 2007. 412  Nach Lucian Hölscher, Art. „Öffentlichkeit“, in: Otto Brunner / Werner Conze /  Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. IV, Stuttgart 1978, S. 413–467, 447 Fn. 180.



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rativen Verfahren galt als wichtige Voraussetzung für eine dauerhafte demokratische Ordnung. Kurz und bündig formulierte es Bentham: „Without publicity, no good is permanent. Under the auspicies of publicity, no evil can continue.“413 Freilich erscheint das Maß an „Publicität“, das man sich damals erkämpfte, aus heutiger Sicht ziemlich bescheiden, doch ist zu berücksichtigen, welche Widerstände angesichts der Prägekraft absolutistischer Arkantraditionen zu überwinden waren.414 Wenn demnach „Transparenz“ als rechtspolitische Zielvorgabe in der Sache seit langem in der Diskussion ist, gleichsam zum Inventar unserer politischen Kultur gehört, stellt sich die Frage, warum man sich zu dieser Tradition nicht bekennt. Stattdessen erwecken die meisten Beiträge den Eindruck, als ob es sich bei dem Leitbild des „transparenten Staates“ um eine qualita­tive Neuerung handle, um eine Eigenheit des 20. und 21. Jahrhunderts. Verschiedene Gründe kommen für diese gefühlte Modernität des Transparenz-Diskurses in Betracht. Nicht zu übersehen ist zunächst, dass seit den späten 1960er Jahren – bedingt durch den technischen Fortschritt – die Sensibilität für die Relevanz von Nachrichten und Informationen zugenommen hat. „Information ist Anfang und Grundlage der Gesellschaft“, schrieb der Kybernetiker und Nachrichtentechniker Karl Steinbuch 1966 im Vorwort seiner visionären Schrift „Die informierte Gesellschaft“.415 Solche Aussagen nährten die Überzeugung, in einer „Informationsgesellschaft“ zu leben. Universitäten sahen sich veranlasst, neue Studiengänge wie „Informatik“ oder „Informations- und Dokumentationswissenschaften“ einzurichten.416 Dass der Begriff „Information“ seither in aller Munde ist, erklärt allerdings nicht unbedingt, warum Informationen um jeden Preis zugänglich sein sollen. Gerade der Fortschritt in der Nachrichtentechnik, die Möglichkeit, in Sekundenschnelle große Datenmengen an eine Vielzahl von Adressaten versenden zu können, spricht eher für einen restriktiven als für einen extensiven Ansatz, denn sind unter diesen Bedingungen Informationen (auch die vom Staat für den Bürger verwalteten Informationen) erst einmal in der Welt, ist es so gut wie unmöglich, ihre Verbreitung zu verhindern oder auch 413  Jeremy Bentham, Essays on Political tactics – or Inquiries concerning the Discipline and Mode of Proceeding proper to be observed in Political Assemblies, in: The Works of Jeremy Bentham, hrsg. von John Bowring, Bd. 2/2, Edinburg 1839, S. 300–373, 314 (ch. 2, § 2). 414  Dazu Bernhard W. Wegener, Der geheime Staat. Arkantradition und Informationsfreiheitsrecht, Göttingen 2006. 415  Karl Steinbuch, Die informierte Gesellschaft, Stuttgart 1966, S. 5. 416  Vgl. etwa Gernot Wersing, Information – Kommunikation – Dokumentation. Ein Beitrag zur Orientierung der Informations- und Dokumentationswissenschaften, München-Pullach/Berlin 1971.

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nur einzuschränken. Foucault hat zudem schon 1975 – in Anschluss an Bentham – auf die problematischen psychologischen Effekte hingewiesen, die einer permanenten Überwachung eigentümlich sind:417 Es werde die Neigung zunehmen, sich zu verstellen und Selbstzensur zu üben418, so dass die wahren Intentionen unerkannt blieben.419 Selbst wenn man über diese Bedenken hinwegsieht, ist jedenfalls kein Zusammenhang erkennbar zwischen einem gewachsenen Interesse an Informationstechnologien und anderen Facetten der „Transparenz“-Konjunktur (zum Beispiel dem Eintreten für „Strukturtransparenz“). Folglich muss es noch andere Gründe geben für die Popularität jener als neuartig empfundenen Forderungen, die auf einen zugänglichen, einfach strukturierten, eben „transparenten“ Staat zielen. Von den weltpolitischen Ereignissen der letzten Jahrzehnten hatte nur eines das Format, das Lebensgefühl einer ganzen Generation zu prägen: der Niedergang der kommunistischen Herrschaft in der Sowjetunion und in Osteuropa. Diese Entwicklung stellte eindrucksvoll unter Beweis – jedenfalls aus der Perspektive des Westens – welche Energien demokratische Reformen zu entfesseln vermögen. In den 80er und 90er Jahren beherrschten über viele Jahre Begriffe wie „Perestrojka“ und „Glasnost“ die Schlagzeilen. „Glasnost“ wurde in der Tagespresse ebenso wie in Festreden und wissenschaftlichen Publikationen häufig mit „Transparenz“ übersetzt.420 So heißt es in der Einleitung eines bundesdeutschen Almanachs zur Sowjetunion aus dem Jahre 1987: „Zentrale Bedeutung in allen Bereichen der Politik wird dem Prinzip der ‚Transparenz‘ (glasnost’) beigemessen, das sich auch mit den Ausdrücken ‚Offenheit‘ oder ‚Publizität‘ charakterisieren lässt.“421 Auf diese Weise könnten Begriff und Idee der politischen „Transparenz“ zueinander gefunden haben. Allerdings besteht kein Zusammenhang zwischen dem russischen „Glasnost“ und dem deutschen „Glas“. Das alt-russi417  Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, übers. von Walter Seitter, Frankfurt am Main 1976, S. 251–292. 418  Dazu auch Frieder Vogelmann, Die Falle der Transparenz. Zur Problematik einer fraglosen Norm, in: Leon Hempel (Hrsg.), Sichtbarkeitsregime. Überwachung, Sicherheit und Privatheit im 21. Jahrhundert, Wiesbaden 2011, S. 71–84. 419  Kritisch zur „Transparenz-Hysterie“ jüngst Byung-Chul Han, Transparenzgesellschaft, Berlin 2012; vgl. auch Manfred Schneider, Transparenztraum. Literatur, Politik, Medien und das Unmögliche, Berlin 2013. 420  Vgl. Frank Riemann, Die Transparenz der Europäischen Union. Das neue Recht auf Zugang zu Dokumenten von Parlament, Rat und Kommission, Berlin 2004, S. 17. 421  Gerhard Wetting, Einführung, in: Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (Hrsg.), Sowjetunion 1986/87. Ereignisse, Probleme, Perspektiven, München 1987, S. 13–19, 13. Vgl. auch Art. „Glasnost“, in: Manfred G. Schmidt, Wörterbuch zur Politik, 3. Aufl., Stuttgart 2010, S. 315 f., 315.



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sche „Glas“ bedeutet „Stimme“, verweist also auf ein akustisches und nicht auf ein visuelles Erlebnis.422 Auch gebrauchten die sowjetischen Reformer „Glasnost“ keineswegs nur im Sinne von „Publizität“ („Transparenz“), sondern auch um für demokratische Teilhabe, Pressefreiheit und Meinungspluralismus zu werben.423 Die Unstimmigkeiten lassen vermuten, dass die Forderung nach „Glasnost“ in Deutschland gemäß einer anderen, älteren Tradition interpretiert wurde. Die bemerkenswerte Verschiedenheit der mit politischer „Transparenz“ assoziierten Inhalte spricht dafür, dass der einzige gemeinsame Nenner dieser Tradition das Bildfeld „Sichtbarkeit“ ist, dessen Popularität offenbar die Konjunktur bestimmter Inhalte beeinflusst hat, solcher Inhalte nämlich, die nach den Regeln des metaphorischen Denkens mit dem genannten Bildfeld kompatibel sind. Wenn es sich tatsächlich so verhalten sollte, wenn das Bildfeld die treibende Kraft, der Motor der Entwicklung war – mögen die durch das Bildfeld angeleiteten Reformbestrebungen darüber hinaus teilweise auch sachlich gerechtfertigt sein – dann müsste sich begründen lassen, warum ausgerechnet im 20. Jahrhundert dem sinnlichen Phänomen „Sichtbarkeit“ eine so herausragende Bedeutung zukam. Um diese Frage beantworten zu können, ist als erstes zu klären, wann und unter welchen Umständen der Topos des Sichtbaren Eingang in den juristischen und politischen Diskurs gefunden hat. Es ist natürlich unmöglich, alle in Betracht kommenden Texte zu sichten und auszuwerten. Moderne Datenbanken und Bibliothekskataloge erlauben es zwar, gezielt nach Begriffen in vielen verschiedenen Dokumenten zu suchen, doch häufig werden nur die letzten zwei oder drei Jahrzehnte vollständig erfasst, so dass bei der Bewertung der Ergebnisse Vorsicht geboten ist. Immerhin kann man sich auf diesem Wege einen ersten Überblick verschaffen, der im Fall der „Transparenz“ ausreicht, um Aufkommen und Verbreitung des Begriffs cum grano salis zeitlich einzugrenzen. So lässt sich sagen, dass in Deutschland die Vokabel zwar erst Ende der 80er Jahre richtig populär wurde, sie jedoch auch schon in den 60er und 70er Jahren in Gebrauch war, etwa in Titeln von Monographien wie „Parlamentarismus ohne Transparenz“ (1971),424 „Transparenz-Listen: Wegweiser zur preiswer422  Margareta Mommsen, Von „Kritik und Selbstkritik“ zu „Glasnost“. Tendenzen zur Pluralisierung der öffentlichen Meinung in der Sowjetunion, in: Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (Hrsg.), Sowjetunion 1986/87. Ereignisse, Probleme, Perspektiven, München 1987, S. 11–30, 11. Vgl. zur Begriffsgeschichte auch Walter Laqueur, The long road to freedom: Russia and glasnost, New York 1989, S. 48–52. 423  Vgl. Michail S. Gorbacev, Glasnost: Das neue Denken, Frankfurt am Main 1990, S. 135–137. 424  Winfried Steffani (Hrsg.), Parlamentarismus ohne Transparenz, Opladen 1971.

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ten Arzneiverordnung“ (1976),425 „Transparenz von Planungsprozessen“ (1977)426 und „Gerichtsöffentlichkeit als Medienöffentlichkeit: zur Transparenz der Entscheidungsfindung im straf- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren“ (1979).427 Auch einige Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften führten „Transparenz“ in der Überschrift: „Zur Transparenz der politischen Ordnung der Bundesrepublik“ (1968),428 „Zur Transparenz des Teilzeitarbeitsmarktes“ (1972),429 „Statt Dirigismus mehr Transparenz. Zur Diskussion über die Arzneimittelpreise“ (1975),430 „Vorschläge zur Transparenz des Verbandseinflusses auf die Gesetzgebung“ (1977),431 „Mehr Rationalität und Transparenz im Personalwesen der öffentlichen Verwaltung?“ (1977),432 „Transparenz am Kapitalmarkt. Wirtschaftspolitische Grundfragen aktueller Regelungsprobleme“ (1977).433 In der Tagespresse war sogar schon in den 50er und 60er Jahren gelegentlich von „Transparenz“ die Rede, wenngleich die Art und Weise der Verwendung darauf hindeutet, dass der Begriff noch nicht zum Allgemeingut gehörte: „Von der ‚Transparenz des Marktes‘ in früheren Zeiten, von seiner klaren Durchsichtigkeit für den Durchschnittsverbraucher, ist nicht mehr viel übrig geblieben“, konnte man in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am 5. Juli 1952 lesen434 – und sechs Jahre später wird der damalige Bundeswirtschaftsminister Erhard mit den Worten zitiert: „Er habe keine Komplexe gegenüber Großunternehmen und keinerlei Feindschaft gegen Konzer425  Hans Marseille (Hrsg.), Transparenz-Listen: Wegweiser zur preiswerten Arzneiverordnung, München 1976. 426  Enno Schneider, Transparenz von Planungsprozessen: Analyse von Elementen der Planung unter methodologischen Aspekten, Diss. Stuttgart 1977. 427  Joachim Scherer, Gerichtsöffentlichkeit als Medienöffentlichkeit: zur Transparenz der Entscheidungsfindung im straf- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren, Königstein/Ts. 1979. 428  Hermann Meyn, Zur Transparenz der politischen Ordnung der Bundesrepublik, Parlament 1968, Beilage 21. 429  Kurt Maier, Zur Transparenz des Teilzeitarbeitsmarktes. Betrachtungen zur Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 1972–02–29 4 BJ 317/71 = SGb 1972, 360, SGb 1972, S. 84–86. 430  Wilhelm Braun, Statt Dirigismus mehr Transparenz. Zur Diskussion über die Arzneimittelpreise, ASP 1975, S. 56–60. 431  Heinjo Schröder, Vorschläge zur Transparenz des Verbandseinflusses auf die Gesetzgebung, ZParl 1977, S. 491–506. 432  Michael Geyer, Mehr Rationalität und Transparenz im Personalwesen der öffentlichen Verwaltung? Zum Stand der Auseinandersetzung mit Vorschlägen der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Verw 1977, S. 216–234. 433  Friedrich Kübler, Transparenz am Kapitalmarkt. Wirtschaftspolitische Grundfragen aktueller Regelungsprobleme, AG 1977, S. 85. 434  Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 5.  Juli 1952, S. 7.



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ne, wenn diese technisch notwendig oder volkswirtschaftlich nützlich seien. Wenn jedoch die Umsatzsteuer bestimmte Unternehmensformen einseitig begünstige und wenn das Aktiengesetz die Transparenz der großen Gesellschaften nicht mehr gewährleiste, wenn schließlich die Soziallasten über den Lohn umgelegt und damit kleinere Betriebe benachteiligt würden, dann sei es an der Zeit, diese Dinge abzustellen.“435 Über ein vertrauliches sowjetisches Schreiben, das die Bundesregierung im September 1969 erreichte, heißt es in der gleichen Zeitung: „Dass es zu einer Veröffentlichung kommt – und sei es nur im Sinne, dass das Schreiben den Fraktionen des Bundestages zugänglich gemacht wird, wie es der stellvertretende FDP-Vorsitzende Genscher am Sonntag gefordert hat  –, ist unwahrscheinlich; die Zuleitung an die Fraktionen würde einer Veröffentlichung im Effekt gleichkommen. In Bonn wird das Verlangen Genschers im Zusammenhang mit dem Wahlkampf verstanden, und zwar als eine Bekräftigung des Eintretens der FDP für ‚Transparenz‘ der staatlichen Handlungen.“436 Man könnte vermuten, dass es sich bei „Transparenz“ – wie so häufig – um eine ins Deutsche übertragene Formel aus dem angloamerikanischen politischen Jargon handelt. Doch das scheint nicht der Fall zu sein. Monographien mit „transparency“ im Titel tauchen erst Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre auf und betreffen zudem meist Sachverhalte der internationalen Politik, also keine originär englischen oder amerikanischen Angelegenheiten.437 Die „New York Times“ übersetzte „transparency“ in einem Artikel aus dem Jahr 1980 mit „disclosure“, dem konventionellen englischen Begriff zur Bezeichnung von Offenlegungspflichten im Bilanzwesen,438 und auch 1988 sah man sich noch zu einer Erläuterung veranlasst: „calls for transparency (availability of information on government measures affecting service industries)“.439 Wenn auf eine Umschreibung verzichtet wird, steht der Begriff zumindest in Anführungszeichen: „The Namphy Government should be urged to promote what it calls ‚transparency‘ in public administration by making public the salaries of ministers and other officials.“440 Zudem fällt auf, dass der Ausdruck überdurchschnittlich häufig in Nachrichten aus 435  Frankfurter

Allgemeine Zeitung vom 17.  September 1958, S. 13. Allgemeine Zeitung vom 15.  September 1969, S. 1. 437  Vgl. Olivier Long, Public scrutiny of protection: domestic policy transparency and trade liberalization, Brookefield Hampshire, 1989; United Nations, Department for Disarmament Affairs, Transparency in international arms transfers, New York 1990; John D. Spriggs, Transparency vs. protestionism: the Australian way, Saskatoon 1990. 438  New York Times vom 4. Juni 1980, S. 2. 439  New York Times vom 31. Januar 1988, S. 3. 440  New York Times vom 19.  Mai 1986, S. 21. 436  Frankfurter

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Deutschland vorkommt. „Transparency for me has a central meaning for the functioning of democracy“, erklärte der damalige Oppositionspolitiker Otto Schily 1986 gegenüber der „New York Times“. Mit Frankreich verhält es sich ähnlich. In Titeln von Monographien ist der Begriff seit Mitte der 80er Jahre nachweisbar („transparence administrative“441, „transparence du marché financier“442). Bereits seit 1980 existierte eine „Commission de la Transparence“ zur Kontrolle des Arzneimittelmarktes, doch ist direktes Vorbild dafür eine deutsche Institution, die 1975 / 76 ins Leben gerufene „Transparenzkommission“ beim Bundesgesundheitsamt.443 Jean Rivero bekundete 1989 sein Unbehagen über die neuerdings immer häufiger zu vernehmende Forderung nach „Transparenz“, eine Glas-Metapher, die juristisch nur schwer zu fassen sei: „ ‚Transparence‘, … Je n’aime pas beaucoup les mots flous, et celui-là n’a évidemment pas la précision que nous souhaitons pour les termes juridiques. Le mot, d’ailleurs, n’a pas surgi d’abord chez les juristes: il est apparu dans le discours politico-sociologique et d’abord sous la forme d’une image, celle de ‚la maison de verre‘.“444 Ein Blick in die gängigen Wörterbücher und Lexika festigt den Eindruck, dass in Deutschland früher als in anderen Ländern der Begriff „Transparenz“ in politischen oder juristischen Kontexten in Gebrauch war. Die Einträge zu „transparency“ und „transparent“ im zwanzigbändigen „Oxford English Dictionary“ von 1989 enthalten zwar einen Hinweis auf die Verwendung des Wortes im übertragenen Sinne („easily seen through, recognized, understood, or detected; manifest, evident, obvious, clear“), doch unter den angeführten Beispielen ist keines, das die „Durchsichtigkeit“ von Staat und Wirtschaft betrifft.445 In neueren Wörterbücher hingegen – etwa dem einbändigen „Oxford Dictionary of English“ von 2003 – fehlt diese Bedeutungsvariante nicht („open to public scrutiny: if you had transparent government procurement corruption would go away“).446 441  Guy Scoffoni, Le Droit à la communication des documents administratifs aux Etats-Unis: éléments d’analyse comparative des systèmes français et américain de transparence administrative, Diss. Paris II 1986; Bruno Lasserre / Noëlle Lenoir /  Bernard Stirn, La Transparence administrative, Paris 1987. 442  Association nationale des docteurs en droit (section entreprise), La transparence du marché financier, Paris 1989. 443  Udo di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat. Zum Wandel der Dogmatik im öffentlichen Recht, insbesondere am Beispiel der Arzneiüberwachung, Tübingen 1994, S. 407. 444  Jean Rivero, Rapport de synthèse, Annuaire Européen d’Administration Publique 12 (1989), S. 307–318, 307; vgl. auch Charles Debbasch, Introduction, Annuaire Européen d’Administration Publique 12 (1989), S. 11–14, 11. 445  The Oxford English Dictionary, Bd. 18, 2. Aufl., Oxford 1989, S. 419. 446  Oxford Dictionary of English, 2. Aufl., Oxford 2003, S. 1875.



