Rechtsfragen Der Rucknahme Von Verwaltungsakten: Zur Dogmatik Und Kritik Der Rucknahmebestimmungen Der Verwaltungsverfahrensgesetze (German Edition) 3428065638, 9783428065639


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German Pages [335] Year 1989

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Rechtsfragen Der Rucknahme Von Verwaltungsakten: Zur Dogmatik Und Kritik Der Rucknahmebestimmungen Der Verwaltungsverfahrensgesetze (German Edition)
 3428065638, 9783428065639

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ULRICH KNOKE

Rechtsfragen der Rücknahme von Verwaltungsakten

Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp

Band 36

Rechtsfragen der Rücknahme von Verwaltungsakten Zur Dogmatik und Kritik der Rücknahmebestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze

Von

Dr. Ulrich Knoke

Duncker & Humblot · Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Knoke, Ulrich:

Rechtsfragen der Rücknahme von Verwaltungsakten: zur Dogmatik und Kritik der Rücknahmebestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze I von Ulrich Knoke.- Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 36) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1987 ISBN 3-428-06563-8 NE:GT

D6 Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-06563-8

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit hat im Sommer 1987 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation vorgelegen. Kleinere nachträgliche Änderungen und Ergänzungen gehen auf entsprechende Anregungen der Berichterstatter im Promotionsverfahren zurück. Die zu den zentralen Fragestellungen der Untersuchung seither erschienene Rechtsprechung und Literatur konnte in den meisten Fällen noch bis etwa Frühjahr 1988 berücksichtigt werden. Zu aufrichtigem Dank verpflichtet bin ich vor allem meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Hans-Uwe Erichsen, der mir nicht nur bei der Aufgabenstellung behilflich war, sondern die Arbeit darüber hinaus durch wertvolle Hinweise, Anregungen und Kritik wesentlich gefördert und den Fortgang der Untersuchung stets mit großem Interesse begleitet hat. Dies gilt nicht nur für die Zeit meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft und später wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem von ihm geleiteten Institut, an welchem ich hervorragende Arbeitsbedingungen hatte, sondern trifft in etwa gleichem Maße auch auf den sich anschließenden Zeitraum zu, in dem ich die Dissertation neben meiner beruflichen Tätigkeit als Richter am Verwaltungsgericht Arnsberg fertigstellte. Meinen Dank möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Dirk Ehlers aussprechen, der das Zweitgutachten erstattet hat und mir dabei durch seine hilfreichen Anregungen Veranlassung gab, einige Problempunkte und Ergebnisse nochmals kritisch zu überdenken. Weiteren Dank schulde ich- auch stellvertretend für die hier ungenannt Gebliebenen - Herrn Prof. Dr. Walter Krebs sowie den übrigen ehemaligen Mitarbeitern am Kommunalwissenschaftlichen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und zuvor am Lehrstuhl für Öffentliches Recht I der Ruhr-Universität Bochum für die Bereitschaft zu manchem weiterführenden und vertiefenden Gespräch. Schließlich danke ich Herrn Prof. Dr. Brichsen und den Mitherausgebern für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft" sowie der Westfälischen Wilhelms-Universität für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Arnsberg, im Juli 1988

Ulrich Knoke

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

1. Te i I

Grundlagen

§ 1 Der Begriff der Rücknahme im System der Aufhebung von Verwaltungs-

akten durch die Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

I. Das Begriffspaar Rücknahme/Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26 26

II. Abgrenzungsfragen § 2 Die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als Grundvoraussetzung des In-

..................................

30

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

II. Rechtswidrigkeit und bloße Unrichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

.......

35

.......

35

.......

36

.......

37

b) historische Auslegung (Entstehungsgeschichte) . . . . . . . . . . . c) systematische Auslegung

37

stituts der Rücknahme

III. "Materielle" und "formelle" Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . 1. § 45 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 46 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) grammatische Auslegung (Wortlaut) . . . . . . . . . . .

38

d) teleologische Auslegung

41

e) verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

IV. Außenrechtswidrigkeit und Innenrechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . 1. Das Außenrecht als alleiniger Maßstab des Rechtswidrigkeitsbegriffs i. S. der Rücknahmevorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

44

44

2. Konsequenzen für die Rücknehmbarkeit von Verwaltungsakten wegen Verstoßes gegen Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . .

45

..............

48

V. Die Rechtswidrigkeit fingierter Verwaltungsakte

§ 3 Die Untergliederung der Verwaltungsakte in begünstigende und nicht be-

günstigende als wesentlicher Ansatzpunkt der Rücknahmeregelungen des Verwaltungsverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

10

Inhaltsverzeichnis I. Der begünstigende Verwaltungsakt .....

50

54

II. Der nicht begünstigende Verwaltungsakt

a) Begriffsbestimmung und Abgrenzungsfragen

56 56 56

b) Die Zuordnung zu den Kategorien begünstigend/nicht begünstigend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ........ .

61

III. Die Einordnung der Verwaltungsakte mit Doppelwirkung 1. Der Verwaltungsakt mit Mischwirkung

... . ..... .

2. Der Verwaltungsakt mit Drittwirkung

63

a) Begriff ........ . ........ .

63

b) Die Zuordnung zu den Kategorien begünstigend/nicht begünstigend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... .

64

aa) beim begünstigenden Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . ............ . .. .

64

bb) beim belastenden Verwaltungsakt mit begünstigender Drittwirkung ... ... .. .. . . . . ... .. . . . . ... .. . .. . .

68

c) Im besonderen: der angefochtene Verwaltungsakt mit Drittwirkung .......... . . . . . . . . . . . . . . . ......... . ... .

69

§ 4 Die.Rücknahme im Spannungsfeld von Wirksamkeit und Bestandskraft des

Verwaltungsakts ......... . ......... . ... . ........ .

71

I. Die Wirksamkeit des Verwaltungsakts . . . .. . . . . . . . ... . . . . . .

71

1. Die begriffliche Unterscheidung von "äußerer" und "innerer" Wirksamkeit ......... .. . . . . . . . . . . . . . . ........ .

71

a) Die äußere Wirksamkeit ........... . ......... . .. .

72

b) Die innere Wirksamkeit ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

2. Beginn und Dauer der Wirksamkeit des Verwaltungsakts .. . ... .

73

a) Der Beginn der äußeren Wirksamkeit .. . ........ . .. . . .

73

aa) Insbesondere: das Existentwerden der Verwaltungsakte mit Drittwirkung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

bb) Die für das Existentwerden des Verwaltungsakts notwendigen Anforderungen an die Bekanntgabe . . . . . . . . . . . ... .

75

cc) Eintritt der äußeren Wirksamkeit eines Verwaltungsakts .... . . . trotzfehlender Bekanntgabe?

76

b) Der Beginn der inneren Wirksamkeit aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . .

77

. ...... . .

bb) Besonderheiten bei Verwaltungsakten mit mehreren Adressaten oder mit Drittwirkung .... . . . . . . . . . . . . . . . .

77

78

3. Wirksamkeit und nichtiger Verwaltungsakt ........... . .. . .

79 80

4. Berührungspunkte der Wirksamkeit und der Rücknahme eines Verwaltungsakts .. .. .. . . .... . ........ . .... . .... . ... .

82

c) Die Dauer von äußerer und innerer Wirksamkeit .. .... . .. .

Inhaltsverzeichnis

11

a) Die Rücknahme als Mittel der Wirksamkeitsbeendigung bzw. -beseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

b) Die (äußere) Wirksamkeit des Verwaltungsakts als notwendige Voraussetzung der Rücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

c) Insbesondere: die Rücknehmbarkeit nichtiger Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

II. Die Bestandskraft des Verwaltungsakts ................

88 89

a) Die formelle Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

b) Die materielle Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

aa) Rechtskraft und Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eigenständige Bestimmung des Gegenstandes der (materiellen) Bestandskraft von Verwaltungsakten . . . . . . . . . . .

94

1. Begriff und Gegenstand der Bestandskraft

97

cc) Abgrenzung von anderen Rechtswirkungen des Verwaltungsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Das Verhältnis der Rücknahmeregelungen zur materiellen Bestandskraft des Verwaltungsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 § 5 Zuständigkeit und Verfahren bei der Rücknahme von Verwaltungsakten . . 104

I. Die zuständige Behörde

104

1. Örtliche Zuständigkeit

104

2. Sachliche Zuständigkeit

105

II. Rücknahme und Verwaltungsverfahren

107

1. Das Verhältnis des Rücknahmeverfahrens zum ursprünglichen Erlaßverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Rücknahme und Wiederaufgreifen des Verfahrens . . . . . . . . . . . 108 3. Überblick über den Ablauf des Rücknahmeverfahrens

109

a) Die Einleitung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Das Verfahren bis zur Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

2. T e il Die Rücknahme von Verwaltungsakten auf der Grundlage des § 48 der Verwaltungsvedahrensgesetze des Bundes und der Länder § 6 Die Grundstrukturen der Rücknahmeregelung des§ 48 VwVfG im Vergleich

zu den Parallelvorschriften in AO und SGB X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

12

Inhaltsverzeichnis

§ 7 Die Befugnisnorm des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG I. Die Entscheidung über das "Ob" der Rücknahme

121 . . . . . . . . . . . . . 121

1. Die Rücknahme als Ermessensentscheidung - Allgemeines

121

2. Die Problematik der Ermessensregelung insbesondere bei der Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Rücknahmepflichtkraft verfassungsrechtlicher Vorgaben? . . . . 123 aa) Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung . . . . . 123 bb) Die Grundrechte als Grundlage eines verfassungsrechtlichen Beseitigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Determinanten des Ermessens bei der Rücknahme (unanfechtbar gewordener) nicht begünstigender Verwaltungsakte . . . . . . . . 132 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 bb) Mögliche Fälle einer Reduzierung des Ermessens in Richtung auf eine Pflicht zur Rücknahme des Verwaltungsakts . . 133 cc) Sonderproblem: Vertrauensschutz als Ermessensdeterminante bei der Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte? 135 II. Die Differenzierungsmöglichkeiten hinsichtlich des "Wie" der Rücknahme ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Voll- oder Teilrücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

2. Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit oder für die Zukunft . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . ... . . 140 § 8 Die eingeschränkte Rücknehmbarkeit von begünstigenden Geldleistungsund teilbaren Sachleistungsverwaltungsakten nach§ 48 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 I. Die differenzierte Behandlung der begünstigenden Verwaltungsakte hinsichtlich ihres Bestandsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Der Geldleistungsverwaltungsakt i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG . . . . 144

2. Der Sachleistungsverwaltungsakt i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG . . . . 145 3. Die praktische Bedeutung der Geld- und Sachleistungsverwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG im Verhältnis zu den übrigen begünstigenden Verwaltungsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Die Voraussetzungen des in§ 48 Abs. 2 VwVfG vorgesehenen Bestandsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Der Vertrauenstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

2. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Die zwingenden Ausschlußgründe für die Schutzwürdigkeit gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 aa) § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG: Ausschluß des Vertrauensschutzes bei arglistiger Täuschung, Drohung oder Bestechung 152 bb) § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG: Ausschluß des Vertrauensschutzes bei unrichtigen oder unvollständigen Angaben . . . 154

Inhaltsverzeichnis

13

cc) § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG: Ausschluß des Vertrauensschutzes bei Kenntnis oder grobfahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Die positiven Regelbeispiele für die Schutzwürdigkeit gemäß § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 c) Die Abwägung des privaten mit dem öffentlichen Interesse im übrigen - einzelne Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . 159 d) Sonderproblem: Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens von Trägern und Stellen öffentlicher Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . 161 III. Die Bedeutung der "soweit"-Klausel; insbesondere: die Auswirkungen des Vertrauensschutzes auf die Rücknehmbarkeit für die Vergangenheit oder für die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 IV. Das Verhältnis der Eingrenzungen der Rücknahmebefugnis zum Rücknahmeermessen bei begünstigenden Geld- und Sachleistungsverwaltungsakten i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Einzelfragen der Bildung und Betätigung des Ermessens bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i.S. des § 48 Abs. 2 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ........ .. ... 168 § 9 Die Rücknahme der nicht unter § 48 Abs. 2 VwVfG fallenden übrigen begünstigenden Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Die Regelung des§ 48 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 VwVfG: Vertrauensschutz in Form von Vermögensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Die allgemeine Bedeutung dieser "Vermögensschutzlösung" im Rah-

men der Systematik und Zielsetzung des§ 48 VwVfG . . . . . . . . . 171

2. Der Vermögensausgleich nach§ 48 Abs. 3 VwVfG im einzelnen . . 173 a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Umfang

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

c) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Il. Der abschließende Charakter des Vermögensschutzes im Hinblick auf einen im Rahmen des§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Betracht kommenden vertrauensbedingten Bestandsschutz 180 A . Problemstellung: Schutz des Vertrauens des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts als Richtwert der Ermessensentscheidung über die Rücknahme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 B. Lösung auf der Grundlage einer Auslegung der Norm

. . . . . . . . 182 1. Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

2. Historische Auslegung (Entstehungsgeschichte)

182

3. Systematische Auslegung

184

4. Teleologische Auslegung

185

5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

Inhaltsverzeichnis

14

C. Überprüfung des bisherigen Auslegungsergebnisses anband der Grundsätze über die verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . 186

1. Allgemeines

186

2. Ansatzpunkte für eine verfassungskonforme Auslegung im Falle des § 48 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Die (Un-)Vereinbarkeit des bisherigen Auslegungsergebnisses mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Vertrauensschutz 187 aa) Verfassungsrang und Verortung des Vertrauensschutzes 187 aaa) Übersicht über den Stand der Meinungen

188

bbb) Kritische Würdigung der wesentlichen Ableitungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (1) Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (2) Menschenwürde

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

(3) Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (4) Rechtsstaatsprinzip (Rechtssicherheit) . . . . . 191 (5) Grundrechtliche Freiheitsgewährleistungen . . . 194 205

(6) Allgemeiner Gleichheitssatz

ccc) Ergebnis und Konkurrenzverhältnis der einzelnen verfassungsrechtlichen Grundlagen . . . . . . . . . 207 bb) Die Aussagen der einschlägigen Verfassungssätze über die notwendige Qualität des Vertrauensschutzes - Bestandsschutz oder Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers? 209 aaa) Der rechtsstaatlich gebotene Vertrauensschutz

209

bbb) Der grundrechtlich gebotene Vertrauensschutz

211

(1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (2) Im besonderen: Die notwendige Qualität des Vertrauensschutzes im Regelungsbereich der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 ccc) Zusammenfassung und Ergebnis

....... . ... 216

cc) Das Problem völliger Vertrauensschutzausfälle bei der Rücknahme bestimmter "Typen" begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG . . . . . . . . . 217 aaa) Allgemeines

.... .. . . . . . . . . . . . . .. . ... 217

bbb) Einzelne Problemfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (1) Ganz oder teilweise "immaterielle" Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (2) Schutzwürdiges (Verkehrs-)Vertrauen Dritter 220 (3) "Formalverwaltungsakte"

. . . . . . . . . . . . . 221

ccc) Zusammenfassung und Ergebnis

. . ..... . . . . 222

Inhaltsverzeichnis

15

b) Die (Un-)Vereinbarkeit des bisherigen Auslegungsergebnisses mit Art. 3 Abs. 1 GG . . . . 222 227

c) Zwischenergebnis

3. Vertrauensbedingter Bestandsschutz bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVfG vor dem Hintergrund der Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 a) Die allgemeinen Grenzen der verfassungskonformen Auslegung ...... . ......... .. . . . . . . . . . . . . . . . .. 228 b) Die Überschreitung dieser Grenzen bei einer Berücksichtigung des Bestandsvertrauens im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Rücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 D. Exkurs: Verfassungskonforme Rechtsfortbildung als gleichermaßen untaugliches Mittel zur Lösung des Problems . . . . . . . . . . . . . . 234 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 III. Sonstige verbleibende und dabei u. U . zu Bestandsschutz führende Determinanten des Ermessens bei der Entscheidung über die Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 § 10 Die zeitliche Rücknahmesperre des § 48 Abs. 4 VwVfG I. Inhalt und allgemeine Bedeutung der Regelung . . . . . . .

239 239 .

II. Die wesentlichen Interpretationsprobleme - Der Streitstand in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Die Entwicklung bis zum Beschluß des Großen Senats vom 19. Dezember 1984 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Der Beschluß des Großen Senats vom 19. Dezember 1984 und seine Aufnahme im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . ... 246 III. Die Auslegung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG im einzelnen - Analyse und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Erste Problemstellung: Geltung der Ausschlußfrist nur für das nachträgliche Erkennen von Sachaufklärungsfehlern (Tatsachenirrtümern) oder auch für das nachträgliche Erkennen von Rechtsanwendungsfehlern (Rechtsirrtümern) bei von Anfang an vollständig bekanntem Sachverhalt? . . . . . . . . . . . . . . . 249 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249

aa) Der Tatsachenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . .

249

bb) Das Merkmal "Kenntnis erhalten"

..........

cc) Ergebnis .... . ......... .

250 251

b) Gesetzessystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 c) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

254

d) Sinn und Zweck

256

............. .............

Inhaltsverzeichnis

16

e) Exkurs: Analoge Anwendung der Norm?

o

o

o

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0

o

o

o

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o

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0

o

o

259

f) Ergebnis 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 260 20 Zweite Problemstellung: Der Umfang der für den Beginn des Laufs der Ausschlußfrist erforderlichen Tatsachenkenntnis 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 260

a) Wortlaut 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 261 b) Gesetzessystematik 0 0 0 0 0 0 0 0 0 . . . 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 . • 0 0 0 0 264 c) Entstehungsgeschichte 0 0 0 0 0 0 0 0 0 . 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 .. 0 0 . 0 265 d) Sinn und Zweck

0 0 0 0 0 . 0 0 0 0 0 0 0 . 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 . 0 267

e) Ergebnis 0 0 0 0 0 0 0 • 0 0 0 0 0 0 0 0 0 . . 0 0 0 0 . . 0 0 0 0 0 . . • 0 . . 273 30 Dritte Problemstellung: Die behördliche Kenntnisnahme als der den Fristbeginn auslösende Vorgang 0 0 0 0 0 • 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 . 0 0 . . 0 0 274

a) Das Merkmal "Kenntnis" 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 275 b) Das Merkmal "Behörde"

0 . 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 278

c) Zusammenschau beider Merkmale und Ergebnis 0 0 0 0 0 0 0 . 0 0 280

30 Teil

Die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte mit belastender Drittwirkung während des Vorverfahrens oder des verwaltungsgerichtUchen Verfahrens nach Maßgabe der Sonderregelung des§ 50 der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder

§ 11 Allgemeines - Inhalt, Zielsetzung und verfassungsrechtliche Bezüge der 0 000 0 0 285 Vorschrift 0 o

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§ 12 Anwendungsbereich, Normadressaten und praktische Bedeutung der Vor-

schrift 0 0 0 • 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 •••• 0 0 . 0 0 0 0 0 0 0 0 0 . 0 0 . 0 0 0 0 0 0 .• . 0 • 291 I. Das Verhältnis des§ 50 VwVfG zu den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung über das Vorverfahren 0 0 0 . 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 291

Il. Konsequenzen für den Anwendungsbereich, die Normadressaten und die praktische Bedeutung des § 50 VwVfG 0 0 0 0 0 0 . 0 0 0 0 0 0 .. 0 . 0 297 1. Anwendungsbereich .. . . 0 0 . 0 0 0 0 0 0 • 0 . • . 0 0 0 0 . 0 0 0 0 . 0 . . 297 20 Normadressat(en)

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30 Praktische Bedeutung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 . o

§ 13 Die Voraussetzungen des§ 50 VwVfG

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301 301 303

I. Anfechtung eines begünstigenden Verwaltungsakts durch einen Dritten 303 1. Zuschnitt der Norm allein auf begünstigende Verwaltungsakte mit belastender Drittwirkung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 . 0 0 0 0 0 0 . 0 0 0 0 . • . 0 0 0 303 20 Begriff des "Dritten"

304

3 0 Tatsächliche Anfechtung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 304

Inhaltsverzeichnis II. Abhilfe des Rechtsbehelfs durch Aufhebung des Verwaltungsakts 1. Begriff der "Abhilfe"

17 305

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

2. Zulässigkeit des Rechtsbehelfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 3. Begründetheit des Rechtsbehelfs

308

4. Funktion der "soweit"-Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 § 14 Die Rechtsfolge des§ 50 VwVfG

312

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312

11. Die besondere Problematik der Ermessensregelung in den Fällen des § 50 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

Literaturverzeichnis

2 Knoke

315

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABI. Abs. abw. a. E.

anderer Ansicht Amtsblatt Absatz abweichend amEnde

a. F. Allg. SteuerR Allg. VwR Alt. amti. Anh. Anm. AO AöR Art. AtG Aufl. AuslG Bad.-Württ. BauGB BauR Bay BayVBI. BBauBI. BBauG BBesG BBG Bd. Begr. BGB BGBI. BGH BHO BlmSchG BJagdG

alteFasung Allgemeines Steuerrecht Allgemeines Verwaltungsrecht Alternative amtlich(e, -es) Anhang Anmerkung Abgabenordnung 1977 Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Atomgesetz Auflage Ausländergesetz Baden-Württemberg, baden-württembergisch Baugesetzbuch Baurecht, Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht Bayern, bayerisch Bayerische Verwaltungsblätter Bundesbaublatt Bundesbaugesetz Bundesbesoldungsgesetz Bundesbeamtengesetz Band Begründung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundeshaushaltsordnung Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundesjagdgesetz

Abkürzungsverzeichnis

19

BK BNotO BRAO BRRG BRS BSG BT-Drucks. BVerfG(E) BVerwG(E) BVFG BWGZ BWVPr. bzw. dens.

Bonner Kommentar Bundesnotarordnung

ders. d. h. dies. Diss. DJT DÖD DÖV DRiZ DVBI. E ebd.

derselbe das heißt dieselbe(n) Dissertation Deutscher Juristentag Der öffentliche Dienst Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidung(en), Entwurf ebenda Einleitung Erläuterung Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg et cetera (und so weiter) Europäische Grundrechte-Zeitschrift Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (Musterentwurf 1963) für, folgende (Seite) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Festgabe folgende (Seiten) Fußnote Festschrift Gaststättengesetz Gesetzblatt

Ein!. Er!. ESVGH etc. EuGRZ EVwVerfG, EVwVfG f.

FamRZ Festg. ff. Fn.

FS GastG GBI. , Ges. BI. 2*

Bundesrechtsanwaltsordnung Beamtenrechtsrahmengesetz Baurechtssammlung Bundessozialgericht Bundestagsdrucksache(n) (Entscheidungen des) Bundesverfassungsgericht(s) (Entscheidungen des) Bundesverwaltungsgericht(s) Bundesvertriebenengesetz Zeitschrift des Gemeindetages Baden-Württemberg Baden-Württembergische Verwaltungspraxis beziehungsweise denselben

Abkürzungsverzeichnis

20

gern. GewArch GewO GG ggf. GV., GVBI., GVOBI. GWB h.M. Hrsg. HS i. E. i.e.S. insb. i.V.m. i.w.S. JA Jura JuS JZ KAG krit. KStZ lit. LS LSG LVwG MDR m. w. Beisp. m. w. Nachw. nds. NJW Nr. NuR n. v. NVwZ NW ä. OBG OVG

0.

gemäß Gewerbearchiv Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz im Ergebnis im engeren Sinne insbesondere in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kommunalabgabengesetz kritisch(e,-er) Kommunale Steuer-Zeitschrift Iitera (Buchstabe) Leitsatz Landessozialgericht Landesverwaltungsgesetz Monatsschrift für deutsches Recht mit weiteren Beispielen mit weiteren Nachweisen niedersächsisch Neue Juristische Wochenschrift Nummer Natur und Recht nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen oder ähnlich(e, -es) Ordnungsbehördengesetz Oberverwaltungsgericht

Abkürzungsverzeichnis

21

OVGE

Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Münster und Lüneburg (amtliche Sammlung)

PBefG

Personenbeförderungsgesetz

PflSchG PolG

Pflanzenschutzgesetz Polizeigesetz Preußen, preußisch

Pr. Rdn.

Randnummer

RegE

Regierungsentwurf

RGBI. Rh.-Pf.

Reichsgesetzblatt

RiA Rspr.

RechtimAmt

Rheinland-Pfalz Rechtsprechung

s.

Seite(n); Satz

S/B/L

Stelkens/Bonk/Leonhardt (Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz)

schl.-holst., sh. schleswig-holsteinisch SGBX

Schwerbehindertengesetz Sozialgesetzbuch, 10. Buch- Verwaltungsverfahren-

SGG

Sozialgerichtsgesetz

SchwbG

sog.

sogenannt(e, -er)

Sp.

Spalte

SprengG

Sprengstoffgesetz

st. StaatsR

Staatsrecht

StGB

Strafgesetzbuch

ständig(e)

StuW

Steuer und Wirtschaft

TierSG

Tierseuchengesetz

u. a.

und andere, unter anderem

Univ.

Universität

Urt.

Urteil

u.

u.

unter Umständen

V.

vom, von

VA VBlBW

Verwaltungsakt Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg

VerfGH

Verfassungsgerichtshof

VerfR

Verfassungsrecht

VerwArch

Verwaltungsarchiv

VerwR, VwR

Verwaltungsrecht

VerwRspr.

Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland

VG

Verwaltungsgericht

VGH

Verwaltungsgerichtshof

22 vgl. Vorb. VVDStRL VwGO VwProzeßR VwVerfR VwVfG(e) WaffG WiVerw z. B. ZBR ZfSH/SGB zit. ZPO z. T.

Abkürzungsverzeichnis vergleiche Vorbemerkung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsprozeßrecht Verwaltungsverfahrensrecht Verwaltungsverfahrensgesetz(e) Waffengesetz Wirtschaft und Verwaltung zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch zitiert Zivilprozeßordnung zum Teil

Einleitung Die Rücknahme von Verwaltungsakten zählt zu den zentralen Themenbereichen des allgemeinen Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts. Handelt die Verwaltung in der Form des Verwaltungsakts- diese Handlungsform hat auch in unserem heutigen "modernen" Leistungsstaat ihre Bedeutung keineswegs eingebüßt 1 - und verstößt dieses Handeln aus welchen Gründen auch immer gegen geltendes Recht, so stellt sich die Frage, ob und inwieweit die handelnde Behörde hierauf in Gestalt einer Aufhebung des Verwaltungsakts reagieren darf oder sogar muß. Der so in aller Kürze umrissene Gegenstand der Rücknahme von Verwaltungsakten liegt im Spannungsfeld verschiedener Verfassungsrechtssätze und kennzeichnet eine Problematik, die seit langem intensiv und dabei zumeist kontrovers diskutiert worden ist2. Wie noch zu zeigen sein wird, haben auch die inzwischen ca. 10 Jahre in Kraft befindlichen verwaltungsverfahrensgesetzlichen Regelungen der Rücknahme von Verwaltungsakten nicht alle Unklarheiten beseitigt; einige in ihnen enthaltene Neuerungen haben vielmehr die Aktualität des Themas eher noch erhöht. Nach Entstehung der Bundesrepublik Deutschland sahen sich Rechtsprechung und Lehre in Ermangelung über einzelne spezialgesetzlich geregelte Bereiche hinausgehender, allgemeingültiger Gesetzesbestimmungen betreffend die Rücknahme von Verwaltungsakten vor die Aufgabe gestellt, "allgemeine Rechtsgrundsätze"3 zur Bewältigung dieser Problematik zu entwickeln. Während man anfangs überwiegend vom Grundsatz der "freien" , d. h. einschränkungslos zulässigen Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ausging4 und der Verwaltung dergestalt eine flexible Reaktion ermöglichte, fand im Gefolge eines Urteils des OVG BerlinS aus dem Jahre 1957 nament1 Vgl. dazu Erichsen, DVBl. 1983, 289 (293); Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 11 I; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, S. 32 f.; abweichend etwa Achterberg, Allg. VwR, § 20 Rdn. 33. 2 Siehe etwa den von Ule/Becker, Verwaltungsverfahren, S. 54 f., im Jahre 1963 konstatierten Befund: " .. . eine der umstrittensten Fragen des Verwaltungsrechts, die von Rechtsprechung und Lehre nirgends übereinstimmend beantwortet wird" . Ähnlich Ossenbühl, DÖV 1964, 511; vgl. fernerdens. , Rücknahme, S. 1 f.; Wendt, JA 1980,85. 3 Vgl. zu diesen als Rechtsquelle des allgemeinen Verwaltungsrechts etwa Wolf!/ Bachof, VwR I, § 25 I; Ossenbühl in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 7 IX; ferner Mußgnugin FS f. Univ. Heidelberg, S. 203 (204 ff.). 4 Vgl. etwa BayVGH VerwRspr. 1952, 144 f.; OVG Münster DÖV 1956, 151; VGH Kassel DVB!. 1958, 763; Nebinger, Verwaltungsrecht, S. 216; Sommer, DÖV 1954, 685 (686) .

24

Einleitung

lieh bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes als Rücknahmesperre mehr und mehr Berücksichtigung und hatte vor diesem Hintergrund nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts6 eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Aufhebung und dem privaten Interesse des Begünstigten am (Fort-)Bestand des Verwaltungsakts zu erfolgen?. Zwischenzeitlich sind indes diese ungeschriebenen Grundsätze in bezug auf nahezu alle wesentlichen Teilbereiche des Verwaltungsrechts durch "geschriebenes Recht" abgelöst worden. Es haben nämlich gesetzliche Bestimmungen über die Rücknahme von Verwaltungsakten in die "großen" Kodifikationen des Verwaltungsverfahrensrechts, die Ende der 70er I Anfang der 80er- Jahre in Kraft getreten sind, Eingang gefunden. Angesprochen sind damit in erster Linie die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundessund der Länder9, daneben aber auch die Abgabenordnung 1977 (AO)IO sowie das Sozialgesetzbuch, 10. Buch- Verwaltungsverfahren- (SGB X)ll. Die nunmehr geltende Iex scripta hat im Vergleich zum früheren Rechtszustand insgesamt kaum zu einem Mehr an Rechtssicherheit geführtl2. Dieser Befund, der insbesondere auf die Grundkonzeption der Rücknahmeregelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder zutrifft, hat mehrere Ursachen. Zum einen hat sich der Gesetzgeber jedenfalls zum Teil von den die vorherige Praxis bestimmenden Grundsätzen in wesentlicher Hinsicht ab gewandt, was diese und die dazu ergangene Rechtsprechung s DVBI. 1957, 503 (505 f.). 6 Vgl. etwa BVerwGE 5, 312 (313); 8, 261 (269); 10, 308 (309); 19, 188 (189) ; 38, 290 (294); 40, 212 (216). 7 Dazu auch Ossenbühl, Rücknahme, S. 17 ff., 27 f. ; Mainka, Vertrauensschutz, S. 36 f., 60 ff.; Wolff/Bachof, VwR I, § 53 V d; Kimminich, JuS 1965,249 (253 ff.). s vom 25. Mai 1976 (BGBI. I S. 1253). 9 Verwaltungsverfahrensgesetz für Baden-Württemberg vom 21. 6. 1977 (Ges. BI. S. 227); Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz vom 23. 12. 1976 (GVBI. S. 544); Gesetz über das Verfahren der Berliner Verwaltung, vom 8. 12. 1976 (GVBI. S. 2735); Bremisches Verwaltungsverfahrensgesetz vom 15. 11. 1976 (Brem. GBI. S. 243); Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz vom 9. 11. 1977 (GVBI. S. 333); Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz vom 1. 12. 1976 (GVBI. S. 454); Vorläufiges Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Niedersachsen vom 3. 12. 1976 (GVBI. S. 311); Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. 12. 1976 (GV. NW S. 438); Landesgesetz über das Verwaltungsverfahren in Rheinland-Pfalz vom 23. 12. 1976 (GVBI. S. 308); Saarländisches Verwaltungsverfahrensgesetz vom 15. 12. 1976 (ABI. S. 1151); Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein - L VwG - vom 18. 4. 1967 (GVOBI. S. 131), geändert und den Bestimmungen des VwVfG des Bundes angepaßt durch Gesetz vom 18. 12. 1978 (GVOBI. 1979 S. 2) und .nunmehr geltend in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. 3. 1979 (GVOBI. S. 182). 1o vom 16. März 1977 (BGBI. I S. 163). 11 vom 18. Oktober 1980 (BGBI. I S. 1469). 12 Vgl. auch Kopp, GewArch 1986, 252.

Einleitung

25

allenfalls noch beschränkt als Auslegungshilfe tragfähig erscheinen läßt. Dies gilt insbesondere für den nunmehr im VwVfGB nach Verwaltungsaktstypen differenziert ausgestalteten Bestandsschutz bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte. Zum anderen ist eine Reihe von Problemfeldern und Einzelfragen-etwa im Zusammenhang mit der Rücknahme von Verwaltungsakten mit Doppelwirkung - ungeregelt geblieben. Schließlich sind, wie das Beispiel der Fristenregelung des § 48 Abs. 4 VwVfG zeigt, neue und schwierige Auslegungsprobleme hinzugekommen. Die vorliegende Untersuchung hat sich vorrangig zum Ziel gesetzt, ausgehend von den vorhandenen gesetzlichen Regelungen die Strukturen der Rücknahmebefugnis und -entscheidung einschließlich ihrer dogmatischen Grundlagen, ihrer Berührungspunkte mit übergreifenden Rechtsinstituten, wie z. B. der Wirksamkeit und Bestandskraft des Verwaltungsakts, sowie ihrer Einbindungen in das Verwaltungsverfahren zu analysieren und in Problembereichen zugleich daraufhin zu überprüfen, ob der Gesetzgeber den sich aus dem Verfassungsrecht ergebenden Rahmen seiner Regelungs- und Gestaltungsfreiheit hinreichend beachtet oder überschritten hat. Darüber hinaus sollen anknüpfend an die gesetzliche Systematik einzelne Problemfelder, Auslegungs- und Zweifelsfragen behandelt und unter Berücksichtigung des jeweiligen Streitstandes in Rechtsprechung und Schrifttum kritisch gewürdigt werden. Ein gewisser Schwerpunkt der Arbeit wird abgesehen von der Fristenregelung des § 48 Abs. 4 VwVfG bei der Untersuchung der Rücknahme (sonstiger) begünstigender Verwaltungsakte im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG liegen. In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit sowie den Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung. Hauptuntersuchungsgegenstand sind die Rücknahmeregelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder unter Einschluß der Sonderbestimmung des§ 50 VwVfG. Auf die entsprechenden Bestimmungen in der Abgabenordnung und im 10. Buch des Sozialgesetzbuches wird aus Gründen der Umfangbegrenzung außer in einem kurzen vergleichenden Überblick (§ 6) nur insoweit eingegangen, als es angezeigt erscheint, um gemeinsame Grundlagen bzw. wesentliche Parallelen oder Unterschiede deutlich zu machen.

13 Sofern im folgenden nicht besonders gekennzeichnet, bezieht sich diese Abkürzung sowohl auf das Bundesgesetz als auch auf die Landesverwaltungsverfahrensgesetze.

1. Teil

Grundlagen § 1 Der Begriff der Rücknahme im System der Außtebung von Verwaltungsakten durch die Verwaltung I. Das Begriffspaar Rücknahme/Widerruf

Die Verwaltungsverfahrensgesetze unterscheiden ebenso wie die meisten neueren Spezialgesetzel und auch Rechtsprechung2 und Lehre3 begrifflich zwischen der Rücknahme und dem Widerruf von Verwaltungsakten als den beiden Unterfällen der Aufhebung von Verwaltungsakten durch die Verwaltung. Dadurch ist eine begrüßenswerte Verfestigung der bis in die sechziger Jahre hinein noch weitgehend uneinheitlichen und vielfach verwirrenden Terminologie4 in diesem Bereich eingetreten. Kriterium für die Differenzierung zwischen Rücknahme und Widerruf ist die Frage, ob ein rechtswidriger - dann Rücknahme - oder rechtmäßiger - dann Widerruf - Verwaltungsakt aufgehoben wird. Unter dem Begriff der Rücknahme ist daher die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts durch die Verwaltung zu verstehen , und zwar gleichgültig, ob die Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit oder nur für die Zukunft erfolgt. II. Abgrenzungsfragen

Ist danach die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts das entscheidende Abgrenzungskriterium der Rücknahme zum Parallelrechtsinstitut des Widerrufs, so sind indessen mit dieser Aussage allein noch nicht alle Abgrenzungsfragen geklärt. Ein Verwaltungsakt, insbesondere ein solcher mit Dauerwirkung, kann nämlich ursprünglich mit der Rechtsordnung in Einklang gestanden haben, dann jedoch infolge einer Änderung der Sach- oder Rechtslage mit t Vgl. etwa§§ 33d Abs. 4, 5 GewO; 15 GastG; 47 WaffG; 34 SprengG; 17 Abs. 2-5 AtG; 17d Abs. 5 TierSG; 16 Abs. 2 PflSchG. 2 Vgl. etwa BVerwGE 45, 235 (241); 48, 87 (91); 56, 230 (232 f.). 3 Vgl. etwa Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 16; Wolff/Bachof, VwR I,§ 53; Maurer, JuS 1976, 485 (492); Frotscher, DVBI. 1976, 281; Göldner, DÖV 1979, 805. Grundlegend bereits Haueisen, NJW 1954, 1425; ferner Kimminich, JuS 1965,249 f. ; Ossenbühl, Rücknahme, S. 3. 4 Vgl. dazu nur Ossenbühl, Rücknahme, S. 2 f. ; Storz, S. 3 f., jeweils m. w . Nachw.

§ 1 Der Begriff der Rücknahme von VAen

27

ihr in Widerspruch geraten sein, so daß er zunächst rechtmäßig war und erst nachträglich rechtswidrig geworden ist. Es stellt sich deshalb die Frage, auf welchen Zeitpunkt bei der Abgrenzung von Rücknahme und Widerruf für die Bestimmung der Rechtswidrig- bzw. Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts abzustellen ist. In Betracht kommt zum einen der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts und zum anderen der Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung. Heute wird in Rechtsprechung und Lehre nahezu einhellig auf den Erlaßzeitpunkt abgestellt5. Diese Sicht kann auch allein den gesetzlichen Regelungen der §§ 49 Abs. 2 Nr. 2 u. 3 VwVfG, 131 Abs. 2 Nr. 3 AO gerecht werden, welche die Aufhebung eines Verwaltungsakts aufgrundeiner geänderten Sach- oder Rechtslage dem Widerruf zuordnen6. Der demgegenüber vorgebrachte Einwand, § 49 Abs. 2 Nr. 3 u. 4 VwVfG beziehe sich nur auf die Fälle, in denen die Behörde lediglich berechtigt, nicht aber zugleich verpflichtet sei, den Verwaltungsaktnicht zu erlassen7 , findet schon in dem insoweit offenen Wortlaut keine hinreichende Stütze. Erst recht gibt die Entstehungsgeschichte der Norms für eine derartige Auslegung nichts her. Doch auch im übrigen vermag die vereinzelt vertretene Auffassung, auch der infolge einer Änderung der Sach- oder Rechtslage erst nach seinem Erlaß "rechtswidrig gewordene" Verwaltungsaktmüsse den Regelungen über die Rücknahme von Verwaltungsakten unterfallen9, nicht zu überzeugen. Sinn und Zweck der Anwendung der Rücknahmeregelungen auf diese Fälle soll es sein, auch hier der Verwaltung eine Aufhebungsmöglichkeit für die Vergangenheit zu eröffnento, wenn diese 5 So etwa BVerwGE 31, 222 (223); 45, 235 (243); 59, 148 (160); OVG Rh.-Pf. DVBI. 1983, 955; OVG NW DÖD 1982, 114 (115 f.); Erichsen/Martens, Allg. VwR, §§ 16 u. 17 II 2; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 124; Wolff/ Bachof, VwR I, §51 IV f; Maurer, Allg. VwR, § 10 Rdn. 3; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 12; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 24; Klappstein in Knack, VwVfG, vor § 43 Rdn. 5.2.4; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 44 Rdn. 5 a; Förster in Koch, AO, § 130 Rdn. 10; Wiesner in Schroeder-Printzen, SGB X, § 44 Anm. 4; Pieroth, NVwZ 1984, 681 (683); Pickel, NVwZ 1987, 454 (455) . Ebenso die amtl. Begründung zum Entwurf des VwVfG 1973, BT-Drucks. 7/910, S. 68. 6 Dagegen spricht das SGB X in § 48 für diese Fälle schlicht von "Aufhebung" und verzichtet damit auf eine Zuordnung. 7 Vgl. K. Lange, WiVerw 1979, 15 (16 f.); dens., Jura 1980, 456 (459). 8 Vgl. dazu Musterentwurf eines VwVfG 1963, S. 177 f. ; Entwurf eines VwVfG 1973, BT-Drucks. 7/910 S. 73. 9 So etwa K. Lange, WiVerw 1979, 15 (16 f.); ders., Jura 1980, 456 (459 f.); ferner im Ergebnis VG Frankfurt NVwZ 1983, 55 (56) und wohl auch BVerwG NVwZ 1983, 157 (158); anders aber in einem ähnlichen Fall BVerwG ZBR 1983, 62 ff. Diese heute nur noch vereinzelt und dabei zum Teil unter Beschränkung auf Verwaltungsakte mit Dauerwirkung- so z. B. OVG NW, Urt. v. 26. 8. 1987-6 A 1910/84 (n. v.)- vertretene Auffassung war in früherer Zeit noch weiter verbreitet: vgl. etwa Forsthoff, VwR, S. 264; Haueisen, NJW 1956, 201 (202). Dagegen etwa Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 12. Jo Nach den Vorschriften der VwVfGe, der AO und weitgehend auch des SGB X ist ein Widerruf nämlich nur noch für die Zukunft möglich. Anders noch BVerwGE 36,71

28

I. Teil: Grundlagen

erst einige Zeit nach dem Wegfall der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Verwaltungsakts hiervon Kenntnis erhält11 • Die Schaffung solcher erweiterter Aufhebungsmöglichkeiten für die Verwaltung ist aber zumindest im Regelfall nicht geboten. Denn diese kann nicht auf eine solche Weise einfach von der Verpflichtung befreit werden, ständig den Wandel der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zu verfolgen, soweit dies in ihren Möglichkeiten steht1 2 . Lediglich in den Fällen einer Änderung von tatsächlichen Verhältnissen, die dem Bereich des betroffenen Bürgers zuzuordnen sind, dürfte dies der Verwaltung gewisse Schwierigkeiten bereiten. Auch dies kann es aber nicht rechtfertigen, die Fälle des nach seinem Erlaß rechtswidrig gewordenen Verwaltungsakts entgegen der augenscheinlichen Absicht des Gesetzgebers den Regelungen über die Rücknahme zu unterstellen, nur um eine in manchen Fällen möglicherweise wünschenswerte Aufhebungsmöglichkeit auch für die Vergangenheit zu erhalten. Hier ist vielmehr der Gesetzgeber zu einer Neuregelung aufgerufen, der auch bereits reagiert und mit der Vorschrift des § 44 BHO sowie entsprechenden Regelungen in den meisten Haushaltsgesetzen der Länder die Problematik für einen wesentlichen Teilbereich entschärft hat, wenn auch diese Regelungen ihrerseits nicht unproblematisch sind13. Als maßgebend für die Bestimmung der Rechtswidrigkeit ist deshalb mit der h. M.1 4 allein der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes zu erachten. Darüber hinaus erscheint es aber erforderlich, den Begriff des "Erlasses" eines Verwaltungsakts genauer zu definieren. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, daß ein Verwaltungsakt bereits mit dem Austreten der Willensäußerung aus dem Bereich der Behörde erlassen istts. Überwiegend wird der Erlaß aber erst mit seiner Bekanntgabe und damit seinem Wirksamwerden i.S.v. rechtlicher Existenz angenomment6. Dem ist jedenfalls, was den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts i. S. der Rücknahmevorschriften betrifft, zuzustimmen. Denn erst mit der Bekanntgabe ist der Erlaßvorgang, nämlich der Weg von der verwaltungsinternen Entscheidungstindung zur Maßnahme mit Außenrechtswirkung, zum gegenüber dem Bürger verbindlichen Rechtsfolgenausspruch abgeschlossen. Erst von diesem Zeitpunkt an ist der Verwaltungsakt - auch im (75 f.); Wolff/Bachof, VwR I, §53 IV g 2. Vgl. auch noch BVerwG ZER 1983, 62 (63 f.) . 11 Vgl. K. Lange, Jura 1980, 456 (459 f.). 12 Vgl. auch Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 17 II 2. 13 Vgl. dazu näher Weides, NJW 1981, 841 ff.; Dommach, DÖV 1981 , 122 ff.; Grawert, DVBI. 1981, 1029 ff.; Stober, DÖV 1984, 265 ff.; Götz, NVwZ 1984, 480 ff.; Weides, JuS 1985, 364 ff. 14 Vgl. die oben in Fn. 5 Genannten. 15 So etwa Laubinger, VA mit Doppelwirkung, S. 93 Fn. 14; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 53 I; differenzierend Krause, Rechtsformen, S. 77 f. 16 Vgl. etwa OVG Rh.-Pf. DVBI. 1983, 955; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 35 Rdn. 51 und§ 43 Rdn. 8; Kopp, VwVfG, § 41 Rdn. 6; Wolff/Bachof, VwR I,§ 50 I a.

§ 1 Der Begriff der Rücknahme von VAen

29

Hinblick auf die Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG - überhaupt rücknehmbar und ist damit seine Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit von rechtlicher Bedeutung für das Verhältnis Verwaltung I Bürger.

§ 2 Die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als

Grundvoraussetzung des Instituts der Rücknahme Nach der zuvor vorgenommenen Begriffsklärung setzt die Rücknahme stets das Vorliegen eines rechtswidrigen Verwaltungsakts voraus. Der Begriff des Verwaltungsakts ist auf der Grundlage der zuvor in Rechtsprechung und Rechtslehre herausgearbeiteten Strukturen nunmehr in §§ 35 VwVfG, 118 AO, 31 SGB X gesetzlich definiert. Eine Erörterung der vielgestaltigen, mit dem Verwaltungsaktsbegriff zusammenhängenden Fragen würde den Rahmen der vorliegenden, ihrem Schwerpunkt nach auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rücknahme ausgerichteten Untersuchung sprengen. Auf sie muß daher verzichtet werden. Demgegenüber ist die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als Grundvoraussetzung jeder Rücknahme und ihrer Abgrenzung vom Widerruf von wesentlicher Bedeutung gerade für den Teilbereich der Lehre von der Rücknahme von Verwaltungsakten. Aus diesem Grunde bedarf der Begriff der Rechtswidrigkeit in diesem Zusammenhang einer näheren Erörterung. I. Allgemeines Ein Verwaltungsakt ist dann als rechtswidrig anzusehen, wenn er den von der Rechtsordnung gestellten Anforderungen nicht entspricht!. Die u. a. vom Bundesverwaltungsgericht in einer früheren Entscheidung2 verwendete Formulierung, rechtswidrig sei der Verwaltungsakt, der durch unrichtige Anwendung bestehender Rechtssätze zustande gekommen sei, zielt in dieselbe Richtung, betont allerdings sehr den Bereich der Rechtsanwendung als offenbar einzige Fehlerquelle. Dies hängt damit zusammen, daß das Gericht- nicht zu Unrecht- auch die Anwendung des Rechts auf einen unzutreffend festgestellten Sachverhalt in einem weiteren Sinne als Rechtsanwendungsfehler begreift3. U nbeschadet dessen wird aber wohl aus Gründen einer weiterge1 Vgl. nur Wolff/Bachof, VwR I,§ 51 I a; Wallerath, Allg. VwR, § 7 V ; Ule!Laubinger, VwVerfR, § 48 II 5; Paulick, Allg. SteuerR, S. 337; Ossenbühl, Rücknahme, S. 6; Kimminich, JuS 1965, 249 (251) ; BVerwG NJW 1977, 1411. Zum Begriff der Rechtswidrigkeit im öffentlichen Recht allgemein Hili, Das fehlerhafte Verfahren, S. 393 ff. Zu dem - hier von der Rechtswidrigkeit nicht unterschiedenen - Begriff der "Fehlerhaftigkeit" von Verwaltungsakten vgl. etwa Erichsen, Grundlagen, S. 178 ff. 2 BVerwGE 13, 28 (31) ; ebenso Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 15 II 1; kritisch etwa Pieroth, NVwZ 1984, 681 (684). 3 Vgl. auch BVerwG NJW 1985, 819 (820).

§ 2 Die Rechtswidrigkeit des VA

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benden Systematisierung verbreitet danach differenziert, ob die Fehlerquelle im Tatsachenbereich oder unmittelbar auf rechtlichem Gebiet liegt4. Letzteres soll dann der Fall sein, wenn bestehende Rechtssätze - seien es geschriebene oder ungeschriebene - unrichtig ausgelegt, angewandt oder sie schlicht mißachtet worden sind. Ein Verwaltungsakt kann rechtswidrig sein, weil er gegen den Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes oder gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes verstößt. Ersteres ist bei jedem Nichtbeachten von und bei jedem Verstoß gegen höherrangige Rechtsnormen der Fall. Hierunter fällt unter anderem auch- und hier zeigt sich eine Verbindungslinie zwischen Fehlern bei der Rechtsanwendung (i.e.S.) und solchen im Tatsachenbereich- die Konstellation, daß die Voraussetzungen eines Rechtssatzes nicht erfüllt sind, weil die Behörde von einem in Wahrheit nicht vorliegenden Sachverhalt ausgegangen ist. Entbehrt ein Verwaltungsakt der erforderlichen5 gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (sog. gesetzloser VA), so ist der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes verletzt6. Nicht nur ein Verstoß gegen sog. zwingende, die Entscheidung der Verwaltung bindend vorgebende Rechtsnormen, sondern auch die Verletzung von Ermessensnormen - etwa im Wege der Überschreitung des Ermessens oder sonstiger fehlerhafter Ausübung - führt zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts7. Die in früherer Zeit für das Recht der Rücknahme mitunter vertretene Einschränkung des Rechtswidrigkeitsbegriffs auf die Verletzung von "gebietenden" bzw. "zwingenden" Rechtssätzens wurde schon seinerzeit zum Teil heftig kritisiert9, entspricht aber jedenfalls nicht mehr dem Stand heutiger Verwaltungsrechtsdogmatik. Keine Rolle für die Beurteilung eines Verwaltungsakts als rechtswidrig spielt weiter der Grad des Verstoßes gegen die RechtsordnunglO. Dieser hat vielmehr nur Bedeutung für die Folge der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, die entweder - so in den Fällen der

4 Vgl. BVerwGE 31,222 (223); Ule/Laubinger, VwVerfR, § 48 II 5; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 23; J. Martens, NVwZ 1983, 130 ff.; ferner die Begr. zum Entwurf eines

VwVfG 1973, BT-Drucks. 7/910 S. 68. s Zum Stand der Diskussion um den Gesetzesvorbehalt vgl. etwa Böckenförde, Gesetz u. gesetzgebende Gewalt, S. 375 ff.; Stern, Staatsrecht II, § 37 I 4 b; Ossenbühl in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 5 II; Kloepfer, JZ 1984,685 ff.; Eberle, DÖV 1984, 485 ff. 6 Vgl. dazu auch Erichsen, Jura 1981, 534 (536); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 44 Rdn. 5 rn. w. Nachw. 7 Vgl. BVerwG JZ 1964, 597; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 27; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 8; Kimminich, JuS 1965, 249 (252). 8 Vgl. etwa BVerwGE 6, 1 (5) ; BVerwG DVBl. 1958, 652 (654) ; ähnlich OVG Harnburg VerwRspr. Bd. 3 (1951), 579 (586 f.). 9 Vgl. Storz, S. 19 f.; Ossenbühl, Rücknahme, S. 15 ff. to BVerwGE 13, 28 (31); vgl. auch Redekerlv. Oertzen, VwGO, § 42 Rdn. 98.

I. Teil: Grundlagen

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§§ 44 VwVfG, 125 AO und 40 SGB X- in seiner Nichtigkeit oder- und das ist derRegelfall-in seiner bloßen Aufhebbarkeit bestehen kannll.

Näherer Untersuchung bedarf schließlich noch die Frage, ob ein Wandel der Rechtsanschauungen für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts von Bedeutung sein kann. Vom BVerwG12 ist mit weitgehender Zustimmung im SchrifttumB ein Verwaltungsakt auch dann für rechtswidrig erachtet worden, wenn sich die bei seinem Erlaß vorgenommene Auslegung von Rechtssätzen nach späterer "geläuterter" Rechtsanschauung als unrichtig erweist. Die amtliche Begründung zum Regierungsentwurf des VwVfG des Bundesl4 geht davon aus, daß diese Auffassung auch im Rahmen des Verwaltungsverfahrensgesetzes für den Rechtswidrigkeitsbegriff weiterhin Geltung besitzen sollls. Es erscheint indes fraglich, ob das BVerwG- anders als etwa ein Teil der Literaturl6 - mit seiner Formel von der "geläuterten" Rechtsauffassung tatsächlich zum Ausdruck bringen wollte, daß auch eine gewandelte Rechtsanschauung die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als Voraussetzung seiner Rücknahme begründen kann . Würde man soweit gehen, so stünde dies im Widerspruch zu der weitgehend, auch vom BVerwG17, anerkannten und den Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze zugrunde liegenden Prämisse, daß nur der Verwaltungsakt zurückgenommen werden kann, welcher bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig ist. Die "geläuterte Rechtsauffassung" i. S. der Rspr. des BVerwG kann deshalb nur schwerlich mit einem Wandel der Rechtsanschauung schlechthin gleichgesetzt werdenl8. Richtigerweise umfaßt sie nur die Aufdeckung von Irrtümern, logischen Fehlschlüssen und sonstigen Fehlern bei der Auslegung der maßgeblichen Rechtsnormen, nicht hingegen einen Änderungsprozeß der Rechtsauffassungen, der etwa mit einer Änderung sozialer oder ethischer Wertvorstellungen einhergehtl9. Es fragt sich dann allerdings, ob man überhaupt notwendig auf die genannte "geläuterte Rechtsauffassung" abstellen muß oder ob man nicht auf diese leicht zu Mißverständnissen Anlaß gebende Begriffsbildung ganz verzichten kann. Unbeschadet etwaiger rechtlich anerkannter Prognoseentscheidungen ist maßgebend für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts die objektive Rechtslage, sind es also nicht irgendwelche subjektiven Rechtsanschauungen Dazu auch Kimminich, JuS 1965, 249 (251). BVerwGE 13, 28 (31); anders noch BVerwGE 6, 1 (5) . 13 Vgl. etwa Ossenbühl, Rücknahme, S. 8 f .; Storz, S. 21; Lechner, S. 25; Mainka, Vertrauensschutz, S. 60; Kimminich, JuS 1965, 249 (252 f .) . 14 BT-Drucks. 7/910 S. 68. 15 Vgl. auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 44 Rdn. 5 e; für die Abgabenordnung entsprechend Förster in Koch, AO, § 130 Rdn. 11. 16 Vgl. Storz, S. 21 ; Mainka, Vertrauensschutz, S. 60; Haueisen, NJW 1962, 335. 17 Vgl. die Nachw. oben in§ 1 Fn. 5; dazu auch Becker, DÖV 1967, 729 (733). 18 So auch schon Ossenbühl, Rücknahme, S. 8 f . 19 Vgl. Ossenbühl, Rücknahme, S. 9. 11

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§ 2 Die Rechtswidrigkeit des VA

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der Behörde2ü. Hat diese beim Erlaß eines Verwaltungsakts allgemein geltende Auslegungsgrundsätze verletzt oder hat sie den Sachverhalt nicht zutreffend gewürdigt, so hat sie bereits in diesem Zeitpunkt eine Rechtsverletzung begangen und der Verwaltungsakt ist damit rechtswidrig erlassen worden. Ob sich die Behörde später des Fehlers bewußt wird und so zu einer "geläuterten" Rechtsanschauung gelangt, ist für die Qualifizierung des Verwaltungsakts als rechtswidrig ohne Belang. Bei einem nachträglichen Wandel der Rechtsanschauung ist der Verwaltungsakt dagegen rechtmäßig, d. h. im Einklang mit der zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtsordnung erlassen wordenzt. So ist etwa in den Fällen, in denen sich zu einer bestimmten Rechtsfrage nach Erlaß des Verwaltungsakts die Behördenpraxis oder auch die Rechtsprechung ändert, eine Rücknahme ausgeschlossen22. Es wäre auch paradox, wenn in solchen Fällen in Anbetracht der im Interesse einer Verhinderung der Ausuferung der Aufhebungsmöglichkeiten restriktiv interpretierten Widerrufsgründe der §§ 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG und 48 Abs. 1 S. 1 SGB X zwar kein Widerruf, wohl aber eine Rücknahme zulässig wäre. Anders als ein Wandel der Rechtsanschauungen kann dagegen eine Änderung von Rechtsvorschriften den Verwaltungsakt nachträglich rechtswidrig und damit rücknehmbar machen, allerdings nur dann, wenn ihr zulässigerweise23 rückwirkende Kraft beigelegt ist24. II. Rechtswidrigkeit und bloße Unrichtigkeit Eine Sonderstellung im Rahmen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nimmt seine bloße Unrichtigkeit ein25. Letztere macht unter bestimmten Voraussetzungen keine Rücknahme des Verwaltungsakts erforderlich; dieser Vgl. BSG NJW 1959, 1607; Haueisen, NJW 1958, 642 (643). So weitgehend auch schon Ossenbühl, Rücknahme, S. 9; vgl. ferner J. Martens, NVwZ 1983, 130 (135). 22 Auch ein Widerruf kommt hier im übrigen nicht in Betracht, da keine "Änderung einer Rechtsvorschrift" bzw. "wesentliche Veränderung der rechtlichen Verhältnisse" i. S. §§ 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, 48 Abs. 1 S. 1 SGB X- die AO enthält einen entsprechenden Widerrufsgrund nicht - vorliegt. Vgl. dazu Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 17 Il2 d; Wolff!Bachof, VwR I, §53 IV d 5; Kopp, VwVfG, § 49 Rdn. 42; Klappstein in Knack, VwVfG, § 49 Rdn. 6.4; aber auch - zumindest für den Geltungsbereich des SGB X differenzierend- BSG DÖV 1986, 293 ff. 23 Es sind hierbei die verfassungsrechtlichen Grenzen der Rückwirkung von Rechtsnormen zu beachten. Vgl. dazu etwa BVerfGE 32, 392 (401, 402 f.); 51, 356 (362 f.), jeweils m. w. Nachw.; Stern, Staatsrecht I, § 20 IV 4 f. 24 Vgl. die amtl. Begr. zum Regierungsentwurf des VwVfG, BT-Drucks. 7/910, S. 68; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 24; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 44 Rdn. 5 a; Förster in Koch, AO, § 130 Rdn. 12. Für Bebauungsplan vgl. Schmaltz, DVBI. 1981, 328 (329). 25 Dazu etwa BVerwGE 40, 212 (216 f.); BVerwG DÖV 1970, 747; Wolff/Bachof, VwR I,§ 51 VII; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 15 II 1 und Badura, ebd ., § 41 V 2; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 59; ferner bereits Storz, S. 9 f.; Bode, S. 39 f. 2o

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3 Knoke

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I. Teil: Grundlagen

kann vielmehr nach § 42 VwVfG - entsprechende Regelungen finden sich in § 129 AO und § 38 SGB X- berichtigt werden. Bei der Berichtigung handelt es sich um einen Akt der Klarstellung, welcher das von der Behörde tatsächlich Gewollte, welches in dem betreffenden Verwaltungsakt nur unvollkommen seinen Ausdruck gefunden hat, verdeutlichen soll26. Eine Unrichtigkeit des Verwaltungsakt ist namentlich bei den in § 42 VwVfG ausdrücklich genannten Schreib- und Rechenfehlern anzunehmen27, daneben aber etwa bei einem im Rechenzentrum entstandenen Fehler eines computergefertigten Bescheideszs. Kennzeichnend für die Unrichtigkeit ist ein Widerspruch zwischen dem, was die Behörde in dem Verwaltungsakt (objektiv) zum Ausdruck gebracht hat und dem, was sie tatsächlich (subjektiv) erklären wollte29. Es handelt sich mithin um Fälle des Auseinanderfallens von Wille und Erklärung. Keine bloße Unrichtigkeit liegt demgegenüber vor, wenn es sich um einen Rechtsirrtum der Behörde oder um eine unrichtige Tatsachenbewertung handelt30. Gleiches gilt für sämtliche Irrtümer der Behörde, die bereits bei der Willensbildung aufgetreten sind31. Die Unrichtigkeit eines Verwaltungsaktes in dem zuvor dargelegten Sinne unterliegt gemäß § 42 VwVfG und seinen Parallelnormen allerdings nur dann dem Institut der Berichtigung und nicht den Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten durch die Verwaltung, wenn noch hinzukommt, daß die Unrichtigkeit "offenbar" ist. Hierfür ist Voraussetzung, daß die Unrichtigkeit für Adressaten und Betroffene aus dem Verwaltungsakt oder ihnen sonst bekannten Umständen ohne weiteres erkennbar ist32, daß sie sozusagen "ins Auge springt"33 .

Vgl. Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 42 Rdn. 1. Zu Fällen aus der Praxis, die insbesondere im Bereich des Steuer- und Abgabenrechts häufiger auftreten, vgl. J. Martens, NVwZ 1983, 130 (137) m. w. Nachw. aus der Rechtsprechung der Finanzgerichte. 28 So BVerwG NJW 1976, 532; OVG Bremen DÖV 1974, 353 f.; vgl. aber auch BVerwGE 40, 212 (216 f.). 29 Vgl. BVerwGE 40, 212 (216); Bode, S. 40; Badura in E richsen/Martens, Allg. VwR, § 41 V 2; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 42 Rdn. 5; Kopp, VwVfG, § 42 Rdn. 4. 30 Vgl. BVerwG DÖV 1970, 747; OVG Bremen DÖV 1974, 353 (354); J. Martens, NVwZ 1983, 130 (137). 31 Vgl. Kopp, VwVfG, § 42 Rdn. 4; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 42 Rdn. 6; Paulick, Allg. SteuerR, S. 346; Pickel, SGB X, § 38 Anm. 2. 32 Vgl. Kopp, VwVfG, § 42 Rdn. 5; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 59 I; Pickel, SGB X, § 38 Anm. 2 a. 33 So BVerwGE 40, 212 (216). 26

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§ 2 Die Rechtswidrigkeit des VA

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111. "Materielle" und "formelle" Rechtswidrigkeit

Entgegen einigen in der Vergangenheit unternommenen Einengungsversuchen auf materielle Fehler34 ist es für die Frage der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts i. S. der gesetzlichen Rücknahmeregelungen nach heutigem Stand der Erkenntnis ohne Belang, ob ein Fehler das materielle oder das formelle Recht betrifft35. So geht etwa das kodifizierte Verwaltungsverfahrensrecht, wie §§59 Abs. 2 Nr. 2 u~d 3 VwVfG, 58 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB X und auch§§ 44 Abs. 2 und 3 VwVfG, 125 Abs. 2 und 3 AO, 40 Abs. 2 und 3 SGB X zeigen, davon aus, daß ein Verstoß gegen Form- und Verfahrensvorschriften einen Verwaltungsakt rechtswidrig macht36. Infolgedessen können grundsätzlich auch Fehler im Verfahren zur Rücknahme eines Verwaltungsaktes führen 37. Allerdings hat der Gesetzgeber die Bedeutung und Folgen bestimmter Verfahrens- und sonstiger formeller Fehler durch Sonderregelungen des Verwaltungsverfahrensrechts nachhaltig relativiert. Im folgenden soll untersucht werden, inwieweit sich die betreffenden Regelungen auf die Rücknehmbarkeit von Verwaltungsakten auswirken. 1. § 45 VwVfG

Gemäß § 45 VwVfG - entsprechende Regelungen finden sich in § 126 AO und § 41 SGB X- sind bestimmte katalogisierte Verfahrensfehler unbeachtlich, wenn die Verfahrenshandlung später nachgeholt wird , was grundsätzlich noch bis zum Abschluß des Vorverfahrens möglich ist. Auf die Bedenklichkeit dieser Regelung im Hinblick darauf, daß durch die zulässige Nachholung der entscheidungssteuernde Effekt von Verfahrenserfordernissen, wie etwa der Anhörung und der Begründung, in aller Regel nicht mehr erreicht werden kann38, soll hier nicht näher eingegangen werden. Legt man die Regelung als .

34 Vgl. BVerwG DVBl. 1958, 652 (654); BVerwGE 29, 282 (283 f.); wohl auch noch BVerwGE 56, 230 (233). Dazu auch Ossenbühl, Rücknahme, S. 15 f. 35 Vgl. Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 41 III; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 44 Rdn. 5 f; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 23; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 46 Rdn. 8; Förster in Koch, AO, § 130 Rdn. 13; Laubinger, VerwArch Bd. 72 (1981), 333 (334 f.); Krebs, DVBl. 1984, 109 (110 f.) ; Schenke, DÖV 1986, 305 (307 f.) ; Hufen, DVBl. 1988, 69 (70); Hili, Das fehlerhafte Verfahren, S. 398; Cloosters, Rechtsschutz Dritter, S. 82; Bartels, Die Anhörung Beteiligter, S. 120. Ebenso die amtl. Begr. zum VwVfG, BT-Drucks. 7/910 S. 68 und bereits Menger, VerwArch Bd. 56 (1965), 177 (191). Überblick über die verschiedenen Fehlerquellen bei Wolff/Bachof, VwR I, § 51 I b. 36 Dazu näher Laubinger, VerwArch Bd. 72 (1981), 333 (335 f.). 37 Ebenso vor dem Inkrafttreten der VwVfGe schon Helmke, S. 121 f., 128; anders aber etwa .flecker/Luhmann, Verwaltungsfehler, S. 92 f. 38 Vgl. Erichsen, DVBl. 1983, 289 (291). Zur Problematik des § 45 VwVfG im übrigen Hufen, NJW 1982, 2160 (2165 f.); ders. , Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 398 ff.; Hili, Das fehlerhafte Verfahren, S. 97 ff., 429 ff.; Cloosters, Rechtsschutz Dritter, S. 84 ff.

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1. Teil: Grundlagen

geltendes Recht zugrunde, so verliert der Verwaltungsakt durch die Heilung39 des Verfahrensfehlers, welche mit der Nachholung eintritt, seine Rechtswidrigkeit. Er darf also danach nicht mehr zurückgenommen werden4o. 2. § 46 VwVfG

Diese Vorschrift- weitgehend vergleichbare Bestimmungen finden sich in

§ 127 AO und in § 42 SGB X - erklärt bestimmte formelle Fehler, nämlich

Verstöße gegen Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit, für unbeachtlich, sofern sie sich nicht zugleich auf die Entscheidung in der Sache auswirken. § 46 VwVfG bestimmt nämlich, daß wegen der genannten Fehler die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht verlangt werden kann, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Dabei stellt sich die in der Literatur kontrovers diskutierte Frage, ob unter den genannten Voraussetzungen eine Rücknahme des Verwaltungsakts durch die Behörde ausgeschlossen ist, dieser also die Rücknahmebefugnis fehlt. Während der wohl überwiegende Teil des Schrifttums41 die Rücknahmebefugnis als durch § 46 VwVfG eingeschränkt ansieht, hält eine beachtliche Gegenc.uffassung42 - dies gilt insbesondere auch für den Bereich der Abgabenordnung43 - an der Rücknehmbarkeit fest und bezieht die Geltung des § 46 VwVfG und seiner Parallelnormen allein auf den materiellrechtlichen und prozessualen44 Aufhebungsanspruch des Betroffenen. Welche dieser Auf39 Zum Begriff der Heilung, den das Gesetz hier nicht ausdrücklich verwendet, vgl. etwa Klappstein in Knack, VwVfG, § 45 Rdn. 2 ff.; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 45 Rdn. 12 ff.; Eibert, S. 133 ff.; Bartels, Die Anhörung Beteiligter, S. 123 ff.; Messerschmidt, NVwZ 1985, 877 ff. 40 Vgl. Kopp, VwVfG, § 48 Rdn . 28; Meyer, NVwZ 1986, 513 (518); ferner die amtl. Begr. zum VwVfG, BT-Drucks. 7/910 S. 68. 4! So etwa Kopp, VwVfG, § 46 Rdn. 8 u . 11 sowie § 48 Rdn. 28; Ule/Laubinger, VwVerfR, §58 II 2 und§ 61 III 1; Bettermann in FS f. lpsen S. 271 (277) ; W. Martens, Jura 1979, 83 (89); ders. in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 I; Göldner, DÖV 1979, 805 (809, 811); Skouris, NJW 1980, 1721 (1722 ff.); Schenke, DÖV 1983, 320 (324 f.); ders., DÖV 1986, 305 (311); ferner- zumindest im Ergebnis- Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 419; ders., DVBI. 1988, 69 (77); wohl im Ergebnis offengelassen von Rupp in FS f. Bachof, S. 151 f. Vgl. auch BVerwGE 56, 230 (233 f.) m. w. Nachw. aus der Rechtsprechung. Zur fehlenden Aufhebungsbefugnis der Widerspruchsbehörde vgl. OVG Münster DÖV 1979, 648 f. 42 Vgl. Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 46 Rdn. 3 a; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 46 Rdn. 12; dens., NVwZ 1986, 513 (521) ; Klappstein in Knack, VwVfG, § 46 Rdn. 5.3; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 18; Weides, Verwaltungsverfahren, S. 308; Eibert, S. 75 ff.; Hili, Das fehlerhafte Verfahren, S. 106; Messerschmidt, NVwZ 1985, 877 (880); v. Mutius in FS f. Menger, S. 575 (600). 43 Vgl. etwa Tipke/Kruse, AO, § 127 Rdn. 6; Förster in Koch, AO, § 127 Rdn. 6 und § 130 Rdn. 13; Rößler, NJW 1981 , 436 (437); ebenso wohl auch Laubinger, VerwArch Bd. 72 (1981), 333 (349). 44 G anz überwiegend wird davon ausgegangen, daß § 46 VwVfG auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren Bedeutung hat.

§ 2 Die Rechtswidrigkeit des VA

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fassungen Zustimmung verdient, kann erst anhand einer Auslegung der maßgeblichen Vorschriften nach den herkömmlichen Auslegungsmethoden45 entschieden werden. a) Grammatische Auslegung (Wortlaut)

Der Gesetzeswortlaut spricht, wenn auch seine Aussagekraft hier nur begrenzt ist, gegen einen Ausschluß der Rücknahmebefugnis der Behörde bei Verfahrensfehlern, die die Voraussetzungen des § 46 VwVfG erfüllen46. Die gesetzlichen Rücknahmeregelungen, wie insbesondere § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, haben allein die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes zur Voraussetzung. Die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes wird aber durch § 46 VwVfG, welcher eine Regelung über die Fehlerfolgen trifft und nicht eine Heilung der Fehlerhaftigkeit selbst zum Inhalt hat, nicht beseitigt47. § 46 VwVfG schließt darüber hinaus dem Wortlaut nach nur den Anspruch, d. h. das subjektive Recht, des Betroffenen auf Aufhebung des Verwaltungsaktes aus; eine ausdrückliche Aussage über die Aufhebungsbefugnis der Behörde läßt sich ihm hingegen nicht entnehmen. b) Historische Auslegung (Entstehungsgeschichte)

In die gleiche Richtung wie die Wortlautinterpretation deutet auch die Entstehungsgeschichte der einschlägigen Vorschriften. Der dem heutigen § 48 VwVfG des Bundes entsprechende § 37 des Musterentwurfs 1963 sah noch vor, daß ein rechtswidriger Verwaltungsakt zurückgenommen werden kann, "außer wenn er nach § 3648 nicht aufgehoben werden darf". Diese Formulierung wurde auch noch in § 37 des ersten Regierungsentwurfs aus dem Jahre 197049, der wegen der vorzeitigen Auflösung des 6. Deutschen Bundestags nicht verabschiedet werden konnte, übernommen. In dem darauffolgenden Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetztes aus dem Jahre 197350 wurde dann allerdings auf den zuvor angeführten Zusatz aus § 37 Abs. 1 Satz 1 des Musterentwurfs 1963 verzichtet. Aus der Begründung zu dem § 46 VwVfG vorausgegangenen § 42 des Regierungsentwurfs 197351 ergibt sich, daß die Behörde nicht gehindert werden sollte, einen an FormDazu Larenz, Methodenlehre, S. 305 ff. Vgl. etwa Hili, Das fehlerhafte Verfahren, S. 106m. w. Nachw.; anders- allerdings ohne nähere Begründung- wohl Skouris, NJW 1980, 1721 (1722). 47 Ebenso Ossenbühl, DÖV 1964, 511 (515) zum seinerzeitigen Musterentwurf; ferner Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG , § 46 Rdn. 2 u. 8. 48 Diese Vorschrift des Musterentwurfs ging§ 46 VwVfG voraus. 49 BT-Drucks. Vl/1173. 50 BT-Drucks. 7/910. 51 ebd. S. 66. 45

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I. Teil: Grundlagen

oder Verfahrensfehlern leidenden, aber sachlich richtigen Verwaltungsakt im Einzelfall aus Gründen der Zweckmäßigkeit aufzuhebensz. Von daher spricht die Entstehungsgeschichte der §§ 46 und 48 VwVfG recht deutlich gegen einen Ausschluß der Rücknahmebefugnis in den hier zur Diskussion stehenden Fällen. c) Systematische Auslegung

Die gesetzessystematische Auslegung führt zumindest nicht eindeutig zu einem hiervon abweichenden Ergebnis. Zunächst vermag die von Teilen der Literatur vertretene Auffassung, es sei widersprüchlich und systemwidrig, wenn über die Rücknahmevorschriften der Behörde etwas gegeben werde, was§ 46 VwVfG dem Bürger verweigere53, und es werde bei einer derartigen Interpretation der "Grundsatz der Waffengleichheit" verletzt54, nicht zu überzeugen. Sie verkennt nämlich, daß für eine Handlungsbefugnis der Verwaltung auch dann Raum sein kann, wenn es an einem entsprechenden Anspruch des Bürgers fehlt. Dem entspricht die in der Verwaltungsrechtsdogmatik seit langem anerkannte Trennung zwischen dem objektiven und dem subjektiven Recht55 . Unter Berücksichtigung der Widerrufsregelung des § 49 Abs. 1 VwVfG, welche die Aufhebung eines rechtmäßig erlassenen Verwaltungsaktes ausschließt, wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müßte, ließe sich eine gewisse Systemwidrigkeit der Annahme einer Aufhebungsbefugnis der Behörde in den von § 46 VwVfG erfaßten Fällen allenfalls darauf stützen, daß die Behörde nach der Rücknahme notwendig zum Neuerlaß eines Verwaltungsakts mit dem gleichen Inhalt verpflichtet wäre. Diese Hypothese- sie wird unter anderem von Bettermann56, Skouris57 und wohl auch Sehenkess vertreten- bedarf allerdings einer näheren Überprüfung. Sie setzt voraus, daß in den Fällen des § 46 VwVfG tatsächlich immer nur eine Entscheidung in der Sache ergehen kann. Nach dem Wortlaut des § 46 VwVfG mit seiner Klausel "wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können" scheint dies zunächst keine Frage zu sein. Nimmt man indessen die Entstehungsgeschichte der Vorschrift hinzu, so spricht einiges dafür, daß durch die genannte Vgl. dazu auch Skouris, NJW 1980, 1721 f. So etwa Skouris, NJW 1980, 1721 (1722). 54 Kopp, VwVfG, § 46 Rdn. 8; Göldner, DÖV 1979, 805 (809 Fn. 36). 55 Vgl. dazu Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, 1914; Bachofin Gedächtnisschrift f. W. Jellinek, S. 287 ff.; Wolff!Bachof, VwR I, § 43 I ; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 10 II 5 m. w. Nachw. 56 In FS f. Ipsen S. 271 (277). 57 NJW 1980, 1721 (1722). 58 DÖV 1983, 320 (325). 52 53

§ 2 Die Rechtswidrigkeit des VA

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Klausel lediglich Ermessensentscheidungen vom Anwendungsbereich des § 46 VwVfG ausgeschlossen werden sollten, wohingegen der Gesetzgeber von der Geltung der Vorschrift für gebundene Verwaltungsakte wohl ohne weiteres ausgegangen ist59. Dieser Ausgangspunkt zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 46 VwVfG wird ungeachtet einiger aufgekommener kritischer Stimmen6o auch in Rechtsprechung61 und Schrifttum62 weitgehend zugrunde gelegt. Zum Teil wird allerdings auch bei Ermessensentscheidungen die Anwendbarkeit des § 46 VwVfG dann bejaht, wenn ein Fall der sog. Ermessensreduzierung auf Null vorliegt63. Hierbei ist zu bedenken, daß die Determinanten, die zu der Ermessensreduzierung führen, selten so konkret vorgegeben sind, als daß sich nicht das Ergebnis der Ermessensreduzierung erst durch eine konkretisierende Wertung und Subsumtion seitens des Rechtsanwenders, hier der Verwaltung, ergäbe. Die These von einer einzigen möglichen richtigen Sachentscheidung ist deshalb zunächst bezogen auf diese Fälle in Zweifel zu ziehen. Nicht wesentlich anders verhält es sich aber auch bei den sog. gebundenen Entscheidungen. Zwar werden solche "gebundenen" Verwaltungsakte, die in Anwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe mit Beurteilungsspielraum ergehen, gemeinhin vom Geltungsbereich des § 46 VwVfG ausgenommen64. Gerichtlich nicht voll überprüfbare Beurteilungsspielräume werden von der Rechtsprechung aber nur in wenigen eng begrenzten Fällen anerkannt65. Bei den verbleibenden "gebundenen" Verwaltungsakten, die vielfach in Anwendung unbestimmter Gesetzes- oder Rechtsbegriffe (ohne Beurteilungsspielraum) ergehen, ist es nicht ausgeschlossen, daß mehrere ver59 Vgl. dazu die arntl. Begr., BT-Drucks. 7/910 S. 66; ferner die Begründung zu§ 36 des Entwurfs 1970, BT-Drucks. VI/1173 S. 53. 60 So etwa Pietzcker, VVDStRL Bd. 41 (1983), 193 (223 f.); Krebs, DVBI. 1984, 109 (112); Held, Grundrechtsbezug, S. 246 f.; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 417 f.; ders., DVBI. 1988,69 (75 ff.). 61 Vgl. nur BVerwG DÖV 1981, 178 (179); OVG Münster NJW 1981, 936; VG Harnburg ZBR 1983, 17 f.; OVG Rh.-Pf. DVBI. 1985, 1076 (1077). 62 Vgl. etwa Ossenbühl, NJW 1981, 375 (376) ; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 46 Rdn. 7; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 46 Rdn. 25 ff.; Maurer, Allg. VwR, § 10 Rdn. 41. 63 So etwa BVerwGE 62, 108 (116); BVerwG NVwZ 1988, 525 (526); OVG Rheinland-Pfalz DVBI. 1979, 606 und DVBI. 1985, 1076 (1077) ; Kopp, VwVfG, § 46 Rdn. 25; Ule/Laubinger, VwVerfR, §58 li 1; Rettermann in FS f. lpsen S. 271 (277 f.); Ossenbühl, NJW 1981, 375 (376). Dazu auch Laubinger, VerwArch Bd. 72 (1981), 333 (346) rn. w. Nachw . A. A . aber etwa Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 46 Rdn. 27; differenzierend Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 413 f. 64 Vgl. etwa BVerwG DVBJ. 1982, 1145 (1146); Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 46 Rdn. 28; Kopp, VwVfG, § 46 Rdn. 24; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 46 Rdn. 7; Ule/Laubinger, VwVerfR, §58 II 1; wohl auch VG Arnsberg NJW 1981, 1572 (1573); ferner Bettermann in FS f. lpsen S. 271 (276), der von "Ermessen auf der Tatbestandsseite" spricht. 65 Vgl. etwa BVerwGE 39, 197; 59, 213; 60, 245; BVerwG DÖV 1980, 360; Erichsen, DVBJ. 1985, 22 (23 ff.); ferner dazu Maurer, Allg. VwR, § 7 Rdn. 20 ff.; kritisch Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 12 II 1 b.

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I. Teil: Grundlagen

tretbare Auslegungsmöglichkeiten der betreffenden Norm bestehen und daß es damit nicht nur eine einzige, sondern eine ganze Bandbreite rechtmäßiger Entscheidungen gibt, die jeweils in ihrer subjektiven Bedingtheit zu sehen sind66. Die vom Gesetz bereits abschließend determinierte Verwaltungsentscheidung ist demgegenüber eine Idealvorstellung, die in Anbetracht der vom Gesetz in unterschiedlichem Umfang eröffneten Konkretisierungsspielräume jedenfalls nicht den Regelbefund darstellt. Würde man deshalb in strikter Anlehnung an den Wortlaut des§ 46 VwVfG den Anwendungsbereich dieser Norm auf die wenigen Fälle vom Gesetz abschließend determinierter Verwaltungsakte beschränken, so wäre die Vorschrift zu weitgehender Bedeutungslosigkeit verurteilt67, ein Befund, der kaum der gesetzgeberischen Zielvorstellung der Verstärkung der Verfahrensökonomie und -effizienz68 entsprechen dürfte. Hält man in Anbetracht dessen an der Unterscheidung zwischen gebundenen Entscheidungen und Ermessensakten als Anknüpfungspunkt für die Möglichkeit einer anderen Sachentscheidung in § 46 VwVfG fest69, so ergibt sich als Ergebnis, daß die Behörde einen unter § 46 VwVfG fallenden Verwaltungsakt nach seiner Rücknahme nicht stets mit dem gleichen Inhalt wieder neu erlassen müßte. Geht man demgegenüber mit einem Teil der Literatur7o davon aus, daß § 46 VwVfG nicht auf das Maß der Rechtsgebundenheit des "Erst-Entscheiders" abstellt, sondern grundsätzlich dann anwendbar ist, wenn der "Zweit-Entscheider", der vor der Entscheidung steht, den Verwaltungsakt aufzuheben, eine umfassende Kontrollbefugnis in bezug auf die Überprüfung der Ergebnisrichtigkeit hat, so ändert sich hierdurch an dem vorgenannten Ergebnis nichts. Die Kontrolle kann hier nämlich dazu führen , daß eine rechtlich zulässige Entscheidungsalternative bestanden hat. Nach Entkräftung der Hypothese, die Behörde müsse in den Fällen des § 46 VwVfG nach einer Rücknahme notwendig einen Verwaltungsakt mit dem gleichen Inhalt neu erlassen11, lassen sich für eine Systemwidrigkeit der Annahme einer 66 Vgl. Ossenbühl, DÖV 1964, 511 (516 f . ) ; Kopp, VerwArch Bd. 61 (1970) , 219 (236, 243); Degenhart, DVBI. 1981, 201 (207 f.); Schenke, VBIBW 1982, 314 (315 f.); dens., DÖV 1983, 320 (325); dens., DÖV 1986, 305 (316); Hufen, NJW 1982, 2160 (2167); dens. , DVBI. 1988, 69 (76 f.); dens., Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 414 f.; Ortloff, NJW 1983, 961 (964); Pietzcker, VVDStRL Bd. 41 (1983), 193 (223 f.); Erichsen, ebd. S. 278 (279) ; Grimm, NVwZ 1985, 865 (871 f .); Rupp in FS f. Bachof, S. 151 (164); Cloosters, S. 92 ff. 67 So auch Krebs, DVBI. 1984, 109 (112). 68 Siehe unten unter III 2 d. 69 So etwa BVerwG DÖV 1981, 178 (179) und DVBI. 1982, 1145 (1146) ; flexibler etwa Schenke, DÖV 1983, 320 (325); ders., DÖV 1986, 305 (316 f.); Kopp, VwVfG, § 46 Rdn. 20; wohl auch OVG Münster DÖV 1983, 986 (987). Zum Meinungsstand vgl. ferner Hili, Das fehlerhafte Verfahren, S. 110 ff. 70 Bettermann, VVDStRL Bd. 41 (1983), 254 (256 f.) ; Krebs, DVBI. 1984, 109 (112 f.). 71 In Fällen einer echten Alternativenlosigkeit läßt sich der Überlegung, daß der betreffende Verwaltungsakt sogleich wieder erlassen werden müßte, im übrigen im Rahmen des Rücknahmeermessens nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG hinreichend Rech-

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Rücknahmebefugnis der Behörde bei den betreffenden, einen Aufhebungsanspruch ausschließenden Verfahrensfehlern keine überzeugenden Gründe mehr anführen. d) Teleologische Auslegung

Eine Auslegung des§ 46 VwVfG unter teleologischen Gesichtspunkten fordert ebenfalls nicht zwingend eine Einbeziehung der Rücknahmebefugnis der Behörde in die Rechtsfolgen der genannten Norm. Diese dient- ähnlich wie im Prozeßrecht die Regelungen der§§ 563 ZPO und 144 Abs. 4 VwGO- der Prozeß- und Verfahrensökonomie sowie der Verfahrens- und Verwaltungseffizienz; ihr Sinn und Zweck ist nämlich, in den Fällen einer fehlenden materiellen Beschwer einerseits die Gerichte zu entlasten und andererseits auch eine unnötige und unwirtschaftliche Wiederholung des Verwaltungsverfahrens zu vermeiden72. Dieses Ziel würde möglicherweise im Falle der Erstreckung des Regelungsgehalts des§ 46 VwVfG auf die Frage der Aufhebungsbefugnis der Behörde in noch verstärktem Maße erreicht; es würde aber auch im umgekehrten Falle der Nichterstreckung nicht grundlegend verfehlt13. Dies gilt jedenfalls für den Gesichtspunkt der Entlastung der Gerichte, für den die Aufhebungsmöglichkeit der Verwaltung - zumindest unmittelbar - keine Rolle spielt. Was das erneute Durchlaufen des Verwaltungsverfahrens betrifft, wird man berücksichtigen müssen, daß die Behörde das ihr im Rahmen der Rücknahmebefugnis in der Regel eingeräumte Ermessen74 schon in ihrem eigenen Interesse möglichst Verfahrensökonom ausüben und unnötige Mehrbelastungen von sich aus vermeiden wird. Darüber hinaus erscheint eine Wiederholung des Verwaltungsverfahrens auch nicht in jedem Falle unnötig. Es sei hier nur auf die oben75 bereits angeführte Konstellation hingewiesen, in der bei gebundenen Verwaltungsakten eine Bandbreite möglicher Entscheidungen besteht und deshalb ein Einfluß des Verfahrensverstoßes auf die Sachentscheidung nicht ausgeschlossen werden kann. nung tragen; vgl. auch Hili, Das fehlerhafte Verfahren, S. 106m. w. Nachw.; Hufen, DVBI. 1988, 69 (77). n Vgl. die amtl. Begr. BT-Drucks. 7/910 S. 66; ferner BVerwG DÖV 1981, 178 (179); BVerwG DVBI. 1982, 1145 (1146); Maurer, JuS 1976, 485 (492); Skouris, NJW 1980, 1721 (1722) ; Degenhart, DVBI. 1982, 872 (883 f.) ; Ossenbühl, NVwZ 1982, 465 (471); Krebs, DVBI. 1984, 109 (114) . 73 A. A. wohl Schenke, DÖV 1983, 320 (325) . 74 Dieses besteht auf der Grundlage der hier vertretenen Auslegung auch im Falle von Verfahrensverstößen i. S. des§ 46 VwVfG. Vgl. auch Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 46 Rdn. 3a; Götz, NJW 1976, 1425 (1429). A. A. aber etwa Kopp, VwVfG, § 46 Rdn. 11 u . 12. Auf die weitere Streitfrage, ob auch dem Verwaltungsgericht im gerichtlichen Verfahren ein Aufhebungsermessen zustehen kann, kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an. 75 § 2 III 2 c.

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1. Teil: Grundlagen

e) verfassungskonforme Auslegung

Eine extensive, auf die größtmögliche Verwirklichung der Zielsetzung des

§ 46 VwVfG gerichtete teleologische Auslegung würde zudem ihre Schranke

an dem Kriterium der verfassungskonformen Auslegung76 finden. Danach ist einer Norm, die mehrere Deutungen zuläßt, diejenige Auslegung zu geben, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht77. Eine extensive, die Rücknahmebefugnis der Behörde in den Regelungsbereich des § 46 VwVfG einbeziehende Auslegung erscheint im Hinblick auf die Verwirklichung der Verfassungsgebote der Rechtsstaatlichkeit und eines effektiven Grundrechtsschutzes bedenklich78.

Verfahrensvorschriften sind nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck einer gerechten Entscheidung. Wenngleich sie insofern dem materiellen Recht "dienen"79, kommt ihnen auf der anderen Seite bereits selbst eine gewissevorgeschaltete- Rechtsschutzfunktion zu80; insbesondere bei nur unvollkommener Vorprogrammierung der materiell-rechtlichen Seite durch den Gesetzgeber bestimmt nämlich das Verfahren den Inhalt der Entscheidung mit. Darüber hinaus dient das Verfahrensrecht, wie in der Rechtsprechung des BundesverfassungsgerichtsBl unter weitgehend zustimmender Aufnahme im SchrifttumB2 hinreichend betont worden ist, auch der Verwirklichung und Effektuierung der Grundrechtsgewährleistungen. Diese Bedeutung der Verfahrensvorschriften läßt sich auch nicht auf den Bereich beschränken, der von der in § 46 VwVfG ausgesprochenen Unbe76 Dazu etwa Larenz, Methodenlehre, S. 326; Stern, Staatsrecht I, § 4 III 8 d, jeweils m. w. Nachw. 77 Vgl. etwa BVerfGE 19, 1 (5); 30, 129 (148); 32, 373 (382 f. ); 49, 148 (157) . 78 Zur Frage der verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit de~ § 46 VwVfG vgl. im übrigen Schenke, VBIBW 1982, 313 (325 f.); dens., DÖV 1983, 320 (325) ; aber auch dens., DÖV 1986,305 (312 ff.); ferner Blümel, in: Frühzeitige Bürgerbeteiligung, S. 23 (65 ff.); Rupp in FS f. Bachof, S. 151 (159 ff.) ; Steinberg, DOV 1982, 619 (628 f.); Sellner, BauR 1980, 391 (396); Kopp, VwVfG, § 46 Rdn. 6; ferner schon Haueisen, DÖV 1973, 653 (657) zu§ 42 RegEVwVfG. 79 Vgl. die amtl. Begr., BT-Drucks. 7/910 S. 65; Ossenbühl in FS f. Eichenberger, S. 183 (193) ; dens., NVwZ 1982, 465 (471). 80 Vgl. Menger/Erichsen, VerwArch Bd. 61 (1970) , 173; Kopp, DVBI. 1980, 320 (328); Ossenbühl, NVwZ 1982, 465 (466) ; Degenhart, DVBI. 1982, 872 (874 ff.) ; Krebs, DVBI. 1984, 109 (115); ausführlich dazu Held, Grundrechtsbezug, S. 41 ff. 81 Vgl. etwa BVerfGE 52, 380 (389 f.); 53, 30 (65 f.); 56, 216 (236). 82 Vgl. etwa Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, passim ; dens. , DÖV 1982, 631 (633 ff.); Blümel, in: Frühzeitige Bürgerbeteiligung, S. 23 ff.; Ossenbühl in FS f. Eichenberger, S. 183 ff. Redeker, NJW 1980, 1593 ff. ; Bethge, NJW 1982, 1 ff.; v. Mutius, NJW 1982, 2150 ff. ; Hufen, NJW 1982, 2160 ff.; dens., Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 37 ff.; Laubinger, VerwArch Bd. 73 (1982), 60 ff.; Grimm, NVwZ 1985, 865 ff. ; Hili, Das fehlerhafte Verfahren, S. 233 ff., 381 ff.; Held, Grundrechtsbezug, S. 64 ff. u. 130 ff. Grundlegend hierzu bereits Häberle, VVDStRL Bd. 30 (1972) , 43 ff.

§ 2 Die Rechtswidrigkeit des VA

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denklichkeitserklärung für Verfahrensfehler ausgenommen ist. Eine Vorverlegung des Rechtsschutzes sowie eine Effektuierung des Grundrechtsschutzes werden nämlich auch gerade durch solche Verfahrensregelungen bewirkt, deren Verletzung, wie es beispielsweise bei Anhörungs- und BeteiligungsrechtenB3 des Adressaten oder Drittbetroffenen der Fall ist, den Verwaltungsakt nicht notwendig nach § 44 VwVfG nichtig macht. Ferner ist es nicht von entscheidender Bedeutung, ob die Nichtbeachtung einer Verfahrensvorschrift im Einzelfall Einfluß auf das Ergebnis der Sachentscheidung gehabt hat84 . Dabei würde nämlich der Eigenwert der Verfahrensregelungen, vor allem ihre bei den immer komplexer und formalisierter werdenden polygonalen Verwaltungsverfahren - hingewiesen sei hier etwa auf die Bereiche des Atomrechts und des Immissionsschutzrechts - in den Vordergrund rückende Funktion des Ausgleichs kollidierender materieller Rechte der Betroffenenss, zu wenig berücksichtigt. Diese eigenständige Funktion des Verwaltungsverfahrens läßt sich auch durch ein späteres gerichtliches Verfahren nicht bzw. allenfalls begrenzt kompensieren86. Durch die weitgehende Sanktionslosigkeit der dem § 46 VwVfG unterfallenden Verfahrensfehler wird die dargestellte Bedeutung der Verfahrensvorschriften mitsamt ihrem grundrechtliehen Gehalt in nicht unerheblichem Maße in Frage gestellt87. Darüber hinaus ist auch die Sicherheit und Berechenbarkeit der Anwendung bestehenden Rechts nicht mehr hinreichend gewährleistet, denn die Behörden werden durch die fehlende Sanktion von Verstößen, wenn nicht ermuntert, so doch jedenfalls nicht genügend davor abgeschreckt, den Verfahrensvorschriften nicht mehr die gebotene Beachtung zu schenkenBB. Dies alles spricht im Ergebnis dafür, § 46 VwVfG möglichst 83 Vgl. auch VG Arnsberg DVBl. 1981, 648 (649). Im Unterschied zu § 46 VwVfG ist in der Parallelvorschrift des § 42 SGB X der Mangel der Anhörung von der Regelung der Fehlerfolgen ausdrücklich ausgenommen worden. 84 A. A. zumindest für das atomrechtliche Verfahren aber wohl Ossenbühl, NJW 1981, 375 (377 f.). 85 Dazu etwa BVerfGE 53, 30 (57 ff.); Degenhart, DVBl. 1981, 201; Steinberg, DÖV 1982, 619 (628 f.); allgemein zu Funktion und Bedeutung von Verwaltungsverfahren Hili, Das fehlerhafte Verfahren, S. 193 ff. 86 Vgl. Krebs, DVBI. 1984, 109 (113 f.); zweifelnd auch Erichsen, VVDStRL Bd. 41 (1983), 278 (279). 87 Mitunter wird deshalb eine verfassungskonforme Auslegung des § 46 VwVfG dergestalt vertreten, daß dessen Regelung ihrem gesamten Inhalt nach auf grundrechtsrelevante Verfahrensvorschriften keine Anwendung finden soll. So etwa VG Arnsberg DVBI. 1981, 648 (649) ; Blümel, in: Frühzeitige Bürgerbeteiligung, S. 23 (65 ff.); wohl auch Sellner, DVBI. 1980, 813 (These 1a); ders., BauR 1980, 391 (396); einschränkend Krebs, DVBl. 1984, 109 (115 f.); Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 418; dagegen Ossenbühl, NJW 1981, 375 (377 f.); ders., NVwZ 1982, 465 (471) ; Laubinger, VerwArch Bd. 73 (1982) , 60 (78) ; Cloosters, Rechtsschutz Dritter, S. 105 f.; differenzierend Grimm, NVwZ 1985, 865 (870 f.) . 88 Vgl. etwa Blümel, in: Frühzeitige Bürgerbeteiligung, S. 23 (71); Erichsen, VVDStRL Bd. 41 (1983), 278 (279): "contraedukatorischer Effekt" ; Krebs, DVBI.

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I . Teil: Grundlagen

restriktiv auszulegen und zu handhaben89, um die zwangsläufig damit verbundene Relativierung des Wertes und der Bedeutung der Verfahrensregelungen und -garantien nicht noch zu vervollkommnen. Die ohnehin schon Wortlaut und Entstehungsgeschichte weitgehend außer acht lassende extensive Interpretation des§ 46 VwVfG dahin, daß er auch eine Rücknahme durch die Verwaltungsbehörde ausschlösse, ist deshalb jedenfalls unter dem Gesichtspunkt einer verfassungskonformen Auslegung abzulehnen. f) Ergebnis

Nach den vorstehenden Überlegungen kann§ 46 VwVfG nicht in der Weise ausgelegt werden, daß er auch die Befugnis der Behörde zur Rücknahme eines allein an Form- oder Verfahrensfehlern leidenden Verwaltungsaktes ausschließt. Die Rücknahmebefugnis richtet sich demzufolge allein nach den einschlägigen Rücknahmeregelungen, wie insbesondere § 48 VwVfG, wobei "formelle" und "materielle" Fehler gleichermaßen die Rücknahmevoraussetzung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erfüllen. IV. Außenrechtswidrigkeit und Innenrechtswidrigkeit

1. Das Außenrecht als alleiniger Maßstab des Rechtswidrigkeilsbegriffs i. S. der Rücknahmevorschriften Im Zusammenhang mit der Erörterung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als Voraussetzung seiner Rücknahme stellt sich die weitere Frage, ob diese Rechtswidrigkeit allein am Maßstab des "Außenrechts" zu messen ist, d. h. derjenigen Rechtssätze, die- vereinfacht ausgedrückt- das Verhältnis der Verwaltung zum Bürger zum Inhalt haben9o. Nachdem die Impermeabilitätslehre91 überwunden und auch der Innenbereich der Verwaltung, d . h. der dort vorhandenen öffentlich-rechtlichen Organisationseinheiten, als recht1984, 109 (114); Ossenbühl, NJW 1981, 375 (378); zurückhaltender allerdings ders., NVwZ 1982, 465 (471). Zur Kritik des§ 46 VwVfG ferner Helmke, S. 108 ff. ; Eibert, S. 158 ff.; Weyreuther, DVBI. 1972,93 (95) ; Haueisen, DÖV 1973,653 (656 f.) ; Degenhart, DVBI. 1981, 201 f. 89 So auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 46 Rdn. 4; Klappstein in Knack, VwVfG, § 46 Rdn. 2; Schenke, VBIBW 1982, 313 (326); ders., DÖV 1983, 320 (325). 90 Zur Unterscheidung von Außenrecht und Innenrecht grundlegend Rupp, Grundfragen, S. 19 ff., insb. S. 34, 44 ff.; ferner Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 160 ff.; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 378 ff.; Erichsen in FS f. Menger, S. 211 (214 ff.); Schwabe, JA 1975, 45 ff.; Stern, Staatsrecht II, § 38 II 5; Maurer, Allg. VwR, § 21 Rdn. 26 ff. 91 Diese in der konstitutionellen Ära (Laband, Jellinek) aufgekommene Lehre verneinte die Rechtsqualität von Regelungen im Innenbereich des Staates. Dazu etwa fesch, Gesetz und Verwaltung, S. 15 ff. ; Rupp, Grundfragen, S. 19 ff. ; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 234 f., 246 ff.

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lieh geordnet erkannt ist92 , gewinnen neben den Außenrechtssätzen auch solche Rechtssätze an Bedeutung, die den Funktionsablauf zwischen den Organen, Organwaltern und Amtswaltern betreffen und die als sog. "Innenrecht" zwar im Verhältnis zum Bürger keine Verbindlichkeit entfalten, die jedoch von der Verwaltung u. a. beim Erlaß von Verwaltungsakten infolge interner Bindung beachtet werden müssen93. Der Wortlaut der Rücknahmevorschriften, der- wie etwa in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG- nur vom "rechtswidrigen" Verwaltungsakt spricht, gibt noch keinen hinreichenden Aufschluß darüber, ob auch ein Verstoß gegen Innenrechtssätze für das Verdikt der Rechtswidrigkeit ausreicht. Zu berücksichtigen ist indes, daß der Verwaltungsakt, auf den der Begriff der Rechtswidrigkeit im vorliegenden Zusammenhang bezogen ist, zu den Handlungsformen der Verwaltung gehört, die interpersonal94 wirken, d. h. den Rechtskreis einer anderen natürlichen oder juristischen Person erweiternd, verringernd oder feststellend gestalten9s. Ist demzufolge der Verwaltungsakt selbst eine Handlungsform des Außenrechts96, so spricht vieles dafür, daß sich auch seine Fehlerhaftigkeit allein nach dem rechtlichen Regime des Außenrechts beurteilt. Dies entspricht auch der in Rechtsprechung97 und Schrifttum98 allgemein vertretenen Auffassung, wonach für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als Voraussetzung seiner Rücknahme ausschließlich Außenrechtssätze maßgeblich sein sollen. Die bloße "Innenrechtswidrigkeit", die etwa bei einem Verstoß der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde gegen Richtlinien oder Weisungen ihrer Aufsichtsbehörde gegeben ist, kann demnach nicht zur Rücknahme des Verwaltungsaktes führen. 2. Konsequenzen für die Rücknehmbarkeit von Verwaltungsakten wegen Verstoßes gegen Verwaltungsvorschriften

Auf der Grundlage der zuvor dargelegten alleinigen Maßgeblichkeit des Außenrechts können allerdings dann Probleme auftauchen, wenn der Erlaß eines Verwaltungsakts gegen Verwaltungsvorschriften verstößt. Verwaltungs92 Vgl. etwa Schnapp, AöR Bd. 105 (1980), 243 (250 ff.); dens., Jura 1980, 68 ff.; Rottmann, ZBR 1983, 77 (81 ff.). 93 Vgl. Wolff!Bachof, VwR I, § 24 II d 2. 94 Zur Terminologie vgl. Wolff!Bachof, VwR I, § 24 II d; Erichsen, VerwArch Bd. 67 (1976), 93 (102); Maurer, Allg. VwR, § 3 Rdn. 5 und§ 24 Rdn. 12. 95 Vgl. Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 11 II 5; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 39. 96 Wolff!Bachof, VwR I,§ 45 II c 2. 97 Vgl. etwa OVG Münster DÖV 1981, 109 (110) ; VGH Baden-Württemberg BWVPr. 1982, 230 (232) u. ZBR 1984, 19; OVG Lüneburg NVwZ 1985, 499. 98 Vgl. Erichsen, VerwArch Bd. 69 (1978), 303 (308) ; dens., Jura 1981, 534 (536) ; Dommach, DÖV 1981, 122 (124); Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 23; Hili, Das fehlerhafte Verfahren, S. 394; ebenso wohl auch Klappstein in Knack, VwVfG, vor § 43 Rdn. 5.1.3; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 18.

