Rechtliches Risikomanagement: Form, Funktion und Leistungsfähigkeit des Rechts in der Risikogesellschaft [1 ed.] 9783428496181, 9783428096183

In der Risikosoziologie finden sich verschiedene Bewertungen des Rechts: Mit der These von der Modernisierungsbedürftigk

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Rechtliches Risikomanagement: Form, Funktion und Leistungsfähigkeit des Rechts in der Risikogesellschaft [1 ed.]
 9783428496181, 9783428096183

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Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung

Band 80

Rechtliches Risikomanagement Form, Funktion und Leistungsfähigkeit des Rechts in der Risikogesellschaft Herausgegeben von

Dr. Alfons Bora

Duncker & Humblot · Berlin

ALFONS BORA

Rechtliches Risikomanagement

Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. Ernst E. Hirsch Herausgegeben von Prof. Dr. Manfred Rehbinder

Band 80

Rechtliches Risikomanagement Form, Funktion und Leistungsfähigkeit des Rechts in der Risikogesellschaft

Herausgegeben von

Dr. Alfons Bora

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Rechtliches Risikomanagement : Form, Funktion und Leistungsfähigkeit des Rechts in der Risikogesellschaft I hrsg. von Alfons Bora. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung ; Bd. 80) ISBN 3-428-09618-5

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Prlnted in Germany

© 1999 Duncker &

ISSN 0720-7514 ISBN 3-428-09618-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Vorwort Die Aufsätze in diesem Buch sind aus überarbeiteten Fassungen von Referaten hervorgegangen, die auf der Jahrestagung der DGS-Sektion Rechtssoziologie am 17. und 18. Oktober 1997 im Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) gehalten wurden. Diese Konferenz stand unter dem Motto "Rechtliche Risikoregulierung. Form, Funktion und Leistungsfahigkeit des Rechts in der Risikogesellschaft" . Sie wurde zusammen mit der Abteilung "Normbildung und Umwelt" des WZB durchgeführt und durch deren weitgehende finanzielle und personelle Beteiligung überhaupt erst ermöglicht. Dem Direktor der Abteilung, Herrn Prof. Dr. Wolfgang van den Daele, sei dafür an dieser Stelle ganz herzlich gedankt. Den reibungslosen und sehr komfortablen Ablauf der Tagung selbst verdanke ich dem hervorragenden Organisationstalent von Christa Hartwig sowie der tatkräftigen Unterstützung durch Astrid Epp, Axel Foerster und Emma Aulanko. Astrid Epp hat überdies am Erscheinen des Bandes einen bedeutenden Anteil. In ihrer Hand lagen die redaktionellen Arbeiten von der Korrektur der ersten Manuskriptfassungen bis zum Erstellen einer reprofahigen Druckvorlage. Sie hat manchen Autor durch hartnäckige Nachfragen und sorgfaltige Verbesserungen zeitweilig sicher aus der Ruhe gebracht. Ihre Mühen werden jedoch durch die gelungene Gestaltung des Textes erkennbar gerechtfertigt. Dafür bin ich ihr zu großem Dank verpflichtet. Ich habe versucht, die Beteiligten bei der Konferenzvorbereitung und mit Blick auf die Publikation zu relativ hoher wechselseitiger Resonanz und zur Integration ihrer Beiträge in das von mir vorab festgelegte thematische Design zu bewegen. Dies ist meines Erachtens weithin gelungen, was der Stringenz und Kohärenz sowohl der Einzelbeiträge als auch des gesamten Buches zugute kommen sollte. Ich bin daher auch den Verfassern der Aufsätze rur die Geduld dankbar, mit der sie Überarbeitungswünschen nachgekommen sind beziehungsweise auch das durch solche Wünsche etwas hinausgeschobene Erscheinungsdatum des Bandes akzeptiert haben. Als Herausgeber hoffe ich, daß diese konzertierten Anstrengungen aller Beteiligten sich im Gesamtbild des Buches und in der Qualität seiner Beiträge widerspiegeln mögen. Berlin, im Dezember 1998

Alfons Bora

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Mehr Optionen und gesteigertes Risiko - Zur Stellung des Rechts in der Risikogesellschaft Von Alfons Bora ........................................................................................ 9 I. Formen des Rechts in der Risikogesellschaft

Probleme prozeduraler Risikoregulierung Von Petra Hil/er ...................................................................................... 29 Risikobewältigung durch Flexibilisierung und Prozeduralisierung des Rechts. Rechtliche Bindung von Ungewißheit oder Selbstverunsicherung des Rechts? Von Kar/-Heim Ladeur ............................................................................ 41 Die Risiken des Risikorechts Von Rainer Wolf ................................................... .................................. 65 11. Recht als Instrument der Risikosteuerung

Rechtliche Risikoregulierung aus zivilrechtlicher Sicht. Theoretische Steuerungskozepte und empirische Steuerungs leistungen Von Reinhard Damm ............................................................................... 93 GrundzUge des Risikomanagements im Umweltrecht Von Wolfgang Köck............................................................................... 129 Strafrecht und Risiko Von Cornelius Prittwitz .......................................................................... 193 Die Regulation familialer Risiken durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) Von Hans J. Hoch .................................................. ................................ 207

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Inhaltsverzeichnis III. Gesellschaftliche Funktion und Leistungsfähigkeit des Risikorechts

Risikoreflexion - Beobachtung der Gesellschaft im Recht Von Klaus Peter Japp ............................................................................ 239 Von rechtlicher Risikovorsorge zu politischer Planung. Begründungen rur Innovationskontrollen in einer partizipativen Technikfolgenabschätzung zu gentechnisch erzeugten herbizidresistenten Pflanzen Von Wolfgang van den Daele................................................................. 259 Die Rolle des Rechts bei der Entstehung von Umwelt- und Sozialrisiken Von Gerd Winter .................................................................................... 293 Die Autoren ................................................................................................. 307

Einleitung: Mehr Optionen und gesteigertes Risiko Zur Stellung des Rechts in der Risikogesellschaft Von Alfons Bora

Das Thema "Rechtliches Risikomanagement" rührt in mehrfacher Hinsicht an das Selbstverständnis moderner Gesellschaften. Auch wenn die Rede von der Risikogesellschaft schon wieder ein wenig aus der Mode gekommen sein mag, so bleibt doch der Risikobegriff eine zentrale Kategorie gesellschaftlicher Selbstbeobachtung und damit auch soziologischer Beobachtung der Gesellschaft. Überdies steht er in enger Verbindung mit steuerungstheoretischen Fragestellungen (Hiller/Krücken 1997). Wenn dieser Band sich auf die rechtliche Risikoregulierung und deren rechtssoziologische Beobachtung konzentriert, so steckt hinter der Eingrenzung des Themas die Vermutung, daß speziell die rechtssoziologische Betrachtung helfen kann, allgemeine risikotheoretische Zeitdiagnosen auf ihre Sachhaltigkeit hin zu befragen. Diese Vermutung soll hier kurz begründet werden; dazu werden einige Bemerkungen zur gesellschaftlichen Bedeutung des Risikokonzepts vorausgeschickt; Hinweise zu rechts- und steuerungstheoretischen Neuorientierungen und - damit zusammenhängend - zu konkurrierenden risikosoziologischen Annahmen über die Leistungsfähigkeit des Rechts stecken sodann den allgemeinen Rahmen ab, in dem die nachfolgenden Beiträge stehen.

Risiko und Entscheidung Mit der Menge des Wissens steigt in der modemen Gesellschaft zugleich das Ausmaß an Ungewißheit. Die Erfahrung einer weithin kontingent werdenden Welt, in der Ereignisse, die sich als Schäden und Gefahren manifestieren, nicht auf unbeeinflußbare Naturabläufe, sondern in starkem Maße auf das Verhalten von Personen, von Organisationen oder der Gesellschaft insgesamt zurechenbar werden, in der wegen dieser Frage der Zurechenbarkeit auch die Unterscheidung von Entscheidungsträgem und den durch ihre Entscheidungen Betroffenen an Bedeutung gewinnt und in der schließlich aus eben diesem Grunde mit der dauerhaften Etablierung von Protest zu rechnen ist, rückt den Risikobegriff ins Zentrum des Interesses. Die gesellschaftstheoretisch zentrale Bedeutung des Risikobegriffs ergibt sich unmittelbar aus seinen sozialen, sachlichen und zeitlichen Implikationen.

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"Zentrum und Peripherie", "Entscheider und Betroffene", das sind Unterscheidungen, mit denen Risikokommunikationen in sozialer Hinsicht operieren. "Sicherheit und Gefahr", "WissenlNichtwissen" sind die Kategorien auf der Sachebene, "Jetzt (entscheiden)" und "Später (verantworten müssen)" die zeitlichen Pole von Risikokommunikation. 1 Dabei ist es vor allem das Moment der Zurechnung, das den Risikobegriff zu einer ubiquitären Reflexionssemantik moderner Gesellschaften werden läßt und in dem zugleich die rechtssoziologische Relevanz aufscheint. Hellmuth Plessner hat gesagt, wir lebten unter einem "kategorischen Konjunktiv".2 Auf die Risikothematik übertragen heißt das: in der Spannung zwischen Gegebenem und Möglichem geraten wir in ständig neuen Entscheidungsdruck und gewissermaßen nachlaufend in Begründungs- bzw. Rechtfertigungszwänge. Wenn Ereignisse nicht mehr einfach als unbeeinflußbare Gefahren, sondern als in Kauf genommene, also vermeidbare Risiken kommuniziert werden, müssen sie zwangsläufig auch auf Entscheidungen zugerechnet werden. 3 Risiko ist im Unterschied zu Naturkatastrophen eine gesellschaftlich selbst geschaffene Schadensmöglichkeit. Und immer mehr Tatbestände werden von der (unbeeinflußbaren) Gefahr zum (gesellschaftlich erzeugten) Risiko; die gesellschaftliche Entscheidungsmasse und damit auch das Ausmaß an Kontingenz wächst (Nassehi 1997). In immer fernerer Zukunft liegende Folgen müssen bei Entscheidungen mitbedacht werden. Handlungs- wie Nichthandlungsfolgen sind oft gleichermaßen komplex und ungewiß. Zwangsläufig entstehen hier Entscheidungsdilemmata, wie das von Collingridge (1980) erwähnte Kontroll-Dilemma oder das von Clausen und Dombrowsky (1984) beschriebene Warn-Paradox. Auf diesen Zusammenhang von Risiko und Entscheidung baut vor allem die Systemtheorie ihre risikotheoretischen Überlegungen auf (Luhmann 1991, Japp 1996). Begrifflich wird dabei das Risiko des Entscheidens von der GeI Hiller 1993; siehe dazu auch Nassehi 1993: In der Moderne entkoppelt sich das Konzept der Zeit von den sich in ihr vollziehenden Ereignissen (Elias 1988, Dux 1989). Das kann dann, wie in der Philosophie der zwanziger Jahre (Bergson, Heidegger) über die Rückkehr zu Einheitsbegriffen (insbesondere zum "kairos") oder wie bei Balldrillard als Ende der Zeit beschrieben, oder eben in Risikosemantiken transformiert werden. 2 Da~it bezeichnet er die "exzentrische Positionalität" von Menschen unter der Bedingung von Reflexivität, Plessner 1976, 124 ff. Er bezieht den Begriff freilich auf die Frage der Subjektbildung und personalen Identität. Im Hinblick auf Risikothemen spricht Plessner etwas abwertend vom "hypothetischen Konjunktiv" (124) und berücksichtigt dabei vielleicht nicht ausreichend den Umstand, daß bei den Fällen dieselbe Struktur zugrundeliegt, nämlich das Spannungsverhältnis von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung bei gleichzeitigem Kontingentwerden von Begründungen. 3 Und wegen der Verantwortung für mögliche Folgen ist die Bereitschaft, sich etwas zurechnen zu lassen, generell nicht als besonders hoch einzuschätzen; zu den Grenzen von Zurechenbarkeitsexpansion siehe Lübbe 1994, 223 ff.

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fahr eines Schadens abgegrenzt. Ob etwas als Risiko oder Gefahr begriffen wird, hängt zunächst davon ab, ob es jemandem als Verursacher zurechenbar ist. Daraus ergibt sich eine fur modeme Gesellschaften charakteristische Differenz: diejenige zwischen den Entscheidern, die das Risiko tragen, und den Betroffenen, bei denen sich möglicherweise die Gefährdung realisiert. Dieser auf Beobachtung zweiter Ordnung abstellende entscheidungstheoretische Begriff des Risikos unterscheidet sich von dem in der Beobachtung erster Ordnung klassisch gewordenen, der auf Infonnation bezogen ist (vgl. zur Übersicht Krohn/Krücken 1993, Bechmann 1993, Japp 1996.) Der infonnationstheoretische Risikobegriff hat historisch weit zurück reichende Wurzeln. Schon in der mittelalterlichen Wucherlehre wird zwischen verbotenem Wucherzins und erlaubten, weil Verluste kompensierenden, Risikozins unterschieden. Seefahrt und aufkommender Femhandel behandeln die als unsicher wahrgenommene Zukunft als Risiko und versuchen sich mit Versicherungen zu schützen, indem sie Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit quantitativ ermitteln. Es geht dabei ebenfalls nicht um Gefahrvermeidung, sondern um Schadenskompensation. Der Infonnationsbezug bleibt der um die Anfänge unseres Jahrhunderts einsetzenden Risikoforschung erhalten (vgl. Luhmann 1991). Er prägt auch neuere Risikotheorien, so etwa bei Chauncy Starr (1993), Jon Elster (1993), Adalbert Evers und Helga Nowotny (1987). Andererseits haben die Verhaltenswissenschaften schon seit längerem darauf hingewiesen, daß der "formal-normative" Risikobegriff, wie er in der Seeschiffahrt und im Versicherungsgewerbe entwickelt wurde, gewisse Probleme mit sich bringt. Verlusterwartung pro Zeiteinheit (Schadenshöhe mal Eintrittswahrscheinlichkeit) läßt sich nicht als einheitliches Risikomaß formulieren. Denn zum einen fällt es oft schwer, Nutzen und Schaden auf einer gemeinsamen Skala zu quantifizieren, um sie gegeneinander aufrechnen zu können. Weiterhin fehlt oft ein Kriterium fur die Bestimmung des Schadens. Schließlich sind gerade diejenigen Fälle die gesellschaftlich umstrittensten, in denen sich mangels empirischer Erfahrung keine Wahrscheinlichkeiten berechnen lassen. Und zuletzt zeigen zahlreiche Studien, daß die kaufmännische Risikokalkulation typischerweise quer zu den Risiko-Perzeptionen des Alltags und der politischen Öffentlichkeit liegen. Psychologisch-kognitive Ansätze der Risikoforschung legen deswegen den Schwerpunkt auf die individuelle und kollektive Wahrnehmung und Bewertung von Risiken (Jungennann /Slovic 1993). Sie untersuchen zum Beispiel, wovon die Bereitschaft zu riskantem Verhalten abhängt und nach welchen Kategorien die Zuschreibung von Verantwortung erfolgt. Es deutet sich also ein Perspektivenwechsel an: man beobachtet, was geschieht, wenn in einer bestimmten Form über Risiko kommuniziert wird. Die soziologische Risikoforschung konzentriert sich dann auf gesellschaftliche Kommunikationsprozesse, aus denen solche Risikosemantiken hervorgehen. Sie versucht, die gesellschaftlichen Bedingungen flir Thematisierungs-

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chancen zu beleuchten, indem sie zeigt, welche Risiko-Konzepte bei welchen Gelegenheiten ihre Konjunktur erleben und welches die begünstigenden Einflüsse dafür sind. Ulrich Beck hat mit dem Begriff "Risikogesellschaft" maßgeblich dazu beigetragen, daß "Umwettprobleme" heute als Gesellschaftsprobleme thematisiert werden (Beck 1986, 1988). Freilich argumentiert er, ebenso wie Hans Jonas mit seinem "Prinzip Verantwortung", gewissermaßen im Vorfeld der Risikoforschung. Beide, so sagt Franz-Xaver Kaufmann, "drücken Erstaunen und Empörung über den gedankenlosen Umgang mit den SelbstgeHihrdungen moderner Gesellschaft aus", operieren dabei jedoch mit der Unterstellung, diese Sachverhalte seien mit der der Semantik von Gefährdung und Verantwortung bereits zureichend erfaßt (Kaufmann 1995, 72 f.). Die soziologische Risikotheorie geht hier, wie bereits angedeutet, einen Schritt weiter, indem sie gesellschaftliche Risikokommunikation aus der Perspektive der Beobachtung zweiter Ordnung beschreibt. Hier gibt es, wie Klaus Peter Japp bemerkt, im großen und ganzen nur zwei konkurrierende Theorieangebote, nämlich die von der Systemtheorie geprägte entscheidungstheoretische Variante und die von Mary Douglas und Aron Wildavsky entwickelte kultursoziologische. Die vielfach diskutierten Unterschiede zwischen beiden Theorien können hier vernachlässigt werden (Douglas/Wildavsky 1982, Wildavsky 1993). Statt dessen sei noch einmal auf Gemeinsamkeiten beider Konzepte verwiesen (siehe auch Japp 1996.) Beide weisen darauf hin, daß Risikosemantiken Unterscheidungen in der Sozialdimension einfuhren. Der kulturalistische Ansatz wendet dabei vor allem das Grid-Group-Modell zur Schematisierung konkurrierender Beschreibungen gegebener Problem lagen (Japp/Krohn 1996; zur Kritik des Modells AlexanderlSmith 1996). Er beschreibt, wie etwa soziale Bewegungen die "egalitaristische" Perspektive hoher Wertintegration und geringer Regelbindung einnehmen. Sie tendieren überdies zu Formen der Unsicherheitsabsorption durch kulturelle Schematisierungen, die mit einem charakteristischen politischen Umgang mit Unsicherheit einhergehen. Weil Risiken auf der sozialen Ebene als Unterscheidung von Entscheidern und Betroffenen auftreten, weil Politik als Adressat von Betroffenheit schlechthin gilt, weil sie von Protestkommunikationen als gesellschaftliches Zentrum behandelt wird und weil jede Entscheidung neue Unsicherheiten auslöst, entwickelt sich eine Politisierung der Risikosemantik, die Konflikte nach sich zieht (Japp 1996,71-125). Sie macht sich keineswegs nur im politischen System, sondern vielmehr gesellschaftsweit in praktisch allen Bereichen bemerkbar (vgl. Bora 1998, 70 ff).

Risiko und Regulierung Vor diesem Hintergrund stellt sich mit gesteigerter Dringlichkeit die Frage nach den Möglichkeiten gesellschaftlicher Risikoregulierungen, welche die sich ausbreitenden Risikokonflikte auffangen und verarbeiten. Gesellschaftli-

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che Mechanismen der Verantwortungszuweisung und Folgenzurechnung bedienen sich in weitem Umfang des Rechts. Rechtssoziologische und rechtstheoretische Arbeiten haben folglich insbesondere untersucht, ob und in welcher Weise rechtliches Risikomanagement sich auf die zunehmende Wissensorientierung und die damit einhergehende Risikoanfälligkeit der modernen Gesellschaft einstellt. Drei Entwicklungen zeichnen sich auf einer allgemeinen Ebene ab, die durch Risikoprobleme angestoßen bzw. für Risikoregulierungen von Bedeutung sind: Zum ersten werden rechtsstaatliche Steuerungsmodelle klassischen Zuschnitts durch Formen kooperativen Rechts abgelöst (v gl. Z.B. Scharpf 1991, Dose/Voigt 1995, van den DaelelNeidhardt 1996, Willke 1997). Im Ergebnis hat man mit einem "polyzentrischen System der Rechtsanwendung und Rechtserzeugung" (Ritter 1990, 72) zu rechnen, das von der regulativen Steuerung zu Formen kooperativer, dezentraler Koordination sozialer Systeme führt. Mit Konzepten wie mediale Steuerung oder Kontextsteuerung hat die Wissenschaft dies zu beschreiben versucht (Glagow et al. 1989, GörlitzlVoigt 1990, W illke 1992). Und selbst kritische Stimmen wenden sich nicht gegen die These von den Steuerungsproblemen überhaupt, sondern allenfalls gegen die mit Pathos vorgetragene Rhetorik von den "Alternativen" zum Recht (Schuppert 1990). Der kooperative Staat oder wie es im verwaltungswissenschaftlichen Kontext auch heißt: die "Verhandlungsdemokratie" erscheint so insgesamt als Kandidat für ein neues Steuerungsparadigma (Vgl. die Beiträge in Czada/Schmidt 1993). Zum zweiten stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit dieses kooperative Recht auch als lernendes Recht begriffen werden kann. Empirisch lassen sich an zahlreichen Beispielen Trends zu einer zeitlichen und sozialen Öffnung des Rechts beobachten. Derartige Entwicklungen sind etwa durch die Begriffe Temporalisierung der Normgeltung und Kombination von Normbildung und Normanwendung zu charakterisieren (Luhmann 1993, 557, Bora 1998, 17 ff.). Deren theoretische Deutung ist noch nicht völlig geklärt. Vor allem Karl-Heinz Ladeur (l995 und in diesem Band) reagiert mit seinem Konzept des Umweltrechts der Wissensgesellschaft auf die kognitive Offenheit von Risikoentscheidungen, die nicht mehr als punktuelle Dezision innerhalb einer durch rationale wissenschaftliche Information bestimmten Schwankungsbreite des Gegebenen, sondern als Prozeß der Konstruktion und ModelIierung von Möglichkeiten konzipiert wird. Durch rechtliche Anreize, so die Vorstellung, wird die Bildung organisatorischer Netzwerke angestoßen, in welchen Lernprozesse anlaufen. Ladeur, der hier vor allem auf die Organisationen des Rechtssystems abstellt, spricht von intra- und interorganisatorischen Aspekten. Intraorganisatorisch komme es vor allem darauf an, eine Methodologie des Operierens mit Risiken als funktionales Äquivalent zur (problematisch gewordenen) Erfahrung zu entwickeln. Temporalisierung und Normbildung innerhalb des Rechtssystems bleiben konstitutiv auf Information

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angewiesen und sollen zugleich selbst neue Infonnation generieren. Diese "Zirkularität" der Prozeduralisierung von Wissensproduktion verlangt nach Stoppregeln. Wo traditionell Vertrauen diese Funktion übernahm, wird jetzt der Einsatz von Szenariornethoden und Simulationsverfahren angeregt, die Ungewißheiten sichtbar machen. Monitoring und Selbstbeobachtung sollen in ein Lernen zweiter Ordnung münden. Dieser allgemeinen "internen" Prozeduralisierung von Wissensproduktion korrespondiert auf der Ebene des Rechts die Flexibilisierung des Ordnungsrechts durch planerische "Experimentierspielräume" der Verwaltung. Experimentelles Entscheiden wird verstanden als Selbstprogrammierung durch Anwendung. Für diese Fonn des reflexiven, prozeduralisierten Rechts können dann nur noch Metaregeln angegeben werden: Transparenz und Vereinheitlichung von Risikobewertungsmethoden, Risikovergleiche und Prioritätensetzung sowie der Einbau von Monitoringphasen in das Verwaltungshandeln. Entsprechend soll der Vorsorgebegriff um solche Aspekte des Risikovergleichs und der Prioritätensetzung erweitert werden, wobei stets der Bezug auf die klassischen Stoppregeln (Stand der Technik und ähnliche Formeln) erhalten bleibt. Dieses Konzept ist insbesondere von Petra Hiller und Klaus Peter Japp vor dem Hintergrund des oben eingeführten entscheidungstheoretischen Risikobegriffs kritisiert worden, und zwar hauptsächlich deswegen, weil es fraglich ist, ob die Temporalisierung des Rechts überhaupt als Möglichkeit der Risikoregulierung begriffen werden kann (Hiller 1993, Japp in diesem Band). Sowohl auf der Ebene der Unterscheidung von Funktion und Leistung, als auch auf derjenigen von Code und Programm konzentriere das Konzept des lernenden Rechts sich jeweils auf jene Seite, die mehr Flexibilität erlaubt (Leistung, Programmierung), ohne dabei die Effekte zu betrachten, die auf der jeweils anderen Seite der Unterscheidung (Funktion, Code) entstehen. Das Rechtssystem ist funktional auf kontrafaktische Erwartungssicherung und operativ auf die Codierung seiner Kommunikationen über Recht verwiesen. Insofern wird es gegen Flexibilisierungen jeder Art resistent sein. Risikomanagement mit den Mitteln des Rechts wird immer nur unter der Voraussetzung normativer Erwartungssicherung ablaufen können - andernfalls handelt es sich bereits nicht mehr um rechtliches Risikomanagement. Weiterhin erhebt Hiller (1993) Einwände gegen das Modell der experimentierenden Verwaltung, das, wie Ladeur selbst vorsieht, einer institutionellen Evaluation bedarf. Nicht ganz zu Unrecht macht Hiller deshalb darauf aufmerksam, daß gerade an dieser Stelle keine Stoppregel mehr vorgesehen ist, die das Anlaufen einer sich selbst verstärkenden Prozeduralisierungsspirale, einer weiter wachsenden "Evaluationsbürokratie" verhindern könnte. Andererseits ist nun gerade in Ladeurs neueren Schriften (etwa Ladeur 1995) die Absicht zu erkennen, an die klassischen Kopplungsformen zwischen Recht und Wissenschaft anzuknüpfen und damit eventuell drohenden Prozeduralisierungsspiralen zu entkommen.

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Es scheint mir somit noch nicht abschließend geklärt zu sein, ob die rechtstheoretisch weitreichenden Innovationen den von für die systemtheoretische Beobachtung vor allem relevanten Rahmen funktionaler und operationaler Bestimmtheit des Rechts tatsächlich sprengen. Die Ausdifferenzierung des Vorsorgebegriffs und die damit einhergehenden, flankierenden methodischen Überlegungen sind zwar - und hierin ist meines Erachtens den kritischen Stimmen durchaus Recht zu geben - gegen den Einwand einer Auflösung der Unterscheidung von Funktion und Code theoretisch nicht apriori absicherbar; gleichwohl zeigen Ladeurs Überlegungen auch, daß gerade die Elemente des inhaltlich dynamisierten Rechts nichts anderes sind als eine reflektierte, auf beobachtete Operationsprobleme reagierende Form funktionierender Simplifikation, genau wie ihre juristischen Vorläufer und Vorbildgeber "Beurteilungsspielraum" , "Einschätzungsprärogative" oder "Ermessen", die sich rechtstheoretisch beobachten lassen und insofern keine Revision systemtheoretischer Annahmen erzwingen. Damit könnte sich unter Umständen jedoch eine Konvergenz der theoretischen Perspektiven andeuten. Zum dritten ist schließlich für risikorechtliche Normbildungsprozesse das gleichzeitige Auftreten unterschiedlicher Diskurse kennzeichnend, die für das Recht vielfältige Programmierungsmöglichkeiten eröffnen. Der Nonnbildungsprozeß findet hier charakteristischerweise in einem ganzen Geflecht von funktionssystemspezifischen oder organisationstypischen Kommunikationen statt. Solche polygonalen Beziehungen zwischen mehreren Funktionssystemen dürften in aller Regel aber rein rechtsförmige Verfahren überfordern. Soweit hier Resonanz des Risikorechts für diese vielfältigen Ansprüche entsteht, wird dies Formen und Verfahren einer pluralen Normbildung voraussetzen. Auf diesem Gebiet sind theoretische Neuorientierungen im Gang. Sie beziehen sich in erster Linie auf die Beziehungen zwischen Recht und Wirtschaft. Gunther Teubner (1996, 1997, 1997a) spricht vor allem im Hinblick auf das internationale Privatrecht und die lex mercatoria, die sich im Schatten der wirtschaftlichen Globalisierung ausbildet, von pluralem Recht. In den internen Rechtsordnungen multinationaler Konzerne, der privaten Rechtsetzung von Unternehmen und Gewerkschaften, der technischen Standardisierung aber auch im System der Menschenrechte, im Umweltschutz, im Sport und vielen anderen Bereichen - bildet sich ein "Weltrecht ohne Staat" heraus. Dieser transnationale Rechtspluralismus bricht das Tabu der Einheit von Staat und Recht, das ja für soziale Risikozurechnungen höchst relevant ist, wie oben in den Begriffen der Politisierung von Entscheidungen und der daraus resultierenden Regulierungsnachfrage kurz angedeutet wurde. Und der Bruch vollzieht sich, indem durch private Verfügungen jenseits der staatlichen Regulierung, ohne staatliche Kontrolle oder Autorisation vollgültiges Recht entsteht, das Geltung unabhängig von staatlichen oder internationalen Zuständigkeiten beansprucht. Die Normproduktion - und darin liegt zweifellos die evolutionäre Innovation - findet in solchen Fällen augenscheinlich in politi-

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schen, rechtlichen und anderen sozialen Prozessen gleichzeitig statt. Damit stellt sich die insbesondere system theoretisch spannende Frage, wie Normproduktion außerhalb des (staatlichen) Rechts und ohne legitimatorische Rückbindung an dieses theoretisch darstellbar sein könnte. Teubner macht darauf aufmerksam, daß das neue "polykontexturale" Recht sich an dieser Stelle dieselben Mechanismen zunutze macht, die wir auch beim staatlichen Recht beobachten können und die man als charakteristische Mittel der Invisibilisierung von Basisparadoxien beschreiben kann, auf welche bisweilen zu beobachtende Normbildungsprozesse in den Rechtsanwendungs-Organisationen des Rechtssystems selbst immer auch hinweisen. Vor diesem allgemeinen Hintergrund sind nun divergierende risikosoziologische Diagnosen rechtlicher Steuerungsfähigkeit zu verzeichnen. Sie beziehen sich auf die genannten Entwicklungen, kommen jedoch zu unterschiedlichen Diagnosen und Empfehlungen. Im Bereich der Risikosoziologie lassen sich mindestens drei Perspektiven auf das Recht unterscheiden, die ich etwas holzschnittartig 1. als These von der institutionellen Problemlösungskapazität, 2. als These von der Modernisierungsbedürftigkeit (der Gesellschaft insgesamt und/oder des Rechts) und 3. als These vom unvermeidlichen Risikodilemma bezeichnen will. Sie schließen sich wechselseitig nicht völlig aus, markieren aber doch, wie mir scheint, klar unterscheidbare Trends: 1. Die These institutioneller Problemlösungskapazität besagt in ihrem Kern, daß alle wesentlichen Modernisierungsschriue bereits vollzogen seien und daß das Recht nach wie vor das Risikoregulierungsinstrument par excellence darstelle (vgl. z.B. van den Daele 1997) - eine Position, die man angesichts eines breit gefächerten risikorechtlichen Instrumentariums (Köck 1993) jedenfalls nicht ohne weiteres von der Hand weisen kann. Denn das Rechtssystem kann ja durchaus mit Risiken umgehen. Es hat dafür verschiedene Programmtypen zur Verfügung. Entweder knüpft es an Kriterien aus anderen Bereichen der Gesellschaft (Wissenschaft, Wirtschaft) an um zu bestimmen, welches Verhalten als erlaubt, welches als unerlaubt zu behandeln sei. Technikklauseln, dynamische Verweisungen und Grenzwerte stehen als Beispiele für diese Form. Oder es trägt der Unsicherheit des Entscheidens Rechnung, indem es auf der Rechtsfolgenseite einen Ermessensspielraum eröffnet oder auf der Tatbestandsseite Temporalisierungsregeln einbaut. Stets beobachtet und beurteilt es fremdes riskantes Verhalten mit Hilfe der Unterscheidung von Recht und Unrecht. Diese Unterscheidung knüpft an außerrechtliche Kriterien an, etwa im Insolvenzrecht an wirtschaftliche, von Buchprüfern festzustellende Tatbestände; über solche Programmierungen überträgt das Rechtssystem gleichzeitig die Zurechnung von Entscheidungsfolgen insoweit auf das Wirtschaftssystem, als dieses mit seinen Kriterien die Maßstäbe dafür bereitstellt, unter welchen Umständen jemand für einen Schaden (hier: Konkurs) rechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Je schwieriger die "externen" Codierungen zu werden scheinen, desto stärker

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zieht sich das Recht auf einfacher beobachtbare Kriterien zurück: So läßt sich beispielsweise das aufallend häufige Ausweichen auf die Fonnaldelikte des Insolvenzstrafrechts erklären. Dadurch bleibt die Differenz zwischen programmierender (Kriterien setzender) und programmierter (Kriterien anwendender) Entscheidung erhalten. 2. Derartige Mechanismen der Zurechnungsverschiebung (Luhmann 1984, 602) werden allerdings dort unterbrochen, wo Politik, Wissenschaft und Wirtschaft das Recht mit dem Entscheidungsrisiko im Stich lassen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn außerrechtliche Prozesse des Standard Setting und der Normbildung versagen oder verweigert werden. Die Politik etwa ist oft nicht mehr in der Lage, über die Akzeptabilität von Technik zu entscheiden und dies in Gesetzesfonn zu bringen; die Wissenschaft wird von innerwissenschaftlicher Kritik darauf aufmerksam gemacht, daß ihre Kausalmodelle zu einfach waren, daß sie es im Falle von Technikentwicklungen, aber auch von sozioökonomischen Prozessen mit eigensinnigen Verläufen zu tun hat; Grenzwerte werden als "politische" Grenzwerte verstanden; Protestbewegungen formieren sich, die mit "semantischer Politik" (van den Daele 1990, 20 f.) dafür sorgen, daß das jeweilige Risiko-Thema nicht von der Tagesordnung verschwindet; die Wirtschaft weigert sich, alleine die Haftung für mögliche Schäden in unbegrenzter Höhe zu übernehmen, wenn eine Technik insgesamt für gesellschaftlich förderungswürdig gehalten wird usw. (Luhmann 1991, 176-199). Für grundlegend modernisierungsbedürftig wird vor diesem Hintergrund das gesamte Institutionengefüge von all jenen gehalten, die gewissennaßen das Ende der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft kommen sehen. Ulrich Beck und Anthony Giddens sehen die Gesellschaft auf dem Weg in eine "zweite" (und diesmal: ganz andere) Modeme. Die Eskalation von Risiken jenseits von Versicherbarkeit mache die "institutionalisierte Lernunfahigkeit" moderner Gesellschaften sichtbar, heißt es bei Beck (1988, 174, Beck et al. 1996). Reflexive Modernisierung verlange unter diesen Vorzeichen nach einer "Subpolitisierung der Gesellschaft". Das heißt nicht nur, daß politische Entscheidungen durch partizipatorische Foren zivilgesellschaftlicher Selbstgesetzgebung getroffen werden sollen; es meint vor allem auch sogenannte "Code-Synthesen", also die Verzahnung etwa von rechtlichen und politischen (ästhetischen und wirtschaftlichen ... ) Geltungsansprüchen in einem Verfahren (Beck 1993, 193 ff.). In dieser sehr weitreichenden - und in der Regel nur von Soziologenseite vertretenen - Fassung läuft die Modernisierung des Rechts dann auf eine starke Politisierung hinaus. Man darf gespannt sein, ob rechtstheoretische Deutungen, aber auch problem- und instrumentenspezifische Überlegungen diese Annahmen einer gegen differenzierungstheoretische Ansätze sich wendenden Theorie einer "zweiten Modeme" tatsächlich tragen. 2 Bora

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Denn die eher rechtswissenschaftlich informierten Modernisierungsthesen geben sich weit weniger drastisch; hier sei nur an das inzwischen schon geflügelte Wort von der Antiquiertheit des Rechts (Wolf 1987) erinnert und an die von verschiedener Seite thematisierten Konzepte eines Risikoverwaltungsrechts (z.B. Pitschas 1990). Vergleichbare Prozesse der risikobedingten Modernisierung beobachten wir ja auch im Zivil- und Strafrecht (Prittwitz 1993). Das sind aber alles quasi "interne" Umbauten. Vor dem Hintergrund der weitreichenden soziologischen Thesen stellt sich die Frage, wie aus der rechtswissenschaftlichen und rechtssoziologischen Perspektive die Modernisierungsbedürftigkeit und -fähigkeit des modernen Rechts eingeschätzt wird. Kein Zweifel, die klassischen Institutionen verändern sich, der Staat wird zum verhandelnden Staat, in dem "kooperatives Recht" eine zunehmende Bedeutung gewinnt (Dose/Voigt 1995). Temporalisierung und Prozeduralisierung sind die Leitsterne nicht nur der postmodernen Rechtstheorie. Aber lassen sich damit risikosoziologische und gesellschaftstheoretische Behauptungen eines Paradigmenwechsels argumentativ unterfüttern? 3. Die These vom Risikodilemma setzt dagegen alles auf die Karte der Differenzierungstheorie. In Niklas Luhmanns entscheidungstheoretischer Sichtweise bedeutet Risiko ja eine spezifische Form der Verknüpfung von Zeitund Sozialdimension. Sobald gesellschaftliche Kommunikation mit der Risikosemantik zu operieren beginnt, werden mit inflationärer Geschwindigkeit immer mehr Risiken sichtbar; das Postulat rationalen Entscheidens wird dringlicher und unlösbarer zugleich. Ein Prozeß der Verschiebung von Risiken kommt in Gang. Und das Recht gerät unter "Deformationsdruck", sofern es Risiken nicht an andere Systeme weiterleiten kann. Gegenüber der risikotypischen Verschränkung von Sozial- und Zeitdimension bleibt es in charakteristischer Weise blind. 4 Auch für diese Sichtweise gibt es empirische Anhaltspunkte. Das oben (unter These 2.) angesprochene "Politikversagen" kann immerhin auch als Abschneiden von Externalisierungschancen des Rechtssystems begriffen werden. Während das klassische Konditionalprogramm quasi für den Abfluß von Risiken aus dem Rechtssystem sorgt, sind beim Ausbleiben derartiger Programmierungen Schwierigkeiten zu erwarten. Das Recht bleibt, wenn man so will, auf den Risiken sitzen. Und es tut sich schwer damit; darauf weisen dann Versuche hin, Entscheidungslasten durch partizipative Verfahren zu streuen und so die Bereitschaft zu erhöhen, Leistungen des Rechtssystems abzunehmen. Wie prekär diese Strategie der Akzeptanzbeschaffung ist, hat Doris Lucke (1996) hervorgehoben. Überdies spricht alles dafür, daß die Politik gen au deshalb "versagt", weil sie in Risikofragen nicht

4 Das Recht (beispielsweise als Haftungsrecht) sagt häufig "nicht mehr, was man tun und lassen soll. Es sagt nur noch: wenn es gut geht, geht es gut; wenn nicht, dann nicht", Luhmann 1993. 488.

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auf Akzeptanz hoffen kann. Immer wird es Betroffene geben, ganz egal, wie entschieden wird. Und Betroffene protestieren. Das führt in partizipatorischen Arrangements tatsächlich zu "Code-Synthesen" und eben deswegen möglicherweise zu Folgeproblemen (Bora 1998). Anlaß und Aufgabe des vorliegenden Buches ist der Versuch einer Antwort auf die Frage, wie aus der Perspektive des Risikorechts und der RisikorechtsSoziologie mit den hier ganz grob skizzierten divergierenden risikosoziologischen Sichtweisen umzugehen ist. Wenn es zutrifft, daß Risikokonflikte die Wissensgesellschaft in einem fundamentalen Sinne tangieren, wieviel Absorptionsfahigkeit für Konfliktstoff hält dann das Recht bereit? Kann es In diesem Punkt seine Funktion als "Immunsystem der Gesellschaft" erfüllen?

Form, Funktion und Leistungsfähigkeit des Rechts in der Risikogesellschaft Die Beiträge dieses Bandes machen die genannten Verbindungen von Rechts- und Risikosoziologie deutlich und versuchen vor diesem Hintergrund vor allem auch, die Stichhaltigkeit risikosoziologischer Trendaussagen kritisch zu beleuchten. In einem ersten Teil wird untersucht, welche typischen Formen Risikorecht in der modernen Gesellschaft annimmt. Petra Hiller stellt in knapper Form noch einmal die zentralen Thesen ihrer Kritik am strategischen Rechtskonzept (Hiller 1993) dar. Sie konfrontiert dieses Konzept aus risikosoziologischer Perspektive mit dem Einwand möglicher Grenzen von Prozeduralisierung auf Grund von Entdifferenzierungseffekten. Die Probleme rechtlicher Risikoregulierung sind danach vor allem auf unterschiedliche Formen der Zeitorientierung im Recht bzw. anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen (Politik, Wissenschaft) zurückzuführen. Auch auf der Ebene von rechtsanwendenden Organisationen, der Verwaltungen insbesondere, werden Probleme der Flexibilisierung ausgemacht. Die Umstellung des Rechts auf kognitive Erwartungen, so Hiller, zieht nicht notwendig eine Änderung des Entscheidungsverhaltens nach sich. Die Flexibilisierung des Rechts ist deshalb selbst insgesamt hochriskant. Karl-Heinz Ladeur setzt sich in seinem Beitrag ausführlich mit den genannten Einwänden auseinander. Er kritisiert besonders den system theoretischen Rechtsbegriff. Dieser sei zu eng gefaßt, da er zu stark auf Entscheidungen und weniger auf die vielschichtigen Prozesse pluraler Rechtsbildung abstelle. Ladeur akzeptiert im Grundsatz die systemtheoretische Beschreibung der Rechtsfunktion, will diese jedoch erweitert und ergänzt sehen. Er weist unter anderem auf Konventionsbildung im privaten und konventionsförmige Deutungs- und Interpretationsprozesse im institutionellen Rahmen hin, die offene 2*

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und vielgestaltige Programmierungen rechtlichen Entscheidens ermöglichen. Am system theoretischen Konzept des Risikorechts kritisiert er vor allem dessen enge Kopplung von Recht und Entscheidungssystem, das sich in der Realität längst durch vertragsförmige Regulierungen gelockert habe. Ladeur betont insgesamt, daß in sehr starkem Maße Flexibilisierung und Prozeduralisierung das moderne Recht charakterisieren, ohne es dabei jedoch letztlich in seinen Funktionen zu gefährden. Streitig bleibt damit zwischen den beiden genannten Positionen vor allem die Frage, ob und in welchem Umfang solche flexiblen Formen der Programmierung und der Kopplung von Entscheidungssystemen die Autonomie des Rechtssystems beeinträchtigen. Rainer Wolfweist zum Abschluß des ersten Teils auf die impliziten Risiken des Risikorechts hin. Die "Dialektik der Moderne", die ambivalente Bedeutung von Wissenschaft und Technik, die im Begriff der Risikogesellschaft ihren aktuellen Ausdruck gefunden hat, stellt die Fähigkeit der Gesellschaft zur Zukunftsvorsorge zunehmend in Frage. Sicherheit ist einerseits zur indisponiblen Aufgabe von Staat und Recht geworden; insbesondere die Treffsicherheit vorsorgender Maßnahmen im Umweltstaat stellt angesichts der auf dem Spiel stehenden Kollektivgüter ein entscheidendes Kriterium dar. Information ist deshalb eine zentrale Ressource für Vorsorge. Andererseits ist aber auch Information eine überaus prekäre Grundlage; denn anders als Recht, Macht oder Geld steht sie dem Staat nicht zu Steuerungszwecken zur freien Verfügung. Die Rückkehr von Unsicherheit in die Gesellschaft, die Erosion von Sicherheit kann nicht vollständig mit Wissen kompensiert werden. Zugleich ist aber die ökologische Vorsorge immanent auf grenzenlose Erweiterung angelegt; keine noch so hypothetische Gefährdung, vor der nicht staatlicher Schutz verlangt wird. Das bedroht die klassische Programmierung des Rechts durch Kausalitätszuschreibungen und Wissensbasierung. Vorsorge muß aus diesem Grunde, so Wolf, letztlich rechtsstaatlich limitiert werden. Dem Umweltstaat bleiben unter diesen Voraussetzungen nur zwiespältige Optionen. Sicherheit ist nicht (mehr) zu garantieren. Vorsorge enthält als normatives Programm mehr Versprechen, als tatsächlich einzulösen sind. Sie kann deshalb letztlich nur als "graduelles Konzept" verstanden werden. Das Umweltrecht ist normativ darauf verwiesen, mehr Vorsorge zu verlangen, als tatsächlich praktiziert werden kann. Risikorecht, so kann man vielleicht sagen, wird in dieser Lage nötiger und zugleich riskanter. Der zweite Teil führt Analysen von Risikoregulierungen auf einzelnen Rechtsgebieten zusammen. Dabei wird gefragt: Was heißt "Risiko" im Bereich des Umweltverwaltungs-, Zivil-, Straf- bzw. Sozialrechts, welche Regulierungsmechanismen stehen zur Verfügung, wie sind deren Möglichkeiten und Grenzen und wie verhalten sich diese Befunde zu den risikosoziologischen Zeitdiagnosen? Reinhard Damm erläutert Mechanismen der Risikoregulierung aus zivilrechtlicher Sicht. Soziologische Großtheorien, so kritisiert er, hätten die De-

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batte über die Chancen rechtlicher Risikosteuerung zu stark beeinflußt. Der systemtheoretische Steuerungspessimismus bzw. -skeptizismus führe zu empirisch unangemessenen Überzeichnungen. Damm diagnostiziert eine "Unterforderung des Rechts" bei gleichzeitiger "Überforderung der Theorie". Andererseits beobachtet er beim steuerungstheoretischen Optimismus der ökonomischen Analyse des Rechts komplementäre Fehlentwicklungen. Er plädiert daher für eine Relativierung, nicht jedoch für die vollständige Verabschiedung von rechtlichen Steuerungskonzepten. Am Beispiel des Risikoprivatrechts zeigt Damm, daß bei allen verbleibenden Problemen der komplementäre Einsatz unterschiedlicher Instrumente doch auch Steuerungseffekte bewirken kann. Im Verhältnis von Risikosteuerung und Rechtsgüterschutz wird auf Mischungsverhältnisse hingewiesen: wenn man nach Regulierungsmodi fragt, kann man keine vollständige Prozeduralisierung feststellen, in materieller . Hinsicht kann nicht von vollständiger Auflösung in diffuse Rechtsgüter gesprochen werden. Ein Blick in verschiedene Regelungssektoren - Vertrags-, Haftungs- und Unternehmensrecht - zeigt, daß das Zivilrecht alle Steuerungsmodi bereithält, nämlich "Konsens und Information, Kompensation und Prävention, Organisation und Verfahren". Vor allzu grobschlächtigen Diagnosen, steuerungsoptimistischen wie -skeptischen, so Damm, sei also zu warnen. Wolfgang Köck stellt in seinem Beitrag die verwaltungsrechtliche Seite vor. Umweltrisiken werden in erster Linie im Umweltverwaltungsrecht als Rechtsprobleme sichtbar. Nach einer Skizze der verfassungsrechtlichen Grundlagen und der Grundstrukturen des verwaltungsrechtlichen Risikomanagements stellt Köck die materiellen Maßstäbe der Gefahrenabwehr und vorsorge sowie von Bedarfs- und Nutzenprüfungen dar. Flexibilisierungsreserven bietet vor allem der Bereich der Festlegung von Umweltstandards. Hier wird eine verbesserte rechtliche Verfassung von Standardsetzungsprozessen für nötig erachtet. Köck weist darauf hin, daß dies möglicherweise auch ein Bereich ist, in welchem Ulrich Becks "Code-Synthesen" Platz finden könnten, wenn und so weit sich nämlich rechtliche Risikoentscheidungen über Standardsetzungen für unterschiedliche Rationalitäten öffnen. Das Schwergewicht liegt freilich nach wie vor auf konkret-individuellen Entscheidungen der Verwaltung. Diese wird sich allerdings in verschiedener Hinsicht auf mehr Lernfähigkeit hin orientieren; Umweltbeobachtung und Früherkennung spielen eine zunehmend wichtige Rolle, Sicherheitszuschläge, Aktualisierungs- und Nachbesserungsstrategien bei Risikoentscheidungen prägen das Bild. Unabhängig davon, in wie starkem Maße die Verantwortung durch solche Mechanismen tatsächlich von der Verwaltung weg und zu den Unternehmen hin verlagert werden kann, ist das Umweltverwaltungsrecht darauf angewiesen, seine "Sensorik für unterschiedliche Risikowahrnehmungen zu schärfen und diese Wahrnehmungen produktiv zu verarbeiten". Der Beitrag von Cornelius Prittwitz beschäftigt sich kritisch mit der Umgestaltung des (Umwelt-) Strafrechts unter dem Vorzeichen der Risikoregulie-

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rung. Hier wird besonders deutlich, weIche Zumutungen die Risikogesellschaft für das Recht bereithält. Eine wachsende Zahl immer neuer Rechtsgüter, eine deutliche Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes sowie abnehmende Anforderungen an die subjektive Vorwerfbarkeit von Rechtsverletzungen stellen den sichtbaren Ausdruck des modemen Risikostrafrechts dar. Dessen Bilanz bleibt freilich insgesamt negativ. De facto, so vermutet Prittwitz, versagt das Risikostrafrecht wohl auf nahezu allen Feldern. Und normativ, so argumentiert er, ist es letztlich nicht zu begründen, da es die Zurechnungsstrukturen des modemen Strafrechts insgesamt in Frage stellt. Dies wird nicht ohne Folgen für die Rechtsdurchsetzung bleiben. Im Ergebnis wird deshalb dem Risikostrafrecht die Halbherzigkeit eines zum Scheitern verurteilten Versuchs attestiert, auf die Probleme der Risikogesellschaft ein·zugehen, der jedoch zwischen Effizienz- und Gerechtigkeitsanforderungen zwangsläufig auf der Strecke bleiben muß. Zum Abschluß des zweiten Teils berichtet Hans Hoch über ein empirisches Forschungsprojekt aus dem Bereich des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Hier geht es um individuelle wie staatlich organisierte Vorsorge gegen Gefahren der Armut, der gesellschaftlichen Marginalisierung usw., also um die Frage, mit welchen Mitteln das Recht auf diesem Gebiet Sicherheit zu erzeugen oder zu gewährleisten in der Lage ist. Die Fähigkeit von Familien, soziale Gefährdungen abzuwehren, ist durch eine Reihe von "Risikofaktoren" begrenzt; sie soll gegebenenfalls durch administrative und justitielle Interventionen ergänzt werden. Diese sind ihrerseits, wie man aus anderen Bereichen der Organisationssoziologie weiß und wie Hoch fur den Fall des Kinder- und Jugendhilferechts mit empirischen Daten belegt, durch spezifische Risikikowahrnehmungen und -definitionen geprägt. Man beobachtet in stärkerem Maße als erwartet reaktive, nichtpräventive Maßnahmen. Diese Befunde lassen sich auf bestimmte "Kulturen des Risikomanagements" im Prozeß jugendamtlicher und jugendgerichtlicher Intervention zurückfuhren. Hoch schildert, wie die prozeduralen Vorgaben des Kinder- und Jugendhilfegesetzes im jugendamtlichen und jugendrichterlichen Verfahren kleingearbeitet und teilweise präter legern auf das jeweils "kulturell" eingebettete und entsprechend kognitiv verfaßte Vorsorgeziel des Kindeswohl im konkreten Fall zugeschnitten werden. Die Steuerungsleistung des Rechts besteht hier also letztendlich in einer gewissen Offenheit, die einerseits fallbezogene Flexibilitäten ermöglicht. Andererseits erhöht sich dadurch aber auch, wie Hoch anmerkt, die Abhängigkeit von Akteur- und organisationsspezifischen, kognitiv und normativ differierenden Rahmenbedingungen der Implementation. Der dritte Teil des Bandes beschäftigt sich schließlich mit Funktion und Leistungsfähigkeit des Risikorechts in der modernen Gesellschaft und den möglichen Konsequenzen für die Risikosoziologie. Klaus Peter Japp schlägt den Bogen zur Debatte des ersten Teils, indem er die Frage nach der rechtlichen Autonomie prozeduralisierter Risikoregulie-

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rung auf die theoretischen Unterscheidungen zwischen Funktion und Leistung, Code und Programm sowie Zentrum und Peripherie bezieht. Die Leistungsfahigkeit des Rechts wird - wie schon in anderen Beiträgen - insgesamt geringer eingeschätzt, als hochgesteckte normative Ziele erwarten lassen, und doch höher, als postmoderne Desillusionierungen zu hoffen Anlaß geben. Das wird an den Rationalitätsressourcen gezeigt, die das Recht auch nach systemtheoretischer Ansicht bereithält. Sie liegen vor allem darin, daß Unbestimmtheit und Bestimmtheit im Recht gleichermaßen möglich und durch strukturelle und operative Differenzierungen bearbeitbar sind. Flexibilitätsreserven ergeben sich fur das Rechtssystem zum einen jeweils auf einer Seite der erwähnten Unterscheidungen, nämlich in den Dimensionen Leistung, Programm und Peripherie. Hier ist Offenheit im Sinne der Kopplung an die Codes anderer Systeme, der Einführung von Werten und Präferenzen sowie der gesetzgeberischen Programmierung möglich, ohne daß grundsätzlich auf die Autonomiethese verzichtet werden müsse. Zum anderen besteht auf der Ebene von Operationen die Möglichkeit sogenannter Re-entries, mit deren Hilfe Unterscheidungen paradoxiefrei gehalten werden können. Sie sind auf der Seite von Funktion oder Leistung möglich, wie am Beispiel von Haftungsregeln erläutert wird. Vor diesem Hintergrund lassen sich rechtliche Risikoregulierungen dann als interne, "evolutionär-inkrementale Strukturänderungen im operativen ... Kontext von Funktion und Leistung" beschreiben. Sie stellen begrifflich keine "Anpassung" des Rechts an externe Rationalitäten dar, ohne daß mit dieser theoretischen Feststellung jedoch der empirische Gehalt von Flexibilisierungen bestritten werden müßte. Freilich wird aus dieser Perspektive auch sichtbar, daß und weshalb strukturelle Änderungen - etwa Flexibilisierungen in dem genannten Sinne - nicht jenseits der durch Funktion, Code und organisatorisches Zentrum markierten Bedingungen möglich sind. Wolfgang van den Daefe erläutert typische Stufen der Argumentation in Diskursverfahren und deren Funktionen für rechtliche Regulierung und politische Planung. Kriterien und immanente Schranken der rechtlichen Risikovorsorge rufen auch in Argumentationen außerhalb der Organisationen des Rechtssystems Effekte hervor. Zum einen wirken sie gegen einen Trend zur (vor allem politischen) Expansion und Übergeneralisierung von Risikosemantiken. Zum anderen zeigen sie, wo Planung (Bewirtschaftung von Gütern und Ressourcen) beginnt und rechtliche Regulierung endet. Am Beispiel einer vom Wissenschaftszentrum Berlin durchgeführten Technikfolgenabschätzung gentechnisch veränderter Pflanzen werden sechs Thesen diskutiert: ,,1. Risikovergleiche sind unabweisbar und setzen Regulierungen unter Konsistenzdruck. 2. Kausalitätsnachweise lassen sich nicht beliebig verdünnen. 3. Die Umkehr der Beweislast für unbekannte Risiken ist kein praktikables Regulierungsprinzip. 4. Politisch definierte Umweltqualitätsziele können Schädlichkeitsdefinitionen nicht ersetzen. 5. Risiko-Nutzen-Abwägungen lassen sich nicht zu Bedürfnisprüfungen erweitern. 6. Die Bewirtschaftung knapper Ressourcen erlaubt keine allgemeine Innovationskontrolle." Besonders sichtbar

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wird in diesem Zusammenhang die Programmierung des Rechts (und der Politik) durch Wissenschaft. Intern wird dies jeweils als unabweisbarer Zwang argumentativer Begründungen wahrgenommen. Die rechtliche und politische Beobachtung der Wissenschaft, das wird sehr deutlich, bleibt rur jene beobachtenden Funktionssysteme nicht folgenlos. Wo die Unterscheidung von Recht und Unrecht an diejenige von wahr und falsch gekoppelt wird, läßt sich nicht in beliebigem Umfang mit Risikobehauptungen operieren. In seinem Schlußbeitrag stellt Gerd Winter darauf ab, daß Umwelt- und Sozialrisiken Resultate der Entfaltung gesellschaftieher Wirkkräfte darstellen: also wirtschaftlicher (Kapitalverhältnisse, Arbeitsteilung, Konkurrenz, Unternehmergeist, Geist des Protestantismus), technologischer (Säkularität, Zweckrationalität, Wissenschaft, erfinderischer Geist, faustische Ethik der Naturbeherrschung) und konsumistischer Kräfte, die Risiken erzeugen, sofern sie zum Selbstzweck werden. Recht ermöglicht in seiner Form als freisetzendes Recht diesen Prozeß und setzt ihn in Gang. Eingrenzendes Recht übt Kontrolle aus, umverteilendes kompensiert die eingetretenen Schäden. Als normatives Ziel wird in der Risikogesellschaft die Modernisierung des eingrenzenden und umverteilenden Rechts beschrieben. Dabei liegt der Schwerpunkt auf zivilgesellschaftlichen Lösungen. Es kommt danach insbesondere darauf an, mit rechtlichen Mitteln die soziale Verantwortung zivilgesellschaftlicher Akteure stärker in den Mittelpunkt zu rücken und so den Umwelt- und Sozialstaat gerade in den Zeiten der Globalisierung von Risikogesellschaft zu stärken. Denn Globalisierung wird von einem neuen Schub freisetzenden Rechts begleitet. Als Möglichkeiten der Gegensteuerung kommen weltstaatliche Regulierung, Selbstregulierung oder Regionalisierung in Betracht. Alle müssen sich, so Winter, danach befragen lassen, ob sie rechtliche Formen ermöglichen, in denen Umwelt- und Sozialstandards als Primärziele anerkannt sind, ein "Nachhaltigkeit gestaltendes Recht" also. Soweit der kurze Überblick über die einzelnen Beiträge, die das zentrale Thema von recht unterschiedlichen Ausgangspunkten und mit divergierenden theoretischen und begrifflichen Mitteln angehen. Dabei zeigen sich, wie ich meine, einige mögliche Konvergenzen. Zwar läßt sich vor dem Hintergrund konzeptionell variierender Auffassungen über die Stellung des Risikorechts in der modernen Gesellschaft die eingangs aufgeworfene Frage nach Form, Funktion und spezifischen Leistungen von Risikorecht ganz sicher nicht in irgendeinem Sinne abschließend beurteilen. Jedoch kann man sie in mancher Hinsicht einer differenzierten Betrachtung zuführen. Die Beiträge zeigen nämlich vor allem dreierlei: Erstens lassen sie, sofern sie auf die Details rechtlicher Risikoregulierung in den einzelnen Feldern eingehen, deutlich erkennen, daß soziologische Risikotheorien bei der Bewertung rechtlicher Risikoregulierung allzu grob geschnittene Trendaussagen vermeiden und ihre Zeitdiagnosen präzisieren sollten. Im Zivil-, Umweltverwaltungs- und Sozialrecht zeigen sich auf unter-

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schiedlichen Ebenen, in verschiedenen Regelungsmodi und über zahlreiche Regelungsbereiche hinweg breit aufgefächerte, begrifflich und dogmatisch weit entwickelte und empirisch folgenreiche Formen des Umgangs mit Ungewißheit. Selbst dort, wo diese Formen unter konstruktiven und rechtspolitisch-konzeptionellen Gesichtspunkten für kritikwürdig gehalten werden, wie etwa im kritisch bewerteten Risikostrafrecht, zeigt sich noch in der bloßen Tatsache der Regelungen selbst bereits die hochempfindliche Resonanz des Rechts auf risikogesellschaftliche Entwicklungen. Man wird vor dem Hintergrund dieser Befunde gut daran tun, sich mit der Verabschiedung des Rechts von der Bühne gesellschaftlicher Risikoregulierung zurückzuhalten. Vielleicht sind es gerade auch die "klassischen" Formen, die sich im Ergebnis als relativ "anpassungsfähig" erweisen könnten. Die Funktion, welche die Argumentationsstruktur rechtlicher Risikovorsorge sogar in nichtrechtlichen Verfahren der Standardsetzung zu spielen scheint, läßt dies als durchaus möglich erscheinen. Zweitens ist sowohl in den Diskussionen der Tagung als auch in den schriftlichen Beiträgen in der Tat nicht so sehr der empirische Befund flexibler und resonanzfähiger rechtlicher Risikoregulierungen strittig geblieben, sondern vielmehr dessen theoretische Deutung. Insofern liegt der gesamten Debatte eine Auseinandersetzung über das (oder die) systemtheoretische(n) Rechtskonzept(e) zugrunde. Vor allem bleibt - wie nicht anders zu erwarten die Frage nach der Autonomie des Rechtssystems umstritten. Sie ist flir jene von besonderem Interesse, die nur unter Abkehr vom Autonomiegedanken über Konzepte der Anpassung - rechtliche Beziehungen zu anderen Funktionssystemen erklären wollen. Allerdings meine ich - und hoffe, in dieser Übersicht auf entsprechende Argumente hingewiesen zu haben -, daß sich nicht zuletzt auch in Folge einiger terminologischer Klarstellungen mögliche Konvergenzen zwischen den Opponenten andeuten. Jedenfalls würde ich zwischen der systemtheoretischen Konzeption, die interne Flexibilitäten des Rechts begrifflich ohne weiteres unterzubringen vermag, und Konzepten eines Umweltrechts, welches die Strukturen der Wissensgesellschaft fortlaufend beobachtet und sich selbst auf diese Beobachtungen einstellt, keine prinzipiellen Übersetzungsschwierigkeiten mehr vermuten. Weiter sollte vielleicht einmal geprüft werden, ob nicht vieles, was als Beleg für oder gegen rechtliche Autonom ie/ Autopoiese ins Feld geführt wird, viel eher unter organisationssoziologischen Prämissen zu diskutieren wäre. Damit ergäben sich jedoch andere, nicht notwendig funktionssystembezogene Differenzierungen. - Aber dies wäre wohl Stoff genug für eine andere Tagung und einen weiteren Band. Drittens scheint mir im Überblick über die dargestellten Beiträge in erster Linie eine riskante Ambivalenz des Risikorechts kennzeichnend zu sein, die ja auch von mehreren Autoren hervorgehoben wird: Das prozedurale Recht der Risikogesellschaft bietet auf der Programmebene vielleicht mehr Flexibilität und Problemlösungskompetenz an, als die soziologische Modernisierungsthese dies vermuten ließe. Und gleichzeitig setzt es sich selbst gerade durch Fle-

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xibilisierungen und Prozeduralisierungen der Gefahr aus, durch die Erhöhung von Freiheitsgraden regulatorische Treffsicherheit einzubüßen. Das lassen jedenfalls einige der eher rechtswissenschaftlich argumentierenden Beiträge erahnen. Und diese Gleichzeitigkeit von Options erhöhung und Risikosteigerung könnte wohl, so ein mögliches Resümee aus den Beiträgen, ein Charakteristikum des Rechts in der Risikogesellschaft überhaupt sein.

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Probleme prozeduraler Risikoregulierung Von Petra Hiller

I. Einleitung und Problemaufriß Die moderne Gesellschaft der Gegenwart wird als Risikogesellschaft bezeichnet, in der sich ein konflikthafter Prozeß der Neubestimmung sozialer Zeitperspektiven vollzieht. Man kann davon ausgehen, daß die Modeme sich durch ein spezifisches Zeitbewußtsein auszeichnet. Der Risikobegriff leistet eine Modalisierung des gegenwärtigen Zeiterlebens, indem er in der Gegenwart (im riskanten Entscheiden) auf nicht-aktuelle künftige Zeithorizonte verweist. Die Risikosemantik eignet sich daher als temporale Retlexionsbegrifflichkeit, mit der ein soziales System sich über mögliche eigene Zukünfte verständigt. Gleichwohl verweist Risiko nicht auf Zukunft (oder Zukünfte) schlechthin. Mit dem Risikobegriff werden nur bestimmte Aspekte thematisiert, nämlich Entscheidungsfolgen, die in Zukunft möglicherweise negativ bewertet werden. Beim Risikobegriff handelt es sich somit genauer gesagt um eine Problemformel für Zukunftsbeschreibungen moderner Gesellschaften, die auf den ersten Blick nicht an ein bestimmtes Funktionssystem gebunden scheint. Dies gilt insoweit, als die Risikosemantik allein auf temporale Differenzen wie etwa das Auseinanderdriften der Zeithorizonte von Vergangenheit und Zukunft abstellt, sich also nicht auf die Differenz von System und Umwelt bezieht. In der System/Umwelt-Perspektive läßt sich dagegen sehr schnell zeigen, daß auch Risikodefinitionen nichts anderes als funktionssystemspezifische Kommunitationen sind, und ein wesentliches Problem gerade darin besteht, daß diese sich nicht zu einer einheitlichen Beschreibung universalisieren lassen. Risikogesellschaft im hier gebrauchten Sinne bezieht sich auf die Zeitstruktur der modernen Gesellschaft und behauptet, daß sich dort mit der Risikothematik eine Änderung vollzieht. Was bedeutet das für das Verhältnis von Risiko und Recht? Risikoentscheidungen sind notwendig zukunftsorientiert und auf unsichere Folgenerwägungen gebaut. Das Recht hingegen hat sich auf einen Problembearbeitungsmodus festgelegt, der primär vergangene Ereignisse als Auslösebedingungen rechtsförmigen HandeIns bestimmt. Die Differenz der Zeitorientie-

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rungen von Risiko und Recht wird somit als Problem der Risikogesellschaft sichtbar. Eine Beschreibung des Verhältnisses von Risiko und Recht hat daher den Sachverhalt zum Ausgangspunkt zu nehmen, daß einerseits die Temporalstruktur des Rechts vergangenheitsorientiert ist (und sein muß), weil (und soweit) Recht funktional auf die Aufrechterhaltung normativer Verhaltenserwartungen abstellt - worin seine unter Unsicherheitsbedingungen unverzichtbare Stabilisierungs leistung liegt - andererseits damit aber gerade nicht zur Lösung solcher Probleme beitragen kann, die sich aus der zukunftsgerichteten Zeitlichkeit des Risikophänomens ergeben. Das heißt also, daß in der funktionalen Spezifikation des Rechtssystems eine Bedingung liegt für die strukturelle Inadäquanz normgeleiteten Entscheidens im Hinblick auf solche Probleme, die als spezifische Probleme der Risikogesellschaft bezeichnet werden.

11. Prozeduralisierung Neue Rechtskonzepte gehen von dieser Problembeschreibung aus und ihre Schlußfolgerung lautet, daß die Vergangenheitsorientierung des Rechts aufgegeben werden muß. Recht muß seine Temporalstruktur ändern, muß sehr viel stärker auf Lernfahigkeit, auf die Ausbildung kognitiver Erwartungen umgestellt werden. Begriffe wie "Flexibilisierung", "Reversibilisierung" und "reflexive Folgenkontrolle" gehören daher zum Standardrepertoire, wenn Überlegungen zu einem angemessenen Umgang mit Risikoproblemen vorgestellt werden. Es handelt sich um temporale Begriffe, die auf den einen Aspekt aufmerksam machen, der die originäre Problemstellung riskanten Entscheidens bezeichnet: Das Problem der Initiierung negativ bewerteter Entscheidungsfolgen, die in der Zukunft liegen, nachträglich bedauert werden und nicht kompensierbar sind. I Für rechtliche Risikoregulierung bedeutet dies, daß Entscheidungsmodelle entwickelt werden müssen, die die Irreduzibilität von Unsicherheit akzeptieren, indem die Kontingenz der Entscheidung nach der Entscheidung präsent gehalten wird. Vor diesem Hintergrund kommen neue Rechtskonzepte zu einer radikalen Umorientierung des Rechts. Es geht ihnen nicht um die Frage, I Als "riskant" bezeichnet werden "Entscheidungen, die die Möglichkeit nachteiliger Folgen in Kauf nehmen; und dies nicht in der Form gegenzubuchender Kosten, deren Aufwendung gerechtfertigt werden kann, sondern in der Form möglicher, aber mehr oder weniger unwahrscheinlicher Schäden, deren Eintritt die Entscheidung als Auslöseursache brandmarken und sie nachträglich der Reue aussetzen würde" (Luhmann 1993. 141).

Probleme prozeduraler Risikoregulierung

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wie man Unsicherheit reduzieren, sondern wie man mit Unsicherheit produktiv umgehen kann. Damit erfolgt eine Umstellung von Rationalität (Wissen) auf Risiko (Unsicherheit) im Entscheiden. Dies ist nur folgerichtig, weil unter Unsicherheitsbedingungen als oberste Handlungsmaxime gelten muß: Offenhalten von Zukunft, keine Vernichtung von Alternativen. 2 Soweit dies mit Hilfe des Rechts geschehen soll, wird der Einbau von Lernfahigkeit und die Temporalisierung seiner Struktur erforderlich. Wenn man an der Auffassung festhält, daß die Ausdifferenzierung von Recht über die Ausdifferenzierung rechtlicher Normen erfolgt und daß die gesellschaftliche Funktion, die dem Rechtssystem damit zukommt, in der kontrafaktischen Stabilisierung normativer Verhaltenserwartungen zu sehen ist (Luhmann 1987; 1993), dann läuten die oben genannten Umstellungen im Sinne einer Prozeduralisierung und Temporalisierung des Rechts einen dramatischen Angriff auf die Autonomie des Rechtssystems ein. Im folgenden werde ich einige Schwierigkeiten benennen, die mit einer solchen Umstellung von Recht verbunden sein können. Ich konzentriere mich auf folgende drei Fragen: 1. Welche Folgen sind zu erwarten von einer "Flexibilisierung" und "reflexiven Folgenkontrolle" in der Perspektive des Rechts?

Das ist die Frage nach der Autonomie des Rechtssystems. 2. Welche Effekte zeitigt die Prozeduralisierung des Rechts aus der Sicht der Politik? Das ist die Frage nach den Steuerungsqualitäten prozeduralisierten Rechts. 3. Welche Anforderungen stellt prozeduralisiertes Recht an die Verwaltung? Diese Frage thematisiert Bedingungen riskanter Entscheidungsproduktion in formalen Organisationen. 1. Die Perspektive des Rechts

Flexibilisierung: Ein adäquater Umgang mit Unsicherheit verlangt, daß auf neue, nicht vorhersehbare Situationen entsprechend reagiert wird. Um dies zu gewährleisten, muß das Recht flexibel genug sein, um situative und pro2 Insofern kann man sagen, daß prozedurales Recht auf das Management von "tragic choices" (Calabresi/Bobbitt \978) zielt. Bei "tragic choices" handelt es sich U111 unentscheidbare Fälle: "Man kann es nur falsch machen" (Luhmann \993a, 4).

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blemangemessene Entscheidungen zuzulassen. Und es muß kognitiv so ausgestattet sein, daß es neue Problem beschreibungen intern rekonstruieren kann. Im prozeduralisierten Recht könnte dies beispielsweise durch eine extensive Nutzung von Generalklauseln und Abwägungsgeboten erreicht werden. Das Problem dabei ist: Je mehr das Recht auf diese Weise seine Resonanzfähigkeit für Umweltprobleme steigert, desto weniger kann es seine autonome Reproduktion aufrechterhalten. In diesem Fall findet eine Angleichung an die Eigen beschreibungen anderer Funktionssysteme statt, indem das Recht externe Selbstbeschreibungen als eigene Fremdbeschreibungen übernimmt. Dies bedeutet eine Gefährdung der Autonomie des Rechts, weil Entscheidungen nicht mehr entlang der Differenz von Recht und Unrecht getroffen werden, sondern problem spezifisch und situativ fremden Codierungen folgen. Aus der temporalen Dynamik unsicherheitsbeladener Entscheidungssituationen ergibt sich für prozeduralisiertes Recht ferner, daß riskante Entscheidungen 0ppOltunistisch und strategisch ausgerichtet sein müssen (Lade ur 1984). Strategische Verwaltungsentscheidungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie nicht programmförmig vorgegebene Zwecke verfolgen, sondern daß Zwecke und anzustrebende Zustände im Prozeß der Entscheidungsfindung aus der Kompatibilisierung organisierter Interessen hervorgebracht werden. An die Stelle der Normableitung tritt ein kontextabhängiges, situatives Arrangement von Werten mit dem Ziel einer "praktischen Akzeptanz" der Ergebnisse. Akzeptanz ersetzt den rechtsverbindlichen Akt. Diese Form des Risikomanagements greift ganz offensichtlich nicht mehr auf das normative Element der Durchhaltung von Erwartungen zurück. Prozeduralisiertes Recht ist auf die Steigerung interner Varianzen konzentriert, auf Kosten von Redundanz. Für gesellschaftliche Akteure, die sich auf das Rechtssystem beziehen wollen, verliert dieses an "Transparenz und Verläßlichkeit" (Luhmann 1993, 280). Prozeduralisiertes Recht hat seine Struktur auf die Generalisierung von Unsicherheitserwartungen verlegt. Ein Beobachter kann sich dann zwar sicher sein, daß alles unsicher ist, aber nicht mehr, daß er normativ richtig erwartet hat. Anders gesagt, Prozeduralisierung läuft auf die Abschaffung von Enttäuschungsmöglichkeiten hinaus - und damit auf die Abschaffung der Norm.) Im Sinne der systemtheoretischen Konzeptualisierung handelt es sich um eine Steuerungsforrn, die sich nicht mehr als rechtsförmig bezeichnen läßt. Reflexive Folgenkontrolle: Ähnlich lauten die Bedenken, die sich aus der Perspektive des Rechts gegen den Einbau "reflexiver Folgenkontrolle" for-

) Auf gesellschaftstheoretischer Ebene wären die Folgen dieser Entwicklung entlang der Frage nach Interaktionsmöglichkeiten unter Auflösung von Vertrauen zu diskutieren (Luhmann 1993).

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mulieren lassen. Denn klar ist, daß eine an ihren empirischen Folgen orientierte Entscheidung nicht im Medium des Rechts verbleibt. Nur bei der Konditionierung von Tatbestand und Rechtsfolge ist es allein die Norm, die über Recht und Unrecht entscheidet. Wird dagegen die Richtigkeit der Entscheidung unmittelbar von ihren sozialen Folgen abhängig gemacht, dann sind es unsichere Erfolgserwartungen, die zum Entscheidungskriterium über Recht und Unrecht erhoben werden. Auch hier besteht das Problem darin, daß prozedurales Recht auf außerrechtliche Bezüge zur Entscheidungsfindung angewiesen ist, für die das Recht selbst keine Anhaltspunkte liefert. Im funktional definierten Sinne handelt es sich dann nicht mehr ausschließlich um rechtliches Entscheiden. Recht wird zum "iterativen Risikomanagement" (Ladeur) herangezogen mit der Folge einer Politisierung des Rechts. Als Ergebnis bleibt ein Dilemma zurück: Risikoregulierung kann, so scheint es, tatsächlich nur in den von der neueren Rechtstheorie diskutierten Prozeduralisierungen eine angemessene Regulierungsform finden. Das Problem jedoch ist, daß die vorgeschlagenen Formen prozeduraler Risikoregulierung rechtlich nicht formulierbar sind. Die Intentionen prospektiv orientierter Regulierungskonzepte sprengen den normativen Charakter des Rechts. Folgt man der Luhmannschen Konzeption von Risiko und Recht, dann drängt sich diese Konsequenz geradezu auf, denn bei Risikoproblemen handelt es sich ja nicht um die Stabilhaltung normativer Erwartungen, also nicht um Normierungsprobleme und damit auch nicht um Rechtsprobleme. Der Grund liegt in der Differenz von normativen und riskanten Zeitbindungen, die unterschiedliche soziale Konsequenzen nach sich ziehen (Luhmann 1990; 1993, 199). Aber nicht nur in der "orthodoxen" Lesart der Luhmannschen Konzeption des Rechts wirft das vorgestellte Konzept Fragen auf. Der entscheidende Punkt bei der Diskussion neuer Rechtskonzepte ist, ob der beklagten Funktionseinbuße des Rechts eine erhöhte Steuerungswirkung gegenübersteht. Wo liegen die Probleme aus Sicht der Politik? 2. Die Sicht der Politik

Unter Steuerungsgesichtspunkten bedeutet "Flexibilisierung", "Reversibilisierung" und "reflexive Folgenkontrolle" von Recht eine Einschränkung des politischen Entscheidungshorizonts. Mit der Orientierung an Risiko wird ein Innovationsverzicht moderner Gesellschaften gefordert. Das Kriterium der Reversibilität von Entscheidungen beispielsweise verlangt die Aussetzung von Chancen, die in langfristig projektierten Entwürfen liegen. In ähnlicher Weise unterliegt allen vorgeschlagenen Formen des adäquaten Umgangs mit Unsicherheit die Idee der Selbstbeschränkung moderner 3 Bora

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Gesellschaften. Doch diese Idee erscheint nicht nur idealistisch, sondern auch in hohem Maße riskant, denn unter Bedingungen von Unsicherheit bedeutet Verzicht auf Chancenrealisierung des einen zunächst die Verbesserung der Chancen anderer. Deshalb ist in die Empfehlung auf Verzicht meistens eine Art "Tauschoption" eingebaut. Für die entgangenen Chancen soll ein Ausgleich angeboten werden (vgl. Ladeur 1991,253; Offe 1986). Genau dieser Weg ist in der Risikogesellschaft versperrt. Die Risiken der Risikogesellschaft zeichnen sich dadurch aus, daß sie nicht kompensierbar sind. Globalisierung und Nicht-Versicherbarkeit negativer Entscheidungsfolgen gehören spätestens seit Ulrich Beck (1986) zum bestimmenden Merkmal der Risikogesellschaft. Damit erübrigt sich auch die Frage, die man sonst hätte stellen müssen. Nämlich wie eine Entschädigung aussehen könnte, die tatsächlich den Verzicht auf riskante /nnovationsentscheidungen ausgleicht. Ein zweiter, stärker an der praktischen Umsetzung orientierter Punkt bezieht sich auf den Vorschlag, im Prozeß der rechtlichen Risikoregulierung eine stets mitlaufende Beobachtung und Bewertung möglicher Folgen zu etablieren. Dies soll durch die vermehrte Nutzung von Experimentier-, Evaluations- oder Revisionsklauseln im Recht geschehen. Unter Unsicherheitsbedingungen erscheint die damit gewonnene Möglichkeit zum laufenden "Nachsteuern" als einzig erfolgversprechender Weg, um auf unvorhersehbare Problemlagen reagieren zu können und durch "Begleitforschung" laufend neues Wissen zu generieren. Insofern bildet auch dieser Zugriff die Problembeschreibung der Risikogesellschaft in adäquater Weise ab. Wenn man sich jedoch die politische Praxis etwa des Einsatzes von Experimentier-, Evaluations- oder Revisionsklauseln vor Augen fuhrt, dann drängt sich der Gedanke auf, daß auf dieses Instrumentarium vornehmlich zum Zwecke der Akzeptanzbeschaffung zurückgegriffen wird. Für die Durchsetzung von befristet und revidierbar angelegten Maßnahmen läßt sich noch am ehesten der nötige politische Konsens herstellen, selbst wenn die fraglichen Projekte hoch umstritten sind. Die bisherigen Erfahrungen zeigen auch, daß temporäre Regelungen in den meisten Fällen nach Fristablauf weitergeführt werden. Die durch Befristung erzwungene Wiederbefassung des Gesetzgebers wird - wie kann es anders sein - regelmäßig als Teil der bürokratischen Routine, meist in Form einer "Berichtspflicht" von mehr oder weniger hohem symbolischem Wert abgehandelt. Um dies zu verhindern, müßte man wiederum das Verfahren der Evaluierung selber festschreiben. Wenn man diese Linie weiterdenkt, sieht man schon die Konturen einer Evaluationsbürokratie emporsteigen, die - stellt man den Entwicklungsstand von Evaluations-, Technikfolgen- usw.- Forschung in Rechnung - wenig mehr herausfinden kann, als daß Regulierungseffekte unter Bedingung von Unsicherheit mal mehr und mal weniger eindeutig identifizierbar sind. Kausal zurechenbare Wirkungsanalysen von Regulie-

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rungsentscheidungen werden in komplexen dynamischen Systemen kaum zu erwarten sein (Schulze-Fielitz 1994, 166). Dies ist aber ein wichtiger Punkt, denn wenn Evaluierung eingesetzt werden soll zur Generierung von Wissen unter Unsicherheit (Ladeur 1991; 1992; 1995), dann stellt sich die Frage, wie man sich die für Revision, Folgenkontrolle und Flexibilisierung von Recht notwendige Evaluation von Maßnahmen vorstellen kann. Insbesondere bleibt offen, wer die Evaluationen durchfuhren soll und unter Rückgriff auf welches Wissen. Wer soll bestimmen, was wann irreversibel sein wird? Wie und von wem sollen relevante Zeithorizonte festgelegt werden? Schließlich kann es auch hier nur um eine Bewertung unterschiedlich bewerteter Irreversibilitäten gehen. Und damit reproduziert sich das Problem riskanten Entscheidens - als Problem des Bewertens von Werten bei unterschiedlicher Betroffenheit - ein weiteres Mal.

3. Die Probleme der Verwaltung Auf den zentralen Aspekt, der mit einer Prozeduralisierung von Recht verbunden ist, möchte ich noch einmal zurückkommen. Ich meine die Tendenz zur Einebnung von Differenzen im Recht. Denn der Flexibilitätsgewinn neuer Rechtskonzepte wird durch Entdifferenzierung erkauft. Im System/Umwelt-Verhältnis betrifft dies die oben angesprochene Aufhebung der Grenze zwischen Politik und Recht. Im Binnenverhältnis des Rechtssystems betrifft dies die Aufhebung der Unterscheidung von Codierung und Programmierung. Auf einen dritten Apekt möchte ich noch kurz eingehen. Er betrifft die Rechtsanwendung und dort die Aufhebung der Ebenendifferenz von "programmierendem" und "programmiertem" Entscheiden. Für riskantes Entscheiden entfallen damit Mechanismen der Reduktion von Komplexität und Unsicherheit durch Strukturbildung. Die EntIastungseffekte durch Binnendifferenzierung des politischen Systems und durch die doppelte Selektivität von programmierendem und programmiertem Entscheiden fallen weg. Gleichzeitig wird im prozeduralisierten Recht ein unbewäItigbares Maß an sachlicher und zeitlicher Komplexität aufgebaut, ohne daß zu sehen ist, weIche Möglichkeiten ihrer Bewältigung angeboten werden. Zur Verdeutlichung dieses Gedankens kann man sich noch einmal das Muster prozeduraler Risikoregulierung vergegenwärtigen. Prozedurale Risikoregulierung mit dem Ziel einer reflexiven Folgenkontrolle besteht in der Formulierung von Regelungsangeboten zur Relationierung bzw. ModelIierung komplexer Beziehungsnetze (Ladeur 1988). Es handelt sich hier nicht um prozedurale Normen im Sinne von Verfahrensvorgaben, sondern um die Vorgabe, daß die Verfahrensmodalitäten im Vollzug zu entwickeln sind. Prozedurales Recht muß also entformalisiertes Recht sein, über dessen Regeln in der Situation befunden wird. Für diesen Regulierungsmodus ist es daher von ent3'

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scheidender Bedeutung, wie die damit befaßten Implementationsinstanzen diesen Prozeß ausgestalten. 4 Entsprechende Arrangements der Risikoregulierung umfassen den gesamten Policy-Prozeß: Problemdefinition, Programmformulierung, Abnahmefahigkeit und Durchsetzung von Entscheidungen, Legitimationsbeschaffung usw. Dabei ist in Rechnung zu stellen, daß dies alles unter Rücksichtnahme auf Unsicherheit, das heißt unter mitlaufender Thematisierung von Kontingenz geschieht. Der Verwaltung wird in der Risikoperspektive damit ein geradezu expandierender Verantwortungsbereich zugeschrieben. Und die Vermutung liegt nahe, daß die sich abzeichnenden Entdifferenzierungen - mit der Folge einer Politisierung von Recht - den Entscheidungsprozeß mit Legitimationsanforderungen überlasten. Daraus ließe sich die These entwickeln, daß es genau dieses politische Moment ist, das zukunftsorientiertes Entscheiden restringiert. Anstelle von Rationalitätsgewinnen ist dann eine Verkürzung kognitiver, temporaler und sozialer Orientierungshorizonte zu befurchten (dazu Wiesenthai 1990; Heiner 1983). Für diese These lassen sich einige Anhaltspunkte gewinnen, wenn man die Perspektive tieferlegt und die Frage stellt, welche Effekte eine Prozeduralisierung von Recht im Prozeß der Anfertigung von Verwaltungsentscheidungen erwarten läßt. Für diese abschließende Überlegung müssen wir die gesellschaftstheoretische Ebene verlassen und hinabsteigen in die Tiefen formaler Organisationen. Ausgangspunkt ist die von Brunsson (1985) vorgetragene Beobachtung, daß ein Zusammenhang besteht zwischen Unsicherheit, Folgenverantwortung und Risikoübernahme im organisierten Entscheiden. Zu Verantwortung führt Brunsson aus: Wer eine Entscheidung trifft, dem wird die Verantwortung für die Folgen zugerechnet. Bei zu hoher Verantwortungs last und zu hoher Unsicherheit kann daher die Motivation zur Herstellung riskanter Entscheidungen nicht mehr vorausgesetzt werden. Deshalb werden Mechanismen der Unsicherheitsabsorption notwendig. 5 In formalen Organisationen erfolgt Unsicherheitsabsorption über die Bereitstellung von Absicherungsstrategien, mit deren Hilfe sich die auf eine Entscheidung zurechenbare Verantwortung reduzieren läßt. Im konditional programmierten Recht ist es das Programm, das die Entscheidungseinheit von (Folgen-) Verantwortung entlastet. Von der operativen Einheit zu verantworFür eine Fallstudie, die diesen Aspekt herausarbeitet, siehe Hasse 1997. ; Unsicherheitsabsorption liegt in der institutionalisierten Richtigkeitsvermutung von Entscheidungsergebnissen anderer. Dies ermöglicht deren ungeprüfte Übernahme und ihre Weiterverwendung als Prämissen eigenen Entscheidens. Das Vertrauen auf die Richtigkeit rekurriert auf die Autorität des Senders. In Organisationen erfolgt die Ausstattung mit Autorität durch die Zuschreibung von "Zuständigkeit". 4

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ten ist nur die formal-sachliche Richtigkeit der Entscheidung, die sich nach der regelgemäßen Programmausführung bemißt. Wenn die Risiken durch das Programm nicht gedeckt sind (wie bei folgenorientiertem Entscheiden, denn dort muß sich die Entscheidung über das Ergebnis rechtfertigen), kann ab einem gewissen Niveau nicht mehr vorausgesetzt werden, daß einzelne Entscheidungseinheiten noch bereit sind, riskante Entscheidungen zu treffen. Verwaltungsorganisationen haben ihre eigenen Wege, um dieses Problem handhabbar zu machen. Sie tendieren dazu, Informationen zu vernachlässigen, die Unsicherheit in den Entscheidungsprozeß bringen. Im konditionalprogrammierten Entscheiden wird zumindest versucht, dies dadurch abzufangen, daß das Programm den Entscheidungsprozeß unter bestimmte formalrationale Anforderungen stellt und die Realisierung riskanter Entscheidungen durch Entlastung von Verantwortung wahrscheinlicher macht. Ganz in diesem Sinne hat Ronald Heiner (1983) darauf hingewiesen, daß es unter Unsicherheitsbedingungen sogar zu einer Rationalitätssteigerung gesellschaftlicher Entscheidungsproduktion führen kann, wenn Reichweite, Flexibilität und Komplexität der Entscheidungsgesichtspunkte beschränkt werden. In nicht-regelgeleiteten ("flexiblen") Entscheidungsprozessen ist beobachtbar, daß sogenannte "self-made-rules" entwickelt werden, die sich mit befriedigendem Output begnügen. Statt eine umfassende Berücksichtigung und Abwägung von Entscheidungsalternativen vorzunehmen, wird die Entscheidungssituation bekannten Schemata angepaßt, um vorhandene Routinen anwenden zu können (March/Simon 1976). Dies hat zur Folge, daß erheblich weniger an Entscheidungskomplexität verarbeitet wird, als bei Konditionierung der Entscheidung verlangt werden könnte. Zieht man die Tendenz zur Risikovermeidung und Verantwortungsentlastung im organisierten Entscheiden in Betracht, so ist mit dem paradoxen Ergebnis zu rechnen, daß das Wertberücksichtigungspotential flexibler Steuerungsformen unter Bedingung von Unsicherheit geringer ausfällt als im Falle konditionaler Programmierung (EckhofflJacobsen 1960). Heiner führt diesen Effekt auf eine "KompetenzSchwierigkeitslücke" (competence-difficulty gap) zurück. Damit ist gemeint, daß die Anforderungen einer Entscheidungssituation die kognitiven Möglichkeiten des Entscheidungssystems übersteigen. Auf diese Überforderung wird mit Rückzug auf vertraute Routinen reagiert. Unsichere und unvorhersehbare Situationen steigern das Entscheidungsrisiko und begünstigen - wg. "Kompetenz-Schwierigkeitslücke" - die Rückkehr zu strikter Regelorientierung. Diese Analysen werden durch eine Vielzahlorganisationssoziologischer und -psychologischer Befunde gestützt. Nachweisbar ist eine mit zunehmender Entscheidungskomplexität sich verfestigende Status-quo-Orientierung: Je mehr Optionen im Entscheidungsprozeß gegeben sind, desto stärker ist der relative Bias zugunsten des Status quo (Samuelson/Zeckhauser 1988). Im Ergebnis heißt das, daß auch im prospektiven Entscheiden der Vergangenheitshorizont die Zukunft dominiert, wobei wesentliche Gewinne der Bin-

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dung administrativen Handeins an rechtsstaatliche Prinzipien preisgegeben werden. Und als Nebenbemerkung sei hier nur angefügt, daß damit vermutlich auch eine Reduktion von Lernchancen formaler Organisationen einhergeht (Ja pp 1996). Prozedurale Risikoregulierung ist nun aber auf den Umgang mit und auf die Thematisierung von Unsicherheit eingestellt. Das Präsenthalten von Unsicherheit in Form von Nichtwissen ist ein Aspekt, der den Regulierungsmodus trägt. Vielleicht kann man sogar sagen, daß dieser Regulierungsmodus sich auf die Kommunikation von Unsicherheit und Nichtwissen spezialisiert hat. Aber wer kann unter solchen Bedingungen noch entscheiden? Wie sieht es aus mit der Folgenverantwortung im prozeduralen Recht? Wer übernimmt die Verantwortung für den Eintritt bzw. Nicht-Eintritt angestrebter Wirkungen? Offenbar niemand, denn "die Kommunikation von Nichtwissen stellt von Verantwortung frei" (Luhmann 1992, 178). Was soll ein Adressat mit einem Entscheidungsergebnis anfangen, mit dem primär Nichtwissen kommuniziert wird, weil es von der Information begleitet wird, daß der Sender nicht weiß, ob es wahr oder unwahr, Recht oder Unrecht ist, was er sagt? Die im prozeduralen Recht gefundene Form des Umgangs mit diesem Problem ist, daß das Entscheidungsrisiko an den Adressaten weitergereicht wird. Womit wir wieder bei Luhmann wären, der die Frage stellt, weiche Sozialformen man sich vorzustellen hätte, wenn Kommunikation mehr und mehr darauf abzielt, die Unsicherheit der Empfänger zu steigern (Luhmann 1992, 176). Diese Illustrationen mögen genügen, um die These zu plausibilisieren, daß die Umstellung von normativen auf kognitive Erwartungen im Recht nicht dazu führen muß, daß das darin liegende Potential im faktischen Entscheidungsverhalten auch ausgeschöpft wird.

III. Resümee Das bedeutet, daß die Anpassung von Recht an die Problem struktur riskanten Entscheidens selber riskant ist. Indem Recht als Instrument prozeduraler Risikosteuerung auf die Erwartung von Unsicherheitserwartungen umgestellt wird und sich damit der Temporalität einer offenen Zukunft durch Erhaltung von Optionen und Reversibilität anzunähern scheint, verliert es seine stabilisierende Funktion. Daraus erwächst das Dilemma, daß gerade der in der Erhaltung von Unsicherheit liegende Sicherheitsgewinn zu neuen Verunsicherungen fuhrt, wenn die instrumentelle Dimension des Rechts auf Kosten der normativen Sicherungsfunktion gesteigert wird.