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Im siebenbändigen „Grand Larousse“ von 1978 sucht man ebenfalls vergeblich einen Eintrag zur politischen (juristischen, ökonomischen) „Transparenz“.447 Stattdessen ist die Rede von der „Transparenz der Ideen“ (Proust) und der „Transparenz des Herzens“ (Rousseau: „Son coeur, transparent comme le cristal ne peut rien cacher de ce qui s’y passe“).448 Im „Grand Robert“ von 2001 heißt es jedoch dann: „Caractère de ce qui est visible par tous, public (en matière économique, dans les affaires). La transparence des salaires dans une entreprise.“449 Damals war der Begriff in Deutschland längst etabliert. Der „Duden“ von 1981 belegt den Gebrauch mit einem Zitat aus den Bundestagsdrucksachen von 1968 („…dass wir eine etwas größere Transparenz in unsere gemeinsamen … Verteidigungsbemühungen hineinbringen“).450 Peter Eigen, Spiritus rector der einflussreichen Nichtregierungsorganisation „Transparency International“, berichtet, dass zu Anfang – im Gründungsjahr 1993 – weder die Amerikaner noch die Europäer anderer Nationen allzu viel mit dem Namen der Organisation etwas anzufangen wussten. Der Deutsche schreibt: „Nicht einmal über den Namen konnten wir uns zunächst einigen. Ich war von Anfang an für Transparency International. Doch das Wort ‚transparency‘, also Transparenz, stieß bei den Amerikanern auf wenig Gegenliebe. Michael Hershman meinte abfällig: ‚Bei diesem Begriff denke ich an Kondome. Besser wäre Honesty oder Integrity International‘. Aber ich wollte dabei bleiben und erzählte meinen amerikanischen Freunden, dass das Wort in Europa einen sehr, sehr guten Klang hätte und genau das ausdrückte, was wir wollten. Meinen europäischen Freunden, die auch nichts mit dem Begriff anfangen konnten, erzählte ich, dass die Amerikaner ganz begeistert seien.“451 Warum aber hat „Transparenz“ ausgerechnet in Deutschland einen so guten, einen „sehr, sehr guten Klang“? Zunächst muss man sich vergegen447  Grand

Larousse de la langue française, Bd. 7, Paris 1978, S. 6209. dazu Jean Starobinsky, Jean-Jacques Rousseau. La transparence et l’obstacle, Paris 1957. 449  Le Grand Robert de la langue française, Bd. 6, 2. Aufl., Paris 2001, S. 1418. 450  Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 6, Mannheim/ Wien/Zürich 1981, S. 2616. Vgl. auch Meyers Großes Universallexikon, Bd. 14, Mannheim/Wien/Zürich 1985, S. 313: „Durchschaubarkeit von Entscheidungsprozessen“. 451  Peter Eigen, Das Netz der Korruption. Wie eine weltweite Bewegung gegen Bestechung kämpft, Frankfurt am Main/New York 2003, S. 41. Die Singularität der deutschen „Transparenz-Architektur“ bei der Gestaltung von Parlamenten und Regierungsgebäuden betont Deborah Ascher Barnstone, The Transparent State. Architecture and politics in postwar Germany, London/New York 2005, S. 26: „West Germany is the only country in which transparent architecture is so strongly equated with expressions of democratic government“ (dazu sogleich). 448  Vgl.

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wärtigen, dass die Vorliebe der Deutschen für eine Metaphorik des Sichtbaren älter ist als der epidemische Gebrauch der Transparenzformel. Schon im frühen 20. Jahrhundert war die Neigung verbreitet, für die „Durchsichtigkeit“ von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft zu werben, nur dass man eben von „Durchsichtigkeit“ oder „Klarheit“ sprach und noch nicht von „Transparenz“. Wer etwa Walther Rathenaus 1919 erschienene Schrift „Der Neue Staat“ zur Hand nimmt, dem wird sofort auffallen, dass der Autor gerne und häufig Vokabeln benutzt, die sich dem Bildfeld „Sichtbarkeit“ zurechnen lassen.452 Unzufrieden mit dem mutlosen Lavieren der „Spießbürger“453 in der Weimarer Nationalversammlung drängte Rathenau auf ein erkennbares Profil, auf eine „sichtbare Form“ des „Neuen Staates“. Allein mit dem „Licht des allwissenden und unfehlbaren Parlaments“ lasse sich beim besten Willen kein Staat machen, denn „dieses Licht strahlt nur auf die Baumkronen, in das Dämmern des Staatsdickichts dringt es nicht ein.“454 Um auch das „Staatsdickicht“ mit Licht zu versorgen, befürwortete Rathenau ein „System der Fachstaaten“ mit spezialisierten Parlamenten. Es stehe fest, „dass die Durchlüftung und Durchlichtung des ganzen Staatsbaues, die Auflockerung und Durchsetzung der Bureaukratie mit organisch eingegliederten Volksvertretungen geschehen muss.“455 Mehr Mitbestimmung müsse es auch in der Wirtschaft geben, die erst dadurch „Durchsichtigkeit“ erlange: „Wir werden euch eine Wirtschaft schaffen, die klar und durchsichtig ist wie Glas, die jedem Mitwirkenden die Mitbestimmung sichert, keinem einzigen versteckte und ungerechte Vorteile gestattet, den höchsten Wirkungsgrad der Arbeit sichert. Das ist die Neue Wirtschaft.“456 Rathenaus Ringen um eine „gute Form“ des Staates ist symptomatisch für das Unvermögen der liberalen, politisch gemäßigten Kräfte, die Forderung nach mehr „Durchsichtigkeit“ mit den Verfassungsprinzipen von 1919 in Einklang zu bringen. Entweder man versuchte es erst gar nicht oder man kam so weit vom Kurs ab, dass von einer Rückendeckung für die junge Republik keine Rede sein konnte. Ein System der gegenseitigen Kontrolle, wie es der westlichen Verfassungstradition entspricht, ist per se nicht dazu 452  Zum Folgenden Daniel 2012, S. 104–108. 453  Walther Rathenau, Der 1925, S. 265–337, 284 (u. ö.). 454  Walther Rathenau, Der 1925, S. 265–337, 299. 455  Walther Rathenau, Der 1925, S. 265–337, 297. 456  Walther Rathenau, Der 1925, S. 265–337, 334.

Damler, Der Staat der Klassischen Moderne, Berlin Neue Staat, in: ders., Gesammelte Schriften, Berlin Neue Staat, in: ders., Gesammelte Schriften, Berlin Neue Staat, in: ders., Gesammelte Schriften, Berlin Neue Staat, in: ders., Gesammelte Schriften, Berlin



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bestimmt, die politische Verantwortung im Staat „klar“ zu verteilen. Welche Entscheidung von welchem Verfassungsorgan zu treffen ist und welcher Mitwirkung anderer Organe es gegebenenfalls bedarf, lässt sich nicht „auf einem Blick“ erkennen. Der Sichtbarkeitsfetisch jener Jahre, das Verlangen nach „Strukturtransparenz“, begünstigte in der Tendenz also eher die politischen Kräfte, die ein freiheitlich demokratisch verfasstes Gemeinwesen und eine liberale Wirtschaftsordnung ablehnten. Hitler projizierte bereits in „Mein Kampf“ (und erst recht in späterer Zeit) Adjektive wie „glänzend“, „strahlend“, „klar“ und „kristallklar“457 auf die Staats- und Rechtsordnung. Er fabulierte vom „Glanz der Partei“458 und von der „einheitlichen klaren Form“ der Auffassung über das staatliche Wesen.459 Der Jude tritt bei Hitler als „Todfeind jedes Lichtes“460 in Erscheinung. Der Staatsfeind sei „lichtscheu“461, scheue das Tageslicht462. Nach der Revolution 1917 / 18 seien die bürgerlichen Parteien „unter Änderung ihrer Firmenschilder“ plötzlich wieder „aus der Verborgenheit finsterer Keller und luftiger Speicher“ hervorgekrochen,463 um sich dann wieder in die „muffige Luft der Sitzungssäle unserer Parlamente“ zu begeben.464 Besonders deutlich tritt der Faible für Sichtbarkeitsmetaphern in den Diskussionen um eine „nationalsozialistische“ Reform des Kapitalgesellschaftsrechts zu Tage. Die involvierten Autoren forderten vom Gesetzgeber, für „Klarheit im Aufbau“465 zu sorgen, „Unklarheiten“466 zu beseitigen, „den lebensfähigen Trieben Licht und Luft [zu] schaffen“467, „die Möglichkeiten wie Sicherungen für die Konzernbildung in einwandfreie, gesunde 457  Adolf Hitler, Mein Kampf, 851.–855. Aufl., München 1943, S. 230 (kristallklar); 188, 266, 408, 418, 424, 515, 571, 727 (klar); 169, 453 (strahlend); 9, 56 (glänzend). 458  Adolf Hitler, Mein Kampf, 851.–855. Aufl., München 1943, S. 412. 459  Adolf Hitler, Mein Kampf, 851.–855. Aufl., München 1943, S. 431. 460  Adolf Hitler, Mein Kampf, 851.–855. Aufl., München 1943, S. 346. 461  Adolf Hitler, Mein Kampf, 851.–855. Aufl., München 1943, S. 400. 462  Adolf Hitler, Mein Kampf, 851.–855. Aufl., München 1943, S. 99. 463  Adolf Hitler, Mein Kampf, 851.–855. Aufl., München 1943, S. 595. 464  Adolf Hitler, Mein Kampf, 851.–855. Aufl., München 1943, S. 413. 465  Hans Großmann-Doerth, Soll die Gesellschaft mit beschränkter Haftung beibehalten werden?, Hanseatische Rechts- und Gerichts-Zeitschrift 20 (1937), S. 281– 292, 292. 466  Z. B. Karl-August Crisolli, Das Recht der G.m.b.H., in: Hans Frank (Hrsg.), Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, 2. Aufl., München 1935, S. 1155–1174, 1171. 467  G. Freiherr von Falkenhausen, Gedanken zur Aktienrechtsreform, Bank-Archiv 33 (1933/34), S. 107–115, 112, 115 [Hervorhebung nicht in der Vorlage].

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und klare gesetzliche Formen zu fassen“468, „die rechtlich unklaren Konzernverflechtungen durch klare Fusion zu auch rechtlich einheitlichen Unternehmungen zu ersetzen“469, „das Bild der weitgehenden Verschachtelung auch nur in etwa wesentlich [zu] bereinigen“470, „klare Trennlinien zwischen den Befugnissen des Vorstands und des Aufsichtsrats“471 zu ziehen, ferner „Klarheit der Verantwortlichkeiten“472 zu gewährleisten usw. Ein Verfasser entwarf gar die komplette „Inneneinrichtung“, das „Interieur“, der nationalsozialistischen Kapitalgesellschaft und forderte einen „Neubau“, in dem „die alten Aktiengesellschaften – vielleicht auch nicht alle –, vom alten Gerümpel gereinigt (wie man das beim Umzug zu tun pflegt), eingezogen wären und wo sie helle lichte und weite Räume hätten finden können, in denen der Geist frei ist für die wirtschaftlichen Aufgaben und nicht beengt wird durch das Grübeln über Gesetzesumgehungen. Ich denke an Räume, die frei sind von den staubbefangenen Gardinen des Liberalismus (sie soll man den Motten zum Fraß lassen!).“473 Auch die Gründungscharta des Ordoliberalismus – Franz Böhms „Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung“ (1937) – erhebt die „Durchsichtigkeit“ zum Programm. Es ist nicht so sehr die „gute Ordnung“, die Böhm einfordert, die Parole der frühneuzeitlichen Staatsphilosophie, sondern die klare, helle, eben „durchsichtige Ordnung“ der Wirtschaft. „Es ist notwendig,“ schreibt Böhm, „dass die staatliche Wirtschaftspolitik das wirtschaftliche Geschehen geistig und machtmäßig in den Griff bekommt. Dies ist aber nur möglich, wenn die Wirtschaft durchsichtig und streng geordnet ist.“474 Und an anderer Stelle heißt es: „Die Aufgabe, den wirtschaftlichen Alltag einer modernen Nation 468  Curt Fischer, Konzernprobleme und Aktienrechtsreform, Der praktische Betriebswirt 1935, S. 892–900, 900 [Hervorhebung nicht in der Vorlage]. 469  Curt Fischer, Das Konzernproblem als rechts- und wirtschaftspolitische Aufgabe, Die Betriebswirtschaft 29 (1936), S. 49–53, 50 [Hervorhebung nicht in der Vorlage]. 470  Curt Fischer, Das Konzernproblem als rechts- und wirtschaftspolitische Aufgabe, Die Betriebswirtschaft 29 (1936), S. 49–53, 51 [Hervorhebung nicht in der Vorlage]. 471  Amtliche Begründung zum AktG 1937, S. 174 [Hervorhebung nicht in der Vorlage]. 472  Curt Fischer, Führerprinzip und Verantwortlichkeit im neuen deutschen Ak­ tienrecht, Der praktische Betriebswirt 1934, S. 29–31, 31 [Hervorhebung nicht in der Vorlage]. 473  Hans Keiser, Ein lahmer Aktienrechtsentwurf, Der praktische Betriebswirt 1934, S. 499–506, 500 [Hervorhebung nicht in der Vorlage]. 474  Franz Böhm, Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtschöpferische Leistung, Stuttgart/Berlin 1937, S. 10 [Hervorhebung nicht in der Vorlage].



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mit einer wirklich leistungsfähigen, produktiven, durchsichtigen Ordnung auszustatten“, könne nur gelöst werden, wenn man die wirtschaftspolitische und die politische Seite des Problem gleichzeitig in Angriff nehme.475 Die Tatsache, „dass das Funktionieren einer hochentwickelten Wirtschaftsverfassung von der Geschlossenheit und Durchsichtigkeit ihrer technischen Ordnung abhängt, zwingt den Staat dazu, alle Macht und Autorität, die ganze Kraft des politischen Willens im Dienste der Klarheitsidee einzusetzen: Der Sinn des Ganzen muss bis in die entlegensten Teilregelungen hinein mit kristallklarer Durchsichtigkeit zutage treten; denn jede Trübung schafft Schattenstellen und Schlupfwinkel.“476 An dem Ziel, „einen klar und durchsichtig aufgebauten Staat“477 zu errichten, hielt Böhm nach dem Krieg unbeirrt fest. Jetzt erst recht, bemerkte er 1950 in einem Nachruf auf Walter Eucken, müsse „durch die Tätigkeit einer institutionalisierten Monopolaufsicht die Berechenbarkeit und die Durchsichtigkeit des Ordnungsgefüges wieder hergestellt und dadurch eine wirksame Wirtschaftspolitik überhaupt erst wieder möglich gemacht werden, – jene Berechenbarkeit und Durchsichtigkeit, die in der Interventionswirtschaft der Vergangenheit zunehmend und schließlich nahezu völlig verwirrt und sabotiert worden ist.“478 Kein größeres Kompliment konnte Böhm seinem verstorbenem Mitstreiter Eucken machen, als dass er ihn zum furchtlosen Verfechter einer „kristallklaren Durchsichtigkeit“ erklärte. Eucken, befand Böhm, habe seiner Zeit „eine schlichte, vollständige, übersichtliche und kristallklare Musterkarte von Gestaltungs- und Ordnungsmöglichkeiten dargeboten“.479 Offenbar hatte für Böhm die Verwirklichung einer „durchsichtigen“ Bürgergesellschaft im Nachkriegsdeutschland Vorrang vor anderen Zielen. In einem Referat aus dem Jahr 1957 erwähnt er jedenfalls erst an zweiter Stelle die traditionellen Forderungen „aufgeklärter“ Politik: „Das, was wir von der Gesellschaft als Bürger fordern müssen, ist zunächst einmal, dass 475  Franz Böhm, Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtschöpferische Leistung, Stuttgart/Berlin 1937, S. 21 [Hervorhebung nicht in der Vorlage]. 476  Franz Böhm, Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtschöpferische Leistung, Stuttgart/Berlin 1937, S. 76 [Hervorhebung nicht in der Vorlage]. 477  Franz Böhm, Der Rechtsstaat und der soziale Wohlfahrtsstaat, in: ders., Reden und Schriften, hrsg. von Ernst-Joachim Mestmäcker, Karlsruhe 1960, S. 82–150, 142 [Hervorhebung nicht in der Vorlage]. 478  Franz Böhm, Die Idee des ORDO im Denken Walter Euckens, in: ORDO III (1950), S. XV–LXIV, XXXIV [Hervorhebung nicht in der Vorlage]. 479  Franz Böhm, Die Idee des ORDO im Denken Walter Euckens, in: ORDO III (1950), S. XV–LXIV, XLI [Hervorhebung nicht in der Vorlage].