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1. Teil: Grundlagen

vorschritten können nämlich nicht nur das Verhalten von Behörden oder Amtswaltern betreffen, sondern können darüber hinaus auch auf die StaatBürger-Beziehung ausstrahlen. Letzteres ist beispielsweise bei Subventionsrichtlinien, welche bestimmte, nicht dem Gesetzesvorbehalt99 unterfallende Modalitäten der Leistungsvergabe festlegen, aber auch bei zahlreichen sonstigen Ermessensrichtlinien der Fantoo. Wird beim Erlaß eines Verwaltungsaktes gegen Verwaltungsvorschriften dieser Art verstoßen, hängt die Möglichkeit einer Rücknahme des Verwaltungsakts zunächst davon ab, ob man den Typus der Verwaltungsvorschriften ausnahmslos dem Bereich des Innenrechts zuordnet oder ob man ihm in bestimmten Fällen nicht nur eine faktische, sondern auch eine rechtliche Außenwirkung zuerkennt. Von der Rechtsprechungtot und der traditionellen, wohl immer noch überwiegenden Auffassung im SchrifttumiOZ werden Verwaltungsvorschriften in ihrer Gesamtheit nicht als Außenrechtsnormen begriffen. Sie werden vielmehr ausschließlich in ihrer Funktion als nur die Verwaltung und ihre Untergliederungen bindende Regelungen zur Festlegung von Innenrechtsbeziehungen des Staates gesehen. Mitunter werden hiervon gewisse Ausnahmen zugelassen. Stellen Verwaltungsvorschriften lediglich "Übergangsrecht" bis zum Erlaß von gesetzlichen Regelungen dar, die infolge der Geltung des Vorbehalts des Gesetzes erforderlich sind, so wird ihnen insoweit auch eine Verbindlichkeit im Außenrechtsverhältnis zum Bürger zugestandento3. Eine im Schrifttum im Vordringen befindliche Auffassungi04 geht hierüber noch hin99 Zur Geltung und Reichweite des Gesetzesvorbehalts im Subventionsrecht vgl. etwa Jarass, NVwZ 1984, 473 ff. ; Bauer, DÖV 1983, 53 ff.; Bleckmann, Subventionsrecht, S. 43 ff. 100 Vgl. zu dieser "faktischen" Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften etwa Menger, in: Demokratie und Verwaltung, 25 Jahre Hochschule Speyer; S. 299; Schenke, GewArch 1977,313 (319) ; Haverkate, AöR Bd. 107 (1982), 539 (542); Ossenbühl in Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 7 IV 4; Maurer, Allg. VwR, § 24 Rdn. 20; Stern, Staatsrecht II, § 38 I 5 b, c. 1o1 Vgl. BVerwGE 51, 359 (376); 55,250 (255); BVerwG NJW 1981,535 (536); OVG Münster DVBI. 1976, 790 (794); DVBI. 1979, 316 (317); DÖV 1981, 109 (110); NJW 1981, 936; DÖV 1985, 204 (205); DÖV 1987, 289 (290 f.); VGH Baden-Württemberg BWVPr. 1982, 230 (232); OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 499. Vgl. aber- für das Recht der Technik eine eher gegenläufige Tendenz einleitend- auch BVerwGE 72, 300 (320 f.) sowie dazu Gusy, DVBI. 1987,497 ff. 102 Vgl. etwa Wolff/Bachof, VwR I, § 24 II d 2; Wallerath, Allg. VwR, § 3 II 4; Maurer, Allg. VwR, § 24 Rdn. 3, 16 ff.; Magiera, Der Staat Bd. 13 (1974), 1 (15 f.); Rupp, JuS 1975, 609 (612); Merten, Jura 1981,236 (240) ; Maunz, DÖV 1981,497 (500); Haverkate, AöR Bd. 107 (1982), 539 (541); Oldiges, NJW 1984, 1927 (1930). 103 Vgl. etwa BVerwG DÖV 1981, 679 (680). Außerhalb dieser eng zu begrenzenden Fälle des Übergangsrechts ist ein Verwaltungsakt, der gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes verstößt, schon aus diesem Grunde rechtswidrig i. S. der Rücknahmevorschriften, ohne daß es noch auf eine Verletzung gegebenenfalls bestehender Verwaltungsvorschriftenund deren Rechtsnatur ankäme. Vgl. dazu auch Erichsen, VerwArch Bd. 69 (1978), 303 (309). 104 Vgl. Ossenbühl in Festg. f. das BVerwG, S. 433 (442); dens., DVBI. 1981 , 857 (859, 863); dens. in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 7 IV 4; Böckenförde, Gesetz und

§ 2 Die Rechtswidrigkeit des VA

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aus. Ausgehend von einem der Verwaltung von Verfassungs wegen zukommenden eigenen Funktionsbereich anerkennt sie im Grundsatz die Befugnis der Exekutive, in Form von Verwaltungsvorschriften originär außenwirksames Recht zu setzen, sofern dabei die bestehenden Gesetze und der dem Gesetzgeber vorbehaltene Bereich beachtet werden. Schließt man sich der letztgenannten Auffassung an, so führt der Erlaß eines Verwaltungsaktes unter Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften immer dann zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes i. S. der Rücknahmevorschriften, wenn die verletzte Verwaltungsvorschrift den Charakter eines Außenrechtssatzes hat. Die damit innerhalb der Kategorie der Verwaltungsvorschriften zu treffende Unterscheidung von Innenrecht und Außenrecht kann allerdings bisweilen Schwierigkeiten bereiten, die hier nur kurz angedeutet werden können. Allein die faktische bzw. mittelbare Ausstrahlung einer Verwaltungsvorschrift auf das Staat-Bürger-Verhältnis kann noch kein ausreichendes Kriterium für die Annahme eines Außenrechtssatzes sein!os, da sich derartige Wirkungen bei amts- oder organadressierten Weisungen weder immer vermeiden noch voraussehen lassen. Neben der tatsächlich hervorgerufenen Wirkung einer Rechtsnorm wird man daher auch die Intention des Normgebers zu berücksichtigen haben, eine Regelung im Außen- oder im Innenrechtsbereich zu treffenl06, wenngleich auch dieses sich nicht immer einfach feststellen läßt und die Gefahr der Umgehung gebotener Außenrechtssetzung durch die Verwaltung in sich birgt. Demgegenüber kann für die Auffassung, die prinzipiell am Innenrechtscharakter von Verwaltungsvorschriften festhält, allein aus der Verletzung dieser Innenrechtssätze beim Erlaß eines Verwaltungsakts die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nach dem obenlü7 Ausgeführten nicht hergeleitet werden. Folgt man dieser Auffassung, so müßte daher an sich eine Rücknahme ausscheiden und dürfte höchstens noch ein Widerruf in Betracht kommen. Ganz überwiegend wird jedoch ein anderer Weg beschritten. Über die dogmatisch fragwürdigelOB Behelfskonstruktion einer womöglich schon mit dem Erlaß von Verwaltungsvorschriften eintretenden antizipierten, jedenfalls aber mit ihrer Anwendung in der Praxis einsetzenden Selbstbindung der Vergesetzgebende Gewalt, S. 394 f. ; Krebs, VerwArch Bd. 70 (1979) , 259 (265, 268 ff.) ; Scheffler, DÖV 1980, 236 (239); Scheuing, VVDStRL Bd. 40 (1981), 153 (158 f.); wohl auch Gusy, DVBI. 1979, 720 (722). 105 Anders aber wohl Schwan, S. 98 ff. 106 Vgl. auch Schwabe, JA 1975, 45 (49); Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, s. 160. 107 Unter IV 1. tos Kritisch etwa Ossenbühl in Festg. f. das BVerwG, S. 433 (441); ders., DVBI. 1981 , 857 (862) ; ders. in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 7 IV 4; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewealt, S. 394; Weyreuther, DVBI. 1976, 853 (855) ; Krebs, VerwArch Bd. 70 (1979), 259 (267); Scheffler, DÖV 1980, 236 (238 f.); wohl auch Stern, Staatsrecht II, § 38 I 5.

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I. Teil: Grundlagen

waltung wird von einem großen Teil der Rechtsprechung 109 und der LiteraturHo im Falle der Nichtbeachtung bzw. Verletzung von Verwaltungsvorschriften beim Erlaß eines Verwaltungsaktes ein Verstoß gegen den Außenrechtssatzdes Art. 3 Abs. 1 GG angenommen. Hierüber erlangen die Verwaltungsvorschriften eine zumindest mittelbare Außenwirkung, so daß die Verneinung ihrer Außenrechtssatzqualität im Ergebnis inkonsequent erscheint. Für den Begriff der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts i. S. der Rücknahmevorschriften, um dessen Bestimmung es hier allein geht, muß dem aber nicht weiter nachgegangen werden. Hierfür ist es nämlich ohne Bedeutung, ob man den Verwaltungsvorschriften- in bestimmten Fällen- eine unmi~telbare oder über den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG eine nur mittelbare Außenwirkung zuerkennt. In beiden Fällen liegt im Ergebnis der Verstoß gegen einen Außenrechtssatz vor und ist der Verwaltungsakt deshalb als "rechtswidrig" im Sinne der Rücknahmebestimmungen zu qualifizieren.

V. Die Rechtswidrigkeit fmgierter Verwaltungsakte Einer besonderen Erörterung bedarf schließlich noch die Rechtswidrigkeit fingierter Verwaltungsakte, wie z. B. der fingierten Teilungsgenehmigung nach § 19 Abs. 3 Satz 6 BauGB oder der fingierten Genehmigung eines Flächennutzungs- oder Bebauungsplans nach §§ 6 Abs. 4 Satz 4, 11 Abs. 2 BauGBlll. Hier könnte man der Auffassung sein, daß sich die Fiktion auch auf die sachliche Billigung der als erteilt geltenden Genehmigung ungeachtet des Vorliegens der für sie geltenden materiellen Voraussetzungen erstreckt112. In diesem Falle könnte es die Rechtswidrigkeit eines fingierten Verwaltungsaktes gar nicht geben, da dies ein Widerspruch in sich wäre113. Demgegenüber geht die herrschende Auffassung114 wohl zu Recht davon aus, daß sich die Wirkung der Fiktion regelmäßig115 darin erschöpft, das Verfahren der Geneh109 Vgl. etwa BVerwGE 34, 278 (280); 36, 323 (327); 44, 1 (8), 136 (138) ; 52, 193 (199); BVerwG NVwZ 1985, 1234; aber auch BVerwG NJW 1980, 75. Ferner OVG Münster DÖV 1981, 109 (110); OVG Lüneburg NVwZ 1985, 499 f., wo neben dem Gleichheitsgrundsatz au.ch das Rechtsstaatsprinzip herangezogen wird. Etwas einschränkend BVerwG DOV 1981, 679 (680): "Verwaltungsvorschriften (nur) als Indiz der Praxis"; VGH Baden-Württemberg BWVPr. 1982, 230 (233). 110 Vgl. etwa Wolff/Bachof, VwR I,§ 24 II d 2; Schalter, DVBI. 1968, 409 (410 ff.); Kirchhof in BVerfG u. GG II, S. 50 (89); Wallerath, Selbstbindung, S. 101 ff. ; Oldiges, NJW 1984, 1927 (1930 ff.); Maurer, VVDStRL Bd. 43 (1985), 135 (163) ; Bleckmann, Subventionsrecht, S. 75 ff. ; im Ergebnis auch Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 23. 111 Vgl. ferner§ 36 Abs. 2 Satz 2, § 145 Abs. 1 Satz 2 BauGB. Weitere Beispiele bei H. Müller, DOV 1966, 704; Schwarze in Knack, VwVfG, § 35 Rdn. 5.1.5. Vgl. auch VGH Baden-Württemberg VBIBW 1984, 380 f. 112 Vgl. etwa Wagner, BayVBI. 1970, 237 (239 ff. ). 113 Dazu auch Steiner, DVBI. 1970, 34 (39) . 114 Vgl. BVerwGE 31, 274 (277); 48, 87 (91); Simon/Gräber, DÖV 1971, 725 (727); v. Mutius, VerwArch Bd. 67 (1976), 317 (320 f.).

§ 2 Die Rechtswidrigkeit des VA

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migungserteilung zu ersetzen, sie dagegen keine Aussage über den Inhalt der Genehmigung, insbesondere über das Fehlen materieller Rechtsverstöße macht. Hiernach bestehen die genannten Bedenken nicht mehr. Fehlt es somit an den Voraussetzungen, die bei einem tatsächlichen Erlaß des Verwaltungsakts hätten vorliegen müssen, so ist auch ein fingierter Verwaltungsakt rechtswidrig und kann er gleich einem tatsächlich erlassenen zurückgenommen werden116 •

So z. B. im Falle des § 19 Abs. 3 Satz 6 BauGB; vgl. BVerwGE 48, 87 (91). Vgl. etwa BVerwGE 48, 87 (91); BVerwG BBauBI. 1985, 100; VGH BadenWürttemberg VB!BW 1984, 380 (381); OVG NW, Urt. v. 20. 2. 1986 - 8 A 2001/84 (n. v.); Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 26; Erichsen, Jura 1981, 534 (536) . 115 116

4 Knoke

§

3 Die Untergliederung der Verwaltungsakte

in begünstigende und nicht begünstigende als wesentlicher Ansatzpunkt der Rücknahmeregelungen des Verwaltungsverfahrensrechts Die Rücknahmeregelungen des Verwaltungsverfahrensrechts, wie insbesondere § 130 AO, §§ 44 und 45 SGB X sowie in allerdings eingeschränktem Maße auch § 48 VwVfG, normieren unterschiedliche Voraussetzungen für die Rücknahme begünstigender und nicht begünstigender Verwaltungsakte. Das macht es erforderlich, diese beiden Arten von Verwaltungsakten näher zu definieren und voneinander abzugrenzen. I. Der begünstigende Verwaltungsakt Nach der in § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG und entsprechend auch in §§ 130 Abs. 2 AO, 45 Abs. 1 SGB X vorzufindenden Legaldefinition ist ein begünstigender Verwaltungsakt ein solcher, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (hat)l. Die dabei vorgenommene Nebeneinanderstellung von "Rechten" einerseits und "rechtlich erheblichen Vorteilen" andererseits hat allein klarstellende Funktion. Durch sie soll im Interesse des Bürgers einer zu engen Auslegung des Begriffs des Rechts vorgebeugt und in Anbetracht einer hierzu noch fehlenden klärenden Rechtsprechung verdeutlicht werden, daß eine begünstigende Wirkung nicht nur beim Betroffensein von subjektiven Rechten in einem engeren Sinne, sondern darüber hinaus beim Betroffensein sämtlicher rechtlich geschützter Interessen2 anzunehmen istJ. Im Rahmen der Definition des begünstigenden Verwaltungsakts ist dementsprechend der den engeren Begriff des Rechts mit einschließende Begriff des rechtlich erheblichen Vorteils von ausschlaggebender Bedeutung. 1 Zur Begriffsbestimmung vor Erlaß des geltenden Verwaltungsverfahrensrechts vgl. etwa Wolff/Bachof, VwR I, §§ 47 VI b, 53 II e; Ossenbühl, Rücknahme, S. 4 ff.; Storz, S. 12; Bode, S. 17; Laubinger, Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, S. 5 ff.; Kimminich, JuS 1965, 249 (251). 2 Zur Unterscheidung von Rechten i. e. S. und rechtlich geschützten Interessen etwa Tschira/Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, S. 87; Kopp, VwGO , § 42 Rdn. 43 u. 44 m. w. Nachw. 3 Vgl. dazu die amtl. Begr., BT-Drucks. 7/910 S. 68; ferner Kopp, VwVfG, § 9 Rdn. 6 ff. und § 48 Rdn. 45.

§ 3 Begünstigende und nicht begünstigende VAe

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Dieser bezeichnet in Anlehnung an einen weiten Rechtsbegriff, wie er etwa auch im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO Anwendung findet4 , jedes von der Rechtsordnung als schutzwürdig anerkannte Individualinteresses. Fraglich ist indes, ob auch in jedem Falle ein wirtschaftliches Interesse ausreicht. Hiervon geht offenbar die Begründung zum Regierungsentwurf des VwVfG6 aus. Statt dieser zu undifferenzierten, zumindest aber mißverständlichen Aussage der Gesetzesmaterialien wird man- ebenso wie bei§ 42 Abs. 2 VwG07- verlangen müssen, daß das betreffende wirtschaftliche Interesse zugleich ein rechtliches, d. h. ein von der Rechtsordnung anerkanntes und nicht nur rein tatsächlich vorhandenes, istB. Nur eine solche Auslegung läßt sich mit dem eindeutigen Wortlaut der§§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG, 130 Abs. 2 AO und 45 Abs. 1 SGB X, der vom "rechtlich" erheblichen Vorteil spricht, in Einklang bringen. Auszuscheiden aus dem Begriff des rechtlich erheblichen Vorteils und damit zugleich aus dem des begünstigenden Verwaltungsakts haben demgemäß auch alle sonstigen Vorteile rein tatsächlicher Natur9. Bei der Abgrenzung der rechtlichen von den tatsächlichen Vorteilen ist darauf abzustellen, ob der Verwaltungsakt nach seinem Regelungsgehalt auf die Herbeiführung einer Begünstigung gerichtet ist. Liegen dagegen lediglich Reflexwirkungen objektiven Rechts vor, die sich zwar faktisch bzw. mittelbar für irgend jemanden vorteilhaft auswirken, wohingegen die Regelung allein auf Belange der Allgemeinheit und nicht Belange bestimmter Einzelpersonen abzieJtlO, so ist das Vorliegen eines begünstigenden Verwaltungsakts zu verneinenll. Als Beispiele seien etwa die Bestimmung eines StraßennamenslZ oder die Vergabe einer Hausnummer13 durch die Gemeinde genannt; es handelt sich hierbei 4 Vgl. dazu etwa Tschira/Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, S. 87 f.; Kopp, VwGO, § 42 Rdn. 43; Eyermann/Fröhler, VwGO; § 42 Rdn. 96; BVerwGE 10, 122 (123); 55, 280 (285); 58, 244 (246) ; ferner VG Freiburg NJW 1976, 1765 (zu § 65 VwGO). 5 Vgl. Stelkens in S/B/L, VwVfG , § 48 Rdn. 21; Kopp, VwVfG, § 9 Rdn. 7 und§ 48 Rdn. 45 ; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 7.2; ähnlich auch schon Wolf!/ Bachof, VwR I, § 53 li e. 6 BT-Drucks. 7/910 S. 68. Ebenso Ule/Laubinger, VwVerfR, § 48 li 2. 7 Vgl. dazu BVerwGE 10, 122 (123); 16, 187 (189); Tschira!Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, S. 87; Erichsen, Ju~a 1980, 153 (161) . s Vgl. auch Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 21. 9 So auch schon die überwiegende Auffassung vor Erlaß der Verwaltungsverfahrensgesetze. Vgl. dazu etwa die Darstellung bei Laubinger, Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, S. 8 ff.; a. A . allerdings Menger, VerwArch Bd. 50 (1959) , 77 (88 ff.) . Wie hier auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 21. 10 Zum Begriff des Rechtsreflexes vgl. etwa OVG Münster MDR 1965, 162; Wolf!! Bachof, VwR I, § 43 I b 1. 11 Vgl. Kopp, VwVfG, § 9 Rdn . 8 und § 48 Rdn. 45 ; VGH Mannheim NJW 1979, 1670 (1671); Erichsen, Jura 1981, 534 (537) . 12 Vgl. OVG Münster NJW 1987, 2695 f. ; VGH Mannheim NJW 1979, 1670 (1671) und dazu B.-F. Hoffmann, JA 1980, 122 f. 13 Vgl. VGH München NVwZ 1983, 352; dazu auch VGH Mannheim NJW 1979, 1670 (1671); Ehlers, DVBI. 1970, 492 (494, 495) .

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I. Teil: Grundlagen

nicht um die Anwohner der betreffenden Straße bzw. die Hausbewohner begünstigende Verwaltungsakte. Mitunter wird in diesem Zusammenhang weiter verlangt, daß der rechtserhebliche Vorteil "unmittelbar" durch den Verwaltungsakt begründet oder bestätigt werden muß, während nur "mittelbar" mit ihm im Zusammenhang stehende Vorteile nicht ausreichen sollen14. Wegen der weitgehenden Konturenlosigkeit des Begriffspaars unmittelbar/mittelbar15 ist damit aber nicht viel gewonnen. Es bleibt vielmehr dabei, daß auf den im Zweifel durch Auslegung zu ermittelnden Regelungsgehalt des Verwaltungsakts abgestellt werden muß. Einer abschließenden Klärung entbehrt bislang die Frage, ob "Rechte" bzw. "rechtlich erhebliche Vorteile" im Sinne der Legaldefinition des begünstigenden Verwaltungsakts allein öffentlich-rechtliche oder auch privatrechtliehe Rechtspositionen sein können. Während die Begründungen der Gesetzesentwürfe zu diesem Punkt schweigen, sind die Auffassungen in der Literatur, soweit hierzu überhaupt ausdrückliche Stellungnahmen vorliegen, kontrovers. So müssen die betroffenen Rechtsstellungen nach Kopp16 notwendig dem Bereich des öffentlichen Rechts angehören, während es nach Klappstein17 sowohl öffentliche als auch private Rechte sein können. Kopp verweist für seine Auffassung auf die Parallele zum Begriff des Rechts in §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 VwGO. Aber auch dort herrscht Streit über die Frage, ob private Rechte auszuscheiden sind18, wenn auch die wohl überwiegende Auffassung dahin tendiert19. Es wird von dieser Seite vorgebracht, daß ein Eingriff in private Rechte durch einen Verwaltungsakt, wenn dieser nicht schon begrifflich ausgeschlossen sei2ü, jedenfalls nur aufgrund öffentlichrechtlicher Normen erfolgen könne und es daher ausreiche, wenn deren Verletzung gerügt werden könne21. Verwaltungsakte seien allein am öffentlichen Recht orientiert, während die privaten Rechte auf die Lösung von Konflikten zwischen Privatpersonen zugeschnitten seien. Sie könnten deshalb nicht gegen den nach Maßgabe des öffentlichen Rechts vorgehenden Staat und seine Untergliederungen schützen bzw. geschützt sein22. Ob man sich, was die Pro14 So etwa Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 43; Stelkens in S/B/L, § 48 Rdn. 21. Vgl. auch Bode, S. 17. 15 Vgl. auch Ramsauer, VerwArch Bd. 72 (1981), 89 (94 f.). Ausführlich zum Begriff der Mittelbarkeit Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 1 ff., 52 ff. 16 VwVfG, § 48 Rdn. 45 i. V. m. § 9 Rdn. 7. 17 In Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 7.1. 18 Für die Einbeziehung privater Rechte etwa Redekerlv. Oertzen, VwGO , § 42 Rdn. 102; Schunck!De Clerck, VwGO, § 42 Anm. 3d aa. 19 Vgl. etwa Kopp, VwGO, § 42 Rdn. 45; Obermayer, BayVBI. 1960, 208 (211); Jarass, DVBI. 1976, 732 (737 f.); Erichsen, Jura 1980, 153 (161 f.) m. w. Nachw. 20 So etwa Obermayer, BayVBI. 1960, 208 (211); hierzu zu Recht kritisch Jarass, DVBI. 1976, 732 (737 f.). 21 Vgl. Jarass, DVBI. 1976, 732 (738) . 22 Vgl. Jarass, DVBI. 1976, 732 (738); Erichsen, Jura 1980, 153 (161).

§ 3 Begünstigende und nicht begünstigende VAe

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blematik privater Rechte im Rahmen der§§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 VwGO betrifft, dieser Auffassung anschließen sollte, kann hier letztendlich offen bleiben. Denn bei der Definition des begünstigenden Verwaltungsakts geht es nicht wie etwa bei der prozessualen Klagebefugnis um die Frage der Durchsetzung oder Bewahrung bestehender privater Rechte gegenüber der öffentlichen Gewalt. Hier geht es vielmehr um die Frage der Begründung, d. h. des Entstehens privater Rechte durch einen Akt des öffentlichen Rechts und um die Bedeutung dieses Vorgangs für die nähere Klassifizierung des Rechtsakts. Dieser wesentliche Unterschied verbietet eine unbesehene Übernahme der im Rahmen der verwaltungsprozessualen Problematik vertretenen Auffassungen; er führt im Ergebnis dazu, daß sich die dort angeführten Argumente zum großen Teil nicht entsprechend übertragen lassen. Vorbedingung für eine Berücksichtigung auch privater Rechte im Rahmen der Legaldefinition des begünstigenden Verwaltungsakts muß sein, daß durch einen Verwaltungsakt nicht allein öffentlich-rechtliche, sondern auch privatrechtliche Rechtspositionen begründet werden können. Die Figur des privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakts23, dessen Rechtswirkungen zumindest auch im Bereich des Privatrechts eintreten, verdeutlicht, daß dies der Fall ist. Wenn aber ein Verwaltungsakt für den Bürger auch private Rechte begründen kann24 und diese ihm im gegebenen Fall von Vorteil sind, so ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb nicht auch sie den Begriffen des "Rechts" und des "rechtlich erheblichen Vorteils" i. S. der §§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG, 130 Abs. 2 AO und 45 Abs. 1 SGB X unterfallen sollten. Hierfür sprechen zudem der offene Gesetzeswortlaut sowie die allgemeine gesetzgeberische Absicht, in den genannten Vorschriften im Interesse des Bürgers einen möglichst weiten Begriff des Rechts zu statuieren25. Deshalb muß es im Ergebnis für den Begriff des begünstigenden Verwaltungsakts unerheblich sein, ob der Vorteil dem Betroffenen im Bereich des öffentlichen oder des privaten Rechts erwächst26. Im übrigen ist die erörterte Streitfrage von mehr grundsätzlicher Art denn von praktischer Relevanz, weil die meisten privaten Rechte zugleich durch das öffentliche Recht, nämlich durch die grundrechtliehen Freiheitsgewährleistungen, wie insbesondere Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG, geschützt sind27 • 23 Dazu etwa Bengel, Der privatrechtsgestaltende Verwaltungsakt, Diss. Würzburg 1968; L. Schmidt, Unmittelbare Privatrechtsgestaltung durch Verwaltungsakt, Diss. Bielefeld 1975; Wolff/Bachof, VwR I,§ 47 I a 2m. w. Nachw. 24 Diesen Gesichtspunkt macht sich wohl auch Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 7.1 entscheidend für seine Auffassung zu eigen. 25 Vgl. amtl. Begr. zum VwVfG, BT-Drucks. 7/910; ferner schon Musterentwurf eines VwVfG 1963 S. 165 f. 26 Ebenso schon vor dem Erlaß der Verwaltungsverfahrensgesetze Laubinger, Verwaltungsaktmit Doppelwirkung, S. 11; Lechner, S. 9. 27 Vgl. auch Jarass, DVBI. 1976, 732 (737) ; Kopp, VwVfG, § 9 Rdn. 7.

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I. Teil: Grundlagen

Die Legaldefinition des begünstigenden Verwaltungsakts in §§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG, 130 Abs. 2 AO und 45 Abs. 1 SGB X spricht davon , daß das Recht bzw. der rechtlich erhebliche Vorteil durch den Verwaltungsakt entweder begründet oder aber bestätigt worden sein muß. Hierdurch wird im Sinne einer schon vor Erlaß der genannten Gesetze vorherrschenden Auffassung28 klargestellt, daß die begünstigende Position nicht notwendig erst (konstitutiv) durch den Verwaltungsakt geschaffen werden muß, sondern es auch ausreicht, wenn eine bereits- z. B. unmittelbar kraft Gesetzes- bestehende Rechtsposition durch Verwaltungsakt (deklaratorisch) festgestellt wird. Auch ein feststellender Verwaltungsakt, wie etwa die Festsetzung des Besoldungsdienstalters eines Beamten29, kann deshalb die Voraussetzungen für einen begünstigenden Verwaltungsakt erfüllen. Dabei ist der rechtliche Vorteil für den Betroffenen darin zu sehen, daß sein bereits kraft Gesetzes bestehender Anspruch durch den Verwaltungsakt als eine hinzutretende Rechtsgrundlage konkretisiert, individualisiert und stabilisiert wird. Hierdurch wird regelmäßig die Rechtsdurchsetzung erleichtert30.

II. Der nicht begünstigende Verwaltungsakt Eine ausdrückliche gesetzliche Definition, wie sie in §§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG, 130 Abs. 2 AO und 45 Abs. 1 SGB X für den begünstigenden Verwaltungsakt vorhanden ist, findet sich für den nicht begünstigenden Verwaltungsakt nicht. Die insbesondere in den Regelungen über die Aufhebung von Verwaltungsakten durch die Verwaltung enthaltene Gegenüberstellung der Begriffe "begünstigend" und "nicht begünstigend" bringt im Zusammenhang mit der Definition nur eines dieser Begriffe indes hinreichend zum Ausdruck, daß nach dem Gesetz alle die Verwaltungsakte, welche nicht der vorhandenen Definition des begünstigenden Verwaltungsakts unterfallen, als nicht begünstigende Verwaltungsakte zu qualifizieren sind3I. "Nicht begünstigend" im Sinne des kodifizierten Verwaltungsverfahrensrechts sind demzufolge zunächst einmal sämtliche Verwaltungsakte, die nach der herkömmlichen Kategorisierung der Gruppe der belastenden Verwaltungsakte zugeordnet werden32, d. h. derjenigen Verwaltungsakte, die dem 28 Vgl. etwa BVerwGE 8, 261 (267 f.); 9, 251 (253) ; Ossenbühl, Rücknahme, S. 5 f. ; Storz, S. 15 ff.; Bode, S. 17 f.; Wolff/Bachof, VwR I,§ 47 VI b. 29 Vgl. BVerwGE 14, 222 (233). 30 Ähnlich auch BVerwGE 8, 261 (267 f.); Ossenbühl, Rücknahme, S. 5; Bode, s. 16. 31 So auch Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 41, der allerdings statt vom "nicht begünstigenden" immer noch vom "belastenden" Verwaltungsakt spricht. Vgl. ferner Erichsen, Jura 1981 , 534 (544). 32 Vgl. etwa Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 49 Rdn. 7; Ule/Laubinger, VwVerfR, §§ 48 li 2 und 61 III 2.

§ 3 Begünstigende und nicht begünstigende VAe

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Betroffenen einen rechtlichen Nachteil bringen33. Hierunter fallen beispielsweise Verwaltungsakte, die dem Betroffenen ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen abverlangen, die ihm Rechte entziehen oder beschränken, die eine für ihn ungünstige Feststellung treffen oder die eine von ihm beantragte vorteilhafte Rechtsgestaltung ablehnen34 • Auch ein antragsgemäß ergangener Bescheid kann unter bestimmten Umständen zumindest in Teilen seiner Regelung zu rechtlichen Nachteilen für den Adressaten führen und dann insoweit ein nicht begünstigender Verwaltungsakt sein. Letzteres ist etwa der Fall, wenn eine antragsgemäß gewährte Leistung zugleich den vom Antragsteller nicht vorhergesehenen Verlust von Ansprüchen in einer anderen Leistungsart bewirktJ5. Darüber hinaus sind "nicht begünstigend" im Sinne der verwaltungsverfahrensrechtlichen Aufhebungsregelungen diejenigen Verwaltungsakte, die ihrem Regelungsgehalt nach für niemanden einen rechtlichen Vorteil, aber auch keinen rechtlichen Nachteil begründen oder bestätigen, die also gewissermaßen "neutral" sind36. Hingewiesen sei dabei etwa auf bestimmte Organisationsakte, wie z. B. die bereits an anderer Stelle37 erwähnte Bestimmung eines Straßennamens oder einer Hausnummer. Ob derartige Sonderfälle die Anerkennung von neutralen Verwaltungsakten als eigenständige Kategorie zwischen belastenden und begünstigenden Verwaltungsakten sinnvoll erscheinen lassen38, bedarf hier keiner Entscheidung. Mit der vom Gesetzgeber unter Aufgabe des überkommenen Begriffs "belastender" Verwaltungsakt bewußt39 gewählten, einem verengten Begriffsinhalt vorbeugenden neuen Formulierung "nicht begünstigender" Verwaltungsakt hat diese Frage nämlich weitgehend an Bedeutung verloren. Sämtliche der Legaldefinition des begünstigenden Verwaltungsakts nicht unterfallenden Verwaltungsakte sind danach seien sie belastend oder neutral - als nicht begünstigend zu qualifizieren. Auf die Einordnung der Fälle, in denen in einem Verwaltungsakt begünstigende und nicht begünstigende Wirkungen zusammentreffen, wird nachfolgend gesondert eingegangen. 33 Vgl. Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 12 III 1; Maurer, AJ!g. VwR, § 9 Rdn. 48; Wallerath, Allg. VwR, § 7 II 2. Näher zum Begriff der Belastung etwa Laubinger, Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, S. 13 ff. 34 Vgl. auch Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 42; Wolff/Bachof, VwR I,§ 47 VI a; Wendt, JA 1980, 85 (87); Erichsen, Jura 1981, 534 (544). 35 Vgl. BVerwGE 25, 191 (194 f.). 36 Vgl. dazu Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 45; Hauck/Haines, SGB X, K § 44 Rdn. 23. 37 Vgl. oben§ 3 I. 38 Ablehnend wohl Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 42, der darüber hinaus die Möglichkeit solcher "neutraler" Verwaltungsakte überhaupt leugnet. Ähnlich auch OVG Münster, Urt. v. 27. 10. 1983 - 16 A 111/83- (n. v.). 39 Vgl. dazu die Begründung zu § 38 Abs. 1 Musterentwurf VwVfG 1963, S. 175; ferner Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 49 Rdn. 7.

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l. Teil: Grundlagen

111. Die Einordnung der Verwaltungsakte mit Doppelwirkung

Die Rücknahmeregelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze wie auch der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches unterscheiden lediglich zwischen begünstigenden und nicht begünstigenden Verwaltungsakten4o. Ein Drittes kennen sie nicht41. Nicht alle Verwaltungsakte haben indes nur begünstigende oder nur nicht begünstigende Rechtswirkungen in dem zuvor beschriebenen Sinne. Wirken sie teils begünstigend und teils nicht begünstigend im Sinne von belastend, so handelt es sich nach der in der Rechtslehre weitgehend eingebürgerten Terminologie42 um Verwaltungsakte mit Doppelwirkung. Was ihre Rücknahme betrifft, stellt sich für sie die Frage der Zuordnung entweder zur Gruppe der begünstigenden oder zur Gruppe der nicht begünstigenden Verwaltungsakte. Da es in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein kann, ob die unterschiedlichen Rechtswirkungen bei einer oder bei verschiedenen Personen eintreten, werden die Verwaltungsakte mit Doppelwirkung im folgenden noch weiter untergliedert in die "Verwaltungsakte mit Mischwirkung" einerseits und die "Verwaltungsakte mit Drittwirkung" andererseits. 1. Der Verwaltungsakt mit Mischwirkung a) Begriffsbestimmung und Abgrenzungsfragen

Erzeugt ein Verwaltungsakt gegenüber ein und derselben Person, regelmäßig dem Adressaten, sowohl begünstigende als auch nicht begünstigende (belastende) Rechtswirkungen, so wird gemeinhin, sofern dieser Fall überhaupt mit einem besonderen Terminus belegt wird , vom Verwaltungsakt mit Mischwirkung gesprochen43. Mischwirkung in diesem Sinne hat etwa die 40 Zwar enthalten § 48 VwVfG und § 130 AO keine ausdrücklichen Regelungen für die Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte. Da sie aber Sonderregelungen für sämtliche bzw. zumindest einen Teil der begünstigenden Verwaltungsakte normieren, liegt ihnen gleichwohl die Unterscheidung zwischen den begünstigenden und den übrigen, d. h. den nicht begünstigenden Verwaltungsakten zugrunde. 41 Vgl. auch Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 42; Wendt, JA 1980, 85 (87). 42 Vgl. etwa Wolff/Bachof, VwR I,§ 47 VI c; v. Turegg/Kraus, VwR, S. 135; Wallerath, Allg. VwR, § 7 II 2; Buermeyer, S. 22; Pickel, SGB X, § 31 Anm. 3 c. Leider wird die Terminologie nicht einheitlich gehandhabt und der Begriff des Verwaltungsakts mit Doppelwirkung zum Teil auf die Fälle beschränkt, in denen Begünstigung und Belastung bei jeweils verschiedenen betroffenen Personen auftreten; so etwa BVerfGE 69, 315 (370); Laubinger, Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, S. 3 ff.; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 64; Stelkens in S/B/L, VwVfG, §50 Rdn. 5 u.7; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 49 und§ 50 Rdn. 6; Ossenbühl, Rücknahme, S. 124; Bode, S. 18 ff. ; ebenso wohl auch die amtl. Begr. zum VwVfG, BT-Drucks. 7/910, S. 73. 43 Vgl. Wolff/Bachof, VwR I, § 47 VI c; Wallerath, Allg. VwR, § 7 II 2; Weides, Verwaltungsverfahren, S. 23; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 61 III 2; Frotscher, DVBI.

§ 3 Begünstigende und nicht begünstigende VAe

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Gewährung einer Leistung, die hinter dem Beantragten oder dem gesetzlich Gebotenen zurückbleibt. Werden beispielsweise von einer in Höhe von 600,- DM beantragten Ausbildungsförderung lediglich 300,- DM gewährt, so hat diese Gewährung begünstigenden, die in der behördlichen Entscheidung aber zugleich mitenthaltene Ablehnung des vollen Betrages nicht begünstigenden (belastenden) Charakter. Auch der Fall, daß einem Leistungsbewilligungsbescheid eine für den Leistungsempfänger nachteilige Nebenbestimmung, etwa eine Bedingung oder Auflage, beigefügt wird, wird zuweilen unter den Begriff des Verwaltungsakts mit Mischwirkung gefaßt44. Einige Probleme wirft in diesem Zusammenhang die Einordnung der zu niedrigen Festsetzung einer Belastung, z. B. einer Abgabe oder einer sonstigen Leistungspflicht, auf. Hier wird zum Teil ein Verwaltungsakt mit Mischwirkung unter der Begründung angenommen, daß die Festsetzung der Abgabenschuld oder Leistungspflicht in einer bestimmten Höhe zugleich die konkludente Feststellung enthalte, daß eine Verpflichtung eben nur in dieser Höhe bestehe45. Mitunter wird diese Aussage nicht auf Abgaben- und Leistungsbescheide beschränkt, sondern auf alle belastenden Verwaltungsakte bezogen. Diese sollen insoweit begünstigend wirken, als sie die Verpflichtung des Bürgers umfangmäßig beschränken46 . Die unbesehene Übernahme dieser Auffassung birgt allerdings die Gefahr in sich, daß der Regelungsgehalt der betreffenden Verwaltungsakte überdehnt, daß ein in Wirklichkeit nicht vorhandener Regelungsgehalt fingiert wird. Als unproblematisch erscheinen dabei nur die in der Praxis allerdings seltenen Fälle, in denen ein Verwaltungsakt eine in ihm als Rechtsfolge angeordnete Belastung des Adressaten ausdrücklich ihrem Umfang nach begrenzt oder in denen sich eine solche Begrenzung aus sonstigen eindeutigen Umständen ergibt47. Im übrigen wird man sich den Regelungsgehalt des einzelnen Verwaltungsaktes näher vergegenwärtigen müssen. Dabei wird man den nicht begünstigenden Verwaltungsakten allgemein und unter diesen den Abgaben- und Leistungsbescheiden im besonderen einen Regelungsgehalt, welcher sich auch auf die begrenzende Feststellung der Höhe der Belastung bzw. Leistungspflicht erstreckt, zunächst dann zuerkennen kön1976, 281 (283 Fn. 23); Erichsen, Jura 1981, 534 (538) ; ferner Bode, S. 17 f. m. w. Nachw. aus dem älteren Schrifttum. 44 Vgl. etwa Wolff/Bachof, VwR I,§ 47 VI c; Bode, S. 17. 45 Vgl. Wallerath, Allg. VwR, § 7 II 2 c; Achterberg, Allg. VwR, § 21 Rdn. 89; Wolff!Bachof, VwR I, §53 II e 1; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 I 2; Schwerdtfeger, Öff. Recht, § 4 IIl 1; VGH Baden-Württemberg BWGZ 1980, 846 (847). So weitgehend auch Erichsen, Jura 1981, 534 (538 f.); i. E. wohl auch Mertens, NJW 1983, 1993 (1997) . Dazu ferner J. Martens,NVwZ 1983, 130 (132). 46 So etwa Maurer, Allg. VwR, § 9 Rdn. 49; wohl auch Achterberg, Allg. VwR, § 21 Rdn. 89. Dagegen BVerwG NVwZ 1983, 612 (613). 47 Vgl. etwa BVerwG NVwZ 1983, 612 (613) ; VGH Kassel NJW 1979, 596 (597); Stelkens, JuS 1984, 930 (931 ff.); Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 49 Rdn. 14.

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I. Teil: Grundlagen

nen, wenn sie eine dem Grundsatz "ne bis in idem" vergleichbare Konsumtionswirkung auslösen, d. h. eine Wirkung, die weitergehende Belastungen in derselben Angelegenheit ausschließt. Soweit gesetzliche Regelungen nicht etwas anderes bestimmen, kennt das Verwaltungsverfahren indessen eine dem strafprozessualen Grundsatz "ne bis in idem" entsprechende Wirkung in aller Regel nicht48. Dies gilt, wie die Möglichkeit einer neuen Sachentscheidung nach Wiederaufgreifen des Verfahrens49 zeigt, grundsätzlich auch für den Abschluß des Verwaltungsverfahrens durch Erlaß eines rechtswidrigen nicht begünstigenden (belastenden) Verwaltungsaktsso. Was gesetzliche Sonderregelungen betrifft, so ist im vorliegenden Zusammenhang vor allem auf§§ 172, 173 Abs. 2 und 176 AO hinzuweisen, welche der Festsetzung der Steuerschuld in einem Steuerbescheid eine besonders ausgeprägte BestandskraftSI zuerkennen, die grundsätzlich einer Aufhebung oder Änderung entgegensteht. Ein Steuerbescheid, welcher nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergeht (§ 164 AO) oder eine nur vorläufige Steuerfestsetzung enthält (§ 165 AO), stellt demzufolge in der Regel verbindlich fest, daß eine Leistungspflicht nur in Höhe des festgesetzten Betrages besteht52. Bei den übrigen Abgabenbescheiden kommt es darauf an, ob die zuvor genannten Vorschriften der Abgabenordnung auch auf sie zumindest entsprechende Anwendung finden. Dies ist für Gebühren- und Beitragsbescheide nach den Kommunalabgabengesetzen der Länder zum großen Teil nicht der Fall53. Kommt mangels gesetzlicher Sonderregelung eine dem Grundsatz "ne bis in idem" vergleichbare Wirkung nicht in Betracht, so muß der Inhalt der Regelung im Wege der Auslegung näher bestimmt werden. Maßgeblich ist dabei, wie in §§ 43 Abs. 1 Satz 2 VwVfG, 124 Abs. 1 Satz 2 AO und 39 Abs. 1 Satz 2 SGB X zum Ausdruck kommt, nicht der Wille der Behörde54, sondern das Erklärte, d. h . der objektive Erklärungsgehalt des Verwaltungsakts, so wie ihn Adressaten und Betroffene nach Treu und Glauben verstehen müssen55. 48 Vgl. Wolff/Bachof, VwR I,§ 52 III b; Haueisen, DÖV 1961, 121 (126); Breitkopf, S. 39; Mainka, Vertrauensschutz, S. 47 f.; Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (188). 49 Dazu unten § 5 II 2. Vgl. ferner Badura in Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 41 V 3. 50 Vgl. Krause, Rechtsformen, S. 175; Fischer, Die öffentlich-rechtliche Geldforderung, S. 19; Storz, S. 14; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 49 Rdn. 14; so wohl auch Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 48 ("in besonders gelagerten Fällen"). 51 Dazu unten § 4 li. 52 So schon Scheuffler, StuW 1940 Sp. 243 (247 ff.); ferner Storz, S. 14. 53 Vgl. etwa§ 12 KAG NW, der zwar eine Reihe von Vorschriften der Abgabenordnung, nicht aber§§ 172 ff. AO für entsprechend anwendbar erklärt. Ebenso§ 4 hess. KAG; anders etwa§ 11 nds. KAG. 54 Diesen hervorhebend allerdings OVG NW KStZ 1983, 172 f. 55 Vgl. BVerwGE 29, 310; 41, 305 (306); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 35 Rdn. 52 u. 53 sowie§ 43 Rdn. 16 u. 17; Kopp, VwVfG, § 37 Rdn. 5.

§ 3 Begünstigende und nicht begünstigende VAe

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Darüber hinaus muß bei der Bestimmung des Regelungs- bzw. Erklärungsgehalts eines Verwaltungsakts die Funktion dieser Handlungsform der Verwaltung mitberücksichtigt werden. Diese besteht im wesentlichen darin , die Rechtslage für die Betroffenen zu konkretisieren und klarzustellen; darüber hinaus soll der Verwaltungsakt Rechtsbeziehungen stabilisieren56. So soll etwa ein Abgaben- oder Leistungsbescheid eine beim Adressaten ggf. noch bestehende Ungewißheit über die rechtmäßige Höhe der Verpflichtung durch einseitige verbindliche Erklärung beseitigen57. Wird also gegenüber dem Bürger eine Abgabenschuld oder eine sonstige Leistungspflicht durch Verwaltungsakt verbindlich auf einen bestimmten Betrag festgesetzt, so wird damit gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß er nur diesen Betrag und nicht mehr und nicht weniger zu leisten hat. Dies gilt jedenfalls für den Bereich der strikt gesetzesgebundenen VerwaltungsB, in welchem der Umfang der Leistungspflicht exakt festgeschrieben ist und die Verwaltung nicht die Möglichkeit der Abweichung nach oben oder unten hat. Vorbehaltlich einer Änderung der maßgeblichen Rechtsvorschriften ist hier nämlich die Belastung nur in einem bestimmten Umfang rechtmäßig, den klarzustellen Aufgabe des Verwaltungsakts ist. Dieser Befund trifft im Grundsatz auch auf die Fälle zu, in denen das Gesetz den Umfang der Leistungspflicht für den Regelfall exakt vorgibt, der Verwaltung in Ausnahmefällen aber gleichzeitig die Möglichkeit einräumt, die Schuld des Pflichtigen aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise zu erlassen59. Macht die Verwaltung hier von der Möglichkeit des Erlasses keinen Gebrauch- insoweit kommt es darauf an, ob sie in dem Verwaltungsakt einen Erlaßwillen eindeutig bekundet hat60 - , so verbleibt es dabei, daß sie hinsichtlich der Festsetzung des Umfangs der Belastung keinen eigenen Spielraum hat , sondern gesetzlich gebunden ist. Liegt demgegenüber die Bestimmung des konkreten Umfangs einer den Bürger belastenden Verpflichtung - wie zumeist im Recht der Gefahrenabwehr61 - im Ermessen der zuständigen Behörde , so gibt es keinen von vornherein festliegenden, nach oben hin begrenzten Umfang der Belastung, der allein rechtens ist. Demzufolge können die Betroffenen hier grundsätzlich nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß mit dem Erlaß des Verwaltungsakts 56 Vgl. dazu etwa Rüfner, VVDStRL Bd. 28 (1970), 187 (205) ; Vogel, ebd. S. 269; dens., BayVBI. 1977, 617 f.; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 11 I; Maurer, Allg. VwR, § 9 Rdn. 40; Lange, Jura 1980, 456 (461); Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (188). 57 Vgl. J. Martens, NVwZ 1983, 130 (132). 58 Vgl. auch Erichsen, Jura 1981, 534 (539). 59 Vgl. insbesondere § 227 AO. 60 Dementsprechend kann die bloße Tatsache einer gemessen an den maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften zu niedrigen Festsetzung, die vielfach auf einem Berechnungsfehler oder sonstigen Irrtum der Behörde beruhen wird, für sich genommen nicht ausreichen, um aus der Sicht des Adressaten von einem Erlaß ausgehen zu können; vgl. auch Schröder, JuS 1970, 615 (616) . 61 Vgl. z. B. § 14 OBG NW, § 8 PolG NW.

1. Teil: Grundlagen

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- wenn auch dessen konstitutiver Gehalt in solchen Fällen besonders deutlich hervortritt - über den Umfang der zulässigen bzw. endgültig beabsichtigten Belastung abschließend entschieden sei und eine spätere Änderung, insbesondere eine Erhöhung der Belastung, nicht mehr in Betracht komme. Dies müßte in dem Verwaltungsakt schon ausdrücklich oder jedenfalls hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen. Wenn man auch an letzteres keine allzu hohen Anforderungen stellen sollte, so erscheint mir doch die Auffassung Schenkes62 etwas zu weitgehend, der belastete Adressat eines Verwaltungsakts könne in der Regel davon ausgehen, daß die Behörde von ihrem Ermessensspielraum abschließend Gebrauch gernacht und damit zugleich konkludent zum Ausdruck gebracht habe, daß sie ihn nicht weiter belasten wolle. Zusammengeiaßt führen die vorstehenden Ausführungen zu folgendem Ergebnis: Im Bereich der strikt gesetzesgebundenen Verwaltung urnfaßt der Regelungsgehalt eines nicht begünstigenden Verwaltungsakts auch die konkludente Feststellung, daß eine auferlegte Verpflichtung oder sonstige Belastung ihrem Umfang nach festliegt und insbesondere nach oben hin begrenzt ist. Soweit es um diese Begrenzung geht, hat der Verwaltungsakt für den bzw. die Betroffenen eine begünstigende Wirkung; es handelt sich mithin um einen Verwaltungsakt mit Mischwirkung63 • Unter diese Kategorie fallen danach etwa gesetzesdirigierte Abgabenbescheide, die einen bestimmten Festsetzungszeitraum umfassen. Darüber hinaus wird man noch die Fälle von Leistungsbescheiden, bei denen sich die Höhe der Leistungspflicht zwar nicht unmittelbar aus gesetzlichen Vorschriften bzw. deren Ausführungsbestimmungen ergibt, bei denen sie aber aufgrund eines in seinen Auswirkungen abgeschlossenen Schadensereignisses bereits exakt feststeht, den hinsichtlich des Leistungsumfangs gesetzesdirigierten Verwaltungsakten gleichstellen können, was die Frage ihrer Mischwirkung betrifft. Demgegenüber handelt es sich bei den verbleibenden Errnessensakten, sofern sie ihrem Inhalt nach nicht eindeutig auf eine Begrenzung der ausgesprochenen Belastung bezogen auf einen bestimmten Sachverhalt hindeuten, um rein belastende bzw. nicht begünstigende Verwaltungsakte. Abschließend sei noch auf folgendes hingewiesen: Gegenüber einer zu starken Ausweitung des Begriffs des Verwaltungsakts mit Mischwirkung ist eher Vorsicht geboten. Abgesehen von der Gefahr der Überdehnung vorhandener Regelungsgehalte spricht hiergegen eine weitere Überlegung. Die gesetzlichen Regelungen, welche in den verwaltungsverfahrensrechtlichen KodifikaDÖV 1983, 320 (326); ähnlich wohl auch Stelkens, JuS 1984, 930 (933). So im Ergebnis auch Erichsen, Jura 1981, 534 (539); zumeist ohne die Beschränkung auf gesetzesgebundene Verwaltungsakte dagegen die in Fn 45 und 46 Genannten; a. A . und für eine rein belastende Wirkung etwa BVerwGE 30, 132 (133); BVerwG NVwZ 1983, 612 (613); VGH Kassel NJW 1981, 596 (597); OVG NW KStZ 1983, 172 f.; Schröder, JuS 1970, 615 (616); Heimerl, BayVBI. 1971, 411 (414); Hörner, BWVPr. 1981, 185 (187) . 62

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§ 3 Begünstigende und nicht begünstigende VAe

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tionen enthalten sind und die Aufhebung von Verwaltungsakten durch die Verwaltung betreffen, gehen allein von einer Zweiteilung der Verwaltungsakte in begünstigende und nicht begünstigende aus. Auf besondere Regelungen für die Aufhebung von Verwaltungsakten mit Mischwirkung wurde verzichtet. Würde man nun, wie es etwa Maurer64 tut, sämtlichen belastenden bzw. nicht begünstigenden Verwaltungsakten eine zu dem belastenden Regelungsgehalt hinzutretende begünstigende Wirkung zuerkennen, so würde diese Wertung des Gesetzgebers weitgehend mißachtet und die überkommene Zweiteilung der Verwaltungsakte in belastende (nicht begünstigende) und begünstigende65 weitgehend nivelliert, verschoben und letztlich aus den Angeln gehoben werden66. b) Die Zuordnung zu den Kategorien begünstigend I nicht begünstigend

Steht die Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Mischwirkung in Frage, so muß entschieden werden, ob die Regelungen über die Rücknahme begünstigender oder nicht begünstigender Verwaltungsakte Anwendung finden. Wenn auch die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder ebenso wie Abgabenordnung und das 10. Buch des Sozialgesetzbuches die Zuordnungsfrage nicht ausdrücklich regeln, lassen sich den genannten Gesetzen doch gewisse Anhaltspunkte für die Beantwortung dieser Frage entnehmen. Da jeweils nur für begünstigende Verwaltungsakte Einschränkungen der Rücknahmebefugnis normiert sind und auch nur diese Kategorie von Verwaltungsakten mit einer Legaldefinition versehen worden ist, bietet es sich an, bei dem Begriff des begünstigenden Verwaltungsakts i. S. der§§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG, 130 Abs. 2 AO und 45 Abs. 1 SGB X anzusetzen und näher zu untersuchen, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen sich auch der Verwaltungsakt mit Mischwirkung noch unter diesen Begriff fassen läßt. Wenn der begünstigende Verwaltungsakt in den vorgenannten Vorschriften als ein solcher definiert wird, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt, so spricht zunächst einmal der offene Wortlaut dafür, daß es nicht darauf ankommt, ob der insoweit den Betroffenen begünstigende Verwaltungsakt für ihn daneben noch bestimmte nachteilige Wirkungen hat. In die gleiche Richtung weisen auch§§ 49 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwVfG, 131 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AO sowie 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB X, indem sie Verwaltungsakte, denen ein Widerrufsvorbehalt oder eine Auflage beigefügt worden ist, die also eine belastende Nebenbestimmung enthalten, gleichwohl noch als begünstigende Verwaltungsakte auffassen. Keine AnAllg. VwR, § 9 Rdn. 49; vgl. auch Achterberg, Allg. VwR, § 21 Rdn. 89. Zur Fragwürdigkeit dieser Einteilung allerdings Achterberg, Allg. VwR, § 21 Rdn. 89; Krasney in FS f. Brackmann, S. 311 (323 f.). 66 Kritisch insoweit auch Schröder, JuS 1970, 615 (617). 64 65

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I. Teil: Grundlagen

haltspunkte lassen sich im Gesetz dagegen für die vor allem in früherer Zeit häufiger vertretene Auffassung67 finden, daß die Anwendung der Regelungen über begünstigende oder belastende Verwaltungsakte sich nach dem jeweils überwiegenden Element bestimme. Deshalb muß es für die Anwendbarkeit der Regelungen über die Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte grundsätzlich genügen, daß der Verwaltungsakt zumindest auch begünstigende Wirkungen im Sinne der Legaldefinition entfaltet6B. Der Grundsatz, daß Verwaltungsakte mit Mischwirkung hinsichtlich ihrer Aufhebung durch die Verwaltung den Regelungen über begünstigende Verwaltungsakte unterliegen, muß allerdings aus systematischen und teleologischen Erwägungen einigen Einschränkungen unterworfen werden. Zunächst ist aus der klaren Trennung der gesetzlichen Regelungen zwischen begünstigenden und nicht begünstigenden Verwaltungsakten sowie aus der zugleich eröffneten Möglichkeit, einen Verwaltungsakt nur teilweise aufzuheben, zu schließen, daß solche Verwaltungsakte mit Mischwirkung, bei denen entweder mehrere Rechtsfolgen gesetzt werden oder bei der Setzung nur einer Rechtsfolge die nicht begünstigenden (belastenden) und die begünstigenden Elemente nicht untrennbar miteinander verknüpft sind69, auch der getrennten Aufhebung nach den für das jeweilige Element geltenden Regelungen unterliegen70. Von einer nicht untrennbaren Verknüpfung und damit der Teilbarkeit des Verwaltungsakts wird man beispielsweise bei solchen leistungsgewährenden Verwaltungsakten ausgehen müssen, denen eine belastende Auflage beigefügt worden ist, es sei denn, es handelt sich dabei um eine sog. "modifizierende" Auflage, welche den Inhalt des Verwaltungsakts gemessen am Antragsgegenstand qualitativ ändert71. Ist ein Verwaltungsakt mit Mischwirkung unteilbar, so kann er dagegen nur im ganzen aufgehoben werden. Insofern verbleibt es dabei, daß die Aufhebung den jeweils strengeren Anforderungen genügen muß72, welches in aller Regel die für den begünstigenden Teil sind. 67 Vgl. etwa Kimminich, JuS 1965, 249 (251); Ossenbühl, Rücknahme, S. 5; Bode,

S. 17; Storz, S. 13. 68 Ebenso Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 23; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 47; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 61 III 2; Wallerath, Allg. VwR, § 7 VI 2 a; Frotscher, DVBI. 1976, 281 (283); Erichsen, Jura 1981 , 534 (538) . Vgl. auch die amtl. Begr. zum VwVfG, BT-Drucks. 7/910 S. 68. 69 Vgl. dazu auch Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 47; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 23. 70 Vgl. etwa Wolff/Bachof, VwR I, §53 II e 1; Erichsen, Jura 1981 , 534 (538); Hauck/Haines, SGB X, K § 44 Rdn. 24. 71 Zur sog. modifizierenden Auflage vgl. etwa BVerwG DÖV 1974, 380; BVerwG NVwZ 1984, 366 f. und 371 f.; BVerwGE 70, 159 (161) ; OVG Münster DVBI. 1976, 800 (801); Weyreuther, DVBI. 1969, 295 ff.; dens., DVBI. 1984, 365 ff.; Hoffmann, DVBI. 1977,514 ff.; Lange, AöR Bd. 102 (1977), 337 ff.; Kopp, VwVfG, § 36 Rdn. 38 m. w. Nachw. n Entsprechend im Sinne eines allgemeinen Grundsatzes für die Aufhebung von Verwaltungsakten mit Doppelwirkung Wolff!Bachof, VwR I,§ 47 VI c.

§ 3 Begünstigende und nicht begünstigende VAe

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Fraglich erscheint allerdings, ob dies auch für solche Verwaltungsakte mit Mischwirkung zu gelten hat, bei denen das begünstigende Element gemessen am gesamten Regelungsgehalt des Verwaltungsakts nur eine Nebenwirkung ohne besondere Bedeutung für den Betroffenen darstellt. Man denke in diesem Zusammenhang etwa an den Fall einer Nebenbestimmung, die einem nicht begünstigenden Verwaltungsakt beigefügt ist und die, wie z. B. eine aufschiebende Bedingung oder eine Befristung, isoliert betrachtet als Begünstigung aufgeiaßt werden kann. Eine solche Nebenwirkung bzw. Nebenbestimmung vermag nicht zu bewirken, daß der Verwaltungsakt sein Gesamtgepräge als nicht begünstigender Verwaltungsakt verliert. Darüber hinaus kommt dem Schutz der Interessen des Betroffenen hier regelmäßig nur ein geringes Gewicht zu, welches es nicht gerechtfertigt erscheinen läßt, die Rücknehmbarkeit gemäß den für begünstigende Verwaltungsakte geltenden Regelungen einzuschränken. Demzufolge darf der Verwaltungsakt in diesen Fällen bei Unteilbarkeit der Regelung insgesamt nach den Bestimmungen aufgehoben werden , die für nicht begünstigende Verwaltungsakte gelten73. 2. Der Verwaltungsakt mit Drittwirkung a) Begriff

Als Verwaltungsakt mit Drittwirkung wird hier der Verwaltungsakt bezeichnet, der sich über die Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Behörde und Adressat hinaus auch auf die Rechtssphäre anderer, dritter Personen auswirkt, wobei er keine gleichgerichteten Rechtswirkungen zeigt, sondern einen Teil der Betroffenen begünstigt und den anderen belastet74. Dabei läßt sich weiter differenzieren zwischen dem den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung und dem den Adressaten belastenden Verwaltungsakt mit begünstigender Drittwirkung. In der Praxis spielt dabei die erstgenannte Variante die größere Rolle. Hinzuweisen ist etwa auf die unter Dispens von nachbarschützenden Vorschriften erteilte Baugenehmigung, auf die Genehmigung eines stark emittierenden Gewerbebetriebs in der Nähe eines Wohngebiets und auf die staatliche Subventionierung des Konkurrenten eines Gewerbetreibenden. Den Adressaten belastende Verwaltungsakte mit begünstigender Drittwirkung sind demgegenüber beispielsweise die 73 So auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 23; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 47. Vgl. ferner die amtl. Begr. zum VwVfG, BT-Drucks. 7/910 S. 68. 74 Ebenso etwa Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 12III 2; Maurer, Allg. VwR, § 9 Rdn . 50; Wallerath, Allg. VwR, § 7 II 2 c; Wolff/Bachof, VwR I,§ 47 VI c; F. Mayer, Allg. VwR, S. 149 (abw. nunmehr Mayer/Kopp, Allg. VwR, § 11 V); Weides, Verwaltungsverfahren, S. 23 ; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 43 Rdn. 3 f.; Pickel, SGB X, § 31 Anm. 3c. Zum Teil wird dieser Fall auch in Abweichung von der hier verwendeten Terminologie als Verwaltungsakt mit Doppelwirkung bezeichnet; vgl. dazu oben in Fn. 42.

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l. Teil: Grundlagen

Abbruchverfügung für ein gegen nachbarschützende Vorschriften verstoßendes Bauwerk, die Aufstellung eines Haltverbotsschildes im Interesse eines bestimmten Anliegers75 oder auch ein Demonstrationsverbot zum Schutze der Anwohner vor vorhersehbaren Gewalttätigkeiten76. b) Die Zuordnung zu den Kategorien begünstigend I njcht begünstigend

aa) beim begünstigenden Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung Hinsichtlich der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts mit belastender Drittwirkung enthalten die verwaltungsverfahrensrechtlichen Kodifikationen in§§ 50 VwVfG, 132 AO und 49 SGB X nur Regelungen für den Fall, daß der Verwaltungsakt bereits von dem Dritten angefochten worden ist und die Rücknahme während des Rechtsbehelfsverfahrens erfolgt??. Außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens ist dagegen die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte mit belastender Drittwirkung keiner besonderen Regelung unterstellt worden. Wie schon bei den Verwaltungsakten mit Mischwirkung muß deshalb auch hier die Frage beantwortet werden, ob die Regelungen über die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte oder diejenigen über die Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte anwendbar sind. Auch der begünstigende Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung läßt sich wegen seiner für den Adressaten vorteilhaften Rechtswirkungen noch unter die Legaldefinition des begünstigenden Verwaltungsakts in§§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG, 130 Abs. 2 AO und 45 Abs. 1 SGB X fassen. Wie bereits oben dargelegt?B, bedarf es dazu nicht einer ausschließlich begünstigenden Wirkung. Zieht man die amtlichen Begründungen zu den Gesetzesentwürfen hinzu, so ergeben sich auch hieraus keine Anhaltspunkte, die gegen eine Zuordnung der begünstigenden Verwaltungsakte mit belastender Drittwirkung zur Gruppe der begünstigenden Verwaltungsakte sprächen. Die für die begünstigenden Verwaltungsakte geltenden Einschränkungen der Rücknehmbarkeit sollten allein, wie es dann auch in§§ 50 VwVfG, 132 AO und 49 SGB X seinen Ausdruck gefunden hat, während des Rechtsbehelfsverfahrens keine Geltung beanspruchen79. Dagegen sollte die bloße Möglichkeit einer Anfechtung des Verwaltungsakts durch den Drittbetroffenen hierfür noch nicht ausreichen. Damit haben sich die Kodifikationen des VerwaltungsverfahrensVgl. dazu BVerwGE 37, 112 ff. Vgl. __dazu OVG Lüneburg DÖV 1981, 461 (462) mit insoweit kritischer Anm. Jacob, DOV 1981, 463 (464). 77 Hierzu ausführlich unten im 3. Teil. 78 § 3 I1I 1 b. 79 Vgl. etwa amtl. Begr. zum Entwurf eines VwVfG, BT-Drucks. 7/910 S. 74; Musterentwurf 1963 S. 182 f. 75

76

§ 3 Begünstigende und nicht begünstigende VAe

65

rechts deutlich von einer zuvor verbreiteten Auffassung abgesetzt, die nicht darauf abhob, ob der Verwaltungsakt bereits tatsächlich angefochten war, sondern während des gesamten Zeitraums seiner Anfechtbarkeit die für begünstigende Verwaltungsakte geltenden Einschränkungen der Rücknehmbarkeit nicht für anwendbar erachteteso. Der durch §§ 50 VwVfG, 132 AO und 49 SGB X im Gesetz selbst gegebene Anhaltspunkt ist auf der anderen Seite nicht derart eindeutig und aussagekräftig, um daraus schon allein schließen zu können , daß außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens auf die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts mit belastender Drittwirkung zwingend die für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte geltenden Regelungen Anwendung finden müssen. Um zu einem endgültigen Auslegungsergebnis zu gelangen, bedarf es vielmehr noch einer Vergegenwärtigung der Interessenlage. Während die Interessen des begünstigten Adressaten auf die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts gerichtet sind, erstrebt der belastete Dritte in der Regel dessen Aufhebung. Für die Aufhebung des Verwaltungsakts streitet zumindest in den Fällen eines rechtswidrigen Erlasses grundsätzlich auch das öffentliche Interesse. Die polygonale Dreierbeziehung Begünstigter Behörde - Drittbelasteter läßt es unabweisbar erscheinen, zwischen diesen divergierenden Interessen der Betroffenen einen Ausgleich zu schaffen, der keines der Interessen mehr als nötig vernachlässigt. Zu sehr auf die Zweierbeziehung Behörde - Drittbelasteter erscheint demgegenüber die Sicht Schenk esBl fixiert, der zwar in diesem Verhältnis zu Recht von einem aus dem jeweils verletzten, Drittschutz gewährenden subjektiven Recht bzw. Grundrecht herzuleitenden Beseitigungsanspruch des rechtswidrig Belasteten ausgeht, jedoch hieraus weiter den Schluß zieht, daß für einen Vertrauensschutz des Begünstigten kein Raum mehr bleiben könne. Dabei wird übersehen , daß im Verhältnis Begünstigter - Behörde sehr wohl Vertrauensschutzinteressen bestehen können, die, wie noch im einzelnen aufgezeigt werden wird82, ebenfalls verfassungsrechtlich unterfangen sind und die zu einem Anspruch des Begünstigten gegen die Behörde auf Fortbestand der Regelung führen können. Die Position des belasteten Dritten kann deshalb nicht schlichtweg Vorrang vor derjenigen des Begünstigten verdienen. Bei dem zu schaffenden Ausgleich muß von wesentlicher Bedeutung der Grad der Schutzwürdigkeit der kaufligierenden Interessen und Rechtspositionen sein. Es erscheint nämlich sachgerecht, die Schutzwürdigkeit als das für 8° Vgl. etwa BVerwGE 31, 67 (69) ; Forsthoff, VwR, S. 264; Ossenbühl, Rücknahme, S. 126 f .; Laubinger, Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, S. 184 ff. ; Storz, S. 140 f .; Bode, S. 167 f .; differenzierend Wolff!Bachof, VwR I , § 53 II e 1. Ähnlich zumindest im Ergebnis nun wieder Schenke, DOV 1983, 320 (324) . 81 DÖV 1983, 320 (323 f.). 82 Vgl. unten 2. Teil, § 9 II C 2 a aa.

5 Knoke

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1. Teil: Grundlagen

die Abwägung des öffentlichen und privaten Interesses bei der Entscheidung über die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts maßgebliche Kriterium auch hier entsprechend heranzuziehen, zumal sich die Sachlage von derjenigen bei der Rücknahme eines ausschließlich begünstigenden Verwaltungsakts nur dadurch unterscheidet, daß zu dem mit dem Interesse des Begünstigten konfligierenden öffentlichen Interesse noch das Interesse des Dritten hinzutritt. Für die Schutzwürdigkeit eines Interesses ist nicht zuletzt von Bedeutung, ob und inwieweit dem Betroffenen unabhängig von der Frage der Rücknehmbarkeit des Verwaltungsakts noch andere ausreichende Möglichkeiten zur Wahrung seiner Interessen verbleiben. Was hier den durch einen Verwaltungsakt belasteten Drittbetroffenen betrifft, so kann dieser gegen den Verwaltungsakt Widerspruch und nachfolgend Anfechtungsklage erheben. Tut er dies, so finden die Sonderregelungen der§§ 50 VwVfG, 132 AO und 49 SGB X Anwendung, die dem Drittinteresse durch den ausdrücklichen Ausschluß der Regelungen über die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte den Vorrang einräumen. Man wird dem Drittbetroffenen auch zumuten können, zur Wahrung seiner Interessen von der ihm eingeräumten Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs Gebrauch zu machen. Die Interessen des begünstigten Adressaten können demgegenüber im wesentlichen nur durch eine Einschränkung der Rücknehmbarkeit des Verwaltungsakts geschützt werden. Will man den Schutz des Vertrauens des Begünstigten auf den Fortbestand eines an ihn gerichteten Verwaltungsakts nicht gänzlich leerlaufen lassen, nur weil- zufälligerweise- zugleich ein Dritter belastet wird, so wird man dem Vertrauen und Interesse des Begünstigten nicht von vornherein jede Schutzwürdigkeit absprechen können83. So muß etwa berücksichtigt werden, daß der begünstigte Adressat eines Verwaltungsakts von der Tatsache der nachteiligen Betroffenheit eines Dritten in vielen Fällen keine Kenntnis hat84 oder er den Kreis der möglicherweise betroffenen Dritten nicht sicher eingrenzen kann. Außerdem kann der Begünstigte ebenso wie bei einem Verwaltungsakt ohne Drittbezug - im Vertrauen auf Rechtmäßigkeit und Bestand des Verwaltungsakts bereits endgültige oder nur schwer rückgängig zu machende Vermögensdispositionen getroffen haben. Die danach ggf. anzunehmende Schutzwürdigkeit des Vertrauens und Interesses des Adressaten eines begünstigenden Verwaltungsakts mit belastender Drittwirkung besteht auch schon im Zeitraum bis zur Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts. Es ist nämlich zu bedenken, daß der Zeitraum der Anfechtbarkeit des Verwaltungsakts im Falle einer- in der Praxis nicht seltenen- fehlenden Bekanntgabe an den Dritten nicht durch den Lauf der relativ kurzen 83 So auch Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 17 III a; Erichsen, Jura 1981, 534 (539); a. A. aber wohl Schenke, DÖV 1983, 320 (324). 84 Vgl. auch Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 17 III a.

§ 3 Begünstigende und nicht begünstigende VAe

67

Rechtsbehelfsfristen, sondern höchstens durch das Rechtsinstitut der Verwirkungss begrenzt wird86. Man wird es dem Begünstigten nicht zumuten können, daß er über einen längeren, nicht exakt fixierten Zeitraum ständig noch mit der Anfechtung des Verwaltungsakts durch einen ihm nicht notwendig bekannten Dritten rechnen muß und solange auf den Fortbestand des Verwaltungsakts nicht vertrauen darf87. Dem danach mitzuberücksichtigenden Schutz des Interesses und Vertrauens des Begünstigten könnte nicht oder nur unzureichend Rechnung getragen werden, wenn man auch demjenigen durch einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung belasteten Drittbetroffenen, der von seinem Anfechtungsrecht keinen Gebrauch macht (gemacht hat), einen Vorrang seines Interesses vor demjenigen des Begünstigten zubilligen würde, und zwar in der Weise, daß die Rücknahme des Verwaltungsakts ohne die Beachtung der für begünstigende Verwaltungsakte geltenden Einschränkungen möglich wäre. In diesem Falle könnten die Interessen des Begünstigten höchstens noch bei der Ermessensbildung berücksichtigt werden88 und auch das nur im Rahmen der §§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG und 130 Abs. 1 Satz 1 AO, wohingegen § 44 SGB X der Behörde kein Ermessen einräumt. Die die bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte gebotene Interessenahwägung vorzeichnenden Regelungen der§§ 48 Abs. 2 Satz 1 - 4 VwVfG, 130 Abs. 2 AO und 45 Abs. 2 Satz 1 - 3 SGB X- ein Beispiel gesetzlicher Verfassungskonkretisierung und -aktualisierung89- blieben indessen ungenutzt. Auch unter Berücksichtigung der den gesetzlichen Rücknahmeregelungen zugrunde liegenden Interessenlage erscheint es deshalb sachgerecht, die §§ 48 VwVfG, 130 AO und 45 SGB X so auszulegen, daß abgesehen von dem in §§ 50 VwVfG, 132 AO und 49 SGB X gesondert geregelten Fall der Aufhebung während des Rechtsbehelfsverfahrens ein begünstigender Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung nur nach Maßgabe der für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte geltenden Bestimmungen zurückgenommen werden darf90. Das Interesse des belasteten Dritten und sein gegen die Behörde gerichteter Beseitigungsanspruch sind dabei in die Interessenabwäss Zur Verwirkung im Rahmen von Verwaltungsrechtsverhältnissen vgl. etwa Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 10 II 7 c. 86 Vgl. etwa BVerwGE 44, 294 (296 ff.); BVerwG DÖV 1973 , 350; Kopp, VwGO, § 74 Rdn. 18 ff.; Tschira/Schmitt Glaeser, VwProzeßR, S. 105, 128; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 183 (186). 87 Vgl. Wolff/Bachof, VwR I,§ 53 II e 2; Wallerath, Allg. VwR, § 7 VI 4. 88 So im Ergebnis etwa Schenke, DÖV 1983, 320 (324) . 89 Vgl. Häberle in FS f. Boorberg-Verlag, S. 47 (86) . 90 Ebenso im Ergebnis etwa Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 68; Wallerath, Allg. VwR, § 7 VI 4; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 64 I 4; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 47; Lange, WiVerw 1979, 15 (19 f.); ders., Jura 1980, 456 (463); Erichsen, Jura 1981, 534 (539). Zur Parallelproblematik beim Widerruf von Verwaltungsakten vgl. etwa Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 17 III a. 5*

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1. Teil: Grundlagen

gung nach §§ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG, 130 Abs. 2 Satz 1 AO und 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X miteinzubeziehen91 bzw. bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme mitzuberücksichtigen92. bb) beim belastenden Verwaltungsakt mit begünstigender Drittwirkung• Wenn vom Verwaltungsakt mit Drittwirkung die Rede ist, wird vielfach allein die Problematik des begünstigenden Verwaltungsakts mit belastender Drittwirkung erörtert93 . Die umgekehrte Konstellation eines den Adressaten belastenden Verwaltungsakts mit begünstigender Drittwirkung wird demgegenüber trotz ihrer praktischen Relevanz94 kaum diskutiert95. Die Zuordnung dieser Gruppe von Verwaltungsakten zu den Kategorien begünstigend I nicht begünstigend bedarf demzufolge noch der Klärung. Geht man wiederum von der Legaldefinition des begünstigenden Verwaltungsakts aus, so kommt es entscheidend darauf an, ob diese Verwaltungsakte neben der belastenden Wirkung für den Adressaten einen Dritten oder mehrere Dritte in der Weise begünstigen, daß sie für diese(n) einen rechtlich erheblichen Vorteil begründen oder bestätigen. Nach dem oben96 Gesagten ist dies ausgehend vom Regelungsgehalt des Verwaltungsakts zu beantworten. Die in einem Verwaltungsakt getroffene Regelung richtet sich an den Adressaten. Allein diesem gegenüber wird durch die Regelung eine Rechtsfolge gesetzt, wird verbindlich festgelegt, was Rechtens ist. Zwar kann ein den Adressaten belastender Verwaltungsakt nicht nur zufällig begünstigende Nebenwirkungen für einen Dritten zeitigen, er kann vielmehr auch von seiner primären oder wenigstens sekundären Ziel- und Zweckbestimmung her der Verwirklichung von subjektiven Rechten des Dritten dienen. Letzteres ist etwa der Fall, wenn ein Dritter einen Anspruch gegen die Verwaltung auf ordnungsbehördliches Einschreiten gegen einen Störer hat97. Auch im Falle der "beabsichtigten", nämlich Rechte des Dritten wahrenden Drittbegünstigung enthält aber der Verwaltungsakt eine Regelung nur gegenüber dem belasteten Adressaten; die Begünstigung des Dritten bleibt ein tatsächlicher Erfolg, der durch die Regelung herbeigeführt wird und der sich vorteilhaft auf die Rechtsstellung des Dritten auswirkt98. In den Fällen des belastenden VerwaltungsVgl. etwa Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 68. Vgl. etwa Lange, WiVerw 1979, 15 (19 f.); dens., Jura 1980, 456 (463) . Ebenso für den Widerruf Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 17 III a. 93 Vgl. nur Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 12 III 2; Maurer, Allg. VwR, § 9 Rdn. 50 und§ 11 Rdn. 67 ff.; Wallerath, Allg. VwR, § 71I 2 c, VI 4; Schenke, DÖV 1983, 320 (323 f.) . 94 Vgl. die Fallbeispiele oben§ 3 III 2 a. 95 Dazu auch Erichsen, Jura 1981, 534 (539). 96 § 3 I. 97 Vgl. etwa BVerwGE 11, 95 (97); OVG Münster OVGE 33, 310 ff. 91

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§ 3 Begünstigende und nicht begünstigende VAe

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akts mit begünstigender Drittwirkung ist der Verwaltungsakt somit seinem Regelungsgehalt nach nicht auf die Begründung eines rechtlich erheblichen Vorteils für den Dritten gerichtet. Er läßt sich deshalb schon von der Interpretation des Wortlauts her nicht unter die Legaldefinition des begünstigenden Verwaltungsakts fassen. Darüber hinaus ist auch die Interessenlage eine andere als beim begünstigenden Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung99. Geht es dort um den Schutz des Vertrauens des Adressaten in bezug auf eine an ihn gerichtete Regelung, so geht es vorliegend darum, inwieweit das Vertrauen eines Dritten in den Fortbestand eines an eine andere Person (Adressat) gerichteten, sich für diesen Dritten vorteilhaft auswirkenden Verwaltungsakts Schutz verdient. Da dem Dritten durch den Verwaltungsakt nicht unmittelbar Rechte eingeräumt werden, erscheint es gerechtfertigt, sein Vertrauen nicht in gleichem Maße zu schützen wie das eines Regelungsadressaten. Für die Frage der Zuordnung zu den Kategorien begünstigend I nicht begünstigend ist demnach beim Verwaltungsakt mit Drittwirkung entscheidend auf die Wirkung für den Adressaten abzustellen. Dies bedeutet, daß der belastende Verwaltungsakt mit begünstigender Drittwirkung nach den für die nicht begünstigenden Verwaltungsakte geltenden Regelungen zurückgenommen werden darflOo. Soweit die Rücknahme im Ermessen der Behörde stehtlül, verbleibt allerdings die Möglichkeit, die Interessen des Drittbetroffenen im Rahmen dieser Ermessensentscheidung mitzuberücksichtigen. c) Im besonderen: der angefochtene Verwaltungsakt mit Drittwirkung

Für den angefochtenen Verwaltungsakt mit Drittwirkung, d. h. denjenigen, der von einem Betroffenen mit den Rechtsbehelfen des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage angegriffen worden ist, gelten die vorstehenden Ausführungen nur insoweit, als nicht die Sondervorschriften der §§ 50 VwVfG, 132 AO und 49 SGB X abweichende Regelungen vorsehen, die bei einer Rücknahme während des Rechtsbehelfsverfahrens vorrangig zu beachten 98 Vgl. dazu auch Buermeyer, S. 39 ff. Die Sachlage ist in etwa vergleichbar mit derjenigen bei einem Verwaltungsrealakt, der sich- sei es begünstigend oder belastend auf die Rechtssphäre eines Betroffenen auswirkt. 99 Vgl. auch Erichsen, Jura 1981, 534 (539), dessen Begründung, der Drittbegünstigte könne nach erfolgter Rücknahme den Neuerlaß des Verwaltungsaktes mit Hilfe einer Verpflichtungsklage erreichen, allerdings wohl nur bei Form- und Verfahrensfehlern und nicht in den meisten sonstigen Fällen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes durchzugreifen vermag. 100 In bezug auf den Widerruf der mit einem Haltverbot getroffenen Regelung im Ergebnis wohl ebenso BVerwG DÖV 1977, 105 (106); OVG Münster NJW 1977, 587. Vgl. ferner Erichsen, Jura 1981, 534 (539) und - allerdings beschränkt auf die ungewollte Drittbegünstigung- Kimminich, JuS 1965, 241 (251 Fn. 19). 101 Vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, § 130 Abs. 1 Satz 1 AO; anders§ 44 SGB X.

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1. Teil: Grundlagen

sind. Da die genannten Vorschriften auf die gesetzlichen Regelungen der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte Bezug nehmen, soll auf sie bzw. stellvertretend auf§ 50 VwVfG- im Rahmen dieser Untersuchung erst nach der Behandlung der allgemeinen Rücknahmeregelungen, insbesondere des § 48 VwVfG, näher eingegangen werdent02. Bereits jetzt wird allerdings darauf hingewiesen, daß die genannten Sonderregelungen sich allein auf den begünstigenden Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung beziehen und dort weitgehend die Einschränkungen der Rücknehmbarkeit beseitigen. Was den durch den Adressaten angefochtenen belastenden Verwaltungsakt mit begünstigender Drittwirkung betrifft, verbleibt es bei der Rücknehmbarkeit nach den für nicht begünstigende Verwaltungsakte geltenden Grundsätzen.

102

Vgl. dazu unten im 3. Teil.

§ 4 Die Rücknahme im Spannungsfeld von Witksamkeit

und Bestandskraft des Verwaltungsakts

Das Rechtsinstitut der Rücknahme ist mit den Erscheinungsformen der Wirksamkeit und der Bestandskraft von Verwaltungsakten eng verknüpft. Die mit dem Wirksamwerden unabhängig von der Rechtmäßigkeitl eintretende Verbindlichkeit des Verwaltungsakts begründet für den Fall der Rechtswidrigkeit erst die Notwendigkeit eines Instituts wie das der Rücknahme. Auf der anderen Seite setzt die in der Stabilisierungsfunktion des Verwaltungsakts wurzelnde2 (materielle) Bestandskraft einer uneingeschränkten Rücknehmbarkeit Grenzen. Zum besseren Verständnis der Rücknahmeregelungen erscheint es deshalb angezeigt, zunächst die Stellung der Rücknahme im Spannungsfeld von Wirksamkeit und Bestandskraft näher zu untersuchen. I. Die Wirksamkeit des Verwaltungsakts

Übereinstimmende Regelungen der Wirksamkeit von Verwaltungsakten finden sich in §§ 43 VwVfG, 124 AO und 39 SGB X. Dort werden Beginn und Dauer der Wirksamkeit festgelegt; ferner wird klargestellt, daß ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam ist. Eine nähere Umschreibung oder gar Definition des Begriffs der Wirksamkeit enthalten die genannten Regelungen wie auch die übrigen Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze, der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches indessen nicht. Man ist somit darauf verwiesen, die Bedeutung des Begriffs aus dem Inhalt der vorhandenen Regelungen unter Berücksichtigung des bisherigen Sprachgebrauchs in Rechtsprechung und Schrifttum zu erschließen. 1. Die begriffliche Unterscheidung von "äußerer" und "innerer" Wirksamkeit

Obgleich die§§ 43 VwVfG, 124 AO und 39 SGB X auf diese Differenzierung nicht ausdrücklich Bezug nehmen, wird nach zutreffender Auffassung in Rechtsprechung3 und Schrifttum4 der Begriff der Wirksamkeit nicht mit einem Ausgenommen ist nur der Fall der Nichtigkeit des Verwaltungsakts. Vgl. dazu Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (188) und näher unten§ 4 Il 1 b bb. 3 Vgl. BVerwGE 13, 1 (7); 55 , 212 (215 f.); 57, 69 (70); BVerwG ZBR 1983, 191 (192). 1

2

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1. Teil: Grundlagen

einheitlichen Bedeutungsgehalt verwandt, sondern es wird zwischen der äußeren und der inneren Wirksamkeit differenziert. a) Die äußere Wirksamkeit

Gemeinhin wird unter äußerer Wirksamkeit die Existenz eines Verwaltungsaktes verstanden5 . Existent ist ein Verwaltungsakt, sobald er das Vorstadium eines "Entwurfs" verlassen hat und nicht mehr als lediglich verwaltungsinterner Vorgang ohne (Außen-)Rechtserheblichkeit angesehen werden kann. Hierfür ist Voraussetzung, daß die in Form eines Verwaltungsakts ergehende Willensäußerung der Behörde aus dem Bereich der Verwaltung herausgetreten ist und sie ihren Empfänger erreicht hat6. Dementsprechend bestimmen §§ 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, 124 Abs. 1 Satz 1 AO und 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X, daß ein Verwaltungsakt im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe? wirksam wird. Hiermit ist - wenigstens in erster Linie8 - die äußere Wirksamkeit im Sinne von rechtlicher Existenz des Verwaltungsakts gemeint9. Abweichend vom Vorstehenden unterscheidet ein Teil des SchrifttumslO zwischen der rechtlichen Existenz und der äußeren Wirksamkeit des Verwaltungsakts in der Weise, daß letztere nicht auf das Rechtserheblichwerden des Verwaltungsakts als solchen, sondern auf die mit der Bekanntgabe für den einzelnen Betroffenen eintretende Maßgeblichkeil bezogen wird. Diese Auffassung ermöglicht zwar stärkere Differenzierungen bei der Behandlung der Wirksamkeit des Verwaltungsakts mit Drittwirkung, für die jedoch- schon im Rahmen der äußeren Wirksamkeit- keine zwingende Notwendigkeit besteht. Auch hat sich die damit verbundene noch weitere Begriffsaufspaltung bisher nicht durchzusetzen vermocht. Vorliegend wird daher an dem herkömmlichen Begriffsverständnis festgehalten. 4 Vgl. Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 13; Maurer, Allg. VwR, § 9 Rdn. 66; Weides, Verwaltungsverfahren, S. 158; Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 1, 4 ff.; Meyer in Meyer/ Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 2, 13; Klappstein in Knack, VwVfG, § 43 Rdn. 2.2; Schroeder-Printzen, SGB X;§ 39 Anm. 2, 3; Laubinger, VA mit Doppelwirkung, S. 97 f.; Skouris, VerwArch Bd. 65 (1974); 264 (274); Krebs, VerwArch Bd. 68 (1977), 285 (288); eher kritisch Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 43 Rdn. 15. s Vgl. etwa BVerwGE 55, 212 (215); Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 4; Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 4 u. 5. 6 Vgl. auch BVerwGE 13, 1 (6 f.), wo vom Zustandekommen des Verwaltungsakts gesprochen wird; ferner Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 13; Buermeyer, S. 36 f. 7 Zu den Anforderungen an diese vgl. §§ 41 VwVfG , 122 AO und 37 SGB X. s Zu gewissen Einschränkungen näher unten § 4 I 2 b bb. 9 Ebenso Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 13; Krebs, VerwArch Bd. 68 (1977), 285 (288, 289); Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 2, 13; dens., NVwZ 1986, 513 (515); Stelkens, in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 11 ; vgl. aber auch dens., ebd. Rdn. 14. 10 So etwa Maurer, Allg. VwR, § 9 Rdn. 66. Vgl. auch Wolff/Bachof, VwR I, § 50 I, die ebenfalls zwischen Existenz und Wirksamkeit des Verwaltungsakts unterscheiden, mit letzterer aber offenbar nur diejenige Wirksamkeit meinen, die gemeinhin als

§ 4 Wirksamkeit und Bestandskraft des VA

73

b) Die innere Wirksamkeit

Der Begriff der inneren Wirksamkeit bezeichnet die Fähigkeit des Verwaltungsakts, die von ihm intendierten oder kraft Gesetzes mit ihm verbundenen Rechtswirkungen zu entfaltenn. Innere Wirksamkeit erlangt der Verwaltungsakt dementsprechend dann, wenn die in ihm enthaltene Regelung "in Kraft gesetzt" wird12 , d. h. wenn sie für den bzw. die Betroffenen verbindlich wird13. Gleichbedeutend mit der inneren Wirksamkeit wird mitunter auch von der "Geltung" des Verwaltungsakts gesprochent4. 2. Beginn und Dauer der Wirksamkeit des Verwaltungsakts

Die innere Wirksamkeit setzt das Bestehen der äußeren Wirksamkeit voraus15; beide müssen indes nicht notwendig zum gleichen Zeitpunkt eintretent6. a) Der Beginn der äußeren Wirksamkeit

Äußere Wirksamkeit erlangt der Verwaltungsakt, wie bereits an anderer Stelle gesagtt7, mit seiner Bekanntgabe. Wie in§§ 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, 122 Abs. 1 Satz 1 AO, 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X bestimmt und auch in§§ 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, 124 Abs. 1 Satz 1 AO sowie 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X wiederaufgenommmen worden ist, hat die Bekanntgabe an diejenigen ßeteiligtents zu erfolgen, für die der Verwaltungsakt bestimmt ist oder die von ihm betroffen werden, also sowohl an die Adressaten als auch an sonstige in ihren Rechten betroffene Dritte19.

"innere" bezeichnet wird, und die damit- im Unterschied zu Maurer aaO- im Ergebnis nur von einer Zweiteilung ausgehen. 11 Vgl. etwa Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 6; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 13; Schroeder-Printzen, SGB X, § 39 Anm.3; Krebs, VerwArch Bd. 68 (1977), 285 (288); ferner BVerwGE 57,69 (70). BVerwG ZBR 1983,191 (192) spricht insoweit von "Gestaltungswirkung". 12 BVerwGE 13, 1 (7). 13 Maurer, Allg. VwR, § 9 Rdn. 66. 14 Vgl. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 13; Wolff/Bachof, VwR I, § 50 I e; Krebs, VerwArch Bd. 68 (1977), 285 (288). 15 Vgl. etwa Klappstein in Knack, VwVfG, § 43 Rdn. 2.2; Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 6. 16 Vgl. BVerwGE 13, 1 (7); 55, 212 (215); Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 13. 17 Vgl. oben § 4 I 1 a. 18 Zum Begriff des Beteiligten vgl. §§ 13 VwVfG, 78 AO und 12 SGB X. 19 Vgl. etwa Kopp, VwVfG, § 41 Rdn. 7.

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1. Teil: Grundlagen

aa) Insbesondere: das Existentwerden der Verwaltungsakte mit Drittwirkung

Da beim Verwaltungsakt mit Drittwirkung die Bekanntgabe an Adressaten und sonstige Betroffene in der Praxis nicht selten zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgt oder die Bekanntgabe an den Dritten sogar ganz vergessen wird, stellt sich hier die Frage, welcher der Bekanntgabezeitpunkte für den Beginn der äußeren Wirksamkeit des Verwaltungsakts, d. h. für dessen Existentwerden, maßgeblich ist. Legt man die §§ 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, 124 Abs. 1 Satz 1 AO und 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X zugrunde, so scheinen diese Vorschriften das Wirksamwerden beim Verwaltungsakt mit Drittwirkung gewissermaßen aufzuspalten, indem sie dieses mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe an den einzelnen Adressaten oder Betroffenen verknüpfen. Bei dem hier zugrunde gelegten Begriffsverständnis von äußerer Wirksamkeit i. S. von rechtlicher Existenz kann diese "Aufspaltung" allerdings nicht so gemeint sein, daß ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung im Ergebnis zu verschiedenen Zeitpunkten, sozusagen in gestaffelter Abfolge, seine äußere Wirksamkeit erlangen würde. Der Zeitpunkt, in welchem ein Verwaltungsakt existent wird, er also aus dem Stadium des Verwaltungsinternums heraustritt und zu einer (außen-)rechtserheblichen Willensäußerung wird, muß notwendig ein einheitlicher sein, um eine exakte, an den Geboten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ausgerichtete Grenzziehung vornehmen zu können. Im übrigen bedarf es beim Verwaltungsakt mit Drittwirkung einer Aufspaltung nach einzelnen Adressaten bzw. Betroffenen erst, wenn es darum geht, von welchem Zeitpunkt an der Verwaltungsakt Rechtswirkungen gegenüber einer bestimmten Person auslöst, d. h. bei der Frage nach dem Zeitpunkt des Eintritts der inneren Wirksamkeit. Danach ist selbst bei unterschiedlichen Bekanntgabezeitpunkten ein einheitlicher Beginn der äußeren Wirksamkeit eines Verwaltungsakts mit Drittwirkung anzunehmen. Hiervon ausgehend besteht die Möglichkeit, für das Existentwerden entweder die Bekanntgabe an sämtliche Betroffene zu fordern2ü oder aber die Bekanntgabe schon an einen Adressaten oder Betroffenen ausreichen zu lassen. Vergegenwärtigt man sich, daß der Verwaltungsakt bereits dann eine über den verwaltungsinternen Bereich hinausreichende Rechtsverbindlichkeit erlangt, wenn er dem ersten von mehreren Betroffenen bekanntgegeben wird, erscheint allerdings nur die letztgenannte dieser zwei aufgezeigten Möglichkeiten vertretbar. Ein Verwaltungsakt wird demzufolge bereits dann i. S. von äußerer Wirksamkeit existent, wenn er gegenüber einem der Betroffenen bekanntgegeben worden ist21. 20 So etwa Ule/Laubinger, VwVerfR, §56 II sowie zuvor schon Siegmund-Schultze, DVBI. 1966, 247 (249), die allerdings jeweils nicht hinreichend deutlich werden lassen, ob sie die äußere oder die innere Wirksamkeit meinen. 21 Ebenso Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 2, 5 u . 13; ferner Haueisen, NJW 1964, 2037 (2039) ; BVerwG NJW 1970, 263 (264).

§ 4 Wirksamkeit und Bestandskraft des VA

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Dabei kann es keine entscheidende Rolle spielen, ob die Bekanntgabe zunächst an den Adressaten oder aber an einen der Drittbetroffenen erfolgt22. In beiden Fällen führt nämlich die zeitlich frühere Bekanntgabe dazu, daß der Verwaltungsakt seitdem kein bloßer Entwurf, kein Verwaltungsinternum mehr ist. bb) Die für das Existentwerden des Verwaltungsakts notwendigen Anforderungen an die Bekanntgabe Die Bekanntgabe des Verwaltungsakts an den Adressaten oder einen Betroffenen, die nach dem Vorstehenden den Beginn der äußeren Wirksamkeit markiert, ist nicht gleichbedeutend mit der Kenntnisnahme dieser Person vom Inhalt des Verwaltungsakts. Die Bekanntgabe geht insofern über die schlichte Kenntnisnahme hinaus, als sie auf seiten der Behörde den Willen zur Eröffnung des Inhalts des Verwaltungsakts an den Betroffenen voraussetzt23, Fehlt es an einer entsprechenden Willensbildung und -äußerung der Behörde und damit an einer Bekanntgabe, so wird der Verwaltungsakt nicht existent24. Eine verbreitete Auffassungzs verlangt für das Existentwerden des Verwaltungsakts darüber hinaus, daß die Bekanntgabe ordnungsgemäß, d. h. in der vorgeschriebenen Form und im vorgeschriebenen Verfahren, erfolgt ist. Der Wortlaut der §§ 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, 124 Abs. 1 Satz 1 AO und 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist insoweit nur von geringer Aussagekraft. Er knüpft für den Eintritt der (äußeren) Wirksamkeit eines Verwaltungsakts an dessen Bekanntgabe an, ohne näher darüber Aufschluß zu geben, ob die Bekanntgabe gänzlich frei von Form- und Verfahrensfehlern sein muß oder ob es etwa ausreicht, daß bestimmte Mindesterfordernisse26 einer jeden Bekanntgabewie z. B. die willentliche Inkenntnissetzung des richtigen Adressaten vom Inhalt des Verwaltungsakts durch die Behörde- beachtet worden sind. Vergegenwärtigt man sich, daß Form- und Verfahrensfehler grundsätzlich einen Verwaltungsakt rechtswidrig, u . U. auch nichtig machen, seine äußere Wirksamkeit (Existenz) aber unberührt lassen27, so wäre es nur schwer einsichtig, 22 So wohl auch Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 13; für die Erforderlichkeit einer Bekanntgabe an den Adressaten, gegenüber dem eine Regelung getroffen wird, aber etwa Buermeyer, S. 42. 23 Vgl. BVerwGE 16, 165 (166 f.) ; 17, 148 (153); 22, 14 (15) ; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 41 Rdn. 7. 24 Vgl. BVerwG DÖV 1961, 182; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 41 Rdn. 8. 25 So etwa OVG Harnburg DVBI. 1982, 218; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 41 Rdn. 8 und§ 43 Rdn. 12; Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 15; wohl auch BVerwG ZBR 1983, 191 (192) ; OVG Rheinland-Pfalz DVBJ. 1983, 955 (LS 2) . 26 Vgl. dazu etwa K opp, VwVfG , § 43 Rdn. 15; für die Berücksichtigung nur grober Fehler wohl auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 21. 27 Vgl. etwa Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 13 u. 25.

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I. Teil: Grundlagen

wenn für Fehler bei der Bekanntgabe etwas anderes gelten sollte2s, es sei denn, die Anforderungen, die im allgemeinen an das Existentwerden eines Verwaltungsakts gestellt werden, sind bei einer fehlerhaften Bekanntgabe nicht erfüllt. Ist ein Verwaltungsakt mit Willen der erlassenen Behörde dem richtigen29 Adressaten bzw. Betroffenen zur Kenntnis gegeben worden, so ist er unabhängig von eventuellen sonstigen die Bekanntgabe betreffenden Formoder Verfahrensfehlern kein Entwurf, kein Verwaltungsinternum mehr; es handelt sich vielmehr um eine in der Form eines Verwaltungsakts in den Außenrechtskreis, das Staat-Bürger-Verhältnis hinausgetretene Rechtshandlung, die auch, da einer bestimmten Behörde zurechenbar und ihrem Willen entsprungen, keinen sog. Nichtakt3° darstellt. Damit sind aber alle Voraussetzungen erfüllt, die nach dem oben31 Gesagten für das Existentwerden des Verwaltungsaktsvorliegen müssen. Ob der Verwaltungsakt auch die intendierten ·Rechtsfolgen auslöst, ist dagegen eine andere Frage, die nicht seine äußere, sondern seine innere Wirksamkeit betrifft und deren Beantwortung davon abhängt, ob der jeweilige Bekanntgabefehler derart schwer ist, daß er die Nichtigkeit des Verwaltungsakts begründet32. cc) Eintritt der äußeren Wirksamkeit eines Verwaltungsakts trotzfehlender Bekanntgabe?