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Risikobewältigung durch Flexibilisierung und Prozeduralisierung des Rechts - Rechtliche Bindung von Ungewißheit oder Selbstverunsicherung des Rechts? Von Karl-Heinz Ladeur

I. Kann das Recht sich aufRisikolagen einstellen? Niklas Luhmann (1991,62 ff.; 1993, 142 ff.) hat in den letzten Jahren mehrfach die Fähigkeit des Rechts bezweifelt, sich auf komplexe Risikolagen einzustellen. Petra Hiller (1993) hat in ihrer Dissertation - methodisch an Luhmann anknüpfend - die These aufgestellt, daß eine Rechtsform, die "als Instrument prozeduraler Risikosteuerung auf die Erwartung von Unsicherheitserwartungen eingestellt wird und sich insoweit die Temporalität einer offenen Zukunft durch Erhaltung von Optionen und Reversibilitäten anzunähern scheint" (165), für die damit angestrebte Lernfahigkeit einen hohen Preis zahle, weil sie durch den Versuch der Anpassung an den "Zeithorizont des Risikos" ihre "stabilisierende Funktion" einbüße. Der Versuch zur Flexibilisierung und Prozeduralisierung des Rechts sei nur durch Übernahme der "zukunftsgerichteten" Risikoperspektive (163) möglich und fuhre zwangsläufig in ein Dilemma, weil die Zeitstruktur des Rechts "an vergangenen Ereignissen ausgerichtet" sei. Es wird durchaus eingeräumt, daß Prozeduralisierung und Flexibilisierung die Steuerungsleistung der staatlichen Regulierung steigern könne, wenn das Recht sich auf die "Temporalität und Einmaligkeit von Ereignissen" in einer Welt ungleichzeitiger nicht-linearer Systeme einstelle. Damit gehe aber eine "Generalisierung von Unsicherheitserwartungen" einher, die mit der Funktion des Rechts, der "kontrafaktischen Stabilisierung normativer Verhaltenserwartungen", nicht vereinbar sei. So lange nicht erkennbar sei, "von welcher Institution außerhalb des Rechts" die dann vom Recht selbst nicht mehr erfullte Funktion der "Reproduktion von Erwartungssicherheit als Grundbedingung zukunftsorientierten gesellschaftlichen Handelns erbracht" werde, liege darin ein "eminent verunsicherndes Element der modernen Gesellschaft" (166). Luhmann (1996, 59) hat dies dahin zugespitzt, daß der "Willküranteil" der Regulierung im Umweltrecht zunehme. Die Entscheidungsleistungen des Rechts würden auf Kosten seiner rechtsstaatlichen "Entlastungsfunktion für Politik" erfullt: Das regulierende Umweltrecht fuhre

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aufgrund der "Detailliertheit", mit der es sich den Entscheidungslagen anschmiegt, zu "lauter Miniproblemen", die "politisch entschieden und neu entschieden werden müssen" (Luhmann 1996, 59). Damit kann das hier zu verhandelnde Thema als eingegrenzt gelten: Im folgenden soll zunächst das Konzept der Rechtsfunktion in Augenschein genommen werden, an dem sich die kritischen Überlegungen zum Flexibilisierungspotential des Umweltrechts orientieren. In einem zweiten Schritt soll dann das sich daraus ergebende dilemmatische Verhältnis von Recht und Risiko beschrieben werden. Im Anschluß daran werden die m.E. in dieser systemtheoretischen Lesart des "Risikorechts" enthaltenen begrifflichen Verengungen kritisiert und mit der Skizze eines auf Flexibilisierung und Prozeduralisierung eingestellten Rechtsmodells konfrontiert, das - so die These durchaus an die Funktion des klassischen liberalen Rechts anknüpfen und seine Leistungsfahigkeit unter Bedingungen von Komplexität neu spezifizieren und erhalten kann, ohne die Gewährleistung von "Erwartungssicherheit" zu gefahrden.

11. Zur systemtheoretischen Beschreibung der Funktion des positiven Rechts 1. Zur normativen Sicherung von Verhaltenserwartungen

Die funktionale Ausdifferenzierung des Rechts (Luhrnann 1981,35 ff.; 1993,38 ff.; 124; Teubner 1989), deren systemtheoretische Reflexion hier grundsätzlich als Bezugsrahmen akzeptiert wird, läßt sich in der Reformulierung durch die Theorie autopoietischer Systeme zunächst dahin präzisieren, daß "das Recht ... nur anhand des vorhandenen Rechts Neuerungen aufnehmen" kann: "Jede Neuerung muß ihre Anschlußfähigkeit im System sichern, sonst würde sie technisch nicht funktionieren" (Luhrnann 1996, 59). Damit wird auf die Selbstreproduktionsfahigkeit des Rechtsprozesses verwiesen, die Normativität als Möglichkeit der Bildung "kontrafaktisch stabilisierter Verhaltenserwartungen" konstituiert (Luhrnann 1987,43; Hiller 1993,61). Anders als bei kognitiven Erwartungen, die im Enttäuschungsfall korrigiert werden müssen, wird die Geltung der Rechtsnorm selbst nicht dadurch in Frage gestellt, daß das faktische Verhalten ihnen nicht entspricht. Dies ist der Kern der These, daß die Funktion des Rechts nicht in der Verhaltenssteuerung, sondern in der Erwartungssicherung besteht und daß diese an Kommunikationen, nicht an Institutionen gebunden ist. "Als Erwartungsstrukturen reproduzieren Rechtsnormen damit die Kontingenz und Komplexität der offenen Zukunft, indem sie Bestehendes als künftig Erwartbares definieren". Damit bestimmt einerseits die Vergangenheit den "Zeithorizont" des Rechts, denn, was als "Recht" erwartet werden kann, stellt sich als bloße "Fortsetzung des Vergangenen und Gegenwärtigen in einer kontingenten Welt voller Überraschungen"

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dar (Luhmann 1981,73; 1993, 142 ff; Hiller 1993,62). Petra Hiller bringt dies in einer pointierten Form zum Ausdruck: "Recht ist in dieser Hinsicht funktional äquivalent zu Tradition und Geschichte". Die nicht hintergehbare Paradoxie des Rechts, die Gewährleistung von Erwartungsbildung unter Bedingungen einer gerade auf Zukunft und nicht auf die Wahrung der Kontinuität der Tradition eingestellten modemen Gesellschaft wird dadurch haltbar gemacht, daß das Recht seinerseits als positives Recht entscheidungsfähig wird: Recht wird durch Recht (und nicht einen fremden göttlichen Willen) anerkannt und dadurch ist es zugleich auf Selbständerung eingestellt. Dadurch verschiebt sich der Akzent von der Setzung des positiven Rechts zu der darin zugleich angelegten Änderbarkeit des Rechts durch Recht: Die Autonomie des geltenden Rechts wird damit präsent gehalten. Die jeweils anderen Möglichkeiten werden nicht dauerhaft ausgeschlossen, sondern nur gegenwärtig nicht aktualisiert. Damit wird aber zugleich akzeptiert, daß das Recht infolge der Positivierung "nicht ausschließlich nonnativ, sondern auch kognitiv strukturiert ist". Dieser Widerspruch wird insbesondere durch die "organisatorische Trennung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung, von programmierendem Entscheiden und Entscheiden im Rahmen von Programmen auseinandergehalten". Dadurch wird der Widerspruch in der Struktur des positiven Rechts abgespannt. Der Effekt der Positivierung, der der Stabilisierung von Erwartungen entgegenzuwirken scheint, stellt die "grundsätzliche Vergangenheitsorientierung des Rechts" nicht auf eine selbstzerstörerische Weise in Frage: Jede Rechtsänderung unterliegt aber dem Zwang, an das bestehende Normengeftige anknüpfen zu müssen. Positivität, Temporalstruktur und Funktion der Erwartungssicherung werden durch die Festlegung auf die Ausschließlichkeit der "konditionalen Programmierung" verknüpft (Luhmann 1983, 227; 1993, 195). Die Rechtsentscheidung bezieht sich durch die Unterscheidung der Wenn/Dann-Komponenten des Rechts immer auf einen abgeschlossenen Sachverhalt und orientiert die Zukunft des konditional programmierten Systems am "Vergangenheitshorizont" . Demgegenüber macht die "Zweckprogrammierung" die "Richtigkeit von Entscheidungen von künftiger Erfahrung abhängig". Die unvermeidliche Bezugnahme auf Zweckfonneln (Treu und Glauben, Wohl der Allgemeinheit etc.) im Recht bleibt so lange legitim und funktionsgerecht, wie sie auf der Grundlage "aktualisierender Erwartungen in der gegenwärtigen Zukunft entworfen sind" und der "Interpretation nonnierter Konditionen" dient. Davon zu unterscheiden sind Zweckorientierungen, "bei denen unsicher ist, ob die erwünschten Folgen auch eintreten werden". Damit würde der "Horizont gegenwärtigen Erwartens" destabilisiert.

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2. Zur Notwendigkeit der Verknüpfung des "Entscheidungssystems des Rechtssystems" mit der Selbstorganisation von Konventionsbildung Nach meiner Ansicht bedarf diese Konzeption des positiven Rechts, deren Ansatz ich teile, einiger Ergänzungen, die hier vor allem im Hinblick auf die Frage nach der Anschlußfahigkeit eines flexiblen und prozeduralen, auf die Bewältigung von Ungewißheit eingestellten Rechts skizziert werden sollen. Zunächst ist zu bezweifeln, daß das Verhältnis von kognitiver Offenheit und normativer Geschlossenheit, das für das positive Recht charakteristisch ist, primär an der Kanalisierung der Selbständerung des Rechts in seinen eigenen Formen zur Geltung kommt. Der Effekt der Positivierung des Rechts erschöpft sich darin nicht, vielmehr geht damit eine grundlegende Veränderung der Selbstbeschreibung der Gesellschaft einher, die nur angemessen zu erfassen ist, wenn man die Bedeutung der "negativen" Freiheitsrechte in die theoretische Konstruktion des Rechtsbegriffs einbezieht (Ladeur 1995): Niklas Luhmann hat selbst darauf aufmerksam gemacht, daß sich in der Negativität der Freiheitsrechte die Unmöglichkeit eines Verhältnisses der Individuen zur Gesamtgesellschaft niederschlägt (1993, 487; allg. Groys 1992; Gerschlager 1996). Das Individuum kann keinen Anteil an einem Subjekt der Gesellschaft haben (Luhmann 1994), wie es das religiöse Weltverständnis noch im Anteil der Seele am göttlichen Wesen unterstellt hatte. Wenn man einige Zwischenschritte überschlägt, läßt sich mit einer thesenartigen Vereinfachung behaupten, daß die primäre Bedeutung des positiven Rechts eher darin besteht, daß die Rechtsbeziehungen zwischen den Rechtssubjekten zu einer anderen, von lokalen Gewohnheiten oder nicht-rechtlichen Moralregeln getrennten distribuierten Ordnung von Willensverhältnissen verselbständigt werden. Die Wirkung der Vertragsfreiheit besteht gerade darin, daß komplexe situative Bindungen an die Tradition durch Einführung einiger grundlegender neuer Zurechnungsregeln unterbrochen werden: Insbesondere wird zwischen den auf individuelles Handeln (unerlaubte Handlung, Vertrag etc.) rechtlich zurechenbaren Folgen und den entfernteren diffusen Folgen der Vergesellschaftung unterschieden, die weder auf individuelles Handeln zugerechnet noch sonst verantwortet werden, sondern die nur durch Anpassung der Individuen zu bewältigen sind: Wer einen Arbeitsvertrag entsprechend den vereinbarten Bedingungen unter Ausübung der Vertragsfreiheit kündigt, muß sich nicht zurechnen lassen, daß der Arbeitnehmer möglicherweise dauerhaft arbeitslos wird. Wer ein Transportmittel wie das Auto oder die Eisenbahn entwickelt, muß sich nicht die Folgen für die Betreiber von Pferdekutschen zurechnen lassen. In die naturwüchsig entwickelten traditionellen Verhältnisse nimmt das positive Recht einen Einschnitt vor, der der individuellen Handlungsfreiheit Priorität als Zurechnungsprinzip einräumt. Handlungsfreiheit muß sich für die Folgen ihrer Ausübung so lange nicht rechtfertigen, wie nicht ein anderes privates Recht (nicht nur ein Interesse) oder ein rechtlich definiertes öffentliches Gut beeinträchtigt ist. Vor allem bei Konflikten zwischen indu-

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striell genutztem Eigentum (Fabriken) und dem landwirtschaftlich oder zu Wohnzwecken genutzten Eigentum gibt es dabei - man denke nur an die Immissionsverhältnisse der Frühindustrialisierung - natürlich Abgrenzungsprobleme, die durch Zuteilungsentscheidungen zu lösen sind. (Das Eigentum ist an seinen Grenzen nie scharf konturiert gewesen.) Aber die Grundstruktur des modernen Rechts ist jedenfalls insofern eindeutig, als die gesicherten Erwartungen gerade nur in sehr beschränktem Maße geschützt werden. Durch die rechtliche Spezifizierung der Erwartungssicherung (im Gegensatz zur traditionellen Gewohnheitsbindung) werden neue Optionen eröffnet, wird der Markt als "Entdeckungsverfahren" institutionalisiert (Hayek 1978, 179 ff.), während in der vorbürgerlichen Gesellschaft Veränderungen unter erheblichen Legitimationsdruck gestellt wurden - erwähnt seien hier nur die Zünfte. Damit geht ein Mobilisierungseffekt einher, der rechtlich durch die Herauslösung der Individuen aus den traditionellen Bindungen bewirkt wird. Das charakteristische Merkmal des positiven Rechts, das der Selbstkontrolle und der Selbstreproduktion unterliegt, ist die "Künstlichkeit" der Rechtsbeziehungen, die als Willensverhältnisse oder als Verhältnisse zwischen Personen und Sachen konstituiert sind, die beide aus traditionellen lokalen Beziehungen herausfallen. Für die Sachen ist dies vor allem am Beispiel des Grundbesitzes zu demonstrieren, der in der feudalen Ordnung nicht von den persönlichen Statusverhältnissen zu lösen ist. Rittergüter konnten deshalb auch vor der vollen Entfaltung der bürgerlichen Rechtsverhältnisse nicht zur dinglichen Sicherung verwendet werden. Der Abstraktions- und Mobilisierungseffekt ist das Kernelement der Positivierung und weniger die Änderbarkeit des positiven Rechts. Gerade den Urhebern der großen Kodifikationen des 19. Jahrhunderts liegt die Vorstellung der jederzeitigen Änderbarkeit des Gesetzes eher fern (Long/Monier 1997, 48). Die Positivität des Rechts ist vielmehr der positiven Erkenntnis der naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten nachgebildet (Baynes 1992); deren Grundstruktur schlägt sich auch und gerade in der dem naturwissenschaftlich bestimmten Gesetz folgenden Kombinatorik der individuellen Willensverhältnisse nach allgemeinen Regeln nieder, die die örtlichen Traditionen als Besonderheiten zurücktreten lassen. Die normative Erwartungssicherheit definiert sich deshalb zunächst auch negativ durch Abgrenzung von Bindungen, die der Mobilität der Selbstreproduktion der rechtlichen Bindungen entgegenstehen: Man braucht sich nicht darauf einzulassen, daß es in Köln Gewohnheiten gibt, die in Hamburg unbekannt sind oder ob es dem inzwischen verunglückten Pianisten noch moralisch zumutbar ist, für das gekaufte Piano bezahlen zu müssen. All dies sind Besonderheiten, die die strukturierende Wirkung des allgemeinen Rechts nicht in Frage stellen. Die Kehrseite dieses Entlastungseffekts besteht in der Eröffnung neuer Möglichkeiten, die ohne Rücksicht auf etablierte Erwartungen unter Berufung auf die Handlungsfreiheit erprobt werden können (Gerschlager 1996;

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Groys 1992). Bindungen sollen zwischen Individuen als Willensverhältnisse entstehen, die dann ihrerseits durch Konventionen auf neuer Grundlage im Rahmen von "Treu und Glauben" oder als "im Verkehr erforderliche Sorgfalt" innerhalb der durch das allgemeine Gesetz gesetzten Bedingungen konkretisiert und spezifiziert werden können (Teubner 1971; Knight 1992, 96; Lane 1997). 3. Rechtsfunktion und Verwaltung am Beispiel des klassischen Polizeirechts Auch für das Verwaltungsrecht als zunächst auf Eingriffe in Freiheit und Eigentum angelegtes Ordnungsrecht ergeben sich aus dieser Grundstruktur des positiven bürgerlichen Rechts wichtige Vorgaben: Die Verwaltung bedarf der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für jeden Eingriff. Dahinter steht nicht allein das Interesse an der Berechenbarkeit des staatlichen Handeins, sondern auch die Notwendigkeit der Abstimmung zwischen den Regeln insbesondere des privaten wirtschaftlichen HandeIns und der Festlegung von Grenzen im öffentlichen Interesse. Dies läßt sich am Beispiel des Polizeirechts (Ladeur 1993, 209 ff.) belegen, das für das klassische Verwaltungsrecht paradigmatisch ist: Es ist an der Erhaltung der "Normalität eines Bestandes" orientiert, aber das Substrat dieses Bestandes wird eng gefaßt, nämlich durch Bezug auf rechtlich definierte Güter - und nicht etwa alle möglichen Erhaltungsinteressen. Das Maß der Gefährdung dieses Bestandes ist von der Erfahrung abhängig, die ihrerseits primär durch das Selbstverständnis der Privatrechtsgesellschaft und deren durch die Abstraktion von Rechtsverhältnissen in Gang gesetzten Dynamik konturiert wird. Deshalb ist der Begriff der durch Recht gesicherten Verhaltenserwartungen gen au er zu fassen: Es ist die Institutionalisierung einer rechtlich artifiziellen Regelmäßigkeit, die das Prozessieren von Selbst- und Fremdbindungen der Individuen ermöglicht und auf dieser Grundlage die Bildung von neuartigen, auf die abstrakten Rechtsverhältnisse abgestimmten selbstorganisierten Konventionen stimuliert ("im Verkehr erforderliche Sorgfalt", Handelsbräuche, Unterscheidungen zwischen sicherer und unsicherer Technik etc.). Die Stabilisierung der Verhaltenserwartungen erfolgt damit sehr selektiv, in der Spezifizierung liegt zugleich eine starke Beschränkung der Erwartungssicherheit durch Erschütterung des Vertrauens in die Erhaltung von Bestandsinteressen und durch den Zwang zur Anpassung an die Selbständerung der Gesellschaft. Dies hat nichts mit einem "Kampf aller gegen alle" zu tun, der wiederum durch Gesetze beschränkt werden müßte, vielmehr bedarf es der Entwicklung selbstorganisierter "rechtskonformer" flexibler Bindungen durch Konventionen, die erst die Ausschöpfung der darin enthaltenen Möglichkeiten gewährleisten. In der neueren Literatur über soziale Institutionen wird vor allem deren Leistung in der Bildung und Entwicklung eines "gemeinsamen Wissens"

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gesehen, das einen distribuierten, an ein soziales Netzwerk zwischen Individuen gebundenen flexiblen Bestand von Informationen speichert und auf die Zufuhr von neuen Möglichkeiten angelegt ist (Buchanan 1995). Das heißt, die Stabilisierung von Verhaltenserwartungen erfolgt - auf der Grundlage der einmal durch "Selbstsetzung" des Rechts, durch Positivierung, freigesetzten Dynamik der Rechtsverhältnisse - primär durch das selbstorganisierte Prozessieren von Selbst- und Fremdbindungen zwischen den Rechtssubjekten. Dies gilt - wie gezeigt - auch für das Polizeirecht als Rechtsmaßstab des Verwaltungshandeins. Auch an diesem Beispiel läßt sich zeigen, daß das Verhältnis von normativer Geschlossenheit und kognitiver Offenheit des Rechtssystems genauer spezifiziert werden muß: So ist etwa der Begriff der Gefahr nicht nur wie fast alle Begriffe auf Interpretation angewiesen, er hat darüber hinaus den Charakter eines Scharnierbegriffs, denn mit jeder neuen Erfahrung verändert sich sein Substrat. Allerdings kann man durchaus formulieren, daß die Regeln der Erfahrungsbildung ihrerseits durch das selbstorganisierte Netz von Versuch-Irrtums-Schritten strukturiert ist, über die die wirtschaftliche und technische Entwicklung sich vollzieht und Kontinuität im Wandel erhalten werden kann. Die Verwaltung nimmt hier von vornherein etwa bei der Entscheidung über Erlaubnisse Festlegungen einer durch die Praxis bestimmten Variationsbreite von Möglichkeiten vor. Man darf also die über den Rechtsbegriff der "Gefahr" erfolgende Fremdbindung der Technikentwicklung nicht von der Selbstbindung durch den distribuierten Prozeß der technischen Erfahrungsbildung trennen.

4. Die Selektivität der Stabilisierungsfunktion des positiven Rechts Ähnliches gilt auch für gerichtliche Entscheidungen: Jenseits der Einzelfallentscheidung entwickelt sich vor allem eine Dogmatik, die die Anschlußfähigkeit der Rechtsbegriffe durch Eröffnung und Begrenzung der Variation gewährleistet und damit die Beobachtung neuer rechtsinterner Verknüpfungsmöglichkeiten und Bindungseffekte gewährleisten muß. Dabei - so wäre zu ergänzen - ist auch auf die Produktivität der Verbindung des positiven Rechts mit den gesellschaftlichen Konventionen zu achten (Knight 1992, 71,96). Auch die Trennung von Gesetzgebung und Gesetzanwendung läßt sich auf diesem Hintergrund genauer beschreiben (Gauchet 1995,269): Sie soll die Regelhaftigkeit des Rechts erhalten und legt die Rechtsprechung grundsätzlich darauf fest, den einzelnen Fall für die Spezifizierung und Variierung der Regel und des Regelverständnisses zu nutzen und dabei auf die Konsistenz des Rechts zu achten (Ladeur 1991). Auch darin ist aber ein Element der Abstimmung auf die Konventionsbildung innerhalb des Gerichtssystems und in der Gesellschaft enthalten, da die Entscheidung zunächst nur für den einzelnen Fall gilt und Argumentationsregeln vielfach die Möglichkeit eröffnen,

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sich der Bindungswirkung einer Fallentscheidung "von Fall zu Fall" zu entziehen. Thesenhaft wäre dies dahin zu spezifizieren, daß das positive Recht im klassischen Liberalismus vor allem auf die Erzeugung der selbstorganisierten Praxis von Selbst- und Fremdbeobachtungen zwischen Individuen eingestellt ist und damit eine Dynamik der Selbständerung der Gesellschaft in Gang setzt, die durch die selektive, Traditionen zerstörende und die Suche nach dem Neuen fördernde Erwartungssicherheit strukturiert wird. Nur durch die Verknüpfung der Positivierung des Rechts mit der Form des allgemeinen Gesetzes (Ladeur 1996a) und den individuellen Freiheitsrechten läßt sich die Kontinuität im Wandel zum Ausdruck bringen, die das Recht durch die Form der selektiven Bindung ermöglicht. Demgegenüber ist der Gesichtspunkt der Reflexivität der Selbständerung des Rechts durch Recht eher von sekundärer Bedeutung. Diese Akzentverschiebung ist insofern für die hier entwickelte Position wichtig, als sie es erlaubt, die Funktion des Rechts von vornherein weiter zu fassen. Die Stabilisierung von Verhaltenserwartungen ist als Beschreibung der Funktion des Rechts nicht ausreichend. Den entscheidenden Bruch, den das moderne Recht mit tradierten Ordnungen vollzieht, kann man genauer dadurch charakterisieren, daß die Rechtsordnung nicht mehr an der Erhaltung und Gewährleistung von tradierten Zuständen orientiert ist (Buchanan 1995), sondern an der Beobachtung und Gewährleistung von Verhaltensmustern innerhalb einer durch die Intervention des Rechts freigesetzten Dynamik der Selbsttransformation der Gesellschaft (Fleetwood 1996; Khalil 1997; Ioannides 1992, 38). Gerade die Verknüpfung von Ereignissen unter einer Leitdifferenz (Recht/Unrecht) ist nur in einem geschlossenen System möglich: Die Regelmäßigkeiten innerhalb der Selbstreproduktion der Gesellschaft sind nicht mehr als Traditionen in die gegebenen Zustände eingeschrieben und als solche lesbar; deshalb kann das Recht auch nur Bedingungen festlegen, unter denen Akteure und Handlungen so aufeinander abgestimmt werden können, daß ein kollektiver Effekt der Koordination von Erwartungen erzeugt wird, der sich als relativ produktiv und anschlußfahig für Neues erweist (Fleetwood 1996, 732). Deshalb ist die Annahme einer funktionalen Äquivalenz von .Recht und Tradition nur dann zutreffend, wenn man die Unterschiede bis zur Sinnlosigkeit verwischt. Der hier skizzierte Gedanke zur Funktion der Positivierung des Rechts soll weiter unten noch einmal aufgenommen und mit einer Überlegung zur Möglichkeit der Flexibilisierung und Prozeduralisierung des Rechts im Angesicht von Ungewißheitsbedingungen verknüpft werden. Zuvor sollen insbesondere am Beispiel der Arbeit von Petra Hiller die Konsequenzen der Verengung einer system theoretischen Konstruktion des Rechts für die rechtstheoretische Reflexion der Bewältigung von Komplexität untersucht werden.

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III. Selbstgefährdung des Rechts durch Risikomanagement? I. Unvereinbarkeit der Zeitstruktur des Rechts

mit der Zukunftsoffenheit des Risikos?

Zweifel an der Fähigkeit des Rechts zur Bewältigung von Komplexitätsbedingungen, wie sie insbesondere im Umwelt- und Technikrecht zu bearbeiten sind, werden vor allem durch die neuen Formen der Verweisung der Bewertung von Risikoproblemen an wissenschaftlichen Sachverstand geweckt (Roßnagel 1984). "Wahrscheinlichkeitsberechnungen wissenschaftlich-technischer Experten" treten an die Stelle rechtlicher Entscheidungen, da die "Problemdefinitionen anderer Professionen übernommen werden". Auch Niklas Luhmann sieht fur das Recht eine Existenzfrage: "Das Recht ist, von seiner Funktion her, eine Regulierung sozialer Verhältnisse", die "Typik juristischer Problemwahrnehmung - etwa das Schema ... 'Erlaubnis und Verbot' ist darauf nicht eingestellt." (Luhmann 1996, 58 0. Deshalb fragt er, ob über die Umweltprobleme "auf spezifisch juristische Weise" entschieden werden kann. Denn Umweltprobleme haben zunächst nicht die Qualität sozialer Verhältnisse, bei ihnen handelt es sich um "psychische, chemische, biologische Fakten und deren Interdependenzen". Hier müssen "künstliche Schwellen und Fristen definiert werden", die keine "Berechnungssicherheit und auch keine sozial konsentiette Risikotoleranz" voraussetzen können. Mit der Engführung von positivem Recht und der Kritik an neuen Formen der "rechtlichen Risikosteuerung", die letztlich als selbstdestruktiv diagnostiziert werden, stützt Petra Hiller ihre These, die dadurch erreichbare "Lemfahigkeit (sei) nicht der reflexiven Bindung von Recht durch Recht unterworfen", sondern basiere letztlich auf der rechtlich unbearbeiteten "Rezeption wissenschaftlichtechnischer Normen nach Kriterien ökonomischer Machbarkeit". Die Verwendung "unbestimmter Rechtsbegriffe" in rechtlichen Entscheidungsprogrammen führe dazu, daß "programmierende Entscheidungen kaum mehr 'zentral' getroffen werden.". Sie würden vielmehr durch die "Vorgabe von Verhandlungspositionen" ersetzt. Dies wird als höchst folgenreich für die Funktion des Rechts angesehen, da damit die "Idee der Sicherstellung von Zukunft durch Recht" in der Form der "Erhaltung künftiger Handlungsmöglichkeiten durch Limitierung gegenwärtiger Dispositionsfreiheit" konterkariert werde. Auch hier zeigt sich - ebenso wie bei Niklas Luhmann -, daß diese Akzentuierung der Selbstreferenz des Rechts in der Form "rechtlicher Normierung" (Luhmann 1983, 214), der Selbsterzeugung von "Recht in rechtsförmigen Entscheidungsprozessen" (Luhmann 1983, 144,2200, sich mit c!R Gewährleistung der Hierarchie des "Entscheidungssystems des Rechtssystems" verbindet, wenngleich im übrigen Recht als "heterarchisch, also kollateral, also in nachbarschaft lichen Vernetzungen determiniert" sei. Für "Risikoprobleme, wenn es denn Probleme der Zeitbindung sind", stehen "geeignete Rechtsformen" nicht zur Verfügung. "Denn im Falle von Risiken 4 Bora

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handelt es sich gerade nicht um eine Zukunft. bei der man gegenwärtig schon festlegen kann. wie andere sich in zukünftigen Situationen verhalten sollen. Gegen Risiken kann man nicht verstoßen" (Luhma,nn 1991,67) (H.i.O. K.H.L.). "Das typische Anliegen normativer Orientierung besteht aber darin, jetzt schon wissen zu können, welche Erwartungen man auch in Zukunft durchhalten kann". Nun ist zunächst einzuräumen, daß es gute Gründe gibt, von einer Orientierungskrise des Rechts zu sprechen, die nicht zuletzt durch Umweltrisiken ausgelöst worden ist. Im Anschluß an die oben vorgestellte Skizze ließe sich aber die These formulieren, daß das Problem anders gefaßt werden muß und dann auch funktionale Äquivalente zu der skizzierten Verknüpfung zwischen gesellschaftlicher Konventionsbildung und Positivierung des Rechts unter gewandelten, nämlich von gesteigerter Ungewißheit geprägten Bedingungen gefunden werden können. Wenn man nämlich die enge Verknüpfung zwischen Recht und Entscheidungssystem auflöst und statt dessen - durchaus in Anknüpfung an N. Luhmanns (1993,143 f.) neuere Konzeption der sich heterarchisch und kollateral vollziehenden Selbstproduktion des Rechts - die Beobachtung der Beziehungsnetzwerke zwischen rechtlichen Operationen und den sich darüber herausbildenden Mustern und Strukturen akzentuiert, also auch die privaten Rechtsbeziehungen (Kommunikationen wie Verträge) einbezieht (Ladeur 1995b), läßt sich genauer danach fragen, ob und wie durch Recht Kooperationsbedingungen zwischen (vor allem) Organisationen so angeregt werden können, daß sich produktive intra- und interorganisationale, auf Selbststabilisierung angelegte Muster herausbilden. Wie oben angedeutet läßt sich vor allem der Gefahrenbegriff als eine Scharnierformel begreifen, die die Koppelung zwischen gesellschaftlicher Konventionsbildung über Erfahrung (die immer an praktisches Handeln gebunden ist) und dem durch das "Entscheidungssystem" prozessierten Recht beschreiben. Auch die Erfahrung war auf Veränderung angelegt, diese Veränderung folgt aber - dies wäre der Unterschied zu heutigen Risikolagen - selbst einem relativ stabilen Muster der Versuch-Irrtums-Prozesse. Es wäre zu fragen, ob es möglich ist, für die Bindung von Ungewißheit im Angesicht komplexer Risikolagen neue Verfahrenselemente zu finden, die die Entstehung von produktiven, auf die Bewältigung von beschleunigtem Wandel eingestellten, teils privaten, teils privatöffentlichen Relationsmustern und Beziehungsnetzwerken begünstigen und eine dem klassischen Recht funktional entsprechende Koordinationsleistung erbringen. Daß die "Destabilisierung des Rechts" eine nicht abschätzbare Bremswirkung auslöst, ist ein gewichtiges Argument. Aber daß die veränderten Formen der Risikobindung generell darauf angelegt sind oder jedenfalls keine Entscheidungsverfahren in rechtlicher Form mehr zulassen, ist nicht zwingend: Vor allem die Veränderung der Organisationsform von Unternehmen. die überwiegend die Akteure auf dem Feld der Risikoentscheidungen sind, lassen auch veränderte, komplexere Formen privater und privatöffentlicher Kooperation zu, innerhalb derer Risiko bewältigt werden kann

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(Graedel/ Allenby 1995). Nach der hier vertretenen Konzeption besteht die primäre Funktion der Erwartungssicherung durch Recht darin, die Selbstorganisationsprozesse der Bildung von produktiven, mehr Möglichkeiten erlaubenden, Wissen generierenden Beziehungsnetzwerken zwischen Privaten und die Suche nach neuen Konventionen zu strukturieren, die das "Entdeckungsverfahren" Technologie in Gang halten. Wenn dies so ist, wäre die Suche nach neuen Koordinationsmustern dahin zu spezifizieren, daß das Recht darauf einzustellen ist, auch neue Formen der Rezeption, der Reflexion und Beobachtung technologischen Wissens zu finden, die als funktionale Äquivalente zur Koordination von Recht und Erfahrung gelten können. Es wäre also, genauer gesagt, die Verknüpfung zwischen Recht, Erfahrung und Konvention in der Epoche des klassischen Liberalismus zu vergleichen mit der Verknüpfung von "Risikorecht", komplexem technologischen Wissen und interorganisationalen technologischen Formen der Koordination. Niklas Luhmanns Kritik, die von Petra Hiller präzisiert worden ist, geht von einem begrifflich verengten Konzept des Rechts aus, das m.E. auch für die Vergangenheit gerade die in der Systemtheorie des Rechts angelegten Möglichkeiten, die heterarchischen, durch Verknüpfung von Rechtskommunikationen erzeugten kollektiven Effekte zu beschreiben, nicht ausschöpft, weil sie das Recht zu stark vom "Entscheidungssystem des Rechtssystems" abhängig macht.

2. Zur Verknüpfung von Entscheidungssystem und selbstorganisierter Konventionsbildung - das Beispiel der Gefahrenabwehr Nach der hier vertretenen Position muß man den Akzent stärker bei den Rechtskommunikationen setzen, die nicht auf das institutionalisierte Entscheidungssystem zuzurechnen sind, das heißt vor allem bei den Verträgen, also den rechtlich relevanten Handlungen der Akteure (insbesondere Unternehmen), und den Konventionen, Relationsmustern und Beziehungsnetzwerken, also bei der "Infrastruktur" des Rechtssystems, die die Bildung von Erwartungssicherheit viel stärker prägt als das staatlich-politisch organisierte Entscheidungssystem. So sind Umweltbelastungen nach der früheren, auf der Erfahrung basierenden Rechtsstruktur dann als rechtmäßig angesehen worden, wenn sie "ortsüblich" waren (Hoppe/Beckmann 1989,311, Rnr. 13), und die Ortsüblichkeit ist in erster Linie von den wirtschaftlichen Akteuren selbst geprägt worden. Eigentumsrechte und Rechte auf Gesundheit sind in der Epoche der Industrialisierung mindestens ebenso stark wie heute, wahrscheinlich aber eher stärker, der Definition von Konventionen unterworfen worden. Man kann sicher einwenden, damit sei jedenfalls eine berechenbare Festlegung getroffen worden. Das ist richtig, aber das Problem der Risikoentscheidung liegt nicht darin, daß die Schäden nicht nur den treffen können, "der die Entscheidung riskiert hat". Gerade dies war auch bei früheren technikbezogenen Entschei4*

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dungen nicht der Fall. Das Problem liegt auch nicht darin, daß Schäden als Risikofolgen heute "die Entscheidung als Auslöseursache brandmarken und sie nachträglich der Reue aussetzen" (Luhmann 1993, 141; allg. Japp 1996). Dieses Problem stellt sich auch bei der Entwicklung nicht komplexer Techniken in der Form der Suche nach "menschlichem Versagen", die die Entscheidung in "gute" und "schlechte" Teile auseinanderlegen will. Die Veränderungen bestehen darin, daß die Zurechnungsregeln unklar geworden sind, weil weder die Technologieentwicklung selbst noch die Risikobewertung sich an relativ einfachen Schematisierungen orientieren kann, die eine praktische Konventionsbildung ermöglichen könnte. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß Optionsfreiheit nicht nur innerhalb relativ festliegender Pfade der Technologieentwicklung zu berücksichtigen ist, sondern die Gestaltung der Optionsräume selbst auf private oder öffentliche Entscheidungen zugerechnet wird. Hier liegt m.E. das entscheidende Problem: Wenn tatsächlich - wie Petra Hiller schreibt - "jede riskante Innovationsentscheidung ein singuläres Ereignis" darstellt, wird die Funktion des Rechts dadurch in Frage gestellt. Risikoentscheidungen mögen dann anders zu institutionalisieren sein, eben politisch, aber in rechtlichen Formen ist dies kaum noch denkbar. Wenn man aber stärker die Verknüpfung von Rechtsentscheidungen mit der Bildung von Konventionen durch die Akteure betont, erscheint es durchaus vorstellbar, neue Formen der Risikoregulierung zu finden, die Anschluß an die klassische Rechtsfunktion halten. M.E. wird die Rechtsfunktion bei Niklas Luhmann und Petra Hiller zu eng ge faßt, aber auch die Risikoproblematik zu scharf von den klassischen Entscheidungsproblemen des Polizeirechts abgesetzt, weil dieses Moment der Konventionsbildung vernachlässigt wird. Wenn man sich darauf einmal festgelegt hat, wird die Entwicklung von, dem klassischen liberalen Recht "ähnlich systembildenden Formen" (Luhmann 1993, 143) unter Komplexitätsbedingungen unwahrscheinlich.

IV. Unschärfen in der Beobachtung des Rechts durch die Rechtssoziologie I. Zur Vernachlässigung der Eigenkomplexität des Rechts

Eines der größten Verständnisprobleme in der interdisziplinären Diskussion zwischen Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaft resultiert daraus, daß soziologische Beiträge zur rechtlichen Verarbeitung von Risiken vielfach die Eigenkomplexität des Rechts verfehlen. Der Luhmannsche Risikobegriff und seine Verknüpfung mit der Rechtsfunktion hat dazu m.E. nicht wenig beigetragen. Insbesondere werden damit falsche Vorstellungen von der Bedeutung der Vergangenheitsorientierung des klassischen liberalen Rechts im Gegensatz zum zukunftsoffenen Risikorecht geweckt. Dies sei an einigen Beispielen demonstriert: So wird insbesondere übersehen, daß auch das liberale Recht

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Erwartllngssicherheit in vielfacher Hinsicht durch interne Differenzierung begrenzt hat, indem es Rechtsprobleme gegenständlich abgeschichtet und verschiedene zeitliche Dimensionen zugelassen hat. Die Vergangenheitsorientierung läßt nämlich durchaus zu, daß man eine auf das allgemein verfügbare Wissen verweisende ex-ante-Perspektive und eine die Besonderheiten des einzelnen Falles berücksichtigende ex-post-Perspektive miteinander verknüpft. Dies gilt sowohl für das Polizei- als auch für das Zivilrecht: Das klassische Polizeirecht hat, auch soweit es in seiner Frühform keine ausdrücklichen Genehmigllngserfordernisse enthält, in einer ex-ante-Perspektive Tätigkeiten als polizeirechtlich legal angesehen, die nach der Erfahrung wahrscheinlich nicht zu einem Schaden führen (Lade ur 1993). Die Möglichkeit des Schadens ist damit aber keineswegs ausgeschlossen. Wenn nämlich ebendieses als legal behandelte Verhalten im nachhinein zu einer Störung führt, reicht allein die Verursachung ohne jedes Verschulden als Haftungsgrund für die Beseitigung der Störung an öffentlichen Gütern aus (nicht aber für den Schadensersatz!). Dieses Problem zeigt sich heute etwa bei den sogenannten Altlasten (Ladeur 1995b)! Auch das Zivilrecht operiert mit unterschiedlichen Zeitperspektiven: Man darf nicht vernachlässigen, daß es nicht nur Schadensersatzansprüche ex post, sondern auch UnterlassungsanspTÜche gibt, die eine ex-ante-Perspektive fordern. Unterlassungsansprüche (vgl. nur § 14 BImSchG) gegen riskantes Verhalten stellen deshalb erheblich höhere Anforderungen als Schadensersatzansprüche nach Realisierung des Risikos. D.h. hier hält das Rechtssystem unterschiedliche Maßstäbe für das gleiche Verhalten bereit. Das geht weit über das hinaus, was die Risikosoziologen etwa bei der Gefahrdungshaftung beobachten zu können glauben! Ein Verhalten wird hier ex ante als rechtmäßig angesehen, und im nachhinein, wenn es zu einem Schaden gekommen ist, wird es aufgrund der dann vorliegenden Kenntnis der besonderen Umstände nicht nur mit einer Ersatzpflicht verknüpft, sondern sogar als rechtswidrig behandelt (Brüggemeier 1986 Rnf. 102 ff., 120 ff.). Dies hängt mit den unterschiedlichen zur Verfügung stehenden Wissensbeständen zusammen: Im nachhinein läßt sich der Ursache-Wirkungszusammenhang idealtypisch gen au beschreiben und unter dem Gesichtspunkt bewerten, ob der Betreiber einer Anlage eine Verkehrspflicht verletzt hat. Das Zivilrecht unterscheidet hier einfach zwischen zwei Rechtsfragen, die dann durchaus unterschiedliche Bewertungen zulassen. Das klassische Zivilrecht ist im Schadensfall am Erfolgsunrecht orientiert, d.h. die Handlung ist retrospektiv allein deshalb rechtswidrig, weil sie z.B. zu einer Eigentumsverletzung geführt hat (Brüggemeier 1986 Rnr. 294/1). Das hat Rückwirkungen auch auf den Verschuldensbegriff, der in der Literatur zur Rechtssoziologie des Risikos vielfach aufgrund der einfachen Gegenüberstellung von Verschuldens- und Gefahrdungshaftung vernachlässigt wird: Nur im äußersten Fall wird eine schädigende und deshalb rechtswidrige Handlung als schuldlos beurteilt (Brüggemeier 1986 Rnr. 294/1; 1997). Fahrlässigkeit umfaßt auch die leichteste Sorgfaltsverletzung, und wie viele Schäden sind wirklich unvermeidbar? Die in der Risikosoziologie als so wichtig

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angesehene Bindung von Ungewißheit durch die Rechtsentscheidung ohne Rücksicht auf zukünftige Tatsachen (Luhmann 1993, 165) hat in dieser Abstraktheit auch für die Vergangenheit nur einen äußerst geringen Unterscheidungswert, weil das Recht von vornherein unterschiedliche Bezugssysteme (Polizeirecht, Zivilrecht, Strafrecht etc.), unterschiedliche Kriterien (Handlungsverbote, Beseitigungs- und Ersatzpflichten für schädigendes Handeln etc.) und unterschiedliche Zeitdimensionen und Wissensbestände (einschließlich der Beweisregeln) voraussetzt'. Der Unternehmer kann sich keineswegs grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit des erlaubten Verhaltens verlassen, wenn sich im nachhinein dessen Schädlichkeit herausstellt (vgl. zum Verhältnis von Zivil- und öffentlichem Recht Gerlach 1988; Ladeur 1993).

2. Insbesondere: Die Überschätzung der Gefährdungshaftung Die Gefährdungshaftung hat auch nicht die ihr in der Risikoliteratur zugeschriebene grundsätzliche Bedeutung. Dieses Rechtsinstitut bedeutet wegen der Grundsatzfrage der Auferlegung von Haftung ohne Verschulden für das Rechtssystem ein erhebliches dogmatisches Problem. Praktisch ist der Unterschied aber - und das sollte für die soziologische Beobachtung des Rechts ausschlaggebend sein - sehr gering (BTÜggemeier 1986 Rnr. 27): "Gefährdungshaftung knüpft an die Begründung der Gefahr, Fahrlässigkeitshaftung an die grundsätzlich für möglich gehaltene Kontrolle der Gefahr" an. Aber: "wegen der hohen Unbestimmtheit dieser Abgrenzungskriterien ... wird diese Grenzziehung wohl immer ziemlich fiktiv bleiben" (Brüggemeier 1986 Ror.29). Das Problem besteht eher darin, daß im nachhinein häufig nicht mehr genau festgestellt werden kann, warum Z.B. der Zug entgleist ist und ob und wie dies hätte verhindert werden können. Der Fahrlässigkeitsmaßstab (BTÜggemeier 1986 Rnr. 29) bietet nur in relativ überschaubaren gesellschaftlichen

, Infolge ihrer Fixierung auf das (primär staatliche) Entscheidungssystem des Rechts verfehlt die Risikosoziologie das zentrale Dilemma des Zivilrechts: Es muß nämlich stets widersprüchliche private Interessen berücksichtigen; auf der einen Seite muß natürlich Erwartungssicherheit für die Handelnden, auf der anderen Seite aber Integritätsschutz für die Inhaber von Rechtsgütern gewährleistet werden. Deshalb operiert das Zivilrecht zwangsläufig mit mehreren schwer aufeinander abzustimmenden Prinzipien: "Kompensation, Prävention und StreuungIVersicherung" (Brüggemeier 1997, 6, 9). Deshalb legt also entgegen der Beobachtung der Risikosoziologie dem Zivilrecht eine "schädigerorientierte Konzeption" fern. Daß gerade der "Gedanke der Selbstverantwortung des Handelnden" (Schmidt 1997, 289) zu einer strengen Beachtung des Integritätsschutzes des Geschädigten führt, kann man leicht erkennen, wenn man auch nur eines der klassischen Werke zum Zivilrecht konsultiert (Windscheid, 1854; Jhering 1867,40).

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Verhältnissen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit der zugemuteten Risiken ausreichende Orientierung. Jenseits dieser Grenzen ist er in hohem Maße willkürlich und deshalb schwer kalkulierbar. Demgegenüber ist gerade die Gefahrdungshaftung insbesondere im Hinblick auf technische Systeme relativ gut kalkulierbar (Brüggemeier 1986 Rnr. 24/1) und hat damit einen höheren Orientierungswert für die Beteiligten. Nur angemerkt sei, daß insbesondere das Zivilrecht auch bei der Entscheidung über Schadensersatzansprüche noch ein weiteres Mal unterscheidet zwischen einem erfolgsorientierten Unrechtsurteil und einem verhaltensorientierten Schuldbegriff. Die Fruchtbarkeit der soziologischen Unterscheidung zwischen Risiko und Gefahr läßt sich m.E. praktisch nur an einem relativ begrenzen Ausschnitt technologischer Risiken belegen: Sie reagiert auf das Problem der zunehmenden Heterogenität der Bewertungen über die Legitimität gesellschaftlich hinzunehmender Risiken. Das Problem besteht aber primär darin, daß eine einheitliche geteilte Erfahrung für viele Risikobereiche nicht mehr zur Verfügung steht, an der sich die Entwicklung der Bewertungsstandards orientieren könnten. Dies ist nur eines der vielen Probleme von Risikoentscheidungen. Die Risikosoziologie unterschätzt deshalb auch die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Verschuldens- und Gefahrdungshaftung, die sie im übrigen vielfach auch höchst ungenau oder gar falsch beschreibt! Das liegt zum Teil daran, daß sie die Gefahrdungshaftung ex ante als eine Legalisierung der Gefahrdung betrachtet (Schmidt 1997, 290). Aber ex ante ändert sich durch die Einführung der Gefahrdungshaftung gar nichts, was man leicht daran erkennen kann, daß die meisten legalen technischen Risiken nicht mit einer Gefahrdungshaftung verbunden sind. Man könnte sogar behaupten, die Einführung der Gefahrdungshaftung sei eher ein Zeichen dafür, daß nicht mehr auf Entscheidungen zugerechnet wird, sondern auf riskante technische Systeme. Natürlich kann man auf einer hohen Abstraktionsebene wiederum auf die Entscheidung über die Begründung des Risikos zurechnen, aber auch in dieser Hinsicht hat sich jedenfalls für den Orientierungswert des Rechtscodes nichts geändert. Risikosoziologen sollten sich vielleicht einmal die Definition des Fahrlässigkeitsbegriffs der Akademie für deutsches Recht von 1940 (Brüggemeier 1986 Rnr. 115) vor Augen führen (die praktisch die BedetJtung des § 276 BGB expliziert): "Fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer acht läßt, die mit Rücksicht auf die Erfordernisse eines geordneten Zusammenlebens auf dem Lebensgebiet, auf dem er tätig wird, unter den gegebenen Umständen von den Angehörigen der Berufs- oder Altersgruppe, denen er zugehört, erwartet werden muß. Besondere Kenntnisse verpflichten zu gesteigerter Sorgfalt." Es mag für die Risikosoziologie, die der Eigenenkomplexität des Rechtssystems zu wenig Aufmerksamkeit schenkt, auch überraschend sein, daß die Gefahrdungshaftung im Umweltrecht so gut wie keine Bedeutung hat, gerade weil sie nur das Problem des Verschuldens bewältigt. Die eigentlichen Probleme des Umweltrechts, und zwar sowohl des öffentlichen als auch des privaten, liegen aber bei der Bestimmung der Kausalität, der Zurechnung diffuser Ef-

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fekte, beim Schadensbegriff (weil die Indizwirkung scharf konturierter Rechtsgüter wie des Eigentums vielfach nicht mehr funktioniert) und vor allem bei der Bestimmung der verfügbaren Wissensbasis und der Bestimmung von Regeln für privates wie öffentliches Entscheiden auf der Grundlage heterogenen Teilwissens. All dies läßt sich mit dem Klipp-Klapp der Unterscheidung von Recht/Unrecht oder Risiko (für den Entscheider)/Gefahr (für den Betroffenen) nicht sinnvoll erfassen.

v. Prozeduralisierung und Flexibilität ohne Gefährdung der Rechtsfunktion?

1. Zur Neubestimmung der Selektivität der rechtlichen Stabilisierung von VerhaItenserwartungen unter Ungewißheitsbedingungen Was kann Prozeduralisierung zu einer Reformulierung des Rechts unter Ungewißheitsbedingungen beitragen? Die folgenden Ausführungen sollen sich vor allem auf die Elemente einer Prozeduralisierungsstrategie beschränken, die dazu beitragen könnten, den Anschluß an die Leistungen des Rechtssystems in seiner klassischen Gestalt zu erhalten. Deshalb sollten die eher technischen Möglichkeiten der Verbesserung der Informationsstruktur z.B. das Monitoring von Entscheidungsfolgen, die Vorzüge einer Prioritätensetzung etc. (Ladeur 1994) eher vernachlässigt werden. Es soll also genauer gefragt werden, was eigentlich noch rechtlich an einem prozeduralen Recht ist. Dabei ist zunächst bei der Selektivität der Erwartungssicherheit des Rechts anzusetzen, die das Recht auch in der Epoche des klassischen Liberalismus gekennzeichnet hat. Das heißt jedes moderne Rechtssystem basiert darauf, daß kollektive Ordnungsbildung eher über ein distribuiertes Netzwerk von Versuch- Irrtums-Schritten generiert worden ist und Erwartungssicherheit eher durch Verteilung von Entscheidungsrechten bei Entlastung von Verantwortung für entferntere Folgen des Handeins gewährleistet wird. Das Recht dient damit der Ausgestaltung und Erhaltung der dazu erforderlichen Institutionen (insbesondere des Vertrages) und dem Schutz gegen Opportunismus (unerlaubte Handlung). Im übrigen wird auf die Selbstorganisation von Konventionen vertraut, die sich von den tradierten Bindungen dadurch unterscheiden, daß sie nicht vorzugswürdige Zustände, sondern nur Bedingungen für die Herausbildung produktiver Beziehungsmuster zwischen Akteuren festlegen. Damit ist auch eine Option für bestimmte, Wissen strukturierende Beweisregeln und eine Ordnung von Prioritäten verbunden. Grundsätzlich kann eine neue Technik nicht beweispflichtig für ihren Nutzen sein, dies wäre eine Regel, die mit einer auf Selbständerung angelegten Gesellschaft nicht vereinbar wäre. Hier läßt sich an die strukturbildende entlastende Wirkung der "Gefahrengrenze" des klassischen Polizeirechts anknüpfen: Daß im 19. Jahrhundert der Betrieb von Dampfkesseln riskant war (Wolf 1986), war auch den

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damaligen Entscheidern bekannt. Aber wenn nach der allgemeinen Erfahrung die Konstruktion "richtig" war, konnte die Genehmigung nicht verweigert werden. Zu dieser Regel muß auch unter veränderten Bedingungen ein funktionales Äquivalent gefunden werden. Das heißt, es muß eine den Handelnden privilegierende Priorität der Einschätzung von Risiken akzeptiert werden. Damit ist ein weit gefaßtes Konsenserfordernis unvereinbar. Andererseits ist aber auch die sehr eng gefaßte Grenze des Schutzes rechtlich konstituierter Güter nicht mehr als Bezugsrahmen für eine solche Beweisregel brauchbar. Deshalb hat hier die Suche nach einem funktionalen Äquivalent fur die tradierte Verknüpfung zwischen Gefahr und Erfahrung anzusetzen. In diesem Zusammenhang spielt der Gesichtspunkt der Reversibilität durchaus eine, wenn auch untergeordnete Rolle: Natürlich kann dies nicht so verstanden werden, als müsse jede technische Entwicklung wieder rückgängig gemacht werden können - dies wäre völlig unrealistisch. Genauer wäre vielmehr zu fragen, ob eine Technologie Mechanismen der Selbstbeobachtung und Selbstkorrektur aufweist, die der Selbständerung der klassischen Technik durch Versuch-Irrtums-Schritte entspricht. Hier könnte man als Regel aufstellen, daß über Technologien, die relativ starr über einen sehr langen Zeitraum entwickelt werden müssen und die wenig Lernfahigkeit bereithalten, jedenfalls durch Gesetz entschieden werden muß. Ein Beispiel dafür wäre die Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen. Selbst bei der Atomtechnologie im allgemeinen muß man aber konstatieren, daß sie durch Selbstbeobachtung und Produktion von Informationen während des Betriebs von Atomkraftwerken (aber nicht vorher) in erheblichem Maße Lernfähigkeit entwickelt hae (vgl. allg. Sutherland 1997). Im Unterschied zu den früheren Technologien muß diese Lernfahigkeit nur explizit in die Praxis eingebaut werden, damit Informationen generiert werden können, die bei einer stärker distribuierten Technikentwicklung spontan durch die Praxis erzeugt werden. Das ist der Kern der Prozeduralisierung (und Flexibilisierung) in dem hier verstandenen Sinne: Die Generierung von Sicherheitswissen erfolgt nicht mehr spontan durch Selbstkoordination zwischen den Akteuren, sondern muß teils privat, teils öffentlich besonders organisiert werden, Lernfahigkeit muß also explizit institutionalisiert werden, damit eine produktive Selbstkoordination zwischen überwiegend organisierten Akteuren zustande kommen kann.

2 So kann die Entstehung von hochexplosivem Wasserstoff beim sog. Super-GAU offenbar durch "Rekombinatoren" unschädlich gemacht werden, die wie ein Katalysator wirken (Wirtschaftswoche v. 13.11.1997,122). Außerdem ist die beim Betrieb der Kernkraftwerke anfallende Masse von Informationen durch Computerprogramme besser zu bewältigen als durch Personal.

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2. Risil\Orecht als Bedingung der Bildung von produktiven Koordinationsmustern zwischen Organisationen Das Konzept der Prozeduralisierung versucht aber durchaus den Anschluß an die Form der Technikkontrolle des klassischen Polizeirechts zu halten. Dieser Anschluß wird dadurch möglich, daß die Rechtsfunktion, insbesondere die Erwartungssicherheit, präziser gefaßt und differenziert wird und dann auch mehr Möglichkeiten einer Anpassung des Rechts an Komplexitätsbedingungen eröffnet werden: Kontinuität wird schon dadurch gewahrt, daß nicht etwa in Verwaltungsverfahren eine komplexere Bewertung der Technik von Fall zu Fall mit dem Ziel einer umfassenden Konsensbildung gefordert wird. Vielmehr wird genauer danach gefragt, wie und auf welcher Basis Erwartungssicherheit entsprechend den Beweisregeln des liberalen Polizeirechts unter Komplexitätsbedingungen gewährleistet werden muß. Komplexere Technologien haben einen weitaus höheren Gehalt an "Intelligenz" und Alternativenreichtum als klassische Techniken. Darin ist ihre hohe Gefährdung (durch beschleunigte Veränderung), andererseits aber auch ein größeres Potential der Selbst- und Fremdbeobachtung und eine größere Flexibilität enthalten, die nachträgliche Selbstkorrekturen auch unterhalb der Unfallschwelle ermöglicht. Dieses Potential ist auch ein Mechanismus der Erzeugung und Systematisierung von Informationen während des Betriebs, der rechtlich genutzt werden kann. Man kann Ungewißheit insbesondere durch Verfahren der Selbstbeobachtung verbinden, ohne dadurch einfach Unsicherheit in das Rechtssystem selbst einzuführen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn dadurch Entscheidungen unter einen unspezifischen Vorbehalt gestellt würden. Kriterium für den Einbau einer der Rechtsfunktion entsprechenden Lernfähigkeit in rechtliches Entscheiden wäre insbesondere die Frage, ob sich unter diesen Bedingungen ein produktives, auf Innovation und Erzeugung von mehr Möglichkeiten angelegtes, neue Konventionsbildung erlaubendes Beziehungsnetzwerk innerhalb und zwischen Unternehmen herausbilden kann. Das heißt, es ist genauer danach zu fragen, ob und wie staatlich-rechtliche Bindungen geschaffen werden können, die ein produktives Muster der Selbst- und Fremdbindungen innerhalb von technologischen Entwicklungspfaden anregen können. Für das Verhältnis von Staat und Unternehmen muß nach einem funktionalen Äquivalent für die Koordination gesucht werden, die über die Erfahrung in der Vergangenheit gewährleistet worden ist. Das heißt, der Staat muß akzeptieren, daß es keine einfachen Erfahrungsregeln mehr gibt, sondern eher Meta-Regeln der Technologiebeobachtung und des Lernens unter Ungewißheitsbedingungen generiert werden müssen. Auf dieser Grundlage ist aber durchaus eine Stabilisierung von Erwartungen möglich, wenn man nicht davon ausgeht, daß alle Bindungen stets reversibel bleiben und unter allgemeinen Konsensvorbehalt gestellt werden.

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Dies bedeutet zugleich, daß der Betroffenen-Beteiligung (Ladeur 1996) nur eine begrenzte Bedeutung zukommen kann. Die hier vorgetragenen Überlegungen suchen nach einem Muster fur die produktive Selbst- und Fremdkoordination (zwischen privaten und zwischen privaten und öffentlichen Entscheidern), die eine kooperative Entwicklung von Technologien (aber auch ihre Kontrolle) erlaubt. Erwartungssicherheit ist dadurch insoweit zu gewährleisten, als die Kooperationsbedingungen zwar relativ offen definiert werden, aber nicht so, daß Innovationsentwicklungen dadurch blockiert werden. Auch außerhalb der Technikkontrolle entwickeln sich mehr und mehr hochkomplexe relationale Verträge (Hadfield 1990) zwischen Privaten (Qualitätssicherungsvereinbarungen, Joint Ventures fur gemeinsame Forschung), die Selbstund Fremdbindungen mit der Schaffung von Alternativenreichtum produktiv kombinieren. Dies hängt mit der wachsenden Flexibilität und Anpassungsfahigkeit von Unternehmen zusammen (Russo/Fouts 1997). Davon ist auch die Technologieentwicklung und - dies darf man nicht übersehen - ihre betriebliche Organisation mehr und mehr geprägt. Deshalb ist ein vorsorgeorientiertes Umwelt- und Technikrecht denkbar, das durch Prozeduralisierung im hier angedeuteten Sinne Erwartungssicherheit in einer auf die Selbständerungsfähigkeit der Technologie abgestimmten Fonn mit Flexibilität verbinden kann und ebenso wie das klassische Polizeirecht zur Herausbildung eines produktiven Musters der intra- und interorganisationalen technologischen Beziehungsnetzwerke fUhren kann, das auf Bindung von Ungewißheit angelegt ist. Hier zeigt sich ein weiterer Vorzug des skizzierten Modells: Es stellt sich genauer darauf ein, daß die Adressaten des Umwelt- und Technikrechts primär Unternehmen sind, und zwar, soweit es um komplexere Technologien geht, solche, die sehr viel mehr Ungewißheit verarbeiten können, als dies fur frühere Unternehmensformen denkbar gewesen wäre. Dies ist ein weiterer Grund dafur, daß man die Bedeutung der Stabilität der Rechtsentscheidung und ihre Funktion der kontrafaktischen Stabilisierung normativer Erwartungen (Luhmann 1981, 113 f(, 122 ff.) nicht unabhängig von den dadurch ennöglichten Optionen und der Problemverarbeitungskapazität der Unternehmen definieren sollte.

3. Das Beispiel der Grenzwerte Diese Skizze soll nun an einem Beispiel konkretisiert werden, nämlich der Grenzwertbildung, die bei vielen umweltrechtlichen Entscheidungen erforderlich ist. Die Vorstellung, die ihnen heute noch weitgehend zugrunde liegt, nämlich daß es sich um eine Art "antizipiertes Sachverständigengutachten" handele (Bender/Sparwasser/Engel 1995, § 7 Rnr. 232), ist des öfteren mit Recht kritisiert worden. Es sind aber auch andere Fonnen der Bewältigung des Problems der Festlegung von Belastungsgrenzen denkbar, die durch Methoden ihrer iterativen Definition ihren planerischen Charakter als ein auf

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Lernfahigkeit angelegtes Modell offen legen (Winter 1986; BVerwGE 72, 300, 320 f.) und sich damit vordergründigen Einwänden entziehen. Nach der hier veltretenen Konzeption ist die Beteiligung von Unternehmen an der Aufstellung der Grenzwerte mit der Funktion des Rechts nicht unvereinbar. Verfahrensrecht wird dann benutzt, um Handlungsgrenzen, die früher eher auf der Erfahrung und impliziten Konventionen basierten, durch explizite Konventionen zu ersetzen, die sich von früheren Formen der Problemlösung dadurch unterscheiden, daß sie nicht mehr spontan durch alle beteiligten Akteure generiert werden, sondern durch organisierte Repräsentation von Wirtschaft und Wissenschaft. Vor allem die Beteiligung der Wissenschaft bedarf natürlich eines Kommentars, aber man muß bei der Kritik auch berücksichtigen, daß die Wissenschaft selbst durch die Entwicklung von komplexen Technologien immer stärker einen Anwendungsbezug erhalten hat. Deshalb muß man das Konzept der "reinen", an zweckfreier Erkenntnis orientierten Wissenschaft relativieren. Auch hier läßt sich aber Anschluß an die früheren Rechtsformen finden, wenn man eben die Funktion des Rechts weiter faßt und die Selbstorganisation eines Netzwerks von Bindungen durch Konventionen einbezieht (Stein 1995; Teubner 1996). Dann kann auch die notwendige Durchlässigkeit der früher relativ starren Grenze zwischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung durch ein kooperatives Verhältnis zwischen unterschiedlichen Staatsgewalten (Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit) denkbar werden, das nicht nur den Orientierungsverlust in Grenzen hält, sondern die Leistungsfähigkeit dieser Institutionen durch eine neue Abstimmung ihrer Funktionen steigern kann (Ladeur 1996b). Einer der Zwänge, an die bei der Suche nach neuer Problemverarbeitungskapazität der Institutionen angeknüpft werden kann, ist in der Verknüpfung von Wissen und Handeln zu sehen: Das heißt eine liberale Gesellschaft muß insbesondere die Festlegung von Handlungsgrenzen primär unter dem Gesichtspunkt des auf praktische Entdeckung und Erprobung angelegten Netzwerks von Operationen erfolgen (wie in der Vergangenheit in der Form der Erfahrung) (vgl. zur Rolle der Standards in diesem Prozeß Lane 1997). Dies ist die Grundlage fur die Beobachtung und im "Entscheidungssystem des Rechtssystems" , die ihrerseits auf Kooperation angelegt sein muß. Dies läßt Raum fur unterschiedliche Verteilungen zwischen öffentlicher und privater Verantwortung, aber etwa ein grundsätzlicher Wechsel zu einer politischrechtlichen Festlegung von Risiken durch Rechtsnormen, die von den technologischen und wirtschaftlichen Beziehungsnetzwerken abgelöst sind, oder gar den "Betroffenen" eine Priorität der Bewertung einräumen, ist mit einer liberalen Rechtsordnung unvereinbar. Eine solche Variante würde, selbst wenn sie sich eindeutiger staatlicher Rechtsformen bedienen würde, sich nicht mehr an individuellen Rechten, sondern an Interessen orientieren. Dies liefe auf nichts anderes als eine Art "negativen Sozialismus" hinaus, der zwar nicht die "wahren" Bedürfnisse

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durch Ausschlußregeln definiert, aber jedenfalls die "falschen" festlegt, ohne zu berücksichtigen, daß für eine liberale Gesellschaft gerade das Akzeptieren von Unbestimmtheit der Zukunft konstitutiv ist. Damit wäre die distributive Ordnung der Gesellschaft, die solche Festlegungen vorab grundsätzlich nicht zuläßt und ihre Regeln mit der auf Innovation und Lernen angelegten Praxis des HandeIns verbindet, außer Kraft gesetzt.

VI. Recht und Konsens - die Anschlußzwänge des Rechts der liberalen Gesellschaft Das Problem des gesellschaftlichen Konsenses über die Zumutbarkeit von Risiken ist damit nicht gelöst. Aber dies konnte auch zu früheren Zeiten nicht durch Recht gelöst werden. Die rechtstheoretische Reflexion der Risikoproblematik kann nur dazu beitragen, daß die mit der funktionalen Differenzierung einhergehenden Anschlußzwänge analysiert, d.h. die Problemverarbeitungskapazität der Institutionen in einer liberalen Gesellschaft und die Konsequenzen des Übergangs zu einem anderen System der Risikobewältigung beschrieben werden. Dies mag man für unbefriedigend halten, aber ich glaube, die These plausibel gemacht zu haben, daß ein prozeduralisiertes, auf Lernfähigkeit angelegtes Recht, nicht an dem Dilemma scheitert, daß hohe Umweltsensibilität mit der Selbstdestruktion der Funktion der Stabilisierung von Erwartungssicherheit erkauft werden muß.

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Die Risiken des Risikorechts Von Rainer Wolf

I. Die Dialektik der Moderne Vor fünfzig Jahren wurde ein vernichtendes Resümee über den Prozeß der Modeme publiziert. Max Horkheimer und Theodor Adorno legten in der "Dialektik der Aufklärung" I dar, daß das Projekt der Modeme keineswegs in Freiheit, Gleichheit, Solidarität und diskursiver Vernunft enden muß, sondern sich in ihr Gegenteil verkehren kann, ohne daß dadurch die wissenschaftlichinstrumentelle, technische und ökonomische Rationalität negiert werden muß. Daß der in diesen Kräften verortete Treibsatz der Modeme umschlagen kann, ging in der Bekämpfung ihrer erklärten politischen Gegner unter. Die diagnostizierten Probleme einer regressiven Entwicklung des Projekts der Aufklärung wurden auf die politische Antinomie zwischen den westlichen Demokratien und den faschistischen Bewegungen reduziert. Die Ambivalenz der Modeme schien in der Alternative des Verfassungsstaates politisch und rechtlich domestizierbar. Vierzig Jahre später holte Ulrich Beck den dunklen Befund der Dialektik der Aufklärung in einer neuen Version in die Theorie der Sozialwissenschaften zurück. 2 Auch bei ihm untergräbt der Prozeß der Modeme seine eigenen Grundlagen und gefährdet damit die Zukunft der Modeme selbst. In der Theorie der "Risikogesellschaft" ist es die Entwicklungslogik der Industriemoderne, die ihre sozialen Strukturen auf dem "Weg in eine andere Modeme" auflöst und durch den Prozeß der Individualisierung eine Erosion der Bindung des einzelnen in gesellschaftliche Klassen, soziale Sthichtung und Familie auslöst, der nicht nur mehr individuelle Freiheit, sondern auch mehr Risiken schafft. 3 Stehen die ehemals als lähmende Fesseln der Individualität betrachteten Keminstitutionen der bürgerlichen Gesellschaft im Zuge der Individualisierung rechtlich und alltagsweltlich zur Disposition, kann sich im Mikrokosmos der sozialen Lebenswelt niemand sicher sein, daß seine engsten identiI 2

3

5 Bora

HorkheimeriAdorno 1947. Beck 1986. Beck 1986.121 ff.

Rainer Wolf

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tätsstiftenden sozialen Bezüge auf Dauer erhalten bleiben. Die sozial organisierte bürgerliche Gesellschaft löst sich auf in lockere Assoziationen multipel austauschbarer Lebensstile. Ein entsprechender Befund wird auch in Bezug auf die natürlichen Lebensgrundlagen gezogen. Werfen Technik und Naturwissenschaften das Joch ab, das die Gesellschaft seit Anfang ihrer Entwicklung unter die blinde Gewalt der Naturkräfte gedrückt hatte, produzieren die freigesetzten Produktivkräfte der Industriemoderne gegenständlich, räumlich und zeitlich kaum mehr eingrenzbare Folgen und Folgefolgen. 4 Die Gesellschaft stellt den sie umgegebenden Makrokosmos ihrer natürlichen Grundlagen zur Disposition. Die Weltrisikogesellschaft bedroht sich und die Natur ubiquitär. Dies gilt nicht nur, weil gesellschaftliche Eingriffe in die Natur das ökologische Bedingungs- und Wirkungsgeruge zu zerstören drohen und damit auch vormals eherne Naturkonstanten wie das Wetter und das Klima zur Disposition stellen, sondern auch und vielmehr weil sie das Differenzkriterium zwischen "natürlich" und "künstlich" aufheben. Eine "natürliche" Natur findet sich nur noch in einigen Rückzugsnischen. Die natürliche Evolution wird von einer gesellschaftlich gestalteten Evolution überlagert. Naturwissenschaften und Biotechnologien sind in der Lage, neue Naturen mit unabsehbaren Folgen zu produzieren. In ähnlicher Weise gilt dies auch rur ökologisch zunächst völlig unbedenkliche Technologien. Die Folgen der Informationstechnologien und ihrer multimedialen Anwendungen erscheinen nicht weniger tiefgreifend, aber umso schwerer mit den vorhandenden Konzepten des Rechtsgüterschutzes greifbar. Daß sich die Gesellschaft "zu Tode zu amüsieren" drohe\ ist eine Diagnose, die, wenn sie denn zuträfe, ohne reaktionskräftige rechtliche Therapie bleiben muß, da sowohl die spezifische Form des inkriminierten Mediendargebotes als auch Art und Umfang des Medienkonsums selbst von höchstrangigen Werten der Verfassung geschützt sind. Erschallt der Ruf, nach "W egen aus der Gefahr" zu suchen, wird schnell bewußt, wie zirkulär Risiken und Therapien miteinander verkoppelt sind. 6 Auch hier besteht die Gefahr, daß die einschlägigen konzeptionellen und instrumentellen Hilfreichungen, zumal wenn sie in Teilbereichen Erfolge aufweisen können, die Substanz der kritischen Analyse überdecken. Die Risikogesellschaft bekämpft das Leitbild der Aufklärung nicht. Ihre Protagonisten verkünden die Risikogesellschaft nicht als politisches Programm. Daher besteht hier nicht das Risiko, daß die gesellschaftskritischen Aussagen der Theorie der Risikogesellschaft auf die Bekämpfung einer bestimmten politischen Programmatik reduziert werden. Die Bewältigung der HerausforderunBeck 1986, 25 tf. , Vgl. dazu Postman 1985, der damit implizit die Kritik von HorkheimeriAdorno (vgl. Fn. I, 128 ff.) an der Kulturindustrie wieder aufnimmt. 6 Vgl. paradigmatisch Beck 1988. 4

Die Risiken des Risikorechts

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gen der Risikogesellschaft verlangt keine Auseinandersetzung mit den politischen Freunden des Risikos, sondern ein Programm eines gesellschaftlichen Strukturwandels, der unkontrolliert freigesetzte Risiken kontrollierbar machen soll. Vielmehr besteht hier das Risiko, daß sich die Versuche, Wege aus der Gefahr in einer parteiübergreifenden Großkoalition zu finden, an Leitbildern orientieren, die der kritischen Analyse nicht gerecht werden. Hier kann zunächst theoretisch viel konsistenter als bei den Versuchen, die "Dialektik der Aufklärung" positiv zu wenden, darauf hingewiesen werden, daß die Kehrseite von Risiken Chancen sind. Mit der Ausfaltung der Risiken ist die Optionen vielfalt der Gesellschaft und damit die Chance zu einer "reflexiven Modernisierung" insgesamt gestiegen.? Es gibt politisch wählbare Alternativen zur Kernenergie, zum motorisierten Individualverkehr, zur landwirtschaftlichen Intensivproduktion. Damit scheint das Menetekel der Risikogesellschaft durch den Ausstieg aus den riskanten Technologien und den Einstieg in die sicheren Alternativen abwendbar. Die Herausforderung der Politik in der Risikogesellschaft kann demnach darin gesehen werden, die Entwicklung der Technik von der Freisetzung der damit verbundenen risikoträchtigen Folgen zu entkoppeln. Bestünde allerdings tatsächlich Aussicht, daß die Strategie des Ausstiegs aus den Risiken in die Sicherheit mit Sicherheit realisiert werden könnte, müßte auch das Konstrukt der Risikogesellschaft als Theoriemodell einer anderen Moderne beerdigt werden. Wären die Risiken der Risikogesellschaft wirklich durch einen Kordon von Sicherheitsgewährleistungen politisch abwendbar, könnte sich die alte Industriemoderne in der Restauration einer neuen biedermeierlichen Sicherheit feiern. Jedoch thematisiert die Theorie der Risikogesellschaft nicht nur die Risiken von Freiheit, sie dekonstruiert Freiheit als Kontingenz. Sie problematisiert daher auch die Optionenvielfalt, die aus Risiken Chancen zu machen verspricht. Insbesondere in der noch viel schärferen Analyse durch Peter Gross werden damit gerade die Optionen zum Problem. So verschatten sich auch die Wege aus der Risikogesellschaft. g Die alternativlose Suche nach alternativen Optionen erweist sich wiederum als risikoreich. Dieser Problemaufriß muß, zumal bei Juristen, grundlegende Einwände provozieren. So kann zunächst darauf verwiesen werden, daß die Welt schon immer voller Risiken steckte und daß es geradezu das Berufsbild des Juristen ausmacht, mit den Folgen des persönlichen Scheiterns, von Unfällen oder Katastrophen schlechthin umzugehen. So gesehen erscheint das Anliegen der Soziologie von Risiken banal und das Theoriekonstrukt der Risikogesellschaft nicht mehr wert zu sein als alle anderen Moden der Propagierung von Bindestrich-Gesellschaften auch. Allerdings stellt die soziologische Beschäftigung 7

g

5*

Vgl. dazu Beck/Giddens/Lash 1996. Grass 1994.

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mit Risiken das persönliche Scheitern gerade nicht in das Zentrum ihrer Theoriebildung. Insoweit ist auch die Frage müßig, ob das Leben in der modemen Gesellschaft für den einzelnen riskanter geworden ist. Sie thematisiert auch nicht das Ausgesetztsein gegenüber unberechenbaren Naturkatastrophen. Ihr Interesse gilt vielmehr den gesellschaftlich gesetzten Risiken und ihren kollektiven Folgen. Die Soziologie der Risiken begreift die Umweltzerstörung nicht nur als Folge gesellschaftlicher Eingriffe in ökologische Systeme, sondern als gesellschaftliche Selbstgefährdung durch Gefährdung ihrer biophysischen Lebensgrundlagen. Und sie verortet die dafür verantwortlichen Faktoren nicht in Fehlfunktionen, sondern in den Strukturen, die gerade den Erfolg der Moderne ausmachen. Die Theorie der Risikogesellschaft problematisiert daher die Fähigkeit der Gesellschaft zur Zukunftsvorsorge. Ihr läßt sich im weiteren auch nicht entgegenhalten, daß dem Risikobegriff kein normativer Wert zukomme. 9 Sicherlich beantwortet die versicherungsmathematische Definition des Risikos als Produkt von Schadensumfang und Eintrittswahrscheinlichkeit nicht die Frage nach der Zumutbarkeit von Risiken. Der quantitative Risikobegriff taugt in der Tat nicht als Rechtsbegriff und hat hinter rechtsnormativ aussagefähigeren Instituten wie Gefahrenabwehr oder Vorsorge zurückzutreten. Mit beiden versucht das Recht in doppelter Weise Sicherheit gegenüber den Ungewißheiten und Unwägbarkeiten zu gewinnen: Sicherheit als Rechtsgütersicherheit im Sinne von Schutzgewährleistungen für die betroffenen Rechtsgüter und Sicherheit als Rechtssicherheit für die Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit des Rechts als Entscheidungssystem selbst. Die Theorie der Risikogesellschaft thematisiert in ihrer auf Technik und Umwelt bezogenen Dimension nicht nur eine quantitative Zunahme von Risiken, sondern stellt zumindest implizit das Leitbild der Sicherheit grundsätzlich in Frage. Der Gegenbegriff zum Risiko ist nicht die Gefahr, sondern die Sicherheit. Vermag das Recht die Institutionen der Sicherheit nicht mehr gegenüber den ubiquitär werdenden Risiken zu stabilisieren, ist die Antiquiertheit einer basalen Bedingung und Grundfunktion des modemen Rechts angesprochen. Die Theorie der Risikogesellschaft berührt damit das für moderne Gesellschaften konstitutive Grundverhältnis von Freiheit und Sicherheit.

11. Die Erosion der Sicherheit Das Bedürfnis nach Sicherheit ist eine anthropologische Grundkonstante.\O Gleichzeitig war jedoch schon immer das individuelle Bemühen um Sicher9

\0

Di Fabio 1994, 110. Kau/mann 1973, 11 ff.

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heit ebenso wie das Streben nach Glück ein Projekt der Imperfektion. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die praktischen Hürden, die ihrer Perfektionierung entgegenstehen, sondern vielmehr auch in Bezug auf die Konnotationen von Sicherheit und Freiheit. Freiheit setzt Handlungsoptionen voraus und die Möglichkeit der Wahl impliziert Risiken. I I Die individualisierte privatautonome Lebensgestaltung birgt "riskante Freiheiten". 12 Individuelle Freiheit inkludiert jedoch nicht nur das persönliches Risiko, sie legimitiert es auch. Das Risiko des Scheiterns ist die komplementäre normative Bedingung der Freiheit. Für sein Handeln und sein Scheitern ist unter der Prämisse der Autonomie jeder nur sich selbst verantwortlich. Private Risiken bleiben in der modernen Gesellschaft daher solange rechtlich irrelevant, als sie als individuelle Folgen privatautonomer Entscheidungen betrachtet werden können, die auf den Entscheider selbst zurückfallen. Nach dem Konzept der Selbstverantwortung laufen Ansprüche auf Schutz vor den Folgen der eigenen Handlungen nicht nur faktisch mangels Schutzverpflichteten leer, sondern müßten auch als Rückfall in das Beziehungsmuster der Abhängigkeit gegen Fürsorge betrachtet werden. Der Markt ist die Institution, die individuelle Fehlkalkulationen aufdeckt, ihre Folgen als Verluste auf die jeweiligen Akteure zurückführt, damit die Risiken individuellen Scheiterns sozial eingrenzt und zudem irrtumsanfallige Einzelentscheidungen der Individuen zur optimalen Allokation von Ressourcen verbindet. Die "invisible hand" optimiert die Summe individueller Irrtümer zum allgemeinen systemischen Nutzen. Allerdings ist das Marktmodell nicht weniger voraussetzungsvoll als ohne diese Voraussetzungen funktionsunfahig. Die "invisible hand" des Marktes bedarf der "sichtbaren Hand des Rechts".13 Risiken können externalisiert werden. Schlechte Produkte schaden nicht den Produzenten und Verkäufern, sondern den Käufern. Nicht der Schuldner, sondern der Gläubiger lebt riskant. In der Zuordnung von Risiken und damit in der Garantie von Schutz vor externalisierten Risiken liegt eine Zentralfunktion des Rechts. Die Rechtsinstitute des Privatrechts ziehen eine erste Trennlinie zwischen legitimen Risiken und illegaler Risikoexternalisierung, sie konstituieren Verantwortung und erzeugen durch diese Markierungen Sicherheit. Das zivilrechtliehe Rechtsgeschäft garantiert die Sicherheit eines Anspruchs, die Zivilgerichtsbarkeit seine Erfüllung. Verträge schaffen Sicherheit, auch wenn diese "Sicherheit in einem Meer von Nichtwissen"14 schwimmt. Jenseits dieser Garantiefunktion lizen~ siert das Privatrecht die Risiken der Privatautonomie. Danach wird das Risiko 11 Vgl. Grimm 1986,38 f1.; Denninger 1988,1 ff.; Waechter 1988,393 ff.; Hohmann 1988, 589 ff. 12 Beck-GernsheimlBeck 1994. 13 Alestmäcker 1978, 104 ff. 14 Luhrnann 1992, 188.

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auf denjenigen gelenkt, der riskante wirtschaftliche Entscheidungen fallt und entsprechende Verträge eingeht. Erst dann lebt nicht mehr der Gläubiger, sondern der Schuldner riskant. Insoweit ist das Schuld- und Deliktsrecht ein Prototyp eines Rechts, das sich um Risikoausgleich bemühe 5 und gleichzeitig dadurch Sicherheit schafft, daß es regelt, wer die Risiken zu tragen hat. Die Symbiose der unsichtbaren Hand des Marktes und der sichtbaren Hand des Zivilrechts setzt allerdings voraus, daß dieses selbst wiederum in ein System öffentlicher Gewährleistungen eingebettet ist, das mehr gewährleistet als die Marktfunktionen der privaten Allokation und ihre privatrechtlichen Annexinstitute gewährleisten können: öffentliche Sicherheit. Das Militär sichert die bürgerliche Gesellschaft gegenüber Interventionen v~m außen, die Polizei schützt vor krimineIIen Handlungen, der Feuerwehr obliegt der Brandschutz, die Gesundheitsvorsorge verhindert die Verbreitung von Epidemien, kurz: der Staat garantiert die innere und äußere Sicherheit durch einen präventiven Kordon öffentlicher Gewährleistungen. Sie übernehmen Schutzfunktionen, die sich im Modell des Privatrechts nicht hinreichend gewährleisten lassen. Prävention impliziert Überwachung und vorverlegte Eingriffsbefugnisse. Obwohl damit bereits implizit eingestanden wird, daß öffentliche Sicherheit latent bedroht ist, scheint diese Bedrohung jedoch hinnehmbar, da der moderne Staat über eine wirksame Ressource verfUgt, mit der sich ein Umschlag von latenten Risiken in manifeste Störungen mit Sicherheit abwehren läßt: das Gewaltmonopol. 16 Gerade in dieser Ressource liegt allerdings wiederum eine ernste Gefahr fur die Freiheit der bürgerlichen Gesellschaft. In der Entkoppelung der sicherheitsstiftenden Funktion des Gewaltmonopols von seinen potentiell freiheitsbedrohenden Folgen, die eingreifendes staatliches Handeln auf rechtsdogmatisch disziplinierbare Maßnahmen zur Gefahrenabwehr begrenzte, liegt die große Leistung des Rechtsstaates. 17 Er erlaubt nicht staatliche Prävention schlechthin, sondern verpflichtet sie auf die Abwehr von Gefahren, die sich soweit verdichtet haben, daß sie ohne weiteres Zutun zu konkreten Schäden fuhren würden, deren Kausalnexus feststeht und fUr deren Entstehen polizeipflichtige Störer identifiziert sind. Die präventive Aktualisierung des Gewaltmonopols wird auf punktuelle Eingriffe beschränkt. Prävention jenseits dieser Eingriffsmechanik ist unzulässig. Die Staatsfunktion der Gefahrenabwehr variiert damit das Thema von Freiheit und Sicherheit. Durch die Konzentration auf Gefahrenabwehr kann der Rechtsstaat Freiheit vor beliebigen präventiven staatlichen Eingriffen garantieren und gleichzeitig Sicherheit verbürgen. Weil damit das öffentliche Recht die Ausübung staatlicher Prävention 15 16 17

Damm 1996, 114. Vgl. dazu paradigmenbildend Weber 1972,29. So auch Di Fabio 1994,27 ff.

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an Regeln bindet, die sowohl materielle Sicherheit für die Rechtsgüter als auch Berechenbarkeit der staatlichen Gefahrenabwehr selbst gewährleisten, schafft die Rechtsordnung noch eine Sicherheit höherer Ordnung, indem sie Sphären riskanter Freiheit und Sphären gewährleisteter Sicherheit konstituiert: Rechtssicherheit. Der Schutz der Freiheit ist damit die "verfassungsrechtliche Basis von Sicherheit,,18. Die operative Trennung von öffentlicher Sicherheit und sozial akzeptablen Risiken ist mit dem rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip zur Dekkung gebrache 9 , das den Grundzusammenhang von staatlichem Eingriff und individueller Freiheit ausdrückt. Die als vorgängig gesetzte Freiheit macht staatliche Eingriffe begründungsbedürftig. Dies ist normative Basis des Rechtsstaates. Die Durchsetzbarkeit staatlicher Eingriffe sichert das Gewaltmonopol. Es ist die Machtbasis seiner Herrschaftsfunktion. Deren kognitive Basis besteht wiederum in der Herausbildung der "Herrschaft kraft Wissen,,20. Der Staat benötigt abstraktes Wissen darüber, wie Gefahren entstehen können, um sie präventiv bekämpfen zu können und benötigt konkretes Sachverhaltswissen, um Störer identifizieren und Maßnahmen zur Gefahrenabwehr abwägen zu können. In der Verläßlichkeit des selektiven Mechanismus, Freiheit mit ihren spezifisch individuellen Risiken zu gewährleisten und Rechtsgüter durch berechenbare Ordnungsleistungen zu sichern, beruht die Sicherheitsfunktion des modernen Rechts. Es erkennt die Risiken des privaten Scheitems ebenso an und setzt sie frei, wie es die Auswirkungen der Risiken individuellen Handelns auf Dritte und die Allgemeinheit begrenzt, kanalisiert und unterbindet. Damit ist gleichzeitig die individuelle Freiheit respektiert. Trotz allem kann dies nicht mehr als ein Kompensationsversuch für das Leben mit Risiken sein. Die rechtsstaatliche Sicherheitsgarantie liegt nicht im präventiven Ausschluß aller Risiken, sondern in der Garantie des Schutzes vor der Externalisierung von Risikofolgen zu definierten Abwehr- und Kompensationsregeln. Das basale Medium der Freiheitssicherung ist das Recht. Die Konfliktlagen des Rechtsstaates sind normative Konflikte. Sie kreisen um das Spannungsverhältnis von individueller Freiheit und staatlichen Ordnungsleistungen. Durch diese beiden Spannungspole wird der Rechtsstaat jedoch auch im Hinblick auf seine internen Justierungen stabilisierbar. Die Differenz von öffentlicher Sicherheit und privatem Risiko wird so zu einer Grundprämisse des Rechts der bürgerlichen Gesellschaft. 21 In ihr sind zwei Ebenen von Verantwortung

18 GlISY 1995, 579.

Vgl. dazu Schmitt 1993,126. Weber 1972, 129; vgl. dazu mit Bezug auf den Umweltschutz Wolf 1988, 164 ff. 21 Vgl. dazu auch Prellß 1989, 3 ff. 19

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konstituiert: Verantwortung Privater für die Risiken ihrer Freiheit und staatliche Verantw0l1ung für die öffentliche Sicherheit. Sicherheit ist damit kein universelles Prinzip deI" Modeme, sondern ein dezidiert pol itisches Projekt, das in einem engen funktionellen Zusammenhang mit der Entfaltung der Garantien des Rechts und des Rechtsstaates steht. In Bezug auf diese Funktion sieht das Recht keine legale Form des staatlichen Scheiterns vor. Zwar kann die öffentliche Sicherheit empfindlich gestört werden, es gehört jedoch zu den Funktionsprämissen des staatlichen Gewaltmonopols, daß die öffentliche Sicherheit, wenn sie schon nicht präventiv geschützt, so doch repressiv wiederhergestellt werden kann. Die Rückkehr zum status quo an te beruht auf der Annahme, daß Störungen zumindest insoweit reversibel sind, daß eine Wiederherstellung der Rechtsordnung möglich ist. 22 Während irreversible Schädigungen einzelner Bürger im Einzelfall nicht ausgeschlossen sind, müßte ein dauerhaftes Scheitern der Wiederherstellung öffentlicher Sicherheit im Untergang der rechtsstaatlichen Ordnung und der Auflösung des Gewaltmonopols in Anarchie oder Etablierung eines neuen Systems autoritärer politischer Herrschaft enden. 23 Dieses Muster rechtsstaatlicher Freiheit und rechtsstaatlicher Ordnung hat sich bereits im 19. Jahrhundert unter dem Gesichtspunkt sozialer Gerechtigkeit als defizitär erwiesen. Die Allokationsfunktion des Marktes optimiert die Verteilung der Ressourcen, aber sie polarisiert deren Benefiziare. Sie trennt nicht nur die Erfolgreichen von den Erfolglosen, sondern erzeugt und verfestigt Strukturen der sozialen Disparität, die unabhängig von Leistung ungleiche Lebenschancen zuweisen. Die soziale Differenzierung in arm und reich wird flankiert durch weitere Schübe an Externalisierungen. Das System der Erwerbsarbeit hinterläßt Risiken fiir alle diejenigen, die aus ihm ausscheiden oder von ihm ausgeschieden werden. Der Sozialstaat enthält das Programm, die disparitäre Einkommens- und Vermögensentwicklung in kapitalistischen Marktwirtschaften von der Polarisierung ihrer Folgen für existentielle Fragen der Lebensgestaltung zu entkoppeln. Die Systeme sozialer Sicherung stellen den Versuch dar, das dominante Struktunnuster der lohnabhängigen Erwerbsarbeit von den Folgen des Verlustes der Erwerbstätigkeit zu trennen. Der Sozialstaat verspricht nicht Sicherheit vor Arbeitslosigkeit, Krankheit und altersbedingter Erwerbsunfahigkeit, sondern knüpft an diese Tatbestände ein rechtsverbürgtes Netz ökonomischer Sicherungen. Risiken, die aus dem lizensierten Risikobereich der selbst zu verantwortenden Schädigung fallen, aber auch nicht einem Fremdverschulden anzulasten sind, sondern zu den systemischen Risiken der modernen Gesellschaft gehören, sollen durch die InstiSo auch Wah IIAppe I 1995, 29. Aber auch hier bleibt der Weg zurück grundsätzlich ausgeschlossen. 22

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rechtsstaatliche Verhältnisse nicht

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tut ionen der "Versicherungsgesellschaft"24 aufgefangen werden. Durch die Leistungen der Kranken-, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung werden nicht die Ursachen des Ausfalles des Erwerbseinkommens bekämpft, sondern seine Folgen ökonomisch kompensiert, indem das Recht des Sozialstaates geldförmige Leistungen flir den dauerhaften oder zeitweiligen Ausfall der Erwerbstätigkeit garantiert. Daß soziale Sicherheit gewährleistet werden kann, setzt zunächst die Existenz von Netzwerken sozialer Sicherung voraus. Soziale Vorsorge benötigt daher einen langen institutionellen Vorlauf. Sie ist verfahrens- und organisationsabhängig. 2s Die Logik des punktuellen Eingriffs polizeirechtlicher Gefahrenabwehr transformiert sich damit in ein Vorsorgesystem institutionalisierter Dauerrechtsverhältnisse. 26 Die Erflillung der Leistungsansprüche gegenüber den Sozialversicherungen und anderen Trägern des Sozialstaates kann das staatliche Gewaltmonopol nicht garantieren, sondern hat vielmehr die finanzielle Leistungsfähigkeit der Sozialhaushalte zur Voraussetzung. Die Garantiefunktionen sozialstaatlicher Sicherheit fokussieren sich damit auf ein anderes Steuerungsmedium: Geld. Durch den Einsatz des Steuerungsmediums Geld kann der Sozialstaat die Allokationseffizienz des Marktes von ihren sozial polarisierenden Folgen entkoppeln. Gelingt dies, scheint in der Tat dann durch die Verlagerung auf Aufgabenerflillung im Rahmen der Daseinsvorsorge, die der "Polizei nicht mehr bedarf', "der Staat an Evidenz verloren" zu haben 27 , wenn man ihn denn auf eine hoheitliche Eingriffsreserve zur Gewährleistung von öffentlicher Sicherheit reduziert. Entsprechend scheint sich die Rolle des "Wohlfahrtsverwaltungsrecht"28 von einem freiheits schützenden Eingriffsabwehrrecht zu einer Zuteilungsordnung zu entdramatisieren. Zu den Funktionsbedingungen des Sozialstaates können seine Systeme sozialer Sicherung in Anspruch nehmen, Sicherheit zu gewährleisten. Allerdings enthält der Sozialstaat im Vergleich zum System rechtsstaatlicher Freiheitssicherung eine wesentlich dynamischere Agenda. Während diese unter einem permanenten Druck steht, Freiheit und Eingriff auf jeweils neue Level der Ausgewogenheit zu stabilisieren, ist der Kanon der Freiheitsrechte- sieht man von der Entdeckung eines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung einmal ab - in den letzten Jahrzehnten erstaunlich konstant geblieben. Die Möglichkeiten, soziale Disparitäten zu entdecken, scheinen dagegen ebenso unbegrenzt wie die Potentiale der gesellschaftlichen Entwicklung, immer neue soziale Verwerfungen zu produzieren. Das Sozialstaatsprinzip enthält ein infiniEwald 1989, 385 ff. Grimm 1991, 170. 26 Grimm 1991, 171. 27 Forsthoffl971, 159. 28 Franßen 1992, 350 ff. 24

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tes Programm, das der Gesetzgeber ausgestalten muß. Wenn der Sozialstaat daher eine konzeptionell nicht abschließend bestimmbare Agenda enthält, werden damit zum einen seine Sicherheitsversprechen kontextabhängig, zum anderen erscheint seine normative Konstruktion anders als die des Rechtsstaates nicht mehr durch interne rechtliche Mechanismen justierbar. Seine Grenzen sind extern definiert: durch die Verfügbarkeit von Geld. Sie präformiert die Entscheidung des Gesetzgebers, welches Niveau an sozialer Sicherheit verbürgt werden soll. Das Recht wirkt dagegen erst als sekundäre Verteilungsund Zuteilungsregel, die die gerechte Auferlegung von Lasten und die Verteilung von Leistungen steuert und kontrollierbar macht. Da auf Dauer die Funktionsfahigkeit sozialstaatlicher Leistungssysteme nur zu gewährleisten ist, wenn Beitragsautkommen und Leistungsverpflichtungen kompatibel gehalten werden können, enthält die soziale Sicherheit eine noch wesentlich voraussetzungsreichere AufgabensteIlung als die Garantie von öffentlicher Sicherheit. Geld ist keine Ressource, über die der Staat autonom verfugen kann, er muß es aus der Wirtschaftsgesellschaft abschöpfen. Wachstumsvorsorge wird so zur impliziten Voraussetzung der Daseinsvorsorge. 29 In dem Maße, in dem sich das Geld als knappe Ressource erweist, redramatisieren sich die Anforderungen an das Recht. Es muß Verteilungsgerechtigkeit bei der Zuordnung von Abgabenlasten und der Zuteilung von Leistungen unter den prekären Bedingungen des Mangels und unter dem Menetekel gewährleisten, das "der Sozialstaat selbst zum Sozialfall"30 werden kann. Die Institutionen sozialer Sicherheit sind damit Risiken ausgesetzt, die zwar systemisch erzeugt werden, aber nicht in dem systemeigenen Bedingungs- und Wirkungsgefuge der sozialstaatlichen Agenda reguliert werden können. Die Systeme sozialer Sicherungen müssen sich diesen extern produzierten Turbulenzen reaktiv und passiv anpassen. Soziale Sicherheit zu gewährleisten, ist damit ein voraussetzungsreiches und verletzliches Projekt. Scheitert der Sozialstaat, ist damit ein tiefgreifender Strukturwandel der Gesellschaft in die soziale Polarisierung verbunden. Die Markierungen zwischen staatlich garantierter Sicherheit und privaten Risiken verschieben sich. Gleichwohl ist auch diese Verschiebung nicht schlechthin irreversibel. Das Motiv der Sicherheit liegt auch programmatisch dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zugrunde. Der Umweltstaat ist mit der Herausforderung konfrontiert, das Programm der rechts- und sozialstaatlichen Entkoppelungen auf die Entkoppelung der wirtschaftlichen Entwicklung von einem dazu linearen Verbrauch der ökologischen Ressourcen zu erweitern. 3) In seinem Zentrum stehen nicht mehr Individualrechte, sondern ökologische Kollektiv29 30 3)

Vgl. dazu Badura 1977, 17 ff. Isensee 1982, 365. von Weizsäcker 1990, 142.