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sie vernünftig und durchsichtig geordnet ist. Sodann, dass ihre Ordnung auf ein im Sinn der Nächstenliebe menschenfreundliches Ziel hin ausgerichtet ist. Die französische Revolution hat als Ziele Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit proklamiert.“480 Zweifellos ist das Streben nach „Klarheit“ keine Erfindung des 20. Jahrhunderts und schon gar keine deutsche Erfindung. Wer die Existenz ästhetischer Universalien bejaht,481 der kommt nicht umhin, „Sichtbarkeit“ als eine solche Universalie zu qualifizieren. Ethnologische (anthropologische) Studien belegen, dass „Klarheit“ und „Durchsichtigkeit“ überall auf der Welt als erstrebenswert, als „schön“ gelten. Freilich ist der semantische Gehalt nicht überall der gleiche. Einige Kulturen verstehen unter „Klarheit“ ganz allgemein das schnell und ohne große Mühen Wahrnehmbare,482 andere beziehen den Ausdruck vornehmlich auf eine hohe Kontrastschärfe: Wenn sich eine Verzierung, ein Ornament, eine Kontur deutlich vom Grund abhebt, dann preist man das Kunstwerk als „klar“ und „schön“.483 Wieder 480  Franz Böhm, Die verantwortliche Gesellschaft, in: ders., Reden und Schriften, hrsg. von Ernst-Joachim Mestmäcker, Karlsruhe 1960, S. 3–22, 19 [Hervorhebung nicht in der Vorlage]. 481  Zu dieser Diskussion vgl. Christoph Antweiler, Was ist den Menschen gemeinsam? Über Kultur und Kulturen, Darmstadt 2007, insbes. S. 179–181 (zu Universalien der Kunst); Donald Brown, Art. „Human Universals“, in: Robert A. Wilson/Frank C. Keil (Hrsg.), The MIT Encyclopedia of the Cognitive Sciences, Cambridge (MA) 1999, S. 382–384, ders., Human Universals, Philadelphia 1991. 482  „Research in African cultures, for example, has shown its importance in aesthetic evaluation among the Bamana, where the term jayan expresses clarity and discernibility; among the Mende, who use the expression ma ja-sahain; among the Yoruba, who employ the term ifarahon, and in a dozen or so other West and Central African peoples. The notion of clarity or visibility has also been reported to play a major role in aesthetic assessments among several Melanesian, Aboriginal Australian and Native American cultures. Among the Alaskan Inuit, for instance, Hans Himmelheber found clarity to be considered so important that in visual compositions objects are sometimes depicted in a place where normally they should not be, if by doing so the clarity or visibility of the composition is enhanced. The criterion clarity may be summarized as denoting a preference for easily recognizable visual compositions, made up for readily perceptible parts“ – Wilfried van Damme, Universality and Cultural Particularity in Visual Aesthetics, in: Neil Roughley (Hrsg.), Being Humans. Anthropological Universality and Particularity in Transdisciplinary Perspectives, Berlin/New York 2000, S. 258–283, 264 f. (Hervorhebung im Original); ders., Beauty in Context. Towards an Anthropological Approach to Aesthetics, Leiden u. a. 1996, S. 82. 483  Vgl. Peggy Golde/Helena C. Kraemer, Analysis of an Aesthetic Values Test: Detection of Inter-Subgroup Differences Within a Pottery Producing Community in Mexico, American Anthropologist 75 (1973), S. 1260–1275, 1270; Lawrence A. Hirschfeld, Cuna Aesthetics. A Quantitative Analysis, Ethnology 16 (1977), S. 144– 166, 152.



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andere bezeichnen Objekte als „klar“, die glatt und glänzend sind – Zeichen für eine junge, gesunde, reine Haut.484 Ungeachtet dessen, ungeachtet einer gewissen anthropologischen Konstanz ist nicht zu verkennen, dass seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts das Bildfeld „Transparenz“ in einem Maße expandiert, dass es dafür besondere, nicht für alle Zeiten und Länder gültige Gründe geben muss. Der Zeitpunkt dieser Expansion fällt zusammen mit einer dramatischen Veränderung in der materiellen Kultur. Gemeint ist die – weltgeschichtlich einmalige – massenhafte Verwendung von Glas als Bau- und Werkstoff. Sie wurde möglich durch eine Reihe technischer Innovationen seit der Jahrhundertwende. Ein neues Zeitalter der Architektur brach an, als der belgische Glasmacher Foucault 1904 das Senkrechtziehverfahren zur Herstellung von Flachglas zum Patent anmeldete. Mit Hilfe dieser Technik war die Industrie in der Lage, wesentlich dünnere Glasscheiben zu produzieren als bislang. Als noch vorteilhafter erwies sich das ein Jahr später – 1905 – in den USA patentierte Libbey-Owens-Verfahren, das ein horizontales Ausziehen des Glases erlaubte.485 Zudem verbesserte und automatisierte die Ford Motor Company, die einen großen Bedarf an Autofensterscheiben hatte, die übrigen Arbeitsgänge – insbesondere das Polieren und Schleifen des Glases. In den 20er und 30er Jahren gelang es schließlich, das für eine großflächige Verglasung so wichtige wärmedämmende Glas im großen Stil zu produzieren.486 Der nächste Quantensprung in der Glasproduktion datiert auf das Jahr 1952, als Alastair Pilkington das Glasband, anstatt es wie bisher auf harten Walzen zu führen, auf eine Zinnschmelze goss. Das nach dem „Pilkington float system“ hergestellte Glas war beidseitig völlig eben und bedurfte keiner Polierung mehr.487 Der technische Fortschritt in der Fabrikation war freilich nicht allein für die unvergleichliche Karriere des Glases verantwortlich. Nicht alles, was technisch machbar ist, entspricht auch dem Geschmack des Publikums. In der Tat gab es zu Anfang viel Kritik an der neuen Glasbauweise. Allen voran die spektakulären Kaufhausbauten mit ihren riesigen Warenauslagen hinter Glas erregten den Unmut vieler „anständiger Bürger“, die um die Schönheit des 484  Robert Farris Thompson, African Art in Motion. Icon and Act, Los Angeles u. a. 1974, S. 44; Wilfried van Damme, A Comparative Analysis Concerning Beauty and Ugliness in Sub-Saharan Africa, Gent 1987, S. 41 f. 485  Michael Wigginton, Glas in der Architektur, Stuttgart 1997, S. 55; Peter Rice/ Hugh Dutton, Transparente Architektur. Glasfassade mit Structural-Glazing, Basel/ Berlin/Boston 1995, S. 37. 486  Michael Wigginton, Glas in der Architektur, Stuttgart 1997, S. 55. 487  Peter Rice/Hugh Dutton, Transparente Architektur. Glasfassade mit StructuralGlazing, Basel/Berlin/Boston 1995, S. 39; Michael Wigginton, Glas in der Architektur, Stuttgart 1997, S. 63 f.

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Wilhelminischen Stadtbildes fürchteten. Das Berliner Kaufhaus Wertheim von Alfred Messel (1896 / 97) und Bernhardt Sehrings Kaufhaus Tietz (1899 / 1900) galten einem Teil des Establishments als widerwärtige Monstrosität. „Wenn’s die Polizei nicht verhinderte, würden wir bald noch im zwölften Stockwerk ‚Schaufenster‘ erblicken können“, echauffierte sich Hans Schliepmann in der „Berliner Architekturwelt“ von 1902, „und wirklich hat die Schönheit des Straßenbildes es lediglich noch der Polizei zu verdanken, dass nicht das ganze Geschäftshaus zu einem einzigen unförmlichen, kaleidoskopisch mit Firmen überschmierten Fenster mit stärkeren Eisensprossen geworden ist“.488 Das „Schaufensterfieber“489 verdanke man einer „ganz und gar auf die rohen Instinkte der Menge berechnete[n] Reklame. ‚Viel, viel! Verblüffen!‘ schreien diese riesigen Spiegelscheiben.“490 Das Fenster sei nicht mehr das Auge, sondern das Maul des Hauses. Die Architektenschaft habe alle Ursache der „unangemessenen Ausdehnung der Fensterflächen“ entgegen zu treten und die „Glasflächenseuche“ zu bekämpfen.491 Die Polizei, auf die Schliepmann so große Hoffnung setzte, verhinderte tatsächlich, dass das „Schaufensterfieber“ und die „Glasflächenseuche“ noch mehr Opfer forderte. Am 2. November 1907 erging ein Ministerialerlass, der die Errichtung von Gebäuden mit voll verglasten Fronten untersagten – offiziell aus Gründen des Feuerschutzes.492 Der Kritik an den großflächigen gläsernen Warenauslagen ist gewiss zu einem großen Teil auf Engstirnigkeit und ein rückwärtsgewandtes Architekturverständnis zurückzuführen – aber wohl nicht nur. Zu Anfang fehlte es den Einzelhändlern schlichtweg noch an Erfahrung im Umgang mit dem neuen Massenmedium „Schaufenster“, so dass viele Auslagen ungünstig beleuchtet und dilettantisch dekoriert waren. Besonderes Missvergnügen bereiteten Spiegelungs- und Blendungseffekte (Abb. 34a / b), die leicht bei einem fehlerhaften Arrangement der Lichtquellen entstehen konnten. 488  Hans Schliepmann, Das moderne Geschäftshaus, Berliner Architekturwelt 1902, S. 52–59, 53. 489  Hans Schliepmann, Das moderne Geschäftshaus, Berliner Architekturwelt 1902, S. 52–59, 53. 490  Hans Schliepmann, Das moderne Geschäftshaus, Berliner Architekturwelt 1902, S. 52–59, 58. 491  Hans Schliepmann, Das moderne Geschäftshaus, Berliner Architekturwelt 1902, S. 52–59, 59. 492  Dietrich Neumann, „Die Wolkenkratzer kommen!“ Deutsche Hochhäuser der zwanziger Jahre: Debatten, Projekte, Bauten, Braunschweig 1995, S. 86. Zu der ebenfalls in jenen Jahren eskalierenden Auseinandersetzung um den „Blendzwang“, um die Pflicht, Schaufenster am Sonntag (generell oder zu den Kirchenzeiten) zu verhängen: Dirk Reinhardt, Beten oder Bummeln? Der Kampf um die Schaufensterfreiheit, in: Peter Borscheid (Hrsg), Bilderwelt des Alltags. Werbung in der Konsumgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1995, S. 117–125.



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Doch man lernte schnell, derartige Fehler zu vermeiden. Schon vor dem Ersten Weltkrieg verstanden es begabte Schaufensterdekorateure, das defilierende Publikum zu verzaubern. Einer von ihnen war „Endell, der größte Magier untern den Schaufensterkünstlern Berlins“, wie ihn einer seiner Bewunderer 1913 nannte. „In Endells Händen aber gewann das Licht erst seinen mystischen Zauber. Mit funkelnden Flächen tieffarbiger Gläser verschloss er die Beleuchtungskästen gegen die Straße, aus denen das Licht von oben über die Ware herabrieselte … Was in diesem Zauberschreine dargeboten wird, ist allemal etwas Kostbares, und wären es nur Stiefel aus schwarzem Leder.“493 Entsprangen solche Meisterwerke zunächst individueller Begabung und Intuition, waren sie später das Produkt bis ins letzte Detail durchdachter Werbestrategien, denn die Professionalisierung des Reklamewesens nach 1918 betraf vornehmlich die „Schaufensterkunst“. Der Aufwand, den man in den 20er Jahren betrieb, um Produkte aller Art mit Hilfe des „gläsernen Zauberschreins“ an den Mann zu bringen, war enorm.494 Nichts wurde dem Zufall überlassen. Schaufenster-Lehr- und Handbücher495 und wissenschaftliche Publikationen zur Psychologie – „Psychotechnik“ – des Schaufensters496 schossen wie Pilze aus dem Boden. Auf Schaufensterwerbung spezialisierte Unternehmen boten ihre Dienste an (Abb. 35). Die „SchaufensterPsychologen“ rechneten dem Leser nicht nur vor, wie viele potentielle Kunden pro Tag ein Schaufenster in zentraler Lage passierten (bis zu 75.000 in größeren Städten),497 sie führten ihm auch vor Augen, was man alles falsch machen konnte. Erste Voraussetzung für den Erfolg, lesen wir, sei die richtige Auswahl des Schaufensterglases: „Die Aufgabe des Glases im Laden ist keineswegs mit seiner einfachen Blickdurchlässigkeit erfüllt, sondern sie liegt im klaren Durchblick und in der ästhetisch schönen Wirkung, die die Intimität des Raumes erhöht und die Wirkung der Auslagen steigert. Das 493  Karl Ernst Osthaus, Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1913, S. 62 f., nach: Julius Posener, Berlin auf dem Wege zu einer neuen Architektur. Das Zeitalter Wilhelms II., Stuttgart 1995, S. 470. 494  Eingehend Janet Ward, Weimar Surfaces. Urban Visual Culture in 1920s Germany, Berkeley, Los Angeles 2001, S. 191–240. 495  Herbert N. Casson/H. M. Geiger, Das Schaufenster-Lehrbuch, Berlin 1930; Ferdinand Putnoky, Die Technik der Schaufenster-Beleuchtung, 2 Bde., Zürich 1926. 496  W. Blumenfeld, Zur Psychotechnik der Werbewirkung des Schaufensters, Praktische Psychologie 2 (1920), S. 81–90; Robert Schulhof, Die Psychologie des Schaufensters, Schaufenster und Dekoration 1929, S. 7; Heinrich Müller, Psychologisches von der Schaufensterreklame, Seidels-Reklame 1925, S. 260; Karl Marbe, Psychologie der Werbung, Stuttgart 1927, insbes. S. 64–82. 497  Herbert N. Casson, Schaufenster-Reklame, in: Herbert N. Casson/H. M. Geiger, Das Schaufenster-Lehrbuch, Berlin 1930, S. 7–95, 38.



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einfache Fensterglas ist hierbei nicht zu verwenden, da ihm als Baustoff die nötige Druckfestigkeit fehlt und es infolge seiner unebenen, blasigen Beschaffenheit weder jene spiegelnde Leuchtkraft ausstrahlt noch infolge der optischen Verzerrung, die sein Durchblick hervorruft, zur Verglasung der Auslagen geeignet ist.“498 In einem zweiten Schritt gelte es, die Vorzüge durchsichtiger Räume konsequent zu nutzen und die Ware „ins rechte Licht zu rücken“. Viele Auslagen, klagt ein Ratgeber, seien unzureichend oder falsch beleuchtet. Dabei stehe doch außer Frage, „dass die Anzahl der stehenbleibenden Personen um so höher ist, je höher und je anziehender die Beleuchtung des Schaufensters gestaltet wird.“499 Eine beigefügte Statistik, die den prozentualen Anteil der „stehenbleibenden Personen“ im Verhältnis zu der in Lux gemessenen Beleuchtungsstärke aufschlüsselt, soll diese Aussage belegen.500 Eine ausreichende Beleuchtung sei „auch darum von großer Wichtigkeit, weil sonst die Schaufensterscheibe sehr leicht spiegeln könne. Es ist allgemein bekannt, dass eine durchsichtige Glasscheibe vor dunklem Hintergrund spiegelt, vor einem genügend hellen dagegen nicht. Empfängt das Innere eines Schaufensters am Tag zu wenig Tageslicht, oder ist es in den Abendstunden ungenügend beleuchtet, dann spiegelt sich die gegenüberliegende hellere Häuserwand in der Schaufensterscheibe. Das Erkennen der ausgestellten Gegenstände wird dadurch stark beeinträchtigt, wenn nicht ganz unmöglich gemacht“ (Abb. 36).501 Es folgen unzählige Graphiken und erläuternde Hinweise zur richtigen Lichtführung, ausgewiesen für nahezu alle denkbaren Räumlichkeiten und Warenarrangements. Überdies sparten die „Schaufenster-Psychotechniker“ nicht mit Ratschlägen zur Farbgebung, Größe der Schrift, Raumaufteilung usw.502 Das leitende Prinzip, der gemeinsame Nenner, aller dieser Maßnahmen ist die Sichtbarkeit der Objekte. Alles musste klar, hell, mit einem Blick erfassbar sein, um die Aufmerksamkeit des eiligen Passanten zu gewinnen: „Vor allem gilt es, Sichtigkeit zu erzielen. – ‚Sichtigkeit?‘ Wir müssen jetzt eini498  H. M. Geiger, Die Hilfsmittel für das moderne Schaufenster, in: Herbert N. Casson/H. M. Geiger, Das Schaufenster-Lehrbuch, Berlin 1930, S. 97–198, 184 (Hervorhebung im Original). 499  Ferdinand Putnoky, Die Technik der Schaufenster-Beleuchtung, Bd. I, Zürich 1926, S. 7; W. Blumenfeld, Zur Psychotechnik der Werbewirkung des Schaufensters, Praktische Psychologie 2 (1920), S. 81–90, 86 f. Vgl. auch G. Schmidt, Gute Schaufenster- und Firmenschildbeleuchtung, Die Reklame 22 (1929), S. 57–59. 500  Ferdinand Putnoky, Die Technik der Schaufenster-Beleuchtung, Bd. I, Zürich 1926, S. 6. 501  Ferdinand Putnoky, Die Technik der Schaufenster-Beleuchtung, Bd. I, Zürich 1926, S. 10. 502  Karl Marbe, Psychologie der Werbung, Stuttgart 1927, S. 64–82.