Ein Verwaltungsakt, der (noch) niemandem bekanntgegeben worden ist, kann auch (noch) nicht als existent behandelt werden. Wenn im Anschluß an eine in der Rechtsprechung33 entwickelte Auffassung, wonach ein Drittbetroffener, dem der Verwaltungsakt nicht bekanntgegeben worden ist, nach den Grundsätzen der Verwirkung34 sein Anfechtungsrecht verlieren kann, die These vertreten wird, daß nach diesen Grundsätzen ein ggf. überhaupt nicht bekanntgegebener Verwaltungsakt praktisch wie ein nach §§ 43 Abs. 1 So wohl auch Maurer, Allg. VwR, § 9 Rdn. 67. Vgl. dazu§§ 41 Abs. 1 VwVfG, 122 Abs.l AO, 37 Abs. 1 SGB X. 30 Dazu näher Wolff/Bachof, VwR I, § 51 II; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 11 II 2 e; Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 28. 31 § 4 I a. 32 Dies wird -teilweise unter undifferenzierter Behandlung der Begriffe Unwirksamkeit und Nichtigkeit- im Falle einer fehlerhaften Bekanntgabe allgemein angenommen von OVG Harnburg DVBI. 1982, 218; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 12 und § 44 Rdn. 11 ; Skouris, VerwArch Bd. 65 (1974), 264 (275 f.); dazu auch Krebs, VerwArch Bd. 68 (1977), 285 (289 f.). Richtigerweise wird man aber im Einzelfall prüfen müssen, ob die Voraussetzungen der §§ 44 Abs. 1 VwVfG, 125 Abs. 1 AO bzw. 40 Abs. 1 SGB X- insbesondere auch die Offenkundigkeit- vorliegen. 33 Vgl. etwa BVerwGE 44, 294 (298 ff.) ; BVerwG DÖV 1973, 350; OVG Lüneburg OVGE 30, 399 ff.; OVG Münster BauR 1980, 56 (57 f.) und NJW 1979, 1375; VG München NJW 1979, 1375; dazu auch Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (186). 34 Zum Institut der Verwirkung im öffentlichen Recht etwa Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 10 II 7 c. 2s

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VwVfG, 124 Abs. 1 AO oder 39 Abs. 1 SGB X wirksam und damit existent gewordener zu behandeln sei3S, so wird dabei übersehen, daß die Rechtskonstruktion der Verwirkung des Anfechtungsrechts erst dann zum Tragen kommen kann, wenn der Verwaltungsakt bereits anfechtbar ist. Die Anfechtbarkeit setzt aber wiederum voraus, daß der Verwaltungsakt existent geworden ist36, was nur durch die Bekanntgabe an zumindest einen Betroffenen- wenn nicht den Dritten, so doch jedenfalls den Adressaten- geschehen kann37. Im Ergebnis bedarf es daher der (Hilfs-)Konstruktion, den Verwaltungsakt so zu behandeln, als wenn er einem bestimmten Betroffenen gegen!iber wirksam geworden wäre, zum Begründung des Anfechtungsrechts dieses Betroffenen und ggf. dessen Verwirkung nicht, da die Bekanntgabe an eben diesen Betroffenen nicht notwendige Voraussetzung für den Eintritt der äußeren Wirksamkeit eines Verwaltungsakts38 und damit zugleich für den Beginn seiner Anfechtbarkeit durch in ihren Rechten Betroffene ist. b) Der Beginn der inneren Wirksamkeit

aa) Allgemeines

Innere Wirksamkeit erlangen und damit Rechtsfolgen gegenüber Adressaten und Betroffenen auslösen kann ein Verwaltungsakt immer erst von dem Zeitpunkt an, in dem er rechtlich existent geworden ist. Die innere Wirksamkeit kann infolgedessen niemals der äußeren zeitlich vorausgehen. Gleichwohl können die Zeitpunkte des "äußeren" und des "inneren" Wirksamwerdens auseinanderfallen. Zwar tritt bei einem Verwaltungsakt mit Wirkung nur für den Adressaten im Regelfall mit der Bekanntgabe an diesen nicht nur die äußere Wirksamkeit, sondern zugleich auch die innere Wirksamkeit ein. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn der Verwaltungsakt selbst anordnet, daß seine Rechtswirkungen erst zu einem bestimmten, der Bekanntgabe zeitlich nachfolgenden Zeitpunkt eintreten sollen, oder wenn die Rechtsfolgenanordnung aufschiebend bedingt ist. Als Beispiel sei die bedingte Einberufung eines gedienten Wehrpflichtigen für den Bereitschafts- oder Verteidigungsfall genannt39. Hier folgt der Eintritt der inneren Wirksamkeit dem der äußeren Wirksamkeit nach40. Darüber hinaus führt die aufschiebende Wirkung von 35 So etwa Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 9; Schroeder-Printzen, SGB X, § 39 Anm. 4. Vgl. dazu auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 22; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (186 f. ). 36 So auch Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 5. 37 Vgl. dazu und zur Kritik an Kopp auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 22. 38 Vgl. dazu bereits oben§ 4 I 2 a aa. 39 Vgl. BVerwGE 57, 69. 40 Vgl. zu derartigen Fällen auch Klappstein in Knack, VwVfG, § 43 Rdn. 2.2.1.3.

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I. Teil: Grundlagen

Widerspruch und Anfechtungsklage jedenfalls dann, wenn man der sog. Wirksamkeitstheorie41 folgt, die eine Wirksamkeitshemmung annimmt, dazu, daß äußere und innere Wirksamkeit auseinanderfallen können42. bb) Besonderheiten bei Verwaltungsakten mit mehreren Adressaten oder mit Drittwirkung

Besonderheiten gelten für den Eintritt der inneren Wirksamkeit dann, wenn ein Verwaltungsakt an mehrere Adressaten gerichtet ist oder wenn er neben dem (den) Adressaten noch Dritte in ihren Rechten betrifft. Hier ist danach zu fragen, wann der Verwaltungsakt gegenüber dem einzelnen Adressaten bzw. sonstigen Betroffenen innere Wirksamkeit erlangt. Diese Frage ist zum Teil in §§ 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, 124 Abs. 1 Satz 1 AO und 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X mitgeregelt. Insofern, als dort der Eintritt der Wirksamkeit des Verwaltungsakts gegenüber einer bestimmten Person - sei sie Adressat oder sonstiger Betroffener- angesprochen ist, geht es nicht nur um die rechtliche Existenz des Verwaltungsakts, sondern (auch) um die Maßgeblichkeit des Regelungsinhaltsfür die betreffende Person, also um die innere Wirksamkeit43. Reicht für den Eintritt der äußeren Wirksamkeit die Bekanntgabe an einen von mehreren Adressaten oder Betroffenen aus44, so läßt sich den Vorschriften der §§ 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, 124 Abs. 1 Satz 1 AO und 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X weiter entnehmen, daß auch im Hinblick auf die verbleibenden Adressaten oder Betroffenen die Bekanntgabe an sie eine zwingende - wenn auch nicht notwendig die einzige- Voraussetzung für den Eintritt der inneren Wirksamkeit ihnen gegenüber ist. Wird ein Verwaltungsakt mehreren Adressaten oder Betroffenen gegenüber zu unterschiedlichen Zeitpunkten bekanntgegeben, so führt dies zumindest in den Fällen, in denen die Rechtswirkungen sogleich mit der Bekanntgabe eintreten, dazu, daß der Eintritt der inneren Wirksamkeit bei ein und demselben Verwaltungsakt gewissermaßen aufgespalten wird45. Auf der anderen Seite muß mit der Bekanntgabe an den jewei41 Dazu ausführlich Erichsen!Klenke, DÖV 1976, 833 ff. m. w. Nachw. Im Unterschied zur Wirksamkeitstheorie nimmt die vor allem in der Rechtsprechung vorherrschende Vollzugstheorie - vgl. statt vieler BVerwG ZER 1983, 191 (192) und NJW 1983, 776 (777) - nur eine Vollzugshemmung an; dazu auch Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rdn. 1m. w. Nachw. 42 Vgl. auch BVerwGE 13, 1 (7); 55, 212 (216) ; 57, 69 (70); Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 6. 43 So wohl auch Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 7 u. 13. 44 Vgl. oben § 4 I 2 a aa. 45 Vgl. Badura in Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 41 II 6; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 25; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 14; Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 7, 13 f. ; Koch, AO, § 124 Rdn. 5; eher kritisch Ule/Laubinger, VwVerfR, § 56 II. Anders noch eine vor dem Inkrafttreten der VwVfGe vertretene Auffassung, die davon ausging, daß die (innere) Wirksamkeit allen Betroffenen gegenüber immer

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Iigen Betroffenen noch nicht notwendig die innere Wirksamkeit eintreten. Insofern gilt für den Verwaltungsakt, der sich an mehrere Adressaten richtet oder Dritte in ihren Rechten betrifft, nichts Abweichendes von der bereits dargelegten46 Möglichkeit, daß der Verwaltungsakt selbst vorsehen kann, daß seine Regelung erst zu einem späteren, der Bekanntgabe nachfolgenden Zeitpunkt Geltungskraft erlangt. c) Die Dauer von äußerer und innerer Wirksamkeit

Gemäß §§ 43 Abs. 2 VwVfG, 124 Abs. 2 AO und 39 Abs. 2 SGB X bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit47 er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Tritt einer der genannten Umstände ein, so entfaltet der Verwaltungsakt nicht mehr die in seinem Entscheidungssatz ausgesprochenen Rechtsfolgen bzw. Rechtswirkungen. Er verliert demzufolge, sofern diese bereits eingetreten war, seine innere Wirksamkeit48. Ob darüber hinaus auch die äußere Wirksamkeit, d. h. die rechtliche Existenz, des Verwaltungsakts unter den Voraussetzungen der§§ 43 Abs. 2 VwVfG, 124 Abs. 2 AO und 39 Abs. 2 SGB X wegfällt, könnte deshalb zweifelhaft erscheinen, weil der Verwaltungsakt- ausgenommen den Fall der Rücknahme mit ex-tunc-Wirkungals "historische Tatsache"49 nicht aus der Welt ist und er kraft seiner bisherigen Geltung auch noch über den Zeitpunkt seiner (inneren) Wirksamkeitsbeendigung hinaus von rechtlicher Relevanz sein kann5ü. Auf der anderen Seite ist indes zu bedenken, daß der Verwaltungsakt in den hier in Rede stehenden Fällen entweder formal aufgehoben wird oder aber jedenfalls der in der Regelung enthaltene Rechtsfolgenausspruch auf andere Weise entfällt. Da der i. S. der§§ 43 Abs. 2 VwVfG, 124 Abs. 2 AO, 39 Abs. 2 SGB X "erledigte" Verwaltungsakt selbst nichts mehr regelt, d. h. nicht mehr oder nicht länger den nach seinem Rechtsfolgenausspruch intendierten rechtlichen Erfolg herbeiführen soll, sondern Rechtswirkungen allenfalls noch als Folgewirkungen seiner früheren, für die Vergangenheit im Regelfall51 nicht nur gleichzeitig eintreten könne und sie deshalb die Bekanntgabe an alle voraussetze. So etwa Siegmund-Schultze, DVBI. 1966, 247 (249); Laubinger, VA mit Doppelwirkung, S. 99 ff. ; z. T . abweichend Haueisen, NJW 1964, 2037 (2039). 46 Vgl. oben § 4 I 2 b aa. 47 Diese "soweit"-Klausel bezieht sich nicht unmittelbar auf die Absteckung der Grenzen des Wirksamkeitszeitraums. Sie dient vielmehr der Klarstellung, daß ein- teilbarer- Verwaltungsakt seine Wirksamkeit nur teilweise verlieren und sie zum anderen Teil behalten kann. Vgl. dazu auch Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 43 Rdn. 19. 48 Vgl. Kopp, VwVfG, § 43 Rdn . 16; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 29; Schroeder-Printzen, SGB X,§ 40 Rdn. 6. 49 So etwa Bode, S. 31. 50 Vgl. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 29. 51 Ausnahmefall: Aufhebung mit Wirkung ex tune.

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l. Teil: Grundlagen

beseitigteJ;I Existenz und Geltung auszulösen vermag, wird man ihn vom Zeitpunkt der "Erledigung" an keine rechtliche Existenz mehr zuerkennen können. Von diesem Zeitpunkt an ist er nämlich nicht mehr dazu bestimmt, im Außenrechtsverhältnis Recht zu setzen; er hat vielmehr seine dahingehende Funktion verloren. Auch die Dauer der äußeren Wirksamkeit eines Verwaltungsakts bestimmt sich demzufolge nach den §§ 43 Abs. 2 VwVfG, 124 Abs. 2 AO, 39 Abs. 2 SGB xsz.

3. Wirksamkeit und nichtiger Verwaltungsakt §§ 43 Abs. 3 VwVfG, 124 Abs. 3 AO und 39 Abs. 3 SGB X bestimmen übereinstimmend: "Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam". Dieser Formulierung, die sich nicht ohne weiteres umdrehen läßt53 und die als solche noch nicht sehr viel Klarheit schafft, wird man jedenfalls entnehmen müssen , daß im Verwaltungsverfahrensrecht die Begriffe Nichtigkeit und Unwirksamkeit nicht mit identischem Inhalt gebraucht werden54 ; andernfalls würden sich die oben angeführten gesetzlichen Regelungen als weitgehend ohne Sinn oder zumindest überflüssig erweisen. Nach Wortlaut und Gesetzessystematik wird man davon auszugehen haben, daß der nichtige Verwaltungsakt vielmehr ein Unterfall desjenigen Verwaltungsaktes ist, dem die in§§ 43 VwVfG, 124 AO, 39 SGB X geregelte Wirksamkeit fehlt . Zu klären bleibt dabei allerdings noch die Frage, ob ein nichtiger Verwaltungsakt schon keine "äußere" Wirksamkeit i. S. rechtlicher Existenz erlangt oder ob er nur ohne Rechtswirkungen , also unverbindlich, für die Betroffenen bleibt, d. h. ihm die "innere" Wirksamkeit fehlt. Auch ein Verwaltungsakt, der an einem Fehler leidet, der gemäß §§ 44 VwVfG, 125 AO oder 40 SGB X zu seiner Nichtigkeit führt, überschreitet mit seiner Bekanntgabe an einen der Betroffenen die Schwelle vom Verwaltungsinternum zu einer in den Rechtsverkehr gelangten externen Maßnahme, die zudem mit einem Rechtsschein von Verbindlichkeit ausgestattet ist. Entgegen Meyerss und Klappstein56 erlangt darum auch ein nichtiger Verwaltungsakt äußere Wirksamkeit i. S. rechtlicher Existenz57 . Einwände hiergegen lassen sich weder aus dem insoweit offenen Wortlaut der§§ 43 Abs. 3 VwVfG, 52 Ebenso Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 16; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 43 Rdn. 15; Schroeder-Printzen, SGB X, § 39 Anm. 6; Krebs, VerwArch Bd. 68 (1977) , 285 (290, 291). 53 Vgl. etwa Krebs, VerwArch Bd. 68 (1977), 285 (288 f.). 54 Anders wohl Skouris, VerwArch Bd. 65 (1974), 264 (275 f.). 55 In Meyer/Borgs, VwVfG; § 43 Rdn. 20; ders., NVwZ 1986, 513 (516). 56 In Knack, VwVfG, § 43 Rdn. 6. 57 Ebenso Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 43 Rdn. 25; Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 6; Ule/Laubinger, VwVerfR, §56 V; Wolff/Bachof, VwR I, § 50 I b 1; Krebs, VerwArch Bd. 68 (1977) , 285 (288 f.); Bettermann, DVBI. 1963, 826.

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124 Abs. 3 AO, 39 Abs. 3 SGB X noch aus der Gesetzessystematik herleiten, wenn man bedenkt, daß die Vorschriften der §§ 43 VwVfG, 124 AO und 39 SGB X sich nach dem obenss Ausgeführten nicht auschließlich auf die äußere Wirksamkeit beziehen. Hinzu kommt, daß die Regelungen der§§ 44 Abs. 5 VwVfG, 125 Abs. 5 AO und 40 Abs. 5 SGB X ebenso wie§ 43 Abs. 1 VwGO die rechtliche Existenz nichtiger Verwaltungsakte voraussetzen59, wenn dort vorgesehen ist, daß die Nichtigkeit behördlicherseits oder gerichtlicherseits festgestellt werden kann, unter bestimmten Umständen sogar festgestellt werden muß. Schließlich kann die von Meyer60 befürchtete Konsequenz einer "dann möglichen (und notwendigen?) Rücknahme" mitsamt den dabei bestehenden rechtlichen Bindungen abgesehen davon, daß diese Konsequenz nach der hier vertretenen Auffassung61 nicht zu ziehen ist, nicht dazu führen, daß dann (aus Zweckmäßigkeitsgründen?) einfach die rechtliche Existenz nichtiger Verwaltungsakte geleugnet wird. Der Begriff "unwirksam" i. S. der§§ 43 Abs. 3 VwVfG, 124 Abs. 3 AO und 39 Abs. 3 SGB X bezieht sich demgemäß nicht auf die.,äußere, sondern allein auf die innere Wirksamkeit des Verwaltungsakts62. Er besagt somit, daß der Verwaltungsakt weder für die Behörde noch für Adressaten und Dritte die beabsichtigten Rechtswirkungen auslöst, daß er von niemandem befolgt oder beachtet werden muß63. Wenn nach dem Vorstehenden ein nichtiger Verwaltungsakt seine rechtliche Existenz voraussetzt, so bedeutet dies umgekehrt, daß ein "Verwaltungsakt", der gar nicht existent geworden ist, kein nichtiger Verwaltungsakt sein kannM, sondern im Ergebnis eine Maßnahme ohne Verwaltungsaktsqualität ist.

§ 4 I 2 b bb. So auch Krebs, VerwArch Bd. 68 (1977), 285 (289). Dagegen ohne nähere Begründung Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 20. Nach Klappstein in Knack, VwVfG, § 43 Rdn. 6, soll bereits der "Rechtsschein" eines VA bzw. der "Anschein" dessen äußerer Wirksamkeit für die behördliche oder gerichtliche Nichtigkeitsfeststellung ausreichend sein. 60 In Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 20. 61 Dazu näher unten § 4 I 4 c. 62 So etwa auch Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 43 Rdn. 15 und 25; Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 21; Krebs, VerwArch Bd. 68 (1977), 285 (288 f.). 63 Vgl. Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 21; Schroeder-Printzen, SGB X, § 39 Anm. 11, beide m. w. Nachw. 64 Vgl. dazu auch Krebs, VerwArch Bd. 68 (1977), 285 (289). 5s

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1. Teil: Grundlagen

4. Berührungspunkte der Wirksamkeit und der Rücknahme eines Verwaltungsakts a) Die Rücknahme als Mittel der Wirksamkeits· beendigung bzw. ·beseitigung

Die Rücknahme ist ein Institut, mit welchem die Verwaltung die Dauer von äußerer und innerer Wirksamkeit beeinflussen kann. Sie ist ausdrücklich in die Vorschriften der §§ 43 Abs. 2 VwVfG, 124 Abs. 2 AO und 39 Abs. 2 SGB X aufgenommen worden als einer der Umstände, die zum Verlust der Wirksamkeit des Verwaltungsakts führen. Zum einen endet mit der Rücknahme die rechtliche Existenz des Verwaltungsakts65. Wird die Rücknahme mit Wirkung ex nunc ausgesprochen, so tritt diese Beendigungswirkung nur für die Zukunft ein. Die bis zum Rücknahmezeitpunkt vorhanden gewesene rechtliche Existenz wird nicht angetastet und der Verwaltungsakt behält für diesen Zeitraum seine Bedeutung. Bei einer Rücknahme mit Wirkung ex tune wird demgegenüber die rechtliche Existenz des Verwaltungsakts auch für die Vergangenheit, d. h. rückwirkend, beseitigt66. Der Verwaltungsakt wird damit so behandelt, als wenn er niemals erlassen worden, niemals existent gewesen wäre. Zum anderen bewirkt die Rücknahme- jedenfalls im Regelfall-den Wegfall der Geltung der durch den Verwaltungsakt ausgelösten Rechtsfolgen, also den Wegfall seiner inneren Wirksamkeit67. Grundsätzlich ist die Geltungsbeendigung6s nämlich eine notwendige Folge des Verlustes der rechtlichen Existenz, da die Geltung eines Verwaltungsakts seine äußere Wirksamkeit zwingend voraussetzt6B•. Ob die Geltung des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Zukunft beendet oder aber auch mit Wirkung für die Vergangenheit beseitigt wird, hängt wiederum davon ab, ob die einzelne Rücknahmeentscheidung der Behörde mit Wirkung ex nunc oderextune ergeht. Nur ausnahmsweise führt die Rücknahme eines Verwaltungsakts nicht zu einer Beendigung bzw. Beseitigung seiner inneren Wirksamkeit. Dies ist dann der Fall, wenn der zurückgenommene Verwaltungsakt im Zeitpunkt seiner Rücknahme bereits bekanntgegeben und damit rechtlich existent war, er aber - z. B. wegen der auf65 Vgl. etwa Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 30; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5. Ferner oben§ 4 I 2 c. 66 A. A. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 32, mit der Begründung, daß Rechtstatsachen nicht aus der Welt geschaffen werden könnten. Dies wird aber gerade mit der Anordnung der Rückwirkung bezweckt. 67 Vgl. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 30; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5. Ferner oben§ 4 I 2 c. 68 Wolff/Bachof, VwR I, §53 II d 2, IV a, V a, sprechen demgegenüber bei der Rücknahme- im Unterschied zum Widerruf- von Geltungsvernichtung, um die Finalität der auf die Beseitigung eines fehlerhaften Aktes gerichteten Maßnahme zu betonen. 68a Vgl. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 2 und bereits oben§ 4 I 2 b aa.

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schiebenden Bedingtheit seiner Rechtsfolgenanordnung - noch keine innere Wirksamkeit erlangt hatte. Hier muß sich die Rücknahmewirkung auf den Verlust der äußeren Wirksamkeit des Verwaltungsakts beschränken. b) Die (äußere) Wirksamkeit des Verwaltungsakts als notwendige Voraussetzung der Rücknahme

Der in§§ 43 Abs. 2 VwVfG, 124 Abs. 2 AO und 39 Abs. 2 SGB X normierten wirksamkeitsbeendenden Funktion der Rücknahme ist zu entnehmen, daß die Rücknahme ihrerseits das Vorliegen eines wirksamen Verwaltungsakts voraussetzt68b. Allerdings reicht es hierzu grundsätzlich69 aus, daß der Verwaltungsakt bekanntgegeben und damit existent geworden ist. Von diesem Zeitpunkt an ist nämlich die Behörde - ohne Rücksicht auf einen erst späteren Eintritt der inneren Wirksamkeit- bereits in der Weise an den Verwaltungsakt gebunden, daß sie ihn nur noch nach Maßgabe der gesetzliche·n Rücknahme- und Widerrufsregelungen aufheben oder abändern darf70. Dies gilt auch für den bereits existent gewordenen Verwaltungsakt mit Drittwirkung, der dem Dritten (noch) nicht bekanntgeg~ben wurden. In den Fällen, in denen äußere und innere Wirksamkeit auseinanderfallen, kann somit eine Rücknahme schon vor Eintritt der inneren Wirksamkeit in Betracht kommen. Die Tatsache, daߧ§ 43 Abs. 2 VwVfG, 124 Abs.2 AO, 39 Abs. 2 SGB X sich grundsätzlich sowohl auf die äußere als auch auf die innere Wirksamkeit beziehen72, steht dem nicht entgegen, weil in diesen Fällen eben nur eine äußere Wirksamkeit vorhanden ist, deren isolierte Beseitigung durch die erlassende Behörde möglich''sein muß. Wird einmal ein Verwaltungsakt "zurückgenommen", der mangels Bekanntgabe noch keine äußere Wirksamkeit erlangt hat, so kann einer solchen "Rücknahme" u. U. die rechtliche Bedeutung einer Ablehnung des Antrags auf Erlaß des betreffenden Verwaltungsakts zukommen73. c) Insbesondere: die Rücknehmbarkeit nichtiger Verwaltungsakte

Vergegenwärtigt man sich, daß nach dem soeben Ausgeführten zwar die äußere, nicht notwendig aber auch die innere Wirksamkeit des Verwaltungs68b Vgl. etwa Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 13; Maurer, Al!g. VwR, § 11 Rdn. 16; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 16; ebenso bereits Storz, S. 7 f. Vgl. auch BGH NJW 1983, 215 (216). 69 Zu der besonderen Fragestellung der Rücknahmemöglichkeit eines nichtigen Verwaltungsakts vgl. allerdings unten § 4 I 4 c. 70 Vgl. Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 5; Meyerin Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 4 u. 5. n Vgl. dazu Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 12. n Vgl. dazu oben § 4 I 2 c. 73 Vgl. dazu etwa bad.-württ. VGH VBIBW 1982, 132.

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1. Teil: Grundlagen

akts Voraussetzung seiner Rücknahme ist und daß auf der anderen Seite ein nichtiger Verwaltungsakt regelmäßig mit seiner Bekanntgabe äußere Wirksamkeit erlangt74 , so dürften an sich gegen die Rücknehmbarkeit nichtiger Verwaltungsakte keine Bedenken bestehen75. Dies gilt um so mehr, als auch im Verwaltungsprozeßrecht die Möglichkeit, gegen einen nichtigen Verwaltungsakt Anfechtungsklage zu erheben, um seine gerichtliche Aufhebung zu erreichen, allgemein anerkannt ist76. Der Umstand, daß die Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts in §§ 44 Abs. 5 VwVfG, 125 Abs. 5 AO und 40 Abs. 5 SGB X das besondere Rechtsinstitut der Nichtigkeitsfeststellung durch die Behörde vorsehen, nötigt indes dazu, die Prämisse der Rücknehmbarkeit nichtiger Verwaltungsakte einer näheren Prüfung zu unterziehen. Es stellt sich nämlich die Frage, ob die Nichtigkeitsfeststellung im Verhältnis zur Rücknahme des Verwaltungsakts des speziellere Rechtsinstitut ist und ob aus diesem Grunde die Anwendbarkeit der Rücknahmevorschriften auf nichtige Verwaltungsakte ausgeschlossen ist. Zwei Normen stehen dann im Konkurrenzverhältnis77 der "Spezialität", wenn alle von der spezielleren Norm erfaßten Fälle auch solche der generelleren sind, aber nicht umgekehrt alle von der generelleren Norm erfaßten Fälle auch von der spezielleren Norm erfaßt werden78. Da jeder nichtige Verwaltungsakt zugleich rechtswidrig, nicht aber jeder rechtswidrige Verwaltungsakt zugleich nichtig ist, ist in bezugauf die Vorschriften über die Nichtigkeitsfeststellung und die Regelungen der Rücknahme von Verwaltungsakten das Konkurrenzverhältnis der Spezialität gegeben. Aus dem Vorliegen eines Spezialitätsverhältnisses kann allerdings noch nicht der Schluß gezogen werden, daß die "Iex specialis" die "Iex generalis" stets und denknotwendig verdrängt. Wenn dies auch in vielen Fällen der Fall sein wird, so können gesetzessystematische und teleologische Erwägungen doch in bestimmten Fällen dazu führen, daß beide Normen nebeneinander anwendbar sind79. Ansatzpunkte hierfür könnte das Verwaltungsprozeßrecht bieten, wenn es dort eine vergleichbare Konstellation einer Normenkonkurrenz zwischen der Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und der Feststellung seiner Vgl. oben§ 4 I 3. So im Ergebnis etwa Kopp, VwVfG, § 43 Rdn. 26, § 44 Rdn. 71 und § 48 Rdn. 17; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 9; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 61 li; wohl auch Obermayer, Grundzüge , S. 128; vgl. ferner OVG NW, Urt. v. 27. 1. 1988 11 A 1194/86 - . 76 Vgl. BVerwGE 18, 154 (155); BayVGH BayVBI. 1976, 237 (239); BGH NJW 1979, 1710; Kopp VwGO, § 42 Rdn. 2; Redeker!v. Oertzen, VwGO, § 42 Rdn. 12; Tschira/Schmitt Glaeser, VwProzeßR, S. 76 f.; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme , S. 55; Erichsen, Jura 1980, 153 (154). 77 Zur Konkurrenz von Rechtsnormen vgl. näher Larenz, Methodenlehre, S. 255 ff. 78 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 256 f. ; ferner Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 22 f. 79 Ebenso Larenz, Methodenlehre, S. 257. 74 75

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Nichtigkeit gäbe. Eine besondere Rechtsschutzform für ein auf die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts durch das Verwaltungsgericht gerichtetes Klagebegehren ist die Feststellungsklage gemäߧ 43 VwGO. § 43 Abs. 2 Satz 2 VwGO, der für die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts die "Subsidiarität" der Feststellungsklage gegenüber Gestaltungsund Leistungsklagen aufhebt, geht davon aus, daß ein nichtiger Verwaltungsakt außer mit der Feststellungsklage auch noch mit anderen Klagen, so- wie bereits erwähntBO- mit der Anfechtungsklage, angegriffen werden kann. Der Feststellungsklage kommt somit trotz ihrer "Spezialität" im Hinblick auf nichtige Verwaltungsakte kraft normativer Bestimmung nicht die Funktion einer die übrigen Klagearten verdrängenden und ausschließenden Sonderregelung zu. Eine ähnliche normative Bestimmung findet sich allerdings in den einschlägigen Kodifikationendes Verwaltungsverfahrensrechts nicht. Überdies lassen sich auch die teleologischen Erwägungen, mit denen im Verwaltungsprozeß die nebeneinander bestehende Zulässigkeit von Feststellungs- und Anfechtungsklage im Hinblick auf nichtige Verwaltungsakte gerechtfertigt wird , auf das Verwaltungsverfahren allenfalls mit Einschränkungen übertragen. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren soll der von einem nichtigen Verwaltungsakt Betroffene einen möglichst umfassenden und lückenlosen Rechtsschutz erhalten; es soll ihm insbesondere nicht zum Nachteil gereichen, daß sich die Frage der Nichtigkeit oder der bloßen Anfechtbarkeit eines Verwaltungsakts vielfach - vor allem in Zweifelsfällen - nur sehr schwer beurteilen läßtBl. Auch im Verwaltungsverfahren und speziell im Rücknahmeverfahren können zwar die genannten Zweifel hinsichtlich der Nichtigkeit des Verwaltungsaktes bestehenB2. Hier muß jedoch zunächst die Behörde diese Frage prüfen und eine Entscheidung treffen, was ihr im Unterschied zu dem rechtsuchenden und überdies zumeist rechtsunkundigen Bürger auch zugemutet werden kann. Hinzu kommt folgendes: Dadurch, daß die Behörde einmal irrtümlich den Weg der Nichtigkeitsfeststellung beschreiten sollte, obwohl der Verwaltungsakt tatsächlich nicht nichtig ist, kann dem betroffenen Bürger kein ins Gewicht fallender Nachteil entstehen. Die Nichtigkeitsfeststellung nach §§ 44 Abs. 5 VwVfG, 125 Abs. 5 AO und 40 Abs. 5 SGB X ist nämlich selbst ein (feststellender) Verwaltungsakt83, der für Behörde und Beteiligte verbindlich ist, solange er nicht aufgehoben wird oder auf andere Weise seine Wirksamkeit so Vgl. oben bei Fn. 76.

Vgl. etwa die amtl. Begr., zit. bei Eyermann!Fröhler, VwGO, § 43 Rdn. 18; dazu ferner Tschira/Schmitt Glaeser, VwProzeßR, S. 76; Redekerlv. Oertzen, VwGO, § 42 Rdn. 12. 82 Vgl. nur Stelkens in S/B/L, VwVfG , § 48 Rdn. 9. 83 Vgl. Stelkens in S/B/L, VwVfG , § 44 Rdn. 28 a; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 44 Rdn. 29; Kopp, VwVfG, § 44 Rdn. 66; Klappstein in Knack, VwVfG, § 44 Rdn. 8.1.2. 81

I. Teil: Grundlagen

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verliert. Der Verwaltungsakt, auf den sich die Nichtigkeitsfeststellung bezieht, ist infolgedessen so zu behandeln, als wenn er tatsächlich nichtig wäres4. Widerstreitet dieses im Einzelfall dem Interesse des betroffenen Bürgers, so ist es ihm unbenommen, den Feststellungsakt mit Rechtsbehelfen anzugreifen. Was die Interessen der Behörde betrifft, so spricht der etwa von KoppB5 herangezogene Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie nicht zwingend für eine Rücknahmemöglichkeit neben dem auch von Amts wegen beschreitbaren Weg der Nichtigkeitsfeststellung. Die Rücknahme ist nämlich wegen der jedenfalls bei begünstigenden Verwaltungsakten vorzunehmenden Interessenahwägung bzw. der Entschädigungsfolge des§ 48 Abs. 3 VwVfG86 in der Vielzahl der Fälle gerade nicht der einfachere Weg87. Die vorstehenden Erwägungen deuten bereits stark in die Richtung , das Verbleiben der Rücknahmemöglichkeit eines nichtigen Verwaltungsakts für unnötig zu erachten und deshalb die Nichtigkeitsfeststellung nach §§ 44 Abs. 5 VwVfG, 125 Abs. 5 AO, 40 Abs. 5 SGB X als eine das Institut der Rücknahme verdrängende Sonderregelung anzusehen. Hiergegen könnten dann noch Einwände erhoben werden, wenn der Rücknahme im Hinblick auf den nichtigen Verwaltungsakt eine eigenständige Funktion verbleibt, die von der Nichtigkeitsfeststellung nicht mit erfüllt werden kann. Eine solche eigenständige Funktion der Rücknahme wird in der Literatur wohl überwiegend geleugnet. So wird die Rücknehmbarkeit nichtiger Verwaltungsakte zum Teil gerade mit dem Argument verneint, daß die Rücknahme in diesen Fällen keine Rechtswirkungen haben könness. Von anderer Seite wird die Rücknehmbarkeit zwar nicht schlechthin abgelehnt, die Rücknahme eines nichtigen Verwaltungsakts aber als rein "deklaratorisch" angesehen und der Sache nach als Feststellung der Nichtigkeit gewertet89. Richtig hieran ist, daß die Rücknahme insofern "wirkungslos" bleibt, als es um die beim nichtigen Verwaltungsakt fehlende innere Wirksamkeit geht. Diese kann die Rücknahme beim nichtigen Verwaltungsakt nicht beseitigen bzw. beenden. Allenfalls kann der von einem nichtigen Verwaltungsakt möglicherweise ausgehende Rechtsschein seiner Geltung beseitigt, d. h. seine Nichtgeltung deklaratorisch klargestellt werden. Das aber ist exakt die Funktion, welche auch die Nichtigkeitsfeststellung nach §§ 44 Abs. 5 VwVfG, 125 Abs. 5 AO, 40 Abs. 5 SGB X hat9o. Die Rücknahme wirkt indes nicht Ebenso Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 44 Rdn. 29. VwVfG, § 48 Rdn. 17. 86 Zweifelhaft BGH NJW 1983,215 (216), wonach diese Entschädigungsfolge bei der "Rücknahme" nichtiger Verwaltungsakte nicht gelten soll. 87 Anders aber wohl Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 17. 88 VgL Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 13; so wohl auch Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 16. 89 So etwa Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 2.1; ähnlich auch schon Bode, S. 35 f.; Storz, S. 45 f. Vgl. auch BGH NJW 1983, 215 (216). 84 8s

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nur geltungs-, sondern darüber hinaus existenzbeendigend. Diese existenzbeendigende Wirkung kommt auch bei der Rücknahme nichtiger Verwaltungsakte zum Tragen, da diese mit ihrer Bekanntgabe rechtlich existent werden91. Die Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsakts beseitigt demgegenüber die äußere Wirksamkeit des nichtigen Verwaltungsakts im Sinne seiner rechtlichen Existenz nicht. Damit behält die Rücknahme nichtiger Verwaltungsakte eine eigenständige Funktion und entfaltet Rechtswirkungen, welche über diejenigen der Nichtigkeitsfeststellung nach§§ 44 Abs. 5 VwVfG, 125 Abs. 5 AO, 40 Abs. 5 SGB X hinausgehen. Diese Feststellung läßt es jedoch nur dann gerechtfertigt erscheinen, die Rechtsinstitute der Nichtigkeitsfeststellung und der Rücknahme für nebeneinander anwendbar zu erachten, wenn die gesetzlichen Rücknahmeregelungen ihrer Ziel- und Zwecksetzung nach auch auf die bloße Beendigung bzw. Beseitigung der äußeren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes, der niemals Rechtswirkungen auslösen wird, zugeschnitten sind. Bedenken bestehen insoweit insbesondere im Hinblick auf den bei begünstigenden Verwaltungsakten grundsätzlich92 in Abwägung mit dem öffentlichen Interesse gewährten Schutz des auf den Bestand der durch den Verwaltungsakt erworbenen Rechtsposition gerichteten Vertrauens. Ein derartiger Vertrauensschutz in Form von Bestandsschutz kommt nämlich bei nichtigen Verwaltungsakten, die in Wirklichkeit dem Adressaten keine Rechtsposition, sondern allenfalls den Rechtsschein einer solchen einräumen, von vornherein nicht in Betracht93. Denkbar wäre höchstens eine Kompensation, d. h. ein Stellen des Betroffenen "so, als ob" der Verwaltungsakt die intendierten Rechtswirkungen ausgelöst hätte, und auch dies nur bei Anerkennung einer Art von Rechtsscheinshaftung, für die aber im vorliegenden Zusammenhang die gesetzliche Grundlage fehlt. Da mithin die gesetzlichen Rücknahmeregelungen jedenfalls zum großen Teil nicht auf die bloße, den Bestandsschutz nicht berührende Aufhebung der rechtlichen Existenz eines nichtigen Verwaltungsakts zugeschnitten sind94, erscheint es nur konsequent, die Anwendbarkeit dieser Regelungen und damit auch des Rechtsinstituts der Rücknahme auf nichtige Verwaltungsakte auszuVgl. dazu Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 15 II 2. Siehe oben§ 4 I 3. 92 Abweichend nur die Regelung des § 48 VwVfG, soweit begünstigende Verwaltungsakte i. S. des Abs. 3 betroffen sind. 93 Vgl. BVerwG DÖV 1981, 267 f. ; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 25; eher zweifelhaft die Auffassung Kopps, VwVfG, § 48 Rdn. 17, der in diesen Fällen § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG für anwendbar erachtet. 94 Dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß z. T. zwar nicht die Rücknahme als solche, aber etwa die Anwendbarkeit der Regelung des § 48 Abs. 3 VwVfG ausgeschlossen wird; vgl. BGH NJW 1983, 215 (216) m. w. Nachw.; etwas unklar Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 13. Konsequent für eine Anwendbarkeit der Rücknahmevorschriften mitsamt den Vertrauensschutzregelungen aber etwa Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 9. 90

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1. Teil: Grundlagen

schließen und die Behörde allein auf den Weg der Nichtigkeitsfeststellung nach§§ 44 Abs. 5 VwVfG, 125 Abs. 5 AO, 40 Abs. 5 SGB X zu verweisen9s. Erklärt die Behörde trotz der fehlenden Rücknehmbarkeit eines nichtigen Verwaltungsakts dessen "Rücknahme", so ist nicht die rechtstechnische Bezeichnung maßgebend96, sondern es ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob nicht der Empfänger97 das Verhalten der Behörde bei verständiger Würdigung als eine Maßnahme verstehen mußte, mit der in Wirklichkeit die Nichtigkeit des Verwaltungsakts i. S. §§ 44 Abs. 5 VwVfG, 125 Abs. 5 AO, 40 Abs. 5 SGB X festgestellt werden sollte97a. Ist eine derartige Auslegung aus irgendwelchen Gründen nicht möglich, so ist eine Umdeutung der fehlerhaften "Rücknahme" in eine Nichtigkeitsfeststellung gemäß den Vorschriften der §§ 47 VwVfG, 128 AO, 43 SGB X in Betracht zu ziehen. 11. Die Bestandskraft des Verwaltungsakts

Indem die verwaltungsverfahrensrechtlichen Kodifikationen in Abschnittsbzw. Titelüberschriften9s von der "Bestandskraft des Verwaltungsaktes" sprechen, erkennen sie im Einklang mit einer inzwischen auch in Rechtsprechung99 und SchrifttumiOD nahezu durchgängig vertretenen Auffassung an, daß Verwaltungsakte der Bestandskraft fähig sind, daß sie in Bestandskraft erwachsen können. Was allerdings Gegenstand dieser Bestandskraft bzw. wie diese zu definieren ist, hat der Gesetzgeber nicht näher geregelt. Die mit "Bestandskraft des Verwaltungsaktes" überschriebenen Gesetzesabschnitte enthalten eine Fülle höchst unterschiedlicher Regelungen, die sich im einzel95 Ebenso Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 15; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 16; Erichsen, Jura 1981, 534 (535); wohl auch- wenn auch etwas widersprüchlich - Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 2.1., anders allerdings§ 44 Rdn. 8.2. 96 Vgl. Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 8. 97 Zur Auslegung von Verwaltungsakten nach dem Empfängerhorizont vgl. BVerwGE 29, 310 (312); 41, 305 (306) ; 49, 244 (247); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 35 Rdn. 52, 53; Kopp, VwVfG, § 35 Rdn. 6; Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 41 II 5. 97a Ähnlich wohl auch Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 2.1; vgl. ferner Storz, S. 45 f.; Bode, S. 35 f. 98 In den Verwaltungsverfahrensgesetzen: Teil III Abschnitt 2 (vor§§ 43 ff.); in der AO (dort beschränkt auf Steuerbescheide): Vierter Teil, Dritter Abschnitt, 1. Unterabschnitt, III. (vor §§ 172 ff.) ; im SGB X : Dritter Abschnitt, Zweiter Titel (vor §§ 39 ff.). 99 Vgl. nur BVerfGE 60, 253 (269 ff.); BVerwGE 5, 312 (313); 48, 271 (274 ff.); BVerwG DVBI. 1982, 1097. 100 Vgl. etwa Merten, NJW 1983, 1993 ff.; Kopp, DVBI. 1983, 392 ff.; Erichsen/ Knoke, NVwZ 1983, 185 ff.; Schenke, DÖV 1983, 320 ff. ; J. lpsen, Die Verwaltung Bd. 17 (1984), 169 ff.; Sauer, DÖV 1971, 150 ff.; Franz, DRiZ 1964,339 f.; Bullinger, JZ 1963,466 ff. ; Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 41 I, V; Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 37 ff. ; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 1 ff. ; Mayer/Kopp, Allg. VwR, § 15 I.

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nen auf die Wirksamkeit des Verwaltungsakts, seine Nichtigkeit, die Folgen seiner (Verfahrens-)Fehlerhaftigkeit, seine Aufhebbarkeit und Abänderbarkeit sowie zum Teil das Wiederaufgreifen des Verfahrens beziehen. Würde man sie alle als Regelungen der Bestandskraft von Verwaltungsakten auffassen, so erhielte der Begriff der Bestandskraft einen äußerst weitenlOI, unscharfen und in der Verwaltungsrechtsdogmatik bisher nicht gebräuchlichen, eher untechnischen Inhalt, der kaum noch einer allgemeingültigen Definition und der Gewinnung dogmatischer Erkenntnisse zugänglich wärei02. Den angeführten gesetzlichen Regelungen wird man allenfalls im Sinne eines "Rahmens" für die Begriffsbestimmung entnehmen können, daß die Bestandskraft von Verwaltungsaktenirgendwo im Spannungsfeld von Wirksamkeit und Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts angesiedelt sein mußi03. Dieses durch nähere Bestimmung der in der Bestandskraft gebündelten Rechtswirkungen zu untersuchen und dergestalt zu einem allgemeingültigen Verständnis der Bestandskraft als Institut verwaltungsrechtlicher Dogmatik zu gelangen, bleibt angesichts des Schweigens des Gesetzgebers nach wie vor Rechtsprechung und Wissenschaft aufgegeben. In der vorliegenden Untersuchung ist es nicht möglich, allen Aspekten der Bestandskraft in der gebotenen Breite und Tiefe nachzugehen. Es kann nur der aktuelle Stand der Meinungen kurz skizziert und gewürdigt werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Versuch, die bisher dogmatisch noch wenig!04 durchdrungene Materie der Bestandskraft von Verwaltungsakten im Hinblick auf ihre Bezüge zum Rechtsinstitut der Rücknahme von Verwaltungsakten exakter zu fixieren und zu systematisieren. 1. Begriff und Gegenstand der Bestandskraft

"Wenige Begriffe des Allgemeinen Verwaltungsrechts sind so schillernd und werden in so unterschiedlichem Sinn verstanden wie der Begriff Bestandskraft von Verwaltungsakten". Dieser kürzlich von KopplOS zutreffend herausgestellte Befund macht deutlich, daß sich bis heute an dem bereits von Forsthoff06 beklagten "Labyrinth der Meinungen" kaum etwas geändert hati07. 101 In der AO (§§ 172 ff.) wird der Begriff Bestandskraft im Unterschied zu den VwVfGen und zum SGB X allerdings in einem engeren, auf Fragen der Aufhebung und Abänderung des VA beschränkten Sinne gebraucht. 102 Hierzu kritisch auch Kopp, DVBI. 1983, 392; Klappstein in Knack, VwVfG, vor § 43 Rdn. 4; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 43 Rdn. 2; Wallerath, Allg. VwR, § 7 VI c; Wolff/Bachof, VwR I,§ 52 I c. 103 Vgl. Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 1. 104 Allerdings ist auf die Behandlung der Thematik auf dem 7. Deutschen Verwaltungsrichtertag 1983 in Berlin hinzuweisen. 105 DVBI. 1983, 392. 106 VwR, S. 253, dort zum Begriff der (materiellen) Rechtskraft von Verwaltungs-

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l . Teil: Grundlagen

Gleichwohl erscheint es angesichts sich - wenn auch nur langsam - herausbildender dogmatischer Strukturen des Instituts der Bestandskraft nicht angebracht, wie mitunter vorgeschlagen wirdlos, auf den Begriff "Bestandskraft" ganz zu verzichteni09. Denn weder eine Wiederbelebung des prozessualen Begriffs der RechtskraftliD für die Rechtsbeständigkeit der Verwaltungsakte noch eine Ersetzung durch andere Begriffe, wie z. B. den der Bindungswirkunglli, würde etwas dazu beitragen, die eigentlichen Probleme zu lösen, nämlich die Bestimmung von Gegenstand, Umfang und Grenzen der Bestandskraft von Verwaltungsakten zu erleichtern. Zudem würde eine Umbenennung, statt zu mehr "Bürgernähe" zu führenm, die bereits bestehende Unsicherheit und Verwirrung eher noch vergrößern. Schließlich macht der Begriff "Bestandskraft" deutlich, daß es sich hier um ein eigenständiges Institut des Verwaltungsrechts handelt, welches zu dem prozeßrechtlichen Institut der Rechtskraft zwar gewisse Parallelen, aber auch gewichtige, noch aufzuzeigendem Unterschiede aufweistll 4 • Ein weitgehender Konsens hat sich in bezug auf den Gegenstand der Bestandskraft inzwischen insofern herausgebildet, als hiermit die spezifische (Rechts-)Beständigkeitll5 bezeichnet wird, die der Handlungsform des Verwaltungsakts116 zukommt. Diese äußert sich darin , daß der Verwaltungsakt akten, den er im wesentlichen synonym mit dem hier verwendeten der Bestandskraft gebraucht. 107 Vgl. auch Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 1: Wallerath, Allg. VwR, § 7 VI 1; Braun, Die präjudizielle Wirkung, S. 30 f.; W. Schmidt (Diss.), S. 18 ff.; Krebs, VerwArch Bd. 67 (1976), 411 (414 f.) ; Sauer, DÖV 1971, 150; zum Versuch einer begrifflichen Klärung allerdings J. lpsen, Die Verwaltung Bd. 17 (1984), 169 ff. 10s Vgl. etwa Wolff!Bachof, VwR I,§ 52 I c; Kopp, DVBI. 1983,392 (400)). 109 So auch Merten, NJW 1983, 1993 (1995); Schenke, DÖV 1983, 320 (321). no Anfangs wurden die Fragen der Bestandskraft des VA noch häufig unter dem aus dem Prozeßrecht entlehnten Terminus "Rechtskraft" behandelt. Vgl. etwa Beseler, Die Rechtskraft der Verwaltungsakte (passim) ; Forsthoff, VwR, S. 252 ff.; Giacometti, S. 403 f.; Storz, S. 46 ff. ; z. T . auch noch Wolff!Bachof, VwR I, §52 II, III; Renck, NJW 1970,737 (738 f.) . 111 Hierzu etwa Wolff/Bachof, VwR I, §52 III b; Stelkens in SIBIL, VwVfG, § 43 Rdn. 6; vgl. auch Ossenbühl, NJW 1980, 1353 ff.; Schmidt-Aßmann in Festg. f. BVerwG, S. 569 (580 ff.); abweichendes Begriffsverständnis etwa bei Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 41. Zur geringen Aussagekraft und nicht einheitlichen Verwendung des Begriffs Bindungswirkung Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (188). 112 So aber Kopp, DVBI. 1983, 392 (400); zweifelnd etwa auch Merlen, NJW 1983, 1393 (1395). 113 Dazu unter II 1 b aa. 114 Vgl. nur Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 41 V 1; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 3. 115 Dieser Begriff wird häufig synonym mit Bestandskraft gebraucht; vgl. etwa BVerfGE 2, 380 (392 f.).; BVerwGE 19, 162 (163); Klappstein in Knack, VwVfG, vor § 43 Rdn. 3; Sauer, DOV 1971, 150 (152) ; Weyreuther, DVBI. 1965, 283; Mainka, S. 48 f.; dazu auch Kopp, DVBI. 1983, 392; Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (186). 116 Zu der nach wie vor ungeschmälerten praktischen Bedeutung des Verwaltungsakts im Rahmen der Handlungsformen des heutigen Eingriffs- und Leistungsstaates vgl.

§ 4 Wirksamkeit und Bestandskraft des VA

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Rechtsbeziehungen auf Dauer klarstellen und stabilisieren kann117, daß er darüber hinaus insbesondere in Massenverfahren und gestuften Verwaltungsverfahren das geeignete Mittel darstellt, um bestimmte Regelungsgegenstände mit endgültiger Bindungskraft abzuschichtenllB. Die Rechtsbeständigkeit des Verwaltungsakts hat eine formelle und eine materielle Komponentell9. Auch im Verwaltungsrecht wird deshalb heute allgemein - in gewisser Anlehnung an die prozessualen Institute der formellen und materiellen Rechtskraft - zwischen formeller und materieller Bestandskraft unterschieden12o. a) Die formelle Bestandskraft

Unter formeller Bestandskraft wird allgemein, ohne daß es hier noch gravierendem terminologische Unklarheiten gäbe, die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts verstanden. Die formelle Bestandskraft ist damit mit der formellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen vergleichbarl22; sie besagt, daß ein Verwaltungsakt nicht mehr mit den ordentlichen Rechtsbehelfen (Widerspruch, Anfechtungs-, Verpflichtungsklage) angegriffen werden kanni23.

etwa Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, S. 32 ff.; Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 11 I; Wolff/Bachof, VwR I, § 46 I a 1; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185; zweifelnd allerdings Schmitt Glaeser in FS f. Boorberg-Verlag, S. 1 (34 ff.). 117 Zur Klarstellungs- und Stabilisierungsfunktion des Verwaltungsaktes vgl. etwa Erichsen!Martens, Allg VwR, § lll; Maurer, Allg. VwR, § 9 Rdn. 40 und§ 11 Rdn. 2; Vogel, BayVBI. 1977, 617 f. Vgl. auch J. Martens, JuS 1975, 69 (73): "Der bestandskräftige Verwaltungsakt stabilisiert die durch ihn geregelte Rechtslage." ns Vgl. dazu etwa BVerwG DVBI. 1982, 960 f.; OVG Münster NJW 1979, 380 (381); Schmidt-Aßmann in Festg. f. BVerwG, S. 569 (571); Ossenbühl, NJW 1980, 1353 (1355); v. Mutius/Schoch, DVBI. 1983, 149 (151 f.). 119 Für eine Ausweitung dieses Befundes auf alle staatlichen Akte Merten, NJW 1983, 1393 (1394 f.). 120 Vgl. nur Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 3, 4; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (186 ff.); Kopp, DVBI. 1983, 392 (395 ff.) ; Merten, NJW 1983, 1393 (1395 ff.). 121 Zu einem weitergehenden Begriffsverständnis bei Merten vgl. unten Fn. 126. lm übrigen wird mitunter vorgeschlagen, auf den Begriff der formellen Bestandskraft ganz zu verzichten und schlicht von Unanfechtbarkeit zu sprechen; so etwa Meyer in Meyer/ Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 12; J. lpsen, Die Verwaltung Bd. 17 (1984) , 169 (181 ff.); dagegen Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 37. 122 Dazu eingehend etwa BVerfGE 60, 253 (269 ff.) . 123 Vgl. Maurer, Allg VwR, § 11 Rdn. 4; Wallerath, Allg. VwR, § 7 VI 1; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 5; Krause, Rechtsformen, S. 179; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (186); Kopp, DVBI. 1983, 392 (395); Schenke, DÖV 1983, 320 (321); Merten, NJW 1983, 1993 (1995); Krebs, VerwArch Bd. 67 (1976) , 411 (414); Sauer, DÖV 1971, 150 (152).

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I. Teil: Grundlagen

Eintreten kann die formelle Bestandskraft aufgrund des Ablaufs der Widerspruchs- oder Klagefrist (§§ 70, 74 VwGO), aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, welche die Klage gegen den Verwaltungsakt abweist, oder auch aufgrund Rechtsmittelverzichts des Anfechtungsberechtigten. Darüber hinaus wird das Anfechtungsrecht - insbesondere bei fehlender Bekanntgabe des Verwaltungsakts an betroffene Dritte - durch das Rechtsinstitut der Verwirkung begrenzt124 • Erlischt das Anfechtungsrecht bei verschiedenen Betroffenen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, so erwächst der Verwaltungsakt zunächst nur in eine relative und erst dann in eine absolute formelle Bestandskraft, wenn er von niemandem mehr angefochten werden kann125. Nach nahezu einhelliger Auffassung126 beschränkt sich die formelle Bestandskraft in ihren Rechtswirkungen auf den (die) Betroffenen, regelmäßig den Bürger. Dessen Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts durch die Verwaltungsgerichte wird zeitlich begrenzt, was im Interesse der Rechtssicherheit und der Effektivität von Verwaltung und Justiz geschieht127. Dagegen besagt die formelle Bestandskraft nichts über die Bindung der Verwaltung an die von ihr erlassenen Verwaltungsakte128 und damit auch nichts über deren Rücknehmbarkeit. b) Die materielle Bestandskraft

Weit weniger einheitlich, als es bei der formellen Bestandskraft der Fall ist, stellen sich die Auffassungen zu Gegenstand und Tragweite der materiellen Bestandskraft dar. Das liegt nicht zuletzt daran, daß es trotzeiner zunehmenden Befassung mit Fragen der Bestandskraft immer noch nicht gelungen ist, den Begriff der materiellen Bestandskraft allgemeingültig zu definieren. Viele Definitionsversuche bleiben darin stecken, daß sie den Begriff der (materiellen) Bestandskraft mit anderen, zumeist relativ unbestimmten bzw. farblosen Rechtsbegriffen gleichsetzen. So wird unter materieller Bestandskraft vielfach die Maßgeblichkeit129 der in dem Verwaltungsakt getroffenen 124 Dazu näher BVerwGE 44, 294 (298 ff.); BVerwG DÖV 1973, 350; OVG Lüneburg OVGE 30, 399 ff.; Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (186 f.); Kopp, VwGO, § 74 Rdn. 18 ff. 125 Vgl. Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (186); Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 37; ebenso wohl auch Merlen, NJW 1983, 1993 (1995) . 126 Abweichend wohl nur Merten, NJW 1983, 1993 (1994, 1996), der auch die Fragen der Aufhebbarkeil und Abänderbarkeit von Verwaltungsakten noch unter den Begriff der "formellen" Bestandskraft faßt. 127 Vgl. BVerfGE 60, 253 (270 f.); Krause, Rechtsformen, S. 179. 128 Ebenso etwa Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 16; Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (187) ; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 5. Zur Frage der Bedeutung der formellen Bestandskraft als Voraussetzung der materiellen Bestandskraft des Verwaltungsakts vgl. allerdings unten § 4 II 1 b bb.

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Regelung verstanden. Daneben wird zum Teil auch der Aspekt der inhaltlichen Verbindlichkeit130 der Entscheidung für die Beteiligten mit der materiellen Bestandskraft in Verbindung gebracht oder diese wird schlicht als (materielle) Bindungswirkung131 bezeichnet, ohne daß Art, Ausmaß und Zuordnungssubjekte der Bindung stets klargestellt werden. Die Umschreibung der materiellen Bestandskraft als (materielle) Rechtsbeständigkeit132 läßt gleichfalls noch keinen sicheren Schluß auf die in diesem Institut gebündelten einzelnen Rechtswirkungen zu. Was schließlich die Zuordnung der Fragen der Aufhebbarkeit und Abänderbarkeit des Verwaltungsakts durch die Verwaltung zum Institut der materiellen Bestandskraft betrifft133, so ist allein mit dieser Verknüpfung weder der Gegenstand der materiellen Bestandskraft noch das ganze Ausmaß der von ihr ausgehenden Rechtswirkungen hinreichend geklärt. In diesem Zusammenhang müßte zudem noch die Frage beantwortet werden, ob die materielle Bestandskraft Unabänderbarkeit bzw. inhaltliche Unabänderlichkeit des Verwaltungsakts voraussetzt134 oder ob auch der - möglicherweise beschränkt - aufhebbare Verwaltungsakt in materielle Bestandskraft erwachsen kannm.

129 Vgl. Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 41 I; Stelkens in S/B/L, VwVfG,

§ 43 Rdn. 6; Renck, NJW 1970, 737 (738); Krebs, VerwArch Bd. 67 (1976), 411 (414);

Braun, Die präjudizielle Wirkung, S. 13, 32; Haaf, Die Fernwirkungen gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen, S. 139. 130 Vgl. Wallerath, Allg. VwR, § 7 VI; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 6; W. Schmidt (Diss.), S. 21; Weyreuther, DVBI. 1965, 281 (282); Merten, NJW 1983, 1993 (1996); J. lpsen, Die Verwaltung Bd. 17 (1984), 169 (171 ff., 178); ebenso wohl auch Kopp, DVBI. 1983, 392 (397, 398). Krause, Rechtsformen, S. 183 f., ist der Auffassung, daß die materielle Bestandskraft des Verwaltungsakts in seiner Verbindlichkeit aufgehe und man deshalb auf sie verzichten könne. !31 Vgl. Wolff/Bachof, VwR I, § 52 III b; Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 16; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 6; Krebs, VerwArch Bd. 67 (1976), 411 (414 f.) ; Bullinger, JZ 1963, 466 (469) ; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 43 Rdn. 6; Kopp, DVBI. 1983, 392 (397 f.); dens., VwVfG, Vorbem. § 35 Rdn. 20, 23. Für eine Unterscheidung von Bestandskraft und Bindungswirkung aber etwa Büdenbender/Mutschler, Rdn. 56; wohl auch Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 39, 41 ff. 132 Vgl. BVerfGE 2, 380 (393); Klappstein in Knack, VwVfG, Vorb. § 43 Rdn. 3, 3.1; Mainka, Vertrauensschutz, S. 48 f.; ähnlich auch BVerwGE 5, 312 (313); J. Martens, DVBI. 1968, 322 (324) . 133 In diesem Sinne etwa Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 16; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 5, 7; Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 45; Wallerath, Allg. VwR, § 7 VI 1; Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 ff.; Schenke, DÖV 1983, 320 (322 ff.); wohl auch BVerwG DVBI. 1982, 1097; dagegen etwa Sauer, DÖV 1971, 150 (155). 134 So etwa noch Obermayer, Grundzüge, S. 126; Giacometti, Allg. Lehren des rechtsstaatliehen Verwaltungsrechts I, S. 403 f. 135 So die heute wohl überwiegend vertretene Auffassung, der die These einer abgestuften Bestandskraft zugrunde liegt. Vgl. etwa BVerwGE 48, 271 (273 ff.); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 3; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 7. Zu unterschiedlichen "Stufen" materieller Bestandskraft auch schon Bullinger, JZ 1963, 466 (469) .

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l. Teil: Grundlagen

Die bisher nicht restlos gelungene Begriffsklärung läßt Zweifel aufkommen, ob es überhaupt möglich ist, den Gegenstand der materiellen Bestandskraft für alle in Betracht kommenden Fälle allgemeingültig zu definieren. Auf dieser Linie liegt es, wenn in Übereinstimmung mit einem Teil der Literaturl36 das Bundesverwaltungsgerichtl37 die Auffassung vertritt, daß sich der "Gegenstand und die rechtliche Tragweite der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes ... nicht einheitlich für alle Rechtsgebiete und für alle Arten von Verwaltungsakten beurteilen" lassen. Dieser Auffassung ist zuzugeben, daß die Rechtswirkungen, die in ihrer gebündelten Form gemeinhin dem Rechtsinstitut der materiellen Bestandskraft zugeschrieben werden, je nach Verwaltungsakt von unterschiedlicher Art und unterschiedlichem Umfang sein können. Das schließt es indes nicht aus, diese Rechtswirkungen näher zu bestimmen und sie von anderen Wirkungen des Verwaltungsakts abzugrenzen, um dergestalt zu einem allgemein konsensfähigen Verständnis vom Gegenstand der materiellen Bestandskraft zu gelangen. aa) Rechtskraft und Bestandskraft In diesem Zusammenhang stellt sich einmal die Frage, ob der Gegenstand der materiellen Bestandskraft von Verwaltungsakten in weitgehender Anlehnung an die mit dem prozeßrechtlichen Institut der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen erfaßten Wirkungen bestimmt werden kann. Unter materieller Rechtskraft wird gemeinhin die Maßgeblichkeit des Entscheidungsinhalts für Gerichte und Parteien (Beteiligte) in einem späteren Rechtsstreit verstandenBs. Damit soll in einem neuen Verfahren, in dem um die gleiche Rechtsfolge gestritten wird (Identität) oder in dem diese Rechtsfolge für die Entscheidung vorgreiflieh ist (Präjudizialität), eine zweitel39 bzw. eine widersprechendel40 Entscheidung verhindert werden141. Dagegen gehört es nicht zu den Aufgaben der materiellen Rechtskraft, eine Aufhebung oder Abänderung der getroffenen Entscheidung durch den Entscheidungsträger auszuschließen; dies wird vielmehr durch die in § 318 ZPO besonders an136 Vgl. Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 41 V 1; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 3; Haaf, Fernwirkungen, S. 141 f. ; Mainka, Vertrauensschutz, S. 49; kritisch aber etwa Kopp, DVBI. 1983, 392 (397 f.). 137 So BVerwGE 48,271 (279); vgl. auch BVerwGE 4, 250 (252 f.); 19, 153 (154) ; 25, 241 (242). 138 Vgl. etwa Rosenberg!Schwab, ZivilprozeßR, § 150, 2; Zeiß, ZivilprozeßR, § 70 I; Thomas/Putzo, ZPO, § 322 Anm. 1; Ule, VwProzeßR, §59 I 1; Beseler, Die Rechtskraft der Verwaltungsakte, S. 85; Sauer, DÖV 1971, 150 (151). 139 So die sog. "ne bis in idem"-Lehre; vgl. etwa R osenberg!Schwab, ZivilprozeßR, § 152 IV 1; Eyermann/Fröhler, VwGO, § 121 Rdn. 7. 140 So die sog. Bindungslehre; vgl. etwa Redekerlv. Oertzen, VwGO, § 121 Rdn. 5. 141 Vgl. auch Wolff/Bachof, VwR I, §52 III a 1; Rosenberg/Schwab, ZivilprozeßR, § 150, 2.

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geordnete Bindung der Gerichte an ihre eigenen Entscheidungen gewährleistet142. Einer Übertragung dieser für das Prozeßrecht geltenden Grundsätze auf das Institut der Bestandskraft von Verwaltungsakten steht zunächst entgegen, daß nach der Sicht der Kodifikationen des Verwaltungsverfahrensrechts143 in Übereinstimmung mit der in der Literatur wohl überwiegenden Auffassungl44 gerade die Regelungen über die- zum Teil nur beschränkt zulässige- Aufhebbarkeit und Abänderbarkeit eines Verwaltungsakts durch die Verwaltung mit seiner materiellen Bestandskraft im Zusammenhang stehen. Darüber hinaus gilt der nach einer verbreiteten Auffassung1 45 die Wirkungen der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen kennzeichnende Grundsatz "ne bis in idem" für Verwaltungsakte im allgemeinen nicht146. Überhaupt bestehen zwischen dem gerichtlichen Urteilsverfahren einerseits und dem Verwaltungsverfahren andererseits gewichtige Unterschiede147 • Dies beginnt schon bei der Stellung der Behörde im Verwaltungsverfahren. Diese hat insofern eine Doppelfunktion, als sie anders als das "neutrale" Gericht nicht nur Entscheidungsträger, sondern- obschon in§ 13 VwVfG nicht genannt- in einem weiteren Sinne zugleich auch Verfahrensbeteiligte ist. Hinzu kommt, daß gerichtliche Entscheidungen in erster Linie auf endgültige Befriedung und Streitentscheidung angelegt sind, während Verwaltungsverfahren mehr durch die Elemente der Gestaltung, der Flexibilität und der Zweckmäßigkeit des Handeins geprägt sind. Schließlich ist das gerichtliche Verfahren in aller Regel weitaus förmlicher ausgestaltet als das Verwaltungsverfahren, was in Verbindung mit der meist vertieften Erforschung des Sachverhalts die Richtigkeitsgewähr der Entscheidung erhöht. Dies alles hat zu der zumindest im Grundsatz inzwischen weitgehend geteilten Einsicht geführt, daß Inhalt und Tragweite der materiellen Bestandskraft - anderes kann allenfalls für solche Verwaltungsakte gelten, die in einem prozeßähnlich ausgestalteten, förmlichen Verfahren 142 Zur Unterscheidung der Bindung nach§ 318 ZPO von den Wirkungen der materiellen Rechtskraft vgl. etwa Sauer, DOV 1971, 150 (155); Renck, NJW 1970, 737 (738); Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (187); Merten, NJW 1983, 1993 (1996) ; Breitkopf, S. 46; Rosenberg!Schwab, ZivilprozeßR, § 150, 2. 143 Vgl. dazu bereits oben bei Fn. 103. 144 Vgl. etwa Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 16; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 7; Wallerath, Allg. VwR, § 7 VI 1; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 2; Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 ff.; Schenke, DÖV 1983, 320 (322 ff.). 145 So jedenfalls die "ne bis in idem"-Lehre; dazu bereits oben in Fn. 139. 146 Vgl. Wolff/Bachof, VwR I,§ 52 III b; Haueisen, DÖV 1961, 121 (126); Mainka, Vertrauensschutz, S. 47 f.; Breitkopf, S. 39; Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (188). 147 Vgl. hierzu und zum Folgenden BVerwGE 48, 271 (276 f.) ; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 16, und Badura, ebd ., § 41 V 1; Maurer, Allg. VwR, § 9 Rdn. 42, 43 und § 11 Rdn. 3; Gosch, S. 34; Weyreuther, DVBI. 1965, 281 (283); Bullinger, JZ 1963, 466 (469); Renck, NJW 1970, 737 (738, 739); Schenke, DÖV 1983, 320 (321) ; Merten, NJW 1983, 1993 (1995) .

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ergehen und die "streitentscheidend" wirkenl4&- nicht einfach durch Adaption der für das prozeßrechtliche Institut der materiellen Rechtskraft geltenden Regeln bestimmt werden können; sie müssen vielmehr ausgehend von der Funktion149, die der materiellen Bestandskraft von Verwaltungsakten zukommt, und unter Berücksichtigung der im materiellen Verwaltungsrecht vorhandenen gesetzlichen Regelungen neu und eigenständig definiert werdentso. Damit soll keineswegs in Frage gestellt werden, daß Rechtskraft und Bestandskraft eine gemeinsame verfassungsrechtliche Wurzel besitzen, nämlich die im Rechtsstaatsprinzip verankerten1St Gebote der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedenstsz. Damit Rechtssicherheit gewährleistet ist und Rechtsfrieden geschaffen werden kann, müssen grundsätzlich alle rechtlich relevanten staatlichen Akte einen gewissen Bestandsschutz genießen 153 , es sei denn kollidierende Verfassungsgüter verdienen im Einzelfall den Vorrang. Nur so können die Betroffenen endgültige Gewißheit darüber erlangen, was für sie verbindlich ist154 , und wird - letztlich auch im Interesse der Verwaltungiss - ein ständiges "Wiederaufrollen" von Verfahren und Verfahrensgegenständen vermieden. Wenn auch der rechtsstaatlich gebotene Bestandsschutz grundsätzlich alle Staatsakte erfaßt, so können doch sein Inhalt, sein Umfang und seine Tragweite nur unter Berücksichtigung der Funktion und Eigenart der betreffenden Form staatlichen Handeins bestimmt werden. Dieses staatliche Handeln kann - das hat der Vergleich des richterlichen mit dem Verwaltungsverfahren gezeigtl56- in unterschiedlichem Maße der Befriedung dienen; es kann in geringerem oder in größerem Umfange der Gestaltungsfreiheit und der Flexibilität bedürfen. Dem kann aber nur durch eine abgestufte, dem jeweiligen Staatshandeln angepaßte Intensität des rechtsstaatliehen Bestandsschutzes hinreichend Rechnung getragen werden. 148 Vgl. BVerfGE 2, 380 (392 f.); Wolff/Bachof, VwR I, §52 III a 2; Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 41 V 1. 149 Insoweit übereinstimmend Kopp, DVBI. 1983, 392.(395). 150 Vgl. etwa Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 41 V 1; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (188); Klappstein in Knack, VwVfG , Vorb. § 43 Rdn. 3.1; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 4; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 3, 5 ff.; ferner schon BVerwGE 5, 312 (313). Für eine weitgehende Anlehnung an das Institut der Rechtskraft neuerdings aber wieder Kopp, DVBI. 1983, 392 (398 ff.). 151 BVerfGE 2, 380 (403); 7, 192 (196); 35, 41 (47); 45, 142 (167) ; 51,356 (362); 60, 253 (267); vgl. auch BVerwGE 41 , 277 (279). 152 Vgl. BVerfGE 15, 313 (319) ; 47, 146 (161); 60, 253 (269 f.); BVerwGE 48, 271 (275); Mert~n, NJW 1983, 1993 (1994); Kopp, DVBI. 1983, 392 (393 f., 397 f., 400); Schenke, DOV 1983, 320 (321); Pieroth, Jura 1983, 250 (259); Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 2; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 4. Zur allgemeinen Bedeutung des Rechtsfriedens etwa Scholz, NJW 1983, 705 ff. !53 Vgl. dazu Merlen, NJW 1983, 1993 (1994 f.). 154 Ähnlich BVerfGE 60, 253 (270) . 155 Vgl. Merlen, NJW 1983, 1993 (1998) . 156 Vgl. oben bei Fn. 147.

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bb) Eigenständige Bestimmung des Gegenstandes der (materiellen) Bestandskraft von Verwaltungsakten

Entsprechend seiner spezifischen Klarstellungs- und Stabilisierungsfunktionls7 ist der Verwaltungsakt darauf angelegt, eine zum einen einseitig verbindliche und zum anderen dauerhafte, nach Möglichkeit endgültig beständige Regelung zu treffen. Da die Verbindlichkeit des Verwaltungsakts, d. h. die grundsätzlich rechtsfehlerunabhängige Geltung der in ihm ausgesprochenen Rechtsfolgen, bereits Gegenstand des Rechtsinstituts der (inneren) Wirksamkeit istiss, erscheint es im Interesse einer klaren begrifflichen Abgrenzung angezeigt, den Gegenstand der materiellen Bestandskraft auf diejenigen Rechtswirkungen des Verwaltungsakts zu beschränken, die zu einer Stabilisierung und Verfestigung des rechtlich verbindlich Festgestellten führenls9. Damit sind alle die Rechtswirkungen gemeint, die dem Verwaltungsakt eine über seine augenblickliche Verbindlichkeit hinausgehende Dauerhaftigkeit, d. h. eine auf Dauer garantierte Geltung verleihen160. Diese Dauerhaftigkeit bzw. Beständigkeit des Verwaltungsaktes läßt sich auch als ein allgemeingültiger Gegenstand der materiellen Bestandskraft begreifen. Dem steht im Grundsatz nicht entgegen, daß bezüglich der vorgenannten Wirkungen je nach der Art des Verwaltungsaktes, des einschlägigen Rechtsgebiets und des zugrunde liegenden Sachverhalts gewisse, mitunter nicht unerhebliche Unterschiede bestehen können. Denn unabhängig hiervon sind grundsätzlich alle Verwaltungsakte- jedenfalls in gewissem Umfang- einer so definierten materiellen Bestandskraft fähig161. Der unterschiedliche Umfang162, in dem Verwaltungsakte in materielle Bestandskraft erwachsen, erschließt sich dann abgesehen von gewissen schlechthin vorhandenen Grenzen in objektiver, subjektiver und zeitlicher Hinsicht163 im wesentlichen aus den Regelungen des materiellen Verwaltungsrechts164. 157 Dazu bereits oben bei Fn. 117. 158 Vgl. oben§ 4 I 1 b. 159 Ebenso Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (188); ähnlich wohl auch Maurer, Allg.

VwR, § 11 Rdn. 2, 5 ff.; Forsthoff, VwR, S. 252 (zur "Rechtskraft" der VAe). Demgegenüber erscheint es weniger glücklich, wenn auch die Verbindlichkeit der getroffenen Regelung und die sich daraus ergebenden Bindungen in den Gegenstand der materiellen Bestandskraft einbezogen werden. So aber etwa Wallerath, Allg. VwR, § 7 VI 1; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 6. 160 Ähnlich auch Braun, Die präjudizielle Wirkung, S. 32; Krause, Rechtsformen, s. 158. 161 Vgl. auch Kopp, DVBI. 1983, 392 (395, 397 in Fn. 61). 162 Der Sache nach macht es keinen wesentlichen Unterschied, wirkt aber etwas gekünstelt, wenn entgegen der hier vertretenen Auffassung die materielle Bestandskraft als feste Größe begriffen wird und sich die tatsächlich dem einzelnen Verwaltungsakt zukommende Beständigkeit erst durch "Durchbrechungen" dieser fiktiven Größe ergibt. So aber offenbar Kopp, DVBI. 1983, 392 (397 in Fn. 61, 398 f.). Ähnlich wie hier Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 7; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 3. 7 Knoke

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I. Teil: Grundlagen

Die auf eine zumindest gewisse Dauerhaftigkeit des Verwaltungsakts bzw. der in ihm getroffenen Regelung zielenden materiellen Bestandskraftwirkungen lassen sich -was hier nur in Kürze angedeutet werden kann- noch näher kennzeichnen und systematisierenl65. So ist es zum einen eine Frage der materiellenl66 Bestandskraft, ob und inwieweit die Behörde auf Dauer an den von ihr erlassenen Verwaltungsakt gebunden istl67. Dies wiederum hängt von der Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts durch die Verwaltung ab, deren einer Teilbereich die Rücknehmbarkeit rechtswidrig erlassener Verwaltungsakte ist. Auf den infolgedessen bestehenden engen Zusammenhang zwischen Rücknahme und materieller Bestandskraft wird noch ausführlicher zurückzukommen seinl68. Zum anderen umfaßt die materielle Bestandskraft aber auch die als (materielle) Folge der formellen Bestandskraft eintretende, grundsätzlichl69 endgültige Bindung der Adressaten und sonstigen Betroffenen an die in dem Verwaltungsakt enthaltene Regelungl70. Schließlich betrifft auch noch die Frage, ob und inwieweit der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts im Rahmen von Folgeentscheidungen in späteren Phasen desselben oder in einem anderen Verwaltungsverfahren Maßgeblichkeit beanspruchen und derart die Entscheidung "präjudizieren" kannm, die Stabilisierung des einmal verbindlich Entschiedenen und damit die materielle Bestandskraft des Verwaltungsaktsm. Einen gewissen "Schönheitsfehler"l73 stellt es allerdings dar, daß diese insgesamt die materielle Bestandskraft ausmachenden Rechtswirkungen nicht 163 Dazu etwa Braun, Die präjudizielle Wirkung, S. 42 ff.; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (190 f.); Kopp, DVBI. 1983, 392 (398 ff.); zu pauschal auf die Grenzen der materiellen Rechtskraft verweisend Merlen, NJW 1983, 1993 (1996). 164 Vgl. etwa Haaf, Fernwirkungen, S. 141m. w. Nachw. 165 Vgl. auch Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (188, 189 ff.). !66 Abweichend wohl nur Merlen, NJW 1983, 1993 (1996), der diese Bindung der formellen Bestandskraft zuschreibt. 167 Vgl. etwa Haaf, Fernwirkungen, S. 139; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 6, 7. 168 Vgl. unten§ 4 li 2. 169 Eine Ausnahme hiervon ist dann gegeben, wenn der Betroffene einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hat (vgl. § 51 VwVfG) und diesen realisiert. 170 Ebenso Kopp, VwVfG, vor § 35 Rdn. 20, 23; Stelkens in S/B!L, VwVfG, § 43 Rdn. 6; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 6; Haaf, Fernwirkungen, S. 139 f. Allein auf diese Bindung des Betroffenen im Sinne eines grundsätzlichen Ausschlusses der Durchsetzung seines materiellen Anspruchs auf Wiederaufgreifen und Aufhebung bezieht Sauer, DÖV 1971, 150 (157 f.), den Begriff der materiellen Bestandskraft. 171 Diese Fragen, die einer gesetzlichen Regelung entbehren, sind in der Verwaltungsrechtsdogmatik bisher nicht abschließend geklärt. Vgl. dazu etwa Braun, Die präjudizielle Wirkung, passim; Haaf, Fernwirkungen, S. 141 ff.; Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (190 ff.); Kopp, DVBI. 193, 392 (399 f.); Krebs, VerwArch Bd. 67 (1976), 411 (415 ff.) . 172 Auf diesen letzten Aspekt beschränkt anscheinend Merlen, NJW 1983, 1993 (1996 f.), den Gegenstand der materiellen Bestandskraft. 173 So Merlen, NJW 1983, 1993 (1996).

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alle zum gleichen Zeitpunkt eintreten. Während die mit einer Beschränkung der Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts einhergehende Bindung der Behörde regelmäßigl74 unabhängig vom Eintritt der formellen Bestandskraft bereits mit dem Wirksamwerden des Verwaltungsakts einsetzt und ab diesem Zeitpunkt auch schon Bindungswirkungen für Entscheidungen in nachfolgenden Verfahrensabschnitten bestehen können175, setzt die grundsätzlich endgültige Bindung der Betroffenen den Eintritt der formellen Bestandskraft voraus. Es besteht nun die Möglichkeit, die materielle Bestandskraft für Verwaltung und Betroffene zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintreten zu lassen176. Damit würde zwar in gewisser Hinsicht der Verwendung des Bestandskraftbegriffs in den Kodifikationen des Verwaltungsverfahrensrechts Rechnung getragen, und zwar insofern, als dort an den wirksamen und nicht den formell bestandskräftigen Verwaltungsakt angeknüpft wird. Andererseits würde aber auf diese Weise dem ohnehin schwierigen Unterfangen des Zusammenfügens der einzelnen Bestandskraftwirkungen zu einem einheitlichen, praktikabeten Rechtsinstitut entgegengewirkt. Außerdem würde der im Begrifflichen gründende Zusammenhang zwischen formeller und materieller Bestandskraft gesprengt und damit die terminologische Unsicherheit in diesem Bereich eher größer als geringer werden. Wohl in Anbetracht dieser Umstände hat es sich bisher auch nicht durchzusetzen vermocht, die schon vor dem Eintritt der formellen Bestandskraft bestehenden Bindungswirkungen des Verwaltungsakts dem Institut der materiellen Bestandskraft zuzuordnenl77. Es spricht somit vieles dafür, an einem einheitlichen Zeitpunkt für den Eintritt der materiellen Bestandskraft eines Verwaltungsakts festzuhalten und mit dem Begriff der materiellen Bestandskraft nurmehr die erst vom Zeitpunkt der formellen Bestandskraft an bestehende umfassep.dere Rechtsbeständigkeit des Verwaltungsakts zu bezeichnen, d. h . die von diesem Zeitpunkt an bestehende Bindung sowohl der Beteiligten und sonstigen Betroffenen als auch der erlassenden Behörde178. 174 Vgl. etwa die Regelungen der §§ 48 Abs. 1 S. 1, 49 Abs. 1 VwVfG, §§ 130 Abs. 1, 131 Abs. 1 AO, §§ 44 Abs. 1 u. 2, 45 Abs. 1, 46 Abs. 1, 47 Abs. 1 SGB X. Abweichend etwa§ 172 Abs. 1 Nr. 2a) 2. HS AO. 175 Vgl. dazu etwa Büdenbender/Mutschler, Bindungs- und Präklusionswirkung, S. 22 f., die allerdings diese "Bindungswirkung" von der Bestandskraft des VA, die erst mit der Unanfechtbarkeit eintreten soll, trennen. 176 So im Ergebnis etwa Meyer/Ladewig, SGG, § 77 Rdn. 5. 177 Vgl. Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (188); Badura in Erichsen / Martens, Allg. VwR, § 41 I, II 6; Kopp, VwVfG, vor § 35 Rdn. 24; Breitkopf, S. 43; ebenso wohl auch Klappstein in Knack, VwVfG, vor § 43 Rdn. 3.1; Krebs, VerwArch Bd. 67 (1976), 411 (414 f.); BVerfGE 60, 253 (270). A. A. etwa Kühn/Kutter, AO, Vorb. § 172 Anm. 2. Die Rechtsprechung verwendet den Begriff "bestandskräftig" soweit ersichtlich nur für den bereits unanfechtbar, d. h. formell bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakt; vgl. etwa BVerwGE 49, 245 (249); 50, 282 (289 f.); BVerwG DVBI. 1982, 1097; VGH Kassel NJW 1981 , 2315. 178 Ebenso etwa Kopp, VwVfG, vor§ 35 Rdn. 20, 23; vgl. auch dens. , DVBI. 1983, 392 (395); Merten, NJW 1983, 1993 (1996); ferner die Nachweise in Fn. 177.

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1. Teil: Grundlagen

cc) Abgrenzung von anderen Rechtswirkungen des Verwaltungsakts

Folgende Rechtswirkungen des Verwaltungsakts sind weder Gegenstand der materiellen Bestandskraft noch dürfen sie mit dieser verwechselt werden. Die Verbindlichkeit oder Geltung eines Verwaltungsakts, die besagt, daß der Verwaltungsakt die intendierten Rechtsfolgen auszulösen vermag, ist wie bereits an anderer Stelle ausgeführtt79- Ausfluß seiner in §§ 43 VwVfG, 124 AO, 39 SGB X geregelten Wirksamkeit; sie ist identisch mit der sog. inneren Wirksamkeit des Verwaltungsakts. Diese vermag zwar ebenso wie die materielle Bestandskraft bereits eine gewisse Bindung der erlassenden Behörde, der Adressaten und der Drittbetroffenen auszulösentso. Diese Bindung ist aber im Verhältnis zu der durch die materielle Bestandskraft ausgelösten weniger stark, da sie auf seiten des Bürgers durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs suspendiert werden kann. Ein wesentlicher Unterschied besteht ferner darin, daß die Begriffe Verbindlichkeit und Geltung sich auf einen augenblicklichen Rechtszustand und nicht eine in die Zukunft projizierte Zeitspanne beziehen. Auch aus diesem Grunde können sie deshalb keine Aussage über die Dauer der durch die Regelung ausgelösten Bindung und damit über die Beständigkeit des Verwaltungsakts machenlBl. Bei der Bindungswirkung des Verwaltungsakts handelt es sich, was in einem gewissen Gegensatz zur häufigen Verwendung dieses Begriffs insbesondere in der Literatur steht, bisher nicht um ein Rechtsinstitut mit fest umrissenem Begriffsinhalt. Zum Teil noch synonym mit der materiellen Bestandskraft verwendet182, wird der Begriff der Bindungswirkung heute zunehmend von der Bestandskraft unterschieden und dabei zumeist auf die vom Wirksamwerden des Verwaltungsakts an bestehende Bindung der Behörde an ihre eigene Entscheidung beschränkt183. Zuweilen wird er aber auch -wohl mehr untechnisch - als Oberbegriff für die Tatbestands- und Feststellungswirkung des Verwaltungsakts184 oder zur Kennzeichnung der sich aus der Verbindlichkeit des Verwaltungsaktsergebenden Bindungeniss verwendet.

Vgl. oben§ 4 I 1 b. Vgl. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 4 ff. 181 Vgl. dazu auch Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (188); zu den Unterschieden zwischen Wirksamkeit und Bestandskraft des Verwaltungsakts ferner Braun, Die präjudizielle Wirkung, S. 31 f. 182 Vgl. die Nachweise in Fn. 131. 183 Vgl. etwa Schmidt-Aßmann in Festg. f. BVerwG S. 569 (580 ff.); Ossenbühl, NJW 1980, 1353 ff.; z. T. weitergehendes Begriffsverständnis bei Büdenbender!Mutschler, Bindungs- und Präklusionswirkung, S. 22. 184 So Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 41. 185 So Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 6; vgl. auch J. Ipsen, Die Verwaltung Bd. 17 (1984), 169 (186 ff.): "verfahrensübergreifende" Verbindlichkeit. 179 180

§ 4 Wirksamkeit und Bestandskraft des VA

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Von der materiellen Bestandskraft müssen schließlich noch die Tatbestandsund die Feststellungswirkung des Verwaltungsaktes abgegrenzt werden, wenn auch hier - namentlich im Verhältnis zu den subjektiven Grenzen der Bestandskraftl86- noch nicht alle Unklarheiten beseitigt sind. Während sich die Wirkungen der Bestandskraft auf die erlassende Behörde, die Verfahrensbeteiligten und ggf. noch solche Drittbetroffene, denen gegenüber der Verwaltungsaktunanfechtbar werden kann, beschränkents7, beziehen sich Tatbestands- und Feststellungswirkung auf die Frage, ob und inwieweit über diesen Kreis hinaus sonstige Personen, Behörden und auch Gerichte den Verwaltungsakt ihrem Handeln bzw. ihren Entscheidungen zugrunde legen müssentss. Die hierdurch ausgelöste Bindung Dritter setzt nur die (äußere und innere) Wirksamkeit des Verwaltungsakts, nicht aber dessen Bestandskraft voraus189. Hinsichtlich des Ausmaßes der Bindung weichen Tatbestands- und Feststellungswirkung voneinander ab. Während sich die Tatbestandswirkung darauf bezieht, daß die Existenz des Verwaltungsakts und - was allerdings streitig istt90 - auch der Inhalt der Regelung sozusagen als gegebener "Tatbestand" zu beachten sind, erstreckt sich die nur ausnahmsweise aufgrund besonderer gesetzlicher Bestimmung gegebene Feststellungswirkung darüber hinaus auf die der Regelung zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen191.

Vgl. dazu etwa Braun, Die präjudizielle Wirkung, S. 69 ff. Vgl. Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 8; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 8; Braun, Die präjudizielle Wirkung, S. 69. 188 Vgl. Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (189); Mayer/Kopp, Allg. VwR, § 11 VI 3 a; Kopp, VwVfG, vor§ 35 Rdn. 25, jeweils m. w. Nachw. Zum Teil enger, nämlich auf andere Behörden begrenzt, Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 8. 189 Vgl. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rdn. 8; Kopp, VwVfG, vor § 35 Rdn. 29, 30 u. 33; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 13; Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (189); Merten, NJW 1983, 1993 (1996). 190 Zuweilen wird die Bindung an den Inhalt von der Tatbestandswirkung ausgenommen und statt dessen der Feststellungswirkung zugeordnet; so etwa Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 8 a, 9; Haaf, Fernwirkungen, S. 81 ff., 100, welcher darüber hinaus eine Tatbestandswirkung nicht automatisch allen V Aen zuerkennt, sondern verlangt, daß eine Rechtsnorm an die Existenz des VA ausdrücklich eine bestimmte Rechtsfolge knüpft; ähnlich auch Knöpfte, BayVBI. 1982, 225 (230). Zur Uneinheitlichkeit der Terminologie ferner Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 13. 191 Vgl. zum Gegenstand der Tatbestands- und Feststellungswirkung etwa Erichsenl Martens, Allg. VwR, § 13; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 8, 9; Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 42, 43; Mayer/Kopp, Allg. VwR, § 11 VI 3 b, d; Kopp, VwVfG, vor§ 35 Rdn. 26 ff., 32 ff.; Knöpfte, BayVBI. 1982, 225 ff. ; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (189) ; Merten, NJW 1983, 1993 (1997). 186

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I. Teil: Grundlagen

2. Das Verhältnis der Rücknahmeregelungen zur materiellen Bestandskraft des Verwaltungsakts

Die gesetzlichen Rücknahmeregelungen stehen mit der materiellen Bestandskraft desjenigen Verwaltungsakts, auf den sie jeweils Anwendung finden, insofern in einem engen Zusammenhang, als sie es der erlassenden Behörde ermöglichen192, sie ggf. sogar dazu verpflichten193, den Verwaltungsakt aufzuheben und dadurch auf die Dauerhaftigkeit der getroffenen Regelung einzuwirken194• Lassen gesetzliche Vorschriften unter bestimmten Voraussetzungen die Rücknahme eines Verwaltungsaktes zu, so wird dadurch die nach Eintritt der Unanfechtbarkeit als Folge der materiellen Bestandskraft bestehende Bindung der Behörde an ihre eigene Entscheidung gelockert und, sofern die Behörde von der ihr eingeräumten Rücknahmebefugnis Gebrauch macht, letztendlich beseitigt. Steht danach die sich aus der materiellen Bestandskraft ergebende dauerhafte Bindung der Behörde von vornherein unter dem Vorbehalt der Rücknehmbarkeit des VerwaltungsaktsJ9s, so gilt dies in entsprechendem Maße auch für die übrigen der materiellen Bestandskraft zuzuordnenden Rechtswirkungen. Wird ein Verwaltungsakt zurückgenommen, so verliert er nämlich auch seine mit Eintritt der Unanfechtbarkeit auf Dauer angelegte Bindungskraft gegenüber Adressaten und sonstigen Betroffenen. Darüber hinaus entfällt als Folge der Rücknahme die "präjudizielle Wirkung" eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, d. h. die ggf. bestehende Maßgeblichkeit des Regelungsinhaltes im Hinblick auf spätere Verwaltungsakte innerhalb desselben oder eines anderen Verwaltungsverfahrens196. Verbreitet wird die aufgrund gesetzlicher Vorschriften zugelassene Rücknahme als Durchbrechung197 der (materiellen) Bestandskraft bzw. als Eingriffl98 in diese gewertet. Vom Ausgangspunkt eines Bestandskraftbegriffs, der dieses Rechtsinstitut von seinem Umfang her nicht fest umreißt, sondern es als Inbegriff der dem einzelnen Verwaltungsakt zukommenden, auf Dauerhaftigkeit und Stabilität der Regelung angelegten Rechtswirkungen begreift, sind allerdings gegen einen solchen Sprachgebrauch Bedenken angezeigt. Eine - wie hier vertreten - begrifflich nicht auf die Unaufhebbarkeit bzw. Vgl. etwa§§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, 130 Abs. 1 AO. Vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB X; ferner z. B. § 47 Abs. 1 Satz 1 WaffG, § 15 Abs. 1 GastG, § 12 Abs. 1 BEG . 194 Vgl. auch bereits oben bei Fn. 167, 168. 195 Vgl. etwa Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (189); Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 7; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 43 Rdn. 6. 196 Vgl. hierzu Schmidt-Aßmann in Festg. f. BVerwG, S. 569 (581); Bräun, ·Die präjudizielle Wirkung, S. 17, 33. 197 So Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 1; ders., DVBI. 1983, 392 (399); Mayer!Kopp, Allg. VwR, § 15 I; Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 41 V 3; Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 45; Merten, NJW 1983, 1993 (1996). 198 So Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 2. 192

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§ 4 Wirksamkeit und Bestandskraft des VA

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Unabänderbarkeit festgelegte materielle Bestandskraft wird in bezug auf ihren Umfang und ihre Tragweite entscheidend durch die Frage der Rücknehmbarkeit sowie allgemein der Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts näher bestimmt und eingegrenzt. Es erscheint daher vorzugswürdig, statt von einem Eingriff oder einer Durchbrechung von einer Begrenzungl99 der materiellen Bestandskraft zu sprechen, wenn es um das Verhältnis von Rücknahme und Bestandskraft des Verwaltungsakts geht. Materielle Bestandskraft und Rücknehmbarkeit eines Verwaltungsakts stehen danach insofern in einer Wechselbeziehung, als die materielle Bestandskraft rechtswidrig erlassener Verwaltungsakte nur so weit reicht, wie dieser nicht zurückgenommen werden kann bzw. die Behörde von einer vorhandenen Rücknahmemöglichkeit keinen Gebrauch macht2oo. Aus dem dargestellten Beziehungsgefüge zwischen Rücknahme und materieller Bestandskraft ergibt sich, daß der Gesetzgeber durch Schaffung entsprechend eng oder weit gefaßter Rücknahmetatbestände wesentlichen Einfluß auf den Umfang der materiellen Bestandskraft von Verwaltungsakten nehmen kann. Dies birgt die Gefahr einer Aushöhlung des durch das Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich unterfangenen20l Instituts der materiellen Bestandskraft in sich202. Dem sind aber letztlich Grenzen gesetzt, weil der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Determinanten der Rechtssicherheit und des daraus für den Bürger erwachsenden Vertrauensschutzes2ü3 bei der Ausgestaltung der Rücknahmeregelungen hinreichend beachten muß und Kollisionen mit anderen Verfassungsgütern nicht ohne sach- und interessengerechte Abwägung einseitig zu Lasten von Rechtssicherheit und Bestandskraft lösen darf2°4 •

199 Im Unterschied zum Eingriff wirkt die Begrenzung nicht in einen (geschützten) Bereich hinein, sondern konkretisiert -gewissermaßen an der Peripherie- Inhalt und Grenzen eines Rechts oder Rechtsinstituts. Zur Unterscheidung der Begriffe "Eingriff" und "Begrenzung" im Bereich der Grundrechtsdogmatik vgl. Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 8 f. 200 Für "Komplementärbegriffe" werden materielle Bestandskraft und Aufhebbarkeit durch die Behörde auch erachtet von Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 7; hierzu teilweise kritisch Kopp, DVBI. 1983, 392 (397 Fn. 61). 201 Vgl. oben bei Fn. 151. 202 Dazu auch Erichsen!Knoke, NVwZ 1983, 185 (189). 203 Vgl. etwa BVerfGE 25,269 (290) ; 45, 142 (167 f.) ; 50, 244 (250); 59, 128 (164 ff.) . Ausführlich zum Vertrauensschutz und seiner verfassungsrechtlichen Ableitung unten 2. Teil, § 9 II C 2 a aa. 204 Vgl. Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (189); Schenke, DÖV 1983, 320 (321). Zu der "von Verfassungs wegen gebotenen Abwägung" auch BVerfGE 59, 128 (166) .

§ 5 Zuständigkeit und Verfahren bei der Rücknahme von Verwaltungsakten I. Die zuständige Behörde Die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechts über die Rücknahme von Verwaltungsakten entbehren einer umfassenden Regelung der Frage, welche Behörden zur Rücknahme zuständig sind. Darüber hinaus beziehen sich die einschlägigen§§ 48 Abs. 5 VwVfG, 130 Abs. 4 AO und§§ 44 Abs. 3, 45 Abs. 5 SGB XI allein auf den Aspekt der örtlichen Zuständigkeit. 1. Örtliche Zuständigkeit

Die örtliche Zuständigkeit der Rücknahmebehörde bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften der§§ 3 VwVfG, 17 ff. AO, 2 SGB X in Verbindung mit den besonderen Regelungen der §§ 48 Abs. 5 VwVfG , 130 Abs. 4 AO, 44 Abs. 3 und 45 Abs. 5 SGB X. Den letzteren kommt dabei vor allem eine klarstellende Funktion zu. Die Klarstellung bezieht sich darauf, daß jedenfalls nach Unanfechtbarkeit2 des Verwaltungsakts allein noch die zum Rücknahmezeitpunkt nach den allgemeinen Vorschriften örtlich zuständige Behörde die Entscheidung über die Rücknahme treffen darf, und zwar auch dann, wenn die Erlaßbehörde eine andere gewesen ist. Damit sollte eine fortdauernde Zuständigkeit der Erlaßbehörde, wie sie etwa §§ 3 Abs. 3 VwVfG und 2 Abs. 3 SGB X für die Fortsetzung eines Verwaltungsverfahrens3 bei der Änderung der die (örtliche) Zuständigkeit begründenden Umstände vorsehen, ausgeschlossen sein4 • Von ihrem offenen Wortlaut her t §§ 44 Abs. 3, 45 Abs. 5 SGB X beschränken sich zwar nach ihrem Wortlaut nicht ausdrücklich auf die örtliche Zuständigkeit, aus der amtlichen Begründung - BTDrucks. 8/2043 S. 34, 35- ergibt sich jedoch, daß keine abweichende Regelung gegenüber § 48 Abs. 5 VwVfG beabsichtigt war. 2 Streitig ist, ob die betreffende Gesetzesformulierung im Sinne von "auch nach Unanfechtbarkeit" - so Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 53 - oder aber, was eher zutreffend erscheint, im Sinne einer sachlichen Differenzierung - so etwa Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 100; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 61 V; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.4; Pickel, SGB X, § 44 Anm. 5 b und§ 45 Anm. 6 b- zu verstehen ist. In letzterem Falle bleibt vor Unanfechtbarkeit die Erlaßbehörde örtlich zuständig. 3 Vgl. dazu, daß das Rücknahmeverfahren im Verhältnis zum vorangegangenen Erlaßverfahren ein selbständiges , neues Verwaltungsverfahren darstellt, unten§ 5 li 1. 4 Vgl. die Stellungnahme des Bundesrates zu § 44 des Regierungsentwurfs 1973 zum VwVfG, BT-Drucks. 7/910 S. 104; dazu ferner Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48

§ 5 Zuständigkeit und Verfahren

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erlangen §§ 48 Abs. 5 VwVfG, 130 Abs. 4 AO , 44 Abs. 3 und 45 Abs. 5 SGB X darüber hinaus Bedeutung für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit zur Rücknahme in den Fällen, in denen eine örtlich unzuständige Behörde den Verwaltungsakt erlassen hat. Die angesprochenen gesetzlichen Regelungen bringen auch für diesen Fall zum Ausdruck, daß - vorbehaltlich des Eingreifens des Nichtigkeitsgrundes des § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG5 allein die im Rücknahmezeitpunkt tatsächlich örtlich zuständige Behörde zur Rücknahme befugt ist6. Mit der Gesetzeslage steht es demzufolge nicht in Einklang, wenn Kopp1 und MeyerB der örtlich unzuständigen Erlaßbehörde eine kumulative bzw. sogar- jedenfalls für den Rücknahmegrund der fehlerhaften örtlichen Zuständigkeit - eine ausschließliche Rücknahmekompetenz einräumen wollen. 2. Sachliche Zuständigkeit

Soweit die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts besondere Regelungen der sachlichen Zuständigkeit für die Rücknahme eines Verwaltungsakts nicht enthalten9, muß hierfür auf die Vorschriften des jeweils einschlägigen Organisationsrechts zurückgegriffen werden. Allerdings hat man sich zu vergegenwärtigen, daß dort vielfach nur die Erlaßzuständigkeit und nicht auch die Rücknahmezuständigkeit ausdrücklich geregelt ist. Zur Überwindung der daraus resultierenden Schwierigkeiten wird nahezu allgemein davon ausgegangen, daß die Erlaßzuständigkeit beim Fehlen einer anderweitigen gesetzlichen Regelung auch die (sachliche) Rücknahmezuständigkeit mit einschließt mit der Folge, daß dann die Erlaßbehörde zugleich die sachlich zuständige Rücknahmebehörde istiO. Gegen diese Auffassung sind keine durchgreifenden Bedenken angezeigt, sofern der Verwaltungsakt, der zurückgenommen werden soll, von der noch im Rücknahmezeitpunkt für seinen Erlaß sachlich zuständigen Behörde stammt. Demgegenüber erscheint es zumindest einer näheren Erörterung bedürftig, ob die sachliche Zuständigkeit zur Rücknahme auch dann bei der Erlaßbehörde liegt, wenn der Verwaltungsakt von einer Rdn. 53; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 78; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 100; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 61 V. Abweichendes gilt aber für § 26 Satz 2 AO, wie sich aus§ 130 Abs. 4 HS 3 AO ergibt. 5 AO und SGB X kennen keine entsprechende Vorschrift. 6 Ebenso Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 53; Rettermann in Festg. f. BVerwG, S. 61 (62) mit allerdings begründeter Kritik an der gesetzlichen Regelung. Vgl. auch Erichsen, Jura 1981, 534 (545). 7 VwVfG, 3. Auf!. 1983, § 48 Rdn. 100 (in der 4. Auf!. nicht mehr ausdrücklich angesprochen). 8 In Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 77. 9 Dies trifft für die VwVfGe und das SGB X zu. Vgl. demgegenüber§ 16 AO, welcher allerdings nur eine Verweisungsnorm darstellt. 10 Vgl. etwa Ule/Laubinger, VwVerfR, § 61 V; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 101; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.4; Erichsen, Jura 1981, 534 (545) .

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1. Teil: Grundlagen

sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist oder wenn sich die sachliche Zuständigkeit zwischen Erlaß- und Rücknahmezeitpunkt verlagert hat. Insoweit ist zwar in Rechnung zu stellen, daß im Hinblick auf die sachliche Zuständigkeit eine den Regelungen der §§ 48 Abs. 5 HS 2 VwVfG, 130 Abs. 4 HS 2 AO, 44 Abs. 3 HS 2 sowie 45 Abs. 5 SGB X entsprechende Klarstellung durch den Gesetzgeber fehltll. Für einen Gegenschluß aus diesen Vorschriften mit dem Inhalt, daß nur ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit möglich sein, ein Wechsel der sachlichen Zuständigkeit dagegen nicht stattfinden solle 12 , lassen sich - etwa in den Gesetzesmaterialien - aber ebenfalls keine Anhaltspunkte ausmachen. Die genannten Vorschriften bringen vielmehr zum Ausdruck, daß die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nicht zwingend und nicht in jedem Falle in der Kassation einer eigenen Entscheidung der Rücknahmebehörde bestehen muß. In Anbetracht dessen erscheint es unter dem Gesichtspunkt einer möglichst weitgehenden Beachtung der geltenden rechtlichen Ordnung im Bereich der Zuständigkeiten vorzugswürdig, die im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung tatsächlich sachlich zuständige Behörde als zur Rücknahme zuständig anzusehen, und zwar auch dann, wenn die Erlaßbehörde infolge Zuständigkeitswechsels oder fehlerhafter Einschätzung der eigenen Zuständigkeit eine andere war13. Eine andere Frage ist es, ob diese Zuständigkeit eine ausschließliche ist oder ob daneben auch die sachlich unzuständige bzw. unzuständig gewordene Erlaßbehörde rücknahmebefugt bleibt. Angesichts einer vor dem Erlaß der verwaltungsverfahrensrechtlichen Kodifikationen verbreiteten Praxis, welche die Erlaßbehörde in jedem Falle als zur Aufhebung eines Verwaltungsakts wegen dessen Rechtswidrigkeit zuständig ansah14, und angesichts des FehJens einer hiervon abweichenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung wird man letzteres bejahen können, sofern es um die reine Kassation und nicht eine Änderung des Verwaltungsakts geht15. Die reine Kassation einer fehlerhaften Entscheidung durch die Erlaßbehörde stellt nämlich keinen sehr ins Gewicht fallenden Eingriff in die Sachbefugnis der nach der Zuständigkeitsordnung tatsächlich zur Rege11 Abweichend wohl Ule/Laubinger, VwVerfR, § 61 V, sowie möglicherweise auch Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 101, nach dem "Entsprechendes" auch für die sachliche Zuständigkeit gelten soll. 12 So aber etwa VG Oldenburg NVwZ 1985, 68 (69); im Ergebnis wohl auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 53. 13 Ebenso im Ergebnis Kopp, VwVfG, § 48 Rdn . 100; weitgehend auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 77, 78; ferner - allerdings wohl zu Unrecht nach dem Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit differenzierend - Ule/Laubinger, VwVerfR, § 61 V. Vgl. zum Zuständigkeitswechsel auch Ehlers in FS f. Menger, S. 379 (395 f.) mit gesetzlichen Beispielen. 14 Vgl. etwa BVerwGE 49,197 ff. ; dazu auch Bettermann in Festg. f. BVerwG, S. 61 (66); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 53. 15 Ähnlich Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 100, 101 und wohl auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 52, der anderes ausdrücklich nur für die örtliche Zuständigkeit annimmt.