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güter. Und damit erhöht sich die Störanfi:illigkeit. "Je öffentlicher das Rechtsgut, je größer die Zahl möglicher Einwirkender und je breiter die Alternativen ihrer Handlungsmöglichkeiten im Hinblick auf das Rechtsgut sind, desto höher ist notwendig die Risikobehaftung des Rechtsgutes".32 Der Begriff der Risikogesellschaft bezeichnet ein Stadium der Entwicklung, in dem die Externalisierung von Risiken zu einer endemischen gesellschaftlichen Krise wird. 33 Risiken werden räumlich und zeitlich so nachhaltig externalisiert, daß sie sich insbesondere bei anderen Personen, in anderen Regionen und für andere Generationen realisieren. Opfer riskanter Entscheidungen werden damit in der Regel andere Personen als die Produzenten dieser Entscheidungen. 34 Risiken realisieren sich schließlich in Systemen, die nur noch die Umwelt zu dem Schadwirkungen produzierenden System bilden. Dies führt im Falle der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen zu Folgen, die mit den systemeigenen Regelungsmustern gar nicht mehr erfaßt werden können und damit um so weniger vorhersehbar auf das System zurückwirken. Für die Umweltrisiken gilt das polizeirechtliche Trennmodell von öffentlicher Sicherheit, Gefahr und Störung nicht. Die Umwelt ist nicht "intakt", der Naturhaushalt ist chronisch belastet, auch ohne daß daraus flächendeckende Symptome akuter Krisen erkennbar werden. Die Störung der ökologischen Bedingungs- und Wirkungszusammenhänge durch "schleichende Katastrophen"JS gehört zur Normalität und nicht zum Ausnahmezustand. Anders als der Einsatz des Gewaltmonopols der Polizei konzentriert sich die präventive Intervention zum Schutz der Umwelt nicht auf punktuelle Maßnahmen, sondern wird zum Dauerzustand. Und anders als die die Risiken des Verlusts der Erwerbsarbeit auffangenden Netzwerke sozialer Sicherheit reagiert die Vorsorge zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nicht auf Nebenfolgen der modernen Erwerbswirtschaft, die sich zunächst in individuellen Betroffenheiten niederschlagen und dann in ihrer Kumulation zu kollektiven Problemen werden, sondern auf Belastungen von kollektiven Gütern, die in gewissen Belastungsspitzen individualisierbare Folgen haben können. Daher sind die ökologischen Kollektivgüter nicht so sehr durch akute und singuläre Eingriffe als vielmehr durch permanente Inanspruchnahmen und chronische Belastungen gefahrdet. Die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen entzieht sich der Trennungslogik von privaten Risiken und öffentlicher Sicherheit. Risikobelastet sind nicht die privaten Lebensentwürfe, sondern die ökologischen Kollektivgüter. Und über deren Tragekapazitäten und Toleranzgrenzen gegenüber Belastungen und Eingriffen weiß die Gesellschaft weniger 32 Gusy 1996,579. 33 V gl. insoweit auch Luhmann 1991, 111. '4 , Luhmann 1991, 146. 35 Vgl. dazu Böhret 1990.

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als sie wissen müßte. Die ökologische Krise entwickelt sich nicht nur schleichend und endemisch, sie ist nach dem Befund der Ökologie bereits in Gang gesetzt. Dadurch kehrt sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis der Intervention um. Die umweltstaatliche Regulation wird allgegenwärtig. Damit ist auch das Schema der öffentlichen Sicherheit als Muster der Normalität und der Störung der öffentlichen Sicherheit als punktueller Krisenzustand gegenstandslos geworden. Die Realisierung ökologischer Risiken gehört zur Normalität der Risikogesellschaft. Versagen Rechtsstaat und Sozialstaat als realitätsmächtige Leitbilder, führt dies nicht zu einer Auflösung von Politik und Gesellschaft, sondern zu einem Wandel in Systeme autoritärer Herrschaft oder sozialer Polarisierung. Versagt der Umweltstaat, bleiben die sozialen Systeme zunächst unberührt. Jedoch kann die Zerstörung der natürlichen Umwelt unvermittelt zu einem Systemabsturz führen, wenn ihm die natürlichen Lebensgrundlagen nachhaltig und irreversibel entzogen werden. Rechts- und Sozialstaat können sich als politische Systemkonfigurationen von Rückschlägen durchaus erholen, die Schutzgüter des Umweltstaates tolerieren dies weit weniger. Jeder irreversible Eingriff in die Natur schmälert die Handlungsbasis des Umweltstaates. Das Postulat der Vermeidung von Irreversibilitäten steigert die Anforderungen an die Risikovorsorge ins Unermeßliche. Versteht man Sicherheit als Abwesenheit von Gefahren und Risiken 36 , muß der Umweltstaat, um solche irreversiblen Schädigungen der natürlichen Lebensgrundlagen zu vermeiden, nicht nur seine Potentiale zur Erkennung von Risiken schärfen und die Agenda der Risikovorsorge ausdehnen, sondern auch die Treffsicherheit seiner Maßnahmen optimieren. Während nämlich das Sicherheitsversprechen des Polizeirechts zwar nicht in jedem Fall für den einzelnen Geschädigten, aber doch rur die Gesellschaft insgesamt gehalten werden kann, muß das Eingeständnis, daß Risiken ftir ökologische Kollektivgüter zwar verringert, aber nicht gänzlich präventiv ausgeschlossen werden können, das Leitbild der Sicherheit unterminieren. Scheitert die Vorsorge gegenüber ökologischen Risiken, so gibt es bei irreversiblen Eingriffen in die Natur kein Netz, das analog zu den sozialstaatlichen Sicherungen, die Schadensfolgen ftir ökologische Kollektivgüter auffangen oder kanalisieren könnte. Besteht Umweltschutz im wesentlichen auf "Technikkontrolle durch Technik"37, ist nicht weniger verlangt als die Gewißheit, die ökologischen Folgen der Technik so beherrschen zu können, daß irreversible Risiken ausgeschlossen werden können.

36 Isensee 1983, 26; Kaufmann 1973, 10. 31

Wolf 1987, 365.

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Ein auf Sicherheit orientiertes Recht in der Risikogesellschaft müßte dann seine kognitiven und normativen Potentiale so schärfen, daß es gleichzeitig die Risikogesellschaft als Gesellschaftsdiagnose gegenstandslos machen würde. Akzeptiert man umgekehrt die Gegenthese, daß die Sicherheitsversprechen, die die moderne Rechtsordnung bisher geprägt haben, nicht mehr in der bisherigen Form eingelöst werden können, gerät das Konzept des "Sicherheitsrechts" in seiner Doppelfunktion als Recht materieller Sicherheitsgarantien und der Rechtssicherheit in die Krise. J8 Erwartungen an die Bestimmungskraft des Rechts müssen zurückgenommen werden. J9 Sicherheit wäre im Zeichen der Risikogesellschaft nicht nur ein kontrafaktischer Begriff, sondern auch ein antiquiertes Postulat. Wird dagegengesetzt, Sicherheit könne nicht verabsolutiert, sondern müsse als relativ betrachtet werden, ist damit gleichzeitig auch zugegeben, daß die Kategorie der Sicherheit an die Grenze ihrer Aussagefähigkeit gekommen ist. Damit schwindet aber die Orientierungskraft des Leitbildes, das für die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft nicht weniger prägend war als das der Freiheit. Ein "Grundrecht auf Sicherheit" erscheint im Kontext der wissenschaftlich-technischen Entwicklung als ein Postulat, das nur um den Preis der Entkernung seines Wesensgehaltes realisierbar ist. 40

III. Die Risiken des Wissens Wenn Vorsorge als "die juristische Antwort auf die fortschreitenden Erkenntnisse über die Wirkungszusammenhänge schadensauslösender Ursachen und auf die fortschreitenden Erkenntnisse über die Möglichkeiten der Schadensverhinderung"41 bezeichnet wurde, verweist dies darauf, daß die Probleme des Rechts mit der Risikogesellschaft nur bedingt hausgemacht sind. Das Recht ist das basale Steuerungsmodul des Rechtsstaates. Die primäre Steuerungsressource des Sozialstaates ist das Geld. Vorsorge gegen die Risiken der Risikogesellschaft basiert auf Wissen. Zeitlich, räumlich und gegenständlich aus den Wahrnehmungsformen der Alltagswelt herausfallende Risiken forcieren die kognitiven Voraussetzungen der Vorsorge. Wissenschaftliches Wissen ist Grundlage der Risikoerkennung, es dominiert die Strategien der Risikovorsorge. "Informationsvorsorge"42 ist nicht nur die kognitive Voraussetzung der Umweltvorsorge, sondern aller Maßnahmen der Technikkontrolle schlechthin.

>8 V gl. Waechter 1988, 393 ff. '9

J

V gl. auch Zacher 1993, 112.

40 So etwa bei lsensee 1983, 41 f. 41 Ritter 1987, 933. 42 Pitschas 1989, 800.

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Wissen wird damit zum zentralen Medium der Problembewältigung in der Risikogesellschaft. Umweltrecht ist bisher zu allererst Informationstransferrecht gewesen. Es verknüpft seine Interventionsschwellen mit den kognitiven Potentialen der Umweltwissenschaften. Dazu bedient sich das Recht adaptiver Mechanismen in Form von Verweisungen auf den Stand der Technik oder den Stand von Wissenschaft und Technik. Es normiert sodann Informationsrechte und Informationspflichten gegenüber dem Staat und zwischen den gesellschaftlichen Akteuren. Wo das Wissen als zentrale Ressource des Umweltschutzes prekär wird, infiziert es auch das Recht. Die Umweltpolitik kann über ihr zentrales Steuerungsmedium nicht in ähnlicher Weise verfügen wie über die Produktion von Recht. Anders als für die Rechtsproduktion besitzt der Staat kein Monopol in der Wissensproduktion. Ökologisches Wissen ist gleich dem Steuerungsmedium Geld keine Ressource, die der Staat nach Belieben vermehren könnte. Er muß es aus Wissenschaft, Technik und Wirtschaft akquirieren. Und er kann es aus diesen gesellschaftlichen Residuen nicht in ähnlicher Weise hoheitlich abschöpfen wie das Geld. Der Umweltstaat ist auf kooperatives Handeln angewiesen. Damit steigen die Anforderungen an die "Herrschaft kraft Wissen". Zudem gilt auch der sozialstaatliehe Zusammenhang zwischen Geld und Recht nicht. Mehr Wissen muß keineswegs von den rechtlichen Entscheidungsproblemen entlasten. Anders als beim sozialstaatlichen Medium Geld lösen sich beim Medium Wissen mit dem Wachstum dieser Ressource nicht notwendigerweise die normativen Probleme. Mehr Wissen muß nicht mehr Gewißheit implizieren, sondern kann auch zur Entdeckung immer weiterer ungelöster Fragen führen. Durch die "Explosion des Nichtwissens,,43 und die Entdeckung von Ungewißheiten im Wissen kommt die "Herrschaft kraft Wissen" ins Trudeln. Mehr Wissen kann auch bewußt machen, auf welch ungesicherten Annahmen die Formulierungen von Meßverfahren, Grenzwerten, Umweltqualitätszielen oder Modellen ökosystemarer Zusammenhänge beruhen. Je komplexere Probleme von naturwissenschaftlichen Risikoanalysen zu bearbeiten sind, desto manifester werden sie mit den epistemischen Grenzen der Folgenabschätzung konfrontiert, die wissenschaftlichen Erkenntnisse könnten sich wieder einmal als unzureichend erweisen. Die für die Moderne kennzeichnende schier grenzenlose Steigerung von Rationalität durch Verwissenschaftlichung, Technisierung, Bürokratisierung und Verrechtlichung führt zum paradoxen Befund "der Rückkehr der Ungewißheit in die Gesellschaft,,44.

43 44

Denninger 1992, 131. Bonß 1993, 20.

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Umgekehrt wird auch das Nichtwissen rechtlich relevant. 4s Ungewißheiten können nicht schlechthin ignoriert, Unwägbarkeiten können nicht mehr als Auslösungstatbestände für Maßnahmen zur Gefahrenvorsorge irrelevant ausgegrenzt werden. Nimmt man den Befund von der "Explosion des Nichtwissens" ernst, muß sowohl das Vertrauen in Entscheidungsmuster, die ein allgemeingültiges, zeitloses und inkremente 11 ständig verbesserbares Wissen unterstellen, zurückgenommen werden. Verstärkte Anstrengungen nach dem Muster des "Mehr von demselben" laufen in der Risikogesellschaft leer. Infiziert mit Ungewißheit können rein quantitative Aufrüstungen mit mehr Recht, mehr Staat und mehr Wissen den Erosionsprozeß der Sicherheit nicht umkehren. Das Recht ist durch seine Verkoppelung mit Wissenschaft und Technik damit an einen Garanten gebunden, "der explizit Sicherheit nicht einmal versprechen, geschweige denn einlösen kann,,46. Ist das Wissen über ökologische Zusammenhänge notorisch mit Unsicherheit infiziert, kann die Wissenschaft die ihr von der modernen Gesellschaft zugeschriebene Rolle des Sicherheitsgaranten nicht erfüllen. Vielmehr zerfallen ihre Erkenntnisse in bedrohlich kurze Halbwertzeiten und mit jedem Erkenntniszuwachs steigt nicht nur das Wissen, sondern gleichzeitig auch das Wissen um den Umfang des Nichtwissens. Damit versiegen die Kanäle, aus denen sich das Recht seine Infusionen an Gewißheit verschafft hat, wo und wann Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erforderlich sind, und über die es andererseits Rechtssicherheit an die Gesellschaft zurückgeben konnte. Wissen ist für den Umweltstaat in mehrfacher Hinsicht eine problematische Ressource. Es steht in einem ambivalenten Zusammenhang zur Risikogesellschaft: Als Quelle von naturbeherrschender Technik ist es einerseits der Motor der Risikoproduktion; andererseits fungiert es in der Risikoanalyse als Medium für die Prävention von Risiken. Wissen ist der entscheidende "Vorsorgefaktor"47 des Umweltschutzes und ist doch zu knapp und zu unsicher, um darauf vertrauen zu können, seine stetige Entwicklung könne für den Schutz der Umwelt ausreichen. Einerseits gibt es zur Vertiefung des Wissens und zum Schließen der Lücken zwischen Wissen und Handeln keine vernünftige Alternative. 48 Denn eines ist gewiß: "Was wir nicht erkennen können, das können wir auch nicht steuern.,,49 Für unerkannte Schadstoffe gibt es keine Umweltstandards. Daher bleibt das Wissen die zentrale Voraussetzung der Risikovorsorge. Insoweit steht die Politik in der Verantwortung, die kognitiV gl. dazu Murswiek 1990, 210 ff. Preuß 1989, 12. 47 Hilfen 1989, 165. 48 So auch Preuß 1989, 25. 49 Murswiek 1990, 227.

4S

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ven Voraussetzungen für die Bewertung von Risiken ständig zu verbessern. so Daher gehört die Erforschung von Risiken zu seinen Regelungsobliegenheiten, wenn er die Rechtsgrundlagen für riskante oder in ihren Folgen noch nicht absehbare Projekte, Produkte oder ganze Technologien schafft. Doch gewiß ist andererseits auch, daß das verfügbare Wissen notorisch unzulänglich ist und daß damit die wissenschaftlichen Bezugnahmen des Umweltrechts nicht ohne Risiko beanspruchen können, auf Dauer verläßliche Entscheidungsmarkierungen gesetzt zu haben. Wenn zugleich mit der Einsicht in die Unmöglichkeit der sicheren Beherrschung von Technikfolgen das Wissen um die Ungewißheiten das Bemühen um Risikovorsorge mit einschneidenden Restriktionen konfrontiert, wird andererseits die Erkenntnis evident, daß basale Fragen der Risikovorsorge einen normativen Bezug haben. Ob ein Viertel der Menschheit das Recht in Anspruch nehmen darf, drei Viertel der Ressourcen zu verbrauchen, welche Risiken schlechthin inakzeptabel sind, ob Allergiker in gleicher Weise zu schützen sind wie weniger empfindliche Naturen, ergibt sich aus den disziplineigenen Erkenntnispotentialen der Naturwissenschaften nicht. Daher ist die Politik in der Risikogesellschaft gefordert, die normativen Anforderungen der erforderlichen Umweltvorsorge zu spezifizieren. Wenn das ökologische Wissen damit flir den Umweltstaat zugleich Fundament und Schranke seiner Tätigkeit ist, ist auch die Entfaltung der Umweltstaatlichkeit nicht mehr als ein Prozeß der allein rechtlich stabilisierbaren Ausdifferenzierung von politischem und wissenschaftlichem System zu betrachten. In dem Maße wie der kognitive Leistungstransfer aus Wissenschaft und Technik das Recht nicht mehr hinreichend mit verläßlichen Informationen versorgt, stellt sich die Frage, ob es seine normativen Potentiale so optimieren kann, daß dadurch die kognitiven Defizite ausgeglichen werden können. Risikorecht wäre danach als ein System wissenschaftlich informierter, aber normativ gegründeter Stopp- und Abwägungsregeln zum Schutze der ökologischen Kollektivgüter zu begreifen, das zugleich Prozeduren zur seiner Erzeugung, Implementation und Veränderung vorhält.

IV. Die Risiken der Vorsorge Vorsorge enthält einen normativen Gegenentwurf zur Risikogesellschaft. Sie soll der "Explosion des Nichtwissens" verläßliche normative Maßstäbe entgegenstellen. An das Vorsorgeprinzip ist daher die Hoffnung geknüpft, mit ihm könnten verläßliche normative Dämme gegen die Flut von Ungewißheiten im Wissen über umweltrelevante Bedingungs- und Wirkungszusammenso Murswiek

1990, 218.

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hänge errichtet werden. Vorsorge hat damit die Funktion emes Sicherheitsund Gewißheitssurrogats. Dies gilt zunächst flir die im Umweltrecht geläufige Gestaltungsvariante der Vorsorge. 51 Sie dokumentiert sich einerseits im Leitbild der Eingriffsminimierung und andererseits im Grundsatz, die Belastbarkeitsgrenzen für Natur und Umwelt soweit herabzusetzen, daß die Potentiale zur Regeneration und Absorption nicht überfordert werden. Vorsorge scheint damit zunächst lediglich eine besonders intensive Gefahrenabwehr zu sein. Wird das Handeln des Umweltstaates normativ auf die Prävention gegen Risiken verpflichtet, die sich noch nicht zu Gefahren verdichtet haben, verlegen sich jedoch nicht nur die Eingriffsschwellen für staatliches Handeln vor. Genauer besehen liegt in den Maximen der Eingriffsminimierung und der Absenkung von Belastbarkeitsschwellen vielmehr die Negation eines Paradigmas, das flir die Gefahrenabwehr schlechthin konstitutiv ist: der Kausalität. Polizeiliche Gefahrenabwehr bezieht sich auf Risiken, die gegenständlich, räumlich und zeitlich so kompakt formiert sind, daß sie erkennbar, ihre potentiellen Verursacher identifizierbar und mögliche Schäden bestimmbaren Betroffenen zuordenbar werden. 52 Dagegen trennt das ökologische Vorsorgeprinzip die schutzgutbezogene Vorsorge operativ von der auf Risikofaktoren orientierten Vorsorge. Die gefahrenunabhängige Vorsorge kappt das Kausalitäts-Junktim zwischen Störer, Handlung und Schädigung. Eingriffsminimierung bedeutet damit eine prinzipale Reduktion der Umwelteinwirkungen, die nicht durch die Berücksichtigung des vorhandenen Grades der Umweltbelastung relativiert wird. Entsprechend zielt die Absenkung der Belastbarkeitsschwellen auf eine Sensibilisierung der Toleranzgrenzen, die nicht davon limiert wird, was technisch machbar ist. Um nachhaltige Vorsorgeeffekte zu erreichen, kann weder die Strategie der Eingriffsminimierung mit der Einpegelung auf feste Schwellen werte von tolerablen Belastungen verbunden werden noch die Festlegung von Belastbarkeitsgrenzen von der Möglichkeit der Minimierung von Umweltbelastungen abhängig gemacht werden. Die Justierung fester Grenzwerte für die Belastbarkeit natürlicher Ressourcen scheitert bereits daran, daß in der Regel keine fixierbaren Schwellenwerte erkennbar sind, die eine unzweifelhafte Markierung zwischen "sicher" und "nicht sicher" ziehen könnten. Wo die Belastung der Natur zudem chronisch geworden ist, stehen die Belastbarkeitsgrenzen unter einem ständigen Druck zur Absenkung. Als Konsequenz einer "Heuristik der Furcht,,53 konzentriert sich die gefahrenunabhängige und damit operativ zweigleisig fahrende Vorsorge auf die Minimierung von vermuteten Risiko51 Vgl. dazu näher Wolf 1996, 57 ff. 52 V gl. nur Gusy, Polizeirecht, 1996, 60 ff. 53

Jonas 1984, 64.

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faktoren und getrennt davon auf die Sensibilisierung der Annahmen über die Belastbarkeit der Umwelt. Sowohl der schutzgutbezogenen Vorsorge als auch der auf Risikofaktoren orientierten Vorsorge ist damit ein Programm zur infiniten Extension unterlegt. Die möglichen Maßnahmenkataloge der Prävention erweitern sich infinit. Ökologisch motivierte Vorsorge ist konzeptionell nicht limitiert. 54 Vorsorge kennt daher keine immanenten Grenzen. Sie läßt sich gegenständlich, räumlich und zeitlich unbegrenzt ausdehnen. Umweltvorsorge eröffnet immer weiter gehende ökologische Inpflichtnahmen sozialen Verhaltens. Anders als das Verursacherprinzip, das auf engen Zuordnungmustern beruht, ist Vorsorge im Grundsatz sowohl raum- als auch "zeitneutral"55. Die konzeptionelle Unbegrenztheit der Vorsorge ist das Komplement der Begrenztheit des Wissens. Das Vorsorgeprinzip läßt sich aus der ihm eigenen Logik heraus nicht zu festen normativen Konturen verdichten. Die infinitesimale Erweiterung der Vorsorge fUhrt zur Quälfrage, wieviel Vorsorge Vorsorge genug sei. Risikovorsorge, die über das Zuordnungsprinzip der Kausalität hinausgeht, stellt daher auch die Symbiose in Frage, die Rechtsstaat und Naturwissenschaften lange Zeit für beide erfolgreich pflegen konnten. Polizeiliche Gefahrenabwehr konzentriert sich auf Sachverhalte, die auf überschaubare und nachvollziehbare Zusammenhänge ausgerichtet sind, die wiederum mit einem deterministischen Erklärungsmodell dechiffriert werden können. 56 Die Logik rechtsstaatlicher Begrenzungen individueller Freiheit setzt idealtypisch gleichfalls überschaubare und kausal nachvollziehbare Zusammenhänge voraus 57 , die individualisierbaren Verursachern und Betroffenen zugeordnet werden können. s8 Sie konvergiert daher mit einem Weltbild, das dem naturwissenschaftlichen Positivismus entlehnt ist. S9 Diese enggeftihrte Kausalität konstituiert die verdoppelten Gewährleistungen von Rechts- und Rechtsgütersicherheit. Alle Erwägungen über Unabwägbarkeiten jenseits dieser Zurechnungsmuster werden als irrelevante Vermutungen aus den wissenschaftlichen und rechtlichen Diskursen ausgeschlossen. Auch die damit erzeugte "Präventivwirkung des Nichtwissens,,6o über die Grenzen kausalen Wissens schafft Sicherheit. 54 So auch von Lersner in: Kimminichlvon LersneriSlorm, HdUR, Band lI, 1994, Sp.2706. " Sa/odin 1989. 35. 56 Preuß 1994, 533. 57 Ritter 1992, 643. 58 Wah//Appe/ 1995, 28. 59 So bereits von Müller 1930,93; Lodeur 1986,265 ff.; Kimminich 1987, 14 ff. 60 Vgl. zur Stabilisierungsfunktion des Nichtwissens im Sanktionsrecht grundlegend POpilz 1968.

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Diese Paradigmen werden auch deshalb notleidend, weil sich in den Naturwissenschaften selbst andere Erklärungsmodelle verbreitet haben. Begriffe wie Dissipativität, Komplexität, Nichtlinearität, Instabilität, Irreversibilität, Nichtreproduzierbarkeit und schließlich Chaos, die heute das naturwissenschaftliche Denken prägen 61 , stehen für einen entsprechenden Wandel. Mit der Erosion der naturwissenschaftlich belegbaren Ursache-Wirkungs-Modelle zerrinnt daher auch die politische und rechtliche Zuordnungsmacht des Verursacherprinzips. Ebensowenig individuell greifbar wie die Risikofaktoren erweisen sich die Betroffenen und die verantwortlichen Akteure. Das Verursacherprinzip als Maßstab individueller Verantwortlichkeit läuft hier leer. An die Stelle individualisierbarer und damit rechtlich unproblematisch in die Pflicht zu nehmender Verursacher tritt ein mehr oder minder breites kollektives Spektrum von Risikoproduzenten. Je umfassender der Schutz ökologischer Rechtsgüter durch risikominimierende Prävention gestärkt werden soll, desto abstrakter werden Gründe, die den Adressaten von Umweltpflichten zur Rechtfertigung ihrer Inanspruchnahme genannt werden können. Letztlich entgrenzt sich jedoch auch der Kreis der durch kollektive Zurechnungsmodelle benennbaren Gruppen potentieller Risikoproduzenten in einer ebenso ubiquitären wie vagen All- und Letztverantwortlichkeit der Risikogesellschaft und ihrer zivilisatorischen Nutzungsmuster schlechthin. Zwar unterliegt im Grundsatz auch die Prävention im Rahmen der tradierten polizeilichen Gefahrenabwehr dem Druck, ihre Aufmerksamkeits- und Eingriffsbereiche sukzessive immer weiter nach vorne zu verlegen, so daß Maßnahmen zur Gefahrenabwehr auch bei einer geringen Wahrscheinlichkeit gerechtfertigt sind, wenn nur die bedrohten Rechtsgüter hochwertig genug erscheinen, jedoch wird sie durch das Paradigma der hypothetischen Kausalität auf das Grundprogramm der Ursache-Wirkungs-Mechanik verpflichtet, das eine ausufernde Inanspruchnahme durch eine ubiquitär waltende Prävention verhindert. Die rechtsstaatliche Funktion des Verursacherprinzips besteht damit gerade darin, die Vorverlegung der Prävention einzugrenzen. Die Frage, wieviel Vorsorge Vorsorge genug sei, erhält damit ein Pendant in der Frage, wieviel Inpflichtnahme einzelner im Rahmen kollektiver Verantwortlichkeit zumutbar und verhältnismäßig ist. Vorsorge gegen Risiken, die sich nicht mehr in die Kausalmechanik der Ursache-Wirkungs-Modelle einfügen lassen, führt dabei im Sinne des von ihr verfolgten Rechtsgüterschutzes zu einer Extension ihrer Pflichtenkataloge und stellt dabei gleichzeitig das Muster rechtsstaatlicher Verantwortungszuweisung in Frage. Der "Verfall der Rechtssicherheit,,62 bezeichnet das Dilemma eines räumlich, zeitlich und gegenständlich entgrenzten Kollektivgüterschutzes. Zur allumfassenden Vorsor61 Vgl. nur Prigogine/Stengers 1984; Cramer 1988. 62

6*

Denninger 1988, 3.

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ge fehlen dem Staat nicht nur die wissenschaftlichen Entscheidungsgrundlagen, er stößt auch auf rechtsstaatliche Grenzen. In der sprachlichen Transformation des vorsorgenden Umwelt- in einen "Präventions-"63, "präzeptoralen,,64 oder gar "Schutzstaat"65 sind die damit verbundenen risikoreichen Konnotationen für die bürgerliche Freiheit und die technische Entwicklungsfähigkeit der Gesellschaft angesprochen. Vorsorge muß daher rechtsstaatlich abgepuffert werden. Eingriffsminimierung um jeden Preis ist weder aus der Sicht des Umweltschutzes effektiv, weil damit Ressourcen fehlgelenkt werden, noch den Adressaten zumutbar. Ökonomischer Aufwand und ökologischer Ertrag müssen in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist jedoch nicht nur ein Maßstab für die Belastbarkeit der Adressaten, er empfiehlt sich auch bei der Auswahl der Regulierungsformen. Wo die Festlegung strikt zu erfüllender Auflagen in die Grauzone des Übermaßverbotes zu geraten droht, kann die Justierung von ökonomischen Instrumenten, die dem Adressaten die Option offenhalten, zu zahlen oder die Umwelteinwirkungen zurückzuführen, einen rechtsstaatlichen Weg der Verhaltenssteuerung eröffnen. Wenn Vorsorge als Prinzip der Risikominimierung damit keine Sicherheit garantieren kann, so verspricht dies doch dessen radikaler gefaßte zweite Variante. In der politischen Pragmatik des Umweltschutzes rangiert die Maxime der Vermeidung vor dem Grundsatz der Minimierung. Das Postulat der Vermeidung operiert auf der Basis der Grundannahme, modeme Gesellschaften verfügten über eine so große Optionenvielfalt, daß riskante gegen sichere Technikvarianten austauschbar seien. Es setzt auf den Königsweg der umweltverträglichen Alternative. Er kann allerdings wiederum auch nur, falls die Ausgangserkenntnis jeder Technikanalyse, daß es eine absolut sichere Technik mit einer hermetisch geschlossenen Folgenkontrolle nicht geben könne, nicht hinfällig sein soll, lediglich ein Pfad des Komperativs sein, weniger riskante Optionen einzuschlagen. Und auch diese Empfehlung ist nicht risikolos. So ist zwar die Maxime der Nachhaltigkeit, erneuerbare Ressourcen nur in dem Maße zu verbrauchen, wie sie sich regenerieren können, kaum als Prämisse irrtumsanfällig, aber doch in ihrer Praxisanwendung. Sie setzt voraus, daß die Kenntnisse über die Regenerationspotentiale zutreffen. Unzureichendes Wissen falsifiziert daher nicht die Prämissen der Vorsorge, sondern deren Umsetzung. Selbst reflektierte Versuche der Sicherung gegen die Risiken der Technik erweisen sich somit als risikobehaftet.

Denninger 1988, I. Di Fabia 1993,689 ff. 6, Hesse 1994.

63

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Eine kategorische Umkehr der Zulässigkeitsanforderungen flir neue Technologien scheitert gleichermaßen an der Problematik unzulänglichen Wissens. Mit der Verkündung von antizipatorischen Technikverboten, Moratorien sowie präventiven Verboten unter dem Vorbehalt der Nullernission oder der Umkehr der Beweislast muß das ihnen immanente Risiko akzeptiert werden. Auch solche Entscheidungen haben Folgen, deren Wirkung sich nicht umfassend voraussehen läßt. 66 Von bisher unerprobten Technologien zu verlangen, sie müßten eine Beherrschung der ihnen unterstellten Risiken nachweisen, bevor sie zugelassen werden, ist ein Widerspruch in sich selbst. Bis zum empirischen Nachweis läßt sich weder die Annahme beweisen, Risiken seien vorhanden und könnten nicht beherrscht werden noch die Gegenbehauptung, sie seien nicht vorhanden oder könnten beherrscht werden. 67 Ein systematisches und authentisches Wissen um die Risiken und die Möglichkeiten ihrer Minimierung kann nur durch die Entwicklung und Umsetzung dieser Technologien selbst generiert werden. Das Vorsorgeprinzip kann Ungewißheiten und Risiken durch einen Sicherheitskordon normativer Gewißheitssurrogate nicht beseitigen. Damit erhält die Entwicklung risikoträchtiger Technik das logische Primat gegenüber der Risikovorsorge. Das "freisetzende" ist dem "eingrenzenden" Recht genetisch vorgeordnet. 68 Damit ist zugleich die im Rechtsstaatsprinzip begründete Verteilungsregel von Freiheit und Eingriff angesprochen. Allerdings ist die Maxime "im Zweifel flir die Freiheit" nur eine brauchbare Prämisse, um Konfliktsituationen zwischen dem eingreifenden Staat und einem dadurch in seiner Handlungsfreiheit beschränkten Bürger im Sinne der Optimierung des Grundrechtsschutzes zu lösen. Ihre Befolgung stößt auf Schwierigkeiten, wo staatliches Handeln multidimensionale grundrechtliche Wirkung besitzt und nicht nur auf Eingriffsabwehrrechte trifft, sondern auch durch Gewährleistungsansprüche auf Schutz gefordert wird. Wer auf Kausalität und individualisierbarer Verantwortungszuweisung besteht, lizensiert die Produktion von Risiken, die durch das Raster dieses Zuordnungsmusters fallen. Wer andererseits den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen so auszudehnen versucht, daß er alle möglichen Beeinträchtigungen, alle hypothetisch denkbaren oder nicht widerlegbaren Schadensverläufe miteinsteIlt, löst es im Ergebnis auf. Doch erweist sich auch die gegenläufige Maxime "im Zweifel flir die Prävention" als unterkomplex. Sie wäre - wie gezeigt - als materielles Gegenprinzip nicht weniger risikoreich. Vorsorge kann sich einer solchen binären Logik nicht resignativ ausliefern. Sie muß die Lücke zwischen dem freiset66

67

68

Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen 1987, Ziff. 1604 tl. Wahl/Appe/1995, 58.

Vgl. zu dieser Differenzierung Winter 1988. 664.

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zen den und dem eingrenzenden Recht minimieren. Vorsorge wirft im Umweltschutz komplexe Abwägungsprobleme zwischen den Zielen der Betroffenen und der an Ressourcennutzung Interessierten sowie den konkurrierenden und kontligierenden öffentlichen Belangen auf. 69 Vorsorge verlangt nach einer prozeßorientierten Simultanpolitik von Freisetzung und Eingrenzung von Risiken. Als materielle Grundorientierung enthält sie nur ein graduelles Konzept. Jenseits dieses Kontextes ist ein Ausschluß von Risiken nicht nur deshalb unmöglich, weil gegen Risiken, die jenseits des aktuellen Erkenntnisvermögens liegen, keine Vorsorge getroffen werden kann, sondern auch, weil viele zwischenzeitlich als umweltschädlich erkannte Entwicklungen irreversibel geworden sein können, andere Gefährdungen, obwohl ihre Risiken erkannt sind, in Abwägung mit konkurrierenden Belangen als nachrangig erachtet werden oder wieder andere globale Risiken sich trotz der ihnen zuerkannten Virulenz in dem zur Verfügung stehenden institutionellen Rahmen der Umweltpolitik als nicht lösbar erweisen. Wenn es schließlich grundsätzlich nicht auszuschließen ist, daß Risikovorsorge auf dem Stand des aktuellen Wissens sich selbst wiederum als risikoträchtig erweisen kann, zieht die Asymmetrie zwischen den Anwendungspotentialen von Wissenschaft und Technik und dem Wissen über die Folgen von Vorsorge in einen Zirkel von steigender Nachfrage nach Prävention und der Entdeckung von immer neuen Präventionsdefiziten. Dies fuhrt zu der Einsicht, daß "das Präventionsdefizit von gestern heute ein Kurieren nötig macht, das nur durch den wenigstens teilweisen Verzicht auf Prävention möglich ist,,70.

v. Die Option des Rechts in der Risikogesellschaft Wenn Vorsorge sowohl kognitive als auch normative Schranken anerkennen muß, kann sie ökologische Risiken zwar minimieren, jedoch vermag auch ein Staat der Umweltvorsorge nicht mehr das zu garantieren, wo~it modeme Staatlichkeit bisher die Entwicklung der Freiheit begleitet hatte: Sicherheit. Das rechtsstaatliehe Trennprinzip von privaten Risiken und öffentlicher Sicherheit läuft leer. Vorsorge kann angesichts nicht vorhersehbarer oder vorhersehbarer, aber als sozial akzeptabel eingeschätzten Risiken, nicht als die konzeptionell unbedingte Gewährleistung von Sicherheit verstanden werden. Das Bemühen um eine inkrementelle Verbesserung der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen fuhrt zu einem Ausgreifen von Vorsorgemaßnahmen, ohne letztlich Sicherheit mit Sicherheit verbürgen zu können. Auch Vorsorge 69

70

Wahl/Appel 1995,35. Kirsch 1988, 278.

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bleibt ein risikobehaftetes Projekt. Vorsorge fokussiert sich damit auf das Prinzip der Risikominimierung und dieses ist gleichzeitig notwendigerweise risikobehaftet. 71 Wo das Recht keine hinreichenden inhaltlichen Leitprinzipien enthält, wird nach prozeduralen Auswegen und kooperativen Lösungen gesucht. Diese Auswege zielen gerade nicht primär auf mehr materielle Entscheidungssicherheit, sondern auf mehr Selbstreflexivität. Sie sind selbst wiederum voraussetzungsreich und störanfallig. Verfahren sind dem notorischen Risiko ausgesetzt, in "verfahrenen Verfahren" zu enden. Kooperation ist ein Angebot, sie kann nicht erzwungen werden. Die Grenzen zwischen Informalität und Illegalität sind fließend. Kooperatives und prozedurales Recht reduziert nicht die Komplexität von Entscheidungen, sondern erhöht sie. Seine Funktion besteht darin, Entscheidungen in der Risikogesellschaft als Risikoentscheidungen bewußt zu machen. Daher erhält die irritierende These Plausibilität, "daß die Zukunftsperspektive der Risikoentscheidung nicht in der immer besseren Spezifizierung des Risikowissens und, damit zusammenhängend, in der schärferen Begrenzung des riskanten Handeins liegen kann"72, sondern generell im Umgang mit Unsicherheit. Wie für den Menschen die Fähigkeit des Umganges mit Unsicherheit zu einer personalen Schlüsselqualifikation wird, stellt sich diese Herausforderung nicht weniger für das Recht. Es erhält die Aufgabe, Lernprozesse zu initiieren, sich ihren Ergebnissen zu öffnen und dadurch selbst lernfahig zu werden. Damit stellt sich die Frage, ob an die Stelle der politischen Garantie der Vermeidung durch die Abwehr von Gefahren die Minimierung und Kanalisierung von Risiken als normatives Programm des Rechts der Risikogesellschaft zu treten hat. Betrachtet man Rechtsnormen als "kontrafaktisch stabilisierte Erwartungshaltungen"73, so erscheint die Folgerung, das Recht habe sich anzupassen, nicht nur nicht zwingend, sondern geradezu als Mißverständnis der sozialen Funktion des Normativen. Die Beobachtung der Zunahme von Tötungsdelikten ist kein Grund, die Zurücknahme des Tötungsverbotes zu fordern, sondern gibt Anlaß, über die Verbesserung der Prävention nachzudenken. Allerdings operiert der Umweltschutz nicht auf der Basis der Differenz von Recht und Unrecht, sondern auf der Grundlage von Annahmen über Schädlich- und Unschädlichkeit. Das Umweltrecht ist auf die Zwecksetzung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen programmiert. Ein solches Recht könnte zwar seine Funktion als kontrafaktische Erwartungsstabilisierung in Bezug auf den Grad der Normbefolgung durch die gesellschaftlichen Adressaten durchhalten, nicht jedoch seine Leistungen als Medium der Steue71

72 73

Di Fabio 1994,463. Ladeur 1992, 255. Luhmann 1972. 43 ff.

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rung der UmweItbelastung optimieren, wenn es in bezug auf diese Ziele und Zwecke fehlprogrammiert ist. Ein realistisches Rechtskonzept verlangt daher die konzeptionelle Abkehr vom Paradigma der Sicherheit, damit das Recht seine Aufgabe als Medium der Risikominimierung erflillen kann. Das UmweItrecht gewinnt seine normative Funktion darin, daß es mehr Vorsorge verlangt als praktiziert wird. Vorsorge wird damit gerade nicht als illusionäres Projekt negiert, sondern zusammen mit ihren Annexkonzepten der Kooperation und Prozeduralisierung als graduelles Programm konzipiert. Vorsorge ist danach zugleich unabdingbar und defizitär. Vorsorge erhöht die Sensibilität und die Reagibilität des politischen Entscheidungsprozesses, doch bleibt sie selbst als offensive Politik der Veränderung risikoerzeugender Strukturen reaktiv und mit Risiken infiziert. Sie tendiert zu einer infiniten Extension und muß doch gleichzeitig ihre strukturelle Imperfektion eingestehen. Auch wo sie Lernfahigkeit organisiert, bleibt das Risiko, daß diese Lernprozesse zu einem tödlichen Ausgang fUhren. Dies kann als ein Hinweis auf die gleichsam ironische Rolle des Rechts in der Risikogesellschaft und seines "Rechtsstabes" gedeutet werden. In die Arena geschickt, um die Risiken des "entfesselten Prometheus" zu bändigen, schlingert die Rechtswissenschaft in die Rolle des Sisyphos, die es ohne tragische Attitude annehmen muß. Denn ein Beobachter aus Bielefeld hat bereits resumiert: "Wir gehören nicht mehr zu jenem Geschlecht der tragischen Helden, die nachträglich jedenfalls zu erfahren hatten, daß sie sich ihr Schicksal selbst bereitet hatten. Wir wissen es schon vorher."74

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Rechtliche Risikoregulierung aus zivilrechtlicher Sicht Theoretische Steuerungskonzepte und empirische Steuerungsleistungen Von Reinhard Damm

Einleitung Der Problemzusammenhang von Risikoregulierung und Zivilrecht verknüpft aus rechtswissenschaftlicher wie sozialwissenschaftlicher Perspektive zahlreiche Einzelfelder und Grundlagen der Disziplinen. Es ist daher zwar auch, aber nicht nur vor übertriebenen Erwartungen gegenüber einem knappen Einzelbeitrag, sondern auch vor mancherlei Übertreibungen und Untertreibungen in diesem Problembereich zu warnen. Dies gilt für sozialwissenschaftliche Steuerungskonzepte ebenso wie für rechtliche Regelungsansprüche und schlägt sich in einer gewissen Skepsis gegenüber manchen theoretischkonzeptionellen Überzeichnungen in den Sozialwissenschaften wie auch gegenüber disziplinären Selbstüberschätzungen rechtstheoretischer Grundkonzepte nieder. Entsprechendes gilt aber umgekehrt auch für "untertreibende" Blickverengungen gegenüber bestehenden Regulierungspotentialen. In der Grundtendenz erscheint es so angemessen, die Relativität theoretischer Steuerungskonzepte und, bei allen konstruktivistischen Warnungen vor empiristischer Täuschung, die Empirie rechtlicher Steuerungsleistungen zu akzentuieren. Die ThemensteIlung verweist mit ihren Partikeln "Risiko", "Steuerung" und der diesbezüglichen Funktion von Zivilrecht gleich auf drei voraussetzungsvolle Großthemen. Dementsprechend sollen hier Probleme der Risikosteuerung und rechtlichen Regulierung am Anfang stehen (I.) und sodann solche des Risikoprivatrechts behandelt werden (11.). Den Abschluß wird ein knappes Plädoyer für die Kombination und Komplementarität statt Alternativität von Steuerungsstrategien bilden (IlI.).

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I. Risikosteuerung 1. Risiko und Recht Der Zusammenhang von Recht und Risiko gehört - in dieser Allgemeinheit - sicher zu alten Problembeständen, bildet aber mit Blick auf "neue Risiken" in "Risikogesellschaften" offensichtlich auch eine besonders aktuelle Verknüpfung. Deren intra- und interdisziplinäre Bearbeitung unterstreicht dies. Dabei fallt mitunter bereits die Alltwort auf die Frage schwer, ob die Sensibilisierung für individuelle und kollektive Risiken eine neue Faktenlage oder nur eine neue Gefühlslage moderner Gesellschaften widerspiegelt (insofern ist mittlerweile bekanntlich schon klärungsbedürftig, ob die erste oder "zweite Moderne" I oder schon Postmoderne betroffen ist). Auf terminologische Probleme des Risikokonzepts und damit auf begriffliche Differenzen und Teilidentitäten etwa von Risiko und Gefahr, Ungewißheit und Unsicherheit kann hier nicht näher eingegangen werden. Nur so viel: Sicher ist erstens die Trennschärfe zwischen "neuen Risiken" als (angeblich) global, kollektiv und diffus und "klassischen Risiken" als (angeblich) punktuell, individuell und konkree keine vollkommene. Zweitens ist die Diskussion um das Defizitäre eines rein quantitativ-empirischen Risikobegriffs (namentlich in Gestalt der bekannten Produktformel aus Schadensumfang und -wahrscheinlichkeit) und seiner normativen Aufladung durch qualitativwertende Elemente fur das Recht von besonderer Bedeutung.) Das gleiche gilt, drittens, fur den immer wieder betonten, wenn auch wohl nicht unproblematischen Entscheidungsbezug des Risikobegriffs. Erst hieraus resultiert die Entscheidungszugänglichkeit von Risikolagen und damit der Aspekt der "Gestaltbarkeit von Gesellschaft"4, der zu Recht und dies auch und gerade für das Recht herausgestellt wird. Ebenso berechtigt ist Luhmanns Hinweis auf die nur relative Unterscheidbarkeit von Risiko und Gefahr: Zwar "werden Risiken auf Entscheidungen zugerechnet" und "Gefahren extern zugerechnet". Aber diese Differenz verliert mit Blick auf die Differenz von Entscheidung und Betroffenheit ihre Eindeutigkeit. Insofern ist zu berücksichtigen, "daß die Risiken, auf die ein Entscheider sich einläßt und einlassen muß, zur Gefahr für die Betroffenen werden"'. Daß keine Rezeption der Luhmannschen Risikosoziologie im übrigen propagiert wird, sei deutlich unterstrichen. 6

Dazu Beck 1997, 44. Vgl. die Nachweise bei Köck 1996, I ff. (6). 3 Vgl. mit Nachweisen Damm 1997, 15. 4 Evers/Nowotny 1987. 5 Luhmann 1991. 117. 6 Vgl. dazu auch die Kritik bei Barben 1996,176 ff., 194 ff. I

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Und schließlich erscheint für jeweils umstrittene politische Gestaltungsspielräume und rechtliche Steuerungsleistungen die historische Analyse einer (angeblichen) Schwerpunktverlagerung in der gesellschaftlichen und auch rechtlichen Bearbeitung von ökonomischen über soziale Risiken zu technologischen Risiken als theoretisch und praktisch relevane - aber auch problematisch. Diese historische Betrachtung weist auffallende Parallelen zur Idealtypik von Staatsformationen und Staatsfunktionen in Rechtsstaat, Sozialstaat und neuerdings "Risikostaat" auf. Es wird damit eine Sichtweise begünstigt, nach der eine wesentlich auf Eigentum und (ökonomische) Freiheit begrenzte Risikozuständigkeit des Rechtsstaats von einer Zuständigkeit des Sozialstaats fur soziale Risiken und des Risiko- oder Präventionsstaats fur technologische oder allgemein "neue Risiken" voneinander abgesetzt werden. Damit geht im Zusammenhang von Staatsformation, Staatsfunktion und Risikodiskussion ein wesentlicher Aspekt verloren, nämlich die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in der Form sich überlagernder rechts-, sozial- und risikostaatlicher Regelungsprobleme und Regelungsmodi. Rechtshistorisch betrachtet ist die Feststellung zwar trivial, daß Rechtsstaat, Sozialstaat und Risiko-/SicherheitsIPräventionsstaat nicht im Verhältnis bloßer Ablösung früherer durch spätere Formationen stehen. 8 Die Trivialität verschwindet aber, wenn man die Summe gesellschaftlicher Regelungsbedarfe in Rechnung stellt. Dies ließe sich mit konkreten Beispielen belegen. Hingewiesen sei nur auf die vielfältigen regulativen Folgekosten der deutschen Vereinigung und auf die komplexen Regelungsbedarfe der technologischen Entwicklung. 9 Auch fur das Privatrecht geht es insofern nicht um rechtsstaatliche Freiheitsverbürgungen (Privatautonomie ) oder sozialstaatliche Interventionen (Sozialschutz im Vertrags-, Haftungs- und Wirtschaftsrecht) oder neue Risikoregulierung: Dies entspricht dem Umstand, daß ökonomische, soziale, technologische und ökologische Risiken in entwikkelten Gesellschaften nicht sukzessiv, sondern typischerweise kumulativ auf der Tagesordnung stehen. 1O Und erst diese Summe repräsentiert den gesellschaftlichen Problemdruck und rechtlichen Regelungsbedarf und dokumentiert und relativiert zugleich den Stellenwert des Risikodiskurses. Hinzu kommt das Problem einer weiteren Gleichzeitigkeit auf der Ebene realer Risikotypen und damit normativ mit Blick auf risikorelevante SchutzIRechtsgüter. Von zentraler Bedeutung ist insofern eine Kategorie von Risiken, die als Personalitätsrisiken oder kulturelle Risiken bezeichnet werden EverslNowotny 1987, 32 ff. Kaufmann (1994, 33) spricht von einer "Sequenz typischer Diskurse" über Staatsaufgaben, Habermas (1993, 524 f.) von einer "groben Periodisierung". Beide Kenn7

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zeichnungen treffen den hier interessierenden Gesichtspunkt noch nicht vollständig. 9 V gl. dazu weiter Damm 1997, 17; 1996, 85 ff. 10 Vgl. in diesem Zusammenhang der Staatsaufgaben zur Prob\emtrias von Gewalt, Armut und Ignoranz bei Willke 1992, 2 I I ff.

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können. Sie werden in der allgemeinen Diskussion zu Regulierung und Recht technologischer und ökologischer Risiken bislang nicht immer angemessen berücksichtigt. Dieses Risikopotential resultiert namentlich aus der Entwicklung von Hlimantechnologien. Hierher gehören insbesondere entwickelte Medizintechnik (z.B. Organtransplantation und Intensivmedizin), Gentechnik und Reproduktionstechnik (also z.B. In-vitro-Fertilisation, Leihmutterschaft, Genomanalyse und Gentherapie ) und schließlich Kommunikationstechnik. Diese Technologien betreffen nicht ausschließlich, ja nicht einmal primär "klassische" Gefahrdungslagen für "klassische" Rechtsgüter (insbesondere Leben und Gesundheit, Eigentum und Vermögen), sondern neue Gefährdungslagen für diffuse Größen, die mit nicht viel schärferen Begriffen als Personalität und Autonomie, Identität und Integrität belegt werden können. Die genannten Technologien zeichnen sich nicht durch "schmutzige" Risiken wie Explosionen schon klassischer Dampfkesselproduktion, Giftstoffe der Großchemie oder Kontamination durch Kernkraft aus, sondern durch "saubere" Risiken und Beeinflussung individueller und kollektiver Verhaltensorientierungen, sozialer Normen und kultureller Werte. Die Implikationen der einschlägigen Techniklinien weisen nicht die drastische Anschaulichkeit von Unfall- und Katastrophenszenarien oder ökologischer Dauerkrisen auf, sondern realisieren sich in immateriellen und schleichenden Prozessen. Der damit nur angedeutete 1 1 Zusammenhang von Technikentfaltung und kultureller Entwicklung 12 , von Personalität und Modernität, diese Prognose sei gewagt, wird in der zukünftigen Diskussion gesellschaftlicher Risikoveranstaltung weiter ins Zentrum rücken. Zu Recht hat Rainer Wolf mit Blick auf die Risikogesellschaft als Informationsgesellschaft und die mit ihr verbundenen gravierenden Verwerfungen vor einer "selektiven Risikobetrachtung" gewarnt. 1J Insgesamt resultiert aus diesen knappen Andeutungen die Warnung vor einem unangemessenen, reduktionistischen Risikokonzept ebenso wie vor einem reduktionistischen Konzept von Staatsfunktionen und damit auch Rechtsfunktionen.

2. Rechtliche Regulierung und Risikoregulierung Wenn Risikoregulierung durch Recht zur Diskussion steht, dann notwendigerweise auch die Grundsatzproblematik von Steuerung durch Recht allgemein. Dabei handelt es sich bekanntlich um eine mittlerweile bibliothekenfüllende und wohl unendliche Geschichte. Dazu hier einige Bemerkungen, die

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Vgl. ausführlicher Damm 1996, 92 ff., 104 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch van den Daele 1989, 197 ff. Wolf 1993. 150.

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auch für die Einschätzung potentieller Steuerungsleistungen des Privatrechts bedeutsam erscheinen. Die sozialwissenschaftlich inspirierte Steuerungsdebatte wird insbesondere aus der großflächigen Perspektive diverser Makrotheorien betrieben. Überdies gewinnt man den Eindruck, daß ganze soziologische Rechtstheoriekonzepte am Gegenstand Risikosteuerung entwickelt oder doch exemplifiziert werden. 14 Dabei können die einschlägigen Großtheorien hinsichtlich der Regulierungskompetenz von Recht auf einem Spektrum zwischen Steuerungspessimismus und Steuerungsoptimismus verortet werden. Ich will hier zwei auch aus der Sicht des Zivilrechts besonders prominente Theorieansätze herausgreifen und knapp kommentieren, die je unterschiedlichen Endpunkten des angesprochenen Spektrums zugeordnet werden können. Dies bezieht sich einerseits auf Spielarten des systemtheoretischen Rechtskonzepts als grundsätzlich steuerungspessimistische und andererseits auf die ökonomische Analyse des Rechts als steuerungsoptimistische Theorievariante. Insofern erscheint es angemessen, vorweg einen, soweit ersichtlich, auch in der sozialwissenschaftlichen Diskussion erstaunlicherweise nicht immer berücksichtigten aber zentralen Aspekt zu unterstreichen, nämlich die Differenz von Theorie, Empirie und Normativität von Steuerungskonzepten. Anders formuliert betrifft dies die Frage, ob die Fähigkeit oder Unfähigkeit von Recht zur steuernden Beeinflussung sozialer Prozesse oder individuellen Verhaltens eigentlich (modell-) theoretisch unterstellt, normativ gesetzt oder empirisch belegt wird. a) Systemtheorie und Autopoiese

Vor diesem Hintergrund präsentieren sich bestimmte Spielarten systern theoretischer Rechtskonzepte einschließlich der Theorie autopoietischer Systeme als grundsätzlich steuerungspessimistisch, jedenfalls steuerungsskeptisch. 15 In knappster Form: Es wird hier auf hoher Abstraktionsstufe die selbstreferentielle Geschlossenheit ausdifferenzierter gesellschaftlicher Teilsysteme (wie Wissenschaft, Wirtschaft, Technik) propagiert, die sich grundsätzlich einer jedenfalls direkten Steuerung durch Recht entziehen. 16 Die theoretische Differenziertheit ist hochentwickelt, demgegenüber die empirische Validität teilweise nicht in gleicher Weise ausgewiesen. Der system ischen 14 V gl. etwa Münch 1996, dessen analytische Arbeit mehr auf Steuerung und Recht als auf Risiko konzentriert ist (und dessen Konzepte zur politischen und rechtlichen Steuerung vielfach Beifall verdienen); Luhmann 1991. 15 "Radikaler Steuerungspessimismus" wird Luhmanns Differenzierungstheorie bescheinigt von Bender 1994, 140; zwischen steucrungs-"pessimistischen" und "optimistischen Systcmtheoretikern" unterscheidet Frankenberg 1989, 694. 16 Vgl. die Nachweise bei Damm 1997, 18, Fn. 18.

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Geschlossenheit entspricht das ausgeprägte Bemühen um konzeptionelle Geschlossenheit, das aber gerade für die Steuerungsproblematik zu empirisch unangemessenen Überzeichnungen und theoretisch ungerechtfertigten Generalisierungen führt 17 , die mitunter mehr dem Interesse an Theorieharmonie als an Empirie verpflichtet zu sein scheinen l8 . Empirisch ist es schon zweifelhaft, ob zutreffend identifizierte Steuerungsdefizite des Rechts tatsächlich auf den systemtheoretisch geltend gemachten oder ganz anderen Ursachen beruhen. So können Nichteinsatz oder Nichteffizienz von Recht (auch bei der Regulierung von Risiken) statt auf die prästabilisierte Wesenheit von "Systemen" auf die (Nicht-) Organisierbarkeit von Interessen, Durchsetzungskraft oder schwäche bürokratischer Strukturen oder die bereichsspezifische Differenz zwischen individuellen und korporativen Akteuren zurückzuführen sein. Und natürlich ist, ungeachtet der teilweise sicher überschätzten Wirkungskraft interventionistischen Rechts, das nicht nur von Seiten der System theorie artikulierte generelle Postulat eines Versagens regulativen Rechts ("Rechts-", "Politikversagen") eine Übertreibung. 19 Auch auf theoretischer Ebene scheint bereits Korrekturbedarf gegenüber zu weitgehenden Postulaten zugunsten systemischer Geschlossenheit und Selbststeuerung zu bestehen. So wird für das Verhältnis zwischen Innen- und Außensteuerung mittlerweile von systemtheoretisch argumentierenden Autoren für das "Problem der Abstimmung komplexer, selbstreferentieller Sozialsysteme" ein Verhältnis der "geordneten Verschränkung beider Perspektiven, Innensicht und Außensicht" propagiert, weil erst dies ,jene Autonomie oder aufgeklärte Selbstbestimmung (ergibt), welche dem Idealtypus einer funktional differenzierten, nicht-hierarchisch geordneten und den Staat nicht meßbar überfordernden Gesellschaftsstruktur entspricht."20 Und natürlich ist insofern das Konzept der "strukturellen Koppelung"21 einschlägig, über die sich "ungeachtet aller autopoietischen Autonomie und operativen Geschlossenheit des Rechtssystems ... Langfristtrends des strukturellen Wandels" durchsetzen sollen 22 . Ob die Einführung der strukturellen Kopplung in das Theoriegebäude nichts geringeres als den "Zusammenbruch der Theorie des autopoietschen 17 V gl. hierzu Barben 1996; zur Fragwürdigkeit des "Absolutheitsanspruchs, mit dem die große system theoretische Erzählung auftritt", auch Frankenberg 1996, 29. 18 Zur Differenzierung zwischen analytischer und empirischer Differenzierung sozialer Systeme auch Münch 1996, 170 ff.; vgl. auch die Kritik bei Lüderssen 1996, 34 ff. 19 Vgl. dazu Rehbinder 1988, 110; Rot//eutlmer 1989,273 ff.; Damm 1997, 100 ff.; außerdem Lüderssen 1996, 40, Fn. 54; Denninger 1990, 123 ff., 178, 194. 20 Willke 1994, 62 f. (Hervorhebung im Original). 21 Vgl. z.B. Luhmann 1991, 108 t1, 178 ff.; Willke 1994,60; JF.K. Schmidt 1997, 283. 22 Luhmann 1991, 179.

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Systems selbst" bedeutee 3, mag hier offen bleiben. Jedenfalls handelt es sich um einen relativierenden Akzent der Theorieaussteuerung, mit dem Abstriche von einer zu weitgehenden Radikalisierung systemischer Geschlossenheit, Selbstreferenz oder Autopoiese gemacht werden. Diese Relativierung erscheint auch aus nichtsystemtheoretischer Sicht plausibel, da grundsätzlich auch empirisch sachhaltig. Eine andere, hier nicht zu entscheidende Frage ist die, inwieweit dadurch die immanente Stringenz des theoretischen Konzepts tangiert wird. Jedenfalls präsentieren sich zentrale Aussagen des systemtheoretischen Steuerungspessimismus als verallgemeinernde Unterforderung des Rechts und Überforderung der Theorie. 24 Dem entspricht die konstruktive Korrespondenz einer "systematischen Überschätzung der Intransparenz und Unzulänglichkeit der gesellschaftlichen Funktionssysteme" mit der "systematischen Unterschätzung des perzeptiven und kommunikativen Integrationsbzw. Koordinierungspotentials von Individuen und Organisationen."25 Andererseits sind Bemühungen aus dem Lager der autopoietischen Rechtstheorie unübersehbar, die auf eine engere Koppelung dieses Konzepts mit der Empirie abzielen. 26 Zweierlei ist an solcher "empirischen Autopoiese"27 besonders hervorhebenswert: Zum einen wird hierzu in der Perspektive empirischer Fragestellungen nicht nur Steuerung durch Recht thematisiert und grundsätzlich sogar ein "Steuerungseffekt auch über Systemgrenzen,,28 hinweg fur möglich gehalten. Intervention und Steuerung erscheinen so nicht prinzipiell ausgeschlossen, wohl aber komplexer und voraussetzungsvoller. 29 Zum anderen und ebensowenig zufällig wird dieser steuerungstheoretische Zugriff über das Konzept der strukturellen Kopplung entfaltet. 30 Ob auch noch in dieser Fassung die Autopoiese mehr Probleme mit der Empirie oder die Empirie mit der Autopoiese hat, soll hier dahinstehen. Jedenfalls und immerhin werden so "strukturelle Koppelungen" zwischen systemtheoretischen und anderen

So Münch 1996, 40. Zur gleichermaßen verfehlten Über- und Unterforderung politischer Steuerung auch Miinch 1996,73; teilweise wird die Vermutung geäußert, "der reale Verlauf der Verrechtlichung könnte darauf hindeuten, daß die dezentrale Kontextsteuerung ihre Zukunft in der Hauptsache vielleicht schon hinter sich hat", so Bender 1994, 141. 25 Barben 1996, 258. 26 Vgl. etwa Teubner 1995,1371'1'.; zum Zusammenhang von Systemtheorie und Empirie Knarr Cetina 1992, 406 1'1'. 27 Teubner 1995, 142. 28 Teubner 1995, 150. 29 Mit dieser Einschätzung der Arbeiten von Teubner und Wi/lke jetzt auch Barben 1996, 256. 30 Teubner 1995, 147 ff., der vier verschiedene "Szenarien von struktureller Koppelung" entwickelt. 23

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Ansätzen tendenziell erleichtert. Und auch für letztere schärft jene den Blick für die Funktionsprobleme moderner Gesellschaften. Speziell aus der Sicht des Privatrechts, und wohl auch der anderen juristischen Teildisziplinen, stellt sich im übrigen die (für theoretische Höhenlagen möglicherweise etwas zu praxeologische) Frage, was in system theoretischer Sicht eigentlich als das Rechtssystem anzusehen ist. Ist die Frage erlaubt und jemals gestellt worden, ob es sich bei Zivilrecht, öffentlichem Recht, Strafrecht und Verfassungsrecht und zivilrechtsintern bei Vertrags-, Haftungs-, Unternehmensrecht etc. um noch einmal ausdifferenzierte, ihrerseits jeweils operational "geschlossene", "selbstreferentielle" , "autopoietische" Teil-/Subsysteme handelt: Eine solche Vorstellung wäre wohl. mit noch größerem Nachdruck zurückzuweisen, als entsprechende globalere Vorstellungen zum Verhältnis von Recht, Politik, Wirtschaft etc. Das Verhältnis der juristischen Teildisziplinen ist durch derart komplexe Grenzziehungen und Verschränkungen, relative Autonomie und Verknüpfungen (auf normativer und empirischer Ebene) gekennzeichnet, daß auch jahrzehntelange Diskussionen das Maß ihrer "Geschlossenheit" bzw. wechselseitigen "Offenheit" nicht definitiv haben bestimmen können und dies wohlbemerkt auch nicht im Rahmen einschlägiger Risikodiskurse.

b) Ökonomische Analyse des Rechts Als zweites makrotheoretisches Konzept soll die ökonomische Analyse des Rechts hervorgehoben werden, die gerade in jüngster Zeit viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und dies namentlich im Bereich des Privat- und Wirtschaftsrechts. 3\ Dieses Theoriekonzept weist (mit ebenfalls beträchtlichen internen Variationen) im Vergleich mit den angesprochenen systemtheoretischen Ansätzen bekanntlich fundamentale Unterschiede bei den Leittheoremen allgemeiner Natur, aber auch speziell hinsichtlich des hier interessierenden Steuerungsaspekts auf. Als problematische Gemeinsamkeit kann das immer prekäre Verhältnis von theoretischen Modellannahmen und deren empirischer Validität angesehen werden. Als grundsätzlich steuerungsoptimistische Theorievariante kann die Grunddifferenz gegenüber autopoietischer Systemtheorie formelhaft verkürzt in einer Umkehrung formuliert werden: Überforderung des Rechts und Unterforderung der Theorie. Der erste Aspekt betrifft modelltheoretische, zur Generalisierung neigende Annahmen zu den verhaltenssteuernden Effekten ökonomischer Anreize und Sanktionen im Recht. Auch insofern ist vor einer zu bereitwilligen Verwechslung theoretisch

3\

Grundlegend und mittlerweile Standardwerk: Schäfer/Oll 1995.

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modellierter Steuerungskriterien, politisch intendierter Steuerungsanreize und faktischer Steuerungseffekte zu warnen. Dies ist beispielsweise für die Wirkungen von Haftungsrecht allgemein unterstrichen worden: "Solide empirische Beweise für den verhaltenssteuernden Effekt ökonomischer, durch Haftungsrecht gesetzter Sanktionen sind freilich knapp")2. Dieser Hinweis eines Sympathisanten der ökonomischen Analyse des Rechts wird von einem ihrer Kritiker, Rainer Wolf, speziell für das Umwelthaftungsrecht ironisierend radikalisiert: Gegenüber den "geheiligten Kräften der individuellen Präferenz" und den Erwartungen der Modelltheoretiker, Emittenten umweltschädlicher Stoffe würden bei haftungsrechtlicher Ausdehnung monetärer Belastung "Reduktions- oder Verhinderungsmaßnahmen" ergreifen, wendet dieser ein: "Das werden sie natürlich nicht; denn als Mitglieder der realen Welt wissen sie anders als die Theoretiker ökonomischrationalen Verhaltens, daß der Weg zum Gericht steinig ist, daß anspruchsmindernde Vergleiche die Regel, voll stattgebende Urteile dagegen die Ausnahme sind, und daß da, wo kein Kläger auch kein Richter ist")). Damit wird die mögliche Kluft zwischen Modellannahmen und empirischer "Verschrnutzung" des Theoriekonzepts zu Recht unterschieden (wenn auch möglicherweise ein potentieller, wenn auch begrenzter Effekt eines nur "relativen" Haftungsrechts durch Radikalisierung der Ansprüche ignoriert). Ein weiteres Problem wird, ebenfalls für den haftungsrechtlichen Zusammenhang ökologischer Risiken und durch denselben Autor folgendermaßen hervorgehoben: "In der Welt des Geldes gibt es keine Werte, die für sich selbst stehen. Das Hochrechnen von Umweltqualität in geldwerte Äquivalente steuert systematisch fehl und die nicht quantifizierbaren Belange aus,,34. Auch damit wird grundsätzlich zutreffend auf die Gefahr einer ökonomietheoretischen Perspektivenverengung verwiesen, auch wenn wiederum Relativierungen der Kritik mitzubedenken sein mögen. So ist zum einen die rechtsinterne Diskussion zu Haftung für ökologische Schäden zwischenzeitlich weiterentwickelt worden." Zum anderen darf nicht außer acht bleiben, daß das Problem nichtmonetarisierbarer Güter jedenfalls in der deutschen Rezeption der ökonom ischen Rechtsanalyse bereits theorieintern thematisiert wird.)6 Es bleibt aber dabei, daß es sich bei dem Aspekt nicht quantifizierbarer/monetarisierbarer Güter aus normativer Sicht und auch speziell risikorechtlicher Perspektive nicht um ein speziell ökologierelevantes Problem han-

32 33 34 )5 )6

Kötz 1996,53. Wolf 1989. 59. Wolf 1989, 59. Vgl. jüngst Godt 1997. Vgl. die Nachweise bei Damm 1996, 106.

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delt. Ein besonderes Gewicht erhält es aus der risikogesellschaftlichen Betroffenheit von Personalität, Autonomie und Identität. Es betrifft dies den bereits angesprochenen Zusammenhang von Personalitätsrisiken und damit letztlich kulturellen Risiken, die nicht nur in der allgemeinen Diskussion zu Risikodimensionen der RisikogeselJschaft nach wie vor zu kurz kommen. 37 Vielmehr ist auch ihre Berücksichtigung und Abbildung in der ökonomischen Analyse des Rechts (hier etwa des Persönlichkeitsrechts) nicht nur defizitär 38 , sondern wohl auch grundsätzlich prekär. Dies betrifft Grundsatzfragen von großer Reichweite, an dieser Stelle aber nur die Reichweite des Geltungsanspruchs der ökonomischen Theorie. Effizienzkriterium, Preismechanismus und Marktbezug stoßen an Grenzen, wo es um Güter geht, "die ein Individuum überhaupt erst als solches zu konstituieren vermögen" und damit auch "den Menschen als das Individuum konstituieren, als welches ihn der Markt immer schon voraussetzen muß.,,39 Attribute von Personalität und Autonomie können nicht ohne Kriterienverluste in die Sprache des Geldes übersetzt und in der "Farbe des Geldes" ausgemalt werden. Entsprechend können nicht "marktgängige" Güter nicht ohne Funktionsverluste in den Denk- und Handlungszusammenhang des Marktes gestellt werden. 40 Und unter der Voraussetzung, daß die angesprochenen personalitäts-/kulturspezifischen Entwicklungsbereiche, wie namentlich in den weltweit expandierenden Humantechnologien, nicht nur die Peripherie, sondern ein Zentrum der globalen Evolutionsprozesse betreffen, ist das Theoriedesign der ökonomischen Analyse nicht nur peripher, sondern in zentraler Weise tangiert. Wenn unverfügbare Rechte und Grenzen des Marktparadigmas Ausnahmen von der Regel des ökonomietheoretischen Zugriffs auf Risikolagen bezeichnen, dann resultieren aus dem Bedeutungszuwachs dieser sogenannten "Ausnahmen" Grenzen der sogenannten "Regel" einer ökonomischen Analyse. c) Relativität von Steuerungsleistung und -versagen

Risikosteuerung im Zivilrecht41 wird, insgesamt betrachtet, durch eine Relativität von Steuerungsleistungen und Steuerungsversagen geprägt. Damit ist eine gewisse Distanzierung, aber nicht Verabschiedung von theoretischen Ausführlicher hierzu Damm 1996, 92 ff., 104 ff. V gl. aber Kohl 1991, 41; dazu der Kommentar von Seidl in: Olt/Schäfer 1995.52. 39 Behrens 1986, 103, 195. 40 Hier kann nicht auf das weitere und leider bedeutsamer werdende Problem eingegangen werden, daß Risiko- und Marktgesellschaft zunehmend vordem nicht marktgängige Güter zu Marktobjekten transformieren. 41 Und wohl auch in den anderen Teilrechtsgebieten. 37 38

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Steuerungskonzepten mit überzogenem generalistischen Anspruch verbunden. Die modelltheoretische Analyse der Steuerungsproblematik hat einen hohen Stellenwert für die Selbsteinschätzung von Recht und Rechtswissenschaft. Daher ist auch die Leistung der hier mit kritischen Fragen konfrontierten Theorieansätze hoch zu veranschlagen. Dennoch ist auf einer flankierenden Linie der Empirie und Pragmatik, Konkretion und Bereichsspezifik rechtlicher Risikoregulierung zu beharren. 42 Damit werden theorie interne Defizite, aber auch externe Umsetzungsprobleme bei Inkongruenz zwischen theoretischen Axiomen und Objektbereich berücksichtigt. Es wird aber auch darauf beharrt, daß Theorien rechtlicher Steuerung realitätsbezogen bleiben müssen und nicht Realität sich theoriekonform zu präsentieren hat. Damit ist konsequenterweise die Empfehlung verknüpft, neben der Grundlagendiskussion auch die Empirie rechtlicher Regelungs(in)kompetenz voranzutreiben. Insbesondere die Aussagekraft bereichsspezifischer Implementationsforschung sollte noch intensiver genutzt werden. Statt um die Steuerungsfahigkeit "des Rechts" oder "des Privatrechts" geht es dann zunächst jeweils nur um die von Vertrags-, Haftungs-, Gesellschafts-, Wettbewerbs-, Verfahrensrecht etc. Und dann ist um weitere Ausdifferenzierungen nicht herumzukommen: Statt der Effizienz "des" Haftungsrechts steht dann etwa die von Produkt-, Umwelt-, Arzt-, Konzern- oder Medienhaftung zur Diskussion. Die Punktgenauigkeit einer solchen Orientierung wird durch theoretische Flankierung erhöht werden, aber auch auf die Sachhaltigkeit der Theorie zurückwirken. ledenfalls kann dadurch der mitunter beträchtlichen Distanz zwischen Theoriekonstruktion und Sachproblem entgegengewirkt werden. Disziplinintern spricht für diese Sichtweise, daß es nicht um Risikosteuerung durch Privatrecht pur und in seinem status quo-Bestand geht, sondern um Privatrecht im Verbund, entwicklungsoffen und dynamisch. Im normativen und empirischen Verbund und nicht isoliert nebeneinander stehen bereits die einzelnen Privatrechtsgebiete (wie Vertrags-, Haftungs-, Unternehmens- und Wettbewerbsrecht). In einem Steuerungsverbund steht Privatrecht aber auch mit den anderen Disziplinen des öffentlichen Rechts 43 und Strafrechts44 • Und schließlich ist mit Blick auf den Risikodiskurs festzuhalten: Ebensowenig, wie es um die "große Erzählung" zu Regelungskraft oder -schwäche des Zivilrechts geht, geht es pauschal um "das große Risiko" an der Katastro-

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Vgl. in diesem Zusammenhang auch Voigt 1990,16 f. Hierzu etwa Köck, a.a.O.; Di Fabio 1994; 1996, 143 ff.; Riede11997. Prittwitz 1993.

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phenschwelle 4 " sondern um die nonnative Praxis unzähliger Varianten riskanten Verhaltens und dessen Folgen.

11. Risikoprivatrecht 1. Risikosteuerung und Rechtsgüterschutz

a) Rechtsgüterschutz und Regulierungsmodi Privatrecht zeichnet sich unter anderem auf eine geradezu "klassische" Weise durch die Orientierung an bestimmten, teilweise ebenfalls "klassischen" Schutz- oder Rechtsgütern aus. Dominant sind insofern die Schutzbereiche Eigentum und Vermögen sowie Integrität und Autonomie. Tritt zu dieser Ausrichtung noch eine Akzentuierung als Individualrechtsgüter, so scheint mit Blick auf sozialwissenschaftliche Steuerungstheorien das Verdikt der "Antiquiertheit" oder schlimmer gar "alteuropäischen" Antiquiertheit unumgänglich. Und sicher ist Rechtsgüterschutz als Regelungsziel unter den Bedingungen moderner Gesellschaften in vielfacher Hinsicht erheblich problematischer geworden als unter "alteuropäischen" Bedingungen. Dennoch machen einschlägige Probleme diese Perspektive nicht obsolet. Es ist daher grundsätzlich daran festzuhalten: Risikobezug impliziert den Bezug auf Schutzgüter und für das (Zivil-)Recht Rechtsgüterbezug. WeIche Güter sollen auf weIchem Niveau mit welchen Instrumenten vor weIchen Risiken geschützt werden? Diese Frage ist im übrigen mit der bereits erörterten (und ebenfalls oft vernachlässigten) Frage nach der Eigenart der für den Risikodiskurs relevanten Risiken eng verknüpft. Es geht insofern um die wechselseitige Relation einer Schutzgüterspezijik von Risiken und einer Risikospezijik von Schutz-IRechtsgütern. Rechtsgüterschutz ist der traditionelle Ausgangspunkt, der (nicht nur) privatrechtliche Bearbeitung von Risiken mit grundlegenden Funktionsvoraussetzungen des Privatrechts verknüpft. Schutzgüterkataloge bilden nicht zufällig den Regelungsansatz nicht nur traditionellen Privatrechts (z. B. § 823 I BGB), sondern auch des modernen Risikorechts (wie ein Blick auf Produkthaftungsgesetz, Arzneimittelgesetz, Umwelthaftungsgesetz oder Gentechnikgesetz belegt).46 Bei der Konzeptualisierung und Selektion potentiell gefährdeter Rechte und Rechtsgüter handelt es sich nicht um ein bloßes Detailproblem rechtlicher Steuerung risikoträchtiger Aktivitäten, 50n45 Vgl. Meder 1993,268, mit der Unterscheidung zwischen Risiken an der "Katastrophenschwellc" und solchen aus "gewöhnlicher technischer Realisation". Zum ,.Katastrophen"-Bezug bei der Arzneimittelregulierung Krücken 1997, 116 tT 46 Zum "Rechtsgüterprinzip" Möllers 1997, 154 ff.; zum "Prinzip des Rechtsgüterschutzes" im Strafrecht Ifassemer 1994,282 ff., 308 m.w.N.

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dern um ein Grundproblem der Legitimation rechtlicher Intervention. Es werden Schutzobjekte konturiert, über die Regelungszwecke und Verantwortungskreise definiert werden. Der Legitimationsbezug wird durch den Verfassungsbezug unterstrichen, in den gesetzliche Schutzgüterkataloge durch die grundgesetzliche, namentlich grundrechtliche Verbürgung von Leben und Gesundheit, Freiheit und Eigentum, aber auch von Würde und Personalität geraten. Zu Recht wird daher auch in der Risikodebatte von privat-, straf- und öffentlichrechtlicher Seite der Bestand relevanter Rechtsgüter oder auch ein diesbezüglicher "Normalbestand" oder sein Verlust thematisiert und problematisiert. 47 Demgegenüber scheint sich das Interesse der sozialwissenschaftlichen Risikoforschung derzeit mehr den politischen, ökonomischen und "juristischen Risiken" von Risikoentscheidungen und -entscheidern zuzuwenden. 48 Und natürlich: Ungeachtet ihrer zentralen normativen Position sind Rechte und Rechtsgüter auch und gerade mit Blick auf güterspezifische Risiken nicht einfach die Antwort, sondern ein Problem, und dies sowohl auf steuerungstheoretischer als auch rechtstheoretischer Ebene. Im Rahmen der Risiko- und Steuerungsdebatte kann die Bezugnahme auf Schutz-/Rechtsgüter skeptischen Einwänden auf sehr grundsätzlicher Ebene gewiß sein. So könnte eine Orientierung an Rechtsgüterkonzepten als mittlerweile obsolete "Substantialisierung" und damit materiale und materiellrechtliche Perspektive den Unwillen prozeduraler Ansätze erregen, die primär auf verfahrensförmige Konzepte der Risikosteuerung und auf die Generierung und Bewertung risikorelevanten Wissens setzen. Dem könnten jedoch Mißverständnisse zugrundeliegen. Die Ausrichtung von Risikosteuerung an Rechtsgüterschutz kann nicht als Alternativkonzept zur Institutionalisierung risikospezifischer Organisations- und Verfahrensstrukturen begriffen werden. Vielmehr werden solche, namentlich auf Risikokommunikation zielende Strukturen zunehmend und grundsätzlich aus nachvollziehbaren Gründen sowohl in Form neuer Organisationen, Kommissionen und Verfahren als auch innerhalb bestehender Organisationen (namentlich auf Verwaltungs- und Untemehmensebene) theoretisch favorisiert, rechtspolitisch propagiert und praktisch zunehmend institutionali47 Vgl. mit Nachweisen Damm 1997,22, Fn. 31; außerdem Pitschas 1997,243 f., 262 f. Erstaunlicherweise scheinen manche sozialwissenschaftliche Beiträge zur Risikoforschung ohne Augenmerk für die Risiken für potentiell Betroffene und Geschädigte auszukommen und stattdessen ausschließlich auf die politischen und ökonomischen Risiken von Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft konzentriert zu sein; mit dieser Tendenz etwa JF.K. Schmidt 1997, 2791T.; auch in dem Beitrag von Dammann 1997, 39 ff., stehen die "juristischen Risiken" von Risikoentscheidungen im Vordergrund. 48 Vgl. ~1Och einmal die Beiträge von JF.K. Schmidt und Dammann in der vorausgehenden Fußnote. Dies betrifft ohne Zweifel eine wichtige Fragestellung, aber nicht den originären Kern des Risikos der Risikogesellschaft.

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siert. Dies kann aber nicht als schutzgüterunabhängige Risikosteuerung konzipiert, sondern nur als Frage nach den - auch mit Blick auf Rechtsgüterschutz - angemessenen Steuerungsmodi formuliert werden. Erst auf dieser Ebene werden die schwierigen Beurteilungen der Funktionsvoraussetzungen, Aufgabenverteilung und Schwerpunktsetzung zwischen unterschiedlichen, etwa materiellen, "regulativen" und prozeduralen Regelungskonzepten und Politikvarianten bedeutsam. Was eben diesen letztgenannten Aspekt betrifft, so sollte das Verhältnis von "regulativem", "interventionistischem", "materialem" etc. Recht einerseits und "prozeduralem", "reflexivem", "selbstreflexivem" etc. Recht andererseits nicht nur mit theoretischer Grundsätzlichkeit sondern auch mit "realistischer" Behutsamkeit angegangen werden. Namentlich ist sicherzustellen, daß nicht reales und sicher defizitäres regulatives Recht mit modelltheoretisch "gelungener" Prozedualisierung konfrontiert wird. So wie mit Realitätsbezug zu prüfen ist, wo genau aus welchen Gründen regulatives Recht versagt haben mag49 , sind andererseits organisatorisch-prozedurale Steuerungsmechanismen auf den Prüfstand zu bringen. Jedenfalls einige Tropfen Wasser im Wein der Prozeduralisierung entstammen der Einsicht, daß Steuerung durch verfahrensstrukturelle Arrangements im Vergleich zu direkter zielorientierter Steuerung keineswegs weniger voraussetzungsvoll sein muß. So ist aus der Sicht des umweltbezogenen Unternehmensrechts auf die mitunter größere Konfliktträchtigkeit prozeduraler und organisatorischer Regelungen und, in Entsprechung zu "Politik-", "Rechts-" oder "regulativem Versagen" auf die Möglichkeiten "reflexiven Versagens" verwiesen worden. so Es gibt lehrreiche Fallstudien zu Beispielen mißlungener Prozeduralisierung über Verhandlungssysteme SI und gut belegte Klagen über das Scheitern wissenschaftlicher Po Iitikberatung durch kommissionsförmig versammelten Sachverstand, die auf "Dethematisierung", "Blockadepotentiale" und "Entscheidungsverhinderung" statt Entscheidungsvorbereitung verweisen 52 . Zu Recht wird deshalb auch von Vertretern des reflexiven Rechts konzediert, daß vor Generalisierungen des neuen Rechtsparadigmas ebenso wie "vor übertriebenen Hoffnungen zu war49 Dabei sollte jedenfalls zwischen "Regulierungsversagen" und "Regulierungsfehler" differenziert werden; vgl. zur Differenzierung von "Vollzugsdefiziten" und "Vollzugsfehlern" bei Dammann 1997,39 ff. so Rehbinder 1988, 109 ff., 112 f.; teilweise werden "Zweifel an der Zukunft des reflexiven Rechts als primären Ordnungsmodus" auf das "Fehlen wirklicher Alternativen bei sich verschärfendem Problemdruck" (namentlich in den Bereichen "Umwelt" und erodierender "Solidarität") gegründet. Dieser Problem druck werde "regulative Vorgehensweisen" nachhaltig forcieren, "ohne daß 'runde Tische' oder andere 'gesprächige Runden' (Wiethölter) über die Rolle des diskursiven Zierrates hinauskämen", so Bender 1994, 141 f. ~I Vgl. Hiller 1997,147. ~2 HoJJmann-Riem 1987, 341.

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nen" sei. Immerhin ziehe die Umstellung von Fremdsteuerung des Rechts auf Steuerung von Selbststeuerung "neuartige gravierende Folgeprobleme" nach sich, so daß es "nicht um eine totale Umstellung des Rechts auf neue Steuerungsformen" , sondern "allenfalls eine Schwerpunktverlagerung rechtlicher Steuerung auf prozedurale Mechanismen" gehen könne. s3 Mit diesem relativierten Anspruch erscheint allerdings der hohe Stellenwert reflexiver und kommunikativer Steuerungsmodi unbestreitbar und dies insbesondere in Bereichen wissensbezogener Ungewißheit und grundsätzlicher normativer Dissense.

b) Diffuse Rechtsgüter und kulturelle Risiken Auf der zweiten, der rechtstheoretischen Ebene, sind die Probleme risikospezifischen Rechtsgüterschutzes nicht weniger gewichtig. Sie werden als "Dynamisierung der Rechtsgüter"S4 und "Diffusion von Rechtsgütern"ss thematisiert. Der erste Aspekt soll auf die gegenüber dem traditionellen bürgerlichrechtlichen Konzept zunehmende staatliche Verantwortung für die Generierung und Zuweisung von Rechtsgütern sowie für die Kontrolle der diese Güter tangierenden Risiken verweisen. Der zweite Gesichtspunkt "diffuser Rechtsgüter" zielt auf eine auch für den "Rechtsgüterschutz in der Risikogesellschaft"s6 einschlägige und zunehmende Unschärfe der Grenzbestimmung geschützter Rechtspositionen. Er steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der bereits angesprochenen Differenz zwischen Sicherheits- und Personalitäts/ Autonomiekriterien. Nun scheint die Diffusion von Rechtsgütern im Sinne problematischer Schutzgrenzen ein allgemeines Phänomen entwickelter Rechtssysteme zu sein. So ist gerade aus der Sicht des Zivilrechts bereits eine Grenzverwischung klassischer Rechte/Rechtsgüter auszumachen, wie etwa beim Eigentum zwischen konturscharfem Substanzschutz und konturärmerem Eigentumsfunktionsschutz und allgemein zwischen Eigentumsschutz und Vermögensschutz. Hinzugekommen ist das problematische Verhältnis von Eigentumsschutz und Umweltschutz, das durch die Eigentumszentriertheit der Umwelt- und Gentechnikhaftung und deren Zurückhaltung gegenüber der Einbeziehung sog. "ökologischer Schäden"s7 unterstrichen worden ist, wonach Umweltschäden außerhalb der Eigentumsordnung im wesentlichen auch auTeubner 1984, 289 ff., 313 ff., 338, 344. Rehbinder 1994, 355 ff. 55 Damm 1997, 23 f.; 1996, 98; die damit gemeinte Diffusität ist nicht zu verwechseln mit "diffusen Effekten" im Rahmen von Kausalitätsüberlegungen; vgl. zu dieser Spielart von Diffusion Ladeur 1994, III ff., 113, 117. 5b Barrata 1993, 403. 57 Neuerdings ausführlich Godt, Fn. 35. 53

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ßerhalb der Haftungsordnung belassen worden sind. Und natürlich steht hier das Problem im Hintergrund, daß der "Naturhaushalt selbst zu einem 'Rechtsgut"';S mutiert ist und zwar zu einem "neuen, aber kaum abgrenzbaren Rechtsgut";9. Einen zentralen Ausschnitt diffuser Rechtsgüter repräsentiert wiederum der bereits angesprochene Einzugsbereich der Humantechnologien (also knapp: Medizin-, Gen- und Informationstechnik). In den Konventionen des Verfassungsrechts wie auch der Teildisziplinen, namentlich des Privatrechts, geht es wesentlich um Anwendungsbereiche und Steuerungspotentiale von Persönlichkeitsrechten (z. T. flankiert durch das verfassungsnormative Basiselement der Menschenwürde) und vielfach um Varianten informationeller Selbstbestimmungsrechte. Diese Risiko- und Technikbereiche haben entscheidend dazu beigetragen, daß der Sektor der (so oder anders bezeichneten) Persönlichkeitsrechte mittlerweile zu den expansivsten Territorien des Rechtsgüterschutzes zählen. In einem Umfeld, in dem Risiken die Konstitutionsbedingungen von Person, Personalität und Autonomie betreffen, befindet sich Identitäts- und Autonomieschutz im Wandel. 60 Dem kann hier nicht weiter nachgegangen werden. Entscheidend ist folgender Gesichtspunkt: Die Eigenart vieler risikospezifischer Schutzpositionen als diffuse, "weiche" Rechtsgüter im Kontrast zu traditionellen, "harten" Rechtsgütern ist nicht als Ausdruck geringerer Relevanz gefährdeter normativer "Software" mißzuverstehen. Im Gegenteil: die Diffusion von Rechtsgütern, gewissermaßen als "Anti-Materie" traditionell harter Rechtsgüter, scheint eher Beleg als Widerlegung ihrer grundlegenden Verknüpfung mit zentralen Entwicklungstendenzen der Gesellschaft und des Rechts. Dies wird durch ein weiteres Element der Diffusion unterstrichen, nämlich durch die in Risikozonen vielfach zu konstatierende Verschränkung von Individualschutz und Sozialschutz angesichts der Verschränkung von Individualrechtsgütern und Kollektivgütern. 61 Allerdings: bei "kulturellen Risiken" und ihnen zugeordneten diffusen Rechtsgütern ist es weder unproblematisch noch unbestritten, ob und wieweit diese als Regelungskriterien gegenüber neuen Technikentwicklungen und deren Folgen überhaupt in Betracht zu ziehen sind. So wird, gerade mit Blick auf die Humantechnologien, davor gewarnt, durch "Überziehen" der Risikodimension andere als "klassische Rechtsgüter" oder gar Kriterien der "SozialLadeur 1994, 117. Di Fabio 1994, 452. 60 Vgl. hierzu Damm 1997a, 129 ff.; Damm 1998, 115 ff. 61 Vgl. nur für ökologische Risiken Godt 1997,27 und passim; für informationelle Risiken Woif1993, 134 ff. (mit Hinweis auf einen "tließenden Übergang von Individualrechtschutz zum Kollektivgüterschutz" für den Bereich informationeller Selbstbestimmung, 144). ;8

;9

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verträglichkeit" bei der Beurteilung von Technikfolgen zu berücksichtigen. 62 Solche Bemühungen würden empirisch durch Gewöhnungseffekte zugunsten neuer Techniken, sozial durch analogen Wandel gesellschaftlicher Moralfeststellungen und normativ durch Gegenrechte auf Zulassung und Nutzung neuer technischer Optionen konterkariert. Die damit angesprochenen Probleme sind wiederum komplex und können hier nicht weiter verfolgt werden. Fest steht gewiß als empirisches Datum ein Prozeß der "Veralltäglichung und Gewöhnung - das Natürlichwerden neuer Technik,,63. Dies gilt fur die neuzeitliche Technikentwicklung insgesamt. Ein neues Datum ist vor aller qualitativen Bewertung zumindest die Rasanz der Entwicklungs- und Gewöhnungsprozesse. Dies kann in jüngster Zeit und gerade jetzt an den erreichten Eckpositionen der Gen- und Reproduktionstechnik (etwa Keimbahntherapie und insbesondere Klonen mit der Perspektive des Klonens von Menschen) verfolgt werden. Es werden hier nicht nur neue Techniken entwickelt, sondern mittlerweile auch Theorien der Akzeptanzentwicklung, gewissermaßen Phasenmodelle der Gewöhnung an vordem Undenkbares, Unfaßbares, Unakzeptables: Ablehnung mit Entsetzen/Empörung - nur noch Ablehnung - geweckte Neugier - wachsende Akzeptanz. 64 Neu ist auch, immer noch auf der empirischen Ebene und insbesondere im Vergleich mit der Kerntechnik, die relative Kleinförmigkeit der wissenschaftlichen und ökonomischen Veranstaltung von Medizin- und Biotechnik. Kleine Einheiten bis hin zu Kleinunternehmen, Einzelinstituten und individuellen Akteuren stellen auch auf der Steuerungsebene vor andere Probleme als großdimensionierte, gar staatlich monopolisierte Unternehmen und Organisationen wie im Bereich der Kerntechnik. Was aber bedeuten die empirisch diagnostizierten Gewöhnungsprozesse für eine normative Bewertung der zugrunde liegenden Techniklinien? Wer erteilt die Linzenzen für die tiefgreifende Um schaffung der Natur einschließlich der menschlichen Natur? Naturphilosophische Fragen können von Juristen kaum beantwortet werden, auch wenn sich solche Fragen immer dringlicher stellen in einer Menschheitsperiode, in der die "endgültige Kündigung des Naturzu62 Hierzu vandenDaele 1989,217ff.; 1987,351; 1997,221.

van den Daele 1989, 207. Daß sich solche Akzeptanzschübe im wesentlichen nur auf die technikspezifischen Hauptschienen lind deren "chancenreiche" Optionen, nicht aber auf Seitenpfade, Mißerfolge ("Risiken") lind einstweilen nicht breiter bekannte übernächste Gewöhnungsstationen beziehen, sei nebenbei bemerkt. Beispiele für die letztgenannte Variante: die (praktizierte) Erzeugung eines Kindes, dessen Mutter starb, als es als kryokonservierter Embryo noch im Gefrierfach lag und dessen Vater ein anonymer Samenspender ist; die (praktizierte) Retortenzeugung eines mittlerweile schulpflichtigen Kindes, das "versehentlich" als "Mischmasch" aus weiblichem und männlichen Wesen zur Welt kam; die (diskutierte) Reproduktionsvariante, bei der Kühe, Schweine oder Schimpansen als "Leihmütter"' für Menschen fungieren; vgl. hierzll den Pressebericht im Spiegel 6/1998 v. 2.2.1998. 61

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standes"65 zur Diskussion steht. Wohl aber ist nonnativ und auch bei rechtlicher Technik- und Risikosteuerung darüber zu entscheiden, welche Schutzund Rechtsgüter gegenüber welchen Risiken technischer Innovationen in Anschlag gebracht werden können. In der Sache geht es bei den hier insbesondere mit Ausrichtung auf Humantechnologien "kulturelle Risiken" genannten normativen Konsequenzen um einen Ausschnitt der allgemeineren Fragestellung nach der "Sozialverträglichkeit", "Verfassungs-" oder' allgemein "Rechtsverträglichkeit" von Technikentwicklungen. Bei dieser Prüfungsstation ist bereits die vorgreiflich-präjudizierende Frage nach der Berücksichtigungsfahigkeit der damit betroffenen Nonnativaspekte angesprochen. Dieses Problem berücksichtigungsfähiger Rechte und Güter ist jedenfalls von ebenso großem Gewicht wie das der Steuerungsfähigkeit riskanter Prozesse und risikenproduzierender Systeme. Die damit angesprochenen Fragen werden bekanntlich und wie bereits angedeutet kontrovers diskutiert. So werden Maßstäbe der Sozial-, Verfassungs- und Rechtsverträglichkeit einerseits als zentrale Bewertungskriterien angesehen 66 , andererseits werden bereits berücksichtigungsfähige Rechtsgüter auf "klassische" Kataloge (Leben, Gesundheit, Eigentum) limitiert67 . Insoweit ist der sozialwissenschaftliche 68 , politische 69 und rechtswissenschaftliche Diskurs zu empirischen und nonnativen Implikationen von Sozial- und Rechtsverträglichkeitskriterien gewiß nicht abgeschlossen. Es ist aber jedenfalls an der wenn auch wechsel bezüglichen Differenz von Faktizität und Normativitäe O und an der zwischen Politik und Recht festzuhalten. Daher ist die (verfassungs-)rechtliche Bewertung riskanter Technologien sehr wohl eine entscheidende Frage und zwar unabhängig davon, ob es 65 Böhme 1992, 197.