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Abb. 36

ge Minuten wissenschaftlich werden. Sichtigkeit bedeutet gutes Sehen, leichtes Sehen. Es bedeutet, dass wir eine Sache plastisch klar und nicht verdüstert sehen. Es ist ein Wort, das in der Armee und Marine sehr viel, aber im Geschäft sehr wenig angewendet wird. Wir beginnen jetzt erst einzusehen, was es bedeutet.“503 Die Ergebnisse der mit deutscher Gründlichkeit ins Werk gesetzten Schaufenster-Offensive waren überwältigend. Keine Stadt der Welt, nicht einmal das aufstrebende New York, konnte es mit dem verschwenderisch illuminierten „gläsernen“ Berlin aufnehmen.504 Fremde, die zum ersten Mal die Stadt an der Spree besuchten, trauten ihren Augen nicht und bestaunten 503  Herbert N. Casson, Schaufenster-Reklame, in: Herbert N. Casson/H. M. Geiger, Das Schaufenster-Lehrbuch, Berlin 1930, S. 7–95, 67. Vgl. auch W. Blumenfeld, Zur Psychotechnik der Werbewirkung des Schaufensters, Praktische Psychologie 2 (1920), S. 81–90, 87. 504  „Even though Americans used 120 million square feet of plate glass in 1925 for their windows, it was the show windows of Berlin that were most renowned worldwide … Show windows in Paris, Amsterdam, and Prague came closest on the modernist inventiveness scale to those of Germany, while London and New York simply trailed behind“ – Janet Ward, Weimar Surfaces. Urban Visual Culture in 1920s Germany, Berkeley, Los Angeles 2001, S. 208. Vgl. auch G. E. Thiele, Internationale Schaufensterkultur, Die Reklame 22 (1929), S. 274–278, 274: „Deutschland gilt zur Zeit als führende Pflegstätte neuzeitlicher Schaufensterdekorationskunst.“

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fassungslos die „gleißenden Schaufensterlichter“, wie geschaffen für „Lichtalkoholiker“.505 „Der ganze Scharfsinn des Künstlers“, schrieb Sergej Tretjakow 1931, „all der Erfindungsgeist des Technikers wird vom Unternehmer für die Schaufenster seines Warenhauses mobilisiert. Wer sehen möchte, wo die Kunst der Bourgeoisie noch lebt, kämpft und erfindet, der darf nicht ins Theater gehen oder in eine Kunstausstellung. Der muss sich die Warenhausschaufenster ansehen.“506 Auch Joseph Roth sinnierte über die „Philosophie des Schaufensters“, über die „unheimliche Macht eines zerbrechlichen Fensterglases“ und schloss: „Zu den Materie, die diese Welt beherrschen, gehört das Glas, das die Menschen scheidet als solche, die vor und andere, die hinter dem Fenster leben.“507 Den Status als Welt beherrschende Materie des 20. Jahrhunderts verdankte das Glas nicht nur der Warenhaus- sondern auch der Industriearchitektur.508 Schon 1913 bemerkte Adolf Behne der Industriebau sei „heute fast eine populäre Angelegenheit“, dem das Publikum mehr Aufmerksamkeit schenke als dem Kirchenbau oder der Theaterarchitektur.509 Die von Peter Behrens gestaltete Turbinenhalle der AEG (1909), Walter Gropius’ Fagus-Werk (1911) und die Van-Nelle-Fabrik in Rotterdam (1927–30) wurden zu Inkunabeln der Glas-Moderne. Technisch war man spätestens Ende der 20er Jahre in der Lage, reine Tageslichtfabriken mit vorgehängter Glasfassade zu errichten. Den Architekten gelang es erstaunlich schnell, deutsche Unternehmer davon zu überzeugen, dass sich eine solche Bauweise auch betriebswirtschaftlich rechne. Schützenhilfe kam von der anderen Seite des Atlantiks. Kein geringerer als Henry Ford propagierte, dass sich mit Hilfe von Tageslicht die Produktivität erheblich steigern lasse. In seiner viel gelesenen Autobiographie „My Life and Work“ (1922, dt. 1923) heißt es an zentraler Stelle: „Die absolute Voraussetzung für höchste Leistungsfähigkeit und ein humanes Produktionsverfahren sind saubere, helle und gut gelüftete Fabrikräume.“510 505  Sergej Tretjakow, Schaufensterreklame, in: Fritz Mierau (Hrsg.), Russen in Berlin. Literatur, Malerei, Theater, Film 1918–1933, 2. Aufl., Leipzig 1990, S. 540– 544, 540, 543. 506  Sergej Tretjakow, Schaufensterreklame, in: Fritz Mierau (Hrsg.), Russen in Berlin. Literatur, Malerei, Theater, Film 1918–1933, 2. Aufl., Leipzig 1990, S. 540– 544, 542. 507  Joseph Roth, Philosophie des Schaufensters (Vorwärts vom 3. März 1923), in: ders., Der neue Tag. Unbekannte politische Arbeiten von 1919 bis 1927, Köln/Berlin 1970, S. 127 f., 128 (Hervorhebung im Original). 508  Dazu eingehend Rudolf Fischer, Licht und Transparenz. Der Fabrikbau und das Neue Bauen in den Architekturzeitschriften der Moderne, Berlin 2012. 509  Adolf Behne, Preußische Jahrbücher 1913, nach: Rudolf Fischer, Licht und Transparenz. Der Fabrikbau und das Neue Bauen in den Architekturzeitschriften der Moderne, Berlin 2012, S. 11. 510  Henry Ford, Mein Leben und Werk, Leipzig 1923, S. 131.



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Da auch die Nationalsozialisten an „höchster Leistungsfähigkeit“ interessiert waren – vornehmlich, um die deutsche Wirtschaft auf den Krieg vorzubereiten – versteht es sich fast von selbst, dass es nach 1933 in der Industriearchitektur zu keinem Bruch mit dem Baustil der Weimarer Republik kam.511 Hitler, der insoweit konsequent funktionalistisch dachte, lehnte Glasfassaden für Repräsentationsbauten des Staates und der Partei ab, nicht aber für Fabriken. „Als wir die große Stahlhalle verließen,“ notierte Albert Speer nach einem Besuch der Hermann-Göring-Werke bei Linz, „äußerte Hitler wieder einmal [sic] Verständnis für die moderne Architektur aus Stahl und Glas: ‚Sehen Sie sich diese Front von über dreihundert Metern an. Wie schön sind die Proportionen! Hier liegen eben andere Voraussetzungen vor als bei einem Parteiforum. Dort ist unser dorischer Stil Ausdruck der neuen Ordnung, hier dagegen ist die technische Lösung das Angemessene.‘ “512 Das von Speer geleitete Reichsamt „Schönheit der Arbeit“ unterstützte mit Nachdruck jede bauliche Innovation, die geeignet schien, „die Größe des Himmelsausschnittes, der [vom Arbeitsplatz aus] durch das Fenster zu sehen ist,“ zu erweitern, denn „eine Bauweise, die alle Arbeitsplätze ausreichend mit Tageslicht versorgt, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Verwirklichung der ‚Schönheit der Arbeit‘.“513 Die im „Taschenbuch Schönheit der Arbeit“ (1938) arrangierten Bilder demonstrieren, wie man sich im Reichsamt die Beschaffenheit „heller“, „übersichtlicher“, „klar geordneter“ Büroräume und Werkstätten vorstellte (Abb. 37). Auf einem Werbebild ist die „Lichtverteilung in einem einseitig befensterten Fabrikraum“ dargestellt, um Unternehmer von den Vorzügen einer doppelseitigen Verglasung der Arbeitsstätten zu überzeugen (Abb. 38). 511  Vgl. Rudolf Fischer, Licht und Transparenz. Der Fabrikbau und das Neue Bauen in den Architekturzeitschriften der Moderne, Berlin 2012, S. 298–300. Zum Phänomen der „reaktionären“ („totalitären“, „antiliberalen“, „pathologischen“) Moderne: Riccardo Bavaj, Die Ambivalenz der Moderne im Nationalsozialismus. Eine Bilanz der Forschung, München 2003; Jeffrey Herf, Reactionary Modernism. Technology, Culture, and Politics in Weimar and the Third Reich, Cambridge 1984; Hans Mommsen, Nationalsozialismus als vorgetäuschte Modernisierung, in: ders., Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft, Reinbeck bei Hamburg 1991, S. 405–427; Rainer Zitelmann, Die totalitäre Seite der Moderne, in: Michael Prinz /  Rainer Zitelmann (Hrsg.). Nationalsozialismus und Modernisierung, Darmstadt 1991, S. 1–20; Erhard Schütz, Zur Modernität des „Dritten Reiches“, Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 20 (1995), S. 116–136; Peter Gay, Die Moderne. Eine Geschichte des Aufbruchs, Frankfurt am Main 2008, S. 431–478; John Heskett, Modernism and Archaism in Design in the Third Reich, in: Brandon Taylor (Hrsg.), The Nazification of Art. Art, Design, Music, Architecture and Film in the Third Reich, Winchester 1990, S. 110–127. 512  Albert Speer, Spandauer Tagebücher, Frankfurt am Main 1975, S. 261 f. 513  Reichsamt Schönheit der Arbeit (Hrsg.), Das Taschenbuch Schönheit der Arbeit, zusammengestellt von Anatol von Hübbenet, Berlin 1938, S. 82.

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Die Verknüpfung des Transparenz- mit dem Hygienediskurs, die bereits der Visionär der Glasarchitektur und Dichter des Phantastischen, Paul Scheerbart, hergestellt hatte („Dass das Ungeziefer in einem Glashause, wenn es richtig gebaut ist, unbekannt sein muss, braucht wohl nicht weiter erörtert zu werden“514), war in der Zeit des Nationalsozialismus besonders populär. Eine „Glas und Fenster“ gewidmete Festschrift von 1939 erinnert den Leser daran, „dass die meisten wirklichen Feinde von Mensch und Tier und Pflanze im Dunkel lauern und dass der Kampf gegen sie vor allem ein Kampf gegen die Dunkelheit und ein Bekenntnis zum Licht sein muss“.515 Ganz oben auf der Liste der lichtscheuen Schädlinge stehe der Tuberkulosebazillus, der im Reich für ein Viertel aller Todesopfer verantwortlich sei, obwohl das Gegenmittel auf der Hand liege: „Robert Koch, der deutsche Entdecker des Tuberkelbazillus, berichtet, dass ‚am Fenster‘ aufgestellte Kulturen nach 5–7 Tagen tot waren.“516 Auch der Schimmelpilz und die Rachitis – von anderen „Lichtmangelkrankheit“ genannt – fordere Jahr für Jahr viele Opfer.517 Ganz allgemein lasse sich sagen, dass das Licht „die Lebenskraft und Widerstandsfähigkeit des Körpers gegen Krankheiten jeder Art ganz außerordentlich“ beeinflusse und „die Arbeitsfreude und damit die Arbeitsleistung, die Stimmung und Entschlussfähigkeit“ steigere.518 Aufmerksamen Zeitgenossen entging die grundstürzend neue Raumerfahrung nicht, die mit der massenhaften Verwendung von Glas in der Architektur einherging. Es sei eine Wendung vollzogen, schreibt Arthur Korn, die gegenüber der Vergangenheit „etwas absolut Neues“ darstellt: „Die Vernichtung der Außenwand, die bisher Jahrtausende lang von irgendeinem festen Material übernommen werden musste.“519 Ähnlich formulierte es Walter Gropius: „das raumgefühl verändert sich“ – dank der Glasarchitektur. „glas ist der reinste baustoff aus irdischer materie, zwar raumabschließend, witterung abhaltend, aber dennoch in seiner wirkung raumöffnend, wesenlos und leicht. obwohl seit jahrhunderten bekannt, gibt ihm erst das technische zeitalter mit hilfe moderner fabrikatorischer prozesse den gewaltigen gegen514  Paul

Scheerbart, Glasarchitektur, München 1971 [1914], S. 69. Völckers, Glas und Fenster. Ihr Wesen, ihre Geschichte und ihre Bedeutung in der Gegenwart, Berlin 1939, S. 72. 516  Otto Völckers, Glas und Fenster. Ihr Wesen, ihre Geschichte und ihre Bedeutung in der Gegenwart, Berlin 1939, S. 74. 517  Otto Völckers, Glas und Fenster. Ihr Wesen, ihre Geschichte und ihre Bedeutung in der Gegenwart, Berlin 1939, S. 74. 518  Otto Völckers, Glas und Fenster. Ihr Wesen, ihre Geschichte und ihre Bedeutung in der Gegenwart, Berlin 1939, S. 75. 519  Arthur Korn, Glas im Bau und als Gebrauchsgegenstand, Berlin 1929, S. 5. 515  Otto

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Zweiter Teil: Regulative Sinnbilder

wart- und zukunftswert.“520 Max Landsberg beschwor gar die „Kulturmis­ sion des Glases“ und prophezeite in Anlehnung an Scheerbart („Das neue Glas-Milieu wird den Menschen vollkommen umwandeln“521) einen tief greifenden zivilisatorischen Wandel.522 In zweierlei Hinsicht erscheint es tatsächlich gerechtfertigt, von einer „Kulturmission des Glases“ zu sprechen, die über eine Veränderung des Raumgefühls (was an sich schon bedeutsam genug wäre) hinausreicht: Zum einen bedingte die schiere Präsenz des einst so raren Glases mit seiner charakteristischen Eigenschaft, der Durchsichtigkeit (Transparenz), die erst in aller Augen und dann in aller Munde war, die Etablierung dieses Bildfeldes im (rechts-)politischen Diskurs. Zum anderen diente Glas – neben anderen Materialien, Formen und Stilelementen der Neuen Sachlichkeit – als Einheit stiftendes Identifikationsobjekt, als Surrogat für einen übergreifenden weltanschaulichen Konsens, den die maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte nach der Zäsur von 1914 nicht mehr herzustellen vermochten – was die Bereitschaft noch einmal um ein Vielfaches erhöhte, aus dem Material staatstheoretische Prinzipien „herauszulesen“. Die kompensatorische Funktion von Design und Architektur war nach dem Zweiten noch wichtiger als nach dem Ersten Weltkrieg. „The postwar period“, schreibt Paul Betts, „gave rise to a unique West German ‚design culture‘ comprising a vast network of diverse interests, including the state and industry, architects and designers, consumer groups and museums, and educators and women’s organizations. What united them all was the identification of design as a vital means of domestic recovery, cultural reform, and even moral regeneration.“523 Anders als in der Weimarer Republik ließ das demokratische Establishment es in der Bundesrepublik nicht zu, dass die Verfassungsfeinde aus dem hohen Ansehen der materiellen Welt – der Alltagsgegenstände und Gebäude – Kapital schlugen. Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass es nach 1945 keine Neigung zur Repräsentation durch Architektur gab. Nicht Repräsentation als solche, sondern der – antiken Vorbildern entlehnte – Repräsentationsstil, wie er seit Jahrhunderten die Silhouette europäischer Hauptstädte prägte, war durch Hitlers 520  Walter Gropius, glasbau [1926], in: ders., Ausgewählte Schriften, Bd. 3, Berlin 1988, S. 103–106, 103 (Kleinschreibung im Original). 521  Paul Scheerbart, Glasarchitektur, München 1971 [1914], S. 137. 522  „Das einfache, fast unsichtbare Bauglas ist von allen Glasarten trotz der Bescheidenheit seiner Erscheinung nicht nur Ergebnis, nein vielmehr noch Träger und Pionier der Geistes- und Lebenskultur geworden“ – Max Landsberg, Die Kulturmission des Glases. Ein vergessenes Stück Geschichte, Deutsche Bauzeitung 1929, S. 89–94, 89. 523  Paul Betts, The Authority of Everyday Objects. A Cultural History of West German Industrial Design, Berkeley u. a. 2004, S. 2.



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größenwahnsinnige Bauvisionen diskreditiert. Adolf Arndt kritisierte in seinem berühmten, noch heute viel zitierten Vortrag „Demokratie als Bauherr“ (1960) mit deutlichen Worten die Unfähigkeit des Weimarer Staates, repräsentative Bauten zu erschaffen, die eine Identifikation mit den Idealen der Demokratie ermöglichten. Vorbildliche Sozialbauten und Fabriken seien damals entstanden, nicht aber Parlaments- und Regierungsgebäude, die von einem selbstbewussten Gemeinwesen künden.524 Das dürfe sich auf keinen Fall wiederholen. „Eine Demokratie“, heißt es in diesem Schlüsseltext bundesrepublikanischer Baupolitik, „ist nur soviel wert, wie sich ihre Menschen wert sind, dass ihnen ihr öffentliches Bauen wert ist.“525 Arndts Mahnung fiel auf fruchtbaren Boden. Wahrscheinlich in keinem anderen Land der westlichen Hemisphäre hat sich die politische Klasse in den letzten Jahrzehnten so intensiv mit Architektur beschäftigt wie in der Bundesrepublik Deutschland. Einmalig war in jedem Fall die durch die unvorhergesehene Wiedervereinigung bedingte nahe zeitliche Abfolge von zwei parlamentarischen Bauvorhaben. Der von Günter Behnisch entworfene, nach kontroversen Debatten beschlossene Neubau des Plenarsaals in Bonn war noch nicht bezogen, als der Bundestag 1991 die Entscheidung traf, seinen Sitz nach Berlin zu verlegen. Zum zweiten Mal innerhalb von nicht einmal zehn Jahren diskutierten Parlamentarier und Öffentlichkeit über die „richtige“ Parlamentsarchitektur. Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen berichteten fortwährend über Ausschreibungen, Entwürfe und Gegen-Entwürfe. Sich in dieser Frage keine Meinung zu bilden, war so gut wie ausgeschlossen, namentlich für die von den Medien bedrängten Repräsentanten des Staates. Auch die medial professionell inszenierte Verhüllung des Reichstags durch das Künstlerpaar Christo im Sommer 1995 hatte einen Anteil daran, dass das Interesse an politischer Architektur nicht erlahmte. Glas war im Nachkriegsdeutschland fast von Beginn an das Material der Wahl.526 „Bewogen durch den ungeheuren Nachholbedarf aus der Kriegs524  Adolf Arndt, Demokratie als Bauherr. Vortrag in der Akademie der Künste Berlin 1960, in: Ingeborg Flagge/Wolfgang Jean Stock (Hrsg.), Architektur und Demokratie. Bauen für die Politik von der amerikanischen Revolution bis zur Gegenwart, Stuttgart 1992, S. 52–66, 53. 525  Adolf Arndt, Demokratie als Bauherr. Vortrag in der Akademie der Künste Berlin 1960, in: Ingeborg Flagge/Wolfgang Jean Stock (Hrsg.), Architektur und Demokratie. Bauen für die Politik von der amerikanischen Revolution bis zur Gegenwart, Stuttgart 1992, S. 52–66, 58. 526  Zu „Transparenz“ als Topos der bundesdeutschen Repräsentationsarchitektur eingehend Heinrich Wefing, Parlamentsarchitektur. Zur Selbstdarstellung der Demokratie in ihren Bauwerken. Eine Untersuchung am Beispiel des Bonner Bundeshauses, Berlin 1995, insbes. S. 114–135; Deborah Ascher Barnstone, The Transparent State. Architecture and politics in postwar Germany, London/New York 2005; Sa­ bine Körner, Transparenz in Architektur und Demokratie, Berlin 2003; zum Kontext