§ 5 Zuständigkeit und Verfahren

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lung berufenen Behörde dar, zumal diese nicht gehindert ist, den Verwaltungsakt gegebenenfalls - etwa im Falle einer fehlerhaften Bewertung der Rechtswidrigkeit durch die Erlaßbehörde - neu zu erlassen. II. Rücknahme und Verwaltungsverfahren

Da die Rücknahme nach allgemein anerkannter Auffassung selbst ein Verwaltungsakt ist16, stellt das auf den Erlaß des Rücknahmeakts gerichtete Verfahren ein Verwaltungsverfahren im Sinne der Vorschriften der §§ 9 VwVfG, 8 SGB X darl7. Nach dem 2. Halbsatz der vorgenannten Vorschriften ist der Erlaß des Rücknahmeakts noch Bestandteil dieses Verwaltungsverfahrens. 1. Das Verhältnis des Rücknahmeverfahrens zum ursprünglichen Erlaßverfahren

Fraglich ist, ob das auf die Rücknahme eines Verwaltungsakts gerichtete Verwaltungsverfahren gewissermaßen als Fortsetzung des ursprünglichen Erlaßverfahrens angesehen werden kann mit der Folge, daß Erlaß und Aufhebung des Verwaltungsakts Bestandteil eines einzigen, einheitlichen Verwaltungsverfahrens wären. Die Tatsache, daß- namentlich in bezugauf formell bestandskräftige Verwaltungsakte- das Irrgangsetzen des auf die Rücknahme gerichteten Verwaltungsverfahrens auch als "Wiederaufgreifen des Verfahrens"18 bezeichnet wird19, könnte auf eine Fortführung des alten Verwaltungsverfahrens hindeuten. Dabei würde jedoch übersehen, daß ein Verwaltungsverfahren im Sinne der §§ 9 VwVfG, 8 SGB X in aller Regel mit dem Erlaß20 des betreffenden Verwaltungsakts21 , nach einer hiervon abweichenden Auffassung jedenfalls mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit22 beendet ist und daß 16 Vgl. etwa Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 51; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 73; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5; Pickel, SGB X, § 45 Anm. 6 a; Ule!Laubinger, VwVerfR, § 61 IV; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 20; Wolff!Bachof, VwR I,§ 53 V h 2. 17 Vgl. statt vieler Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 76. 1s Dazu näher unten § 5 II 2. 19 Vgl. etwa Rettermann in FS f. H. J. Wolff, S. 465 (496); Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 41 V 3; z. T. kritisch Wolff!Bachof, VwR I,§ 53 VI a; anders auch Korber, Aufhebungsverfahren, S. 16 ff., 32 ff. und ders., DVBI. 1984, 405 ff. sowie DÖV 1985, 309 ff., welcher streng zwischen (einteiligem) Aufhebungsverfahren und (zweiteiligem) Wiederaufgreifensverfahren trennt. 2o Zum Begriff des "Erlasses" eines Verwaltungsakts vgl. schon oben § 1 II (bei Fn. 16). 21 Ebenso Ule!Laubinger, VwVerfR, § 20 II; Leonhardt in S/B/L, VwVfG, § 9 Rdn. 17, 18; wohl auch Finkelnburg!Lässig, VwVfG, § 9 Rdn. 37. In der Sache übereinstimmend Obermayer, VwVfG, Vorb. § 9 Rdn. 20, 21 und§ 9 Rdn. 52, der auf die Bekanntgabe abhebt. 22 So etwa Kopp, VwVfG, § 9 Rdn. 44; Clausen in Knack, VwVfG, § 9 Rdn. 5.4.1.

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I. Teil: Grundlagen

das Rücknahmeverfahren nicht nur die Kassation des ursprünglichen Verwaltungsaktes zum Inhalt hat, sondern es zugleich auf den Erlaß eines neuen Verwaltungsakts, des Rücknahmeakts, ausgerichtet ist23. In Anbetracht dessen wird in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf des VwVfG24 nahezu einhellig die Auffassung vertreten, daß das Rücknahmeverfahren ein neuesundselbständiges Verwaltungsverfahren, mithin keine Fortsetzung des ursprünglichen Erlaßverfahrens darstellt25. Konsequenz dieser Auffassung, welche Zustimmung verdient, ist es, daß die gesetzlichen Verfahrenserfordernisse, wie z. B. das Gebot der Anhörung, im Rücknahmeverfahren erneut zu beachten sind26. 2. Rücknahme und Wiederaufgreifen des Verfahrens

Die Rücknahme eines Verwaltungsakts muß- ebenso wie der Widerrufvom Rechtsinstitut des Wiederaufgreifens des Verfahrens abgegrenzt werden. Das Verhältnis beider Rechtsinstitute zueinander ist indessen problematisch und nicht frei von Meinungsverschiedenheiten27. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, daß der Begriff" Wiederaufgreifen des Verfahrens" weder gesetzlich definiert ist noch sonst einheitlich verwendet wird. Die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder verstehen in den Absätzen 1 bis 4 ihres§ 5128 unter dem Wiederaufgreifen des Verfahrens allein das auf Antrag des beschwerten Bürgers erfolgende Eintreten der Behörde in eine erneute Sachprüfung in bezugauf einen formell bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakt. In einem weiteren29, etwa auch § 51 Abs. 5 VwVfG zugrunde liegenden Sinne läßt sich jedoch jedes der Entscheidung über die Rücknahme vorausgehende Eintreten der Behörde in eine Sachprüfung darüber, ob der 23 Dazu, daß der Rücknahmeakt nicht bloßer actus contrarius ohne jegliche selbständige Bedeutung ist, auch schon Storz, S. 42 f. 24 BT-Drucks. 7/910, S. 104. 25 Vgl. Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 52; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 100; Pickel, SGB X, § 45 Anm. 6a; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 65 I; Geuder, S. 168 f.; Korber, Aufhebungsverfahren, S. 36 Fn. 4; a. A. aber wohl Borgs in Meyer/Borgs, VwVfG, § 9 Rdn. 15. 26 Vgl. Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 104; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 52; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5; Pickel, SGB X,§ 45 Anm. 6a. 27 Vgl. dazu etwa Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 19; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, §51 Rdn. 3 ff.; W. Martens, Jura 1979, 83 ff.; Sachs, JuS 1982, 264 ff.; Schenke, DÖV 1983, 320 (330 ff. ); Gosch, S. 16 ff.; W. Schmidt (Diss. ), S. 34 ff.; Geuder, S. 3 f., 7 ff. 28 In AO und SGB X fehlt eine entsprechende Bestimmung. 29 Vom Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren und im weiteren Sinne wird allerdings auch dann gesprochen, wenn es um die Differenzierung zwischen dem strikten Anspruch auf Wiederaufgreifen und dem Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung geht; vgl. etwa BVerwG Buchholz 316 § 36 VwVfG Nr. 1; Stelkens in S/BIL, VwVfG, §51 Rdn. 10, 14; Kemper, NVwZ 1985, 872 (874).

§ 5 Zuständigkeit und Verfahren

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Verwaltungsakt, der sog. "Erstbescheid", rechtswidrig ist und die übrigen Rücknahmevoraussetzungen vorliegen, als Wiederaufgreifen des Verfahrens bezeichnen, gleich ob dieses "Wiederaufgreifen" auf Antrag oder von Amts wegen erfolgt30. Geht man von einem solch weiten Begriff des Wiederaufgreifens aus, so setzt die Entscheidung über die Rücknahme eines Verwaltungsakts stets und notwendig ein Wiederaufgreifen des Verfahrens voraus31. Steht bei der Rücknahme die in erster Linie materiell-rechtliche Frage, unter welchen Voraussetzungen die Behörde einen rechtswidrigen Verwaltungsakt aufheben darf bzw. muß, im Vordergrund, geht es demgegenüber beim Wiederaufgreifen des Verfahrens (im weiteren Sinne) um die der materiell-rechtlichen Entscheidung über die Rücknahme vorgelagerte verfahrensrechtliche Frage, ob die Behörde überhaupt in eine sachliche Überprüfung des Erstbescheides, insbesondere seiner Rechtswidrigkeit und der sonstigen Rücknahmevoraussetzungen, eintreten darf bzw. muß32. Das Wiederaufgreifen des Verfahrens (im weiteren Sinne) stellt sich dementsprechend als die Einleitung eines auf den Erlaß eines Aufhebungsaktes, wie z. B. der Rücknahmeentscheidung, gerichteten Verwaltungsverfahrens dar33. 3. Überblick über den Ablauf des Rücknahmeverfahrens

Wie jedes Verwaltungsverfahren läßt sich auch das Rücknahmeverfahren in mehrere Abschnitte gliedern. Damit ist zwar keine Stufung des Verfahrens im eigentlichen Sinne gemeint, wie sie etwa im Atom- und Immissionsschutzrecht mit dem Instrumentarium des Vorbescheides und der Teilgenehmigung vorgesehen34 oder wie sie auch beim Verfahren des Wiederaufgreifens im engeren Sinne(§ 51 VwVfG) mit der Prüfung der besonderen Wiederaufnahmegründe

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3 Für einen entsprechend weiten Wiederaufgreifensbegriff etwa Settermann in FS f. H. J. Wolff, S. 465 (466 f.); Geuder, S. 7 ff. , 40 ff., 60; ferner- allerdings wohl nur bezogen auf unanfechtbare Verwaltungsakte- Schaarschmidt, S. 11; ähnlich wohl auch Maurer, JuS 1976, 25; Stelkens in S/B/L, VwVfG, §51 Rdn. 5. Für ein engeres Begriffsverständnis etwa Korber, Aufhebungsverfahren, S. 16 ff. und ders., DÖV 1985, 309 (313). 31 Ebenso BVerwG NJW 1981, 2595 (2596); Settermann in FS f. H. J. Wolff, S. 465 (467, 496); Ule/Laubinger, VwVerfR, § 65 I; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 19; Sadura, ebd., § 41 V 3; Wolff/Sachof, VwR I, §53 VIa ; Sachs, JuS 1982, 264; Maurer, JuS 1976, 25; W. Schmidt (Diss.), S. 35; Geuder, S. 10, 21; bezogen auf unanfechtbare Verwaltungsakte ferner Schaarschmidt, S. 11, 111 f., 134 f. Dazu auch Gosch, S. 15 f. Abweichend etwa Korber, Aufhebungsverfahren, S. 58 ff., der allerdings wohl von einem anderen Begriffsverständnis ausgeht. 32 Vgl. etwa Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 54, 55 u. 61; Gosch, S. 1 f., 12; W. Schmidt (Diss.), S. 37. Zum Wiederaufgreifen als eigenständiger "Entscheidungsstufe" ferner Geuder, S. 21 ff. 33 Vgl. auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, §51 Rdn. 2. Hierzu näher unten § 5 II 3 a. 34 Vgl. hierzu etwa Schmidt-Aßmann in Festg. f. BVerwG, S. 569 ff.; Ossenbühl, NJW 1980, 1353 ff.; Wahl, DÖV 1975,373 ff.

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I. Teil: Grundlagen

einerseits und dem Eintritt in die sachliche Überprüfung des Erstbescheides andererseits anzunehmen ist. Strenggenommen stellt das Rücknahmeverfahren demgegenüber ein "einstufiges"35 Verfahren dar. Jedoch läßt sich auch ein solches einstufiges Verwaltungsverfahren weiter in bestimmte Verfahrensschritte aufgliedern, und zwar in erstens die Einleitung des Verfahrens (Eintrittsentscheidung), zweitens das Verfahren bis zur Entscheidung und drittens die Entscheidung selbst36. a) Die Einleitung des Verfahrens

Für die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens ergeben sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Entweder ist die Behörde berechtigt, das Verfahren selbst von Amts wegen zu eröffnen (Offizialprinzip) oder aber die Verfahrenseröffnung hat nur auf entsprechenden Antrag eines von dem Verwaltungshandeln Betroffenen zu erfolgen (Antragsprinzip). Eine weitere Differenzierung läßt sich danach treffen, ob die Entscheidung über den Beginn des Verfahrens im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde liegt (Opportunitätsprinzip) oder ob diese aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften zum Tätigwerden verpflichtet ist (Legalitätsprinzip )37 • Zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens, welches auf die Rücknahme eines Verwaltungsaktes gerichtet ist, bedarf es im Geltungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches grundsätzlich38 keines Antrages des Betroffenen. Das in§ 51 Abs. 1 VwVfG für das zweigestufte Verfahren des Wiederaufgreifens im engeren Sinne normierte Antragsprinzip ist für das Rücknahmeverfahren insofern eingeschränkt, als über§ 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 VwVfG ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne, d. h. die behördliche Entscheidung über den Eintritt ins Rücknahmeverfahren, von Amts wegen möglich ist, mag eine dahingehende Verpflichtung der Behörde39 auch im Einzelfall vom Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG einschließlich des Antragserfordernisses abhängen. 35 Dies wird im Grundsatz richtig erkannt von Korber- vgl. dens., Aufhebungsverfahren, S. 32 ff., 182 ff.; DVBI. 1984,405 (407 ff.); DÖV 1985,309 (310 ff.) ; BayVBI. 1985, 470 (471) -,welcher allerdings etwas vernachlässigt, daß auch ein in seiner Terminologie "einteiliges" Verwaltungsverfahren notwendig einer zwar nicht dem Verfahren vorgängigen , wohl aber das Verfahren eröffnenden Eintrittsentscheidung seitens der Behörde bedarf. 36 Zum typischen Ablauf eines Verwaltungsverfahrens vgl. allgemein etwa Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 37 IV; ferner ausführlich J. Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, S. 61 ff. 37 Vgl. dazu auch§§ 22 VwVfG, 18 SGB X; ferner Ule/Laubinger, VwVerfR, § 20 I. 38 Anders z. B. der Sonderfall des§ 174 Abs. 1 AO. 39 Hierzu näher unten bei Fn. 45 ff.

§ 5 Zuständigkeit und Verfahren

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War der Erlaß eines Verwaltungsakts an einen Antrag geknüpft, so hat dieses nicht notwendig zur Folge, daß auch die Einleitung des Rücknahmeverfahrens in bezug auf diesen Verwaltungsakt von einem Antrag des Betroffenen abhängig ist40. Das Antragsprinzip wirkt also vorbehaltlich einer hiervon abweichenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht automatisch im Rücknahmeverfahren fort, was der eigenständigen Bedeutung des Rücknahmeverfahrens als selbständiges Verwaltungsverfahren Rechnung trägt. Vor diesem Hintergrund erscheint die verbreitet zu findende Aussage, das Verfahren der Aufhebung von Verwaltungsakten richte sich nach den für den Erlaß des betreffenden Verwaltungsakts geltenden Vorschriften41, ungenau und kann zumindest für den Verfahrensabschnitt der Einleitung des Rücknahmeverfahrens in dieser Allgemeinheit nicht aufrechterhalten bleiben. Darf nach dem zuvor Ausgeführten die Behörde in aller Regel das Rücknahmeverfahren von Amts wegen einleiten, so schließt dies andererseits nicht aus, daß trotz Geltung des Offizialprinzips der Anstoß für den Beginn des Verfahrens von einem "Antrag" bzw. einer Anregung des Betroffenen ausgehen kann42. Letzteres ist etwa dann der Fall, wenn der durch einen belastenden Verwaltungsakt Beschwerte von der Behörde ein "Wiederaufgreifen" des Verfahrens - hier im weiteren Sinne gemeint - bzw. die Einleitung eines Rücknahmeverfahrens allein unter Hinweis auf die angebliche Rechtswidrigkeitdes Verwaltungsaktes begehrt, er also sein Begehren nicht auf das Vorliegen der besonderen Wiederaufnahmegründe nach§ 51 Abs. 1 VwVfG stützt. Ein solcher "Antrag" auf Rücknahme leitet zwar insofern ein Verwaltungsverfahren ein, als die Behörde in der Regel verpflichtet sein dürfte, das Begehren des Bürgers zu bescheiden43. Den Beginn des eigentlichen Rücknahmeverfahrens markiert in diesen Fällen allerdings - vorausgesetzt es besteht ein entsprechendes Entscheidungsermessen der Behörde44 - erst die behördliche Entscheidung darüber, ob auf einen solchen "Antrag" hin ein Rücknahmeverfahren tatsächlich eingeleitet oder ob dieses durch verfahrensgestaltenden Verwaltungsakt, z. B. sog. wiederholende Verfügung, abgelehnt wird.

40 Ebenso Wolff/Bachof, VwR I , §53 VI b 2; Rettermann in FS f. H. J, Wolff, S. 465 (467); Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 38; wohl auch Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.1 Vgl. allgemein zum Antrag und zu seiner Bedeutung bei der Einleitung eines Verwaltungsverfahrens Schnell, Der Antrag im Verwaltungsverfahren, S. 25 ff., 32 ff. 41 So etwa Wolff/Bachof, VwR I,§ 53 IV f, V g; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 61 VI; ähnlich auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 51. 42 Vgl. etwa Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.1; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 65 I. 43 Zur Frage der Bescheidungspflicht vgl. auch Korber, Aufhebungsverfahren, s. 33 ff. 44 Hierzu unten bei Fn. 46 u. 51.

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1. Teil: Grundlagen

Eine Verpflichtung der Behörde zur Einleitung eines auf die Rücknahme eines Verwaltungsakts gerichteten Verfahrens besteht einmal dann, wenn dieses in Spezialgesetzen ausdrücklich bestimmt ist45 . Gleiches hat zu gelten, wenn absolute Wiederaufnahmegründe nach §51 Abs. 1 VwVfG vorliegen oder wenn das im übrigen bei der Entscheidung über ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne bestehende behördliche Ermessen46 auf Null reduziert ist. Dabei wird man eine Ermessensreduktion auf Null abgesehen von einigen in Rechtsprechung und Literatur anerkannten Fallgruppen - wie z. B. einem unerträglichen Verstoß gegen Treu und Glauben47 oder einer Nichtbeachtung der Selbstbindung der Verwaltung durch vorangegangenes Tun4B - etwa auch immer dann anzunehmen haben, wenn aufgrund materiellrechtlicher Normen eine zwingende Rücknahmeverpflichtung besteht. Besteht eine derartige Rücknahmeverpflichtung49, so darf sich die Behörde auch dann, wenn keine absoluten Wiederaufnahmegründe vorliegen, nicht weigern, ein auf die Rücknahme gerichtetes Verwaltungsverfahren einzuleitenso. Würde nämlich die Einleitung eines Rücknahmeverfahrens hier im Ermessen der Behörde stehen, so könnte auf diese Weise die gesetzliche Pflicht zur Rücknahme unterlaufen werden. Vor diesem Hintergrund wird man daher Normen, die eine (materielle) Rücknahmeverpflichtung begründen, gewissermaßen ergänzend den Inhalt zuerkennen müssen, daß die Behörde in diesen Fällen zugleich (verfahrensrechtlich) gezwungen ist, ein Rücknahmeverfahren einzuleiten, und zwar dann, wenn sie aufgrund eigener Kenntnis oder Hinweises seitens des Betroffenen Anhaltspunkte dafür hat, daß die Rücknahmevoraussetzungen vorliegen können. Entsprechendes hat zu gelten, wenn die Behörde aufgrund bestimmter Tatsachen davon ausgehen muß, daß sich ein gesetzlich an sich bestehendes Rücknahmeermessen zu einer Rücknahmepflicht verdichtet hat. In den übrigen Fällen bleibt es hingegen bei dem in den Vorschriften der§§ 22 Satz 1 VwVfG, 86 Satz 1 AO und 18 Satz 1 SGB X übereinstimmend normierten Grundsatz, daß die Behörde die Entscheidung über die Einleitung des Rücknahmeverfahrens als eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen selbst trifft5I. Der pflichtgemäßen Ermessensausübung korrespondiert dabei auf seiVgl. für den Parallelfall des Widerrufs etwa§ 37 Abs. 2 Satz 1 AuslG. Hierzu etwa BVerwG NVwZ 1985, 265 ; BayVGH BayVBl. 1984, 213 mit krit. Anm. Korber, BayVBl. 1985, 470 f.; OVG NW, Urt. v. 31. 5. 1985-14 A 1057/84 -; Spanner in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 130 Rdn. 7. 47 Vgl. etwa BVerwGE 28, 122 (127); 44, 333 (336). 48 Vgl. BVeiWGE 26, 153 (155). Zu Fällen einer Ermessensreduktion auf Null ferner Gosch, S. 247 f. ; Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 19 I; Stelkens in S/B!L, VwVfG , §51 Rdn. 11 ; Kopp, VwVfG, §51 Rdn. 13; Kohls, KStZ 1982, 121 (125 f.). 49 So z. B. in§ 44 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB X; ferner in Sonderregelungen wie etwa § 15 Abs. 1 GastG, § 33 d Abs. 4 S. 1 GewO, § 47 Abs. 1 S. 1 WaffG, § 12 Abs. 1 BBG. so Vgl. auch Hauck/Haines, SGB X, § 44 Rdn. 18; Schaarschmidt, S. 137 ff. 45

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§ 5 Zuständigkeit und Verfahren

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ten des durch den zur Rücknahme anstehenden Verwaltungsakt belasteten Bürgers ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, da die Verfahrenseinleitung hier zumindest auch - wenn nicht gar in erster Linie - seinen Individualinteressen zu dienen bestimmt ist52. b) Das Verfahren bis zur Entscheidung

An die Einleitung des Verwaltungsverfahrens schließt sich das Verfahren bis zur Entscheidung an. In diesem Verfahrensstadium erforscht die Behörde den Sachverhalt und subsumiert ihn unter die in Betracht kommenden, gegebenenfalls auslegungsbedürftigen Normen. Sie ermittelt alle tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen, die sie benötigt, um eine abgewogene Entscheidung über die Rücknahme nach den geltenden Gesetzen treffen zu können53. Hierzu zählt insbesondere eine nähere Untersuchung, ob die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als grundlegende Voraussetzung der Rücknahme gegeben ist54. Die Behörde hat sich dabei an die allgemeinen, grundsätzlich auch für das Rücknahmeverfahren geltendenss Verfahrensgrundsätze zu halten, welche je nach dem einschlägigen Rechtsbereich in §§ 9 bis 30 VwVfG, §§ 78 bis 117 AO, §§ 8 bis 25 SGB X geregelt sind. Darüber hinaus finden sich in einer Reihe von Spezialgesetzen Verfahrensregelungen, welche etwa das rechtliche Gehör des Betroffenens6, die Anhörung anderer Verwaltungsstellens7 oder die Veranlassung bestimmter Ermittlungenss betreffen. Von den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen ist insbesondere der Untersuchungsgrundsatz (§§ 24 VwVfG, 88 AO, 20 SGB X) verfahrensbestimmend, welcher besagt, daß die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen hat und sie einer Bindung an das Vorbringen und etwaige Beweisantritte der Beteiligten nicht unterliegt59. Dieser Untersuchungsgrundsatz, auch 51 Vgl. statt vieler Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 89 sowie entsprechend zum "Wiederaufgreifen" des Verfahrens Geuder, S. 66 m. w. Nachw.; ferner oben bei Fn. 46. Zur Problematik dieser Ermessensentscheidung näher Schaarschmidt, s. 111 ff. 52 Vgl. Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 63; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 19 I; Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 52 m. w. Nachw. 53 Vgl. Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 40 vor I. 54 Vgl. auch Korber, DÖV 1985, 309 (310). 55 Vgl. etwa Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 104; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 52. 56 Vgl. § 13 Abs. 2 S. 2 BBG, § 16 Abs. 2 BRAO, §50 Abs. 3 S. 2 BNotO. 57 Vgl. § 16 Abs. 2 BRAO, § 50 Abs. 3 S. 1 BNotO. 58 Vgl. etwa§ 7 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Hebammengesetzes vom 3. März 1939 (RGBI. I S. 417) . 59 Vgl. dazu Wolff/Bachof, VwR III, § 156 IV c; Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 40 li 1; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 21; J. Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, S. 81 ff. (Rdn. 120 ff.).

8 Knoke

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I. Teil: Grundlagen

Grundsatz der Amtsermittlung genannt, gilt unabhängig davon, ob die Einleitung des Verfahrens von Amts wegen erfolgt ist oder nicht. Einer besonderen Erwähnung würdig ist darüber hinaus der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, der in den Anhörungsgeboten der§§ 28 VwVfG, 91 AO und 24 SGB X seinen Niederschlag gefunden hat, wenn auch nur für solche Verwaltungsakte, die in Rechte eines Beteiligten60 eingreifen. Da in aller Regel nur die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts in Rechte von Verfahrensbeteiligten eingreift61 , ist die praktische Bedeutung des gesetzlichen Anhörungserfordernisses im Rahmen des Rücknahmeverfahrens auf diese Kategorie von Verwaltungsakten beschränkt62. Auch dort, wo es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung fehlt, kann allerdings Verfassungsrecht die Gewährung rechtlichen Gehörs gebieten. Zwar ist nicht aus Art. 103 Abs. 2 GG, wohl aber aus dem Verfassungsprinzip der Rechtsstaatlichkeit der Grundsatz abzuleiten, daß den Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens in dem rechtsstaatlich gebotenen und möglichen Maß Gelegenheit zu geben ist, sich zu den entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten schon vor der Entscheidung zu äußern63. Einer möglichst effektiven Verwirklichung des rechtlichen Gehörs sowie des Prinzips der Parteiöffentlichkeit des Verfahrens64 dient darüber hinaus das in §§ 29 VwVfG, 25 SGB X normierte Recht der Beteiligten auf Akteneinsicht65.

6D Wer "Beteiligter" eines Verwaltungsverfahrens ist, ist in §§ 13 VwVfG, 78 AO und 12 SGB X abschließend festgelegt. Es handelt sich dabei um eine rein verfahrensrechtliche Rechtsstellung, die von der materiellrechtlichen Betroffenheit streng zu unterscheiden ist. Vgl. Badura in Erichsen/Martens, Allg VwR, § 40 I. 61 Zur Behandlung des Sonderfalles des belastenden Verwaltungsakts mit begünstigender Drittwirkung vgl. oben § 3 III 2 b bb. 62 Vgl. etwa Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5; zur Geltung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs im Rücknahmeverfahren vgl. im übrigen Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 104; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 52; VGH Kassel ESVGH 12, 134 f. Allgemein zu Voraussetzungen und Inhalt des Anhörungserfordernisses Ehlers, Die Verwaltung Bd. 17 (1984), 295 ff. 63 Vgl. BVerwGE 49, 348 (350); BVerwG DVBI. 1965, 26 (28); Badura in Erichsen/ Martens, Allg. VwR, § 40 II 3; Wallerath, Allg. VwR, § 9 I 3 d; Meyer in Meyer/ Borgs, VwVfG, § 28 Rdn. 3; Kopp, VwVfG, § 28 Rdn. 2; Ule/Becker, Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat, S. 37 ff.; Laubinger, VerwArch Bd. 73 (1982), 60 (74 f., 83 f.); ähnlich Ule/Laubinger, VwVerfR, § 1 II 2 und 3 a, die eine Ableitung aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung befürworten. Für eine (zusätzliche) Ableitung aus Art. 1 Abs. 1 GG etwa Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 30 ff.; Nehls, NVwZ 1982, 494. Für eine Geltung als Grundsatz ohne Verfassungsrang demgegenüber Wolff/Bachof, VwR III, § 156 IV d 1. 64 Hierzu Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 191 ff.; Obermayer, Grundzüge, S. 156; Wolff/Bachof, VwR III, § 156 IV g. 65 Vgl. Kopp, VwVfG, § 29 Rdn. 2.

§ 5 Zuständigkeit und Verfahren

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c) Die Entscheidung

Das Rücknahmeverfahren wird abgeschlossen durch die Entscheidung der zuständigen Behörde über die Rücknahme des Verwaltungsakts. Hierbei handelt es sich, gleich ob die Rücknahme ausgesprochen oder eine vom Betroffenen begehrte Rücknahme nach erfolgter Sachprüfung abgelehnt wird, um einen Verwaltungsakt66. Zum Erlaß eines Verwaltungsaktes kommt es nur dann nicht, wenn die Behörde das Rücknahmeverfahren ohne einen Anstoß von außen von Amts wegen eingeleitet hat und aufgrund der in diesem Verfahren geführten Ermittlungen zu dem Ergebnis kommt, von einer Rücknahme des Verwaltungsakts abzusehen. In diesem Falle endet das Verfahren ohne eine nach außen tretende Willensäußerung der Behörde; der Abschluß der Ermittlungen wird allerdings im Regelfall in den behördeninternen Akten vermerkt. Sowohl der Rücknahmebescheid als auch der Bescheid, welcher eine beantragte Rücknahme ablehnt, sind gemäß den Vorschriften der§§ 39 VwVfG, 121 AO, 35 SGB X zu begründen67 und gemäß §§ 41 VwVfG, 122 AO, 37 SGB X bekanntzugeben, sofern nicht Sonderregelungen68 eingreifen. Mit ihrer Bekanntgabe erlangt die Rücknahmeentscheidung nach §§ 43 Abs. 1 VwVfG, 124 Abs. 1 AO, 39 Abs. 1 SS7B X äußere und regelmäßig auch innere Wirksamkeit69. Mit dem Wirksamwerden des Rücknahmebescheides endet zugleich die Wirksamkeit des zurückgenommenen Verwaltungsakts7o. Die Form der Rücknahmeentscheidung ist in den verwaltungsverfahrensrechtlichen Kodifikationen im Unterschied zu einigen Spezialgesetzen71 nicht besonders geregelt. Deshalb muß insoweit auf die allgemeinen für Verwaltungsakte geltenden Bestimmungen der§§ 37 Abs. 2 VwVfG, 119 Abs. 2 AO und 33 Abs. 2 SGB X zurückgegriffen werden, welche keine besondere Fonli vorsehen. Da mit den vorgenannten Vorschriften eine gesetzliche Regelung vorhanden ist, erscheint es zweifelhaft, mit einer allerdings verbreiteten Auffassung72 die für den Erlaß des zurückzunehmenden Verwaltungsakts geltenden Formvorschriften ohne weiteres auch auf die Rücknahmeentscheidung anzuwenden. Schon die Ausführungen zum Antragserfordernis73 haben nämVgl. bereits bei Fn. 16m. Nachw. Vgl. auch Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 106; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 52. 68 Vgl. z. B . § 25 Abs. 4 PBefG, § 16 Abs. 3 BRAO, § 13 Abs. 2 S. 3 HS 2 BBG. 69 Dazu auch Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5. 70 Vgl. oben § 4 I 2 c, 4. n Einen "schriftlichen Bescheid" verlangt etwa§ 25 Abs. 4 PBefG. n Vgl. etwa Wolff/Bachof, VwR I, §53 V g; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 51 ; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.2; Pickel, SGB X, § 44 Anm. 5 a und§ 45 Anm . 6 a; wohl auch Ule/Laubinger, VwVerfR, § 61 VI. 73 Vgl. oben bei Fn. 40. 66

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1. Teil: Grundlagen

lieh gezeigt, daß der "actus contrarius" nicht notwendig den gleichen formalen und verfahrensrechtlichen Anforderungen genügen muß wie der Erlaßakt. Die Rücknahmeentscheidung muß schließlich nicht immer ausdrücklich erfolgen, sondern sie kann auch konkludent in einer anderen Maßnahme der Verwaltung mit enthalten sein. Praktische Bedeutsamkeit erlangt dabei vor allem der Fall der konkludenten Rücknahmeentscheidung im Rahmen der Rückforderung einer auf der Grundlage eines begünstigenden Verwaltungsakts gewährten Leistung, wie z. B. einer Subvention74.

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Vgl. etwa BVerwGE 67, 305 {308, 313); BVerwG NVwZ 1985, 488 {489).

2. Teil

Die Rücknahme von Verwaltungsakten auf der Grundlage des § 48 der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder § 6 Die Grundstrukturen der Rücknahmeregelung

des§ 48 VwVfG im Vergleich zu den Parallelvorschriften in AO und SGB X

Nachdem das Recht der Rücknahme von Verwaltungsakten abgesehen von einer Reihe spezialgesetzlicher Sonderregelungen lange Zeit Gegenstand in Rechtsprechung und Lehre entwickelter unkodifizierter allgemeiner Grundsätze des Verwaltungsrechts wart, ist heute von der Iex scripta auszugehen. Im Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches sind die gesetzlichen Maßgaben für die Rücknahme von Verwaltungsakten, wenn man hier einmal von dem Sonderfall der Rücknahme während eines Rechtsbehelfsverfahrens2 absieht, in§ 48 VwVfG3, § 130 A04 und§§ 44,45 SGB X enthalten. Trotz einer Reihe von inhaltlichen Übereinstimmungen sind bei den vorgenannten Rücknahmeregelungen in den Grundstrukturen gewisse Unterschiede festzustellen, auf die vor einer näheren Analyse der Vorschrift des § 48 VwVfG hier im Überblick kurz eingegangen werden soll. Dabei fällt zunächst auf, daß nur das SGB X mit seinen§§ 44 und 45 eigenständige Vorschriften für die Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte einerseits und begünstigender Verwaltungsakte andererseits kennt, wohingegen § 48 VwVfG und § 130 AO die Rücknahme von nicht begünstigenden und von begünstigenden Verwaltungsakten in jeweils einer Vorschrift zusammengeiaßt haben. Zu dieser äußerlichen Zusammenfassung in einer Vorschrift tritt als wesentlicherer Umstand hinzu, daß sich auch die jeweilige Rücknahmeermächtigungs- bzw. Rücknahmebefugnisnorm, welche im Rahmen der Regelung des § 48 VwVfG allein in dessen Absatz 1 Satz 1 und im V gl. hierzu oben Einleitung. Hierzu näher unten im 3. Teil. 3 Vgl. ferner§ 116 sh. LVwG. 4 Als Sonderregelungen für die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden sind allerdings§§ 172 ff. AO zu beachten. t

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Rahmen der Regelung des § 130 AO in dessen Absatz 1 enthalten ist, auf alle rechtswidrigen Verwaltungsakte, also gleichermaßen auf begünstigende wie nicht begünstigende bezieht5. Die besonderen, sich speziell auf die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte beziehenden Regelungen der §§ 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 4 VwVfG sowie 130 Abs. 2, 3 AO enthalten nur Einschränkungen dieser grundsätzlichen Rücknahmebefugnis; sie besitzen demgemäß nicht den Charakter von Ermächtigungs- oder Befugnisnormen, sondern stellen Begrenzungsnormen in bezug auf öffentlich-rechtliche Eingriffsbefugnisse dar. Was § 45 SGB X betrifft, so enthält dessen Absatz 1 sowohl die Regelung der Rücknahmebefugnis als auch zugleich die - § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG entsprechende- Verweisung auf die Einschränkungen dieser Befugnis, die nachfolgend in den Absätzen 2 bis 4 normiert sind. Vorbehaltlich der vorgesehenen Einschränkungen steht die Befugnis zur Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach §§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, 130 Abs. 1 AO und 45 Abs. 1 SGB X übereinstimmend im Ermessen der zuständigen Behörde. Dieses Ermessen erstreckt sich nach den genannten Vorschriften grundsätzlich auch darauf, ob der Verwaltungsakt ganz oder teilweise, ob er mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen wird. Allein im Anwendungsbereich des Sozialgesetzbuches gilt in bezug auf das die zeitliche Wirkung der Rücknahme betreffende Ermessen Besonderes. Hier ist aus der Sondervorschrift des § 45 Abs. 4 Satz 1 im Umkehrschluß zu folgern, daß eine Rücknahme für die Vergangenheit in anderen als den dort ausdrücklich bestimmten Fällen (Sonderfälle fehlenden schutzwürdigen Vertrauens nach Absatz 2 Satz 3, Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO) nicht zulässig sein soll, das behördliche Ermessen also insoweit eingeschränkt ist6. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG und § 130 Abs. 1 AO besteht das Rücknahmeermessen - der zuvor angesprochenen Einheitlichkeit dieser Befugnisnormen entsprechend- auch in den Fällen der Rücknahme eines nicht begünstigenden Verwaltungsaktes. Im Unterschied hierzu sieht § 44 Abs. 1 und 2 SGB X eine Verpflichtung zur Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte vor. In den Fällen des§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X (zu Unrecht nicht erbrachte Sozialleistungen, zu Unrecht erhobene Beiträge) erstreckt sich die Verpflichtung zugleich darauf, daß die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen muß, während in den sonstigen Fällen des § 44 Abs. 2 SGB X die Bestimmung des Zeitpunktes des Eintritts der Rücknahmewirkungen im Ermessen der Behörde liegt.

5 Vgl. etwa Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (236); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 6; Erichsen, Jura 1981, 534 (535). 6 Vgl. dazu etwa Wiesner in Schroeder-Printzen, SGB X, § 45 Anm. 2.3 und 6; Hauck/Heines, SGB X, § 45 Rdn. 30.

§ 6 Die Rücknahmeregelungen in VwVfG, AO und SGB X (Überblick)

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Die Eingrenzung der Rücknahmebefugnis bei begünstigenden Verwaltungsakten ist in allen drei Kodifikationen unterschiedlich ausgestaltet. Während § 130 Abs. 2 AO einen abschließenden Katalog von Rücknahmegründen enthält, knüpfen § 48 Abs. 2 VwVfG und§ 45 Abs. 2 SGB X die Rücknehmbarkeit an eine generelle Abwägung des öffentlichen Interesses an der Rücknahme mit dem schutzwürdigen Vertrauen und Interesse des Begünstigten am Bestand des Verwaltungsakts und normieren dabei lediglich positive Regelbeispiele sowie einen Negativkatalog im Hinblick auf die Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens7 . Eine Besonderheit der Regelung des§ 48 VwVfG besteht allerdings darin, daß sich dort die Einschränkung der Rücknehmbarkeit nach Maßgabe des vorerwähnten Abwägungsprinzips nicht auf alle begünstigenden Verwaltungsakte bezieht, sondern vielmehr zwischen verschiedenen "Typen"8 von begünstigenden Verwaltungsakten differenziert wird , nämlich zwischen den Geld- und teilbaren Sachleistungsverwaltungsakten auf der einen und den sonstigen begünstigenden Verwaltungsakten auf der anderen Seite. Auf letztere findet der in§ 48 Abs. 2 VwVfG normierte Bestandsschutz keine Anwendung; es findet dagegen nach Maßgabe des§ 48 Abs. 3 VwVfG Vermögensschutz in Form eines finanziellen Ausgleichs statt9. Darüber hinaus besteht nach § 48 Abs. 4 VwVfG und § 130 Abs. 3 AO grundsätzlichlO eine zeitliche Schranke für die Rücknahme aller begünstigenden Verwaltungsakte; hiernach erlischt die Rücknahmebefugnis 1 Jahr, nachdem die Behörde von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Eine hiervon abweichende Regelung liegt § 45 Abs. 3 und 4 SGB X zugrunde. § 45 Abs. 3 SGB X legt für die Sonderkategorie der begünstigenden Verwaltungsakte mit Dauerwirkungn eine absolute zeitliche Rücknahmesperre fest, wobei die Frist im Unterschied zu§ 48 Abs. 4 VwVfG und § 130 Abs. 3 AO unabhängig von einer bestimmten Tatsachenkenntnis der Behörde mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu laufen beginnt. Die Rücknahmefrist beträgt dabei grundsätzlich gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X 2 Jahre, in besonderen Fällen nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X 10 Jahre. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X enthält daneben eine auf die Kenntnis der Behörde von 7 Vgl. auch BSG DÖV 1985, 582; Häberle in FS f . Boorberg-Ver!ag, S. 47 (86). s Vgl. etwa Göldner, DÖV 1979, 805 (806 f.), der in diesem Zusammenhang von einem gesetzlichen "Typendifferenzierungsmodell" spricht; ähnlich auch Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 223 (230) . 9 Vgl. dazu etwa Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 II 1, III; Erichsen, VerwArch Bd. 69 (1978), 303 (307); dens., Jura 1981, 534 (539); Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (236); Häberle, ebd., S. 43 (86); Göldner, DÖV 1979, 805 (806, 811); Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979) , 337 (354 f.); Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (230) . IO Ausnahmeregelungen für bestimmte Fälle fehlender Schutzwürdigkeit des Begünstigten finden sich in§ 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG und§ 130 Abs. 3 Satz 2 AO . 11 Vgl. zum Begriff die amtl. Begr., BT-Drucks. 8/2034 S. 34; Pickel, SGB X, § 45 Anm: 4 a; dens., NVwZ 1987,454 (459); Hauck/Haines, SGB X,§ 45 Rdn. 27.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen abstellende Ausschlußfrist von einem Jahr, die für sämtliche begünstigenden Verwaltungsakte gilt, die aber - im Unterschied zu den Regelungen in §§ 48 Abs. 4 VwVfG und 130 Abs. 3 AO - allein eine Sperre für eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit darstellt, während eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft ohne eine Bindung an die einjährige Frist zulässig ist . . In den Rücknahmevorschriften der verwaltungsverfahrensrechtlichen Kodifikationen sind schließlich noch einige "Begleitregelungen" enthalten, welche sich nicht unmittelbar auf die Festlegung von Umfang und Grenzen der Rücknahmebefugnis beziehen. So regelt § 48 Abs. 2 Sätze 5 bis 8 VwVfG den Anspruch des Verwaltungsträgers auf Erstattung bereits gewährter Leistungen, während dies im Sozialgesetzbuch Gegenstand der den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch umfassender regelnden Vorschrift des§ 50 SGB X ist. § 48 Abs. 3 VwVfG trifft nähere Maßgaben für den als Spezialität der Rücknahmeregelung der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder anzusehenden Anspruch des Betroffenen auf Ausgleichung des durch die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts im Sinne dieser Vorschrift, nämlich eines Geldleistungs- oder teilbaren Sachleistungsverwaltungsakts, eingetretenen Vermögensnachteils. § 48 Abs. 6 VwVfG enthält eine auf den Erstattungsanspruch und den Vermögensausgleich bezogene Rechtswegregelung. Auf die in §§ 48 Abs. 5 VwVfG, 130 Abs. 4 AO und §§ 44 Abs. 3, 45 Abs. 5 SGB X enthaltene, weitgehend identische Zuständigkeitenregelung ist bereits an anderer Stelle12 eingegangen worden.

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Vgl. oben § 5 I.

§ 7 Die Befugnisnorm des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG I. Die Entscheidung über das "Ob" der Rücknahme 1. Die Rücknahme als Ermessensentscheidung - Allgemeines

Nach§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann die zuständige Behörde einen rechtswidrigen Verwaltungsakt, sei er begünstigend oder nicht begünstigend, zurücknehmen. Die Befugnis zur Rücknahme steht mithin, ohne- vom Vorliegen eines rechtswidrigen (nicht nichtigen) Verwaltungsakts abgesehen- an bestimmte weitere Voraussetzungen geknüpft zu sein, im behördlichen Ermessen. Häufig wird davon gesprochen, daß in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG der sog. Grundsatz der· "freien" Rücknahme bzw. Rücknehmbarkeit aufgenommen worden sei 1 . Diese im vorliegenden Zusammenhang nicht sehr glücklich gewählte Terminologie spiegelt eine Bindungslosigkeit der Behörde bei der Rücknahmeentscheidung vor, welche, wie noch aufgezeigt wird, in Wirklichkeit nicht besteht. Es wird hier begrifflich an eine Rechtssituation angeknüpft, die lange vor dem Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder im Rahmen der ungeschriebenen allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts über die Rücknahme von Verwaltungsakten einmal bestanden haben mag2, die aber im Anschluß an eine grundlegende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin3 über die Rücknahme einer Witwenpension infolge der zunehmenden Berücksichtigung des schutzwürdigen Vertrauens in den Bestand des Verwaltungsakts jedenfalls bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte mehr und mehr relativiert worden ist4. 1 Vgl. etwa Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 5; Kopp, VwVfG, § 48 _ Rdn. 31; Maurer, JuS 1976, 485 (492); dens., Allg. VwR, § 11 Rdn. 28; Schleicher, DOV 1976, 550 (553); Häberle in FS f. Boorberg-Verlag, S. 47 (85) . Dazu auch die amtl. Begr., BT-Drucks. 7/910 S. 68. 2 Vgl. etwa W. Jellinek, VwR, S. 283 f.; Nebinger, VwR, S. 216; Sommer, DÖV 1954, 716; Schütz, DÖV 1958, 449 (450 f.}; BayVGH VerwRspr Bd. 4 (1952) Nr. 34 (S. 144 f.); OVG Münster DÖV 1956, 151; VGH Kassel DVBI. 1958, 763. Im Sinne eines Grundsatzes, von dem nur in Ausnahmefällen abgewichen werden durfte, auch noch BVerwGE 9, 251 (252); OVG Berlin DVBI. 1954, 129 (130); OVG Lüneburg DVBI. 1956, 24. Dazu auch Ossenbühl, Rücknahme, S. 11 ff.; Kimminich, JuS 1965, 249 (253); Haueisen, DVBI. 1960, 913; Becker, DÖV 1963, 459; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 129. Vgl. ferner bereits oben Einleitung. 3 DVBI. 1957, 503. 4 Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG- vgl. zusammenfassend und mit weiteren Nachweisen etwa BVerwGE 19, 188 (189) - durfte ein rechtswidriger begünsti-

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Bezogen auf die Regelung des§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG darf der Terminus "freie" Rücknahme, auf den besser verzichtet werden sollteS, nicht mit schrankenloser Rücknehmbarkeit gleichgesetzt werden. Abgesehen davon, daß die Behörde das Vorliegen der tatbestandliehen Voraussetzungen des§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG- Verwaltungsakt, Rechtswidrigkeit, fehlende Nichtigkeit (als ungeschriebene Voraussetzung) - zu prüfen hat, ist diese nämlich bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme nicht im eigentlichen Sinne frei, sondern hat, wie sich für den Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder aus § 40 VwVfG ergibt6 , das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichenbesser rechtlichen7 - Grenzen des Ermessens einzuhalten8. Ferner darf § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, was die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte betrifft, nicht isoliert, sondern muß im systematischen Zusammenhang mit den nachfolgenden Regelungen in § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 4 VwVfG gesehen werden. Diese Bestimmungen begrenzen mit Ausnahme des Absatzes 3 die Befugnisnorm des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Sie schränken die Weite des dort eingeräumten Rücknahmeermessens durch die Normierung von Ausschlußgründen ("darf nicht ... , soweit") jedenfalls für begünstigende Verwaltungsakte im Sinne des Absatzes 2 stark ein. Demgegenüber bleibt es für begünstigende Verwaltungsakte im Sinne des Absatzes 3 - von der zeitlichen Ausschlußfrist des Absatzes 4 einmal abgesehen - bei dem weiten, allein durch die allgemeinen Schranken der Ermessensausübung begrenzten Rücknahmeermessen nach§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG.

gender Verwaltungsakt nur zurückgenommen werden, soweit das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung das durch den Erlaß des fehlerhaften Verwaltungsakts begründete Vertrauen des Begünstigten auf die Beständigkeit behördlicher Entscheidungen überwog. Dazu auch Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 I; Becker, DÖV 1967, 729; Frotscher, DVBI. 1976, 281 (282). s Göldner, DÖV 1979, 805 f., spricht im Unterschied dazu etwa vom "Prinzip eines universalen Rücknahmeermessens"; kritisch auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 43. 6 Vgl. ferner§ 5 AO, § 36 SGB X . 7 Die Grenzen ergeben sich nicht nur aus dem (einfachen) Gesetzesrecht, sondern beispielsweise auch aus dem Verfassungsrecht. Vgl. etwa Kopp, VwVfG, § 40 Rdn. 19 ff. 8 Vgl. in bezugauf das Rücknahmeermessen etwa Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 11; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.6; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 28; Erichsen, Jura 1981, 534 (542). Dazu, daß das Ermessen überhaupt ausgeübt werden muß, vgl. etwa OVG Münster DVBI. 1980, 885 (887). Zu den Ermessensbindungen allgemein Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 12 II 2 sowie vorliegend näher unten § 7 I 2 b.

§ 7 Die Befugnisnonn des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG

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2. Die Problematik der Ermessensregelung insbesondere bei der Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte a) Rücknahmepflichtkraft verfassungsrechtlicher Vorgaben?

Im Unterschied zur Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG sieht § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X9 eine behördliche Verpflichtung zur Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte vor. Darüber hinaus ist vor dem Erlaß der Verwaltungsverfahrensgesetze insbesondere aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich niedergelegten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zuweilen eine allgemeine Pflicht zur Rücknahme von Verwaltungsakten, dabei vor allem der nicht begünstigenden bzw.- nach damaliger Terminologie - belastenden Verwaltungsakte, hergeleitet wordenlo. Die Frage einer Verpflichtung zur Rücknahme wird s.chließlich auch vor dem Hintergrund eines in den Grundrechten verankerten Beseitigungsanspruchs des Betroffenen diskutiert11. Dieses alles gibt Anlaß zu untersuchen, ob der Gesetzgeber bei Schaffung des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, was das Rücknahmeermessen vor allem bei nicht begünstigenden Verwaltungsakten betrifft, den ihm von der Verfassung vorgegebenen Rahmen zur Konkretisierung und Gestaltung überschritten hat. aa) Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

Die in Art. 20 Abs. 3 GG normierte Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht- auch Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung genanntwird allgemein als verfassungsrechtlicher Ansatz für die Rücknehmbarkeit eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes angesehenlz. Dem ist im Grundsatz zuzustimmen. Hat die Behörde nämlich etwa einen Verwaltungsakt unter Verletzung bestehender Gesetze erlassen, so ist sie der ihr auferlegten Bindung, Gesetz und Recht zu beachten, nicht nachgekomnmen; sie hat vielmehr gegen den Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes13 verstoßen. Welche Rechts9 Diese Regelung soll nach ihrer Entstehungsgeschichte allerdings bestimmten Besonderheiten des Sozialrechts Rechnung tragen, die schon zuvor aufgrund einzelner Spezialregelungen und nach der Rechtsprechung des BSG weitgehend gegolten hatten; vgl. dazu die amtl. Begr., BT-Drucks. 8/2034 S. 34 und etwa Wiesner in SchroederPrintzen, SGB X,§ 44 Anm. 5. Zu weiteren Sonderregelungen etwa Wendt, JA 1980, 85 (86). 10 Vgl. Forsthoff, VwR, S. 261; Ule/Becker, Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat, S. 57; Maurer, DOV 1966, 477 (483 ff.); Heimerl, BayVBI. 1971, 366 (369 f.). 11 Vgl. Schenke, DÖV 1983, 320 (323 f., 329); Buermeyer, S. 86 ff. 12 Vgl. statt vieler BVerwGE 9, 251 (252); Häberle in FS f. Boorberg-Verlag, S. 47 (85); Wendt, JA 1980, 85 (86); Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 5; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 I; A chterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 52. 13 Vgl. dazu etwa Pietzcker, JuS 1979, 710 ff.; Gusy, JuS 1983, 189 ff.; Bode, S. 79 f. ; ferner bereits oben § 2 I.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

folge im Falle einer Verletzung der Bindung an Gesetz und Recht eintritt, ist allerdings weder in Art. 20 Abs. 3 GG noch in sonstigen Normen der Verfassung bestimmt. Angesichts des in Art. 20 Abs. 3 GG zweifelsohne zum Ausdruck kommenden staatlichen Interesses am Bestehen und damit zugleich auch an der Wiederherstellung gesetzmäßiger Zustände14 wird man zwar dem Gesetzgeber die Befugnis zuzubilligen haben, zur näheren Ausgestaltung und Konkretisierung des Verfassungsgrundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eine gesetzliche Rücknahmemöglichkeit oder- soweit andere höherrangige Verfassungsgüter nicht entgegenstehen- auch eine Verpflichtung der Behörde zur Rücknahme von Verwaltungsakten vorzusehen. Auf der anderen Seite verbietet jedoch das Fehlen einer verfassungsrechtlich bestimmten Rechtsfolge die Annahme, im Falle einer Verletzung der Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht müsse der gesetzmäßige Zustand in jedem Falle wiederhergestellt werdenls. Hiervon ausgehend ist eine den Gestaltungs- und Konkretisierungsspielraum des Gesetzgebers einengende Bindung in Richtung auf die Normierung einer Rücknahmepflicht abzulehnen. Für dieses Ergebnis spricht zudem, daß das Recht der Rücknahme von Verwaltungsakten nicht isoliert nur vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gesehen werden darf, sondern es in einem Spannungsfeld verschiedener, zum Teil widerstreitender Verfassungsgüter steht. Ist dieses bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte vor allem das Gebot des Vertrauensschutzes des Begünstigten, auf dessen verfassungsrechtliche Ableitung später noch im einzelnen eingegangen werden soll16, so ist (auch) bei der Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte zumindest ab deren Unanfechtbarkeit die im Rechtsstaatsprinzip, nämlich dessen Geboten der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens , wurzelnde (materielle) Bestandskraft des Verwaltungsakts17 als gegenläufiges Schutzgut mitzuberücksichtigen, welche ebenso wie die geltenden Rechtsbehelfsfristen nicht völlig ausgehöhlt werden darf; vielmehr ist der Gesetzgeber gehalten, den Konflikt der Verfassungsgüter auf einfach-gesetzlicher Ebene einem harmonisierenden Ausgleich zuzuführen1B. Schließlich ist noch anzumerken, daß einem im Einzelfall möglicherweise bestehenden überragenden öffentlichen Interesse an der Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts auch im 14 Vgl. dazu Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 129; Schnapp in FS f. Scupin, S. 899 (913) . 15 Ebenso BVerwG NJW 1961, 1130 (1131); Wolff/Bachof, VwR I, §53 V d 4; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 129; ders., Jura 1981 , 534 (544). A . A . aber etwa Buermeyer, S. 85 f .; Bode, S. 80 ff. 16 Vgl. unten § 9 II C 2 a aa. 17 Dazu oben § 4 II. 18 Vgl. etwa Schnapp in FS f . Scupin, S. 899 (913) ; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (189).

§ 7 Die Befugnisnorm des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG

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Rahmen der Bindungen eines gesetzlich eingeräumten Rücknahmeermessens angemessen und ausreichend Rechnung getragen werden kann. bb) Die Grundrechte als Grundlage eines verfassungsrechtlichen Beseitigungsanspruchs

Es fragt sich, ob in den- regelmäßig vorliegenden- Fällen, in denen der Erlaß eines rechts~idrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes einen grundrechtlich geschützten Bereich der Individualsphäre des Bürgers nachteilig betrifft, auf der Grundlage des jeweils betroffenen Grundrechts zum einen ein Anspruch auf Beseitigung dieser Beeinträchtigung besteht und ob -wenn ja - dieser Anspruch zum anderen notwendig zur Folge hat, daß die Rechtsordnung ihm mit der Statuierung einer Pflicht zur Beseitigung des Grundrechtseingriffs, und zwar in der Form einer Rücknahmeverpflichtung der Behörde, Rechnung tragen muß. Entsprechend ihrer historischen Entwicklung19 sind die Grundrechte zunächst Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat; sie sind in dieser liberal-rechtsstaatlichen, den sog. "status negativus" betreffenden Bedeutung in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheits- und Individualsphäre des einzelnen gegenüber Eingriffen und sonstigem Verhalten des Staates, seiner Untergliederungen und Organe zu schützen20. Dieser Schutz wird unter anderem dadurch erreicht, daß dem einzelnen aufgrund der grundrechtliehen Gewährleistung zugleich die Rechtsmacht21 eingeräumt ist, Einwirkungen der öffentlichen Gewalt auf den geschützten Bereich auszuschließen; die Grundrechte begründen insoweit gegenüber dem Staat einen Unterlassungsanspruch22. Ob den Grundrechten darüber hinaus im Falle einer Verletzung dieses Unterlassungsanspruchs durch den Staat ein Anspruch auf Beseitigung des rechtswidrig erfolgten Grundrechtseingriffs entnommen werden kann, ist dagegen durch die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte allein noch nicht zwingend vorgegeben. Über Art und Inhalt der Reaktion auf einen Grundrechtseingriff enthält die Verfassung keine konkreten Maßgaben. Da die Rechtsordnung im übrigen auf die Verletzung von Rechtsgütern in unterschiedlicher Weise reagieren kann23, könnte daher- ähnlich wie zuvor bei !9

Vgl. dazu Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 39 ff.

2o Vgl. dazu BVerfGE 7, 198 (204 f.) ; 21; 362 (369, 372); 59,231 (255); 68, 193 (205);

Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 287; dens., EuGRZ 1978,427 (431); Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530 f.); Ossenbühl, NJW 1976, 2100 f.; Starck, JuS 1981, 237 (240); Schuppert, EuGRZ 1985, 525 (526); v. Mutius, BK, Art. 19 Abs. 3 (Zweitbearbeitung) Rdn. 36m. w. Nachw. 21 BVerfGE 24, 367 (396). 22 Vgl. etwa OVG Münster NJW 1984, 1982 (1983); Ossenbühl, NJW 1976, 2100 (2101) ; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 221. 23 Vgl. etwa Menger in Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, S. 347 (350 f.).

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Art. 20 Abs. 3 GG- ein aus den Grundrechten ableitbarer konkreter Reaktionsanspruch abzulehnen sein24. Auf der anderen Seite ist indessen folgendes zu berücksichtigen: Wie das Bundesverfassungsgericht - vor allem im Zusammenhang mit der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GGmehrfach betont hat, müssen die (Freiheits-)Grundrechte in ihrer personenhaften Bezogenheit auf einen bestimmten Rechtsträger, dem sie einen Freiheitsraum zur eigenverantwortlichen Lebensgestaltung gewährleisten wollen, gesehen werden und ist in ihnen- diesem Umstand Rechnung tragend- für den einzelnen Grundrechtsträger eine Bestandsgarantie enthalten2S. Diese Bestandsgarantie würde ausgehöhlt, wenn der einzelne aus den Grundrechten nicht auch die im prozessualen Bereich zusätzlich durch Art. 19 Abs. 4 GG abgesicherte Befugnis herleiten könnte, eine ungerechtfertigte Einwirkung des Staates auf den Bestand der durch das jeweilige Grundrecht geschützten Güter abzuwehren. Ist der Bestand durch ein staatliches Verhalten bereits beeinträchtigt, so muß sich der Abwehranspruch, soll er seinerseits nicht leerlaufen, in einen Anspruch auf Rückgängigmachung des bereits eingetretenen Grundrechtseingriffs in Form einer Wiederherstellung des Zustandes vor dem ungerechtfertigten staatlichen Verhalten (status quo ante) umwandeln. In Konsequenz dessen ist heute weitgehend anerkannt, daß der einzelne aus dem jeweils einschlägigen Grundrecht einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Beseitigung rechtswidriger Beeinträchtigungen hat26. Richtet sich dieser Anspruch auf die Rückgängigmachung der Folgen eines staatlichen Verhaltens- sei es der Vollzugsfolgen eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, sei es der Folgen eines rechtswidrigen Verwaltungsrealaktes27- so wird gemeinhin vom Folgenbeseitigungsanspruch oder auch vom (allgemeinen) Beseitigungsanspruch gesprochen28. Erkennt man aber unter Ableitung aus den Grundrechten einen So im Ergebnis BVerwGE 28, 183 (190) für den Fall der Rückenteignung. Grundlegend BVerfGE 24, 367 (400); vgl. auch BVerfGE 38, 175 (181); 46, 325 (334); 51, 192 (220); 56,249 (260 f., 279); 58,300 (363) ; 68,361 (368); Badura in Handbuch des Verfassungsrechts, S. 653 (664); Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 127 f., 131. 26 Vgl. etwa BVerfGE 38, 175 (181) mit zust. Anm. Kimminich, DÖV 1975, 314 (315 f.); Weyreuther, Gutachten B für den 47. DJT, S. 90; Schenke, DÖV 1983, 320 (323 f.); dens., DÖV 1986, 305 (310, 313 f.); dens. in FS f. Mühl, S. 571 (583 ff.); Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 221. 27 Vgl. hierzu BVerwG DVBI. 1971, 858 (860). 28 Für eine Ableitung dieses (Folgen-)Beseitigungsanspruchs aus dem verletzten subjektiven (Grund-)Recht etwa BVerwGE 44, 235 (243); BVerwG DVBI. 1971, 858 (859); NJW 1974, 817; NJW 1976, 1987 (1988); NJW 1981, 239 (241); BayVBI. 1986, 343 (344); VGH Kassel NVwZ 1982, 565; wohl auch OVG Münster NJW 1984, 1982 (1983 f.). Ebenso im Schrifttum etwa Fiedler, NVwZ 1986, 969 (971 f.); Schach, VerwArch Bd. 79 (1988), 1 (34 ff.). Für eine (vorrangige) Ableitung aus Art. 20 Abs. 3 GG dagegen etwa BVerwGE 69, 366 (370). Vgl. zum Stand der Meinungen ferner Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 219 ff.; Badura in Erichsen/ Martens, Ailg. VwR, §53 V; Maurer, Allg. VwR, § 29 Rdn. 4 u. 5; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 194 ff.; Maaß, BayVBI. 1987,520 (523 f.). 24

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§ 7 Die Befugnisnorm des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG

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Anspruch auf Beseitigung der Folgen eines rechtswidrigen staatlichen Verhaltens an, so muß ein solcher Beseitigungsanspruch, soll er keine offene" verfassungsrechtliche Flanke" haben, erst recht im Hinblick auf eine Rückgängigmachung des rechtswidrigen staatlichen Verhaltens selbst bestehen29. Erfolgt das staatliche Verhalten in der Handlungsform des Verwaltungsakts, so ist der Beseitigungsanspruch - wie für den prozessualen Bereich in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorausgesetzt- auf die Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes gerichtet. Ausgehend von diesem verfassungsrechtlich verankerten Beseitigungsanspruch des durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt in einem seiner Grundrechte Betroffenen erweist sich die Ermessensregelung des§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG als problematisch. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Gesetzgeber aufgrund der bei einer Reihe von Freiheitsgrundrechten vorgesehenen Gesetzesvorbehalte in grundrechtliche Schutzbereiche eingreifen darf und der Gesetzgeber im übrigen zur Grundrechtsausgestaltung und -konkretisierung sowie zur Grundrechtsbegrenzung mit dem Ziel der Harmonisierung des Grundrechtsschutzes mit dem Schutz sonstiger betroffener Verfassungsgüter berufen ist3°. Die hier in Rede stehende Ermessensregelung ist nämlich durch eine weitgehende Unbestimmtheit der Rechtsfolge gekennzeichnet31, was bedeutet, daß die die einschlägigen Verfassungsbestimmungen konkretisierende und harmonisierende Entscheidung nicht maßgeblich vom Gesetzgeber vorgezeichnet ist, sondern sie von der Verwaltung getroffen werden muß. Ob sich dieses noch mit dem für alle grundrechtsrelevanten staatlichen Maßnahmen geltenden32 Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes in Einklang bringen läßt, muß zumindest stark bezweifelt werden. Diesen Bedenken läßt sich insbesondere nicht entgegenhalten, daß der Gesetzgeber die notwendige Abgrenzung zwischen der durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt betroffenen Individualrechtssphäre und dem damit konfligierenden Verfassungsgut der Rechtssicherheit und -beständigkeit-vorliegend manifestiert in der Bestandskraft des Verwaltungsakts33 - bereits in ausreichendem Umfange durch die Bestimmung der für die prozessuale Anfechtung des Verwaltungsakts geltenden Rechtsmittelfristen vorgenommen hätte.

So auch Schenke, DÖV 1983, 320 (324); ders., DÖV 1986, 305 (313 f.) . Vgl. hierzu etwa Hesse, Verfassungsrecht, § 10 I und II (Rdn. 303 ff.); Erichsen, Statsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 90 f., 159 f., 179 f.; Schuppert, EuGRZ 1985, 525 (530 f.). 31 Vgl. Wolff/Bachof, VwR I,§ 31 II a; Buermeyer, S. 86. 32 Dazu ausführlich Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 90 f. m. w. Nachw . 33 Dazu oben § 4 II. 29

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Zwar ist davon auszugehen, daß die den Eintritt der formellen Bestandskraft des Verwaltungsakts betreffenden gesetzlichen Bestimmungen über ihre unmittelbare Bedeutung als zeitliche Grenze formaler Rechtsschutzeröffnung hinaus auch den materiellen Aufhebungsanspruch des Bürgers gegen die Verwaltung betreffen. Diese Vorschriften bringen nämlich zum Ausdruck, daß der Aufhebungsanspruch nach Eintritt der Unanfechtbarkeil des Verwaltungsakts nicht mehr, zumindest nicht mehr uneingeschränkt durchgesetzt werden kann, daß vielmehr von diesem Zeitpunkt an dem Verfassungsgebot der Rechtssicherheit ein grundsätzlicher34 , dabei allerdings allein den belasteten Bürger bindender und die Verwaltung vor einer erneuten Befassung mit derselben Angelegenheit schützender35 Vorrang eingeräumt sein soJJ36. Diese im Rahmen des gesetzgeberischen Konkretisierungs- und Gestaltungsspielraums getroffene Entscheidung darf weiter nicht in der Weise ausgehöhlt oder unterlaufen werden, daß auf der Grundlage des aus den Grundrechten ableitbaren Beseitigungsanspruchs ein zwingender Anspruch des Betroffenen gegen die Behörde auf Rücknahme des Verwaltungsakts nach Eintritt der Unanfechtbarkeil noch in allen Fällen angenommen würde. Der grundrechtliche Beseitigungsanspruch hat hier vielmehr unter Harmonisierung mit dem konfligierenden Verfassungsgut der Rechtssicherheit eine durch den Gesetzgeber maßgeblich vorgezeichnete Begrenzung erfahren, die der Annahme einer verfassungsrechtlich gebotenen Rücknahmeverpflichtung nach dem Eintritt der formellen Bestandskraft grundsätzlich entgegensteht37 • Diese gesetzlich vorgezeichnete Grundrechtsbegrenzung dürfte allerdings dann nicht entscheidend zum Tragen kommen, wenn die Behörde das Verwaltungsverfahren - sei es aufgrund gesetzlicher Verpflichtung, sei es aufgrund eigener Ermessensentscheidung über den Eintritt ins Rücknahmeverfahren in einem weiteren Sinne wiederaufgegriffen38 hat und sie bereits in eine nähere Prüfung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts eingetreten ist. In einem solchen Falle hat die Verwaltung sich selbst des durch die Wirkungen der formellen Bestandskraft ausgelösten, allein ihr zugute kommenden Schutzes begeben. In Anbetracht dessen wird sie sich auf die durch die gesetzlichen Rechtsmittelfristen gewährleistete Rechtssicherheit dann nicht mehr als Begrenzung des Grundrechtsschutzes berufen dürfen, sondern wird dem 34 Dieser Grundsatz wird nur ausnahmsweise, etwa in den Fällen des Vorliegens absoluter Gründe für ein Wideraufgreifen des Verfahrens nach §51 Abs. 1 VwVfG, durchbrachen. 35 Hierzu etwa Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 160. Diese Zielgerichtetheit hat zur Folge, daß der Schutz zur Disposition der Verwaltung steht. · 36 Vgl. etwa Bode, S. 92 ff.; Buermeyer, S. 87; Bullinger, JZ 1963,466 (470); Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (187 , 189). 37 Ebenso im Ergebnis wohl auch Schenke, DÖV 1983, 320 (323); Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 160 f., 165; ferner Bode, S. 93. 38 Dazu oben § 5 II 2, 3 a.

§ 7 Die Befugnisnorm des § 48 Abs. I Satz I VwVfG

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Beseitigungsanspruch des betroffenen Grundrechtsträgers uneingeschränkt, d. h. in Gestalt einer Verpflichtung zur Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes, Rechnung tragen müssen, wenn sie aufgrund ihrer Ermittlungen die Rechtswidrigkeit für gegeben erachtet39. Auch wenn man hiervon einmal absieht, ist die Rücknahmeregelung des

§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG der durch die Bestimmung der Rechtsmittelfristen

vorgezeichneten gesetzgeberischen Abwägungsentscheidung indessen nicht in einer Weise angepaßt worden , die eine eigenständige Konkretisierung und Harmonisierung der betroffenen Verfassungsgüter durch den Gesetzgeber möglicherweise entbehrlich gemacht hätte. Hierfür ist vor allem maßgebend, daß das der Verwaltung eingeräumte Rücknahmeermessen nach dem eine andere Auslegung wohl nicht zulassenden Wortlaut des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG (" ... auch nachdem er unanfechtbar geworden ist")40 nicht erst nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes, sondern aucb schon vor diesem Zeitpunkt besteht41. Dadurch daß die Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden (belastenden) Verwaltungsakts auch für den Zeitraum vor Eintritt der Unanfechtbarkeit ohne weitere tatbestandliehe Eingrenzungen in das behördliche Ermessen gestellt worden ist, ist- zumindest bezogen auf diesen Zeitraum- der aus den Grundrechten ableitbare Beseitigungs- bzw. Aufhebungsanspruch des Betroffenen nicht durch den Gesetzgeber selbst mit Rücksicht auf kollidierende, mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte einer den jeweiligen grundrechtliehen Schutzbereich konkretisierenden Begrenzung zugeführt worden. Vielmehr wurde die maßgebliche Abwägung der Verfassungsgüter und damit zugleich die Entscheidung über den Umfang der Grundrechtsbegrenzung bzw. -einschränkung der Rücknahmebehörde, mithin der Verwaltung, überlassen. Gerade ein solches Vorgehen ist dem Gesetzgeber aber im Geltungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes, also etwa wie hier in Fällen der Grundrechtsrelevanz des staatlichen Verhaltens, verwehrt42. 39 Vgl. zur Frage einer- allerdings zumeist unter Aussparung des grundrechtliehen Ansatzes - für diese Fälle diskutierten Rücknahmepflicht etwa Maurer, DOV 1966, 477 (483 ff.); Buermeyer, S. 87 ff.; Schaarschmidt, S. 125 ff. Diese Auffassung hat allerdings zur Folge, daß sich die Frage der Aufrechterhaltung eines formell bestandskräftigen rechtswidrigen nicht begünstigenden (belastenden) Verwaltungsakts wesentlich in das Verfahrensstadium der (Ermessens-)Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens hinein verlagert. Dagegen etwa Geuder, S. 164 ff. 40 Hervorhebung vom Verfasser. 41 Möglicherweise a. A. Schenke, DÖV 1983,320 (329) , der-ohne eine nähere Auseinandersetzung mit dem Gesetzeswortlaut- von einer Verpflichtung der Behörde zur Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts vor dessen Unanfechtbarkeil ausgeht. Ähnlich wohl auch Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, s. 165. 42 Vgl. etwa BVerfGE 8, 71 (76), 274 (325); 20, 150 (157 f.); 22, 330 (345); 47, 46 (79 f.); 49, 89 (145, 146); BVerwGE 47, 194 (198).

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Dabei wird nicht übersehen, daß der Gesetzgeber in § 40 VwVfG das verwaltungsbehördliche Ermessen gewissen Bindungen unterworfen hat. Diese an den Zweck der Ermächtigung einerseits und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens andererseits anknüpfenden Bindungen sind allerdings so weit gefaßt, daß sie allein, sofern nicht besondere Umstände hinzutreten, für die im vorliegenden Zusammenhang vorzunehmende Begrenzung oder Einschränkung grundrechtlicher Freiheit keine hinreichend konkreten43 Maßstäbe des Verwaltungshandeins abgeben können. Vorliegend ist zudem zu berücksichtigen, daß die "Ermessensfreiheit" der Rücknahmebehörde kaum tatbestandliehe Eingrenzungen, nicht einmal solche durch unbestimmte Rechtsbegriffe, erfahren hat und daß sich die Ermächtigungsnorm des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG darüber hinaus - dem Geltungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze entsprechend - auf ein breites Spektrum unterschiedlicher Verwaltungsakte aus den verschiedensten Bereichen des Rechts erstreckt. Letzteres dürfte sich dahingehend auswirken, daß es an einem für alle diese Fälle im Gesetz selbst hinreichend konkretisierten Zweck der das E rmessen einräumenden Ermächtigungsnorm fehlt44 • Nimmt man dieses alles zusammen, so spricht im Ergebnis vieles dafür, daß die Ermessensregelung des§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, soweit sie sich auf die Rücknahme grundrechtsrelevanter rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakte vor Eintritt der formellen Bestandskraft bezieht, aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht haltbar ist45, und zwar deshalb, weil der Gesetzgeber es versäumt hat, den grundrechtliehen Beseitigungsanspruch des Betroffenen in einer dem Vorbehalt des Gesetzes genügenden Weise einzugrenzen. Der hierin zu sehende Verfassungsverstoß läßt sich auch nicht ohne weiteres dadurch vermeiden, daß in den betreffenden Fällen eines gesetzlich nicht eingegrenzten grundrechtliehen Beseitigungs- bzw. Aufhebungsanspruchs über die Rechtsfigur der sog. E rmessensreduzierung auf Null im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eine Verpflichtung der Behörde zur Rücknahme des Verwaltungsakts angenommen wird46. Zwar stellen die Grundrechte auch für die Verwaltung Direktiven eines ihr eingeräumten Ermessensspielraums dar47 . Dieser schon aus der Bindung der Verwaltung an höherrangiges Recht 43 Zur Bedeutung der Regelungsdichte im Zusammenhang mit den Anforderungen des Gesetzes- und .dabei insbesondere des Palamentsvorbehalts vgl. etwa Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 92 f. m. w. Nachw. Zur Abhängigkeit der erforderlichen Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm von der Grundrechtsrelevanz etwa BVerfGE 48, 210 (221 f.). Zur besonderen Problematik bei Ermessensentscheidungen Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 40 Rdn. 9. 44 Vgl. auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 43. 45 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ermessensregelung auch bei Buerm eyer, S. 84 ff. 46 So im Ergebnis aber möglicherweise Schenke, DÖV 1983, 320 (323 f., 329); ferner zur Parallelproblematik beim Wiederaufgreifensermessen Schaarschmidt, S. 131 f.

§ 7 Die Befugnisnorm des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG

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folgende Umstand hat jedoch keinen Einfluß darauf, daß im grundrechtsrelevanten Bereich in erster Linie der Gesetzgeber berufen ist, die unter Berücksichtigung des quantitativen und qualitativen Maßes der betroffenen Grundrechtsgüter48 wesentlichen Entscheidungen mit einer ausreichenden Regelungsdichte selbst zu treffen (Parlamentsvorbehalt), und er Rechtsetzungsbefugnisse nur im übrigen, also bei ausreichender normativer Steuerung, auf die Exekutive übertragen darf ("einfacher" Gesetzesvorbehalt mit Delegationsmöglichkeit). Die sich unmittelbar aus der Verfassung ergebenden vielgestaltigen Bindungen des Ermessens können deshalb im Zusammenhang mit der gebotenen pflichtgemäßen Ermessensausübung nicht dazu führen, daß auf die Festlegung der wesentlichen Verhaltensmaßstäbe durch den Gesetzgeber bei Ermessensermächtigungen gänzlich verzichtet werden könnte49. Eine andere, hiervon streng zu unterscheidende Frage, welche- da allein de lege ferenda von Interesse- hier nur kurz angerissen werden soll, ist es, ob der aus dem jeweils betroffenen Grundrecht ableitbare Beseitigungsanspruch den zur Regelung seiner Begrenzungen und Einschränkungen berufenen Gesetzgeber für den Zeitraum bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft kraft verfassungsrechtlicher Vorgabe dergestalt bindet, daß dieser für den genannten Zeitraum in jedem Falle eine Rücknahmeverpflichtung vorsehen muß. Dies wird man- vorausgesetzt, der Gesetzgeber steuert die Entscheidung der Verwaltung mit einer ausreichenden Regelungsdichte - in dieser Allgemeinheit kaum annehmen können. So erscheint es z.B. denkbar, daß der Gesetzgeber die Aufhebbarkeit des rechtswidrigen Verwaltungsakts durch die Verwaltung als ein Element seiner materiellen BestandskraftSOin eigenständiger Gestaltung und Harmonisierung des Spannungsverhältnisses zwischen dem grundrechtlichen Aufhebungsanspruch des Belasteten und dem baldmöglichsten Eintritt von Rechtssicherheit und -beständigkeit abweichend von der zeitlichen Grenze der formellen Bestandskraft (Unanfechtbarkeit) regelt oder daß er beispielsweise den materiellen Aufhebungsanspruch in der Weise weiter begrenzt, daß er auch gegenüber der Rücknahmebehörde nur unter der besonderen Voraussetzung besteht, daß der Betroffene zugleich einen formalen Rechtsbehelf gegen den für rechtswidrig erachteten Verwaltungsakt einlegt. Ob allerdings die durch die Verwaltungsgerichtsordnung eröffnete prozessuale Anfechtungsmöglichkeit mit einem auf die Fälle der tatsächlichen Wahrnehmung dieser Möglichkeit gesetzgeberisch begrenzten materiellen Aufhebungsanspruch noch den unabdingbaren Mindestanforderungen eines effektiven Grundrechtsschutzes genügen würde , erscheint nicht unproblematisch. Auf eine Vertiefung dieser Frage soll gleic.hwoh,l verzichtet werden, da Vgl. etwa BVerwGE 56, 254 (260) ; Kopp, VwVfG, § 40 Rdn. 19 u. 19a. Vgl. Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 92. 49 Ebenso etwa Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 40 Rdn. 9 rn. w. Nachw. aus der Rspr. ; a. A . aber wohl BVerwGE 56, 254 (259 f. ). 50 Vgl. oben § 4 II 1 b, 2. 47

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

sie den Rahmen der vorliegenden, vom gegenwärtigen Rechtszustand ausgehenden Untersuchung sprengen würde. b) Determinanten des Ermessens bei der Rücknahme (unanfechtbar gewordener) nicht begünstigender Verwaltungsakte

Ausgehend von den vorstehenden, im wesentlichen im Verfassungsrecht wurzelnden Überlegungen erweist sich das der Behörde durch § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eingeräumte und dabei tatbestandlieh weitgehend ungesteuerte Ermessen bei der Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte allenfalls teilweise als verfassungskonform. Es geht dabei um die Fälle, in denen entweder eine grundrechtliche Betroffenheit nicht gegeben ist oder der grundrechtlich gesicherte materielle Aufhebungsanspruch als notwendige und mitbezweckte Folge des gesetzlich bestimmten Eintritts der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts nicht mehr uneingeschränkt durchgesetzt werden kann. Da eine fehlende Grundrechtsbetroffenheit bei nicht begünstigenden Verwaltungsakten, jedenfalls bei solchen rein belastenden Charakterssl, in der Praxis eher selten sein dürfte52, konzentriert sich die Frage nach möglichen Determinanten der Ermessensbildung und -ausübung im wesentlichen auf die Zeitspanne ab Eintritt der formellen Bestandskraft des Verwaltungsakts. aa) Allgemeines

Wie bei jeder pflichtgemäßen Ermessensentscheidung (vgl. § 40 VwVfG) muß die Rücknahmebehörde das ihr in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eingeräumte Ermessen zum einen überhaupt53 und zum anderen im Rahmen der insbesondere durch Verfassung und Gesetz gezogenen Grenzen ausüben. Als Determinanten des Rücknahmeermessens, welche den Ermessensrahmen näher bestimmen und verengen können, kommen bei der Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte beispielsweise in Betracht: das Ausmaß und die Schwere der konkreten individuellen Betroffenheit, die Dauer der Belastung, die Art des Verwaltungsakts und Besonderheiten hinsichtlich seiner Bestandskraft, der Zeitablauf seit Eintritt der Unanfechtbarkeit, das Vorliegen von Gründen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens, ein zum Grund51 Zur Frage der möglichen Existenz "neutraler" Verwaltungsakte vgl. oben § 3 II (bei Fn. 36, 38). 52 Dies gilt auch dann, wenn man Art. 2 Abs. 1 GG nicht als allumfassenden Auffangtatbestand des Grundrechtsschutzes, sondern - zu Recht - nur als Auffanggrundrecht für thematisch nicht in anderen (Freiheits-)Grundrechten erfaßte menschliche Betätigungen in allen Lebensbereichen (sog. Innominatfreiheiten) begreift. Vgl. dazu etwa Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 138 ff., insb. 143 f. 53 Die Behörde darf sich also nicht irrig für gebunden halten. Vgl. etwa OVG NW DÖV 1985, 204 (205). Allgemein zur sog. Ermessensunterschreitung (Ermessensmangel) vgl. Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 12 li 2.

§ 7 Die Befugnisnonn des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG

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satzder Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem subjektiven Grundrechtsschutz hinzutretendes besonders öffentliches Interesse an der Aufhebung (z. B. aufgrunddes objektiven Wertgehalts einer Grundrechtsnorm), die einzelnen Elemente des Übermaßverbotes sowie das Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, letzteres insbesondere beim Bestehen einer festen, durchgängig geübten Verwaltungspraxis54. bb) Mögliche Fälle einer Reduzierung des Ermessens in Richtung auf eine Pflicht zur Rücknahme des Verwaltungsakts Die beispielhaft zuvor aufgeführten Determinanten des Ermessens können im Einzelfall je nach ihrem Gewicht und dem Gewicht eventuell widerstreitender Ermessensrichtwerte den vorgegebenen Ermessensrahmen so weit verengen, daß nur noch eine Entscheidung, und zwar diejenige für die Rücknahme des Verwaltungsakts, ermessensfehlerfrei ergehen kann. Eine solche "Ermessensreduzierung auf Null" kann etwa infolge einer Bindung der Behörde an vorgängiges Verhaltenaufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG eintreten. Sie ist ferner dann anerkannt, wenn die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts infolge der besonderen Schwere einer rechtswidrigen Belastung für den Betroffenen schlechthin unerträglich wäre oder wenn die Berufung auf die Unanfechtbarkeil als Verstoß gegen Treu und Glauben angesehen werden müßte55. Über diese Fälle hinaus wird man eine Reduzierung des Ermessens auf eine Rücknahmeverpflichtung hin im Regelfalle auch dann annehmen müssen, wenn die Behörde - sei es aufgrund einer Rechtspflicht oder im Rahmen des Ermessens- das Verfahren bereits wiederaufgegriffen und nach entsprechender Prüfung die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zweifelsfrei erkannt hat56. Ist dies nämlich der Fall, so sind die aus dem Institut der Bestandskraft des Verwaltungsakts folgenden Bindungswirkungen im wesentlichen beseitigt57 und kommt damit den Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der materiellen Gerechtigkeit in aller Regel ein größeres Gewicht zu als dem Grundsatz der Rechtssicherheit. Die Rücknahme kann dann allenfalls in seltenen Ausnahmefällen und nur unter besonderen Voraussetzungen ermes54 Zu den möglichen Ermessensbindungen vgl. etwa auch Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 19 I 2; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 48; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 43, 48; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 12, 12a; Schenke, DÖV 1983, 320 (329). 55 Vgl. BVerwGE 28, 122 (127); 44, 333 (336); Schenke, DÖV 1983, 320 (329); Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (229). 56 Ebenso etwa Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 19 I 2; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 167; W. Martens, Jura 1979, 83 (89) ; Wendt, JA 1980, 85 (88); zumindest für die Fälle des§ 51 VwVfG auch Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 48; Schenke, DÖV 1983, 320 (329). 57 Vgl. Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (187).

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sensfehlerfrei abgelehnt werden, z. B. dann, wenn bei einer großen Zahl gleich gelagerter Fälle die Belastung der Betroffenen sich als ganz geringfügig herausstellt oder wenn etwa ein Verwaltungsakt nach kurzer Zeit ohnehin seine belastenden Wirkungen, etwa durch Zeitablauf, verlieren würdess. Eine Rücknahmepflicht als Folge einer "Ermessensreduzierung auf Null" nach Wiederaufgreifen des Verfahrens ist allerdings- bei Maßgeblichkeit des für den Erlaß des Verwaltungsakts geltenden Rechts - auf den Bereich der gesetzesgebundenen Verwaltung zu beschränken. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Hat die Behörde ein bestandskräftig abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wiederaufgegriffen, so hat sie nach Überprüfung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des ursprünglich erlassenen Verwaltungsakts eine neue Sachentscheidung (sog. Zweitbescheid) zu treffen. Bei dieser Entscheidung ist sie an das für den Erlaß des Verwaltungsakts maßgebliche materielle Recht gebunden59. Eröffnet dieses keinen Ermessensspielraum und erweist sich der ursprüngliche Verwaltungsakt aus materiell-rechtlichen Gründen als rechtswidrig, so muß eine in der Sache abweichende neue Entscheidung ergehen, was zugleich eine Verpflichtung zur Rücknahme des entgegenstehenden Ursprungsverwaltungsakts- diese kann konkludent in dem neu erlassenen Verwaltungsakt enthalten sein- impliziert. Räumt dagegen das für den Erlaß des Verwaltungsakts maßgebliche materielle Recht der Behörde ein Ermessen ein, so ist in der Sache eine neue, nunmehr fehlerfreie Ermessensentscheidung zu treffen. Diese muß in ihrem regelnden Ausspruch nicht notwendig eine abweichende Sachentscheidung enthalten; vielmehr ist es denkbar, daß - etwa aufgrund eines Austausches oder einer Ergänzung der Ermessenserwägungen- der ursprüngliche Verwaltungsakt im Ergebnis bestätigt wird. In solchen Fällen würde es sich als formalistisch erweisen, würde man zunächst eine Rücknahme und sodann den Neuerlaß eines im Tenor gleichlautenden Verwaltungsakts verlangen. Vielmehr sind hier die neuen Ermessenserwägungen mit in die Ermessensentscheidung über die Rücknahme einzubeziehen6o.

58 Vgl. dazu auch W. Martens, Jura 1979, 83 (89); Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 19 I 2 (insb. Fn. 17); Wendt, JA 1980, 85 (88); Stelkens in S/BIL, VwVfG, §51 Rdn. 20. 59 Vgl. BVerwG NJW 1982, 2204 (2205) ; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 167; Schaarschmidt, S. 126. A . A. aber etwa Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, §51 Rdn. 21, sowie Stelkens in S/B/L, VwVfG, §51 Rdn. 17, die offenbar allein§§ 48 Abs. 1, 49 Abs. 1 VwVfG für einschlägig erachten. 60 So wohl auch Schaarschmidt, S. 126.

§ 7 Die Befugnisnorm des § 48 Abs. I Satz I VwVfG

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cc) Sonderproblem: Vertrauensschutz als Ermessensdeterminante bei der Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte?

Im Regelfall spielt ein Vertrauen des Betroffenen in den Bestand des Verwaltungsakts bei der Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte keine Rolle, hat doch der durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt Belastete in erster Linie ein Interesse nicht am Bestand, sondern an der Aufhebung der Regelung. Dessen ungeachtet kann sich hier im Einzelfall gleichwohl einmal die Frage nach der Berücksichtigung des Gesichtspunktes des Vertrauensschutzes stellen, wobei insbesondere zwei Fallgruppen erörterungswürdig erscheinen. Dies ist zunächst die Ersetzung einer rechtswidrigen Belastung durch einen stärker belastenden rechtmäßigen Verwaltungsakt. Darüber hinaus sind es die Fälle, in denen der Betroffene im Zusammenhang mit einer von ihm beabsichtigten Befolgung des Regelungsinhalts bereits Aufwendungen gehabt oder Dispositionen getroffen hat, welche er nicht mehr oder nur noch schwer rückgängig machen kann. Was die erstgenannte Fallgruppe betrifft, so ist vorab zu bemerken, daß diese für die hier erörterte Problematik der Berücksichtigung des Vertrauensschutzes bei der Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte insofern an praktischer Bedeutung verliert, als ein Teil der betreffenden Fälle nach Maßgabe der Regelungen über die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte zu behandeln ist. Letzteres trifft auf die Fälle zu, in denen die rechtswidrige Belastung, z. B. die zu niedrige Festsetzung einer Abgabe oder einer sonstigen Leistungspflicht, als - teilweise begünstigend wirkender - Verwaltungsakt mit Mischwirkung zu qualifizieren ist, was nach dem hierzu oben61 Ausgeführten insbesondere im Bereich der strikt gesetzesgebundenen Verwaltungsentscheidungen möglich sein kann. In den verbleibenden Fällen, in denen sich die Ersetzung eines belastenden Verwaltungsakts durch einen stärker belastenden Verwaltungsakt als (Teil-)Rücknahme eines rein belastenden, mithin in der Terminologie der Verwaltungsverfahrensgesetze nicht begünstigenden Verwaltungsakts darstellt, stellt sich hingegen die Frage, ob der Vertrauensschutz Ermessensdeterminante im Rahmen der Entscheidung über die Rücknahme nach§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG62 sein kann. Da es nicht ausgeschlossen ist, daß auch ein nach seinem Tenor rein belastender Verwaltungsakt geeigneter Gegenstand verfassungsrechtlich geschützten63 Vertrauens sein kann64, und da sich darüber hinaus der Gesetzgeber ausgehend von der Systematik und Entstehungsgeschichte des § 48 VwVfG einer besonderen RegeVgl. § 3 III 1 a (insb. bei Fn. 58). Die gleiche Problematik stellt sich - je nach betroffenem Anwendungsbereich vor allem auch im Rahmen des§ 130 Abs. 1 AO. 63 Hierzu ausführlich unten § 9 II C 2 a. 64 Vgl. BVerwGE 30, 132 (133 f.); 67, 129 (133). 61

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lung der Fallgruppe der Rücknahme zum Zwecke der Erhöhung der Belastung enthalten hat65, spricht im Ergebnis einiges dafür, den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes in solchen Fällen mit in die Ermessensentscheidung über die Rücknahme nach§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG einfließen zu lassen66. Das bedeutet indessen nur, daß das Vertrauensinteresse des Betroffenen bei der Ermessensbildung einen Abwägungsfaktor unter vielen darstellt67. Dagegen ginge es zu weit, wenn man bei der Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens zusätzlich auf die besonderen Ausgestaltungen und Konkretisierungen des Vertrauensschutzes in § 48 Abs. 2 VwVfG, insbesondere dessen Sätzen 2 und 3, zurückgreifen, etwa jene Bestimmungen auch hier entsprechend oder rechtsgrundsätzlich anwenden wollte68. Dabei würde nämlich nicht hinreichend berücksichtigt, daß die vorgenannten Bestimmungen nach der Intention des Gesetzgebers keinen allgemeinen "Modellcharakter" haben, ja nicht einmal für alle begünstigenden Verwaltungsakte, sondern nur für einen Teil von diesen gelten sollen. Würde man die Regelung des§ 48 Abs. 2 VwVfG entsprechend auch auf die Fälle der Ersetzung eines rein belastenden Verwaltungsakts durch einen stärker belastenden Verwaltungsakt anwenden, so hätte dies zur Konsequenz, daß die Rücknahme eines nicht begünstigenden Verwaltungsakts u. U. stärkeren Einschränkungen unterläge als die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte im Sinne des§ 48 Abs. 3 VwVfG69. In Anbetracht dessen kann für die Frage der Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens in eine nicht weitergehende Belastung nur auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles abgestellt werden. Dabei wird es in den hier in Rede stehenden Fällen, in denen der Ausschluß einer stärkeren Belastung Vgl. Vogel, BayVBI. 1977, 617 (621). Ebenso etwa Lange, WiVerw 1979, 15 (18 f.); ders. , Jura 1980, 456 (461 f:) ; Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren , § 29 Im. w. Nachw. Ahnlieh Stelkens, JuS 1984, 930 (935) und in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 7, der eventuellen Vertrauensschutzbelangen mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der Ermessensregelung des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Rechnung tragen will. Für die Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im Rahmen der hier erörterten Problematik ferner schon Krause, Rechtsformen, S. 175; Püttner, VVDStRL Bd. 32 (1974), 200 (212 f.); Schröder, JuS 1970, 615 (619) . Eher kritisch dagegen Schenke, DÖV 1983, 320 (328 f.). Anders wohl auch Heimerl, BayVBI. 1971, 411 (414 f.), der annimmt, daß der Betroffene durch die Institute der Verjährung und Verwirkung genügend geschützt werde. 67 Ähnlich etwa Schröder, JuS 1970, 615 (619); wohl auch BVerwGE 30, 132 (134). 68 So aber etwa Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 I 2. Noch weitergehend Wolffl Bachof, VwR I, §53 II e 1; Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (350 f.); Vogel, BayVBI. 1977, 617 (621); Tipke!Kruse, AO, vor§§ 130 ff. Rdn. 4, welche jeweils - unter Außerachtlassung des Gesetzeswortlauts - auf die Wirkung (belastend oder begünstigend) des Ersetzungsaktes selbst für die Anwendung der begünstigende bzw. nicht begünstigende Verwaltungsakte betreffenden Rücknahmeregelungen abstellen wollen. 69 Hierauf weist zu Recht Stelkens, JuS 1984, 930 (935) hin. Zur Frage der Berücksichtigung des Vertrauensschutzes bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVfG vgl. näher unten§ 9 II. 65

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nicht - mit der Folge einer dann ohnehin unmittelbaren Anwendbarkeit der Regelungen über die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte- bereits Regelungsgegenstand des Verwaltungsakts ist, in der Regel an verläßlichen Anhaltspunkten für ein objektiv gerechtfertigtes Vertrauen des Betroffenen in eine nicht weitergehende Belastung fehlen und wird man deshalb hier nur selten zur Bejahung der Schutzwürdigkeit gelangen7o, zumal dem etwaigen tatsächlichen Vertrauen hier regelmäßig gewichtige staatliche Interessen, wie etwa das Interesse an einer gesetzmäßigen und dem Gleichheitsgrundsatz entsprechenden Belastung aller Pflichtigen, gegenüberstehen. Insbesondere verdient derjenige, der einen ihn zu Unrecht zu niedrig belastenden Verwaltungsakt mit Rechtsbehelfen angefochten hat, grundsätzlich keinen Schutz seines etwaigen Vertrauens auf das Nichtergehen eines stärker belastenden Verwaltungsakts71; durch die Anfechtung hat er nämlich zu erkennen gegeben, daß er selbst den Verwaltungsakt, welcher hier allein als Vertrauensgrundlage in Betracht kommt, beseitigt wissen will. Zur zweiten Fallgruppe ist folgendes zu bemerken: Hat der Adressat eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts auf den Bestand der Regelung vertraut und in seinem Vertrauen darauf bereits bestimmte Dispositionen getroffen oder Aufwendungen erbracht, hat beispielsweise der Adressat einer bauaufsichtliehen Abrißverfügung schon einen Vertrag mit einem Abbruchunternehmen geschlossen oder hat der Adressat einer bauordnungsrechtlichen Verfügung betreffend die Anlage von Kraftfahrzeugeinstellplätzen bereits mit der Herstellung, etwa der Herrichtung des Geländes, begonnen, so würde eine spätere Rücknahme des zugrunde liegenden Verwaltungsakts das jeweilige Vertrauensverhalten entwerten und- gesetzt den Fall, ein Amtshaftungsanspruch ist mangels Verschulden nicht gegeben- u. U. auch zu einem Vermögensschaden führen . Einen Aufwendungsersatzanspruch sieht die Regelung des § 48 VwVfG für diese Fälle nicht vor. Eine entsprechende Anwendung des § 48 Abs. 3 VwVfG kommt wegen der nach der Systematik und dem Willen des Gesetzes alleinigen Ausrichtung dieses Vermögensausgleichs auf die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nicht in Betracht72. Es bleibt daher, will man den Vertrauensschutz nicht in bedenklicher Weise leerlaufen lassen, auch hier nur die nach der Systematik, Entstehungsgeschichte und Zielrichtung des Gesetzes nicht ersichtlich ausgeschlossene73 Möglichkeit, ein im Einzelfalle schutzwürdiges Vertrauen in den 70 Vgl. etwa BVerwGE 67, 129 (134); VGH Kassel NJW 1981,596 (598); wohl auch Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 7. 7! Vgl. BVerwGE 67, 129 (134 f.) . 72 Ebenso Schenke, DÖV 1983, 320 (328); Lange, Jura 1980, 456 (460 f.); Stelkens in S/B/L, VwVfG , § 48 Rdn. 7; a . A. möglicherweise K opp, VwVfG, § 49 Rdn. 14, welcher jedenfalls beim Widerruf von Verwaltungsakten in entsprechenden Fällen die Entschädigungsregelung des § 49 Abs. 5 VwVfG analog anwenden will. 73 Vgl. entsprechend zur "ersten Fallgruppe" auch oben bei Fn. 65 .

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Bestand des Verwaltungsakts im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Rücknahme nach§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu berücksichtigen74. Damit ist allerdings noch nichts darüber ausgesagt, ob und wann sich das Ermessen beim Vorliegen derartiger Aufwendungen oder Dispositionen in Richtung auf ein Absehen von der Rücknahme verengt bzw. das Ermessen so weit reduziert ist, daß nur noch das Absehen von der Rücknahme als einzig rechtmäßige Entscheidung in Betracht kommt. Die B~antwortung dieser Frage muß dem Einzelfall vorbehalten bleiben; sie hängt dabei im wesentlichen von dem jeweiligen Grad der Schutzwürdigkeit des Vertrauens einerseits und dem Gewicht der sonstigen betroffenen Ermessensdirektiven, insbesondere des öffentlichen Interesses an der Aufhebung des Verwaltungsakts, andererseits ab. Zu weitgehend erscheint mir dabei allerdings die Auffassung Schenkes7s, welcher, soweit ersichtlich, eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens von vornherein mit der Begründung verneint, daß der Betroffene eventuelle Aufwendungen in Befolgung des Verwaltungsakts ungeachtet der möglichen Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erbracht habe. Sieht man einmal von den eher seltenen Fällen eindeutiger und offenkundiger Rechtswidrigkeit ab, so kann man indessen dem Bürger wohl kaum zumuten, vor dem Einleiten von Schritten zur Befolgung eines von ihm unerkannt rechtswidrigen Verwaltungsakts etwa stets bei einem Rechtsanwalt zum Rechtsrat nachzusuchen oder gar- gewissermaßen auf Verdacht- sogleich gegen jeden ihn belastenden Verwaltungsakt einen Rechtsbehelf einzulegen. Vielmehr wird man berücksichtigen müssen, daß der Betroffene grundsätzlich von einem an der Bindung des Art. 20 Abs. 3 GG ausgerichteten gesetzmäßigen Handeln der Verwaltung ausgehen darf und daß zudem die "Betätigung" des Vertrauens zwar eine Rücknahme nicht schlechthin ausschließt, sie aber immerhin ein starkes Indiz für einen gewissen Grad an Schutzwürdigkeit sein kann76. II. Die Differenzierungsmöglichkeiten hinsichtlich des "Wie" der Rücknahme Das Ermessen der Behörde bezieht sich nicht allein auf die Entscheidung über des "Ob" der Rücknahme , sondern erstreckt sich nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG auch auf bestimmte Fragen der Ausgestaltung der Rücknahmeentscheidung. Hierdurch soll es der Behörde ermöglicht werden, die Rück74 So auch Lange, Jura 1980, 456 (461); ähnlich wohl - für den entsprechenden Fall beim Widerruf von Verwaltungsakten- Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 49 Rdn. 11. Eher dagegen allerdings Schenke, DÖV 1983, 320 (328) vor dem Hintergrund einer von ihm verneinten Schutzwürdigkeit des Vertrauens; ferner Stelkens, JuS 1984, 930 (934), der glaubt, daß die Amtshaftung zur Bewältigung des Problems ausreiche. 75 DÖV 1983, 320 (328 f.). 76 Vgl. dazu auch - die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte betreffend näher unten § 8 li 2 b.