66 V gl. etwa Roßnagel 1992, 24 ff., 59 ff., 192 ff., mit umfangreichen Nachweisen; Denninger 1990, 190, formuliert "Standards für 'gemeinwohlrichtiges' Technolo-

gierecht", zu denen die "grundsätzliche Gestaltbarkeit des technologischen Prozesses unter Gesichtspunkten der Umwelt- und Sozial verträglichkeit" als ,,(selbstverständlicher) Bestandteil der Diskussionsbasis im Normsetzungsverfahren" gezählt wird. 67 van den Daele 1989; 1987; kritisch zum Verfassungsverträglichkeitskonzept Gusy 1989,241 tf. 68 Vgl. etwa Martinsen 1997,209 ff. 69 Vgl. beispielsweise v. AlemannlSchatz/Simonis/Latniak/LiesenjeldiLoss/Stark/ Weiß (1992); bemerkenswert die gesetzespositive Sozialverträglichkeitsbestimmung im österreichischen Gentechnikgesetz (dazu Martinsen 1997) und die Bedarfs- und Vorteilsprüfung nach norwegischem Gentechnikrecht (dazu van den Daele 1997, 292); vgl. in diesem Zusammenhang auch Winter 1993, 34 f.; 1992, 389; gerade umgekehrt zur Ablehnung von Bedürfnisprüfung und Technikfolgenabschätzung im Rahmen der Vertretbarkeitsklausel im Freisetzungsrecht nach § 16 I Ziff. 3 Gen· technikG Hirsch/Schmidt-Didczuhn: Gentechnikgesetz - Kommentar, 1991, § 16 RZ.24. 70 Vgl. hierzu aus rechtsmethodologischer Perspektive Damm 1976,213 ff.; speziell im hier interessierenden Zusammenhang der Technik- und Risikosteuerung Roßnagel 1992, 20 ff., 192 ff., 236.

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lll

angesichts supranationaler Verflechtung, ausdifferenzierter Wirtschaft und globalen Kapitalmärkten "politischen Handlungsspielraum" für Technik- und Innovationssteuerung gibt. 71 Soweit von vornherein den "Erwartungen der Systemtheorie" entsprechend "kein erkennbarer Spielraum rur Techniksteuerung" gesehen wird und daher statt Steuerung alternativ allein Beteiligung am "Spiel der Evolution" propagiert wird 72 , sollte berücksichtigt werden, in weIchem Maße dieses "Spiel" sehr wohl auch politisch-rechtliche Steuerungs impulse erfährt. Natürlich erscheinen diese Impulse naturgemäß um so chancenreicher, je mehr sie tendenziel1 den ökonomisch dominanten Interessen der innovationsfreudigsten Spieler im "Spiel der Evolution" entsprechen. Soweit wie hier insofern jedenfalls in bestimmten Bereichen Spielregeln normativer Art fur erforderlich gehalten werden, muß nicht unmittelbar auf in der Tat als solche vage "gesamtgesel1schaftliche Kriterien"7], sollte aber auf rechtliche Kriterien zurückgegriffen werden 74 . Und insofern nehmen namentlich verfassungsrechtlich geschützte Rechte und Schutzgüter einen besonderen Rang ein - natürlich grundsätzlich zugunsten al1er von Risikoszenarien Betroffenen. Dabei scheint insbesondere bei den Humantechnologien und dem hier immer rasanter ablaufenden "Spiel der Evolution" die Kriteriendiskussion keineswegs am Ende, sondern vor neuen Etappen zu stehen. Und in diesem Zusammenhang kann nicht davon ausgegangen werden, daß gesellschaftliche Reaktionen und regulative Interventionen strikt auf physisch-somatische Folgen fur klassische Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Eigentum) beschränkt werden, weitreichende Folgen für normative und soziale Strukturen aber unberücksichtigt bleiben müßten. Damit wird einerseits mit Blick auf Technikbewertungen keine Dominanz "kultureller Güter,,75 reklamiert, andererseits aber für die jedenfalls grundsätzliche Berücksichtigungsfahigkeit "diffuser Rechtsgüter" als Kriterien der Risikoregulierung plädiert76 . Erst deren auch normative Thematisierung statt Dethematisierung kann das für modeme Risikolagen und -steuerung angemessene Kriterienniveau jedenfal1s im Grundsatz sichern.

71 Vgl. gegenüber einer solchen normativen Position die "realistische" Einschätzung bei van den Daele 1997,238 f. 72 van den Daele 1997, 299. T , van den Daele 1997, 298. 74 Dazu ausführlich etwa Denninger 1990; Roßnagel 1992. 75 Vgl. zu "kulturellen Folgen" als Ausschnitt einer Typologie von Technikfolgen Roßnagel 1992, 79. 76 Es muß hier offenbleiben, ob es zwischen den damit angedeuteten Aspekten eines ,.Kulturprivatrechts" und einer Kultursoziologie bzw. Kulturtheorie der Technik wechselseitige Anschlußfähigkeiten gibt; vgl. zur Perspektive eines Kulturprivatrechts noch Damm 1996, 95 ff; zu einer kulturtheoretischen Konzeption sozialwissenschaftlicher Technikforschung vgl. Hörning 1989, 98 ff. Grundlegend zur Techniksoziologie Ullrich 1979; Joerges 1988; Jokisch 1982.

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c) Regulierung und Codierung

Die Diffusion der Rechtsgüter tangiert schließlich eines der zentralsten und überraschendsten, aber wenig überzeugenden Basiselemente der systemtheoretischen Rechtskonzeption, nämlich die angebliche Determiniertheit des Rechts durch die "binäre Codierung" Recht/Unrecht 77 • Diese soll zur Folge haben, daß im Streitfall nur die eine Seite Recht haben kann und die andere folglich im Unrecht sein muß. 78 Damit wird vieles konterkariert, was sich im Zentrum des modernen Rechts an Entwicklungen vollzogen hat. Hierzu können an dieser Stelle nur einige Anmerkungen gemacht werden. Was zunächst die Diffusion von Rechtsgütern betrifft, so verhindert sie bezeichnenderweise weitgehend die "Indizierung" von Recht oder Unreche 9 und führt zu Prozessen der "Abwägung", eine Situation, die etwa im Brennpunkt der jahrzehntelangen Kontroversen um das gerade hervorgehobene Persönlichkeitsrecht steht. Damit ist aber in der Sache nicht mehr und nicht weniger als die "Entcodierung binärer Schematisierungen"80 verbunden. Dem ließen sich zahlreiche weitere Beispiele hinzufügen, die, namentlich aus der Sicht des Zivilrechts, statt "binärer" eher relative, gradualisierte Codierungen belegen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei auf folgende, je für sich komplexe Problembereiche verwiesen: Relativierungen des Rechtswidrigkeitskonzepts als des zentralen "Codierungs"-Elements selber81 ; der Stellenwert von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen gerade auch im risikorelevanten Recht; Konstellationen der Mitverursachung und des Mitverschuldens; hieraus und aus anderem resultierende Teilerfolge/-mißerfolge von Rechtskontrahenten; Pattsituationen in Entscheidungsgremien und gerichtlichen Spruchkörpern. Dies deutet darauf hin, daß die "binäre" Schematisierung Recht/Unrecht jedenfalls aus dem Blickwinkel des realexistierenden (Privat-)Rechts allzu

Vgl. etwa Luhmann 1991,61 ff. Luhmann 1991, 65 f. (mit Hinweisen auf die Rolle des Ausgangs in der griechischen Tragödie und den Konflikt zwischen Romulus und Remus: "Das Resultat ist bekannt: die Stadt heißt Rom und nicht Rem"). 79 Die hier untechnisch gebrauchten Begriffe der "Indizierung" und "Abwägung" spielten bekanntlich im rechtsdogmatischen Zusammenhang des deliktischen Rechtswidrigkeitskonzepts eine zentrale, wenn auch kontroverse Rolle. 80 Wolf 1993, 132; dies belegt nun aber keineswegs automatisch einen "Bedeutungs verlust regulativen Rechts" (so aber Wolf, ebenda), sondern läßt jedenfalls aus der Sicht des Zivilrechts, eine bloße Verlagerung auf eine andere regulierende Instanz zu, so insbesondere auf die Justiz. 81 Dieser Hinweis betrifft mehrere Unterprobleme. Eines bezieht sich auf Abstimmungsprobleme des Rechtswidrigkeitskonzepts im Verhältnis von öffentlichem Recht und Privatrecht; dazu jeweils mit Nachweisen Damm 1996, 129 ff..; 1997,40 f. 77 78

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schematisch erscheint. 82 Es erweist sich die Redeweise von einer binären Codierung Recht/Unrecht allenfalls als Hinweis auf eine idealtypische, aber kontrafaktische Zielgröße des Rechtssystems sinnvoll. Damit entfällt aber auch die Grundlage für die wesentliche aus diesem Theoriekonstrukt gezogene Folgerung, daß Risikobearbeitung letztlich ausschließlich in den Funktionsbereich der Politik gehöre, für das Rechtssystem aber "Zumutung" und Überforderung bedeute. 83 Es wird damit für die Risikodiskussion etwas unterstellt, das aus einer allgemeinen Vernachlässigung des Unterschiedes zwischen analytischer und empirischer Differenzierung resultiert: Das analytische Konzept der binären Codierung "sagt uns jedoch noch nichts darüber, was tatsächlich als legal oder illegal definiert ist". Und weiter erfolgt in der Realität juristischer Entscheidung eine Mischung der Codes unterschiedlicher Subsysteme: "Es hängt folglich von kulturellen Systemen, ökonomischen Berechnungen und politischen Machtverhältnissen ab, was in der Realität als rechtlich richtig oder falsch definiert wird"84. In diesem Zusammenhang wäre auch der Eindruck weiter zu diskutieren, wonach ungeachtet aller Diffusion der Rechtsgüter von einer Intensivierung des Rechtsgüterschutzes auszugehen sei. Wenn bzw. soweit diese Einschätzung zutreffend sein sollte, ergäbe sich hieraus in einer überraschenden Wendung die Gleichzeitigkeit von "Unsicherheit des Rechts" und "Sicherheit der Rechtsgüter"85.

2. Regelungssektoren Spätestens jetzt ist die Feststellung angebracht: Steuerungsleistungen des Zivilrechts können in unvermittelter Weise weder analysiert noch postuliert werden, sondern nur mediatisiert über die zivilistischen Teilsektoren (wie Vertrags- und Haftungsrecht, Personen- und Sachenrecht, Unternehmensrecht, Wettbewerbs- und Kartellrecht 86 ). Insofern können hier nur einige knappe 82 Vgl. auch die Kritik bei Meder 1993,265 ff.; bei Meder 1993,269, die Formulierung: "Typischerweise, so könnte man in Anbetracht einer sehr grundSätzlichen Relativierung ehemals absoluter Rechte hinzufügen, handeln heute sowohl Schädiger als auch Geschädigter rechtsmäßig", aber der eine evtl. "rechtsmäßiger". 83 LlIhmann 1991, 180; dazu auch kritisch Meder 1993, 267 ff. 84 Münch 1996, 39; vgl. aus einem anderen theoretischen Kontext auch das Postulat: "Auch ein diskursives Reziprozitätsprinzip bleibt auf Medien der Bewirkung und Durchsetzung von Entscheidungen angewiesen. Es besteht auch kein Anlaß, den Komplexitätszuwachs des Rechts im Namen eines Neoliberalismus zurückzunehmen. Wichtig wäre aber, daß die verfestigten und gegenüber gesellschaftlicher Kommunikation verselbständigten Interpretationen und Wissensbestände, mit denen ausdifferenzierte Subsysteme sich selbst beschreiben und mit denen sie ihre Operationen programmieren, von außen destabilisiert werden können", Günther 1990, 67. 85 Vgl. für das Strafrecht Barrata 1993,402, mit Verweis auf Denninger. 86 Zu letzterem jüngst Becker-Schwarze 1997.

8 Bora

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Hinweise zu ausgewählten Bereichen gegeben werden. Dabei fallt auf, daß dem Privatrecht mitunter und teilweise gerade disziplinextem, etwa von öffentlichrechtlicher und sozial wissenschaftlicher Seite, eine zunehmende Bedeutung für die Regulierung von Risiken zugeschrieben87 wie auch heftig bestritten wird. Dies mag als Globalaussage auf sich beruhen. Hier soll hervorgehoben werden, daß ein Blick über zivilrechtliche Teilgebiete verdeutlicht, daß auch zivilrechtsintern bereits alle einschlägigen Steuerungsmodi repräsentiert sind: Konsens und Information, Kompensation und Prävention, Organisation und Verfahren. S8

a) Vertragsrecht Unter den zivilistischen Kernmaterien ist das Vertragsrecht vergleichsweise spät in die neue Risikodebatte eingetreten. Im Gegensatz dazu gilt der Vertrag natürlich als das geradezu klassische Vehikel der Steuerung von gütertransfermarkt- und vermögensbezogener Risiken und wird in dieser Funktion nach wie vor thematisiert. 89 In ökologie- und technologiespezifische Risikolagen "neuer Art" wächst das Vertragsrecht erst in jüngster Zeit hinein. Die Kennzeichnung dieser Entwicklung als "Ökologisierung" des Vertrages wirkt großformatig, die Eigenart betroffener Konfliktlagen eher kleinformatig. Allerdings ist diese Kennzeichnung aus der Sicht des VertragsrechtIers ohne negativen Beiklang, sondern wegen der Konzentration auf Individualkonflikte (keinesfalls isoliert auf Individualinteressen) durchaus angemessen. In der einschlägigen Diskussion über "sozialschutzbezogene Normbildungsprozesse bei Risikoentscheidungen im Vertragsrecht,,90 wird mit Blick auf die Betroffenen, zwischen vertrags internen Risiken (der Vertragspartner) und vertragsexternen Risiken (für Dritt- und Allgemeininteressen) unterschieden, mit Blick auf Risikotypen zwischen bekannten, vermuteten und unbekannten Risiken 91 , hinsichtlich der Vertragstypen zwischen Individual- und Massenverträgen sowie Verbraucherverträgen und Verträgen zwischen Unternehmen 92 . Die Ziviljustiz war etwa mit Wohn- und Umweltgiften, gesundheitsgefahrdenden Lebensmitteln (glykolversetzter Wein, radioaktive Baby87 Vgl. etwa Pitschas 1997,226 f.; Luhmann 1991, 182 ff.; Beck 1986, 315 ff.; 1988,285. S8 V gl. hierzu Damm 1997, 35 ff. S9 V gl. Henssler 1994. 90 So der Titel eines Aufsatzes von Hart 1991,363; vgl. auch J. Schmidt 1991,344. 91 Vgl. Hart 1991,365 ff., für die vertrags internen Risiken ist die Differenz von Leistungs- und Integritätsinteressen zu beachten. 92 In der letzten Gruppe spielen beispielsweise Qualitätssicherungsvereinbarungen eine Rolle.

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nahrung, blei- oder nitratbelastetem Trinkwasser) befaßt, außerdem mit ÖIschäden, Lärmbelästigung, Baugrundstücken mit Altlasten und der Kernkraftkatastrophe von Tschemobyl.9J Als normative Ebenen der vertragsrechtlichen Risikobearbeitung kommen in Betracht das Erfüllungs- und Gewährleistungsrecht, vertragliche Informations- und Schutzpflichten (einschließlich der vor- und nachvertraglichen Phase), Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Geschäftsgrundlage und schließlich zivilrechtliche Verkehrsverbote wegen Sitten- oder Gesetzeswidrigkeit (§§ 134, 138 BGB)94. Die Vertragstypologie ist durch Kauf-, Werk-, Reise- und Mietverträge repräsentiert. Mit Blick auf die allgemeine Diskussion zum Risikorecht sei die auch vertragsrechtliche Relevanz von Fällen des begründeten Verdachts 9S und mit Grenzwerte-Konstellationen 96 hervorgehoben. Hier spielen, wie in zahlreichen Bereichen der Risikodiskussion, Abstimmungsprobleme zwischen Zivilrecht und öffentlichem Recht eine bedeutsame Rolle. Insgesamt handelt es sich bei den hier nur angedeuteten Problemen für die normative Bearbeitung um kontroverse und wichtige Fragen zu Vertragskonzept und Vertragspraxis und bei der Betroffenheit von repräsentativen Individualinteressen letztlich nicht nur um Individualinteressen. Mit Blick auf die gesellschaftliche Risikodimension kann es sich hier nur um (kleinere und größere) Tropfen auf heiße Steine handeln. Und im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Risikodiskussion sind Propagandisten eines konzeptionell großen Wurfs der Risikoregulierung durch einen Blick auf den vertragsrechtlichen Mikrokosmos kaum zu beeindrucken.

b) Haftungsrecht Wo Haftungsrecht thematisiert wird, werden auch Risiken thematisiert. Wie keine andere Kernmaterie des Privatrechts hat das Haftungsrecht in seiner Entwicklung die gleichzeitige Veranstaltung und Domestizierung von Risiken begleitet. Dabei ist "Risikosteuerung durch Haftung"97 im Grunde Be-

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Vgl. Nachweise bei Meier 1995, 15 ff.

94 Zu dem letzten Aspekt Damm 1997, 30 f. Hier geht es sowohl um ökologisch

relevante Probleme als auch um solche der Humantechnologien. 95 Vgl. dazu mit Nachweisen Damm 1996, 117. 96 Damm 1996, 117 f.; 1997,29 f. 97 Nicklisch 1995,617. 8'

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standteil eines langen Prozesses einer Modernisierung des Haftungsrechts 98 , die die Modernisierung der Gesellschaft begleitet. In einem "erstaunlichen Anpassungs- und Innovationsprozeß" hat das Haftungsrecht auf die tiefgreifenden sozialen, ökonomischen und technologischen Veränderungen im 20. Jahrhundert reagiert. 99 Allerdings ist diese Entwicklung nicht gradlinig und konsequent, sondern voller Stolpersteine und kontrovers. In der Sache und letztlich im Ergebnis geht es um eine sukzessive Fundamentalkorrektur des bereits bei Inkrafttreten veralteten Deliktsrechts des ohnehin als Kodifikation verspäteten BGB. Von zentraler Bedeutung ist eine weitreichende Umsteuerung von der traditionell dominierenden Schadensextemalisierung zur Schadensinternalisierung durch Deliktsrecht, die letztlich auf einer "Umkehrung der gesellschaftlichen Grundhaltung gegenüber Schadensfällen" beruht. 100 Hatte die frühe Industriegesellschaft der Handlungsfreiheit insbesondere des unternehmerisch tätigen Marktbürgers auch haftungsrechtlich nur in elementaren Kernbereichen Grenzen gesetzt, so werden in der entwickelten Industriegesellschaft angesichts entwickelter Risikopotentiale zunehmend auch haftungsrechtliche Freiheitsbegrenzungen eingeführt. Dieser Prozeß vollzieht sich auf beiden Spuren des Haftungsrechts: im Bereich der Verschuldenshaftung und dem der Gefährdungshaftung. Im ersten Bereich sind insbesondere eine Objektivierung des Verschuldens-/Fahrlässigkeitskonzepts, die expansive Entwicklung deliktischer Verkehrspflichten einschließlich der Verselbständigung unternehmerischer Verkehrsptlichten und eine Expansion des einschlägigen Rechtsgüterkatalogs zentral. Im Ergebnis sind mittlerweile bereits auf der Ebene des Deliktsrechts (aber nicht nur hier) eine Vielzahl von Steuerungselementen wirksam, namentlich in Gestalt organisatorischer und informationeller Ptlichtenkreise, z.B. Organisations-, Produktbeobachtungs-, Informationsptlichten. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß Zivilrecht heute substantiell und zunehmend Informationsrecht und Haftungsrecht Inforll1ationshaftungsrecht ist und als solches die Verantwortlichkeit für unterlassene, unzutreffende oder unzulässige, namentlich aber risikorelevante Informationen betrifft. Die zweite Spur der Gefährdunghaftung ist, als das "repräsentative Haftungsrecht der 'Risikogesellschaft'" 101, bekanntlich immer breiter geworden. Produkt- und ArzneimiUelhaftung, Gewässer-, Atom-, Umwelt- und Gentechnikhaftung sind zu einem Verbund "neuen Haftungsrechts" zusammen-

98 Dies gilt jedenfalls für die rechtspolitische Haupttendenz. Ungeachtet dessen wird der konzeptionell-dogmatische Stand des Haftungsrecht als teilweise beklagenswert empfunden.

Briiggel1leier 1997.657. Briiggel1leier 1997, 667. 101 Briiggemeier 1988, 513.

99

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gewachsen, der als "Kompensation für ein Leben mit Risiken,,102 bezeichnet worden ist. Sie wirft für Unfälle, rechtswidrigen und rechtmäßigen Nonnalbetrieb zu unterscheidende Probleme auf. 103 Und sie steht mit Blick auf Legitimität und Effektivität auf dem Prüfstand und zwar sowohl mit Blick auf ihre spezifische Effizienz und Effizienzgrenzen als auch im Verhältnis zur traditionellen deliktischen Haftung. Dabei ist dieses Verhältnis keineswegs durch einen generellen Prozeß der Ablösung "alter" Deliktshaftung durch "neue" Gefährdungshaftung geprägt. Vielmehr ist es in manchen Bereichen bei einer Dominanz des gar nicht mehr so traditionellen Deliktsrechts geblieben, ein Umstand, der auf einen innovationsfreudigen richterlichen Aktivismus im deliktischen Haftungsrecht und auf Schutzdefizite der Gefährdungshaftung zurückzuführen ist. Insgesamt ist mittlerweise von einer Arbeitsteilung zwischen Risikopolitiken im Rahmen von Delikts- und Gefährdungshaftung, Versicherung und öffentlichem Sicherheits- und Technikrecht auszugehen. Die wechselseitige Abstimmung ist komplex und teilweise kontrovers. Im Verhältnis von Hai tung und Versicherung bietet letztere über Schadens streuung einerseits Schutz des Geschädigten vor dem Insolvenzrisiko des Schädigers. Sie stellt aber andererseits die ohnehin problematische Präventions/unktion von Haftungsrecht in Frage. 104 Diese Frage ist Gegenstand einer Sonderdiskussion insbesondere in den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Bei aller Bedeutsamkeit der Präventionsfrage sollte dabei die "klassische" Kompensationsfunktion des Haftungsrechts nicht zu einer vernachlässigenswerten Größe zurückgestutzt werden. Und es sollte die pauschale Unterstellung wie Leugnung von haftungsrechtlicher Präventionswirkung vermieden werden. lOS Ebenfalls in einer Sonderdebatte wird das Verhältnis von Haftungsrecht und öffentlichem Recht der Risikoverwaltung behandelt. Hier besteht das zivile Haftungsrecht unter dem Gesichtspunkt einer schutzintensiven Arbeitsteilung auf weitgehender Selbständigkeit. Allerdings ist auch dies eine umstrittene Position. Dabei geht es unter anderem um die Bindungswirkung öffentlichrechtlicher Vorgaben wie Anlagengenehmigung und Grenzwertbestimmungen, eine Bindung, die vom Zivilrecht jedenfalls als starre Kopplung abgelehnt wird. 106 Statt dessen werden elastische Abstimmungskonzepte favorisiert, die im Interesse des Geschädigtenschutzes auf relative Autonomie der Teilrechtsordnungen besteht. Die Grundhaltung wird durch einen an zentraler 102

Köck 1993, 13 f.

103 V gl. dazu etwa Rehbinder 1989, 154. 104

sen.

Brüggemeier 1988, 660 f.; Rehbinder 1989, 150 f., 153 f.; jeweils mit Nachwei-

10\ Zu letzterem neigt wohl Woif1991, 359. 106 Vgl. Damm 1996,133 ff.; Briiggemeier 1988,671.

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Stelle des Haftungsrechts aktiven BGH-Richter so unterstrichen: "Es ist primär Sache des Betreibers, eigenverantwortlich seine betrieblichen Umwelteinwirkungen auf ihre Schädlichkeit in den konkreten örtlichen Verhältnissen hin zu untersuchen und zu überwachen und bewußt zu halten, daß die Festlegungen der Genehmigungsbehörde Vertrauen nur in den Grenzen ihrer Funktion und Möglichkeiten rechtfertigen ... So sind vom Emittenten jedenfalls dann große Anstrengungen zur Ermittlung und Beurteilung der toxischen Schwelle eines Immissionskorridors zu verlangen, wo er konkrete Zweifel an der Eignung der Grenzwerte für die konkrete Situation haben muß; und für solche Zweifel haben ihn Beobachtungspflichten und Pflichten zur technischen-wissenschaftlichen Fortbildung frühzeitig zu sensibilisieren.,,107 Die Rechtsprechung ist dabei, diese Grundsätze umzusetzen; so beispielsweise in einem jüngst ergangenen Grundsatzurteil des BGH zur Umwelthaftung: "Eine Einhaltung der Emissionsgrenzwerte der TA-Luft könnte die Beklagte (Betreiberin von Lackieranlagen, R.D.) zwar regelmäßig vom Verschuldensvorwurf entlasten; anderes würde sich aber dann ergeben, wenn der Beklagten besondere Umstände zu Zweifeln daran Anlaß gegeben haben sollten, daß die Beachtung der Werte der TA-Luft im konkreten Fall nicht ausreicht, um unzulässige Emissionen zu vermeiden."loB Weiter sind Probleme des Beweisrechts elementar fur die zivilrechtliehe Bearbeitung produkt-, produktions-, ökologie- und technologiespezifischer Risiken. Auch insofern setzt die höchstrichterliche Rechtsprechung die beweisrechtliche Disziplinierung von Betreibern schadstoffemittierender Anlagen, aber von mitunter betreibergeneigteren Untergerichten, fort. Auch dies gilt etwa für die deliktische Umwelthaftung und Umweltgefahrdungshaftung. 109 Und auch dies betrifft eine ausgeweitete Sonderdebatte. Im Mittelpunkt stehen wiederum Legitimität und Effektivität richterrechtlicher und gesetzlicher Konzepte der Beweiserleichterung auf der Pflichten- und Kausalitätsebene. Ihre normative und empirische Reichweite ist auch im internationalen Vergleich nicht abschließend ausgelotet. Daher ist auch hier sowohl vor pauschaler Unterstellung als auch Leugnung der Funktionalität beweisrechtlicher Instrumente abzuraten.

c) Unternehmensrecht

Auf der Akteursebene geht es namentlich in den zentralen Bereichen der Produkt-, Umwelt- und Technikregulierung im wesentlichen um unternehme107

108 109

SlejJen 1990, 1818. RGH, in: Neue Juristische Wochenschrift 1997,2748 (2749). Vgl. noch einmal RGH, in: Neue Juristische Wochenschrift 1997,2748.

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rische Risikoveranstaltung und Risikoverantwortung. Der Steuerungsaspekt steht hier jedenfalls in zwei Varianten zur Debatte: als extern-regulative Risikosteuerung durch Unternehmenssteuerung und als intern-selbstregulative Risikosteuerung durch/in Unternehmen. Mischformen der rechtlich initiierten Risikoselbststeuerung sind nicht völlig neu, aber doch besonders aktuell. 110 Auf der Normebene kann hier insgesamt von einer rechtsgebietsspezifischen Beschränkung nicht und von "Unternehmensrecht" 111 an dieser Stelle nur in einem unspezifisch umfassenden Sinne, keinesfalls aber im Sinne traditionellen rechtsformspezifischen Gesellschaftsrechts, die Rede sein. Es ist insofern auf die intensive Verknüpfung von Organisationsrecht und allgemeinem Zivilrecht (namentlich Vertrags- und Haftungsrecht) einerseits und Wirtschaftsrecht (etwa Kapitalmarkt- und Wettbewerbsrecht) auf der anderen Seite zu verweisen. So betreffen beispielsweise Schwerpunkte der Haftungsrechtsentwicklung vielfach Organisations- und Unternehmenshaftungsrecht auf der Grundlage von oder in Anknüpfung an vertragliche, quasi-vertragliche oder deliktsrechtliche Institute. 112 Dies gilt etwa für die Prospekthaftung und Geschäftsflihrereigenhaftung. Hinzu kommen unternehmensrechtsspezifische Instrumente wie "Durchgriff' und Konzernhaftung. Gerade in diesem Zusammenhang ist auf eine bemerkenswerte Gegenläufigkeit von Tendenzen allgemeiner Haftungsverschärfung einerseits und Versuchen gesellschaftsrechtlicher Haftungsbegrenzung über den Einsatz bestimmter Rechtsformen, der juristischen Person und Konzernbildung andererseits hinzuweisen. So werden für Produkt- und Umwelthaftung im Konzern Strategien der Haftungsbegrenzung über "Haftungssegmentierung" diskutiert. l13 Auch die permanent verschärfte Dienstleistungshaftung trifft auf einen Trend rechtsformvermittelter Haftungsbeschränkung. 114 Die damit nur angedeuteten komplizierten Rechtsentwicklungen reflektieren komplexe, in Unternehmen gebündelte Interessengeflechte von Unternehmensträgern, Organ trägem, Anteilseignern, Gläubigem, Arbeitnehmern und Allgemeinheit. 115 Die darin repräsentierten Interessen und Interessenten

110

644 ff.

So in Gestalt des Öko-Audit-Konzepts, dazu mit Nachweisen Köck, I 996a,

III ZU den diesbezüglichen konzeptionellen und rechtspolitischen Problemen und Kontroversen knapp und m.w.N. Raiser 1992, 17 ff. 112 Vgl. in diesem Zusammenhang Brüggemeier 1991,33 ff. 113 HommelhoJJl990, 761 ff.; Westermann 1991,223 ff.; K. Schmidt 1993,69 ff. 114 Symptomatisch sind die expandierende Verfügbarkeit der Kapitalgesellschaft und die Einführung neuer Rechtsformen wie der Partnerschaftsgesellschaft; dazu Damm I 996a, 3 I ff. 115 Dieser Aspekt wird in dem traditionsreichen, teils neben-, teils gegeneinander gestellten Begriffspaar von Individualschutz und Institutionenschutz jedenfalls knapp angedeutet.

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haben je eigene und vielfach konfligierende Risikobezüge. Dementsprechend kann der Komplexität dieser situativen Lage auf den Ebenen von Unternehmenssteuerung als Risikosteuerung und Risikosteuerung durch/in Unternehmen auch nicht mit unterkomplexen Steuerungsinstrumenten begegnet werden. Diese Einsicht ist aus rechtlicher Perspektive keineswegs neu. 116 Gesellschafts- und Unternehmensrecht hat die Gratwanderung zwischen privatautonomer Selbststeuerung und öffentlicher Kontrolle, dispositivem und zwingendem Recht, interner und externer, materialer und prozeduraler Unternehmenssteuerung schon früh beschreiten müssen. Die aktuelle Entwicklung ist eher durch eine Verstärkung von Tendenzen zum Instrumentenmix geprägt. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, daß konjunkturelle Politikorientierungen zwischen Regulierung und Deregulierung und singuläre Problem impulse zu episodenhaft modifizierenden Schwerpunktsetzungen führen können. Vor diesem Hintergrund kommt es zum Nebeneinander regulativer Zugriffe und deregulierender Freisetzungen, materialer Vorgaben für unternehmerisches Verhalten und prozeduraler Vorgaben für Unternehmensstrukturen. Inhaltliche Pflichten sowie Verfahrens- und Organisationsstrukturen kommen so nicht als Steuerungsaltemativen sondern als Steuerungstandem zum Einsatz. Dementsprechend zielen Umwelt- und Gentechnikrecht sowohl auf unternehmensbezogene Verhaltensstandards 117 als auch auf Unternehmensorganisationsstandards l18 • Angesichts des hier erreichten Entwicklungsstandes erscheint die schlichte Entgegensetzung von Markt und Staat eher grobschlächtig. Zentrale Steuerung durch den Gesetzgeber und dezentrale Lösungen über Privatautonomie und zivilgerichtliche Flankierung wirken nebeneinander. 119 Auch aus einem solchen Blickwinkel stehen regulative Interventionen unter besonderem Begründungszwang und prozedurale Unternehmensrechtskonzepte haben einen hohen Stellenwert. Andererseits wird für die Unternehmensrechtspraxis zu Recht auf leicht diagnostizierbare Sektoren von Marktversagen in Gestalt "strukturellen Organisationsversagens'd2o hingewiesen. Davon ist namentlich der zentrale Bereich unternehmensbezogener Infonnationsgewinnung betroffen und damit das Problem teilweise ausgeprägter Infonnationsasymmetrien

Vgl. jüngst Kübler 1996, 225 ff. Vgl. beispielsweise § 5 BlmSchG sowie die zahlreichen zu diesem Gesetz ergangenen Verordnungen; §§ 6, \3 GentechnikG. 118 In diesen Zusammenhang gehören auch die in diversen Zusammenhängen eingeführten Betriebsbeauftragten (§§ 21 a ff. WHG, 11 a ff. AbfallbcseitigungsG, 53 ff. BJmSchG, 3 Nr.ll GentechnikG, 16 ff. Gentechnik-SicherheitsVO), aber auch das Öko-Audit-Kollzcpt. 116

117

119

110

Wal:: 1993, 16. Walz 1993, 24 ff.

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in und um Unternehmen. Deren regulative Bearbeitung ist sowohl unter Effizienz- wie unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu leisten. 121

IH. Komplementarität und Kombination von Steuerungsstrategien Ein knappes Resümee zur Risikoregulierung aus zivilrechtlicher Sicht fallt differenziert und relativiert aus. Dem entspricht als dominante Linie eine skeptische Einschätzung "übergeneralisierender" alternativ-selektiver Ansätze und eine Präferenz für eine Strategie des je problem- und situationsorientierten kombinatorischen und komplementären Einsatzes unterschiedlicher Regelungsinstrumente und die Berücksichtigung verschiedener Regelungsebenen. Dies gilt aus zivilrechtlicher Sicht bereits für das Verhältnis von Privat-, Strafund öffentlichem Recht. Modeme Gesellschaften sind ebensowenig nur "Risikogesellschaften" wie sie nur "Privatrechtsgesellschaften" 122 oder publizistische Administrationsgesellschaften sind. Innerhalb des Zivilrechts gilt entsprechendes für das kombinatorische Verhältnis von Vertrags-, Haftungs-, Unternehmensrecht und anderer Teildisziplinen und weiterhin für die Einzelinstrumente dieser Bereiche. Im Rahmen des Haftungsrechts, beispielsweise, gibt es zur Zeit zum kumulativen Einsatz von Verschuldens-/Unrechtshaftung und Gefährdungshaftung keine Alternative. Entsprechendes gilt für das Verhältnis von Schadensverlagerung durch Haftung und Schadensstreuung durch Versicherung. Demgemäß kommen im Zivilrecht dessen Steuerungselemente Kompensation und Prävention, Konsens und Information sowie Organisation und Verfahren nicht selektiv und alternativ sondern kumulativ und komplementär zum Einsatz. Diese Einschätzung setzt sich fort auf der Makroebene der Risiko- und Steuerungsdebatte. Gerade aus zivilrechtlicher Sicht scheint es unangemessen, von einem allzu schismatischen Verhältnis unterschiedlicher Regelungskonzepte auszugehen, namentlich von einer Alternativität regulatorisch-interventionistischen Rechts einerseits und (selbst-) reflexiven, prozeduralen Rechts andererseits. Eine solche Sichtweise beruht auf der Wahrnehmung je fortbestehenden "Lembedarfs" der steuerungstheoretischen Großkonzepte angesichts der je fortbestehenden und wahrnehmbaren Defizite dieser Konzepte. Unangemessene Euphorie etwa für regulatives Haftungsrecht ist kaum angemessen zu korrigieren durch allzu optimistische Perspektiven der Reflexivität

Walz 1993,37 ff.; vgl. auch Walz 1993a, 50 ff. Obwohl die letztgenannte Einschätzung nach dem Zusammenbruch pIanwirtschaftlicher und der Kontinuität marktwirtschaftlicher Systeme teilweise stark akzentuiert worden ist; vgl. dazu ausführlicher Damm 1996, 137 ff.; 1997,37 ff. 121

121

122

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und Prozeduralisierung. Derartige Ansätze sind sicher nicht nur von allgemeiner Bedeutung, sondern verweisen auch speziell auf einen beträchtlichen Entwicklungsbedarf überkommener Rechts- und Steuerungskonzepte. Ihre modelltheoretische Kontur darf aber nicht mit ihrer empirischen Gestalt gleichgesetzt werden. Die Institutionalisierung von Komitees und Kommissionen, Verhandlungssystemen und Verfahren, Gutachter- und Schlichtungsstellen, kurz: "normvorbereitende" und -nachbereitende Diskurse 123 unter Einbeziehung von Wissenschaft und Wirtschaft, Bürgeröffentlichkeit und Betroffeneninteressen stehen gewiß an zentraler Stelle der risikogesellschaftlichen Agenda. Die Empirie solcher Diskurse ist aber ihrerseits und permanent auf die Gefahr hin zu prüfen, zu "diskursivem Zierrat" in "gesprächigen Runden,,124 zu mutieren. Und insofern gibt es sicher gute Beispiele für schlechtes Gelingen einschlägiger Verhandlungssysteme, organisatorischer Arrangements etc. Damit bleibt auch die alternative Entgegensetzung von diskursiver Organisation "gesellschaftlicher Verantwortung" und bloß "individualisierender Zurechnung des bürgerlichen Rechts,,125 eine von nur relativer Berechtigung. Für die Empirie und Bereichsspezifik von Risikosteuerung ist mit der Präsentation von "politischer Gefahrenprävention" und "gesellschaftlicher Risikoübernahme" als "komplementärer Strategieelemente" statt als sich wechselseitig ausschließender Konzepte eine grundsätzlich überzeugende Position bezogen. 126 Sie unterstreicht die "Verschränkung" und wechselseitige "Optimierung" beider Elemente und entspricht dem Umstand, daß prozedurale und selbstregulative Optimierung auch im Bereich des Risikorechts jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland und vergleichbaren Ländern nach einern langen Verrechtlichungsprozeß in erheblichem Umfang erst auf dem Sockel einer interventionistischen Grundregulierung stattfindet und stattfinden kann. Eine derartige Sichtweise wird auch dazu beitragen helfen, daß nicht die eine "große Erzählung" der Risikosteuerungl 27 den empirischen Mikrokosmos bereichsspezifischer Risiken völlig übertönt. Zu einer solchen Empirie der sogenannten Risikogesellschaft und der Relativität der Steuerungspotentiale fügt sich dann die Einschätzung, daß es "im Hinblick sowohl auf die generellen Schwierigkeiten als auch die empirische Lage von Steuerungsversagen und -verzichten keinen Anlaß für einen Steuerungsoptimismus, allerdings auch

123 Vgl. die Terminologie bei Wolf1991, 36l. 124 Bender 1994,141 f. 125 Wolf 1991. 36l. 126 Krücken 1997, 140 f. 127 Gar bezogen auf die "ökologische Lage der Nation" oder die ,:Weltrisikogesell-

schaft"', vgl. Wolf1991, 359.

Rechtliche Risikoregulierung aus zivilrechtlicher Sicht

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keinen vor allem theorietechnisch fundierten pauschalen Steuerungspessimismus gibt." 128

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Grundzüge des Risikomanagements im Umweltrecht Von Wolfgang Köck

A. Umweltrisiken und Risikomanagement Der Zugriff auf die Umwelt und der Gebrauch von Technik ist eine elementare Bedingung des Lebens und des Wirtschaftens. Jeder Umwelt- und Technikgebrauch, insbesondere aber die industriell betriebene Umweltnutzung moderner Gesellschaften ist zwangsläufig mit Umwelteinwirkungen verbunden, aus der sich vielfach nicht nur sichere Beeinträchtigungen (man denke nur an Lärm- und Abgasbelastungen durch den Betrieb von Industrieanlagen oder an den Bodenverbrauch durch Überbauung) ergeben, sondern U.U. auch weitergehende Risiken für Leben, Gesundheit und Sacheigentum des Menschen und für die natürlichen Lebensgrundlagen, kurz: für Mensch und Umwelt (Umweltrisiken).

I. Risikobegriff - Typologie der UmweItrisiken 1. Risikobegriff

Risiko wird hier zunächst ausschließlich in einem empirisch-objektivistischen Sinne verstanden. I Er verweist auf den möglichen, aber ungewissen zukünftigen Eintritt eines beeinträchtigenden Ereignisses bezogen auf ein bestimmtes Geschehen 2 , hier also auf mögliche, aber ungewisse beeinträchtigende Folgen für Mensch und Umwelt durch Umwelteinwirkungen und Technikgebrauch.

I Das Verständnis von Risiko als ein auf die Empirie verweisender Begriff entspricht nicht nur dem allgemeinen Sprachgebrauch, sondern wir" von zahlreichen Umwelt- und Technik-Juristen auch als einzig zulässige Verwendung betrachtet. Vergl. etwa Marburger 1981, 39, 40; Murswiek 1985,80 ff.; Roßnagel1986, 46,47; Schmidt 1994, 749, 752. Siehe auch die Darstellung bei Breuer 1990, 211, 213; Di Fabio 1991, 353. 2 Vgl. Brockhaus Enzyklopädie, 1992, Stichwort: Risiko; Murswiek 1985, 81; Peine 1998, 157.

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2. Typologie der Umweltrisiken Versucht man die Umweltrisiken, die aus dem Umwelt- und Technikgebrauch erwachsen, spezifischer zu fassen, lassen sich Auswirkungs- und Entstehungsrisiken unterscheiden. 3 Von Auswirkungsrisiken läßt sich sprechen, wenn der Umwelt- und Technikgebrauch zwar mit sicheren Einwirkungen auf Mensch und Umwelt verbunden ist, nicht aber sicher ist, ob über die Einwirkung hinaus weitere beeinträchtigende Folgen erwachsen werden. Zu unterscheiden sind hier zum einen Eintragsrisiken und zum anderen Verbrauchsrisiken:

Eintragsrisiken ergeben sich aus "Verschmutzungen" im weitesten Sinne. Hier geht es im wesentlichen um Reststoff- und Strahleneinträge in die Umweltmedien als zwangsläufige Folge der industriellen Gewinnung von Rohstoffen, der Herstellung von GüternlDienstleistungen und deren Verwendung sowie der biologischen Prozesse zur Befriedigung von Elementarbedürfnissen 4 und um deren mögliche, aber ungewisse Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Die Unsicherheit kann zum einen darin bestehen, daß man nicht weiß, ob ein bestimmter emittierter Stoff für sich allein oder in der Interaktion mit anderen Stoffen überhaupt geeignet ist, Schäden herbeizuführen (lnzidenzrisiko).5 Sie kann zum weiteren in der Unsicherheit über die räumliche Verteilung potentiell schädlicher Stoffe liegen (Diffusionsrisiko). Sie kann drittens in der Unsicherheit über die Anreicherungsfähigkeit bzw. die Abbaufähigkeit potentiell schädlicher Stoffe bestehen (Akkumulationsrisiko) und sie kann sich schließlich auch auf die mangelnde Kenntnis über Belastungsgrenzen bzw. Verarbeitungskapazitäten von Umweltmedien und Organismen beziehen (Kapazitätsrisiko ). Verbrauchsrisiken ergeben sich aus dem unmittelbaren Verbrauch natürlicher Ressourcen durch beispielsweise Flächenzerschneidung, Wasserstraßenausbau, Wasserentnahmen, Versiegelung und deren mögliche, aber ungewisse Auswirkungen auf die Umwelt. Die Ungewißheit kann sich zum einen auf mangelnde Kenntnisse der Auswirkungen der Strukturveränderung durch Flächenzerschneidungen, Wasserstraßenausbau, Entwässerungen und Versiege lungen beziehen, zum weiteren auf mangelnde Kenntnisse der Regenerationsbedingungen bei den sog. erneuerbaVgl. Siebert 1988,115 ff. Ähnlich Kar11987, 217: Unterscheidung von Wirkungs- und Unfall risiken. Siehe auch Murswiek, der in der Sache gleichbedeutend von Ingerenz- uncl1ngerenzverursachungsrisiken spricht; vgl. Murswiek 1985, 189 ff. 4 Vgl. dazu auch Rat von Sachverständigen für Umwelt/ragen (RSU) 1987, Tz. 16, 20. S Vgl. dazu und zum folgenden Siebert 1988, 116; Wälzold/Simonis 1997,4 f.

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ren Ressourcen (Problem der "critical structural changes"t und schließlich mit Blick auf die nicht erneue rb aren Ressourcen (fossile Energieträger) auch auf Unsicherheiten bezüglich der Fähigkeit des Menschen, funktionelle Substitute für die endlichen Ressourcen zu entwickeln. Von den auswirkungsbezogenen Risiken zu unterscheiden sind die sog. Entstehungsrisiken. die aus dem Betrieb technischer Anlagen und der Verwendung bestimmter Produkte erwachsen können. Diese Risiken unterscheiden sich von den Auswirkungsrisiken dadurch, daß zweifelhaft ist, ob es überhaupt zu Einwirkungen auf Mensch und Umwelt kommt. Hier geht es also um mögliche, aber ungewisse, unkontrollierte planwidrige Stofffreisetzungen durch Störfalle bzw. Unfälle und deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Angesprochen ist damit primär die Anlagensicherheit, also beispielsweise die Problematik eines möglichen Ausfalls von Anlagekomponenten, Aggregaten etc., die U.U. zu katastrophalen Ereignissen führen können.

3. Zur Struktur der Unsicherheit

Die empirische Struktur der Unsicherheit kann sehr unterschiedlich sein: Teilweise können bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeiten für beeinträchtigende Folgen durch Umwelteinwirkungshandlungen und Technikgebrauch berechnet werden. 7 Soweit diese Wahrscheinlichkeiten auf einer längerfristigen und fortgeschriebenen empirischen Häufigkeitsanalyse beruhen, haben sie einen objektiven oder statistischen Charakter und ermöglichen eine zuverlässige Prognose über das Ausmaß des Risikos (verstanden als Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß nachteiliger Folgen; sog. "Risikoformel"s) der jeweiligen Aktivität. Häufig aber gibt es keine empirisch-statistisch fundierten Schadenseintrittswahrscheinlichkeiten, sondern bestenfalls (Iabor-)experimentellstatistisch abgeleitete bzw. auf Annahmen und Schätzungen beruhende V gl. dazu auch RSU 1994, Tz. 136. Diese Konstellation entspricht dem Risikobegriffsverständnis des Ökonomen Frank Knight, der Risiko und Unsicherheit unterschieden hat und von einem Risiko lediglich in den Fällen spricht, in denen die Unsicherheit meßbar und damit quantifizierbar ist; Vgl. Knight 1921. Zwar findet diese Unterscheidung auch in der heutigen Risiko- und Umweltökonomik noch Anwendung (vgl. Mag 1981, 478, 479; BamberglCoenenberg 1981, 376, 383; TurneriPearcelBateman 1993, 130; Wätzold/Simonis 1997, 5), viele umweltökonomische Autoren gehen heute aber von einem weiten Risikoverständnis aus, das beide Dimensionen um faßt; vgl. nur Siebert 1988, 115; Gawe11997, 267 mit Fußn. 4; siehe auch Müller 1993,3814. 8 Siehe zur Bedeutung und zur Rolle der "Risikoformel" im Prozeß der Risikoabschätzung und -bewertung nur BanselBechmann 1998, 24 ff. 6

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Wahrscheinlichkeitsberechnungen9 , die auf z.T. äußerst schmalen Wissensgrundlagen beruhen lo und demgemäß lediglich "hypothetische" Prognosen ermöglichen 11, deren Verifizierung oder Falsifizierung sich erst in der Zukunft erweisen wird l2 . Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Umwelteinwirkungshandlungen erstmals vorgenommen werden, wie etwa bei der Einfuhrung neuer Technologien oder der Erzeugung und Freisetzung neuer Stoffe, wenn neue Schutzgüter in die Folgenbetrachtung aufgenommen werden müssen, über deren Funktionsweise nur unvollständiges Wissen verfligbar ist (z.B. Ökosysteme) oder wenn der Zeithorizont der Prognose erweitert wird und damit nicht nur die Schadensfolgen der nahen Zukunft, sondern mittel- bis langfristige Folgen zu prognostizieren sind. In bestimmten Fällen, namentlich bei der Abschätzung der Risiken krebserzeugender Stoffe im Niedrigdosenbereich, besteht gar überhaupt keine Hoffnung auf Verifizierung. Wahrscheinlichkeitsberechnungen beruhen hier ausschließlich auf hypothetische Annahmen der einschlägigen Wissenschaftskreise. Soweit das Risikowissen so unsicher ist, daß keinerlei Wahrscheinlichkeitsberechnung - auch nicht als subjektive Experteneinschätzung möglich ist, sondern ein zukünftiger Schadenseintritt lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, muß von "nichtkalkulierbarer Unsicherheit" gesprochen werden. 13

11. Risikomanagement im Umweltrecht Moderne Gesellschaften sind sich der Risiken, die - ausgehend von der Freisetzung und der Absicherung der Erfindungskraft und Energie des Individuums l4 - mit dem industriellen Zugriff auf die Umwelt und dem Betrieb technischer Anlagen bzw. dem Gebrauch der Technik verbunden sind, suk9 Vgl. Siebert 1988, 115; Kar/1987, 218; ders. 1995,328. Vgl. für di~ frühen Risikoanalysen der Kernkrafttechnologie etwa BanselBechmann 1998, 25 f. 10 Siehe nur Bundesregierung 1986,4 f.; O'Riordan/Wynne 1993, 186, 191; Shere 1995, 409 ff. speziell im Hinblick auf ökologische Risiken: RSU 1994, Tz. \09 ff. 11 V gl. Murswiek 1985, 383; zusammenfassend etwa BanselBechmann 1998, 34. 12 Beispielhaft kann insofern auf die Abschätzungen zum Langfrist-Strahlenkrebsrisiko verwiesen werden. Heute wird dieses Risiko um den Faktor 4 bis \0 höher eingeschätzt, als es in den siebziger Jahren der Fall war, weil durch die Fortschreibung der empirischen Basis dieser Risikoabschätzungen, nämlich der Hiroshima- und der Nagasaki-Daten, mittlerweile neue empirische Erkenntnisse in die Risikoberechnung eingeflossen sind, mit denen bislang gültige Annahmen unhaltbar geworden sind; anschaulich lind instruktiv dazu Schmidt 1990, 769 ff. 13 Vgl. Gawe/1997, 267 ff. 14 Vgl. dazu Winter 1988,659 ff.

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zessive bewußt geworden (Risikowahrnehmung) und bemühen sich um eine Bewältigung durch Identifizierung, Abschätzung, Bewertung, Maßnahmenverfügung und Kontrolle. Dieser Vorgang kann als Risikomanagement bezeichnet werden. Der Begriff des "Risikomanagement" entstammt ursprünglich der Betriebswirtschaftslehre l ; und bezeichnet dort alle betrieblichen Anstrengungen zur Identifikation und Beurteilung von Risiken, sowie darauf aufbauend alle Maßnahmen zur Handhabung und Bewältigung dieser Risiken l6 . Der Begriff ist zwischenzeitlich auch auf das Problem feld der Umwelt- und Gesundheitsregulierung übertragen worden und hat insbesondere in den USA Verbreitung gefunden, wird dort allerdings enger verstanden, nämlich ausschließlich auf die Bewertungs- und Maßnahmenebene bezogen 17 und strikt von den Vorgängen der Risikoabschätzung abgegrenze s. Auch in der einschlägigen juristischen Literatur hat der Begriff mittlerweile Eingang gefunden, ohne allerdings zu einem Rechtsbegriff erstarkt zu sein. Er wird hier insbesondere benutzt, um die Erfordernisse einer Prozeduralisierung der Vorsorge zu beschreiben l9 , ist aber insgesamt noch zu sehr auf die Organisation der Wissensgenerierung und die Verarbeitung von Risikowissen bezogen. Im folgenden verwende ich den Begriff im einleitenden Sinne, beschränke mich aber auf das sich aus den Rechtspflichten zum Umwelt- und Gesundheitsschutz ergebende und insoweit rechtlich gesteuerte Risikomanagement.

B. Umweltrisiken als Rechtsproblem Risikomanagement ist nicht nur eine Angelegenheit der Wirtschaft, der Politik, der Wissenschaft und der Technik, sondern unterliegt rechtlichen Anforderungen und Bindungen. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang insbesondere die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Rechtsgüterschutz; sie begrenzen die Entscheidungsoptionen der rechtserzeugenden Politik und der Rechtsanwendungsinstitutionen und stehen einer unmittelbaren Übernah-

Vgl. Karten 1993, Sp. 3825 ff Siehe nur Hahn 1987,137 ff; lanzen 1995,348,349. 17 Vgl. Covello/Mumpower 1985,103,108 ff; Morone/Woodhouse 1993,217 ff; BMU 1998a, 90. 18 Vgl. insbesondere Ruckelshalls 1983, 1026 ff; vgl. auch Giind/ing 1987, 112 f; siehe zu den politischen Hintergründen der Einführung dieser Unterscheidung und zur Kritik insbesondere Latin 1988,89 ff.; Applegate 1991,261,279 ff., 282. 19 Vgl. etwa Ladeur 1991,241,248; Scherzberg 1993,484,499; Koenig 1994, 937, 938 f.; Trute 1997, 55; siehe auch Pitschas 1989, 795 ff. 15

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me ökonomischer20 bzw. sicherheitswissenschaftlicher21 Rationalitätskalküle unter Unsicherheit entgegen.

J. Verfassungsrechtliche Aspekte des Rechtsgüterschutzes

Der demokratische Gesetzgeber ist nicht völlig frei in seiner Bewertung der Umweltrisiken, sondern unterliegt den Direktiven der Verfassung, die ihn auf einen effektiven Rechtsgüterschutz verpflichten. Staatszwecklehren 22 und daraus entwickelte Staatsaufgabenlehren 23 bildeten den Ausgangspunkt für verfassungsrechtliche Begründungen des Rechtsgüterschutzes. Eines solchen Rekurses auf Staatszwecke und Staatsaufgaben bedarf es heute nicht mehr. An ihre Stelle sind spezifische Schutzpflichten getreten: Die aus der objektivrechtlichen Dimension der Grundrechte auf Menschenwürde, Leben, körperliche Unversehrtheit (Gesundheit) und Eigentum (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 S. 1 und 14 GG) hergeleiteten - und auf frühkonstitutionelle Ansätze der Menschenrechtskonzeption beruhenden 24 - grundrechtlichen Schutzpflichten verpflichten den Staat dazu, sich schützend und fördernd vor die in den Grundrechten genannten Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor Beeinträchtigungen zu bewahren, die durch das Handeln privater Dritter hervorgerufen werden können. Das im Jahre 1994 neu in das Grundgesetz aufgenommene Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG) erweitert die Zielrichtung der Schutzverpflichtung gegenüber den grundrechtlich abgeleiteten Schutzpflichten, indem nunmehr auch die Teile der Umwelt, die nicht individualrechtsfähig sind bzw. deren Beeinträchtigung nicht zu Auswirkungen auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum führen kann, erfaßt sind und zudem eindeutig klargestellt ist, daß die Schutzverpflichtung auch in Verantwortung für die künftigen Generationen zu erfüllen ist, also den Schutz der Rechte künftiger Generationen mitzuumfassen hat. Da die Schutzpflichten des Staates auf die Bewahrung von Leben, körperlicher Unversehrtheit (insbesondere Gesundheit), Eigentum und Umwelt gerich-

20 Vgl. aus der ökonomischen Literatur zur Umweltrisikobewältigung nur Karl 1987, 217 t'f.; ders. 1995, 327ff.; Siebert 1988,111 ff.; Schubert 1992, 19ff.; EndreslQuernerlSchwarze 1995, 58 ff.; Gawel 1997, 265 ff.; WätzoldiSirnonis 1997,3 ff. Siehe allgemein zur ökonomischen Theorie der Entscheidung unter Unsicherheit auch Sinn 1980; BarnberglCoenenberg 1981, 376 ff.; Müller 1993, Sp. 3813; 21 Siehe aus der sicherheitswissenschaftlichen Literatur nur Starr 1993, 3 ff.; WilsonlCrouch 1990,42 ff.; Rowe 1993,45 ff.; Nowitzki 1993, 125 ff. 22 Vgl. etwa Klein 1989,1633,1635 f.; Link 1990,27 ff.; Ress 1990,83 ff.; Di Fabio 1994,35 ff.; Murswiek 1995, 31 ff.; siehe dazu auch Köck 1996a, 13 f. 23 Vgl. nur Rauschning 1980, 170 ff. 24 Vgl. dazu ausführlich Jarass 1985,363,372 ff.; Herrnes 1987, 166 ff.

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tet ist, darf nicht gewartet werden, bis Beeinträchtigungen eingetreten sind, sondern müssen Schutzanstrengungen U.U. schon dann unternommen werden, wenn durch Umwelt- und Technikgebrauch eine Gefährdung des Schutzgutes zu besorgen ist. 25 Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang in seinem Kalkar-Beschluß hervorgehoben, daß je nach Art und Schwere möglicher Gefährdungen auch eine entfernte Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Verletzung ausreichen kann, um die Schutzpflicht konkret auszulösen 26 und in seinem Fluglärm-Beschluß darüber hinaus deutlich gemacht, daß von einer Grundrechtsgefährdung nicht nur dann ausgegangen werden dürfe, wenn entsprechende Kausalzusammenhänge aufgeklärt sind 27 , sondern auch dann, wenn Verletzungen begründet vermutet werden oder nicht ausgeschlossen werden können und insoweit ein Risiko bestehe 8 . Das schutzpflichtaktivierende Gefahrdungsniveau setzt mithin nicht abgesicherte schutzgutbeeinträchtigende Belastungszustände und auch nicht das Vorliegen einer Gefahrenlage im verwaltungsrechtlichen (polizeirechtlichen) Sinne voraus 29 , sondern erfaßt auch entferntere Risiken und endet zwingend jedenfalls erst dort, "wo aufgrund der Grenzen des menschlichen Wissens eine Gefährdung nicht mehr auszumachen ist"'o. Die Pflichten des Staates zum Schutz von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Eigentum und Umwelt beinhalten allerdings nicht, jedwede Einwirkung auf die Schutzgüter und jedwede Gefährdung der Schutzgüter zu unterbinden. 31 Umfang und Grenzen der Schutzpflicht des Staates hängen nach der Rechtsprechung des BVerfG von der Art und dem Maß der Gefährdung sowie der Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsgutes 32 einerseits und kollidierender öffentlicher Interessen sowie privater Rechtsgüter andererseits ab 33 • Selbst wenn man beispielsweise die Einwirkung auf den 25 Vgl. BVerfG, Besehl. v. 8.8.1978, in: BVerfGE 49,89,142 - Kalkar; BVerfG, Besehl. v. 20.12.1979, in: BVerfGE 53, 30, 57 - Mülheim-Kärlieh; BVerfG, Beseh!. v. 14.1.1981, in: BVerfGE 56, 54, 78 - Fluglärm; siehe aus der Literatur etwa Schmidt-Aßmann 1981, 211; Murswiek 1985, 127 ff; Hermes 1987, 227; 236; Ossenbühl 1997. 147. 159. 26 Vgl. BVerfG, Beseh!. v. 8.8.1978, in: BVerfGE 49,89, 141 f. - Kalkar; siehe auch BVerfG, Besehl. v. 20.12.1979, in: BVerfGE 53, 30, 57 - Mülheim-Kärlieh. 27 So beispielsweise noeh Rauschning 1980, 179 f; wohl aueh Hermes 1987, 234. 28 Vgl. BVerfG. Beseh!. v. 14.1.1981, in: BVerfGE 56,54,76 ff -Fluglärm. 29 Vg!. dazu aus der Literatur aueh Trute 1989, 227, 230; lsensee 1992, Rn. 106; Köck 1996a, I, 18; Böhm 1996, 111 ff; Schulze-FielUz 1997, zu Art. 211 Rn. 48. JO TrI/te 1989, 230. 31 Vgl. etwa Murswiek (1996a), zu Art. 2 Rn. 163, 175; ders. 1996a, zu Art. 20a, Rn. 42. l2 Vgl. BVerfG, Besehl. v. 8.8.1978, in: BVerfGE 49,89, 142 - Kalkar. 33 Vg!. BVerfG, Beseh!. v. 29.10.1987, in: BVerfGE 77, 170,214 f - C-Waffen; BVerfG. Besehl. v. 30.11.1988, in: BVerfGE 79, 174, 202 - Straßenverkehrslärm.

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Körper durch Luftverunreinigungen bereits als Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit qualifizieren würde 34 , was insbesondere dann nahe liegt, wenn die Beschaffenheit der Körpersubstanz verändert wird (also über die Atemluft aufgenommene und im Körper nachweisbare Fremdstoffe vorhanden sind), folgt daraus nicht, daß ein solcher Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht hingenommen werden dürfte. Er bedarf allerdings der Rechtfertigung. Diese Rechtfertigung kann in einem öffentlichen Interesse begründet sein, aber auch in den wirtschaftlichen Freiheitsrechten, die nach herrschendem Grundrechtsverständnis den Umweltgebrauch umfassen. ll Insofern ergibt sich das vom Staat zu gewährleistende Schutzniveau aus der verhältnismäßigen Zuordnung 16 der konfligierenden Rechtspositionen nach Maßgabe der Spezifika des jeweiligen Sachproblems. Je hochwertiger das Schutzgut in dessen Bestand eingegriffen bzw. das einer Gefährdung ausgesetzt wird und je schwerer die Beeinträchtigung bzw. je höher Art und Maß der Gefährdung, desto höhere Anforderungen sind an die Rechtfertigung zu richten. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob die gefährdende Handlung bzw. Beeinträchtigung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig i.e.S. ist, um das öffentliche Interesse durchzusetzen bzw. das Freiheitsrecht auszuüben. Je nach Gefährdung bzw. Beeinträchtigung beinhaltet diese Prüfung auch die Einbeziehung von Alternativen, um sicherzustellen, daß das rechtsgüterschonendste geeignete Mittel eingesetzt wird. Einer spezifischen Rechtfertigung bedarf es nach hM. nur dann nicht, wenn die Gefährdung so unwahrscheinlich ist, daß sie als "Restrisiko" zu bewerten ist. 37 Risiken, die als Gefahr fur Leben bzw. Gesundheit des Menschen zu qualifizieren sind, können einzig durch ein überragendes Allgemeininteresse gerechtfertigt werden. Dietrich Murswiek spricht in diesem Zusammenhang von "Notstandslagen"lS, um deutlich zu machen, In der Literatur ist darüber hinaus herausgearbeitet worden, daß die Schutzptlichten einerseits durch die tatsächliche Unmöglichkeit des Schutzes begrenzt werden (Beispiel: Beeinträchtigungen, die vom Ausland ausgehen) und andererseits auch durch Selbsthilfemöglichkeiten (Beispiel: Verbraucherinformation über Verwendungsrisiken von Produkten), dazu näher Hermes 1987, 244 ff; siehe auch Böhm 1996, 123 f. Siehe zur Schutzptlichterfüllung durch Verbraucherwarnhinweise auch BVerfG, Beschl. v. 16.10.1996, VersR 1998,58. J4 Vgl. dazu Murswiek I 996a, zu Art. 2 Rn. 163; Lorenz 1989, § 128 Rn. 17. Vgl. Rauschning 1980, 167, 184 f; Friauf 1986, 87, \02; K/uth 1997, 105, 106 f.; K/oepfer 1998a, § 3 Rn. 53; ders. 1998b, 424. Siehe auch Starck, in: von Mango/dt/K/ein/Starck 1985, zu Art. 2 Abs. I Rn. 98. A.A. Murswiek 1994a, 77, 79 ff.; siehe auch Steiger 1997, Rn. 213. 36 Vgl. Hermes 1987,253 ff; Lorenz 1989, Rn. 46; Steinberg 1996, 1989. Lesenswert dazu auch Suhr 1980, 169 f.; Hofmann 1983, 36. 37 Vgl. BVerfG, Urt. v. 8.8.1978, in: E 49,89, 143 - Kalkar; umfassende Darstellung der Problematik bei Hofmann 1981, 328 ff., 336. A.A. Suhr 1980, 169 f.; Hof mann 1981,302 ff.; ders. 1983,33,36 f.; Hermes 1987,237 fI. lS V gl. Murswiek 1985, 142.

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daß die Beeinträchtigung von Leben und Gesundheit nur in Ausnahmesituationen hinzunehmen ist. Die Schutzpflicht des Staates ist auf einen effektiven Rechtsgüterschutz gerichtet, d.h. daß das nach Abwägung mit öffentlichen Interessen und den Grundrechten der Risikoverursacher auf der Basis sorgfältiger Tatsachenermittlungen und vertetbarer Einschätzungen geforderte Schutzniveau durch geeignete, wirksame und ausreichende Maßnahmen sichergestellt werden muß. 19 Dabei weist das BVerfG auf den Dauercharakter der Schutzpflichtaufgabe (dynamischer Grundrechtsschutz) hin: Die getroffene Entscheidung muß durch Beobachtung der Auswirkungen und Verarbeitung neuer Erkenntnisse unter stetiger Kontrolle gehalten und ggf. nachgebessert werden, wenn sich erweisen sollte, daß die getroffenen Maßnahmen nicht ausgereicht haben. 40 Das BVerfG betont in seiner Schutzpflichten-Judikatur in gefestigter Rechtsprechung allerdings den weiten Einschätzungs-, Bewertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Zuordnung konfligierender Rechte und Interessen, der Bewertung von Gefährdungen bzw. der Auswahl der Schutzmaßnahmen und die nur begrenzte judizielle Kontrollkompetenz, die je nach Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden und der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter differiert. 41 Bei Grundrechtsgefährdungen durch Umwelteinwirkungshandlungen Dritter hat sich das BVerfG bislang zumeist auf eine bloße Evidenzkontrolle zurückgezogen und will eine Verletzung der Schutzpflicht nur dann feststellen, "wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder offensichtlich die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das Schutzziel zu erreichen,,42.

Vgl. etwa fsensee 1992, Rn. 90. Vg!. BVerfG, Beseh!. v. 8.8.1978, in: BVerfGE 49,89, 130 ff., 143 f. - Kalkar; Beseh!. v. 14.1.1981, in: BVerfGE 56,54,78 ff. -Fluglärm. 41 Vg!. etwa den Beseh!. v. 14.1.1981, in: BVerfGE 56, 54, 80 ff. - Fluglärm; Beseh!. v. 29.10.1987, in: BVerfGE 77, 170, 214 f. - C-Waffen; Beseh!. v. 30.11.1988. in: BVerfGE 79, 174,202 - Straßenverkehrslärm. 42 Vg!. BVerfG, Beseh!. v. 30.11.1988, in: BVerfGE 79,174,202 - Straßenverkehrslärm ; BVerfG, Kammerbeseh!. v. 29.11. 1995, NJW 1996, 651 - "Ozon-Gesetz"; BVerfG, Beseh!. v. 17.2.1997, JZ 1997, 897 - Elektro-Smog. Siehe mit Bliek auf NaehbesscrungspHiehten aueh BVerfG, Beseh!. v. 14.\.1981, in: E 56, 54, 80 ff. Fluglärm. 39

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11. Rechtsgüterschutz in der Risikogesellschaft

I. Errichtung staatlicher Risikokontrollsysteme a) Vom Rechtsgüterschutz durch Privatrechtsordnung, Straf- und Polizeirecht zum Umweltverwaltungsrecht Der Gesetzgeber hat auf die wahrgenommenen und insoweit erkannten Risiken der Umwelteinwirkungshandlungen und des Technikgebrauchs mit der Einführung eines spezifischen regulativen Umweltverwaltungsrechts reagiert und damit den allgemeinen privatrechtlichen, strafrechtlichen und polizeirechtlichen Rechtsgüterschutz ergänzt, überlagert bzw. verdrängt. Dieser Sondergesetzgebungsprozeß, der partiell bereits im 19. Jahrhundert einsetzte 4J , kann zum einen auf leidvolle Schadenserfahrungen, die hier nicht nachgezeichnet werden müssen, zurückgeführt, zum anderen aber auch auf prinzipielle Erwägungen über die Funktionsweise und Reichweite privatautonomer und haftungsrechtlicher bzw. repressiver straf- und polizeirechtlicher Risikobewältigung gestützt werden, die deutlich gemacht haben, daß die Privatrechtsordnung, das Strafrecht und das allgemeine Polizeirecht für sich allein einen effektiven Rechtsgüterschutz im Hinblick auf die Gefährdungslagen des Umweltgebrauchs und der technischen Realisation nicht gewährleisten können, sondern den Aufbau spezifischer Risikokontrollsysteme erfordern, zu denen Privatrecht und Polizeirecht komplementär hinzutreten.

aa) Situativer privatrechtlicher und polizeirechtlicher Rechtsgüterschutz Die Privatrechtsordnung weist dem Einzelnen die Verantwortung dafür zu, daß durch die vorhersehbaren Folgen seiner Handlungen Rechtsgüter Dritter nicht beeinträchtigt werden und gibt dem Beeinträchtigten Störungsbeseitigungs-, Unterlassungs- bzw. Schadensersatzansprüche und deren gerichtliche Durchsetzungsmöglichkeit an die Hand. Komplementär dazu enthält das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht eine Eingriffsbefugnis der Polizei bei Gefahr der Verletzung der allgemeinen Nichtstörungspflicht. Sowohl das privatrechtliche Anspruchssystem, als auch die polizeirechtliche Eingriffsbefugnis sind materiell wie prozessual lediglich auf situative Beeinträchtigungslagen und Störungen zugeschnitten und weisen damit strukturelle Defizite im Hinblick auf die Bewältigung umwelt- und technikvermittelter . Risikolagen auf:

43 Siehe für die Problematik der Anlagensicherheit nur Wolf 1986,31-159; siehe auch Marburger 1979. 179 ff.

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Eine effektive Risikobewältigung mittels des privatrechtlichen Anspruchs- und Durchsetzungssystems bzw. des polizeirechtlichen Eingriffsinstrumentariums setzt voraus, daß Umweltbelaster, Belastungsbetroffene bzw. die Polizei über zumutbareMöglichkeiten der Informationsgenerierung mit Blick auf mögliche Folgen verfügen. Diese Vorausssetzungen mögen in kleinräumigen Verhältnissen bei überschaubarer Verursachungslage noch gegeben sein, insbesondere wenn sichtbare (Staubniederschlag; Rauch) und riechbare Einwirkungen gegeben sind. Für die beschriebenen - z.T. äußerst diffusen - Risikolagen treffen diese Voraussetzungen nur noch in geringem Maße zu, so daß insbesondere die negatorisehen und quasi-negatorischen Ansprüche des Privatrechts bzw. die Gefahrenzurechnungen der Polizei weitgehend leerlaufen müssen. Ähnliches gilt - trotz nicht zu verkennender Anpassungsleistungen des deliktischen Haftungsrechts an die Gefahrdungslagen der Industriegesellschaft44 und trotz der Verbesserungen der Informationszugangsrechte und der Beweissituation durch die 1990 eingeführte Geflihrdungshaftung für durch Umwelteinwirkungen vermittelte Schäden an Rechten und Rechtsgütern - für die (funktional präventiv wirkenden) kompensierenden Ansprüche des Schadensersatzrechts. 4s Abgesehen davon, daß Kompensation nur dort ausreichend sein kann, wo die Möglichkeit der Naturalrestitution bzw. die Monetarisierbarkeit von Schäden außer Frage steht, scheitern Schadensersatzansprüche an den Schwierigkeiten der Kausalitätsfeststellung und Zurechnung bzw. an den prohibitiv wirkenden Transaktionskosten der Rechtsdurchsetzung. 46 Darüber hinaus kann mit Blick auf Handlungen, die mit Umwelteinwirkungen verbunden sind, schon im Ausgangspunkt nicht davon ausgegangen werden, daß der Umweltbelaster Schäden möglichst zu vermeiden trachtet. Umwelteinwirkungshandlungen sind strukturell durch Externalitätenprobleme charakterisiert. Demgemäß muß damit gerechnet werden, daß auch ein auf Folgenantizipation bedachter Entscheider nicht alle erwarteten Schadensrisiken in seine Entscheidung einstellt, sondern nur solche, die die Rechte Dritter berühren können (Leben, Gesundheit, Sacheigentum), weil nur insofern Sanktionen zu befürchten sind. Die Risiken für das Kollektivgut Umwelt und für die Rechte künftiger Generationen bleiben im Rahmen privatrechtlicher Risikobewältigung notwendig ausgeblendet 47 und sind auch polizeirechtIich weitgehend ohne Relevanz. Wenn aber Möglichkeiten der Externalisierung gegeben sind, fol-

44

4; 46

47

V gl. Vgl. Vgl. Vgl.

den komprimierten Überblick bei Köck 1994, 14 f. dazu etwa Kirchhof 1988, 103; Degenhart 1989,2438 f. nur Siebert 1988, 122. dazu auch Kloepfer 1998a, § 6 Rn. 9.

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gen die Chancen nicht mehr dem Risiko. Soweit man der ökonomischen Theorie folgt, wird der Entscheider in einer solchen Konstellation die Risiken und dessen Kosten nicht ausreichend beachten und höhere Risiko. 48 gra de ak zeptJeren.

bb) Funktionen des Umweltverwaltungsrechts Die rechtliche Regulierung der Umweltrisiken durch Einruhrung eines Systems von umweltbezogenen Sondergesetzen dient zwar im wesentlichen der Stärkung des Rechtsgüterschutzes, errullt aber zugleich auch die Funktion, einen Zugriff auf die Umwelt, die Belastung der Umwelt und den Gebrauch von Technik zu ermöglichen, indem durch Gesetz ein Rechtsrahmen geschaffen worden ist49 , der die prinzipielle Gemeinwohlverträglichkeit bestimmter Umwelteinwirkungshandlungen feststellt 50 , Zumutbarkeitsgrenzen rur Einwirkungen festlegt und damit eine Entscheidung über das hinzunehmende Risiko trifft 51 , Schutz vor den Unwägbarkeiten privater Abwehransprüche bietet52 und insgesamt Investitionen rechtlich absichert53 . Funktionell betrachtet ist damit Umwelt- und Technikrecht sowohl ein auf die Verhinderung von Schäden gerichtetes Nebenfolgenbegrenzungsrecht als auch zugleich ein Umweltzugriffs- und Technikermöglichungsrecht, das insbesondere vor dem Hintergrund der Konfliktstruktur der Risikogesellschaft gerade auch für den Umweltbelaster partiell unerläßlich geworden ist, um von seinen Freiheitsrechten faktisch Gebrauch machen zu können. 54

Vgl. nur Kar11987, 219; ders. 1995,330. Siehe dazu etwa die instruktive historische Analyse bei Wolf 1986, 41ff. 50 Zu Recht wird in der Literatur darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber potentiell gefahrdende Handlungen, die er nicht repressiv verbietet, sondern lediglich präventiv unter Erlaubnisvorbehalt stellt, als sozial erwünscht und damit grundSätzlich auch als zulassungsfahig bewertet. Vgl. dazu allgemein Wahl 1994, Sp. 528 ff.; siehe auch Graf VitzthumlGeddert-Steinacher 1990, 18 ff.;. Kloepfer 1998b, 426; siehe mit Blick auf Kernkraftwerke etwa Ossenbühl 1981, 2. 51 Vgl. dazu Ossenbüh/1982, 836 ff.; siehe auch Feldhaus 1979, 301 ff. 52 Siehe insoweit § 14 BImSchG. 53 Diese Absicherung findet in den rechtlich verfassten Risikokontrollregimen allerdings häufig nur einen unvollkommenen expliziten Ausdruck und wird demgemäß noch weitgehend über den Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze verarbeitet, z.B. über den Vertrauensgrundsatz, über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, über den eigentumsrechtlichen Bestandsschutz oder über das Unzumutbarkeitsverbot; vgl. am Beispiel der Industrieanlagenregulierung statt vieler Feldhaus 1986, 67 ff.; ders. 979, 305 f. 54 Deutlich insofern Kloepfer 1998b, 422 ff. 4&

49

Grundzüge des Risikomanagements im Umweltrecht

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b) Grundstrukturen des Risikomanagements im Umweltverwaltungsrecht In Anlehnung an Udo Di Fahio ss lassen sich mit Blick auf die öffentlichrechtliche Risikosteuerung spezifische risikosteuernde Überwachungsverfahren, sonstige Regulierungen mit partieller Risikosteuerungsfunktion (z.B. Fachplanungen und sonstige nicht originär umwelt- und gesundheitsbezogene Regulierungen) und indirekt ansetzende Risikosteuerungen (z.B. Anreize über Umweltabgaben bzw. -subventionen; Umweltaufklärung und Umweltgütezeichen; Schaffung von Risikotransparenz durch Zugangsrechte zu Umweltinformationen; Rechtsbildungs- und Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten durch Ausbau von Partizipations- und Klagerechten; Regulierung der Selbstregulierung) unterscheiden. Die folgende Analyse richtet ihren Blick im wesentlichen auf die spezifischen risikosteuernden Überwachungsverfahren, also auf das regulative Umweltrecht, weil dieses fur die "Risikoverwaltung" nach wie vor prägend ist. Auf indirekte Steuerungen wird nur insoweit eingegangen, als sie im Rahmen spezifischer risikosteuernder Überwachungsverfahren verankert worden sind (siehe unten 5.). Darüber hinausgehende grundlegende Aspekte des Risikomanagements werden im Rahmen des Schlußabschnittes lediglich stichwortartig und skizzenhaft aufgegriffen (siehe unten 6.). Das regulative Umweltrecht ist in seinem Schwerpunkt auf die Bewältigung von Entstehungsrisiken (Anlagen- und Produktsicherheit) sowie die Bewältigung von Eintragsrisiken gerichtet. Schon diese Aufgaben haben die Grenzen einer rein regulativ ansetzenden, auf Eingrenzung der Freiheit durch direkte interventionistische Eingriffe gerichtete Risikosteuerung bewußt werden lassen 56 (siehe dazu auch unten 5.). Die Verbrauchsrisiken sind, sieht man von der Gewässerbewirtschaftung ab, durch das regulative Recht erst in jüngster Zeit (insbes. im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz), und auch nur sehr peripher, aufgegriffen worden. Dies liegt zum einen daran, daß die Verbrauchsproblematik - jedenfalls jenseits raumbeanspruchender Vorhaben noch kaum in das öffentliche Bewußtsein gedrungen ist, weil individuelle Risiko-Betroffenheiten kaum, wohl aber Nutzen(Konsum)-Betroffenheiten gegeben sind und sich infolgedessen öffentliche Risikodiskurse nur zaghaft entwickeln. Dies liegt zum anderen aber auch daran, daß das Verbrauchsproblem ein Querschnittsproblem ist, das tief in andere Politikbereiche hineinragt und nur bedingt über regulative Lösungen bewältigt werden kann, sondern verstärkt den Einsatz intelligenter indirekter Steuerungen erfordert. Insofern erfaßt das folgende Bild des Risikomanagements im Umweltrecht nur einen Ausschnitt des rechtlichen Managements von Umweltrisiken. 55

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Vgl. Di Fabio 1996a, 143, 146. Vgl. nur Winter 1988,664; Hoffmann-Riem 1995,425 ff.; Lübbe-WoIfJ1998b.

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Die spezifischen risikosteuernden Überwachungsverfahren sind ordnungsrechtlich geprägt: Sie setzen entweder an spezifischen, vom Gesetzgeber als potentiell gefährdend bewertete, umwelterheblichen Aktivitäten (z.B. Industrieanlagenbetrieb; Kernenergieerzeugung; Abfallbeseitigung; Inverkehrgabe bestimmter Stoffe und Produkte; Straßen- und Schienenwegebau; Straßenverkehr; gentechnische Verfahren) an und zielen darauf sicherzustellen, daß von diesen Aktivitäten keine erheblichen Beeinträchtigungen fur die Schutzgüter des jeweiligen Gesetzes ausgehen können (sog. "kausaler" Umweltschutz), oder sie setzen an bestimmten Schutzgütern (Gewässer; Boden) an und zielen darauf sicherzustellen, daß alle Einwirkungshandlungen auf diese Schutzgüter so begrenzt und gesteuert werden, daß Bestand und Funktionen erhalten bleiben (sog. "medialer" und "vitaler" Umweltschutz).57 Zu diesem Zweck werden spezifische Verhaltensanforderungen 58 in Form von Ge- oder Verboten an die Durchfuhrung der Aktivität gerichtet und die Einhaltung dieser Anforderungen entweder durch staatliche Eröffnungskontrollen unterschiedlichen Zuschnitts (Anzeigepflicht59 ; Anmeldepflicht 60 , gebundene Kontrollerlaubnis 6 \; Kontrollerlaubnis mit Versagungsermessen 62 ; Kontrollerlaubnis mit Bewirtschaftungsvorbehalt6J ) sichergestellt oder mittels reaktiver Eingriffsbefugnisse der Überwachungsbehörden durchgesetzt. Diese Eingriffe bleiben insgesamt peripher in dem Sinne, daß sie nicht auf die Steuerung von Produktion und Konsumtion an sich gerichtet sind. 64 Trotz des traditionell erscheinenden Außenbildes umweltrechtlicher Regulierung hat der Umgang mit Risiken zu erheblichen Umbildungen des Rechts geftihrt. Herausgebildet haben sich spezifische Strukturelemente eines Risi57 V gl. zur Systematisierung nur Kloepfer 1998a, § I Rn. 67. Die Systematisierung des Umweltrechts in einen medialen, kausalen und vitalen Umweltschutz wird hier in Anlehnung an Breuer 1981, 396 ff. gebraucht. 58 Zu nennen sind hier insbesondere die Grundpflichten, die der Gesetzgeber an die Ausübung bestimmter umwelterheblicher Aktivitäten geknüpft hat. Am bekanntesten sind sicherlich die Grundpflichten des Industrieanlagenbetreibers gern. § 5 Abs. I und 3 BlmSchG; siehe darüber hinaus auch § 6 GenTG; § 22 Abs. I BImSchG; § 38 Abs. I BImSchG; § la Abs. 2 WHG; §§ 5, 11,22 KrW-/AbfG; § 4 Abs. I und 3 und § 7 BBodSchG; § 13 ChemG. 59 Vgl. etwa § 15 BlmSchG. 60 Vgl. § 4 ChemG. 61 Vgl. etwa § 6 i.V.m. § 4 BlmSchG; § 15 i.m. § 11 PflSchG; §§ 13,16 GenTG. 62 Vgl. § 7 AtG. 63 Vgl. § 2 i.V.m. § 6 WHG. 64 Siehe dazu ausführlicher Lübbe-WolffI998b.

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komanagements im Umweltverwaltungsrecht. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf neue Kontroll- und Eingriffstatbestände sowie Rezeptionsnormen eines neuen Typs als Maßstäbe der Risikoentscheidung (dazu unten 2.), die komplexe Sachverhaltsaufklärungen sowie eigenständige explizite Bewertungen erfordern und die klassischen Vorstellungen von einer lediglich gesetzesvollziehenden Verwaltung erschüttert haben 65 ; "Funktionsverlagerungen von der verbindlichen Einzelentscheidung der administrativen Ebene hin zu einer Entscheidungsebene generalisierender Verhaltens- und Beschaffenheitsanforderungen"66 (Festlegung von Umweltstandards) und die damit verbundene Etablierung institutioneller Kooperations-, Kommunikations-, Beratungs- und Beteiligungsbeziehungen zwischen Staat, Experten aUs Wissenschaft und Technik, Wirtschaft und Umweltverbänden sowie die Entwicklung rechtlicher Rezeptionsregeln (dazu unten 3.); Veränderungen der Organisation und des Verfahrens der konkretindividuellen Verwaltungsentscheidung, insbesondere durch die Bemühungen um Konzentration und Integration aller mit einem Vorhaben verbundenen Entscheidungsprobleme in einem Verfahren und die Stärkung der kommunikativen Aspekte (dazu unten 4.). die zunehmende Verankerung reflexiver Unternehmerpflichten im Rahmen regulativer Kontrollregime, wie etwa die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bei bestimmten raumbeanspruchenden Vorhaben, die Pflicht zur Errichtung einer umweltschutzsichemden Betriebsorganisation im Industrieanlagenrecht; Konzeptentwicklungspflichten (z.B. die Erstellung einer Sicherheitsanalyse im Störfallrecht und die Erstellung von Abfallwirtschaftskonzepten über die Vermeidung, Verwertung und Beseitigung der anfallenden Abfälle) oder die Pflichten zur Eigenüberwachung (dazu unten 5.). die Etablierung von Umweltbeobachtungssystemen und risikobeobachtender Pflichten- und Kontrollregime in der Post-Zulassungsphase sowie hierauf bezogener reaktiver Eingriffsinstrumente (z.B. die nachträgliche Anordnung im Industrieanlagenrecht) (dazu unten 6.).

6\

Vgl. dazu etwa Wah11993a, 177, 192 ff., 216 ff.

66 Vgl. Degenhart 1989, 2439.

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2. Materielle Maßstäbe der Risikokontrolle Risikokontrolle setzt Kontrollrnaßstäbe voraus. Der klassische Kontrollrnaßstab des verwaltungsrechtlichen Rechtsgüterschutzes ist der Rechtsbegriff der Gefahr. Auch die Risikokontrollsysteme des Umwelt- und Technikrechts operieren nahezu durchgängig mit diesem Maßstab und verpflichten zur Abwehr von Gefahren (siehe unten a). Hier zeigt sich deutlich die polizeirechtliche Wurzel relevanter Umweltrechtsbestände (Umweitrecht als Sonderpolizeirecht). Die Kontrolle von Umweltrisiken ist aber darüber hinaus vielfach auch von einer weitergehenden Vorsorge gegen Gefahren geprägt 67 , die mittlerweile in einer Reihe von gesetzlichen Kontroll- und Eingriffstatbeständen ihren jeweils bereichsspezifischen Niederschlag gefunden hat (siehe unten b). Neben dem Vorsorgedenken haben partiell auch explizite Bedarfs- und Nutzentatbestände Eingang in die Risikokontrolle gefunden und verpflichten zu Bedarfs- resp. Nutzen-Risikoabwägungen (siehe unten c).

a) Abwehr von Gefahren

aa) Gefahrbegriff Unter einer Gefahr im Rechtssinne wird eine Sachlage verstanden, die bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für rechtlich geschützte Güter führen würde. 6s Die Bewertung einer Sachlage als Gefahr beruht auf einer Prognose, die aus kognitiven (Risikowissen) und normativen (Schaden in Abgrenzung zu Nachteil bzw. Belästigung; Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Rechtsgutes; Gewißheitsgrad) Elementen gespeist wird. Das Hauptproblern der Qualifizierung einer Risikolage als Gefahr besteht darin, daß ein künftiger Schadenseintritt mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden muß. Welcher Gewißheitsgrad erforderlich ist, steht dabei aber nicht ein für alle mal fest, sondern ist abhängig von der Schutzwürdigkeit und der Schutzbedürftigkeit eines Schutzgutes bzw. vom Ausmaß möglicher Schäden. Rechtslehre und Rechtspraxis haben übereinstimmend klargestellt, daß auch die entferntere Möglichkeit eines Schadenseintritts als eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne der Gefahrdogmatik zu qualifizieren ist, wenn besonders schutzwürdige Rechtsgüter betrofVgl. insbesondere Bundesregierung 1986. Vgl. insoweit die Standard lehrbücher des Polizeirechts, etwa Drews/Wacke/Voge//Martens 1986, 220; Götz 1995, § 7 Rn. 115. Siehe aus der umwelt- und technikrechtlichen Literatur etwa Lukes 1980a, 17, 31; K/oepjer 1998a, § 4 Rn. \0; Murswiek 1985,83 f.; Trute 1989,15; Di Fabio 1991, 353. 67 68

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fen sind oder ein quantitativ hoher Schaden droht (sog. "Je/desto-Fonnel").69 Insofern weist der Gefahrenbegriff genügend Flexibilität auf, um der Prognoseunsicherheit jedenfalls in solchen Konstellationen Rechnung zu tragen, in denen es um die mögliche Beeinträchtigung höchster Rechtsgüter, wie etwa Leben und Gesundheit, oder um die Befürchtung großer Schäden (man denke nur an die Schadensabschätzungen zur Havarie von Kernkraftwerken oder zu den befürchteten anthropogen veranlaßten Klimaveränderungen) geht. Mit Blick auf die Anlagensicherheit von Kernkraftwerken und anderen großtechnischen Anlagen mit Katastrophenpotential wird demgemäß verlangt, daß der Eintritt eines Großunfalls praktisch ausgeschlossen sein muß (Maßstab der "praktischen Vernunft,,).70 Der Maßstab der "praktischen Vernunft" ist aber nicht nur für den Bereich bestimmter Entstehungsrisiken eingeführt, sondern auch auf normalbetriebsbedingte Stoff- oder Strahleneinträge übertragen worden, soweit schwere Gesundheitsverletzungen befürchtet werden müssen. 7\ Die Anforderung, daß ein Schadenseintritt "praktisch ausgeschlossen" sein muß, bedeutet aber nach herrschender Meinung nicht, daß jeder erkannten Schadensmöglichkeit durch Sicherheitsvorkehrungen nachzugehen ist, sondern erlaubt es, die Berücksichtigung zwar erkannter, aber als vernachlässigenswert gering bewerteter Schadenswahrscheinlichkeiten abzuschneiden ("Restrisiko").72 Zu Recht wird in diesem Zusammenhang kritisch darauf hingewiesen, daß der Maßstab der praktischen Vernunft im Sinne des praktischen Ausschlusses eines Schadenseintrittes lediglich verhüllt, daß es letztlich auch hier um ein wertendes Urteil über die Vertretbarkeit bzw. Zumutbarkeit von Risiken geht 73 und nicht lediglich um die letztlich triviale Feststellung, daß das Erkenntnisvermögen nur begrenzt ist und deshalb unentrinnbar Risiken verbleiben werden. Eng zusammenhängend damit bedarf eine weitere wichtige Eingrenzung der Gefahrdogmatik der Erwähnung. In Literatur und Rechtsprechung besteht Einvernehmen darüber, daß lediglich denkmögliche, also auf blanke Hypothesen bzw. reine Spekulationen beruhende Schadenserwägungen, von vorn her69 Vgl. dazu schon die polizeirechtlichen Standard lehrbücher, etwa DrewslWackel Vogel/Martens 1986, 224; Götz 1995, § 7 Rn. 117; siehe im umwelt- und technikrechtlichen Zusammenhang: Murswiek 1985, 85 f. Instruktiv dazu auch NeU 1983, 121 ff. 70 Vgl. BVerfG, Urt. v. 8.8.1978, in: BVerfGE 49, 89,143 - Kalkar, in Anlehnung an Breuer 1978.835. 71 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.12.1980, in: BVerwGE 61,256,265 - KKW Stade; BVerwG, Beschl. v. 16.2.1998, NVwZ 1998, 632 - KKW Krümmel ll; Roßnagel 1994, Rn. 184 Ir, 188. 72 Das hier zugrundegelegte Verständnis des Maßstabes der "praktischen Vernunft" wird in der Literatur nicht einhellig geteilt. Kritisch dazu etwa Roßnagel 1984, 141; ders. 1994, Rn. 193; SteinberglRoller 1991,25. 73 Siehe dazu etwa Lieb 1978, 279 ff. und Roßnagel 1994, Rn. 215.