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zeit“, heißt es in der „Neuen Bauwelt“ von 1952, „und begünstigt durch die neue Richtung in der Architektur, durch große Fenster viel Licht in die Räume zu bringen, ist die Glaserzeugung gewaltig gestiegen. Sie hat sich, auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet, seit 1936 verdoppelt.“527 Mit einer zeitgemäßen, von einem Großteil der Bevölkerung offenbar goutierten Glasbauweise wollte Hans Schwippert, den man mit der Gestaltung des Bonner Bundeshauses beauftragt hatte, auch die Parlamentarier in ihrem provisorischen Domizil am Rhein beglücken. Für Schwippert, bislang vor allem mit Aufträgen für Privathäuser und Schulen in Erscheinung getreten, war die Verwendung von Glas eine Selbstverständlichkeit, so dass er anfangs nur am Rande auf die politische Dimension der Glasarchitektur einging: „Ich habe gewünscht, dass das deutsche Land der parlamentarischen Arbeit zuschaut. So bekam der Saal zwei Fensterwände, jede 20 m lang, vom Boden bis zur Decke ausgedehnt … Ich wollte ein Haus der Offenheit, eine Architektur der Begegnung und des Gesprächs.“528 Deutlicher wurde eine Mitarbeiterin des Architekten: „Der Saal ist durch seine zwei ganzseitigen Glaswände … so mit der rheinischen Landschaft verbunden, dass alle verstaubten und veralteten parlamentarischen Gepflogenheiten gebannt sein müssten. Nichts von Geheimniskrämerei, von falschem Pathos und geborgtem Prunk.“529 Glas als „demokratischer Baustoff“ war damals noch keine allzu verbreitete, doch auch nicht völlig unbekannte Formel. So hatte Hannes Meyer die großflächige Verglasung in seinem Wettbewerbsentwurf für den Völkerbundpalast in Genf 1929 mit den Worten gerechtfertigt: „Keine mit Säulen bewehrten Räume für müde Monarchen, sondern hygienische Arbeitsräume für die geschäftigen Vertreter ihrer Völker. Keine rückwärtigen Korridore für Hintertreppen-Diplomatie, sondern offene verglaste Räume für die öffentliche Verhandlung aufrichtiger Männer.“530 Durchsetzen konnte sich ferner Michael Z. Wise, Capital Dilemma. Germany’s search for a new architecture of democracy, New York 1998; Nino Galetti, Der Bundestag als Bauherr in Berlin. Ideen, Konzepte, Entscheidungen zur politischen Architektur (1991–1998), Düsseldorf 2008; Stephanie Grüger, Der Reichstag als Symbol. Untersuchung seiner Bedeutungen von 1990 bis 1999, Stuttgart/Berlin 2003; Thomas Maria SchaffrathChanson, Die Entwicklung bundesdeutscher Repräsentationsarchitektur – Untersuchungen zur politischen Ikonographie nationaler Baukunst im demokratischen System, Diss. Köln 1998. 527  Vermehrte Herstellung von Glas, Neue Bauwelt 1952, S. 188 – nach: Sabine Körner, Transparenz in Architektur und Demokratie, Berlin 2003, S. 28. 528  Hans Schwippert, Das Bonner Bundeshaus, in: ders., Denken, Lehren, Bauen, Düsseldorf/Wien 1982, S. 179–184, 179, 184. 529  Wera Meyer-Waldeck, Das Bundesparlament in Bonn, Architektur und Wohnform 1950, S. 102. 530  Nach: Michael Wigginton, Glas in der Architektur, Stuttgart 1997, S. 58.



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Meyer nicht. Bis heute stellt die Verknüpfung von gläserner Durchsichtigkeit und parlamentarischer Öffentlichkeit eine deutsche Besonderheit dar.531 Dass Schwippert und sein Umfeld sich argumentativ etwas einfallen lassen mussten, lag indes vor allem an dem hartnäckigen Widerstand des damaligen Bundeskanzlers. Konrad Adenauer, Jahrgang 1876, wusste mit Schwipperts Materialinnovation, seinem „Glashaus“, nichts anzufangen – Ausblicke auf die „schöne rheinische Landschaft“ hin oder her. „Es gibt nichts Ungemütlicheres, fast möchte ich sagen, Unerträglicheres“, polterte Adenauer 1949, „als einen Aufenthalt in einem solchen Glaskasten. Die Lichtverhältnisse darin sind derartig unangenehm und störend, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass ein normaler Mensch in einem solchen Raum vernünftig denken und sprechen kann. Ich glaube, Ihnen sagen zu dürfen, dass ein solcher Bau von der weitaus größten Mehrzahl der zukünftigen Abgeordneten des Bundestages und den Vertretern des Bundesrates rundweg abgelehnt werden wird.“532 Der Architekt bedankte sich für die täglichen Schikanen des Alten mit einer giftigen Eloge auf „Glück und Glas“, in der er dem namentlich nicht genannten Widersacher zurief: „Was aber im besonderen jene Helligkeit anbetrifft, die uns große gläserne Scheibe und durchsichtige Wand nun schenken, und die ihr fürchtet, und vor der ihr warnt: nur eine Sorte von Lebewesen verträgt sie ganz und gar nicht: das Ungeziefer.“533 Adenauers Prophezeiung erfüllte sich nicht. Die „zukünftigen Abgeordneten“ standen ganz überwiegend an der Seite Schwipperts und seiner Nachfolger. Notfalls half die Öffentlichkeit ein wenig nach. Als beispielsweise Ende der 60er Jahre Planungen zum Neubau einiger Bundesministerien publik wurden, formierte sich sofort Widerstand gegen eine vermeintlich bürgerfeindliche, abweisende Bürokraten-Architektur. Unter der Überschrift „Bürger und Architekten fordern Selbstdarstellung und Regierungstransparenz“ berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ im November 1969: „Das BDA-Präsidium verlangt neben der ‚Selbstdarstellung unserer Regierung‘ etwas, wovon diese selbst noch unformulierte Vorstellungen besitzt, nämlich die Überwindung des Ressortdenkens und die Umstrukturierung der hierarchischen Ministerialbürokratie, kurz ein neues Regierungskonzept, das sich in Architektur ausdrücken soll. Noch weiter geht die ‚Bürgerinitiative City‘ mit der Forderung eines zeitgemäßen Regierungssitzes. Sie will, dass Regierung und Be531  Heinrich Wefing, Parlamentsarchitektur. Zur Selbstdarstellung der Demokratie in ihren Bauwerken. Eine Untersuchung am Beispiel des Bonner Bundeshauses, Berlin 1995, S. 116; Deborah Ascher Barnstone, The Transparent State. Architecture and politics in postwar Germany, London/New York 2005, S. 26. 532  Adenauer an Schwippert am 30.  Juni 1949, in: Rudolf Morsey/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Adenauer. Rhöndorfer Ausgabe. Briefe 1949–1951, Paderborn 1985, Nr. 31, S. 46 f. 533  Hans Schwippert, Glück und Glas, Architektur und Form 61 (1952/53), S. 3.

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völkerung sich zu gegenseitiger Information und für ausländische Besucher sozusagen im Schaufenster begegnen. Die Berliner Philharmonie und das Volkswagenwerk als Beispiele gebauter Transparenz werden zitiert.“534 Den symbolischen Gehalt der Glasbauweise beschworen in den Jahren 1986 bis 1999 Legionen von Architekten, Journalisten und Politiker aller Richtungen. Ob in Festvorträgen, Parlamentsreden, Werbebroschüren, Zeitungsartikeln oder Ausschreibungstexten, überall war die Rede davon, dass ein demokratischer, der Öffentlichkeit verpflichteter Staat einer transparenten Staatsarchitektur bedürfe.535 Was die Bundestagspräsidentin bei der Einweihung des von Behnisch gestalteten Plenarsaals im Oktober 1992 zu Protokoll gab, entsprach zweifellos der ganz herrschenden Meinung im Plenum: „Dieses Parlamentsgebäude beansprucht mehr als die architektonische Umsetzung parlamentarischer Funktionen. Es will selbst ein bestimmtes Demokratieverständnis zum Ausdruck bringen: Offenheit und Transparenz durch Glas. Nähe der Parlamentarier zu ihren Bürgern, ihrer Stadt und ihrer Landschaft durch Einbindung des Bauwerks in die Landschaft … Die architektonisch verwirklichte Transparenz ist zugleich Ausdruck von Offenheit und Aufforderung zur Offenheit des Entscheidens und Handelns im Parlament.“536 Zu diesem Zeitpunkt war der Wettbewerb für die Neugestaltung des Reichstags bereits ausgeschrieben. Die Aufgabenstellung dokumentiert den Wunsch, die Transparenz-Architektur der Bonner in die Berliner Republik zu überführen: „Dem Reichstagsgebäude kommt eine zentrale Bedeutung innerhalb des Regierungs- und Parlamentsviertels zu. Im Entwurf soll Transparenz zum Ausdruck kommen, die Bürgernähe und Freude an Kommunikation Diskussion und Offenheit spüren lässt.“537 Kritik am Glasfetisch der Parlamentsarchitektur gab es durchaus,538 aber sie bewegte sich im Rahmen dessen, was Carl Schmitt am modernen Parlamentarismus539 und Ernst Bloch an der Neuen Sachlichkeit540 beanstandet hatten: Zu befürchten 534  Frankfurter

Allgemeine Zeitung vom 6.  November 1969, S. 9. u. a. bei Sabine Körner, Transparenz in Architektur und Demokratie, Berlin 2003, S. 62–140. 536  BT-Sonderdruck 30.10.1992, S. 9843A-9851C, 9844. Vgl. auch Rita Süssmuth, Vorwort, in: Ingeborg Flagge/Wolfgang Jean Stock (Hrsg.), Architektur und Demokratie. Bauen für die Politik von der amerikanischen Revolution bis zur Gegenwart, Stuttgart 1992, S. 6 f., 7. 537  Nach Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Umbau des Reichstagsgebäudes zum Deutschen Bundestag, Bonn 1993, Aufgabenstellung S. 6. 538  Vgl. Heinrich Wefing, Parlamentsarchitektur. Zur Selbstdarstellung der Demokratie in ihren Bauwerken. Eine Untersuchung am Beispiel des Bonner Bundeshauses, Berlin 1995, S. 120–135. 539  Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 2. Aufl., München/Leipzig 1926. 535  Nachweise



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sei, dass die bauliche Transparenz falsche Erwartungen wecke und nur dazu diene, politische Intransparenz zu verschleiern. Selten oder gar nicht wird hingegen die Frage erörtert, inwieweit die gesuchte Nähe zwischen Architektur und Politik, von der man hoffte, sie werde die Architektur verändern, sie „demokratisieren“, dazu beigetragen haben könnte, die einzelnen Elemente des grundgesetzlichen Wertegefüges neu zu gewichten. Selbstverständlich erwecken ausnahmslos alle Stellungnahmen den Eindruck, als ob die Glasbauweise durch die Verfassungsordnung vorgegeben sei, man also nur deshalb Glas verwende, weil der freie Zugang zu Informationen für den Bestand einer Demokratie existentiell sei. Doch sind Zweifel angebracht, ob die Entscheidungsträger in der Bundesrepublik tatsächlich so frei und ungebunden in der Wahl der baulichen Materialien und Formen waren, wie sie suggerieren. Angesichts der profilierten Staats- und Parteiarchitektur des Dritten Reiches erscheint es ganz und gar ausgeschlossen, dass in Deutschland nach dem Krieg Parlaments- und Regierungsgebäude im steinernen „Dorischen Stil“, wie Hitler ihn nannte, hätten gestaltet werden können, schon gar nicht nach 1989, als es galt, Sorgen vor einer neuen Hegemonialmacht im Zentrum Europas zu zerstreuen. Näher liegt die Annahme, dass sich umgekehrt die Suche nach einer genuin bundesdeutschen Staatsräson mit Blick auf das architektonisch Darstellbare vollzog. Zwar waren, wie gesehen, auch moderne Baustoffe wie Glas und Stahl ideologisch keineswegs unbelastet und seit den späten 20er Jahren sogar wichtige Vermittler eines proto-faschistischen Habitus.541 Doch blieben solche Zusammenhänge nach 1945 weitgehend unbeachtet, weil Hitlers und Speers repräsentativer Monumentalstil, der dem Stein, nicht dem Glas huldigte, alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Hinzu kam die Nähe vieler GlasArchitekten zum Bauhaus, dessen Verfemung durch die Nationalsozialisten (der Vorwurf des „Kulturbolschewismus“ galt indes vor allem Bauhaus-Malern wie Kandinsky) half, eine alternative, unbefangen moderne Architekturund Designsprache zu etablieren, die überdies vorzüglich mit dem Warenangebot der technologisch hochentwickelten deutschen Industrie harmonierte. Die politischen „Vorgaben“ für die bundesdeutsche Regierungs- und Parlamentsarchitektur antizipierten mithin in Wahrheit die einzig mögliche bauliche Gestaltung. Auf die Weise nahm die Beschaffenheit der äußeren Welt Einfluss auf den Wertekanon des Gemeinwesens und konturierte neue Ideale, ohne dass in der Sache eine Auseinandersetzung darüber stattgefunden hätte, ob „Transparenz“ – im Sinne von Öffentlichkeit – wirklich die wichtigste Herausforderung unserer Zeit darstellt. 540

540  Ernst

Bloch, Erbschaft dieser Zeit, Zürich 1935, S. 158 f. Gert Selle, Geschichte des Design in Deutschland, 2. Aufl., Frankfurt am Main/New York 2007, S. 182–191. 541  Vgl.

Aisthesis und Politeia – Epilog Darin waren sie sich einig, die Protagonisten in Platons Dialogen Politeia und Nomoi: dass das Wohl und Wehe des Gemeinwesens abhängt von den Inhalten der kindlichen Bildung, dass die größte Sorgfalt darauf zu verwenden ist, der künftigen Elite des idealen Staates einen musikalischen und gymnastischen Katechismus an die Hand zu geben, dass es – umgekehrt – gilt, die Einführung neuer Musikstücke, Tänze und Bewegungsfertigkeiten um jeden Preis zu verhindern. „Beruht nicht …, o Glaukon,“ lesen wir in der Politeia (401d), „das Wichtigste in der Erziehung auf der Musik, weil Zeitmaß und Wohlklang vorzüglich in das Innere der Seele eindringen und sich ihr auf das kräftigste einprägen …?“1 Als leuchtendes Vorbild, als „ein Zeichen einer überragenden Gesetzgebung und Staatsverfassung“, preist der Athener in den Nomoi (656d-657a) den zehntausendjährigen ägyptischen Brauch, „dass die jungen Leute in den Städten sich bei ihren Übungen schöner Körperhaltungen und schöner Melodien befleißigen müssen. Nachdem sie nun festgesetzt hatten, welche das seien und wie beschaffen sie seien, machten sie [die Ägypter] sie in den Tempeln öffentlich bekannt. Und weder Malern noch all den anderen Künstlern, welche Körperhaltungen darstellen und was es sonst noch in dieser Art gibt, war es gestattet, entgegen diesen Mustern Neues einzuführen.“2 Lobe niemals neue Gesänge, heißt es an anderer Stelle (Politeia 424c), „denn Gattungen der Musik neu einzuführen, muss man scheuen, als wage man dabei alles; weil nirgends die Gesetze der Musik geändert werden, als nur zugleich mit den wichtigsten bürgerlichen Ordnungen.“3 Was den Platonischen Gefährten so leicht von den Lippen geht, ist für den modernen Leser schwere Kost. Eine reformpädagogische Suada, eine Lektion über Kindeserziehung im Vorschulalter ist das letzte, was er erwar1  Platon, Werke, Bd. 4: Politeia, hrsg. von Gunther Eigler, übers. von Friedrich Schleiermacher, 6. Aufl., Darmstadt 2011, S. 229. 2  Platon, Werke Bd. 8/1: Nomoi, hrsg. von Gunther Eigler, übers. von Klaus Schöpsdau, 6. Aufl., Darmstadt 2011, S. 89 – dazu die Kommentierung von Klaus Schöpsdau, in: Platon, Nomoi (Gesetze), Buch I–III, hrsg. u. übers. von Klaus Schöpsdau, Göttingen 1994, S. 276 f. 3  Platon, Werke, Bd. 4: Politeia, hrsg. von Gunther Eigler, übers. von Friedrich Schleiermacher, 6. Aufl., Darmstadt 2011, S. 293 – vgl. auch Nomoi 797b-c, dazu die Kommentierung von Klaus Schöpsdau, in: Platon, Nomoi (Gesetze), Buch IV– VII, hrsg. u. übers. von Klaus Schöpsdau, Göttingen 2003, S. 530–533.



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tet, wenn er ein Werk konsultiert, das über Staat und Verfassung zu handeln vorgibt. Platons Feinden kommt dieses Unbehagen gerade recht. Wenn Popper gegen „Platons Zauber“ zu Felde zieht, hat er nicht zuletzt den „Ästhetizismus“ des Griechen im Blick, den „Wunsch, eine Welt zu bauen, die nicht nur ein wenig besser und vernünftiger ist als die unsrige, sondern die von aller ihrer Häßlichkeit frei ist.“4 Selbst jene, die dem griechischen Zauberer wohl gesonnen sind, können dem pädagogischen Plädoyer meist nichts abgewinnen und schieben es pietätvoll beiseite. Doch es hilft alles nichts: Für Platon war die musikalische und körperliche Schulung der Jugend Achse und Schwungrad der Staatslehre. Immer wieder weist er auf die Bedeutung verstetigter sensori-motorischer Exerzitien hin. Es ist ihm bitterernst – und eben das ist es wohl, was uns irritiert. Die pädagogischen Predigten wären nicht der Rede wert, wenn sie lediglich die Sehnsucht eines Greises nach der guten alten Zeit, nach Ruhe und Gemessenheit spiegelten. Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Die existentielle Bedeutung, die Platon – dem Ideal der Kalokagathia verpflichtet5 – der Sinnes- und Leibesübung zumisst, spricht dafür, dass er eine unmittelbare Verbindung sieht zwischen Rhythmus, Klang, Bewegung und Staatsordnung. Nur wenn wir Platons ideales Gemeinwesen als eine ins Staatstheoretische gewendete Choreographie, als eine nach Klangbildern modellierte Res publica begreifen, können wir seine panische Furcht vor Neuerungen in der Musik nachvollziehen. Denn dann ändert die Einführung neuer Lieder und Tänze tatsächlich alles, nämlich die basale kognitive Konfiguration, aus der die Menschen konkrete politische Handlungsanweisungen ableiten. Mag uns heute Platons Sorge und Mahnung exzentrisch erscheinen, die Zeitgenossen des griechischen Philosophen haben sie durchaus nicht als überspannt empfunden.6 „Diese Beschäftigung der Philosophen mit dem Gegenstand [der Musik]“, schreibt Jacob Burckhardt, „wird uns aber leicht begreiflich, wenn wir bedenken, dass die Griechen von der Musik, und zwar von ihrer uns so unvollkommen bemittelt erscheinenden Musik, auf eine 4  Karl Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1: Der Zauber Platons, Bern 1957, S. 223. 5  2. Teil, I. 1. 6  Zu Platons Musiktheorie jüngst Franceso Pelosi, Plato on Music, Soul and Body, Cambridge 2010; ferner A. Giannaras, Das Wachhaus im Bezirk der Musen. Zum Verhältnis von Musik und Politik bei Platon, Archiv für Musikwissenschaft 32 (1975), S. 165–183. Zur musikalischen Ethoslehre im Allgemeinen: Dieter Gutknecht, Musik als „Ethos Politikon“. Musikpädagogische Utopien in staatstheoretischer Absicht, in: Otto Depenheuer (Hrsg.), Staat und Schönheit. Möglichkeiten und Perspektive einer Staatskalokagathie, Wiesbaden 2005, S. 53–73, 55–60; Warren D. Anderson, Ethos and Education in Greek Music. The Evidence of Poetry and Philosophy, Cambridge 1966; Hermann Abert, Die Lehre vom Ethos in der griechischen Musik. Ein Beitrag zur Musikästhetik des klassischen Altertums, Leipzig 1899.