§ 7 Die Befugnisnorm des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG

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nahmeentscheidung unter möglichst weitgehender Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles zu treffen77. 1. Voll- oder Teilrücknahme Ein Verwaltungsakt kann nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ganz oder teilweise zurückgenommen werden, wobei die Teilrücknahme in einer Verminderung des Entscheidungs- bzw. Regelungsgehalts des Verwaltungsaktes besteht78. Eine Teilrücknahme hat allerdings notwendigerweise zur Voraussetzung, daß der jeweilige Verwaltungsakt teilbar ist79. Dieses wiederum ist dann der Fall, wenn durch den Wegfall des zur Rücknahme anstehenden Teiles die Restregelung in ihrem rechtlichen Bestand nicht berührt wirdso. Fehlt es an der Teilbarkeit eines Verwaltungsaktes, was zugleich seine nur auf eine Teilregelung beschränkte Rechtswidrigkeit (Teilrechtswidrigkeit) ausschließt, so reduziert sich das Ermessen der Behörde hinsichtlich des Umfangs der Rücknahme auf die eine Möglichkeit der Vollrücknahme. Die Teilbarkeit des Verwaltungsakts spielt in der Praxis insbesondere bei der Frage nach der Rücknehmbarkeit von Nebenbestimmungen eine bedeutsame Rolle. Mangelnde Teilbarkeit, wie sie beispielsweise beim bedingten oder befristeten Verwaltungsakt vorkommen kannsl, schließt nicht nur die isolierte Anfechtbarkeit, sondern auch die isolierte Rücknehmbarkeit der Nebenbestimmung aussz. Eine Teilrücknahme kann darüber hinaus ausgeschlossen sein, wenn die Rücknahme eines mitwirkungs-, z. B. antragsbedürftigen Verwaltungsakts in Frage steht. Hier darf dem Antragsteller im Wege der Teilrücknahme nicht ein Verwaltungsakt "aufgezwungen" werden, den er so nicht beantragt bzw. begehrt hatB3. Auf der anderen Seite kann sich das Ermessen der Behörde auch dahin verdichten, daß die Rücknahmeentscheidung für den Fall der Rücknahme nur in Form einer Teilrücknahme ausfallen kann. So ist es vor allem im Falle einer 77 Vgl. amtl. Begr., BT-Drucks. 7/910 S. 69; Ule!Laubinger, VwVerfR, § 62 Il 2 b; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn . 4.3 und 5.7; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 75. 78 Vgl. BVerwG NJW 1978, 380. 79 Vgl. Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 13; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 13; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.7.1; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 36; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 31; Laubinger, VerwArch Bd. 73 (1982) , 345 (360). 80 Vgl. etwa Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 15 II 3; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 85; Laubinger, VerwArch Bd. 73 (1982), 345 (362) . 8! A. A. allerdings wohl Laubinger, VerwArch Bd. 73 (1982) , 345 (361 , 362 f.). 82 Vgl. nur Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 13. 83 Vgl. BVerwG NJW 1978, 340; OVG Münster, Beschluß v. 28. 5. 1982 -7 B 1736/ 81 - , zit. nach Stelkens in S/B/L , VwVfG, § 48 Rdn. 13.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

bloßen TeilrechtswidrigkeitB4 des Verwaltungsaktes. Die Teilrechtswidrigkeit hat in den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder keine spezielle Regelung gefunden. Die damit vorliegende Lücke kann jedoch durch eine entsprechende Anwendung der die Teilnichtigkeit des Verwaltungsakts betreffenden Vorschrift des § 44 Abs. 4 VwVfG, welche hinsichtlich der Abgrenzung zur Gesamtnichtigkeit auf die Wesentlichkeit der Teilregelung abstellt, geschlossen werdenss. Zu einer Teilrücknahme kann es ferner dann kommen, wenn bei einem Verwaltungsakt mit Mischwirkung86 allein das begünstigende oder allein das belastende Regelungselement aufgehoben werden soll bzw. aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen für die Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte und begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG nur die Rücknahme eines der Regelungselemente zulässig ist. Besteht ein nach § 48 Abs. 2 VwVfG schutzwürdiges Vertrauen des Begünstigten zwar nicht in bezugauf den gesamten Verwaltungsakt, wohl aber in bezugauf bestimmte Regelungsbestandteile, so kommt- Teilbarkeit unterstellt- ebenfalls nur eine Teilrücknahme in Betracht87 . Diese kann entweder isoliert, d. h. als reiner Aufhebungsakt, ausgesprochen werden oder aber zusammen mit einem teilweisen Neuerlaß Bestandteil einer (Ab-)Änderung des Verwaltungsaktes sein88. 2. Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit oder für die Zukunft

Der maßgebliche Zeitpunkt für den Eintritt der Rücknahmewirkungen ist im Gesetz nicht einheitlich festgelegt worden; er wird vielmehr durch die Behörde in der Rücknahmeverfügung selbst bestimmt und ist damit Teil der Rücknahmeentscheidung. Nach§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG steht es im Ermessen der Behörde, ob sie die Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) oder mit Wirkung für die Vergangenheit (ex tune) ausspricht. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zum Widerruf von Verwaltungsakten, der

Dazu näher etwa Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 15 II 3m. w. Nachw. So auch Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 85 ff. , der zugleich zutreffende Bedenken gegen eine entsprechende Anwendung des § 139 BGB geltend macht; ferner Laubinger, VerwArch Bd. 73 (1982), 345 (365 f.); Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 15 II 3; a. A. Elster, Begünstigende Verwaltungsakte mit Bedingungen, Einschränkungen und Auflagen, S. 291 f. ; Cöster, Kassation, Teilkassation und Reformation von Verwaltungsakten durch die Verwaltungs- und Finanzgerichte, S. 61 f . 86 Hierzu oben § 3 III 1. 87 Vgl. BVerwG NJW 1972, 1075; dazu auch Becker, DÖV 1973, 379 (380) mit weiteren Nachweisen aus der Rspr. des BVerwG. 88 Vgl. dazu Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 37; Schröder, JuS 1970, 615 (616) . 84

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§ 7 Die Befugnisnorm des § 48 Abs. I Satz I VwVfG

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nach § 49 Abs. 1 bzw. Abs. 2 VwVfG89 nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen darf. Die gesetzlich vorgegebene Alternative "Wirkung für die Zukunft I Wirkung für die Vergangenheit" bedeutet indes nicht, daß die Behörde nur die Wahl zwischen z wei Zeitpunkten, nämlich dem Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes und dem der Rücknahmeentscheidung, hätte. Die gesetzliche Regelung erlaubt vielmehr je nach den Gegebenheiten des einzelnen Falles eine Vielzahl von zeitlichen Differenzierungen90, Die Behörde kann dabei jeden Zeitpunkt wählen, der zwischen Erlaß und Rücknahme des Verwaltungsakts liegt91. Darüber hinaus kann sie für den Eintritt der Rücknahmewirkungen auch einen Zeitpunkt bestimmen, welcher dem Zeitpunkt der Rücknahme erst nachfolgt, und dergestalt dem Betroffenen noch eine gewisse "Schonfrist" einräumen92. Im letztgenannten Fall erlangt die Rücknahmeverfügung mit ihrer Bekanntgabe zwar schon äußere, aber noch keine innere Wirksamkeit. Ob der Behörde bei der Bestimmung des Zeitpunktes für den Eintritt der Rücknahmewirkungen tatsächlich die gesamte geschilderte Bandbreite von Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung steht, hängt zunächst einmal wesentlich von der Qualität des zurückzunehmenden Verwaltungsaktes ab. Besteht der Regelungsgehalt des Verwaltungsakts in der einmaligen Herbeiführung eines bestimmten rechtlichen Erfolges und ist dieser Erfolg bereits eingetreten, so beschränkt sich der zeitliche Entscheidungsspielraum der Behörde auf eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit. Eine Rücknahme mit bloßer Wirkung für die Zukunft würde hier ins Leere gehen bzw. ihren Zweck verfehlen93; dieser Zweck liegt bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte zumeist darin, die Grundlage für eine Rückabwicklung der durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt begründeten Leistungsbeziehung zu schaffen94. Steht bei einem auf einen einmaligen rechtlichen Erfolg gerichteten Verwaltungsakt der Eintritt der Rechtsfolgen noch bevor, so 89 Anders aber etwa die Sonderregelung des§ 44 a BHO; flexibeler auch§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X. 90 Vgl. dazu Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 31 und 32; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.7. 91 Vgl. die amtl. Begr. , BT-Drucks. 7/910 S. 70. 92 Vgl. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 31. Ebenso zur Rechtslage vor Erlaß der Verwaltungsverfahrensgesetze schon Ossenbühl, Rücknahme, S. 120, welcher von einer Rücknahme "ex tempore futuro" spricht; Mainka, Vertrauensschutz, s. 70 f. 93 Vgl. Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 18 li 2; Ossenbühl, Rücknahme, S. 120 f.; Storz, S. 144; Bode, S. 162 f. 94 Bedenklich die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in DVBI. 1983, 810 (812), wo ein Rückforderungsanspruch im Ergebnis ohne eine vorherige Aufuebung des Bewilligungsbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit für gegeben erachtet wird. Vgl. demgegenüber etwa OVG Münster NJW 1982, 1661.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

bleibt eine Rücknahme allein mit Wirkung für die Zukunft zwar konstruktiv denkbar; allerdings hat hier die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts für die Vergangenheit regelmäßig wenig Sinn, da es für die Wahrung der Interessen sowohl des Betroffenen als auch der Behörde ohne entscheidende Bedeutung ist, ob die Rücknahme mit Wirkung ex tune oder ex nunc erfolgt95. Konsequenz des Vorstehenden ist, daß eine eigentliche Wahlmöglichkeit der Behörde zwischen einer Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit und einer solchen mit Wirkung für die Zukunft nur bei den sog. Verwaltungsakten mit Dauerwirkung96 besteht97. Hierunter werden allgemein solche Verwaltungsakte verstanden, deren Regelungsgehalt sich nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, d. h. Verwaltungsakte, deren Rechtsfolgen sich ständig aufs Neue aktualisieren, und die dergestalt ein auf eine zumindest gewisse Dauer angelegtes Rechtsverhältnis begründen98, wie es etwa bei zahlreichen Genehmigungen und Erlaubnissen oder bei der Bewilligung von Rente bzw. sonstigen fortlaufenden Leistungen der Fall ist. Auch bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung kann die Behörde über den Zeitpunkt des Eintritts der Rücknahmewirkungen indessen nicht "frei" bestimmen, sondern sie hat - gleichermaßen wie bei der Entscheidung über die Rücknahme selbst - die sich aus Verfassung und Gesetz ergebenden Schranken ihres Ermessens zu beachten. Was speziell die begünstigenden Verwaltungsakte im Sinne des§ 48 Abs. 2 VwVfG betrifft, so erlangt über die dortige "Soweit-Klausel" der Vertrauensschutz des Begünstigten auch für die Festlegung des Zeitpunktes Bedeutung, zu dem die Rücknahmewirkungen eintreten sollen99 . Hierauf soll später im Zusammenhang mit der Behandlung der für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG geltenden Einschränkungen noch näher eingegangen werdenloo.

Vgl. auch Storz, S. 144. Diese Verwaltungsaktskategorie ist zwar nicht in den Verwaltungsverfahrensgesetzen, wohl aber in §§ 43 Abs. 3, 48 SGB X zum Gegenstand besonderer Regelungen gernacht worden. Auch dort fehlt allerdings eine gesetzliche Definition, so daß auf das in der Verwaltungsrechtsdogmatik entwickelte Begriffsverständnis zurückgegriffen werden muß. 97 Ebenso Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 II 2; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 14; Mainka, Vertrauensschutz, S. 65 f.; wohl auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 15. 98 Vgl. BVerwGE 28, 202 (205 f.); 59, 148 (160 f.); VGH Mannheim DÖV 1972, 428; Wolff/Bachof, VwR I,§ 47 V b; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 15 vor I; Ossenbühl, Rücknahme, S. 121; Knack, VwVfG, § 35 Rdn. 5.2.8; ferner BT- Drucks. 8/2043 s. 34. 99 Vgl. etwa Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 16; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 II 2. IOO V gl. unten § 8 III. 95

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§ 8 Die eingeschränkte Rücknehmbarkeit von begünstigenden

Geldleistungs- und teilbaren Sachleistungsverwaltungsakten nach§ 48 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 VwVfG I. Die differenzierte Behandlung der begünstigenden Verwaltungsakte hinsichtlich ihres Bestandsschutzes

Bei begünstigenden Verwaltungsakten ist die Befugnis zur Rücknahme gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG den in§ 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG normierten Einschränkungen unterworfen. In Abkehr von den vor dem Erlaß der Verwaltungsverfahrensgesetze in Judikatur und Lehre praktizierten Grundsätzent und auch im Unterschied zu den Parallelregelungen in § 130 AO und § 45 SGB X beziehen sich diese vornehmlich in dem Schutz des Vertrauens des Begünstigten gründenden Einschränkungen jedoch nicht einheitlich auf die gesamte Gruppe der begünstigenden Verwaltungsakte2; die Regelung des§ 48 VwVfG differenziert vielmehr in ihren Absätzen 2 und 3 neuartig und in Fortentwicklung des bisherigen Rechts- dabei gewissen Anregungen aus der Literatur3 und Gestaltungen in einigen Sonderregelungen4folgend -zwischen zwei Kategorien von begünstigenden Verwaltungsakten und sieht für beide unterschiedliche Schranken der Rücknahmebefugnis vors. Dieses "Differenzierungsmodell"6 sondert die begünstigenden Verwaltungsakte, die eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewähren oder hierfür Voraussetzung sind (Absatz 2) von den begünstigenden Verwaltungsakten, die nicht unter den Absatz 2 fallen , d. h. von allen übrigen begünstigenden 1 Vgl. etwa BVerwGE 8, 261 (269); 19, 188 (189); 29, 153 (154); 38, 290 (294) ; 41, 277 (279 f.); 48, 87 (92 f.); dazu auch Becker, DÖV 1973, 379; Frotscher, DVBI. 1976, 281 (282 f.); Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (229 f.); dens., Allg. VwR, § 11 Rdn. 23 u. 24; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 83 m. w. Nachw. 2 Legaldefinition in § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG; vgl. zum Begriff des begünstigenden Verwaltungsakts näher oben § 3 I. 3 Vgl. die Nachweise in der amtl. Begr., BT-Drucks. 7/910 S. 67. 4 So etwa den - inzwischen allerdings zumeist bereinigten - Nachfolgenormen des § 42 Abs. 1lit. d i. V. m. § 70 Abs. 2 Pr.PVG. 5 Kritisch hierzu schon während der Entstehungsphase der Verwaltungsverfahrensgesetze Ule/Becker, Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat, S. 58 f.; Ossenbühl, DÖV 1964, 511 (520); Spanner, JZ 1970, 671 (674); Frotscher, DVBI. 1976, 281 ff.; Buermeyer, S. 95 ff.; vgl. ferner Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (354 ff.) m. w. Nachw. 6 So Göldner, DÖV 1979, 805 (806). Vgl. hierzu auch Erichsen, VerwArch Bd. 69 (1978), 303 (307); Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (236 ff.) ; Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (230 f.).

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Verwaltungsakten (Absatz 3). Da die Regelung des § 48 VwVfG allein bei den Geld- und Sachleistungsverwaltungsakten i. S. des Absatzes 2 unter der Voraussetzung des Vorliegens eines schutzwürdigen Vertrauens des Begünstigten einen Bestandsschutz vorsieht, während in den übrigen Fällen des Absatzes 3 nur ein ebenfalls von der Schutzwüdigkeit des Vertrauens abhängiger "Vermögensschutz" in Gestalt eines finanziellen Ausgleichs auf Antrag gewährt wird, kommt der Abgrenzung der beiden gesetzlich gesonderten Kategorien begünstigender Verwaltungsakte eine besondere Bedeutung zu. 1. Der Geldleistungsverwaltungsakt i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG

Geldleistung i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG ist jede in Geld bezifferbare7 Leistung, d. h. zweckgerichtete Zuwendung, wie z. B . eine Subvention oder die Bezüge bzw. die Pension eines Beamten. Nicht hierunter fällt etwa die bloße Ermöglichung finanzieller Vorteile durch den Staat, wie z. B. durch die Erteilung von Erlaubnissen o.ä. Geldleistungsverwaltungsakte, wie sie von der Vorschrift des § 48 Abs. 2 VwVfG erfaßt werden , sind dementsprechend solche Verwaltungsakte, die eine Geldleistung in dem vorgenannten Sinne entweder gewähren, d. h. die Leistung nach Grund und Höhe festsetzen und sie einem bestimmten Begünstigten zubilligen, oder die Voraussetzung für eine derartige Leistungsgewährung sind; letzteres ist der Fall, wenn der Verwaltungsakt etwa das Bestehen eines Anspruchs dem Grunde nach feststellt oder wenn er dem Begünstigten im übrigen eine bestimmte Rechtsstellung zuerkennt, welche rechtliche Voraussetzung für die Leistungsgewährung istB. Unter die Geldleistungsverwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. VwVfG (" ... zur Voraussetzung hat") fallen beispielsweise die Festsetzung des Besoldungsdienstalters nach§ 27 Abs. 2 BBesG9 oder auch die Zuerkennung einer Rechtsstellung nach dem Gesetz zu Art. 131 GG!O, nicht hingegen die Übertragung eines höher bewerteten Dienstpostensn. Wenn in der amtl. Begründungtz darauf hingewiesen wird, daß mit der in § 48 Abs. 2 VwVfG behandelten Fallgruppe insbesondere "die zahlreichen Fälle der Sozialleistungen im weiteren Sinne" erfaßt werden sollten, so wird dabei allerdings übersehen, daß der gesamte Bereich der Sozialleistungen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 313 Vgl. K opp, VwVfG, § 48 Rdn. 52. s Vgl. dazu OVG Münster DVBI. 1980, 885 (886 f.); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 25; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 52, 54. 9 Vgl. Britz, DÖV 1982, 231 (234) ; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 28; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 55. 10 Vgl. Frotscher, DVBI. 1976, 281 (283); Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 25 ; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 54. u Vgl. Britz, DÖV 1982, 231 (234) . tz BT-Drucks. 7/910 S. 69; ebenso etwa OVG Münster DVBI. 1980, 885 (886). 13 So die VwVfGe der Länder NW, Nds., Bad.-Württ., Hess. , Brem., Hamb. und Saarl. 7

§ 8 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG

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bzw. Nr. 414 VwVfG vom Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder ausgenommen und zudem inzwischen Gegenstand der verfahrensrechtlichen Regelungen des 10. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) isti5. Weniger der Begriff der Geldleistung, wohl aber die Frage, ob die Gewährung einer solchen Gegenstand eines bestimmten Verwaltungsakts ist, kann im Einzelfall Probleme aufwerfen. Es ist dann jeweils anhand des Regelungsgehalts zu ermitteln, ob durch Verwaltungsakt - sei es auch im Wege eines feststellenden Ausspruchsl6 - ein Anspruch auf die Geldleistung konstitutiv begründet wird oderob-was aber selten der Fall sein wird- sich die Rechtsfolge der Leistungsgewährung bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, ohne daß dem Verwaltungshandeln insoweit noch eine Konkretisierungs- und Individualisierungsfunktion zukäme. In einer Entscheidung betreffend die Rücknahme eines Sonderurlaubs unter Fortzahlung der Dienstbezüge analog den Vorschriften der Verordnung über den Mutterschutz für Beamtinnen im Lande Nordrhein-Westfalen hat das OVG Münster17 in bezugauf die Rechtsfolge der Fortzahlung der Bezüge letzteres angenommen. Dabei läßt es das Gericht indes unberücksichtigt, daß sich die genannte Rechtsfolge hier gerade nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern erst aufgrund der in dem gewährenden Verwaltungsakt mitenthaltenen Entscheidung der Behörde über eine entsprechende Anwendung der Vorschriften der genannten Verordnung ergibt 18. 2. Der Sachleistungsverwaltungsakt i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG

Gegenstand eines Sachleistungsverwaltungsakts, des zweiten Anwendungsfalles der Regelung des§ 48 Abs. 2 VwVfG, sind Sachen. Damit dürfte mangels geeigneter Anhaltspunkte für ein abweichendes Begriffsverständnis auf den Sachbegriff im Sinne des§ 90 BGB Bezug genommen worden sein, so daß nur körperliche Gegenstände erfaßt werden 19. Dementsprechend gelten 14 So das VwVfG des Bundes sowie die VwVfGe der Länder Berlin und Rh.-Pf. Bayern nimmt in Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 seines VwVfG nicht alle Sozialleistungen, sondern nur die in § 51 SGG bezeichneten Angelegenheiten vom Anwendungsbereich aus. 15 Vgl. auch Erichsen, Jura 1981, 534 (540). Zu der hierdurch geschmälerten praktischen Bedeutung der Regelung des § 48 Abs. 2 VwVfG vgl. näher unten § 8 I 4. 16 Zum Regelungsgehalt des feststellenden Verwaltungsakts vgl. etwa Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 65 f. m . w. Nachw. 17 DVBI. 1980, 885 (887). Zustimmend wohl Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.1; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 25. 18 Ebenso Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 126; kritisch auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 55, der die Gewährung des Sonderurlaubs als unmittelbare Voraussetzung für die weitere Zahlung der Dienstbezüge ansieht und auf diesem Wege zu einer Anwendung des§ 48 Abs. 2 VwVfG gelangt. 19 So auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 25 ; Erichsen, Jura 1981, 534 (540) .

10 Knoke

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

weder für die Gewährung immaterieller Vorteile noch für die Erteilung von Erlaubnissen oder auch für die Bewilligung von Dienstleistungen die Rücknahmevoraussetzungendes § 48 Abs. 2 VwVfG. Die in Betracht kommenden Anwendungsfälle für Sachleistungsverwaltungsakte sind im Geltungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze allerdings nicht sehr zahlreich. So sind etwa viele der in der Kommentarliteratur20 angeführten Beispiele für Sachleistungen - wie z. B. die Gewährung von Krankenhaus- oder Kuraufenthalten, die Hilfeleistung gegenüber Bedürftigen in Form der Gewährung von Heizmaterial oder Bekleidung - Fälle von Leistungen, welche nach Maßgabe des Sozialversicherungsrechts oder des Sozialhilferechts gewährt werden und welche damit nach§ 2 Abs. 2 Nr. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes sowie den entsprechenden Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder21 vom Geltungsbereich dieser Gesetze ausgenommen sind. Als Sachleistungsverwaltungsakte, die von der Regelung des§ 48 Abs. 2 VwVfG erfaßt werden, kommen demgegenüber etwa in Betracht die Zuweisung einer Dienstwohnung an einen Beamten, die Gewährung von Naturalbezügen22 oder auch die Zulassung zur Benutzung einer öffentlichen Einrichtung, sofern im Rahmen der Benutzung bestimmte Gegenstände überlassen werden. Sachleistungen im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG müssen darüber hinaus teilbar sein. Die Teilbarkeit kann dabei zum einen in tatsächlicher Hinsicht bestehen, was regelmäßig bei vertretbaren Sachen im Sinne des§ 91 BGB der Fall sein wird; zum anderen sind aber auch - etwa bei der Gewährung von Wohnraum- nach Zeitabschnitten teilbare Sachleistungen denkbar23. 3. Die praktische Bedeutung der Geld- und Sachleistungsverwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG im Verhältnis zu den übrigen begünstigenden Verwaltungsakten

Die praktische Bedeutung der Geld- und Sachleistungsverwaltungsakte im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG und damit einhergehend auch die Bedeutung der dort normierten Einschränkungen der Rücknehmbarkeit dieser Gruppe begünstigender Verwaltungsakte war schon zur Zeit des Erlasses der Verwaltungsverfahrensgesetze und ist bis heute eher gering24. Dieser Befund steht in 20 Vgl. etwa Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 52; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 25; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 55. 21 Vgl. dazu oben in Fn. 13 und 14. 22 Dazu etwa BVerwG DVBI. 1983, 1102. 23 Vgl. Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 25; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 53; Erichsen, Jura 1981, 534 (540). Gegen Tendenzen einer allzu extensiven Interpretation des Begriffs der Teilbarkeit im Rahmen von § 48 Abs. 2 VwVfG aber etwa Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 54; Lange, Jura 1980, 456 (460 Fn. 34). 24 Vgl. auch Erichsen, Jura 1981, 534 (540) .

§ 8 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG

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deutlichem Gegensatz zu der in der amtl. Begründung25 geäußerten Auffassung der Bundesregierung, welche davon ausging, daß die in § 48 Abs. 2 VwVfG behandelte Fallgruppe begünstigender Verwaltungsakte die Mehrzahl der Streitfälle stellen dürfte. Der Hinweis auf "die zahlreichen Fälle der Sozialleistungen im weitesten Sinne"26 zeigt jedoch, daß die Bundesregierung offenbar die Exemption dieser Fälle vom Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze27 übersehen hat. Wirft man einen Blick auf die bisher zu § 48 Abs. 2 VwVfG ergangene Rechtsprechung, so zeigt es sich, daß diese Vorschrift vor allem im Bereich der Vergabe von Subventionen im weitesten Sinne einen Schwerpunkt ihrer praktischen Bedeutung erlangt hat28. Ein weiterer Anwendungsfall ist die Anerkennung einer Wohnung als steuerbegünstigt bzw. öffentlich gefördert29. Begünstigende Verwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG finden sich darüber hinaus noch häufiger im Bereich der Beamtenbesoldung und -versorgung3o. Dies alles vermag indes nicht darüber hinwegzutäuschen, daß den sonstigen begünstigenden Verwaltungsakten im Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze, die von der Regelung des § 48 Abs. 2 VwVfG ausgenommen sind, ein wesentlich breiteres Spektrum praktischer Bedeutung zukommt, welches allenfalls in gewissem Umfang durch eine Reihe noch vorhandener Sonderregelungen geschmälert wird31. Als Beispielsfälle aus dem mannigfachen Bereich der übrigen begünstigenden Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG seien etwa genannt: die Gewährung von Sonderurlaub oder Dienstbefreiung an einen Beamten32, die Aufnahme in eine bestimmte Klasse einer staatlich anerkannten Ersatzschule33, die Feststellung einer vorübergehenden Zivildienstunfähigkeit34, die Erteilung einer Baugenehmigung35 oder 25 BT-Drucks. 7/910 S. 69. 26 So die amtl. Begr. , BT-Drucks. 7/910 S. 69.

27 Hierzu bereits oben bei Fn . 13 bis 15. Zur Rücknahme eines begünstigenden Geldleistungsverwaltungsakts - hier Bewilligung von Kindergeld - nach § 45 SGB X vgl. etwa BSG DÖV 1985, 582 f. 2s Vgl. OVG Rheinland-Pfalz DVBI. 1982, 219 (221); OVG Münster NJW 1981, 2527 f. und NJW 1985, 1042; OVG Lüneburg NVwZ 1985, 499. Zu einem vorläufigen Bewilligungsbescheid, bei dem sich die Frage der Rücknahme nicht stellt, vgl. BVerwG DÖV 1983, 814 f. 29 Vgl. etwa VGH Bad.-Württ. VBIBW 1981, 293 ; OVG Berlin NJW 1983, 2156. 3o Vgl. OVG NW DÖD 1982, 114 ff.; BayVGH BayVBI. 1984, 538; ferner dazu etwa Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, Rdn. 412 ff. 31 Hierzu auch Wendt, JA 1980, 85 (89), der allerdings die verbleibende Bedeutung der allgemeinen Regelung des § 48 Abs. 2 VwVfG viel zu gering einschätzt, indem er dieser Norm nur "Modelcharakter" zuerkennt. 32 Vgl. OVG Münster DVBI. 1980, 885. 33 Vgl. VGH Mannheim NJW 1980, 2597. 34 Vgl. BVerwG DVBI. 1982, 1001. 35 Vgl. etwa VGH Mannheim NVwZ 1984, 382; VG Frankfurt NVwZ 1983, 55 f. ; OVG Rh.- Pf., Urt. v. 22. 7. 1982 -1 A 66/81-; dazu ferner Stelkens, BauR 1980,7 ff.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

einer wasserrechtlichen Plangenehmigung36, die Erteilung einer Teilungsgenehmigung nach § 19 BBauG, die Zulassung zum Studium oder zu einer Prüfung, die Befreiung vom Wehrdienst und die Einbürgerung37 .

II. Die Voraussetzungen des in§ 48 Abs. 2 VwVfG vorgesehenen Bestandsschutzes Indem die Regelung des§ 48 Abs. 2 VwVfG die Rücknahme eines begünstigenden Geld- oder Sachleistungsverwaltungsakts unter bestimmten Voraussetzungen ausschließt oder einschränkt, ermöglicht sie einen Fortbestand des Verwaltungsakts, bedeutet also für den Begünstigten Bestandsschutz. Dieser Bestandsschutz hängt nach§ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG von zwei Voraussetzungen ab, die kumulativ erfüllt sein müssen. Dabei handelt es sich erstens um das Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsakts und zweitens um die Schutzwürdigkeit dieses Vertrauens. Bisweilen wird auch davon gesprochen, daß der Bestandsschutz mit dem Vertrauenstatbestand eine subjektive und mit der Schutzwürdigkeit eine objektive Komponente besitze38. 1. Der Vertrauenstatbestand § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG setzt für den Ausschluß der Rücknehmbarkeit der von dieser Vorschrift erfaßten Verwaltungsakte in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung39 zunächst voraus , daß "der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat". Es muß demnach tatsächlich ein Vertrauenstatbestand vorliegen, d. h. ein psychischer Befund40 des Inhalts, daß der Begünstigte fest mit dem (Fort-)Bestand des Verwaltungsakts rechnet, daß er sich bei der Gestaltung seiner persönlichen Lebensverhältnisse hierauf einrichtet und verläßt. An einem derartigen Vertrauenstatbestand fehlt es etwa dann, wenn der Begünstigte von einem an ihn gerichteten Verwaltungsakt noch keine Kenntnis hat41 oder wenn er etwa als Adressat eines fingierten Verwaltungsakts- z. B. einer fingierten Teilungsgenehmigung nach Vgl. VG Saarlouis NVwZ 1983, 57. Vgl. zum Ganzen auch Göldner, DÖV 1979, 805 (807) ; Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (231); Stelkens in S/B/L; VwVfG, § 48 Rdn. 42 m. w. Beisp. 38 Vgl. etwa die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 70; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 26; Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (230); Ossenbühl, DÖV 1964, 511 (517); Buermeyer, S. 93. 39 Vgl. insbesondere BVerwGE 48, 87 (92); ferner BVerwGE 8, 261 (269); 17, 325 (338, 339); 19, 188 (189), 24, 294 (296) ; 29, 153 (154). Vgl. auch Ossenbühl, Rücknahme, S. 81 ff.; Bode, S. 147 ff. 40 Vgl. Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 127. 41 Vgl. Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 30; dens. in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (246); Stelkens in S/B/L, VwVfG , § 48 Rdn. 5. 36

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§ 8 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG

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§ 19 Abs. 3 Satz 6 BauGB - infolge falscher Berechnung der Frist vom Bestand der Regelung noch gar nicht ausgeht42. Hat die Behörde einen Verwaltungsakt unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs oder einer späteren Änderung erlassen, so schließt dieses entgegen Maurern das tatsächliche Vorhandensein eines auf den Bestand des Verwaltungsakts gerichteten Vertrauens des Begünstigten nicht notwendig aus. Abgesehen davon, daß er den Vertrauensschutz allein mit Wirkung für die Zukunft ausschließen kann, bewirkt ein zulässigerweise einem Verwaltungsakt beigefügter Widerrufsvorbehalt zwar, daß der Begünstigte kein Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts investieren darf4; er kann jedoch keine Aussage darüber machen, ob der Betroffene sich auch daran hält oder ob er nicht doch, obwohl er es nicht darf, im Einzelfall in der Lage ist, ein gewisses tatsächliches Vertrauen auf den Fortbestand des Verwaltungsakts an den Tag zu legen. Wird etwa von der gewährten Begünstigung Gebrauch gemacht, so kommt darin zumindest in gewissem Umfang ein trotz des Widerrufsvorbehalts vorhandenes Bestandsvertrauen zum Ausdruck 45. Ähnlich verhält es sich auch bei Verwaltungsakten, die der Begünstigte erschlichen hat oder deren Rechtswidrigkeit er positiv kennt. Hier rechnet der Begünstigte möglicherweise trotz seiner fehlenden Arglosigkeit mit dem Fortbestand des Verwaltungsakts, weil er etwa hofft, daß die Behörde die Täuschung bzw. die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht entdeckt. In diesen Fällen fehlt es nicht an einem Vertrauenstatbestand46, sondern es ist die Frage zu stellen und zu beantworten, ob ein solches Vertrauen schutzwürdig ist. Von einer derartigen Sichtweise geht auch die Regelung des§ 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG aus47. Für den Vertrauenstatbestand reicht es aus, daß das Vertrauen als psychischer Befund tatsächlich vorhanden ist. Das bedeutet zugleich, daß der Begünstigte sein Vertrauen nicht notwendig bereits betätigt, d. h. durch ein bestimmtes Vertrauensverhalten nach außen manifestiert haben muß48 . NaturVgl. BVerwGE 48, 87 (92). In FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (246). 44 Vgl. OVG Münster NJW 1981, 2597 (2598); Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 17 II 2 a; Erichsen, Verwaltungsreht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 127; Wendt, JA 1980, 85 (92) . 45 So auch Erichsen, Jura 1981, 534 (540). 46 Anders Ossenbühl, Rücknahme, S. 81 f. , 83, sowie Bode, S. 147 f. , die offenbar tatsächliches Vertrauen mit Arglosigkeit gleichsetzen. 47 Vgl. dazu die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 70: "maßstabbildende Kriterien für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit". 48 Unklar insoweit Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.2.1; a. A. im Zusammenhang mit der Einziehung eines Vertriebenenausweises nach § 18 BVFG wohl BVerwG NVwZ 1984, 716 (717). Wie sich aus§ 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ergibt, kann die Betätigung des Vertrauens allerdings für die Frage der Schutzwürdigkeit eine wesentliche Rolle spielen. Zur weitgehend entsprechenden Rechtslage nach dem SGB X vgl. etwa BSG DÖV 1985, 582 f . 42 43

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

gemäß ist allerdings ein betätigtes Vertrauen bei den Ermittlungen, welche die Behörde gemäß § 24 VwVfG von Amts wegen zu führen hat49, leichter feststellbar. Bleiben bei Abschluß der Ermittlungen nicht weiter aufklärbare Zweifel darüber, ob ein Vertrauenstatbestand vorliegt, so stellt sich die Frage der materiellen Beweislastso. Handelt es sich um einen Eingriff der Behörde in Rechte des Bürgers- ein solcher liegt bei der Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsaktes regelmäßig vor-, so geht die Ungewißheit über die tatbestandliehen Voraussetzungen der Ermächtigungsnorm nach den allgemeinen Regeln über die Beweislastverteilung zu Lasten der Behörde51. Demzufolge trägt die Behörde grundsätzlich52 die materielle Beweislast für die Voraussetzungen der Rücknahme, wie z. B. für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts53. Das Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts stellt indessen keine Voraussetzung der Ermächtigungsnorm des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, sondern vielmehr einen der Ermächtigung der Behörde entgegenstehenden bzw. diese Ermächtigung einschränkenden Umstand dar. Die Unerweislichkeit derartiger Umstände geht grundsätzlich zu Lasten desjenigen Beteiligten, der aus ihnen eine günstige Rechtsfolge herleitet54. Deshalb erscheint es konsequent, wenn der Begünstigte die materielle Beweislast für die das Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts begründenden Tatsachen trägtss. Da es sich bei dem Vertrauen um einen nicht notwendig nach außen tretenden psychischen Befund handelt, wird man allerdings die Anforderungen an den Nachweis nicht allzu hoch ansetzen dürfen bzw. mit den Regeln des Anscheinsbeweises56 helfen können. 49

Vgl. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 56; Ule/Laubinger, VwVerfR,

§ 62 li 2 a.

50 Vgl. hierzu BVerwGE 14, 181 (186 f.) ; 19, 87 (94) ; 45, 131 (132 f.) ; 59, 148 (156 f.); BVerwG NJW 1982, 1893; Kopp, VwVfG, § 24 Rdn. 25 ff. 5t Vgl. BVerwG DÖV 1982, 854; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 24 Rdn. 16; Kopp, VwVfG, § 24 Rdn. 31; Ule!Laubinger, VwVerfR, § 27 III 3; Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 40 II 2. 52 Eine Beweislastumkehr soll allerdings nach der Rechtsprechung in Fällen eines Verschuldens oder einer Verantwortlichkeit des Begünstigten gelten; vgl. etwa BVerwGE 24, 294 (299); 34, 225 (227); BVerwG DÖV 1970, 783; OVG Münster NJW 1982, 1661 (1662) . 53 Vgl. BVerwGE 18, 168 (171 f.) ; 24, 294 (299); OVG Münster NJW 1982, 1661 (1662); Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 105; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 6, 9b. 54 Vgl. BVerwGE 14, 181 (186 f.); 18, 66 (71 f.) und 168 (171); BVerwG DÖV 1979, 601 (602); OVG Münster DVBI. 1978, 509 (510); Badura in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 40 li 2; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 24 Rdn. 16; Kopp, VwVfG, § 24 Rdn. 27 m. w. Nachw. 55 So auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 6; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 2 a; a . A . aber Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 56; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.8; zur Parallelnorm des§ 45 SGB X wohl auch BSG DÖV 1985, 582 (583). 56 Zu deren Anwendbarkeit im Verwaltungsverfahren vgl. etwa Kopp, VwVfG, § 24 Rdn. 33.

§ 8 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG

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2. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens Außer dem Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes setzt der in§ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG vorgesehene Bestandsschutz weiter voraus, daß "das Vertrauen (des Begünstigten) unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist". Dabei ist die Abwägung zwischen dem Schutzbedürfnis des Betroffenen und den Interessen der Verwaltung bereits dem Begriff "Schutzwürdigkeit" immanent und nur der Verdeutlichung halber ausdrücklich angesprochen worden57. Für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens kommt es mithin auf eine Abwägung des Interesses des Begünstigten an der Aufrechterhaltung58 des Verwaltungsakts mit dem entgegengesetzten öffentlichen Interesse an seiner Beseitigung und der Wiederherstellung eines rechtskonformen Zustandes an59. Für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG gilt damit im wesentlichen das bereits zuvor in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts60 entwickelte "Abwägungsprinzip" weiter. Die notwendig allgemein gehaltene Generalklausel61 des§ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG hat in den Sätzen 2 und 3 eine gewisse nähere Konkretisierung erfahren62. Dort hat der Gesetzgeber einige maßstabbildende Kriterien für den Abwägungsvorgang und damit für die Bestimmung des wertausfüllungsbedürftigen Begriffs der Schutzwürdigkeit aufgestellt. Während§ 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG einige positive Regelbeispiele63 für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens normiert, handelt es sich bei § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG um einen allerdings ebenfalls nicht abschließenden64- Negativkatalog von Umständen, 57 So die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 70; vgl. auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 27. 58 Schutzwürdig i. S. von § 48 Abs. 2 VwVfG kann demnach nur das Bestandsinteresse und nicht jedes beliebige Interesse sein. 59 Vgl. etwa Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 57; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 57; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.2.2; Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (356); Häberle in FS f. Boorberg-Verlag, S. 47 (86) ; Wendt, JA 1980, 85 (~8); Erichsen, Jura 1981, 534 (540); ferner OVG Münster NJW 1984, 1042; BSG DOV 1985, 582 f. (zu § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Demgegenüber nehmen BVerwGE 48, 87 (92 f.) und Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (246) , Schutzwürdigkeitsbestimmung und Interessenahwägung offenbar in zwei getrennten Schritten vor. Hiervon abweichend aber nunmehr wohl Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 29 ff. 60 Vgl. etwa BVerwGE 5, 312 (313); 8, 261 (269); 10,308 (309); 19, 188 (189); 38, 290 (294); 48, 87 (92 f.); BVerwG BBauBI. 1985, 100. 61 Vgl. auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 57; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 29. 62 Eine weitgehend entsprechende Regelung findet sich in § 45 Abs. 2 Satz 2 u. 3 SGB X. 63 Damit sind beispielhafte Sachverhalte gemeint, die zum einen nicht die einzigen Fälle positiver Indizien sind und aus denen sich zum anderen die Schutzwürdigkeit im Ergebnis nicht notwendig ergeben muß. Vgl. auch BSG DÖV 1985, 582. 64 Vgl. Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 31.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

die die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Begünstigten in jedem Falle ausschließen65. Bei der Bestimmung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens geht man der Systematik der gesetzlichen Regelung entsprechend zweckmäßigerweise in folgenden Schritten vor: (1) Ist die Schutzwürdigkeit nach § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG negativ ausgeschlossen? (2) Ist die Schutzwürdigkeit durch § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG positiv indiziert? (3) Was ergibt die allgemeine Abwägung der widerstreitenden Interessen im Rahmen des § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG? a) Die zwingenden Ausschlußgründe für die Schutzwürdigkeit gemäߧ 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG

In den Fällen des§ 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG scheidet eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Begünstigten in jedem Falle aus, ohne daß es hier noch einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen bedarf. Dies hat allerdings allein zur Folge, daß der die Rücknahmebefugnis eingrenzende Ausschlußtatbestand des§ 48 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 VwVfG nicht zum Tragen kommt, wohingegen die Behörde nicht gehindert ist, im Rahmen der Ermessensentscheidung nach§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG von der Rücknahme aus anderen Gründen als dem des Vertrauensschutzes abzusehen66. Im folgenden soll auf die einzelnen Fallgruppen des§ 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG noch näher eingegangen werden. aa) § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVJG: Ausschluß des Vertrauensschutzes bei arglistiger Täuschung, Drohung oder Bestechung Nach§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG kann der Begünstigte sich auf Vertrauen einmal dann nicht berufen, ist also in einem etwaigen Vertrauen auf den Fortbestand des Verwaltungsakts nicht schutzwürdig, wenn er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat. Diese Regelung, die sich an die bereits vor Erlaß der Verwaltungsverfahrensgesetze gültig gewesenen allgemeinen Grundsätze67 anlehnt, beruht auf dem Gesichtspunkt, daß derjenige, der sich selbst unredlich verhalten und auf diese Weise eine Ursache für die Rücknahme des Verwaltungsakts gesetzt hat, keinen Schutz verdient6B. 65 Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 57, 59, unterscheidet - allerdings wohl ohne stichhaltigen Grund- die Versagung der Berufung auf Vertrauen in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG noch besonders von der fehlenden Schutzwürdigkeit Wie hier etwa Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 63 . 66 Vgl. Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 63; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 2 a; OVG Münster NVwZ 1985, 661 (662). 67 Vgl. etwa BVerwGE 6, 1 (7) ; 8, 261 (270); ferner BVerwGE 16, 340 ff.; 31 , 1 ff. (zu§ 12 Abs. 1 Nr. 1 BBG- Beamtenernennung). Dazu auch BVerfGE 59, 128 (171).

§ 8 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG

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§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG regelt dabei ausdrücklich nur den Fall, daß ein unredliches Verhalten des Begünstigten selbst- sei es auch nur in Form einer Anstiftung oder Beihilfe- vorliegt; hat dagegen ein Dritter gehandelt, so muß allein nach Maßgabe der Sätze 1 und 2 des § 48 Abs. 2 VwVfG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls über die Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens entschieden werden69. Ist der Dritte allerdings Vertreter des Begünstigten, so muß sich letzterer nach allgemeiner Auffassung7o das unredliche Verhalten seines Vertreters zurechnen lassen. Dem ist zuzustimmen, da die Auswahl des Vertreters in den "Verantwortungsbereich" des Begünstigten fällt?l.

Der zwingende Ausschluß des Bestandsschutzes nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG hängt von zwei Voraussetzungen ab. Zum einen reicht nicht jedes beliebige unredliche Verhalten des Begünstigten aus72 , sondern es muß sich konkret um eine arglistige Täuschung, eine Bedrohung oder eine Bestechung handeln. Dabei wird man auf die im Zivilrecht (vgl. z. B. § 119 BGB) und Strafrecht (vgl. z. B. §§ 240, 241, 334 StGB) entwickelten Inhalte dieser Begriffe entsprechend zurückgreifen können73 . Soweit nicht bestimmte Merkmale, wie etwa das der Arglist74, ein schuldhaftes Verhalten notwendig voraussetzen, ist § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG unabhängig von der Frage des Verschuldens des Begünstigten, insbesondere von dem Vorliegen von Schuldausschließungsgründen, anzuwenden75. Der Begünstigte muß zum anderen den Verwaltungsakt durch die arglistige Täuschung, Bedrohung oder Bestechung "erwirkt" haben. Erforderlich ist also eine Kausalität zwischen seinem Verhalten und dem Erlaß des Verwaltungsakts76. Fraglich ist aber, ob das betreffende unlautere Verhalten des Begünstigten darüber hinaus gerade für die Rechtswidrigkeit des VerwalVgl. Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 65 m. w. Nachw. Vgl. dazu die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 70; ferner Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 32. 70 Vgl. etwa Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 2 a; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 32; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 65; Erichsen, Jura 1981, 534 (541). n Zur Bedeutung des Verantwortungsbereichs als Kriterium für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens vgl. schon BVerwGE 8, 261 (270); 24, 294 (296, 299 f.); 40, 212 (217); Haueisen, NJW 1958, 1661 (1663); Becker, DÖV 1967, 729 (736); Kimminich, JuS 1965, 249 (255); Wolff/Bachof, VwR I,§ 53 V e 3; ferner Hengstschläger, Die Verwaltung, Bd. 12 (1979), 337 (356). n Vgl. demgegenüber die frühere weitere Formulierung der Rechtsprechung: " ... erschlichen oder mit unlauteren Mitteln erwirkt"; so etwa BVerwGE 8, 261 (270) . 73 So auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 59. 74 Dazu etwa Hoke, DÖV 1962, 281 (286). 75 Ebenso Kopp, VwVfG, § 48 Rdn . 66, mit dem Hinweis, daß fehlendes Verschulden allerdings bei der Ermessungsausübung Berücksichtigung finden könne. 76 Vgl. Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.4.1; Stelkens in S/B/L , VwVfG, § 48 Rdn. 32. Darüber hinausgehend Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 59, der eine Finalität verlangt. 68 69

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

tungsakts ursächlich gewesen sein muß. Würde man, wie es eine z. T. vertretene Auffassung77 in Anbetracht des offenen Wortlauts tut, § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG auch dann zur Anwendung gelangen lassen, wenn die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht Folge der Täuschung, Bedrohung oder Bestechung ist, sondern auf anderen- womöglich .von der Behörde zu vertretenden- Umständen beruht, so bekäme die Vorschrift für den Betroffenen eine Art "Strafcharakter"78. Dieser resultiert daraus, daß es in diesem Falle weder allein um solche Fehler geht, die im Verantwortungsbereich des Begünstigten liegen, noch ein Verschulden des Begünstigten vorzuliegen braucht. Hinzu kommt, daß dieser "Strafcharakter" deshalb besonders schwer wiegen würde, weil § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG- im Unterschied zu den von den Nummern 2 und 3 erfaßten Fällen - auch den durch § 48 Abs. 4 VwVfG in zeitlicher Hinsicht gewährleisteten Bestandsschutz entfallen läßt (vgl. § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG). Da es aber nicht der Zweck des Rechts der Rücknahme von Verwaltungsakten ist, die unlautere Erwirkung eines Verwaltungsakts um ihrer selbst willen zu sühnen79, erscheint es vorzugswürdig, die Regelung des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG einschränkend dahin auszulegen, daß die dort aufgeführten Verhaltensweisen des Begünstigten nicht nur für den Erlaß, sondern auch für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kausal sein müssenso. bb) § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG: Ausschluß des Vertrauensschutzes bei unrichtigen oder unvollständigen Angaben Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG ist die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Begünstigten ferner dann zu verneinen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat , die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Dieser Ausschlußtatbestand, der bereits vor Erlaß der Verwaltungsverfahrensgesetze in Rechtsprechung und Lehre anerkannt war81 , wird darauf gestützt, daß die Ursache für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts hier nicht in der Sphäre der Verwaltung, sondern im Verantwortungsbereich des Begünstigten liegesz. 77 So etwa Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 32; Kopp, VwVfG, 3. Aufl. 1983, § 48 Rdn. 66 (abweichend aber nunmehr die 4. Aufl.). 78 Kopp, VwVfG, 3. Aufl. 1983, § 48 Rdn. 66.

79 Vgl. bereits Ossenbühl, Rücknahme, S. 82 f. Für einen hiervon abweichenden Willen des Gesetzgebers der Verwaltungsverfahrensgesetze gibt die Entstehungsgeschichte nichts her. 80 Ebenso Obermayer, VwVfG, §48 Rdn. 77; vgl. auch v. d. Groeben/Knack, LVwG Schl.-Holst., § 116 Rdn. 7.2.5; ferner Ossenbühl, DÖV 1964,511 (518) zum EVwVfG 1963. Zur früheren Rechtslage ebenso Ossenbühl, Rücknahme, S. 83 m. w. Nachw. s1 Vgl. etwa BVerwGE 29, 323 (326); 48, 87 (93); Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 263; Mainka, Vertrauensschutz, S. 63; Bode, S. 149 f.

§ 8 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG

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Diesem Gedanken entsprechend muß sich der Begünstigte der Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit seiner83 Angaben nicht notwendig bewußt gewesen sein - die Anforderungen sind also geringer als bei der arglistigen Täuschung im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG- und kommt es im übrigen auf ein seinerseitiges Verschulden nicht an84. Wie vorliegend bereits im Zusammenhang mit dem Ausschlußtatbestand des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG dargelegt wurdess, ist weiter das aus dem Begriff "erwirken" abzuleitende Kausalitätserfordernis auch im Rahmen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG nicht nur auf den Erlaß des Verwaltungsakts als solchen, sondern darüber hinaus auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, die den eigentlichen Grund der Rücknahme darstellt, zu erstreckens6. Eine gewisse Einschränkung des Vertrauensschutzausschlusses ergibt sich schließlich aus dem Merkmal "in wesentlicher Beziehung" unrichtig. Dieses unter Rechtssicherheitsaspekten allerdings relativ unbestimmt gefaßte Merkmal wird gemeinhin so verstanden, daß nur solche Unrichtigkeiten und Unvollständigkeiten zu berücksichtigen sind, die sich auf Tatsachen von wesentlicher Bedeutung beziehen, d. h. auf solche Tatsachen, die für die Entscheidung der Behörde von einiger Erheblichkeit sind; das bedeutet zugleich, daß nicht bereits jede kausale Unrichtigkeit ausreicht, um die Voraussetzungen des§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG zu erfüllens7. cc) § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVJG: Ausschluß des Vertrauensschutzes bei Kenntnis oder grobfahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit

Nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG muß mit einer Rücknahme rechnen und verdient deshalb keinen Schutz seines Vertrauens, wer als Begünstigter 82 Vgl. die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 70; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 68; Erichsen, Jura 1981, 534 (541). Es sind hier allerdings auch Fälle einer überwiegenden (Mit-)Verantwortlichkeit der Behörde denkbar; vgl. Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 31; BVerwGE 10, 12 (15). 83 Hat sich der Begünstigte bei den Angaben eines Vertreters oder eines sonstigen Dritten bedient, so gilt hier entsprechend das zu § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG Gesagte. Vgl. oben bei Fn. 69 ff. 84 Vgl. die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 70; BVerwG DVBJ. 1986, 1204; J. Martens, NVwZ 1987,464 (465); Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 31 ; Ule/L aubinger, VwVerfR, § 62 II 2 a; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 33; Klappstein in Knack, VwVfG , § 48 Rdn. 8.4.2. Ebenso schon vor Erlaß der VwVfGe: BVerwG DVBJ. 1962, 562; BSG DVBJ. 1963, 249. Anders aber wohl noch BVerwGE 6, 1 (7, 9). 85 Vgl. oben bei Fn. 76 ff. 86 So im Ergebnis wohl auch die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 70; ferner Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 59 unter Herleitung aus dem Merkmal "in wesentlicher Beziehung"; jetzt auch Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 68. Zur Beweislast vgl. OVG Münster NJW 1982, 1660 (1661). 87 Vgl. dazu Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 70; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 33; ferner BVerwG FamRZ 1982, 97.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts entweder kannte oder sie infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannteBB. Kenntnis von der Rechtswidrigkeit ist dann anzunehmen, wenn der Betroffene- sei es aufgrundeigener Rechtskundigkeit oder im Rahmen einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" - wußte, daß der Verwaltungsakt so nicht "richtig" sein konnte, insbesondere ihm die gewährte Leistung nicht zustand89. Dieser positiven Kenntnis der Rechtswidrigkeit ist durch das Gesetz die grobfahrlässige Unkenntnis gleichgestellt worden. Die Regelung des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG hat damit das Verschuldeusprinzip aufgegriffen , um den bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit sorgfältig Handelnden nicht gegenüber dem Nachlässigen zu benachteiligen9o. Der Begriff der groben Fahrlässigkeit setzt hier - wie auch in § 277 BGB sowie aus dem Bereich des öffentlichen Rechts beispielsweise §§ 46 Abs. 1 Satz 1 BRRG, 78 Abs. 1 Satz 1 BBG- voraus , daß die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist9I . Der Sorgfaltsmaßstab ist dabei kein rein objektiver, sondern es sind die individuellen Gegebenheiten, insbesondere auch der juristische Sachverstand und die persönlichen Fähigkeiten des Betroffenen mitzuberücksichtigen92. So sind etwa bei bestimmten Berufsgruppen, wie z. B. Kaufleuten93 oder einschlägig vorgebildeten Beamten94, erhöhte Anforderungen an den individuellen Sargfaltsmaßstab zu stellen. Aufgrund des beamtenrechtlichen Treueverhältnisses wird beispielsweise Besoldungs- und Versorgungsempfängern grundsätzlich zugemutet, Festsetzungsbescheide auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, und zwar auch dann, wenn Schlüsselkennzahlen mit beigefügten Erläuterungen verwendet werden95. Die Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis seines Vertreters muß sich der Begünstigte - ähnlich wie im rechtsgeschäftliehen Bereich aufgrund der Vorschrift des § 166 Abs. 1 BGB - selbst zurechnen lassen96. Ansonsten 88 Ebenso schon zur Rechtslage vor dem lnkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze BVerwGE 48, 87 (92 f.); Storz, S. 101; Bode, S. 149. "Kennenmüssen", d. h. einfache Fahrlässigkeit (vgl. § 122 Abs. 2 BGB), ließen demgegenüber genügen: BVerwGE 8, 261 (271); 17,335 (337); 19, 188 (199); Ossenbühl, Rücknahme , S. 87. 89 Vgl. etwa Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 72. 90 Vgl. dazu die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 70. 91 Vgl. etwa Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn . 34; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 2 a; BVerwGE 40, 212 (217) ; VGH Mannheim DVBI. 1977, 652. Vgl. auch die Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr 3 2. H albsatz SGB X. 92 Vgl. Erichsen, Jura 1981, 534 (541); Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 73; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 2 a; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 59; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.4.2: .,konkret-individueller Fahrlässigkeitsbegriff". 93 Vgl. OVG Rh.-Pf. DVB!. 1982, 219 (221) ; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 34; aber auch OVG Münster NVwZ 1983, 108. 94 Vgl. Ossenbühl, Rücknahme, S. 86; Becker, DÖV 1967, 729 (736f.) m. w. Nachw. 95 BVerwGE 40, 212 (217 ff.); vgl. auch BVerwGE 8, 261 (271) .

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würde die Regelung des§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG etwa bei juristischen Personen als Verwaltungsaktsadressaten nahezu jegliche Wirkung einbüßen. b) Die positiven Regelbeispiele für die Schutzwürdigkeit gemäß § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG

Die Vorschrift des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nennt zwei Beispielsfälle, in denen das Vertrauen in der Regel schutzwürdig ist, und zwar zum einen den Verbrauch der gewährten Leistungen und zum anderen die Tätigung von Vermögensdispositionen, die nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig gemacht werden können. Es geht dabei im wesentlichen um die bereits in der bisherigen Rechtsprechung97 anerkannten Fälle, in denen zu dem psychischen Vertrauenstatbestand bereits ein bestimmtes Vertrauensverhalten des Begünstigten hinzugetreten ist, in denen der Begünstigte sein Vertrauen also bereits "betätigt"98, "manifestiert"99, in denen er die Begünstigung bereits "realisiert"lOO, sie "ins Werk gesetzt"lOl hat. Vertrauensschutz in anderen als den von § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ausdrücklich erfaßten Fällen ist damit nicht ausgeschlossen; die Regelung setzt allerdings einen gewissen Maßstab auch für die Beurteilung anderer Fälle102. Der Verbrauch einer Leistung im Sinne des§ 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG liegt z. B. vor, wenn ein Beamter die ihm aufgrund eines fehlerhaften Festsetzungsbescheides gewährten Bezüge im Rücknahmezeitpunkt bereits im Rahmen seiner allgemeinen Lebensführung ausgegeben hat. Liegt der Zeitpunkt des Verbrauchs vor demjenigen des Erlasses des maßgeblichen Verwaltungsakts, so schließt dies die Anwendbarkeit der Regelung nicht notwendig aus. Hier kann ein Fall einer nach dem Regelungszweck schutzwürdigen Vertrauensbetätigung etwa dann gegeben sein, wenn der Verwaltungsakt- z. B. die Gewährung einer Beihilfe durch den Dienstherrn- bereits mündlich angekündigt wurdel03. 96 Ebenso Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 34; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 72; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.4.3. A. A . Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 li 2 a, mit dem allerdings wenig überzeugenden Hinweis, daß die Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit in den betreffenden Fällen keinen Einfluß auf die Entscheidung der Behörde habe. 97 Vgl. etwa BVerwGE 10,64 (66 f.) und 308 (309); 13,28 (33); 17,335 (338); 24,294 (296, 297 f.); BVerwG NJW 1964, 563; BVerwG VerwRspr. 30, 377 (378). 98 BVerwGE 17, 335 (338); 24, 294 (296); vgl. auch BVerwGE 48, 87 (93), Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 32. 99 Ossenbühl, Rücknahme, S. 87. wo Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG , § 48 Rdn. 58; Wendt, JA 1980,85 (88) . JOt BVerwG NVwZ 1983, 612 (613); Wolff!Bachof, VwR I,§ 53 V e 4; Ule!Laubinger, VwVerfR, § 62 li 2 a; Erichsen, Jura 1981, 534 (540). 102 So Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 28; wohl auch Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 32. tm Vgl. OVG Harnburg NVwZ 1988,73 f.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Vermögensdisposition im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ist jedes durch das Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes veranlaßtetü4Verhalten, das sich auf die Vermögenssituation des Begünstigten auswirkt 105, wie z. B. das Eingehen von (Raten-)Verbindlichkeiten, die Beteiligung an einer Gesellschaft, der Abschluß von Verträgen über die gewährte Leistung, die Erbringung von Aufwendungen für die Anfertigung von Bauplänen im Hinblick auf eine Darlehnsbewilligungt06, die Anpassung der allgemeinen Lebensverhältnisse an die Höhe einer Hinterbliebenenversorgungto7 oder auch das Unterlassentos der Rechtsverfolgung in bezugauf einen vermögensrechtlichen Anspruch. Zu dem Vorliegen der Vermögensdisposition muß gemäߧ 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG hinzutreten, daß der Begünstigte sie entweder nicht mehr rückgängig machen kann oder daß ihm im Falle der Rückgängigmachung unzumutbare Nachteile, und zwar regelmäßig in Gestalt eines erheblichen Vermögensschadens, entstehen. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit ist hier ein individueller Maßstab zugrunde zu legen; es kommt insbesondere wesentlich auf die Einkommens-, Vermögens- und sonstigen persönlichen Lebensverhältnisse des Begünstigten anto9. Handelt es sich um solche Vermögensdispositionen, die zu der Leistungsgewährung in keinem vernünftigen Verhältnis mehr stehen, wie z. B. Spekulationsgeschäfte, so kann es entweder an der Unzumutbarkeit der Rückgängigmachung fehlen oder es kann hier - etwa in Fällen der Unmöglichkeit einer Rückgängigmachung - in Abweichung von dem in § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG allein normierten "Regelfall" zumindest allgemein die Schutzwürdigkeit zu verneinen seinllo. Die Formulierung "in der Regel schutzwürdig" verdeutlicht, daß das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG die Behörde nicht davon enthebt, das Vertrauen und Bestandsinteresse des Begünstigten noch mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme abzuwägen. Durch § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ist die Schutzwürdigkeit lediglich positiv indiziert, d. h. es sind durchaus Ausnahmefälle denkbar, in denen im Ergebnis gleichwohl das öffentliche Interesse das private überwiegt. Hat sich der Begünstigte beiZu diesem Kausalitätserfordernis Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 27. Vgl. Kopp, VwVfG , § 48 Rdn. 64. 106 BVerwGE 10, 64 (67) . 1o1 Vgl. etwa BVerwGE 8, 261 (269); 9, 251 (254 f.) ; 19, 188 (190 f.); BVerwG ZBR 1983, 35 (36). 108 Auch in einem Unterlassen kann eine Vermögensdisposition enthalten sein. Vgl. BVerwG DVBI. 1964, 751 ff. ; Ossenbühl, Rücknahme, S. 160; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 27; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 64; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.3.5. 109 Vgl. etwa Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.3.6. Ebenso schon BVerwG VerwRspr 30, 377 (378); Ossenbühl, Rücknahme, S. 90. 110 Vgl. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 58; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.3.5. 104

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spielsweise bei der Bewilligung einer Subvention einem Widerrufsvorbehalt "unterworfen", so ist er auch dann, wenn er bereits Vermögensdispositionen getroffen hat, im Hinblick auf die Weitergewährung der Subvention für die Zukunftlll in aller Regel nicht schutzwürdigll2 . Auch bei lediglich leicht fahrlässiger113 Unkenntnis der Rechtswidrigkeit eines leistungsgewährenden Verwaltungsakts kann aufgrund einer Abwägung im Einzelfall trotz Verbrauchs der Leistung oder einer Vermögensdisposition die Schutzwürdigkeit des Vertrauens zu verneinen seinll4. c) Die Abwägung des privaten mit dem öffentlichen Interesse im übrigen einzelne Abwägungskriterien

Liegen die Voraussetzungen der Sonderregelungen über die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in§ 48 Abs. 2 Satz 2 und 3 VwVfG nicht vor oder ermöglichen diese - etwa im Falle des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG - noch kein abschließendes Urteil über die Schutzwürdigkeit, so muß letztere gemäߧ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG anhand einer allgemeinen Abwägung des privaten Vertrauens auf den bzw. Interesses am (Fort-)Bestand des Verwaltungsakts mit dem öffentlichen Interesse an seiner Rücknahme bestimmt werden. Dabei kommt keinem dieser beiden widerstreitenden Interessen ein grundsätzlicher Vorrang zu 115. In die Abwägung, welche gewisse Parallelen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung (i.e.S.) im Rahmen des Grundsatzes vom Übermaßverbotll6 aufweist, sind alle Umstände und Besonderheiten des einzelnen Falles einzubeziehen. Insbesondere kommt es auf die Auswirkungen des (Fort-)Bestandes des Verwaltungsaktes für die Allgemeinheit auf der einen sowie die Folgen seiner Rücknahme für den Betroffenen auf der anderen Seite anll7 . Je schwerwiegender die Auswirkungen des (Fort-)Bestandes des Verwaltungsakts für die Allgemeinheit sind, um so gewichtiger müssen im allgemeinen auch die Folgen einer Rücknahme für den Betroffenen sein, um im Ergebnis noch eine Schutzwürdigkeit seines Vertrauens annehmen zu können. Die ZumutbarkeitllB der Rücknahmefolgen ist hier ebenso mitzuberücksichtigen wie das etwaige Beste111 Vgl. zu dieser Einschränkung Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 127. 112 Vgl. etwa OVG Münster NJW 1981, 2597 (2598) ; abweichend, zumindest stark relativierend OVG Münster NJW 1985, 1042. 113 Hier greift der Ausschlußtatbestand des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG nicht ein. 114 Vgl. dazu Stelkens in S/B/L, VwVfG , § 48 Rdn. 29 mit weiteren Beispielen. 115 Vgl. BVerwGE 41, 277 (280) ; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 26. 116 Vgl. hierzu etwa Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 13 f., 29. 117 Vgl. Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 2 a; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 58 rn. w. Nachw.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

hen schützenswerter Interessen Dritter119. Im Rahmen des öffentlichen Interesses kann gerade bei den mit "materiellen" Folgen verbundenen begünstigenden Verwaltungsakten i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG neben dem aufgrunddes Art. 20 Abs. 3 GG allgemein gegebenen Interesse an der Wiederherstellung eines gesetzmäßigen Zustandes auch das fiskalische Interesse an der Vermeidung ungerechtfertigter öffentlicher Ausgaben eine mehr oder weniger gewichtige Rolle spielenizo. Schon vor dem Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder sind in Rechtsprechung und Literatur eine Reihe von Einzelkriterien entwickelt worden, welche je nach Lage des Falles für die Abwägung des öffentlichen mit dem privaten Interesse und damit für die nähere Bestimmung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Begünstigten von Bedeutung sein können. Auf diese Kriterien kann, soweit sie den in den Sonderregelungen des § 48 Abs. 2 Satz 2 und 3 VwVfG enthaltenen Wertungen nicht widersprechen, weiterhin zurückgegriffen werdenl21. Unter Berücksichtigung dessen kann die nähere Bestimmung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens im Rahmen der allgemeinen Interessenahwägung beispielsweise von folgenden Faktoren abhängen: der Art des Verwaltungsakts (z. B. privatrechtsgestaltenderizz, jederzeit widerruflicherl23), besonderen Umständen im Hinblick auf die erlassende Behörde (z. B. oberste Behördel24) oder die Ausgestaltung des Verfahrens (z. B. förmliches Verfahreni25), der besonderen Schutzfunktion einer bestimmten Rechtsmaterie (z. B. des Bodenverkehrsrechts126), dem Ausmaß der Verfestigung der durch den Verwaltungsakt erlangten Rechtspositioni27, der seit dem Erlaß des Verwaltungsakts verstrichenen Zeit128 und 11 8 Vgl. dazu bereits- im Zusammenhang mit§ 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG- oben bei Fn. 109; ferner BVerfGE 59, 128 (166); BSG DÖV 1985, 582 (583); Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 58; dens., BayVBI. 1980, 38 (39). 119 Vgl. etwa BVerwGE 35, 122 (126 f. ); 48, 87 (92) ; 54, 257 (260 f.). 12o Ebenso BVerwGE 60, 208 (211), BVerwG DVBI. 1982, 795 (797) ; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 57; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.2.2. ; Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (233 f.); Lässig, DVBI. 1981, 483 (488); a. A. Ossenbühl, Rücknahme , S. 43. 121 So auch BVerfGE 59, 128 (166 ff.); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 26; Wendt, JA 1980, 85 (89). 122 Vgl. BVerwGE 29, 314 (316 f.) ; 48, 87 (92) , 54, 257 (258 f.). 123 Vgl. OVG Münster NJW 1981 , 2597 (2598) , aber auch NJW 1985, 1042. 124 Vgl. BVerwGE 8, 296 (304 f.); 9, 251 (254) ; Storz, S. 118 f.; wohl auch Haueisen, NJW 1958, 1661 (1663) ; eher ablehnend dagegen Ossenbühl, Rücknahme, S. 92 f . 125 Vgl. BVerwGE 13, 28 (32) ; Haueisen, DVBI. 1959, 228 (232); Wolff/Bachof, VwR I, § 53 V e 7; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 2 a. 126 Vgl. etwa BVerwG BBauBI. 1985, 582 (583). 127 Vgl. Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 59 m. w. Nachw. 128 Vgl. BVerwGE 24, 294 (297 f.); BVerwG NJW 1959, 1553 (1554) ; BVerwG VerwRspr 30, 777 (780); BSG DÖV 1985, 582 583); Becker, DÖV 1963, 459 (466); zurückhaltend dagegen Ossenbühl, Rücknahme, S. 92; Mainka, Vertrauensschutz, s. 65.

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der dadurch ggf. verschlechterten Beweislage129, dem Maß der Verantwortlichkeit oder des Verschuldens der Behörde bzw. des Begünstigten im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit des VerwaltungsaktsBo, der - unterhalb der Stufe der groben Fahrlässigkeit- fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts131, der Vornahme von Dispositionen nichtvermögensrechtlicher Natur132, dem absehbaren Ende des Bewilligungszeitraumes bei einer Dauerleistungm, besonderen Umständen in der Person des Begünstigten (z. B. hohes Alter des LeistungsempfängersB4). Wegen der durch § 48 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 VwVfG gesetzessystematisch vorgenommenen Ausgestaltung des Vertrauensschutzes als negative Schranke der in§ 48 Abs.1 Satz 1 VwVfG enthaltenen Rücknahmebefugnis ist der Abwägungsvorgang gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ein rechtlich gebundenerm Bestandteil der behördlichen Entscheidungsfindung. Das bedeutet zugleich, daß die Behörde gehindert ist, in diesem der Entscheidung vorgelagerten Prüfungsstadium eigene Ermessenserwägungen für oder wider eine Rücknahme anzustellen und damit auf das Abwägungsergebnis Einfluß zu nehmen. Ein nach vorgenommener Abwägung ggf. noch verbleibendes Entscheidungsermessen136 bleibt hiervon allerdings unberührt. d) Sonderproblem: Schutzwürdigkeit des Vertrauens von Trägern und Stellen öffentlicher Verwaltung

Fraglich ist, ob es auch in solchen Fällen, in denen der Adressat des zur Rücknahme anstehenden begünstigenden Verwaltungsaktes i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG kein Bürger, sondern ein Träger öffentlicher Verwaltung oder eine Behörde ist, der zuvor dargestellten Abwägung der gegenüberstehenden Interessen zur Bestimmung der Schutzwürdigkeit eines etwa vorhandenen Vertrauens in den (Fort-)Bestand des Verwaltungsakts bedarf.

Vgl. BVerfGE 59, 128 (169). Vgl. BVerWGE 6, 1 (8 f.); 8, 261 (270); 10, 308 (310); 19, 188 (190); 24, 294 (299 f.) ; 40, 212 (217); BVerwG DVBI. 1982, 795 (798). m Vgl. BVerwGE 8, 261 (271); 17, 335 (337). Dies ist in Anbetracht der Regelung des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG allerdings kein Gesichtspunkt mehr, welcher die Schutzwürdigkeit grundsätzlich ausschließt; vgl. auch Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.3.4. 132 Vgl. Stelkens in S/B/L, VwVfG , § 48 Rdn. 28. 133 Vgl. etwa BSG DÖV 1985, 582 (583). 134 Vgl. BVerwGE 13, 28 (33) ; 24, 294 (297 f.); 29, 291 (295); BVerfGE 59, 128 (169); VGH Kassel NJW 1968, 2122 (2123) . 135 Vgl. OVG Münster NJW 1985, 1042; ferner- zu § 18 BVFG- BVerwG NVwZ 1984, 716 (717). 136 Dazu näher unten § 8 IV 1. tz9

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts137 , die im Schrifttum überwiegend geteilt wird138, ist das Vertrauen eines Verwaltungsträgers (z. B. Körperschaft des öffentlichen Rechts) oder einer für diesen handelnden Behörde in den (Fort-)Bestand eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts von vornherein nicht schutzwürdig. Zur Begründung dieser These wird angeführt, daß der "Grundsatz" des Vertrauensschutzes unter Berücksichtigung seiner Entwicklung im Verwaltungsrecht eine Einrichtung allein zum Schutze des dem Staat regelmäßig untergeordneten Bürgers sei139. Staat und Verwaltung bedürften eines solchen Schutzes nichtl 40. Ein gleichermaßen dem Bürger wie dem Staat zukommender Vertrauensschutz würde darüber hinaus "eine Verkennung des Verhältnisses von Staat und Bürger bedeuten"141. Schließlich wird noch darauf hingewiesen, daß die in den Staat- etwa im Rahmen der mittelbaren Staatsverwaltung- organisatorisch eingegliederten Träger und Stellen öffentlicher Verwaltung anders als der Bürger an das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden seien und deshalb selbst darauf achten müßten, daß die öffentlichen Mittel sachgerecht und im Einklang mit dem bestehenden Recht verwendet würden142. Obgleich gerade dem letztgenannten Argument ein zutreffender Gehalt nicht abgesprochen werden kann, verdient die dargestellte Auffassung jedenfalls bezogen auf die anfangs aufgeworfene Frage - im Ergebnis keine Zustimmung. Hierfür ist zunächst von wesentlicher Bedeutung, daß die gesetzliche Regelung des§ 48 Abs. 2 VwVfG - und von dieser und nicht von den früher anwendbar gewesenen allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts über die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte oder auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben ist heute in erster Linie auszugehen- offensichtlich nicht danach differenziert, ob auf der Seite des durch einen Verwaltungsakt Begünstigten ein Träger öffentlicher Verwaltung (bzw. eine Behörde) oder ein Bürger stehtl43. Insbesondere hat die Regelung nicht festgeschrieben, daß das in die Abwägung einzubeziehende Vertrauen und Interesse des Begünstigten notwendig privater Natur sein mußl 44 . Ferner hat der Gesetzgeber die Leistungsgewährung an einen Träger oder eine Stelle öffentlicher Verwaltung auch nicht in den Katalog der typischen Ausschlußgründe 137 BVerwGE 23,25 (30 f.); 27,215 (217 f.); 60,208 (210); vgl. auch BVerwG DÖV 1971, 348 (349); ferner dazu Becker, DOV 1973, 379 (381). 138 Vgl. etwa Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.2.3; ferner- allerdings relativierend ("in der Regel") - Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 5; wohl auch Ossenbühl, DÖV 1972, 25 (27): "Gegenprinzip der Staatsgewalt gegenüber". 139 Vgl. BVerwGE 23,25 (30); 27,215 (217 f.). 140 Vgl. BVerwGE 27, 215 (218). 141 So BVerwGE 23, 25 (31). 142 Vgl. BVerwGE 60, 208 (210) . 143 Vgl. entsprechend für die Regelung des § 48 Abs. 4 VwVfG auch VG Köln NVwZ 1984, 537 (538). 144 Vgl. Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 51.

§ 8 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG

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für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, der in § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG enthalten ist, aufgenommen. Auch wenn man hiervon einmal absieht, vermag es nur wenig zu überzeugen, wenn man die Gebotenheit von Vertrauensschutz schlechthin auf die Staat-Bürger-Beziehung beschränkt. Im Bereich der Leistungsverwaltung, dem Hauptanwendungsbereich des § 48 Abs. 2 VwVfG, ist das vom Bundesverwaltungsgericht14S für seine Argumentation herangezogene Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Bürger weitgehend relativiert146. Der mit dem Gedanken des Vertrauensschutzes maßgeblich bezweckte Dispositionsschutz147 setzt überdies nicht notwendig ein Über-/Unterordnungsverhältnis voraus. Welchen entscheidenden Unterschied macht es zum Beispiel, ob ein Bürger im Hinblick auf eine ihm gewährte Subvention oder ob etwa eine Gemeinde oder ein Kreis im Hinblick auf eine ihr (ihm) gewährte Zweckzuwendung des Landes Dispositionen vornimmt, die nicht oder nur unter sehr großen Nachteilen wieder rückgängig zu machen sind (z. B. Beginn mit einer städtebaulichen Maßnahme)? Es ist deshalb anzuerkennen, daß im Einzelfall auch einmal für Träger und Stellen öffentlicher Verwaltung ein Bedürfnis nach dem Schutz ihres auf den Bestand eines an sie gerichteten begünstigenden Verwaltungsakts gerichteten Vertrauens bestehen kann. Erscheint es danach weder mit der Regelung des § 48 Abs. 2 VwVfG in Einklang stehend noch zudem sachlich gerechtfertigt, das Vertrauen von Trägern und Stellen öffentlicher Verwaltung generell für nicht schutzwürdig zu erklären1 48, so kann auch in diesen Fällen auf eine nähere Bestimmung der Schutzwürdigkeit im Einzelfall nach Maßgabe des § 48 Abs. 2 Satz 1 bis 3 VwVfG nicht verzichtet werden. Die Vielzahl der für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit im Rahmen der Abwägung der gegenüberstehenden Interessen in Betracht kommenden Kriterien1 49, wie z. B. die Verantwortlichkeit für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, ist auch hier zu berücksichtigen. Wegen der besonderen Bindung aller Untergliederungen der öffentlichen Verwaltung an den Verfassungsgrundsatz der Gesetzmäßigkeit, kommt diesem Grundsatz in Fällen der vorliegenden Art allerdings ein besonderes Gewicht zu; deshalb wird hier- darin ist etwa KoppiSOzuzustimmen-nur in Ausnahmefällen das Vertrauensinteresse des begünstigten Verwaltungsträgers bzw. der Behörde das öffentliche Interesse an der Aufhebung des Verwaltungsakts überwiegen. Vgl. etwa BVerwGE 23, 25 (30 f.). Zur "Macht" des Leistungsstaates vgl. allerdings Erichsen, DVB!. 1983, 289 (290 f.); dens., Jura 1979, 449 (454 ff.). !47 Vgl. etwa Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974), 149 ff. ; Grabitz, DVBI. 1973, 675 (679); Burmeister, DÖV 1981, 503 (510 f.) . !48 Ebenso Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 51; vgl. auch Degenhart, AöR Bd. 103 (1978), 163 (181); Merten, NJW 1983, 1993 (1998). !49 Dazu oben § 8 II 2 c. 1so VwVfG, § 48 Rdn. 51. !45

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II*

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

111. Die Bedeutung der "soweit"-Kiausel; insbesondere: die Auswirkungen des Vertrauensschutzes auf die Rücknehmbarkeit für die Vergangenheit oder für die Zukunft Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG darf nicht zurückgenommen werden, soweit ein schutzwürdiges Vertrauen des Begünstigten vorhanden ist. Jene in§ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG enthaltene "soweit"-Klausel relativiert den in dieser Vorschrift vorgesehenen BestandsschutziSJ; sie trägt damit dem Umstand Rechnung, daß sich das schutzwürdige Vertrauen und Bestandsinteresse des Begünstigten allein auf einen Teil des Verwaltungsakts oder auf einen bestimmten Zeitraum seiner Geltung erstrecken kann. In einem solchen Falle ist aufgrund der "soweit"Regelung nicht die Rücknahme schlechthin ausgeschlossen, sondern ist die Behörde nur nach Maßgabe des jeweiligen Umfangs des schutzwürdigen Vertrauens in den ihr an sich nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG bei der Rücknahmeentscheidungzur Verfügung stehenden Differenzierungsmöglichkeiten (ganz oder teilweise, mit Wirkung für die Vergangenheit oder für die Zukunft)IS2 eingeschränkt. § 48 Abs. 2 VwVfG grenzt mithin das der Behörde verbleibende Ermessen nicht nur im Hinblick auf das "Ob", sondern auch auf das "Wie" der Rücknahme einis3. Besondere Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang die unterschiedlich stark ausgeprägte Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Begünstigten, je nachdem ob die Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft oder- darüber hinausauch für die Vergangenheit ausgesprochen werden soll. Handelt es sich um eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc), so kann zwar auf die Beachtung eines eventuellen schutzwürdigen Vertrauens nicht vollends verzichtet werdeniS4, allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtsiss dem öffentlichen Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts in der Regel gegenüber dem Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktsfür die Zukunft ein Übergewicht beizumessen, wenn der Verwaltungsakt- wie bei den Geld- und Sachleistungsverwaltungsakten i. S. des§ 48 151 Vgl dazu die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 70; ferner Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (232). !52 Hierzu oben § 7 II. 153 Vgl. etwa Erichsen!Martens, Allg. VwR, § 18 II 2; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 2 b; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 16, 26 u. 30; Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (357 f.). 154 So auch BVerfGE 59, 128 (170) ; BVerwGE 44, 180 (185); Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 75. 155 Vgl. etwa BVerwGE 19, 188 (189); 40, 65 (68); BVerwG DVBI. 1982, 795 (797); BVerwG ZBR 1983, 35 (36). Dazu ferner Wolff/Bachof, VwR I,§ 53 V d 2; Erichsenl Martens, Allg. VwR, § 18 II 2; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 23; Ossenbühl, Rücknahme, S.121; Haueisen, NJW 1954, 1425 (1427); ders., DVBI. 1959, 228 (232).

§ 8 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG

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Abs. 2 VwVfG häufig der Fall- den dauernden regelmäßigen Bezug von Leistungen aus öffentlichen Mitteln zum Gegenstand oder zur Folge hat. Demgemäß kann nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen das Vertrauen des durch einen Geld- oder Sachleistungsverwaltungsakt mit Dauerwirkungl56 Begünstigten auf den Fortbestand des Verwaltungsakts für die Zukunft für schutzwürdig erachtet werden. Ein solcher Ausnahmefall ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn der Begünstigte im Vertrauen auf die Bestandskraft des Verwaltungsakts eine dauernde und einschneidende Umstellung seiner Lebensverhältnisse vorgenommenl57 oder wenn er ähnlich folgenschwere, in die Zukunft hineinwirkende Dispositionen getroffen hat, welche er - in Anlehnung an die in der Regelung des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG vorgenommene Wertung- nicht mehr oder nur noch unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kannlss. Bei einer Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit (ex tune) stellt sich das zuvor aufgezeigte Regel-Ausnahme-Verhältnis genau umgekehrt dar. Hier ist dem Vertrauen und Bestandsinteresse des Begünstigten, insbesondere dem in besonderem Maße schutzwürdigen "betätigten" Vertrauen (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG), in der Regel der Vorrang vor dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse an der Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit einzuräumenl59, es sei denn, es liegen absolute Ausschlußgründe für eine Schutzwürdigkeit gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG oder ähnlich gelagertel60 Konstellationen vor. Der nach Maßgabe der "soweit"-Klausel in Rechnung zu stellende Vertrauensschutz des Begünstigten wirkt sich demzufolge im Ergebnis insofern ermessensbegrenzend aus, als begünstigende Verwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG im Regelfalll61 nur mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) zurückgenommen werden dürfen. Eine ausdrückliche Umkehrung dieser "Regel" enthält allerdings die Bestimmung des § 48 Abs. 3 Satz 4 VwVfG für die Fälle des § 48 Abs. 3 Satz 3 VwVfG. In diesen Fällen, in denen nach der gesetzlichen Wertung eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Begünstigten schlechthin auszuscheiden hat, ist die an den Vertrauensschutz anknüpfende 156 Nur bei dieser Gruppe von Verwaltungsakten steht de facto die Möglichkeit einer Rücknahme mit Wirkung ex nunc oderextune zur Wahl. Vgl. dazu oben§ 7 II 2 (bei Fn. 97). !57 Vgl. etwa BVerwGE 9, 251 (255); BVerwG ZBR 1983, 35 (36) . 158 Ebenso Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 II 2; Roters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (230), jeweils m. w. Nachw. !59 Vgl. etwa BVerwGE 19, 188 (190); 38, 290 (295); Wolff/Bachof, VwR I, § 53 V h; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 II 2. 160 Vgl. dazu die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 70; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn . 16. 161 So auch die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 70; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 76; Maurer, Allg. VwR, § 48 Rdn. 33; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 2 c; Erichsen, Jura 1981, 534 (543) .

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

"soweit"-Kiausel im Ergebnis nicht in der Lage, ermessensbegrenzend zu wirken. Hier wird das danach mit den in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG vorgesehenen Differenzierungsmöglichkeiten grundsätzlich voll eröffnete Rücknahmeermessen durch§ 48 Abs. 3 Satz 4 VwVfG, welcher bestimmt, daß der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, indessen in besonderem Maße eingegrenzt. Dabei bezieht sich die Verengung des Ermessensspielraums trotz der insoweit etwas unklaren Formulierung nach der, soweit ersichtlich, überwiegend vertretenen Auffassungt62 wohl nur auf den speziellen Aspekt der zeitlichen Erstreckung der Rücknahmewirkungen, also auf die Wahl zwischen einer Rücknahme für die Vergangenheit oder für die Zukunft, nicht hingegen- als besondere Normierung einer Rücknahmepflicht - auch auf die Entscheidung über das "Ob" der Rücknahme. Gewissermaßen einer "Soll"- Vorschrift163 vergleichbar, hat die Regelung des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zur Folge, daß in den von ihrerfaßten Fällen eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft nur in eng umgrenzten atypischen Ausnahmetatbeständen ausgesprochen werden darfl64. Allein bei einer Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit kommtinfolge Wegfalls des Rechtsgrundes nach näherer Maßgabe der Regelungen in § 48 Abs. 2 Satz 5 bis 8 VwVfG eine Erstattung bereits gewährter Leistungen in Betracht. Es handelt sich hierbei um einen spezialgesetzlich ausgestalteten Fall des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchsl65, auf dessen nähere Darstellung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung, welche sich im wesentlichen mit den gesetzlichen Maßgaben für die Rücknahmebefugnis und deren Grenzen befaßt, auch unter Berücksichtigung des Umfangs der behandelten Thematik verzichtet werden soll.

162 Vgl. etwa Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 61; Stelken.s in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 35; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 8.4.4; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 76; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 li 2. 163 Vgl. hierzu BVerwGE 16, 224 (226); 40, 323 (330); BVerwG DVBI. 1960, 252 (253); Wolff/Bachof, VwR I,§ 31 li b. 164 Vgl. auch Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 II 2; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 76 m. w. Nachw. 165 Zum allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch vgl. etwa BVerwGE 4, 215 (218 f.); 25, 72 (81 f.); 48, 279 (289); BVerwG DVBI. 1980, 686 (687); VGH Mannheim NJW 1978, 2050 (2051) ; OVG Münster DÖV 1982, 124; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 30 III; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 210 ff.

§ 8 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG

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IV. Das Verhältnis der Eingrenznngen der Rücknahmebefugnis zum Rücknahmeermessen bei begünstigenden Geld- und Sachleistungsverwaltungsakten i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG

1. Allgemeines Falls der durch die Regelung des § 48 Abs. 2 VwVfG gewährleistete Bestandsschutz in vollem Umfange durchgreift, d. h. selbst eine Teilrücknahme oder eine Rücknahme mit bloßer Wirkung für die Zukunft wegen Überwiegens des schutzwürdigen Vertrauens des Begünstigten ausgeschlossen sind, bleibt für die Ausübung der Rücknahmebefugnis und damit gleichzeitig des der Behörde im Rahmen dieser Entscheidung eingeräumten Ermessens kein Raum mehr. Das ergibt sich aus den Regelungen in § 48 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 VwVfG, welche nach Wortlaut und Funktion die Befugnisnorm des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG insoweit negativ begrenzen, als das Vertrauen des Begünstigten im Einzelfall Schutz verdient, also insoweit, als der gesetzlich vorgesehene Bestandsschutz reicht. Davon wird indessen die Anwendbarkeit der Ermächtigung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in den Fällen der Rücknahme begünstigender Geldund Sachleistungsverwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG im Grundsatz nicht berührt. Dies gilt auch für den in dieser Ermächtigung der Behörde eingeräumten Ermessensrahmen. Man hat sich nämlich zu vergegenwärtigen, daß die Vorschrift des§ 48 Abs. 2 VwVfG in Verbindung mit der "Verknüpfungsnorm" des § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG allein den Charakter einer Verbots- und zugleich Befugnisbegrenzungsnorm hati66, mithin die Rücknehmbarkeit der von ihr erfaßten Gruppe begünstigender Verwaltungsakte nicht abschließend regelt167. Hieraus ergibt sich folgende Konsequenz: Liegen mangels eines schutzwürdigen Vertrauens des Begünstigten die Voraussetzungen für einen (vollständigen) Ausschluß der Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 VwVfG nicht vor, so hat dieses nicht automatisch die Rücknahme zur Folge und führt insbesondere - sieht man hier einmal von den allerdings wohl nicht seltenen Fällen einer Ermessensreduzierung auf "Null" ab- nicht notwendig zu einer Rücknahmepflicht168 der Behörde. Diese muß vielmehr noch von dem ihr in der Befugnisnorm des§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eingeräumten Ermessen Gebrauch machen und auf der Grundlage der jeweils in Betracht kommenden ermessensbildenden Faktoren sodann eine Entscheidung für oder Vgl. hierzu bereits oben§ 6 (bei Fn. 5). Vgl. etwa Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 34. 168 Eine solche besteht nach Abschluß der Interessenahwägung aber etwa bei der Einziehung eines Vertriebenenausweises nach Maßgabe der Sonderregelung des § 18 BVFG; vgl. dazu etwa BVerwG NVwZ 1984, 616 (617). 166 167

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

gegen die Rücknahme des Verwaltungsakts treffen169. Der Charakter einer Ermessensentscheidung ist dabei unabhängig davon, ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Begünstigten erst auf der Grundlage einer Interessenabwägung oder bereits wegen Eingreifens der absoluten Vertrauensschutzausschlußgründe nach§ 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG verneint wurde170, 2. Einzelfragen der Bildung und Betätigung des Ermessens bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG

Wie hier bereits - die Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte betreffend - im Zusammenhang mit der Befugnisnorm des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ausgeführt wurde17l, muß die Rücknahmebehörde von dem ihr in dieser Vorschrift eingeräumten Ermessen zum einen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise überhaupt Gebrauch machen und muß sie zum anderen die sich insbesondere aus Gesetz und Verfassung ergebenden Determinanten und Grenzen des Ermessens beachten. Was die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte und dabei hier insbesondere solcher im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG betrifft, erscheint es indessen angezeigt, noch kurz auf folgende, die Ermessensbildung und -betätigung betreffenden Einzelfragen näher einzugehen. Da die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes in aller Regel in Rechte eines Beteiligten eingreift172, muß die Behörde vor Erlaß des Rücknahmebescheides den Betroffenen grundsätzlich gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG anhören. Unterläßt sie dieses, so kann der die Rücknahme aussprechende Verwaltungsakt nicht nur wegen eines Verstoßes gegen das verfahrensrechtliche Anhörungsgebot rechtswidrig sein, sondern er kann darüber hinaus auch an einem Ermessensfehler leiden173. Die Behörde wird nämlich ohne eine Anhörung des Betroffenen nur schwerlich in der Lage sein, sich über den der Rücknahmeentscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt einschließlich eventueller besonderer Umstände in der Person des Begünstigten ein umfassendes Bild zu machen, was wiederum Voraussetzung für eine fehlerfreie Ausübung des Ermessens im Rahmen des§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist174 . 169

Ebenso etwa OVG Münster NJW 1985, 1042 f.; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG,

§ 48 Rdn. 60; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 61. Vgl. auch die amtl. Begründung, BT-

Drucks. 7/910 S. 69 f. 11o Vgl. OVG Münster NVwZ 1985, 661 (662). 111 Vgl. oben§ 7 I 2 b aa. m Vgl. etwa BVerwG NJW 1983, 2044 (2045); dazu auch Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 137. 173 Vgl. OVG Münster NVwZ 1985, 661 (662). 174 Vgl. auch OVG Münster NJW 1976, 1227 f. ; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 40 Rdn. 28.

§ 8 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG

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Eine Ermessensbindung der Behörde, die zu einer Verengung des Entscheidungsspielraums für oder gegen eine Rücknahme oder im Einzelfall sogar zu einer Ermessensreduzierung "auf Null" führt, kann sich bei den Geld- und Sachleistungsverwaltungsakten i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG insbesondere aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG ergeben 175. Dies kommt namentlich dann in Betracht, wenn sich- wie häufig im SubventionsrechtLeistungsgewährung und -entzug an Verwaltungsvorschriften (Richtlinien) oder einer ständigen Verwaltungspraxis orientieren. Die sog. Selbstbindung der Verwaltungaufgrund intern ermessensbindender Verwaltungsvorschriften geht indessen nicht so weit, daß sie die Betätigung des an einer "einzelfallgerechten Entscheidung" auszurichtenden Rücknahmeermessens überhaupt überflüssig machen würdel76; Besonderheiten des Einzelfalles können nämlich beispielsweise eine von bestehenden Verwaltungsvorschriften abweichende Entscheidung rechtfertigen. Eine eventuell vorliegende "Unterwerfungserklärung" des Begünstigten unter verwaltungsintern zur Rücknahme verpflichtende Richtlinien vermag hieran im Grundsatz nichts zu ändern , weil die gesetzlichen Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten durch die Verwaltung nicht zur Disposition der Beteiligten stehenm. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes als solcher kann für die Bildung und Ausübung des Rücknahmeermessens bei begünstigenden Geld- und Sachleistungsverwaltungsakten i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG grundsätzlich keine Bedeutung mehr erlangen178. Hierfür spricht, daß das der Behörde in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eingeräumte Ermessen nach Maßgabe der Verknüpfungsnorm des§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG nur in dem Umfang eröffnet ist, in dem zuvor179 die Schutzwürdigkeit eines etwaigen Vertrauens auf der Grundlage der hierzu in§ 48 Abs. 2 Satz 1 bis 3 VwVfG aufgestellten Kriterien verneint wurdelso. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ist demgemäß bei Eintritt der Behörde in die Ermessensbildung gewissermaßen schon verbraucht. Das schließt es indessen wohl nicht aus, daß beispielsweise in den Vgl. etwa BVerwG DVBI. 1982, 795 (797) m. w. Nachw. Vgl. dazu näher OVG Münster NJW 1985, 1042 (1043). 177 Ebenso OVG Münster NJW 1985, 1042 (1043); vgl. auch OVG Lüneburg NVwZ 1985, 500 f. 178 So etwa Lange, WiVerw 1979, 15 (17) ; wohl auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 60; nicht ganz eindeutig OVG Münster NVwZ 1985, 661 (662), wo offenbar in nachweisbaren Fällen des§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 oder Nr. 2 VwVfG eine Reduzierung des Ermessens "auf Null" in Richtung auf eine Rücknahme erwogen wird. Vgl. in bezug auf die Parallelnorm des § 45 Abs. 2 SGB X ferner OVG NW, Urt. V. 20. 2. 1986- 8 A 2001/84- (n. V.). 179 Entgegen Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.6.2. und 8 .2.2. ist die Schutzwürdigkeitsbestimmung des Vertrauens einschließlich einer hierzu ggf. erforderlichen Interessenahwägung der Ermessensausübung im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG vorgelagert. So für die vergleichbare Bestimmung des § 45 SGB X auch OVG Münster, Urt. v. 27. 10. 1983-16 A 111183-. 180 Vgl. bereits oben§ 8 IV 1. 175 176

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Fällen einer nach§ 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG absolut ausgeschlossenen Schutzwürdigkeit bestimmte "allgemeine" Gesichtspunkte, die ansonsten bereits in die Interessenahwägung nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG mit eingeflossen wären, noch bei der Ausübung des Ermessens in Rechnung gestellt werden können. Dies gilt z. B. für eine Verantwortlichkeit oder ein Verschulden der Behörde, für die seit Erlaß des Verwaltungsakts verstrichene Zeit oder für eine besondere Härte in der Person des Betroffenen181. Regelmäßig läßt allerdings das Gewicht des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) der Behörde wenig Spielraum, um in Fällen eines fehlenden schutzwürdigen Vertrauens des Begünstigten von einer Rücknahme absehen zu können182.

Vgl. auch Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 75; Korber, Aufhebungsverfahren, S. 42 ff. Vgl. zur Parallelnorm des § 45 SGB X auch OVG NW, Urt. v. 20. 2. 1986 8 A 2001/84- (n. v.): Rücknahme als "Regelfall". 181 182

§ 9 Die Rücknahme der nicht unter § 48 Abs. 2 VwVfG

fallenden übrigen begünstigenden Verwaltungsakte

I. Die Regelung des§ 48 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 VwVfG: Vertrauensschutz in Form von Vermögensschutz 1. Die allgemeine Bedeutung dieser "Vermögensschutzlösung" im Rahmen der Systematik und Zielsetzung des§ 48 VwVfG

Für diejenigen begünstigenden Verwaltungsakte, die keine Geld- oder Sachleistungsverwaltungsakte im Sinne von§ 48 Abs. 2 VwVfG sind, hält das Gesetz keine dem§ 48 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 VwVfG entsprechende Regelung bereit, die dem schutzwürdigen Vertrauen des BegüQstigten in Form von Bestandsschutz Rechnung trägt. Für diese Verwaltungsakte bestimmt vielmehr§ 48 Abs. 3 VwVfG, daß die Behörde dem Betroffenen im Falle der Rücknahme auf Antrag den Vermögensnachteil ausgleichen muß, den dieser dadurch erleidet, daß er schutzwürdig auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat. Vertrauensschutz wird hier also in Form von "Vermögensschutz" gewährt1. Entgegen der insoweit etwas mißverständlichen Gesetzesformulierung in § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG (" . . . darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden") enthält die Vorschrift des § 48 Abs. 3 VwVfG keine Einschränkung der Rücknahmebefugnis der Behörde. Sie regelt vielmehr- ähnlich wie auch § 48 Abs. 2 Satz 5 bis 8 VwVfG- nur bestimmte Fragen der weiteren Abwicklung der Angelegenheit nach erfolgter Rücknahme, indem sie bestimmte Rechtsfolgen an eine positive Rücknahmeentscheidung knüpft2 • Die Frage, ob und inwieweit die Behörde den Verwaltungsakt überhaupt zurücknehmen darf, beurteilt sich bei den betreffenden begünstigenden Verwaltungsakten dementsprechend nicht nach § 48 Abs. 3 VwVfG, sondern - von der zeitlichen Rücknahmesperre des § 48 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 4 VwVfG hier einmal abgesehen3- allein nach I Vgl. dazu etwa Frotscher, DVBI. 1976, 281 (282, 284 f.) ; Maurer in FS f. BoorbergVerlag, S. 223 (236 ff.); Häberle, ebd. S. 47 (86 f.) ; Erichsen, Verw,Arch Bd. 69 (1978), 303 (307 f.); dens., Jura 1981, 534 (539, 541 f.); Göldner, DOV 1979, 805 (806 f.); Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12.(1979), 337 (354 f.); Roters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (230 f.) ; Schenke, DOV 1983, 320 (322 f.); Merten, NJW 1983, 1993 (1998). 2 Vgl. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 63, 64; Göldner, DÖV 1979, 805 (806); Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (230). 3 Hierzu näher unten § 10.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Maßgabe des§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG4 • Ob die Behörde im Rahmen der in dieser Befugnisnorm enthaltenen Ermessensermächtigung den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes des Begünstigten unabhängig von der Regelung des § 48 Abs. 3 VwVfG als ermessensbildenden Faktor in Rechnung stellen darf oder ob nach dem Willen des Gesetzes dem Vertrauensschutz ausschließlich durch den in§ 48 Abs. 3 VwVfG normierten Ausgleich des Vermögensschadens Genüge getan werden soll, ist damit allerdings noch nicht entschieden. Diese für die Praxis höchst bedeutsame und bisher noch nicht abschließend geklärte Frage bedarf vielmehr später noch einer näheren Untersuchungs. Mit der den Regelungen in § 48 Abs. 3 in Zusammenschau mit Abs. 1 Satz 1 VwVfG zugrunde liegenden "Vermögensschutzlösung" bezweckte der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien folgendes: Er wollte die auch zuvor schon von Teilen der Literatur6 als unbefriedigend empfundene "Alles-oder-nichts-Lösung" der bis dahin vorherrschenden Rechtsprechung, welche nur die starre Alternative zwischen Rücknahme und Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts kannte, zugunsten einer elastischeren und differenzierteren Handhabung des Interessenausgleichs aufgeben7. Ob ihm dieses tatsächlich gelungen ist, muß allerdings bezweifelt werdenB. Sollte es- was indessen noch einer näheren Prüfung bedarf- der Fall sein, daß sich der Vertrauensschutzbei begünstigenden Verwaltungsakten i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVfG nach dem Willen des Gesetzes in dem auf Antrag zu gewährenden Vermögensausgleich erschöpft, so wäre nämlich die bisherige Alternative "alles (Bestandsschutz) oder nichts" lediglich durch die ebenso starre Alternative "etwas (Vermögensschutz) oder nichts"9 abgelöst worden. Es drängt sich daher der Gedanke auf, daß prägendes Merkmal der "Vermögensschutzlösung" in Wirklichkeit weniger eine gesteigerte Flexibilität als vielmehr die Zurückdrängung des Vertrauensschutzes des Begünstigten zugunsten einer stärkeren Betonung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist10 • 4 Vgl. etwa Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 64; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 83; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 42. s Vgl. dazu unten§ 9 II. 6 Vgl. etwa Wirth, DÖV 1960, 173 ff.; Bachof, JZ 1962, 745 (750 f.); Baur, JZ 1963, 41 (46); Becker/Luhmann, Verwaltungsfehler und Vertrauensschutz, S. 116 ff. 7 Vgl. dazu die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 67, 69. Schenke, DÖV 1983, 320 (322) , spricht in diesem Zusammenhang von einer "feingliederigen Sanktionssystematik". s Verneinend etwa Frotscher, DVBI. 1976, 281 (287) ; z. T. kritisch auch Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (355 f.). 9 So Frotscher, DVBI. 1976, 281 (287). Die im Rahmen des Ermessens grundsätzlich noch verbleibende zusätzliche Alternative einer Nichtrücknahme dürfte demgegenüber von eher geringer praktischer Bedeutung sein. Anders aber wohl Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 34. IO Dies kommt - wenn auch etwas unterschwellig - in der amtl. Begründung, BTDrucks. 7/910 S. 71, zum Ausdruck ; vgl. ferner Frotscher, DVBI. 1976, 281 (287).