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ein nicht in die Wahrscheinlichkeitsprognose einbezogen werden dürfen. 74 Die Reichweite dieses Begrenzungskriteriums ist in der juristischen Debatte allerdings umstritten; dieser Streit hat insbesondere Auswirkungen auf den Bereich der Eintragsrisiken. Die wohl herrschende Meinung ist der Auffassung, daß die Schädlichkeit eines Stoffeintrags durch entsprechende Erfahrungssätze "verläßI ich verifiziert" sein müsse. 75 Soweit ein sicheres Wissen nicht vorliege, sondern lediglich die Vermutung einer Schädlichkeit, dürfe allenfalls von einem Gefahrenverdacht gesprochen werden, der im Umwelt- und Technikrecht nur dann Eingriffe rechtfertigen könne, wenn entsprechende Vorsorgetatbestände geschaffen worden seien. 76 Die Gegenansicht weist die scharfe Gegenüberstellung von Gefahr und Gefahrenverdacht zurück und betont demgegenüber, daß auch nicht gesicherte Erfahrungssätze - also beispielsweise Anhaltspunkte, auf die dann weitergehende Vermutungen gestützt werden die Qualifikation eines Zustandes als Gefahr nicht ausschließen. Allerdings sollen Art und Maß der Absicherung einer Schadenshypothese Einfluß auf das Wahrscheinlichkeitsurteil haben. Auf eine Gefahr könne demgemäß nur dann erkannt werden, wenn trotz der Unsicherheiten über Kausalzusammenhänge das Risikowissen ausreiche, um in Abhängigkeit von der Schutzwürdigkeit die erforderliche Beeinträchtigungswahrscheinlichkeit feststellen zu können. 77 Der Rückgriff auf das erfahrene Wissen kennzeichnet die polizeiliche Gefahrenabwehr. Hier wird die Prognose aus der "Empirie der Lebenserfahrung" gespeist. 78 Die erfahrungsbasierte polizeiliche Gefahrenabwehr war aber nie abhängig von empirisch ermittelten Erfahrungssätzen über Kausalitäten. Stets geht es hier um "induktive Wahrscheinlichkeitsaussagen" bzw. um "normativsubjektive Wahrscheinlichkeitsaussagen".79 Die Ausgangsbedingungen bei der Gefahrenprognose im Bereich des Umweltrechts sind demgegenüber grundlegend andere, weil hier nicht mehr die Lebenserfahrung, sondern der Stand der 74 Vgl. statt vieler Drews/Wacke/Vogel/Martens 1986, 225; Martens 1981, 600; Jarass 1983, 729; Kutscheidt 1996, Rn. 9b. 75 Siehe etwa Martens 1981, 597, 600 und die Darstellung bei Roßnagel 1994, Rn. 202; siehe aber mit Blick auf den Strahlenschutz auch Gö/z 1976, 177, 182; Hanning/Schmieder 1977, 1,5 und BVerwG, Urt. v. 22.12.1980, in BVerwGE 61,256, 267 - KK W Stade. 76 Siehe statt vieler Breuer 1986. 223. 77 Vgl. Hansen-Dix 1982, 180 f.; Murswiek 1985,389; ders. 1989,213; Trute 1989, 19 f.; Petersen 1993, 114; Viertel 1995, 26 f. Siehe aus der Rechtsprechung etwa OVG Lüneburg, Beschl. v. 2.12.1992, UPR 1993, 155, 156 - Elektrosmog; OVG Münster, Beschl. v. 2.12.1992, UPR 1993, 156, 157 - Elektrosmog; VGH Kassel, Besehl. v. 30.12.1994, ZUR 1995, 205, 208 - Elektrosmog. 78 Lesenswert dazu die reehtstheoretische Verarbeitung bei Ladeur 1986, 265 ff.; ders. 1993,209 ff.; ders. 1995,9 ff. 79 Vgl. etwa HojJmann-Riem 1972, 338 ff.; Drews/Wacke/Vogel/Mar/ens 1986, 223.

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Wissenschaft den Bezugsrahmen bildet. 80 Würde man auch hier gesicherte Erfahrungssätze als Ausgangspunkt der Schadenswahrscheinlichkeitsprognose verlangen, wäre man mit Blick auf Eintragsrisiken allein auf abgesicherte Befunde der labor-experimentellen Dosis-Wirkungs-Forschung bzw. auf abgesicherte statistische Signifikanzen der Epidemiologie angewiesen. Dies scheint nicht nur angesichts des Wissens um die Komplexität realer Stoffeinwirkungssituationen probleminadäquat81 , sondern muß auch vor dem Hintergrund einer anhaltenden wissenschaftlichen Kritik an der Aussagekraft der Ergebnisse der Wirkungsforschung bedenklich stimmen. 82 Im Ergebnis wird man daher der Auffassung folgen müssen, daß auch vermutete, bzw. auf Anhaltspunkte gestützte Aussagen über Kausalzusammenhänge die Bewertung einer Sachlage als Gefahr nicht von vorn herein ausschließen. 83 Dies hat allerdings zur Konsequenz, daß das Wertungselement mehr an Bedeutung gewinnen muß. Dies spiegelt sich wider in der seit Jahren geführten Diskussion um die Fragen, weIche Wertungsvorgaben durch den Gesetzgeber selbst vorgenommen werden müssen 84 , unter welchen Umständen der Verwaltung eine eigenständige Bewertungsverantwortung zuerkannt werden kann 8s und wo die Grenzen einer Rechtskontrolle durch die Gerichte liegen?86 Darauf wird noch einmal zurückzukommen sein (siehe unten 3.). Ein besonderes Problem gefahrenrechtlicher Beurteilung, an der die Richtigkeit der soeben gemachten Ausführungen demonstriert werden kann, steilen die Stoffe dar, fur die es nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse keine Wirkungsschwellen gibt, also die canzerogenen, mutagenen und teratogenen Stoffe. In den einschlägigen Wissenschaftskreisen geht man bezüglich dieser Stoffe von der Annahme einer linearen Dosis-WirkungsBeziehung auch im Niedrigdosenbereich aus, d.h. jedem Partikel eines solchen Stoffes, das durch den Menschen aufgenommen wird, wird die Potenz zur Herbeiführung eines schweren Gesundheitsschadens zugeschrieben. Nach der bereits erwähnten Je/desto-Formel erscheint es zumindest im Ausgangs-

80 Vgl. insofern nur BVerwG, Urt. v. 17.2.1978, in: BVerwGE 55, 250, 254 - Voerde. Siehe zu den Konsequenzen insbes. Schachtschneider 1988, 81, 99 f., 111 ff. und in rechtstheoretischer Sicht Ladeur 1993, 209 ff. 81 Vgl. dazu nur Roßnagel 1994, Rn. 189, 196. 82 V gl. nur die Beiträge in Winter (Hrsg.) 1986. Siehe auch Trute 1989, 42 ff. 83 Vgl. dazu nur Winter/Schäfer 1985,703,706; siehe auch Roßnagel1979, 88 ff.; ders. 1994, Rn. 204; Murswiek 1985, 386; den 1989, 207, 213; ders. 1994b, Sp. 809; Trute 1989, 19 ff.; Rid/Hammann 1990, 281, 282; Salzwedel 1992, 39; Kloepfer 1993, 55, 60; Viertel 1995, 26; Jarass 1995, zu § 5 Rn. 21. 84 Zu weitgehend erscheint mir die Anforderungen von Roßnagel (1984, 141) und anderen. die hier einzig den parlamentarischen Gesetzgeber für legitimiert halten. 8j Dazu Di Fabio 1994, passim. 86 Vgl. etwa Winter 1987,425 ff.

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punkt nicht von vornherein abwegig, jede Belastung der Luft oder der Nahrung mit krebserzeugenden Stoffen als abzuwehrende Gefahrenlage zu qualifizieren. Diese Auffassung wird aber - soweit ich sehe - von niemanden vertreten. Die wohl herrschende Meinung geht davon aus, daß der Eintrag von canzerogenen, mutagenen und teratogenen Stoffen im Niedrigdosisbereich keine Schadenswahrscheinlichkeit im Sinne der Gefahrdogmatik begründen könne, weil es sich bei der linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung lediglich um eine hypothetische Annahme handele. 87 Krebserkrankungen und Todesfälle ließen sich auf der Basis dieser Annahme zwar rechnerisch ermitteln und som it statistisch prognostizieren, diese Abschätzungen hätten aber keinen empirischen Gehalt, weil den vorhandenen epidemiologischen Studien ganz andere Strahlendosen zugrundeliegen. Andererseits aber' konnte nicht einfach ignoriert werden, daß es eine Wirkungsschwelle flir diese Stoffe nicht gibt und daß es demgemäß Schwierigkeiten bereitet, einen Schadenseintritt als "praktisch ausgeschlossen" anzusehen. Im Strahlenschutzrecht ist in dieser Dilemmasituation ein weiteres Bewertungskriterium, nämlich ein Belastungsvergleich, zur Anwendung gelangt, indem vom Verordnungsgeber Dosisgrenzwerte (§ 45 StrlSchV; sog. 30 Millirem-bzw. 0,3 Millisievert-Konzept) festgelegt worden sind, die sich innerhalb der regionalen Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenexposition bewegen. Das BVerwG hat dieses Konzept anerkannt, weil ein normalbetriebsbedingtes Strahlenrisiko, das kleiner ist als das mit der natürlichen Strahlenbelastung verbundene, nach den Maßstäben der praktischen Vernunft nicht mehr in Rechnung gestellt werden müsse. 88

bb) GeJahrenzurechnung Die Abwehr von als Gefahren bewertete Risikolagen erfordert die Zurechnung zu einer störenden Handlung. Dieser Identifizierungsvorgang ist in den spezifischen Überwachungsverfahren zwar bereits durch den Gesetzgeber erfolgt, indem er potentiell gefährdende Handlungen typisierend benannt, Kontrolltatbestände geschaffen und die Behörden dazu verpflichtet hat, festzustellen, ob durch die benannte Umwelteinwirkungshandlung oder durch den benannten Technikgebrauch Gefahren hervorgerufen werden können (siehe oben I b). Trotz dieser Entlastung des Suchprozesses bereitet das Erfordernis der individuellen Zurechnung einer Gefahrenlage zu einer bestimmten Handlung aber große Schwierigkeiten und sorgt daflir, daß die Reichweite einer auf das Gefahrenabwehrrecht gegründeten Risikosteuerung nur eng begrenzt ist. Denn 87 Vgl. etwa Hanning/Schmieder 1977, 5; BVerwG, Urt. v. 22.12.1980, in: BVerwGE 61,256,267 - KKW Stade; siehe auch BVerwG, Besch\. v. 10.6.1998, in: UPR 1998, 393. 394. Siehe auch oben bei Fußn. 74 ff. 88 BVerwG, Urt. v. 22.12.1980, in: BVerwGE 61, 265 - KKW Stade.

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für die formale Zurechnung bedarf es wiederum eines Kausalitätsnachweises, nämlich der konkreten Kausalitätsfeststellung im Sinne der Feststellung, daß der Adressat der Gefahrenabwehrmaßnahme durch sein Verhalten zumindest dazu beigetragen hat, daß die Gefahrengrenze erreicht bzw. überschritten wird 89 . Diese Zurechnung bereitet im Ergebnis keine Probleme, wenn die Gefahrengrenze durch einen quantifizierten generell-abstrakten Qualitätsstandard festgelegt worden ist (siehe dazu unten 3) und prognostiziert werden kann, daß der einzelne mit seiner Umweiteinwirkungshandlung diese Grenze überschreiten wird. Sie bereitet auch dann keine Probleme, wenn ein Zustand als Gefahr bewertet muß und klar ist, daß der einzelne mit seiner Umwelteinwirkungshandlung zu Einwirkungen am Ort der Gefahrentstehung beiträgt (Beispiel: Autofahren in Smoglagen). Insoweit kommt es nicht darauf an, daß jeder einzelne für sich eine identifizierbare Wirkungsverstärkung hervorbringt. Unlösbare Zurechnungsprobleme ergeben sich aber immer dann, wenn nicht festgestellt werden kann, daß eine Handlung überhaupt zu Einwirkungen am Ort der Gefahrentstehung geführt hat 90 , wie dies bei den ferntransportierten summierten Immissionen der Fall ist. In der juristischen Literatur ist man sich weitgehend darüber einig, daß diese Fälle im Recht der Gefahrenabwehr nicht zurechenbar sind 91 und daher keine eingreifenden Maßnahmen erlauben. Individuelle Zurechnung erschöpft sich aber nicht allein in Kausalitätsbetrachtungen, sondern enthält darüber hinaus auch normative Elemente 92 , die zusätzlich eingrenzend wirken und die Konsequenzen der zu Recht u.a. aus Verteilungsgesichtspunkten als ungerecht empfundenen "Theorie der unmittelbaren Verursachung,,93 abmildern sollen. Ein wichtiges normatives Element im Rahmen der auswirkungsrisikobezogenen immissionsschutzrechtlichen Gefahrzurechnung bildet das Kriterium des "umweitadäquaten Verhaltens,,94 bzw. treffender formuliert: der "relevanten Risikoerhöhung"9s. Es besagt, daß immer dann, wenn durch ein Handeln lediglich ein minimaler zusätzlicher Imm issionsbeitrag erzeugt wird, die Risikoverursachung sich aus dem Grund-

89 Dazu näher Roßnagel 1994, § 5 Rn. 294 m.w.N. 90 Vgl. dazu aus der immissionsschutzrechtlichen Rechtsprechung BVerwG, Urt. v.

17.2.1984, in: BVerwGE 69, 37, 43 f; OVG Münster, in: Feldhaus, zu § 5 Nr. 27; OVG Münster, DVBI. 1988, 152, 154; OVG Lüneburg, in: Feldhaus, zu § 5 Nr. 8. 91 Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.2.1984, in: BVerwGE 69,37,43 f; OVG Münster, Urt. v. 9.7.1987, DVBI. 1988, 152, 154; FeldhauslSchmiti 1984, 1, 21; KloepjerlKröger 1990, 8, 13 f.; WahllAppell 995, 134; Roßnagel 1994, § 5 Rn. 321; Rehbinder 1997a , Rn. 26; kritisch dazu Lübbe- WolfJ 1986, 167 ff 92 V gl. dazu Trute 1989, 27 f 9) Vgl. statt vieler FeldhauslSchmitt 1984, 9 ff. Siehe zu einer weitergehenderen Kritik der Theorie der unmittelbaren Verursachung auch Roßnagel 1994, Rn. 289. 94 Vgl. FeldhauslSchmitt 1984. 12 f (in Anlehnung an Hl/rst 1958,80 f) Vgl. Trute 1989,28; Petersen 1993, 130 ff. Siehe auch SalzwedeI1992, 56.

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pegel der Belastungen also nicht erkennbar heraushebt, dieser fur die Gefahrenzurechnung dann außer Betracht zu bleiben habe, wenn der Emittent seinerseits alle zumutbaren Anstrengungen zur Emissionsminimierung unternommen hat. 96 Hier geht es in der Sache um Verhältnismäßigkeits-97 bzw. Zumutbarkeitserwägungen. In den Fällen, in denen die Summe der Belastungen aus je fur sich "umweltadäquaten" Verhaltensweisen zu einer Überschreitung der Gefahrengrenze fUhrt, kann einer solchen Zurechnungsbeschränkung allerdings nur dann zugestimmt werden, wenn sie zugleich zum verpflichtenden Anlaß genommen wird, Belastungsreduktionen an anderer Stelle vorzunehmen. 98

b) Gefahrenvorsorge Die Umweltpolitik ist dem Vorsorgeprinzip verpflichtet, d.h. sie soll nicht abwarten, bis sich der Umwelt- und Technikgebrauch zu Gefahrenlagen verdichtet hat bzw. bis gar Schäden eingetreten sind, sondern bereits dem Entstehen von Schäden vorbeugen 99 . In das Umweltrecht hat das Vorsorge prinzip zwar noch nicht als ein allgemeines Rechtsprinzip Eingang gefunden lOo , aber der Gesetzgeber hat im Zentral bereich der risikosteuernden Überwachungsverfahren vielfach auf die Begrenzungen des Gefahrenabwehrrechts mit der Einfuhrung konkreter Vorsorgetatbestände reagiert, die eingreifende Maßnahmen auch dann gebieten bzw. erlauben, wenn keine Gefahren prognostiziert werden können bzw. Gefahren nach den Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts nicht zurechenbar sind. 101 Die Erscheinungsformen der gesetzlich verankerten vorsorgenden Risikokontrolle sind vielfältig. 102

96 Instruktiv dazu das Beispiel bei FeldhauslSchmitt 1984, I, 13 f. Ablehnend etwa Roßnagel 1994, § 5 Rn. 30 I ff. 97 Vgl. dazu Petersen 1993, 167 ff.; siehe auch Winter 1986, 127, 133. 98 Siehe dazu auch Lübbe-WoJff 1986, 167 ff.; Roßnagel 1994, Rn. 287 f. Siehe auch die Ansätze in Ziff. 2.2.1.1 lit. b) TA Luft. 99 Vgl. Bundesregierung 1986. 100 Siehe dazu Rehbinder 1991,269 ff.; Di Fabio 1997,813 ff. 101 Siehe etwa § 5 Abs. I Nr. 2 BlmSchG; §§ la Abs. 2, 7a und 34 WHG; § 7 Abs. 2 Nr. 2 AtG; § 28 Abs. I StrSchV; §§ 5,6 KrW-/AbfG; § 11 Abs. I ChemG; § 15 Abs. I PfSchG; §§ 6 Abs. I und 16 Abs. I GenTG. Siehe darüber hinaus auch die Ermächtigungen zur Festlegung von Vorsorgepflichten in §§ 23, 34, 38 Abs. 2 BlmSchG); §§ 22 Abs. 4, 23, 24 KrW-/AbfG). Vgl. dazu etwa Kloepfer 1998a, § 4 Rn. 12. 102 Vgl. die instruktive Darstellung bei Rehbinder 1997a, Rn. 31 ff.

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aa) Erscheinungsformen der Vorsorge in Überwachungsverfahren Im Hinblick auf die Auswirkungsrisiken durch Emissionen in die Luft bzw. in Gewässer wird im wesentlichen eine gefahrenunabhängige Strategie der Emissionsbegrenzung nach dem Stand der Technik verfolgt. 103 Soweit es um den Eintrag besonders gefährlicher Stoffe geht (ionisierende Strahlung; krebserzeugende Stoffe; mutagene Stoffe), wird zudem eine noch weitergehende Strategie der Risikominimierung betrieben 104, die nicht allein technisch ansetzt, sondern u.U. auch zu Alternativenprüfungen (Ersetzbarkeit der Stoffe) bzw. technikunabhängigen Schutzanforderungen verpflichtet l05 . Der stofflichen Umweltbelastung durch Abfallentsorgung bzw. dem Ressourcenverbrauch wird durch spezifische Pflichten zur Abfallvermeidung und verwertung vorgebeugt. 106 Auch hier bilden technische Möglichkeiten, aber auch die wirtschaftliche Zumutbarkeit, den Maßstab fur die Vorsorgepflicht. 101 Bei all diesen unterschiedlichen regulativen Vorsorge anforderungen geht es zugleich immer auch darum, die Verpflichtungen so zu steuern, daß Entlastungen an einer Stelle nicht mit Zusatzbelastungen an anderer Stelle erkauft werden l08 (bestmögliche Umweltoption)109. Auswirkungsrisiken wird aber nicht nur mit Belastungsbegrenzungen nach technischer Möglichkeit oder Belastungsminimierungen begegnet, sondern vereinzelt auch mit Verschlechterungsverboten llO , mit der Festlegung von Risikogrenzen (Qualitätszielorientierungen 111; PEC/PNEC-Konzept im Chemikalienrecht I12 ), mit AbVgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSehG; § 7a WHG. Vgl. § 28 Abs. 1 StrlSchV; Nr. 2.3 TA Luft. lOS Vgl. dazu Feldhaus/Ludwig/Davids 1986, 651 f.; Hansmann 1992, Nr. 2.3, Rn. 8; Winter 1997, 94 ff. Hier wird deutlich, daß Gefahrenabwehr und Vorsorge nicht immer strikt zu trennen ist. Die Rechtsdogmatik hat hierauf mit der Figur der Vorsorge mit Schutzzuweisungsfunktion (individualschützende Vorsorge) reagiert. 106 Vgl. § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG; §§ 6, 9 KrW-AbfG. 101 Vgl. § 5 Abs. 4 KrW-/AbfG. 108 Siehe etwa Art. 9 Abs. 3 IVU-Richtlinie (Richtlinie 96/611EG des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung v. 24.9. 1996, ABI.EG Nr. L 257,26). Siehe auch §§ 5 Abs. 5 und 6 Abs. I S. 2 KrW-/AbfG. 109 Vgl. dazu auch Rehbinder 1997a, Rn. 46. liD Die allerdings nur vereinzelt gesetzlich verankert sind. Siehe etwa Nr. 2.2.1.4 TA Luft oder § 36b Abs. 6 WHG. Siehe auch die Rechtsetzungsermächtigung in § 8 Abs. 2 Nr. 2 BBodSchG. Vgl. auch Rehbinder 1997a, Rn. 41 ff. II1 ZU verweisen ist etwa auf die trinkwasserbezogenen Konzentrationswerte für Pestizide (Art. 7 Abs. 1 i. V.m. Anhang r Nr. 55 der Richtlinie des Rates vom 15. Juli 1980 über die Qualität des Wassers für den menschlichen Gebrauch; 801778/EWG). In diesen Kontext gehören auch die Ermächtigungen zur Festlegung stoffkonzentrationsbezogener Prüfwerte im Verkehrsimmissionsschutzrecht (§ 40 Abs. 2 S. 2BlmSchG i.V.m. 23. BlmSchV) lind im Bodenschutzrecht (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 BBodSchG). Auch das oben im Rahmen der Gefahrendogmatik angesprochene sog. "30-Millirem-Konzept" kann hier genannt werden. IOJ

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standsvorschriften bei ortsfesten Anlagen, mit spezifischen Risikoennittlungspflichten, die auf kognitive Erweiterungen der Basis der Risikobewertung zielen l13 und mit der Einbeziehung sog. "hypothetischer Risiken" in die Risikokontrolle l14 . Mit Blick auf Entstehungsrisiken des Technikgebrauchs zeigt sich das Vorsorgeelement gegenüber der Gefahrenabwehr insbesondere in der (erweiterten) Theoretisierung der Gefahrschwelle und der damit angestrebten Minimierung von Störfallrisiken (Vorsorge nach dem Stand von Wissenschaft und Technik): Im Kernenergieanlagenrecht und im Recht der gentechnischen Anlagen bestimmt nicht allein das erfahrungsgeleitete Expertenwissen über Unfallmöglichkeiten die Sicherheitserfordernisse, sondern es müssen auch weitergehende theoretische Modellkonstruktionen über Möglichkeiten der Unfallentstehung vorgenommen (hypothetische Störfallverlaufsmöglichkeiten) und in die Risikobewertung einbezogen werden" s. Auch hier geht es aber zugleich darum, die Vorsorgeverpflichtungen so zu steuern, daß die Anlagensicherheit optim iert wird. Risikoreduktionen an einer Stelle sollen nicht mit Risikosteigerungen an anderer Stelle erkauft werden. In der Anlagensicherheitstechnik wird insoweit der "Grundsatz der Ausgewogenheit" angeführt. 1 16

bb) Rechtliche Verarbeitung: Voraussetzungen und Begrenzungen der Vorsorge Die gesetzliche Verankerung von Vorsorgeverpflichtungen und die daraus entwickelten exekutiv isehen bzw. administrativen Vorsorgestrategien haben zu juristischen Auseinandersetzungen über Voraussetzungen und Begrenzungen der Vorsorge geführt" 7 ; denn wenn nicht mehr die Gefahr schädlicher 112 Siehe § 12 Abs. 2 ChemG. i. V.m. den Anhängen I und III der "BewertungsRichtlinie" 93/67/EWG. Dazu näher etwa Winter 1995,25 ff. und 57 f.; Theuer 1996, 120, 125 ff. Die Überschreitung der "Risikogrenzen" hat aber nicht unmittelbar die Verpflichtung zum Verbot der Stoffinverkehrgabe zur Folge, sondern ist die Voraussetzung für die Prüfung rechtsgüterschützender Maßnahmen (vgl. § 17 ChemG); näher dazu etwa Rehbinder 1997b, Rn. 64 ff. 113 Hier kann insbesondere auf die Risikoahschätzungsptlichten des Atomrechts, des Stoffrechts und des Gentechnikrechts verwiesen werden. 114 Zu verweisen ist hier insbesondere auf das gentechnikrechtliche Kontrollregime. Vgl. dazu etwa Wahl 1997, Rn. 7,9, 16 f. Siehe darüber hinaus auch oben bei Fußn.76. 11; Vgl. für das Atomrecht das grundlegende Urteil des BVerwG v. 19.12.1985, in: BVerwGE 72, 300, 315 - Wyhl. Siehe auch Trute 1997, 95 f., 98. 116 Vgl. dazu ausführlich Breller 1990,215 f.; siehe auch Wagner 1980, 671. 117 Vgl. dazu insbesondere Ossenbüh/1986, 161 ff.; Di Fabia 1997, 8071T.; LübbeWaljf 1998a, 47 Ir

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Auswirkungen des Umwelt- und Technikgebrauchs bzw. der Kausalnexus als Zurechnungsrückgrat die Anknüpfungspunkte fUr PflichtensteIlungen und staatliche Eingriffe bilden, sondern Maßnahmen auch vorsorgend verfUgt werden dürfen, erscheinen die Interventionsmöglichkeiten des Staates nahezu unbegrenzt und damit die Freiheitsräume fUr grundsätzlich erlaubtes Verhalten, zu denen die Umweltnutzung und der Technikgebrauch gehört, gefährdet. Einigkeit besteht heute darin, daß Vorsorge kein Selbstzweck ist, sondern einen spezifischen Vorsorgeanlaß voraussetzt (Abwehr bzw. Reduzierung der Gefährdung von Mensch und Umwelt als Zweck der Vorsorge) und daß dementsprechend für die Vorsorgeverpflichtung in besonderem Maße auf die Eignung zur Zweckerreichung, auf die Erforderlichkeit der gewählten Maßnahme und auf die Proportionalität zwischen Vorsorge aufwand und Sicherheitsertrag zu achten ist (Verhältnismäßigkeit der Vorsorge). Vorsorge bedarf nach wohl allgemeiner Auffassung der vorherigen Feststellung eines Vorsorgeanlasses. 118 Die Rede ist in diesem Zusammenhang von einer "Vorsorgesituation", einem "Risiko" oder einem "Gefahrenbezug". Reduzierungen der Stoffeinträge bzw. Verbesserungen der Anlagensicherheitstechnik einzig um ihrer selbst willen, etwa weil eine Reduktion bzw. Verbesserung technisch möglich ist, wird als "Vorsorge ins Blaue hinein" bezeichnet und als unzulässig angesehen. 119 Einigkeit besteht auch darin, daß sich das Vorsorgeerfordernis auf die Schutzgüter des Umweltrechts beziehen muß, also auf Leben, Gesundheit und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, nicht aber die weitergehenden soziokulturellen Risiken, die beispielsweise mit der Einführung neuer Technologien verbunden sein können (Stichwort: Sozialverträglichkeit)120, einbeziehen darf. Insofern ist die umweltrechtliche Vorsorge, ebenso wie die Gefahrenabwehr l21 , auf einen sekuritativen Zweck bezogen. (1) Das Vorsorgeerfordernis kann zum einen darin begründet liegen, daß bezüglich bestimmter Umwelteinwirkungshandlungen oder Technikgebrauchshandlungen Kenntnisse über ein "Besorgnispotential" für die Schutzgüter des Umweltrechts vorliegen und wegen der Art der Besorgnis

118 Vgl. dazu Ossenbühl 1986, 161, 166; Kloepjer 1993, 74; Preuß 1994, 539; Schrnidl 1994,749.753; Wahl/Appe/1995, 121 ff.; Di Fabio 1997,821 f. 119 Vgl. Ossenbüh/1986, 161, 166; Salzwede/1988b, 13 f.; Frh. v. Lersner 1994, Sp. 2705; Di Fabio 1997, 807, 822; siehe mit Blick auf die Anlagensicherheitstechnik etwa Wagner 1980, 671. Siehe darüber hinaus auch Rehbinder 1991, 269, 279; Wahl/Appel 1995, 122. 120 Auf diese macht insbesondere Alexander Roßnagel aufmerksam. Siehe etwa Roßnagel 1993; ders. 1994, 425 tf. siehe auch Murswiek 1989, 224 ff. 121 Grundlegend dazu schon das Urt. des Preuß. OVG v. 14.6.1882, In: Entscheidungen des Königlichen Oberverwaltungsgerichts, Bd. IX, 353, 373 - Kreuzberg. Siehe dazu auch Di Fabio 1994, 30 ff.

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Wolfgang Köck bzw. der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Schutzgüter nicht abgewartet werden darf, bis sich diese Besorgnis empirisch untermauern läßt (Risikovorsorge ).122 Vorsorge soll insoweit der "Gefahr der Fehleinschätzung einer Gefahr" begegnen l23 und Irreversibilitäten verhindern l24 . Gleiches gilt, soweit ein empirisch fundiertes Wissen aus prinzipiellen Gründen nicht zu beschaffen ist (z.B. Gesundheitsrisiken infolge der Exposition krebserzeugender Stoffe im Niedrigdosenbereich). Alle bisherigen juristischen Bemühungen, das "Besorgnispotential" rechtsbegrifflich näher zu fassen und zu dogmatisieren (Risiko als Rechtsbegriff: Abstufung von Gefahr - Risiko - Restrisiko)l25, sind in der Sache nur begrenzt hilfreich gewesen l26 . Im Grunde genommen geht es, wie es HansHeinrich Trute einmal formuliert hat, um die "Einschätzung des vorhandenen Wissens,,127 und damit um eine Bewertung vor dem Hintergrund einer "Gemengelage aus kognitiven, normativen und pragmatischen Faktoren der Entscheidung". Soweit Vorsorge erst am Problem des Stoffeintrags in die Umwelt ansetzt, wie etwa die immissionsschutzrechtliche Vorsorge oder die abwasserrechtliche Vorsorge, wird ein Vorsorgeerfordernis schon dann anerkannt, wenn eine stoffimmanente Betrachtungsweise ergibt, daß die generelle Eignung eines Stoffes zur Schadensherbeiführung (vgl. § 3 Abs. 1 BImSchG) nach Art und Menge ausreichend belegt ist. 12S Auf konkrete Ermittlungen der Auswirkungen der tatsächlich eingetragenen Stoffe kommt es hier im Ausgangspunkt nicht an. Im Chemikalienrecht ist das anders, weil die abstrakte Stoffeigenschaft nichts über die Verwendungszusammenhänge aussagt. Soweit ein gefahrlicher Stoff in geschlossenen Kreisläufen geflihrt und nach Verwendung gefahrlos entsorgt werden kann, wird demgemäß ein darüber hinausgehendes Vorsorgeerfordernis verneine 29 : In der chemikalienrechtlichen

122 Vgl. Rehbinder 1997a, Rn. 50 m.w. N. Siehe auch Ladeur 1988, 305, 308 ff; ders. 1994, 297, 302 f; Reich 1988, 130 ff; Scherzberg 1993, 484, 497 f; Preuß 1994,523,538 ff.; Wahl/AppeI1995, 93. 123 Vgl. dazu Scherzberg 1993, 498; Hili 1994, 113 . Siehe auch Frh. v. Lersner 1994, 2705 ("Jgnoranztheorie") und aus risikoökonomischer Sicht Siebert 1988, 124 ff.; Janzen 195,349; Mag 1981, 479 f 124 Vgl. dazu auch aus ökonomischer Sicht Hansjürgens/Schuldt 1994, 49 f 125 Einflußreich waren hier die Bemühungen von Rüdiger Breuer. Vgl. Breuer 1978, 829, 836 f.; siehe auch ders. 1990, 211, 213 . 126 Siehe schon die Skepsis bei Wagner 1980, 668. Siehe auch Lübbe-Wo/ff 1998a, 50, die die Abstufung von Gefahrenabwehr, Risikovorsorge und Restrisiko als "intensional überdeterminiert" bezeichnet hat. 127 Vgl. Trute 1989,47. 128 So etwa Rehbinder 1991, 269, 279 f; Jarass 1995, § 5 Rn. 46; siehe auch Koch 1994, § 3 Rn. 48 ff.; Roßnagel1994 § 5 Rn. 462 ff 129 Vgl. Rehbinder 1997b, Rn. 68.

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Literatur besteht insoweit Einigkeit darüber, daß "es stets der Feststellung von Anhaltspunkten für ein wirkungsbezogenes, auf Verbreitung des Stoffs und Exposition gegründetes Risikopotential (bedarf)"lJo, d.h. es muß abgeschätzt werden, ob sich auch unter Berücksichtigung der spezifischen Verwendungszusammenhänge und der technischen Möglichkeiten des Stoffeinschlusses die stoffimmanente GeHihrlichkeit tatsächlich realisieren kann. Zu den Bewertungsfaktoren, die im Zusammenhang mit der Bestimmung des Vorsorgeerfordernisses allgemein bedeutsam sind, zählt auch die Risikoakzeptanz. Sie ist als Element des Gefahrenbezuges nicht nur eine politische Kategorie der Risikobewertung durch den Gesetzgeber l31 , sondern auch rechtlich relevant; denn fur die Bewertung des Besorgnispotentials macht es einen Unterschied, ob beispielsweise ein Risiko freiwillig eingegangen wird und der Eigenkontrolle zugänglich ist oder ob es aufgezwungen wird. 132 Risiken, denen man unfreiwillig ausgesetzt ist, sind in der Gesellschaft nicht nur sehr viel weniger akzeptiert I33 , sondern auch im normativen Sinne nicht ohne weiteres akzeptabel und können deshalb sehr viel eher ein Vorsorgeerfordernis begründen. (2) Ein Erfordernis zur Vorsorge ist auch dann gegeben, wenn man zwar sicher weiß, daß die Stoffeinträge bzw. der Ressourcenverbrauch in absehbarer Zeit keine Schäden hervorrufen können, daß andererseits aber die Eigenschaften der eingetragenen Stoffe bzw. die Verbrauchshandlungen darauf schließen lassen, daß sie sich in ferner Zukunft zu Gefahrenlagen aggregieren werden, weil die Tragekapazitäten und die Ressourcen nicht unerschöpflich sind. 134 Den Problemen der Akkumulierung von Belastungen und dem Verbrauch von Ressourcen darf insoweit auch vorsorgend begegnet werden, um sicherzustellen, daß die ökologischen und gesundheitl ichen Belastungsgrenzen nicht ausgeschöpft werden I3S (nachhaltiger Umweltschutz). Diesbezüglich wird auch von einer zeitlich vorgelagerten Gefahrenabwehr l36 gesprochen. Diese Vorsorgebegründung läßt sich darüber hinaus auch auf den Gedanken der (intertemporalen) Verteilungsge-

Vgl. Rehbinder 1997b, ebenda (m.w.N.). So Ossenbüh/1982, 838. 132 Dies wird, soweit Vorsorge begründungen auf Risikovergleiche rekurrieren, allerdings häufig ignoriert. 133 Siehe nur den zusammenfassenden Überblick bei Bechmann 1993 und Banse/Bechl71ann 1998, 38 ff. 134 V gl. dazu auch Köck 1997a, 81 ff. m Dazu näher Lübbe-WolfJ 1998a, 55 ff., die aus dem Vorsorgegepot u.a. den "Grundsatz der Nichtausschöpfung ökologischer Belastungsgrenzen" ableitet. Siehe auch Viertel 1995, 8; Hansjürgens/Schuldt 1994,47 ff. 136 Siehe dazu auch Kloepfer 1998a, § 4 Rn. 13. 130 131

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Wolfgang Köck rechtigkeit '37 sowie auf den Gedanken der Schonung von Freiheitsrechten stützen, weil durch eine vorsorgende Begrenzung der Umweltnutzung einerseits Freiräume für den zukünftigen Umweltgebrauch erhalten bleiben 138 (Ressourcenvorsorge ) und andererseits erwartet werden darf, daß drastischere Freiheitsbeschränkungen bzw. einschneidendere Umweltschutzlasten in der Zukunft vermieden werden können.

(3) Vorsorge ist schließlich auch dann gerechtfertigt, wenn ein Stoffeintrag für sich betrachtet ungefährlich ist, aber im Zusammenwirken mit den Stoffeinträgen anderer zu Gefahren und Schäden beitragen kann. Vorsorge reagiert hier auf die Zurechnungsgrenzen des Gefahrenabwehrrechts [siehe oben a) bb)]. Für die Zurechnung genügt insoweit der Umstand, daß schadensgeeignete Stoffe emittiert werden, die sich weiträumig von der Emissionsquelle entfernen können. Begrenzungen der Vorsorge werden jenseits der spezialgesetzlichen Eingrenzung (z.B. Vorsorge nach dem Stand der Technik) im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsdogmatik über den Grundsatz der Geeignetheit der Vorsorgemaßnahme, der Erforderlichkeit der Vorsorge und der Proportionalität von Vorsorgeaufwand und Sicherheits-/Umweltschutzertrag geleistet (Verhältnismäßigkeit i.e.S.). Um maßstabsbildend zu sein, bedürfen diese Grundsätze allerdings der "substantiellen Auffüllung mit den Normen, Daten und Zielen des jeweiligen Sachbereichs"'J9. In diesem Zusammenhang wird mittlerweile auch das Erfordernis einer risikospezifischen Konkretisierung der Grundsätze betont. Im Rahmen der Geeignetheitssprüjung einer Vorsorgemaßnahme wird demgemäß in Risikokontexten auch eine vergleichende Risikobewertung verlangt. 140 Schon jetzt ist ein solcher Risikovergleich vielfach implizit gefordert, nämlich durch die Pflicht zur bestmöglichen Umwelt- bzw. Sicherheitsoption l41 im Rahmen der Bestimmung des "Standes der Technik,,142 bzw. des

137 Vgl. Kutscheidt 1990, Rn. 7; Schmäl/inglMäder 1979, 50; Send/er 1983, 43; OVG Berlin, Urt. Y. 17.7.1978, DVBI. 1979, 160. 138 Vgl. dazu schon die Deutungen zur immissionsschutzrechtlichen Vorsorge bei Feldhaus 1980,133 ff; Sel/ner 1980, 1255 ff, die ihre "Freiraum"-These aber im wesentlichen auf die Planungselemente des BlmSchG gestützt haben. 139 Vgl. Ossenbüh/1986, 167. 140 Vgl. dazu insbesondere mit Blick auf Entstehungsrisiken: Wagner 1980,671; Breuer 1990, 211, 214 ff.; mit Blick auf Auswirkungsrisiken: Ladeur 1994, 297, 304 t1; Di Fabio 1994,453 f; ders. 1997,807,824 f.; siehe allgemein auch Rehbinder 1997a, Rn. 29; Sa/:::wede/ 1992, 12 t1. 141 Siehe oben zu Fußn. 108 und 116. 142 Zu achten ist hier auf medienübergreifende Emissionsverlagerungen, auf die Yerursachung anderer Emissionen und auf den Energieaufwand. Vgl. nur Feldhaus

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"Standes von Wissenschaft und Technik,,143. Eine vorsorgliche, an den technischen Möglichkeiten orientierte, Reduzierung der Luftverunreinigungen, die lediglich zu Umweltproblemverlagerungen an anderer Stelle führt, im Ergebnis aber keinen Umweltentlastungseffekt hat, wäre dysfunktional und müßte wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Geeignetheit beanstandet werden. Die Anforderungen an die vergleichende Risikobewertung im Bereich der gesetzlich ausgestalteten Vorsorge wären allerdings mißverstanden, würde man sie als Pflicht zu risikoanalysegestützten absoluten Risikovergleichen auffassen. Hat der Gesetzgeber in bestimmten Sachbereichen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes Vorsorgetatbestände verankert bzw. entsprechende Ermächtigungen erteilt, erstreckt sich die Pflicht zur vergleichenden Risikobewertung selbstverständlich nicht darauf, die Risikosituation in diesem Bereich abzugleichen mit den Mortalitätsrisiken falscher Ernährung, den Risiken des Straßenverkehrs oder den Risiken der Kernkrafttechnologie. 144 Die Pflicht zum Vergleich ist enger angelegt und muß auch enger angelegt sein, soll Rechtsanwendung nicht Aufgaben der Gesetzgebung übernehmen. '4s Im industrieanlagenbezogenen Immissionsschutzrecht bezieht sie sich auf eine vergleichende Bewertung der Vermeidungstechniken im Hinblick auf die Belastungsfolgen (Vergleich der Entsorgungswege; Vergleich des Risikopotentials der emittierten Stoffe), im Produkt- und Chemikalienrecht sind insbesondere die erwartbaren Substitutionshandlungen in den Blick zu nehmen. '46 Die vergleichende Risikobewertung soll insofern lediglich sicherstellen, daß eine umweltvorsorgende Eingriffsmaßnahme der Umwelt bzw. der Anlagensicherheit mehr nützt als schadet. 147 Auch muß der Akzent auf der Bewertung liegen. Vergleichende Risikobewertung meint daher nicht zwingend, daß die Methoden der sicherheitswissenschaftlichen Risikoanalyse anzuwenden sind und eine quantifizierte vergleichende Risikobewertung vorzunehmen ist. Ge1981,165,169. Siehe auch Koch 1994, zu § 3 BlmSchG Rn. 383 ff.; Rebentisch 1995, 949, 951 f. 143 Siehe oben Fußn. 116.

144 Daß solche vergleichende Bewertungen darüber hinaus höchst problematisch sind, zeigen die Ergebnisse der psychometrischen und der sozialwissenschaftlichen Risikoforschung (siehe etwa die Zusammenfassungen bei Bechmann 1993; siehe auch ders. 1994, 8, 18) sowie die Auseinandersetzungen um risikobasierte Prioritätensetzungen in der amerikanischen Umweltpolitik (vgl. dazu EPA 1987; US EPA Science Advisory Board 1990. Siehe zur Implementation dieser Strategie Andrews 1993, 515, 555 ff. Siehe aber zu den Schwierigkeiten "richtiger" Prioritätensetzungen und den normativen Problemen vergleichender Risikoanalysen auch BechmanniCoenen/G/oede 1994; Winter 1987, 429; siehe darüber hinaus aus der us-amerikanischen Literatur auch Hornstein 1992, 562 ff.; Shifrin 1992, 547, 556 ff.; Pildes/Sunstein 1995, 1, 43 ff. sowie die Beiträge in Finke//Go/ding (Ed.) 1994). 145 Vgl. dazu schon Schlink 1976, 127 ff. 146 Dazu näher Di Fabio 1997, 825. 147 Lesenswert dazu WarreniMarchant 1993, 37911.

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rade angesichts der methodischen und normativen Probleme vergleichender Risikoanalysen l48 dürfte eine wertende (qualitative) Feststellung unter Offenlegung der Erwägungen aussagekräftiger sein l49 • Für die Verhältnismäßigkeitsprüfung i.e.S. hat das BVerwG in seinem grundlegenden Urteil v. 17.2. 1984 verlangt, daß die Vorsorge dem Risikopotential "proportional sein muß"ISO. Insofern geht es auch dann, wenn der Gesetzgeber Emissionsbegrenzungen nach dem Stand der Technik vorsieht, nicht um eine sich in strenger rechtlicher Gebundenheit vollziehende Anordnung des 'technisch Machbaren', sondern um eine Differenzierung nach Maßgabe des stoffimmanenten Risikopotentials. Es macht einen rechtlichen Unterschied, ob "gefahrliche Stoffe", "minder gefährliche Stoffe" oder konventionelle Stoffe (Massenstoffe ), die erst in ihrer summierten Menge zu einem Umweltproblem werden, emittiert werden. Die TA Luft als untergesetzliche Rechtsvorschrift berücksichtigt diesen Unterschied, indem stoffbezogen differenzierte Anforderungen an den Grad der Emissionsreduzierung gestellt werden (siehe nur Nr. 3.1.4 TA Luft), obwohl es beispielsweise bei der Begrenzung der Staubemissionen rein technisch betrachtet keinen Grund fur die Unterschiede gibt. ISI Werden beispielsweise krebserzeugende Stoffe emittiert, ergibt sich schon aus der Eigenart des Stoffes, daß der Stand der Emissionsbegrenzungstechnik auszuschöpfen ist. Entsprechend wird durch Nr. 2.3 der TA Luft verfügt, daß die im Abgas enthaltenen Emissionen krebserzeugender Stoffe so weit wie möglich zu begrenzen sind. Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten meint hier Minimierung nicht nur in abgasreinigungstechnischer Hinsicht, sondern auch Altemativenprüfungen im u.U. eingriffsrechtlich sensibleren Bereich der Verfahrenstechniken. 152 Gefragt wird beispielsweise danach, ob durch den Einsatz anderer Brenn- und Arbeitsstoffe die Emissionen krebserzeugender Stoffe vermieden oder vermindert werden können oder ob andere Produktionsverfahren in Betracht kommen. 153 Grundsätzlich ist fiir die Verhältnismäßigkeitsprüfung i.e.S. festzuhalten, daß dem Proportionalitätserfordernis dann nicht mehr genügt wird, wenn mit immer größerem Aufwand nur noch geringe Risikoreduktionserträge erzielt werden können und insofern ein Mißverhältnis festzustellen ist.

148 Vgl. Grad 1986, I ff.; Hornstein 1992, 562 ff.; Shere 1995,409 ff. Siehe auch oben Fußn. 144. 149 So auch der Stand der Diskussion bezüglich der Umsetzung des Art. 16 Abs. 2 IVU-Richtlinie. Vgl. ZierockiSalomon 1998,229. 150 BVerwGE 69, 37,43 f. - Fernheizkraftwerk Heidelberg. 151 Anschaulich dazu Feldhalls 1981, 165, 167. 152 Vgl. dazu Salzwedel1988b, 18 ff. 153 Siehe die Nachweise in Fußn. 105.

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Soweit das Vorsorgeerfordernis nicht aus dem Besorgnispotential einer einzigen Anlage resp. Emissionsquelle abgeleitet worden ist [siehe oben (2) und (3)], kann die Angemessenheitsprüfung nicht einzelhandlungsbezogen durchgeführt werden. ls4 Entsprechend bedarf es der vorherigen Entwicklung eines spezifischen "Iangfristigen, auf eine einheitliche und gleichmäßige Durchführung angelegten Konzeptes", in welchem festzulegen ist, "welche Emissionsbegrenzung künftig von allen Anlagen über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg als angemessene Vorsorge verlangt wird"lss. Nur auf diese Weise, nämlich durch eine einzelaktivitätsübergreifende Konzeption gleichmäßiger Emissionsbegrenzungen kann in solchen Vorsorgekonstellationen auch die Geeignetheit der Vorsorge sichergestellt werden.

c) BedarflNutzen Neben der Gefahrenabwehr und der Gefahrenvorsorge haben partiell auch Bedarfs- bzw. Nutzenmaßstäbe Eingang in die Risikokontrolle gefunden. Diese Maßstäbe haben zumeist eine schutzrelativierende Funktion. Sie dienen dazu, Beeinträchtigungen bzw. Risikoverursachungen zu rechtfertigen, führen i.d.R. zu Abwägungen zwischen Risiko und Nutzen und beeinflussen insofern die Risikobewertung erheblich. 156 Die Einbeziehung des gesellschaftlichen Bedarfs in die Risikokontrolle kann aber auch schutzverstärkende Funktionen haben, weil U.U. auch geringe Risiken nicht mehr hinzunehmen sind, wenn ein Bedürfnis für die umwelterhebliche Aktivität nicht anzuerkennen ist. 1S7 Traditionell wurde und wird mit Bedarfs- und Nutzenmaßstäben im Recht der räumlichen Fachplanungen lS8 gearbeitet, also dort, wo es um staatlich veranlaßte Zugriffe auf die Umwelt und damit verbundene Beeinträchtigungen von Rechten Dritter bzw. der Umwelt geht. Die Feststellung eines öffentlichen Interesses im Sinne eines Bedürfnisses l59 (Planrechtfertigung) ist hier insbesondere wegen des Zugriffs auf das Grundeigentum l6o , aber auch wegen IS4 Sog. "großer Verhältnismäßigkeitstest": vgl. BVerwGE 69,45; siehe dazu auch Ossenbiih/1986, 161, 167 f.; Salzwede/1988a, 11, 19 f. Ablehnend etwa Sel/ner 1980, 1255, 1259 f., der Verhältnismäßigkeit jeder individuellen Eingriffsmaßnahme verlangt. ISS BVerwGE 69, 37, 45. In diesem Sinne auch schon Sel/ner 1980, 1255, 1258; Feldhaus 1981, 165, 171. 1;6 Vgl. dazu etwa Rauschning 1980, 196. Siehe auch meine Skizze der verfassungsrechtlichen Bezüge oben im Text bei Fußn. 31 ff. 157 Siehe dazu auch Winter 1992,389 ff. IS8 Vgl. dazu Schmidt-Aßmann 1982, 135 ff. 1\9 Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.2.1975, in: BVerwGE48, 56, 60. 160 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.1985, in: BVerwGE 71,166,169.

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der weitergehenden Risiken für Leben, Gesundheit und Umwelt l61 - die Voraussetzung für entsprechende Vorhaben l62 . Das Vorhaben selbst wird auf der Grundlage des festgestellten Bedarfs nach Maßgabe einer umfassenden planerischen Abwägung aller durch das Vorhaben berührten Belange zugelassen, soweit nicht wiederum zwingende gesetzliche Vorschriften (z.8. die immissionsschutzrechtlichen Vorgaben der §§ 41 und 50 BImSehG) der Abwägung Grenzen ziehen. 163 Auch im Umweltrecht sind Tatbestände verankert, die auf Bedarfs- bzw. Nutzenerwägungen rekurrieren. Beispielsweise stellt der Gesetzgeber im Verkehrsimmissionsschutzrecht für die Verfügung von Verkehrsbeschränkungen nicht allein darauf ab, ob durch den Kfz.-Verkehr schädliche Umwelteinwirkungen verursacht werden, sondern verlangt zudem, daß auch die Verkehrsbedürfnisse und die städtebaulichen Belange mitzuberücksichtigen sind (§ 40 Abs. 2 BimSehG; § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StVO), bezieht also spezifische öffentliche Interessen in die Bewertu_ng ein und will die Entscheidung der Behörde von einer umfassenden Abwägung aller Belange abhängig machen. Daraus folgt nun zwar nicht, daß Verkehrsimmissionen hinzunehmen sind, die zu Gefahren für Leben und Gesundheit des Menschen führen, aber U.U. sind doch erhebliche Risiken zuzumuten, wenn die Verkehrsbedürfnsse bzw. städtebaul iche Belange, Umsteuerungen des Verkehrs nicht zulassen. 164 Der gesellschaftliche BedarflNutzen als relativierender Maßstab der Risikobewertung findet sich mittlerweile aber auch in spezifischen, der Risikosteuerung dienenden Überwachungsverfahren, nämlich im Arzneimittelrecht, im Pflanzenschutzmittelrecht und im Gentechnikrecht (soweit es um die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen geht).165 Die genannten Bereiche sind durch die Besonderheit gekennzeichnet, daß der Eingriff auf den Organismus des Menschen (Arzneimittel) bzw. bestimmter Pflanzen und Tiere (Einsatz von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel; Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen) primärer Zweck der Aktivität ist. Beispielhaft sei hier mit Blick auf die Einbeziehung des Nutzens auf die pflanzenschutzrechtliche Regelung hingewiesen, deren Abwägungsstruktur grundsätzlich auf die anderen genannten Risikokontrollsysteme übertragbar er-

161 So insbesondere T::schaschel 1994, 46 ff.; vgl. auch schon Winter 1985, 43. 162 Vgl. etwa Groß 1997,93 ff. 16) Vgl. insoweit BVerwG, Urt. v. 22.3.1985, in: BVerwGE 71,163 ff. Dazu auch Steinberg 1986. 812 ff. 164 Näher dazu etwa Rehbinder 1994, 104 ff.; Schulze-Fielitz 1994, zu § 40 Rn. 173 f.; Koch/Jankowski 1997, 369 ff.; Reese 1997, 184 f. Aus der Rechtsprechuung zuletzt OVG Münster, Urt. v. 2.12.1997, NVwZ-RR 1998, 627 ff. 16\ Siehe § 25 Abs. I Nr. 5 AMG; § 15 Abs. I Nr. 3b PfSchG; § 16 Abs. I Nr. 3 GenTG.

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scheine 66 : § 15 Abs. I Nr. 3b PflSchG macht die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln u.a. davon abhängig, daß das Pflanzenschutzmittel bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung "keine sonstigen Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt, hat, die nach dem Stande der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vertretbar sind".167 Das BVerwG hat in seiner grundlegenden Paraquat-Entscheidung das Vertretbarkeitsurteil als Ergebnis einer Abwägung angesehen, in die folgende Gesichtspunkte einzubringen sind: "der Grad von Wahrscheinlichkeit, daß die nicht auszuschließenden Auswirkungen nachteilig sind, das Gewicht dieses Nachteils, der Vorteil der Mittelverwendung für den Pflanzenbau und dessen eventuelle Ersetzbarkeit"168. In der Literatur wird bezüglich dieser Kriterien zu Recht von einer "Risiko-Nutzen-Relation" gesprochen l69 : Je wichtiger das Pflanzenschutzmittel für den Pflanzenbau ist (Vorteil der Mittelverwendung; mangelnde Ersetzbarkeit)l7O, desto eher müssen Risiken für den Naturhaushalt hingenommen werden. Umgekehrt gilt aber auch: je unwichtiger das Pflanzenschutzmittel für den Pflanzenbau ist, desto relevanter werden selbst geringe Risiken für die Abwägungsentscheidung. Daß bei der Nutzenprüfung nicht der wirtschaftliche Nutzen des Produzenten bzw. des Anwenders beachtlich ist, sondern nur die Bedeutung des Mittels für den Pflanzenbau, dürfte auch in Anbetracht der wirtschaftlichen Freiheitsrechte nicht zu beanstanden sein l71 ; denn die Ausübung wirtschaftlicher Freiheitsrechte ist kein Rechtstitel für die Verursachung von Risiken für die Rechtsgüter Dritter bzw. für die Umwelt.

3. Festlegung von Umweltstandards und rechtliche Rezeption Charakteristisch für die Risikokontrolle im Umwelt- und Technikrecht ist die Etablierung einer Entscheidungsebene generalisierender Verhaltens- und 166 Siehe zu § 16 Abs. I Nr. 3 GenTG insbesondere JörgensenlWinter 1996, 294 IT.: Jörgensen 1998. In der Genehmigungspraxis hat sich die Risiko-NutzenBilanzierung allerdings noch nicht niedergeschlagen, weil nach Auffassung der Genehmigungsbehörde alle Risiken praktisch ausgeschlossen worden sind ("keine Anhaltspunkte für Gefahren") und insofern kein Raum mehr für eine Gesamtabwägung verblieben war; siehe dazu auch Fisahn 1998,37. 167 Das PflSchG ist mittlerweile novelliert und neugefasst worden (siehe PflSchG v. 14.5.1998, BGB!. I, 971). Die dem § 15 Abs. I Nr. 3b PflSchG a.F. entsprechende Vorschrift findet sich nun in § 15 Abs. 1 Nr. 3e. Die Vorschrift ist zwar verändert worden. die Abwägungsstruktur, auf die es mir hier ankommt, ist aber unverändert erhalten geblieben. 168 Vg!. BVerwG, Ur!. v. 10.11.1988, in: BVerwGE 81,12,17 - Paraquat. 169 Vgl. Treidler/Winter 1991. 163. 170 Dazu näher VG Braunschweig, Ur!. v. 29.4.1992, Az. 6 A 6001/90, 25 ff. 171 Siehe zur verfassungsrechtlichen Problematik Groß 1997, 102 ff.; insbesondere im Hinblick auf die gentechnikrechtliche Freisetzungskontrolle Jörgensen 1998.

11 Bora

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Beschaffenheitsanforderungen, die zwischen dem förmlichen Gesetz und der Einzelentscheidung der Behörde stehen und die mit unterschiedlichem Verbindlichkeitsanspruch eine Zwischen schicht von "Normen" (Richtlinien; Leitlinien; Empfehlungen) und administrativen Anweisungen (Allgemeine Verwaltungsvorschriften) für die Rechtsanwendung schafft 173 . Diese Entscheidungsebene hatte ihren Grund im wesentlichen in dem Umstand, daß den Problemen der Handhabung der gesetzlichen Kontrollrnaßstäbe, die der parlamentarische Gesetzgeber wegen der Sachverhaltskomplexität und der Abhängigkeit der Bewertung vom jeweiligen Stand des Risikowissens nur in großer Münze ausgeben konnte l74 (Generalklauseln), und die mehr an die Gestaltungsaufträge des Planungsrechts als an unmittelbar subsumtionsfähige Begriffe erinnern 175 , begegnet werden mußte l76 ; denn für die Voll ziehung des Rechts durch die zuständigen Behörden bedurfte es vollzugsfähiger, d.h. konkreter und quantifizierter Vorgaben. Traditionellerweise steht dafür im Formenkanon der Rechtsetzung das Instrument der Rechtsverordnung zur Verfügung. Eine Reihe von Gründe waren ausschlaggebend dafür, daß auf dieses Instrument - trotz vielfältiger Ermächtigungen - nur begrenzt zurückgegriffen worden ist. Zum einen hielt man den verordnungsrechtlichen Normsetzungsprozeß für zu aufwendig, um die jeweils aktuelle Orientierung am Stand des Risikowissens gewährleisten zu können. Für die in Risikolagen erforderliche Dynamität und Flexibilität des Rechtsgüterschutzes erschien eine neue Art von Normsetzung erforderlich. 177 Hinzu kam, daß der Normbedarf der vollziehenden Verwaltung so außerordentlich groß war, daß er durch eine exekutive Rechtsetzung allein nicht abgedeckt werden konnte, sondern auch auf außerrechtliche "Normenwerke", z.B. auf die Regelwerke privater Normungsinstitute, zurückgegriffen werden mußte. 178 In engem Zusammenhang mit diesen beiden Erwägungen steht auch ein weiterer Grund: Lange Zeit waren sich weder der Gesetzgeber noch die flir die Rechtsanwendung und -kontrolle zuständigen Institutionen über den politischnormativen Charakter solcher Hybrid-Normen im klaren. Die Bewälti172 Siehe dazu insbesondere Fe/dhaus 1982, 137 ff.; Winter (Hrsg.) 1986; Jarass 1987, 1225 ff. 173 Vgl. statt vieler Degenhart 1989,2439 f. Siehe auch WaIJ1987, 386. 174 Vgl. dazu Send/er 1981, I ff.; Ossenbüh/ 1982, 839; Fe/dhaus 1982, 137 f. 175 Vgl. dazu auch Di Fabia 1994,111. 176 Dazu instruktiv Lübbe- Wa1j11991, 219 ff. 177 Vgl. dazu etwa Ossenbüh/ 1982, 833 ff. 17S Siehe zum Vorgang der Rezeption solcher Normen etwa Breuer 1976, 46 ff.; Marburger 1979; Fa/ke 1997.

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gung technisch-ökologischer Gefahrdungslagen erschien im wesentlichen als eine unpolitische "Fachfrage", die gleichsam zuständigkeitshalber an Wissenschaft und Technik bzw. - wegen des Vermittlungsproblems - an mit Sachverständigen besetzte Kommissionen und Ausschüsse abzugeben sei 179, deren Sicherheitsleitlinien, Empfehlungen, Regelwerke u.ä. als Sachverständigengutachten l80 - und nicht als Rechtsnorm im förmlichen Sinne - die weitere Rechtsanwendung zu bestimmen hatten l81 • Die zuletzt genannte Annahme ist heute überwunden. Durchgesetzt hat sich die Erkenntnis, daß es auch dort, wo das Gesetz selbst auf den Stand der Technik oder den Stand von Wissenschaft und Technik Bezug nimmt, nicht einfach um eine schlichte Übernahme bestehender technischer Regelwerke bzw. wissenschaftlicher Leitlinien oder um die Ermittlung der Mehrheitsmeinung der Wissenschaftler resp. der Techniker geht l82 , sondern angesichts der Tatsache, daß ein Stand der Technik oder ein Stand der Wissenschaft nicht einfach abrufbar ist i83 , um einen komplexen Rezeptionsvorgang, der in hohem Maße normative Bewertung und Auswahl verlangt l84 • Darüber hinaus besteht mittlerweile auch Einvernehmen darüber, daß Risikobewältigung zwar wissensabhängig ist und insofern ohne wissenschaftlich-technischen Sachverstand nicht auskommt, daß aber die Grenzen wissenschaftlich-technischer Legitimation erreicht sind, wenn es um die Beantwortung der Frage geht, welche Risiken hinzunehmen sind, wie sicher sicher genug ist bzw. wann eine Besorgnis zu einem Vorsorgeerfordernis führt l85 und welche Natur wir eigentlich schützen wollen l86 ? Da aber die Empfehlungen, Leitlinien und Regelwerke nicht darauf beschränkt sein können, den naturwissenschaftlich-technischen Kenntnisstand wiederzugeben, sondern ihre orientierende Funktion nur in Verbindung mit Bewertungen erreichen, die niemals rein wissenschaftlich be-

179 Vgl. dazu insbesondere Krüger 1966,617 t1.; siehe auch Lukes 1980b, 81, 95 f.; Nicklisch 1988, 98 f. ("Legitimation durch Sachverstand"). 180 V gl. die Einordnung der Immissionsgrenzwerte der TA Luft als "antizipiertes Sachverständigengutachten" durch das BVerwG in seinem Urteil v. 17.2.1978, in: BVerwGE 55, 252, 258 ff. - Voerde. 181 Vgl. dazu nur Roßnagel1986, 46 ff.; Murswiek 1989,220.; Lübbe-WolfJI991, 235 f. 182 So aber etwa Nicklisch 1982,2633,2639 f; Miiller-FoeIl1987, 37. 183 Dazu näher Breuer 1976,46,67 f.; Trute 1997, 102 ff. 184 Vgl. dazu etwa Feldhaus 1981, 165, 170 f.; siehe auch Salzwedel1993, 421 ff.; Denninger 1990, 147. 185 V gl. statt vieler nur Roßnagel 1986, 46 ff.; Murswiek 1989, 219; Hendler 1998, 482 f. 186 Instruktiv dazu Gethmann 1992, 14 f.; RSU 1994, Tz. 91 f.; Honnefelder 1993, 253 tT.; Knoepfel 1992, 175 ff.; van den Daele 1996, 420, 426 ff.

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gründet sein können, sondern immer auch normative Elemente enthaIten 187 , bedurfte es eines rechtlichen Rahmens für die Transformation solcher Empfehlungen in das Recht. Bei der Bewältigung dieses Problems dominiert bis heute aber ein im wesentlichen rechtstechnisch angelegter Prozeß, der flankiert und abgestützt worden ist durch die zunehmende Anerkennung einer eigenständigen Bewertungsverantwortung der Exekutive 188 und - zusammenhängend damit - der Anerkennung einer besonderen rechtlichen Handlungsform, nämlich der sog. "nonnkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift,,189, die als adäquate Normbildungsform fur Risikoentscheidungsprozesse angesehen wurde und grundsätzlich auch für die Judikative beachtlich sein sollte l90 (mittlerweile aber aus unterschiedlichen Gründen ins Abseits geraten ist I91 ). Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die Kalkar-Entscheidung des BVerfG, in der das Gericht feststellte, daß das Atomgesetz die Risikobeurteilung in die Hand der Exekutive gegeben hat, weil deren rechtliche Handlungsformen sie fur die Aufgabe der bestmöglichen Risikovorsorge, insbesondere für die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Anpassung an den jeweiligen Stand der Erkenntnisse, sehr viel besser ausrüsten als den Gesetzgeber. l92 Aus der Bewertungsverantwortung folgt u.a., daß die Exekutive alle wissenschaftlich und technisch vertretbaren Erkenntnisse heranzuziehen und dabei willkürfrei zu verfahren hat. 193 Sie darf sich dabei nicht allein auf die herrschende Meinung der Fachvertreter verlassen, sondern muß alle vertretbaren Auffassungen in ihre Bewertung einbeziehen. 194 Die Exekutive organisiert diesen Vermittlungsprozeß durch Einsetzung sachverständiger Kommissionen und Ausschüsse, in denen nahezu durchgängig auch die Staatsseite, sowie teilweise auch sonstiger interessierter Fachverstand, vertreten ist l95 , so daß schon durch diese Verzahnung das politisch-normative Bewertungselement prozedural abgesichert wird. Die Empfehlungen werden entweder direkt für die individuell-konkrete Entscheidung 187 Vgl. dazu Latin 1988, 89 ff.; App/egate 1991, 279; siehe auch Lamb 1995, 29 ff.; JQI'ass 1987, 1226, 1228; Brohm 1987, Rn. 14,32. 188 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978, in: BVerfGE 49,89, 139 f. - Kalkar. 189 Vgl. dazu statt vieler Di Fabio 1992, 1338 ff.; Send/er 1993,321 ff. 190 Grundlegend BVerwG, Ur!. v. 19.12.1985, in: BVerwGE 72, 300, 316 ff., 320 -

Wyhl. 191 Vgl. Bänker 1992, 804 ff.; Koch 1993, 103 ff.; Hendler 1998,488 ff. 192 Vgl. BVerfG, Besch. v. 8.8.1978, in: E 49, 89, 139 f. 19J Vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978, in: E 49, 140. 194 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.1985, in: BVerwGE 72, 300, 316 - Wyhl; BVerwG, Beschl. v. 13.7.1989, NVwZ 1989,1168 - Hamm-Uentrop. 195 Siehe nur die Bekanntmachung über die Übernahme des Kerntechnischen Ausschusses in die Zuständigkeit des BMU v. 1.9.1986 (abgedruckt in: Kloepfer, Umweltschutz, Textsammlung Nr. 904).

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herangezogen (indirekte Rezeption) oder in untergesetzliche Rechtsvorschriften transformiert. Die Rechtsprechung beschränkt sich in ihrer Kontrolle - in Abhängigkeit von der rechtlichen Handlungsform der untergesetzlichen Rechtsvorschrift - im wesentlichen darauf, ob der ihr zur Entscheidung vorgelegte Fall atypisch ist und schon deshalb die generalisierten Verhaltensanweisungen nicht passen können, oder ob die generalisierten Verhaltensanweisungen mittlerweile durch neuere Erkenntnisse widerlegt sind. '96 Die Rechtstechnik des Umwelt- und Technikrechts ist von Anfang an von Anfechtungen begleitet worden '97 , die teilweise auf Grundrechtsschutz- und Rechtsstaatserwägungen, teilweise auf das Demokratieprinzip, teilweise aber auch schlicht auf rechtspolitische Erwägungen gestützt worden sind '98 . Gefordert wird seit langem eine verbesserte rechtliche Verfassung der Kooperationen, der Beteiligung, der Transparenzanforderungen (Begründungsgebote) und der Aktualisierungserfordernisse (periodische Überprüfungsfristen), insgesamt also eine Verstärkung der demokratisch-partizipativen Elemente, der Verfahrensstrukturierung und der Reallokation, die insbesondere auch deshalb erforderlich ist, um den Kontrolldefiziten zu begegnen, die aus dem politischen System der Bundesrepublik (weitgehende Verschränkung der legislativen und exekutiven Staatsgewalten) resultieren 199. Eine solch explizite Rechtsverfassung für die untergesetzliche Rechtsetzung im Umwelt- und Technikrecht"°o und für die Rezeption außerrechtlicher Normen sollte belastbar genug sein, um die individuell-konkreten Verwaltungsentscheidungen und Verwaltungsprozesse von normativ-politischen Grundsatzdebatten, die zu Deformationen des Verfahrens oder zu Frustationen der Beteiligten geführt haben 2ol , freizuhalten, die "Herrschaft kraft Ingenieurswissen,,202 zu begrenzen Dazu näher Hendler 1998,481 ff. Siehe etwa Roßnagel 1986, 46 ff.; Wolf 1987, 365 ff.; Murswiek 1989, 220; ders. 1997, 665. 198 Vgl. dazu insbesondere Pitschas 1989, 785, 790; Lübbe-Wolff 1991, 219, 240 ff.; Denninger 1990,168 ff. Siehe auch Salzwedel1987, 276, 278; Frh. v. Lersner 1990, 193, 195; Winter 1994, 20, 23 f.; Böhm 1994, 132, 134; dies. 1996, 230 ff. Siehe auch die Vorschläge der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1982 und des RSU 1996, Tz. 7 \0 ff. Die Kritik und die Vorschläge sind zu einem Gutteil aufgegriffen und weiterentwickelt worden in den bei den vorbereitenden Entwürfen für die Kodifikation des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch: §§ 145 ff. Prof-E UGB-AT (Kloepfer 1I.a. 1990) und §§ 11-33 des Entwurfs der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1997 (hrsg. v. BMU). In der den UGB-Prozeß begleitenden Literatur sind die Vorschläge nahezu einhellig im großen und ganzen auf Zustimmung gestoßen. Vgl. Batlis 1992, 170, 175; Breuer 1992, B 111 f. (beide zu den Vorschlägen des Prof-E). 199 Aufschlußreich insofern Rose-Ackerman 1995, 242 f. 200 Dazu schon Ossenbühl 1982, 833 ff. 20 I V gl. dazu näher Luhmann 1991, 176 ff.: Bora 1994, 132 ff. 202 Wolf 1987, 365. 196

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und Rechtssicherheit auf Zeit zu erzeugen. In den aktuellen Debatten um eine Kodifikation des Umweltrechts (Umweltgesetzbuch) sind diese Forderungen aufgegriffen worden. Sowohl der Professoren-Entwurf für ein UGB, als auch der Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission sprechen sich deutlich für eine Reform der Standardsetzungsprozesse aus. 20J Hier ist auch der Ort für die von Ulrich Beck angemahnten "Code-Synthesen", d.h. für die geforderte Rationalitätsreform im Sinne einer Öffnung der Risikoentscheidung für unterschiedliche Rationalitätskalküle. 204

4. Konzentration und Integration konkret-individueller Verwaltungsentscheidungen Trotz der Entlastung der individuell-konkreten Verwaltungsentscheidung durch die Etablierung und die tendenzielle rechtliche Anerkennung von Umweltstandards, bleibt das individuell-konkrete Verwaltungsverfahren der Ort, an dem die Stränge zunächst zusammenlaufen. Der Gesetzgeber hat dabei aus Gründen der Verfahrensökonomie versucht, die Verfahren so zu konzentrieren, daß ein Vorhaben im wesentlichen in einem integrierten Verfahren überprüft werden kann. 205 Hier wird nicht nur der Sachverhalt aufgeklärt und am Maßstab der Standards geprüft, sondern hier wird auch über die Rezeption solcher Standards entschieden, die nicht in untergesetzliche Rechtsvorschriften gefaßt sind; hier müssen darüber hinaus die situativen Erfordernisse der Entscheidung aufgeklärt und darüber entschieden werden, ob diese so gewichtig sind, daß der Standard keine Anwendung finden kann. Insbesondere bei raumbedeutsamen Verfahren, wie etwa der Zulassung von Industrieanlagen, hat die individuell-konkrete Verwaltungsentscheidung Verfahrensdimensionen angenommen, die strukturell betrachtet "den gesetzlichen, verordnungsrechtlichen und satzungsrechtlichen Verfahren der Rechtserzeugung durchaus ähnlich" sind. 206 Die Verwaltung hat es nun nicht mehr nur mit dem Antragsteller als Adressaten des Verwaltungsaktes zu tun. Das traditionale bipolare Verwaltungsrechtsverhältnis ist wegen der regelmäßig berührten nachbarrechtlichen Beziehungen in ein polygonales Verwaltungsrechtsverhältnis

Siehe oben Fußn. 198. Vgl. dazu Beck 1993,193 ff. 20< Dies gilt für alle Fachplanungen, aber auch für eine Reihe von Kontrollerlaubnissen, etwa für die atom rechtliche Genehmigung, die die immissionsschutzrechtliche Genehmigung einschließt (§ 8 Abs. 2 AtG) und für die immissionschutzrechtliche Genehmigung, die eine Reihe anderer behördlicher Entscheidungen einschließt (§ 13 BlmSchG). 206 Vergl. Sc/weh 1994. 199,210. :WJ

204

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überführt worden. 207 Einzubeziehen sind hier eine Mehrzahl von privaten Interessenträgern (Unternehmer, potentielle Drittbetroffene bis hin zur Öffentlichkeit), aber auch eine Vielzahl von Behörden und Gebietskörperschaften, deren Aufgaben und Kompetenzen berührt sind und die insofern einerseits einen Abstimmungsbedarf erzeugen (Beteiligung der in ihrer Planungshoheit berührten Gemeinden; Beteiligung von Naturschutzbehörde, Wasserbehörde u.ä.) und andererseits dadurch auch zur weiteren Sachaufklärung beitragen. In der Literatur wird insoweit von "komplexen Verwaltungsentscheidungen,,208 gesprochen, die Entlastungsstrategien erforderlich gemacht haben. Neben der Abschichtung der generellen von den situativen Elementen (Umweltstandards) ist hier insbesondere auf die Komplexitätsreduktion durch die Auftrennung der Entscheidung in gestufte Teilentscheidungen (insbesondere Teilgenehmigungen)209 zu verweisen, aber auch auf die Neuverteilung der Sachverhaltsaufklärungspflicht zwischen Antragsteller und Behörde. Die Verwaltungsentscheidung wird heute in aller Regel vorbereitet durch umfassende Sachverhaltsermittlungen des Vorhabenträgers, dirigiert durch entsprechende Verfügungen bzw. Verständigungen mit der Verwaltung. 2IO Dies gilt etwa fur die Vorhaben, in denen eine UVP durchzufiihren ist2ll , fur die Anmeldung von Chemikalien 2l2 , fur die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln2\3 oder fur die gentechnikrechtliche Zulassung 214 , die allesamt als Unterlagenprüfverfahren ausgestaltet sind, in denen die Verwaltung primär nachvollziehend kontrollierend den Sachverhalt ermitte1t 2l5 . Eine ähnliche Entlastung zeigt sich in der laufenden Überwachung genehmigter Vorhaben. Unterschieden werden muß hier zwischen den vielfaltigen - auf Vollzugsunterstützung zielenden Formen der Kooperation in der Regelbefolgungsüberwachung (Stichwort: Kontrollierte Eigenüberwachung; Fremdüberwachung durch Driuei l6 und den Entlastungen im Bereich einer fortlaufenden Risikokontrolle. Auffallig ist mit Blick auf letzteres die Einbindung des Vorhabenträgers durch die Etablierung besonderer - auf neue risikobeobachtende Funktionen hin eingerichtete - Anzeige-, Dokumentations- und Berichtspflichten. 217 207 Vergl. statt vieler etwa Steinberg 1982, 619 f. 208

Schmidt-Aßmann 1976, 223 ff.; siehe auch Steinberg 1982, 619 ff.

21 1

Vgl. § § 5 f. UVPG. Dazu näher Schneider 199 I; ders. 1996, 38, 40 f.

21)

§ lAbs. 2 NT. 2 Pt1SchMV i.V.m. § 12 Abs. 3 Satz 2 PfSchG.

215

Siehe dazu auch Wahl 1993b, 155, 174.

209 V gl. dazu etwa Burmeister 1988, 121, 129 ff. 210 Vgl. Di Fabio 1994,457; siehe auch ders. 1996,235,242 f. 212 §§ 6, 7, 9, 9aChemG.

214 § 1 lAbs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 und §§ 15 f. GenTG. 216 Dazu etwa Di Fabio 1996,235,243.

217 Vergl. etwa § 29 I AMG; § 16 NT. 3 ChemG; § 15 IV i.V.m. § 12 III PfSchG; § 21 Illund § 21 V GenTG; § 48 StrSchV; § 11 1II Störfall-VO (12. BlmSchV).

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5. Reflexive Risikosteuerung Die Grenzen staatlicher Risikokontrolle sind im Zusammenhang mit der steuerungs- und staatstheoretischen Diskussion um die Handlungsfahigkeit des Staates1l8 intensiv erörtert worden. Die angedeuteten Entlastungen sind auch als eine Reaktion auf diesen Befund zu verstehen. Darüber hinaus wird nicht nur jenseits, sondern auch innerhalb der risikosteuernden Überwachungsverfahren versucht, durch kontextuale und reflexive Steuerungen die Problematik technisch-ökologischer Risiken stärker in das Wirtschaftssystem bzw. in das Entscheidungsfeld privater Akteure zurückzuverlagern 219 und gesellschaftliche Akteure einzubinden in die Bemühungen um Risikobewältigung. Zur Politik der reflexiven Steuerung innerhalb der spezifischen Risikokontrollsysteme gehören die Umweltfolgenprüfung (Umweltverträglichkeitsprüfung), die für bestimmte Vorhaben vorgeschrieben ist, und die der Vorhabenträger in Abstimmung mit staatlichen Behörden vorzubereiten hat 220 , die Pflichten zur Errichtung einer umweltschutzsichernden Betriebsorganisation 22l , insbesondere auch die Bestellung von Betriebsbeauftragten flir bestimmte Umweltschutzund Sicherheitsbelange, damit eng zusammenhängend das Angebot zu einer Teilnahme am Umweltmanagement- und Öko-Audit-System der EU 222 und die speziellen Konzeptentwicklungspflichten 22J , die das Gesetz den Anlagebetreibern und Produzenten zwar aufgibt, aber nicht substantiell vorgibt. Alle diese Ausformungen indirekter Steuerung dienen nicht nur der Erleichterung der staatlichen Überwachung, sondern insbesondere auch dazu, den Wahrnehmungshorizont der Träger umwelterheblicher Aktivitäten zu erweitern, ihn dazu zu zwingen, sich über Sicherheitsfragen, Ressourcenverbrauch, Stoffflüsse und Stoffeinträge eigenständige Gedanken zu machen, um auf diese Weise die endogenen Potentiale des Unternehmens fur die Verbesserung des 218 Siehe statt vieler Scharpf 1991,621 ff.; Mayntz 1987, 89 ff.; Schuppert 1989, 91 ff.; Wilike 1992. 219 V gl. dazu den zusammenfassenden Bericht von Schmidt-Preuß 1996, 160, 185 ff. Siehe zu den steuerungstheoretischen Implikationen mit Blick auf Risikoentscheidungen insbesondere auch Pitschas 1989, 785, 795; Ladeur 1995, 243 ff. 220 Dazu näher Hagenah 1996, 61 ff. 221 Vgl. § 52a Abs. 2 BImSehG. Siehe dazu auch Fe/dhaus 1991,927 ff. 222 Vgl. dazu insbesondere Schneider 1995, 360 ff.; Köck 1996b, 644 ff.; SchmidtPrellß 1997, 1157 ff. m Hinzuweisen ist auf die Pflicht der Betreiber bestimmter gefährlicher Anlagen zur Erstellung und regelmäßigen Fortschreibung einer Sicherheitsanalyse (vgl. § 7 der 12. BlmSchV) bzw. auf die Pflicht bestimmter Abfallerzeuger, ein Abfallwirtschaftskonzept über die Vermeidung, Verwertung und Beseitigung der anfallenden Abfälle zu erstellen (vgl. § 19 KrW-/AbfG). Auch die gegenwärtigen rechtspolitischen Vorschläge im Produktbereich, etwa die von der UnabhängigenSachverständigenkommission für ein UGB vorgeschlagene Umweltbelastungsanalyse (§ 119 UGB-Kom-E), gehört in diesen Zusammenhang.

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Umwelt- und Gesundheitsschutzes zu mobilisieren. Ob sich die Hoffnungen, die in reflexive Steuerungsinstrumente gesetzt werden, erflillen können, hängt zum einen von der Intensität (und damit durchaus zusammenhängend auch von der Rechtsverfassung224 ) der öffentlichen Risikokommunikation 225 und unterstützender Rahmenbedingungen 226 ab, zum anderen aber auch davon, wieviel Freiraum den Unternehmen für eine innovative eigenständige Vorsorgestrategie belassen wird. Die verfassungsrechtliche Problematisierung indirekter Steuerungen kreist um Fragen der Gewährleistungsverantwortung des Staates für die Schutz- und Vorsorgeeffekte solcher Regulierungen 227 , um die rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen der Ersetzung direkter Steuerungen durch indirekte Steuerungen228 (exemplarisch dafür die Auseinandersetzung um die Zukunft der Industrieanlagenüberwachung)229 und um die Problematik kumulativer Belastungseffekte durch ein Zusammenspiel vielfältiger direkter und indirekter Steuerungen 230 . .

6. Prozeduralisierung der Vorsorge Jede Risikobewältigung setzt zunächst die Identifizierung des Risikos voraus. Risiken müssen als solche erkannt werden, d.h. es bedarf zumindest einer Vermutung, daß eine bestimmte Aktivität als Ursache für den Eintritt einer rechtlich nicht mehr hinnehmbaren Umwelt- bzw. Gesundheitsbeeinträchtigung in Betracht kommen kann. 231 Hierbei spielen Risikowahrnehmungen eine entscheidende Rolle. 2J2 Sie steuern die Problem definition und damit auch die 224 Hinzuweisen ist etwa auf das Äußerungsdeliktsrecht als privatrechtliche Grenze der Risikokommunikation sowie auf neue rechtliche Instrumente zur Initiierung von Risikokommunikationen, etwa auf das auf europarechtlichen Vorgaben basierende Umweltinformationsgesetz (UIG) oder auf das sich entwickelnde Recht staatlicher Publikumsinformationen. Siehe aus der Literatur etwa Paschke 1993, 199 ff.; Eifert 1994, 544 f'f.; Pitschas 1996; Hart 1998. 225 Siehe dazu auch Pitschas 1996, 175 ff. 216 Hinzuweisen ist auf eine staatliche Umweltberatung, auf die Vergabe von Umweltschutzsubventionen und auf das breite Feld der Umweltabgabenerhebung. 227 Vgl. dazu etwa Hoffmann-Riem 1994,590 ff.; ders. 1995,425 ff. 228 Vgl. etwa Schmidt-Preuß 1996, 160, 172 ff., 194 ff.; Koch/Laskowski 1997, 182 ff. 229 Vgl. dazu etwa BMU (Hrsg.) 1994; Lübbe-Wolff 1996, 173 ff.; Schmidt-Preuß 1996. 160, 199 ff.; Köck 1997c, 15,33 ff.; Böhm-Amtmann 1997, 178 ff.; Moormann 1997, 188 ff.; Feldhaus 1997,341 ff. 230 Vgl. Di Fabio 1995, I ff.; ders. 1996,235,261 ff.; ders. 1997,807,826. 231 V gl. Kloepfer 1993, 56 f. Siehe auch Murswiek 1989, 212. 232 V gl. dazu allgemein BanseiBechmann 1998, 9 ff. Mit dem Hinweis auf Risikowahrnehmungen soll hier im sozialwissenschaftlichen Streit um Risikoobjektivismus und Risikokonstruktivismus (vgl. die Zusammenfassungen bei Krücken 1997, 29 ff.;

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Kausalhypothesen, die entsprechenden Suchprozesse und die Interventionshypothesen. Noch in den sechziger Jahren war beispielsweise der Immissionsschutz im wesentlichen auf die Bewältigung von Gesundheitsbeeinträchtigungen ausgerichtet. Gesundheitsschäden, die möglicherweise auf Luftverunreinigungen zurückzuführen waren, wurden allein mit den örtlichen Rauch-, Ruß- und Schwefeldioxydkonzentrationen aus niedriggelegenen Quellen im städtischen Raum, hervorgerufen durch Industrie- und Raumheizungsanlagen, in Verbindung ge bracht. 233 Entsprechend lief die Intervention auf eine wenige Stoffe einbeziehende immissionsorientierte Politik im Nahbereich von Feuerungsanlagen hinaus. 234 Diese Wahrnehmung und die daraus entwickelte Problemdefinition, Risikobestimmung, Politik und Rechtserzeugung war zwar nicht falsch, nur eben ex post betrachtet verkürzt, wie die achtziger Jahre gezeigt haben, in denen die weiträumige Verteilung luftverunreinigender Stoffe auf die Agenda gesetzt werden mußte, weil die Konzentration auf den Nahbereich der Emissionsquellen Lösungen nahegelegt hat (Hochschornsteinpolitik), die lediglich zu Problemverlagerungen (emittentenferne Schäden aus summierten Immissionen; insbesondere "Waldsterben") geführt haben. Das Beispiel aus der Entwicklungsgeschichte der Immissionschutzpolitik bestätigt die Ergebnisse der Risikowahrnehmungs- und Entscheidungsverhaltensforschung, die gezeigt hat, daß Risiken nicht in konsistenter Weise wahrgenommen werden 2J5 , daß die Selektion kulturell bedingt ist 236 , daß sie überdies abhängig ist von einer Reihe von Variablen 231 , daß bezüglich des Entscheidungsverhaltens ein insgesamt heuristischer Umgang mit Unsicherheiten dominiert, in der nur die Faktoren eingestellt werden, die aufs engste mit dem Entscheidungsproblem verknüpft sind und daß dabei mittelbare, entferntere Schadensmöglichkeiten vernachlässigt werden, daß Alternativen nur unvollständig ins Bewußtsein kommen, weil nur von den Referenzpunkten ausgegangen wird, in denen man sich im Zeitpunkt der Entscheidung befindet2J8 • Herbert A. Simon hat diese Beobachtungen schon früh zu seinem "Principle of Metzner 1997, 472 ff.) nicht zugunsten des Risikokonstruktivismus Stellung genommen, sondern beispielsweise darauf aufmerksam gemacht werden, daß auch die Wissenschaft für die Strukturierung ihrer Suchprozesse zunächst auf Wahrnehmungen angewiesen ist und daß sie für die Vergabe von ForschungsmiUeln darauf angewiesen ist, den mittel vergebenden Stellen ihre Risikowahrnehmungen plausibel zu machen. m Vgl. nur Knoepfel 1998. 234 Dazu instruktiv die Bilanz nach zwanzig Jahren Bundesimmissionsschutzgesetz von Feldhaus 1994, 9 ff. 235 Vgl. nur Engel 1996, 267 236 Dazu grundlegend Douglas/Wildavsky 1982. 237 Dazu näher Krücken 1997, 41 f., der in seiner Studie zeigen konnte, daß die vielfach behauptete Abhängigkeit der Risikowahrnehmung von der EntscheiderBetroffenen-Perspektive zu kurz greift. 238 Vgl. dazu zusammenfassend TurneriPearce/Baternan 1993, 137.