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ganz rätselhafte, magische Weise affiziert wurden. Und hier handelt es sich um ein ganz einziges Verhältnis, das sonst, wie uns erscheint, in der ganzen Kulturgeschichte nicht mehr so dagewesen ist, nämlich um die innige Relation der Musik zur Erziehung und zum Staatswesen.“7 Die Empfänglichkeit für das Anderssein der – in den Worten Nietzsches – „dionysischen Erregung“ könnte am Anfang der Entwicklung gestanden haben: die Beobachtung, dass ausschweifendes Tanzen und Musizieren eine eigenartig Veränderung im Verhalten und Denken der Menschen bewirkt. Wenn enge Freunde und Weggefährten von jetzt auf gleich, sobald sie bestimmten akustischen Reizen ausgesetzt sind, die Kontrolle über ihr Selbst verlieren, dann muss diesen Klängen eine große, gewaltige Kraft inne wohnen. Von der Macht der Musik kündet allenthalben der griechische Mythos. In Homers „Odyssee“ sind es Autolykos’ Söhne, die den Helden aus Ithaka mit ihrem Gesang heilen (Hom. Od. 19, 455–458), und die Syrenen, die ihn mit ihren liebreizenden Stimmen zu vernichten trachten (Hom. Od. 12, 39–46). Der antike Welt nicht weniger vertraut und vielleicht sogar noch etwas älter als die „Odyssee“ war die Sage von Orpheus, der Muse Kalliope und des thrakischen Königs Oigaros Sohn. Ob die legendäre Gestalt einem historischen Vorbild, beispielsweise einem thrakischen „Schamanen“, nachgebildet ist, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit ermitteln.8 Fest steht jedenfalls, dass dem Gesang und den Instrumenten – Phorminx, Kithara, Lyra – des mythischen Orpheus übernatürliche Kräfte zugeschrieben wurden. Seine Musik betörte die belebte wie die unbelebte Natur, ihr gehorchten die wilden Tiere des Waldes, zudem alle Pflanzen und Bäume; ja sogar das Gestein vermochte der Gewalt der orphischen Klänge nicht zu widerstehen.9 „Mein Vater,“ heißt es in Euripides’ „Iphigenia“ (Eur. Iph. A. 1212), „hätt’ ich Orpheus Mund, könnt’ ich / durch meiner Stimme Zauber Felsen mir / zu folgen zwingen, und durch meine Rede / der Menschen Herzen, wie ich wollte, schmelzen / jezt würd’ ich diese Kunst zu Hülfe rufen.“10 Durch dergleichen Legenden für die Wirkung der Musik sensibilisiert, entwickelten im 5. Jahrhundert v. Chr., im „perikleischen Zeitalter“ – als das Volk in Athen zur Herrschaft gelangte und die Stadt ihre größte Blüte erlebte – einige Hommes d’État jenes aufstrebenden Gemeinwesens die Idee 7  Jacob Burckhardt, Das Geschichtswerk, Bd. 2: Griechische Kulturgeschichte, Frankfurt am Main 2007, S. 539 (Hervorhebung im Original). 8  DNP-Gruppe Kiel, Art.  „Orpheus“, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 9, Stuttgart 2000, Sp.  54–57 (mwN). 9  Vgl. Ov., met. 11,1–5: Carmine dum tali silvas animosque ferarum/ Threicius vates et saxa sequentia ducit/ ecce nurus Ciconum tectae lymphata ferinis/ pectora velleribus tumuli de vertice cernunt/ Orphea percussis sociantem carmina nervis. 10  Euripides, Iphigenia in Aulis, übers. von Friedrich Schiller, Thalia 2/7 (1789), S. 1–69, 31 f.



Aisthesis und Politeia – Epilog341

einer musikalischen Staatspädagogik. Perikles selbst soll, so berichtet Plutarch, massiv Einfluss genommen haben auf die Ausgestaltung der musischen Agone, um die er das Panathenäenfest hatte erweitern lassen (Plut. Per. 13, 11): „In jener Zeit setzte Perikles, der für sein Werk Ehre einlegen wollte, zum ersten Mal den Vorschlag durch, am Feste der Panathenäen einen musikalischen Wettkampf zu veranstalten. Zum Kampfordner erkoren, stellte er persönlich die Regeln auf, an die sich die Wettkämpfer im Flötenspiel, im Gesang und Leierschlagen zu halten hatten. Seitdem fanden im Odeion ständig musikalische Wettspiele statt.“11 Als der eigentliche Kopf des Unternehmens, als Begründer der in der Antike kontrovers diskutierten musikalischen Ethoslehre galt indes nicht Perikles, sondern einer seiner engsten und einflussreichsten Berater: der den Sophisten nahe stehende Damon, Sohn des Damonides,12 Verfasser „einer berühmten, als Rede an den Areopag stilisierten Denkschrift (Areopagitikós logos), in der ein allgemeiner, öffentlicher Erziehungsauftrag der Polis für den gesamten Bereich der Musikkultur in Athen postuliert wurde.“13 Von dem genauen Inhalt dieser Schrift haben wir keine Kenntnis und müssen uns mit einigen wenigen, in anderen Werken überlieferten Kernsätzen der Damon’schen Lehre zufrieden geben.14 Zu den Verehrern des Damon zählte allen voran Platon, der ihn als Autor der zu Anfang zitierten Feststellung anführt, niemand ändere die Gesetze der Musik, ohne damit nicht zugleich die bürgerliche Ordnung auf den Kopf zu stellen (Politeia 424c). Von einem 11  Plutarch, Große Griechen und Römer, übers. von Konrat Ziegler, Bd. 2, Zürich/Stuttgart 1955, S. 125. 12  Eckhard Roch, Art. „Damon“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Aufl., Bd. 5 (Personen), Kassel 2001, Sp.  343–346; Klaus Meister, Damon, der politische Berater des Perikles, Rivista Storica dell’Antichitá 3 (1973), S. 29–45; Warren Anderson/Thomas J. Mathiesen, Art. „Damon“, in: The New Grove dictionary of music and musicians, Bd. 6, 2. Aufl., London 2001, S. 874 f.; Philip A. Stadler, Pericles Among the Intellectuals, Illinois Classical Studies XVI (1991), S. 111–124; Warren D. Anderson, Ethos and Education in Greek Music. The Evidence of Poetry and Philosophy, Cambridge 1966, S. 3 f., 74–81; Gustav Adolf Lehmann, Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen. Eine Biographie, München 2008, S. 89 f.; Charlotte Schubert, Perikles, Darmstadt 1994, S. 98–102; Peter Siewert, Ostrakismos-Testimonien. Die Zeugnisse antiker Autoren, der Inschriften und Ostraka über das athenische Scherbengericht aus vorhellenistischer Zeit (487–322 v. Chr.), Bd. 1, Stuttgart 2002, S. 459–464. 13  Gustav Adolf Lehmann, Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen. Eine Biographie, München 2008, S. 90. 14  Vgl. die Zusammenstellung der Quellen in: Hermann Diels (Hrsg.), Die Fragmente der Vorsokratiker, Bd. 1, 6. Aufl., hrsg. von Walther Kranz, Berlin 1951, S. 381–384; Zsigmond Ritoók (Hrsg.), Griechische Musikästhetik. Quellen zur Geschichte der antiken griechischen Musikästhetik, Frankfurt am Main 2004, S. 110– 113.

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Aisthesis und Politeia – Epilog

scharfen Kritiker der Ethoslehre, dem Epikureer Philodemos aus Gadara, erfahren wir, Damon habe sich zu der Aussage verstiegen, die Musik präge sogar des Menschen Vorstellung von Inhalt und Wesen der Gerechtigkeit (De musica I, 13): „Als einer fragte, ob sie [die Musik] irgendwelche Tugenden oder irgendwelche Freuden mit sich bringe, zieht er schon den Damon hervor, den man den Musiker nennt, der meine, so ziemlich beides, indem er behaupte, dass bei ihm der junge Mann, der singt und Kithara spielt nicht nur Mut und Besonnenheit an den Tag legen müsse sondern auch Gerechtigkeit.“15 Auf welche Weise die Musik nach Ansicht Damons das Wunder vollbringt, den Menschen Charaktereigenschaften und Überzeugungen einzugeben, ohne dass diese davon etwas merken, lässt sich nur noch sehr schwer rekonstruieren. Athenaios erwähnt, Damon habe einen Zusammenhang gesehen zwischen Liedern, Tänzen und der „Bewegung der Seele“.16 Die ähnlichen Strukturen der verschiedenen „Bewegungen“ – der motorischen, akustischen und seelischen – seien, bestätigt Aristeides Quintilianus, für die von Damon durchschauten Wechselwirkungen zwischen Musik und Ethos verantwortlich: „Die Harmonien gleichen, wie ich schon sagte, den in ihnen überwiegend vorhandenen Intervallen oder den sie grenzenden Tönen, diese ihrerseits den Bewegungen und Affekten der Seele. Denn auch Damon und seine Schüler haben gezeigt, dass infolge ihrer Ähnlichkeit die Töne auch einer fliessenden Melodie – bei Knaben wie bei Leuten im fortgeschrittenen Alter – sowohl, wenn kein Charakter (ēthos) vorhanden ist, diesen Formen, oder auch, wenn er im Innern verborgen liegt, hervorlocken.“17 Wenn wir annehmen (was umstritten ist18), dass Platons Ethoslehre weitgehend mit der Damons übereinstimmt, kann man ergänzend zwei berühmte Stellen aus dem „Timaios“ in 15  Philodemus, Über die Musik, übers. von Hadwig Helms, in: Zsigmond Ritoók (Hrsg.), Griechische Musikästhetik. Quellen zur Geschichte der antiken griechischen Musikästhetik, Frankfurt am Main 2004, S. 111; ergänzend De musica IV, 15 (Philodemus, Über die Musik: IV. Buch, übers. von Annemarie Jeanette Neubecker, Neapel 1986, S. 110). 16  Athenaios, Gelehrtenmahl, in: Zsigmond Ritoók (Hrsg.), Griechische Musik­ ästhetik. Quellen zur Geschichte der antiken griechischen Musikästhetik, Frankfurt am Main 2004, S. 111. 17  Aristides Quintilianus, Über die Musik, übers. von Hadwig Helms, in: Zsigmond Ritoók (Hrsg.), Griechische Musikästhetik. Quellen zur Geschichte der antiken griechischen Musikästhetik, Frankfurt am Main 2004, S. 111. 18  Vgl. Warren D. Anderson, Ethos and Education in Greek Music. The Evidence of Poetry and Philosophy, Cambridge 1966, S. 80 f.; Warren Anderson/Thomas J. Mathiesen, Art. „Damon“, in: The New Grove dictionary of music and musicians, Bd. 6, 2. Aufl., London 2001, S. 874 f.; Eckhard Roch, Art. „Damon“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Aufl., Bd. 5 (Personen), Kassel 2001, Sp.  343–346.



Aisthesis und Politeia – Epilog343

die Überlegung einbeziehen, in der Platon die enge Beziehung zwischen seelischer und kosmischer Ordnung beschwört: „Die Harmonie aber, welche den Umläufen unserer Seele verwandte Bewegungen besitzt, ist demjenigen, welcher sich mit Vernunft den Musen hingibt, … als Bundesgenosse gegen den in uns entstandenen ungeordneten Umlauf der Seele zum Zwecke seiner ordentlichen Einrichtung und Übereinstimmung mit sich selbst von den Musen gegeben. Auch der Rhythmus wurde … zum gleichen Zweck von eben denselben gewährt (47d) … Nun sind die Gedanken und Umläufe des Alls dem Göttlichen in uns verwandte Bewegungen. Diesen muss jeder folgen, die bei unserm Entstehen in unserem Kopfe verdorbene Umläufe dadurch wieder in Ordnung bringen, dass er Harmonien und Umläufe des Alls erkennen lernt, und muss so dem Wahrgenommenen das Wahrnehmende seiner ursprüng­ lichen Natur gemäß ähnlich machen (90d).“19 Unverkennbar standen Damon und Platon in der pythagoreischen Tradi­ tion,20 in der Tradition einer Lehre, die das Wissen um die kosmologische Bedeutung der Mathematik mit der Einsicht verband, dass Seele und Weltganzes den gleichen ordnenden Prinzipien unterworfen sind oder sein sollten.21 Die mathematisch-musikalische Weltdeutung der Pythagoräer muss man nicht teilen, um den revolutionären Gehalt, die Sprengkraft der Damon’schen Theorie anzuerkennen. Von allen kosmologischen Beigabe bereinigt, besagt sie nichts anderes, als dass für sich genommen bedeutungslose, semantisch indifferente sinnliche Reize über den Augenblick des Affekts, der „dionysischen Erregung“, hinaus sich in das kognitive Programm der Menschen einschreiben und auf die Weise – wenn auch nicht klar ist, auf welche Weise genau – Meinungen und Überzeugungen zu so fern liegenden Sujets wie politische Tugenden und soziale Gerechtigkeit beeinflussen.22 Auch in der Antike gab es den einen oder anderen, der eine solche Theorie für haarsträubenden Blödsinn hielt. Als Wortführer tat sich der bereits erwähnte Philodemus hervor, ein Zeitgenosse des Cicero. „Und es wird ja wohl niemanden geben, der sich nicht vor Lachen ausschüttet, wenn er hört, wie jemand mittels Gesang und irgendwelcher Instrumente Rat erteilt.“23 19  Platon, Werke, Bd. 7: Timaios, hrsg. von Günther Eigler, bearb. von Klaus Widdra, übers. von Hieronymus Müller, Friedrich Schleiermacher, 6. Aufl., Darmstadt 2011, S. 83, 205. 20  Vgl. dazu bereits 2. Teil, II. 1. 21  Vgl. Zsigmond Ritoók, Die Klassische Zeit. Einführung, in: Zsigmond Ritoók (Hrsg.), Griechische Musikästhetik. Quellen zur Geschichte der antiken griechischen Musikästhetik, Frankfurt am Main 2004, S. 55–67. 22  Vgl. auch Franceso Pelosi, Plato on Music, Soul and Body, Cambridge 2010, S. 29–31, 66 f. 23  Philodemus, Über die Musik: IV. Buch, übers. von Annemarie Jeanette Neubecker, Neapel 1986, S. 113.

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Keine Melodie der Welt habe am Logos Anteil. Allein das gesprochene oder geschriebene Wort sei Träger von Gedanken und könne einen Umschwung der Meinungen herbeiführen.24 „Lächerlich ist ferner auch die Vorstellung, die einige von der Gerechtigkeit haben. Denn es ist undenkbar, dass Klänge, die nur das Gehör – das doch etwas Irrationales ist – anrühren, etwas zu einer Seelenverfassung beitragen, die Nutzen und Schaden für das Gemeinwesen beurteilen kann.“25 Sofern der Gesang die Menschen anrühre und manipuliere, sei es so gut wie immer der in Worte gekleidete Gedanke, der die Wirkung hervorbringe. Die musikalische Begleitung erschwere es sogar, die Botschaft des Liedes zu erfassen.26 Ein Arrangement von Tönen, gleich welcher Art, sei so wenig in der Lage, Einfluss auf unsere Eigenschaften, Ansichten und Überzeugungen zu nehmen, „wie dies Gerüchte und Geschmacksempfindungen zu tun vermögen“.27 Indes, so berechtigt das Anliegen ist, irrationale, „magische“ Wirkungszusammenhänge in Frage zu stellen, so naiv (und gefährlich) ist das Vertrauen auf die Macht der ratio. Wie vielen „Aufklärern“ unterlief Philodemos das Missgeschick, mit der Zeit die Predigt für die Sache zu nehmen, also Sein und Sollen zu vertauschen. Selbst wenn wir alle Erkenntnisse der kognitiven Psychologie in den Wind schlagen, selbst wenn wir die experimentellen Nachweise ignorieren, dass Trivialitäten wie Gerüche sehr wohl unsere Vorstellungen von Gerechtigkeit und Anstand determinieren können, selbst dann kommen wir nicht umhin, die musikalische Ethoslehre ernst zu nehmen. Damon, ihr Apologet, war kein weltfremder Spinner, war kein Phantast, der sich mit närrischen Thesen zu profilieren versuchte. Dass er bei Perikles und Teilen des politischen Establishments in Athen im höchsten Ansehen stand, kam bereits zur Sprache. Auf wessen Rat Perikles, die Inkarnation des umsichtigen Realpolitikers, vertraute, der wird nicht als Traumtänzer gelten können. Tatsächlich beschreibt Plutarch (Per. 4, 3) Damon als einen durchtriebenen, mit allen Wassern gewaschenen Virtuosen der Macht, bei dem Perikles sein Handwerk erlernte: „Für Perikles’ staatsmän24  Philodemus, Über die Musik: IV. Buch, übers. von Annemarie Jeanette Neubecker, Neapel 1986, S. 94, 114; ders., Über die Musik, übers. von Hadwig Helms, in: Zsigmond Ritoók (Hrsg.), Griechische Musikästhetik. Quellen zur Geschichte der antiken griechischen Musikästhetik, Frankfurt am Main 2004, S. 445; ferner Hermann Abert, Die Lehre vom Ethos in der griechischen Musik. Ein Beitrag zur Musikästhetik des klassischen Altertums, Leipzig 1899, S. 28. 25  Philodemus, Über die Musik: IV. Buch, übers. von Annemarie Jeanette Neubecker, Neapel 1986, S. 110. 26  Philodemus, Über die Musik: IV. Buch, übers. von Annemarie Jeanette Neubecker, Neapel 1986, S. 111. 27  Philodemus, Über die Musik: IV. Buch, übers. von Annemarie Jeanette Neubecker, Neapel 1986, S. 116 f.