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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2. Der Vermögensausgleich nach§ 48 Abs. 3 VwVfG im einzelnen a) Voraussetzungen

Der Vermögensausgleich nach § 48 Abs. 3 VwVfG ist- ohne Ermessensspielraum der Behörde - unter folgenden Voraussetzungen zu gewähren: Erstens muß die Behörde einen nicht unter die Regelung des § 48 Abs. 2 VwVfG fallenden begünstigenden Verwaltungsakt zurückgenommen haben, es muß also tatsächlich zu einer Rücknahme gekommen sein. Zweitens muß der von der Rücknahme Betroffene eil)en Vermögensnachteil erlitten haben. Dritte Voraussetzung ist das Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes in der Person des Betroffenen im Hinblick auf den Bestand des Verwaltungsakts. Dieser Vertrauenstatbestand muß viertens kausal für den Eintritt des Vermögensnachteils sein. Darüber hinaus ist fünftens erforderlich, daß das Vertrauen des Begünstigten unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Sechste und letzte Voraussetzung ist schließlich ein von dem Rücknahmebetroffenen an die Behörde zu richtender formloserB Antrag auf Ausgleichung des Vermögensnachteils. Für diesen Antrag sieht § 48 Abs. 3 Satz 5 VwVfG eine Ausschlußfrist von einem Jahr vor, welche allerdings erst dann zu laufen beginnt, wenn der Betroffene auf sie hingewiesen wurde. Will die Behörde die Frist in Gang setzen, so ist sie damit zugleich gezwungen, den Betroffenen auf den gesetzlich vorgesehenen Ausgleich eines eventuellen Vermögensschadens aufmerksam zu machen12, was in der Praxis regelmäßig in einem Zuge mit der Rücknahmeverfügung geschieht. Liegen sämtliche vorgenannten Voraussetzungen vor, so setzt die Behörde den auszugleichenden Vermögensnachteil durch Verwaltungsakt fest (vgl. § 48 Abs. 3 Satz 4 VwVfG). Von den Voraussetzungen des Vermögensausgleichs nach § 48 Abs. 3 VwVfG wirft vor allem die Bestimmung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Begünstigten einige Probleme auf. In diesem Zusammenhang bedarf etwa die von JohlenD vertretene Auffassung, im Rahmen des§ 48 Abs. 3 VwVfG seien geringere Anforderungen an die Schutzwürdigkeit des Vertrauens zu stellen als im Rahmen des § 48 Abs. 2 VwVfG, einer näheren Überprüfung. Als Argument für diese Auffassung wird namentlich der Umstand angeführt, daß in die Verweisungsnorm des § 48 Abs. 3 Satz 2 VwVfG lediglich die Regelung des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG, nicht aber etwa auch diejenige des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG aufgenommen worden sei. Hieraus wird sodann gefolgert, daß es für den Vermögensausgleich nach § 48 Abs. 3 VwVfG beiVgl. Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 43. Weitergehend wohl Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 37, der offenbar- allerdings ohne nähere Begründung - in jedem Falle eine dahingehende Hinweispflicht der Behörde annimmt. 13 NJW 1976, 2155 . 11

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

spielsweise nicht darauf ankommen könne, ob getroffene Vermögensdispositionen nicht oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig zu machen seien14 . Für die Annahme, daß der Gesetzgeber den Grundgedanken der Vorschrift des§ 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG bei der Bestimmung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens im Rahmen des§ 48 Abs. 3 VwVfG bewußt nicht hat gelten lassen wollen, fehlt es indessen an hinreichenden Anhaltspunkten. Die bloße Nichterwähnung in der Verweisungsnorm des§ 48 Abs. 3 Satz 2 VwVfG kann hierfür nicht ausreichen, zumal die Entstehungsgeschichte des Gesetzes eher dagegen sprichtls. So gibt die Regelung des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, die erstmals im Entwurf 197016 zusätzlich aufgenommen wurde, nur einige beispielhafte maßstabbildende Kriterien für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, deren Wiederholung in den nachfolgenden Absätzen anders als bei § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG, welcher zwingende Ausschlußgründe für die Schutzwürdigkeit enthält, nicht unbedingt notwendig erschien. Darüber hinaus läßt sich auch ein sachlicher Grund für die Annahme, die Kriterien des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG könnten im Rahmen der Interessenahwägung nach § 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG nicht oder nur unter reduzierten Voraussetzungen als maßstabbildend herangezogen werden, nicht ausmachen. Im Ergebnis sind deshalb im Hinblick auf die Kriterien, welche nähere Aussagen über die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Begünstigten machen, im Rahmen der Vermögensausgleichsregelung des § 48 Abs. 3 VwVfG keine geringeren oder überhaupt anderen Anforderungen zu stellen, als sie bei der Bestimmung der Schutzwürdigkeit im Rahmen des § 48 Abs. 2 VwVfG gestellt werden17. Unabhängig von den danach grundsätzlichgleichen Anforderungen an den Vertrauensschutz des Begünstigten in § 48 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG stellt sich aber weiter noch die Frage, ob auch die Bezugspunkte der Interessenabwägung - und dabei insbesondere das öffentliche Interesse - in § 48 Abs. 3 VwVfG die gleiche Bedeutung wie im Absatz 2 der Vorschrift beibehalten. Man hat sich dabei folgendes zu vergegenwärtigen: Im Rahmen des § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG entscheidet die Interessenahwägung über die Frage, ob und ggf. inwieweit der Verwaltungsakt zurückgenommen werden darf. Demgegenüber ist die Interessenahwägung im Rahmen des § 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG nicht mehr für die Alternative Rücknahme oder Nichtrücknahme relevant, sondern sie entscheidet allein noch über die Frage, ob und inwieweit ein Vermögensausgleich zu gewähren ist. So Johlen, NJW 1976, 2155. Vgl. hierzu auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 44. 16 BT-Drucks. Vl/1173 S. 13. 17 So auch die wohl h. M. ; vgl. etwa Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 44; Ule/ Laubinger, VwVerfR, § 62 Il 2; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 9.2.1; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 89; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 65. 14 15

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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Hieraus folgert eine verbreitete AuffassunglB, daß das öffentliche Interesse als Abwägungsbezugspunkt in § 48 Abs. 3 VwVfG nur auf die Ausgleichszahlung und nicht die Aufhebung des Verwaltungsaktes selbst zu beziehen sei. Zur Begründung wird dabei zunächst der Wortlaut des § 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG angeführt, der im Unterschied zu § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG nur vom "öffentlichen Interesse" und nicht vom "öffentlichen Interesse an einer Rücknahme" spricht19. Daneben stützt sich die genannte Auffassung auch auf die ratio legis, d. h. auf die mit der Regelung des§ 48 VwVfG bezweckte Aufbrechung der starren "Alles-oder-nichts-Alternative" zugunsten im Einzelfall adäquater Zwischenlösungen20 ; es wird befürchtet, daß der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 3 VwVfG im Falle einer Orientierung des öffentlichen Interessesam Rücknahmeinteresse zu stark eingeengt werde21. Was den Wortlaut des§ 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG ("in Abwägung mit dem öffentlichen Interesse") betrifft, so ist dieser in bezug auf die Frage, worauf sich dieses öffentliche Interesse beziehen muß, ohne eindeutige Aussagekraft. Er spricht indessen eher dafür, das öffentliche Interesse in seiner Gesamtheit mit in den Abwägungsvorgang einzubeziehen als hier allein von dem rein fiskalischen Interesse der Verwaltung an der Nichtleistung einer Ausgleichszahlung auszugehen. In die gleiche Richtung weist auch die Einbindung des öffentlichen Interesses in den Regelungszusammenhang des § 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG. Neben dem öffentlichen Interesse ist das private Interesse des Begünstigten Bezugspunkt des Abwägungsvorgangs. Insoweit bestimmt§ 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG ausdrücklich, daß das Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsakts und nicht etwa das Interesse an der Erlangung des Vermögensausgleichs mit dem öffentlichen Interesse zur Abwägung gebracht werden soll. Will man zu einer sachgerechten Abwägung gelangen, so kann dann auf der Seite des öffentlichen Interesses das dem Bestandsinteresse des Begünstigten gegenüberstehende Aufhebungsinteresse der Verwaltung wohl kaum ganz außer acht gelassen werden. Des weiteren zwingt auch der in der Entstehungsgeschichte deutlich zutage tretende Sinn und Zweck der Regelung des § 48 Abs. 3 VwVfG nicht dazu, das öffentliche Interesse allein auf die Leistung des Vermögensausgleichs zu beziehen. Der Ausgleich des Vermögensnachteils gemäߧ 48 Abs. 3 VwVfG soll nach der Absicht des Gesetzgebers Äquivalent für die grundsätzlich uneingeschränkte Rücknahmemöglichkeit nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, 18 So insbesondere Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (244 f.); vgl. ferner Ulel Laubinger, VwVerfR, § 62 II 2 b; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 9.2.1; Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (357). 19 Vgl. Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (245) . 2o Vgl. hierzu bereits oben bei Fn. 7. 21 So etwa Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (245).

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

mithin für fehlenden Bestandsschutz sein22. Daß auch in solchen Fällen Vermögensschutz gewährt werden soll, in denen das Bestandsvertrauen und -interesse des Begünstigten zwar nicht das öffentliche Interesse an einer Rücknahme, wohl aber- isoliert betrachtet- das öffentliche Interesse an der Nichttragung der finanziellen Rücknahmefolgen überwiegt, wovon offenbar Maurer23 ausgeht, läßt sich weder der Gesetzesfassung und -systematik noch der Entstehungsgeschichte entnehmen. Allein das grundsätzliche Streben der gesetzlichen Neuregelung nach einer elastischeren Handhabung des Interessenausgleichs24 reicht dabei für eine solche Schlußfolgerung nicht aus. Was ferner die Befürchtung, der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 3 VwVfG sei bei einer Orientierung des öffentlichen Interesses am Aufhebungsinteresse entgegen der gesetzlichen Zielsetzung nur minimal, betrifft, so ist diese jedenfalls dann nicht berechtigt, wenn man der Auffassung folgt , daß dem Bestandsinteresse des Begünstigten bei den nicht tJnter § 48 Abs. 2 VwVfG fallenden Verwaltungsakten ausschließlich im Rahmen des Vermögensausgleichs nach § 48 Abs. 3 VwVfG und nicht auch im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Rücknahme Rechnung getragen werden darf25. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß die alleinige Berücksichtigung der durch die Gewährung des Vermögensausgleichs entstehenden finanziellen Belastung im Rahmen des "öffentlichen Interesses" im Sinne von § 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG für den von der Rücknahme Betroffenen zu höchst zufälligen Abwägungsergebnissen führen kann, je nachdem wie angespannt die Haushaltslage beim Gegner des Ausgleichsanspruchs ist, wie leer dessen Kassen sind. Dies alles führt im Ergebnis dazu, daß entgegen der überwiegend vertretenen Auffassung26 das öffentliche Interesse bei der Abwägung in § 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG nicht ausschließlich auf die Frage der Ausgleichszahlung zu beziehen, sondern in einem umfassenden, dabei insbesondere auch das für die Rücknahmeentscheidung maßgebliche öffentliche Interesse an der Aufhebung des Verwaltungsakts mit einbeziehenden Sinne zu verstehen ist27.

Vgl. die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 71. in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (245). 24 Vgl. oben bei Fn. 7. 25 Hierzu näher unten § 9 II. 26 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 18. 27 Ähnlich wohl auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 44, der allerdings noch weitergehend als hier fiskalische Überlegungen bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses ganz ausschließt. Unklar Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 91 a. E. 22 23

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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b) Umfang

Auszugleichen, und zwar in Geld28, ist nach§ 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG der Vermögensnachteil, den der Begünstigte im Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts erlitten hat. Für den Umfang des Ausgleichsanspruchs kommt es demgemäß in erster Linie auf das Vertrauensinteresse29, d. h.auf das sog. negative Interesse, des Begünstigten an 30. Ersatz des negativen Interesses bedeutet, den Begünstigten so zu stellen, als wenn der zurückgenommene Verwaltungsakt nicht erlassen worden wäre. Das positive Interesse, d. h. die Herstellung einer Vermögenslage, wie sie beim Fortbestand des Verwaltungsakts eingetreten wäre, kann der Betroffene dagegen grundsätzlich nicht verlangen; er kann also beispielsweise nicht den entgangenen Gewinn beanspruchen31. Gemäß § 48 Abs. 3 Satz 3 VwVfG ist das positive Interesse allerdings für den Anspruchsumfang insofern von Bedeutung, als es diesen nach oben hin begrenzt. Diese für den Betroffenen bisweilen schmerzliche Regelung, die eine gewisse Parallele in§ 122 BGB findetJ2, steht im Einklang mit der Funktion des Vermögensausgleichs, ein Äquivalent allein für den fehlenden Bestandsschutz zu schaffen. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es, über § 48 Abs. 3 VwVfG nur solche Aufwendungen und sonstigen Nachteile auszugleichen, die den Wert dessen, was der Begünstigte bei Realisierung der ihm durch den Verwaltungsakt gewährten Vorteile erlangt hätte, nicht überschreiten. Wegen eines darüber hinausgehenden Schadens bleibt der Betroffene auf das Bestehen von Amtshaftungsansprüchen angewiesen. Da nach § 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG ein Ausgleichsanspruch nur besteht, "soweit" das Vertrauen schutzwürdig ist, erhält die Bestimmung der Schutzwürdigkeit nicht nur für die Gewährung des Vermögensausgleichs als solche, sondern auch für den Umfang dieses Ausgleichsanspruchs Bedeutung. Entsprechend dem in § 254 BGB zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken, der im Rahmen der "soweit"-Regelung heranzuziehen ist33, kann sich etwa der Ausgleichsanspruch dadurch reduzieren, daß der Betroffene Obliegenheiten verletzt oder den Schadenseintritt aus anderen Gründen mitzuvertreten hat. 28 Eine Naturalrestitution findet nach § 48 Abs. 3 VwVfG nicht statt; vgl. auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 44. 29 So auch die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 71; ferner Meyer in Meyer/ Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 67; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 44. 30 Vgl. Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (238); Klappstein in Knack , VwVfG, § 48 Rdn. 9.2.3; Ule!Laubinger, VwVerfR, § 62 II 3 c. 31 Vgl. Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 90; Vle/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 3 c. 32 Zu bestehenden Unterschieden allerdings Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, s. 223 (238). 33 Ebenso Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 91. In bezugauf § 49 Abs. 5 Satz 2 VwVfG vgl. auch Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 17 II 2. 12 Knoke

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG c) Rechtsnatur

Die Rechtsnatur des Ausgleichsanspruchs nach § 48 Abs. 3 VwVfG ist zweifelhaft und bisher nicht restlos geklärt. Nach der Intention des Gesetzgebers, die sich in der Wortwahl ("Ausgleich"), der Entstehungsgeschichte34 und der grundsätzlichen Entscheidung für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 48 Abs. 6 1. Halbsatz VwVfG) widerspiegelt, handelt es sich um einen mit dem traditionellen Aufopferungsanspruch nicht identischen oder auch nur vergleichbaren öffentlich-rechtlichen Anspruch eigener Art35. Wie aus der Regelung des § 48 Abs. 6 2. Halbsatz VwVfG ersichtlich wird, war sich der Gesetzgeber dabei aber wohl nicht ganz sicher36; jedenfalls in Ausnahmefällen hielt er es nämlich für möglich, daß Art. 14 GG berührt sein könne und Entschädigung nach Enteignungsgrundsätzen gewährt werden müsse37 . Unklar ließ er dabei indessen, ob der Anspruch aus § 48 Abs. 3 VwVfG sich in diesen Fällen seiner Rechtsnatur nach in einen enteignungsentschädigungsrechtlichen Anspruch umwandeltJ8 oder ob letzterer konkurrierend39 neben den Anspruch aus §·48 Abs. 3 VwVfG tritt oder diesen als vorrangig40 verdrängt. Demgegenüber wird - zumindest für den Regelungsbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG- in der Literatur41 bisweilen die Auffassung vertreten, daß der Anspruch aus§ 48 Abs. 3 VwVfG nicht nur in Ausnahmefällen, sondern allgemein den Charakter eines Enteignungsentschädigungsanspruchs besitze. Diese Sichtweise erscheint gerade unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts42 zum Eigentumsgrundrecht allerdings nur dann konsequent, wenn die dem Ausgleichsanspruch zugrunde liegende Rücknahmeentscheidung in den Fällen der Betroffenheit von EigenVgl. dazu die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 71 . Für einen Anspruch sui generis auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 43, 54; wohl auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 83. Vgl. hierzu auch die Darstellung bei Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (247 f.). 36 Ebenso Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 38. 37 Wenn § 48 Abs. 6 2. Halbsatz VwVfG von einer Entschädigung wegen "enteignungsgleichen Eingriffs" spricht, so wird dabei allerdings verkannt, daß es hier um Folgeansprüche aus einem regelmäßig rechtmäßigen Verwaltungshandeln, nämlich der (fehlerfreien) Rücknahmeentscheidung, geht. Zu Recht kritisch deshalb Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (248). 38 Für diese Alternative wohl eher Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (248). 39 So etwa Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 83. 40 So etwa Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 93, 107. 41 So insbesondere Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (247 ff., 252); ders., Allg. VwR, § 11 Rdn. 38. Zustimmend wohl Ule!Laubinger, VwVerfR, § 62 11 3 e (S. 446 Fn. 33). Unklar K opp, VwVfG, § 48 Rdn. 88, wonach die Regelung des§ 48 Abs. 3 VwVfG "in der Sache" an die Grundsätze des Entschädigungsrechts bei Enteignung oder enteignungsgleichem E ingriff bzw. Aufopferung anknüpfe. 42 Grundlegend vor allem BVerfGE 58, 300 (320, 324, 330 ff.) ; vgl. ferner BVerfGE 52, 1 (27 f.); 56, 249 (260). 34 35

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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turn i. S. des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG43 allgemein den Charakter einer Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG hätte, denn sonstige Entschädigungsleistungen wegen Eigentumsverletzung lassen sich auf der Grundlage der vorgenannten Rechtsprechung wohl nicht (mehr) aus Art. 14 Abs. 3 GG herleiten44. Es erscheint indessen äußerst fraglich, ob die Rücknahme nicht unter § 48 Abs. 2 VwVfG fallender begünstigender Verwaltungsakte regelmäßig als Enteignung und § 48 Abs. 3 VwVfG dementsprechend als aufgrund der "Junktimklausel" des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG notwendigerweise geschaffene Entschädigungsregelung qualifiziert werden können. In dieser Konsequenz wird das wohl auch von Maurer45, der zur Stützung seiner Auffassung vorschlägt, auch eine aus rechtsstaatliehen Gründen geforderte Entschädigung in Art. 14 Abs. 3 GG zu verorten, nicht vertreten. Gegen die regelmäßige Qualifizierung der Rücknahmeentscheidung als Enteignung ergeben sich zunächst Bedenken schon daraus, daß die Rücknahmebefugnis nach§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wegen ihrer Weite und vor dem Hintergrund der Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit eines derart starken Grundrechtseingriffs den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Enteignungsermächtigung nur schwerlich genügen dürfte. Darüber hinaus ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm46 sowie aus dem in § 48 Abs. 6 VwVfG zum Ausdruck kommenden Regel-Ausnahme-Verhältnis47 mit hinreichender Deutlichkeit, daß der Gesetzgeber gerade nicht von einer im Grundsatz enteignenden Wirkung der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG ausgegangen ist. Diese nicht nur subjektive, sondern zugleich auch objektive Wertung des Gesetzes sollte das für die Qualifizierung der Rechtsnatur des Ausgleichsanspruchs ausschlaggebende Moment sein, geht es hier doch um die nähere Kennzeichnung eines gesetzlichen Anspruchs und nicht um die Ableitung von Ansprüchen unmittelbar aus der Verfassung48. Danach bleibt folgendes festzuhalten: Der Anspruch aus § 48 Abs. 3 VwVfG ist ein von der Enteignungs- und Aufopferungsentschädigung zu trennender öffentlich-rechtlicher Anspruch eigener Art49, der noch am ehesten 43 Zur praktischen Relevanz dieser Fälle etwa Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (249 f.) . Ferner unten§ 9 II C 2 a bb bbb (2). 44 Vgl. dazu etwa Baur, NJW 1982, 1734 ff.; Battis, NVwZ 1982, 585 ff.; Leisner, DVBI. 1983,61 ff.; Ossenbühl, NJW 1983, 1 ff.; Schwertfeger, JuS 1983, 104 ff.; Hendler, DVBI. 1983, 873 ff. ; Schmidt-Aßmann in FS f. Univ. Heidelberg, S. 107 (120 ff.). Weitere Nachweise bei Stüer, NuR 1985, 263 (265) in Fn. 15. 4S1 In FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (251 f.). Zur möglichen Grundrechtsrelevanz der Rücknahmeentscheidung vgl. im übrigen unten§ 9 II C 2 a aa bbb (5) . 46 Vgl. dazu die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 71. 47 Vgl. auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn . 83; Rüfner in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 53 II. 48 Vgl. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 83.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

die Züge eines speziellen, auf die Ausgleichung des negativen Interesses gerichteten Schadensersatzanspruchs trägt. Die Regelung des § 48 Abs. 6 2. Halbsatz VwVfG ("sofern nicht eine Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs in Betracht kommt") ändert an der Rechtsnatur des Anspruchs nichts, sondern ordnet für ihn eine allein den Rechtsweg betreffende Zuständigkeitsverschiebungso für die Ausnahmefälle an, in denen neben dem Vermögensausgleich nach § 48 Abs. 3 VwVfG noch ein Anspruch auf Entschädigung nach den Grundsätzen des enteignenden bzw. enteignungsgleichen Eingriffs51 in Betracht kommt. § 48 Abs. 6 2. Halbsatz VwVfG enthält insoweit eine abdrängende Sonderzuweisung von den Verwaltungsgerichten zu den ordentlichen Gerichten und gewährleistet damit, daß in der Sache eine einheitliche Entscheidung ergehen kann.

II. Der abschließende Charakter des Vermögensschutzes im Hinblick auf einen im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Betracht kommenden vertrauensbedingten Bestandsschutz A. Problemstellung: Schutz des Vertrauens des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts als Richtwert der Ermessensentscheidung über die Rücknahme? Die Frage, ob und inwieweit auch bei begünstigenden Verwaltungsakten i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVfG ein Bestandsschutz in Betracht kommt, zählt seit dem Erlaß der Verwaltungsverfahrensgesetze zu den wesentlichen Streitpunkten des Rechts der Rücknahme von Verwaltungsakten nach§ 48 VwVfG. Als Ansatzpunkt für einen solchen Bestandsschutz kommt allein eine Einschränkung des der Behörde in§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eingeräumten Rücknahmeermessens in Betracht, und zwar eine Reduktion des Ermessens auf die eine Entscheidung, daß der Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden darf52. Zuvor ist allerdings die Frage zu beantworten, welche Daten und 49 Entgegen Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 9.2.5., läßt sich ein Unterfall des Folgenbeseitigungsanspruchs- abgesehen vom fehlenden rechtswidrigen Verhalten der Behörde- deshalb nicht annehmen, weil§ 48 Abs. 3 VwVfG nicht auf die Wiederherstellung des status quo ante, sondern auf eine Geldzahlung gerichtet ist. 50 Insoweit zutreffend Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (248). 51 Der Gesetzeswortlaut "enteignungsgleicher" Eingriff ist wohl eher in einem weiten, untechnischen Sinne gemeint, der sowohl den enteignenden als auch den enteignungsgleichen Eingriff (i. e. S.)- zu dieser üblichen Differenzierung vgl. etwa Rüfner in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 52 III 1 - umfaßt. Ansonsten wäre etwa die in der amtl. Begründung - BT-Drucks. 7/910 S. 71 - geäußerte Auffassung, der Widerruf rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakte könne als Fall eines "enteignungsgleichen" Eingriffs angesehen werden, nur schwer verständlich. Für eine engere Begriffsbedeutung aber wohl Johlen, NJW 1976, 2155. 52 Vgl. etwa Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 3 a; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 84, 86. Kritisch im Hinblick auf die bei einem im Ermessen der Behörde stehenden Bestands-

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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Gesichtspunkte bei der Ermessensbildung im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG überhaupt berücksichtigt werden dürfen und welche womöglich aufgrund der Entscheidung des Gesetzgebers für die "Vermögensschutzlösung" ausgeschlossen sind. Dabei wiederum konzentriert sich der Streit im wesentlichen auf die Frage, ob der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes in § 48 Abs. 3 VwVfG eine abschließende Regelung gefunden hat oder ob er zusätzlich bei der Ermessensbildung zum Tragen kommen kann. Soweit zu diesem Problemkreis Stellung bezogen wird53, reichen die Auffassungen von der Unzulässigkeit der Berücksichtigung eines schutzwürdigen Vertrauens des Begünstigten bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme54 über eine nur in Ausnahmefällen, nämlich beim "Leerlaufen" des Vermögensausgleichs nach § 48 Abs. 3 VwVfG, zulässig Berücksichtigungss bis hin zur allgemeinen Berücksichtigungsmöglichkeit des Vertrauensschutzes als einer Ermessensdeterminante unter vielens6. Welche dieser Auffassungen letztlich Zustimmung verdient, soll im folgenden auf der Grundlage einer Auslegung der Vorschrift des§ 48 VwVfG näher untersucht werden.

schutz fehlende präzise gesetzliche Umschreibung der Voraussetzungen zu Recht Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (355 f.) . 53 Offen lassend etwa OVG NW, Urt. v. 29. 11. 83-14 A 2118/77 und 2084/77-. 54 So etwa OVG Münster DVBI. 1980, 885 (887); VGH Mannheim NJW 1980, 2597 (2598); Frotscher, DVBI. 1976, 281 (285); Erichsen, VerwArch Bd. 69 (1978), 303 (308); ders., Jura 1981, 534 (542); Preuß, JA 1977, 265; Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (232); Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.6.3; zumindest im Grundsatz ferner Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 42; dahin tendierend wohl auch OVG Rh.-Pf., Urt. v. 22. 7. 82- 1 A 66/81-. 55 So etwa Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (242 f.); Schenke, DÖV 1983, 320 (323); Wendt, JA 1980, 85 (90); Martens in Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 III; Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 71; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 Il 3 a; wohl auch Pietzcker, NJW 1981, 2087 (2092) : "berichtigende Auslegung"; zumindest im Ergebnis ähnlich Göldner, DÖV 1979, 805 (809 ff.); wohl nicht eindeutig BVerfGE 59, 129 (167). 56 So etwa Lange, WiVerw 1979, 15 (18); ders., Jura 1980, 456 (458); Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 34, 84; ders., GewArch 1986, 177 (181 ff.).; VGH Bad.-Württ. VBIBW 1985, 425 (426); wohl auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 52, 63; Götz, NJW 1976, 1425 (1429); Schleicher, DÖV 1976, 550 (554) ; BVerwG NJW 1981, 87 (zur Baugenehmigung); im Grundsatz ferner Häberle in FS f. Boorberg-Verlag, S. 47 (88); unklar Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (355), der einerseits eine Berücksichtigung des Vertrauensschutzes bei der Ermessensbildung wohl nicht ausschließt, andererseits aber offenbar keinen Bestandsschutz im Wege einer Ermessensschrumpfung gewähren will.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

B. Lösung auf der Grundlage einer Auslegung der Norm 1. Grammatische Auslegung

Aus dem Wortlaut der Vorschrift des§ 48 VwVfG lassen sich für die Beantwortung der Frage, ob der Vertrauensschutz des Begünstigten bei Verwaltungsakten i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVfG Richtwert der Bildung des Ermessens für die behördliche Entscheidung über die Rücknahme sein kann, allein wohl noch keine sicheren Anhaltspunkte entnehmen. Es ist allerdings festzustellen, daß der Gesetzeswortlaut der Berücksichtigung des Vertrauensschutzes als Ermessensdeterminante zumindest nicht eindeutig entgegensteht57 . Was § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG betrifft, läßt nämlich die Formulierung als "Kann"-Vorschrift grundsätzlich Raum für die Berücksichtigung sämtlicher sich aus höherrangigem Recht, wie z. B. der Verfassung, ergebender Ermessensschranken. Ferner läßt sich die in der Verknüpfungsnorm des§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG enthaltene Klausel "darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden" ihrem objektiven Wortsinn nach nicht ohne weiteres dahin deuten, daß außer den dort angeführten andere Einschränkungen der Rücknahmebefugnis und des Rücknahmeermessens nicht mehr in Betracht kommen sollenss. Der Wortlaut des § 48 Abs. 3 VwVfG ist schließlich als der einer bloßen Regelung von Folgen der Rücknahme für die hier interessierende Frage nach den möglichen Determinanten des Rücknahmeermessens ohne maßgebliche Aussagekraft. 2. Historische Auslegung (Entstehungsgeschichte)

Schon deutlichere Anhaltspunkte als dem im Hinblick auf die Beantwortung der Ausgangsfrage weitgehend offenen Wortlaut lassen sich der Entstehungsgeschichte der Regelung des § 48 VwVfG entnehmen. Wie sich insbesondere aus der amtlichen Begründung zu dem dem heutigen § 48 VwVfG entsprechenden § 44 des Regierungsentwurfs 197359 ergibt, ging der klar zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers dahin, in Abweichung von den vor Erlaß der Verwaltungsverfahrensgesetze gültig gewesenen, in der höchst57 Ähnlich Göldner, DÖV 1979, 805 (809) . Bedenklich dagegen Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (243), der den Wortlaut ohne nähere Begründung gegen eine abschließende Regelung des Vertrauensschutzes in § 48 Abs. 3 VwVfG in Anspruch nehmen will. Offenbar im genau entgegengesetzten Sinne Erichsen, VerwArch Bd. 69 (1978), 303 (308); Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (232). 58 Bei einer anderen Sichtweise könnten auch begünstigende Verwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG nicht mehr aus anderen Gesichtspunkten als den in§ 48 Abs. 2 und 4 ausdrücklich genannten in ihrem Bestand geschützt sein. Zu den dort allgemein geltenden Ermessensdeterminanten, die u. U . zum Bestandsschutz führen können, vgl. oben§ 8 IV. 59 BT-Drucks. 7/910 S. 67, 69 und 71. Ähnlich bereits die Begründung zum Musterentwurf 1963, S. 164 ff. , 168 f., 173.

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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richterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum vertrauensbedingten Bestandsschutz bei dem im Recht der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte herzustellenden Interessenausgleich "neue Wege" zu beschreiten. Dieser neue Weg sollte im wesentlichen in der grundsätzlich uneingeschränkten Rücknahmemöglichkeit derjenigen begünstigenden Verwaltungsakte bestehen, die nicht unter den heutigen § 48 Abs. 2 VwVfG fallen. Bei dieser Gruppe von Verwaltungsakten sollte der Vermögensausgleich nach § 48 Abs. 3 VwVfG das Äquivalent für den vor dem lokrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze auch in diesen Fällen nach Maßgabe des jeweiligen schutzwürdigen Vertrauens des Begünstigten gewährten Bestandsschutz sein. In der amtlichen Begründung heißt es dazu auszugsweise: "Nach dem Entwurf soll der Vertrauensschutz ... nicht mehr schlechthin der Aufhebung des begünstigenden Verwaltungsakts entgegenstehen. Der notwendige Interessenausgleich für die schutzwürdig Betroffenen wird durch ... einen Anspruch auf Ausgleich des Vermögensnachteils in Höhe des Vertrauensschutzes gewährt . . .. Der Bestandsschutz tritt demgegenüber zurück". 60

Einen anderen Akzent könnte allenfalls eine einzelne, eher beiläufige Passage in der Begründung zu § 37 Abs. 3 des Musterentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (EVwVerfG 1963) setzen. Dort ist davon die Rede, daß im Zusammenhang mit dem Vermögensausgleich bewußt von einer Kommerzialisierung des immateriellen Interesses abgesehen worden sei, weil dieses nach der Auffassung des Ausschusses bei der lnteressenabwägung im Rahmen des Absatzes 1 Satz 1 Berücksichtigung finden könne60•. Es ist jedoch augenfällig, daß gerade dieser Passus nicht in die Einzelbegründung des der heutigen Gesetzesfassung zugrunde liegenden Regierungsentwurfs übernommen wurde. Die These, derzufolge dieser Umstand offenbar mit dem allgemeinen Bemühen um eine im Verhältnis zum Musterentwurf gekürzte Wiedergabe des Begründungstextes zu erklären sei60b, muß Zweifel erwecken. Letztlich berührt nämlich die Annahme, daß das Vertrauensschutzinteresse des Begünstigten in die Ermessensentscheidung über die Rücknahme mit einfließen könne, die sich im übrigen aus den Materialien der Entstehungsgeschichte erschließende Gesamtkonzeption des historischen Gesetzgebers in einer Weise, die eine entsprechende Klarstellung , wenn schon nicht im Gesetzeswortlaut, so doch jedenfalls inder-im übrigen gegenüber dem Musterentwurf gar nicht so sehr gekürzten - amtlichen Gesetzesbegründung nahegelegt hätte. Bemerkenswert ist darüber hinaus, daß der Gesetzgeber im bewußten Gegensatz zu dem gleichzeitig beratenen, wenn auch erst später in Kraft getreBT-Drucks. 7/910 S. 67. Vgl. Musterentwurf, S. 173. 60b So aber etwa Kopp, GewArch 1986, 177 (182). 60

60a

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

tenen § 45 SGB X einen Vorschlag des Deutschen Anwaltsvereins und des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, der auf eine Verselbständigung der Regelung des § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG bei Geltung für die Rücknahme aller begünstigenden Verwaltungsakte hinauslief, nicht aufgegriffen hat61. Nimmt man alles dieses zusammen, so weist die Entstehungsgeschichte des

§ 48 VwVfG doch recht deutlich in die Richtung, daß dem Gesichtspunkt des

Vertrauensschutzes nach dem Willen des Gesetzgebers in den Fällen des Absatzes 3 durch den dort geregelten Vermögensausgleich abschließend Rechnung getragen werden und dieser Gesichtspunkt damit als Hinderungsgrund für die Rücknahme selbst nicht mehr in Betracht kommen sollte62. 3. Systematische Auslegung

Der zuvor dargelegte Wille des Gesetzgebers hat nicht nur subjektiv in der Entstehungsgeschichte der Norm, sondern darüber hinaus auch objektiv im Aufbau und in der Systematik der Regelung des § 48 VwVfG seinen Niederschlag gefunden63. Dabei ist das wesentliche systematische Argument, welches gegen eine Einbeziehung des Vertrauensschutzes in die Ermessenserwägungen bei der Entscheidung über die Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG spricht, darin zu erblicken, daß der Gesetzgeber den Vertrauensschutz im Unterschied zu den übrigen unerwähnt gebliebenen Determinanten des Ermessens in § 48 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 VwVfG einerseits und § 48 Abs. 3 VwVfG andererseits ausdrücklich sowie in bewußt zwischen Bestandsschutz und Vermögensschutz differenzierender Weise als Gegengewicht zu der nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG grundsätzlich einschränkungslos zulässigen Rücknahme ausgestaltet hat. Der Umstand, daß § 48 Abs. 3 VwVfG dem Absatz 2 dieser Vorschrift gesetzessystematisch gegenübergestellt worden ist, obwohl es sich beim Absatz 3 nicht um eine die Rücknahmebefugnis begrenzende Norm handelt, muß verständigerweise dahin gedeutet werden, daß beide Absätze zusammengenommen im Verhältnis zu § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eine abschließende Regelung im Hinblick auf die Irrrechnungstellung des Vertrauensschutzes treffen sollen. Demgegenüber Vgl. dazu Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 42. So auch Erichsen, VerwArch Bd. 69 (1978), 303 (308) ; ders., Jura 1981,534 (542); Schenke, DÖV 1983, 320 (322); Frotscher, DVBI. 1976, 281 (285) ; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 42; weitgehend auch Göldner, DÖV 1979, 805 (807, 809); a. A. offenbar- aber leider ohne Begründung- Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (243); zweifelnd auch Kopp, GewArch 1986, 177 (182). 63 Ebenso zumindest im Ergebnis Erichsen, VerwArch Bd. 69 (1978), 303 (308); ders. , Jura 1981, 534 (542); Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 42; Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (232); in der Sache wohl auch Frotscher, DVBI. 1976, 281 (285) sowie Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (355), die allerdings in diesem Zusammenhang etwas mißverständlich von der "Fassung" bzw. dem "Wortlaut" der Gesetzesregelung sprechen. 61

62

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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kann die grundsätzliche Subsidiarität der Regelung des § 48 VwVfG gegenüber u. U. in spezialgesetzlichen Rücknahmebestimmungen vorgesehenem Bestandsschutz entgegen Göldner64 nicht als hinreichend starkes gesetzessystematisches Argument für die Auffassung anerkannt werden, daß die gesetzgeberische Wertentscheidung für die Aufgabe des Bestandsschutzes in den Rücknahmefällen des § 48 Abs. 3 VwVfG keine absolute Geltung beanspruchen könne. Dabei wird nämlich übersehen, daß es vorliegend allein um die Frage einer absoluten Geltung dieser Wertentscheidung für den Anwendungsbereich des§ 48 VwVfG geht. 4. Teleologische Auslegung

Die teleologische Auslegung6s, die an den objektiv erkennbaren Sinn und Zweck einer gesetzlichen Regelung anknüpft, bestätigt vorliegend das zuvor anhand der übrigen Interpretationsmethoden gewonnene Bild66. Die im Hinblick auf die Gewährung von Bestandsschutz erkennbar beabsichtigte Differenzierung des Gesetzes zwischen begünstigenden Verwaltungsakten i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG einerseits und solchen i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVfG andererseits würde nämlich weitgehend ihren Sinn verlieren bzw. ihren Zweck verfehlen, wenn auf dem "Umweg" über die Ermessensvorschrift des§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG der Vertrauensschutz bei den unter§ 48 Abs. 3 VwVfG fallenden Verwaltungsakten zusätzlich auch im Rahmen der Rücknahmeentscheidung Berücksichtigung finden und auf diesem Wege- im Grunde nicht anders als bei den unter § 48 Abs. 2 VwVfG fallenden Verwaltungsakten - zum Bestandsschutz führen könnte67. 5. Zwischenergebnis

Bei weitgehend offenem Gesetzeswortlaut weist die historische, systematische und teleologische Auslegung der Norm deutlich in die Richtung, daß der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes bei den nicht unter§ 48 Abs. 2 VwVfG fallenden begünstigenden Verwaltungsakten durch die "Vermögensschutzlösung" des§ 48 Abs. 3 VwVfG verbraucht ist und damit bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme keine Rolle spielen darf. DÖV 1979, 805 (809). Nicht identisch damit ist die Auslegung anhand der Gesamtrechtsordnung entnommener rechtsethischer Prinzipien, die zuweilen auch als "objektiv-teleologische" Kriterien bezeichnet werden. Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, S. 319 ff.; Göldner, DÖV 1979, 805 (810). 66 Zu dem engen Zusammenhang zwischen der systematischen und der teleologischen Interpretationsstufe vgl. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, s. 66. 67 Vgl. auch Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (355) . 64 65

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

C. Überprüfung des bisherigen Auslegungsergebnisses anband der Grundsätze über die verfassungskonforme Auslegung

1. Allgemeines Diejenige Auffassung, welche dem Vertrauensschutz im Rahmen der Entscheidung über die Rücknahme eine ermessensleitende und -bindende Funktion zumißt, stützt sich dabei - ausgesprochen oder unausgesprochen zumeist maßgeblich auf den Gesichtspunkt der verfassungskonformen Auslegung6s. Auf diesem Wege will man den verbreitet geäußerten Bedenken69 gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des§ 48 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 VwVfG entgegentreten. Dieser Weg ist indessen nur dann gangbar, wenn die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Rechtsinstituts der verfassungskonformen Auslegung70 erfüllt sind und zugleich die Grenzen, die dieser Auslegungsmethode gesetzt sind, hinreichend beachtet werden. Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts71 dann geboten, wenn nur eine von mehreren Deutungsmöglichkeiten zu einem Ergebnis führt , welches mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Dementsprechend setzt die Einbeziehung des Vertrauensschutzes in die Determinanten der Ermessensentscheidung über die Rücknahme im Wege einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift des § 48 VwVfG zunächst einmal voraus, daß im Falle eines anderen, nämlich des hier bisher gewonnenen Auslegungsergebnisses ein Verfassungsverstoß anzunehmen wäre.

68 So etwa Maurer in PS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (243); Schenke, DÖV 1983, 320 (323); Kopp, GewArch 1986, 177 (182 f.); ders., VwVfG, § 48 Rdn. 34, 84; wohl auch Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 63; VGH Bad.-Württ. VBIBW 1985, 425 (426). Göldner, DÖV 1979, 805 (810 f.), läßt offen, ob noch eine verfassungskonforme Auslegung oder bereits eine Rechtsfortbildung anzunehmen ist. 69 Vgl. etwa Ule/Becker, Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat, S. 58; Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände, S. 49; Ossenbühl, Rücknahme, S. 166; dens., DÖV 1964, 511 (520) ; Frotscher, DVBI. 1976, 281 (287 ff.); Häberle in PS f. BoorbergVerlag, S. 47 (86 ff.); Erichsen, VerwArch Bd. 69 (1978) , 303 (307) ; dens., Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 129 ff.; Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (354 f.); Fiedler, AöR Bd. 105 (1980), 79 (115 f.); Burmeister, DÖV 1981, 503 (511). 70 Vgl. dazu näher Larenz, Methodenlehre, S. 325 ff.; F. Müller, Juristische Methodik, S. 64 f.; Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 43 ff.; Prümm, Verfassung und Methodik, S. 56 ff. ; Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, passim; Eckert, Die verfasungskonforme Gesetzesauslegung, passim ; Stern, Staatsrecht I, § 4 III 8 d. Vgl. auch bereits oben§ 2 III 2 e . 71 Vgl. etwa BVerfGE 19, 1 (5); 30 129 (148); 32, 373 (383 f.); 49, 148 (157); 59, 336 (350 ff., 355), 360 (386 f.); 69, 1 (55).

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVfG

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2. Ansatzpunkte für eine verfassungskonforme Auslegung im Falle des§ 48 VwVfG Das bisher vor allem aus der Entstehungsgeschichte, der Gesetzessystematik und dem Gesetzeszweck gewonnene Auslegungsergebnis, den Vertrauensschutz des Begünstigten bei Verwaltungsakten i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG ausschließlich im Rahmen der Regelung über den Ausgleich des Vermögensschadens und nicht auch bei der Bildung des Rücknahmeermessens im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu berücksichtigen, löst in zweifacher Hinsicht verfassungsrechtliche Bedenken aus. In Betracht kommt zum einen eine unzureichende Berücksichtigung des Vertrauensschutzes des Begünstigten in Form von Bestandsschutz, soweit ein solcher verfassungsrechtlich unterfangen und dem Gesetzgeber als Maßstab und Rahmen vorgegeben sein sollte. Zum anderen erscheint die von Gesetzes wegen differenzierende Gewährung von Vertrauensschutz in Form von Bestandsschutz auf der einen Seite (Absatz 2) und in Form von (nur) Vermögensschutz auf der anderen Seite (Absatz 3) auch vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG problematisch. a) Die (Un-)Vereinbarkeit des bisherigen Auslegungsergebnisses mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Vertrauensschutz

aa) Verfassungsrang und Verortung des Vertrauensschutzes

Nach nahezu unbestrittener Auffassung72 ist der Vertrauensschutz ein Grundsatz von Verfassungsrang. Demgegenüber ist seine exakte verfassungsrechtliche Verortung nach wie vor im Streit73. Um eine bestimmte Auslegung der Regelung des§ 48 VwVfG an dem verfassungsrechtlichen Gehalt des Vertrauensschutzgrundsatzes messen zu können, muß daher zunächst die Frage der Verortung näher untersucht und entschieden werden.

72 Vgl. nur BVerfGE 59, 128 (152, 164); 63, 215 (223); 70, 69 (84); BVerfG BayVBI. 1986, 493, jeweils m. w. Nachw.; OVG NW, Urt. v. 18. 5. 84-4 A 1942/83 - ; Schenke, DÖV 1983, 320 (323); Göldner, DÖV 1979, 805 (810); Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 130; Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 185. Abweichend wohl nur Püttner, VVDStRL Bd. 32 (1974), 200 (206); dazu kritisch Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (228). 73 Vgl. etwa den Überblick bei Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (226 f.); ferner Püttner, VVDStRL Bd. 32 (1974), 200 (201 ff.); Schenke, AöR Bd. 101 (1976), 337 (359 f.); Preuß, JA 1977, 265 (268 ff.); Burmeister, DÖV 1981, 503 (509 ff.); Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 56 ff.; Ossenbühl, Rücknahme, S. 71 ff.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

aaa) Übersicht über den Stand der Meinungen Als verfassungsrechtlicher Geltungsgrund des Vertrauensschutzes werden insbesondere das Rechtsstaatsprinzip74, namentlich unter Heraushebung der Komponente der Rechtssicherheit7S oder auch des vor allem im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit niedergelegten Abwägungsgebotes76, des weiteren das Sozialstaatsprinzip77, einzelne Freiheitsgrundrechte78, wie etwa Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG79 oder Art. 2 Abs. 1 GGBO, die Menschenwürde81 oder auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GGB2 angesehen. Außerdem gibt es eine Auffassung, welche den Ursprung des Vertrauensschutzgrundsatzes in der "verfassungsbildenden Kraft des Faktischen" sieht, ohne ihn dabei einer bestimmten Verfassungsnorm zuzuordnen83. Schließlich sei der Vollständigkeit halber noch darauf hingewiesen, daß im Zusammenhang mit der 74 So- zuweilen ohne nähere Spezifizierung- etwa BVerfGE 39, 128 (145 f.); 59, 128 (164, 166 f.); 63, 215 (223); 65, 196 (214); BVerwGE 9, 251 (252); OVG NW, Urt. v. 18. 5. 84- 4 A 1942/83 - ; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 5; Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (228). 75 Vgl. BVerfGE 13, 261 (271); 25,269 (290); 45, 142 (168); 69,272 {309); BVerwGE 11, 136 (137); 41,277 (279); VGH Kassel NVwZ 1986,57 (58); Becker, DOV 1967,729 (730); Kimminich, JuS 1965, 249 (254); Ossenbühl, Rücknahme, S. 77 f .; dens., DÖV 1972, 25 (27); Haueisen, DÖV 1961, 121 (128); Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (228); dens., Allg. VwR, § 2 Rdn. 17 und§ 11 Rdn. 22; Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 I; Lipphardt, EuGRZ 1986, 149 (156); Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 47 ff.; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 130 f.; Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (341 f.); Merten, NJW 1983, 1993 (1994) . 76 Vgl. etwa VGH Bad.-Württ. VBIBW 1985, 425 (426); Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 84, 86; Schnapp in FS f. Scupin, S. 899 (912 f.); ferner wohl auch BVerfGE 59, 128 (152, 166). 77 So weitgehend Mainka, Vertrauensschutz, S. 27 ff. , 40; vgl. auch Götz in BVerfG u. GG II, S. 421 (422); ferner die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 67 ("Lehre vom Vertrauensschutz . . . aus sozialstaatliehen Erwägungen zu begrüßen") . Häberle in FS f. Boorberg-Verlag, S. 47 (64 f.)- sieht den Abwägungsvorgang in§ 48 Abs. 2 VwVfG als eine Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips an. 78 Vgl. etwa Kopp, BayVBI. 1980, 38 (40); Götz in BVerfG u. GG li, S. 421 (422); Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974), 148 (180); Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 56 ff.; auf statusbegründende Grundrechte, wie z. B. Art. 12 Abs. 1 GG, bezogen auch Preuß, JA 1977,313 {314 ff.) . 79 So für den gesamten Vertrauensschutz W . Schmidt, JuS 1973, 529 {532 ff.). Hinsichtlich der dem Eigentumsbegriff des Art. 14 GG unterfallenden vermögenswerten Rechte und Güter ferner BVerfGE 45, 142 (168); 51, 193 {218); 53, 253 (309); 58, 81 (120 f.); BVerfG JZ 1983, 752 (754). 80 So vor allem Grabitz, DVBI. 1973, 675 (681 ff.); vgl. ferner Kisker, VVDStRL Bd. 32 {1974), 149 {161, 171, 179 f.). SI So Zuck, DÖV 1960, 580 (582); LSG Bremen DVBI. 1961 , 338 (340); zumindest dahin tendierend wohl auch Frotscher, DVBI. 1976, 281 (288). 82 So etwa Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 59; ders., Diskussionsbeitrag, VVDStRL Bd. 32 (1974), 233 (234) ; Bachof, Diskussionsbeitrag, ebd. S. 228 f. 83 So Burmeister, DÖV 1981, 503 (509 ff.); ders., Vertrauensschutz im Prozeßrecht, s. 20 f .

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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Verortung des Vertrauensschutzes bisweilen auch der Grundsatz von Treu und Glauben mitherangezogen wird84. bbb) Kritische Würdigung der wesentlichen Ableitungsversuche (1) Treu und Glauben

Da für die verfassungskonforme Auslegung der Regelung des§ 48 VwVfG allein diejenigen Ableitungsversuche des Vertrauensschutzes von Interesse sind, welche an Normen der Verfassung anknüpfen, braucht auf die Verortung im Grundsatz von Treu und Glauben nicht weiter eingegangen zu werden, es sei denn, es würde sich dabei um einen Grundsatz mit Verfassungsrang handeln. Trotz vereinzelter Versuche, den Grundsatz von Treu und Glauben als Bestandteil des- von einem materiellen Verständnis ausgehenden- Prinzips des Rechtsstaates zu begreifenss oder seine tiefere Legitimation in Art. 1 Abs. 1 GG zu sehens6, erscheint es indessen zu weitgehend, diesem eher generalklauselartigen und nur wenige feste Konturen aufweisenden allgemeinen Rechtsprinzip Verfassungsrang zuzusprechen87. (2) Menschenwürde Die Heranziehung der Menschenwürde als Grundlage eines verfassungsrechtlich verbürgten Vertrauensschutzes dürfte den Gewährleistungsgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG eher überfordernss. Eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG ist dann anzunehmen, wenn der Mensch zum bloßen Objekt staatlichen Handeins gemacht wird89. Ob ein solcher Fall bei der Nichtgewährung von Vertrauensschutz stets eintritt, läßt sich angesichts der Vielgestaltigkeit denkbarer Vertrauensschutztatbestände einerseits und des eher programmatischen, einer näheren Konkretisierung im Einzelfall bedürftigen Charakters der Norm des Art. 1 Abs. 1 GG andererseits nur schwer beurteilen, erscheint 84 So insbesondere ein Teil der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: vgl. etwa BVerwGE 9, 251 (253 ff.) ; 10, 308 (309); 19, 188 (189 ff.); 21, 119 (124); 40, 147 (150) . Ferner Ossenbühl, Rücknahme, S. 74 ff.; ders. , DÖV 1972, 25 (27); Benda in Handbuch des Verfassungsrechts, S. 477 (496); Frotscher, DVBI. 1976, 281 (288 f.). Vgl. dazu auch Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (227). 85 So etwa H. J. Wolf! in Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 33 (40, 42); zustimmend Schenke, AöR Bd. 101 (1976), 337 (360 Fn. 160). 86 So Frotscher, DVBI. 1976, 281 {288). 87 Ebenso Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974), 149 (162 Fn. 50); Ossenbühl, Diskussionsbeitrag, ebd. S. 240 (241). 88 Vgl. Ossenbühl, Rücknahme, S. 71 f. ; Bode, S. 130 f.; Mainka, Vertrauensschutz, S. 20 f. ; weitgehend ebenso Storz, S. 85. 89 Vgl. etw~ BVerfGE 27, 1 (6); 45, 187 (228); Nipperdey in Die Grundrechte li, S. 1 {23); Dürig in Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Rdn. 28 ff.

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aber eher zweifelhaft. Überdies hat man sich zu vergegenwärtigen, daß es bei der Gewährleistung des Art. 1 Abs. 1 GG im wesentlichen um die Wahrung des personalen Wertes des einzelnen Menschen als eines zur eigenverantwortlichen Lebensgestaltung berufenen Wesens, mithin vornehmlich um den Kernbereich seiner Persönlichkeit und "Privatheit"90 geht. Demgegenüber besteht ein Bedürfnis nach Vertrauensschutz nicht nur in diesem engen Bereich privater Lebensführung, sondern grundsätzlich bei allen im Hinblick auf ein bestimmtes staatliches Verhalten getroffenen Planungen, Entscheidungen und Dispositionen91. Die Verortung des Vertrauensschutzes in der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) ist daher im Ergebnis nicht überzeugend und somit abzulehnen. (3) Sozialstaatsprinzip

In unserem verfassungskräftig verbürgten Sozialstaat (Art. 20 Abs. 1 GG) ist der Bürger in eine immer größere Abhängigkeit von staatlicher Leistungsgewährung geraten92. Auch kann nicht geleugnet werden, daß es gerade den wirtschaftlich Schwachen und sozial besonders Schutzwürdigen zugute kommt, wenn diese in ihrem Vertrauen auf den Bestand leistungsgewährender Verwaltungsakte geschützt werden und als Folge davon eine Rückforderung der Leistung ausgeschlossen ist. Wenngleich damit auch soziale Gesichtspunkte in die Frage nach der Schutzwürdigkeit des Vertrauens mit einfließen können93, können diese auf der anderen Seite doch nicht der maßgebliche Gesichtspunkt für einen durch die Verfassung vorgegebenen Vertrauensschutz sein. Dies zeigt sich zunächst daran, daß der Gedanke des Vertrauensschutzes gemeinhin nicht auf die sozial schwachen Bevölkerungskreise beschränkt wird94 • Hinzu kommt, daß die Grundentscheidung der Verfassung für den Sozialstaat primär einen an den Staat und dabei vor allem den staatlichen Gesetzgeber gerichteten Gestaltungsauftrag enthält; es handelt sich bei ihr dementsprechend um ein im wesentlichen auf Dynamik und nicht auf Statik, wie z. B. die Bewahrung bestehender Rechtsstellungen, ausgerichtetes 90 Vgl. dazu etwa Rüpke, Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatheit, passim; Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, passim; Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 7 ff.; Benda in FS f. Geiger, S. 23 (28 ff.). Ferner - vom unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung sprechend - BVerfGE 27, 1 (6); 33, 367 (376); 35, 33 (39); hierzu auch Scholz, AöR Bd. 100 (1975) , 80 (90) m. w. Nachw. 91 Vgl. auch Mainka, Vertrauensschutz, S. 20; Bode, S. 131. Zur Funktion des Vertrauensschutzes als Dispositionsschutz etwa Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974), 149 ff.; Grabitz, DVBI. 1973, 675 (680 f.). 92 Vgl. statt vieler Erichsen, DVBI. 1983, 289 (290 f.); dazu auch schon Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, S. 4 f. 93 Vgl. BVerwGE 9, 273 (275); ferner die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 s. 67. 94 Dies erkennt auch Mainka, Vertrauensschutz, S. 28 f., der deshalb zur Ableitung im übrigen das Rechtsstaatsprinzip bemüht.

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Prinzip95. Schließlich wird dem sozialstaatliehen Gebot der Herstellung sozialer Gerechtigkeit96 dadurch, daß einem einzelnen ein im Falle der Rücknahme von Verwaltungsakten sogar rechtswidrig erlangter Vorteil aus Vertrauensschutzgründen belassen wird, was dann häufig zu Lasten der Allgemeinheit geht, unter diesem Blickwinkel eher zuwidergehandelt. Im Ergebnis kann daher das Sozialstaatsprinzip nicht als verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes angesehen werden97. (4) Rechtsstaatsprinzip (Rechtssicherheit) Die verbreitet98 vorgenommene Verortung des Vertrauensschutzes im Gebot der Rechtssicherheit als einer Regelungskomponente des Rechtsstaatsprinzips nötigt zu einer näheren Vergegenwärtigung der verfassungsgestaltenden Grundentscheidung für den Rechtsstaat. Das Grundgesetz, welches den Rechtsstaat nicht in Art. 20 Abs. 1 GG, wohl aber in Art. 28 Abs. 1 GG ausdrücklich festgeschrieben hat, nimmt nicht auf ein bestimmtes staatstheoretisches Rechtsstaatsverständnis Bezug99. Der Inhalt des Rechtsstaatsprinzips im Sinne des Grundgesetzes erschließt sich vielmehr aus einer Vielzahl vorhandener Einzelregelungen- wie z. B. Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3, Art. 103 und Art. 104 GG -, welche in ihrer Gesamtheit die Rechtsstaatlichkeit näher ausformulieren und präzisierenloo, und zwar in Verbindung mit den "allgemeinen Grundsätzen und Leitideen, die der Verfassungsgesetzgeber, weil sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt haben, von dem er ausgegangen ist, nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat"101. Der Rechtsstaat, wie er durch das Grundgesetz ausgeformt worden ist, setzt sich aus formellen und materiellen Elementen zusammenl02. Während das materielle Rechtsstaatsverständnis auf die Ver95 Vgl. etwa Suhr, Der Staat Bd. 9 (1977), 67 (72 f.); Zacher, AöR Bd. 93 (1968), 341 (383); dens. in FS f. lpsen, S. 207 (239 ff.); Häberle, VVDStRL Bd. 30 (1972), 43 (112 ff.); Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 46; dazu auch Ossenbühl, Rücknahme, S. 74; ähnlich Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974), 149 (171), der von "Flexibilität" spricht. 96 BVerfGE 5, 85 (198); 40, 121 (133 f.); 52, 303 (348). 97 So auch Püttner, VVDStRL Bd. 32 (1974), 200 (204, 221); Preuß, JA 1977, 665 (668); Ossenbühl, Rücknahme, S. 74; Bode, S. 133; Storz, S. 90 f. 98 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 74 u. 75. 99 Hierzu näher Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 24 f. Vgl. zur "Offenheit" des Rechtsstaatsbegriffs auch Eichenberger, VVDStRL Bd. 40 (1982), 7 (8 f.). 1oo Vgl. etwa Starck, JZ 1978, 746 f.; ausführlich Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, s. 63 ff. 1o1 BVerfGE 2, 380 (LS 4); 25, 269 (290). 102 Zur Unterscheidung eines formellen und eines materiellen Rechtsstaatsverständnisses vgl. etwa Herzog in Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Stichwort "Rechtsstaatlichkeit" Rdn. 15 ff. ; Benda in Handbuch des Verfassungsrechts, S. 477 ff.; ferner BVerfGE 7, 194 (196); 52, 131 (144 f.).

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wirklichung materieller Gerechtigkeit abzielt, wird die formelle Rechtsstaatlichkeit maßgeblich durch die Gewährleistung von Rechtssicherheit geprägt; letztere ist somit ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips im Sinne des Grundgesetzesl03. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts104 bedeutet Rechtssicherheit für den Bürger in erster Linie Vertrauensschutz, indem sie nämlich verlangt, daß der Bürger die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten kann. Von einem Teil der LiteraturlOS werden demgegenüber gegen die Verortung des Vertrauensschutzes in der rechtsstaatliehen Komponente der Rechtssicherheit gewisse Bedenken geltend gemacht, deren Stichhaltigkeit im folgenden näher untersucht werden soll. Zum einen wird darauf abgehoben, daß Rechtssicherheit maßgeblich durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gewährleistet werde, welcher eine gleichmäßige Rechtsanwendung sicherstelle und durch die Bindung an das Gesetz den staatlichen Eingriff gegenüber dem Bürger vorhersehbar und berechenbar mache. Unter diesem Aspekt widerstreite das Prinzip der Rechtssicherheit gerade dem Schutz des Vertrauens in den Bestand rechtswidriger Verwaltungsaktelü6. Richtig daran ist, daß eine gleichmäßige und den Gesetzen entsprechende Rechtsanwendung mit dazu beiträgt, Rechtssicherheit zu schaffen. Auf der anderen Seite erschöpft sich jedoch der Inhalt des Rechtssicherheitsgebotes nicht allein in diesem Aspekt. Ein zumindest ebenso bedeutsamer Bestandteil der Rechtssicherheit ist die Gewährleistung eines geregelten Rechtsfindungsverfahrens mit einem Verfahrensabschluß, dessen Rechtsbeständigkeit gesichert ist107. Rechtssicherheit bedeutet damit nicht zuletzt auch Rechtsbeständigkeit und Rechtsfriedenlos. Da sich das gesamte staatliche Handeln am Rechtsstaatsgebot zu orientieren hat, kann die angeführte Rechtsbeständigkeit nicht auf bestimmte Rechtsquellen (z. B. Gesetze) 103 Vgl. etwa BVerfGE 2, 380 {403); 7, 192 (196); 35,41 (47); 45, 142 (167); 59, 128 (164); 60, 253 (267); BVerwGE 11, 136 (137); 41 , 277 (279); Stern, Staatsrecht I, § 20 III, IV 4 f.; Benda in Handbuch des Verfassungsrechts, S. 477 (482 ff., 496) . 104 So etwa BVerfGE 13, 261 (271); 25,269 (290); 45, 142 (167 f.); 68,287 (307); 69, 272 (309) , vgl. ferner BVerfGE 39, 128 (145 f.); 50, 244 (250) ; 59, 128 {164 ff.); 63 , 215 (223) , 343 (357 f.) . Ebenso auch BVerwGE 41 , 277 (279); Huber in Festg. f. BVerwG, S. 313 (320 f.); Stern, Staatsrecht I,§ 20 IV 4 f. 105 So etwa Püttner, VVDStRL Bd. 32 (1974), 200 {203 f.); Grabitz, DVB!. 1973, 675 (679 f.); Kopp, BayVB!. 1980, 38 f. ; Preuß, JA 1977, 265 (268) ; z. T. kritisch auch Mainka, Vertrauensschutz, S. 17 ff. ; Huber in Festg. f. BVerwG, S. 313 (321). 106 So vor allem Grabitz, DVBL 1973, 675 (679); ähnlich auch Kopp, BayVBl. 1980, 38; Mainka, Vertrauensschutz, S. 19 f. 107 Vgl. BVerfGE 2, 380 (403); Ossenbühl, Rücknahme, S. 77; Haueisen, DVBl. 1964, 710 (715). 108 Vgl. dazu BVerfGE 2, 380 {403); 7, 194 {196); 20, 230 {235); 47,146 (161 , 165 f.); 60, 253 {269 ff.); 61, 126 (136) ; BVerwGE 11, 136 (137); Stern, Staatsrecht I, § 20 IV 5 d; Scholz, NJW 1983,705 f.; Merten, NJW 1983, 1993 f.

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oder Handlungsformen beschränkt sein, sondern muß sich - ohne Unterschiede im Umfang und in der Intensität des "Bestandsschutzes" ausschließen zu wollen - vom Grundsatz her auf alle eine bestimmte Rechtsfolge setzenden Maßnahmen bzw. Entscheidungen des Staates und seiner Organe erstrekken109. Bei der Handlungsform des Verwaltungsakts mit dessen spezifischer Stabilisierungsfunktion kommt dem Gesichtspunkt der Rechtsbeständigkeit in Gestalt des Instituts der BestandskraftllO darüber hinaus eine besondere Bedeutung zu. Hierdurch wird -ebenso wie auch bereits durch die grundsätzlich rechtsfehlerunabhängige Wirksamkeitlll des Verwaltungsakts- das Postulat der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung im Rahmen einer "inneren Antinomie"l12 verschiedener Elemente der Rechtssicherheit bzw. des Rechtsstaatsprinzips überlagert. Allein diese Antinomie schließt es indessen nicht aus, (auch) den Vertrauensschutz im Prinzip der Rechtssicherheit verfassungsrechtlich zu verorten. Die im Prinzip der Rechtssicherheit wurzelnde Rechtsbeständigkeit ist auch nicht, wie zum Teil vertreten wirdll3, aus dem Grunde für die Verortung des Vertrauensschutzes unergiebig, weil sie eine im Verhältnis zum Vertrauensschutz andere Interessenlage zum Gegenstand habe. Zwar spricht einiges dafür, daß die rechtsstaatliche Komponente der Rechtssicherheit und dabei insbesondere der Rechtsbeständigkeit nicht völlig in der Gewährleistung von Vertrauensschutz aufgeht. Es verdient aber keine Zustimmung, wenn diese Komponente der Rechtsstaatlichkeit ausschließlich auf solChe Rechtsinstitute bezogen wird, die- wie etwa die Rechtskraft, die Verjährung und zum Teil auch die Verwirkung - maßgeblich vom Zeitablauf abhängen und dabei einen Vertrauenstatbestand nicht voraussetzen11 4 • Denn die Klarstellungs- und Stabilisierungsfunktion des Verwaltungsakts und die hieran anknüpfende Rechtsbeständigkeit (Bestandskraft) kommen nicht zuletzt auch dem schutzwürdigen Vertrauen des jeweils betroffenen Bürgers zugute, indem sie nämlich dazu führen, daß dieser sein Verhalten auf die durch den Verwaltungsakt geschaffene bzw. gestaltete Rechtslage einrichten kann und er in seinen gerechtfertigten Erwartungen in die Beständigkeit und Dauerhaftigkeit des staatlichen Handeins geschützt wird115. 109 Ebenso Ossenbühl, Rücknahme, S. 77. Hierzu auch Merten, NJW 1983, 1993 (1994 f.). 110 Vgl. dazu oben§ 4 II. 111 Vgl. dazu oben§ 4 I. 112 So Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 56; vgl. dazu auch Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 52. m So etwa Grabitz, DVBL 1973, 675 (679). 114 So aber offenbar Grabitz, DVBL 1973, 675 (679) . 115 Vgl. etwa Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (228); ähnlich auch schon Ossenbühl, Rücknahme, S. 77 f . Nach Merten - NJW 1983, 1993 (1994)- ist der Vertrauensschutz "Reflexwirkung" der Rechtssicherheit für den Bürger, indessen kein eigenständiges Element der Rechtsstaatlichkeit. 13 Knoke

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Insofern findet im Ergebnis der Gedanke des Vertrauensschutzes jedenfalls, soweit es um staatliches Handeln in Form eines Verwaltungsakts geht, seine - wenn auch nicht notwendig einzige - verfassungsrechtliche Grundlage in den rechtsstaatliehen Geboten der Rechtssicherheit, der Rechtsbeständigkeit und des Rechtsfriedens. Dabei kann auch der mit fortschreitender Verfestigung der Verfassungs- und Verwaltungsrechtsdogmatik nur noch bedingt berechtigte Hinweis auf die blankettartige Unbestimmtheit der verfassungsgestaltenden Grundentscheidung für den Rechtsstaat und dessen Komponente der Rechtssicherheit entgegen einer Reihe von Kritikernll6 nicht dazu führen, die Verortung des Vertrauensschutzes im Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. (5) Grundrechtliche Freiheitsgewährleistungen

Neben dem oder auch alternativ zum Rechtsstaatsprinzip werden zunehmend die in den Grundrechten enthaltenen Freiheitsgewährleistungen herangezogen 117, wenn es um die Frage der verfassungsrechtlichen Verortung des Vertrauensschutzes geht. Den erstgenannten Weg ist etwa das Bundesverfassungsgericht gegangen, welches anknüpfend an den rechtsstaatliehen Gehaltll8 der Grundrechte ausgeführt hat, daß der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes zumal durch die Grundrechte verbürgt werde, in denen sich das Rechtsstaatsprinzip besonders nachhaltig auspräge119. Diesen Ansatz hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung - von der von ihm angenommenen, indessen nicht unproblematischen Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in den Fällen eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip einschließlich des daraus abzuleitenden Vertrauensschutzes120 einmal abgesehen - namentlich im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fruchtbar gemacht. Es hat ausgeführt, die Eigentumsgarantie erfülle für die durch sie geschützten vermögenswerten Güter und Positionen die Funktion des allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes gegenüber Eingriffsakten; in ihr habe der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren121_ 116 Vgl. etwa Püttner, VVDStRL Bd. 32 (1974), 200 (203); Kopp, BayVBI. 1980, 38 (39); wohl auch Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 56; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 412 f., 426 ff., 430 f. 117 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 78 bis 80. 118 Vgl. dazu auch Stern, Staatsrecht I, § 20 IV 2 c; Benda in Handbuch des Verfassungsrechts, S. 477 (494). 119 BVerfGE 45, 142 (168) . no Vgl. etwa BVerfGE 63, 215 (223 f.), 343 (358). 121 So etwa BVerfGE 45, 142 (168) ; 51, 193 (218); 53, 257 (309), 58, 81 (120 f.); 64, 87 (104) mit Anmerkung Rüfner, JZ 1983, 755 f.

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In der Literatur sind die grundrechtliehen Ableitungen des Vertrauensschutzes demgegenüber vornehmlich als Alternativlösungen zu der aus unterschiedlichen Gründen für unbefriedigend empfundenen Verortung in der Rechtssicherheitskomponente des Rechtsstaatsprinzips entwickelt worden. Zum Teil wurde dabei der Versuch unternommen, den Vertrauensschutz in seiner Gesamtheit unter den Gewährleistungsgehalt einzelner Grundrechte wie z. B. Art. 2 Abs. 1 GG122 oder Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG123- zu fassen, wohingegen die inzwischen wohl überwiegende Auffassungl24 das jeweils thematisch einschlägige Freiheitsgrundrecht als verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes ansieht. Bevor hierauf näher eingegangen werden soll, hat man sich zunächst zu vergegenwärtigen, daß die grundrechtliche Verortung des Vertrauensschutzes in engem Zusammenhang mit einer übergreifenden, das gesamte Feld der leistenden Verwaltung erfassenden Problematik steht. Es geht hierbei um die Frage des Grundrechtsschutzes für staatlich geleistete Freiheit unter besonderer Betonung des Aspekts einer eventuellen grundrechtliehen Sicherung gegen den (nachträglichen) Entzug dieser Freiheit. Unterstellt man, es gäbe eine hierauf gerichtete grundrechtliche Sicherung, so könnte der dem Leistungsentzug entgegenstehende Vertrauensschutz als ein Teilaspekt dieser Sicherung in Betracht kommen. Allerdings gibt es noch ein besonderes Problem, wenn es- wie vorliegend bei der Rücknahme von Verwaltungsakten- um den Vertrauensschutz im Zusammenhang mit der Korrektur eines rechtswidrigen Handeins der leistenden Verwaltung geht. Insofern bedarf es zusätzlich der Beantwortung der Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit der Entzug contra Iegern geleisteter Freiheit an den Grundrechten zu messen ist. In ihrer ursprünglichen Funktion als Abwehrrechte des einzelnen gegen den Staatt25 schützen die Freiheitsgrundrechte den Bürger vor ungerechtfertigten Beeinträchtigungen seiner Grundrechtssphäre durch staatliches Verhalten, sei es in Form einer rechtswidrigen Begrenzung oder einer rechtswidrigen Einschränkungt26 des jeweiligen grundrechtliehen Schutzbereichs. Je nach dem im 122 So anscheinend Grabitz, DVBI. 1973, 575 (581 ff.); wohl relativierend aber ders., Diskussionsbeitrag, VVDStRL Bd. 32 (1974), 238. 123 So W. Schmidt, JuS 1973, 529 (532 ff.); vgl. aber auch dens., Diskussionsbeitrag, VVDStRL Bd. 32 (1974), 234 f. 124 So etwa Kopp, BayVBI. 1980, 38 (40); Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974) , 149 (182 f.); ders., Diskussionsbeitrag, ebd. S. 239; Bachof, Diskussionsbeiträge, ebd. S. 228 und 242; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 134 ff.; Götz in BVerfG u. GG II, S. 420 (422); Bryde in v. Münch, GG, Bd. I, Art. 14 Rdn. 27, 29; WeberDürler, Vertrauensschutz, S. 56 ff.; weitgehend auch - allerdings auf "statusbegründende" Grundrechte beschränkt- Preuß, JA 1977, 313 (314 ff.). Vgl. dazu auch Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 130. 125 Dazu bereits oben § 7 I 2 a bb mit Nachweisen in Fn. 20. 126 Zur terminologischen Unterscheidung von Schutzbereichsbegrenzung und -einschränkung vgl. näher Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 8 f.

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Einzelfall betroffenen Grundrecht erstreckt sich dabei der gewährleistete Schutz auf bestimmte menschliche Betätigungsformen127- z. B. Art. 2 Abs. 1, 4 Abs. 2, 5, 8, 9 und 12 GG -, auf bestimmte erworbene bzw. verfassungsrechtlich festgeschriebene Rechtspositionen- z. B. Art. 14 Abs. 1 Satz 1, 16 Abs. 1 GG- oder auf bestimmte personale Rechtsgüter- z. B. Art. 2 Abs. 2, 10 und 13 GG. Auch heute noch kommt diesem Schutz der lndividualsphäre, des liberalrechtsstaatliehen "status negativus"128 eine große Bedeutung zu, die allerdings im Gefolge einer fortschreitenden Relativierungi29 der herkömmlichen Trennung von Staat und Gesellschaft notwendiger Ergänzungen bedarf. Man hat sich insoweit zu vergegenwärtigen, daß der St~at in weiten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens nicht mehr allein mit den Mitteln des Ge- und Verbots in die Freiheitssphäre des einzelnen eingreift, sondern er durch die Gewährung und Verteilung staatlicher Leistungen häufig erst die tatsächlichen Voraussetzungen und Bedingungen für die Verwirklichung realer Freiheit schafft130 • Dabei darf man allerdings nicht dem Trugschluß erliegen, daß der moderne Leistungsstaat nur "freiheitsschaffend" tätig würde. Teilhabe an staatlichen Leistungen kann sich vielmehr für den Bürger auch "freiheitsbedrohend bzw. -nivellierend" auswirken. Der Staat ist nämlich in der Lage, über die Gewährung, Dosierung und den Entzug der Leistung in mitunter existentiellen gesellschaftlichen Bereichen Abhängigkeiten zu schaffen und verhaltenssteuernd auf seine Bürger einzuwirkenm. Gerade dieser freiheitsgefährdende Aspekt des Leistungsstaates führt mehr noch als die Problematik etwaiger verfassungsunmittelbarer Ansprüche auf bestimmte Leistungenl32 zu der begründeten und wohl allein der umfassenden Schutzfunktion des Art. 1 Abs. 3 GG gerecht werdenden Forderung, daß die (Freiheits-)Grundrechte auch als Normen zur Disziplinierung staatlicher Steuerung durch Leistung verstanden werden müssen m . 127 Es läßt sich auch von Handlungsmöglichkeiten sprechen; so etwa Häberle, AöR Bd. 109 (1984), 36 (48 f.). 128 Zur sog. "Status-Lehre" grundlegend G. Jellinek, Allg. Staatslehre, S. 418 ff.; ders., System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 81 ff. ; weiterführend Häberle, VVDStRL Bd. 30 (1972), 43 (80 ff.). Vgl. auch Starck in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Rdn. 110 ff. I29 Vgl. etwa Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 11; H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 47 ff.; Erichsen/Reuter, Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt, S. 19. 130 Vgl. statt vieler Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, S. 4 f.; Häberle, VVDStRL Bd. 30 (1972), 43 (47, 59,90 f., 96 f.); Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliehe Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, S. 63 ff., 323 ff. m. w. Nachw. 131 Dazu eingehend Erichsen, DVBI. 1983, 289 (290 f.); vgl. ferner Erichsen/Reuter, Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt, S. 19 f. 132 Die Herleitung derartiger originärer Leistungsansprüche aus den Grundrechten wird heute- von wenigen Ausnahmen abgesehen - weitgehend abgelehnt. Vgl. dazu etwa die Darstellung bei Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, s. 70 ff.

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Dies steht in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts134, nach der es für die Grundrechtsrelevanz einer staatlichen Maßnahme sowie den damit als kompetentielles Schutzprinzip verbundenen Gesetzesvorbehalt nicht mehr maßgeblich auf die dogmatische Unterscheidung von (gezieltem) Eingriff und Leistung ankommt. Hieran wird aber zugleich deutlich, daß die Grundrechtserheblichkeil staatlicher Tätigkeit - und dies gilt insbesondere im Bereich der leistenden Verwaltung- kaum mehr mit den für den Eingriffsstaat entwickelten Kriterien erfaßt und beurteilt werden kann, woraus sich ein zwar erkanntes, bisher aber- über einige Ansätze hinaus- noch nicht bewältigtes dogmatisches Defizit ergibtl35. Das Bundesverfassungsgericht behilft sich in diesem Zusammenhang damit, daß es auf die Bedeutung abstellt, die der jeweiligen staatlichen Maßnahme für die Verwirklichung der Grundrechte zukommt136. Dieser im Grundsatz Zustimmung verdienendem Ansatz bedarf indes noch näherer Ausformung, zumal wegen der weitgehenden Offenheit und Konturenlosigkeit der vom Bundesverfassungsgericht verwendeten Termini (z. B. wesentlich, grundlegend) ein zuverlässiges und praktikabeles Abgrenzungskriterium damit allein noch nicht gewonnen sein dürfte. Die Aufgabe, vor der demzufolge die Verfassungs- und Verwaltungsrechtsdogmatik nach wie vor steht, im Rahmen der vorliegenden Untersuchung umfassend bewältigen zu wollen, wäre ein im Hinblick auf den ohnehin schon beträchtlichen Umfang der Arbeit kaum mögliches Unterfangen. Infolgedessen muß es hier bei einigen weiterführenden Überlegungen prinzipieller Natur bleiben. Ausgehend von den grundrechtliehen Regelungsbereichen und unter Mitberücksichtigung der bereits angesprochenen13B freiheitsbedrohenden Seite der Leistungsverwaltung wird man die Grundrechtsrelevanz einer staatlichen Maßnahme wie folgt zu bestimmen haben: Eine solche ist immer dann an den Grundrechten zu messen, wenn sie bzw. eine ihrer mittelbaren, verhaltenssteuernden Wirkungen den Bürger in der Ausübung von Freiheiten betrifft, die einem grundrechtlich thematisierten Lebensbereich unterfallen. Vor dem Hintergrund eines effektiven Freiheitsschutzes im heutigen "modernen" Lei133 So vor allem Erichsen, DVBI. 1985, 22 (27); Erichsen/Reuter, Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt, S. 20. 134 Grundlegend insbesondere BVerfGE 47, 46 (78 f.); 49, 89 (126 f.); vgl. auch schon BVerfGE 40, 237 (249); 46, 120 (137 f.); eher eingriffsorientiert noch BVerfGE 41, 251 (262 f.). m Vgl. Häberle, VVDStRL Bd. 30 (1972), 43 (66 ff.); Erichsen, DVBI. 1983, 289 (292 f.). 136 So etwa BVerfGE 47,46 (79); vgl. ferner BVerfGE 56, 1 (13); 57,295 (321); 61, 260 (275); BVerwGE 64, 308 (311) . 137 Vgl. auch Erichsen, DVBI. 1985, 22 (27); Erichsen/Reuter, Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt, S. 20 f. 138 Vgl. oben vor Fn. 131.

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stungsstaat kann es dabei keinen entscheidenden Unterschied machen, ob durch die betreffende Maßnahme auf die natürlich vorhandene, "vorstaatliche" Freiheitssphäre oder auf eine erst durch staatliche Leistung ermöglichte Freiheit eingewirkt wird. Zwar wird in letzterem Falle der Freiheitsraum in aller Regel erst durch einfaches Gesetz bzw. aufgrundeines solchen eröffnet. Konkretisiert, aktualisiert und entfaltet der Gesetzgeber seiner Aufgabe entsprechend die Vorbedingungen und Voraussetzungen realer Grundrechtsverwirklichung, so handelt dieser jedoch seinerseits im grundrechtsrelevanten Bereich und muß sich sein die Verwaltung programmierendes und steuerndes Handeln einschließlich etwaiger nachträglicher Änderungen und Modifizierungen konsequenterweise auch am Maßstab der Grundrechte messen lassen139. Dieser durch die Grundrechte gewährleistete Schutz darf nicht- als reiner Kontrollmaßstab - mit dem Erlaß des jeweiligen einfachen Gesetzes enden, sondern er muß im Hinblick auf die Sicherung des Bestandes der ermöglichten Freiheit als, wie noch näher aufzuzeigen sein wirdl 40, wesentliches Element des Freiheitsschutzes auch Wirkungen für die Zukunft, d. h. für das weitere Schicksal der staatlich geleisteten Freiheit, zeitigen. Im einzelnen ziehen die Freiheitsgrundrechte dem (leistungs-)staatlichen Handeln in folgender Weise Grenzen. Soweit es um die Festlegung der Voraussetzungen einer staatlichen Leistungsgewährung geht, begründen sie in ihrer Funktion als objektiv-rechtliche Prinzipien und..Wertentscheidungenl41 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip für den Gesetzgeber von Verfassungs wegen den Auftrag, bestimmte Mindestanforderungen im Hinblick auf die Schaffung der Vorbedingungen zur Verwirklichung realer Freiheit zu beachten142. Kommt der Gesetzgeber diesem Verfassungsauftrag in Gestalt entsprechender Leistungsgesetze nach, so bedarf die solchermaßen geleistete Freiheit allerdings noch einer weiteren Absicherung. Denn nicht nur die Versagung einer Leistung kann den Effekt einer Betroffenheit des einzelnen in bezug auf die Verwirklichung seiner Grundrechte auslösen143. In zumindest gleichem Maße ist dieser in seiner gesellschaftlichen Existenz als ein sich in (natürlicher und staatlich geleisteter) Freiheit entfaltendes Individuum auch auf den Fortbestand der Leistung angewiesen, zumal dann, wenn er sich gesteuert durch den Leistungsbezug- hierauf in seinem ganzen übrigen Verhalten eingerichtet hat. Da ein effektiver Grundrechtsschutz weitgehend leer139 Vgl. zum Verhältnis von Grundrechten und einfachgesetzlich begründeten subjektiven öffentlichen Rechten auch Ramsauer, AöR Bd. 111 (1986) , 501 (513 ff.). 140 Vgl. unten vor Fn. 144. 141 Vgl. dazu etwa BVerfGE 21, 362 (371 f.); 49, 89 (141 f.); Jarass, AöR Bd. 110 (1985), 363 ff.; Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, S. 133 ff. 142 Vgl. auch Erichsen, DVBI. 1983, 289 (294 f.), der den Gesetzgeber jedenfalls in Bereichen existentieller Abhängigkeit des Bürgers zur Einräumung entsprechender subjektiver Rechte auf Leistung für verpflichtet ansieht. 143 Ähnlich Bethge, NVwZ 1983, 577 (580).

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liefe, wenn er nur die Sicherung des Entstehens eines Freiheitsraumes zum Inhalt hätte, muß dieser Freiheitsraum, ohne daß damit indes eine Ewigkeitsgarantie verbunden wäre, auch einen gewissen, grundrechtlich abgesicherten Bestandsschutz genießen144 . Demgemäß wird das staatliche Handeln durch die Grundrechte auch insofern begrenzt und diszipliniert, als es um den Entzug bzw. die nachträgliche Beschränkung oder Modifizierung geleisteter Freiheit geht145. Auch hier ist der Gesetzgeber aufgerufen, Regelungen zu schaffen, die dem grundrechtliehen Freiheitsschutz, der in diesem Zusammenhang vornehmlich Abwehr- und Sicherungscharakter hat, ausreichend Rechnung tragen und ihn mit etwaigen anderen, konfligierenden Verfassungsgütern harmonisieren. Bei der nur im Einzelfall zu beantwortenden Frage, ob der Gesetzgeber den grundrechtliehen Anforderungen genügt hat, können die Grundprinzipien des Übermaßverbotes, insbesondere das im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz enthaltene Abwägungsgebot, unbeschadet des Umstandes, daß sie im Hinblick auf den Eingriffsstaat entwickelt worden sind, jedenfalls bis zur Herausbildung verfeinerter dogmatischer Kriterien eine gewisse Hilfe und Beurteilungsgrundlage sein. Hiervon ausgehend bestehen im Grundsatz keine Bedenken, in den Fällen, in denen auf einen grundrechtlich thematisierten Lebensbereich durch ein staatliches Verhalten in der Weise eingewirkt wird, daß zugleich ein schutzwürdiges Vertrauen des Grundrechtsträgers nachteilig betroffen wird , den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes in den Grundrechtsschutz mit einzubeziehen. Bedarf beispielsweise eine bestimmte gewerbliche Betätigung der vorherigen Einholung einer staatlichen Erlaubnis, so erscheint es von der Sachnähe und Konnexität her gerechtfertigt, daß der in diesem Falle durch das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) gewährleistete Schutz des betreffenden Lebensbereichs sich zugleich auf den Schutz des Vertrauens in den (Fort-)Bestand der Erlaubnis miterstreckt. Der (Fort-)Bestand der Erlaubnis ist hier nämlich für mögliche Einwirkungen des Staates - z. B. durch Untersagung der Ausübung des Gewerbes oder Anordnung der Betriebsschließung - auf die grundrechtliche Betätigung von unmittelbarer und nachhaltiger Bedeutung. Eine ähnliche, eher noch deutlicher für die Einbeziehung des Gedankens des Vertrauensschutzes streitende Interessenlage ist dann gegeben, wenn der (Fort-)Bestand grundrechtlich - etwa durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG - unterfangener Rechtsstellungen in Frage steht. Schließlich läßt sich auch dem grundrechtlich ausgeformten personalen Rechtsgüterschutz die staatliche Verpflichtung entnehmen, das Vertrauen des 144 Vgl. zu Entstehenssicherung und Bestandsschutz als Strukturmodell des Grundrechtsschutzes näher Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 24 ff. ; zur Bedeutung des (grundrechtlichen) Bestandsschutzes als Komponente des verfassungsrechtlich gewährleisteten Vertrauensschutzes im übrigen ausführlicher unten § 9 li C 2 a bb bbb. 145 So ansatzweise wohl auch schon W. Martens, VVDStRL Bd. 30 (1972), 7 (12 f.).

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Bürgers in die unbeeinträchtigte Erhaltung des jeweils betroffenen Rechtsgutes zu respektieren 146, wenngleich es in diesem letztgenannten Bereich in der Regel nicht um ein Vertrauen in den (Fort-)Bestand eines begünstigenden Verwaltungsakts geht. Trifft der Bürger in einem grundrechtlich thematisierten Freiheitsbereich bestimmte Dispositionen materieller oder immaterieller Art, so muß er vor dem Hintergrund eines möglichst effektiven und lückenlosen Grundrechtsschutzes im Grundsatz auch darauf vertrauen dürfen, daß diese Dispositionen nicht im Nachhinein durch staatliche Maßnahmen entwertet werden. Insofern ist der durch die Grundrechte vermittelte Vertrauensschutz zugleich Dispositionsschutzl47. Dabei läßt sich die Disposition oder- etwas umfassender ausgedrückt - das jeweilige Vertrauensverhalten als eine Form "positiver" Aktualisierung grundrechtlicher Freiheit begreifent48. Auf der anderen Seite hat man sich allerdings zu vergegenwärtigen, daß der insoweit durch die Freiheitsgrundrechte gewährleistete Vertrauens- und Dispositionsschutz nicht schlechthin jeden, wie auch immer gearteten Vertrauenstatbestand erfassen kann, sondern daß ein vom Bürger investiertes Vertrauen immer nur im Hinblick auf seine besondere Bedeutung für die Realisierung grundrechtlicher Freiheit im Rahmen eines bestimmten, grundrechtlich thematisierten Lebensbereichsam Grundrechtsschutz teilhatt49. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß ein durch die grundrechtliehen Freiheitsgewährleistungen verfassungsrechtlich unterfangener Vertrauensschutz nur nach Maßgabe der bei den einzelnen Grundrechten zum Teil unterschiedlich ausgestalteten Sicherungen gegenüber staatlichen Eingriffen, wie insbesondere den jeweiligen Gesetzesvorbehalten, besteht. Letzteres bedeutet indessen nicht, daß der Gesetzgeber frei darüber bestimmen könnte, ob im grundrechtsrelevanten Bereich Vertrauensschutz .zu gewähren ist oder nicht. Insbesondere die Grundsätze des Übermaßverbotes -Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeif im engeren Sinne - setzen nämlich dem im Rahmen der Gesetzesvorbehalte tätig werdenden Gesetzgeber gewisse Grenzen, die dieser auch bei der näheren Konkretisierung und Ausgestaltung des grundrechtsbezogenen Vertrauensschutzes zu beachten hat. In Verbindung mit dem Übermaßverbot vermögen die grundrechtliehen Freiheitsgewährleistungen deshalb durchaus einen von Verfassungs wegen gebotenen Mindestvertrauensschutztso 146 Der Zusammenhang von Rechtsgüterschutz und Vertrauensschutz wird insbesondere herausgestellt von Kopp, BayVBI. 1980, 38 (39 f.). 147 Vgl. etwa Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974), 149 ff.; Grabitz, DVBI. 1973, 675 (678, 680 f.) . 148 Vgl. zu diesem sog. "positiven" Freiheitsbegriff etwa Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht , S. 208 ff., 223 f., 243 f.; dens., DVBI. 1973, 675 (681 f.); Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 288; ähnlich auch Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974), 149 (161): "Freiheit zu verantwortlichem und sinnvollem Handeln". 149 So auch Kopp, BayVBI. 1980, 38 (40).

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zu gewährleisten. Reduziert man die grundrechtliche Ableitung des Vertrauensschutzes auf diese Bedeutung, so bleibt auch für die ansonsten teilweise berechtigte Kritik, die grundrechtliehen Gewährleistungsgehalte könnten der Vielfalt und den Besonderheiten der in Betracht kommenden Vertrauensschutztatbestände nicht immer genügend Rechnung tragen und den Normbereichen der Grundrechte sei schwerlich eine konkrete Aussage über den Umfang des im Einzelfall zu gewährenden Vertrauensschutzes zu entnehment5I, keine wesentliche Angriffsfläche mehr. Der durch die Freiheitsgrundrechte gewährleistete Vertrauensschutz kann allerdings als Schranke der Rücknahme von Verwaltungsakten, d. h. des vom Gesetzgeber dabei zur Verfügung sehenden Gestaltungsrahmens, nur dann eine Bedeutung erlangen, wenn auch auf der Grundlage eines rechtswidrigen, mithin contra Iegern erlassenen Verwaltungsaktes erworbene Rechtspositionen bzw. wahrgenommene Handlungsmöglichkeiten grundrechtliehen Schutz genießen können. Von einer verbreiteten Auffassungt52 wird letzteres zumeist ohne nähere Begründung in Abrede gestellt. Dem kann aber zumindest in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden. Zwar können Gesetze, welche im übrigen mit der Verfassung in Einklang stehen, auf den Umfang grundrechtlicher Schutzbereiche dergestalt Einfluß nehmen, daß sie Grundrechtsbegrenzungen, die sich insbesondere aus dem Grundsatz der Einheit der Verfassungl53 ergeben, näher konkretisieren. So gesteht beispielsweise Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dem Gesetzgeber ausdrücklich zu, Inhalt und Schranken der grundrechtliehen Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) zu bestimmen. Das bedeutet auf der anderen Seite jedoch nicht, daß sich der Grundrechtsschutz dann, wenn der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, nur noch im Rahmen bzw. nach Maßgabe der bestehenden gesetzlichen Regelungen vollzöget54. Dem steht im Grundsatz schon Art. 1 Abs. 3 GG entgegen, wonach die Grundrechte alle staatlichen Gewalten als unmittelbar geltendes Recht binden. 150 Ebenso wohl auch Göldner, DÖV 1979, 805 (811). Burmeister- DÖV 1981, 503 (510 f.) -siedelt das Vertrauensschutzprinzip deshalb neben den Grundrechten bzw. außerhalb derselben an, weil er darunter soweit ersichtlich nur "weitergehende" Handlungsbindungen und Gestaltungsbarrieren versteht, d. h. solche, die .~ich nicht bereits aus dem Schutzgehalt der Grundrechte und den Ausprägungen des Ubermaßverbotes ergeben. 151 Vgl. etwa Frotscher, DVBI. 1976, 281 (287); Preuß, JA 1977, 265 (271). 152 So etwa Papier, DVBI. 1975, 565 (571); Püttner, VVDStRL Bd. 32 (1974), 200 (204); Johlen, NJW 1976, 2155; Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (227 Fn. 10); Schenke, DÖV 1983, 320 (327); wohl auch Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 58; unklar VGH Kassel NVwZ 1986, 57 (58). 153 Vgl. etwa BVerfGE 28, 243 (261); 30, 173 (193); 47, 46 (76); dazu auch Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 71; Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 8.f., 179m. w. Nachw. 154 So aber wohl BVerwG DVBI. 1965, 766 (767).

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Aber auch dann, wenn man - was einiges für sich hat - der Auffassung zuneigen sollte, der Gesetzgeber konkretisiere und begrenze mit dem Erlaß eines seinerseits verfassungsmäßigen Leistungsgesetzes zugleich verbindlich die grundrechtliche Freiheitssphäre im Hinblick auf das zur Verwirklichung realer Freiheit Nötige, folgt hieraus noch nicht notwendig die Verneinung jeglichen Grundrechtsschutzes im Zusammenhang mit dem Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand eines in Ausführung des jeweiligen Gesetzes ergangenen, dabei allerdings den gesetzlichen Rahmen verkennenden bzw. überschreitenden Verwaltungsakts. Insoweit bleibt nämlich folgendes zu berücksichtigen: Zwar läßt sich von diesem Ausgangspunkt aus nachvollziehbar argumentieren, daß der Entzug einer unter Überschreitung des gesetzlich festgelegten Rahmens erbrachten staatlichen Leistung die Grundrechtssphäre des Begünstigten im Grunde nicht berühren kann. Dies gilt jedenfalls für das contra legem Geleistete als solches. Insoweit wird man demzufolge einen durch die Grundrechte gewährleisteten Schutz allenfalls noch unter Zuhilfenahme einer etwa von Maurer155 vertretenen Konstruktion annehmen können, wonach ein rechtsstaatlich gebotener Vertrauensschutz, sofern er eingreift, die rechtswidrig erlangte Position im Ergebnis zu einer rechtlich anerkannten und damit auch im grundrechtliehen Bereich geschützten werden läßt. Der zusätzlichen Verankerung des Vertrauensschutzes in den Freiheitsgrundrechten bedarf es allerdings bei dieser Sichtweise kaum. Die (Folge-)Wirkungen der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts erschöpfen sich indes in aller Regel nicht in dem Entzug der gewährten Leistung bzw. sonstigen Begünstigung. Vielmehr wird- zumindest mittelbar - auch auf das übrige Verhalten des Betroffenen eingewirkt, das dieser gesteuert durch den gewährenden staatlichen Akt und im Vertrauen auf dessen Bestand gezeigt hat. In diesem Zusammenhang geht es im wesentlichen um die Frage des Schutzes des Bürgers vor einer Entwertung der von ihm selbst auf der Grundlage einer staatlich eröffneten Handlungsmöglichkeit getroffenen Dispositionen156. Werden solche Dispositionen in Ausübung grundrechtlich thematisierter Freiheit - wie z. B. der Berufsfreiheit (Art. 12 GG), der Baufreiheit (Art. 14 GG) oder der Freiheit wirtschaftlicher Betätigung (Art. 2 Abs. 1 GG)- vorgenommen, so tritt die staatliche Begünstigung in ihrer Funktion als reine Vorbedingung dieser Freiheitsverwirklichung nicht selten hinter den Einsatz eigener Mittel und Fähigkeiten des Begünstigten, z. B. von Kapital und Arbeit, zurück. Dies spricht eher dafür, die auf solche Weise geschaffenen Werte und ausgeschöpften Handlungsfreiräume nicht mehr als in erster Linie durch den rechtswidrigen staatlichen Akt in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (227 Fn. 10, 249). Ebenso Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (250). Vgl. zum (grundrechtliehen) Vertrauensschutz in Gestalt von Dispositionsschutz ferner bereits oben bei Fn. 147. !55

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(conta Iegern erlassenen Verwaltungsakt) erlangt anzusehenm, so daß der "Makel" der Rechtswidrigkeit auf sie nicht, zumindest nicht uneingeschränkt übergreift. Ist das aber nicht der Fall, so ist insoweit die Grundrechtssphäre des Begünstigten durch den Inhalt des zugrunde liegenden (Leistungs-)Gesetzes nicht von vornherein begrenzt und demzufolge die Entwertung der getroffenen Dispositionen am Maßstab des grundrechtliehen Vertrauensschutzes zu messen. Schließlich spricht- wenn auch unterhalb der verfassungsrechtlichen Ebene noch folgende Überlegung dagegen, dem Umstand der Rechtswidrigkeit der gewährten Begünstigung im vorliegenden Zusammenhang eine entscheidende Bedeutung zuzuerkennen. Für den hier in erster Linie interessierenden Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten hat die geltende Rechtsordnung (vgl. §§ 43 ff. VwVfG) selbst festgelegt, daß die Gesetzmäßigkeit keine notwendige Voraussetzung für die Geltung der in einem Verwaltungsakt ausgesprochenen Rechtsfolgen sein soll. Es treten nämlich, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurdetss, äußere und innere Wirksamkeit des Verwaltungsakts grundsätzlich unabhängig von der Frage seiner Rechtmäßigkeit ein. Gibt damit die Rechtsordnung selbst zu erkennen, daß sie in gewissen Bereichen der rechtlichen Geltung eines rechtswidrigen staatlichen Handeins den Vorrang vor der strikten Durchsetzung des Gesetzmäßigkeitsprinzips einräumt, so können die auf solche Weise dem Bürger rechtsgültig und -verbindlich eingeräumten Rechtspositionen, soweit sie thematisch den Regelungsbereichen grundrechtlicher Freiheitsgewährleistungen unterfallen, schwerlich als generell einem grundrechtliehen Schutz nicht zugänglich qualifiziert werden159. Dafür spricht nicht zuletzt auch, daß die in besonderem Maße freiheitsbedrohende verhaltenssteuernde Wirkung eines rechtsverbindlichen Verwaltungsakts - sieht man vielleicht einmal von den Fällen einer Kenntnis der Rechtswidrigkeit seitens des Betroffenen ab - unabhängig davon zum Tragen kommt, ob das staatliche Handeln gesetzmäßig gewesen ist. Läßt sich danach- in dem zuvor dargelegten Umfang - der auf grundrechtlieh thematisierte Rechtsgüter und -positionen bezogene Vertrauensschutz in den betreffenden Freiheitsgrundrechten verfassungsrechtlich verorten, so überzeugt es allerdings nicht, wenn dieser Vertrauensschutz allein einem bestimmten Grundrecht, wie z. B. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG, zugeordnet wird. Vgl. auch W. Weber, AöR Bd. 91 (1966), 382 (401); Storz, S. 89. Vgl. oben § 4 bei Fn. 1. 159 Ähnlich wohl auch Grabitz, Diskussionsbeitrag, VVDStRL Bd. 32 (1974) , 238; vgl. zum Fall der Rücknahme einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ferner BVerfG EuGRZ 1986, 257 (259). Im Ergebnis für grundrechtliehen Vertrauensschutz als Schranke d~r Rücknahmebefugnis auch Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 430 f.; Göldner, DOV 1979, 805 (811 Fn. 52): "Richtigerweise dürften Grundrechtsschutz und Rücknahmebefugnis in dialektischer Wechselwirkung zu sehen sein" . 157

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Was zunächst die Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG betrifft, so ist abgesehen von der umstrittenen Frage, ob und inwieweit subjektive öffentliche Rechte in den Regelungsbereich dieses Grundrechts einbezogen werden können160, bereits entscheidend zu berücksichtigen, daß vom Eigentumsbegriff des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG allein der Bereich vermögenswerter Rechtspositionen mitsamt dem in deren Bestand investierten Vertrauen abgedeckt wird161. Für die daneben vorkommenden Vertrauenstatbestände im nichtvermögenswerten, immateriellen Bereich - insoweit sei etwa auf Entscheidungen über Fragen der Staatsangehörigkeit oder auf Prüfungsentscheidungen hingewiesen - kann die Eigentumsgarantie, will man den Begriff des Eigentums nicht unzulässig erweitern, demgegenüber keinen Schutz gewähren162. Ähnlich wie Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG kann auch Art. 2 Abs. 1 GG nicht verfassungsrechtliche Grundlage des gesamten Vertrauensschutzes, ja nicht einmal desjenigen im nichtvermögenswerten Bereich sein163, Von dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG werden nämlich nach zutreffender Auffassung nur diejenigen Lebensbereiche erfaßt, die nicht bereits in den übrigen speziellen Freiheitsgrundrechten thematisiert sind, d. h. die sog. Innominatfreiheiten164, Der Vertrauensschutz läßt sich demzufolge nicht ausschließlich in einem bestimmten Grundrecht oder auch in zwei Grundrechten verorten; er wird vielmehr durch die ausgehend von der Zielrichtung des Vertrauens jeweils thematisch betroffenen Freiheitsgrundrechte verfassungsrechtlich unterfangen165, wobei neben der den weiten Bereich vermögenswerter Rechte abdekkenden Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG beispielsweise auch Art. 12 Abs. 1 GG166, Art. 16 GG167 oder- bei ehe- und familienbezogenen 160 Vgl. zum Meinungsstand ausführlich etwa Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 119 ff.; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 310 ff., beide m. w. Nachw. Für den Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten vgl. ferner Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (251 ff.); VGH Kassel NVwZ 1986, 57 (58). 161 Ebenso etwa BVerfGE 45, 142 (168); 51, 193 (218); 53,257 (309); 58, 81 (120 f.); 64, 87 (104); Kopp, BayVBI. 1980, 38 (40); Bryde in v. Münch, GG, Bd. I, Art. 14, Rdn. 27, 29; Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 59 f. 162 Vgl. Püttner, VVDStRL Bd. 32 (1974), 200 (204); Achterberg, Diskussionsbeitrag, ebd. S. 233; dens., Allg. VwR, § 23 Rdn. 57; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 136 f.; Frotscher, DVBI. 1976, 281 (287); Papier, DVBI. 1975, 567 (570). 163 Ebenso etwa Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 143; zur Kritik der Verortung des Vertrauensschutzes in Art. 2 Abs. 1 GG vgl. auch Frotscher, DVBI. 1976, 281 (287); Preuß, JA 1977, 269. 164 Vgl. Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 143 f. m. w. Nachw. 165 Ebenso die oben in Fn. 124 Genannten. 166 Vgl. BVerfG EuGRZ 1986, 257 (259); Kopp, BayVBI. 1980, 38 (40) ; Preuß, JA 1977, 313 (315, 317 ff.); Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 138 f. 167 Hierzu etwa Göldner, DÖV 1979, 805 (811 Fn. 52). Vgl. ferner BVerfGE 14, 140 (150); aber auch BVerfGE 63, 215 (223 f., 225 ff.).