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Bounded Rationality" zusammengefaße 38 , das als kritische Antwort auf das wohlfahrtsökonomische Konstrukt des "homo oeconomicus" konzipiert war, durchaus aber auch als (weiterhin gültige) Antwort auf die begrenzte Fähigkeit zur Risikobewältigung verstanden werden kann und deshalb als Aufforderung zu einer stärkeren Prozeduralisierung des Risikomanagements begriffen werden muß. 239 "Prozeduralisierung des Risikomanagements" bezeichnet die Aufgabe, die Risikowahrnehmungsfahigkeit von Entscheidern zu erhöhen und institutionelle Arrangements für eine lernende Strategie der Risikobewältigung zu treffen. 24D Eine lernende Strategie ist die Antwort auf den Befund, daß Folgen nur begrenzt ex ante bestimmbar sind und daß die Zukunft demgemäß nicht durch Planung vorweggenommen werden kann, sondern daß es darum gehen muß, die getroffenen Entscheidungen beobachtend zu begleiten und die Fähigkeit zu entwickeln, auf veränderte Bedingungen und neue Entwicklungen durch Anpassung von Zielen und Maßnahmen zu reagieren. 241 Aus der Orientierung auf Lernfahigkeit ergeben sich mehrere Aufgabendimensionen: Zum einen geht es um die Institutionalisierung eines auf Früherkennung von Umweltproblemen gerichteten wissenschaftlichen Informationssystems, das unabhängig von den speziellen Suchprozessen bestehender Überwachungsregime operiert242 , sowie um die Vernetzung der Wissensebenen und die Vermittlung des Wissens in den politischen Institutionen 243 . Dieser Prozeß ist in Deutschland mit der Errichtung des UBA und der Etablierung wissenschaftlicher Beratungsinstitutionen (z.B. Rat von Sachverständigen fur Umweltfragen und Wissenschaftlicher Beirat "Globale Umweltveränderungen") in Gang gesetzt worden. Auch sind darüber hinaus bereits Teilelemente eines Systems allgemeiner ökologischer Umweltbeobachtung etabliert worden?44 Im Aufbau der Europäischen Umweltagentur hat der Prozeß der internationalen/gemeinschaftlichen Vernetzung der Wissensebenen seinen institutionellen Niederschlag gefunden. 245 Die Errichtung einer Umweltzustandsüberwachung ist m Vgl. Simon 1957, 196 ff.; ders. 1981, 30 ff., 116 ff. Vgl. dazu allgemein auch Schwintowski 1998, 584 ff. 240 Insbesondere in den Arbeiten von Kar/-Heinz Ladeur ist diese Aufgabe in das Zentrum der Vorsorge gerückt worden; vgl. nur Ladeur 1991,241,248 ff.; ders. 1995. Siehe auch Pitschas 1989, 795 ff.; Hili 1990, 55 ff.; HojJmann-Riem 1993, 165 ff.; Preuß 1994, 523 t1.; Trute 1997, 55 f.; Köck 1996a, 18 f.; Siehe darüber hinaus auch van den Dae/e 1996, 422. 24\ Vgl. RSU 1998, Tz. 6. 242 V gl. Bundesregierung 1986, 9. 243 Dazu allgemein Köck 1997b, 534. 244 Siehe dazu auch RSU1990; Bundesregierung 1986,9; E/I/Luhmann 1998. 245 Vgl. dazu auch Ladeur 1997,8 ff. 239

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zwar keine Garantie dafür, daß die verantwortlichen politischen Institutionen die dadurch erkannten Risiken auch anerkennen 247 (insofern bedarf es einer verstärkten Einbeziehung der Öffentlichkeie48 und einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit insbesondere für das den Konsum berührende Feld der Verbrauchsrisiken), sie ist aber die unerläßliche Voraussetzung dafür, daß Risiken frühzeitig erkannt werden können und daß die insoweit wahrgenommenen Risiken frühzeitig als Entscheidungsproblem an die Verantwortungsträger herangetragen werden. Innerhalb der verwaltungsrechtlich verankerten spezifischen Überwachungsregime geht es darum, die "Gefahr der Fehleinschätzung einer Gefahr" [siehe oben 2 b) bb) (I)] nicht nur als Berechnungs- und Bewertungsproblem zu begreifen, der im wesentlichen durch eine Politik der Sicherheitszuschläge nach "praktischer Vernunft", der Belastungsbegrenzung nach technischer Möglichkeit oder durch Einräumung eines Beurteilungsspielraums der entscheidungsbefugten Behörde begegnet werden kann 249 , sondern als ein bewußtes Operieren mit Ungewißheit anzuerkennen, das auf Beobachtung sowie ggf. weitergehende Risikoforschung angelegt sein und Möglichkeiten bereithalten muß, auf neues Wissen zu reagieren. Auch diesbezüglich sind in den vorhandenen Kontrollsystemen zumindest Ansätze erkennbar: Um den Erfordernissen einer dynamischen Risikovorsorge zu genügen, verpflichten die bestehenden Überwachungsverfahren die Behörden bzw. den Vorhabenträger nicht nur dazu, stets den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik bzw. den Stand der Technik einzuhalten250 , sondern weisen komplementär und ergänzend dazu auch ein vielfältiges Instrumentarium zur Aktualisierung, Nachbesserung und ggf. Aufhebung der getroffenen Risikoentscheidung auf. 251 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang etwa auf Befristungen von Zulassungen, die insbesondere im gefahrstoffbezogenen Produktrecht geschaffen worden sind 252 , oder auf deutliche Akzentuierungen reaktiver behördlicher Eingriffsbefugnisse beim zugelassenen Anlagenbetrieb bzw. im zugelassenen Marktverkehr253 , die von nachträglichen Auflagen 254 über RuVgl. dazu auch Bechmann/G/oede 1992, 121 ff. Siehe dazu El//Luhmann 1998, 130. 249 Vgl. dazu nur Wo1J1987, 373; Ladeur 1991,246 ff., 251. 250 Zu den Relativierungen, die aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, dem Bestandsschutz bzw. dem Grundsatz des Vertrauensschutzes erwachsen können etwa Renge/ing 1984, 978 ff. 251 Vgl. dazu nur WolJ 1987, 357, 387 f. Siehe zum ganzen auch Schu/ze-Fie/itz 1994, 139 ff. m Vergl. § 31 Abs. I Nr. 3 i. V.m. § 31 Abs. 2 AMG; § 16 Abs. I PfSchG. 253 Vergl. dazu nur Sc/weh 1994, 199, 241. 254 Siehe § 17 BlmSchG; § 17 Abs. I S. 3 AtG; § 19 Abs. 3 AtG; § 19 S. 3 GenTG. 247 248

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hensanordnungen25; bei Verdachtslagen bis hin zu erleichterten Möglichkeiten eines entschädigungslosen Widerrufs der Zulassung 256 reichen. 257 Sieht man aber einmal vom Arzneimittelrecht, wo die Nachmarktkontrolle ein integraler Bestandteil und elementarer Baustein der Risikokontrolle istm , oder vom sensiblen Bereich der Atomanlagensicherheie 59 ab, dominiert im Umwelt- und Sicherheitsrecht noch ganz eindeutig die Eröffnungskontrolle. 260 Dies mag in bestimmten Bereichen der Risikokontrolle darauf zurückzuführen sein, daß tatsächlich keine neuen Erkenntnisse und Fortschritte in der Vermeidungstechnik mehr zu erwarten sind, trifft aber sicher nicht für die Überwachungsverfahren im ganzen zu. Namentlich im Gentechnik- und Stoffrecht erscheint eine "beobachtete Zulassung" bzw. die Verfligung von Risikoerforschungspflichten erforderlich.26 1 Nicht zuletzt auch in Reaktion auf diesen Befund sind u.a. von Karl-Heinz Ladeur Vorschläge zu einer weitergehenden Prozeduralisierung der Vorsorge unterbreitet worden. lhmzufolge muß es darum gehen, Vorsorge stärker auf die Erhaltung von Alternativenreichtum und auf experimentelle Suchstrategien einzustellen. 262 Sein Ansatz und die darin enthaltene Kritik speist sich nicht nur aus der Befürchtung, daß eine Vorsorge, die primär auf Sicherheitszuschläge und technisch mögliche Belastungsbegrenzungen gerichtet ist, notwendige Schutzerfordernisse verfehlen könnte, sondern umgekehrt auch aus der Befürchtung, daß eine allzu strikte Prävention Gefahr laufe, mögliche Sicherheits- und Umweltschutzinnovationen zu verhindern. 263 Letztendlich läuft Ladeurs Vorsorgekonzeption aber nicht nur auf eine Akzentuierung der Post-Zulassungskontrolle hinaus, sondern insgesamt auf eine verstärkte Flexibilisierung durch Öffnungs-

25\ Vergl. etwa § 30 Abs. 1 S. 3 AMG; § 20 Abs. 1 GenTG; § 26 GenTG. 256 Siehe etwa § 21 BImSchG; § 17 Abs. 3 AtG; § 30 Abs. 1 AMG. 257 Vergl. dazu die Darstellung bei Sach 1994, 136 ff. 258 Vgl. dazu etwa Hart It.a. 1988, \05 ff.; Di Fabio 1994,237 ff. 259 Vg\. dazu BMU 1998b, 34 ff. 260 Vgl. dazu für das Immissionsschutzrecht Führ 1998. 261 Siehe zu den Defiziten der Post-Zulassungskontrolle bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen etwa Roller/Jülich 1996, 77 f.; RSU 1998, Tz. 880, 882 tT. Im PflanzenschutzmitteIzulassungsrecht ist durch die Neufassung des PflSchG v. 14.5.1998 (BGB\. I, S. 971) in § 15 Abs. 7 nunmehr die Möglichkeit der Verpflichtung des Produzenten zu einem begleitenden Nachzulassungsmonitoring eröffnet worden. 262 Vg\. dazu Ladeur 1991, 241, 248 ff.; ders. 1995. 263 Vgl. Ladeur 1991,241,249 f., 253. Insofern greift die Kritik von Ladeur Aspekte der Thesen des kürzlich verstorbenen amerikanischen Politikwissenschaftlers Aaron Wildavsky auf (vgl. Wildavsky 1988; ders., 1995), der ja bekanntlich zu den schärfsten Kritikern einer strikten Präventionspolitik zählt (siehe zur Auseinandersetzung mit den Thesen Wildavskys etwa Kerwer 1997, 253, 266 ff.).

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klauseln und auf eine Ausfüllung der so geschaffenen Freiräume durch Schwerpunktbildung, eine Strategie also, die insbesondere der Politik der Standardisierung (Grenzwerte) zuwiderlaufen dürfte, die dementsprechend die Vollzugsproblematik verschärfen wird 264 und aus diesem Grunde nur dann erfolgversprechend sein kann, wenn die Risikoentscheidung stärker in das Unternehmen zurückverlagert wird (siehe auch oben 5.). Ob eine solche Politik der Risikobewältigung durch Risikosteigerung guten Gewissens empfohlen werden kann, scheint mir nicht nur angesichts der Gewährleistungsverantwortung des Staates für die Risikokontrolle zweifelhaft zu sein, sondern auch deshalb, weil eine Überforderung der Verwaltung beflirchtet werden muß. 265 Zu einer Prozeduralisierung des Risikomanagements gehört aber auch, die Sensorik flir unterschiedliche Risikowahrnehmungen zu schärfen und diese Wahrnehmungen produktiv zu verarbeiten. 266 Deshalb darf Risikobewältigung nicht allein als expertokratische Veranstaltung verstanden werden. Risikobewältigung scheitert, wenn es nicht gelingt, Akzeptanz und Vertrauen flir die Risikokontrollsysteme zu erzeugen und aufrecht zu erhalten 267 , und Risikobewältigung ist im "Steuerungsstaat" (Franz-Xaver Kaujmann)268 angewiesen auf das Wissen und die Kooperationsbereitschaft verschiedener gesellschaftlicher Akteure. Im regulativen Umweltrecht spiegeln sich diese Aspekte im wesentlichen in den Diskussionen um die Etablierung einer Rechtsverfassung flir die untergesetzliche Standardsetzung, aber auch in den Möglichkeiten der Beteiligung im Verfahren der konkret-individuellen Risikoentscheidung sowie den Bemühungen um Konfliktmittlungsprozesse wider. Außerhalb des regulativen Umweltrechts sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Bemühungen um Verbesserungen der Risikotransparenz (z.B. Zugang zu Umweltinformationen durch das Umweltinformationsgesetz) und der Risikokommunikation zum Zwecke der Vertrauensbildung bzw. der Risikobewußtseinsbildung (Umweltberichterstattung) zu nennen.

264 Siehe dazu auch Masing 1998, 549 ff., der die europäischen Konzepte zum integrierten Umweltschutz insbesondere deshalb kritisiert, weil sie auf eine Desavouierung von Standards hinauslaufen und damit zwangsläufig Implementationsprobleme erzeugen. 265 Zum Problem der Überforderung der Verwaltung etwa Latin 1985. Siehe auch Köck 1998. 266 Vgl. dazu insbesondere Davy 1994, 20 ff. 267 Vgl. dazu aus der Sicht des betrieblichen Risikomanagements lanzen 1995, 350, 355. 268 Vgl. Kaufmann 1994,28 ff.

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Strafrecht und Risiko Von Cornelius Prittwitz

I. Einleitung Die Veranstalter dieser Tagung haben in dem konferenzvorbereitenden Papier nicht nur den Titel der Tagung "Rechtliche Risikoregulierung" fixiert, sondern auch ihr Thema: Gestellt wird "die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des Rechts in der Risikogesellschaft" . Dem ist notwendig eine weitere Frage hinzuzurugen, nämlich die nach den Zumutungen der Risikogesellschaft rur das Recht, namentlich das Strafrecht. Dies nicht, um eine wie auch immer geartete "Majestät" des Rechts - oder gar des Strafrechts - zu retten, sondern um klarzustellen, daß die Formulierung "Möglichkeiten und Grenzen des Rechts in der Risikogesellschaft" riskiert, andere als die risikorationalen Funktionen des Rechts außer acht zu lassen. Welche anderen Funktionen das sind und auch, ob es legitime Funktionen sind, sei an dieser Stelle bewußt offengelassen. Wie trefflich sich z.B. über Erwartungssicherung und Normstabilisierung durch Recht, diese modeme und soziologisch angeregte Version absoluter Straftheorie l , streiten läße, ist bekannt. Mein Anliegen ist es nur, daran zu erinnern, daß Recht die Gesellschaft schon beeinflußt hat, als Risiko noch keineswegs einer der häufig gebrauchten Reflexionsbegriffe in dieser Gesellschaft war. Das legt es gerade aus der rechtssoziologischen Perspektive nahe, neben der Frage danach, ob " ... Recht ein geeignetes Instrument darstellt, mit dem Gesellschaften auf Risiken reagieren können" auch die Frage zu stellen, wie sich die Funktionalisierung des Rechts in der Risikogesellschaft und durch sie auf andere mögliche Funktionen des Rechts auswirkt. Vielleicht gewinnt dieser Appell an Plausibilität, wenn ich gleich zu Beginn offenlege, wie meine Stellungnahme zu den Arbeitshypothesen zu Recht und Risiko bezogen auf das Strafrecht lautet:

I

2

Vgl. dazu vor allem Jakobs 1991, 5 und Hassemer 1990,324 ff. Vgl. näher dazu: Prittwitz 1992,217 m.w.N.

13 Bora

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Cornelius Prittwitz

1. Es ist m.E. überhaupt nicht zu bestreiten, daß die Rede von der Risikogesellschaft weitreichende Implikationen fiir das Recht hat. Ich meine sogar, daß der Risikogedanke, der sich ja längst in die Rationalität moderner Gesellschaften eingeschlichen hatte, bevor die Zeit reif war fur die Taufe auf den Namen "Risikogesellschaft", schon sehr viel länger Implikationen fiir das Recht hatte. Man könnte zuspitzend formulieren, daß gerade das Risikorecht die Risikogesellschaft angekündigt und vorbereitet hat und nicht erst, wie es wohl der überwiegenden Sichtweise entspricht, in der Risikogesellschaft auch das Recht nachzieht und Risikorecht wird. 2. Nach meiner Überzeugung stellt das Strafreche kein geeignetes Instrumentarium dar, mit dem Gesellschaften auf Risiken reagieren, sondern ist eher selbst als ein Risiko anzusehen 4 , wenn und soweit es zum Risikostrafrecht mutiert. Ich will versuchen, diese beiden Thesen zu erläutern und dabei vor allem fur die Plausibilität der von mir vorgeschlagenen apodiktischen Verweigerung des Strafrechts in Sachen Risikoregulierung werben.

11. Risikogesellschaften und ihr Risikostrafrecht Es bedarf in diesem - rechtssoziologischen - Kreis keiner Rekonstruktion des neueren Risikodiskurses. Wenn ich gleichwohl kurz darauf eingehe, dann nur, um meine eigene Rekonstruktion offenzulegen und zur Diskussion zu stellen. Man tut Ulrich Beck nicht zu viel Ehre an, wenn man den Risikodiskurs unterteilt in die Zeit vor und nach seinem begriffsprägenden Werk. Vor Beck herrschte - zugespitzt und vereinfacht formuliert, und vielen einzelnen, die früh dagegengehalten haben, nicht gerecht werdend - ein technokratischer (und fortschrittsgläubiger) Umgang mit Risiken und der Risikobegrifflichkeit vor. Beck selber setzte eine fundamental risiko- und vor allem technik- und fortschrittsskeptische Interpunktion, in deren Folge eine breite, differenzierte, und mit einiger Verspätung auch risikosoziologische Diskussion einsetzte. Dabei haben sich m.E. drei - zum Teil widersprüchliche, zum Teil nur ideologisch konträre, zum Teil sogar sich ergänzende - Modelle von Risikogesellschaft herausgebildet. 3 Ob gleiches auch für andere Gebiete des öffentlichen Rechts und für das Zivilrecht gilt, gehört nicht zu meinem Thema. Mir erscheint allerdings wenig zweifelhaft, daß das Ernstnehmen der Staatsaufgabe "Risikoregulierung" im Rechtsstaat fast zwangsläufig dazu führt, die Risikoregulierung rechtlich geordnet, also in den Formen des öffentlichen und des Zivilrechts durchzuführen. 4 Vgl. den gleichnamigen Beitrag von Rainer Wolfin diesem Band.

Strafrecht und Risiko

195

-

Im ersten Modell kennzeichnet die Zunahme von - zum Teil neuen, zum Teil neuerdings erkannten - Großgefahren als Nebenfolgen des technischen Fortschritts die Gesellschaft. Unschwer zu erkennen, daß Ulrich Beck diese "Gefahrgesellschaft" meinte, als er den Begriff der Risikogesellschaft prägte.

-

Ihm wird entgegengesetzt - man kann aber auch sagen: Es wird ergänzt durch - ein Modell, in dem die Risikogesellschaft vor allem subjektiv verunsicherte Gesellschaft ist, verunsichert durch die neuenoder neu wahrgenommenen Risiken.

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Vielleicht am ehesten den soziologischen Begriff der Risikogesellschaft verdient ein drittes Modell. Es verzichtet auf Antworten darauf, ob das Leben gefährlicher geworden ist und enthält statt dessen die Feststellung, daß sich in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen Risikoorientierungen festgesetzt haben (Luhmann), daß die Gesellschaft unkontrollierbare und unvorhersehbare Gefahren in Risiken transformiert hat und sie dadurch tendenziell kontrollierbar und jedenfalls grundsätzlich vorhersehbar gemacht hat. Das Leben in der Risikogesellschaft ist - zusammengefaßt durch einen bestimmten Umgang mit Gefahren und Unsicherheit (Risikogesellschaft im engeren Sinn) gleichzeitig objektiv sicherer und unsicherer geworden, wobei zusätzlich die subjektive Unsicherheit gestiegen ist. Ein Mehr an "objektiver" Sicherheit ist ohne Zweifel zu konstatieren bezogen auf traditionelle Gefahren und den Umgang mit ihnen, neue Gefahren und Risiken verdanken sich neuen und selbstproduzierten Schadenspotentialen (Gefahrgesellschaft), wobei sowohl die Transformation von Gefahren zu Risiken als auch die neuen Risiken nicht überraschend zu einer - teils berechtigten, teils weniger berechtigten, jedenfalls aber nachvollziehbaren Zunahme subjektiver Unsicherheit geführt hat (verunsicherte Gesellschaft).

So wie diese unterschiedlichen Befunde den gesellschaftlichen Risikodiskurs geprägt haben, haben sie, vermittelt durch ihn, auch den strafrechtlichkriminalpolitischen Risikodiskurs geprägt. Das klingt zunächst trivial, wenn man Strafrecht als "gesellschaftliches Subsystem" versteht, was in einem rechtssoziologischen Diskussionszusammenhang nicht der Rede wert wäre, in Teilen der Strafrechtswissenschaft aber alles andere als selbstverständlich ist. Zur Verdeutlichung: Passend zu der Z.B. von Beck ausgerufenen Gefahrgesellschaft übernimmt das Strafrecht die Funktion als ein prominentes Instrument der Prävention. Antwortend auf die verunsicherte Gesellschaft übernimmt das Strafrecht die Funktion symbolischer Versicherung. Und parallel zur ebenso risikoschaffenden wie risikoabschaffenden Risiko-Rationalität der Risikogesellschaft (Le.S.) hat sich ein rationales und funktionales Risikostrafrecht, eine Risikodogmatik, herausgebildet. In der Wirklichkeit der Strafgesetzgebung, Strafrechtsprechung und Strafrechtswissenschaft finden sich 13*

196

Cornelius Prittwitz

überwiegend Mischformen dieser Modelle, was am Beispiel des Umweltstrafrechts, des Prototyps von Risikostrafrecht verdeutlicht werden kann.

Das UmweItstrafrecht als beispielhaftes Risikostrafrecht Umweltstrafrecht ist insofern Risikostrafrecht, als es risikodogmatisch strukturiert ist: Durch den vorherrschenden Deliktstyp der fahrlässigen Begehungsdelikte wird der Bereich "erlaubter Risiken" verkleinert. 5 Es kommt nicht mehr auf den Schaden, sondern auf Risikoerhöhung an. Kumulative Gefahren werden mit "Kumulationsdelikten"6 beantwortet. Die Identität von Gefährdungs- und Verletzungsverboten, von Gefährdungs-· und Verletzungsvorsatz wird behauptet. 7 Umweltstrafrecht ist aber auch Risikostrafrecht im Sinne von Strafrecht der Prävention. Es hofft auf präventive Effekte, bezieht seine Rechtfertigung, gerade auch dort, wo traditionelle Zurechnungsprinzipien verlassen werden, aus dem hehren Zweck der Erfüllung nicht irgendeiner, sondern schlicht der Menschheitsaufgabe "Rettung des Planeten". Drittens ist Umweltstrafrecht auch in dem Sinne Risikostrafrecht als es weitgehend symbolisches Strafrecht8 ist. Zum Teil wird es - fürsorglich oder zynisch - als Mittel symbolischer Versicherung eingesetzt, zum Teil erweist die Analyse, daß es "nur" symbolische Funktion hat; der Gesetzgeber kann darauf verweisen, nicht untätig gewesen zu sein, und sein gutes Gewissen färbt auf das gesellschaftliche Gewissen ab.

Charakterisierung und Bewertung des Risikostrafrechts und seiner Gegenstände im Vergleich zum "klassischen" Strafrecht und seiner Kriminalität Wie dieses Risikostrafrecht insgesamt zu charakterisieren und vor allem, wie es rechts- und umweltpolitisch zu bewerten ist, erweist sich als weit

j Vgl. zum Versuch einer Verknüpfung risikosoziologischer und risikorechtlicher Konzepte bei der Rekonstruktion dieses (straf-) rechtlichen Instituts: Prittwitz 1992, 267-318. b Vgl. zu solchen Vorschlägen: Kuhlen 1986,389 ff. 7 Dazu: Wolter 1981, 210 ff. 8 Vgl. zum symbolischen Strafrecht Hassemer 1989, 553 ff.; zu den unterschiedlichen - und auch unterschiedliche rechtspolitische Bewertung verdienenden - Verständnismöglichkeiten symbolischen Strafrechts: Prittwitz 1992, 255 ff.

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schwieriger als erste euphorische 9 oder vernichtendeiD Stellungnahmen nahelegen. Das Risikostrafrecht steht ohne Zweifel in der Tradition des "modernen" Zweckstrafrechts. Das genau erklärt seinen Siegeszug, es erklärt vor allem, wie die langsame Entstehung eines "heimlichen" (so nämlich nicht genannten) Risikostrafrechts, lange bevor von Risikogesellschaft die Rede war, vor aller Augen vor sich gehen konnte, ohne daß es besonders aufgefallen wäre. "Modern" ist das Risikostrafrecht auch insofern, als es sich als Mittel zum Zweck (beziehungsweise zu Zwecken) versteht und legitimiert. Relativieren muß man diesen Satz sofort deswegen, weil der kritische kriminologische Blick natürlich sofort darauf drängt, zwischen der (das Strafrecht legitimierenden) Idee (Ideologie) und dem dadurch bei weitem nicht so geprägten Strafrechtsalltag zu unterscheiden. Aber nicht alle sind kritische Kriminologen; Strafgesetzgeber, Strafrechtswissenschaftler (und am wenigsten noch Strafrechtspraktiker) verdrängen die kognitiven und emotionalen Dissonanzen, die sie beim Vergleich zwischen der Idee des Strafrechts und seiner Wirklichkeit befallen müßten. Und wer einmal mit der Idee und in der Idee des gerechten Zweckstrafrechts lebt, für den ist der Schritt in das Risikostrafrecht nicht nur logisch, sondern geradezu erleichternd, weil die legitimierende Zweckerftillung in den klassischen Domänen des Strafrechts zu recht immer mehr angezweifelt wurde, und die neuen Strafrechtsadressaten sehr viel mehr dem vom rationaI-choice Ansatz vorausgesetzten Menschentypus zu entsprechen schienen. Von seinen Vorgängern unterscheidet es sich immerhin dadurch, daß der (im Gedanken des Zweckstrafrechts allerdings schon angelegte) Paradigmenwechsel vom "Bösen" zum "Gefährlichen" offen vollzogen ist. Auch früher waren nicht nur mala per se kriminalisiert, aber überwiegend ging es um Verhalten, das verboten war, weil es sich als sozial inadäquat dargestellt hat. Das Risikostrafrecht dagegen verbietet Verhalten, damit es sozial inadäquat wird, Verhalten zudem, dessen Gefährlichkeit keineswegs evident auf der Hand liegt. Ein charakterisierender Vergleich der neuen Risikokriminalität mit klassischen Strafrechtsgegenständen ergibt in etwa folgendes Bild:

9 Solche Euphorie verdankt sich zugespitzt gesagt entweder der "Entdeckung" des Strafrechts für die Umweltpolitik (so z.B. zunächst bei Beck 1986,318 ff.) oder der "Entdeckung" eines neuen Legitimation versprechenden Funktion des Strafrecht (so nach meinem Eindruck Kratzsch 1985). 10 Stellungnahmen dieser Art spiegeln - wiederum zugespitzt formuliert - meist die Enttäuschung des zu viel Gehofft-Habenden (paradigmatisch wiederum Beck 1988, 10 ff. und 2\4), bei dem das Recht innert zweier Jahre vom Hoffnungsträger zum Hauptschuldigen mutiert), oder scheinen im (mir sympathischen) Kontext einer herrschaftsskeptischen, rechtstaatlich-liberalen Position auf (v gl. etwa Herzog 199\).

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-

Vom Risikostrafrecht kriminalisiertes Verhalten ist selten gewalttätig, seine Auswirkungen aber übertreffen regelmäßig die klassischer Gewaltkriminalität (Beispiele: Kaufvertrag bei Waffengeschäften, Aufsichtsverhalten im Atomkraftwerk);

-

es widerspricht selten der (schon durch Sozialnormen bestimmten) verhaltensrelevanten Nächstenethik, sondern der kaum verhaltensprägenden Fernmoral;

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es ist eher sorglos als böse;

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für sich genommen wirkt es jedenfalls im Augenblick ganz harmlos und ungefährlich; erst durch Kumulation oder unter B~rücksichtigung sehr weitgehender Zeitperspektiven erscheint seine Gefährlichkeit;

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im Zweifel betrifft es eher systemkonformes als abweichendes Verhalten;

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und es betrifft oft nur diejenigen, die über bestimmte Machtpositionen bereits verfügen (so wie früher Reiche und Arme nicht unter der Brücke schlafen durften, so trifft heute das Verbot der Bearbeitung, Aufbewahrung, Einfuhr oder Ausfuhr von Kernbrennstoffen (§ 328 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) alle gleichmäßig).

Die Unterschiede deuten schon einige der Schwierigkeiten an, mit denen sich ein solches Strafrecht konfrontiert sieht: Wo das Strafrecht sich nur auf die Vernunft, nicht aber auf Tabus (Tötungshemmung, Gewalttabu), auf Nächstenethik, moralische Kategorien und soziale Normen stützen kann, wo zudem eingespielte Machtgefälle sich nicht für, sondern gegen die Wirksamkeit des Strafrechts auswirken, und wo schließlich der Begriff des abweichenden Verhaltens für alle gut sichtbar ad absurdum geführt wird, da gerät das Strafrecht schnell an die Grenzen seiner Definitionsmacht. Werfen wir einen Blick auf die Zwecke, denen das Risikostrafrecht dienen will. Sie sind, risikosoziologisch gesprochen, einerseits die Risikominimierung, andererseits die Vermittlung von Sicherheit. In der Sprache von Straftheorie und Kriminalpolitik geht es um Prävention, Rechtsgüterschutz durch Verhaltenssteuerung auf der einen, um Normstabilisierung auf der anderen Seite. Das Menschenbild, das dem Risikostrafrecht zugrunde liegt, ist, entscheidungstheoretisch ausgedrückt, der rationale Entscheider; in der Tradition des Strafrechtsdiskurses geht es um den nicht determinierten und dem Gebot des neminem laede verpflichteten Menschen. Und angesichts der elementaren und - wie kaum bestritten werden kann legitimen Aufgaben, die das Risikostrafrecht erfüllen soll, angesichts auch seines aufgeklärten, den Menschen ernst nehmenden Menschenbildes, ist es ein Strafrecht mit gutem Gewissen. Auch das charakterisiert das Risikostraf-

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recht und erscheint hervorhebenswert, wenn man sich an Gustav Radbruchs Diktum "Ein guter Strafrichter muß ein schlechtes Gewissen haben")) erinnert. Das Risikostrafrecht ist weiterhin funktional. Entkriminalisierung ist daher angesagt, wo weder Rechtsgüterschutz noch Versicherungsbedarf besteht. Das klingt gut; es kennzeichnet aber die vorherrschende Wahrnehmung der offenen und der heimlichen Risikostrafrechtler, daß das Strafrecht ihrer Ansicht nach von nicht-funktionalen Kriminalisierungen inzwischen weitgehend befreit ist. Dementsprechend geht es in der kriminalpolitischen Diskussion derzeit um Neukriminalisierungen. Man findet das, was man mit gleichem Recht als Strafrechtsverschärfung und als Verbesserung des Strafrechtsschutzes ansehen kann, auf drei Ebenen: Erstens, bei der (wachsenden) Zahl der geschützten Rechtsgüter; neue und immer mehr Rechtsgüter (z.B. die Umwelt oder die Volksgesundheit) werden durch Strafrecht geschützt. Zweitens bei der objektiven "Betroffenheit" der Rechtsgüter (Zerstörung, Verletzung, Gefährdung); Rechtsgüter werden durch Vorverlagerung des StraJrechtsschutzes (Zunahme der Gefährdungsdelikte) geschützt. Und schließlich bei der subjektiven Disposition des Risikostrafrechts (Absicht, Vorsatz oder Fahrlässigkeit); nicht nur gegen rechtsgutfeindliche, sondern auch gegen rechtsgutgefährdende Einstellungen (Abnahme der Anforderungen an die Vorwerjbarkeit) werden die Rechtsgüter geschützt.

Bilanz des (heimlichen) Risikostrafrechts So gut sich also nachvollziehen läßt, warum sich das Strafrecht den (über-) lebenswichtigen Präventionsaufgaben nicht verweigert hat, so mager fällt die Bilanz des Risikostrafrechts aus. Angesichts der qualitativ und quantitativ neuen Bedrohungen der Risikogesellschaft versagt es. Ob es um Umweltzerstörung oder Waffenexport, um Drogenmißbrauch oder Terrorismus geht - in keinem der neuen Aufgabenfelder kann das Strafrecht Erfolge aufweisen. Einziges Argument für seinen Einsatz bleibt die - spekulative - These, ohne Strafrecht wäre alles noch schlimmer. Ergebnis dieses Scheitems des Strafrechts dort, wo Wirkungen sinnvoll und legitim wären, sind ein Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit des Strafrechts bei den Normadressaten und beim Rechtsstab; auch das (freilich nicht unbestrittene) Phänomen der Norrn(en)erosion ließe sich vielleicht mit der Wahrnehmung des inflationär und erfolglos eingesetzten Strafrechts teilerklären. )) Vgl. E. Wolf 1973, 33 f.

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Ergebnis des Scheiterns sind auch - und insoweit handelt es sich nicht um Spekulationen, sondern um nachweisbare Zusammenhänge - Reparaturversuche, die die Wirksamkeit des Mittels "Strafrecht" verbessern sollen, die aus dem heimlichen ein konsequentes Risikostrafrecht basteln sollen. Der Befund also lautet: Wir verfUgen zur Zeit über ein "heimliches Risikostrafrecht", das kriminalpolitisch unter dem Druck steht, endlich ein konsequentes Risikostrafrecht zu werden. Im folgenden will ich die Risiken einer solchen Entwicklung versuchen aufzuzeigen.

Skizze eines idealisierten Modells von Risikostrafrecht Zu fragen wäre zunächst, wie Kriminalpolitik und Strafrechtsdogmatik in einem solchen konsequenten Risikostrafrecht konkret aussehen würden: Natürlichen oder juristischen Personen würde zum Vorwurf gemacht, daß ihre Risikoentscheidungen - gemessen an einem normativen Risikoentscheidungsmodell - nicht rational seien und daß sie dadurch Risiken fUr fremde Rechtsgüter erhöht hätten. Dabei käme es unter Risikominimierungsaspekten nicht so sehr darauf an, ob sich das Risiko zu einem Schaden realisiert hätte, weil es für ein normtheoretisch fundiertes und auf Verhaltensänderung zielendes Strafrecht auf den (oft zufalligen) Eintritt des - wie die Strafrechtler sagen - "Erfolges" vernünftigerweise nicht ankommen kann; wenn aber ein Schaden eintrete, bedürfte es einer Reaktion auch dann, wenn keine Risikomaxime verletzt worden wäre, weil der verunsichernde Schadenseintritt einer symbolisch versichernden Reaktion bedürfte. Ob ein konkretes Individuum (generell oder konkret) in der Lage zu rationalem Risikoverhalten war, wäre nicht wichtig, weil es erklärtermaßen um die Einübung überlebenswichtiger Maximen der Risikovermeidung, also um Generalprävention, ginge. Verwerfungen deuten sich auch bei den an der Vorwerfbarkeit orientierten traditionellen Abstufungen an: Die konsequente Analyse von Risikoverhaltensdefiziten und ihrem Gefahrenpotential dürfte ergeben, daß die größte Gefahr von fehlendem Risikowissen ausgeht (weil die Notwendigkeit des Bedenkens von Alternativen verkannt wird), gefolgt von unterschätzten Risiken. Risikopolitisch fallt jedenfalls statistisch - der Vorsatz, Rechtsgüter zu verletzen, demgegenüber nicht ins Gewicht; die Hauptaufgabe des Risikostrafrechts bestünde darin, Risikounwissen zu stigmatisieren und dadurch Risikobewußtsein zu produzieren.

Einwände gegen ein konsequentes Risikostrafrecht Ein solches konsequentes Risikostrafrecht mit seinem extrem normativen Ausgangspunkt und seinen Merkmalen (Änderung bzw. Erweiterung der Adressaten, Verzicht auf konkreten Schaden oder mindestens konkrete Gefahr als Anknüpfungspunkt einerseits, Tendenzen zur Rückkehr zum Erfolgsstraf-

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recht und zunehmender Verzicht auf subjektive Vorwerfbarkeit andererseits) ist - zunächst aus normativen Gründen - abzulehnen. Es ist denjenigen gegenüber, die bestraft werden, nicht zu rechtfertigen. Abzulehnen ist dieses Modell aber auch, weil es in sich widersprüchlich ist. Einerseits geriert es sich als sozialtechnologisch und am individuellen Tadel desinteressiert. Fragt man aber danach, warum ausgerechnet das Strafrecht die Probleme der Risikogesellschaft lösen helfen soll, kommt über kurz oder lang immer das Argument, gerade der Tadel, der Schuldvorwurf und die damit mögliche Skandalisierung ließen auf Wirkungen hoffen, wo andere Instrumente versagen. Schließlich ist ein solches radikales Risikostrafrecht auch deswegen abzulehnen, weil nichts dafür spricht, daß es funktionieren wird. Einem solchen Entwurf ist entgegenzuhalten, daß es gar nicht in erster Linie "antiquierte" Zurechnungsregeln sind, die zum Scheitern des Strafrechts gefiihrt haben. Vielmehr ist auf die zunehmenden Erkenntnisse über die beschränkte Steuerungsfähigkeit des Rechts hinzuweisen. Zudem birgt ein solches Risikostrafrecht die Gefahr, daß zunehmend Unglück als zuschreibbares Unrecht konstruiert und zugeschrieben wird. Ein Grund dafür ist, daß in der Risikogesellschaft mit ihrem kumulierten und ständig wachsenden Kausalitäts- und Risikowissen die Grenze zwischen Unglück und Unrecht fließend wird, daß früher sinnfällige Unterscheidungen hinfällig werden. Ich kann das an dieser Stelle nur andeuten: Sogar bei den klassischen, scheinbar ganz naturwüchsigen Unglücksfällen beginnt die Suche nach den Tätern und endet oft und mit einer gewissen Logik erfolgreich. Das Wissen z.B. um die Verbreitungswege von Aids hat die Katastrophe zum (aburteilbaren) Verbrechen gemacht; Sturm- und Überschwemmungsschäden in sich entwickelnden Ländern erscheinen zunehmend als Ergebnis menschlichen Tuns oder Unterlassens in diesen Ländern oder in den industrialisierten Ländern.

Zur zunehmenden Ununterscheidbarkeit von Unglück und Unrecht Mit dem Wissen um Zusammenhänge und Risiken ist also die von Wiethölter 1960 noch behauptete Möglichkeit der dogmatisch "scharfe(n) Grenze" zwischen "Einstand für Unglück und Einstand fiir Unrecht,,12 verschwommen: Die erkannte Möglichkeit eines Unglücks macht das Nichtvermeiden des Unglücks zum Unrecht. Das alles hat durchaus seine Logik, ohne

12

Wie/hölter 1960, 52.

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bezogen auf die subtilen Zurechnungskriterien des Strafrechts überzeugend zu wirken. Zu den Schwierigkeiten der Ununterscheidbarkeit treten Bedürfnisse und Tendenzen, alles Unangenehme einem Menschen als Unrecht zuzuschreiben. Die Sozialpsychologie und dort vor allem die Attributionstheorie lassen uns ahnen, was an nutzlosen und ungerechten Zu schreibungen auf uns zukommen kann. 1J Zu denken ist etwa an die severity-responsability-relation mit der Gefahr einer unzulässigen erfolgsorientierten Verantwortlichkeitszuschreibung, an das Phänomen des creeping detenninism sowie an die Wahmehmungs- und Bewertungsdifferenz zwischen Handelndem und Beobachter, die sich ebenfalls zu Lasten des Akteurs auswirkt. Wenn diese sozialpsychologischen Befunde sich erhärten lassen, dann eröffnet sich damit eine faszinierende Möglichkeit, die Entstehung des Risikostrafrechts in der Risikogesellschaft zu verstehen, sie zu kritisieren und gleichzeitig die Rolle zu umreißen, die das Risiko im Strafrecht spielen kann. Wenn immer leichtere Sorgfaltsverstöße in der Risikogesellschaft zu immer gewichtigeren Schäden führen können, dann wird auf der Grundlage der attributionstheoretischen These von der severity-responsability-relation plausibel, daß sich die Justiz kollektiven Bedürfnissen nach Verantwortungszuschreibung gegenübersieht - und ihnen im übrigen auch selber ausgesetzt ist. Wenn weiterhin ein Aspekt der Risikogesellschaft darin besteht, daß unser Wissen über kausale Zusammenhänge - vor allem auch bezüglich nichtintendierter Nebenfolgen - ständig zunimmt, dann wird einsichtig, daß der Effekt des creeping determinism zu einer Anzahl systematisch verzerrter Verantwortungszuschreibungen führt. Und die actor-observer-Differenz erklärt in der von steigendem Risikobewußtsein gekennzeichneten Risikogesellschaft zwanglos, daß die Kategorie des Unglücks nicht mehr angemessen erscheint.

111. Risiken des Risikostrafrechts Ich fasse zusammen: Das Strafrecht ist kein geeignetes Instrument gegen Risiken, sondern stellt selbst ein Risiko dar, und zwar ein Risiko für das Strafrecht und ein Risiko für die riskierte Gesellschaft. Was damit gemeint ist, sei wieder am Beispiel des Umweltstrafrechts mit zwei Fragen klargestellt. Was bedeutet es eigentlich für die Umwelt, wenn sie ausschließlich oder auch flankierend mit Mitteln des Risikostrafrechts geschützt wird? Und was bedeutet es für das Strafrecht, die Strafgesetzgebung, die Strafrechtsanwendung, 13

Vgl. zusammenfassend und m.w.N. Prittwitz 1992, 107 ff. und 381 f.

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den Strafrechtsalltag eigentlich, wenn es zunehmend diese existentiellen Aufgaben wie Z.B. den Umweltschutz übernimmt?

Risiken des Risikostrafrechts für die riskierte Gesellschaft oder: Muß die ultima ratio Erfolg versprechen? Zunächst zu den Risiken des Risikostrafrechts für die riskierte Gesellschaft. Diese Risiken sind schnell benannt: Erstens besteht die kalkulierbare Gefahr, also das Risiko, daß der erstrebte Zweck nicht erreicht wird. Und zweitens besteht das Risiko, daß der Strafrechtseinsatz sogar kontraproduktiv ist, also anderen als strafrechtlichen Versuchen der Zukunftssicherung im Wege steht. Beide Thesen sind schneller aufgestellt als belegt. Da sich zudem weder diese Thesen noch die komplementären Gegenthesen werden beweisen lassen, stellt sich zudem die Frage nach der Argumentations- und Beweislast. Im traditionellen strafrechtswissenschaftlichen Diskurs, der freilich zu keiner Zeit mit der praktischen Kriminalpolitik identisch war, konnte man immerhin auf die hohen Legitimationsanforderungen verweisen, die der allgemein konsentierte ultima-ratio Charakter des Strafrechts, der weitgehend mit dem Grundsatz strafrechtlicher Subsidiarität gleichgesetzt wurde, nach sich zieht. Unter dem Eindruck drohender Katastrophen scheint sich die Beweislast verändert zu haben. Im Kontext von Weltuntergangsszenarien wirkt es nicht mehr anstößig, sondern fast trivial, daß man jede Chance, also auch die Chance eines erfolgreichen Strafrechtseinsatzes nutzen muß. 14 Unter der Hand mutiert so der Inhalt des ultima-ratio Prinzipsis: Aus "Der erfolgversprechende Einsatz des Strafrechts ist legitim, wenn kein anderes Mittel Erfolg verspricht!" wird der Hilferuf "Wenn unbedingt etwas getan werden muß, ist auch der wenig Erfolg versprechende Strafrechtseinsatz legitim, ja geboten!" Meine Skepsis bezüglich der realen Effekte des Strafrechts l6 ist auf Kritik gestoßen. Kuhlen bezeichnet sie als spekulativ und hält die auf persönlicher Erfahrung beruhende Überzeugung von der präventiven Wirksamkeit strafbewehrter Verhaltensnormen dagegen 17, Bock dagegen erkennt in ihr ein - für den "Erfahrungswissenschaftler erstaunlich(es)" - Akzeptieren des Monopols der empirischen Wissenschaften in Sachen strafrechtlicher EffektivitätsüberStratenwerth 1993, 695. Vgl. zu den Wandlungen des ultima-ratio Gedankens in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jetzt präzise: Kaysser 1997, 78- 100, die bezüglich der Verwendung des ultima ratio-Gedankens durch das Gericht treffend vom "Kriminalisierungspotential des ( ... ) Strafrechtsbegrenzungspostulats" spricht (a.a.O. 93). 16 Vgl. Prittwitz 1992. 17 Kuhlen 1994, 364. 14 IS

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prüfung, dem er die (rhetorische) Frage entgegenhält, ob es denn "präventive Effekte schon deshalb nicht (gebe), weil die empirische Sozial forschung sie nicht findet" 18. Beide Kritiker haben recht, ohne daß ihre Kritik mich überzeugt. Der empirische Nachweis der Ineffektivität des Strafrechts dürfte in der Tat noch ausstehen, und die Nichtnachweisbarkeit präventiver Effekte des Strafrechts mit den Methoden der empirischen Sozial forschung sagt noch nichts über ihre Existenz aus. Aber kann das rechtfertigen, nicht mehr auf der Beweislast des freiheitsverletzenden Strafrechts bezüglich seiner Effektivität zu beharren? Und sprechen tatsächlich, wenn man sich gegenseitig zugibt, daß es nicht um strikten Nachweis, sondern um intersubjektiv vermittelbare Plausibilität geht, die besseren Gründe für als gegen den Strafrechtseinsatz? Meine Skepsis beruht darauf, daß die zu lösenden Probleme nicht Probleme der Abweichung Einzelner sind, sondern konformes und systemisches Verhalten. Für sie ist das Strafrecht von vornherein nicht angelegt. Deswegen spricht auch viel dafür, daß das Strafrecht nicht nur nicht hilft, sondern tatsächlich alles noch schlimmer macht, weil durch die Verstrafrechtlichung des Problems unweigerlich ein Entlastungseffekt für die Politik entsteht; das Strafrecht entwarnt symbolisch, wo Alarm angesagt ist. Risikostrafrecht heißt in diesem Sinn immer auch: Strafrecht symbolischer Versicherung - eine gefahrliche Parole, wo Verunsicherung das Gebot der Stunde ist. Risikostrafrecht und Rechtstreue Bei den oben erwähnten Risiken für das Strafrecht will ich nicht näher eingehen auf die Risiken, die sich daraus ergeben, daß im Risikostrafrecht klassische Zurechnungsprinzipien und -strukturen denknotwendig aufgegeben werden. Rechts- und risikosoziologisch interessanter erscheint mir die Gefahr der Inflationierung von Strafrecht für das Rechtsbewußtsein und die Rechtstreue der Bürger. Die Vervielfachung strafrechtlicher Normen führt mit großer Vorhersagbarkeit dazu, daß auch mehr Verstöße gegen Strafrechtsverbote stattfinden, die genauso vorhersehbar zum großen Teil unentdeckt oder jedenfalls unsanktioniert bleiben. 19 Auch diese These ist auf Skepsis gestoßen. Kuhlen meint, sie übersehe, daß die meisten Bürger "an sich" rechtstreu, also keine dem rational choiceModell folgenden homunculi seien, sondern Rechtsnormen einfach deshalb befolgten, weil es sich um Normen des geltenden Rechts handle. 20 Aber das 18 19

20

Bock 1993,673.

Vgl. dazu näher Prittwi!z 1992, 184 f. Kuhlen 1994, 364.

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überzeugt nicht. Schon die Gleichsetzung des "an-sich" Rechtstreuen mit dem "blind" Rechtstreuen dürfte empirischer Überprüfung nicht standhalten. Darüber hinaus gilt: Gerade wenn es richtig ist, daß wir noch nicht alle individuelle Nutzenmaximierer sind, muß man sich doch fragen, wodurch die Eigenschaft genereller Rechtstreue, in der man wohl kaum eine anthropologische Konstante wird sehen können, verstärkt und wodurch sie gefährdet wird. Kuhlen selbst weist überzeugend darauf hin, daß die Entdeckung des rechtstreuen Bürgers, daß es auch Rechtsuntreue gibt, die allgemeine Rechtstreue in Gefahr bringt. 21 Daß man durch die Bestrafung des Rechtsbrechers den Rücken des Rechtstreuen stärkt, ist - mindestens im Modell - plausibel. Was aber heißt das für das Potential des Risikostrafrechts, das sich (bewußt) auf schwer durchsetzbare Kriminalisierungen einläßt. Weil das Strafrecht in diesem Bereich - aus empirischen und normativen Gründen, schwer durchsetzbar ist, wie die große Zahl von "ausgedealten" Verfahrenseinstellungen in spektakulären Umweltstrafverfahren zeigt, besteht sehr wohl die Gefahr, daß der destabilisierende Effekt eintritt, den Franz Xaver Kaufmann vor einiger Zeit in anderem Zusammenhang überzeugend dargestellt hae 2 : Die seit langem bestehende Verrechtlichungstendenz bewirkt mittel- bis langfristig ein Absinken des Rechtsbewußtseins, des Vertrauens in die Verbindlichkeit des Rechts und damit auch der Effektivität der Rechtsordnung selber. Die Vermittlung von Sicherheit durch Normen setzt Umstände voraus, die es verbieten, ständig und ausufernd Normen zum Zweck der Versicherung zu nutzen.

IV. Zusammenfassung Das Strafrecht hat sich also zwischen alle Stühle gesetzt. Was gleichzeitig dem einen zu wenig und dem anderen zu viel real existierendes Risikostrafrecht erscheint, stellt sich bei nüchterner Betrachtung als halbherziger und zum Scheitern verurteilter Versuch dar, auf kategorial neue Problemlagen einzugehen ohne alte Autorität zu verlieren. Das Strafrecht verspricht den einen Effektivität, den anderen Gerechtigkeit, und kann es, gerade weil es sich an beide Versprechen gebunden flihlt, weder dem einen noch dem anderen recht machen.

21 22

Kuhlen 1994, 365. KalIfmann 1987,47.

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Die Regulation familialer Risiken durch das Kinderund Jugendhilfegesetz (KJHG) Von Hans 1. Hoch

I. Einleitung: Ökologische und soziale Risiken Die soziologische und speziell rechtssoziologische Risikothematisierung erfolgt gewöhnlich hauptsächlich mit Bezug auf die Folgen und Risiken der technischen Entwicklung moderner Industriegesellschaften und der Gefahren und Katastrophenpotentiale, die von atomaren, chemischen und gentechnischen Großtechnologien ausgehen (vgl. Bechmann 1993, VII.). Die meisten "soziologisch-zeitdiagnostischen Arbeiten" zum Risikokonzept, so Bonß (1995, 13), sind dem Bewußtsein der ökologischen Gefährdungen durch riskante Großtechnologien geschuldet. Hier handelt es sich um "Modernisierungsrisiken", deren negative Folgen die Existenz der Menschheit und des Globus gefährden können und einer "Verteilungs logik" gehorchen, die das fur soziale Risiken z. T. weiterhin relevante "Klassenschema" bzw. Ungleichheitsparadigma unterlaufen.' Die klassen- oder schichtenspezifische Verteilung und Bewältigung von Risiken, die lange Zeit charakteristisch war, gilt heute, so Beck (1986, 30), weiter fur "einige zentrale Risikodimensionen" , wozu er Arbeitslosigkeitsrisiken und Gesundheitsrisiken zählt, und, wie ich meine, auch familiale Risikolagen hinzuzurechnen sind. Beiden Risikotypen - ökologischen wie sozialen Risiken - gemeinsam ist das "Bewußtsein der Selbstgefährdung" (Beck 1996, 26). Technische Großrisiken gefährden die ökologischen Grundlagen der menschlichen Existenz und die möglichen ökologischen Katastrophen werden bei Eintritt konsekutiv in soziale transformiert. Sozialrisiken gefährden die sozialökologische Balance

, Vgl. Beck 1986, 30. Die Entgrenzung der Risikopotentiale ist gerade charakteristisch für Modernisierungsrisiken, wie Beck (1986, 17) ausführt: "Im Zentrum stehen Modernisierungsrisiken und -folgen, die sich in irreversiblen Gefährdungen des Lebens von Pflanze, Tier und Mensch niederschlagen. Diese können nicht mehr - wie betriebliche und berufliche Risiken im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - lokal und gruppenspezifisch begrenzt werden, sondern enthalten eine Globalisierungstendenz ... ".

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und soziale Kohäsion der Gesellschaft und viktimisieren primär deren schwächste Mitglieder. Betroffen sind immer Menschen. Auch fur beide Risikotypen trifft Luhmanns Feststellung zu, der "Risikobegriff' verweise "auf Zukunft": "Von Risiken und Gefahren spricht man im Hinblick auf mögliche Schäden. In Bezug auf den Schadenseintritt besteht im gegenwärtigen Zeitpunkt, also im Zeitpunkt des Risikos bzw. der Gefahr, Unsicherheit." (Luhmann 1993, 138).2 Die Differenz zwischen Gefahr und Risiko wird dabei nach Luhmann (1993, 150) zur Frage von Handlungskompetenz, ,,(D)ie Zurechnungstendenz triftet in Richtung Risiko, wenn mehr und mehr Entscheidungsmöglichkeiten erkennbar werden, die einen etwaigen Schadenseintritt beeinflussen bzw. ihn vermeiden helfen können". Der Begriff des "Risikos" oder der Risikogesellschaft wird folglich zu einer Universalie von, unterschiedliche Gefährdungslagen der Gegenwartsgesellschaften kennzeichnender, "hergestellter Unsicherheit" (Giddens 1997, 141), zu deren Bewältigung auch das Recht in ganz besonderer Weise gefordert ist. Hier wäre es lohnend und von wissenschaftlichem Interesse, eine vergleichende Betrachtung der Entwicklung des Umwelt- und Sozialrechts als Instrumente der Risikoregulation und -vermeidung durchzufiihren und die institutionalisierten Regulationsmechanismen beider Rechtsbereiche mit nationaler und transnationaler Perspektive zu untersuchen. Rechtliche Risikoregulation hat zum Ziel, die Systeme "sozialer" wie "ökologischer" Sicherheit im Dienste des Menschen zu stabilisieren und folgt damit dem Prinzip der Daseinsvorsorge. Schäfers/Hradil (1995, 214) bemerken zum Movens, dem Recht diese Zentralität verdankt, dieses Streben nach Sicherheit, "Das individuelle bzw. kollektive Sicherheitsstreben wird als eine Grundgegebenheit menschlicher Verhaltensorientierung angesehen: Umwelt, Hunger, Krankheit, Tod und schließlich die Gefährdungen durch seinesgleichen und die Ungewißheiten der Zukunft sind und waren existentielle Herausforderungen, Abhilfe zu schaffen und Vorsorge zu treffen." Folglich geht es um eine Institutionalisierung von Sicherheit über das Handlungssystem Recht und seine legitimierten anwendenden Instanzen. Die Gesetzgebung in beiden Bereichen ist Ergebnis eines interessegeleiteten sozialen Prozesses, in dem es um die Herausarbeitung eines gesellschaftlichen Wertekonsensus (vgl. Lautmann 1980) geht, der in pluralistischen Gesellschaften zunehmend schwerer zu erreichen ist, was Risiko2 Dies deckt sich mit der Definition von K/einwe/ljonder (1996, 29), die feststeHt: "Risiken sind im Entscheidungsprozeß vergegenwärtigte (und zu vergegenwärtigende) Schadensmöglichkeiten, und als solche immer Zeugen der Unsicherheit und Quellen der Beunruhigung, in deren Vergegenwärtigung aber die Chance gesehen wird, mögliche Schäden nicht zu faktischen Schäden werden zu lassen, so daß sie zugleich Prämisse und Garant von Sicherheit sind".

Die Regulation familialer Risiken durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz 209

lagen eher fördern könnte. Hier tritt (bisher) zentral der Staat als Garant auf den Plan. Bezüglich sozialer Risiken ist er gemäß Art. 20 und 28 GG auf Sozialstaatlichkeit und damit auf eine "aktive Sozialpolitik verpflichtet" (Schäfers/Hradil 1995, 212). Er versucht über Mechanismen einer rechtlichen Risikoregulierung "Gefahren" in (kalkulierbare) "Risiken" zu transformieren: "Der Staat wird zur letzten Instanz der Transformation von Gefahren in Risiken" (Luhmann 1993,168). Die Politik, so Luhmann, tendiert aber auch "unter dem Druck der Steuerungszumutung zur Überregulierung und zur öffentlichen Verschuldung. Sie delegiert die Behandlung von Risiken an Organisationen, die dann bemüht sein müssen, alle Schwachstellen in Präventionsprogramme umzusetzen ... " (Luhmann 1993, 168). Hierin schwingt auch Kritik an einer Verrechtlichung und Bürokratisierung von Risikoregulierung mit, die auf mögliche Konstruktionsmängel eines "überinstitutionalisierten" Risikorechts verweist und einen "Rückbau" oder eine Deregulierung nahelegen. Andererseits erscheint in beiden Risikobereichen ein Rekurs auf "individuelle" Daseinsvorsorge wiederum als riskante Minimalstrategie. Nun basiert die Regulation von Sozialrisiken ja bereits auf vielfach bewährten rechtlichen Grundlagen, während, so scheint es, für die Regulation technischer Risiken solche normativen Orientierungen und praktikable Verrechtlichungen erst gewonnen und fortgeschrieben werden müssen. 3 Als Zielvorgabe gilt wohl für beide Risikobereiche ein professionalisiertes, rechtlich gesteuertes, institutionalisiertes Risikomanagement mit dem Ziel der Herstellung von Sicherheit als einem "soziokulturellen Wertsymbol" (Kaufmann, F.-X.; zitiert in Kleinwellfonder 1996, 108). Eine (rechts-)soziologische Risikokognition, so meine These, sollte nun bei aller Präferenz auf die Regulation ökologischer Risiken die neuen bzw. ver3 Ladeur (1995) sieht hier die umweltrechtliche Risikoregulation in einem Entwicklungsstadium von der "Gefahrenabwehr zum Risikomanagement" begriffen. Die sozial-rechtliche Risikoregulation scheint mir dagegen darüber hinauszugehen, da das Modell des Wohlfahrtsstaates sehr stark auf soziale Sicherheit ausgerichtet ist. Das sozial-rechtliche Risiko-Regulationsmodell geht insoweit bisher jedenfalls über ein reines Risikomanagement hinaus und zielt auf Risikovermeidung. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß derzeit Tendenzen des Rückbaus eines solchen Regulationsmodells erkennbar sind. Denn hier zeichnet sich möglicherweise verstärkt eine Absenkung der erreichten Versorgungs- bzw. "Sicherheitsstandards" mit einhergehenden rezidivierenden sozialen Unsicherheiten und Risiken ab. Ein retardierendes, rückgebautes sozial-rechtliches Risikoregulationsmodell würde vermutlich Armutsrisiken wieder verstärkt zulassen, naturalisieren und sich reaktiv auf die Regulation eingetretener Schäden konzentrieren. Hier würde ich auch gegen die von Reck (1986, 368) konstruierte "Zentrums- und Steuerungslosigkeit der Moderne" postulieren, daß es sozialpolitischer und ökologischer Gesetze zur Bekämpfung von Sozialrisiken und Naturzerstörung bedarf und die Steuerungswirkung des Rechts nicht ausgehebelt, sondern über ein retlexiv gewordenes Recht in seiner Normorientierung auch in komplexen Situationen verstärkt werden sollte.

14 Bora

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stärkt wiederkehrenden Sozialrisiken in den heutigen Transfonnationsgesellschaften nicht ausklammern. Den Risiken der Technisierung und ihrer rechtlichen Regulation widme ich mich folglich in meinem Beitrag nicht, ich wende mich stattdessen den eher "traditionalen" Sozialrisiken zu, die in den letzten Jahren durch Tendenzen des sozialstaatlichen Rückbaus wieder eine neue Dimension angenommen und das gesellschaftliche Transfonnationsgeschehen zusätzlich beschleunigt haben. Eine rückgebaute rechtliche Risikoregulierung kann hier zu einer "massenhaften Labilisierung der Existenzbedingungen" (Beck 1986, 153) im Wohlfahrtsstaat ruhren. Die Risikodiskurse aus der sozialpolitischen Perspektive und im Blick auf die Tragfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme sind gegenüber dem Diskurs über ökologische Risiken eher vernachlässigt worden (Vgl. Bonß 1995, 13). Andererseits werden gerade die mit der Herausbildung des Sozialstaates verbundenen "Sicherheitsversprechen" (Kleinwellfonder 1996, 147) heute wieder relativiert und ist festzustellen, daß, wie Beck (1996, 20) es fonnuliert, "im Sicherheitsmilieu des Wohlfahrtsstaates ... überall neue Unsicherheiten" aufbrechen. 4 Dies wäre also Anlaß genug, im Blick auf mögliche Folgen, den sozialen Risikodiskurs verstärkt aufzunehmen. Gerade dieser makrosoziologische Hintergrund "wachsender Risikopotentiale" 5, den ich an dieser Stelle nicht weiter behandeln kann, ist rur das Verständnis der Thematik "Risiko-Familie", die ich im folgenden aufgreife, sehr hilfreich. Denn makrosoziologische Risikolagen und "Risikoumfelder" werden über einen Mechanismus der Risikoverteilung in den sozialen (Teil-)sy-

4 V gl. dazu zentral Hübinger 1996. BoltelHradil (1988, 347) charakterisieren die Risikolagen wie folgt: Im Rahmen der bröckelnden mittelstandsorientierten Gesellschaft "gibt es in der Bundesrepublik deutliche und für das Dasein der Gesellschaftsmitglieder bedeutsame Ungleichheiten hinsichtlich des Einkommens und des Vermögens, der Bildung, der Macht, des Prestiges, der sozialen Sicherheit, der Arbeitsbedingungen, des Zugangs zu öffentlichen Einrichtungen u.a.m. In Verbindung damit bestehen nicht unerhebliche Ungleichheiten der Chancen, prinzipiell gegebene Möglichkeiten und Rechte auch tatsächlich nutzen zu können. Insgesamt lassen sich also in vielfältiger Hinsicht Besser- und Schlechtergestellte erkennen". Auf die Ebene der Familie umgesetzt, generieren sich daraus Risiken, die - wie im ökologischen Bereich - an die nächste Generation weitergegeben werden. Weitere fundierte Daten zur sozialstrukturellen Entwicklung und impliziten Risikolagen finden sich in Geißler 1992. 5 V gl. Nassehi (1997, 252), der an dieser Stelle zusätzlich soziale Risiken aus globaler Sicht thematisiert, worauf an dieser Stelle auch nicht weiter eingegangen werden kann. Als makrosoziologisch wirksame Risiken führt er die drohende Überbevölkerung und die "radikale soziale Ungleichheit im Weltrnaßstab" an, gegen die heute keine wirksamen rechtlichen Regulationsinstrumente institutionalisiert sind. Hier bietet sich zur Beschreibung der sozialen Wirklichkeit im WeItrnaßstab ergänzend zu einer Risikosoziologie die Perspektive einer Katastrophensoziologie an. Auch die von Nassehi aufgeworfene prinzipielle Frage nach der "Überlebensfähigkeit sich radikal individualisierender Gesellschaften" muß hier in Parenthese formuliert werden.

Die Regulation familialer Risiken durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz 211

sternen in unterschiedlicher Weise relevant. Dies gilt insbesondere auch für die Familie als soziales System, mit dessen Risiken ich mich hier befasse. Sehr treffend charakterisiert Hurrelmann (1995, 130) den Einfluß der makrosoziologischen Randbedingungen auf die Konstitution von Familie, wenn er konstatiert: "Die Spielräume für interne und externe Entscheidungen und Handlungen sind durch die sozialstrukturelle und sozialökologische Plazierung der Familie .. (vor-) strukturiert ... Die Eigenständigkeit der Familie als eines dynamischen Interaktions- und Kommunikationssystems findet in diesen makrostrukturellen Rahmenbedingungen ihre Grenzen ... Die Lebensgeschichte jedes einzelnen Familienmitgliedes setzt spezifische und einzigartige Akzente für die Kontakte aller Familienmitglieder ... " Im Blick auf den Forschungsgegenstand Familie möchte ich jedoch diese makrosoziologische Perspektive im weiteren durch eine mikrosoziologische ergänzen, dadurch, daß ich mich stärker auf mein Forschungsprojekt der rechtlichen (Risiko-) Regulation von Familienbeziehungen anhand des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) beziehe. Dabei wende ich mich spezifisch den Mikroregulationsprozessen staatlicher Instanzen bei Hilfen fur Multiproblemfamilien oder der institutionalisierten rechtlichen (Risiko-) Regulation von fragilen familialen Systemen zu, mit der sich unser Projekt befaßt hat. Dabei muß ich betonen, daß die Einpassung des Forschungsprojektes in den Kontext rechtlichen Risikomanagements auch ein Experiment darstellt, die eigene Perspektive zu erweitern. Vielleicht kann dann - zum Schluß - gerade von hier aus, ein vergleichender Seitenblick auf die Regulation ökologischer Risiken geworfen und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten einer rechtlichen Risikoregulation auf sozialen und ökologischen Feldern rudimentär skizziert werden.

11. Familie und (Risiko-)Gesellschaft Gerade Familien reagieren sensibel auf die gesellschaftliche Veränderungsdynamik und die mit ihr einhergehenden Desintegrationsprozesse. Die rechtliche Risikoregulierung der instabilen Familie durch rechtsförmige Verfahren und ihre Bedeutung flir den weiteren Familienprozeß ist Gegenstand eines Teilprojekts6 , das die differentielle Anwendung des Kinder- und Ju6 Das Projekt wird durch die Volkswagenstifung gefördert und unter dem Titel "Regulation von Generationenbeziehungen durch Verfahren. Auslegung des Rechts und Modelle der Generationenbeziehungen in den Bereichen Unterhaltsrecht und Pflegekindschaft" am Forschungsschwerpunkt "Gesellschaft und Familie" (Leitung Prof. Kurt Lüscher) an der Universität Konstanz durchgeführt. Die Projektkonzeption wurde wesentlich von Waller (1995) entworfen.

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gendhilfegesetzes bei Erziehungshilfen fur Familien am Beispiel der VolIzeitpflege (§ 33 KJHG) untersucht. Hier ist das Recht in einer besonderen Weise in seiner Funktion als Risiko- und Konfliktregulierung (Luhmann 1981) gefordert. Wie verändert sich die Familie in der Risikogesellschaft?7 Vielleicht könnte man sagen, Familien stoßen öfter und früher an die Grenzen ihrer Selbstregulationskapazitäten und gefährden ihren Erhalt. An diesen Grenzen setzt eine rechtliche Risikoregulation ein. Im Kontext der Risikogesellschaft ist das Projekt Familie selbst zu einem risikoreichen Unterfangen geworden. Schelskys Diktum von der Familie als "Stabilitätsrest der Gesellschaft"s ist in Frage gestellt. Lüscher/Lange sprechen von "Lücken im Solidaritätspotential von Familien" und dies sowohl "bei der Familiengründung als auch bei der Auflösung durch Trennung und Scheidung"9, die zunehmend sichtbar werden und familiale Risikolagen generieren. Die Soziologie familialer Lebenswelten weist die traditionelle Kernfamilie als in ihrer Bedeutung schwindend aus. Zu beobachten ist eine "Ent-Idealisierung des bürgerlichen Familienmodells als Familienleitbild seit den 60er Jahren" und damit einhergehend ein "Wandel im Verständnis des Begriffes der Familie"lO, wobei der "institutionelle Cha7 Zum familialen Wandel in modernen Gesellschaften vgl. Lüscher 1988, Lüscher/Lange 1996, sowie Kaufmann 1995. 8 Schelsky, zitiert in Barabas/Erler 1994, 19. In diesem Zusammenhang wäre es natürlich sehr hilfreich, auf die Sozialgeschichte von Familie überhaupt einzugehen, um den familialen Wandel ermessen zu können; vgl. dazu Bien 1996, Kapitel I, sowie elementarer Burguiere/Klabisch-ZuberiSegalen/Zonabend 1997. 9 So LüsclzeriLange (1996, 7), im Blick auf die Veränderung von familialen Beziehungsqualitäten in modernen Gesellschaften. Vgl. auch Schäfers/Hradil (1995, 113), die von einem "Funktionsverlust und Funktionswandel" der Kernfamilie sprechen. Dieser Funktionswandel, so die These von LüscheriPillemer (1998), läßt Ambivalenzen zwischen Mitgliedern familialer Systeme stärker manifest werden, die mitunter auch zur Infragestellung des Prinzips familialer Solidarität führen können. 10 Vgl. LüsclzeriLange 1996,5. Diese Einschätzungen gehen weitgehend konform mit Beck (1986, 188, 189) der diesen Prozeß mit dem IndividualisieruDgsparadigma erklärt: .,Mit der Verlängerung der Individualisierungsdynamik in die Familie beginnen sich die Formen des Zusammenlebens durchgängig zu wandeln. Das Verhältnis von Familie und individueller Biographie lockert sich. Die lebenslange Einheitsfamilie, die die in ihr zusammengefaßten Elternbiographien von Männern und Frauen in sich aufhebt, wird zum Grenzfall, und die Regel wird ein lebensphasenspezifisches Hin und Her zwischen verschiedenen Familien auf Zeit bzw. nicht-familialen Formen des Zusammenlebens. Die Familienbindung der Biographie wird in der Zeitachse im Wechsel zwischen Lebensabschnitten durchlöchert und so aufgehoben .... Zwischen die Extreme Familie oder Nichtfamilie gestellt, beginnt sich eine wachsende Zahl von Menschen für einen dritten Weg: einen widerspruchsvollen, pluralistischen Gesamtlebenslauf im Umbruch, zu entscheiden." Dem gegenüber rekurriert die klassische Definition von Familie etwa bei Hili/Kopp (1995, 11) weiter auf die Merkmale (1) einer "auf Dauer angelegten Verbindung von Mann und Frau", (2) mit "gemeinsamer Haushaltsführung" und (3) "mindestens einem eigenen (oder adoptierten) Kind".

Die Regulation familialer Risiken durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz 213

rakter der Familie" nicht aufgehoben, jedoch diffuser wird und seine "moralische Verbindlichkeit" einbüßt. (Lüscher/Lange 1996,5) Wahrscheinlich ist, so auch Beck (1986, 195), "daß nicht ein Typus von Familie einen anderen verdrängt, sondern daß eine große Variationsbreite von familialen und außerfamilialen Formen des Zusammenlebens nebeneinander entstehen und bestehen wird". Die Verschlechterung der makrostrukturellen Rahmenbedingungen bleibt dabei ein zentraler Faktor, der familiale Risikolagen generiert, die vielfach belegt sind. leh möchte nur einige FundsteIlen nennen. Die Familienwissenschaftliche Forschungsstelle Baden-Württemberg konstatiert in ihrem aktuellen Bericht: "Wer Kinder erzieht, setzt sich einem viel höheren Risiko aus, in eine wirtschaftlich schwierigere Situation zu geraten, als kinderlose Ehepaare. Besonders hoch ist das Risiko in den Familienphasen, in denen der Betreuungsaufwand für die Eltern besonders hoch ist und die Einkommensmöglichkeiten vergleichweise gering sind." 11 Familienarmut als Risiko findet auch darin ihren Ausdruck, daß unter den Sozialhilfeempfängern rund eineinhalb Millionen Kinder sind. Aus der sozialarbeiterischen wie justitiellen Praxis ist zunehmend zu vernehmen, daß dadurch die "Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft" gefährdet ist (Borchert 1996, 14). Dies bedeutet auch, daß der Lebensverlauf von Kindern zentral durch ihre "soziale Herkunft bestimmt" ist und diese selbst für Kindheit und Jugend Risiken in sich birgt. Das "Loccumer Manifest für eine Politik im Interesse von Kindern und Jugendlichen" stellt fest: "Jedes zehnte Kind in der Bundesrepublik ist auf Sozialhilfe angewiesen. Jedes achte Kind in Westdeutschland und jedes fünfte in Ostdeutschland wächst in Haushalten auf, die von Armut betroffen sind. 50.000 Jugendliche sind nach vorliegenden Schätzungen obdachlos ... Eine halbe Million junger Menschen im Alter von 18-25 Jahren ist arbeitslos gemeldet" (Grottian/Roth /Narr/Scherr 1996, 49). Die Zahl der Familien mit materiell und/oder emotional vernachlässigten Kindern wird steigen, weil, so Kürner (1994, 11), die "sozialen Probleme immer größer werden, Armut in diesem reichen Land zunehmen wird, wie auch die Tendenz steigt, bestimmte Gruppen und Typen 11 V gl. BeckeriEggenlSuJJner 1996, 157. Die Autoren stellen auf Basis ihrer Analysen einen unterdurchschnittlichen Wohlstand von Familien mit Kindern fest: "Das Pro-Kopf-Einkommen von kinderlosen Paaren beträgt im Durchschnitt monatlich 1954 DM, das von Ehepaaren mit Kindern liegt mit 1536 DM um 21 Prozent darunter. Eltern und ihre Kinder haben somit pro Kopf monatlich rund 400 DM weniger zur Verfügung als kinderlose Ehegatten". Noch weiter geht diese Schere auseinander bei Familien mit minderjährigen Kindern, in denen das durchschnittliche Pro-KopfEinkommen 1382 DM beträgt. Vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 1996, 2, sowie BeckeriEggenlSuJJner 1996, 153 ff. Der Zusammenhang von materieller Armut und der Schul- bzw. Zukunftskarriere betroffener Kinder ist empirisch evident (vgl. LauterbachlLange 1997). Bezüglich einer ausführlicheren Kritik der Familienpolitik siehe auch Brüning 1996.

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von Menschen auszugrenzen und ins Abseits zu schieben."12 Hier wird das Bild einer Kindheit und Jugend im Horizont von Risiken gesehen, welche in dem Maße ansteigen, als die krisenhafte Fragilität familialer Systeme zunimmt. Manche Familien, so Herlth (1989, 533) kommen eben "ganz gut mit ihren alltäglichen Belastungen klar, während andere sich ihnen nicht gewachsen zeigen." Die Krise familialer Systeme produziert Risiken für Kindheit und Jugend. Auf der anderen Seite wird die Sozialisationsrelevanz der Familie und ihre Schlüsselrolle bei der Persönlichkeitsentwicklung nachhaltig betont (Hurrelmann 1995) und werden von der Familie weiterhin Leistungen erwartet (vgl. Schaubild 1), die immer schwerer zu erfüllen sind: Diese familiale "Funktionserfüllung" (Cramer 1995, 14) um faßt dabei, ausgehend von der konstitutiven Reproduktionsfunktion, zentral die Sozialisationsfunktion auf der Ebene der frühkindlichen Erziehung wie der Integration in die Gesellschaft, die subsistentielle Funktion, die die Familie als ökonomisch fundierte Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft unterstreicht, und die Regenerationsund Ausgleichsfunktion, welche die Familie als Ort der hergestellten und ermöglichten Freizeit und Erholung und der emotionalen Geborgenheit ausweist (Vgl. Wingen 1997,40 f.). Die aufgelisteten Funktionen unterstreichen die Sozialisationsrelevanz der Familie und gleichzeitig die Komplexität des innerfamilialen Sozialisationsgeschehens, das durch externe und interne Faktoren wie deren Interdependenz bestimmt ist. Wesentliche Faktoren sind hier die Ausprägung der familialen Rollenstrukturen, der innerfamilialen Arbeitsteilung und des familialen Inter12 Vgl. Kürner 1994, I!. Genau hier setzt das Kinder- und Jugendhilfegesetz mit Erziehungshilfen an. Brinkmann (1994, 28, 29) schlägt hier weitreichende Initiativen vor, die sich weitgehend mit den Intentionen des KJHG decken: Stadtteiltreffs, Kleiderladen, Hausaufgabenhilfe, Familienhilfe, Mittagstisch, wohnraumnahe Kommunikationsräume für Eltern, Kinder, Unterstützung der Haushaltsführung, Beratung Sozialhilfe, Wohngeld, Freizeitangebote für Kinder, Jugendliche, Presse-. und Öffentlichkeitsarbeit, kommunale Armutsberichterstattung. Britten (1996, 15), konstatiert in seinem Aufsatz über bundesrepublikanische Straßenkinder auch eine "soziale Kälte in vielen Familien." Specht (1996) sieht "Street-Kids" längst nicht mehr nur als ein Phänomen der Dritten Welt: "Wir finden immer mehr vernachlässigte Kinder. Und zwar nicht unbedingt aufgrund von Armut zu Hause. Viele fliehen auch vor Gewalt, sexuellem Mißbrauch oder ganz einfach vor Einsam- und Lieblosigkeit." Die Familie wird unter diesem Gesichtspunkt veränderter Bindungsqualitäten für das Kind zum Risiko, da es als "Hindernis im Individualisierungsprozeß" betrachtet wird (Beck 1986, 193). Beck weiter: "Es kostet Arbeit und Geld, ist unberechenbar, bindet an und würfelt die sorgfältig geschmiedeten Tages- und Lebenspläne durcheinander. ... Partner kommen und gehen. Das Kind bleibt. ... In ihm wird eine anachronistische Sozialerfahrung kultiviert und zelebriert, die mit dem Individualisierungsprozeß gerade unwahrscheinlich und herbeigesehnt wird." (Beck 1986, 193).

Die Regulation familialer Risiken durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz 215

aktionssystems (Lüscher/Pillemer 1998), der Partnerbeziehungen und des Erziehungsstils, des Familienklimas (vgl. Hurrelmann 1995, 121), wie der beruflichen Integration der Eltern, der materiellen Lebensbedingungen und der sozio-kulturellen Orientierungen. Unter sozialökologischen Gesichtspunkten ist zudem der Sozialisationsumwelt des Kindes und der Beschaffenheit der es umgebenden außerfamilialen sozialen Netzwerke eine relevante Bedeutung beizumessen (Lüscher 1996a). Dies unterstreicht auch Gernert (1992, 37), der mit Bezug auf § 1 Abs. 3 KJHG der Jugendhilfe neben der Unterstützung von Familie und Schule das Mandat zuschreibt, "sich konsequent und vorbehaltlos für die Bedürfnisse und Interessen von Kindern ... und sich zu diesem Zweck auch für adäquate Umweltbedingungen einzusetzen". Cramer (1995, 14) merkt zu den familialen Aufgaben an, daß Familien offensichtlich "wie keine andere Institution" in der Lage zu sein scheinen, "die Funktionen bzw. Aufgaben, die mit der individuellen bzw. gesellschaftlichen Reproduktion zusammenhängen simultan und relativ kostengünstig zu erfüllen" und unterstreicht, "daß in den einzelnen Familien je nach Einkommensklasse und schicht, Sicherheit des Arbeitsplatzes, Wohnverhältnissen und der Disposition über Zeit höchst unterschiedliche Bedingungen fur die familiale Funktionserfullung" bestehen (Cramer 1995, 15). Familiale Risiken liegen also generell darin begründet, daß die vielfältigen und elementaren Erwartungen an die Leistungen von Familien von diesen nicht (mehr) erfüllt werden können. 2.1 Multiproblemfamilien Das Kindeswohl ist an die Voraussetzungen einer prosperierenden Familie gebunden. Je mehr einer Familie die materiellen und immateriellen Ressourcen fehlen, desto eher wird Kindheit selbst zum Risiko. Aus unterschiedlichen familialen Voraussetzungen und sich kumulierenden negativen Ausgangsbedingungen generieren sich familiale Risikolagen, wobei das innerfamiliale "Risikomanagement" bis zur Schwelle der Gefährdung des Kindeswohls einer weitestgehend selbstregulativen "Autopoiese" überlassen bleibt. Der familiensoziologische Diskurs legt nahe, daß wahrscheinlich immer weniger Familien den Ansprüchen und Rollenerwartungen genügen können. Diese kognitiven Dissonanzen sind unübersehbar. Sie rufen die Instanzen der Erziehungshilfe auf den Plan, Beratungsstellen und Einrichtungen der psychosozialen Versorgung, die eine Funktion als kompensatorische Sozialisationsinstanz übernehmen. Dies geschieht meist in Form einer "reaktiv bedingungsverändernden" (Peters 1995, 167) Sozialarbeit.

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Schaubild 1: (Erwartete) Leistungen der Familie generative Funktion: Sicherung der Generationenfolge (Reproduktionsfunktion) Sozialisationsfunktion I: primäre Sozialisation Erziehung und Bildung der Kinder / verläßliche Beziehungen, Schutz, Sicherung eines familialen Binnenraums Sozialisationsfunktion II: Funktion der sozialen Plazierung "Vermittlung der Kinder auf soziale und berufliche Positionen" Subsistentielle Funktion: wirtschaftliche Daseinsvorsorge: Befriedigung oder Grundversorgung der menschlichen Grundbedürfnisse bzgl. Ernährung, Wohnung, Kleidung, häuslicher Infrastruktur, (Lebensstandard) Regenerationsfunktion: Betreuung bei Krankheit, oder Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit, Aktivitäten/Ressourcen für Freizeit und Erholung Ausgleichsfunktion: familiales Gegengewicht gegen die funktionalen/versachlichten Beziehungen in den außerfamilialen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisationsformen Kultur familialer Solidarität Pflege der innerfamilialen Solidarität und Gcnerationenbeziehungen durch materielle und immaterielle Leistungen/Transfers Sozio-kulturelle Wertebildung Entwicklung des moralischen Bewußtseins Soziale Integration Aufgabe der Familien den jungen Menschen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu erziehen

Die Regulation familialer Risiken durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz 217

Schaubild 2: Risikofaktoren von MuItiproblemfamilien bereits schwieriger familiengeschichtlicher Hintergrund (Reproduktion von Benachteiligung) Gravierende chronische Defizite in den Elternfunktionen mit einhergehenden restriktiven Interaktions- und Rollenstrukturen Gefährdung des Kindeswohls durch Vernachlässigung Differenz zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung der familialen Situation (These: "Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, leiden unter einer Wahrnehmungsstärung bzgl. eigener Bedürfnisse" Vgl. Brinkmann 1994,24.) bereits längere Betreuungsgeschichte durch verschiedene Soziale Dienste z.B. sozialpädagogische Familienhilfe, ambulante Hilfen, Tagespflege usw., Therapie von Ehekonflikten häufiger Wechsel in der Familienzusammensetzung niedriger sozialäkonomischer Status (unregelmäßige Einkommensquellen, Armut, Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe) Verschuldung Benachteiligung bei Bildungs- und Ausbildungschancen Krankheit (Suchtprobleme, Alkoholismus) prekäre Wohnverhältnisse bis hin zur Obdachlosigkeit (Straßenkinderphänomen: Inobhutnahme)

Über die Hälfte der von uns untersuchten Herkunftsfamilien können als Multiproblemfamilien gekennzeichnet werden. In ihnen schaukeln sich familiale Risikolagen derart auf, daß dadurch Gefahren flir Kinder resultieren. Wodurch sind Multiproblemfamilien - bei denen Vollzeitpflege als Hilfe zur Erziehung als notwendig und geeignet angesehen wird - charakterisiert? Hier lassen sich die in Schaubild 2 aufgelisteten Problemfaktoren und Deprivationsphänomene auffinden 13 , die zugleich eine "Konzeptualisierung von RisiI] Vgl. auch die Definition von "Multiproblemfamilien" bei Blüml/Gudal (1992, 32, 33) und Kron-Klees (1996, 37) sowie Harnach-Beck (1996, 24), die als Charakteristika von Multi-Problemfamilien anfUhrt: "ausgeprägte Armut, mangelnde

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ko" (Holzheu/Wiedemann 1993, 10) darstellen können. Kommen hier mehrere dieser Problem- oder Risikofaktoren zusammen und verstärken sich wechselseitig, gerät das ökosoziale System Familie in eine bedrohliche Gefahrdungslage. Im Rahmen einer institutionalisierten Risikoregulation des Familienprozesses durch formelle Verfahren müßte folglich eine Krisenintervention aufmehreren Ebenen stattfinden, um die geschilderten Risikofaktoren in der Arbeit mit der Herkunftsfamilie und dem Kind oder den Kindern zu kompensieren. Eine Fülle von Hilfen ist hier erforderlich, die von einer schnellen Krisenintervention bis hin zu einer qualifizierten sozialpädagogischen Betreuung von Familie und Kind und Hilfen zur Selbsthilfe reichen (Schaubild 3):

Schaubild 3: Hilfen bei MuItiproblemfamiIienlRisikofamiIien Krisenintervention Betreuung der Kinder Sozialpädagogische Betreuung Familientherapie Befähigung der Eltern, Erziehungsbefahigung, Haushaltsführung Medizinische Betreuung Ausreichendes Einkommen Arbeit Wohnraum vermittlung Schuldenregulierung Vernetzung der (ambulanten) Hilfen Verbindungen zu außerfamilialen sozialen Netzwerken Hilfen zur Selbsthilfe Prävention

Hygiene, geringe Fähigkeit, mit Geld umzugehen, Unzulänglichkeit der Wohnbedingungen, Arbeitslosigkeit, intellektuelle Beeinträchtigung bei Erwachsenen und Kindern. Eltern-Kind-Konflikte ... " Die Gefährdung des Kindeswohls steigert sich zusätzlich mit zunehmender Vernachlässigung des/r Kindesir .

Die Regulation familialer Risiken durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz 219

Familiale Risiken nun werden zentral gemessen am Ausmaß der "Gefährdung des Kindeswohls", d.h., zentraler Maßstab der institutionalisierten Risikowahrnehmung ist, inwieweit das Risikoverhalten von leiblichen Eltern zur Gefahr für das Kind und damit zur Gefahrdung des Kindeswohls fUhren kann. 14 Beobachtet wird folglich riskantes Verhalten von (leiblichen) EItern, das Kindern Schaden zufügen kann und durchgeführt werden Risikokalkulationen, die mögliche Gefahrdungslagen des Kindes berechenbar machen sollen. Hier spielen die Handlungsorientierungen der nonnanwendenden Akteure und ihre Interpretation geltenden Rechts eine zentrale Rolle, denen anheim gestellt ist, die "Grenzwerte" eines noch vertretbaren Risikos festzulegen. Hier stellt sich auch das von Luhmann (1993, 157) universal fonnulierte Problem, "daß es keinen Standpunkt gibt, von dem aus Risiken richtig und für andere verbindlich eingeschätzt werden können". Gerade dies trifft auf die meist konträre Risikoperzeption von Betroffenen und Sozialen Diensten zu.

IH. Institutionalisierte Risikowahrnehmung Die Praxis der sozialen Dienste Gerade in Familien können sich folglich Risikofaktoren bündeln (Schaubild 2), sich wechselseitig verstärken, bis sie die Interventionsschwelle staatlicher Reaktionen erreichen um die risikoreiche Lebenslage von Kindern zu minimieren. Die (wenigen) Forschungen zur Sozialgenese krisenhaft stabilisierter Familien und speziell zum Hintergrund solcher familialer Ereignisse, die Pflegekindschaft als notwendige Hilfe nahelegen lS , stoßen immer wieder auf das Phänomen der Multiproblemfamilie und der fortgeschrittenen Deprivation der Familienverhältnisse, die damit die derart labilisierte Familie zum Objekt von formeller Sozialkontrolle werden lassen. Betroffene Familien geraten dabei verstärkt in ein Spannungsfeld zwischen rechtlich garantierter Hilfe und sozialer Kontrolle durch sozialstaatliche Instanzen und der ihnen eigenen Definitionsmacht. Staatlich legitimiert ist diese Sozialkontrolle durch das staatliche Wächteramt wie die Pflicht zur Daseinsvorsorge. Die Differenz und Integration von Hilfe und Kontrolle bleibt dabei meist ein schillerndes Oxymoron. 1b Viele Herkunftsfamilien sind den staatlichen Institutionen bereits im

14 Ganz im Sinne der generalisierten Aussage von Luhmann, daß "das Risikoverhalten des einen zur Gefahr für den anderen" werden kann (Luhmann 1993, 152). 15 vgl. Blinkert 1992 sowie Blüm//Gudat 1992. 16 Der Konstitution von Pflegekindschaftsverhältnissen gehen Prozesse der sozialen Kontrolle der familialen Wirklichkeit voraus, die durch institutionalisierte Organe oder informale Risikobeobachtung der familialen Wirklichkeit seitens des Gemeinwesens, von sozialen Netzen, außerfamilialen Sozialisationsinstanzen, von Behörden, Sozialen Diensten systematisch oder akzidentiell praktiziert wird.

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Vorfeld bspw. dadurch bekannt, daß ihnen etwa Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt wird. Jede rechtliche Intervention erfolgt dabei in Abwägung des Elternrechts (Art. 6 GG) und des Kindeswohls, also auf der Basis eines relativ komplexen "Risk-Assessment" durch das Jugendamt. Das KJHG schafft somit die Grundlage reaktiv und präventiv auf Stabilitätskrisen und Risikolagen der Familie zu reagieren und zu versuchen, familiale "Unsicherheit" in "Sicherheit" zu transformieren, mit dem Ziel, eine Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden. Auch dies geschieht über bestimmte Formen der "Prozeduralisierung"17 in institutionalisierten Verfahren, ggf. auch unter Einschaltung des Vormundschaftsgerichts, das die "zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen" 1S zu treffen hat.

IV. Rechtsmaterien der Regulation familialer Krisen: KJHG, BGB und Grundgesetz Zentrale rechtliche Normierungen der jugendamtlichen und richterlichen Risikoregulation sind Art. 6 GG (Recht der Eltern auf und Pflicht zur Erziehung des Kindes oder Jugendlichen)19, sowie das am 1.1.91 in Kraft getretene Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHGfo und im Kontext die familienrechtlichen Bestimmungen des BGB, insbesondere die §§ 1666, 1666a BGB betreffenden sorgerechtlichen Normierungen. Gerade aus Art. 6 GG leitet sich die auch immer wieder seitens des Bundesverfassungsgerichts konstatierte Zentralität der elterlichen Erziehungsfunktion ab. Das KJHG, das als Achtes Buch (SGB VIII) in das Sozialgesetzbuch Eingang gefunden hat, löste - nach einer über 20 Jahre andauernden Diskussion das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) ab, das auf dem Reichsjugendwohlfahrts17 Der Begriff geht auf Ladeur (1992) zurück und wird überwiegend aus rechtstheoretischer Perspektive reflektiert und einem konventionellen Normenverständnis reflexiv gegenübergestellt. Prozeduralisierung meint folglich die strukturelle Verknüpfung von Recht mit neuem Wissen, eine Verknüpfung zwischen der Normativität des Rechts und kognitiver Offenheit. Durch diese Verknüpfung wird auf Lernfahigkeit des Rechts umgestellt. Den institutionalisierten Rahmen solcher Prozeduralisierungen stellen jedoch Verfahren dar, in welchen die zentralen Akteure ein solchermaßen reflexiv gewordenes Recht anwenden, bzw. erst kreativ umsetzen. 18 Vgl. § 1666 BGB und die entsprechenden Kommentare in Palandt 1995. 19 Zum Elternrecht auf Erziehung vgl. den Kommentar zum Grundgesetz in Schade 1991, 13 f. 20 In den neuen Bundesländern trat das KJHG schon am 3.10.90 in Kraft. Zum Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) siehe den umfassenden Kommentar von Münder (1993), desweiteren Kunkel (1995) und Schellhorn (1995); mit dezidierter Praxisorientierung: Oberloskamp (1994).

Die Regulation familialer Risiken durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz 221

gesetz von 1922 basierte und insoweit mit seinen überwiegend reaktiven ordnungsrechtlichen Instrumentarien einen regulativen Anachronismus darstellte. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz will Familien unter dem zentralen Gesichtspunkt helfen, Gefahren und Risiken für Kindheit und Jugend zu vermeiden oder abzuwenden. Während das JWG auf prekäre innerfamiliale (Beziehungs)verhältnisse eher eingriffs-, polizei- und ordnungsrechtlich reagierte, ist das KJHG als Leistungsrecht konzipiert, das ein flexibles Hilfesystem an freiwilligen und Pflichtleistungen anbietet. Es verzichtet weitestgehend auf Eingriffsmaßnahmen in die elterliche Erziehungsverantwortung, ohne hoheitliche Aufgaben (§§ 42-60 KJHG) gänzlich auszugrenzen. Die Zentralität der Familie wird unterstrichen; Jugendhilfe soll die Erziehung in der Familie unterstützen und ergänzen. Das KJHG enthält einen gestuften, "differenzierten Leistungskatalog" an Beratungs-, Betreuungs- und Unterbringungsmaßnahmen (§§ 28-35 KJHG), der so im JWG nicht enthalten war. Der Übergang vom JWG zum KJHG markiert folglich eine Modifikation der "Prozeßordnung" und Verfahrens logik von einer interventionistischen staatlichen Eingriffsorientierung hin zur Prozeduralisierung des familialen Prozesses. Das heißt, das KJHG impulsiert zumindest intentional ein innovativeres und kooperativeres Risikomanagement in institutionalisierten Verfahren. Deutlich höher gewichtet sind Faktoren der Partizipation, Moderation und des professionellen Risikodiskurses der Akteure im Verfahren, was normativ der conditio humana zur Regulation von Krisen auch besser entspricht. Gerade die §§ 36, 37 KJHG, die das Zusammenwirken der Akteure hervorheben, postulieren einen kooperativen und qualifizierten Umgang der Verfahrensbeteiligten und stellen den Verfahrensgang familialer Risikoregulation zumindest de jure stärker auf Prozeduralisierung um, wodurch auch das Verfahren selbst seine Legitimationsgrundlage verbessert. Auf der anderen Seite erfährt das KJHG jedoch Gegenwind durch die Krise des Sozialsystems und die staatlichen Sparzwänge, mit denen eher eine Absenkung der Versorgungsstandards und die (Re-)Privatisierung von Risikolagen einhergehen. Hier setzt das Normengeflecht des KJHG regulativ eher "antizyklisch" zum gegenwärtigen Rückzug des Staates an und protegiert eine offensivere rechtliche Risikoregulation als es der gegenwärtigen Rechtswirklichkeit entspricht. Das KJHG mit seinen großartigen Perspektiven scheint jedenfalls auch durch materielle Restriktionen der wohlfahrtsstaatlichen Risikoregulierung in ein sehr rigides und widersprüchliches Implementationsfeld geraten zu sein. Das beachtliche Spektrum der rechtlichen Regulation familialer Risiken spiegelt sich in den offiziellen Statistiken der Jugendhilfe plastisch wider 21 (Tabelle I). Ein Schwerpunkt der Hilfen liegt bei der ambulanten Erziehungs21

Vgl. dazu eingehend Kolvenbach 1995.

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beratung22 (§ 28 KJHG) mit nahezu 200.000 be endeten Beratungen jährlich und vermutlich weiteren Zunahmen. 23 Unter den anderen Hilfen zur Erziehung - für die Bestandszahlen vorliegen - dominieren eindeutig die stationären Hilfen, also Hilfen zur Erziehung außerhalb des Elternhauses. Insgesamt wurden in der Bundesrepublik Deutschland Ende 1995 rund 62.000 Kinder bzw. Jugendliche in Heimerziehung betreut, rund 48.000 Kinder und Jugendliche waren in Vollzeitpjlege untergebracht. Eine ähnlich hohe Zahl an Maßnahmen wie bei der teilstationären Hilfe Erziehung in einer Tagesgruppe (1995: 10.863) wird für die Sozialpädagogische Familienhilfe (1995: 11.246) als der "intensivsten Form ambulanter Hilfe"24 erreicht. Die Maßnahmen Erziehungsbeistand (1995: 9.086) und Betreuungshelfer (1995: 3.691), beide Hilfen sind unter § 30 KJHG subsumiert, erreichen zusammen (1995: 12.777) ähnlich hohe Bestandszahlen. Weniger ins Gewicht fällt die ambulante Hilfeform der Sozialen Gruppenarbeit (1995: 3.454), sowie die unter Hilfen zur Erziehung außerhalb des Elternhauses zu subsumierenden Unterbringungsformen in einer Wohngemeinschaft bzw. eigener Wohnung (zusammen mit Heimerziehung unter § 34 KJHG subsumiert: 1995: 8.138) und die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (1995: 1.424). Tabelle 1: Hilfen zur Erziehung, 1993 bis 1995, Bundesrepublik Deutschland A) Erziehungsberatung: § 28 KJHG, (Beratungen insgesamt pro Jahr)

§ 28: Erziehungsberatung

1995

1994

1993

194889

185018

197955

22 Die Daten für Erziehungsberatung sind keine "Bestandszahlen" jeweils am Ende der Jahre 1993-1995, sondern im Jahre 1993/94/95 durchgeführte und beendete Erziehungsberatungen. Bestandszahlen speziell für Erziehungsberatung werden nicht erhoben. Vgl. Kolvenbach 1995, 482. 23 Die Beratungsquoten steigen. Darunter wird verstanden die Anzahl der (abgeschlossenen) institutionellen Beratungen je 10000 junge Menschen bis 26 Jahre - sie stieg bspw. Für Baden- Württemberg von 64.0 (1991) auf 82.4 (1994). Vgl. Kolvenbach 1995, 482 ff. Dies jedoch in einer Phase, in welcher politische und wirtschaftliche Kräfte verstärkt eine restriktive Sozialpolitik fordern, etwa auch der Sozialminister des Landes Rheinland-Pfalz, Gerster (1996, 25), wenn er konstatiert: "Zeiten knapper Kassen zwingen zu einer Umorientierung in der Sozialpolitik", d.h. auch die staatliche Sozialpolitik als materielle Transferpolitik ist in Frage gestellt. 24 So Schellhorn (1995, 25).

Die Regulation familialer Risiken durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz 223

B) Weitere Hilfen zur Erziehung: §§ 29-35 KJHG, (Bestandszahlen am Jahresende) 1995

1994

1993

§ 29: Soziale Gruppenarbeit

3454

2919

2471

§ 30: Betreuungshelfer

3691

2887

3275

9086

9374

8802

§ 31: Sozialpäd. Familienhilfe

11246

9951

10547

§ 32: Tagesgruppe

10863

11595

10140

§ 33: Vollzeitpflege

48021

56076

54481

§ 34: Heimerziehung

61831

70880

69254

Eigene W ohn./W ohngem.