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nische Schulung bedeutete der Verkehr mit diesem Manne dasselbe, was für den Sportler der Umgang mit dem Trainer und Fechtmeister.“28 Der Komödiendichter Platon (Com. frg. 207) ging so weit, Damon auf eine Stufe zu stellen mit dem Kentauren Cheiron, dem mythischen Erzieher des großen Achill.29 In Athen fürchteten manche Damon so sehr, schreibt Aristoteles in der „Athenaion Politeia“ (27, 4), dass sie – vermutlich in den frühen 30er oder späten 20er Jahren des 5. Jahrhunderts v. Chr. – seine Ostrakisierung erwirkten.30 Der Umstand, dass der Vertraute des Perikles, obwohl selbst kein Politiker, aus Athen verbannt wurde, mithin einer für führende Politiker reservierten Strafe anheim fiel, unterstreicht mehr als alles andere den eminent politischen Charakter seiner Beratertätigkeit.31 Vor allem mit dem – von Perikles befolgten – Ratschlag, Richter für ihre Tätigkeit zu entlohnen, scheint sich Damon mächtige Feinde gemacht zu haben. Aristoteles (Ath. Pol. 27, 4) und Plutarch (Per. 9, 3–5) erwecken den Eindruck, Perikles habe sich nur deshalb für die Besoldung der Richter eingesetzt, weil er mit Hilfe dieser populären Maßnahme seinen vermögenden Konkurrenten Kimon auszustechen hoffte, der im großen Stil Armenspeisungen finanzierte, um das Zutrauen des Volkes zu gewinnen. Es ist jedoch fraglich, ob einer so richtungweisenden Entscheidung derart kurzsichtige Motive zu Grunde lagen.32 Dass die Einführung des Richtersoldes große Einfluss hatte auf die Entwicklung der Attischen Demokratie, daran besteht jedenfalls kein Zweifel.33 Für Aristophanes waren die Dikasterien der entscheidende Machfaktor, eine Institution, „in der das attische Volk sich und seine demokratische Verfasstheit am deutlichsten wiedererkennen 28  Plutarch, Große Griechen und Römer, übers. von Konrat Ziegler, Bd. 2, Zürich/Stuttgart 1955, S. 110. 29  „Fürs erste sag mir, sei so gut, o Cheiron/Ist’s wahr, dass du den Perikles erzogen?“ – Plutarch, Große Griechen und Römer, übers. von Konrat Ziegler, Bd. 2, Zürich/Stuttgart 1955, S. 111. 30  Peter Siewert, Ostrakismos-Testimonien. Die Zeugnisse antiker Autoren, der Inschriften und Ostraka über das athenische Scherbengericht aus vorhellenistischer Zeit (487–322 v. Chr.), Bd. 1, Stuttgart 2002, S. 459–464; Gustav Adolf Lehmann, Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen. Eine Biographie, München 2008, S. 89 f.; S. 90, 243. 31  Charlotte Schubert, Perikles, Darmstadt 1994, S. 101. 32  Peter Siewert, Ostrakismos-Testimonien. Die Zeugnisse antiker Autoren, der Inschriften und Ostraka über das athenische Scherbengericht aus vorhellenistischer Zeit (487–322 v. Chr.), Bd. 1, Stuttgart 2002, S. 461 („antidemokratische Polemik“). 33  Gustav Adolf Lehmann, Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen. Eine Biographie, München 2008, S. 101 f., 250; Charlotte Schubert, Perikles, Darmstadt 1994, S. 161; Christian Meier, Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte, Frankfurt am Main/Berlin 1994, S. 388 f.

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konnte“.34 Die Geschworenengerichte übernahmen seit der Mitte der fünfziger Jahre nach und nach die Aufgaben der Beamten- und Honoratiorentribunale. Sie waren vielfach mit fünfhundert oder mehr Bürgern aus allen zehn Phylen besetzt.35 Auf die Weise sollte sichergestellt werden, dass die Gerichte die Bürgerschaft in ihrer Gesamtheit repräsentieren und alle Schichten der Bevölkerung an der Rechtsprechung teilhaben. Die Richterdiäten stellten das materielle Äquivalent des Anspruchs auf demokratische Teilhabe an der Justiz dar und sicherten nebenbei den durch vielfache Kriegsdienste der zivilen Arbeit entwöhnten Stadtbewohnern ein Auskommen.36 Vielleicht haben die beiden großen Leistungen des Damon, von denen die Quellen künden – sein Engagement für eine aus öffentlichen Mitteln finanzierte Gerichtsbarkeit und sein Einsatz für eine staatlich kontrollierte Musikerziehung – mehr miteinander gemein, als man prima facie anzunehmen geneigt ist. In radikalen Demokratien wie der attischen treten die individualund sozialpsychologischen Momente bei der Entscheidungsfindung deutlicher zu Tage als in oligarchisch oder repräsentativ verfassten Gemeinwesen. Wenn alle etwas zu sagen haben und es auf die Gunst des Augenblicks ankommt, ist wenig Zeit und Muße, den Entschluss noch einmal gründlich zu überdenken oder ihn zumindest in ein so dicht gesponnenes Kokon aus gelehrten Argumenten und Gegenargumenten einzuweben, dass die eigentlich entscheidungsrelevanten Begierden und kognitiven Fehlschlüsse unerkannt bleiben. Folglich war Damons Blick geschärft für die Fragilität und die permanente Gefährdung des Denkens durch das Triviale, Indifferente, intellektuell Abseitige. Diente die Besoldung der Richter dazu, hungrige Mägen zu füllen und von den materiellen Bedürfnissen, die gewöhnlich das Urteilsvermögen trüben, abzulenken, dann zielte die staatliche Regulierung der Musik, des Tanzes und wohl überhaupt aller populären Künste darauf, die gewaltige Assoziationsmaschine, als die sich dem aufmerksamen Beobachter der menschliche Geist offenbart, „richtig“ – conforme à l’esprit des loix – zu programmieren. So spricht aus dem Mythos eben doch die Wahrheit: Der Barde mit den übernatürlichen Kräften, Orpheus, sei es gewesen, heißt es bei Demosthenes37, der die Göttin des Rechts in den Pantheon aufgenommen und Zeus 34  Charlotte Schubert, Perikles, Darmstadt 1994, S. 161 (zu Ar. Wespen 548 ff., 560 ff., 571, 587, 620 ff., Vögel 27 ff.). 35  Christian Meier, Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte, Frankfurt am Main/Berlin 1994, S. 388 f. 36  Christian Meier, Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte, Frankfurt am Main/Berlin 1994, S. 389. 37  (Pseudo-)Demosthenes (or. 25, 11), Erste Rede gegen Aristogiton, in: Demosthenes, Werke, übers. von Heinrich August Pabst, Zweite Abtheilung, Stuttgart 1843, S. 1217: „… so wie auch die unerbittliche und ehrwürdige Göttin des Rechts [Dike],



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Abb. 39

zur Seite gestellt habe. Das nach orphischer Überlieferung besonders innige Verhältnis zwischen dem Meister des Wohlklangs und Dike – mit ihrem „glanzschönen, alles erblickenden“ Auge38 – ist auch auf antiken Vasenbildern zu besichtigen, etwa auf einem in München verwahrten Apulischen Prachtgefäß, das uns Einblicke ins Jenseits gewährt (Abb. 39).39 Vereint als Gefährten der Unterwelt, als Begleiter des Hades und der Persephone, sehen wir links den musizierenden Dichter, rechts die bewaffnete Göttin. Schwert und Harfe Seit an Seit: Emblem für die enge Verbindung zwischen Recht und Sinnlichkeit im Schattenreich des Denkens.

welche Orpheus, der Stifter Eurer heiligsten Weihen, als neben Zeus Thron sitzend, und Alles, was Menschen angeht, beaufsichtigend darstellt.“ 38  Orphische Hymnen 62: Die Hymnen des Orpheus, griechisch und deutsch, übers. von David Karl Philipp Dietsch, Erlangen 1822, S. 151: „Dike’s Auge besing’ ich, die, glanzschön, alles erblickend, selbst auf des herrschenden Zeus Kronion heiligen Thron sitzt, und vom Himmel das Leben beschaut vielstämmiger Menschen …“ 39  Adolf Furtwängler/Karl Reichhold, Griechische Vasenmalerei. Auswahl her­ vorragender Vasenbilder, München 1904, Serie I, Tafel 10 – dazu Ugo Bianchi, The Greek Mysteries, Leiden 1976, S. 32 f.

Abbildungsnachweise Abb. 1:

Dike und Adikia, aus: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, hrsg. von Wilhelm Heinrich Roscher, Bd. 1, Leipzig 1884–1890, Sp. 1019.

Abb. 2:

Hans Holbein d. J., The Ambassadors, 1533, National Gallery, London.

Abb. 3:

The Detroit Eddison Company, Wertpapier (Detail).

Abb. 4:

XRG International, Inc., Wertpapier (Detail).

Abb. 5:

Utah Shale Land Corporation, Wertpapier (Detail).

Abb. 6:

Digital Equipment Corporation, Wertpapier (Detail).

Abb. 7:

Monte di Pietà della Città di Firenze, Wertpapier (Detail).

Abb. 8:

Real Compañia de San Fernando de Sevilla, Wertpapier (Detail).

Abb. 9:

Cipriano Piccolpasso, Arte del Vasario (Ms.), 1548.

Abb. 10: Société Anonyme Ottomane de Balia-Karaidin, Wertpapier. Abb. 11: Koran, dekorative Seite (Ms.), Valencia 1182 (Istanbul Universitätsbibliothek, Ms. A. 6754, fol. 1v.), in: Richard Ettinghausen, Arabische Malerei, Genf 1962, S. 172. Abb. 12: Relief „Gefangene in Ketten“ aus römischer Zeit, Mainz, Landesmuseum. Abb. 13: Illustrierter Hauptkatalog 1912, August Stukenbrok, Einbeck. Abb. 14: Johann Bahr, Karikatur, Lustige Blätter 24 (15.12.1909). Abb. 15: Liberty Enlightening the World, Statue of Liberty, New York, Fotografie des 19. Jahrhunderts, S. R. Stoddard, The New-York Historical Society. Abb. 16: Troisième eruption du Volcan de 1789, kolorierte Lithographie, La Caricature vom 6.  Juni 1833, in: Klaus Herding, Die Bildpublizistik der Französischen Revolution, Frankfurt am Main 1989, S. 153. Abb. 17: Adolph v. Menzel, Das Eisenwalzwerk, 1872–75, Alte Nationalgalerie, Berlin. Abb. 18: Carl Saltzmann, Erste elektrische Straßenbeleuchtung in Berlin, 1884, Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Museum für Kommunikation Frankfurt, Frankfurt am Main. Abb. 19: Jan van de Velde, Die vier Elemente: Ignis, Kupferstich nach Willem Buytewech, The British Museum, London. Abb. 20: Rumsford-Versuch, in: Carl Baenitz, Lehrbuch der Physik in gemeinfaßlicher Darstellung nach methodischen Grundsätzen für gehobene Lehranstalten sowie zum Selbstunterrichte, 14. Aufl., Bielefeld / Leipzig 1908, S. 9.

Abbildungsnachweise349 Abb. 21: Destillation, in: Carl Baenitz, Lehrbuch der Physik in gemeinfaßlicher Darstellung nach methodischen Grundsätzen für gehobene Lehranstalten sowie zum Selbstunterrichte, 14. Aufl., Bielefeld / Leipzig 1908, S. 14. Abb. 22: Monochord, aus: Robert Fludd, Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris metaphysica, physica atque technica historia, Band I, Oppenheim 1617. Abb. 23: Mehrstimmiges Musizieren vor den Toren von Paris, 16. Jahrhundert, Musée Carnavalet, Paris. Abb. 24: Notenbuch mit Chanson „Joyssance vous donneray“ von Sermisy, Das Konzert (Detail), 16. Jahrhundert, Schloss Rohrau, Wien. Abb. 25: Chen Hongshou (1598–1652), Tao Yuanming, Honolulu Museum of Art, Honolulu, Hawaii (USA). Abb. 26: ting qin tu, Kaiser Huizong mit Qin, 11. / 12. Jahrhundert, Palastmuseum, Peking, in: Dongsheng Liu, Die Geschichte der chinesischen Musik. Ein Handbuch in Text und Bild, Mainz 2009, S. 203. Abb. 27: Spielweisen des Qin mit symbolischen Naturentsprechungen, Yuan Junzhe, Taigu yiyin („Überlieferte Klänge aus dem fernen Altertum“), Teil li, juan [Kapitel 3], ohne Paginierung, um 1450, in: Martin Gimm, Art. „Qin“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Aufl., Bd. 7, Kassel 1997, Sp. 1915–1928, 1926. Abb. 28: Etienne-Louis Boullée, Leergrab für Newton (Schnitt), Cabinet des Estampes, Bibliothèque Nationale, Paris. Abb. 29: Sternennacht, aus: Bernard de Fontanelle, Dialogen über die Mehrheit der Welten, übers. von Johann Elert Bode, 2. Aufl., Berlin 1789. Abb. 30: Joseph Wright of Derby, A Philosopher Lecturing on the Orrery, 1766, Derby Museum and Art Gallery, Derby. Abb. 31: Sterne der Konföderation, Vierzig-Dollar-Note, 1778. Abb. 32: Orrery von David Rittenhouse (Detail), University of Pennsylvania Art Collection, Philadelphia, Pennsylvania. Abb. 33: Equilibrium, aus: William Jones, An essay on the first principles of natural philosophy: Wherein The Use of Natural Means, or Second Causes, in the Oeconomy of the material World, is demonstrated from Reason, Experiments of various Kinds, and the Testimony of Antiquity, Oxford 1762. Abb. 34: Intransparenz durch Blendung: falsche (a) und richtige (b) Beleuchtung. aus: Die Reklame 22 (1929). Abb. 35: Schaufenster-Werbung der Welzel & Naumann AG Leipzig, aus: Die Reklame 22 (1929). Abb. 36: Intransparenz durch Spiegelung, aus: Ferdinand Putnoky, Die Technik der Schaufenster-Beleuchtung, Bd. I, Zürich 1926. Abb. 37: „Übersichtlicher, klar geordneter Büroraum“, aus: Reichsamt Schönheit der Arbeit (Hrsg.), Das Taschenbuch Schönheit der Arbeit, zusammengestellt von Anatol von Hübbenet, Berlin 1938.

350 Abbildungsnachweise Abb. 38: „Lichtverteilung in einem einseitig befensterten Fabrikraum“, Werbebild des Reichsamtes „Schönheit der Arbeit“. Abb. 39: Dike und Orpheus, aus: Adolf Furtwängler / Karl Reichhold, Griechische Vasenmalerei. Auswahl hervorragender Vasenbilder, München 1904, Serie I, Tafel 10.