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Regelungen - Art. 6 Abs. 1 GG168 u. a. für den Schutz des Vertrauens auf den Bestand begünstigender Verwaltungsakte praktische Bedeutung erlangen können. Nach Maßgabe der umfangreichen vorstehenden Darlegungen läßt sich demnach im Ergebnis der Vertrauensschutz- auch und gerade im Zusammenhang mit der Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte- in den grundrechtliehen Freiheitsgewährleistungen verfassungsrechtlich verorten, sofern deren Regelungsbereiche im Einzelfall betroffen sind. (6) Allgemeiner Gleichheitssatz

Die zur Begründung des Verfassungsranges des Vertrauensschutzes schließlich noch herangezogene Ableitung aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG169 bedarf zu ihrer Würdigung und Kritik zunächst einer kurzen Analyse des Inhalts dieser Verfassungsnorm. Wie allgemein anerkannt ist und an dieser Stelle nicht besonders vertieft werden muß, gebietet der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich, d. h. seiner Eigenart entsprechend verschieden, zu behandeln170, und ist er unter Berücksichtigung des insbesondere dem Gesetzgeber dabei zukommenden Entscheidungsspielraums dann verletzt, wenn sich für eine vorgenommene Gleichbehandlung bzw. Differenzierung ein sachlich einleuchtender Grund nicht finden läßt171. In diesem Sinne kommt dem allgemeinen Gleichheitssatz Bedeutung nicht nur für das Handeln des Gesetzgebers, sondern auch für das Verwaltungshandeln zu. Auf der Ebene des Verwaltungshandeins hat das Gleichbehandlungsgebot in der Regel zur Folge, daß staatliche Maßnahmen, wie z. B. die Gewährung von Leistungen, nach einem bestimmten gleichbleibenden System erfolgenm. Namentlich im Bereich der Ermessensverwaltung spricht man in diesem Zusammenhang von einer durch Art. 3 Abs. 1 GG gesteuerten sog. Selbstbindung der Verwaltung173 an ein bestimmtes vorangegangenes Verwaltungshandeln - im folgenden Vorfall genannt - bzw. an eine einheitliche Verwaltungspraxis. 168 Vgl. etwa Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 367 ff.; dens., Jura 1983, 122 (128 f.). 169 So insb. Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 29; ders., VVDStRL Bd. 32 (1974), 233 f. 11o St. Rspr. des BVerfG; vgl. etwa BVerfGE 1, 14 (52); 4, 144 (155); 47, 109 (124); 52, 277 (280); 55, 114 (128); 67, 186 (195). Vgl. ferner Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 438; Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 64 f. 171 So grundlegend BVerfGE 1, 14 (52); vgl. auch BVerfGE 44, 70 (90); 52, 256 (262); 60, 101 (108 f.), 329 (346 f.); 68, 237 {250). 172 Vgl. etwa BVerwGE 55, 349 (352 ff.); dazu auch W . Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, S. 100 ff. 173 Vgl. dazu etwa Dürig in Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rdn. 428 ff.; Wallerath, Die Selbstbindung der Verwaltung, passim.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Diese Bindungen wirken sich für den Bürger in Form einer gewissen Beständigkeit, Stabilität und Vorhersehbarkeit staatlichen Handeins aus, auf die er im Grundsatz vertrauen darf und die ihn vor überraschenden Entscheidungswendungen schützt174. Der insofern durch Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich abgesicherte Vertrauensschutz bezieht sich indessen allein auf solche Konstellationen, in denen der Bürger eine Gleichbehandlung im Hinblick auf zumindest einen sei es ihn oder eine andere, in vergleichbarer Lage befindliche Person betreffenden- Vorfall erwartet. Bei dem Vertrauensschutz, der im Falle der nachträglichen Beseitigung einer dem Bürger durch Verwaltungsakt gewährten Begünstigung und damit im besonderen bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte in Rede steht, steht dagegen nicht die Gleichbehandlung im Verhältnis zu anderen vorangegangenen Rücknahmefällen als vielmehr der Schutz eines etwaigen Vertrauens in den Bestand des Verwaltungsakts unabhängig von einem bestimmten Vorfall im Vordergrund. Eine Beschränkung des von Verfassungs wegen zu gewährenden Vertrauensschutzes auf die Fälle, in denen dem einzelnen durch ein staatliches Verhalten, wie z. B. die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts, eine Ungleichbehandlung erwächst175 , würde das breite Spektrum möglicher Vertrauensschutztatbestände demzufolge allzu stark verkürzen. Bereits deshalb kann der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG wohl kaum allein tragfähige Grundlage des (gesamten) Vertrauensschutzes sein. Hinzu kommt, daß das Gebot, Gleichheit herzustellen, in bestimmten Fällen - dabei häufig in Antinomie zu einem durch die Freiheitsgrundrechte geforderten Vertrauensschutz- gerade die Durchbrechung der Beständigkeit von Entscheidungen und Systemen verlangen kann176. Schließlich erscheint die Verortung des bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte betroffenen Vertrauensschutzes in Art. 3 Abs. 1 GG auch noch deshalb bedenklich, weil eine auf diese Verfassungsnorm gestützte Forderung nach der Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts zwangsläufig in Kollision mit dem grundsätzlichen Nichtbestehen eines Anspruches des Bürgers auf "Gleichbehandlung im Unrecht"177 geraten würde. Bislang sind insoweit eher umgekehrte Versuche unternommen worden, das Problem der 174 Vgl. e twa Bachof, D!skussionsbeitrag, VVDStRL Bd. 32 (1974), 228 (229); Pieroth, Rückwirkung und Ubergangsrecht, S. 145; Weber-Dürler, Vertrauensschutz, s. 53 ff. 175 So aber wohl Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 59; ders., Diskussionsbeitrag, VVDStRL Bd. 32 (1974), 233 (234). 176 Vgl. auch Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 146. 177 Vgl. dazu. etwa BVerwGE 34, 278 (284); OVG NW VerwRspr. 7, 328 (329); Ossenbühl, DOV 1970, 264 ff.; Randelzhofer, JZ 1973, 536 ff. ; Götz, NJW 1979, 1478 ff.; H.-W. Arndt in FS f. Armbruster, S. 233 ff. ; Dürig in Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rdn. 179 ff.

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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Gleichbehandlung im Unrecht außerhalb des Gewährleistungsgehaltes des allgemeinen Gleichheitssatzes mit Hilfe des Gedankens des Vertrauensschutzes zu lösen17B. Dieses alles führt im Ergebnis dazu, daß der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zwar mitunter im Einzelfall einen gewissen Vertrauensschutz bewirken kann, daß er aber- ähnlich wie zuvor auch das Sozialstaatsprinzip179- für eine allgemeine verfassungsrechtliche Verortung des Vertrauensschutzes und dabei insbesondere des Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte keine geeignete Grundlage darstellt180. ccc) Ergebnis und Konkurrenzverhältnis der einzelnen verfassungsrechtlichen Grundlagen Die vorstehenden Überlegungen haben ergeben, daß sich der Vertrauensschutz, soweit er für die Rücknahme von Verwaltungsakten Bedeutung erlangen kann, zum einen im Prinzip der Rechtssicherheit als Komponente des Rechtsstaatsprinzips und zum anderen in den Freiheitsgewährleistungen der Grundrechte verfassungsrechtlich verorten läßt. Da der aus diesen Normen der Verfassung abzuleitende (Mindest-)Vertrauensschutz, der auch den Gesetzgeber bei der näheren Ausgestaltung der Rücknahmevoraussetzungen für Verwaltungsakte bindet, unterschiedlich ausfallen kann je nachdem, welche(s) der genannten Normen bzw. Prinzipien von Verfassungsrang man als Maßstab zugrunde legt, stellt sich zumindest im grundrechtsrelevanten Bereich die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis. Es bestehen dabei im wesentlichen folgende Lösungsmöglichkeiten: Für diejenigen vertrauensgeschützten Positionen, die dem Regelungsbereich bestimmter Freiheitsgrundrechte zugeordnet werden können , könnte der verfassungsrechtlich unterfangene Vertrauensschutz zum einen allein nach Maßgabe dieser Grundrechte (einschließlich der verfassungsrechtlichen Absieherungen des Grundrechtsschutzes wie z. B. durch den Grundsatz vom Übermaßverbot) gewährleistet sein. Zum anderen könnte er kumulativ sowohl nach Maßgabe des rechtsstaatliehen Rechtssicherheitsgebotes als auch nach Maßgabe der jeweils einschlägigen Grundrechtsgewährleistungen bestehen, wobei im Ergebnis die im Einzelfalle stärkeren verfassungsrechtlichen Sicherungen zum Tragen kommen würden.

178 Vgl. Randelzhofer, JZ 1973, 536 (542 ff.); Burmeister, DÖV 1981 , 503 (512); Püttner, VVDStRL Bd. 32 (1974) , 200 (214). 179 Vgl. oben § 9 II C 2 a aa bbb (3) . 180 So im Ergebnis - allerdings vornehmlich auf die Problematik der Rückwirkung von Gesetzen bezogen - auch Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 145 f.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Für die Beantwortung der Frage, welcher dieser Lösungsmöglichkeiten zuzustimmen ist, ist es zunächst von Bedeutung, ob die Freiheitsgrundrechte und die Rechtssicherheitskomponente des Rechtsstaatsprinzips zueinander im Konkurrenzverhältnis181 der Spezialität stehen. Unter Spezialität versteht man ein bestimmtes Verhältnis gesetzlicher Tatbestände, in dem der eine (Iex specialis) sämtliche Merkmale des anderen (Iex generalis) enthält, er diesem anderen Tatbestand aber noch ein oder mehrere besondere spezialisierende Merkmale hinzufügtlsz. Hieraus ergibt sich, daß alle von der Iex specialis erfaßten Fälle gleichzeitig solche der Iex generalis sind, wohingegen dies umgekehrt nicht der Fall ist. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Spezialität der Freiheitsgrundrechte im Verhältnis zum Prinzip der Rechtssicherheit zweifelhaft183. Zunächst darf nicht übersehen werden, daß die Freiheitsgrundrechte sich nicht in ihrer individual-rechtsstaatliehen Bedeutung als Abwehrrechte des Bürgers erschöpfen, sondern sie - etwa im Hinblick auf die (objektive) Gewährleistung realer Freiheit, auf die institutionelle Sicherung freiheitlich geordneter Lebensbereiche oder auf ihre im Zusammenhang mit der Verwirklichung verfassungsgestaltender Grundentscheidungen staatshervorbringende Bedeutung- "multifunktional" wirken184 . Darüber hinaus sind die Freiheitsgrundrechte in ihrer rechtsstaatliehen Bedeutung eher Elemente des materiellen RechtsstaatesiSS, während das Prinzip der Rechtssicherheit zu den Komponenten formeller Rechtsstaatlichkeit zählt186. Die Freiheitsgrundrechte sind damit weder ausschließlich noch in erster Linie besondere Ausprägungen der Rechtssicherheitskomponente des Rechtsstaatsprinzips. Selbst wenn man aber entgegen der hier vertretenen Auffassung sich für eine Spezialität der Freiheitsgrundrechte im Verhältnis zum Prinzip der Rechtssicherheit aussprechen würde, wäre damit noch nicht endgültig entschieden, ob die Rechtsfolge der spezielleren Rechtsnorm diejenige der generelleren verdrängt. Letzteres entscheidet sich nämlich - unabhängig von dem Bestehen eines Spezialitätsverhältnisses - zusätzlich nach teleologischen und systematischen Erwägungen187 • Auch dieser Gesichtspunkt läßt es indessen als Zur Konkurrenz von Rechtsnormen vgl. etwa Larenz, Methodenlehre, S. 255 ff. Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 256 f.; dazu auch Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 22 f. 183 Anders im Ergebnis aber wohl Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 130, 136; Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974), 149 (182 Fn. 118). 184 So etwa Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 161. 185 Vgl. Stern, Staatsrecht I,§ 20 IV 2 d; Benda in Handbuch des Verfassungsrechts, S. 477 (494); aber auch Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 390. 186 Vgl. oben bei Fn. 103. 187 Ebenso Larenz, Methodenlehre, S. 257; Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 23; vgl. auch Warda in FS f. Maurach, S. 143 (166 f.); Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 327 f. 181

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§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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fraglich erscheinen, ob man, wie es etwa das Bundesverfassungsgericht zumindest für die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vertritt188, die Grundrechte als eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung des rechtsstaatlich gewährleisteten Vertrauensschutzes ansehen kann. Gegen eine die allgemeine rechtsstaatliche Grundlage des Vertrauensschutzes verdrängende Exklusivität des grundrechtlich gewährleisteten Vertrauensschutzes spricht vor allem der Umstand, daß der durch die Freiheitsgrundrechte verbürgte Schutz- und damit auch der durch sie abgedeckte Vertrauensschutzkeine feste Größe darstellt, sondern er je nach der Schrankensystematik des einzelnen betroffenen Grundrechts unterschiedlich stark ausfallen kann. Es läßt sich deshalb nicht von vornherein ausschließen, daß einzelne Grundrechte, und zwar namentlich solche, welche unter einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt stehen, letztlich nur einen geringeren (Mindest-)Vertrauensschutz verfassungsrechtlich sichern, als es den im übrigen aus dem Rechtsstaatsprinzip zu konkretisierenden Anforderungen entspricht. Ist dem aber so, ergibt eine an einem möglichst effektiven und umfassenden Schutz des Bürgers ausgerichtete Wertung, daß ein mit Ausschlußwirkung ausgestatteter Vorrang der Freiheitsgrundrechte gegenüber dem rechtsstaatliehen Prinzip der Rechtssicherheit nicht gerechtfertigt erscheint, wenn es um den verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt des Vertrauensschutzes gehtl89. Im Ergebnis müssen daher gesetzliche Vertrauensschutzregelungen im grundrechtsrelevanten Bereich sowohl den Anforderungen des einschlägigen Grundrechts als auch denen des Prinzips der Rechtssicherheit genügen. Beide verfassungsrechtlichen Ableitungsmöglichkeiten des Vertrauensschutzes stehen insoweit nebeneinander. bb) Die Aussagen der einschlägigen Verfassungssätze über die notwendige Qualität des Vertrauensschutzes Bestandsschutz oder Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers?

aaa) Der rechtsstaatlich gebotene Vertrauensschutz Das Rechtsstaatsprinzip ist, wie bereits zuvor dargelegt wurdel90, im Grundgesetz nicht einheitlich definiert, sondern in einer Vielzahl von Einzelregelungen näher ausformuliert und präzisiert worden. Entsprechendes gilt auch für die formal-rechtsstaatliche Komponente der Rechtssicherheit Diese stellt keinen absoluten, fest umrissenen Wert dar191; aus ihr lassen sich deshalb ebenso-

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Vgl. die Nachweise oben in Fn. 121. Ebenso im Ergebnis Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 57, 59. Vgl. oben bei Fn. 100. Vgl. Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 143.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

wenig wie aus dem Rechtsstaatsprinzip überhaupt192 für jeden Sachverhalt eindeutig bestimmte Gebote oder Verbote von Verfassungsrang entnehmen193. Je nach den sachlichen Gegebenheiten bedarf es vielmehr einer Konkretisierung, zu der in erster Linie der Gesetzgeber berufen ist. Der diesem zukommende Konkretisierungs- und Gestaltungsspielraum ist eher weit bemessen194. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie etwa bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte- ein Ausgleich zwischen zwei Verfassungsprinzipien (Gesetzmäßigkeit und Rechtssicherheit) hergestellt werden muß. Dabei ist in der Regel die Lösung des Widerstreits des Rechtssicherheitsgebots mit anderen Verfassungssätzen oder -prinzipien nicht zu beanstanden, wenn sie ohne Willkür erfolgt195. Dem für die Rücknahme von Verwaltungsakten streitenden Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kann dann, wenn die Gewährung von Vertrauensschutz auf einen finanziellen Ausgleich des Vertrauensschadens beschränkt wird, wesentlich besser Rechnung getragen werden, als es im Falle der Gewährung von Vertrauensschutz in Gestalt einer Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Verwaltungsakts der Fall wäre. Auf der anderen Seite läßt sich dem einer Rücknahme grundsätzlich zuwiderlaufenden Verfassungsprinzip der Rechtssicherheit nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen, daß es auch dann notwendig den (Fort-)Bestand einmal erlangter Rechtspositionen, also Bestandsschutz, fordert, wenn dem an den Erhalt dieser Positionen anknüpfenden Vertrauen auf andere Weise ausreichend Rechnung getragen werden kann196. Dies spricht im Ergebnis dafür, daß der rechtsstaatlich gebotene Vertrauensschutz dem Bürger nicht von Verfassungs wegen notwendig in der Form bzw. Qualität von Bestandsschutz gewährt werden muß, daß dem Gesetzgeber vielmehr grundsätzlich die Wahl zwischen einem Bestandsschutz und einem das Bestandsinteresse des von der Rücknahme Betroffenen finanziell ausgleichenden Vermögensschutz offen steht197, 192 Vgl. dazu BVerfGE 25, 269 (290); 35, 41 (47) ; 65, 283 (290 f.); Eichenberger, VVDStRL Bd. 40 (1982), 7 (8). 193 Zur fehlenden unmittelbaren Deduzierbarkeit einzelner Vertrauensschutztatbestände aus den Komponenten des Rechtsstaatsprinzips auch Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 125 ff., 130 ; zur Problematik der Konkretisierung ders. , ebd. S. 235 ff.; vgl. ferner Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 390 ff., 424 ff. 194 Vgl. etwa Göldner, DÖV 1979, 805 (810); Schenke, DÖV 1983, 320 (323); Ule/ Laubinger, VwVerfR, § 62 II 3 a; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 86. 195 BVerfGE 25, 269 (290 f.) ; 35, 41 (47). 196 Vgl. Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (228, 244); Püttner, VVDStRL Bd. 32 (1974), 200 (221); Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 86. 197 Ebenso etwa Göldner, DÖV 1979, 805 (810); Merten, NJW 1983, 1993 (1998); Lipphardt, EuGRZ 1986, 149 (157 f.) ; Roters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (231); Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 86; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 3 a; vgl. auch Papier, DVBI. 1975, 567 (571); Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974), 149 (187) ; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 430.

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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bbb) Der grundrechtlich gebotene Vertrauensschutz (1) Allgemeines Im grundrechtsrelevanten Bereich hat sich der Gesetzgeber bei der Regelung des Entzugs vertrauensgeschützter Rechtsstellungen - beispielsweise durch Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts - im Rahmen der zulässigen Begrenzungs- und/oder Einschränkungsmöglichkeiten zu halten. Bei den sog. "schrankenlos" gewährleisteten Grundrechten, d. h. denjenigen, denen ein ausdrücklicher Gesetzesvorbehalt nicht beigefügt worden ist, setzt über den Grundsatz der Einheit der Verfassung 198 das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dem grundrechtlich gewährleisteten Vertrauensschutz gewisse Grenzen, die zur Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen den widerstreitenden Verfassungsgütern erforderlich sind. Bei den unter einfachem Gesetzesvorbehalt stehenden Grundrechten ergeben sich die vom Gesetzgeber bei der näheren Ausgestaltung des Vertrauensschutzes einzuhaltenden Grenzen vor allem aus den Grundsätzen des Übermaßverbotes199 mit seinen Regelungskomponenten der Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinnezoo. Innerhalb des hierdurch abgestecken Rahmens verbleibt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum, welcher es ermöglicht, den vielfach variierenden Umständen des Einzelfalles20l ausreichend Rechnung zu tragen. In Anbetracht dessen kann zwar nicht davon ausgegangen werden, daß der grundrechtliche Vertrauensschutz stets, d. h. in jedem Einzelfall, Bestandsschutz gebietet202 . Letzterer kann vielmehr je nach dem Gewicht der gegenläufigen öffentlichen Interessen grundsätzlich durch Gesetz begrenzt bzw. eingeschränkt werden. Auf der anderen Seite muß jedoch im Hinblick auf eine gesetzliche "Wahl" zwischen Bestands- und Vermögensschutz folgendes berücksichtigt werden: Unbeschadet der verfassungsrechtlich zulässigen Begrenzungen und Einschränkungen gewährleisten die Grundrechte in erster Linie den Bestand bzw. die Unverletztheit der in ihnen thematisierten Freiheiten und dienen sie damit Vgl. bereits oben bei Fn. 153 mit Nachweisen. Vgl. auch Kopp, BayVBI. 1980, 38 (40); Grabitz, DVBI. 1973, 675 (683) ; BVerfG EuGRZ 1986, 257 (259). Für ein Messen des grundrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes an den Gesetzesvorbehalten zudem W. Schmidt, Diskussionsbeitrag, VVDStRL Bd. 32 (1974), 235. 200 Zu den einzelnen Regelungskomponenten des Übermaßverbotes ausführlich Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I , S. 14 f. 201 Zu deren Bedeutung auch Grabitz, DVBI. 1973, 675 (684). 2o2 Vgl. dazu Püttner, VVDStRL Bd. 32 (1974) , 200 (221); Preuß, JA 1977, 313 (319); aber auch Göldner, DÖV 1979, 805 (811), der die Grundrechtsrelevanz wohl als Anhaltspunkt für einen verfassungsrechtlich gebotenen Mindestbestandsschutz wertet. 198

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

nicht vornehmlich oder gar ausschließlich der Bewahrung des Bürgers vor finanziellen Nachteilen 203. Dieses gilt nicht nur für den Grundrechtsschutz im nichtvermögenswerten Bereich, sondern - wie im folgenden noch gesondert dargestellt werden wird2°4 - auch für den durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG abgedeckten Bereich vermögenswerter Rechte. Von daher ist grundrechtlich begründetes Vertrauen, wie z. B. solches in den Bestand eines begünstigenden Verwaltungsakts, grundsätzlich kein in Geld kompensationsfähiges Rechtsgut205. Der Gesetzgeber ist demzufolge von Verfassungs wegen dergestalt gebunden, daß er grundrechtlich unterfangenes Bestandsvertrauen im Falle seiner Schutzwürdigkeit als solches berücksichtigen muß und er nicht ohne zwingenden Grund, d. h. nicht "wahlweise", lediglich einen Ausgleich des möglicherweise zugleich eintretenden Vermögensnachteils gewähren darf. Kann damit der durch§ 48 Abs. 3 VwVfG gewährte Vermögensausgleich bei der Beantwortung der Frage, ob die Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG für die unter§ 48 Abs. 3 VwVfG fallenden begünstigenden Verwaltungsakte den Anforderungen des grundrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes genügt, keine den Verlust an Bestandsschutz ausgleichende Berücksichtigung finden, kommt es im wesentlichen nur noch darauf an, ob diese gesetzlich bewirkte Reduzierung des Bestandsschutzes mit den übrigen Normen der Verfassung und dabei insbesondere mit den Grundsätzen des Übermaßverbotes vereinbar ist. Dieses wird man wohl schon deshalb verneinen können, weil der Gesetzgeber mit der Herstellung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unter gleichzeitigem Verzicht auf eine ausreichende Zuordnung der hier kollidierenden verfassungsrechtlich geschützten Güter kein vor der Verfassung legitimes Ziel verfolgt hat. Sollte man diese Bedenken nicht teilen, so mag zwar die Regelung des§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zur besseren Effektuierung des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung geeignet und mag sie unter Berücksichtigung der dem Gesetzgeber in diesem Zusammenhang zukommenden Einschätzungsprärogative206 möglicherweise auch zur Erreichung dieses Zweckes erforderlich sein. Jedenfalls spricht dann aber einiges dafür, daß sie für die Fälle des § 48 Abs. 3 VwVfG im Hinblick auf die völlige Beseitigung des Bestandsschutzes auch bei einem das öffentliche Aufhebungsinter203 Ebenso- zumindest für sog. "statusbegründende" Grundrechte- etwa Preuß, JA 1977, 313 (319) . Vgl. ferner dazu, daß sich der Schutz der meisten Grundrechte sowohl auf die Entstehenssicherung als auch die Sicherung des Bestandes bezieht, Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 24 ff. ; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 302. 204 Vgl. unten§ 9 II C 2 a bb bbb (2). 205 Ähnlich Fiedler, AöR Bd. 105 (1980), 79 (116); ferner - allerdings nicht vorn grundrechtliehen Ansatz her kommend- Burmeister, DÖV 1981, 503 (511); wohl auch Frotscher, DVBI. 1976, 281 ff. ; L eisner in FS f. Berber, S. 273 (274 f.) ; Kopp, GewArch 1986, 177 (186). 206 Vgl. dazu etwa Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 569, 570; Ossenbühl in BVerfG u. GG I, S. 458 ff.; Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 16 f., jeweils rn. w. Nachw.

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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esse überwiegenden Vertrauen des Begünstigten außer Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Zweck steht. Als eine den Rücknahmebetroffenen unzumutbar belastende Regelung verletzt sie mithin das Prinzip der Verhältnismäßigkeit des Mittels207 • (2) Im besonderen: Die notwendige Qualität des Vertrauensschutzes

im Regelungsbereich der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG

Innerhalb der Freiheitsgrundrechte kommt der Gewährleistung des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG im Hinblick auf den Vertrauensschutz eine besondere Bedeutung zu, bedenkt man, daß ein großer Teil der begünstigenden Verwaltungsakte unmittelbar vermögenswerte Rechte gewährt, eine der Verwirklichung des Eigentumsgrundrechts gezogene präventive (Erlaubnis-)Schranke beseitigt oder als Grundlage für vermögenswirksame Dispositionen des Bürgers in Betracht kommt. Dabei trifft dieser Befund nicht nur auf die Geld- und Sachleistungsverwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG, sondern auch auf zahlreiche sonstige begünstigende Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG - genannt sei hier als Beispiel nur die Baugenehmigungzu. Dies gibt Anlaß dazu, die Frage nach der notwendigen Qualität des Vertrauensschutzes im Regelungsbereich dieses Grundrechts einer die vorstehenden allgemeinen Überlegungen vertiefenden Untersuchung zuzuführen. Art. 14 GG sieht in seinem Absatz 3 für den Fall der Enteignung eine Entschädigungsregelung vor. Es fragt sich, ob sich hieraus Aussagen darüber gewinnen lassen, ob der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Vertrauensschutzes im Regelungsbereich des Art. 14 Abs.1 Satz 1 GG frei ist, zwischen Bestandsschutz und Vermögensschutz zu wählen, oder ob Art. 14 Abs. 3 GG womöglich gar in diesen Fällen die Gewährung von Vermögensschutz gebietet. Hierzu muß man sich allerdings zunächst Inhalt und Funktion der Bigenturnsgarantie sowie das Verhältnis der Absätze 1 und 3 des Art. 14 GG näher vergegenwärtigen. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes eine andere und umfassendere Bedeutung zu als derjenigen der Weimarer Reichsverfassung. Art. 14 GG hat danach nicht in erster Linie die Aufgabe, die entschädigungslose Wegnahme von Eigentum zu verhindern (Eigentumswertgarantie), sondern vielmehr den Bestand des Eigentums in der Hand des Eigentümers zu sichern (Bestandsgarantie)20B. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang 207 Ähnlich wohl auch Frotscher, DVBI. 1976, 281 (289) : " ... berücksichtigt die Interessen des betroffenen Bürgers zuwenig". zos Grundlegend BVerfGE 24, 367 (400 f.); vgl. auch BVerfGE 31,229 (239); 42. 263 (294) ; 51 , 193 (220); 58, 300 (323); 68, 361 (368).

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

vor allem der- je nach den Gegebenheiten allerdings unterschiedlich starkepersonale Bezug der Eigentumsgarantie; diese soll nämlich dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherstellen und ihm dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens ermöglichenZ09. Die Eigentumsgewährleistung ist dementsprechend nicht zunächst Sach-, sondern Rechtsträgergarantie; sie gewährt vor allem die Befugnis, jede ungerechtfertigte Einwirkung auf den Bestand der geschützten Güter abzuwehrenZlo. Allein unter den besonderen Voraussetzungen, die Art. 14 Abs. 3 GG für die Zulässigkeit einer Enteignung vorsieht, tritt an die Stelle der Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG eine Wertgarantiezu. Letztere ist auf die Gewährung einer vom Gesetzgeber dem Grunde nach zu bestimmenden Entschädigung gerichtet. Die abgestufte Systematik des Art. 14 GG läßt demnach nicht Bestandsschutz und Entschädigung wahlweise nebeneinander zu; sie gibt vielmehr dem Bestandsschutz den Vorrang212. Das bedeutet zugleich, daß der im Regelungsbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Vertrauensschutz in erster Linie Bestandsschutz sein muß213 . Vermögensschutz kann demgegenüber nur dann in Frage kommen, wenn die besonderen Voraussetzungen vorliegen, unter denen das Grundgesetz die Wandelung der Bestandsgarantie in eine Eigentumswertgarantie zuläßt, nämlich die Enteignungsvoraussetzungen. Im Hinblick auf den Vermögensausgleich nach § 48 Abs. 3 VwVfG bedeutet dies, daß die Rücknahme der von dieser Vorschrift erfaßten begünstigenden Verwaltungsakte sich - zumindest im Regelfall-als Enteignung darstellen müßte. Denn nur in diesem Falle und nicht auch bei der nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässigen Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums214 wandelt sich der Gewährleistungsgehalt des Eigentumsgrundrechts von der Bestandsgarantie in eine Garantie des Vermögenswertes um. Wie bereits an anderer Stelle dargelegt worden ist215, 209 Vgl. etwa BVerfGE 24, 367 (389, 400); 50,290 (339); 53, 257 (290); 58, 137 (151); 68, 193 (222), 361 (374 f.); 69, 272 (300). Dazu auch Häberle, AöR Bd. 109 (1984), 36 (67 f.). 21o So BVerfGE 24, 367 (440). 211 Vgl. BVerfGE 24, 367 (397) ; 35,348 (361) ; 56,249 (260 f.); 58,300 (323); Badura in Handbuch des Verfassungsrechts, S. 653 (675 f.). 212 Ebenso auch Ossenbühl, NJW 1983, 1 (3); Stüer, NuR 1985, 263 (265 f.). Zum Vertrauensschutz durch Bestands- und Wertgarantie im Regelungsbereich des Bigenturnsgrundrechts vgl. ferner Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 59 f., 140 ff. 213 Bedenklich daher W. Schmidt, JuS 1973, 529 (534), wonach "Vertrauensschutz allemal Vermögensschutz" und Rechtsgrundlage hierfür die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG sein soll. 214 Vgl. dazu, daß die - sei es auch rechtswidrige- Inhalts- und Schrankenbestimmung von der Enteignung strikt zu unterscheiden ist, BVerfGE 52, 1 (27 f.); 58, 300 (330 ff.). 215 Vgl. oben bei Fn. 46/47. Bezogen auf die Rücknahme einer Baugenehmigung vgl. auch VGH Kassel NVwZ 1986, 57 (58).

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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ist indessen der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG nicht im Grundsatz, sondern allenfalls in Ausnahmefällen enteignende Wirkung hat und kann der gewährte Vermögensausgleich deshalb nicht als Enteignungsentschädigung auf der Grundlage des Art. 14 Abs. 3 GG gewertet werden. Die Konstellationen, die zur Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts im vermögenswerten Bereich führen, sind in der Tat zu mannigfaltig, als daß man ihnen schlechthin eine enteignende Wirkung zuschreiben könnte, gleich welcher "Theorie"216 man bei der Abgrenzung zwischen Inhalts- und Schrankenbestimmung auf der einen und Enteignung auf der anderen Seite folgt. Die Wahl des Gesetzgebers zwischen Bestandsschutz und Vermögensschutz bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte findet deshalb im Grundsatz außerhalb der Regelung des Art. 14 Abs. 3 GG statt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, welche hinsichtlich der Ersetzung von Vertrauensschutz in Form von Bestandsschutz durch Vertrauensschutz in Form von Vermögensschutz bestehen, lassen sich demzufolge im Regelungsbereich der Bigenturnsgewährleistung nicht allgemein mit dem Hinweis auf Art. 14 Abs. 3 GG entkräften. Aber auch in den in der Praxis wohl eher seltenen Fällen, in denen die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts ausnahmsweise einmal enteignenden Charakter haben sollte, muß noch nicht notwendig der Bestandsschutz von Verfassungs wegen hinter den Vermögensschutz zurücktreten. Hierzu ist vielmehr erforderlich, daß es sich auch um eine verfassungsrechtlich zulässige Enteignung handelt. Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG bestimmt, daß eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist. Dies bedeutet indessen nicht, daß es für die Verfassungsmäßigkeit der Enteignung bereits ausreicht, wenn der Entzug von Eigentumsrechten zum Wohl der Allgemeinheit, also im öffentlichen Interesse, erfolgen soll. Vielmehr muß auch in diesem Zusammenhang das verfassungsrechtliche Übermaßverbot beachtet werden217 • Das wiederum hat folgende Konsequenzen: Vor dem Hintergrund, daß das Eigentumsgrundrecht in erster Linie eine Bestandsgarantie darstellt, muß der enteignende Entzug eigentumsgeschützter Rechte zur Verwirklichung eines vom Gemeinwohl getragenen Zwecks geeignet, erforderlich und nicht zuletzt verhältnismäßig i. e. S. sein. Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist dabei eine Abwägung des öffentlichen Interesses mit den durch den enteignenden Rechtsentzug beeinträchtigten privaten Rechten vor216 Zu den sog. Enteignungstheorien vgl. etwa die ausführliche Darstellung bei Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 120 ff.; Rüfner in Brichsenf Martens, Allg. VwR, § 52 II 2, beide m. w. Nachw. 217. Vgl. etwa BVerfGE 24, 367 (404 f.); 53, 336 (349); 56, 249 (264); dazu auch Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 130 f.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

zunehmen218. Aus diesem Grunde ist etwa die Auffassung, Art. 14 Abs. 3 GG mache die Zulässigkeit der Enteignung ausschließlich vom öffentlichen Interesse abhängig und trage dem Individualinteresse allein in Form von Vermögensschutz Rechnung219, zumindest mißverständlich, weil dabei die Grundsätze des Übermaßverbotes unberücksichtigt geblieben sind. Über das verfassungsrechtliche Übermaßverbot sind damit im Ergebnis der Ersetzung eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes durch Vermögensschutz in Form einer bloßen Wertgarantie auch in solchen Fällen Grenzen gesetzt, in denen sich die Rücknahme eines Verwaltungsakts auf die durch sie betroffenen Rechtspositionen enteignend auswirkt. Wenn sich auch diese Grenzen nicht für alle Fälle einheitlich festschreiben lassen, so sind sie doch jedenfalls dann überschritten, wenn schutzwürdige private Interessen, z. B. solche im Zusammenhang mit dem Vertrauen auf den Bestand eines begünstigenden Verwaltungsakts, die dem vom Gemeinwohl getragenen Zweck der enteignenden Maßnahme zumindest gleichwertig sind, unzureichend berücksichtigt werden. Letzteres wiederum kann vor allem dann der Fall sein, wenn sich der finanzielle Ausgleich im Einzelfall nicht als geeignetes Äquivalent für den Bestandsschutz erweist22°. ccc) Zusammenfassung und Ergebnis Betrifft die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts den Regelungshereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, so gewährleistet diese Grundrechtsnorm grundsätzlich den Bestandsschutz der von der Rücknahme betroffenen Rechtspositionen. Entsprechendes gilt für die übrigen Freiheitsgrundrechte; diese sichern im Grundsatz ebenfalls den Bestand der in ihnen thematisierten Rechtsgüter, Positionen oder Betätigungsformen. Dieser durch die Grundrechte gewährleistete Bestandsschutz darf zwar unter Beachtung des Übermaßverbotes durch gesetzliche Regelungen , welche etwa die unterschiedliche Schutzwürdigkeit des Bestandsvertrauens entsprechend berücksichtigen221, nach näherer Maßgabe der jeweiligen Gesetzesvorbehalte begrenzt bzw. eingeschränkt werden. Ungeachtet dessen ist es aber regelmäßig und dabei insbesondere bei Betroffenheit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich nicht zulässig, den Bestandsschutz für ganze Bereiche oder ganze Gruppen von Verwaltungsakten im Hinblick auf einen statt seiner gesetzlich gewährten Vermögensschutz zu beseitigen. Etwas anderes kann- ausnahmsweise- dann in Betracht kommen, wenn eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG vorliegt. In diesem Falle muß die finanzielle Entschädigung allerdings tauglich sein, den durch die ent218 Vgl. Badura in Handbuch des Verfassungsrechts, S. 653 (677). 219 So aber Püttner, VVDStRL Bd. 32 (1974), 200 (219). 22o Zu diesem Gesichtspunkt ausführlich unten § 9 li C 2 a cc. 221 Zum Zusammenhang zwischen dem im Einzelfall schutzwürdigen Vertrauen und dem Übermaßverbot vgl. etwa Kopp, BayVBl. 1980, 38 (40).

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eignende Rücknahme eines Verwaltungsakts eintretenden Rechtsverlust adäquat auszugleichen, weil ansonsten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit schwerlich ausreichend Rechnung getragen werden könnte. Die für die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts streitenden öffentlichen Interessen werden nämlich häufig nicht so gewichtig sein, daß sie das private Interesse des schutzwürdig auf den Bestand des Verwaltungsakts Vertrauenden in jedem Falle überwiegen. Ist dem aber so, so ist eine enteignende Rücknahme, welche dieses private Interesse bei der Gewährung einer Entschädigung nicht ausreichend berücksichtigt oder gar nicht ausreichend berücksichtigen kann, unzulässig. Allein in den noch übrigen, allerdings eher seltenen Fällen, in denen die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts keine grundrechtlich geschützten Positionen betrifft, verbleibt dem Gesetzgeber im Hinblick auf die rechtsstaatlich gebotene Berücksichtigung des Vertrauensschutzes die "Grundsatzwahl" zwischen Bestandsschutz und Vermögensschutz. Für die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, soweit er sich auf die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG bezieht, bedeutet dies folgendes: Die auf der Grundlage der hier bisher durchgeführten Normauslegung222 vom Gesetzgeber vorgenommene nicht einzelfall-oder schutzwürdigkeitsbezogene Reduzierung bzw. Verlagerung des Vertrauensschutzes vom Bestandsschutz auf den Vermögensschutz steht im grundrechtsrelevanten Bereich- die Fälle der Enteignung einmal vernachlässigt - mit dem verfassungsrechtlichen Schutz des hier grundsätzlich nicht in Geld kompensationsfähigen Bestandsvertrauens des von der Rücknahme Betroffenen nicht in Einklang. Insoweit liegt mithin ein Verfassungsverstoß vor, der als Ansatzpunkt für eine verfassungskonforme Auslegung in Betracht kommen kann . cc) Das Problem völliger Vertrauensschutzausfälle bei der Rücknahme bestimmter " Typen" begünstigender Verwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVJG aaa) Allgemeines Eine Erhärtung dieses Verfassungsverstoßes sowie eine Ausweitung der Unvereinbarkeit mit der Verfassung auch auf die Fälle eines allein aus rechtsstaatlichen Gründen gebotenen Vertrauensschutzes könnte noch daraus folgen, daß sich der bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG gewährte Vertrauensschutz überhaupt, d. h. unabhängig von der Frage einer im Grundsatz bestehenden Wahlmöglichkeit des Gesetzgebers zwischen Bestandsschutz und Vermögensschutz, als an den Maßstäben der Verfassung gemessen unzureichend erweist. Die Gestaltungs222

Vgl. dazu oben§ 9 li B .

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

freiheit des Gesetzgebers endet nämlich jedenfalls dort, wo ein Ausgleich von Vermögensnachteilen dem Interesse des auf den Bestand des Verwaltungsakts Vertrauenden nicht oder nur unvollkommen gerecht wird. Der Gesetzgeber darf damit auch in solchen Bereichen, in denen ihm eine grundsätzliche Wahl zwischen Bestands- und Vermögensschutz zukommen sollte, den Vertrauensschutz nicht völlig negieren; er darf ihn nicht ohne Grund zum unkompensierten "Nullschutz" werden lassen, will er nicht gegen diesen Grundsatz von Verfassungsrang verstoßen223. Vergegenwärtigt man sich die Gruppe der von der Regelung des§ 48 Abs. 3 VwVfG erfaßten begünstigenden Verwaltungsakte, für die das Gesetz einen Bestandsschutz nicht vorsieht, so sind, was auch im Schrifttum224 verbreitet erkannt wird, eine Reihe von Fällen denkbar, in denen es zu Vertrauensschutzausfällen in dem zuvor dargelegten Sinne kommen kann. Dies sind vor allem die Fälle, in denen ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand eines Verwaltungsakts sich nicht in Geldwert beziffern läßt und demzufolge die Rücknahmefolgen nicht durch eine finanzielle Entschädigung auszugleichen sind. Dabei kann sich die mangelnde Kompensationsfähigkeit in Geld zum einen auf das Individualvertrauen des Begünstigten, zum anderen aber zuweilen auch auf ein daneben im Betracht kommendes schutzwürdiges Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs (sog. Verkehrsvertrauen) beziehen225. In dem Bemühen um eine weitere Systematisierung der hier in Rede stehenden Fälle unterscheidet Göldner226 zwischen drei "sondertypischen"227 Kategorien begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG, bei denen sämtlich "Bestandsschutzprobleme" auftreten, d. h. bei denen ein finanzieller Ausgleich als Vertrauensschutzsurrogat regelmäßig nicht in Betracht kommt oder zumindest unzureichend ist. Es sind dies die "Immaterialverwaltungsakte" , die Verwaltungsakte mit privatrechtlichem Drittbezug 223 Vgl. etwa Göldner, DÖV 1979, 805 (810 f.); Schenke, DÖV 1983, 320 (323) ; Ule/ Laubinger, VwVerfR, § 62 II 3 a. 224 Vgl. Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974), 149 (181 f. , 187); Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (242); Göldner, DÖV 1979, 805 (806 f., 810 f.); Schenke, DÖV 1983, 320 (323); Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979) , 337 (355); Fiedler, AöR Bd. 105 (1980) , 79 (116) ; Pietzcker, NJW 1981, 2087 (2092); Frotscher, DVBI. 1976, 281 (285 f.) ; Haueisen, DVBI. 1964, 11 (15) ; Gützkow, NJW 1964, 1449 (1454); Witten, NJW 1968, 18 (20); Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 III; A chterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 71; Wolff/Bachof, VwR I, §53 V h; Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 42 a; Ule!Laubinger, VwVerfR, § 62 II 3 a; Weber-Dürler, Vertrauensschutz, s. 141. 225 Vgl. etwa Göldner, DÖV 1979, 805 (811) . 226 DÖV 1979, 805 (807). 227 Die Bezeichnung "sondertypisch" erscheint allerdings insofern wenig glücklich, als es -wie noch aufzuzeigen sein wird - nicht allein in einigen wenigen Einzelfällen, sondern bei einem Großteil der Verwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVfG zu Vertrauensschutzdefiziten kommen kann.

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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(z. B. privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte) und die "Formalverwaltungsakte". Auf diese besonders bedeutsamen Fallgruppen soll im folgenden näher eingegangen werden. bbb) Einzelne Problemfälle (1) Ganz oder teilweise "immaterielle" Verwaltungsakte

Im Gegensatz zu den Geld- und Sachleistungsverwaltungsakten i. S. des

§ 48 Abs. 2 VwVfG ist ein bedeutender Teil der sonstigen, unter § 48 Abs. 1

i. V. m. Abs. 3 VwVfG fallenden begünstigenden Verwaltungsakte dadurch gekennzeichnet, daß die in ihnen getroffene Regelung für den Begünstigten primär einen immateriellen Wert besitzt und sich die Auswirkungen der Rücknahme daher- von mitunter eintretenden materiellen Folgewirkungen einmal abgesehen- schwerpunktmäßig gerade nicht im wirtschaftlichen und finanziellen Bereich niederschlagen. Als Beispiele seien etwa genannt: die Rücknahme einer Einbürgerung228, einer Aufenthaltserlaubnis, einer Befreiung oder Zurückstellung vom Wehrdienst, einer Feststellung der Wehr- bzw. Zivildienstunfähigkeit229, eines Bescheides über die Zulassung zum Studium oder zum Examen. Da die Rücknahme derartiger immaterieller Verwaltungsakte in aller Regel nicht zu einem in Geld berechenbaren Vertrauensschaden beim Begünstigten führt230 , läuft dessen Vertrauensschutz insofern leer, als eine vertrauensabhängige Rücknahmesperre im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht besteht und die Regelung des § 48 Abs. 3 VwVfG mangels Eintritts eines Vermögensnachteils hier nicht zu helfen vermag.

Daneben gibt es eine Vielzahl von der Regelung des § 48 Abs. 3 VwVfG erfaßter begünstigender Verwaltungsakte, die, wie insbesondere Genehmigungen und Erlaubnisse im Bereich des Bau- und Wirtschaftsverwaltungsrechts, zwar nicht ausschließlich immateriellen Charakter, sondern mittelbar auch eine geldwerte Bedeutung haben. Bei dieser Gruppe von Verwaltungsakten bleibt indessen zu berücksichtigen, daß mit dem Blick allein auf den Geldwert einer schutzwürdig erworbenen Rechtsposition oder getätigten Disposition das eigentlich Essentiale häufig verfehlt wirdi3I, nämlich der personale (Freiheits-)Bezug232, der sich beispielsweise in einem über die wirtschaftliche Funktion in Gestalt des Tauschwertes hinausgehenden Gebrauchswert Vgl. BVerwGE 41, 277. Vgl. BVerwGE 66, 61. 230 Vgl. auch Schenke, DÖV 1983, 320 (323); Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (242) ; Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974), 149 (187); Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 III. 23t Ebenso Kisker, VVDStRL Bd. 32 (1974), 149 (181 f.). 232 Dazu auch Fiedler, AöR Bd. 105 (1980), 79 (116) . 2zs

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

für die individuelle Lebensführung ausdrückt233. Dies zeigt sich vor allem bei den zahlreichen und im Gefolge der Rechtsbereinigung nur noch zum Teil von spezialgesetzlichen Rücknahmeregelungen erfaßten Genehmigungen und Erlaubnissen im Bereich des Gewerbe- und Berufszulassungsrechts im weitesten Sinne. Diese betreffen in der Regel nicht nur wirtschaftliche Belange, sondern bilden zugleich die Grundlage der personalen, immateriellen Seite beruflicher Betätigung, nämlich der freien Selbstverwirklichung234. Auch in diesen Fällen vermag der Vermögensausgleich nach§ 48 Abs. 3 VwVfG das schutzwürdige Bestandsvertrauen des Begünstigten nicht oder jedenfalls nicht hinreichend zu kompensieren. (2) Schutzwürdiges (Verkehrs-) Vertrauen Dritter

Weiterhin gibt es Fälle, in denen außer dem Vertrauen des Begünstigten ein besonderes schutzwürdiges Vertrauen einzelner Dritter bzw. ein allgemeines, vom Individuum abgelöstes Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs für den Bestand des Verwaltungsakts streitet. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf drittrechtsgestaltende und dabei in erster Linie privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte235. Letztere wirken sich auf ein privates Rechtsverhältnis dergestalt aus, daß sie dieses unmittelbar begründen, ändern oder aufheben236. Beispiele hierfür sind etwa die Stiftungsgenehmigung nach § 80 BGB237 , die Erlaubnis der Kartellbehörde nach§§ 4 ff.GWB, die Kündigungsgenehmigung nach§ 15 des Schwerbehindertengesetzes und die frühere Bodenverkehrsgenehmigung nach§ 19 BBauG (Fassung 1960/1976)238 namentlich in ihrer Unterform der Auflassungsgenehmigung. Die Teilungsgenehmigung nach § 19 BBauG (Fassung 1979) bzw. dem heute geltenden§ 19 BauGB hat zwar nicht notwendig eine privatrechts· gestaltende Wirkung239, kann sie aber beispielsweise dann haben, wenn die Teilungserklärung Teil der Auflassung ist240. Privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte haben die Eigenart, in den allgemeinen Rechtsverkehr einzugehen und dabei Grundlage von Entschließungen Vgl. etwa Preuß, JA 1977, 313 {316). Vgl. Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (242); Göldner, DÖV 1979, 805 {806, 807 Fn. 12); Preuß, JA 1977, 313 (315 , 317); ferner BVerfGE 7, 377 (397); 41 , 251 {263 f.). 235 Dazu auch Göldner, DÖV 1979, 805 (807, 811); Frotscher, DVBI. 1976, 281 (286); Maurer, JuS 1976, 485 {493 Fn. 69); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 12 a. 236 Vgl. etwa Wolff/Bachof, VwR I, § 47 I a 2; Wallerath, Allg. VwR, § 7 II 1 b; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 35 Rdn. 30. 237 Vgl. BVerwGE 29, 314. 238 Vgl. BVerwGE 48, 87 (92 ff.); 54, 257 (259 ff.); zur "besonderen Schutzfunktion des Bodenverkehrsrechts" außerdem BVerwG BBauBI. 1985, 100 f. 239 Vgl. BVerwGE 54, 257 {262 f.); BVerwG BBauBI. 1985, 100 {101). 240 Vgl. auch Schlichter/Stich/Tittel, BBauG, § 19 Rdn. 2. 233

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Dritter - etwa des Grundstückserwerbers im Falle der Bodenverkehrs- oder auflassungsgekoppelten Teilungsgenehmigung- zu werden241. Die Interessen dieser Drittbetroffenen können im Einzelfall gleichermaßen schutzwürdig sein wie die Interessen des durch den Verwaltungsakt unmittelbar Begünstigten242. Da fraglich ist, ob die vorgenannten Dritten noch unter den Begriff der Betroffenen i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVfG gefaßt werden können243, könnte ein im Einzelfall zugunsten dieser Dritten gebotener Vertrauensschutz schon aus diesem Grunde im Rahmen der Regelung des § 48 VwVfG gänzlich leerlaufen. Aber auch bei einer eventuell zu erwägenden erweiternden Auslegung des Begriffs des Betroffenen i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG bliebe zumindest ein etwaiges nicht in Geld auszudrückendes Bestandsvertrauen dieser Dritten sowie das Vertrauen der Allgemeinheit in die Sicherheit des privatrechtliehen Verkehrs244 unkompensiert. (3) "Formalverwaltungsakte"

Ähnlich verhält es sich bei den begünstigenden Verwaltungsakten, die dadurch gekennzeichnet sind, daß sie in einem besonders formalisierten, prozeßähnlich ausgestalteten Verwaltungsverfahren erlassen werden. Hierunter fallen z. B. -auf Antrag eines Privaten erlassene- Planfeststellungsbeschlüsse sowie Verwaltungsakte, die im förmlichen Verwaltungsverfahren nach §§ 63 ff. VwVfG und dabei häufig durch Gremien, wie z. B. Beschwerdeoder Prüfungsausschüsse, ergehen245. Mangels einer den vorgenannten Verfahren vergleichbaren besonderen Form- und Verfahrensstrenge sind hingegen die im verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) erlassenen Widerspruchsbescheide246 ebensowenig unter die hier behandelte Gruppe zu fassen wie beispielsweise Verwaltungsakte, bei denen eine beson-

241 So etwa BVerwGE 54, 257 (260); vgl. auch OVG NW, Urt. v. 13. 1. 1986 11 A 377/84-. 242 Zur Frage der Schutzwürdigkeit auch BVerwGE 54, 257 (261). 243 Diese Frage ist noch weitgehend ungeklärt. Soweit ersichtlich wird der Begriff des "Betroffenen" zumeist mit dem des Adressaten des begünstigenden Verwaltungsakts gleichgesetzt; vgl. etwa Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 65 ff.; Johlen, NJW 1976, 2155; Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979) , 337 (356) ; Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (237 ff.) ; so wohl auch- wenngleich nicht eindeutig- die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 71 . Vgl. dazu ferner BVerwGE 48, 87 (92 f.) sowie -allerdings die Abgrenzungsfrage letztlich offen lassend- BVerwGE 54, 257 (261). 244 Diesen Gesichtspunkt hebt insbesondere Göldner- DÖV 1979, 805 (811)- hervor. 245 Vgl. dazu etwa Wolff/Bachof, VwR I,§ 53 V e 7 ; Göldner, DÖV 1979, 805 (807, 811). 246 Insoweit allerdings wohl a. A. Göldner, DÖV 1979, 805 (807). Zur Rücknahme eines Widerspruchsbescheides als begünstigender Verwaltungsakt i. S. des § 48 VwVfG vgl. auch OVG Münster NVwZ 1985, 661 f.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

dere Form, wie z. B. die Schriftform, lediglich für die das Verfahren abschließende Entscheidung vorgeschrieben ist. Kommen Verwaltungsakte in einem förmlichen, prozeßähnlichen Verfahren zustande, so hat das Verfahren unter anderem die Funktion, die Rechtmäßigkeit und Beständigkeit der Verwaltungsentscheidung in besonderem Maße zu sichern. Dieser Sicherungsfunktion korrespondiert ein von dem einzelnen Begünstigten abgelöstes, mithin überindividuelles Vertrauen in die Zuverlässigkeit formalisierter Verwaltungsentscheidungen247. Da sich dieses Vertrauen im Falle einer Rücknahme nicht durch den Vermögensausgleich nach § 48 Abs. 3 VwVfG kompensieren läßt, kommt es auch bei solchen "Formalverwaltungsakten" im Gefolge der Ausgestaltung der Rücknahmeregelung des § 48 VwVfG zu Vertrauensschutzausfällen. ccc) Zusammenfassung und Ergebnis Zusammenfassend läßt sich damit feststellen: Bei einem Großteil der der Regelung des § 48 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 VwVfG unterfallenden Verwaltungsakte ist der gesetzlich vorgesehene Ausgleich der Vermögensnachteile ein Surrogat, das- zumindest teilweise- "leerläuft", indem es dem Vertrauen und Interesse des Begünstigten, sonstiger betroffener Dritter oder des allgemeinen Rechtsverkehrs, dem hier jeweils allein durch den (Fort-)Bestand des Verwaltungsakts Rechnung getragen werden kann, nur unvollkommen gerecht wird248. Auch insoweit ist daher die gesetzliche Regelung mit dem verfassungsrechtlich verbürgten (Mindest-)Vertrauensschutz nicht zu vereinbaren. Da der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hier völlig negiert, zumindest aber unzureichend berücksichtigt wird, gilt dies im Ergebnis sowohl für die grundrechtliche als auch für die rechtsstaatliche Ableitung. b) Die (Un-)Vereinbarkeit des bisherigen Auslegungsergebnisses mit Art. 3 Abs. 1 GG

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die differenzierende Regelung der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte in § 48 VwVfG sind nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer unzureichenden Berücksichtigung des Bestands- und Vertrauensschutzes, sondern daneben auch im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG geltend gemacht worVgl. Göldner, DÖV 1979, 805 (811). Ebenso etwa Maurer in I:.S f. Boorberg-Verlag, S. 223 (242).; Frotscher, DVBI. 1976, 281 (285 f.); Göldner, DOV 1979, 805 (806 f.) ; Schenke, DOV 1983, 320 (323); Lange, WiVerw 1979, 15 (18) ; Preuß, JA 1977, 313 (319); ferner die außerdem oben in Fn. 224 Genannten. A. A . ohne nähere Begründung aber wohl Merten, NJW 1983, 1993 (1998): " ... reicht der Ersatz des Vertrauensschadens allemal". 247 248

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den249. Wie im folgenden aufgezeigt wird, erweisen sich diese Bedenken im Ergebnis als begründet. Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, welches nach heute nahezu unbestrittener250 Auffassung auch den Gesetzgeber bindet251, ist darauf gerichtet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandelnzsz. Bei seiner Gleichheitsprüfung bleibt dem Gesetzgeber abgesehen von den im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehenen Differenzierungsverboten253 - allerdings ein weiter Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum254; dieser bewirkt, daß nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtszss eine Verletzung des Gleichheitssatzes nur dann anzunehmen ist, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung (oder Gleichbehandlung) nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß. Was die bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 2 VwVfG einerseits und des § 48 Abs. 3 VwVfG andererseits vorgenommene Differenzierung betrifft, stellt sich zunächst die Frage, ob man in Anbetracht der Vielfalt der Lebenssachverhalte, die durch begünstigende Verwaltungsakte geregelt werden, die Rücknahme aller begünstigenden Verwaltungsakte noch als etwas wesentlich Gleiches ansehen kann. Maßstabbildende Kriterien für den Wertungsbegriff "wesentlich" werden zum Teil durch das Grundgesetz selbst gegeben; abgesehen von - etwa in Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 38 Abs. 2 GG enthaltenen - speziellen Gleichbehandlungskriterien sind bei der Bestimmung dessen, was gleich und was ungleich ist, auch die sonstigen Wertentscheidungen der Verfassung zu berücksichtigen256. Zu diesen Wertentscheidungen zählt unter anderem der im Rechtsstaatsprinzip und in 249 Vgl. etwa Ossenbühl, DÖV 1964, 511 (520) ; dens., Rücknahme, S. 166; Ule/Bekker, Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat, S. 58; Spanner, DVBI. 1964, 845 (848 f.); Schenke, DÖV 1983, 320 (323); Bode, S. 129 f.; ebenso wohl auch Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 III; vgl. ferner Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (354): "Grenzziehung zu grob und in vielen Fällen nicht stichhaltig". 250 Ablehnend wohl nur H. P. lpsen, Die Grundrechte II, S. 111 (150 f.); Eyermann in FS zum 25-jährigen Bestehen des BayVerfGH, S. 45 ff. ; Schweiger, ebd., S. 55 ff.; ders., BayVBI. 1975, 635 (636). 251 Vgl. etwa BVerfGE 1, 14 (52) , seitdem st. Rspr. ; BayVerfGHE 1, 64 (79) ; Dürig in Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rdn. 292 f.; H.H. Rupp in BVerfG u. GG Il, s. 364 (365) . 252 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 70. 253 z. B. Art. 3 Abs. 3 GG. 254 Dazu näher Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 182 f. m. w. Nachw. 255 Grundlegend BVerfGE 1, 14 (52); vgl. auch BVerfGE 44, 70 (90); 49, 382 (396); 55, 114 (128); 60, 101 (108) ; 68, 237 (250). 256 Vgl. BVerfGE 17, 210 (217); Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I , S. 65; Wallerath, Die Selbstbindung der Verwaltung, S. 45 f.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

den Grundrechten verankerte Vertrauensschutz. Dieser Vertrauensschutz als ein der Rücknahme von Verwaltungsakten im Grundsatz gegenläufiges Verfassungsgebot spielt im wesentlichen bei allen begünstigenden Verwaltungsakten und nicht nur bei den Geld- und Sachleistungsverwaltungsakten i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG eine Rolle. Dies dürfte entscheidend dafür sprechen, daß bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG einerseits und des§ 48 Abs. 3 VwVfG andererseits wesentlich gleiche Sachverhalte betroffen sind. Eine Ungleichbehandlung dieser wesentlich gleichen Sachverhalte liegt insofern vor, als der Gesetzgeber ausschließlich für die begünstigenden Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG Bestandsschutz vorgesehen und dem Vertrauensschutz bei den übrigen begünstigenden Verwaltungsakten von der zeitlichen Begrenzung der Rücknahme durch § 48 Abs. 4 VwVfG hier einmal abgesehen- nur in Form des Vermögensausgleichs nach§ 48 Abs. 3 VwVfG Rechnung getragen hat. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß diese gesetzliche Differenzierung weniger gravierend ist, als es möglicherweise auf den ersten Blick den Anschein hat. Zwar wird durch § 48 Abs. 2 VwVfG im Grundsatz das Bestandsinteresse, also- in zivilrechtlicher Terminologie gesprochen - das positive Interesse geschützt, während § 48 Abs. 3 VwVfG auf den Ersatz des Vertrauensinteresses, also des negativen Interesses, gerichtet ist257 . Bestandsschutz wird gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG jedoch nicht schlechthin, sondern jeweils nur nach Maßgabe des tatsächlich vorliegenden, u. U. nur partiellen Vertrauensschutztatbestandes gewährt; er ist dementsprechend relativ. Dieser Differenzierungsmechanismus kann bewirken, daß hier im Ergebnis- ähnlich wie im Falle des § 48 Abs. 3 VwVfG -allein das Vertrauensinteresse gewahrt bleibt258. Immerhin verbleibt aber der Unterschied, daß dem Vertrauensinteresse im Falle des § 48 Abs. 2 VwVfG durch den (teilweisen) Bestand bzw. Fortbestand des Verwaltungsakts und nicht nur durch einen finanziellen Ausgleich Rechnung getragen wird. Diesen Unterschied versucht eine zum Teil vertretene Auffassung259 mit dem Argument zu minimieren, daß sich der Bestandsschutz nach § 48 Abs. 2 VwVfG konstruktiv auch als Vermögensschutz nach § 48 Abs. 3 VwVfG fassen lasse. Die - ggf. partielle - Aufrechterhaltung eines Verwaltungsaktes im Umfange des schutzwürdigen Vertrauens stelle sich bei den Geld- und Sachleistungsverwaltungsakten nach § 48 Abs. 2 VwVfG gewissermaßen als das Ergebnis eines "vereinfachten Aufrechnungs257 Vgl. Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 70; Wal/erath, Allg. VwR, § 7 VI 2 b bb; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 89; dazu ferner Ossenbühl, Rücknahme, S. 166, Bode, S. 129 f. Nach § 48 Abs. 3 Satz 3 VwVfG bildet allerdings das positive Interesse die Obergrenze der Ausgleichspflicht. Vgl. dazu auch oben § 9 I 2 b. 258 Dazu näher Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (232, 240 f.). 259 So insbesondere Maurer in FS f . Boorberg-Verlag, S. 223 (238 ff.); dazu auch Hengstschläger, Die Verwaltung Bd. 12 (1979), 337 (354 f .).

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verfahrens" dar, wobei sich als gegenseitig zu verrechnende Positionen auf der einen Seite der Erstattungsanspruch der Behörde hinsichtlich der bereits gewährten Leistungen und auf der anderen Seite der Anspruch des Begünstigten auf Ersatz des durch die Rücknahme eintretenden Vertrauenssschadens gegenüberstünden26o. Hierbei handelt es sich indessen um ein rein hypothetisches Denkmodell, welches im Grunde voraussetzt, daß alle begünstigenden Verwaltungsakte im Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze hinsichtlich ihrer Rücknahme nach § 48 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 VwVfG zu behandeln wären. Da dies aber nicht der Fall ist, muß der Annahme entgegengetreten werden, daß nicht nur der Absatz 3, sondern die gesamte Regelung des§ 48 VwVfG letztlich auf einen bloßen Vermögensschutz hin angelegt sei und damit die Rücknahme- und Vertrauensschutzproblematik rein finanziell bewältige261. Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, daß nach den Vorstellungen und der Intention des historischen Gesetzgebers262 in den Fällen der Geld- und Sachleistungsverwaltungsakte nach§ 48 Abs. 2 VwVfG gerade keine Rücknahme gegen eine verrechenbare Entschädigung als "Sekundärleistung" in Betracht kommen, sondern in diesen Fällen der Verwaltungsakt als Voraussetzung für die durch ihn begründete oder gewährte "Primärleistung" bestehen bleiben und gegen eine Aufhebung geschützt werden sollte. Damit bleibt es im Ergebnis dabei, daߧ 48 VwVfG die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte im Hinblick auf die grundsätzliche Unterteilung in ein bestands- und ein nur vermögensgeschütztes Vertrauen vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG ungleich behandelt. Zu einem Verstoß gegen die Verfassungsnorm des Art. 3 Abs. 1 GG führt diese Ungleichbehandlung nach dem oben263 Dargelegten allerdings nur dann, wenn sie nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist, sich also als willkürlich erweist. In der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs264 ist die Differenzierung damit begründet worden, daß die Aufrechterhaltung von Geld- und Sachleistungsverwaltungsakten nach § 48 Abs. 2 VwVfG in erster Linie fiskalische Interessen berühre, wohingegen die begünstigenden Verwaltungsakte nach§ 48 Abs. 3 VwVfG "stärker staatsbezogen" seien und deshalb 260 Vgl. Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (239) ; dens., JuS 1976, 485 (493); dens., Allg. VwR, § 11 Rdn. 28; ebenso wohl auch Frotscher, DVBI. 1976, 281 (289); ferner Musterentwurf 1963, S. 169 (Einzelbegründung zu§ 37 EVwVfG 1963); ähnlich schon W . Schmidt, JuS 1973, 531 (534), unter Berufung auf den Rechtsgrundsatz "dolo facit qui petit quod statim redditurus est". 261 So jedoch im Ergebnis Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (241 f.); Rietdorf, DVBI. 1964, 333 (335); wohl auch Frotscher, DVBI. 1976, 281 (289); Preuß, JA 1977, 265. 262 Vgl. dazu die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 69. 263 Nach Fn. 255. 264 BT-Drucks. 7/910 S. 71.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

bei ihnen die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes schwerer wiege. Diese Begründung vermag indessen kaum zu überzeugen265. Abgesehen von der Unschärfe des Begriffs der Staatsbezogenheit ist dagegen einzuwenden, daß gerade angesichts der zunehmenden Hinwendung unseres Gemeinwesens zum Sozialstaat die Gewährung staatlicher Geld- und Sachleistungen durch Verwaltungsakt an- mitunter existentieller- Bedeutung gewonnen hat und es sich dabei zweifellos um eine staatliche bzw. - in der Terminologie des Regierungsentwurfs - "staatsbezogene" Aufgabe handelt. Darüber hinaus sind es nicht immer nur fiskalische Interessen, die für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 2 VwVfG streiten, wie sich etwa daran zeigt, daß die Vergabe zahlreicher finanzieller Vergünstigungen, z. B. von Subventionen, zweckgebunden, d. h. mit der Realisierung bestimmter nicht fiskalischer öffentlicher Interessen und Zwecke, z. B. wirtschaftsoder sozialpolitischer Belange und Zielsetzungen, verknüpft ist. Sofern der Gesetzgeber mit der stärkeren "Staatsbezogenheit" auf ein in den Fällen der Rücknahme nach § 48 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 VwVfG seiner Auffassung nach regelmäßig stärker ausgeprägtes, also gewichtigeres öffentliches Interesse hat abheben wollen, erweist sich auch dieser Gedanke nicht als stichhaltig. Die bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG betroffenen öffentlichen Interessen können nämlich nach ihrer Art, Zahl und Bedeutung sowie nach der Intensität ihrer Beeinträchtigung durch die Aufrechterhaltung des jeweiligen Verwaltungsakts ein sehr unterschiedliches Gewicht haben266. Sicherlich können hier mitunter, vor allem im Bereich des Rechts der Gefahrenabwehr, fundamentale öffentliche Interessen auf dem Spiel stehen, welche die Aufrechterhaltung eines gesetzwidrigen Zustandes kaum einmal hinnehmbar erscheinen lassen. Dies ist aber nicht in jedem Falle so. Die Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung kann beispielsweise nicht nur aus einem Verstoß gegen für Leib und Leben bedeutsame Sicherheitsbestimmungen, etwa solchen über den Brandschutz, sondern auch aus einer Verletzung von Vorschriften über die Baugestaltung herrühren. Die mögliche Vielfalt der im Einzelfall betroffenen Interessen läßt von daher nicht den Schluß zu, daß das öffentliche Interesse bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVfG stets oder auch nur häufig ein stärkeres Gewicht hat als in den Fällen des § 48 Abs. 2 VwVfG und daß aus diesem Grunde die Rücknahme dringlicher erscheint267. 265 Vgl. dazu etwa die Kritik von Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 18 111; Achterberg, Allg. VwR, § 23 Rdn. 19; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 54; Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (231) ; Häberle in FS f. Boorberg-Verlag, S. 47 (88) ; Lange, Jura 1980, 456 (466); Maurer, JuS 1976, 485 (493). 266 Vgl. etwa Maurer in FS f. Boorberg-Verlag, S. 223 (235). 267 A. A . aber wohl Wendt, JA 1980, 85 (89) ; Maurer in FS f . Boorberg-Verlag, s. 223 (239).

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Schließlich bildet, wie bereits an anderer Stelle angedeutet wurde268, auch die mit der Regelung des § 48 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 VwVfG angestrebte Auflockerung der für die ihrer Natur nach einer Teilrücknahme in aller Regel entzogenen "immateriellen" Verwaltungsakte zuvor gültig gewesenen "Allesoder-nichts-Lösung" zwischen Aufhebung und vollem Bestandsschutz zugunsten eines angeblich elastischeren Interessenausgleichs keinen sachlich einleuchtenden Differenzierungsgrund269. Zum einen wird nämlich auf diese Weise tatsächlich kaum ein Mehr an Flexibilität erreicht, wenn man berücksichtigt, daß die Verwaltung strikt an die;! vom Gesetzgeber vorgezeichnete Kategorisierung der begünstigenden Verwaltungsakte gebunden und nicht etwa in der Lage ist, je nach den Umständen des Einzelfalles Bestandsschutz oder Vermögensschutz zu gewähren. Die Unzulänglichkeit und Starre dieser Kategorisierung zeigt sich etwa daran, daß in zahlreichen Fällen begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG der Vermögensausgleich für den Betroffenen keinen Wert hat27o. Zum anderen muß die gesetzlich vorgenommepe Differenzierung selbst im Falle einer - einmal unterstellten geringen Flexibilitätssteigerung deshalb als nicht sachgerecht angesehen werden, weil sie, wie zuvor dargelegt wurde27t, zu einer gegen Verfassungsrecht verstoßenden Reduzierung des Bestandsschutzes sowie - jedenfalls für einen bedeutsamen Teil der begünstigenden Verwaltungsakte - des Vertrauensschutzes überhaupt führt. Sprechen nach alledem keine hinreichenden sachlichen Gründe für die der Regelung des § 48 VwVfG zugrunde liegende unterschiedliche Bewertung des Vertrauens und Interesses des Begünstigten bei der Rücknahme von Verwaltungsakten i. S. des Absatzes 2 einerseits und des Absatzes 3 andererseits, so muß diese Regelung entgegen einer Reihe von Stimmen im Schrifttum272 als willkürlich angesehen werden. Sie verstößt mithin gegen Art. 3 Abs. 1 GG273. c) Zwischenergebnis

Eine Auslegung der Vorschrift des§ 48 VwVfG mit dem Ergebnis, daß dem Vertrauensschutz bei den nicht unter§ 48 Abs. 2 VwVfG fallenden begünstigenden Verwaltungsakten ausschließlich durch die Vermögensausgleichsregelung des § 48 Abs. 3 VwVfG Rechnung getragen wird, was gleichzeitig bedeutet, daß der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes bei der Bildung desRücknahmeermessens nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG keine zusätzliche BerückVgl. oben§ 9 I 1 (bei Fn. 8 ff.). Anders aber wohl Roters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (231). 21o Vgl. dazu oben in§ 9 II C 2 a cc. 211 Vgl. § 9 II C 2 a bb und cc. 272 So etwa Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 86; Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 II 3 a; Maurer in FS f . Boorberg-Verlag, S. 223 (242); Göldner, DÖV 1979, 805 (810). 273 Weitgehend ebenso die oben in Fn. 249 Genannten. 268

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

sichtigung finden darf, steht nach den vorstehenden Ausführungen in mehrfacher Hinsicht mit den Rahmenvorgaben der Verfassung nicht im Einklang. Zum einen steht sie im Widerspruch zu dem in den Freiheitsgrundrechten sowie - ergänzend dazu - in der Rechtssicherheitskomponente des Rechtsstaatsprinzips verfassungskräftig verbürgten (Mindest-) Vertrauensschutz, weil sie im grundrechtsrelevanten Bereich gebotenen Bestandsschutz vernachlässigt und darüber hinaus bei einem Großteil der begünstigenden Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG zu Vertrauensschutzdefiziten führt, die durch den vorgesehenen Vermögensausgleich nicht oder nicht hinreichend kompensiert werden können. Zum anderen verstößt die differenzierende Behandlung der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte gemäß den Absätzen 2 und 3 der Regelung des § 48 VwVfG in Anbetracht der nicht sachgerechten Grenzziehung auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. 3. Vertrauensbedingter Bestandsschutz bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVfG vor dem Hintergrund der Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung

Bei einer Einbeziehung des Vertrauensschutzgedankens in die von der Behörde nach§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu treffende Ermessensentscheidung würde die zuvor festgestellte Unvereinbarkeit mit der Verfassung entfallen. Diese vielfach befürwortete274 Lösung könnte allerdings noch daran scheitern, daß sie die Grenzen übersieht bzw. nicht beachtet, die einer verfassungskonformen Auslegung gesetzt sind. a) Die allgemeinen Grenzen der verfassungskonformen Auslegung

Da es sich bei dem Gesichtspunkt der Verfassungskonformität um ein Auslegungskriterium handelt275, gelten zunächst für die verfassungskonforme Auslegung diejenigen methodischen Grenzen, die in bezug auf jede Auslegung bestehen. Normen, die von vornherein einen eindeutigen Inhalt haben, sind nicht auslegungsfähig; fehlt also einer Norm nach Wortlaut und Zweckbestimmung die Auslegungsfähigkeit, so ist auch für eine verfassungskonforme Auslegung kein Raum276. Bestehen dagegen unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten, so bildet vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung der Vgl. insbesondere die oben in Fn. 68 Genannten. Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 326; F. Müller, Jur. Methodik, S. 72 f. ; Bogs, Verfassungskonforme Auslegung, S. 24 ff.; Göldner, Verfassungsprinzip, S. 47 ff. ; Prümm, Verfassung und Methodik, S. 95 f. 276 Vgl. BVerfGE 54, 251 (274); BVerwGE 54, 135 (138) ; Stern, Staatsrecht I, § 4 III 8 d; Simon, EuGRZ 1974, 85. 274 275

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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objektiven277 Elemente juristischer Interpretation der Wortlaut, d. h. der grammatisch mögliche Wortsinn, den äußersten Rahmen der Auslegung27s. Dies muß jedenfalls dann gelten, wenn man den Begriff der Auslegung in Abgrenzung zu den Methoden der Rechtsfortbildung, wie z. B. Lückenergänzung und Gesetzesrestriktion, in einem engeren279 Sinne verstehtzso. Neben dem Wortlaut hat ferner der Bedeutungszusammenhang, d. h. der Kontext, in den eine gesetzliche Regelung gestellt ist, eine die (verfassungskonforme) Auslegung im wesentlichen eingrenzende Funktion281. Im Verhältnis dazu kommt dem Gesichtspunkt der Verfassungskonformität als einem unter mehreren Auslegungskriterien nicht ohne weiteres eine Vorrangstellung zu. Dies hat zur Folge, daß nur im Falle mehrerer dem Wortsinn und Kontext nach möglicher, also hermeneutisch vertretbarer Auslegungsalternativen derjenigen der Vorzug zu geben ist, bei welcher die Norm, gemessen an den Prinzipien und Aussagen der Verfassung, Bestand haben kann282. Darüber hinaus hat man sich zu vergegenwärtigen, daß mit Hilfe des methodischen Instrumentariums der verfassungskonformen Auslegung nicht in den Funktionsbereich des Gesetzgebers eingegriffen werden darf. Außer dem methodisch vorgegebenen Auslegungsrahmen - Abgrenzung zur auslegungsüberschreitenden Rechtsfortbildung- sind demzufolge funktionelle, d. h. sich aus der Funktionenordnung des Grundgesetzes ergebende Grenzen der verfassungskonformen Auslegung zu beachten2B3• Die auslegenden Rechtsanwender - seien es Normenkontrollgerichte, Fallgerichte oder auch die Verwaltung284 - dürfen nicht unter Mißachtung der Grundsätze vom Vorrang und 277 Vgl. zu dem heute durch eine Kombination der verschiedenen Elemente weitgehend überwundenen Streit zwischen "subjektiver" und "objektiver" Auslegungstheorie etwa Larenz, Methodenlehre, S. 301 ff.; Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, s. 19 ff. 278 Ebenso BVerfGE 8, 28 (34); 18, 97 (111); 57, 361 (388) ; 63, 131 (147); 67, 382 (390); 69, 1 (55), 209 (219 f.); Larenz, Methodenlehre, S. 326, 329 u. 330; Zippelius, Jur. Methodenlehre, § 9 II, ders. in BVerfG u . GG li, S. 108 (115 f.); Göldner, Verfassungsprinzip, S. 213 f.; Prümm, Verfassung und Methodik, S. 111 ff., 146; z. T. kritisch Ebsen, Gesetzesbindung, S. 44 ff.; Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, s. 14 f. 279 Zur Gesetzesauslegung in einem weiten und einem engen Sinn vgl. etwa Ebsen, Gesetzesbindung, S. 34 ff. 280 Vgl. zu der vorherrschenden Abgrenzung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung etwa Larenz, Methodenlehre, S. 351 ff.; Göldner, Verfassungsprinzip, S. 74 f.; Zippelius in BVerfG u. GG li, S. 108 (116, 121). 281 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 326, 330. 282 Ebenso etwa Larenz, Methodenlehre, S. 330. 283 Vgl. dazu etwa F. Müller, Jur. Methodik, S. 74 f. ; Bogs, Verfassungskonforme Auslegung, S. 67 ff. ; Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 83; Simon, EuGRZ 1974, 85 (87 f.); ausführlich zu den funktionellen Grenzen richterlicher Verfassungskonkretisierung Göldner, Verfassungsprinzip, S. 149 ff. 284 Mitunter wird in diesem Zusammenhang noch zwischen der den Gerichten und dabei insbesondere der Verfassungsgerichtsbarkeit vorbehaltenen verfassungskonfor-

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Vorbehalt des Gesetzes sowie unter Verschiebung der im Grundgesetz im einzelnen ausgestalteten Funktionenordnung der Sache nach selbst an die Stelle des Gesetzgebers treten, indem sie einer Norm unter Zuhilfenahme der verfassungskonformen Auslegung einen Sinn verleihen, den dieser nicht gewollt hat. Insbesondere haben die rechtsanwendenden Organe und Stellen den bei der Konkretisierung von Verfassungsprinzipien in aller Regel bestehenden Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers und dessen rechtspolitisches Regelungs- und Gestaltungsermessen zu beachten285. Das mit der verfassungskonformen Auslegung verfolgte Ziel, die Nichtigkeit demokratisch zustande gekommener Gesetze nach Möglichkeit zu vermeiden und auf diese Weise den Primat des Gesetzgebers gerade zu betonen, darf nicht dadurch in sein Gegenteil verkehrt werden, daß solche inhaltlichen Korrekturen vorgenommen werden, die im Ergebnis dazu führen, daß der normative Gehalt einer gesetzlichen Regelung grundlegend neu bestimmt wird286, daß also gewissermaßen eine neue Vorschrift entsteht, die der Gesetzgeber so nie erlassen hat287 • Im Gefolge dieser Überlegungen muß Grenze jeder verfassungskonformen Auslegung der klar erkennbare, in einer Norm objektiv zum Ausdruck kommende WiÜe des Gesetzgebers sein2ss. Dieser Gesichtspunkt ist insbesondere vom Bundesverfassungsgericht immer wieder betont worden. Nach der ständigen Rechtsprechung dieses Gerichts findet die verfassungskonforme Auslegung- abgesehen vom Wortlaut- dort ihre Grenze, wo sie mit dem Sinn und Zweck einer Vorschrift in Widerspruch treten würde289. Im Wege verfassungskonformer Auslegung darf demgemäß einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, es darf der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgebefische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt bzw. verfälscht werden29o. Einen gewissen, allerdings durch objektive Elemente zu erhärtenden Aufschluß über den die verfassungskonforme Auslegung begrenzenden men Auslegung (i. e. S.) und der jedem rechtsanwendenden Organ aufgegebenen verfassungsorientierten Auslegung unterschieden; vgl. etwa Stern, Staatsrecht I, § 4 III 8 d; Schlaich, JuS 1982, 437 (442). 285 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 330; Zippelius in BVerfG u. GG II, S. 108 (112 ff., 117 ff.); Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 83; Göldner, Verfassungsprinzip, S. 151 ff., 177 ff.; dens. , DÖV 1979, 805 (810) . 286 So etwa Bogs, Verfassungskonforme Auslegung, S. 67 f. 287 Vgl. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 111; Stern, Staatsrecht I, § 4 III 8 d. 288 Ebenso etwa BVerfGE 18, 97 (111); 52, 357 (368 f.); 67, 382 (390); 69, 1 (55); Stern, Staatsrecht I, § 4 III 8 d; Prümm, Verfassung und Methodik, S. 242, 250 ff. 289 Vgl. BVerfGE 47, 46 (82); 55, 134 (143); 57, 361 (388); 59, 360 (386 f.) ; 67, 186 (198); 69, 1 (55) ; ferner Sachs, NVwZ 1982, 657; Larenz, Methodenlehre, S. 326. 290 Vgl. BVerfGE 8, 28 (34), 71 (78 f.); 9, 83 (87) , 194 (200); 33, 52 (69); 35, 263 (280); 45, 393 (400) ; 48, 40 (46 f.); 54, 277 (299 f.); 59, 330 (334); Stern, Staatsrecht I, § 4 III 8 d; Heußner, NJW 1982, 257 (262); ähnlich auch Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 110.

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des§ 48 Abs. 3 VwVfG

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Willen des Gesetzgebers kann dabei die Entstehungsgeschichte der auszulegenden Vorschrift geben29I. Hält sich eine Auslegung innerhalb dieser aufgezeigten Grenzen, so kommt es allerdings nicht darauf an, ob dem subjektiven Willen des Gesetzgebers eine weitergehende Auslegung eher entsprochen hätte. Hier ist vielmehr im Wege der verfassungskonformen Auslegung von den Absichten des Gesetzgebers das Maximum dessen aufrechtzuerhalten, was nach der Verfassung aufrechterhalten werden kann, wobei unerheblich ist, ob die (subjektiven) Absichten des Gesetzgebers etwa hierüber hinausgingen292. Kritisch wird letzteres allerdings dann, wenn im Ergebnis nur noch ein minimaler Inhalt der ursprünglichen Absichten des Gesetzgebers aufrechterhalten bliebe. In solchen Fällen sollte man dem Gesetzgeber die Wahl und Entscheidung darüber belassen, ob er unter diesen Umständen auf die Regelung - falls möglich - ganz verzichtet293. Bei der verfassungskonformen Auslegung von Ermessensnormen ist schließlich noch folgendes zu berücksichtigen: Verwendet ein nachkonstitutionelles Gesetz einen inhaltlich nicht näher bestimmten Ermessensbegriff, so ist - allerdings auch hier begrenzt durch Wortlaut, Kontext und erkennbaren Gesetzeszweck - in aller Regel davon auszugehen, daß der Gesetzgeber Ermessen nur in den Grenzen einräumen will, die die Verfassung einer pflichtgemäßen Ermessensbetätigung setzt, mit der Folge, daß die Ermessensnorm von vornherein nur im verfassungskonformen Sinne verstanden werden darf294. b) Die Überschreitung dieser Grenzen bei einer Berücksichtigung des Bestandsvertrauens im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Rücknahme

Den vorstehenden Grundsätzen zufolge muß die Prüfung der Einhaltung der Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung zunächst bei der Interpretation der Norm anhand der herkömmlichen Auslegungskriterien ansetzen. Wie bereits an anderer Stelle295 untersucht wurde, hat die Auslegung des § 48 VwVfG im Hinblick auf die hier interessierende Fragestellung folgendes ergeben: Wenn auch nicht mit hinreichender Deutlichkeit bereits dem Wortlaut, so läßt sich jedenfalls gemeinsam der Systematik der Rücknahmeregelung und ihrer Entstehungsgeschichte als eindeutiger gesetzgeberischer Wille 291 Vgl. BVerfGE 9, 194 (200); 55, 159 (170 f.); 59, 336 (352 f.); 63,266 (289 ff.); 69, 1 (55). 292 Vgl. BVerfGE 9, 194 (200); 47, 327 (380) ; 49, 148 (157); 69, 1 (55). 293 So auch Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 111. 294 Vgl. BVerfGE 54, 277 (300). 295 Vgl. oben§ 9 li B.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

und gleichermaßen als objektive Zielsetzung296 des Gesetzes entnehmen, daß dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes bei den begünstigenden Verwaltungsakten i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG allein und abschließend im Zusammenhang mit dem auf Antrag gewährten Vermögensausgleich als einer nachträglichen Regulierung von Rücknahmefolgen Rechnung getragen werden soll, so daß ein etwaiges schutzwürdiges Bestandsvertrauen im Rahmen der Bildung und Betätigung des Rücknahmeermessens nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG und damit bei der Entscheidung über das "Ob" und "Wie" der Rücknahme keine- zusätzliche -Berücksichtigung finden darf. Für die Annahme, daß diese vom Gesetzgeber erkennbar gewollte differenzierende Behandlung der Verwaltungsakte im Sinne des Absatzes 3 im Verhältnis zu denen im Sinne des Absatzes 2 dann nicht mehr habe gelten sollen, wenn der Vertrauensschutz des Begünstigten entweder durch Freiheitsgrundrechte verfassungsrechtlich unterfangen ist oder er sich durch den vorgesehenen finanziellen Ausgleich allein nicht kompensieren läßt, bieten Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht die nötigen Anhaltspunkte. Insbesondere dürften aber teleologische Erwägungen eine von dem vorgenannten Gesetzesziel abweichende verfassungskonforme Auslegung verbieten. Die vorliegende Untersuchung hat nämlich ergeben, daß der vom Gesetzgeber als Bestandsschutzsurrogat bei begünstigenden Verwaltungsakten i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG vorgesehene Vermögensschutz nicht etwa nur in wenigen Ausnahmefällen, sondern in einer bedeutsamen Anzahl von Fällen, ja sogar ganzen Fallgruppen, "leerläuft" und daß diese Vermögensschutzlösung darüber hinaus im grundrechtsrelevanten Bereich und damit zugleich in der Mehrzahl aller Fälle verfassungsrechtliche Mindestanforderungen nicht hinreichend beachtet297, Um eine Verfassungskonformität der Regelung zu erzielen, müßte demgemäß die Vertrauens- und Bestandsschutzproblematik in allen diesen Fällen in die Rücknahmeentscheidung selbst, nämlich die Ermessensbildung und-betätigungnach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, verlagert werden. Dann aber würde von der vom Gesetz mit der von der vorherigen Praxis abweichenden Neuregelung maßgeblich bezweckten differenzierenden Behandlung der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte - Bestandsschutz auf der einen und (ausschließlich) Vermögensschutz auf der anderen Seite - nicht mehr viel übrig bleiben. Das wiederum hätte zur Folge, daß der nach Maßgabe der Funktionenordnung des Grundgesetzes gegen eine Usurpation zu schützende gesetzgeberische Wille im Falle der hier zur Diskussion stehenden verfassungskonformen Auslegung des § 48 VwVfG in wesentlicher Hinsicht verfehlt und damit verfälscht würde. 296 Vgl. dazu, daß sich Sinn und Zweck eines Gesetzes auch ausschließlich aus einem bestimmten Gesetzgebungswillen ergeben können, etwa Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 111. 297 Vgl. dazu ausführlich oben§ 9 II C 2 a bb bbb und cc.

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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Es läßt sich in diesem Zusammenhang auch nicht davon ausgehen, daß im Falle einer verfassungskonformen Auslegung im Wege der Berücksichtigung des Bestands- und im übrigen unkompensierten Vertrauensschutzes beim Rücknahmeermessen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG lediglich die subjektive Absicht des Gesetzgebers nicht mehr voll zur Geltung käme298. Dagegen steht bereits, daß nicht nur die Entstehungsgeschichte, sondern auch objektive Auslegungsmerkmale, wie der Bedeutungs- und Systemzusammenhang der Norm, das Gesetzesziel ausreichend verdeutlichen. Im übrigen bleibt selbst im Hinblick auf die subjektiven Gesetzesabsichten folgendes Bedenken gegen eine verfassungskonforme Auslegung. Wegen der- gerade vor dem Hintergrund der Zahl der von einer eventuellen verfassungskonformen Auslegung erfaßten Fälle- erforderlichen Neubestimmung der Grundstrukturen der Regelung des § 48 VwVfG wäre das Auslegungsergebnis kaum noch als ein- u. U. noch innerhalb der Grenzen verfassungskonformer Auslegung in Betracht kommendes- "minus" im Verhältnis zum Maximum der (subjektiven) Absichten des Gesetzgebers anzusehen, sondern der so gewonnene Norminhalt müßte als ein "aliud" qualifiziert werden. Schließlich kann es hier in Anbetracht der Deutlichkeit des gesetzgeberischen Willens auch keine entscheidende Rolle spielen, daß der Gesetzgeber die Befugnisnorm des§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG als Ermessensermächtigung ausgestaltet hat299. Es kann zudem nicht ausgeschlossen werden, daß der Gesetzgeber, hätte er die verfassungsrechtlichen Bedenken in ihrem Umfang voll erkannt, nicht eine- im übrigen auch vor dem Hintergrund des Gesetzesund Parlamentsvorbehalts problematische300- Ermessensregelung getroffen, sondern den Gesamtbereich der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte anders als geschehen oder aber doch in gewisser Anlehnung an die tatbestandliehen Einschränkungen des§ 48 Abs. 2 VwVfG normiert hätte. Wegen Überschreitung der methodischen und aus der Funktionenordnung des Grundgesetzes folgenden Grenzen kommt nach alledem eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift des § 48 VwVfG dahin, daß der verfassungsrechtlich gebotene Vertrauens- und Bestandsschutz bei begünstigenden Verwaltungsakten i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Rücknahme Berücksichtigung finden kann (und ggf. muß), nicht in Betracht3ül. So aber wohl Göldner, DÖV 1979, 805 (809 f.). A. A. möglicherweise Schenke, DÖV 1983, 320 (323). 300 Vgl. dazu- in anderem Zusammenhang- bereits oben§ 7 I 2 a bb (bei und nach Fn.42). 301 Zumindest stark dahin tendierend auch Erichsen, VerwArch Bd. 69 (1978), 303 (308); ders., Jura 1981,534 (542); ders., Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 132. Im Ergebnis ähnlich - allerdings zumeist ohne tiefere Auseinandersetzung mit den Grenzen der verfassungskonformen Auslegung - auch Frotscher, DVBI. 1976, 281 (285); Roters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (231 f.); OVG Münster 298 299

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

D. Exkurs: Verfassungskonforme Rechtsfortbildung als gleichermaßen untaugliches Mittel zur Lösung des Problems

Wenngleich der eindeutige Aussagegehalt des§ 48 VwVfG in bezugauf die anfängliche Fragestellung eine verfassungskonforme Auslegung scheitern läßt, könnte immerhin noch an eine verfassungskonforme Rechtsfortbildung, etwa in der methodischen Gestalt der Restriktion (teleologischen Reduktionpoz, gedacht werden, um auf diese Weise die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung zu vermeiden3o3. Dieser Weg ist beispielsweise von Göldner304 aufgezeigt worden, der - wenn nicht bereits durch eine verfassungskonforme Auslegung - zumindest dadurch im Ergebnis zu einem die Ermessensregelung des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG suspendierenden "sondertypischen" Bestandsschutz gelangt. Wie die folgenden Überlegungen zeigen werden, erweist sich indessen auch dieser Weg zur Vermeidung des Verdikts der Verfassungswidrigkeit des§ 48 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 VwVfG nicht als überzeugend. Gerät eine Norm in einem Teil ihres Umfanges mit einem Verfassungsprinzip in Konflikt und ist eine verfassungskonforme Auslegung innerhalb der für dieses Institut geltenden Grenzen nicht möglich, so kommt zwar grundsätzlich über die juristische Methode der Restriktion eine an der Verfassung ausgerichtete Gesetzeseinschränkung in Betracht, sei es, daß man hier eine ausfüllungsbedürftige "verdeckte" Lücke annimmt305, sei es, daß von einer wegen des Widerspruchs zu der höherrangigen Verfassungsnorm ipso iure wirkenden Normenkonkurrenz ausgegangen wird306. Jedoch darf auch eine an die engeren Auslegungsgrenzen, wie z. B. den Wortlaut, nicht gebundene (verfassungskonforme) Rechtsfortbildung, sei es durch Restriktion oder auch Extension, nicht zu einer wesentlichen Änderung bzw. Verfälschung des Gesetzeszwecks und nicht zu einer Usurpation gesetzgeberischen Regelungsermessens führen, weil sie- insoweit ähnlich der verfassungskonformen Auslegung- den sich aus der Funktionenordnung der Verfassung ergebenden Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers beachten muß307. Eine den gesetzlichen Willen übersteigende "Gesetzeskorrektur" ist demzufolge ausgeschlossen3os. DVBI. 1980, 885 (887) ; nicht ganz eindeutig Häberle in FS f. Boorberg-Verlag, S. 47 (88): "freilich durch die Intention von Absatz 3 relativiert" . 302 Dazu etwa Larenz, Methodenlehre, S. 375 ff. 303 Zur Möglichkeit einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung vgl. etwa Zippelius in BVerfG u. GG II, S. 108 (121 ff.); Larenz, Methodenlehre, S. 326; Göldner, Verfassungsprinzip, S. 67 ff.; 1. Ipsen, Richterrecht, S. 178 ff.; Prümm, Verfassung und Methodik, S. 178 ff. 304 DÖV 1979, 805 (810 f., 812) . 305 So etwa Larenz, Methodenlehre, S. 375 ff.; zur richterlichen Lückenfüllung auch Zippelius in BVerfG u. GG II, S. 108 (121 f.) ; Prümm, Verfassung und Methodik, s. 178 ff. 306 Vgl. etwa Zippelius in BVerfG u. GG II, S. 108 (123).

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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Zwar ist dem Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers im Grundsatz durch die möglichst umfassende Aufrechterhaltung einer Norm mehr gedient als durch ihre (teilweise) Nichtigerklärung. Dies gilt aber dann nicht mehr, wenn die Aufrechterhaltung nur mit einer inhaltlichen Umgestaltung des ursprünglichen Gesetzesinhalts erkauft werden kann. In diesem Falle würde nämlich die Konkretisierungsaufgabe des Gesetzgebers anderen staatlichen Funktionen, und zwar im wesentlichen der Gerichtsbarkeit, übertragen. Die Gefahr eines Unterlaufens des Konkretisierungsprimats des Gesetzgebers bestünde höchstens in den Fällen nicht, in denen nur eine Regelung denkbar ist, die den Geboten der Verfassung Rechnung trägt309. In Anbetracht der Konkretisierungsbedürftigkeit der meisten Verfassungsnormen, wie beispielsweise des Rechtsstaatsprinzips310, kann es sich dabei aber wohl nur um Ausnahmefälle handeln. Daß ein solcher Ausnahmefall im Hinblick auf die Beseitigung des verfassungsrechtlichen Defizits der Regelung der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG durch eine Reduktion der "freien" Rücknehmbarkeit gemäߧ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG über den Typenbereich des§ 48 Abs. 2 VwVfG hinaus angenommen werden kann, wovon offenbar Göldner3ll ausgeht, muß indessen bezweifelt werden. So läßt sich der konkrete Umfang des - einander ergänzend - durch die Freiheitsgrundrechte und das rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit verfassungsrechtlich unterfangenen Vertrauensschutzgebotes in den seltensten Fällen unmittelbar den vorgenannten Verfassungsnormen entnehmen. Vielmehr bedarf es hierzu in der Regel noch einer näheren inhaltlichen Ausgestaltung und Konkretisierung der betroffenen Verfassungsprinzipien, die in erster Linie dem Gesetzgeber obliegt. Sicherlich ist Göldner3l2 dahin Recht zu geben, daß dieser Konkretisierungsspielraum seinerseits nicht unbegrenzt, er insbesondere nicht so weit bemessen ist, daß die Betroffenen von vornherein in bestimmten Bereichenunkompensierte Vertrauensschutzausfälle und damit "Nullschutz" in Kauf nehmen müßten. Überschreitet der Gesetzgeber- wie im Falle des § 48 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 VwVfG- diese sich insbesondere aus dem Verfassungsgrundsatz vom Übermaßverbot ergebenden Grenzen, so ist damit allerdings noch nichts darüber ausgesagt, ob die zu konkretisierenden Verfassungsnormen in dem betreffenden Fall eine ganz bestimmte Ausgestaltung fordern. Vorliegend ist wohl davon auszugehen, daß eine ver307 Vgl. Zippelius in BV~rfG u. GG li, S. 108 (123); Göldner, Verfassungsprinzip, S. 182 ff., 201 ff. ; dens., DOV 1979,805 (810); Larenz, Methodenlehre, S. 327; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 103 f., 254. 308 So auch Prümm, Verfassung und Methodik, S. 242. 309 Dazu etwa Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 83 (Fn. 52); Göldner, DÖV 1979, 805 (810); vgl. auch BVerfGE 2, 336 (340 f.); Schlaich, JuS 1982, 437 (443). 310 Vgl. dazu näher oben bei und nach Fn. 190. 311 DÖV 1979, 805 (810 f.). 312 DÖV 1979, 805 (810 f.) .

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fassungsrechtlich unbedenkliche Ausgestaltung der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG den vom Gesetzgeber eingeschlagenen Weg der Exklusivität des Vermögensschutzes in Richtung auf ein gewisses Maß an Bestandsschutz hin verlassen muß. Die exakte Bestimmung dieses Maßes an Bestandsschutz liegt aber nicht kraftVerfassungsrechts von vornherein fest. Insbesondere ist nicht notwendig eine Regelung geboten, die derjenigen in § 48 Abs. 2 VwVfG voll entspricht. Dies zeigen beispielsweise die zumindest im Detail, mitunter aber auch erheblich voneinander abweichenden Regelungen der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte in § 48 VwVfG einerseits sowie in § 130 AO, §§ 45, 48 SGB X und einer Reihe noch weitergeltender Spezialgesetzem andererseits. Hieran wird deutlich, daß Differenzierungen bei der Ausgestaltung des Vertrauensschutzes im Recht der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte je nach der betroffenen Rechtsmaterie und der gesetzgeberischen Zielsetzung im Einzelfall möglich und im Grundsatz auch - sofern sachlich begründet- innerhalb des durch die Verfassung gezogenen Rahmens zulässig sind. Dem Gesetzgeber steht es dabei im übrigen frei, dem Vertrauensschutz in einem bestimmten Rechtsbereich einen Stellenwert zuzumessen, der über den durch die Verfassung gebotenen Mindestbestandsschutz hinausgeht, solange er bei der Harmon!sierung widerstreitender Interessen nicht in Konflikt mit anderen Verfassungsgütern gerät. Wie bereits an anderer Stelle314 dargelegt wurde, ist das dem Vertrauensschutz bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte zuwiderlaufende Verfassungsprinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung für den Fall seiner Verletzung nicht auf eine bestimmte Rechtsfolge festgelegt. Nach alledem ist der Gesetzgeber bei der näheren Ausgestaltung des verfassungsrechtlich verbürgten Vertrauensschutzes im Rahmen der Regelung der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nicht derart eingeschränkt, daß ihm nur eine einzige von der Verfassung vorgegebene Lösung des Interessenkonflikts zur Verfügung stünde. Da ansonsten der Gesetzeszweck verfälscht und in das gesetzgeberische Regelungsermessen eingegriffen würde, muß hier mithin nicht nur eine verfassungskonforme Auslegung, sondern auch eine Rechtsfortbildung im Wege einer verfassungskonformen Restriktion des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG aUsscheiden.

E. Ergebnis Im Ergebnis bleibt es damit hier bei dem zuvor315 gewonnenen Auslegungsergebnis, wonach auf der Grundlage der vom Gesetz beabsichtigten differen313 Vgl. z. B. § 25 PBefG, § 15 Abs. 1 GastG, § 47 Abs. 1 WaffG., § 18 BJagdG, § 12 BBG. 314 Vgl. oben§ 7 I 2 a aa. 315 Vgl. oben§ 9 II B.

§ 9 Die Rücknahme begünstigender VAe i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG

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zierten Behandlung der Rücknahme begünstigender3 16 Verwaltungsakte der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes durch die Regelungen der Absätze 2 und 3 des § 48 VwVfG verbraucht ist und damit bei der Bildung und Betätigung des im Rahmen der Entscheidung über die Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG bestehenden behördlichen Ermessens keine zusätzliche Berücksichtigung mehr finden darf. Die begründeten verfassungsrechtlichen Bedenken, die im Hinblick auf einen bedeutsamen Teil der begünstigenden Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG gegen eine solche Auslegung sprechen, lassen sich bei konsequenter Beachtung der methodischen und funktionalen Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung bzw. Rechtsfortbildung nicht mit Hilfe dieser Instrumentarien, sondern allein durch eineauch rechtspolitisch zu fordernde- Gesetzesänderung beseitigen.

111. Sonstige verbleibende und dabei u. U. zu Bestandsschutz führende Determinanten des Ermessens bei der Entscheidung über die Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Abgesehen von dem zuvor ausführlich behandelten Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hat die Behörde bei ihrer Entscheidung darüber, ob sie einen begünstigenden Verwaltungsakt i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG auf der Grundlage der Befugnisnorm des§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zurücknimmt und ob sie dieses ganz oder teilweise und mit Wirkung für die Vergangenheit oder für die Zukunft tut, sämtliche sich aus Verfassung und Gesetz ergebenden Determinanten der Ermessensbildung und -ausübung zu beachten317. Insofern ergeben sich keine nennenswerten Unterschiede zu der Ermessensentscheidung, wie sie auch im Falle der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 2 VwVfG - dort allerdings erst nach Berücksichtigung der tatbestandliehen Einschränkungen des Absatzes 2 - zu treffen ist. Auf eine nochmalige Behandlung der dabei in Betracht kommenden Ermessensdeterminanten318 kann daher an dieser Stelle verzichtet werden. Führen bestimmte Ermessensdeterminanten - beispielsweise eine Ermessensbindung auf der Grundlage des Art. 3 Abs. 1 GG- dazu, daß eine Entscheidung zugunsten der Rücknahme in einer bestimmten Fallkonstellation nicht in Betracht kommt, so hat dieses für den Betroffenen letztlich Bestandsschutz zur Folge. Bestandsschutz ist demgemäß auch nach der hier in bezug auf das Berücksichtigungsverbot des Vertrauensschutzes vertretenen Auffas316 Zu der - im Unterschied dazu - durch einen erkennbaren Gesetzeszweck nicht ausgeschlossenen Berücksichtigung des Vertrauensschutzes innerhalb des Rücknahmeermessens bei nicht begünstigenden Verwaltungsakten vgl. oben§ 7 I 2 b cc. 317 Vgl. etwa Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I , S. 133; dens. , Jura 1981, 534 (542) ; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.6.3; Raters, Verwaltungsrundschau 1982, 226 (232). 318 Siehe dazu oben § 8 IV 2.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

sung bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte i. S. des § 48 Abs. 3 VwVfG nicht schlechthin ausgeschlossen. Außer am allgemeinen Gleichheitssatz hat sich das Rücknahmeermessen etwa auch an den übrigen Grundrechten und den Grundsätzen des Übermaßverbotes319 auszurichten, dieses aber nur in dem- in der Regel beschränkten- Umfang, in dem die vorgenannten Verfassungssätze nicht gleichzeitig Grundlage des verfassungsrechtlich verbürgten Vertrauensschutzes sind. Auch hieraus kann im Einzelfall, etwa bei einer (vertrauensunabhängigen) fehlenden Erforderlichkeit oder der Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme, ein Bestandsschutz für den Betroffenen resultieren.