8138

9197

7570

§ 35: Sozialpäd. Einzelbetreuung

1424

1505

1248

Erziehungsbeistand

Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.. 1995. 1996. 1997): Fachserie 13. Reihe 6./.1 und 6. 1.2

Die Vollzeitpflege 25 ist damit neben der Heimerziehung die am häufigsten getroffene Hilfemaßnahme. 26 Die Verteilung der Hilfen weist über die Jahre eine gewisse Strukturkonstanz27 auf, mit Dominanz auf den stationären Hilfen. Hier konnte kein Rückbau erfolgen, wie die Zahlen 1995 vermeintlich suggerieren, der Rückgang der Zahlen für 1995 beruht auf einer Fehlerkorrektur der Berechnungen vorangegangener Jahre. 28 Der institutionalisierten Risikoregulation gelingt es offensichtlich auch in diesem Bereich nicht, die durch das KJHG nahegelegten Präventivstrukturen 25 Unter allen Hilfen zur Erziehung im Jahre 1995 (n=157.754; ausgenommen: Erziehungsberatung) hat speziell die Vollzeitpflege (§ 33 KJHG) einen beträchtlichen Anteil von 30,4 %. 26 Nach Geschlecht aufgeschlüsselt sind 50,6 % der Pflegekinder männlich, die Quote der weiblichen Pflegekinder (49,4 %) also nahezu gleich groß. Vgl. Statistisches Bundesamt; Fachserie 13: Sozialleistungen; Reihe 6.1.2 Jugendhilfe - Erzieherische Hilfen außerhalb des Elternhauses 1993; Tabelle 12, S. 53. 27 V gl. Kolvenbach 1995, 482 f. 28 Nach Auskunft des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg (Kolvenbach).

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aufzubauen und zu einer präventiven Vorverlagerung der Risikoregulierung zu kommen. Zu klären wäre auch die Frage, wieso - im Verhältnis zur Vollzeitpflege und Heimerziehung - die ambulante "sozialpädagogische Familienhilfe" so wenig vertreten ist. Vermutlich reicht diese für die Unterstützungsfamilien nicht aus. Andererseits wurde uns in den Expertengesprächen auch signalisiert, daß die Abteilung" Wirtschaftliche Jugendhilfe" der Jugendämter gerade gegen die finanziell sehr aufwendige sozialpädagogische Familienhilfe inzwischen oft ein Veto einlegt, d.h., möglicherweise adäquate erzieherische Hilfen "vor Ort" durch finanzielle Restriktionen nicht gewährleistet werden können. Solche Einzelfragen können hier nicht geklärt werden. Hier ist nur zu konstatieren, daß die Jugendhilfe mannigfach familiale Verhältnisse "reguliert", auf Realprobleme auftrifft und Hilfen für Familien leistet, "damit sie ihren originären Erziehungsauftrag" (Kunkel 1995) erfüllen können. Die Jugendhilfe ist kein Recht, das in autopoietischer Selbstreferenz nur sich selbst reguliert. 29 Sie bewegt sich "steuerungstheoretisch" über die Regulierungsinstitutionen in Praxisfelder vor und wird wirksam. Die umfangreichen Regulationsaktivitäten staatlicher Instanzen (und Wohlfahrtsverbände) findet jedenfalls in der Morphologie der Erziehungshilfen ihren unter Leistungsaspekten beeindruckenden und unter Aspekten der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung bedenklichen Niederschlag.

Y. Rechtliche Akteure und Aktorensystem 5.1 Jugendamtliche Regulation Ein zentraler Akteur der "Risiko-Regulation" ist das Jugendamt. Ihm obliegen Verfahrensregulation und Aufsicht. Die Regulation speziell von Pflegekindschaftsverhältnissen unter Moderation des Jugendamtes kann als Transformation des risikoreichen, gefährdeten Familienprozesses in die Bahnen erlaubter familialer "Grenzwerte" durch die Konstruktion eines aus Herkunftsfamilie und Pflegefamilie gebildeten erweiterten Familiensystems verstanden werden. Das erweiterte Familiensystem dient in der Prozeduralität des meist konfliktiven Verfahrens dem Ziel, das Kindeswohl im Rahmen akzeptabler Values zu stabilisieren. Dabei werden durch die relevanten Akteure betroffene Familie und Kind, Jugendamt, Pflegeeltern, weitere professionelle Fach-

29 Zur Diskussion über "Recht als autopoietisches System", und den Thesen des Steuerungspessimismus vgl. Teubner (1989). Selbst Luhmann (l993a) konzediert dem Recht jedoch Fremdreferentialität im Wege kognitiver Offenheit, die für Risikoregulation bedeutsam ist, wenn er feststellt, "daß Selbstreferenz und Fremdreferenz in der Form von normativer Schließung und kognitiver Öffnung zusammenwirken müssen, und zwar auf der Basis normativer Schließung" (LuhmannI993a, 83).

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kräfte, die normativen Vorgaben interpretativ in einem komplexen Zusammenspiel umgesetzt. Die Risikoregulierung der jugendamtlichen und ggf. vormundschaftsrichterlichen Akteure zielt auf die Wiederherstellung familialer Verläßlichkeit ab, ggf. auch - wie bei der Maßnahme Vollzeitpflege (§ 33 KJHG) - durch die Neukonstruktion des familialen Systems. Die Akteure betreiben in den institutionalisierten Verfahren (vgl. §§ 36, 37 KJHG) wesentlich Kommunikation über kindbetreffende Risiken, nehmen Risikoabschätzungen gemäß der oben genannten Risikofaktoren (Schaubild 2) vor und handeln die erforderlichen Maßnahmen zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls aus. Kein Indikator darf dabei bestimmte Grenzwerte überschreiten. Oft jedoch entstehen Konflikte wegen differenter Risikobewertung der Akteure des Aktorensystems und scheitern Konsensbildungen zwischen leiblichen Eltern, Jugendamt, ggf. Pflegeeltern und weiteren Experten. Scheitert eine Konsensbildung über Maßnahmen im jugendamtlichen Verfahren, führt dies meist zu einem Wechsel des Verfahrenstyps vom jugendamtlichen zum vormundschaftsrichterlichen Verfahren, in dem der Risiko-Diskurs ums Kindeswohl JO und Möglichkeiten der Abhilfe fortgesetzt wird.

5.2 Richterliche Risikoregulatioß Hält das Jugendamt "zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung das Tätigwerden des Gerichts für erforderlich, so hat es gemäß § 50 Abs. 3 KJHG das Gericht anzurufen". J 1 Die Risikoregulation und vor allem die Risikoabschätzung wird folglich in streitigen Fällen vom jugendamtlichen Verfahren an das gerichtliche Verfahren delegiert. Vormundschaftsrichter haben in den meisten Fällen darüber zu entscheiden, ob den leiblichen Eltern Teile des Sorgerechts zu entziehen sind, um eine Gefährdung des Kindes abwenden zu können. Dabei spielen die sorgerechtlichen Normierungen der §§ 1666, 1666a BGB unter besonderer Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Grundsätze wie dem Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder (Art. 6 Abs. 2 GG), dem Schutz der Menschenwürde (Art. IGG) und dem

30 Da dieser unbestimmte Rechtsbegriff in der Praxis höchst bedeutungsdifferent ausgelegt wird, werden Entscheidungen unter differenten Handlungsorientierungen und einem jeweils mehr oder weniger erkennbaren Informationsmangel getroffen. Probleme der Gefährdungseinschätzung können sowohl zu Unter- wie zu Überreaktionen der Regulationsinstanzen führen. Die Herausnahme des Kindes ist immer eine Schwellensituation, an der die aktuelle reale Gefährdung des Kindeswohls eingeschätzt werden muß, die die Eingriffsschwelle" für jugendhilferechtliche (bzw. vormundschaftsgerichtliche) Maßnahmen darstellt. 31 Lakies 1996, 31.

15 Bora

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Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) eine zentrale Rolle. Das verfassungsrechtlich garantierte Elternrecht auf Erziehung der Kinder (Art. 6 II GG) stellt ein hohes Rechtsgut dar, das nicht aus "niederschwelligen Gründen" verletzt werden darf. Die Berufung auf § 1666 BGB setzt voraus, daß eine körperliche, seelische und/oder geistige Gefährdung des Kindes zu befLirchten ist und ein elterliches Fehlverhalten, bspw. durch Mißbrauch oder Vernachlässigung oder auch unverschuldetes Versagen als Verursachungshintergrund der Gefährdung des Kindes festgestellt werden kann. Hinzu kommt die Unfähigkeit oder Unwilligkeit der leiblichen Eltern - denen zunächst das Gefahrabwendungsprimat zusteht - mitzuhelfen, die Gefahr für das Kind abzuwenden. Natürlich muß in diesem Stadium seitens des Jugendamtes auch geprüft werden, ob es keine andere Konfliktregulierungsmöglichkeit mehr gibt, als diejenige über das Vormundschaftsgericht. J2

VI. Rechtstatsächliche Ergebnisse praktischer Risikoregulation Was das jugendamtliche Verfahren betrifft, so verdeutlichen die Expertengespräche mit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern)), daß sich unterschiedliche, Z.T. kontroverse fachliche Konzepte bei der jugendamtlichen Regulation ausgebildet haben, die zwischen den Leitbildern der Pflegefamilie als Ersatz- oder Ergänzungsfamilie oszillieren. Dabei unterscheidet EckertSchirmer zwischen einem exklusiven Handlungskonzept, das sich stärker an bindungstheoretischen Paradigmen mit Präferenz auf die Ersatzfamilie orientiert und einem inklusiven Handlungskonzept, das sich am systemischen Modell der Ergänzungsfamilie orientiert. Beim exklusiven Konzept wird die Zentralität der Pflegefamilie betont und werden Kontakte zur Herkunftsfamilie tendenziell ausgeschlossen, während beim inklusiven Konzept stärker auf ein Zusammenwirken von Herkunftsfamilie und Pflegefamilie hingewirkt wird. Man kann also durchaus konstatieren, daß sich im Kontext des KJHGNormenkreises sozialpädagogisch geprägte, differente Kulturen des Risikomanagements institutionalisieren, und dies bedeutet, daß das KJHG von den jeweiligen Vertretern der differenten sozialpädagogischen Richtungen auch unterschiedlich interpretiert wird. Rechtliche Vorgaben werden im Rahmen unterschiedlicher sozialpädagogischer Handlungsorientierungen auch different interpretiert, was eine sozialpädagogische Konzept- und Wissensabhängigkeit 32 Röhl (1987, 482) betont generell den ,.Filterungsprozeß", in dem "die große Masse der Konflikte" auf vorgerichtlicher Stufe "hängen bleibt" und ein Streit "entweder gar nicht oder nur zwischen den Parteien oder jedenfalls außerhalb der Gerichte ausgetragen wird". 33 Vgl. Ecker/-Schirmer) 997.

Die Regulation familialer Risiken durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz 227

der rechtlichen Risikoregulierung vermuten läßt und neben dem geltenden Recht die Zentralität der es anwendenden Akteure unterstreicht. Solche differenten Handlungsorientierungen wirken sich natürlich speziell in der von uns untersuchten Regulation der Vollzeitpflege (§ 33 KJHG) bei der Gestaltung von Besuchskontakten aus, auch bei der Gestaltung des Hilfeplans (§ 36 KJHG) und der dort avisierten Dauerperspektive bzw. begrenzten Perspektive des Pflegeverhältnisses. 34 Die andere Komponente ist die Realsituation der tatsächlich vorfindbaren familialen Verhältnisse. So different die Handlungslogiken idealtypisch auch erscheinen, so stark bilden sich offensichtlich in der Regulation des prekären Familienprozesses über den Zeitverlauf assimilierende Regulationsprozesse heraus. Dies konnten wir in unserem Projekt dadurch feststellen, daß auch unterschiedliche sozialpädagogische Konzepte, das tendenzielle "Herausfallen der Herkunftsfamilie aus dem Regulationsprozeß" nicht signifikant verhindern können. 35 Idealtypisch differenzierbare Konzepte konvergieren damit interessanterweise in Realtypen der praktischen Regulation. Aus den Aktenanalysen von einschlägigen Jugendamtsakten ergibt sich jedoch eine leichte - im statistischen Sinne jedoch nicht signifikante - Tendenz der Qualifizierung des Regulationsprozesses seit Inkrafttreten des KJHG durch die Verstärkung der fachlich-beratenden Tätigkeit der Jugendämter und der Dienstleistungsorientierung. 36 Die stärker mit dem exklusiven Konzept gekoppelte, zu Zeiten des (Jugendwohlfahrtsgesetzes ) JWG dominierende, interventionistische "fürsorglich-diagnostische" Orientierung ist aber nach wie vor auch nach Inkrafttreten des KJHG wirksam. Zu diagnostizieren ist folglich eine Überlagerung der rechtlichen Regulation durch differente sozialpädagogische Konzepte und durch manifeste realsoziale Ausgangslagen, wobei hier der Faktor der Professionalisierung und Qualifizierung der Regulation eine innovative Integration der Perspektiven am besten ermöglichen dürfte. Daraus läßt sich für die jugendamtliche Risikoregulation die Konsequenz ableiten, verstärkt professionelle Instanzen bei der Planung und Durchführung von Hilfen für Familie und Kind(er) einzuschalten und an diese, bei Aufrechterhaltung des staatlichen Wächteramtes, wichtige Vorgänge des Regulationsprozesses wie die Gestaltung und Fortschreibung des Hilfeplanes und die Vernetzung von Hilfen zu delegieren. Auch unter dem Aspekt einer besser gelingenden Verfahrensgerechtigkeit erscheint dieses Regulationsmodell erwägenswert. Das Amt könnte sich stärker auf die Aufgaben einer präventiven Sozialplanung und (kommunalen) Sozialpolitik konzentrieren. 34

31 36

15*

Vgl. Ecker/-Schirmer 1997,12 f. Vgl. Eckert-Schirmer 1997,22. Vgl. Ziegler 1997, 5, Tabelle 3.

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In allen Äußerungen der Richter wird deutlich, daß flir diese im (sorgerechtlichen) Verfahren die Sachverhalts- und Tatbestandsprufung einer Gefährdung des Kindeswohls im Vordergrund stehen, wie schließlich die Bestimmung der Rechtsfolge. Reflexionsgegenstand ist die gegenwärtige und zukünftige Gefährdung des Kindeswohls, die zum Gegenstand der Risikothematisierung wird. 37 In den Expertengesprächen mit Richter/Innen konnte eine überraschende Tendenz dahingehend festgestellt werden, daß einige Richter den gesetzlichen Tatbestand der "Gefährdung des Kindeswohls" in den konkreten Farn ilienverhältnissen de facto oft als manifest ansehen, jedoch im formellen Verfahren auf Reversibilität oder Minimierung prüfen und damit die Chancen ausloten, im richterlichen Verfahren den Tatbestand "rückzubauen", um damit die Rechtsfolge des Sorgerechtsentzugs nicht eintreten zu lassen. Dieses richterliche Handeln wurde von uns als "moderierendes Handeln" zur Konfliktlösung im Verfahren charakterisiert. Mehrere Richter wiesen darauf hin, daß es eigentlich das Hauptziel des vormundschaftsrichterlichen Verfahrens sei, auf eine gütliche Einigung zwischen den streitenden Parteien hinzuarbeiten. Dabei bildet das jugendamtliche "Vorverfahren" eine Art Fixpunkt. Wichtige Parameter der richterlichen Entscheidung stellen die Maßnahmen und Berichte des Jugendamtes und ggf. weitere Stellungnahmen und Gutachten dar, sowie Art und Umfang der richterlichen Anhörungen (§§ 50 a,b,c FGG) der Beteiligten im Verfahren, von welchen die richterliche Einschätzung der herkunftsfamilialen Situation wesentlich abhängt. Die Analysen verdeutlichen die Interdependenz zwischen dem jugendamtlichen und gerichtlichen Verfahren und damit die Zentralität der jugendamtlichen Fallbeurteilung für die richterliche Entscheidung. Als eminent wichtig erscheinen das Ausmaß und die Qualität der richterlichen Thematisierung der Risiken der Kindeswohlgefahrdung und ihrer Eingrenzbarkeit. Hier sind durchaus unterschiedliche richterliche Vorgehensweisen zu evaluieren, die sich entlang dreier Handlungsfiguren ausdifferenzieren: Eine affirmative richterliche Regulation tendiert eher dazu, den Antrag des Jugendamtes auf Sorgerechtsentzug zu bestätigen. Das Vormundschaftsgericht 37 Vgl. zum Ganzen Hoch 1997. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die Vormundschaftsrichter im Spannungsfeld von Elternrecht und Kindeswohl bei einem Antrag auf Entzug der elterlichen Sorge (§ 1666 BGB) oder einem HerausgabeverJangen (§ 1632 Abs. 4 BGB) geltendes Recht interpretieren, den Prozeß der Rechtsgüterabwägung gestalten und welchen Einflüssen sie dabei ausgesetzt sind, d.h. welches Wissen bzw. welche Handlungsorientierungen die richterliche Entscheidung bestimmen. Die Hypothese dabei ist, daß die Vormundschaftsrichter trotz einheitlicher Rechtsgrundlage einen Interpretationsspielraum im Verfahren haben, der sich entlang von niederschwelligen bis höherschwelligen Kriterien bspw. für den Entzug der elterlichen Sorge ausdifferenziert. Hierzu wurden Expertengespräche mit 9 Richter/Innen an sieben Amtsgerichten der Bundesländer Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Sachsen durchgeführt.

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folgt hier dem Entscheidungsvorschlag des Jugendamtes als der kompetenten Vorinstanz der familialen Risikoregulation und führt mit seinem Beschluß auf (teilweisen) Sorgerechtsentzug eine (Ab-)Schwächung der herkunftsfamilialen Einflußnahme herbei, mit dem Ziel, Gefährdungen des Kindes abzuwenden und dem Jugendamt mehr Kompetenzen für die Regulation zu übertragen. Die "Prozeduralisierung" der Regulation wird hier tendenziell abgekürzt. JS Ganz im Gegensatz zum Typ der erwähnten moderierenden richterlichen Regulation, in weicher der Richter offensiv Vorschläge unterbreitet, wie sich die "Prozeßparteien" einigen und neu arrangieren könnten. Folglich geht es um das Ausloten sozialer Kooperation zur Bewahrung oder Wiederherstellung des Kindeswohls und zur Vermeidung weitergehender rechtlicher Maßnahmen, um ein Arbeiten der streitenden Parteien an einer gemeinsamen Problemlösung im Rahmen einer bisweilen dramatischen Risikoregulation. Eine moderierende Regulation legt großen Wert auf eine ausführliche Durchführung der Anhörungen und der Richter sieht sich veranlaßt, das gerichtliche Verfahren zu nutzen, um selbst nachforschend und ermittelnd tätig zu sein. Dies kommt eher einer Intensivierung der Prozeduralisierung des Verfahrens gleich. Alle Verfahrensbeteiligten werden im richterlichen Verfahren im Rahmen der Anhörungen ausführlich in einer Variation von Einzel- bis Gruppengesprächen gehört. Der Richter bemüht sich ermittlungsintensiv authentisches eigenes Wissen über die familialen Verhältnisse zu gewinnen. Das Verfahren legt den Schwerpunkt auf die Interaktion der Beteiligten. Diese Form der richterlichen Regulation hat sorgerechtsvermeidenden Charakter, weil der Richter versucht ist, daß sich alle Beteiligten und das Jugendamt unterhalb der Notwendigkeit des Entzugs der elterlichen Sorge neu arrangieren und entsprechende Verhaltensänderungen bewirkt werden. Beispiele einer moderierenden Regulation kommen in der folgenden Äußerung eines Richters zum Ausdruck: "Also die Verfahren, die dann bei uns angelangen, die enden ja auch nicht immer [... ] in einer Entscheidung von hier aus, daß ein Sorgerechtsentzug erfolgt, sondern in einer kooperativen Absprache, daß dann letztlich Eltern Mütter häufiger, [ ... ] vielleicht auch vor der Autorität des Gerichtes, ich weiß es nicht, letztlich dann doch eher zu einer Kooperation mit dem Jugendamt bereit sind, wobei durchaus, ein Vergleich kann man schlecht sagen, im prozessualen Sinn ist es natürlich kein Vergleich, aber es ist - schon eine Situation eines Vergleiches, weil das Jugendamt zum Teil auch Abstriche in seinen

38 Eine affirmative richterliche Regulation, die den Empfehlungen des Jugendamtes folgt, kommt in der folgenden Äußerung eines zum Richters zum Ausdruck: "Ich arbeite erstmal mit einer einstweiligen Anordnung. Und das heißt häufig Fernunterbringung des Kindes halt. Entweder sie wird veranlaßt oder sie wird eben abgesegnet" (vgl. Hoch 1997, 55).

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Vorstellungen macht" (7: 10). [... ] "Also ich hole Gutachten nicht ausschließlich zur Absicherung meiner Entscheidung ein, sondern es kommt schon im Vorfeld, wenn ich die Anhörung habe, wo ich merke, daß das, was das Jugendamt in seinem Bericht hat, vielleicht doch nicht die endgültige Wahrheit ist, sage ich mal so, sondern wenn ich einen anderen Eindruck habe als das Jugendamt, (also) trotzdem meine, für das Kind sind bestimmt sicherlich bestimmte Maßnahmen auch erforderlich, die eben das Jugendamt vielleicht noch nicht gesehen hat, die mit den Eltern vielleicht im Moment auch nicht absprechbar sind, dann hole ich ein Gutachten ein. Aber nach so einer Anhörung [ ... ] auch mit der Fragestellung, welche Hilfen sind für das Kind noch notwendig, um dessen seelisches Wohl letztlich zu wahren, [... ] welche Kooperationsmöglichkeiten sieht der Gutachter noch unter welchen Voraussetzungen mit den Herkunftseltern. Und wenn ich dann das Ergebnis des Gutachtens habe, versuche ich nochmal, so eine Art vermittelndes Gespräch zu machen."39 Eine dritte Handlungsfigur im richterlichen Verfahren ließ sich als korrigierende Regulation beschreiben. Hier kommt es im richterlichen Verfahren zu einer mehr oder weniger ausgeprägten asymmetrischen Einschätzung der familialen Risikolage, dem Ausmaß der Gefahrdung des Kindeswohls und der für richtig gehaltenen Maßnahmen. Die richterliche Regulation übt hier einen interventionistischen Einfluß auf das jugendamtliche Verfahren im Wege von Anordnungen 40 aus, bspw. hinsichtlich des zu erstellenden oder zu korrigierenden Hilfeplans, der einzubeziehenden Fachkräfte oder der Besuchskontakte. 41 Dabei kann nicht gesagt werden, daß jedem Richter nur ein ganz bestimmter Handlungsstil zugeordnet werden könnte, sondern sie bringen die unterschiedlichen Handlungsstile in einer individuell geprägten "Komposition" zum Einsatz. Da es zwischen richterlichem und jugendamtlichem Handeln bei der Regulation von Pflegekindschaft eine strukturelle Interdependenz gibt, können sich die beiden Regel- und Handlungssysteme rekursiv beeinflussen, wobei sich gewöhnlich beide Handlungssysteme im praktischen. Prozeß der Regulation(en) "assimilieren" bzw. verzahnen. Kontradiktorisch akzentuierte '9

vgl. Hoch 1997,52. Wobei eine Anordnungskompetenz des Vormundschaftsgerichts bzgl. der seitens des .Jugendamtes einzusetzenden Hilfen der Erziehung rechtlich und fachlich umstritten ist. 41 Eine korrigierende Regulation kommt beispielhaft in folgender Äußerung eines Richters zum Ausdruck: "Da kann es durchaus sein, daß ich auch mal gegenüber einem Jugendamt dann sage, wir müßten das oder das nochmal versuchen, oder es gibt noch die und die Möglichkeit, haben sie das und das ausprobiert [... ]. Ich habe auch schon mehrfach Maßnahmen angeordnet [ ... ]" (vgl. Hoch 1997,45). >

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Verfahren, gekennzeichnet durch korrigierende Regulationsaktivitäten des Richters, können somit zu einer neuen Abstimmung des jugendamtlichen mit dem richterlichen Verfahren fUhren und zur Herstellung stabiler Fremdreferenz geeignet sein. Die moderierende Regulation erscheint dabei als das zu präferierende Konfliktlösungsmodell, da sie im bürgerlich-rechtlichen Verfahren die im jugendamtlichen Verfahren vorgegebenen normativen Orientierungen des Zusammenwirkens wieder aufgreift und auslotet. Dem Richter kann folglich eine innovative Integration der normativen Orientierungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes wie der einschlägigen Normen des BGB, in deren Kontext er rechtliche Risikoregulierung betreibt, gelingen. Er kann die Reflexivität des Verfahrens erhöhen, Entscheidungen im jugendamtlichen Verfahren gegenpTÜfen und zu einer kreativen Rechtsfindung kommen. Ohne Zweifel hat die richterliche Entscheidung in Fragen des Sorgerechts, die zum Einsatz gebrachten rechtlichen und außerrechtlichen Maßstäbe und Orientierungen für die Beurteilung der Gefährdung des Kindeswohls, wesentlichen Einfluß auf die weitere Regulation des Familienprozesses. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Gefährdung des Kindeswohls erfordert die "Produktion von Erkenntnissen" und damit eine Kopplung von Normativität und Kognitivität (Japp in diesem Band) im Verfahren. Diese Erkenntnisse bestätigen oder verändern die Grundlagen für die Fortsetzung der Regulation des Verfahrens auf der jugendamtlichen Ebene und setzen ein Signal fUr die Gestaltungsmöglichkeiten des Pflegekindverhältnisses und die Zuordnung der beiden familialen Systeme der Herkunfts- und Pflegefamilie. Für die folgende Zusammenfassung will ich aus diesen Untersuchungen der institutionalisierten Mikroregulation familialer Problem lagen einige generalisierende Aussagen für die Risikoregulation treffen.

VII. Schlußfolgerungen unter dem Aspekt rechtlicher Risikoregulierung Die rechtliche Risikoregulation von Multiproblemfamilien verweist auf eine Fülle von Risiken, die heute die Familie "bedrohen". Das KJHG ist hier ein sehr elaboriertes Instrumentarium zur rechtlichen Risikoregulation prekärer Familiensituationen. Aus den Expertengesprächen mit den Richterinnen und Richtern ergibt sich, daß es sich nach wie vor in einer Implementationsphase befindet. So konstatieren die Richter/Innen, daß das nach § 37 KJHG erforderliche gemeinsame Zusammenwirken aller Beteiligten bei der Erstellung von Hilfeplänen (§ 36 KJHG) für Familie und Kind(er) oft nicht zustande komme. Die Risikoregulation des Jugendamtes bleibt weitgehend auf reaktive Maßnahmen begrenzt. Wirksame wirtschaftliche Hilfen und solche, die auf eine

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berufliche Integration von Eltern ausgerichtet sind, stehen dem Jugendamt nicht zur Verfügung. Die rechtlich geförderte Vorverlagerung der Risikoregulierung wurde - ähnlich wie beim Umweltschutz - erkennbar bisher nicht geleistet. Vorverlagerte Risikoregulierung aber tangiert arbeitsrechtliche Fragen, Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie solche des Familienlastenausgleichs. Durch eine sinnvolle, rechtlich gestützte Umsteuerung in Richtung einer präventiven Familienpolitik kann die reaktive Familienhilfe zurückgefahren werden, und durch "Risikovorsorge" der Akkumulationsdynamik von Risikofaktoren (Schaubild 2) vorgebeugt werden. Dies verweist auch auf die Notwendigkeit einer besseren Koppelung mehrerer (sozialrechtlicher) Teilrechtsgebiete zur vorbeugenden Risikoregulierung. Je später Hilfemaßnahmen erfolgen, desto schwieriger wird es, zu einem Rückbau kumulierter Risikofaktoren zu kommen. Aus dieser Perspektive muß die Diskussion über familiale Probleme durch einen komplementären Diskurs über die prinzipielle Stellung des Mikrosystems Familie in der Gesellschaft und die Leitlinien einer risikovorsorgenden Familienpolitik ergänzt werden. Das Ziel der rechtlich gesteuerten Risikoregulation prekärer Familienverhältnisse bleibt, die (Mindest-)"Standards für eine gelingende Sozialisation" im interdisziplinären Diskurs zu formulieren und rechtlich zu sichern, "soweit dies mit dem Instrumentarium 'Recht' möglich ist" (vgl. Münder 1990, 50). Hier, so denke ich, sind die innovativen Möglichkeiten, die uns das Kinderund Jugendhilfegesetz zur familialen Risikoregulation an die Hand gibt, noch lange nicht ausgeschöpft. Das KJHG kann - gegenüber dem JWG - sicher als Zeichen der "Lernfahigkeit des Rechts" interpretiert werden, die jedoch in der Rechtsumsetzung abhängig wird von der Lernfahigkeit derjenigen, die es anwenden und in deren Hand es mehr oder weniger zum .. reflexiven Recht" wird. Der Staat hat sich im Bereich der Regulation von Sozialrisiken bereits zu stark auf eine reaktive Risikoregulation festgelegt, über die meistens nur Schadensbegrenzung erfolgen kann. Sowohl für ökologische wie soziale Risiken scheint mir jedoch ein Recht geeignet, das nicht nur auf Risiken reagiert, sondern weiter auf Risikovermeidung und antizipatorische Vorfeldregulation ausgerichtet ist. In dieser Richtung fande ich es lohnend, den Beitrag der rechtlichen Risikoregulierung im Blick auf beide Risikobereiche zu verstärken. Hier sind die Möglichkeiten und regulativen Problemlösungskapazitäten des Rechts in der Risikogesellschaft sicher noch nicht ausgeschöpft und sollte sich vor dem Hintergrund der europäischen Rechtskultur und einer humanen Daseinsvorsorge soziales und ökologisches Recht weiterentwickeln. Sowohl die Regulation ökologischer wie sozialer Risiken wird dabei ohne transnationale Perspektive immer weniger gelingen. Das gesetzte Recht als Risiko-Regulationsinstrument ist seinerseits abhängig von den Akteuren und Akteurkonstellationen der Risikoregulation: hier konstruieren sich "Rechtstatsachen" im komplexen multifaktoriellen Einfluß

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von Recht, Interpretation, Wissen, Legitimation und Partizipation. Das übergreifende Ziel des Funktionssystems Recht im Bereich von Risikoregulierung ist die durch rechtliche Regelungen geförderte ökologische und soziale Stabilität. Dies kann nicht nur über ein sich in Selbstreferentialität kultivierendes Recht geschehen, sondern im Wege der reflexiven und produktiven Umsetzung und Fortentwicklung desselben durch Akteure in den je praktischen Feldern der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Ein Teil des oft diskutierten Steuerungspessimismus in Bezug auf Recht geht auch auf das Konto von "selffulfilling prophecy".

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Risikoreflexion - Beobachtung der Gesellschaft im Recht Von Klaus Peter Japp

I. Vorbemerkung Der Titel deutet an, daß es nicht um die Beobachtung der Gesellschaft im Recht überhaupt gehen soll, sondern um rechtliche Gesellschaftsbeobachtung, insoweit die Risikoproduktion der Gesellschaft im Recht thematisch ist. In vormodernen Gesellschaften dokumentierte 'das Recht' die für natürlich oder vernünftig gehaltenen gesellschaftlichen Beziehungen. Jedenfalls aus der Sicht derer, die Zentrum und Spitze der Gesellschaft besetzt hielten. Der 'Grund' der Gesellschaft war zugleich der 'Grund' des Rechts. In der modernen Gesellschaft beobachtet das Recht die Gesellschaft als komplexe Umwelt um es herum und tut dies mit rechtsinternen Mitteln, vor allem also mit der Unterscheidung von Recht und Unrecht. Diese Inkongruenz zwischen Recht und Gesellschaft erscheint vielen in dem Maße unangemessen, wie die Gesellschaft als 'Risikogesellschaft' beschrieben wird und dem Rechtssystem hier (gegen-) steuernde Funktionen zugerechnet werden. Im Maße der Selbstgefahrdung der Gesellschaft durch insbesondere ökologische Indifferenz soll das Recht mit der Gesellschaft 'interferieren', um deren Risikoproduktion einer Art System integration zu unterwerfen. Teubner (1989, 106) etwa spricht von einer nötigen 'Durchbrechung der Selbstreferenz' des Rechts in Richtung auf 'Interferenz' mit nichtrechtlicher Kommunikation.\ Im folgenden soll gezeigt werden, mit welchen Mitteln das Rechtssystem sich eine Risikobeobachtung der Gesellschaft immer schon ermöglicht, ohne deshalb seine gesellschaftliche Funktionsbestimmung auf' Erhaltung von Lemfahigkeit' oder auf Risikosteuerung (Ladeur 1995, Teubner 1989) umstellen zu müssen. Natürlich ist davon kein Nachweis zu erwarten, daß dies ausreichenden Risikoschutz oder angemessene Risikosteuerung durch Recht indizieren könnte. Ohnehin liegt ein solcher Nachweis wohl außerhalb der Reichweite rechtssoziologischer

I "Führt also kein Weg aus den je in sich geschlossenen (Selbst-) Beobachtungszirkeln heraus? M.E. gibt es einen Weg, die Zirkularität nicht nur system intern zu durchbrechen. Dieser Weg führt über eine Besonderheit der Verschachte1ung autopoietischer Systeme (00'): die Interferenz von gleichartigen autopoietischen Systemen (00')" (Teubner 1989, \06).

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Klaus Peter Japp

Reflexion. Aus gesellschaftstheoretischer Sicht ist das Rechtssystem durch die Einschluß- und Ausschlußleistungen seines Funktionscodes jedenfalls zentral an der Risikobewältigung (und auch an der Risikoerzeugung) der modemen Gesellschaft beteiligt, insofern Handlungen verboten oder erlaubt werden können, deren Riskanz inakzeptabel oder akzeptabel erscheint. Im folgenden wird von der Prämisse ausgegangen, daß das Recht in dieser Hinsicht weniger Wirksamkeit entfaltet, als es von einer orthodoxen Position aus wohl erwartet wird und mehr als von einer 'postmodernen' Position aus erwartet wird. Die eine Position folgt den funktionsspezifischen Universalitätsansprüchen, wie man sie nicht nur vom Recht, sondern von allen Funktionssystemen der Gesellschaft kennt. Die andere wirft einen normativpostmodernen Mantel der Kritik über das Rechtssystem, der einer vorschnellen Abwertung rechtsinterner Beobachtungskapazitäten der gesellschaftlichen Risikoproduktion Vorschub leistet.

11. Anforderungen strategischen, reflexiven oder prozeduralen Rechts Welchen Verästelungen die Argumentation über postmoderne (strategische, reflexive, prozedurale) Rechtsformen auch immer folgt, gemeinsam sind ihnen zwei zentrale Annahmen. 2 Erstens erscheint die Funktion des Rechts, insoweit sie als Stabilisierung von normativen Verhaltenserwartungen bestimmt ist, als zu eng für eine angestrebte 'Gesellschaftssteuerung' . Zweitens erscheint die Kapazität des Rechts für fremdreferentielle Informationsverarbeitung (inklusive der Beobachtung eigener Entscheidungsfolgen) als zu stark eingeengt durch die Schließung des Systems mittels eben des funktionsstiftenden rekursiven Verweisungszusammenhangs von Rechtsnormen. Dahinter steckt die plausible Annahme, daß kontrafaktische Normierung mit Risikoproblemen nicht fertig werden kann (s. schon Luhmann 1990) und die eher fragliche Annahme, daß die Steigerung von informationsverarbeitenden Kapazitäten (durch 'Interferenz': Teubner 1989,81 ff., durch 'Relationierung': Willke 1992, 175 ff., durch 'Prozeduralisierung': Ladeur 1995,206 ff.) jenseits der Bindung an Rechtsnormen dies erreichbar mache.

111. Kritik des postmodernen Rechts Die inzwischen praktisch als Standardkritik eingerasteten Gegenargumente setzen mehr oder minder komplementär am Funktions- und am Informati2

Zu dem Titel 'postmodernes Recht': Ladeur 1985.

Risikoreflexion - Beobachtung der Gesellschaft im Recht

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onsaspekt an (Hiller 1993, Nocke 1990, Luhmann 1985). Einerseits verlagere die Anforderung von Folgenbeobachtung rechtlicher Entscheidungen bis hin zur 'Ermöglichung von Lernfahigkeit' (Ladeur 1995) die Funktion des Rechts in Bereiche hinein, die mit der funktional spezifizierten Identität des Rechts nicht mehr kompatibel seien.] Andererseits führten die Anforderungen an Irreversibilität des Entscheidens, an Entscheiden und Optionserhaltung, sowie Anforderungen an InformationspluraJismus 'mit offenem Ausgang' zum Ausfall von rechtlich spezifizierten Metakriterien der Beendigung von Problemen mit der Iteration von Informationssuchprozessen (Japp 1996, 85 ff.). Es stehen sich hier eine eher expansive und eine eher restriktive Position zum Problem der Risikobeobachtung durch Recht gegenüber, ohne daß auf diese Weise zu sehen wäre, welcher Weg aus dieser Konfrontation herausführen könnte.

IV. Auffangpositionen durch das Rechtssystem Im folgenden wird argumentiert, daß im Rechtssystem selbst Rationalitätsreserven bereitliegen, die zu wenig - oder zu selektiv - beachtet werden. Wenn man aber diesen Reserven mehr Beachtung schenkt, dann könnte sich möglicherweise zeigen, daß das Recht zwar über keine paßgenauen Beobachtungsinstrumente im gesellschaftlichen Risikokontext verfügt, aber deshalb noch lange nicht zu einem Wechsel seiner funktionalen Spezifikation gezwungen ist. Argumentationsleitende Vorstellung ist, daß RationaJitätsreserven grundsätzlich in solchen strukturellen und operativen Differenzierungen des Rechtssystems liegen, die 'Entgegengesetztes ( ... ) gleichzeitig und komplementär' (Luhmann 1993, 323) ermöglichen. Als Entgegengesetztes sollen hier ganz grundsätzlich die Zukunftsunsicherheit riskanten Verhaltens im Hinblick auf die Codierung als rechtmäßig oder unrechtmäßig einerseits 4 und die Vergangenheitsorientierung der Codierung im Kontext kontrafaktischer Erwartungsstabilisierung selbst verstanden werdenS. Kurz gesagt, stehen sich Rechtsunsicherheit generierendes riskantes Verhalten und die Lernunwilligkeit des

] Dies besonders deutlich bei Ladeur 1985. Soll man die Anlage genehmigen, obwohl unbekannt ist, welche Gefahrenpotentiale sie in der Zukunft freisetzen wird? 5 Eine Genehmigung kann nur einer Erwartung folgen, die Störfallwahrscheinlichkeiten in die Zukunft transportiert, also eigentlich eine Sicherheitsillusion (für potentiell Betroffene) erzeugt oder die Zukunft etwa durch Teilgenehmigungen diskontiert und dadurch legitime Sicherheitserwartungen (des Betreibers) sabotiert. 4

16 Bora

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Klaus Peter lapp

Rechts in seiner genuinen Funktion der Stabilisierung von Erwartungen in die Zukunft hinein gegenüber. Diese Gegensätze oder besser: Differenzen zwischen Unbestimmtheit und Bestimmtheit im Recht, sollen auf die Differenz zwischen strukturellen und operativen Differenzierungen im Recht bezogen werden. Die 'Gleichzeitigkeit des Entgegengesetzten' wird dann im Umkreis der strukturellen Differenz von Funktion und Leistung einerseits sowie in dem des operativen Wiedereintritts von Unterscheidungen (re-entries) der Rechtspraxis andererseits gesehen. Es soll gezeigt werden, daß die Figur des Unbestimmten im Recht bearbeitet werden kann ohne daß ein Ausstieg aus dem, was bislang als Recht bekannt ist, zwingend wäre. Im Hintergrund wird die Annahme mitgeführt, daß das Rechtssystem keinen funktionalen Primat im gesellschaftlichen 'coping with uncertainty' innehaben kann. Macht, Geld, Wahrheit oder auch religiöser Glaube tragen das Ihre dazu bei (Luhmann 1986a).

1. Funktion und Leistung Funktionssysteme orientieren sich an ihrer Funktion für die Gesellschaft als Ganze und zusätzlich an Leistungen, die von ihrer Umwelt erwartet werden. Die Differenz läßt sich näher kennzeichnen durch die Erreichbarkeit funktionaler Äquivalente (Luhmann 1993, 160). Während für die Funktion des Rechts, die Sicherung normativer Erwartungen, kaum funktionale Äquivalente bereitstehen, gibt.es für die Leistungsaspekte der Verhaltenssteuerung und der Konfliktlösung viele funktionale Äquivalente (vor allem Geld und Macht), so daß das Rechtssystem hier nur eine nebengeordnete Rolle spielt. Die Unterscheidung von Funktion und Leistung zeigt allerdings, daß Theorien, die mit der Vorstellung postmodernen Rechts arbeiten, am Leistungsspektrum und nicht an der Funktionsbestimmung des Rechtssystems ansetzen. So gesehen ist die Thematisierung von Steuerungs leistungen des Rechts als außerhalb dessen eigentlicher Funktion liegend ganz im Sinne der Differenz von Funktion und Leistung. 6 Auf unmittelbare Funktionskritik kommt man eigentlich nur, wenn diese Differenz übersehen wird. Aus der Blickrichtung der Theorien postmodernen Rechts kann sich die Risikothematik dann eigentlich nur in 6 Vergleiche insbesondere LadelIr (1985), der die Selbsttranszendierung der Funktion des Rechts im Kontext komplexer werdender Umweltbeziehungen des Rechts erwartet, nicht aber in dessen Bezug auf Gesellschaft. Er verwischt also die Differenz von Funktion und Leistung und er übersieht, daß die Einheit des Rechts (und aller anderen Funktionssysteme) nicht schon in seiner Funktion liegt, sondern in der festen Kopplung von Funktion und Code des Systems (LlIhmann 1997,748 f.). Wenn das Recht sich selbst, seine Einheit, transzendieren soll, muß es also neben seiner Funktion auch seine Codierung sprengen. Danach wäre dann zu fragen, wie das Recht als Recht noch unterschieden werden kann.

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einer Verschiebung, Problematisierung oder Belastung des Verhältnisses von Funktion (verbunden mit konditionalem Programmtyp) und Leistung (verbunden mit zweckförmigem Programmtyp) im Recht niederschlagen. 7 Diese Unverhältnismäßigkeit von Funktion und Leistung aus der einen Sicht (Luhmann 1986) und der Insuffizienz dieses Verhältnisses aus anderer postmoderner Sicht verweist in einem wesentlichen Sinn auf die strukturelle Differenzierung von normativer Schließung und kognitiver Offenheit. Konkret greifbar wird diese Differenzierung in den Strukturdifferenzen von Code und Programmierung (beide Programmtypen beinhaltend) einerseits und der von Zentrum und Peripherie andererseits. Angemerkt sei noch einmal, daß hier natürlich nicht herausgearbeitet werden kann, wie das Recht das Risikoproblem der modernen Gesellschaft lösen könnte. 8 Es soll nur ausgelotet werden, welche problem lösenden Formen das Rechtssystem selbst bereit hält, ohne daß eine normative Projektion optimaler Risikosteuerung (Ladeur 1986, Teubner 1990), also Anpassung an unsichere Zukünfte gerade des Rechts (durch Reflexions- oder Prozeduralisierungskonzepte) diese Sicht von vornherein versperrt.

1.1. Code und Programm Werte, die durch die strikte Binarität des Codes ausgeschlossen werden, können bekanntlich durch die Entscheidungsprogramme des Rechts wieder eingeführt werden. Zum Beispiel kann durch Ankopplung von wissenschaftlich-technischem Sachverstand ('Stand der Technik' als Schamierbegriff: Grenzwerte), durch unbestimmte Rechtsbegriffe ('Verhältnismäßigkeit'), Abwägungsgebote ('Gemeinwohl') und Generalklauseln ('relevante Interessen') den Anforderungen von Sicherheitserwartungen entsprochen werden, wie immer eingebaute Interessenselektivitäten zum Opfer einer demokratietheoretischen Kritik werden mögen (Hiller 1993, Maus 1986). Die ebenso kritisch notierte Unbestimmtheit speziell des Umwelt- und Technikrechts und die damit einhergehende 'Selbstauslieferung' an Technik und Wirtschaft (Wolf 1987), kann auch als Zugewinn der Leistungskomponente des Rechts zuungunsten seiner Funktionsorientierung bei zunehmendem Risikodruck interpretiert werden. Ebenso die Tendenzen zur Finalisierung von Konditionalprogrammen und zum Wertopportunismus bei gleichzeitiger Programmbindung der Verwaltung (Luhmann 1971). Unter dem Gesichtspunkt der 'Gleichzeitigkeit des Entgegengesetzten' ergibt sich weniger eine' Antiquiertheit des 7 Ein instruktives Beispiel liefert Grimm (1986), der die Funktion des Verfassungsrechts in einem problematischen Verhältnis zu den Präventionsleistungen des Rechtsstaates sieht. 8 Zu dieser Unmöglichkeit: Luhmann 1990.

16*

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Rechts' (Wolf 1987) als eine Synchronisation von Erwartungssicherung und Rechtsunsicherheit. Die Gefährdungshaftung etwa, die rechtmäßigen Betrieb erlaubt, aber offen läßt wie lange und zu welchen Kosten, ist das Standardbeispiel an dieser Stelle. Man könnte auch sagen, daß inkongruente Perspektiven synchronisiert werden und es fur die Reflexion der Einheit des Systems darauf ankommt, ob stärker auf Leistung oder auf Funktion hin asymmetrisiert wird (Japp 1996, 77 f. und pass.). Gleichwohl wären beide Fälle Anpassungen im Rechtssystem und nicht der eine als Fall von Funktionsantiquiertheit aufzufassen und der andere als Funktionsüberwindung in bloße Folgensteuerung hinein. Solche Interpretationen wären nur vor dem Hintergrund wie immer optimaler Risikoverarbeitung durch postmodernes Recht plausibel. Für eine derartige Annahme gibt es aber vorläufig gar keinen Anlaß. Eher wäre von Funktionseinbußen durch den Ausbau des modernen Risikorechts zu sprechen und nicht von der Einbuße der Funktion.

1.2. Zentrum und Peripherie Eine weitere Strukturdifferenz, die die Gleichzeitigkeit des Entgegengesetzten, also die vergangenheitsorientierte Stabilisierungsfunktion des Rechts einerseits und dessen zukunftsorientierte Unbestimmtheiten andererseits im System bereit halten kann, besteht in der Differenz von Zentrum und Peripherie. Diese Differenz folgt der Notwendigkeit, die Funktionserflillung des Systems im System fest zu institutionalisieren und sie andererseits von Aktivitäten zu entlasten, die ohne direkten Operationszwang arbeiten. Die Bedingungen dieser nicht hierarchisch gemeinten Differenz erflillen vor allem Gerichte einerseits und die Gesetzgebung andererseits (Luhmann 1993,320 f.). Während Gerichte entscheiden müssen, was ihnen auf den Tisch kommt, können die Instanzen der Gesetzgebung Unbestimmtheit tolerieren und auch Distanz zum Rechtscode wahren, wenn es nötig ist. Es handelt sich um eine Organisation von inkongruenten Entscheidungsperspektiven, mit einer Lockerung des Funktionsbezuges auf der Seite der Peripherie und entsprechend ,gesteigerten Beobachtungschancen gegenüber rechtsförmigen Entscheidungszwängen im Zentrum. Und wieder dürfte die Richtung der Asymmetrisierung dieser Differenz darüber entscheiden, ob sie mehr zur Funktionserfüllung oder mehr zur Steigerung von Leistungsbezügen genutzt wird,9 Und jedenfalls sichern die Gerichte als Zentralpart (im nicht-hierarchischen, aber funktionsorientierten Sinne), daß wie immer gestärkte Leistungsbezüge nicht irgendwie aus dem 9 ,.Vor dem Hintergrund der Betonung der zeitlichen Dimension des Risikos kann die Gefährdungshaftung dann als ein politisch induziertes und trotzdem rechtstypisches Instrument der Reaktion auf zunehmende Risikoprobleme der modernen Gesellschaft verstanden werden" (Schmidt 1997, 290),

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System herausfallen und eine postmoderne Eigenexistenz gewinnen - jedenfalls solange diese Inkongruenz von Beobachtung und Operation durch die Differenz von Zentrum und Peripherie im System, d.h. durch den Code von Recht und Unrecht, gehalten und ermöglicht wird. Und gerade empirisch, im Sinne der Identifizierbarkeit von Rechtskommunikation, wäre dies kaum anders vorzustellen.

2. Re-entries

Re-enlries können als fonnale tenns (Spencer Brown 1979) gesellschaftlicher Umschichtungen im Umgang mit Komplexität interpretiert werden. Wenn der Gebrauch einer Unterscheidung (wie normativ/kognitiv oder System/Umwelt) 'zuviel' Komplexität generiert oder aus anderen, zumeist problemlösungsbedingten, Gründen nach den Bedingungen der 'Gleichzeitigkeit des Entgegengesetzten' gesucht wird, wird nach der Einheit der fraglichen Unterscheidung gesucht, die paradoxiefrei nur durch Wiedereinspiegelung auf einer der Seiten der Unterscheidung zu haben ist (BechmannlJapp 1996). Das Resultat ist dann eine höhere Selektivität der Problem formel in dem Sinn, daß die Einheit einer Differenz in ihrem eigenen Operationskontext verfügbar wird und nicht - wie im Falle von Beobachtungen zweiter Ordnung - in einem erweiterten Operationskontext, womöglich außerhalb des rekursiv geschlossenen Verweisungszusammenhangs von Rechtsnormen in unserem Falle. Re-entries sind also operative Ermöglichungsbedingung der 'Gleichzeitigkeit des Entgegengesetzten' im System. Dies betrifft erneut das Verhältnis von strikter Rechtsnorm und Unbestimmtheit risikovorsorgender Operationen. 2.1. Brauchbare Illegalität Bekanntermaßen wird die rechtliche Programmierung von Verwaltungshandeln unter Bedingungen turbulenter Umwelten mehr oder minder politisiert, auf eine bloße Rückfallposition reduziert oder gänzlich zum symbolischen Drohinstrument transformiert (Hiller 1994, Treutner 1986/1994). Während die einen hier wieder einen Zerfall des Rechts sehen (Wolf 1987, Maus 1986), interpretieren andere denselben Sachverhalt als mehr oder minder gelungene Anpassung des Rechts an veränderte Umweltbedingungen (Hiller 1994, Japp 1994). Luhmann (1971) spricht von 'brauchbarer Illegalität' angesichts der Gleichzeitigkeit von Wertopportunismus und Programmbindung (z.B. Sanierungsabsprachen oder 'Kontrollerlaubnis'). Darin sollte jedoch weniger eine Anpassung des Rechts an eine externe Umwelt gesehen werden, also eine womöglich hintergründige Selbsttranszendierung des Rechts (Ladeur 1985/1 995, pass.). Eher schon handelt es sich um eine interne Operation des Rechts, die weiteres Operieren trotz intern erfahrener Widerstände

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Klaus Peter Japp

erlaubt. Diese interne Operation ist ein re-entry der Unterscheidung von normativer und kognitiver Erwartung auf der Seite der Norm (Funktion) oder auf der Seite der Kognition (Leistung). Die Operation des re-entry erlaubt beiden Asymmetrisierungen des Inkongruenten den Aufenthalt im System. Man kann das mit externen Mitteln als unzureichend oder aber als problematisch kritisieren. Im Gegensatz zu den (prozeduralen, reflexiven oder rechtsstaatlich orientierten) Optimiererwartungen der Kritik funktioniert die Technologie des re-entry, breit dokumentiert vor allem im informal-kooperativen Verwaltungshandeln, schon jetzt mehr oder minder gut, wie immer das beobachtet und bewertet wird. 10

2.2. Risikovorsorge Unser letzter Kandidat flir (operative) Formen von 'Gleichzeitigkeit des Entgegengesetzten' im Recht ist die Risikovorsorge bzw. das Verhältnis von Gefahrenabwehr und Risikovorsorge (Preuß 1996). Die Beflirworter einer expansiven Risikovorsorge (Ladeur 1995, Teubner 1989, Willke 1992 u.a.m.) landen eigentlich alle außerhalb der Systemgrenzen des Rechts. Ob sie nun auf die 'Lernfahigkeit der Gesellschaft' zielen (Ladeur), auf die 'Durchbrechung der Selbstreferenz' des Rechts (Teubner) oder auf 'Relationierungsprogramme', die mit den Mitteln des Rechts nicht zu fassen seien (Willke 1992, 205 f.), immer ist eine mehr oder minder forcierte (Selbst-) Transzendierung des Rechts im Spiel. Demgegenüber ist auch in diesem Zusammenhang auf die Wiedereintrittsfahigkeit diesmal der Unterscheidung von Gefahrenabwehr (konkrete Gefahr) und Risikovorsorge (Gefahrenverdacht) auf der einen oder anderen Seite der Unterscheidung zu verweisen, mit dem Resultat eines stärkeren Leistungs- oder eines stärkeren Funktionsbezuges bei simultaner Berücksichtigung der Gegenseite. Einschlägig sind Kontroversen um regulative Normung der Technik" und Spielarten der Gefahrdungshaftung in den USA und in der BRD (s.u.). Gegenstandsabstrakt handelt es sich um Asymmetrisierung von Inkongruenz (Japp 1996, ibid.), mit dem Vorteil, das System nicht in Richtung einer kriterienlosen Optionspolitik und/oder eines entscheidungslähmenden Kontingenzstresses durch anomische Abwägungszirkel, die nur durch hochabstrakten Verweis auf zukünftige Akzeptanz von Interessenabstimmungen ausgebremst werden, verlassen zu müssen (Hiller 1993, 149). 10 Die Argumentation ist hier strikt rechtsbezogen. Kritik an politischer Steuerung z.B. bleibt selbstverständlich möglich. Ohnehin ist möglicherweise Politik gemeint und nicht Recht. 11 Vgl. etwa die Diskussion bei van den Daele (1993), der für staatliche Leistungsübernahmen in der technischen Normung plädiert, und die Kritik bei Japp (1997).

Risikoreflexion - Beobachtung der Gesellschaft im Recht

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Die Kritik, daß dies alles entweder zu wenig ist (resp. Risikovorsorge) oder aber schon zu viel (resp. Rechtsstaatlichkeit), ist ganz unvenneidlich, denn sie nährt sich von nonnativ-gesellschaftspolitischem Unbehagen am Recht, einer Beobachterperspektive, die auch den Interferenz- und Relationierungskonzepten von Teubner und Willke zugrunde liegt. Diesen zufolge muß oder kann (dies bleibt oft unbestimmt) das Recht zu steuernde Systeme einer Art Metakoordination unterwerfen. 12 Ein hier instruktiver Anwendungsfall ist wieder die Gefahrdungshaftung. Geht es dabei um Relationierung von Systemrationalitäten (Willke), um strategisches Recht im Sinne einer Präferenz für Entdeckungsverfahren gegenüber normativem Vollzug (Teubner), um Prozeduralisierung im Sinne des Offenhaltens von Möglichkeiten (Ladeur) oder vielleicht um etwas anderes, weniger aufwendiges? I] 3. Gefährdungshaftung Die Institutionalisierung einer verschuldensunabhängigen Gefahrdungshaftung für den erlaubten Normalbetrieb, also einer Schadensersatzptlicht für rechtmäßige Handlungen, mit denen nach dem bisherigen Stand von Technik und Wissenschaft kein konkretes Schadensrisiko verbunden war, läßt sich als Versuch begreifen, mit neuen Rechtsformen dem Problem der wissenschaftlich-technisch ermöglichten und wirtschaftlich exekutierten Risikoproduktion zu begegnen. 14 Damit jedoch wird die Fonn der kontrafaktisch geltenden 12 "Eine diesen Anforderungen entsprechende Form des Gesetzes wäre ein Relationierungsprogramm, welches die unterschiedlichen Logiken und Teilrationalitäten der beteiligten Systeme nicht auf die Perspektive eines einzelnen Systems reduziert (etwa auf autoritativ gesetzte politische Steuerungsziele), sondern das die ausdifferenzierten Eigenlogiken und operativen Autonomien der zu koordinierenden Akteure erhält und diese in ihren Bedingungen und Konsequenzen aufeinander bezieht und abstimmt, eben relationiert (Herv.i.O.)" (Willke 1992, 179). 13 Eine mögliche Annahme wäre etwa, daß die wichtigsten Anforderungen einer nicht nur verfahrensmäßig gemeinten 'Prozeduralisierung' (Offenhalten von Optionen, Reversibilität, Lernen) im laufenden Rechtsbetrieb durch die kommunikative 'Prozedur' des re-entry operativ 'umgesetzt' werden (vgl. allgemein: Bechmann/Japp 1996). 14 In dem seit Anfang 1991 geltenden Gesetz ist festgelegt: Die Haftung flir die besonderen Gefahrenquellen (etwa chemische Produktionsanlagen) ist nicht nur verschuldensunabhängig konstruiert (also unter Absehung von Vorsatz und Fahrlässigkeit), sie unterscheidet auch nicht zwischen rechtmäßigem und rechtswidrigem Betrieb. Sowohl Störfallschäden wie auch solche, die infolge des verwaltungsrechtskonformen, genehmigten und störungsfreien Normalbetriebs entstehen, sind gleichermaßen erfaßt (§ I UmweltHG). In der Sache erfaßt die Haftung damit Schadensfälle, die sich I.) aus plötzlich eintretenden Ereignissen ("Überschreitung des Normalbetriebs": Unfall, Störfall) sowie 2.) aus dem störungsfreien, bestimmungsgemäßen Normalbetrieb der Anlage ergeben. Damit sind auch Schäden aus sog. Entwicklungs- und Verborgenheitsrisiken in die Haftung einbezogen. Das heißt: auch wenn die Gefährlich-

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Rechtsnorm relativiert, die sicherstellt, daß die Rechtsfolgen vorhersehbar, daß das Urteil über Recht oder Unrecht einer Handlung unabhängig von seinen in der Zukunft liegenden Folgen bestimmbar ist. Die Einbeziehung der Entwicklungs- und Verborgenheitsrisiken, eben die Risiken des Normalbetriebs, in die Umwelthaftung läßt diese Formveränderung prägnant hervortreten." Die Politik transformiert gewisse Risiken des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts über das Rechtsinstitut der verschuldensunabhängigen Gefahrdungshaftung für den genehmigten Normalbetrieb in das Wirtschaftssystem zurück. 16 Tritt ein Schaden ein, so muß im Prinzip auch fur rechtmäßige Handlungen (Normalbetrieb entsprechend den sog. 'Verkehrspflichten'l7) gehaftet werden. Durch diese Rechtskonstruktion sollen die Wirtschaftsunternehmen als Risikoproduzenten dazu veranlaßt werden, unsichere externe Effekte zu internalisieren, also die Möglichkeit eines Schadens vorsorglich in Rechnung zu stellen. Da es sich bei den Entwicklungs- und Verborgenheitsrisiken des Normalbetriebs, im Unterschied zu konventionellen Störfallen, um Schadensmöglichkeiten mit sehr geringer Eintrittswahrscheinlichkeit handelt, bleibt allerdings unklar, inwiefern die Einflihrung der Gefahrdungshaftung für den Normalbetrieb eine präventive Wirkung entfalten kann. Dies ist zumindest dann fraglich, wenn man davon ausgeht, daß 'gerade die Unkenntnis ... eine gezielte Risikopolitik verhindert' (Feess-Dörr et al. 1992, 98). Wie bei allen Risikofragen gilt auch hier, daß man die Zukunft nicht kennen kann, daß man mit 'ökologischem Nichtwissen' zu rechnen hat (Luhmann 1992). Dies alles schließt eine präventive Einstellung in bezug auf Entwicklungsrisiken natürlich nicht aus. Sie wird ganz erheblich erschwert, aber das wäre nichts weiter als die Normalschwelle für jegliche Art von Innovation. Innovationen basaler Art sind ja immer eine Art Schwellenereignis und gerade nicht im technisch-wirtschaftlichen Normalverlauf zu erwarten. Die Frage ist deshalb, in welchem Maße sich die wirtschaftsinterne Kommunikation von politisch induzierter und rechtlich durchgesetzter Haftungspflicht irritieren läßt. keit von freigesetzten schadensverursachenden Stoffen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war und sich somit ein latentes, zum Zeitpunkt der Umwelteinwirkung unerkennbares Risiko verwirklicht hat, muß der Emittent haften. Vergleiche zu den gesellschaftspolitischen Dimensionen des Umschaltens von schuldhafter auf bloß faktische Gefährdung: Klöpjer (1988) und insbesondere Priest (1990). 15 Als geradezu klassisch gelten in dieser Hinsicht die Fälle Asbest und Thalidomid. In beiden Fällen kann man nicht von einem (betrieblichen) Störfall sprechen, insofern die gesundheitsbeeinträchtigenden Wirkungen der Stoffe erst nach Markteinführung und auch dann erst im Zuge sich entwickelnder wissenschaftlicher Beobachtungen zu Tage traten. 16 Zum Begriff der Risikotransformation: lupp 1996, 143 f., Schmidt 1997. 17 Das schließt auch Konformität mit dem 'Stand von Wissenschaft und Technik' elll.

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Die Gefährdungshaftung selbst läßt sich als re-entry von Rechtssicherheit und Rechtsunsicherheit, man könnte auch sagen als re-entry von Funktion (Erwartungsstabilisierung) und Leistung (Präventionsanreize ) verstehen. Für die Alternative von modernem und postmodernem Recht kommt es besonders darauf an, auf weIcher Seite der Unterscheidung der re-entry erfolgt, wenn der maßgebliche oder eben unmaßgebliche Bezug auf Erwartungsstabilisierung als Trennkriterium gelten soll.IG Einerseits wird die Erwartung stabil gestellt, daß bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Inbetriebnahme einer als gefährlich geltenden Industrieanlage gleichwohl rechtmäßig ist. Die strategische Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit von zukünftigen Ereignissen abhängig zu machen (Folgenberücksichtigung!), wird nicht realisiert. Andererseits wird Erwartungsunsicherheit in die Gefährdungskonstruktion eingeführt, insofern die mögliche Haftung jenseits von Schuld und Fahrlässigkeit explizit einbezogen wird. Diese Instabilisierung durch nicht-antizipierbare Haftung, also Unrechtmäßigkeit trotz Wahrung aller Sorgfaltspflichten, ist das Resultat der Wiedereinführung der Unterscheidung in sich selbst. Aber auf welcher Seite? Woran kann man überhaupt erkennen, auf welcher Seite, der der Rechtssicherheit oder der der Rechtsunsicherheit, der re-entry erfolgt? Folgende empirisch gestützte Sicht (Japp 1997a) wird zugrunde gelegt: Wenn die Haftungsobergrenzen (und die Beweislastregelungen) für (zumindest die großen) Unternehmen keine kompakte Irritation für die zahlungsorientierte Wirtschaftskommunikation darstellen, wird sich eine 'natürliche', eine endogene Tendenz zu Vertrauen in die Sicherheit der eigenen Produktionsstandards (March 1994: 48) durchsetzen. 19 Niedrigwahrscheinliche Ereignisse unterliegen einer Tendenz zum Vergessen (ibid.). Harte Präventionsstrategien unterbleiben 20 , der re-entry ist auf Rechtssicherheit, auf Funktionserfüllung, nicht auf den Leistungsbezug der präventiven Verhaltenssteuerung hin asymmetrisiert. Haftungs-, Wirtschafts- und Sicherheitskommunikation unterhalten ein zirkulär geschlossenes, gerade kein strategisch 'offenes' Verhältnis. Gegenüber dem Ausgangszustand mögliche Optionen werden eher vernichtet. Wenn umgekehrt die Haftungsgrenzen nach oben hin offen sind (und die Beweislastregelungen betroffenenorientiert), wie im Amerika der 80er Jahre, stellt sich schon eher kompakte Irritation der Wirtschaftskommunikation ein, 18 Wenn man empirisch zeigen könnte, daß re-entries im Technik- und Umweltrecht mehrheitlich zur Leistungsseite tendieren, dann hätte man zwar immer noch nicht den Kompakteintritt postmodernen Rechts, wenigstens aber 'starke' Indikatoren für einschlägige Strukturänderungen. 19 Systemtheoretisch gesehen, bilden rechtliche und Sicherheitskommunikation Umweltausschnitte der Wirtschaftsorganisation, die von jenen irritiert wird - oder eben nicht. 20 Das Ausweichen in 'weiche' Prävention wird dann wahrscheinlich (Power 1997).

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und die 'natürliche' Tendenz zu Vertrauen in die eigenen Produktionsstandards wird sich nicht oder nur vennindert einstellen. Ob diese Konstellation zu präventiven Pfadverlagerungen der Produktionsstandards führt, ist eine offene Frage (Japp 1997a). Empirisch scheinen perverse Effekte in Gestalt von massiver Investitionszurückhaltung (Kleindorfer 1987, Priest 1990) wahrscheinlicher zu sein. Und auch in diesem Fall kommt es zu zirkulär geschlossener Rekursivität der beteiligten rechtlichen, wirtschaftlichen und sicherheits-technischen Kommunikationsfonnen. Strategische 'Offenheit', reflexive 'Interferenz' und prozedurale 'Pluralisierung' von Optionen tauchen nicht auf. Und dies, obwohl der re-entry in diesem Fall, indiziert durch massive Erwartungsunsicherheit, auf die Seite der Rechtsunsicherheit, der Folgenorientierung, hin asymmetrisiert ist. Daraus wäre zu schließen, daß strategische, reflexive oder prozedurale Radikalanpassungen des Rechtssystems in SystemUmwelt-Beziehungen eher unwahrscheinlich sind. Selbst re-entries auf der Seite der Rechtsunsicherheit (der Folgenorientierung) bleiben re-entries und fUhren das Recht, wie gebeutelt auch immer, noch mit, so daß es in Extremfällen (frühe Gefährdungshaftung in den USA) sogar zu einer Art negativer Erwartungssicherheit kommt. 21

V. Anpassung als Risiko Risikotransformation durch Recht ist selbst riskant und wie reflexives, strategisches oder prozedurales Recht hier durch Anpassung des Rechts an seine Risikoumwelt Besserung bringen könnte, ist schwer zu sehen. Die Gefährdungshaftung ist ja schon ein Fall, der den Anforderungen reflexiven Rechts zumindest von den beabsichtigten Wirkungen her entgegenkommt. Gleichwohl: Erwünschte Leistungseffekte bleiben aus, während die Funktion übersteuert wird, indem Leistungseffekte ökologischer Prävention fUr Erwartungsstabilisierung geopfert werden. Man könnte einwenden, daß es hier ja nur um Gefahrdungshaftung geht, so wie man sie bislang kennt, so als ob sie noch eine andere, reflexiv-strategische Zukunft hätte. Das mag sein und man täte dann besser daran, sich auf einen historisch bereits erfolgreichen Anwendungsfall des postmodernen Rechts einzustellen. Dessen Minimalausstattung wäre darin zu sehen, daß gesteigerte Leistungserwartungen befriedigt und gleichzeitig erwartungsstabilisierende Funktionsorientierungen in erheblichem Maße geschwächt werden. Man könnte argumentieren, daß die technische Normung einen solchen Fall darstellt. Viele rechtssoziologische Arbeiten machen sich diese Sicht zu eigen (Hiller 1993, Preuß 1996, Wolf 1987). Man könnte sogar soweit gehen, sie fUr einen Fall von 'Kontextsteuerung' 21 Weitere Beispiele liegen in Rekonditionalisierungen durch Folgenorientierung verunsicherten Rechts (etwa 'Kindeswohl').

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(Teubner/Willke 1984) zu halten, als einer Art Frühform des 'relationalen Rechts' (Willke 1992). Gleichwohl: 'Im SchaUen des Rechts' produzierte Techniknormen reagieren Uedenfalls der hier einschlägigen Literatur zufolge: Voelzkow et al. 1987, Voelzkow 1996) maßgeblich auf rechtlich sanktionierte Erwartungssicherheit staatlicher Intervention im Konfliktfall und realisieren am 'Stand von Wissenschaft und Technik' orientierte Risikosteuerung der Technik. 22 Für dritte Parteien ist dieser erwartungssichemde Effekt noch wesentlich deutlicher. Er besteht in der begründeten Annahme, daß staatliche Instanzen, wie immer unzulänglich, flir Sicherheit und Kompatibilität technischer Produkte sorgen. Allerdings bleibt einerseits auch dieser Fall riskant, insofern die Generalklausel 'Stand von Technik und Wissenschaft' eine Abwägungslogik erzwingt (Ladeur 1983), die jederzeit Leistungserwartungen insbesondere technisch-ökologischer Sicherheit enttäuschen kann. Die Fälle Asbest oder Thalidomid sind Beispiele im Großformat. Ein irgend reflexives Anpassungspotential an eine schwierige Umwelt ist auch in diesem Fall nur schwer zu identifizieren. Zum anderen kommt auch die technische Normung nicht ohne erwartungssichernde Rechtsvorgaben aus. Vielmehr ist es gerade der raffinierte Erzwingungszusammenhang staatlichen Rechts, der als 'shadow of law' zu Steigerungen im Leistungskontext fUhrt (Japp 1997), so daß erneut Effekte eines re-entry von Funktion und Leistung gegeben sind und nicht etwa strategische Folgen eines Ausstiegs aus staatlichem Recht (so aber Wolf 1987). Und selbst wenn man in diesem Fall die Asymmetrisierung des re-entry auf der Seite der Leistung und nicht der Funktion sieht, ist der gesamte Komplex der technischen Normung trotzdem nicht ohne den erwartungsstabilisierenden Beitrag staatlich gestützten Rechts rekonstruierbar. Wenn man in dieser Spur weiter argumentiert, drängt sich die Frage auf, ob sich die unterschiedlichen Auffassungen über angemessenes Risikorecht über die Differenz von Anpassung und Risiko klären lassen. So als ob das moderne Recht eine besondere Risikolast hervorbringt und das postmoderne demgegenüber durch Anpassungsleistungen an eine unbeherrschbare Umwelt überlegen ist. Die Differenz selbst müßte in komplexerer Informationsverarbeitung (Anpassung) einerseits und im Bezug auf riskantes Entscheiden (Risiken des Rechts) andererseits gesehen werden. Das Beispiel der Gefährdungshaftung 22 Der normative Hintergrund dieses Drohpotentials wird in der Ankopplung umweltschutzrelevanter Normungsaktivitäten an den 'Stand der Technik' in den einschlägigen Gesetzen (z.B. § 5Abs. 2 BImSchG oder § 7a WHG, sowie die diversen 'Technischen Anleitungen' zum Schutz der Umweltmedien Luft, Wasser und Boden) sichtbar (vgl. Wolf1987, Umweltrecht 1997). Daß diese Abhängigkeit des Rechts von Technik und Wissenschaft immer wieder kritisiert wird (Maus 1986, Preuß 1996, Wolf 1987), deutet aber gerade auf das unterstellte Potential staatlicher Intervention in welcher Form auch immer - hin: Die Kritik macht - paradoxerweise (!) - nur Sinn vor dem Hintergrund stabiler Erwartungen im Hinblick auf immer mögliche staatliche Intervention oder' Übernahme' (Japp 1997).

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zeigt, daß Rechtsänderung riskant ist und nicht unbedingt adaptiv im Sinne kontrollierter Folgen, die eine Verbesserung von System-Umwelt-Beziehungen ermöglichen. Die Abwägungslogik im Beispiel der technischen Normung zeigt, daß das Recht selbst riskant ist, auch wenn die Normung als Gesamtstruktur einen Anpassungsvorteil gegenüber einem Zustand ohne Normung produziert. Jeweils wird die Riskanz durch Entscheidungsabhängigkeit von Strukturänderung oder Strukturdurchsetzung generiert. Im Fall der Gefährdungshaftung tendiert die Entwicklung bis dato eher zu weichen Präventionsformen wie Audits oder Umweltverträglichkeitsprüfungen (Power 1997), ohne daß die haftungsrechtlich ins Auge ge faßten 'harten' (Entwicklungs-) Risiken die erwarteten Struktureffekte generiert hätten. 23 Im FaIl der technischen Normung dominieren bislang soziale Schließungsregeln (Voelzkow et al. 1987), die prozeduralen Pluralisierungsanforderungen massiv entgegenstehen. Es gibt außerdem massive Ungleichgewichte zugunsten wirtschaftlicher Anschlußzwänge (Hiller 1993, 116 ff.), die ebenfalls prozeduralen Anforderungen an Optionserhaltung zuwiderlaufen. Offenbar geht es jeweils um Bewältigung von Intransparenz und weniger um raffinierte Strategien der Anpassung an turbulente Umwelten. Unter diesen Bedingungen kann die Unterstellung von mehr Anpassungsrationalität durch postmodernes Recht eigentlich nur Resultat einer normativen Optimieroptik sein. Jedenfalls scheint es mehr als unplausibel, daß das moderne Recht als riskant und das postmoderne demgegenüber als adaptiv einzuschätzen sei (etwa Willke 1992). Dort, wo es sich in Ansätzen durchsetzt, sind es eben nur Ansätze, insofern die Beschränkungen des etablierten Rechtssystems gar nicht mehr zulassen. Wo es dagegen in der Gestalt von Verhandlungssystemen, spezieIl etwa Mediation, mehr oder minder aus den Zwängen des geltenden Rechts entlassen wird 24 , stößt man auf einen Typ kontingenzbelasteter Entscheidungsrationalität, der potentiell oder aktuell zu Paralysen der Entscheidungsfähigkeit führt (Japp 1996, 85 f.). Strukturell analog läuft das Argument von der rekursiven 'Gegenrnacht' des Publikums auf doppelte Kontingenz hinaus (Luhmann 1981). Dieser jederzeit mögliche Fall wird durch hierarchiefähiges Recht (Treutner 1986fl994), durchsetzungsfähige Interessen (Latzke 1990) oder partizipationsbedingte Effizienzeinbußen (Wiesenthai 1990) latent gehal-

23 Möglicherweise sind es dann aber gerade die 'weichen' Strukturänderungen, die nur zu wenig beachtet werden. 24 Zumindest scheinen Teubner und Willke dieser Meinung zu sein, wenn 'Kontextsteuerung' und 'Relationierung' immer wieder am Beispiel von Verhandlungssystemen durchexerziert werden (Teubner/Wi/lke 1984, Willke 1992). Und in der Tat läßt sich zeigen, daß in Verhandlungssystemen gelernt wird (Vollmer 1997). Die Beteiligten ändern ihre Präferenzen. Aber ob dieses Lernen in 'offene Horizonte' oder nur in 'unsichere Sicherheiten' hineinführt, die zumindest temporäre Stabilisierungen erlauben (re-entries), ist damit längst nicht festgelegt.

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ten. 25 Dies geschieht antizipativ oder reaktiv, und man kann durchaus zugestehen, daß eine rechtlich gebundene Verwaltung in dem Maße dazulernt, wie sie eine Akzeptanzorientierung und keineswegs eine strikte Rechtsorientierung verfolgt (Vollmer 1997). Sie wird dann etwa Sanierungsabsprachen der rechtlich möglichen, aber kontraproduktiven Erzwingung von Sicherheitsauflagen vorziehen. Alles in allem ist aber auch in diesen ja seit langem bekannten Fällen nicht zu sehen, inwiefern etwas anderes als Stabilisierung der Verwaltungssysteme durch Verzicht auf strikte Implementation oder eben 'brauchbare Illegalität' vorliegt. Solange die Fälle eines Wiedereintritts der Differenz von Recht und Unrecht auf der Seite des Unrechts, 'unbrauchbare Illegalität' aus der Sicht des bestehenden Rechts, nicht Überhand nehmen, und dies wird ja auch im Umkreis des postmodernen Rechts gerade nicht behauptet, besteht wenig Anlaß, die funktionale Identität des bestehenden Rechts für eine anachronistische Selbstbeschreibung zu halten, die durch evolutionär signifikante Anpassungsprozesse überwunden sei. In jedem Fall kann nicht von einem zum Risiko gewordenen Recht und einem besser angepassten Recht der Postmoderne gesprochen werden. Es kann in beiden Fällen nur von entscheidungsbedingten Anpassungsrisiken die Rede sein. Im Fall des bestehenden Rechts liegen sie in der Logik evolutionärinkrementaler Strukturänderungen, also in Rationalitätsdefiziten, und im andern in einer Art 'Gesamtplanung aufgrund neuer Prinzipien' (Luhmann 1993,562), also in Rationalitätsüberschüssen. Dazwischen liegt das, was man nie zu sehen bekommt, weil es sich notorisch hinter das jeweils Erreichte zurückzieht.

VI. Gesellschaft Aus gesellschaftlicher Perspektive gesehen sind 'brauchbare Illegalität' oder 'Akzeptanzorientierung' der staatlichen Verwaltung Formen system ischer Irritationsverarbeitung. Risikoregulierung funktioniert in einem Kontext von strukturellen Kopplungen zwischen (zumindest) Politik, Recht, Wirtschaft und Wissenschaft, die immer schon angepaßt sind, sonst gäbe es keine Evolution (Luhmann 1997, 431 ff.). Diese arbeitet nicht mit Anpassungsoptimierungen sondern mit Irritation, deren Effekte selbst unsteuerbar sind, soweit autopoietisch geschlossene Systeme betroffen sind. Man kann sich deshalb vorstellen, daß die ökologisch-präventive Selbststeuerung von Wirtschaftsorganisationen durch andere 'Einstellungen' solcher strukturellen Kopplungen

25 Offe (1974) hat dies schon früh als Rationalitätsfalle der Administration bezeichnet.

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irritiert wird und in andere - gesellschaftlich erwünschte 26 - Bahnen einschwenkt (nicht: gelenkt wird). Wenn man sich dabei auf den ökologischen Haftungsrahmen konzentriert, scheinen drei Konstellationen größere Auftrittswahrscheinlichkeit zu haben. Wenn gemäß der Teubnerschen Regulierungstrias (1985) eine Dreiteilung von möglichen Effekten struktureller Kopplungen zugrunde gelegt wird, nämlich Desorganisation, Indifferenz und positive Selbstorganisation, läuft der amerikanische Fall auf Desorganisation und der deutsche Fall auf Indifferenz hinaus. Die amerikanischen Verhältnisse der achtziger Jahre (Priest 1990, Kleindorfer 1987) sind vor allem durch unbegrenzte Haftung bestimmt. Von den Problemen der Versicherungsunternehmen einmal abgesehen, fuhrt diese Zentralkondition zu unerwünscht hoher Risikoaversion mit teilweise dramatischen Produktions- und Innovationseinbrüchen (vg!. vor allem Priest 1990). Demgegenüber wirkt die gegenwärtige Situation in Deutschland so, als ob Politik und Recht von den amerikanischen Verhältnissen gelernt hätten: Haftungsobergrenzen von max. jeweils 160 Millionen DM (für Personen- und Sachschäden) bewirken selbst bei relativer Unterversicherung (20 Mil!.) - zumindest bei den Großunternehmen der ehern ieindustrie - keine substantiellen Präventionsanreize. 27 Wenn die Politik mehr, aber nicht 'zuviel' erreichen wollte, was könnte sie dann tun? Offensichtlich könnte sie allein schon wegen des endemischen ökologischen Nichtwissens und ganz abgesehen von mangelndem Steuerungswissen keinen Haftungsrahmen entwerfen, der im Rechtssystem akzeptiert und im Wirtschaftssystem zu positiver Selbstorganisation führen würde. Die Trias von Haftungsrecht, industrieller Produktion und Versicherungswirtschaft kann nicht von einem System aus zu passender Interferenz, zu relationaler Abstimmung oder zu prozedural stabilisierter Optionsvennehrung gebracht werden. Soviel Anpassungsrationalität steht weder der Politik noch dem Recht zur Verfugung. Es bleibt nur die Option des Ausstiegs aus der Sachdimension 'einzig richtiger Konzepte' und des Einstiegs in die Zeitdimension der auf Revidierbarkeit bedachten Nachsteuerungsoptionen. 28 Das

26 Wie immer problematisch dies nun wieder bewertet werden mag. Aber wenn die Politik über das 'Recht der Gesellschaft' (Luhmann 1993) ökologische Prävention zu steuern versucht, dann ist die Frage nach Möglichkeiten des Nachsteuerns auf jeden Fall erwartbar. 27 Es wird also ohne weitere Begründung unterstellt, daß es operative Umsetzungsmöglichkeiten solcher Anreize gibt, obwohl man nicht wissen kann, woraufhin genau präveniert wird. Es würde sich in jedem Fall eher um einen Suchprozess (nach Problemen) als um einen Anwendungsprozeß (von Lösungen) handeln. Man kann auch sagen, daß es sich um die Spezifikation von ökologischem Nichtwissen handeln würde (Japp 1997b). 28 Anstelle von Prävention also zunächst Risiko. Vergleiche zu dieser Notwendigkeit: Kirsch (1988), aber auch Ladeur (1995, pass.). Diese Form von 'Proze-

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hieße für den Fall der Gefahrdungshaftung, Haftungsobergrenzen (und spezielle Beweislastregelungen) nicht etwa abzuschaffen, aber sie anzuziehen und abzuwarten, was passiert. Zwischen dem Verzicht auf Obergrenzen und (offenbar) zu niedrigen Obergrenzen könnte noch reichlich Experimentiermaterial für Variation liegen. Dies gilt um so mehr, wenn man die ebenfalls konservative Konstruktion der Beweislasterleichterungen hinzunimmt. Mit Anpassung, geschweige denn Rationalität, hat man es dann allerdings immer noch nicht zu tun. Ob Variationen angenommen und dann auch noch stabilisiert werden, bleibt ungewiß, mithin ein Risiko. Zu diesen Unsicherheiten kommt hinzu, daß die Politik in ihren operativen Möglichkeiten ebenfalls davon abhängig ist, wieviel Vertrauen sie etwa bei ihrem Publikum generieren oder auch verlieren kann. Sie kann deshalb schon aus politischen Gründen das (Umwelt-) Recht nicht beliebig (oft) ändern. Sie bleibt an die Evolution politischer Risikolagen gebunden (Japp 1996, 140 ff.). Und ebenso das Recht: Durch Variation von Haftungsobergrenzen würde es sich nicht etwa besser anpassen, außer an intern generierte Informationen. Die Hochstufung von Leistungskomponenten führt nicht automatisch zu verbesserter Anpassung, sondern in neue Risiken des Rechts, sei es, daß es sich einfach nur ändert (' Änderungsrisiken '), sei es, daß es sich folgenreich ändert (Risiken der 'Verrechtlichung').29 In dieser Hinsicht ist das Recht zwangsweise 'strategisch'. Aber alles zusammen genommen, scheint reflexives, strategisches oder prozedurales Recht einer Utopie der Anpassungsfahigkeit des Rechtssystems aufzusitzen und die Risiken der Entscheidungsabhängigkeit aller Anpassung zu gering zu bewerten. Letztlich ist es die evolutionärinkrementale Strukturänderung des Rechts im operativen, re-entries einschließenden, Kontext der Differenz von Funktion und Leistung, mit Hilfe derer sich das Rechtssystem die Beobachtung der Gesellschaft unter Risikogesichtspunkten ermöglicht. Insofern lernt auch das Recht, aber begrenzt innerhalb seiner Möglichkeiten. Eine "Entgrenzung des Lernens" wäre viel zu riskant: Der Kontakt zur immer auch nötigen Operation des Rechts könnte abreißen, wenn es begänne, außerhalb seiner Möglichkeiten zu lernen.

duralisierung' (eigentlich: Temporalisierung) ist mithin als unproblematisch zu bewerten. 29 "Im system theoretischen Design ersetzt die Formel Risiko die Formel Anpassung, und dies auf der Ebene des Gesamtsystems der Gesellschaft wie auch auf der Ebene ihrer Funktionssysteme" (Luhmann 1993, 561).

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Von rechtlicher Risikovorsorge zu politischer Planung Begründungen für Innovationskontrollen in einer partizipativen Technikfolgenabschätzung zu gentechnisch erzeugten herbizidresistenten Pflanzen Von Wolfgang van den Daele

EinleitungMein Thema sind wechselnde Begründungen für die Forderung nach politischer Kontrolle der Technikentwicklung. Mein Beispielfeld ist die Auseinandersetzung über die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in die Umwelt. Diese Auseinandersetzung, die im deutschsprachigen Raum mit besonderer Intensität geführt wird, betrifft in gewissem Sinne eher die Deregulierung als die Regulierung der Gentechnik. Noch vor zwanzig Jahren war ein striktes vorsorgliches Freisetzungsverbot weitgehend unstrittig. Das Verbot erschien notwendig, um der Neuheit der Gentechnik und der Besorgnis vor unbekannten, nicht vorhersehbaren Risiken Rechnung zu tragen. Jeder Schritt in Richtung Freisetzung ist daher ein Rückzug von einer ursprünglich einmal bezogenen Position radikaler Vorsicht und muß als Deregulierung gerechtfertigt werden. Das garantiert politische Sichtbarkeit und Auseinandersetzung. Man kann also erwarten, daß in diesem Fall die möglichen Begründungen für die staatliche Kontrolle neuer Technik, insbesondere die Reichweite des Vorsorgeprinzips, klar expliziert werden müssen. Wir haben im Rahmen einer partizipativen Technikfolgenabschätzung (TA) zu gentechnisch erzeugten (= transgenen) herbizidresistenten Kulturpflanzen einen Dialog "am Runden Tisch" inszeniert, in dem sich Gegner und Befürworter diskursiv (argumentativ) über diese Begründungen auseinandergesetzt haben. Die Argumentationen der Beteiligten reproduzierten die in der Öffentlichkeit zu beobachtende Dramatisierung der Forderung nach Risikovorsorge. Sie führten jedoch darüber hinaus. Die Diskussion am Runden Tisch

• Ich danke Katharina Holzinger, Max-PIanck-Projektgruppe Recht der Gemeinschaftsgüter, Bann, für ausführliche Kritik und wertvolle Hinweise.

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trieb die Begründungen durch eine Stufenfolge, die sich folgendennaßen kennzeichnen läßt (van den Daele et al. 1996, 253 ff.; van den Daele 1997): • von erkennbaren Risiken mit absehbaren Folgen zu unbekannten (hypothetischen) Risiken mit unabsehbaren Folgen • von der Analyse der Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen zum Risikovergleich mit konventionell gezüchteten Pflanzen • von der Begründung des Risikoverdachts zur Umkehr der Beweislast für die Sicherheit neuer Technik • und von Risikovorsorge zur Prüfung des gesellschaftlichen Bedarfs. Die Logik dieses Argumentationsgangs macht zweierlei deutlich: Zum einen reproduziert der Diskurs die in das Rechtskonzept der Risikovorsorge eingebauten Kriterien und Schranken. Er wirkt damit der politischen Aufwertung des Vorsorgeprinzips zu einer Generalermächtigung von beliebigen staatlichen Eingriffen in die Technikentwicklung entgegen. Zum anderen läßt sich ein Freisetzungsverbot zum Schutz vor unbekannten Risiken durch GVOs im Rahmen des Rechtskonzepts der Vorsorge auf Dauer nicht verteidigen. Im Gegenteil: Der Anschluß an dieses Vorsorgekonzept legitimiert die schrittweise Deregulierung der Gentechnik. Ein grundsätzliches Freisetzungsverbot kann nur noch begründet werden, wenn man zu Planungskonzepten übergeht, mit denen die technologische Dynamik der Gesellschaft umfassend unter politische Regie gestellt wird. Diese Thesen sollen im folgenden an sechs Punkten erläutert werden: I. Risikovergleiche sind unabweisbar und setzen Regulierungen unter Konsistenzdruck. 2. Kausalitätsnachweise lassen sich nicht beliebig verdünnen. 3. Die Umkehr der Beweislast fur unbekannte Risiken ist kein praktikables Regulierungsprinzip. 4. Politisch definierte Umweltqualitätsziele können tionen nicht ersetzen.

Schädlichk~itsdefini­

5. Risiko-Nutzen-Abwägungen lassen sich nicht zu Bedürfnisprüfungen erweitern. 6. Die Bewirtschaftung knapper Ressourcen erlaubt keine allgemeine Innovationskontrolle.

1. Risikovergleiche und Vorsorgekonzept Die frühen Gen-Richtlinien gingen davon aus, daß die bloße Neuheit der Gentechnik ein Risikoindikator ist, der vorsorgliche Verbote rechtfertigt. Sie

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verfügten für die Forschung mit GVOs im Labor ähnlich strikte Auflagen wie für den Umgang mit hochgiftigen oder pathogenen Agentien und schlossen jede Freisetzung kategorisch aus. In dieser Regulierung wird vielfach ein Modell für die konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips gesehen, weil sie den Schritt von der reaktiven zur proaktiven Kontrolle vollzieht (Tait/Levidow 1992,223): der generalisierte Risikoverdacht gegen neue Technik ist nicht mehr nur Anlaß, die Technik zu beobachten und einzugreifen, sobald sich Risiken real abzeichnen, sondern ein Grund, die Verwendung der neuen Technik überhaupt zu minimieren. Diese Einschätzung übersieht jedoch, daß die frühen proaktiven Regulierungen der Gentechnik den Charakter eines Moratoriums trugen. Das strikte Freisetzungsverbot rur GVOs galt "for the present", und eine Revision wurde in Aussicht gestellt, "when scientific evidence becomes available that the potential benefits of recombinant organisms, particularly for agriculture, are about to be realized" (NIH 1976). Gerechtfertigt wurde das Moratorium mit der Neuheit der Gentechnik und dem daraus resultierenden unzureichenden Kenntnisstand, insbesondere der Ungewißheit über die möglichen Folgen von GVOs. Nach zwanzig Jahren hat sich die Indikatorwirkung der Neuheit abgenutzt. Da sich bislang keine Hinweise auf besondere, neuartige Risiken der Gentechnik gezeigt haben, geraten Beschränkungen, die der Besorgnis vor solchen Risiken Rechnung tragen, unter Druck. Das entspricht dem nach deutschem Verfassungsrecht geltenden Prinzip des dynamischen Rechtsschutzes unter Unsicherheit: Bei wachsender Kenntnis kann eine bestehende Regelung unzureichend werden, weil sich neue Risikohinweise ergeben, sie kann aber auch in unzulässiges Übennaß umschlagen, weil Hinweise auf die befürchteten Risiken dauerhaft ausbleiben (Wahl/Appel 1995,139; Vitzthum 1994,340). Die Abkehr vom Moratorium beginnt, indem man gewissermaßen die Beweislast für die unbekannten Risiken der Gentechnik wieder zu denjenigen zurückschiebt, die solche Risiken behaupten (Sibatani 1986,47). Damit tritt an die Stelle des generalisierten Risikoverdachts, der keiner weiteren Begründung bedarf, die Einzelfallprüfung, bei der das Risiko nachzuweisen, bzw. der Risikoverdacht zu begründen ist. Gleichzeitig rückt man von der Prämisse (der unwiderlegbaren Vennutung) ab, daß die Gentechnik schon deshalb, weil sie neu ist, definitionsgemäß mit keiner bisher bekannten Technik verglichen werden könne. Die Regulierungswende wird mit der Zunahme wissenschaftlicher Erkenntnis und praktischer Erfahrung im Umgang mit GVOs begründet. Ob man inzwischen tatsächlich genug weiß, um das Moratorium zu beenden, ist allerdings nicht eine wissenschaftliche Erkenntnis, sondern eine politische Einschätzung - und wird eben deshalb umstritten bleiben. Aber es geht hier doch nur um eine ziemlich moderate Neubewertung. Denn es wird ja keineswegs der Gentechnik eine pauschale Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt, sondern lediglich die Unterstellung besonderer Risiken durch die Prüjimg besonderer Risiken ersetzt. Sicher kann man zu jedem Zeitpunkt darüber

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streiten, ob es nicht zu früh ist, diesen Schritt zu tun. Daß man sich ihm nicht auf Dauer entziehen kann, dürfte jedoch unbestreitbar sein. Das Argument, daß die Gentechnik schon deshalb als gefährlich zu gelten hat, weil sie neu ist, muß sich durch Zeitablauf verbrauchen. Wenn nicht heute, würde man sich eben in fünf oder zehn Jahren der Frage stellen müssen, worin denn die Besonderheit gentechnisch veränderter Organismen bestehe, die ihre besondere Gefährlichkeit begründen soll, und warum bei ihnen mit anderen Risiken und Unsicherheiten zu rechnen sein soll als bei den Organismen, die mit den bisher an gewandten konventionellen Techniken erzeugt worden sind. Läßt man aber diesen Vergleich einmal zu, setzt man einen Zug zur Relativierung in Gang, der kaum zu bremsen ist. Der Vergleich legitimiert nämlich in diesem Fall den Vergleich. Er macht deutlich, wie ähnlich (vergleichbar) gentechnisch hergestellte und konventionell gezüchtete Pflanzen tatsächlich sind. Die Argumentationen in unserem TA-Verfahren haben, ebenso wie weltweit zahlreiche andere Studien gezeigt, daß man zu den Problemen, die bei gentechnisch veränderten Pflanzen empirisch auftreten oder theoretisch antizipierbar sind, Äquivalente aus der konventionellen Pflanzenzüchtung kennt. Insoweit tendiert der Vergleich dazu, die erkennbaren, beschreibbaren Risiken transgener Pflanzen zu "normalisieren". Aber nicht nur das; der Vergleich normalisiert auch die mit der Neuheit dieser Pflanzen verknüpften Ungewißheiten und Unwägbarkeiten, denn auch die Einftihrung neuer konventionell gezüchteter Pflanzen sorten bleibt immer ein Schritt ins Ungewisse - mit unvorhersehbaren Nebeneffekten, nicht bestimmbaren Langzeitwirkungen, Prognose- und Testgrenzen. I Risikovergleiche setzen Risikobewertungen unter Konsistenzdruck. Freilich darf man nicht dem Irrtum erliegen, daß Risiken, die rein quantitativ äquivalent sind, gemessen durch das Produkt von Schadensgröße x Eintrittswahrscheinlichkeit, schon deshalb auch als gleich akzeptabel oder inakzeptabel zu gelten haben. Die psychologische Risikoforschung hat gezeigt, daß freiwillig eingegangene Risiken in höherem Maße akzeptiert werden als Risiken, die einem von anderen auferlegt werden, und daß SchadensPQtentiale, die sich über längere Zeiträume zu einer bestimmten Größe aufsummieren, weniger bedrohlich erscheinen als Schäden derselben Größenordnung, die kataI Um Mißverständnissen vorzubeugen: "Normale Risiken" heißt nicht: "keine Risiken". Transgene Pflanzen können (ebenso wie konventionell gezüchtete) durchaus ökologisch riskant sein. Das Risiko hängt vom verwendeten Genkonstrukt und dem dadurch erzeugten Phänotyp der Pflanze ab. Und wenn man bestimmte Phänotypen nur mit Hilfe der Gentechnik erzeugen kann, so sind die von solchen Pflanzen ausgehenden Risiken eben detinitionsgemäß auch gentechnikspezifisch. Es bleibt also in jedem Einzelfall zu prüfen, ob Regulierungsbedarf besteht. Was entfallt, ist die Prämisse, daß Organismen schon deshalb. weil sie gentechnisch verändert sind, als besonders riskant gelten müssen.