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Personen- und Sachverzeichnis Abū Hanīfa  117 Accursius  140 f. Ach, Narziss  167, 174 Actio utilis  126 Adams, John  281–287, 291–296 Addison, Joseph  195 Adenauer, Konrad  335 Al-Ash’arī  110 Al-Fārābī  121 Al-Ghazālī  119 Al-Sarakhsī  119 Al-Shafi’i  117 Al-Taftāzānī  119 Anscheinsvollmacht  154–164 Anthropomorphismus – Börsenkurs  52 f. – Dinge  51 – Kapitalgesellschaft  63–95 – Religion / Kirche  14–16, 49 f., 64, 96–110, 120 f. – Staat  17 f., 50, 53, 64–66, 121 f. – Wirtschaftsordnung  89 f. Arabeske s. Ornament Aristeides Quintilianus  342 Aristoteles  176, 187, 197, 211–215, 220–222, 226, 239 f., 269, 345 Arndt, Adolf  333 Arnold, Thurman W. 62, 67 f. Artusi, Giovanni Maria  242 Asset Backed Securities  129 Ästhetik (Begriff / Theorie)  29 Ästhetische Tugend  34, 192, 208–210 Astronomie  35, 270–273, 278–282 Attaingnant, Pierre  227 f. Attribute substitution s. Heuristik Augustinus  64, 98, 194

Aulne, Anne Robert Jacques Turgot, Baron de l’  291 f. Bähr, Otto  132 Bait al-Māl  116 f. Balance (Sinnbild)  35, 192, 267–269, 275 f., 283–288 Baumgarten, Alexander Gottlieb  29, 195 Begriffsgeschichte  36 f. Begriffsjurisprudenz  131 f., 134 f., 137 Behne, Adolf  328 Behnisch, Günter  333 Behrens, Peter  328 Bentham, Jeremy  308 f. Beseler, Georg  64 f. Betts, Paul  332 bildempfangenes / bildspendendes Feld  45–47, 51, 57, 60, 164 Bilderverbot  99–100, 104, 107–110 Bildfeld s. bildempfangenes / bildspendenes Feld Bill of rights s. Verfassung, amerikanische Billigkeit  219 Bloch, Ernst  336 Blumenberg, Hans  37, 42–45, 47, 164 Boden (Sinnbild)  188 f. Bodin, Jean  210–220, 223, 226 f., 235–240, 243 f., 246, 267 Boehmer, Justus Henning  127 Boethius  223 Böhm, Franz  318–320 Bolingbroke, Henry St. John, Viscount  268 Bonifaz VIII. (Papst)  98 Boroditsky, Lera  56

402

Personen- und Sachverzeichnis

Boullée, Étienne-Louis  270 f. Boya (Be Ya)  263 Brinz, Alois von  78 f. Brodmann, Erich  85 Brülle, Oskar  165 Brunnemann, Heinrich  127 Buch der Riten (Li ji)  250, 252, 255 Bundesgerichtshof  81, 129, 154, 159 f., 163 Bundeshaus s. Parlamentsarchitektur Bundesverfassungsgericht  305 f. Burckhardt, Jacob  339 f. Calvisius, Sethus  242 Canaris, Claus-Wilhelm  161 Capranica, Domenico  231 Cardozo, Benjamin N.  62 Carpzov, Benedikt  127 Cassirer, Ernst  43 Castiglione, Baldassare  231 f. Chandrasekhar, Subrahmanyan  199 Chanson  227 f. Checks and balances s. Gewalten­ balance / -teilung Chomsky, Noam  67 Christo (Christo Wladimirow ­Jawaschew)  333 Cicero  64, 97, 138, 343 Cirillo, Bernadino  231 Clap, Thomas  279 Coase, Ronald H.  91 Computer (Sinnbild)  41 Connanus, Franciscus  219 Contenance angloise s. Mehrstimmigkeit Crick, Francis  199 Crousaz, Jean-Pierre  195 Cumberland, Richard  195 Cyprian  98 Damon  341–346 Dante Alighieri  195 Darjes, Joachim Georg  147

Darwin, Charles  177 Debt Equity Swap  129 Dhimma  119 Dickeson, John  296 f. Diderot, Denis  195 Ding-Idee  28 Dinteville, Jean de  27 Dirac, Paul  198 f., 202 Dissonanz  232–236, 242 f. Du Ponceau, Pierre-Étienne  277 Dualismus s. Monismus Dufay, Gilles  230 Dumont, Auguste  168 Dunstable, John  230 Eco, Umberto  194 Eigen, Peter  315 Einfachheit (Sinnbild)  274–278 Einkammersystem s. Zweikammer­ system Einstein, Albert  198 f., 202 Einstein, Hans Albert  198 Eldering, Wilhelm  166 Elektrifizierung  26, 171, 188 Eltzbacher, Paul  85 f. Embodiment, embodied cognition s. verkörpertes Denken Energie (Sinnbild) s. Feuer Energieerhaltungssatz  179–181 Erhard, Ludwig  312 Ethoslehre, musikalische  341–344 Eucken, Karl  319 Euklid von Alexandria  225 Euripides  340 Fa  253 Faber, Heinrich  241 Factoring  128 f. Familie (Sinnbild)  41, 95 Fechner, Gustav Theodor  29 Feldman, Jerome A.  39 Ferdinand VI. (Spanien)  104 Fernrohr  270, 272



Personen- und Sachverzeichnis403

Ferrante I. (Neapel)  229 Fessel (Sinnbild)  137–142 Feuer (Sinnbild)  165–192 Fiktion, juristische  66 f., 72, 75–80, 152 f., 19 Fischer, Otto  165 Fitzhugh, Peregrine  284 Föderalismus  290, 296–300 Fontanelle, Bernard le Bovier de  271 f. Ford, Henry  328 Forderungsübertragung  123–151, 192 Foucault, Michel  310 Frank, Jerome  22 f. Franklin, Benjamin  290–292 Franklin, Rosalind  199 Franz I. (Frankreich)  219, 226 Freiheit  39, 87, 89, 140, 161, 168–170, 172, 173, 179 f., 190, 213, 251, 290 f., 300, 311, 317, 320 (s. auch Privat­ autonomie) Freud, Sigmund  21 f. Freund, Ernst  66 Fricke, Hellmuth  95 Gaius (röm. Jurist)  141 f., 146, 200 Galilei, Galileo  197, 202, 242, 270 Galilei, Vincenzo  242 Gebhard, Ludwig  89 Geld (Sinnbild)  46 Genossenschaftstheorie  64–67, 79 f. Genscher, Hans-Dietrich  313 Gentner, Dedre  60 Gentner, Donald R.  60 Genzmer, Erich  141 Gerechtigkeit – arithmetische / geometrische  211–218, 221, 236–240 – ausgleichende / austeilende  211–213 – harmonische  210, 214–219, 223, 235–240, 244, 267 Gewaltenbalance / -teilung  269, 275 f., 289, 292, 299–301 Gide, André  47

Gierke, Otto von  17, 20, 65–67, 91 Glasherstellung  321 Gleichgewicht (Sinnbild) s. Balance GmbH & Co KG  80–88 Goethe, Johann Wolfgang von  45, 187 f., 190, 197 Gordian (röm. Kaiser)  126 Gravesande, Willem Jacob ’s  283 Grégoire, Pierre  235 Gropius, Walter  192, 328, 331 Grounded cognition s. verkörpertes ­Denken Grundgesetz  88 f., 305 f., 337 Hachenburg, Max  81, 86 Haeckel, Ernst  179 f., 184, 186 f., 191 Hamilton, Alexander  298–301 Han Fei  258, 265 f. Harmonie (Sinnbild)  35, 210, 223–236, 342 f. (s. auch he) Harmonische Gesellschaft (hexie shehui)  245, 251 f. Harrington, James  268 Haussmann, Fritz  95 Hayek, Friedrich August von  89 f. He (Sinnbild)  244, 246–248, 267 Heck, Philipp  134 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  29 Heidegger, Martin  32 Heinrich VIII. (England)  27 Heisenberg, Werner  197–199, 202, 223 Helmholtz, Hermann von  177 Helvétius, Claude Adrien  276 Herbart, Johann Friedrich  195 Herder, Johann Gottfried  16, 195–197 Hesiod  13 f. Heuristik  48 Hintergrundmetapher s. Metapher Hitler, Adolf  317, 329, 332, 337 Holbein, Hans  26 f. Hollis, Thomas  278 Holmes, Oliver Wendell  21, 62 Homer  13 f., 196, 340

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Personen- und Sachverzeichnis

Homogenität (tong)  247 f. Hood, Christopher  302 Hopkinson, Francis  281, 287 Hu Jintao  245, 251 Huizong (chin. Kaiser)  261 f. Humboldt, Wilhelm von  16, 31, 195 Hume, David  15 f., 195 Hurd, Richard  195 Husserl, Edmund  31 f. Ibn Hanabal  110 Ideengeschichte  24 f. Idol (Hinduismus)  104–107 Ikonodulie s. Bilderverbot Implikatives Modell s. Hintergrund­ metapher Industriearchitektur  328–330 Isay, Rudolf  94 Islam s. Bilderverbot, Ornament, dhimma, umma, waqf, madāris Jacobi, Ernst  165 Jay, John  282, 298, 300 Jefferson, Thomas  282–284 Jensen, Michael C.  90 f. Jeppesen, Knud  232 f. Jhering, Rudolph von  131 f., 134–137, 200 Johnson, Mark  38, 40 Johnson, Samuel  195 Jones, William  283 Joule, James Prescott  177 Justinian I. (Byzanz)  99, 143, 217 Kahl, Hans-Ulrich  166 Kahneman, Daniel  48 Kalokagathia  193–202, 208, 210, 255, 339 Kandinsky, Wassily  337 Kanon  225 Kant, Immanuel  16, 31, 42 f., 187–189, 195–197, 202, 270 Kantorowicz, Ernst H.  102 Karl d. Gr.  101

Kästner, Abraham Gotthelf  195, 270 Kepler, Johannes  197, 201 f., 236–244 Klarheit (Sinnbild) s. Transparenz Klassische Modernde (Design / Architektur)  26, 328–337 Kleist, Heinrich von  244 Koch, Robert  331 Kognitionswissenschaften  18, 20–23, 32 f., 37–61, 207, 344 Kognitive Archäologie  49 f. (s. auch Kognitionswissenschaften) Kognitive Fluidität  49 f., 206 Kognitive Linguistik s. Kognitions­ wissenschaften Kognitive Psychologie s. Kognitions­ wissenschaften Konfuzius (Kongzi)  247–250, 252– 258, 261, 263, 265 Konsonanz s. Dissonanz Konstantin d. Gr. (röm. Kaiser)  141 Konstantin III. (Byzanz)  101 Konstitutives Sinnbild s. Sinnbild Konzern  92–95 Korn, Arthur  331 Körper (Sinnbild) s. Anthropo­ morphismus Krankheitserreger (Sinnbild)  53 f. Kuhn, Thomas  87 f., 201 Kuntze, Johannes Emil  167 Kypselos (Korinth)  11 Lakoff, George  38, 40 f. Landsberg, Max  332 Laozi  261 Le Mercier de la Rivière, Pierre-Paul  276 Lebenswelt (Begriff / Theorie)  31 f. Legal realism s. Rechtsrealismus Leitmetapher  28, 41, 44, 92, 95, 148 (s. auch Sinnbild) Lell, Heinz-Günther  166 Lenin, Wladimir Iljitsch  183 Leo III. (Byzanz)  101 Leonardo da Vinci  195, 230



Personen- und Sachverzeichnis405

Lessing, Gotthold Ephraim  195 Li  252 f., 255–257, 267 Licht (Sinnbild)  174–176, 316 f. Linguistische Wende  24 Listenius, Nikolaus  241 Litis contestatio  126 Livius  64, 97, 138 Llewellyn, Karl N.  22 Locke, John  42, 268 Lolme, Jean Louis de  268 Ludwig der Fromme (Württemberg)  241 Lukrez  45 Luther, Martin  45 Mably, Gabriel Bonnot de  268 MacLeod, Henry Dunning  123 Madāris  113 f., 117 Madison, James  297–301 Mancipatio  138 Mann, Thomas  186 Marc Aurel  97 Marschall, John  62 Marx, Karl  25 Maschine (Sinnbild)  28, 37, 40, 42, 61, 278 f., 281 f., 287 Materialismus  25 Matlock, Teenie  56 Maxwell, James Clerk  59 Mayer, Julius Robert von  177 Mechanik  192, 276, 278, 283–287 Meckling, William H.  90 f. Mehrstimmigkeit  228–234, 241, 244 Mendelssohn, Moses  195 Menenius Agrippa  64, 90, 97 Mensch (Sinnbild) s. Anthropo­ morphismus Menzel, Adolph von  117 Menzius (Mengzi, Mong Dsï)  257 Merleau-Ponty, Maurice  32 Messel, Alfred  322 Metapher (Begriff / Theorie)  36–50 – absolute  44

– Hintergrund-  44 f., 164 – konzeptuelle  38 f., 41, 47, 50, 52, 55, 60 f., 63, 88 f., 92, 134, 143 f. – tote  51 – und Rechtswissenschaft  61–63, 135 f. Mevius, David  127 Meyer, Hannes  334 f. Meyer, Hans Heinrich  166 Meyer, Herbert  165 Milton, John  195 Mithen, Steven  49 f. Monismus  179 f., 184–191 Monochord  224–226, 240, 260 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de  45, 195, 268 f., 273–276 Monteverdi, Claudio  242 Morus, Thomas  27 Motorcortex  58 f. Mühlenbruch, Christian Friedrich  127 Mūrti s. Idol Musikerziehung  223, 240 f., 338–342, 346 Muttergesellschaft s. Konzern Naendrup, Hubert  166 Netz (Sinnbild)  89, 92 Newton, Isaac  15, 270 f., 278, 285 f. Nexus of contracts  92 Niavis, Paulus  231 Nietzsche, Friedrich  38, 175, 178, 205, 340 Nikolaus V. (Papst)  231 Nikomachos von Gerasa  223 Normendurchsetzung  218–220, 236, 243 f. Novation  125 Nyazee, Imran Ashan Khan  119 Obligatio s. Fessel Oertmann, Paul  166 f. Organ s. Anthropomorphismus Ornament  107 f., 111, 122 f., 320 Orrery s. Planetenmaschine Orrery, Charles Boyle, Earl of  278

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Personen- und Sachverzeichnis

Ostwald, Wilhelm  179–186, 191 Overbeck, Franz  178

Pufendorf, Samuel  127, 144 f., 147 Pythagoras von Samos  223 f., 226

Panofsky, Erwin  202 Parlamentsarchitektur  332–337 Passow, Richard  95 Paulus  96–99, 102, 120 f. Pausanias  11–13 Perikles  340 f., 344 f. Person, juristische  66 f., 75–95, 112–119, 192 (s. auch Anthropo­ morphismus) Personifikation  13, 38 f., 64, 80, 87, 89 f., 92 f., 96, 106 (s. auch Anthropomorphismus) Petrarca  195 Petrucci, Ottaviano  227 Phänomenologie  31 f. Philipp IV. (Frankreich)  102, 217 Philodemos von Gadara  342 f. Piccolpasso, Cipriano  108 Pilkington, Alastair  321 Planetenmaschine  278–282 Platon (Dichter)  345 Platon (Philosoph)  64, 97, 176, 194, 338 f., 341–343 Plutarch  341, 344 f. Poggio, Battista  231 Poincaré, Jules Henri  199 Polybios  269 Polyphonie s. Mehrstimmigkeit Pope, Alexander  195 Popper, Karl  339 Pouilly, Louis-Jean Lévesque de  195 Pownall, Thomas  286 Price, Richard  291 f. Privatautonomie  133, 153, 161 f., 172, 191 (s. auch Freiheit, Willens­erklärung) Produkt (Sinnbild) s. Ware Proportionalität s. Gerechtigkeit Psychoanalyse  21 f. Publizität s. Transparenz Puchta, Georg Friedrich  78–80, 85 f., 165

Qin  260–266 Ramscar, Michael  56 Rathenau, Walther  148, 316 Raubtier (Sinnbild)  54 f. Raum (Sinnbild)  41, 43, 53, 56 f., 139, 144, 209, 222, 318, 331 f. Rechtsarchäologie  28 f. Rechtsästhetik  29–32 Rechtsgeschäft s. Willenserklärung Rechtsikonographie  28 f. Rechtsrealismus  21–23, 62, 67 f. Rechtsscheinlehre  165–167 Regulatives Sinnbild s. Sinnbild Reichsgericht  81 f., 127, 156–158, 160, 162 f. Reichstagsgebäude s. Parlaments­ architektur Reinheit (Sinnbild)  204, 209, 331 Reinicke, Hans Joachim  166 Richterbesoldung  345 f. Ripa, Cesare  168 Rittenhouse, David  279–283 Rivero, Jean  314 Rost, Johann Leonhard  270 Roth, Joseph  328 Rousseau, Jean-Jacques  195, 315 Rutherford, Ernest  60, 199 Sartre, Jean-Paul  51 Sattler, Johann Rudolph  144 Savigny, Friedrich Carl von  75–78, 80, 84, 86, 152 f., 161, 165, 191 Schacht, Joseph  112 Schaufenster  322–328 Scheerbart, Paul  331 Schiller, Friedrich  17, 31, 197, 201 Schilter, Johann  127 Schily, Otto  314 Schliepmann, Hans  322



Personen- und Sachverzeichnis

Schmetterlingseffekt  20 f. Schmidt, Karsten  93 Schmitt, Carl  89, 189, 267 f., 285, 289, 301, 336 Schuldübernahme  124 Schulz, Fritz  131 Schwippert, Hans  334 f. Seeler, Wilhelm von  165 Sehring, Bernhardt  322 Selves, Georges de  27 Selye, Hans  40 Seneca  97 Severus Alexander (röm. Kaiser)  126 Shaftesbury, Anthony Ashley-Cooper, Earl of  195 Shakespeare, William  24, 195 Sima Qian  249, 261 Simmel, Georg  187 f. Sinnbild – konstitutives  34, 36, 192 f. – regulatives  34, 192 f. Skinner, Quentin  24 Sonnensystem (Sinnbild)  60, 278, 283, 286 f., 296 f. Sozialtypisches Verhalten  154 Speer, Albert  329, 337 Steinbuch, Karl  309 Stintzing, Wolfgang  165 Stipulatio  138 Strafzumessung  215–218, 238 f. Struve, Georg  127 Supreme Court s. Verfassungsgericht, amerikanisches Susatos, Tielman  228 Symmetrie (Sinnbild)  205 f., 221–223, 275 Tanz (Sinnbild)  39 Theodora (Byzanz)  101 Theory of the firm  91 f. Thomas von Aquin  44, 98, 195 Thomson, Joseph John  60 Tinctoris, Johannes  229 f., 233

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Tochtergesellschaft s. Konzern Transparenz – Informationszugang  302–306, 308–311 – Kompetenzverteilung  306–308, 317–319 – Verständlichkeit  306, 308  Transparenz (Sinnbild)  35, 209, 302, 316–337 Tretjakow, Sergej  328 Tversky, Amos  48 Ulpian (röm. Jurist)  142 Umma  116 f., 123 Veblen, Thorstein  151 Velde, Jan van de  173 Verfassung, amerikanische  68–75 Verfassungsgericht, amerikanisches  68–75 Verfügbarkeitsheuristik s. Heuristik Verkörpertes Denken  18 f., 58, 207, 269 Vielheit (Sinnbild)  272–276, 278 Villey, Michel  210 Vogt, Johann Gustav  178 f. Walterscheid, Josef  166 Waqf  113–116, 118 Ware (Sinnbild)  123, 148–151 Washington, George  169 Wasser (Sinnbild)  60 f. Watson, James D.  199 Weber, Max  183–186 Weg (Sinnbild)  39 f. Weinberg, Steven  199 Weinrich, Harald  45–47 Weyl, Hermann  199 Wharton, Henry  195 Willenserklärung  152–154, 159, 163–165, 176 f., 191, 192 – fingierte  152 f. – konkludente  153, 156, 191 Wilson, James  296 f.

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Personen- und Sachverzeichnis

Wilson, Woodrow  286, 298 Wilutzky, Paul  165 Winckelmann, Johann Joachim  195 Windscheid, Bernhard  139, 153, 165, 185 Winthrop, John  286 Wissenschaftsästhetik s. Kalokagathia Witherspoon, John  279 f. Wolff, Christian  127, 144 f., 147 Wright of Derby, Joseph  278 Wucher  217 f.

Xenophanes  14 f. Yanzi  247 f. Young, Edward  195 Zarlino, Gioseffo  223 f., 233–235, 242 Zession s. Forderungsübertragung Zhong Ziqi (Dschung Dsï Ki)  263 Zinsen s. Wucher Zola, Émile  151 Zuo Qiuming  247 Zweikammersystem  290 f., 295