319 Vgl. entsprechend zum Rücknahmeermessen in der Spezialvorschrift des § 35 Abs. 1 BRAO BVerfG E uGRZ 1986, 257 (259).

§ 10 Die zeitliche Rücknahmesperre des§ 48 Abs. 4 VwVfG I. Inhalt und allgemeine Bedeutung der Regelung Die Regelung des§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG begrenzt die Rücknahmebefugnis der Behörde in zeitlicher Hinsicht. Diese zeitliche Rücknahmesperre gilt gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG indes nur für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte. Auf der anderen Seite gilt sie aber für alle begünstigenden Verwaltungsakte unabhängig davon, ob es sich um solche im Sinne des Absatzes 2 oder des Absatzes 3 des§ 48 VwVfG handeltl. Ob bereits andere Begrenzungen der Rücknahmebefugnis - etwa solche aufgrund des § 48 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 VwVfG- bestehen, ist für die Frage der Geltung der Rücknahmefrist ebenfalls ohne Bedeutung. Der Zeitraum, den§ 48 Abs 4 Satz 1 VwVfG der Behörde für die Entscheidung über die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts beläßt, beträgt ein Jahr gerechnet von dem Zeitpunkt, in welchem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme rechtfertigen. Bei dieser Jahresfrist, deren tatbestandliehe Merkmale mit einer Reihe von Interpretationsproblemen behaftet sind2, handelt es sich um eine Ausschlußfrist3. Das bedeutet, daß die Frist von der Behörde nicht verlängert werden kann, und zwar auch dann nicht, wenn der Sachverhalt umfangreich und seine Aufklärung zeitraubend ist. Ferner ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 32 VwVfG) nicht möglich. Eine Ausnahmebestimmung im Verhältnis zu § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG enthält allerdings der Satz 2 der Vorschrift. Hiernach gilt die Frist des Absatzes 4 Satz 1 nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1, mithin nicht bei Erwirkung des Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Bedrohung oder Bestechung. Darüber hinaus ist es eine (ungeschriebene) Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG - wie auch der sonstigen Rücknahmebestimmungen -, daß der Verwaltungsakt eine endgültige und nicht nur eine vorläufige Regelung trifft4 • Sowohl im Falle vorläufiger Rege-

I Vgl. Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 48. z Dazu ausführlich unten§ 10 II , III. 3 Vgl. Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 94, Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 48 a; Schach, NVwZ 1985, 880 (881) . 4 Vgl. BVerwG NJW 1983, 2043 (2044) ; zu "vorläufigen" Verwaltungsakten auch J. Martens, NVwZ 1985, 158 (161 f.).

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Iungen als auch im Falle des § 48 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG, den der Gesetzgeber als besonders schwerwiegenden Rücknahmegrund angesehen hatS, ist für einen Vertrauensschutz des Begünstigten kein Raum. Vergegenwärtigt man sich die vorgenannten Ausnahmen sowie außerdem den Umstand der Geltung der zeitlichen Rücknahmesperre ausschließlich für begünstigende Verwaltungsakte, so dürfte der inzidenter wohl auch in der amtlichen Begründung6 zum Ausdruck kommende Gedanke zutreffend sein, daß die Regelung des§ 48 Abs. 4 VwVfG nicht allein im objektiven Interesse der Rechtssicherheit7, nämlich dem Interesse an einer verläßlichen Klarstellung des Abschlusses des einzelnen Rücknahmefalles, sondern darüber hinaus zumindest mittelbar - auch aus Gründen des Vertrauensschutzess geschaffen worden ist. Auf der anderen Seite ist indes nicht zu verkennen, daß die Geltung der Ausschlußfrist - anders als etwa die Rücknahmebegrenzung des § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG - das Vorliegen eines (subjektiven) Vertrauenstatbestandes beim Betroffenen nicht notwendig voraussetzt, daß hier vielmehr nur die negative Schutzwürdigkeitsausgrenzung im besonders schwerwiegenden Falle des § 48 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG besteht. Demzufolge kann bei § 48 Abs. 4 VwVfG der Gesichtspunkt eines sich nicht nur als Reflex der Gewährung objektiver.Rechtssicherheit und Rechtsklarheit darstellenden Vertrauensschutzes nicht derart im Vordergrund stehen wie etwa bei der streng individualvertrauensabhängigen Rücknahmesperre des § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG9. Immerhin hat der Gesetzgeber unter anderem auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß dem Zeitablauf für sich genommen keine eigenständige Bedeutung für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Begünstigten auf den endgültigen Bestand eines Verwaltungsaktes zukommt, der Zeitablauf vielmehr nur ein Beurteilungsfaktor neben anderen istlO, bei der Schaffung der 5 Vgl. die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 71, wo ergänzend hierzu noch darauf hingewiesen wird, daß wegen des Abwartens strafrechtlicher Ermittlungsverfahren die volle Sachaufklärung zeitraubend sein kann. Dazu ferner Weides, DÖV 1985, 91 (92). 6 BT-Drucks. 7/910 S. 71: " ... wäre es nicht gerechtfertigt, Vertrauensschutz zu gewähren". 7 Weitgehend allein auf diese Funktion abstellend aber BVerwGE 70, 356 (359, 360); Krützmann, VBIBW 1983, 362 (363); Obermayer, VwVfG, § 48 Rdn. 46. s So etwa auch BVerwG DVBI. 1982, 1001; BVerwG DVBI. 1987, 694 (695); OVG Berlin NJW 1983, 2156 (2157); OVG NW DVBI. 1984, 1084 (1086); VGH Mannheim NVwZ 1984, 362; VG Frankfurt NVwZ 1983, 55 (56) ; Weides, DÖV 1985,91 (95); Kellermann, VBIBW 1988, 46 (48 Fn. 26); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 48; Kopp, VwVfG § 48 Rdn. 94; Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 69. 9 A. A . aber wohl Weides, DÖV 1985, 91 (95) : " .. . besteht in erster Linie im Vertrauensschutzinteresse des Betroffenen" . 1o Vgl. die amtl. Begründung, BT-Drucks. 7/910 S. 71.

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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Verwaltungsverfahrensgesetzell zwar zunächst erwogeni2, letztlich aber doch davon abgesehen, die Rücknahmebefugnis der Behörde durch eine absolute, d. h. von der Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen unabhängige Frist zu beschränkenD. Die Regelung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG nimmt die Behörde lediglich insofern "in die Pflicht", als diese ihre Entscheidung über die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes nach Erlangung der Kenntnis von den hierfür maßgeblichen Tatsachen nicht mehr über Gebühr hinauszögern darf, sie vielmehr innerhalb eines festgelegten Zeitraumes von einem Jahr sodann eine Entscheidung treffen muß, will sie nicht ihre Rücknahmebefugnis ganz verlieren. Im übrigen bleibt es dagegen bei einer grundsätzlich zeitlich unbeschränkten RücknahmemöglichkeiL Für den Betroffenen bedeutet dies, daß er abgesehen von den aufgrund des Rechtsinstituts der Verwirkungi 4 bestehenden Schranken der Rücknahme jedenfalls ab dem für den Fristbeginn maßgeblichen Zeitpunkt behördlicher Kenntniserlangung - einmal unterstellt dieser Zeitpunkt ist ihm bekannt nicht mehr mit einer zeitlich unbegrenzten Rücknahmemöglichkeit rechnen mußi5. Ein weitergehender Vertrauens- und Bestandsschutz wird ihm nicht durch die Regelung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG, sondern nur nach Maßgabe der übrigen Eingrenzungen der Rücknahmebefugnis, wie insbesondere § 48 Abs. 2 VwVfG, gewährt. Die im einzelnen bestehenden Interpretationsprobleme der Regelung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG bedürfen nicht allein aus rechtsdogmatischem Interesse einer Bewältigung und auch im Interesse der Rechtssicherheit liegenden Klärung. Vielmehr hat darüber hinaus die Rücknahmefrist aüch für die Praxis eine außerordentlich große Bedeutungi6. Dies ist schon aus der erstaunlichen Vielzahl in jüngerer Zeit zu Rechtsfragen des§ 48 Abs. 4 VwVfG ergangener und veröffentlichter Gerichtsentscheidungenl7 zu ersehen. Für die 11 Vgl. demgegenüber die - allerdings auf Verwaltungsakte mit Dauerwirkung beschränkte - Regelung in § 45 Abs. 3 SGB X, die eine absolute Rücknahmefrist von 2 bzw. in Sonderfällen 10 Jahren ab Bekanntgabe vorsieht. 12 Vgl. die Begründung zu § 37 Abs. 4 des Musterentwurfs (EVwVerfG) 1963, ebd. S. 174; ähnlich etwa auch Ule!Becker, Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat, S. 59 f. 13 Dazu auch Krützmann, VBlBW 1983,362 (365); Busch, DVBI. 1982, 1002 (1003). 14 Zu deren Bedeutung neben § 48 Abs. 4 VwVfG vgl. etwa BayVGH BayVBJ. 1984, 538; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 95; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.3.2. 15 Vgl. auch Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 48. 16 Ebenso Schach, NVwZ 1986, 880 (881); Busch, DVBI. 1982, 1002. 17 Vgl. nur BVerwGE 66, 61 = DVBJ. 1982, 1001 ; BVerwG Buchholz 316 § 48 Nr. 27; BVerwG (Gr. Senat) E 70, 356 = NJW 1985, 819; BVerwG NVwZ 1986, 119; BVerwG Buchholz 316 Nrn. 38 u. 40; BVerwG DVBJ. 1987, 694; OVG NW DVBI. 1984, 1084; OVG Münster NVwZ 1988, 71; OVG Berlin NJW 1983, 2156; VGH Kassel NVwZ 1984, 382; OVG Rh.-Pf. DVBJ. 1982, 219 (221 f.); OVG Koblenz NVwZ 1984, 735; VGH Bad.-Württ. VBIBW 1981 , 293; VGH Bad.-Württ. VBIBW 1985, 423; VGH Mannheim NVwZ 1985, 916; BayVGH BayVBI. 1980, 501; BayVGH ZBR 1983, 66; 16 Knoke

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Behörde stellt die Einhaltung der Rücknahmefrist unter Berücksichtigung ihres Charakters als Ausschlußfrist in vielen Fällen die entscheidende Weiche, ob die Rücknahmemöglichkeit auf Dauer ausgeschlossen ist oder nicht. Dies geschieht zudem ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht die im Einzelfall betroffenen öffentlichen Interessen haben. Schließlich kommt noch hinzu, daß die Bedeutung des§ 48 Abs. 4 VwVfG und damit zugleich der Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale über den unmittelbaren Anwendungsbereich dieser Norm hinausreicht. So gilt die Jahresfrist über die Verweisungsnorm des § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG beim Widerruf begünstigender Verwaltungsakte entsprechend. Darüber hinaus kann sie auch im Rahmen spezialgesetzlich normierter Rücknahmetatbestände - vorausgesetzt diese enthalten keine abschließende Regelung- relevant werdenlB. Ferner ist auf die weitgehend entsprechenden Regelungen in § 130 Abs. 3 AO und § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X hinzuweisen. Auf der anderen Seite stellt der Inhalt des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG (noch) keinen allgemeingültigen Grundsatz des Verwaltungsrechts dar, was u. a. seine Nichtgeltung im lastenausgleichsrechtlichen Verfahren zur Folge hatl9.

II. Die wesentlichen Interpretationsprobleme Der Streitstand in Rechtsprechung und Literatur

Die gesetzlichen Merkmale, an die§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG den Lauf der Ausschlußfrist für die Rücknahme knüpft, sind mit einer Reihe von Auslegungsfragen behaftet, die nach dem Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze zunächst nur wenig beachtet wurden2o, die aber, nachdem in der Praxis der Anwendung der Norm Probleme aufgetreten waren, gewissermaßen schlagartig zum Gegenstand einer äußerst lebhaften und dabei vielfach kontrovers geführten Diskussion in Rechtsprechung21 und Schrifttum22 geworden sind. BayVGH DVBI. 1983, 946; BayVGH BayVBI. 1984, 538; VG Köln NVwZ 1984, 537; VG Frankfurt DÖV 1985, 735. 18 Vgl. in diesem Zusammenhang etwa VGH Mannheim NVwZ 1984, 382; VG Frankfurt NVwZ 1983, 55 (56). 19 So BVerwG Buchholz 427.6 § 37 Nr. 1. 2o So auch Pieroth, NVwZ 1984, 681. 21 Vgl. die Nachweise in Fn. 17. 22 Vgl. etwa Busch, DVBI. 1982, 1002 ff.; Krützmann, VBIBW 1983, 362 ff; Steenblock, DÖV 1984, 218 f.; Allesch, BayVBI. 1984, 519 ff. ; Pieroth, NVwZ 1984, 681 ff.; Weides, DÖV 1985,91 ff. ; dens. , DÖV 1985,431 ff.; Kopp, DVBJ. 1985,525 ff.; dens., GewArch 1986, 177 (184 f.); dens., VwVfG, § 48 Rdn. 97 ff.; Hendler, JuS 1985, 947 ff.; Burianek, Jura 1985, 518 f.; Becker, RiA 1985, 252 ff.; Schach, NVwZ 1985, 880 ff. ; Kellermann, VBIBW 1988, 46 ff.; Stelkens, NuR 1986, 329 ff.; dens. in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 50 u. 50 a. Vgl. auch die Darstellung bei Ule/Laubinger, VwVerfR, § 62 li 4.

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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Die umstrittenen Problemkreise lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen: Erstens geht es um die Frage, ob § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG allein dann Anwendung findet, wenn die Behörde nachträglich erkennt, daß sie beim Erlaß des Verwaltungsaktes von einem unzutreffenden bzw. unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, oder ob die Regelung sich darüber hinaus auch auf die Fälle erstreckt, in denen die Behörde nachträglich erkennt, daß sie einen ihr bei Erlaß des Verwaltungsakts vollständig bekannten Sachverhalt unzureichend berücksichtigt oder unrichtig gewürdigt bzw. den Inhalt des anzuwendenden Rechts verkannt hat. Zweitens geht es darum, wann die Jahresfrist exakt zu laufen beginnt. Dieser Komplex läßt sich wiederum in zwei Unterkomplexe aufgliedern. Zum einen steht in Frage, wovon die Behörde Kenntnis erhalten haben muß, damit die Frist zu laufen beginnen kann. Reicht hier etwa die reine Tatsachenkenntnis aus oder muß noch etwas, wie z. B. das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, hinzukommen? Heftig umstritten ist ferner, ob für den Fristbeginn bereits die Kenntnis derjenigen Tatsachen ausreicht, welche die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründen, oder ob darüber hinaus noch sonstige Tatsachen, insbesondere diejenigen, welche für die Betätigung des Ermessens Bedeutung erlangen können, bekannt sein müssen. Zum anderen geht es aber auch darum, auf wessen Kenntnis exakt abzustellen, d. h. wie der Begriff "Behörde" i. S. des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG näher zu konkretisieren und auszulegen ist. In ihrer Entwicklung vollzog sich die Diskussion im wesentlichen in zwei Abschnitten, an deren Beginn jeweils grundlegende Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts standen. War es zunächst das Urteil des 8. Senats vom 25. Juni 1982- 8 C 122.81 __23, welches maßgeblich dazu beitrug, daß die Literatur den Problemen der Interpretation des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erhöhte Aufmerksamkeit schenkte, so ist inzwischen durch den B~schluß des Großen Senats vom 19. Dezember1984- Gr. Sen. 1 u. 2/84 __24 ein weiterer markanter Einschnitt erfolgt. Die überwiegend kritische Aufnahme dieser Entscheidung im Schrifttum25 deutet allerdings bereits darauf hin, daß hiermit noch längst nicht alle Streitfragen eine befriedigende Lösung gefunden haben und deshalb - mag auch die obergerichtliche Rechtsprechung sich inzwischen weitgehend der Auffassung des Großen Senats angeschlossen haben26 - ein Ende der Diskussion noch nicht abzusehen ist. BVerwGE 66, 61 = DVBI. 1982, 1001 = DÖV 1983, 34 = NVwZ 1983, 91. BVerwGE 70, 356 = NJW 1985, 819 = DVBI. 1985, 522 = DÖV 1985, 442 = Buchholz 316 § 48 Nr. 33. 25 Vgl. etwa Kopp, DVBI. 1985, 525 ff.; Weides, DÖV 1985, 431 (434 ff.); Schach, NVwZ 1985, 880 (882 ff.); Becker, RiA 1985, 252 ff. ; J. Martens, ~VwZ 1987, 464 (470); Kellermann, VBIBW 1988, 46 (49 ff.); aber auch Mußgnug in FS f. Univ. Heidelberg, S. 203 (220 f.), der die Bedeutung der E ntscheidung als Beispiel richterlicher Fortbildung des Gesetzesrechts herausstellt. 26 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 19. Juli 1985- 4 C 23 u. 24/82- NVwZ 1986, 119; OVG NW, Urt. v. 28. Oktober 1985- 11 A 2586/82- (n. v.); zumindest unklar aller23

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

1. Die Entwicklung bis zum Beschluß des Großen Senats vom 19. Dezember 1984

In seinem nicht selten als "spektakulär"27 bezeichneten Urteil vom 25. Juni 198228 hat sich der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts erstmals grundlegend mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Regelung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG auch dann Anwendung findet, wenn die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts darauf beruht, daß die Behörde einen ihr beim Erlaß des Verwaltungsakts vollständig bekannten Sachverhalt unrichtig gewürdigt oder den Inhalt des anzuwendenden Rechts verkannt hat. Ähnlich wie vor ihmallerdings weniger beachtet - bereits der Verwaltungsgerichtshof BadenWürttemberg29 hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts diese Frage bejaht und sich dabei zur Begründung im wesentlichen auf das teleologische Argument gestützt, der mit der Regelung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG bezweckte Vertrauensschutz gebiete es, eine Behörde bei Tatsachen, die ihr schon bei Erlaß des Verwaltungsakts bekannt gewesen seien, nicht günstiger zu stellen als sie bei Tatsachen stehen würde, von denen sie erst nachträglich erfahre3o. Unter Verwendung eines in diesen beiden Fallgruppen identischen Tatsachenbegriffs hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts weiter angenommen, daß nicht erst die Aufdeckung des (Rechts-)Irrtums die für den Fristbeginn maßgebliche "Tatsache" sein könne, daß vielmehr die Jahresfrist bei ursprünglich voller Tatsachenkenntnis bereits mit dem Erlaß des Verwaltungsaktes zu laufen beginne31. Zu dieser erkanntermaßen über den Wortlaut des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG hinausgehenden Konsequenz sah sich das Gericht deshalb gezwungen, weil die Frist nicht eher anlaufen könne, als eine Rücknahme überhaupt denkbar sei32. Die Auffassung des 8. Senats des Bundesverwaltungsgerichts, die dieser mit Urteil vom 27. Januar 198433 nochmals bestätigt hat, hat in der Folgezeit allerdings nur vereinzelt volle Zustimmung gefunden34 • Verhaltene bis starke Kridings VGH Mannheim NVwZ 1985, 916 (917), was das angebliche Ausreichen der Kenntnis von den die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründenden Tatsachen betrifft. 27 So etwa Osterloh, JuS 1983, 561; Pieroth, NVwZ 1984, 681. 28 Siehe oben Fn. 23. 29 Urt. v. 25. März 1981-3 S 154/81- VBIBW 1981 , 293 f. 3o BVerwGE 66, 61 (63). 31 BVerwGE 66, 61 (64 f.) ; ebenso schon VGH Bad.-Württ. VBIBW 1981, 293 (294). 32 BVerwGE 66, 61 (65). 33 BVerwG Buchholz 316 § 48 Nr. 27. 34 Vgl. etwa. OVG Berlin NJW 1983, 2156; VGH Kassel NVwZ 1984, 382 (383); Steenblock, DOV 1984, 218 f. In entsprechender Anwendung der Norm ähnlich auch Obermayer, VwVfG, § 48 Rdn. 150. Bemerkenswert ferner VG Köln NVwZ 1984, 537 (539), welches trotz nachhaltiger Kritik im E rgebnis gleichwohl der Rechtsauffassung des 8. Senats des BVerwG gefolgt ist.

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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tik wurde im wesentlichen in zwei Hauptrichtungen laut. Von einer extremen Gegenposition, eingenommen durch einige Obergerichte35 und Stimmen in der Literatur36, wurde vorgebracht, eine Auslegung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG dahin, daß auch solche Fehler, die ihren Grund in einer irrigen Rechtsanwendung bei gleichzeitig vollständig bekanntem Sachverhalt hätten, noch von der Norm erfaßt würden , sei insbesondere mit dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte nicht zu vereinbaren und daher mit der Konsequenz einer Nichtgeltung der Jahresfrist bei den sog. Rechtsanwendungsfehlern abzulehnen. Von anderen wurde dagegen in erster Linie der- frühe- Zeitpunkt des Fristbeginns mit Erlaß des Verwaltungsakts bemängelt37 und zur Korrektur beispielsweise "vermittelnd" vorgeschlagen, für den Fristbeginn maßgeblich auf den Zeitpunkt abzustellen, in welchem sich die Behörde der fehlerhaften Rechtsanwendung bewußt geworden sei, in welchem sie also ihren Irrtum erkannt habe38. Abgesehen von dem Urteil des 8. Senats des Bundesverwaltunsgerichts vom 25. Juni 1982 hat auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof39 die Entwicklung der Diskussion um den § 48 Abs. 4 VwVfG belebt, indem er zu dem Ergebnis gelangt ist, die Jahresfrist beginne erst dann zu laufen, wenn der Behörde sämtliche für eine wohlabgewogene Ermessensentscheidung wesentlichen Tatsachen bekannt seien. Dies führte zu einer intensiveren Beschäftigung mit den Fragen der Auslegung des Merkmals "Tatsachen, welche die Rücknahme rechtfertigen". Während ein Teil des Schrifttums40 der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gefolgt ist, bildete sich auf der anderen Seite eine beachtliche Gegenauffassung41. Diese sieht vor dem Hintergrund auch der Befürchtung einer ansonsten praktisch nie beginnenden Ausschlußtrist für den Fristbeginn allein die Kenntnis derjenigen Tatsachen als maßgeblich an , die die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründen, mithin nicht auch derjenigen Tatsachen, welche erst auf der Stufe der Ermessensbetätigung Relevanz erlangen. 35 So etwa OVG NW DVBI. 1984, 1084 (1086 f.) m. w. Nachw. zu entsprechenden Entscheidungen anderer Senate; BayVGH DVBI. 1983, 946 (947 f.); BayVGH BayVBI. 1984, 538; ähnlich auch OVG Koblenz NVwZ 1984, 735; zumindest dahin tendierend ferner VGH Bad.-Württ. VBIBW 1985, 423 (425). 36 Vgl. Busch, DVBI. 1982, 1001 ff.; Pieroth, NVwZ 1984, 681 (685 f.) ; Schach, NVwZ 1985, 880 (882 ff.) ; weitgehend ebenso auch Allesch, BayVBI. 1984, 519 f. 37 Vgl. dazu auch die Darstellung bei Hendler, JuS 1985, 947 (949). 38 So etwa Weides, DÖV 1985, 91 (94 f.); ders., DÖV 1985, 431 (433); Krützmann, VBIBW 1983, 362 (363 f.); Stelkens in S/BIL, VwVfG, § 48 Rdn. 50; Maurer, Allg. VwR, § 11 Rdn. 35; OVG Rh.-Pf. , Urt. v. 20. Juli 1983 - 2 A 44/83 - (n . v.); unklar Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 97. 39 BayVBI. 1980, 501 (502) sowie ZBR 1983, 66. 40 So etwa Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 70; Obermayer, VwVfG, § 48 Rdn. 148, 149; Allesch, BayVBI. 1984, 519 (520 f.). 41 So etwa VG Köln NVwZ 1984, 537 (539); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 50 a; Weides, DÖV 1985, 91 (95 f .); Pieroth, NVwZ 1984, 681 (686); vgl. nunmehr auch VGH Mannheim NVwZ 1985, 916 (917).

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Schon vor der Entscheidung des Großen Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 1984 wurde darüber hinaus der Behördenbegriff als ein weiteres Interpretationsproblem der Regelung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erkannt. Insoweit bildeten sich im wesentlichen zwei Auffassungen heraus. Nach der einen42 soll es allein maßgeblich auf die Kenntnis des nach der behördeninternen Gliederung zuständigen Amtswalters ankommen, wohingegen die andere43 - zumeist ausgehend von der Behördendefinition in § 1 Abs. 4 VwVfG- die Organisationseinheit der (Gesamt-)Behörde unabhängig von ihrer inneren Gliederung als Zuordnungssubjekt der Regelung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG begreift. Für den dieser Organisationseinheit zuzurechnenden Umstand der "Kenntnis" bestimmter Tatsachen läßt die letztgenannte Auffassung zumeist die Aktenkundigkeit genügen. 2. Der Beschluß des Großen Senats vom 19. Dezember 1984 und seine Aufnahme im Schrifttum

Dem Großen Senat des Bundesverwaltungsgerichts (im folgenden: Großer Senat) war vom 2. und 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts die Rechtsfrage vorgelegt worden, ob§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG44 auch den Fall erfaßt, daß die Behörde nachträglich erkennt, den beim Erlaß eines Verwaltungsakts vollständig bekannten Sachverhalt unzureichend berücksichtigt oder unrichtig gewürdigt und deshalb unrichtig entschieden zu haben. In seinem Beschluß vom 19. Dezember 198445 hat der Große Senat zu dieser Frage sowie darüber hinaus - unbefragt - zu weiteren Problemkreisen der Jahresfrist wie folgt Stellung bezogen: Die Vorschrift des§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erfasse nicht nur die Fälle, in denen die Rücknehmbarkeit darauf beruhe, daß der Behörde bei Erlaß des Verwaltungsakts nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen bekannt gewesen seien, sondern auch die Fälle, in denen die Behörde bei voller Kenntnis des entscheidungserheblichen Sachverhalts unrichtig entschieden habe. Infolgedessen finde die Regelung auch dann Anwendung, wenn die Behörde nachträglich erkenne, daß sie den bei Erlaß eines begünstigenden Verwaltungsakts vollständig bekannten Sachverhalt unzureichend berücksichtigt oder unrichtig gewürdigt habe. Diese Auslegung im Sinne einer Erstreckung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG auf jegliche Art von Rechtsanwendungsfehlern (im 42 VG Köln NVwZ 1984, 537 (538); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 49; Krützmann, VBIBW 1983, 362 (364 Fn. 17); Allesch, BayVBI. 1984, 519 (522) ; Burianek, Jura 1985, 518; wohl auch Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 97. 43 OVG Berlin NJW 1983, 2156 f.; Pieroth, NVwZ 1984, 681 (684 f.); ebenso nunmehr auch Schoch, NVwZ 1985, 880 (884 f.). 44 In einem Falle (2. Senat) war es das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes, in dem anderen (6. Senat) die damit inhaltsgleiche Regelung des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes. 45 Vgl. die Fundstellen oben in Fn. 24.

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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weiteren Sinne) ergebe sich bereits aus dem Wortlaut - Rechtswidrigkeit gleich welcher Art als "Rechtfertigung" der Rücknahme-, werde darüber hinaus in gesetzessystematischer Hinsicht durch die Regelung des § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG gestützt und werde schließlich auch durch den Sinn und Zweck der Vorschrift- Eintritt von Rechtssicherheit nach einer angemessenen Entscheidungsfrist- sowie durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. In allen von§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erfaßten Fällen beginne die Jahresfrist zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt habe und ihr die für die Rücknahme außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt seien. Hierzu gehöre zunächst die Kenntnis derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ergebe, einschließlich der Erkenntnis der Rechtswidrigkeit als solcher. Darüber hinaus erfordere der Fristbeginn die vollständige Kenntnis sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung erheblicher Tatsachen. Hierzu gehörten sowohl die Tatsachen, die im Falle des§ 48 Abs. 2 VwVfG ein Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts entweder nicht rechtfertigten oder ein bestehendes Vertrauen als nicht schutzwürdig erscheinen ließen, als auch die für die Ermessensausübung wesentlichen Umstände. Diese Auslegung folge schon aus dem Wortlaut der Regelung ("rechtfertigen"); sie entspreche zudem dem Zweck und Charakter der Jahresfrist als einer Entscheidungsfrist. Damit sei allerdings nicht ausgeschlossen, daß der Zeitpunkt der Entscheidungsreife im Einzelfall mit dem Zeitpunkt des Erkennens der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts durch die Behörde zusammenfallen könne. Die Jahresfrist werde außerdem nur dann in Lauf gesetzt, wenn die Behörde positive Kenntnis von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlangt habe. Die Aktenkundigkeit der betreffenden Tatsachen genüge in diesem Zusammenhang nicht. Vielmehr müsse sich die Behörde der Notwendigkeit bewußt geworden sein, wegen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts eine Entscheidung über die Rücknahme treffen zu müssen. Die erforderliche positive Kenntnis erlange die Behörde dann, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme des Verwaltungsakts oder jedenfalls zu dessen rechtlicher Überprüfung berufene Amtswalter die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen feststelle. Da diese Feststellung, welche die vollständige, uneingeschränkte und zweifelsfreie Ermittlung der betreffenden Tatsachen voraussetze, erst nach Erlaß des Verwaltungsakts getroffen werden könne, sei es - entgegen der bislang vom 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts vertretenen Auffassung- im Ergebnis nicht möglich, daß die Jahresfrist schon mit dem Erlaß des Verwaltungsakts zu laufen beginne. Der Beschluß des Großen Senats vom 19. Dezember 1984 hat zwar in der bisher stark divergierenden Praxis zu einer gewissen Rechtssicherheit geführt. Gleichwohl ist diese Entscheidung namentlich im Schrifttum verbreitet auf

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Ablehnung gestoßen. Die Kritik setzt einmal an dem Punkt an, daß der Große Senat sich nicht auf die Entscheidung der ihm vorgelegten Rechtsfrage beschränkt und infolgedessen seine Entscheidungskompetenz überschritten habe46. Darüber hinaus wird aber auch in der Sache die vom Großen Senat vorgenommene Auslegung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG von weiten Teilen des Schrifttums nicht mitgetragen. Was zunächst die Gleichstellung der unzu-reichenden Berücksichtigung oder unrichtigen Würdigung von Tatsachen (sog. Rechtsanwendungs- bzw. Subsumtionsfehler) mit der nachträglichen Kenntniserlangung von Tatsachen betrifft, so wird im wesentlichen die fehlende Auseinandersetzungstiefe im Hinblick auf die ausführlich begründeten Gegenauffassungen, die nur ausschnittsweise Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Vorschrift und der Entstehungsgeschichte sowie das Hinwegsetzen über den Wortlaut ("Tatsachen", "Kenntnis erhalten") mit Hilfe ausschließlich teleologischer Erwägungen gerügt47. In der Zielrichtung der Kritik steht darüber hinaus vor allem der nach Auffassung des Großen Senats für das lngangsetzen der Frist erforderliche Umfang der Tatsachenkenntnis. Insoweit wird - abgesehen von Einzelkritik bezogen auf die Auslegungskriterien Wortlaut, Gesetzessystematik und Entstehungsgeschichte - vor allem bemängelt, daß die Auffassung des Großen Senats dem Sinn und Zweck der Norm als einer Schutzfrist (auch) zugunsten des von der Rücknahme betroffenen Bürgers massiv entgegenwirke. Fasse man, wie der Große Senat, die Jahresfrist des§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG nicht als Bearbeitungsfrist, sondern als (zusätzliche) Überlegungs- und Entscheidungsfrist auf, sei es der Behörde unbenommen, den Fristbeginn durch fortwährende bzw. immer wieder neu einsetzende Ermittlungen beliebig hinauszuschieben und damit letztendlich diese zeitliche Schranke der Rücknahmebefugnis gänzlich leerlaufen zu lassen48. Schließlich haben auch die Aussagen des Großen Senats zu dem Fragenkreis "Behördenbegriff und Fristbeginn" keine ungeteilte Zustimmung erfahren. In diesem Zusammenhang wird zum einen eine vertiefte Auseinandersetzung mit den in der Praxis bedeutsamen und ausgehend vom Standpunkt des Großen Senats eher die Behörde begünstigenden Beweisschwierigkeiten in bezug auf die exakte Bestimmung des Zeitpunktes behördlicher Kenntnisnahme vermißt49 und zum anderen ein rechtsnormatives Defizit bei der Auslegung des Behördenbegriffs festgestellt5ü. Dazu insbesondere Kopp, DVBI. 1985, 525. Vgl. etwa Kopp, DVBI. 1985, 525 f.; Schach, NVwZ 1985, 880 (882 f.); Becker, RiA 1985, 252 f. Insoweit dem Großen Senat zustimmend dagegen Weides, DÖV 1985, 431 (432 ff.). 48 Vgl. Kopp, DVBI. 1985, 525 (526 f.); dens., VwVfG, § 48 Rdn. 98; Weides, DÖV 1985, 431 (434 ff.) ; Schach, NVwZ 1985, 880 (884); Becker, RiA 1985, 252 (253 f.); ähnlich - allerdings etwas zurückhaltender in der Kritik - Burianek, Jura 1985, 518 (520); Hendler, JuS 1985, 947 (951 f.); Stelkens, NuR 1986, 329 (331); für bestimmte Fallkonstellationen auch Kellermann, VBIBW 1988, 46 (49 ff.). 49 Vgl. Weides, DÖV 1985, 431 (435); Burianek, Jura 1985, 518 (520) . so So etwa Schach, NVwZ 1985, 880 (884 f.). 46

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§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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111. Die Auslegung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG im einzelnen - Analyse und Kritik

1. Erste Problemstellung: Geltung der Ausschlußfrist nur für das nachträgliche Erkennen von Sachaufklärungsfehlern (Tatsachenirrtümern) oder auch für das nachträgliche Erkennen von Rechtsanwendungsfehlern (Rechtsirrtümern) bei von Anfang an vollständig bekanntem Sachverhalt?

Diese Streitfrage betreffend den Geltungsumfang des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG kann - hierüber besteht trotzder unterschiedlichen Auslegungsergebnisse im Grundsatz Einigkeit - nur aufgrund einer Auslegung der Norm nach Maßgabe der vier herkömmlichen Auslegungsmethoden (Wortlaut, Gesetzessystematik, Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck) entschieden werden. a) Wortlaut

Unter Berücksichtigung der grammatikalischen Struktur des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG, welcher eine Rechtfolge (Zulässigkeit der Rücknahme nur binnen Jahresfrist) an bestimmte tatbestandliehe Voraussetzungen (Kenntniserhalten der Behör-de von Tatsachen, welche die Rücknahme rechtfertigen) knüpft und welcher sich auf der Tatbestandsseite darüber hinaus in einen Hauptsatz und einen Relativsatz gliedert, sind es in erster Linie die Merkmale "Tatsachen" und "Kenntnis erhalten", bei denen im Hinblick auf die hier erörterte Problemstellung eine am. Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung ansetzen muß. aa) Der Tatsachenbegriff

Von dem Begriff "Tatsachen" werden nach dem allgemeinen Wortsinn alle die Umstände erfaßt, die in ihrer Gesamtheit einen bestimmten Lebenssachverhalt darstellensl. Bei Tatsachen handelt es sich mithin um faktische Gegebenheiten (tatsächliche Umstände)52, an deren Vorhandensein (bzw. Nichtvorhandensein) die Rechtsordnung bestimmte Rechtsfolgen knüpft. Entsprechend hat etwa der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 25. Juni 1982 formuliert: 51 Ebenso etwa BayVGH DVBI. 1983, 946 (947); OVG Koblenz NVwZ 1984, 735; VG Köln NVwZ 1984, 537 (539); Busch, DVBI. 1982, 1001; Krützmann, VBIBW 1983, 362 (363); Weides, DÖV 1985, 91 (93 f.) ; Schoch, NVwZ 1985, 880 (882) . 52 Vgl. statt vieler Hendler, JuS 1985, 947 f. Im Anschluß an die amtliche Gesetzesbegründung- BT-Drucks. 7/910 S. 71- wird in diesem Zusammenhang häufig auch von tatsächlichen "Ereignissen" gesprochen; vgl. etwa Allesch, BayVBI. 1984, 519; Weides, DÖV 1985, 91 (93); Kopp, DVBI. 1985, 525 (526); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 50; zur Kritik siehe unten bei Fn. 90.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

" bedeutet in§ 48 Abs. 4 VwVfG so viel wie ; es bedeutet - genauer gesagt- so viel wie Teil des (rechtserheblichen) Sachverhalts, den der Verwaltungsakt (rechtsfehlerhaft) regelt"53.

Auch der Große Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat, soweit ersichtlich, in seinem Beschluß vom 19. Dezember 198454 kein abweichendes Verständnis des Tatsachenbegriffs zugrunde gelegt. Er hat vielmehr, worauf noch zurückzukommen sein wird55, bei der Auslegung des Wortlauts maßgeblich allein auf den in § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG enthaltenen Relativsatz und dabei insbesondere den Begriff "rechtfertigen" abgehoben. Die sich aus dem Wortsinn ergebende Beschränkung des Tatsachenbegriffs auf faktische Gegebenheiten, auf Elemente des (Lebens-)Sachverhalts bedeutet zugleich, daß die rechtliche Würdigung und Beurteilung des Sachverhalts, d. h. die Anwendung des geltenden Rechts auf ihn im Wege des methodischen Schritts der Subsumtion, selbst keine Tatsache im Sinne des§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG sein kann56. Letzteres gilt damit auch für den Umstand des (nachträglichen) Bewußtwerdens der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts, dessen zugrunde liegender Sachverhalt der Behörde von Anfang an vollständig bekannt wars7. Der Vorgang der Erkenntnis der Rechtswidrigkeit stellt sich nämlich bei unveränderter Sachverhaltskenntnis als Ergebnis eines nachträglich aufgrund rechtlicher Überlegungen aufgedeckten lrrtums im Bereich der Rechtsanwendung einschließlich der Subsumtion dar. bb) Das Merkmal "Kenntnis erhalten"

§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG knüpft den Fristbeginn daran, daß die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält. Der Begriff "erhalten" bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch so viel wie bekommen bzw. empfangenss; er bezieht sich dabei eindeutig auf etwas, was der Betreffende vorher nicht hat, was er noch nicht besitzt59. Dementsprechend deutet der Wortlaut des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG unmißverständlich60 dahin, daß nur solche Tatsachen die Jahresfrist 53 BVerfGE 66, 61 (64). 54 BVerwGE 70, 356 ff. 55 Vgl. unten nach Fn. 66. 56 Ebenso etwa BayVGH DVB!. 1983, 946 (947); OVG Koblenz NVwZ 1985, 735; VGH Bad.-Württ. VBIBW 1981 , 293 (294) ; Allesch, BayVBl. 1984, 519; Weides, DÖV 1985, 91 (94) ; Hendler, JuS 1985, 947 (948); Schach, NVwZ 1985, 880 (882). 57 Vgl. BVerwGE 66, 61 (64); VG Köln NVwZ 1984, 537 (539); Busch, DVB!. 1982, 1002; Allesch, BayVBl. 1984, 519; Weides, DÖV 1985, 91 (94); Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 71. 58 Vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 2, S. 730. 59 So auch OVG Koblenz NVwZ 1984, 735; Pieroth, NVwZ 1984, 681 (685). 60 In Anbetracht des aufgezeigten eindeutigen Wortsinns bedurfte es der ausdrücklichen Aufnahme des Wortes "nachträglich" in den Gesetzestext nicht. A. ·A. aber wohl VGH Bad.-Württ. VBIBW 1981 , 293 (294); Weides, DÖV 1985, 91 (94).

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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auszulösen vermögen, welche der Behörde nachträglich, d. h. nach Erlaß des Verwaltungsakts bekannt geworden sind6I. Da die Gesetzesfassung auch keinen Anhaltspunkt dafür bietet, daß mit dem Begriff "erhalten" nur eine Beschreibung des Regelfalles62, nicht aber eine abschließende Regelung erfolgen sollte, kann mithin ein der Behörde bereits seit dem Erlaß des Verwaltungsakts vollständig bekannter Sachverhalt auf der Grundlage einer grammatischen Auslegung der Vorschrift kein zulässiger Anknüpfungspunkt für den Fristbeginn sein. cc) Ergebnis

Die Auslegung anband des Wortlauts der Vorschrift hat sich danach für die hier erörterte Problemstellung in zweierlei Hinsicht als ergiebig erwiesen. Zum einen bildet der allein auf Elemente des (Lebens-)Sachverhalts zugeschnittene, vom Großen Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Beschluß vom 19. Dezember 198463 nur unzureichend64 gewürdigte Begriff "Tatsachen" ein Kriterium, welches es verbietet, allein schon die Aufdeckung eines Rechtsirrtums, dem die Behörde bei Erlaß des Verwaltungsakts erlegen ist, bzw. die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als maßgebliche Umstände für das Ingangsetzen der Jahresfrist ausreichen zu lassen. Zum anderen wird durch den Begriff des Kenntniserhaltens verdeutlicht, daß die Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG auch ein Anknüpfen an die der Behörde bei Erlaß des Verwaltungsakts bekannten Sachverhaltselemente etwa im Sinne der (früheren) Auffassung des 8. Senats des Bundesverwaltungsgerichts65 - nicht zuläßt. Das hiervon abweichende grammatische Auslegungsergebnis des Großen Senats66 beruht im wesentlichen darauf, daß dieser die begrenzende Wirkung des Tatsachenbegriffs im Hinblick auf die fristauslösenden Umstände völlig vernachlässigt. Die allein am Relativsatz ("welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen") ansetzende Befragung des Wortsinns erweist sich grammatisch und logisch als nicht haltbar67. Der Relativsatz dient hier nämlich allein der näheren Qualifizierung des Substantivs 61 Ebenso OVG NW DVBI. 1984, 1084 (1086); Busch, DVBI. 1982, 1002; Allesch, BayVBI. 1984, 519; Pieroth, NVwZ 1984, 681 (685); Schach, NVwZ 1985, 880 (882 f.); im Grundsatz auch Obermayer, VwVfG, § 48 Rdn. 150, der keine direkte, wohl aber eine entsprechende Anwendung der Norm für möglich erachtet. 62 So aber wohl BVerwGE 66, 61 (64); Weides, DÖV 1985, 91 (94); dagegen OVG NW DVBI. 1984, 1084 (1086). 63 BVerwGE 70, 356. 64 Vgl. auch die Kritik bei Kopp, DVBI. 1985, 525. 65 BVerwGE 66, 61 (63 f.). 66 Vgl. BVerwGE 70, 356 (358 f.); ähnlich auch Weides, DÖV 1985, 431 (432 f.). 67 Ebenso Kopp, DVBI. 1985, 525; Schach, NVwZ 1985, 880 (883); kritisch auch Becker, RiA 1985, 252.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

"Tatsachen" ; er vermag damit den bereits durch dieses Substantiv reduzierten Kreis fristauslösender Umstände nicht (erweiternd) zu beeinflussen, enthält vielmehr lediglich eine weitere Eingrenzung. b) Gesetzessystematik

Der systematische Zusammenhang der Norm könnte hier in zweierlei Hinsicht für die Auslegung von Bedeutung sein. Zum einen fragt es sich, ob§ 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG Hinweise darauf gibt, inwieweit § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG Sachaufklärungsfehler und Rechtsanwendungsfehler gleich behandelt wissen will. Zum anderen hat man sich den Gesamtzusammenhang, in den die Frist des§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG im Rahmen der die Rücknahme von Verwaltungsakten betreffenden Regelungen gestellt ist, näher zu vergegenwärtigen. § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG nimmt in Verbindung mit dem Absatz 2 Satz 3 Nr. 1 der Vorschrift ausdrücklich die Fälle von der Geltung der Ausschlußfrist aus, in denen der Begünstigte den Verwaltungsakt durch argliste Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat. Namentlich aus der Miteinbeziehung der Unrichtigkeit der behördlichen Entscheidung infolge von Bedrohung oder Bestechung glaubt der Große Senat des Bundesverwaltungsgerichts68 folgern zu können , daß Rechtsanwendungsfehler für sich allein die Fristenregelung nicht unanwendbar machten, weil die Behörde in den genannten Fällen in aller Regel den ihr vollständig bekannten Sachverhalt infolge der Einwirkung des Betroffenen lediglich unvollständig berücksichtigt oder unzutreffend gewürdigt habe. Ebensogut könnte man sich aber auf den Standpunkt stellen, daß sich auch eine argliste Täuschung, Drohung oder Bestechung in der Regel auf tatsächliche Umstände beziehen69. Nimmt man noch den Ausnahmecharakter des § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG im Hinblick auf die hier besonders schwerwiegenden Rücknahmegründe und die gänzlich fehlende Schutzwürdigkeit des Betroffenen7o hinzu, so erscheint die vom Großen Senat vorgenommene Schlußfolgerung bezüglich der Erstreckung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG auf jegliche Art von Rechtsanwendungsfehlern nicht mehr unbedingt zwingend71. Entgegen W eidesn gibt auch ein Gegenschluß aus § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG dergestalt, daß in den Fällen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 die Geltung der Jahresfrist nicht ausgeschlossen ist, für das Auslegungsergebnis 68 BVerwGE. 70, 356 (359); zustimmend Weides, DÖV 1985, 431 (433); vgl. ferner Steenblock, DOV 1984, 218 (219) . 69 So auch Pieroth, NVwZ 1984, 681 (686). 70 Vgl. dazu bereis oben§ 10 I (bei Fn. 5). 71 Ähnlich auch Schach, NVwZ 1985, 880 (883) ; Becker, RiA 1985, 252 f. n DÖV 1985, 431 (433).

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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des Großen Senats wenig her. Während sich nämlich§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG (Erwirkung des Verwaltungsakts infolge unvollständiger oder unrichtiger Angaben) deutlich allein auf tatsächliche Umstände bezieht, ist § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG (Kenntnis bzw. grobfahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts) insofern ambivalent73, als die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ihren Grund nicht notwendig in einer fehlerhaften rechtlichen Würdigung haben muß, sondern auch auf einem unzutreffend oder unvollständig zugrunde gelegten Sachverhalt beruhen kann74_ Was schließlich die systematische Stellung des § 48 Abs. 4 VwVfG im Gesamtzusammenhang der Regelungen über die nähere Ausgestaltung und Einschränkung der Rücknahme von Verwaltungsakten betrifft, so ist in Rechnung zu stellen, daß es sich bei der Vorschrift des § 48 VwVfG um ein differenziert aufgebautes Gefüge ausgleichender Maßstäbe im Spannungsfeld der widerstreitenden Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auf der einen sowie der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auf der anderen Seite handelt. Diese Maßstäbe dürfen durch die Auslegung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG nicht unterlaufen werden, sie müssen vielmehr einen durchgehenden, verständlichen Sinn behalten75. Mit der Regelung des§ 48 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwVfG hat sich der Gesetzgeber im Grundsatz für die im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde stehende Rücknehmbarkeit auch begünstigender Verwaltungsakte entschieden und hat den Bestandsschutz weitgehend, nämlich im wesentlichen auf die in § 48 Abs. 2 VwVfG geregelten Fälle, reduziert. Im Lichte dieser auch der Entstehungsgeschichte der Gesamtregelung76 zu entnehmenden Zielsetzung stellt sich der durch die Rücknahmesperre des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG bewirkte Bestandsschutz als Sonder- bzw. Ausnahmefall zu der im Grundsatz zeitlich unbeschränkten Rücknahmemöglichkeit dar77. Dieser Ausnahmecharakter spricht eher dagegen , eine im Verhältnis zum Wortlaut erweiternde Auslegung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG in Gestaltung der Miteinbeziehung der Erkenntnis von Fehlern im Bereich der rechtlichen Würdigung und Subsumtion vorzunehmen78.

Ebenso Schach, NVwZ 1985, 880 (883). Dazu auch Pierath, NVwZ 1984, 681 (686) . 75 Vgl. etwa Busch, DVBI. 1982, 1001 (1002 f.) m. w. Nachw. 76 Vgl. BT-Drucks. VI/1173 S. 53 f.; BT-Drucks. 7/910 S. 67 f.; dazu auch BayVGH DVBI. 1983, 946 (947); Pierath, NVwZ 1984, 681 (686). 77 Vgl. Krützmann, VBIBW 1983, 362 (363); Pieroth, NVwZ 1984, 681 (686); Schach, NVwZ 1985, 880 (883); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 48; VG Köln NVwZ 1984, 537 (539). 78 So auch BayVGH BayVBI. 1984, 538; VGH Bad.-Württ. VBIBW 1985, 424 (425); Schach, NVwZ 1985, 880 (883). 73

74

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Insgesamt vermag damit die gesetzessystematische Auslegung das durch die Auslegung des Wortlautes der Vorschrift gewonnene Ergebnis, wenn nicht zu bestätigen, so doch zumindest nicht zu erschüttern. c) Entstehungsgeschichte

Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, welche sowohl vom Großen Senat des Bundesverwaltunsgerichts79 als auch von der Gegenauffassungso als Element der Begründung herangezogen, deren Aussagefähigkeit und Klarheit zuweilen aber auch angezweifelt81 wird, vollzog sich in mehreren Stufen. In § 37 Abs. 4 des Musterentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (EVwVerfG) aus dem Jahre 1963, dem ersten Vorläufer des heutigen § 48 Abs. 4 VwVfG, war hinsichtlich der die Ausschlußfrist auslösenden Faktoren noch nicht von der Kenntnis von "Tatsachen", sondern von "Umständen, welche die Rücknahme rechtfertigen" die Redesz. Der Begriff "Umstände", welcher auch in§ 116 Abs. 4 a . F . schl.- holst. LVwG Eingang fand, wurde dabei nicht auf den Bereich des Lebenssachverhalts beschränkt, sondern etwa auch auf die Auslegung einer Vorschrift erstreckt83. Im weiteren Gang der Gesetzgebung ist sodann erstmals der Regierungsentwurf 197084 ausdrücklich von dem Merkmal "Umstände" abgerückt und hat statt dessen den sprachlich engeren Begriff "Tatsachen" eingeführt. In der Einzelbegründung zu der seinerzeit in§ 37 Abs. 4 des Entwurfs vorgesehenen Fristenregelung heißt es: "Notwendig ist jedoch, daß die Behörde von Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Das Bekanntwerden von rechtlichen Überlegungen oder auch einer geänderten Rechtsprechung oberster Gerichte ist allein nicht ausreichend, um die Frist in Lauf zu setzen"85.

Der der heutigen Gesetzesfassung auf Bundesebene unmittelbar zugrunde liegende Regierungsentwurf aus dem Jahre 197386 hat an der Verwendung des Begriffs "Tatsachen" festgehalten . In der amtlichen Begründung zu dem dem 79 BVerwGE 70, 356 (361 f.). 80 Vgl. etwa OVG NW DVBI. 1984, 1085 (1086); BayVGH DVBI. 1983, 946 (947); Busch, DVBI. 1982, 1002 (1003); Allesch, BayVBI. 1984, 519 (519, 520 f.); Pieroth, NVwZ 1984, 681 (686); Kopp, DVBI. 1985, 525 f.; Schach, NVwZ 1985, 880 (883); Becker, RiA 1985, 252 (253); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 50. 81 So etwa Weides, DÖV 1985, 431 (433). 82 Musterentwurf, S. 27; vgl. auch ebd. S. 174 f. 83 Vgl.- in bezugauf § 116 Abs. 4 a. F. schl.-holst. LVwG- etwa OVG Lüneburg, Die Gemeinde 1976, 203; dazu ferner Busch, DVBI. 1982, 1002 (1003); Schach, NVwZ 1985, 880 (883). 84 BT-Drucks. Vl/1173. 85 BT-Drucks. Vl/1173 S. 57. 86 BT-Drucks. 7/910.

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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heutigen§ 48 Abs. 4 VwVfG entsprechenden§ 44 Abs. 4 des Entwurfs 1973 ist - im Inhalt ähnlich, allerdings etwas ausführlicher als in der Entwurfsbegründung aus dem Jahre 1970- ausgeführt: "Die Behörde kann und muß sich künftig innerhalb eines Jahres von der Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen entscheiden, ob sie von ihrem Rücknahmerecht Gebrauch machen will. Notwendig ist jedoch, daß die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhalten hat. Die Vorschrift erfaßt daher nur die Fälle, in denen die Behörde durch tatsächliche Ereignisse auf die Rechtswidrigkeit eines konkreten Verwaltungsaktes hingewiesen wird. Nicht einbezogen sind die Fälle, in denen die Rechtswidrigkeit z. B. durch höchstrichterliche Rechtsprechung oder durch deren Änderung bekannt wird oder in denen die Behörde zufällig auf die Rechtswidrigkeit einer Parallelentscheidung stößt oder in denen die zuständige Behörde durch die Aufsichtsbehörde in einem anderen oder viel später liegenden Fall auf eine rechtswidrige Praxis hingewiesen wird. . . . "87.

Aus der anhand der Entwurfsfassungen aufgezeigten historischen Entwicklung und den Gesetzesmaterialien wird folgendes deutlich: Zum einen zeigt eine Gegenüberstellung der im Musterentwurf 1963 gewählten Formulierung ("Umstände") und des die nachfolgenden Entwürfe sowie die heutige Gesetzesfassung bestimmenden Textes ("Tatsachen"), daß der Gesetzgeber offenbar bewußt die Anwendung der Fristenregelung nur auf einen Teil aller denkbaren Fälle der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts, nämlich auf die Fehler im Tatsachenbereich, beschränken wollte88. Zum anderen läßt aber auch die amtliche Begründung schon für sich genommen hinreichend deutlich erkennen, daß- im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch der gesetzlichen Termini - nur das nachträgliche Bekanntwerden von Tatsachen, nicht aber auch von rechtlichen Hinweisen, Überlegungen und Schlüssen, mithin nicht der Bereich der Rechtsanwendung und Subsumtion, Anknüpfungspunkt für den Fristbeginn sein sol189. Wenn in der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfes 1973 der Terminus "tatsächliche Ereignisse" auftaucht9o, so dürfte damit allerdings vom Gesetzgeber wohl keine über den allgemeinen Sprachgebrauch hinausgehende Verengung des Tatsachenbegriffs - etwa im Sinne eines Ausschlusses sog. innerer Tatsachen- beabsichtigt gewesen sein. Nach dem grammatischen Aufbau des betreffenden Satzes der amtlichen Begründung zielt der Begriff "Ereignisse" in Verbindung mit dem Wort "hingewiesen"- wenn dieses auch nicht ganz eindeutig ist (siehe den Begriff "daher")- nämlich nicht so sehr auf eine nähere Konkretisierung des Tatsachenbegriffs als vielmehr auf die Art und Weise, in welcher die Behörde die erforderliche Kenntnis von Tatsachen erhält91 . 87 88 89

9o

BT-Drucks. 7/910 S. 71. So etwa auch BayVGH DVBI. 1983, 946 (947) ; Kopp, DVBI. 1985, 525 f. Im wesentlichen ebenso die oben in Fn. 80 Genannten. Vgl. BT-Drucks. 7/910 S. 71.

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Die Auswertung der Gesetzesmaterialien durch den Großen Senat des Bundesverwaltungsgerichts vermag gegenüber der hier vertretenen Auffassung nicht zu überzeugen. Sie leidet zunächst daran, daß nicht auf die gesamte Entwicklung der Gesetzgebungsgeschichte, sondern im wesentlichen nur auf die amtliche Begründung zu § 48 VwVfG ( = § 44 des Entwurfs 1973) und auch auf diese nur in bruchstückhaften, aus dem Gesamtzusammenhang gelösten Einzelpassagen eingegangen wird92. Soweit im übrigen der Große Senat meint, die Hinweise in der amtlichen Begründung, wonach die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhalten müsse und die Frist nur die Fälle erfasse, in denen die Behörde durch tatsächliche Ereignisse auf die Rechtswidrigkeit eines konkreten Verwaltungsakts hingewiesen werde, dienten lediglich der Klarstellung, daß allgemeine Hinweise ohne konkreten Fallbezug die Rücknahmetrist nicht in Lauf setzten93, handelt es sich um eine Annahme, die nicht näher belegt wird. Jedenfalls bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang von dem herkömmlichen Wortsinn des Begriffs Tatsachen als allein maßgeblichem Bezugspunkt der behördlichen Kenntnisnahme habe abweichen wollen94. Im Ergebnis bestätigt damit auch die Entstehungsgeschichte die Auslegung, nach der das nachträgliche Erkennen von Fehlern bei der Rechtsanwendung einschließlich der Subsumtion von der Fristenregelung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG nicht erfaßt wird. d) Sinn und Zweck

Wenngleich in der Akzentuierung unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, ob§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG in erster Linie im Dienst der Rechtssicherheit95 steht oder ob er vorrangig bzw. zumindest gleichrangig (auch) im Vertrauensschutzinteresse des Betroffenen96 geschaffen wurde97, ist man sich 91 Zur Trennung des Tatsachenbegriffs von dem Merkmal einer Kenntnis "aufgrund tatsächlicher Ereignisse" vgl. auch Krützmann, VBIBW 1983, 362 (364) . Zum Verständnis des betreffenden Passus der amtlichen Begründung ferner BVerwGE 70, 356 (361 f.); Steenblock, DÖV 1984, 218 (219); Weides, DÖV 1985, 91 (95 f.) ; Kopp, DVBI. 1985, 525 (526). 92 Dazu auch Schoch, NVwZ 1985, 880 (883). 93 BVerwGE 70, 356 (361 f.). 94 Ähnlich Kopp, DVBI. 1985, 525 (526). Zumindest eine gewisse Ambivalenz der Gesetzesbegründung gesteht auch Weides, DÖV 1985, 431 (433) , der im übrigen der Auffassung des Großen Senats folgt , ein. 95 So etwa BVerwGE 70, 356 (359, 360) ; Krützmann, VBlBW 1983, 362 (363) ; Obermayer, VwVfG, § 48 Rdn. 146. 96 So etwa BVerwGE 66, 61 (63) ; VGH Bad.-Württ. VBIBW 1981,293 f. ; VG Frankfurt NVwZ 1983,55 (56) ; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 48; Weides, DÖV 1985, 91 (95). 97 Vgl. hierzu bereits oben§ 10 I (bei Fn. 8).

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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im Grundsatz doch darüber einig, daß - wie auch in der amtlichen Begründung zum Ausdruck kommt98 - die Fristenregelung im wesentlichen den Zweck verfolgt, den Entscheidungsspielraum der Behörde betreffend die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts in angemessener Weise zeitlich zu begrenzen, die Behörde also zu einer zeitgerechten, unnötige Verzögerungen vermeidenden Reaktion zu veranlassen99. Ausgehend von dieser gesetzlichen Zielsetzung wird namentlich von den Befürwortern einer Erstreckung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG auch auf die Fälle sog. Rechtsanwendungsfehler ins Feld geführt, eine unterschiedliche Behandlung der Art der Fehler, die zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts geführt hätten, leuchte weder vor dem Hintergrund der im Interesse der Rechtssicherheit nötigen Klarstellung des endgültigen Abschlusses des anstehenden RücknahmefalleslOG noch vor dem Hintergrund der Schutzwürdigkeit der Stellung des BetroffenenlOt ein. Außerdem wird darauf hingewiesen, daß eine Abgrenzung der unterschiedlichen Fehlerquellen (Feststellung des Sachverhalts/rechtliche Würdigung) im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten könnel02. Zwar kann diesen Erwägungen eine gewisse Plausibilität und Sachgerechtigkeit nicht abgesprochen werden. Würde nämlich die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG auch dann Anwendung finden, wenn die Behörde eine fehlerhafte rechtliche Würdigung des Sachverhalts, die zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts geführt hat, nachträglich erkennt, so würde damit im Ergebnis der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden sowie mittelbar auch dem Vertrauensschutz des Betroffenen effektiver gedient werden als im Falle einer Beschränkung der Geltung der Fristenregelung auf die nachträgliche Kenntnisnahme von Fehlern bei der Ermittlung des Sachverhalts. Auch erscheint nachvollziehbar, daß der für die Rücknahme des Verwaltungsakts streitende Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung jedenfalls von dem Zeitpunkt an, in welchem die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und damit die Notwendigkeit einer Entscheidung über die Rücknahme erkannt hat, ein unbefristetes Offenhalten dieser Entscheidung nicht mehr zwingend gebietet 103. Gleichwohl darf auf der anderen Seite nicht verkannt 98 Vgl. BT-Drucks. 7/910 S. 71: "Die Behörde . .. muß sich künftig innerhalb eines Jahres ... entscheiden, ob sie von ihrem Rücknahmerecht Gebrauch machen will". 99 Vgl. BVerwGE 70, 356 (359 f.); OVG Koblenz NVwZ 1984, 735; Busch, DVBI. 1982, 1002 (1003 f.); Krützmann, VBIBW 1983, 362 (363). Auf die Streitfrage, ob diese zeitliche Begrenzung vom Gesetzgeber i. S. einer Entscheidungs- oder einer Bearbeitungsfrist gewollt war - dazu unten § 10 III 2 d - kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend an. 100 So insbesondere der Große Senat: BVerwGE 70, 356 (360). Vgl. ferner Krützmann, VBIBW 1983, 362 (365). 101 So etwa VGH Bad.-Württ. VBIBW 1981, 293 (294); ähnlich auch BVerwGE 66, 61 (63) . 102 BVerwGE 70, 356 (360 f.).

17 Knoke

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

werden, daß jede Effektuierung der Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes im Rahmen des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG die Belange der Gesetz- und Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandeins zurückdrängtl04. Darüber hinaus darf der bei der Lösung und Harmonisierung des Widerstreits von- wie hier- im Grundsatz gleichrangigen Verfassungsgütern bestehende Konkretisierungs- und Gestaltungsspielraum des GesetzgeberslOS in bezug auf die nähere Bestimmung von Inhalt und Zielsetzung einer Norm auch bei der teleologischen Auslegung nicht außer acht gelassen werden. Unter Berücksichtigung der sich daraus ergebenden Bandbreite möglicher Gesetzesinhalte und -zwecke ist es vorliegend gerade die- nach der Grundtendenz des§ 48 VwVfG, den Aspekt der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu stärken, eher zu verneinende - Frage, ob die Fristenregelung das erkennbare Ziel hat, die Rücknahmeentscheidung der Behörde in zeitlicher Hinsicht möglichst umfassend und effektiv und nicht nur- dem Wortlaut entsprechend- für den Teilbereich der Tatsachenirrtümer einzugrenzen. Ferner erscheint es wenn sich auch dieses nicht eindeutig belegen läßt- denkbar, daß der Gesetzgeber eine von dem Bekanntwerden neuer Tatsachen ausgehende besondere "Anstoßwirkung"106 zum Anlaß genommen hat, diesen Fall im Verhältnis zu dem Fall des nachträglichen Erkennens einer ursprünglich fehlerhaften rechtlichen Beurteilung differenziert zu regeln. Was schließlich die Argumentation betrifft, der Vertrauensschutz des Betroffenen gebiete "erst recht" die Geltung des§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG in den Fällen einer unrichtigen rechtlichen Würdigung des Sachverhalts, weil eine Behörde, welche die die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen schon bei Erlaß des Verwaltungsakts vollständig kenne, nicht günstiger gestellt sein dürfe als sie im Falle erst nachträglicher Kenntniserlangung stünde107, so erweist sich diese Argumentation schon deshalb als wenig überzeugend, weil die Fragen des Vertrauensschutzes in erster Linie in den Absätzen 1 bis 3 der Vorschrift des § 48 VwVfG differenziert geregelt worden sind, wohingegen der Absatz 4 weder in der Person des Betroffenen einen Vertrauenstatbestand voraussetzt noch- vom gravierenden Fall des § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG einmal abgesehen - die Frage nach der Schutzwürdigkeit eines etwaigen Vertrauens in eine zeitgerechte Rücknahmeentscheidung stelltlü8. Läßt sich danach bereits nicht eindeutig feststellen, daß die ratio legis eine Einbeziehung der Fälle des nachträglichen Erkennens von RechtsanwenInsoweit dem Großen Senat folgend wohl auch Schach, NVwZ 1985, 880 (883). Vgl. OVG NW DVBI. 1984, 1084 (1086) ; Busch, DVBI. 1982, 1002 (1003) ; Bekker, RiA 1985, 252 (253). 105 Vgl. oben§ 9 II C 2 a bb aaa (bei Fn. 194). 106 So etwa OVG NW DVBI. 1984, 1084 (1086); ähnlich auch OVG Koblenz NVwZ 1984, 735. 107 So BVerwGE 66, 61 (63) ; vgl. auch VGH Bad.-Württ. VBIBW 1981, 293 (294). 108 Vgl. dazu bereits oben§ 10 I (vor Fn. 9) ; kritisch insoweit auch Pieroth, NVwZ 1984, 681 (686 f.); VGH Bad.-Württ. VBIBW 1985, 423 (425). 103 104

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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dungsfehlern bei vollständig bekanntem Sachverhalt in den Regelungsbereich des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG fordert, so ergeben sich verstärkte Bedenken gegen eine dahingehende Auslegung noch unter einem anderen Gesichtspunkt. Eine de lege ferenda rechtspolitisch u. U. wünschenswerte Gestaltung einer Norm kann nicht gestützt auf- hier letztlich nicht einmal abgesicherteallgemeine teleologische Erwägungen bereits de lege lata die Auslegung dieser Norm maßgeblich bestimmen; dies gilt zumal dann, wenn sich das "gewünschte" Auslegungsergebnis wie im vorliegenden Falle eindeutig mit dem möglichen Wortsinn nicht vereinbaren läßt und es dem darüber hinaus auch im Sinn- und Bedeutungszusammenhang der Norm sowie in der Entstehungsgechichte zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers sichtbar zuwiderläuftl09. Bei einem solchen Vorgehen würden nämlich die für die Gesetzesauslegung geltenden Grenzenno deutlich überschritten. e) Exkurs: Analoge Anwendung der Norm?

Zuweilen wird namentlich wegen des entgegenstehenden Wortlauts zwar die Möglichkeit einer direkten Anwendung des§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG auf das nachträgliche Erkennen von Fehlern bei der Rechtsanwendung bei zugleich vollständig bekanntem Sachverhalt verneint, jedoch eine analoge Anwendung der Vorschrift befürwortet111. Auch dieses Vorgehen ist indessen erheblichen Bedenken ausgesetzt. Jede Analogie setzt methodisch als erstes das Vorliegen einer planwidrigen Lücke vorausm. Das Aussparen der Fälle des Bekanntwerdens von Subsumtions- und Rechtsirrtümern stellt sich hier aber·, wie insbesondere die·Entstehungsgeschichte113 zeigt, nicht als eine ungewollte Planwidrigkeit der Regelung dar, sondern es entspricht gerade dem Willen des Gesetzgebers. Von daher muß also auch eine analoge Anwendung der Fristenregelung ausscheidenll4 und bleibt es demzufolge Aufgabe des Gesetzgebers, die im Rahmen des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG verbreitet als unbefriedigend empfundene differenzierende Behandlung der verschiedenen Arten zur Rechtswidrigkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts führender Fehler ggf. de lege ferenda zu korrigieren.

Ebenso Kopp, DVBI. 1985, 525 (526); Schach, NVwZ 1985, 880 (883 f.). Vgl. zu diesen Larenz, Methodenlehre, S. 307 f., 329 f.; ferner oben§ 9 li C 3 a. 111 So etwa Obermayer, VwVfG, § 48 Rdn. 150; Klappstein in Knack, VwVfG, § 48 Rdn. 5.3.1; offen gelassen von OVG NW DVBI. 1984, 1084 (1087) . 112 Vgl. Larenz, Methodenlehre , S. 354 ff., 358. m Dazu oben § 10 III 1 c. 114 Ebenso Kopp, DVBI. 1985, 525 (526); Schach, NVwZ 1985, 880 (884); A llesch, BayVBI. 1984, 519 (520). 109 110

17*

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG f) Ergebnis

Die aufgeworfene Rechtsfrage ist nach alledem im Ergebnis entgegen der Auffassung des Großen Senats des Bundesverwaltungsgerichts dahin zu beantworten, daß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG keine Anwendung findet, wenn die Behörde nachträglich erkennt, daß sie den bei Erlaß eines Verwaltungsakts vollständig bekannten Sachverhalt - dieses ist ein solcher, bei dem die Behörde von sämtlichen für die Beurteilung des betreffenden Verwaltungsakts als rechtmäßig oder rechtswidrig erheblichen Tatsachen Kenntnis hat unzureichend berücksichtigt oder unrichtig gewürdigt und deswegen rechtswidrig entschieden hat. Es sollte allerdings nach Möglichkeit vermieden werden, insoweit verkürzend von der Nichtgeltung der Jahresfrist für sog. Rechtsanwendungsfehler zu sprechen. Fällt nämlich, was in der Praxis nicht selten vorkommt, eine unrichtige Sachverhaltsfeststellung mit einer fehlerhaften rechtlichen Würdigung beim Erlaß eines Verwaltungakts zusammen, so wirkt sich dieser Umstand im Hinblick auf das grundsätzliche Erfaßtsein dieser Fallgestaltung von der Regelung des§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG nicht auslls. Für das Inlautsetzen der Frist kommt es hier nur darauf an, ob (auch) die unrichtige Tatsachengrundlage nachträglich bekannt wird. 2. Zweite Problemstellung: Der Umfang der für den Beginn des Laufs der Ausschlußfrist erforderlichen Tatsachenkenntnis

Im Rahmen des verbliebenen Regelungsbereichs des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG - nachträgliches Erkennen von Sachaufklärungsfehlern (Tatsachenirrtümern) - stellt sich sodann die weitere Frage, welchen Umfang die Tatsachenkenntnishaben muß, damit die Frist in Lauf gesetzt wirdll6. Dabei zielt der Begriff "Umfang" zum einen auf die Art der Tatsachen (nur solche, die für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts relevant sind, oder auch sonstige für die Rücknahmeentscheidung, z. B. die Ermessensbildung, wesentliche Tatsachen?), zum anderen aber auch auf das erforderliche Maß der Tatsachenkenntnis (wie viele der maßgeblichen Tatsachen müssen bekanntgeworden sein?). Auch dieses Problemfeld ist anhand der herkömmlichen Auslegungsmethoden näher zu analysieren.

Vgl. Pieroth, NVwZ 1984, 681 (686). A. A. offenbar Pieroth, NVwZ 1984, 681 (686), der diese Frage nur für ein "Scheinproblem" hält. Insoweit kritisch auch Schach, NVwZ 1985, 880 (884 Fn. 56). 115

116

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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a) Wortlaut

Was zunächst die Art der in§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG in Bezug genommenen Tatsachen betrifft, so muß die grammatische Auslegung bei dem Relativsatz ("welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen") ansetzen; dieser Relativsatz hat nämlich in grammatisch-Jogischer Sicht die Funktion, die für die Fristenregelung maßgeblichen "Tatsachen" näher zu bestimmen und einzugrenzenm. Aus dem genannten Relativsatz ist es vor allem der Begriff "rechtfertigen", welcher- auf das Substantiv "Rücknahme" bezogen- näheren Aufschluß über die nach der Gesetzesfassung für das Ingangsetzen der Jahresfrist bedeutsamen Tatsachen zu geben vermag. Demgegenüber können aus der Formulierung "eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes" in bezug auf die Ausgangsfrage keine Schlüsse gezogen werden, weil der Zusatz "rechtswidrig" allenfalls klarstellenden Charakter hat und ohnehin dem Begriff der Rücknahme von Verwaltungsakten, wie er in den Verwaltungsverfahrensgesetzen gebraucht wird, immanent ist. Der Begriff "rechtfertigen" bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch so viel wie als berechtigt oder begründet erscheinen lassenlls. Welche Tatsachen im einzelnen vorliegen und der Behörde bekannt sein müssen, damit die Rücknahme eines Verwaltungsakts berechtigt bzw. begründet ist - das kann nur so viel heißen wie dem geltenden Recht entspricht -, bestimmt sich in erster Linie nach der gesetzlichen Maßstabsnorm für die Rücknahmeentscheidung. Als tatbestandliehe Voraussetzung der Rücknahme ist in§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zwar nur das Vorliegen eines rechtswidrigen Verwaltungsakts angeführt, was vordergründig der Auffassung Recht geben könnte, die bei dem Merkmal "rechtfertigen" allein die Tatbestandsseite der Rücknahmeermächtigung im Blick hat und demzufolge schon vom Gesetzeswortlaut her für eine Beschränkung auf die die Rechtswidrigkeit des Verwaltungakts bedingenden bzw. begründenden Tatsachen innerhalb des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG plädiert119. Diese Auffassung übersieht jedoch, daß die für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts bedeutsamen Tatsachen für sich genommen noch keine abschließende Aussage darüber treffen können, ob der Verwaltungsakt zurückgenommen werden darf. Letzteres hängt mit der Struktur der Maßstabsnorm des § 48 VwVfG zusammen, welche die Rücknahme eines Teiles der begünstigenden Verwaltungsakte nach ihrem Absatz 1 Satz 2 i. V. m. Absatz 2 zusätzlich davon abhängig macht, daß der Begünstigte entweder nicht auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat oder sein Vertrauen in Abwägung mit dem öffentlichen Interesse nicht schutzwürdig ist, und welche Siehe dazu bereits oben bei Fn. 67. Vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 5, S. 2112; ähnlich auch Allesch, BayVBl. 1984, 519 (520). 119 So etwa Schach, NVwZ 1985, 880 (884) ; Weides, DÖV 1985, 91 (96); ders. , DÖV 1985,431 (434 f.); Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 50 a. 117

118

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

darüber hinaus im Rahmen ihres Absatzes 1 Satz 1 in bezug auf sämtliche zur Rücknahme anstehenden Verwaltungsakte eine Ermessensbildung und -betätigung seitens der Behörde voraussetzt. Für die am objektiven Wortsinn des Begriffs "rechtfertigen" ansetzende Auslegung ergibt sich daraus folgende Konsequenz: Im Einklang mit der grammatischen Auslegung dieser Gesetzesformulierung durch den Großen Senat des BundesverwaltungsgerichtsJzo dürfen die Tatsachen, die für das Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes oder für die Schutzwürdigkeit eines in den Fällen des§ 48 Abs. 2 VwVfG etwa vorhandenen Vertrauens von Bedeutung sind- z. B. der Verbrauch bzw. Nichtverbrauch einer empfangenen Leistung (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG) oder die Unvollständigkeit von Angaben (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG) -, ebensowenig ausgespart bleiben wie die für eine sachgerechte Ermessensausübung wesentlichen Tatsachen, wenn es um die Frage des grundsätzlichen Umfaßtseins von der Formulierung "Tatsachen, welche die Rücknahme .. . rechtfertigen" geht121. Dabei wird nicht verkannt, daß die genannten Tatsachen nicht isoliert, sondern immer nur im Verbund mit den für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts relevanten Tatsachen die Rücknahme als begründet erscheinen lassen können. Entscheidend ist vielmehr, daß sie im Einzelfall dafür maßgeblich sein können, daß ein Verwaltungsakt, welcher nach der der Behörde bisher bekannten Sachlagez.B. wegen eines irrtümlich angenommenen Vertrauensschutztatbestandesnicht rücknehmbar war bzw. über dessen Rücknehmbarkeit nach der bisherigen Sachlage noch nicht abschließend entschieden werden konnte, nunmehr alle Anforderungen an eine detn Gesetz entsprechende Rücknahmeentscheidung erfüllt122. Hinsichtlich der von den Gegnern der Auffassung des Großen Senats des Bundesverwaltungsgerichts in besonderem Maße kritisierten grundsätzlichen Miteinbeziehung der für die Ermessensbildung relevanten Tatsachen ist zudem folgendes zu bedenken: Dadurch, daߧ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG die Entscheidung über die Rücknahme als Ermessensentscheidung ausgestaltet hat, hat das Gesetz zugleich vorgegeben, daß die Behörde überhaupt Ermessenserwägungen anzustellen hat. Unterläßt sie dieses, so liegt eine Ermessensunterschreitung - auch Ermessensmangel genannt - vor, welche die Rücknahmeverfügung ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig macht. Ihr Ermessen wiederum kann die Behörde in rechtsfehlerfreier Weise nur dann ausüben, wenn sie zuvor den Sachverhalt im Hinblick auf die entscheidungsBVerwGE 70, 356 (362 f.). Ebenso im Ergebnis- außer dem Großen Senat des Bundesverwaltungsgerichtsauch BayVGH BayVBl. 1980, 501; BayVGH ZBR 1983, 66; Allesch, BayVBl. 1984, 519 (520 f.); Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 70; Obermayer, VwVfG, § 48 Rdn. 149; in bezugauf den Wortlaut dahin tendierend- trotz im Ergebnis anderer Auffassung- wohl auch Kopp, DVBL 1985, 525 (526). 122 Vgl. Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 70. 12o 121

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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erheblichen Umstände zutreffend und vollständig ermittelt hatt23. Geht die Behörde demgegenüber bei ihrer Rücknahmeentscheidung in Ermangelung einer hinreichenden notwendigen Sachaufklärung von einem "verkürzten" Sachverhalt aus, so folgt daraus ein Ermessensdefizit, welches die Rücknahmeverfügung ebenso rechtswidrig macht wie eine gänzlich fehlende Ermessensbetätigungt24. Anders ausgedrückt bedeutet dies, daß die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts nur und erstmals dann gerechtfertigt i. S. des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG sein kann, wenn die Behörde die für ihre Ermessensbildung maßgeblichen und notwendigen Tatsachen zutreffend erkannt und sie für den Betroffenen ersichtlich bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat12s. Aus den vorstehenden Überlegungen insbesondere zum Charakter des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG als Ermessensnorm ergibt sich zugleich, daß es, was nunmehr das erforderliche Maß der Tatsachenkenntnis betrifft, begrifflich für das Erfülltsein des Merkmals "die Rücknahme rechtfertigen" nicht ausreichen kann , wenn der Behörde erst eine für die Rücknahmeentscheidung relevante Tatsache oder auch mehrere solcher Tatsachen bekanntgeworden sind, sondern die Behörde vielmehr von allen Tatsachen Kenntnis erlangt haben muß, die sie in dem jeweils anstehenden Rücknahmefall objektiv benötigt, um eine wohlabgewogene, den Anforderungen des § 40 VwVfG genügende Ermessensentscheidung treffen zu könnent26. Wenn die Gegenauffassungt27 darauf hinweist, daß der Gesetzeswortlaut lediglich von dem Kenntniserhalten "von" Tatsachen und beispielsweise nicht von "den" Tatsachen oder von "allen" Tatsachen spricht, so ist dies zwar richtig, ersetzt aber nicht eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ob die bekanntgewordenen Tatsachen, wie der nachfolgende Relativsatz es verlangt, bereits ausreichen, um die Rücknahme zu rechtfertigen. Letzteres ist nach der hier zur grammatischen Auslegung des Begriffs "rechtfertigen" vertretenen Auffassung solange nicht der Fall, wie noch weitere Ermittlungen objektiv erforderlich sind, um zu gewährleisten, 123 Vgl. OVG Münster NJW 1976, 1227 f.; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 40 Rdn. 28; ferner BVerfG NJW 1980, 514 (515); BVerwG DVBI. 1982, 69 (71 f.); BVerwG NJW 1975, 2156 (2157 f .). 124 Vgl. auch BayVGH ZBR 1983, 66; Allesch, BayVBI. 1984, 519 (521) . 125 Ähnlich in einem vergleichbaren Fall OVG Münster NJW 1976, 1227 (1228); vgl. ferner die oben in Fn. 121 Genannten. 126 Ebenso etwa BVerwGE 70, 356 (363); BayVGH BayVBI. 1980, 501 (502); BayVGH ZBR 1983, 66; Allesch, BayVBI. 1984, 519 (520 ff.); Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 70; wohl auch OVG Rh.-Pf. DVBI. 1982, 219 (222); nicht ganz eindeutig Krützmann, VBIBW 1983, 362 (364 Fn. 16). Möglicherweise weitergehend Hendler, JuS 1985, 947 (951), der keinen objektiven Maßstab anlegt, sondern auf die Sicht der Behörde abstellt. Zu praktischen Problemen dieser Sichtweise bei einer Mehrheit zeitlich gestaffelt erkannter Tatsachen allerdings Kellermann, VBIBW 1988, 46 (51 f.). 127 So insbesondere Kopp, DVBI. 1985, 525 (526); Schoch, NVwZ 1985, 880 (884) ; ähnlich auch Weides, DÖV 1985, 91 (96); ders., DÖV 1985, 431 (434 f.) .

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

daß eine rechts- und ermessensfehlerfreie Rücknahmeentscheidung ergehen kann. b) Gesetzessystematik

Der gesetzessystematische Bedeutungszusammenhang gibt für das hier erörterte Auslegungsproblem eher wenig her12B. Zwar wird insoweit u. a. auf§ 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG hingewiesen und geltend gemacht, diese Vorschrift nehme in Verbindung mit dem dort in Bezug genommenen § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG auf einen Tatbestand Bezug, welcher nicht für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, sondern für sonstige- hier die Schutzwürdigkeit des Vertrauens betreffende- Tatsachen von Bedeutung seil29. Wenngleich nicht völlig von der Hand zu weisenBo, erweist sich dieses aber wohl kaum als ein sehr starkes Argument. Abgesehen von dem Charakter des § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG als enger Ausnahmebestimmungm, der bereits sichere Schlüsse auf die Auslegung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG kaum zuläßt, ist es nämlich ebensogut denkbar, die Auffassung zu vertreten, daß die Rechtsfolge des Satzes 2 (Nichtgeltung der Rechtsfolge des Satzes 1) allein an die tatbestandliehe Voraussetzung "im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1" anknüpft, ohne im übrigen in irgendeiner Beziehung zu den tatbestandliehen Voraussetzungen des Fristbeginns gemäß dem Satz 1 zu stehen. Wenn von anderer Seite unter Berufung auf die Stellung der Fristenregelung im Gesamtgefüge der Regelungen des § 48 VwVfG dahin argumentiert wird, es müsse für den Beginn der Jahresfrist genügen, wenn die Kenntnis von den Rücknahmegründen als solchen gegeben sei 132 , so ist auch dieses nicht recht nachvollziehbar. Richtig ist zwar, daß die Jahresfrist für die Rücknahme aller begünstigenden Verwaltungsakte, d. h. sowohl solcher i. S. des Absatzes 2 als auch solcher i. S. des Absatzes 3, giitJ33 und daß sie für diese eine gewisse "Kompensationsfunktion"l34 im Verhältnis zu den sonstigen über§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG geltenden Rücknahmebegrenzungen hat. Aus diesem Regelungs- und Bedeutungszusammenhang der Norm ergibt sich aber soweit 128 Symptomatisch ist etwa, daß der Große Senat des Bundesverwaltungsgerichts diese Auslegungsmethode im vorliegenden Zusammenhang überhaupt nicht fruchtbar gemacht hat; vgl. BVerwGE 70, 356 (362 ff.). 129 So Allesch, BayVBI. 1984, 519 (520). 130 Vgl. auch Schoch, NVwZ 1985, 880 (884 Fn. 57), der soweit ersichtlich nur die angeblich ungenügende Berücksichtigung des Gesamtzusammenhanges der Vorschrift rügt. 131 Vgl. dazu bereits oben § 10 III 1 b. !32 So etwa Weides, DÖV 1985, 431 (434) ; Schoch, NVwZ 1985, 880 (884). 133 Hierauf stützt anscheinend Weides, DÖV 1985, 431 (434) , maßgeblich seine systematische Auslegung. 134 Schoch, NVwZ 1985, 880 (884) .

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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ersichtlich nicht zwingend eine Beschränkung der im Rahmen der Fristenregelung maßgeblichen Tatsachen auf solche, die die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes begründen. Gerade das Geamtgefüge der Regelungen des § 48 VwVfG bringt nämlich vornehmlich die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, die Rücknahmemöglichkeiten der Behörde erleichtern und den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung stärken zu wollen; dies verbietet es zugleich, die zeitliche Rücknahmesperre des§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG allzu extensiv in Richtung auf den Schutz des Betroffenen auszulegenBs. Soweit schließlich eine Parallele zu bestimmten zivilrechtliehen Fristbestimmungen, wie z. B. § 121 BGB (Irrtumsanfechtung) oder§ 852 BGB (Verjährung von Deliktsansprüchen), gezogen und darauf hingewiesen wird, daß es dort nicht auf eine vollständige und umfassende Kenntnis aller für die Beurteilung möglicherweise bedeutsamen Tatsachen ankomme, sondern die Frist bereits zu laufen beginne, sobald der Betroffene begründeten Anlaß zu der Annahme des Gegebenseins dieser Tatsachen habe136, wird- einmal abgesehen von der weitgehenden Relativierung des Merkmals (positiver) "Kenntnis" -dabei nicht genügend berücksichtigt, daß die Interessenlage im Privatrechtsverkehr mit derjenigen beim hoheitlichen Handeln der Verwaltung gegenüber dem Bürger in der Form des Verwaltungsaktes in aller Regel nicht vergleichbar ist. Unterschiede hinsichtlich der Interessenlage bestehen darüber hinaus auch im Verhältnis zu bestimmten Fristenregelungen der Verwaltungsgerichtsordnung (z. B. §58 Abs. 2, § 75 Satz 2 VwG0)137, die zwar im Ergebnis die - hier prozessuale - Rechtsstellung des Bürgers gegenüber der Verwaltung stärken, die aber nicht wie bei der hier erörterten Problematik zur unabänderlichen Hinnahme rechtswidriger Zustände durch die Behörde führen. Mangels Deutlichkeit und Ergiebigkeit kann damit vorliegend die systematische Auslegung das Ergebnis der Auslegung des Gesetzeswortlauts nicht erschüttern oder in Frage stellen. c) Entstehungsgeschichte

Ähnlich wie der gesetzessystematische Bedeutungszusammenhang der Vorschrift vermittelt auch deren Entstehungsgeschichte kein eindeutiges Bild. So verwundert es schon, daß etwa die im Laufe der Entstehung der heutigen Gesetzesfassung vorgenommene Ersetzung des Begriffs "Umstände" durch den Begriff "Tatsachen"138 sowohl von Befürwortern139 als auch von Geg135 136

137 138 139

Vgl. bereits oben vor Fn. 78. Vgl. Kopp, DVBI. 1985, 525 (527) m. w. Nachw. Hierzu Kopp, DVBI. 1985, 525 (526 f.). Vgl. dazu näher oben§ 10 III 1 c. So etwa Allesch, BayVBI. 1984, 519 (520 f.).

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

nern140 einer Einbeziehung der für die Ausübung des Rücknahmeermessens notwendigen Tatsachen in die im Rahmen des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erheblichen Tatsachen bei der historischen Auslegung zur Untermauerung ihres jeweiligen Standpunktes verwendet wird. Da es vorliegend aber nicht um das Begriffspaar Tatsachen I Umstände, sondern um die nähere Eingrenzung der nach der Gesetzesfassung für den Fristbeginn maßgeblichen Tatsachen geht, ist dieser historische Anknüpfungspunkt für die Auslegung weitgehend unergiebig. Auch die amtliche Begründung zu dem der heutigen Gesetzesfassung zugrunde liegenden Regierungsentwurf 1973141 bietet allenfalls in einzelnen Passagen gewisse Anhaltspunkte für die Beantwortung der Ausgangsfrage, welche sich aber im Ergebnis mehr oder weniger gegeneinander aufheben. An einer Stelle der amtlichen Begründung ist ausgeführt, daß dem Gesetzgeber eine von der Kenntnis der Ausschließungsgründe unabhängige - also absolute - Frist deshalb nicht gerechtfertigt erschien, weil es Fälle geben könne, in denen ein so weitreichender Schutz des Betroffenen nicht angemessen wäre (z. B. Rücknahme einer ärztlichen Approbation, durch strafbare Handlung erlangte Vermögensvorteile), und weil darüber hinaus dem Zeitablauf allein keine eigenständige Bedeutung für die Rechtfertigung einer Rücknahme nach Maßgabe der Grundsätze von Treu und Glauben beigemessen werden könne1 42 . Diese Formulierungen deuten darauf hin, daß ein über die sonstigen Regelungen des § 48 VwVfG hinausgehender, zeitlich orientierter (Vertrauens-)Schutz des Rücknahmebetroffenen höchstens in sehr abgeschwächter Form beabsichtigt war, was eher gegen die im Ergebnis die Behörde benachteiligende Auslegung der Jahresfrist als reine Bearbeitungsfrist ohne entsprechend langen Entscheidungsspielraum spricht. In die gleiche Richtung weist- eher noch deutlicher- folgende Formulierung: "Die Behörde kann ... sich künftig innerhalb eines Jahres ... entscheiden , ob sie von ihrem Rücknahmerecht Gebrauch machen will"143. Entscheiden kann sich die Behörde logischerweise erst ab dem Zeitpunkt der Entscheidungsreife144, der wiederum bei einer als Ermessensregelung strukturierten Befugnisnorm nicht früher liegen kann als der Zeitpunkt, in welchem die Behörde von allen für eine fehlerfreie Ausübung des Ermessens notwendigen Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Weides, DÖV 1985, 431 (434 f.); Schach, NVwZ 1985, 880 (884 bei Fn. 59). BT-Drucks. 7/910. 142 BT-Drucks. 7/910 S. 71; ähnlich bereits die Begründung zum Musterentwurf 1963, ebd. S. 174. 143 BT-Drucks. 7/910 S.71; Hervorhebung vom Verfasser. Hiermit wortgleich bereits die Begründung zum Musterentwurf 1963, ebd. S. 174. 144 Diesen Begriff verwendet - obschon nicht im Zusammenhang mit der von ihm im vorliegenden Zusammenhang nicht bemühten historischen Auslegung - auch der Große Senat: BVerwGE 70, 356 (363 f.). 140 141

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Auf der anderen Seite enthält die amtliche Begründung aber auch bestimmte Elemente, die eher dafür sprechen könnten, die erforderliche behördliche Kenntnis im Rahmen des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG auf solche Tatsachen zu beschränken, die für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts von Belang sind. So heißt es etwa - die heutige Ausnahmebestimmung des § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG betreffend - an einer Stelle des Begründungstextes: "Da hier auch häufig zunächst strafrechtliche Ermittlungsverfahren abgewartet werden müssen oder die volle Aufklärung des Sachverhalts zeitraubend sein kann, reicht auch unter diesem Gesichtspunkt die Einjahresfrist oft nicht aus; . .. "145. Hätte der historische Gesetzgeber die Jahresfrist konsequent als Entscheidungsfrist nach voller Aufklärung des Sachverhalts begreifen wollen, so wären an sich die von ihm angedeuteten Bedenken hinsichtlich des Ausreichens der Frist nicht angezeigt gewesen. An anderer Stelle der amtlichen Begründung heißt es: "Die Vorschrift erfaßt ... nur die Fälle, in denen die Behörde durch tatsächliche Ereignisse auf die Rechtswidrigkeit eines konkreten Verwaltungsaktes hingewiesen wird"146. Aber auch diese Formulierung läßt nicht eindeutig den Schluß zu, der historische Gesetzgeber hätte allein und abschließend auf die die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründenden Tatsachen als Anknüpfungspunkt der Jahresfrist abstellen wollen. Nach dem textlich-systematischen Zusammenhang der soeben erwähnten Formulierung, mit der im wesentlichen die Anforderungen an die Art der Kenntnisnahme von den maßgeblichen Tatsachen näher spezifiziert werden147, dürfte die Betonung nämlich eher auf den Worten "durch tatsächliche Ereignisse .. . hingewiesen" liegen. Insgesamt erweisen sich damit die Gesetzesmaterialien als nicht frei von Widersprüchen bzw. Unklarheiten, so daß die Entstehungsgeschichte vorliegend keine geeignete Grundlage ist, um das Ergebnis der grammatischen Auslegung in Zweifel ziehen zu können. d) Sinn und Zweck

Wie bereits an anderer Stelle dargelegt wurde148, verfolgt die Regelung des

§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG mit der Sanktion149 des Wegfalls der Rücknahme-

befugnis im wesentlichen den Zweck, einerseits einer unnötigen und sachwidrigen Verzögerung der Entscheidung durch die Behörde entgegenzuwirken, andererseits aber auch der Behörde einen angemessenen Überlegungs- und Abwicklungszeitraum zuzubilligen. BT-Drucks. 7/910 S. 71. BT-Drucks. 7/910 S. 71; Hervorhebung vom Verfasser. 147 Vgl. oben vor Fn. 91. 148 Vgl. oben§ 10 III 1 d. 149 Zum Sanktionscharakter der Vorschrift vgl. etwa OVG NW, Urt. v. 22. 7. 1982 -1 A 611/82- (n. v.); Krützmann, VBIBW 1983, 362 (363 bei Fn. 15). 145

146

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

Wenn in Rechtsprechung und Schrifttum mitunter recht apodiktischi50 davon ausgegangen wird, daß der Teleologie des Gesetzes allein eine Sicht der Jahresfrist als "Entscheidungsfrist" -hier beginnt die Frist nicht vor der Entscheidungsreife151 - oder eine Sicht als "Bearbeitungsfrist" - hier muß die Behörde die Entscheidungsreife während des Laufs der Frist herbeiführen, indem sie sich die Kenntnis von den dazu erforderlichen Tatsachen ggf. erst noch verschafftl52- entsprechel53, und wenn sich die Auslegung praktisch auf eine Überprüfung der Vereinbarkeit mit der jeweils zugrunde gelegten Hypothese beschränkt, so erweist sich dieses als wenig hilfreich und zudem methodisch bedenklich. Es ist nämlich gerade die Frage, ob dem anfangs genannten Sinn und Zweck der Fristenregelung eher mit einer Entscheidungsfrist oder mit einer Bearbeitungsfrist in dem vorgenannten Sinne gedient ist. Diese Frage wiederum kann nur ausgehend von einer umfassenden Untersuchung der Auswirkungen der möglichen Auslegungsalternativen auf die Interessen der Behörde auf der einen sowie die Belange der Rechtssicherheit und des Betroffenen auf der anderen Seite beantwortet werden. Würde die Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG mit dem Kenntniserhalten der Behörde von der ersten die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründenden Tatsache zu laufen beginnen und sich demgemäß als "Bearbeitungsfrist" darstellen, so wäre hiermit- einmal abgesehen von der vom Gesetzgeber der Verwaltungsverfahrensgesetze verworfenen absoluten Ausschlußfrist dem öffentlichen Belang des baldmöglichsten Eintritts von Rechtssicherheit sowie mittelbar auch dem Interesse des Betroffenen am Eintritt materieller Bestandskraft am besten gedient. Da aber, wie bereits dargelegti54, § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ebensowenig wie die Gesamtregelung der Rücknahme eine besondere Betonung bzw. Stärkung der vorgenannten Belange und Interessen bezweckt, kommt eine erhebliche Bedeutung für die Auslegung auch der Frage zu, ob und inwieweit die Behörde im Falle einer Beurteilung der Jahresfrist als Bearbeitungsfrist noch in der Lage ist, innerhalb des zeitlich vorgegebenen Rahmens eine sachgerechte Rücknahmeentscheidung zu tref1so So etwa der Große Senat des BVerwG: BVerwGE 70, 356 (363); insoweit zu Recht kritisch Kopp, DVBI. 1985, 525 (526); Schach, NVwZ 1985, 880 (884) ; Weides, DÖV 1985,431 (435). Auch die Kritiker entbehren allerdings oft der nötigen Auseinandersetzungstiefe; vgl. etwa Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 50 a: Behörde "soll" sich die übrigen Tatsachen während der Jahresfrist verschaffen; Kopp, DVBI. 1985, 525 (526): "unsinnig", die Frist erst mit der letzten Ermittlungshandlung beginnen zu lassen. 151 In diesem Sinne etwa BVerwGE 70, 356 (363 f.); BayVGH ZBR 1983, 66; Allesch, BayVBI. 1984, 519 (521); Meyer in Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rdn. 70. 152 In diesem Sinne etwa Weides, DÖV 1985, 431 (435 f.); Schach, NVwZ 1985, 880 (884); Kopp, DVBI. 1985, 525 (526 f.) ; Stelkens in S/B/L, VwVfG, § 48 Rdn. 50 a; VG Köln NVwZ 1984, 537 (539) ; wohl auch Becker, RiA 1985, 252 (253 f.). 153 Zum engen Zusammenhang zwischen Entscheidungs- und Bearbeitungsverzögerungen vgl. im übrigen Hendler, JuS 1985, 947 (951). 154 Vgl. oben bei Fn. 77 und 104/105.

§ 10 Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG

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fen, ohne dabei unter einem unangemessenen Entscheidungsdruck ("Entscheidungshektik")155 zu stehen. Vergegenwärtigt man sich die relative Kürze156 der einjährigen Ausschlußfrist, so erscheinen Fälle denkbar, in denen es der Behörde vor Ablauf der Frist kaum möglich wäre, eine hinreichend abgewogene Entscheidung über die Rücknahme zu treffen, würde man sie für verpflichtet erachten, sich die für die Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens in den Fällen des § 48 Abs. 2 VwVfG sowie die für die Ausübung des Ermessens bedeutsamen Tatsachen erst innerhalb dieses einen Jahres zu verschaffenm. Die "Entscheidungsreife" kann sich nämlich aus den unterschiedlichsten Gründen, welche nicht notwendig ihre Wurzel im Bereich der Behörde haben müssen, länger hinziehen. So können etwa bei umfangreichen und komplexen Sachverhalten -man denke z. B. an die Rücknahme einer Steuerbefreiung bzw. -Vergünstigung ("Fall Flick") -langwierige Ermittlungen unter Einschluß der Vernehmung von Zeugen und der Einholung von Sachverständigengutachten erforderlich sein, um beispielsweise bestimmte Aspekte der Schutzwürdigkeit des Vertrauens in den Bestand des Verwaltungsakts näher zu durchleuchtenlss. Außerdem kann auch der Betroffene, dessen Anhörung vor der ihn beschwerenden Rücknahme gemäߧ 28 Abs. 1 VwVfG grundsätzlich vorgeschrieben ist, die Mitteilung entscheidungsrelevanter und möglicherweise nur ihm bekannter Tatsachen verzögern159. Die vorgenannten Umstände können im Ergebnis dazu führen, daß die Behörde in einen mit eigener Saumseligkeit nicht zusammenhängenden Zeitdruck gerät, ja daß sie sogar u. U. gezwungen wird, entweder die Ausschlußwirkung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG in Kauf zu nehmen, ohne jemals Gelegenheit zur Rücknahme gehabt zu haben, oder aber "vorsorglich" eine Rücknahmeverfügung noch innerhalb der Frist zu erlassen, welche auf einem nicht vollständig ermittelten Sachverhalt beruht und damit potentiell rechtswidrig ist160 . Da bei der Auslegung von Normen So Hendler, JuS 1985, 947 (951). So auch Allesch, BayVBJ. 1984, 519 (521); Pieroth, NVwZ 1984, 681 (687). Der Musterentwurf 1963- vgl. die Begründung ebd. S. 174- hatte zunächst eine absolute Ausschlußfrist von etwa 3 bis 5 Jahren erwogen. Ähnlich lang bemessene Zeiträume finden sich etwa auch in den Verjährungsbestimmungen der Abgabenordnung: § 169 AO (4 Jahre), § 228 AO (5 Jahre). Soweit Kritiker der Auslegung als Entscheidungsfrist auf die Dreimonatsfrist des § 75 Satz 2 VwGO hinweisen - so etwa Kopp, DVBI. 1985, 525 (526 f.); Schach, NVwZ 1985, 880 (884)- übersehen sie, daß es sich dort nicht um eine Frist mit Ausschlußcharakter handelt. !57 Vgl. BVerwGE 70, 356 (363 f.); BayVGH ZBR 1983, 66; OVG Münster NVwZ 1988, 71 (72); Allesch, BayVBJ. 1984, 519 (521); Hendler, JuS 1985, 947 (951); a. A.ohne allerdings näher auf die etwa vom Großen Senat des BVerwG angesprochenen Schwierigkeiten einzugehen- Weides, DÖV 1985,431 (434) : "ist sie in der Lage zu prüfen und zu erwägen .. ." . 158 Vgl. auch BVerwGE 70, 356 (363). 159 Dazu insbesondere Allesch, BayVBI. 1984, 519 (521) m. w. Nachw. 160 So etwa BayVGH ZBR 1983, 66; Allesch, BayVBI. 1984, 519 (521); ähnlich BVerwGE 70, 356 (363 f.). !55

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2. Teil: Die Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG

auch darauf zu achten ist, daß das Risiko eines rechtswidrigen Verwaltungshandelns möglichst vermieden bzw. verringert wird161, erscheint es zumindest sehr zweifelhaft, ob eine Auslegung der Jahresfrist als Bearbeitungsfrist der Behörde noch den angemessenen Abwicklungszeitraum läßt, den das Gesetz mit der Fristenregelung bezweckt. Würde man demgegenüber die Ausschlußfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG als eine erst ab Kenntnis des entscheidungserheblichen Sachverhalts ("Entscheidungsreife") laufende Überlegungs- und Entscheidungsfrist begreifen, so würden auf seiten der Behörde die vorgenannten Bedenken gegen die Angemessenheit der Jahresfrist entfallen. Es fragt sich daher nur, ob in diesem Falle auch den sonstigen, die Zielsetzung der Norm bestimmenden Belangen, und zwar insbesondere dem Allgemeininteresse sowie Interesse des Betroffenen an einer zeitlich angemessenen Klarstellung des endgültigen Abschlusses des jeweiligen Rücknahmefalles, noch hinreichend Rechnung getragen werden kann. Von den Kritikern einer Auslegung der Jahresfrist als Entscheidungsfrist wird vor allem beklagt, daß die Frist in diesem Falle zur Bedeutungslosigkeit degenerieren, daß sie mitsamt ihrer Schutzfunktion für den Betroffenen praktisch leerlaufen würde, weil es der Behörde unbenommen sei, den Fristbeginn durch von ihr subjektiv noch für erforderlich gehaltene Ermittlungen zum Sachverhalt ständig weiter hinauszuzögern162. Sollte diese Hypothese zutreffen, so liefe eine Auslegung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG als Entscheidungsfrist der mit dieser Vorschrift verfolgten Zielsetzung, die Behörde unter dem Druck der Sanktion des Wegfalls der Rücknahmebefugnis zu einem zeitgerechten Verhalten zu veranlassen, in der Tat kraß zuwider. Es sind allerdings Bedenken angezeigt, ob die angeführten praktischen Konsequenzen tatsächlich in dem befürchteten Umfang eintreten werden. Die vorgenannte Kritik basiert im wesentlichen auf der Überlegung, daß die Behörde über den Fristbeginn praktisch "frei" bestimmen könne. Ihr liegt demgemäß ein stark auf die Sicht der Behörde abstellendes subjektives Element zugrunde163, Im Unterschied dazu ist auf der Grundlage der hier vorgenommenen, im Ergebnis mit dem Großen Senat des Bundesverwaltungsgerichts164 übereinstimmenden Auslegung des Gesetzeswortlauts ("die Rück161 Vgl. Hendler, JuS 1985, 947 (951). Damit soll natürlich nicht die Gesetzesbindung der Verwaltung grundsätzlich in Frage gestellt, sondern nur auf angesichts des dargestellten Dilemmas mögliche praktische Auswüchse hingewiesen werden. 162 So etwa VG K