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strophenartig auf einen Schlag hereinbrechen, falls das Risiko sich realisiert (vgl. Jungermann/Slovic 1993). Solche Unterschiede wird man auch bei rechtlicher Regulierung berücksichtigen dürfen. Sie spielen jedoch für den Vergleich transgener und nicht transgener Pflanzen erkennbar keine Rolle etwa wenn man die Risiken gentechnisch hergestellter und konventionell gezüchteter Kartoffelsorten vergleicht, die von Saatgutfinnen neu auf den Markt gebracht werden. Konsistenzdruck entsteht, sobald die Gentechnik nicht mehr als ein schlechthin unvergleichbarer Sonderfall gilt. Dann kann eine Regulierung nicht länger ad hoc mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, daß Gentechnik eben eingeschränkt werden müsse. Vielmehr muß man auf Begründungen rekurrieren, die sich als allgemeine Regel verteidigen lassen, also auch auf andere Fälle anwendbar sind und dort ebenfalls zu akzeptablen Ergebnissen fuhren. Mit der Berufung auf das Vorsorgeprinzip kommt eine solche Regel ins Spiel. Normen der Risikovorsorge gelten nicht nur für die Gentechnik, sondern fur den Umgang mit Technik überhaupt. Begründung durch Rekurs auf Regeln (und Regelbildung) entspricht der Rationalität des Rechts und der argumentativen Logik eines Diskurses. Man kommt daher sowohl im Recht, wie im Diskurs in Argumentationsnöte, wenn man das Verbot transgener Pflanzen mit einer Regel begründet, die an sich auf konventionelle Pflanzen ebenso anwendbar ist, bei diesen aber nicht angewandt werden kann, weil sie jeder Form von Pflanzenzüchtung den Garaus machen würde. Nun wird man nicht schlechthin Konsistenz zwischen allen in einer Gesellschaft geltenden Regulierungen verlangen dürfen. Im Interesse politischer Konfliktlösung kann es bisweilen opportun sein, Wertungswidersprüche hinzunehmen. Je stärker aber solche Wertungen unter systematischen Begründungszwang gesetzt werden - sei es durch Anschluß an das bisherige Recht und durch juristisch-dogmatische Verarbeitung, sei es durch diskursive Argumentation in der politischen Öffentlichkeit - um so anstößiger werden Inkonsistenzen. 2 Gleichmäßige Rechtsanwendung ist ein Prinzip des Rechtsstaats und ein elementares Gebot der Gerechtigkeit. Im TA-Verfahren wurde das Konsistenzgebot implizit auch von den Kritikern der Gentechnik anerkannt; sie räumten gelegentlich ein, daß die von ihnen geforderte schärfere 2 Sobald eine Regulierung in Grundrechte eingreift, können Inkonsistenzen auch unter Gleichheitsgesichtspunkten problematisch werden. Allerdings gibt es Spielräume für die unterschiedliche Regulierung neuer und alter Technik. Es ist sicher zulässig, eine neue Technik, einfach weil sie neu ist, mit zusätzlichen Sicherheitsauflagen der Prüfung und Überwachung zu belegen, die nicht auf ein vollständiges Verbot hinauslaufen (Murswiek 1990, 218). Ebenso können aus pragmatischen Gründen Kontrollen, die an sich allgemein für notwendig gehalten werden, zunächst nur für neue Technik in Kraft gesetzt werden; entsprechend differenziert etwa das Chemikaliengesetz bei der Kontrolle alter und neuer Stoffe.

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Kontrolle transgener Pflanzen dann eben auch auf konventionelle Neuzüchtungen ausgedehnt werden müsse.

2. Kausalitätsnachweise, Indikatoren für Schadenseignung Soll die Kontrolle neuer Technik im Rahmen der Risikovorsorge begründet werden, muß der Technik die Möglichkeit schädlicher Folgen filr geschützte Rechtsgüter zugerechnet werden können. Dazu ist ein Rekurs auf Kausalität unverzichtbar. Die Anforderungen an den Kausalitätsnachweis können auf den begründeten Risikoverdacht reduziert werden, aber sie können nicht auf Null gesetzt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Bereich des Immissionsschutzes (Luftverschmutzung) einen Gefahrenverdacht bejaht, wenn "hinreichende Gründe für die Annahme bestehen, daß Immissionen möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen ( ... ) - auch wenn sich entsprechende Umwelteinwirkungen im einzelnen noch nicht eindeutig feststellen lassen". 3 Zum Atomrecht (Strahlenbelastung) hat das Gericht die Anforderungen weiter abgeschwächt. Es genügen Schadensmöglichkeiten, "die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können".4 Diese zweite Formel scheint die Schleusen zu öffnen. Wenn es tatsächlich ausreicht, daß ein Risiko denkbar ist oder (wie die Kritiker der Gentechnik in unserem TA-Verfahren formuliert haben) ,jedenfalls theoretisch auch nicht ausgeschlossen werden kann", explodieren die Vorsorgepflichten. Das Gericht hat versucht, dem vorzubauen. Es akzeptiert einerseits, daß Schadenswahrscheinlichkeiten aus bloß theoretischen Überlegungen und Berechnungen abgeleitet werden (315), erkennt aber andererseits eine Risikobehauptung, die der herrschenden Meinung in der Wissenschaft widerspricht, aber "aufgrund des historisch gegebenen experimentellen und theoretischen Erkenntnisstandes" auch nicht zu falsifizieren ist, nicht als hinreichende Begründung für einen Risikoverdacht an (318). Das Gericht argumentiert eher politisch-pragmatisch: Die Frage, ob die erforderliche Vorsorge getroffen sei, würde sich andernfalls auf die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines wissenschaftlichen Streits reduzieren; "das läuft letztlich darauf hinaus, aus dem ständigen Dialog, auf dem der wissenschaftliche Prozeß beruht, die Unzu lässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie herzuleiten". 5 Der ver-

3 Urteil vom 17.2.1984 (Heizkraftwerk), Entscheidungen 69, 37 (43) (Hervorhebung im Original). 4 Urteil vom 19.12.1985 (Wyhl), Entscheidungen 72, 300 (315). \ Ebenda 318; ebenso Urteil vom 13.7.1989, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1989,1169.

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allgemeinerungsfähige Gesichtspunkt dürfte sein, daß eine nicht widerlegbare (logische) Denkbarkeit eben noch keine theoretische Begründung ist. Vorsorgekonzepte zum Rechtsgüterschutz müssen auf Besorgnispotential setzen, nicht einfach nur auf Besorgnis. Angst in der Bevölkerung kann ein hinreichendes Motiv für eine politische Reaktion sein, sie ist keine hinreichende Begründung für einen erheblichen Risikoverdacht. Auf eine, wenn auch in den Anforderungen reduzierte, aber doch kontrollierte und selektive Zuschreibung von "Schadenseignung" wird man nicht verzichten können. 6 Dafür sind wissenschaftsphilosophische Reflexionen, die das Kausalitätskonzept prinzipiell relativieren oder implizieren, daß alles aus allem folgen könnte, erkennbar irrelevant - sie sind im Rahmen unseres TA-Verfahrens auch nie thematisiert worden (dazu van den Daele 1996). Ebensowenig tragfähig sind Argumente, die unterschiedslos immer gelten, etwa daß die Wahrnehmung von Schadensmöglichkeiten vom Stand des Wissens abhängt, und was heute als harmlos gilt, sich morgen als gefährlich erweisen kann. 7 Auch in den Diskussionen unserer Technikfolgenabschätzung waren die Grenzen für eine Begründung des Risikoverdachts immer dann erreicht, wenn die Kausalitätsanforderungen so weit reduziert wurden, daß man einwenden konnte: "Das kann man immer sagen!" Dazu zwei Beispiele. Das erste Beispiel betrifft das Argument der "besonderen Qualität" gentechnischer Eingriffe. Das Argument bestreitet die Vergleichbarkeit transgener und konventionell gezüchteter Pflanzen. Nach der Ausage eines Kritikers in unserem TA-Verfahren: "Es gibt einfach Unterschiede auf der molekularen Ebene, (in dem) was man macht, daraus kommen auch ganz andere Ergebnisse, die sind grundsätzlich anders .. (als) was bei einer nicht-transgenen Pflanze passieren kann" (K211-969). Insbesondere wurde geltend gemacht, daß gentechnische Eingriffe, weil es keinen natürlichen Ort für die Integration von Transgenen gebe, Kontextstörungen im Genom der Empfängerpflanze auslösten, die zu unerwarteten Eigenschaftsänderungen führen könnten. Dieser Be6 Vgl. auch Schmidt 1994,753: für die Vorsorge als Rechtsprinzip müsse ein "wenn auch rudimentärer Gefahrenbezug" hergestellt werden. Den sehen BenderiSparwasser 1990, Nr. 315 offenbar für gegeben, wenn sie die bloße "Besorgnis" vor bisher noch unbekannten schädlichen Wirkungen für ausreichend halten. In der 3. Auflage ihres Lehrbuchs verlangen BenderiSparwasseriEngel (1995, 353) wieder, daß ein "Besorgnispotential" festgestellt wird. 7 Konsequenterweise hat es daher das Verwaltungsgericht Hannover abgelehnt, bei der Beurteilung des Risikopotentials von Getreidestaub als Argument zu berücksichtigen "auch bei Dioxinen sei noch vor wenigen .Iahren das Risikopotential nicht gesehen worden". Zwar diene das Vorsorgegebot auch dem Ziel, bisher nicht bekannte Restrisiken zu vermeiden, das rechtfertige aber nicht, das Gefährdungspotential gänzlich außer Betracht zu lassen, siehe Feldhaus 1998 , Nr. 38 zu § 5 Bundesimmissionsschutzgesetz (Urteil vom 6.2.1991).

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gründung wurde im Verfahren ebenfalls durch Vergleich der Boden entzogen. Kontextstörungen und die möglichen Nebenfolgen gibt es nicht nur bei transgenen, sondern auch bei konventionell gezüchteten Pflanzen. Im Gegenzug wurde nun eingewandt, es sei allenfalls gezeigt, daß beim gegenwärtigen Stand des Wissens besondere Kontextstörungen durch gentechnische Eingriffe nicht erkennbar seien. Das beweise aber nicht, daß es sie nicht gebe, sie seien jedenfalls auch nicht auszuschließen. Damit hatten die Kritiker die Berufung auf eine feststellbare Tatsache (Es gibt besondere Kontextstörungen) durch die Berufung auf die Denkmöglichkeit einer Tatsache ersetzt (Besondere Kontextstörungen sind theoretisch nicht auszuschließen). Dies war schließlich die Rückzugsposition der Kritiker im TA-Verfahren. Sie ist unwiderlegbar, verzichtet jedoch im Ergebnis darauf, den Verdacht der besonderen Risiken transgener Pflanzen überhaupt noch zu begründen. Risikoverdacht ohne Begründung aber ist gratis, er läßt sich jederzeit gegen alles erheben. Das kann man immer sagen! Risikoannahmen (Besorgnispotentiale), die allein dadurch gekennzeichnet sind, daß man sie nicht ausschließen kann, sollte man als spekulativ, nicht als hypothetisch einstufen. Wenn man weder empirische Anhaltspunkte noch ein theoretisches Modell dafür anzugeben braucht, worin der mögliche Schaden besteht und über welche Mechanismen es zu ihm kommen könnte, fehlt das Minimum an Begründungspflicht, das Hypothesen von beliebigen Behauptungen trennt. Daß transgene Kulturpflanzen durch Auskreuzung verwildern und sich in naturnahen Ökosystemen etablieren können, ist eine Hypothese. Man weiß, daß so etwas im Prinzip möglich ist und unter geeigneten Randbedingungen passieren wird. 8 Daß die verwilderten Pflanzen sich in der Natur monokulturartig ausbreiten und das Ökosystem zum Zusammenbruch bringen können, kann man nur annehmen, wenn man Ereignisse und Mechanismen postuliert, für die es bisher kein Beispiel gibt. So etwas ist eine Spekulation. Bloße Spekulation war auch das Gedankenexperiment im TA-Verfahren, daß transgene Pflanzen auf neuartige Weise die Bodenmikroflora verändern könnten, was wiederum .die evolutionäre Abstimmung zwischen den Organismenreichen der Bakterien und der Pflanzen insgesamt verschieben und letztlich die Zusammensetzung der Erdatmosphäre und das Klima beeinflussen könnte. Das Gedankenexperiment zeigte nur eines, nämlich daß man ohne weiteres einen katastrophalen Schaden konstruieren kann, wenn man Denk8 Gentechnisch übertragene Herbizidresistenz kann durch Auskreuzung von den Kulturpflanzen an verwandte Wildpflanzen (oder Unkräuter) weitergegeben werden, sofern diese im Anbaugebiet vorkommen. Das ist bei transgenem Raps kürzlich nachgewiesen worden (Mikkelsen et al. 1996). Gene, die von der Paranuß auf Sojapflanzen übertragen werden, können zugleich das allergene Potential der Paranuß mitübertragen (Nordlee et al. 1996).

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möglichkeit auf Denkmöglichkeit häufen darf, ohne Mechanismen angeben zu müssen, die verstehbar machen, warum das, was man sich denken kann, unter geeigneten Umständen auch tatsächlich passieren wird. Spekulative worstcase-Szenarien kann man sich immer ausdenken; sie sind für die Beurteilung des maximal möglichen Schadens unbrauchbar. Ganz ganz anders liegt der Fall bei der Kernenergie; dort sind die Kausalitäten bekannt, die zu einem katastrophalen Schaden führen, wenn man bestimmte Ausgangsbedingungen (z.B. den dauerhaften Ausfall aller Kühlsysteme) unterstellt. Hypothetisch ist nicht der Schaden, der sich ergeben könnte, sondern die Möglichkeit von Ereignissen, die trotz aller Sicherheitsmaßnahmen die Ausgangsbedingungen herstellen, die dann zwingend den Schaden auslösen. 9 Spekulative Risiken sind mangels Selektivität als Bewertungskriterien untauglich und spekulative worst-case Szenarien können kaum herangezogen werden, um das Maß der gebotenen Vorsorge zu definieren. Wenn man immer dort, wo man nicht weiß, was passieren kann, unterstellen darf, daß alles Mögliche passieren kann, sind unbekannte Risiken per definitionem katastrophale Risiken und würden stets ein vorsorgliches Verbot nahe legen. Danach könnte aber nichts Neues mehr zugelassen werden. Jede Einführung einer Technik ist ein Realexperiment unter Unsicherheit; erst durch die Erprobung unter Praxisbedingungen, gewissermaßen durch learning by doing, erwirbt man das Wissen, das nötig gewesen wäre, um die möglichen Folgen einigermaßen verläßlich zu antizipieren - das gilt für den Bau einer neuen Mülldeponie ebenso wie für den Anbau neuer Kulturpflanzen (Krohn/Weyer 1989; Krohn/van den Daele 1998). Unbekannte Risiken sind per definitionem unbestimmt. Wie groß sie sind, kann man ebensowenig wissen, wie ob es diese Risiken überhaupt gibt. Alle Versuche, die mögliche Größe solcher Risiken irgendwie in Rechnung zu stellen und das Maß der gebotenen Vorsorge danach zu bestimmen, sind daher nicht nur willkürlich, sie sind auch sinnlos. Das gilt beispielsweise für den Hinweis, daß "die unerforschten Gefahren weit größer sein können als die empirisch belegten" (Murswiek 1990,214; Wahl/Appel 1995,92). Das gilt ebenso für die Forderung, "möglicherweise große, unbekannte Risiken" nicht weniger intensiv zu regeln als bestimmbare, aber niedrige Unfallwahrscheinlichkeiten, "denn das hypothetische Risiko einer Fehleinschätzung kann hier für den einzelnen viel höher sein als bei Unfällen" (Reh binder 1991,276). Soll die Konsequenz sein, daß unbekannte Risiken vorsorglich strenger zu re-

q Trotzdem werden auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur die hypothetischen Risiken der Gentechnik und der Atomtechnik bisweilen in einen Topf geworfen, etwa bei Murswiek 1990, 215.

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gulieren sind als bekannte Risiken, da ja immer denkbar ist, daß sie größer sind als diese? Die öffentliche Gentechnikkritik zielt gelegentlich in diese Richtung: Gentechnik sei eher noch riskanter als Atomtechnik, denn bei dieser wisse man, was im Extremfall passieren könne, bei der Gentechnik dagegen wisse man noch nicht einmal das. Eine Regel kann man aus diesem Satz schwerlich bilden. Da wir bei allem, was wir tun, (also auch, wenn wir vertraute Techniken anwenden) mit begrenzten Prognosekapazitäten operieren, warten gewissermaßen die unbekannten Risiken überall an den Rändern unseres Wissens. Müßte man deren denkbare Größe als maximal in Rechnung stellen, wäre das Prinzip der risikoproportionalen Vorsorge (je größer der drohende Schaden, desto strikter die Regulierung) am Ende. Es käme unterschiedslos immer nur die strikteste Regulierung, also das Verbot, in Betracht. Natürlich kann man sich vorstellen, die "unerkannten Risiken einer Technologie durch ein absolutes Risikoversursachungsverbot auszuschließen" (Murswiek 1990, 216). Das kann aber nur für eine speziell herausgegriffene Technologie gelten und ist keine mögliche Regel für den vorsorglichen Umgang mit unbekannten Risiken Uberhaupt. Denn man kann nicht auf die unbekannten Risiken aller Techniken mit dem Verbot aller Techniken reagieren. Jede Auslegung des Vorsorgeprinzips, die eine Technik mit Argumenten ausschließt, die man immer geltend machen kann, die also den Gegnern der Technik eine begründungsfreie Gewinnstrategie einräumt, verfehlt mit Sicherheit den Sinn der geltenden Gesetze. Wenn der Gesetzgeber eine Technik unter allen Umständen ausschließen will, muß er sie verbieten, nicht ihre Zulassung an Maßstäbe der Vorsorge binden. 10 Auch im TA-Verfahren hat die Mehrheit der Beteiligten dafür plädiert, der nicht auszuräumenden Ungewißheit, ob es unbekannte Risiken transgener Pflanzen gibt, nicht durch ein Verbot, sondern durch zusätzliche Prüfungsauflagen, begleitende Sicherheitsforschung und Dauerbeobachtung (Monitoring) Rechnung zu tragen (van den Daele et. al. 1996, 272/298). Die Ungewißheit soll nicht die Anwendung der Technik blockieren, sondern Sicherheitszuschläge auslösen, die den experimentellen Charakter der EinfUhrung neuer Technik unterstreichen und kontrollierte Schritte ins Ungewisse zulassen. Solche Sicherheitszuschläge wer10 Konsequenterweise versucht daher die Rechtsprechung, Vorsorgeargumente abzuweisen, bei denen von vornherein klar ist, daß sie eine Nutzung der zu regulierenden Technik unter allen Umständen ausschließen werden, etwa die Forderung nach absolutem Schutz auch vor nicht erkennbaren Risiken - Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 8.8.1978 (Kalkar), Entscheidungen 49, 89 (143) oder die Forderung, daß es in Bezug auf die Größe des Risikos Konsens in der Wissenschaft geben müsse - Bundesverwaltungsgericht, (Fn. 3). Ob die gewählten Abgrenzungen überzeugend sind, mag man fragen. Daß man sie für die Operationalisierung des Vorsorgeprinzips überhaupt braucht, kann man aber kaum bestreiten.

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den auch im Recht als die durch das Vorsorgeprinzip gebotene und nach Kriterien der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) angemessene Reaktion auf die Vermutung unbekannter Risiken angesehen. 11 Diese Schlußfolgerung wollten die Kritiker der Gentechnik im TA-Verfahren vermeiden; sie forderten daher eine Umkehr der Beweislast.

3. Die Grenzen der Umkehr der Beweislast Umkehr der Beweislast scheint das Ei des Kolumbus zu sein, wenn man nu rb von einem Verbot transgener Pflanzen wirksamen Schutz vor unbekannten und deshalb gar nicht abschätzbaren Risiken erwartet. Man nimmt die Besorgnis ernst, daß etwas Unvorhergesehenes passieren könnte, und verlangt vom Antragsteller den Nachweis, daß die Besorgnis unbegründet ist. Ein Risikoverdacht müßte dann nicht mehr von den Gegnern der Technik (bzw. der staatlichen Zulassungsbehörde) begründet werden; er müßte von den Berurwortern ausgeschlossen werden. Für Hans Jonas (1979) ist solche Umkehr der Beweislast ein Gebot der Verantwortung: Wenn wir über die möglichen Folgen unseres Handeins im Ungewissen sind, müssen wir nach einer "Heuristik der Furcht" die schlimmste mögliche Prognose rur wahrscheinlich halten und unter allen Umständen vermeiden. Die Forderung nach einem vorbehaltlosen Verbot transgener Pflanzen scheint dieser Heuristik zu entsprechen. Da diese Pflanzen (bzw. ihre Gene) nicht rückholbar sind, wenn sie einmal in die Umwelt freigesetzt werden, könnten mögliche Schäden irreversibel sein, daher müsse man auf die Freisetzung verzichten. 12 Die Vorsorgekonzepte des geltenden Rechts lassen diesen Schluß nicht zu. Zwar legen sie denjenigen, die eine neue Technik einführen wollen, erhebliche Beweislasten auf. Der Beweis ist aber stets gegen die Vorgabe eines begründeten Risikoverdachts zu führen und betrifft nicht einfach generell die Abwesenheit von Risiken. So muß bei einem vorsorglichen, präventiven Verbot mit Genehmigungsvorbehalt das Vorliegen der ZulassungsvoraussetzunII Vgl. Murswiek 1990, 218. Im geltenden Recht sind die Grenzen der Vorsorge freilich vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung zu diskutieren, daß Gentechnik überhaupt zugelassen werden soll, vgl. Ladeur 1992, 257. I:! Es dürfte auf dasselbe hinauslaufen, wenn Wahl/Appel (1995, 92 f.) für die Begründung eines Gefahrenverdachts auf jede Feststellung, daß eine Beeinträchtigung an einem Rechtsgut drohe, verzichten und allein auf die Irreversibilität möglicher Technikfolgen abstellen: "Führt eine Entscheidung ... zum überproportionalen Risiko eines Fehlschlags späterer Abwehrbemühungen, soll eine Gefahr anzunehmen und ein Einschreiten geboten sein" (unter Bezug auf Richter 1989, 52). Bei der massenhaften Freisetzung transgener (aber auch: konventionell gezüchteter) Pflanzen sind irreversible Folgen niemals auszuschließen.

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gen bewiesen werden. Dafür sind mehr oder weniger genau umschriebene Belege für die Unschädlichkeit der Technik beizubringen, die zum Teil in den Regelwerken für die Zulassungsprüfung niedergelegt sind (etwa bei Arzneimitteln und Pflanzenschutzmitteln), im übrigen aber durch Auslegung von allgemeinen Rechtsbegriffen wie etwa der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Vorsorge (bei Atomanlagen) zu ermitteln sind. Die geforderten Belege sollen definierte Risikoannahmen bzw. konkrete Schädlichkeitsvermutungen widerlegen. Kann der Antragsteller die Belege nicht beibringen, bleibt die Technik verboten. Der Antragsteller muß jedoch weder beweisen, daß die geforderten Belege (z.B. die toxikologischen Prüfungen) tatsächlich ausreichen, um Sicherheit zu verbürgen, noch muß er zeigen, daß alle überhaupt möglichen Risiken auch tatsächlich erfaßt, also geprüft und ausgeschlossen worden sind. Es ist Aufgabe der Behörde, weitere Risikoannahmen ins Spiel zu bringen, und die geforderten Belege entsprechend zu verschärfen. Dabei kann unter Vorsorgegesichtspunkten die plausible Hypothese einer Schadensmöglichkeit ausreichen, die Zulassung im Zweifel zu versagen, also dem Antragsteller die Last der Falsifikation der Hypothese aufzuerlegen (Murswiek 1990,215/232).13

In den Vorsorgekonzepten des Rechts obliegt es den Regulierungsinstanzen, einen Risikoverdacht einzuführen und zu begründen. Der Antragsteller muß den konkreten Verdacht ausräumen, aber nicht zeigen, daß es auch keine anderen Risiken gibt und Schäden überhaupt unmöglich sind. Eine Beweislast für unbekannte Risiken trifft ihn nicht. Diese Beweislastverteilung gilt unabhängig davon, welche Planungsspielräume man der Behörde bei der Risikoverwaltung einräumt (dazu Di Fabio 1994,448 ff.; Ladeur 1992,261) und auch dann, wenn man nicht von gebundener Genehmigung, sondern von Versagungsermessen der Verwaltung ausgeht. Sofern die Zulassung einer Technik

13 Auch das sog. Paraquat-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.11.1988 verlangt nicht einfach, daß bei der Pflanzenschutzmittelzulassung der Antragsteller die Unschädlichkeit seines Produkts nachweist. Es leitet aber aus der festgestellten irreversiblen Bodeneinwirkung (Besetzung von Adsorptionsstellen) eine Schädlichkeitsvermutung ab, die der Antragsteller nur widerlegen kann, indem er nachweist, daß die Bodenveränderung "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" unschädlich ist, in diesem Fall: die Adsorptionskapazität des Bodens nicht beeinträchtigt (Entscheidungen 81, 16). Auch hier gibt die Regulierungsseite den begründeten Risikoverdacht vor. Ein Beispiel aus dem internationalen Recht ist die UNResolution 44/225, die ein Moratorium für die Verwendung von Treibnetzen auf hoher See vorsieht, das nur aufgehoben werden kann, "should effective conservation and management measures be taken based on statistically sound analysis .... to prevent the unacceptable impact of such fishing practices" CF AO 1991, Annex 2). Die Resolution legt dem Antragsteller einen Unschädlichkeitsbeweis auf - aber vor dem Hintergrund von Indikatoren. die die Schädlichkeit von Treibnetzen plausibel erscheinen lassen.

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gesetzlich überhaupt vorgesehen ist, verbietet sich eine Beweislastregelung, die schließlich immer dazu fuhrt, daß die Technik verboten bleibt. An der Frage der Beweislast scheiden sich politisch die Geister. Die bisherige Regelung begünstigt im Ergebnis Innovation. Sie setzt voraus, daß das Risiko unbekannter Risiken als ein akzeptabler Preis für die Vorteile neuer Technik angesehen wird und nimmt in Kauf, daß man sich gegebenenfalls mit unvorhersehbaren Folgen auseinandersetzen muß, nachdem sie schon eingetreten sind. Die Umkehr der Beweislast begünstigt den Status quo der Technik. Sie setzt voraus, daß Gesellschaften durch die Verhinderung von Innovationen wenig zu verlieren haben, und es allemal günstiger ist, sich den Unwägbarkeiten vertrauter Technik auszusetzen als dem Abenteuer einer neuen Technik. Diese gegensätzlichen Wertungen standen auch im TA-Verfahren unversöhnt im Raum. Mit Konsens kann man hier offenkundig nicht rechnen. Die Diskussionen der Beteiligten machten jedoch deutlich, daß die Forderung nach einer radikalen Umkehr der Beweislast trotz ihres unbestreitbaren politischen "appeals" nicht geeignet ist, die innovationskritische Position zur Geltung zu bringen, da sie sich letztlich nicht als Regel verteidigen läßt. Bei einer vollständigen Umkehr der Beweislast wird das Vorsorgegebot uferlos und unbegrenzbar. Die Regel, daß bei jedem nicht auszuräumendem Zweifel an der Sicherheit gegen die Zulassung einer Technik zu entscheiden ist, erschlägt unterschiedslos alle Innovationen. Die nicht weiter begründungspflichtige Vermutung, daß eine Technik mit verborgenen, uns noch unbekannten Risiken verbunden sein könnte, kann immer erhoben werden und ist praktisch nicht zu widerlegen. Ein empirischer Negativbeweis, daß es verborgene Risiken nicht gibt, ist schon aus logischen Gründen nicht zu erbringen. Man kann nicht in endlicher Zeit die unendliche Menge aller möglichen Tatsachen durchprüfen, um zu demonstrieren, daß es darunter eine bestimmte Tatsache (ein zusätzliches Risiko) definitiv nicht gibt. Und theoretische Beweise gelten nur für die idealisierten Modellsysteme der Wissenschaft ohne Einschränkung. Die aus der Theorie abgeleiteten Prognosen darüber, was unter den komplexen Bedingungen in der realen Umwelt passieren kann, sind notorisch unsicher und im Prinzip unvollständig. Will man also nicht, daß unter Risikogesichtspunkten überhaupt keine neue Technik mehr akzeptiert werden kann, ist die vollständige Umkehr der Beweislast für Sicherheit kein geeignetes Regelungsprinzip. Man muß also entweder zugestehen, daß nicht jeder Zweifel, sondern nur ein plausibel begründeter Zweifel gegen die Technik sprechen kann (was auf eine Rückkehr zum Vorsorgeprinzip des geltenden Rechts hinausläuft), oder man muß nach anderen Kriterien zwischen zulässigen und unzulässigen Innovationen unterscheiden. 14

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Vgl. auch Delermann 1997, 174 ff. Das Risiko unbekannter Risiken rechtfertigt

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Im TA-Verfahren wurde schnell deutlich, daß auch Kriterien wie Rückholbarkeit oder Reversibilität, die als Schädlichkeitsindikatoren gehandelt werden (Wahl/Appel 1995,92), unbrauchbar sind. Sie schießen ebenfalls über das Ziel hinaus. Nach Rückholbarkeit kann zwischen trans genen und konventionell gezüchteten Pflanzen nicht differenziert werden. Auch konventionelle Pflanzen sind keine Chemikalien, sondern Organismen, die sich selbst reproduzieren und vermehren und auf Ökosysteme und die natürliche Evolution der Arten einwirken können. Wo immer wir Formen der lebendigen Natur verändern, und das tun wir mit vielen unserer landwirtschaftlichen Techniken, müssen wir mit irreversiblen Folgen rechnen. Da niemand im Ernst dafür plädieren kann, auf alle diese Techniken zu verzichten, kann Rückholbarkeit nicht die entscheidende Bedingung für die Zu lässigkeit neuer Technik sein. ls

4. UmweItqualitätsziele statt Schadensdefinitionen? Es fragt sich, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt, die Beweislast für die Unschädlichkeit transgener Pflanzen vollständig umzukehren, ohne uferlosen Verboten, die im Ergebnis jede Technik aushebe In, den Weg zu ebnen. Man könnte an der Unbestimmtheit und Planungsabhängigkeit des Schutzgutes der "Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts" und der Kriterien für ökologische "Nachhaltigkeit" ansetzen. Wenn man GVOs als eine Belastung des Naturhaushalts definiert, die es im Prinzip zu minimieren gilt, kann eine Freisetzung nur gerechtfertigt werden, wenn der Gegenbeweis geführt wird, daß Schäden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten zwar kein präventives Verbot, kann aber gleichwohl durch Haftung im Schadensfall zu denjenigen verlagert werden, die eine neue Technik einsetzen wollen. Nach § 32 Gentechnikgesetz gilt eine Gefährdungshaftung, die als Korrelat für das erlaubte Restrisiko (vgl. Niklisch 1995, 16) angesehen werden kann. Wenn diese Haftung an erlaubtes Handeln geknüpft ist, wird man der Versuchung widerstehen müssen, sie soweit auszudehnen (unbegrenzte Höhe, indirekte Schäden), daß sie das Handeln praktisch abwürgt. Genau das ist aber die Intention, mit der Haftungsregeln von Seiten der Gentechnikkritiker thematisiert werden. IS Auch das Kritierium der "Fehlerfreundlichkeit" scheitert, sofern es durch die Reversibilität der Folgen operationalisiert wird (WeizsäckerlWeizsäcker 1986), an fehlender Trennschärfe. Dasselbe gilt für von Gleichs Vorschlag, die "Eingriffstiefe" oder "Wirkmächtigkeit" einer Technik als Indikator für das Risikopotential zu verwenden (1989). Unabhängig davon, ob man diesen Indikatoren überhaupt einen klaren Sinn geben kann, ist die Frage, wie tief eine Technik in das Innere von Materie, Organismen oder Ökosystemen eindringt, kein Maß für den Umfang der zu erwartenden unvorhersehbaren Nebenwirkungen. Im Gegenteil: die Geschichte der Medikamente zeigt, daß mit zunehmender Eingriffstiefe (in die molekularen, zellulären, physiologischen und immunologischen Mechanismen) die Zielgenauigkeit zunehmen und das Risiko von Nebenwirkungen sinken kann.

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sind. Eine solche Konstruktion kommt dem zitierten Paraquat-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nahe - mit dem Unterschied allerdings, daß die Schädlichkeitsvermutung nicht an festgestellte Auswirkungen freigesetzter GVOs geknüpft wird, sondern an die Tatsache der Freisetzung als solche. Daß diese Denkfigur nicht abwegig ist, zeigt eine kürzliche Umfrage im Auftrag des Technischen Überwachungsvereins Bayern, in der Transgene im Boden (freie gentechnisch veränderte DNA-Moleküle) als Kandidat für ein Umweltqualitätsziel im Bereich der Gentechnik in Betracht gezogen werden. Da bei jeder Freisetzung Transgene in den Boden gelangen, etwa wenn Pflanzenreste absterben oder untergepflügt werden, läuft die "Freiheit des Bodens von Transgenen" auf die Freiheit der Umwelt von GVOs als Umweltqualitätsziel hinaus. Normalerweise werden Umweltqualitätszielen, die als Instrumente des vorsorglichen Umweltschutzes definiert werden, Annahmen über Risiken für die Umwelt zugrunde gelegt. 16 Typischerweise geht es darum, den Eintrag von Schadstoffen zu begrenzen. Man geht also davon aus, daß es sich um eine Umwelteinwirkung handelt, die geeignet ist, Schäden an Schutzgütern herbeizuführen, etwa das Grundwasser zu verunreinigen, das Klima zu verändern oder die Artenvielfalt zu verringern. Zumindest werden plausible Anhaltspunkte für die Schadenseignung vorausgesetzt. Ob diese Voraussetzung für transgene DNA im Boden gilt, ist fraglich. 17 Das schließt jedoch die Definition eines Umweltqualitätsziels "Keine transgene DNA im Boden" nicht schlechthin aus - vorausgesetzt man löst die Zieldefinition von der vorgängigen unabhängigen Feststellung der Schadenseignung solcher DNA ab. Das Ziel definiert dann eben, was als wünschenswerte Umweltqualität zu gelten hat. Zwar hätte eine solche Definition den Charakter einer politischen Dezision - im Sinne von politischer Entscheidung, die so oder so ausfallen könnte; sie bringt einfach den Willen (der Mehrheit) zum Ausdruck, daß transgene DNA nicht im Boden sein soll. Aber Dezisionismus ist vielleicht kein durchschlagender Einwand, denn ein gewisses Maß davon ist bei der Definition von Umweltqualitätszielen ohnehin unvenneidlich. Das gilt nicht nur für die Fra16 "Es gilt zunächst zu ermitteln, mit welchem Umweltrisiko (im weiten Sinne) zu rechnen ist, bevor die Frage gestellt werden kann, ob und in welchem Umfang dieses Risiko akzeptabel ist und mit welcher Zielsetzung es reduziert werden soll" (Rehbinder 1997, 320). 17 Freie DNA aus tierischen und pflanzlichen Organismen (und aus beerdigten Menschen!) gelangt häufig in den Boden. Sie wird in der Regel abgebaut. Ein Gentransfer auf Bodenmikroorganismen ist Oe nach verwendetem Genkonstrukt) nicht ausgeschlossen. Selbst dann aber ist unklar, worin der Schaden bestehen könnte. Die Dynamik der Bodenmikroorganismen ist ohnehin hoch - mit erheblichem Genaustausch zwischen den verschiedenen Mikroorganismen (vgl. BroerlPühler 1994, SchlüteriPotrykus 1995).

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ge, wo man die Grenze ziehen soll, an der eine Belastung der Umwelt als unvertretbar anzusehen ist. Es gilt schon für die Frage, welche Einwirkung überhaupt als eine Belastung oder Beeinträchtigung der Umwelt zählen soll. Ob eine Veränderung der Umwelt die "Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts" beeinträchtigt oder das Kriterium der "Nachhaltigkeit" verletzt, hängt nicht nur davon ab, was die Umwelt verkraftet, sondern auch davon, was wir von der Umwelt erwarten. Man braucht, wie der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen feststellt, "Angaben zur gewünschten Struktur und zum gewünschten Niveau des ökologischen Bezugssystems", um die Belastbarkeit der Umwelt zu operationalisieren (SRU 1994, Nr. 100). Die Belastbarkeit gilt als überschritten, wenn Eingriffe in die Umwelt die Strukturen der ökologischen Bezugssysteme in einer Weise verändern, die den Zielvorstellungen widerspricht. "Ohne diese Konkretisierungen gerät auch das Konzept der Belastbarkeit oder Tragekapazität zur Leerformel" (Nr. 105).!8 Zwar wird die fortschreitende wissenschaftliche Aufklärung der Dynamik von Naturräumen oder Ökosystemen (Regulierungsfunktionen, Selbstreinigungsmechanismen, Regenerationsraten von Ressourcen etc.) auch die Definitionen der Belastbarkeit der natürlichen Umwelt ein Stück weit objektivieren. Sie wird aber letztlich nichts daran ändern, daß das Schutzgut der "Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts" und die Kriterien von "Nachhaltigkeit" offene politische Flanken haben, an denen sie erst durch Entscheidung Konturen gewinnen. 19 Im Bereich der Umweltqualitätsziele gibt es also einen Definitionsspielraum, in dem nach Maßgabe kultureller Präferenzen und politischer Zielset18 Ganz analog verlangt Bierhals (1985), daß man sich bei der Auslegung der "Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts" an Funktionen der Natur orientieren müsse, die in politischen Planungszielen festgeschrieben sind: Biotop- und Artenschutz, Naturerlebnis und Erholung, Regeneration von Boden, Wasser und Luft, nachhaltige wirtschaftliche Nutzung der Naturgüter (115/121). Der Versuch einer "ganzheitlichen Erfassung des Naturhaushaltes" müsse aufgegeben werden, da er nur zu leerformelhaften Definitionen führen könne. Vgl. auch van den Daele in: Diekmann/Jaeger 1996, 426 ff. 19 Man entrinnt der Politisierung der Kriterien von Tragekapazität und Nachhaltigkeit schon deshalb nicht, weil für die vom Menschen gestalteten Ökosysteme (Siedlungs- und Wirtschaftsräume) der Naturzustand als Referenzlinie entfällt. Welchen Grad von Künstlichkeit diese Systeme "ertragen", hängt nicht zuletzt davon ab, welchen Aufwand man betreiben will, um die menschlichen Eingriffe ständig zu kompensieren und zu korrigieren. Dasselbe gilt auch für den Professorenentwurf für den Allgemeinen Teil eines Umweltgesetzbuchs, der in § 2 Absatz 3 jede nicht nur geringfügige Einwirkung, "welche die natürliche Beschaffenheit des Einwirkungsgegenstandes verändert" als Umweltbeeinträchtigung definiert (Kloepfer et al. 1991, I 18). Man braucht weitere Kriterien, die sich auf Kulturlandschaften beziehen und hier zu unterscheiden erlauben zwischen einer Bruchlandschaft, die durch historischen Torfabbau entstanden ist und den Abraumhalden, die der Braunkohletagebergbau hinterläßt.

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zungen (Naturbilder und Vorstellungen der wünschenswerten Umwelt) konkretisiert werden muß, was das zu schützende Gut ist. In diesem Rahmen könnte auch das Einbringen von transgener DNA in den Boden als zu vermeidende Umweltbeeinträchtigung definiert werden - ohne daß es eines Belegs für die Schadenseignung bedarf. Eine solche Definition dürfte den Kritikern der Gentechnik in unserem TA-Verfahren vorgeschwebt haben, wenn sie für jede Verbreitung von Transgenen in der Umwelt den Tatbestand der "genetischen Verschrnutzung" erfüllt sahen (van den Daele et al. 1996,249). Diese Konstruktion ist zweifellos geeignet, der nicht weiter begründeten Vorstellung, daß transgene Organismen nicht in Ordnung sind, durch restriktive Regulierung Rechnung zu tragen. Ob das jedoch noch eine Begründung im Rahmen des Vorsorgekonzepts ist, erscheint zweifelhaft. Die Begründung der Technikkontrolle aus dem Rechtsgüterschutz wird hier nämlich zirkulär: Die Freisetzung von GVOs wird abgelehnt, weil sie den Naturhaushalt belastet; sie gilt aber als Belastung des Naturhaushalts, weil sie abgelehnt wird. Das Vorsorgeprinzip wird zu einer leeren Hülse, die aufnimmt, was in Form von Umweltqualitätszielen politisch gewollt wird. Was hier durchschlägt, ist die Positivierung des Rechts. Als Schutzgut gilt, was der Gesetzgeber als ein solches definiert. Allerdings ebnet der Rekurs auf die gesetzgeberische Entscheidung die Differenz zwischen der Abwehr drohenden Schadens und der Durchsetzung politischer Ziele nicht vollkommen ein. Schutzstandards, die an politische Ziele anschließen, die (je nach Mehrheit) so oder so definiert werden können, lassen sich nicht ebenso moralisch aufladen - und als Freiheitsbeschränkung rechtfertigen - wie Standards, die gesellschaftsweit konsentierte Werte reflektieren, etwa den Schutz der menschlichen Gesundheit oder die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Der Gesetzgeber mag neue Rechtsgüter "erfinden" können, beispielsweise indem er die bäuerliche Landwirtschaft oder die mittelständische Pflanzenzüchtung, die intakte Kleinfamilie oder andere erwünschte Wirtschafts- und Sozialstrukturen zu Schutzobjekten erklärt oder die Verbreitung von GVOs oder die Anwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft als Umweltbeeinträchtigungen definiert, die es zu vermeiden gilt. Aber er kann nicht einfach zu beliebigen politischen Zielen die passenden Rechtsgüter definieren und dann fur die Durchsetzung der Ziele den Legitimationsschirm des vorsorglichen Rechtsgüterschutzes in Anspruch nehmen. Insbesondere kann er sich durch solchen Rechtsgüterpositivismus nicht zusätzliche Ermächtigungen für Eingriffe in Grundrechte verschaffen. Schutzstandards (und Umweltqualitätsziele ), die nicht durch einen in der Gesellschaft verankerten Wertkonsens gedeckt sind, können nicht unter dem Gesichtspunkt der Schadensvermeidung, sondern nur unter dem der Zielkonformität mit politischer Planung gerechtfertigt werden.

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5. Bedarfsprüfung als Strategie der Risikominimierung? Die Forderung, neue Technik nur zuzulassen, wenn sie objektiv nützlich ist, und es einen erkennbaren gesellschaftlichen Bedarf fur sie gibt, steht gewissennaßen am logischen Ende der Risikokritik. Das Argument ist einfach: Wenn man bei keiner Innovation der Ungewißheit entgeht, ob sie mit neuen, bislang nicht erkennbaren Risiken verbunden ist, sollte man auf den Nutzen abstellen und auf Innovationen verzichten, die sich nicht lohnen. Für eine neue Technik, die man nicht wirklich braucht, sollte der Bevölkerung auch kein Restrisiko auferlegt werden. Von den GRÜNEN im Europaparlament ist diese Forderung unter dem Stichwort "vierte Hürde" ins Spiel gebracht worden: Bei der Zulassung neuer Techniken und Produkte sollen nicht nur Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit geprüft werden, sondern auch der sozioökonomische Bedarf. 20 In dieselbe Richtung ging die Schweizer Genschutzinitiative, die im Juni 1998 zur Abstimmung stand. Sie sah vor, daß industrielle Produktion mit GVOs nur zugelassen werden solle, wenn nachgewiesen ist, "daß das neue Produkt tatsächlich einen Nutzen erbringt und sicher ist, daß es dazu keine Alternativen gibt".21 Einen Schritt in Richtung "vierte Hürde" hat das norwegische Gentechnikgesetz von 1993 getan. Nach § 10 ist bei der Entscheidung, ob GVOs freigesetzt werden dürfen, der Frage "erhebliche Bedeutung" zuzumessen, ob ein "Nutzen flir die Gemeinschaft und ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung" zu erwarten ist. 22 Bedarfsprüfung wird zwar häufig (auch in unserem TA-Verfahren) als der Schlußstein einer konsequenten Strategie der Risikominimierung angesehen. Tatsächlich aber verläßt man den Begründungsrahmen der Risikovorsorge, wenn man fur die "vierte Hürde" bei der Zulassung neuer Technik plädiert. 20 Committee on Energy, Research and Technology PE 203.456/B vom 17.12.1992,8; Berichterstatterin war die Abgeordnete der Grünen Partei Hiltrud Breyer. 21 Flugblatt der Genschutzinitiative; der Text des vorgesehenen Verfassungsartikels lautete "Die Gesetzgebung verlangt vom Gesuchsteller namentlich den Nachweis von Nutzen und Sicherheit, des Fehlens von Alternativen sowie die Darlegung der ethischen Verantwortbarkeit". Die Freisetzung von GVOs sollte generell verboten werden. Die Genschutzinitiative wurde mit 67 % der abgegebenen Stimmen abgelehnt. 22 Die Begründungen sind in englischer Übersetzung abgedruckt in: Ministry 0/ the Environment (0.1.). Ein früherer Gesetzentwurf sah vor, daß "ein erheblicher Nutzen" zwingende Zulassungsbedingung sein sollte. Der Gesetzgeber hat schließlich die weichere Form einer Berücksichtigungspflicht gewählt; diese greift jedoch unabhängig davon, ob Risiken dargelegt werden können. Das Österreich ische Gentechnikgesetz von 1995 sieht in § 63 vor, daß gentechnische Produkte auch wegen "sozialer Unverträglichkeit" verboten werden können ("nicht ausgleichbare Belastung der Gesellschaft", die aus volkswirtschaftlichen, sozialen oder sittlichen Gründen nicht annehmbar erscheint). Die Klausel hat bisher keine praktische Bedeutung erlangt, vgl. dazu Mm'linsen 1997.

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Jede Innovation wird damit unter den Vorbehalt der Frage "Brauchen wir das?" (W inter 1992) gestellt. Sie wäre also im Lichte verfügbarer Alternativen zu prüfen - und zu verwerfen, falls vergleichbare oder bessere Problemlösungen (Produkte, Verfahren) schon am Markt sind. Modelle für eine solche Bedarfsprüfung finden sich in der staatlichen Planung, nicht aber in der vorsorglichen Risikokontrolle. Bei der Planung von Straßen, Schienen- oder Wasserwegen, Energieleitungen, Krankenhäusern etc. muß die planende Behörde die Belange abwägen, die für oder gegen ein Vorhaben sprechen. Dazu muß der Bedarf für das Vorhaben nachprüfbar begründet werden. Allerdings bilden die Zielvorgaben der Planungsgesetze den unbefragten Bezugsrahmen für diese Begründung, sie können nicht ihrerseits einer Bedarfskritik unterzogen werden. Auch prüfen die Gerichte nach deutschem Recht nicht, ob der festgestellte Bedarf tatsächlich besteht, sondern lediglich, ob er von den Behörden sachgerecht, erkennbar und nachvollziehbar ermittelt worden ist (Steinberg 1993, 213). Immerhin sind aber Alternativen in die Abwägung einzubeziehen und eine Planung kann rechtswidrig sein, wenn "die Planungsbehörde eine von der Sache naheliegende Alternativlösung verworfen hat, durch die die mit der Planung angestrebten Ziele unter geringeren Opfern an entgegenstehenden öffentlichen und privaten Belangen hätten verwirklicht werden können" (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.3.1985, Entscheidungen 71, 166/171).

In ein am Rechtsgüterschutz ausgerichtetes System staatlicher Kontrolle bei der Zulassung neuer Technik läßt sich eine solche "freie" Bedarfs- und Alternativenprüfung nicht übertragen. Zwar sind bei der Risikokontrolle Abwägungen mit dem Nutzen oder Zweck der Technik durchaus üblich, etwa im Arzneimittel-, Chemikalien- oder Gentechnikrecht. Solche Abwägungen schaffen jedoch keine Handhabe, eine Technik ohne Bewertung ihrer Risiken schon deshalb zu verbieten, weil man sie eigentlich gar nicht braucht. Vielmehr dienen sie umgekehrt dazu, die Einführung einer Technik trotz erkennbaren Risikopotentials zu rechtfertigen, wenn der Nutzen den drohenden Schaden überwiegt. Meist wird dabei nur auf die abstrakte Nützlichkeit, nicht auf den konkreten Bedarf abgestellt. Ob der Zweck eines GVOs genausogut auf andere Weise, etwa mit einem konventionell gezüchteten Organismus, erreicht werden könnte, ist nicht entscheidend. Me-too-Produkte, die nicht besser, aber auch nicht schlechter sind, als das, was wir ohnehin schon haben, sind hier ebensowenig ausgeschlossen wie bei Arzneimitteln. Vor allem aber gilt: Die Abwägung ist nur notwendig (und zulässig), wenn ein Risiko vorliegt; zumindest muß der Risikoverdacht nach den üblichen Standards begründet werden. Das "Restrisiko", daß irgendetwas passieren könnte, was man nicht vorhersehen kann, rechtfertigt keine Zweckprüfung und keinen Verweis auf schon bestehende Alternativen (Hirsch/Schmidt-Didczuhn 1991, Nr. 22 zu § 16).

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Ein allgemeines Rechtsprinzip, daß nach dem Vorsorgeprinzip immer nur die günstigste Alternative, also die verfügbare Technik mit den geringsten Risiken, zugelassen werden darf, ist auch vom Bundesverwaltungsgericht im Paraquat-Urteil nicht etabliert worden. Das Gericht sieht vor, daß bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln der Bedarf und die verfügbaren Alternativen zu prüfen sind, falls bei dem beantragten Mittel Probleme auftreten, also der Naturhaushalt beeinträchtigt wird oder eine solche Beeinträchtigung droht (Entscheidungen 81, 12/15). Das liegt auf derselben Linie wie die Regelung des § 17 Absatz 2 Chemikaliengesetz, wonach beim Verbot von gefahrlichen Stoffen berücksichtigt werden darf, daß Alternativen zur Verfügung stehen "deren Herstellung, Verwendung, Entsorgung oder Anwendung mit einem geringeren Risiko für Mensch und Umwelt verbunderi ist". Voraussetzung bleibt in jedem Fall, daß zunächst die Gefahrlichkeit (Schadenseignung) des Mittels/Stoffs festgestellt wird - wofür nach § 17 Absatz 4 Chemikaliengesetz "ein nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis begründeter Verdacht" hinreichend (aber auch notwendig) ist. 23 In diesem Regelungschema läßt sich eine generelle Bedarfs- und Altemativenprüfung für Produkte und Verfahren der Gentechnik nur unterbringen, solange man unterstellt, daß "gentechnisch verändert" ein hinreichender Indikator für "gefährlich" ist. Offenkundig hat der Gesundheitsausschuß des Bundesrates bei der Beratung des deutschen Gentechnikgesetzes genau dies unterstellt, wenn er vor jeder Genehmigung gentechnischer Anlagen geprüft sehen wollte, ob das angestrebte Produkt "nicht auf weniger gefahrvolle Art hergestellt werden kann" und zu diesem Zweck vom Antragsteller eine "Beschreibung und Bewertung von Alternativen nicht-gentechnischer Art" verlangte. 24 Geht man davon aus, daß man Risiken der Gentechnik nicht un-

23 Weiter geht offenbar Ladeur, der eine Zweck prüfung auch erwägt, um "die Möglichkeit der Verursachung unbeabsichtigter Folgewirkungen" auszuschließen (1995, 266); als Beispiel nennt er Pflanzenschutzmittel, die die Intensität der Bodennutzung erhöhen. Wenn man die Erhöhung der Intensität der Bodennutzung für schädlich oder unerwünscht hält, sollte man das begründen und direkt regeln. Ladeurs Begründung läuft, da unbeabsichtigte Folgewirkungen niemals auszuschließen sind, auf eine Alternativenprüfung zur Verringerung von Restrisiken hinaus und müßte konsequenterweise jeden Technikeinsatz überhaupt erfassen. Danach würde auch der Umstand, daß eine Technik mißbraucht werden kann - was eine klare Möglichkeit der Verursachung unbeabsichtigter Folgen ist - ausreichen, die Technik insgesamt staatlicher Zweckkontrolle zu unterwerfen, anstatt wie bisher lediglich den Mißbrauch selbst zu kontrollieren. Gegen eine risikounabhängige Nutzen- und Alternativenprüfung jetzt auch Winter 1997. 24 Bundesratsdrucksache 387/1/89, Nr. 89. Der Vorschlag ist nicht aufgegriffen worden. Er war auch insofern nicht konsequent, als er nicht vorsah, daß die Genehmigung zu versagen sei, wenn nicht-gentechnische Alternativen zur Verfügung stehen (Nr. 100). Vgl. auch HirschiSchmidt-Didczuhn 1991, Nr. 39 zu § 13.

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geprüft unterstellen darf, sondern nach üblichen Kriterien begründen muß, entfällt die einfache Gleichung "ova = gefährlich", und man kann die grundsätzliche Bevorzugung nicht-gentechnischer Alternativen nicht länger als eine Strategie der Risikominimierung verteidigen. 2s Hält man gleichwohl an dieser Bevorzugung fest - und nichts anderes tut die Forderung nach einer "vierten Hürde" - will man nicht mehr die Risiken der Gentechnik minimieren, man will den Einsatz der Gentechnik minimieren. Man verschiebt die staatliche Kontrolle von der Risikovorsorge zur Techniksteuerung. Ein von der Prüfung der Risiken der Gentechnik abgekoppeltes Kriterium des sozio-ökonomischen Bedarfs zielt nicht auf die Gewährleistung von Sicherheit, sondern auf die Abwehr von Veränderung; es muß als politische Planung der technischen Infrastruktur gerechtfertigt werden, nicht als Optimierung des Rechtsgüterschutzes. 26 Bisher gibt es im Recht kaum Beispiele daflir, daß die staatliche Zulassung neuer Technik von einer von jeder Risikoprüfung abgekoppelten Bedarfs- und Alternativenprüfung abhängig gemacht wird. Nahe kommt dem das Saatgutverkehrsgesetz, das die Registrierung neuer Sorten nur vorsieht, wenn diese in Bezug auf die Anbau- oder Verwertungseigenschaften ("Iandeskultureller Wert") besser sind als die schon vorhandenen. Diese Prüfung dient der Sicherung des schon erreichten Qualitätsstandards, und das Prüfkriterium ist eng und sehr viel leichter zu operationalisieren als "sozio-ökonomischer Bedarf' oder "Nutzen flir die Gemeinschaft". Welche Probleme letztere Formel im Vollzug bereitet, illustriert der einzige Fall, den das zuständige norwegische Umweltministerium bisher zu entscheiden hatte. Es ging um die Freisetzung von Begonien, die mit Hilfe einer gentechnischen Veränderung besonders haltbar gemacht waren. Über den Nutzen solcher Begonien, die traditionell als Weihnachtsblumen verwendet werden, wurde scharfsinnig gestritten: Man kann chemische Sprühmittel einsparen, die normalerweise eingesetzt werden, 25 Die Wahl der Technik mit dem geringsten Risiko spricht nämlich häufig für den Einsatz der Gentechnik. Das wird bei der medizinischen Verwendung von Blutbestandteilen (Faktor VIII) inzwischen auch von erklärten Gegnern der Gentechnik eingeräumt. 26 Politische Zielvorstellungen darüber, was ein wünschenswerter Umgang mit der Natur ist und nicht das Konzept der Risikovorsorge stehen auch im Vordergrund, wenn man die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel pauschal, also ohne konkrete Anhaltspunkte für ihre Schadenseignung, als Verletzung des Naturhaushalts einstuft - eine Wertung, der sich der deutsche Gesetzgeber allerdings bisher entzogen hat, vgl. di Fabio 1994, 156. Dasselbe gilt, wenn man synthetische Chemikalien schon wegen ihrer "Eingriffstiefe" diskriminieren will (von Gleich 1989). Die Annahme, daß die Unterscheidung "harter" und "sanfter" Formen der Naturveränderung mit der Unterscheidung risikoreicher und risikoarmer Eingriffe konvergiert, dürfte sich kaum halten lassen. Das Beispiel Asbest belegt, daß Naturstoffe durchaus riskanter sein können als synthetische Produkte.

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um die Blumen haltbar zu machen. Aber zählt das, wenn man die Begonien doch ebensogut über Nacht in den kalten Flur stellen könnte? Rein betriebswirtschaftliche Vorteile (Marktanteile, Gewinne) sind nach der Begründung des Gesetzes noch kein hinreichender Nutzen für die Gemeinschaft. Gilt das auch für neue Arbeitsplätze, die entstehen können, wenn die gentechnisch veränderten Begonien ein Erfolg werden? Sind Arbeitsplatzverluste gegenzurechnen, die bei den ausgebooteten Konkurrenten verloren gehen? Was gilt, wenn die Verluste allein bei ausländischen Konkurrenten anfallen? Das Ministerium hat schließlich alle komplizierten Erwägungen abgeschnitten und nach kurzem Hinweis auf die eingesparten Sprühmittel den Nutzen für die Gemeinschaft vor allem mit dem Forschungscharakter der Freisetzung begründet. 27 . Eine Bedarfsprüfung für neue Technik wirft nach deutschem Recht verfassungsrechtliche Probleme auf. Sie könnte wohl schon aus Gründen der Gewaltenteilung nicht den Regulierungsbehörden überlassen werden, denn sie impliziert (zumindest wenn sie Alternativenprüfungen umfaßt) schwer vorhersehbare und rechtlich kaum programmierbare gesellschaftspolitische Abwägungen, die nur vom Gesetzgeber vorgenommen werden könnten. In unserem TA-Verfahren war der Haupteinwand gegen die Bedarfsprüfung in Form einer "vierten Hürde", daß sie die Marktmechanismen aushebeIn und im Ergebnis auf eine staatliche Zentralverwaltungswirtschaft hinauslaufen würde. Ob diese Konsequenz zwangsläufig ist, mag dahingestellt bleiben. Zweifellos nimmt die "vierte Hürde" den Grad der Ausdifferenzierung (Autonomie) der Wirtschaft zurück und definiert das bisher gültige Verhältnis von privater Technikentwicklung und öffentlicher Kontrolle neu, indem sie an die Stelle einer wie immer durch Gebote des Rechtsgüterschutzes eingehegten grundsätzlichen Innovationsfreiheit staatliche Planung setzt. Eine solche Wende ist jedoch auch in liberalen Demokratien nicht schlechthin ausgeschlossen. Private Handlungsspielräume können durchaus unter den Vorbehalt politischer Planung gestellt werden. Baufreiheit gibt es bekanntlich nur im Rahmen von Bauplanung. Und der private Zugriff auf knappe öffentliche Güter, wie den Raum und die Umweltmedien (Wasser, Luft, Boden) kann staatlich bewirtschaftet werden, um die Überlastung dieser Güter zu verhindern und eine gesamtgesellschaftlich sinnvolle Nutzung, einschließlich einer Vorratshaltung für die Zukunft, zu gewährleisten. Das Vorsorgeprinzip rechtfertigt die Einschränkung privater Freiheiten nicht nur zum Rechtsgüterschutz, sondern auch zur Ressourcenbewirtschaftung. Die Frage ist jedoch, ob ein staatlicher Planungsvorbehalt für die Einführung neuer Technik nach dem 27 Entscheidung vom 11.03.1994, ausweislich der Akten des Ministeriums, die nach Maßgabe der norwegischen Gesetze problemlos zugänglich sind.

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Modell der Ressourcenbewirtschaftung konstruiert werden kann - und damit schließlich doch als Ausfluß des Vorsorgeprinzips legitimierbar wird.

6. Die Bewirtschaftung knapper öffentlicher Güter als Modell f"ür die Bewirtschaftung von Innovation? Das Hauptbeispiel rur die staatliche Bewirtschaftung von Umweltressourcen im deutschen Recht ist seit jeher das Wasserhaushaltsgesetz. Danach hat die Genehmigung der privaten Nutzung von Gewässern den Charakter einer Konzession. Das heißt, sie wird unter Vorbehalt des öffentlichen Interesses wie ein Privileg verliehen, aber niemand hat einen Rechtsanspruch auf solche Nutzung. 28 Das Gesetz räumt der Behörde ein Versagungsermessen ein - was ein klarer Indikator rur ein Planungsmandat ist. 29 Im Rahmen eines solchen Mandats könnte der Staat auch den technischen Zugriff auf den Raum und die Umweltmedien bewirtschaften und durch Qualitätsziele vorgeben, "in welchem Zustand ein Medium als Schutzobjekt in jedem Fall gehalten werden soll" (Wahl!Appel 1995, 207). Liegt es da nicht nahe, ganz analog auch den technischen Zugriff auf die Gesellschaft zu bewirtschaften und durch Planung vorzugeben, in welchem Zustand die Gesellschaft als Schutzobjekt in jedem Fall gehalten werden sol/? Dazu muß man nur parallel konstruieren: Die Fähigkeit der Gesellschaft, technische Innovationsschübe zu verkraften, ist ebenso wie die Tragekapazität (carrying capacity) von Ökosystemen ein begrenztes urid knappes öffentliches Gut, das sparsam genutzt und gerecht verteilt werden muß, und von dem man Belastungsreserven rur die Zukunft vorhalten sollte. Wer in die Umwelt ein~ greift, indem er ein Gebäude in die Landschaft setzt oder Wasserressourcen nutzt, kann an Planvorgaben gebunden werden, die sichern sollen, daß das Vorhaben "dem Wohl der Allgemeinheit dient" (§ la Wasserhaushaltsgesetz) und die verftlgbaren Ressourcen nur "im notwendigen Umfang" und den

28 Abgesehen von der lebensnotwendigen Versorgung mit Trinkwasser, auf die nach dem Sozialstaatsprinzip ein grundrechtlicher Leistungsanspruch besteht (v gl. Kluth 1997, 107). 29 Vom Bundesverfassungsgericht im sog. Naßauskiesungsbeschluß vom 15.7.1981 unter Hinweis darauf bestätigt, daß es verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden könne, "daß der Gesetzgeber das unterirdische Wasser zur Sicherung einer funktionsfähigen Wasserbewirtschaftung einer vom Oberflächeneigentum getrennten öffentlichrechtlichen Ordnung unterstellt hat." (Entscheidungen 58, 300/344). Ob das geltende Recht eine planende Bewirtschaftung der Luftnutzung erlaubt, ist umstritten, eine solche könnte aber zweifellos durch Gesetz eingeführt werden (vgl. insgesamt Kloepfer 1989, 80/525/607). Zu Bewirtschaftungsregimen für Umweltgüter im Ausland vgl. Rehbinder 1991.

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"sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Bevölkerung" entsprechend in Anspruch genommen werden (§ I Bundesbaugesetz). Warum sollte eine ähnliche Planbindung nicht auch für diejenigen gelten können, die in das soziale und kulturelle Leben eingreifen, indem sie eine neue Technik in die Gesellschaft setzen? Um eine solche Bindung durchzusetzen, müßte man die Zulassung neuer Technik konsequent als staatliche Konzession begreifen, die ohne einklagbaren Rechtsanspruch verliehen wird (Murswiek 1985,283) oder man müßte die Einführung neuer Technik zu einer für die Gestaltung der Gesellschaft wesentlichen Frage erklären, über die nach der Verfassung im Parlament entschieden werden muß (so Roßnagel 1993, 436). Die Vorstellung, daß die Tragekapazität der Gesellschaft durch zu viel und zu schnelle Innovation genauso überschritten werden kann, wie die Tragekapazität eines Ökosystems durch zu hohe Schadstoffbelastung, ist nicht ohne Suggestion. Sie kommt denjenigen entgegen, die die Geschwindigkeit des technischen und sozialen Wandels als eine Belastung empfinden und die "Entschleunigung" der Modernisierungsdynamik fordern (vgl. Jonas 1979). Trotzdem trägt die Parallele weder in sachlicher noch in normativer Hinsicht. In sachlicher Hinsicht fehlt den sozialen und kulturellen Räumen und Ressourcen der Gesellschaft die Objektivität und Begrenzung des physischen Raums und der Ökosysteme. Für die Bewirtschaftung des Umweltraums sind die Dimensionen relevanter Knappheiten durch die Natur vorgezeichnet, und die Zieldiskussionen bewegen sich innerhalb objektiver (wenn auch schwer zu bestimmender) Referenzlinien, den Zusammenbruchsgrenzen von Ökosystemen auf der einen und dem Ideal der intakten (unbelasteten) Natur auf der anderen Seite. 30 Im "Raum" der Gesellschaft werden die relevanten Knappheiten durch Wertvorstellungen, Präferenzen und politische Ziele definiert. Diese Definitionen unterliegen aber ihrerseits dem sozialen Wandel und sind selten unstreitig. Konsentierte Referenzlinien darüber, wann eine Gesellschaft als zusammengebrochen gelten muß oder was ein intakter (unbelasteter) Zustand ist, gibt es nicht (vgl. van den Daele 1993). In normativer Hinsicht wirft der Versuch, die Veränderung der Gesellschaft durch Innovation zu bewirtschaften ganz andere Begründungsprobleme auf als die Bewirtschaftung des Raumes oder der Umweltmedien. Daß niemand über die ökologischen Ressourcen der Gesellschaft frei verfügen kann, dürfte im Lichte der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte und beim gegenwärtigen Stand des Umweltbewußtseins in der Bevölkerung einleuchten; hier liegen klare Grenzen der privaten Freiheit. Daß man auch den Status quo der Gesellschaft nicht eigenmächtig verändern darf, indem man durch neue Technik sozialen 30 Vgl. zum Versuch, kritische Eintragsraten (critical loads) für Ökosysteme zu definieren, Nage/lSmialek/Werner 1994.

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Wandel induziert, ist aber keineswegs ebenso klar - denn genau darin besteht nach bürgerlich-liberaler Verfassung der Kern privater Freiheit. 3 ! Wenn der Gesetzgeber Innovationen konzessionspflichtig macht, um die Veränderung der Gesellschaft einzudämmen oder nach politischen Zielen zu steuern, kann er dafiir nicht die Legitimation des vorsorglichen Ressourcenschutzes und der Zuteilung knapper öffentlicher Güter in Anspruch nehmen. Er müßte die Regulierung als staatliche Planung der Gesellschaft rechtfertigen und käme dabei absehbar unter Freiheitsgesichtspunkten in erhebliche Begründungsnot. Eine staatliche Planung, die private Handlungsspielräume auf das begrenzt, was mit den politisch defmierten Entwicklungszielen für die Gesellschaft vereinbar ist, wäre sicher grundgesetzwidrig. Sie würde die Bindung der öffentlichen Gewalt an die Grundrechte (Art 1 Absatz 3 Grundgesetz) durch die Plangebundenheit der Grundrechtsausübung ersetzen. Nach unserer Verfassung ist, was der Staat verbieten kann (bzw. erlauben muß), im Lichte der Grundrechte zu bestimmen. Freiheitsgebrauch darf nicht gemeinschädlich sein, er muß aber auch nicht gemeinnützig sein. Aus den liberalen Grundrechten folgt, daß jenseits der Schranken der Gemeinschädlichkeit Einwirkungen auf die Gesellschaft auch dann erlaubt sein müssen, wenn sie nicht den staatlichen Zielvorgaben rur die wünschenswerte Entwicklung der Gesellschaft entsprechen. 32 Technikverbote, die dem Schutz der Gesellschaft vor Veränderung dienen, dürften die grundrechtlich verbürgten wirtschaftlichen Freiheiten der Hersteller und Nutzer neuer Technik und die Forschungsfreiheit in ihrem Wesensgehalt tangieren. Jedenfalls bliebe von der Berufsfreiheit nicht viel übrig, wenn als Beruf nur in Frage käme, was nach staatlicher Planung als

31 Zur Freiheit gehört, daß man die Folgen seines HandeIns in gewissem Umfang "externalisieren" darf, also andere (mithin die Gesellschaft) mit den Folgen konfrontieren darf, ohne zur Verantwortung gezogen zu werden. 32 Dem Gesetzgeber ist es verwehrt, diese Lücke einfach dadurch zu schließen, daß er alle Abweichung von den Zielvorgaben als gemeinschädlich definiert. In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht schon am 4.11.1965 klargestellt, daß eine Tätigkeit die Eigenschaft eines geschützten Berufes nicht dadurch verlieren kann, "daß sie durch einfaches Gesetz verboten und/oder rur strafbar erklärt wird" (Entscheidungen 22,286/288). Vgl. dazu Maunz/Dürig/Scholz, Nr. 25 zu Art 12 GG, sowie Nr. 29: "Für den Gesetzgeber bedeutet dies, daß er nicht beliebig berufliche Betätigungen als Schwarzarbeit o.ä. deklarieren und damit aus dem Schutzbereich des Art 12 I ausschließen darf'. Daß das Verdikt der "Gemeinschädlichkeit" nicht einfach aus den gesatzten politischen Zielen abgeleitet werden darf, folgt im übrigen nicht nur aus den Grundrechten, sondern auch aus dem Demokratieprinzip. Demokratie ist legitime Konkurrenz über politische Ziele, und daher verbietet sich jeder Versuch, einer Opposition, die bei der Gesetzgebung überstimmt worden ist und die festgelegten Ziele revidieren will, das Etikett "gemeinschädlich" anzuheften.

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wirtschaftlich sinnvolle und gesellschaftlich wünschenswerte Erwerbstätigkeit gilt. 33 Ob es unter der Geltung der Grundrechte ein Bewirtschaftungsregime geben könnte, das die Anwendung von Gentechnik verbietet, weil der sozioökonomische Bedarf nicht dargetan ist oder weil die Mehrheit eben fiir eine "gentechnikfreie" Gesellschaft optiert, ist also keineswegs ausgemacht. 34 Die verfassungsrechtliche Frage kann jedoch dahingestellt bleiben. Der Übergang zu einem solchen Regime ist nämlich (zumindest in repräsentativen Demokratien) politisch unwahrscheinlich. Die staatliche Bewirtschaftung von technischer Innovation läuft auf eine "materiale Politisierung" (Kitschelt 1985) von Produktion, Investition und beruflichen Praktiken hinaus. Damit wirft sie in kapitalistischen Gesellschaften die "Systemfrage" auf. Sie etabliert in Kernbereichen des wirtschaftlichen HandeIns den Primat der Politik und verlagert die Risiken der Ökonomie weitgehend zu den politischen Entscheidungsträgern. Solches mag im politischen Kraftakt eines Referendums durchsetzbar sein, oder wenn im Krisenmanagement, etwa als Reaktion auf Proteste in der Bevölkerung, eine Regulierung als punktuelle Politik begründet und so gegen Systemimplikationen abgeschirmt werden kann. 35 Für eine Politik, die 33 Ein generelles Verbot, transgene Pflanzen freizusetzen (wie es die Schweizer Genschutzinitiative gefordert hatte) ist vielleicht gegenwärtig nur ein Eingriff in die Berufsausübung der Pflanzenzüchter, nicht ein Eingriff in die sehr viel stärker geschützte Berufswahl. Die Freiheit der Berufswahl dürfte jedoch spätestens dann betroffen sein, wenn die Anwendung gentechnischer Methoden international den Stand der Technik in der Pflanzenzüchtung definiert und niemand mehr wirtschaftlich mithalten kann, der auf diese Methoden verzichten muß. 34 So würde etwa das Ziel, die gesellschaftlichen Wertvorstellungen vor Geltungsverlust zu schützen oder einem Wandel der Moral vorzubeugen, kaum ein Verbot von gentechnischen Eingriffen am Menschen rechtfertigen, sofern solche Eingriffe medizinisch indiziert sind. Das Grundrecht auf Leben und Gesundheit garantiert den Zugang zu verfügbaren medizinischen Techniken. Sollte der Gesetzgeber befürchten, daß die Einführung medizinischer Gentechnik das Menschenbild verändern und schließlich die moralische Front gegen nicht-medizinische Eingriffe (sprich: Menschenzüchtung) ins Wanken bringen wird, so muß dieser Gefahr auf andere Weise begegnet werden als durch ein Verbot, das Patienten eine mögliche Behandlung vorenthält (vgl. van den Daele 1991; siehe auch den Beitrag von Damm in diesem Band). Auf der anderen Seite wird im Bereich der Wirtschaftslenkung dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein erheblicher Gestaltungsspielraum eingeräumt. 35 Letzteres dürfte für die Entscheidung der Europäischen Kommission zutreffen, den Einsatz von Rinderwachstumshormon (BST) bei der Fleischmast zu verbieten. Obwohl auch Gesundheitsbedenken angeführt wurden, beruhte das Verbot letztlich darauf, daß eine weitere Erhöhung der Fleischproduktion unerwünscht und überflüssig sei, weshalb die Entscheidung von den Befürwortern der "vierten Hürde" als Durchbruch gewertet worden ist, vgl. Cantley 1995, 639. Die Europäische Kommission hat es jedoch explizit abgelehnt, diese Regelung zu verallgemeinern und auf gentechnische Produkte anzuwenden (CEC 1991, conclusion). Ob sich unter WTO-Regeln der

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flächendeckend und dauerhaft alle Gentechnik staatlicher Bewirtschaftung unterstellt, sind die notwendigen parlamentarischen Mehrheiten nirgends absehbar. 3b

7. Schlußbemerkung: Diskurs und Deregulierung Forderungen nach einem Verbot der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen finden auf der Ebene der Regulierung kaum noch Resonanz. Insofern ist der Versuch, die Durchsetzung der Gentechnik politisch einzudämmen, gescheitert. Die hier vorgelegte Analyse sollte deutlich gemacht haben, daß dieses Scheitern nicht einfach darauf zurückgeführt werden kann, daß die Politik vor den Interessen der Wirtschaft und der Forschung in die Knie gegangen ist. Vielmehr sind die Begründungen für ein Freisetzungsverbot fortlaufend schwächer und kontroverser geworden. Entgegen der Rhetorik der sozialen Bewegungen eignet sich das Vorsorgeprinzip nicht dazu, ein Freisetzungsverbot auf Dauer zu legitimieren. Das ursprünglich angesichts der Neuheit der Ungewißheit über die Folgen gentechnisch veränderter Organismen verhängte Moratorium kommt unvermeidlich unter Revisionsdruck, wenn der Kenntnisstand wächst und es anhaltend keine Hinweise darauf gibt, daß Organismen nur deshalb, weil sie gentechnisch verändert sind, größere oder andere Risiken bergen könnten oder mit mehr Ungewißheiten belastet sind als Organismen, die mit bisher verfügbaren Techniken verändert werden. Das Vorsorgeprinzip bietet dann weder in der Dimension des Rechtsgüterschutzes noch in der Dimension der Bewirtschaftung knapper Umweltgüter eine Handhabe, die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen pauschal restriktiveren Regeln zu unterwerfen als die Freisetzung konventionell gezüchteter Organismen. Um am Freisetzungsverbot festzuhalten, muß man es mit Elementen der politischen Innovationsplanung und der Bedarfsprüfung für neue Technik aufladen. Damit verschiebt sich die Begründungsbasis. An die StelIe von Ansprüchen des Rechtsgüterschutzes, die konsentierte Werte betreffen und zumindest im Prinzip politisch unstrittig sind, treten ZielvorstelIungen zur wünschenswerten Entwicklung und zur

Import von BST-behandeltem Fleisch nach Europa auf Dauer unterbinden läßt, ist fraglich. Abzuwarten bleibt auch, ob die norwegische Bedarfsprüfung für Gentechnik zu mehr als symbolischer Politik führen wird. 36 Daß das Parlament in modernen, differenzierten Gesellschaften ein "Ort der Souveränität" ist und "über die Fähigkeit und die Mittel zur demokratisch legitimierten Beherrschung lind Steuerung des gesamtgesellschaftlichen Prozesses verfügt" (so Dreier 1986, 44), ist unwahrscheinlich; siehe auch Willke 1997.

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Kontrolle technischer Infrastrukturen, bei denen gegensätzliche Positionen in der Gesellschaft die Regel sind. Diese Verschiebung wird erzwungen - oder doch nahegelegt - sobald die Risikorhetorik, mit der die Forderung nach einem Freisetzungsverbot in die politische Arena getragen wird, dem argumentativen Test eines wirklichen Diskurses (wie in unserem TA-Verfahren) ausgesetzt oder an einem systematischen Regelwerk zum Vorsorgeprinzip (wie im Recht) gemessen wird. In beiden Fällen greifen Rationalisierungsprozesse, die jeden "Kurzschluß" vom propagierten Risikoverdacht und den dadurch ausgelösten Besorgnissen in der Bevölkerung zum Verbot der Technik ausschließen. Der Diskurs und die rechtliche Analyse erzwingen gleichermaßen die Differenzierung von Fakten und Werten, die Kontrolle empirischer Behauptungen, sowie Vergleich, Konsistenzprüfung, Verallgemeinerungsfahigkeit und Regelbildung bei der Bewertung. Weder der Diskurs, noch das Recht schließen aus, daß man das Freisetzungsverbot weiterhin verteidigt, aber man muß die Begründungen auswechseln und statt des politisch einfachen Arguments der Risikokontrolle das schwierige Argument der Innovationsplanung bemühen. Eben diesem Wechsel der Begründungsstrategie haben sich die Gentechnikkritiker in unserem TA-Verfahren entzogen, indem sie den Diskurs zu Beginn der Abschlußkonferenz, auf der die Resultate verabschiedet werden sollten, verlassen haben. 37 Damit haben sie es vermieden, das Hauptargument, mit dem sie in der politischen Kritik operiert haben, nämlich die Behauptung, daß die Gentechnik eine extreme Risikotechnologie sei, in aller Öffentlichkeit zurückzuziehen. Vermutlich wäre das auch mehr gewesen, als man von strategischen politischen Akteuren, die sich in einen Diskurs einbinden lassen, realistischerweise erwarten kann. Trotzdem wird man aus der Beobachterperspektive sagen dürfen, daß der Diskurs die Deregulierung der Gentechnik und den Übergang zum Normalverfahren der Risikoprüfung im Einzelfall legitimiert. Von Seiten der Kritiker der Gentechnik ist die Debatte um die "besonderen Risiken" gentechnisch veränderter Organismen keineswegs beendet. In der Regulierungspolitik aber wird die Sonderstellung der Gentechnik zunehmend kleingearbeitet. Dazu trägt nicht zuletzt bei, daß in repräsentativen Demokratien Regulierungsimpulse zahlreiche Instanzen durchlaufen und von professionalisierten Politikbürokratien gestaltet werden, die Expertise mobilisieren, Anschlüsse an das geltende Recht herstellen, die Verallgemeinerbarkeit von Regeln an Folgen prüfen und internationale Vergleiche anstellen. In diesem Prozeß werden (beim gegenwärtigen Stand der Erkenntnis) unvermeidlich Ar37 Dieser Ausstieg ist verständlicherweise unterschiedlich erklärt worden, siehe van den Daele et. al. 1996, 29 ff., 37 ff., Gi// 1993, Döbert 1996, Holzinger 1996.

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gumente angehäuft, die die Probleme der Gentechnik relativieren und normalisieren. Zwar bleibt es im Prinzip möglich, das diskursive Geflecht solcher Argumente durch "politische Tat" zu überspringen und gewissermaßen durch gesetzgeberischen Blitz die Unvergleichbarkeit und Einmaligkeit der Gentechnik wiederherzustellen und ihr durch spezielle Verbote Rechnung zu tragen. 38 Solche Politik wird jedoch zunehmend unwahrscheinlich. Je mehr die Anwendung der Gentechnik weltweit zum Standard in der Pflanzenzüchtung wird, um so mehr verschieben sich die Regulierungsfragen auf Problemfelder, die eigentlich erst entstehen, wenn man die Grundsatzentscheidung fur die Zulassung der Gentechnik schon getroffen hat (wie Kennzeichnungspflichten, Produkthaftung oder Patentierung) und auf Problemfelder, die fur die Einfuhrung gentechnisch hergestellter und konventionell gezüchteter Kulturpflanzen gleichermaßen gelten (Kontrolle der Auskreuzung oder Erhaltung von Biodiversität).

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38 So hat etwa das norwegische Parlament in einer ad-hoc-Entschließung das Umweltministerium angewiesen, keine transgenen Produkte zuzulassen, in denen Antibiotikaresistenzgene vorkommen. Am ehesten erhoffen sich die Kritiker der Gentechnik solche Sonderpolitik von Referenden. Über ein Referendum könnte beispielsweise die Ablehnung von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln, die sich in den Umfragen dokumentiert, doch noch statt in Kaufenthaltung in ein rechtliches Verbot übersetzt werden (Ewen 1998, 290).

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Die Rolle des Rechts bei der Entstehung von Umwelt- und Sozialrisiken Von Gerd Winter

Recht reguliert nicht nur Risiken, sondern läßt Risiken auch zu allererst entstehen. Recht trägt auch zur Wiedererzeugung von Risiken bei, indem es Risikoregulierung zerstört. Nach diesen weniger erörterten Funktionen des Rechts muß man fragen, wenn die Chancen rechtlicher Bewältigung von Risiken bestimmt werden sollen. Bevor ich nach solchen Beiträgen des Rechts frage, möchte ich einen Blick auf die Realität der Risikoentwicklung werfen, die sozusagen das Material darstellt, das vom Recht geformt wird und sich zugleich in ihm ausdrückt. Dabei werde ich mich nicht systemtheoretischer Begrifflichkeit bedienen, das Problem also nicht als ein solches von Codes, Grenzen und Verhältnissen unterschiedlicher Kommunikationssysteme begreifen. Statt dessen versuche ich, stärker das Inhaltliche des Problems zu erfassen und auch den begrifflichen Apparat entsprechend einzustellen. Angesichts der systemtheoretischen Diskurse ist es freilich schwierig, substanzhafte Konzepte wie Ungleichheit, Interesse, Macht, strukturelle Determinierung, gar Kausalität überhaupt noch so in die Debatte zu bringen, daß sie auf Verständnis stoßen. Denn die Systemtheorie hat, wie mir scheint, jedenfalls insoweit gesiegt, als sie ihre Adepten unfahig oder unwillig gemacht hat, verschiedene Theoriesprachen zu sprechen. So muß, wer sich bei ihnen Gehör verschaffen will, sich ihrer Sprache bedienen und wird dadurch gezwungen, diejenigen Probleme zu vernachlässigen, die die Systemtheorie nicht recht zu begreifen vermag. Ich glaube, daß sich viele Probleme, die das reale Leben aufwirft, mal besser in der einen, mal besser in der anderen Theoriesprache erfassen lassen, und daß die Probleme insoweit ein ganz unkonstruiertes Eigenleben haben, dem man nachspüren kann, ohne sich gleich in der Suche nach dem verborgenen Seyn im Heideggerschen Sinn zu verlieren. Im Verhältnis zu den Systemtheoretikern bleibt nur zu hoffen, daß sie die materialen Prozesse, die ich beschreiben möchte, zumindest als Rauschen oder gar als strukturelle Kopp-

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lung verbuchen und daß sie die Beschreibung, die ich versuche, als eine Möglichkeit verstehen, auf die der "Eigenwert" der Beobachtung einschwingen kann. ' Zunächst möchte ich die beiden Hauptrisiken, die das Thema dieser Tagung waren, Umweltrisiken und Sozialrisiken, auf die Entwicklung bestimmter gesellschaftlicher Wirkkräfte zurückführen. Diese Wirkkräfte, Triebkräfte, Bewegungen - wer sich diesem Phänomen widmet, bezeichnet es unterschiedlich - oder, wie ich vorschlagen möchte, diese gesellschaftlichen Energien sind Syndrome aus menschlichen Anlagen, geistigen Orientierungen und sozialen Verhältnissen. Ihnen wohnt eine Entwicklungsdynamik inne, die produktiv sein kann, die aber bei einem Fehlen hemmender Faktoren so stark werden kann, daß sie in ihr Gegenteil umschlägt, was auch als positive Rückkopplung oder, in der älteren Terminologie, als Dialektik bezeichnet wird. Zur Erklärung der Entstehung der modernen Gesellschaft sind viele verschiedene derartige gesellschaftliche En-ergien aufgeführt worden. Ordnet man sie, so lassen sich zwei Typen unterscheiden. Der eine ist auf das Wirtschaftliche, der andere auf das Technische bezogen. Dem wirtschaftlichen Syndrom sind zuzuordnen: das Kapitalverhältnis, die Arbeitsteilung, die Konkurrenz, der unternehmerische Geist, der Geist des Protestantismus. Zum technischen Typ gehören die Säkularität, die Zweckrationalität, die Wissenschaft, der erfinderische Geist, die "faustische Ethik" der Naturbeherrschung 2 • Man hat sich - in der Auseinandersetzung der Marxianer und Weberianer lange gestritten, ob ein Materielles oder ein Geistiges Priorität besitzt, aber der Streit kann wohl als erledigt angesehen werden, weil beides zusammenwirkt und sich gegenseitig verstärkt. Materielles und Geistiges ist in beiden Wirkkräften vorhanden, so z. B. das Kapitalverhältnis und der unternehmerische Geist, oder die institutionalisierte Wissenschaft und der erfinderische Geist. Der Kürze halber bezeichne ich die eine gesellschaftliche En-ergie als die kapital istische und die andere als die technologische. Beide beziehen sich weitgehend auf die gesellschaftliche Produktion und behandeln die Konsumtion eher als abhängige oder subsidiäre Größe.) Das ist im Kontext der Entstehung der Industriegesellschaft, auf den sich die einschlägigen Autoren meist I Vgl. die lebendige Version eines solchen Konstruktivismus bei von Foerster 1997, passim, bes. 109 f., 157 f. mit der dogmatisierten bei Luhmann 1990, 113 f. 2 Aus der Literatur nenne ich nur einige signifikante Autoren: Mumford 1981; Landes (1969) Ausg. 1973, bes. 28 t1.; Sombart (1916), Ausg. 1969, bes. 327 f.; Weber (1905), Ausg. 1993; Marx (1890) Ausg. 1962, bes. 483 ff.; Smith (1786), Ausg. Jena 1923, bs. 5 ff. ) Dies gilt selbst für die Nachfragetheoretiker, so bereits ihr Begründer Keynes, (1936) Ausg. London 1973, bes. 89 ff.

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beziehen, wohl auch zureichend. Das Verschwinden des mit Reichtum verbundenen Konsums 4 ist geradezu die andere Seite der Verbreitung der asketischen kapitalistischen Ethik. Trotzdem sind die Konsumbedürfnisse der Neureichen des Frühkapitalismuss und später diejenigen der Mittelschichten des Hochkapitalismus wohl als eine relativ selbständige Dynamik anzusehen, die fordernd auftritt und nicht nur Resultat von Einkommen, Marktpreis und Werbung ist. Ich fUge deshalb die konsumistische den bei den anderen Energien hinzu. Die technologische En-ergie, m. a. W., Technik und Wissenschaft, waren ursprünglich auf die Herstellung von Sicherheit gerichtet, auf die Beseitigung von Risiken, die aus der Natur kommen. 6 Jedenfalls war die ursprüngliche Absicht der Erfinder neuer Techniken, die Lebensverhältnisse zu verbessern und damit die Sicherheit zu erhöhen, d. h. Risiken zu verringern. Die weitere Technikentwicklung war durch bestimmte wissenschaftliche Annahmen über die Natur, das mechanistische Weltbild, geprägt, die dazu beitrugen, daß die Technik sich mehr und mehr von der Orientierung an der Herstellung von Sicherheit löste und ihr Ziel in sich selbst fand: Technik um der Technik selbst willen, "technische Realisation" im fatalistischen Positivismus Schelskys und anderer, "instrumentelle Vernunft" in der Kritik der Frankfurter Schule. Wir können auch heute noch bei der Einftihrung neuer Techniken beobachten, daß ein sinnvoller Zweck erst im Nachhinein gesucht wird. Ein Beispiel ist die Argumentation mit Krankheiten als Anlaß für neue Methoden der Gentechnik. Diese Ablösung der Technik von substantiellen Zielen schlägt in einer dritten Phase in einem dialektischen Prozeß um. Die Technik wird nun selber zum Hauptverursacher von Risiken, sie wird zur Technikfalle, in der Technik auf Technik gesattelt wird, aber die Risiken nicht ab- sondern zunehmen. Neben solchen Umweltrisiken entstehen Sozialrisiken, weil Technik und Wissenschaft die Arbeit rationalisieren und dadurch erreichen, daß eine Gesellschaft sich reproduzieren kann, ohne daß alle arbeiten müssen. Da die öffentlichen Haushalte und Sozialfonds aber auf Steuern und Beiträgen aus dem Einkommen der Arbeitenden fußen, versiegen die Quellen, während andererseits die Zahl der zu Alimentierenden ansteigt. Hierauf reagieren Politiken der

Man lese über das Paris des Louis Napoleon nur Zola 1871. Zu ihm siehe Veblen 1905. 6 Ich benutze nicht die sozialwissenschaftliche Unterscheidung zwischen Risiko (als dem selbst zugerechneten) und Gefahr (als dem von Außen kommenden), vgl. Luhmann 199), 30 f. Um Begriffsverwirrungen mit der Rechts- und Technikwissenschaft zu vermeiden, sollte man unter Risiko lieber neutral die Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden verstehen und dann prädikativ hinzusetzen, daß Risiken selbst verursacht bzw. selbst zugerechnet oder auch der Natur zugerechnet werden können. "Gefahr" wäre dann ein erhöhtes Risiko. 4

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Arbeitsplatzschaffung, die, wenn sie auf bloß quantitative Vennehrung gerichtet sind, die übersättigten Märkte nur weiter überfüttern und dabei das Konto der Nutzung natürlicher Ressourcen weiter überziehen. Auch die konsumistische En-ergie ist eigentlich und ursprünglich auf Überleben, auf Sicherheit gerichtet, dort, wo Überfluß ist, auch auf Muße, Freude und Genuß. Jedenfalls ist Bedürfnisbefriedigung sein Ziel. Seine stetige quantitative Steigerung bei denen, die sich mehr leisten können, löst ihn jedoch von dieser ab. Konsum erfolgt nun zwecks Konsum, der Konsum selbst wird das Bedürfnis. Im weiteren Verlauf werden durch die schiere Masse häufig geplant obsoleszenter Produkte Umweltrisiken erzeugt, in Gestalt von Abfallbergen, durch die exponentielle Zunahme des. Transports von Produkten und Personen mit seinen Folgen für die Bedrohung des Klimas, durch die Zunahme chemischer Produkte mit ihren Folgen für eine Chemisierung der Umwelt, etc. Man könnte meinen, daß Konsum auf hohem oder gar übersteigertem Niveau jedenfalls keine Sozialrisiken verursacht. Wenn auch die natürlichen Ressourcen verbraucht werden, überleben dann nicht jedenfalls die Menschen? Konsum muß aber nicht nur mit Ressourcen, sondern auch mit Geld bezahlt werden. Soweit das Geld privat verdient ist, liegt hierin kein Problem, im Gegenteil wird die Lage des Konsumenten nur gestärkt, weil er mit dem Kauf zugleich Arbeitsplätze schafft und damit Sozialrisiken mindert. Das zielvergessene Wachstum des Konsums erstreckt sich aber auch auf diejenigen Waren und Dienstleistungen, die aus öffentlichen Mitteln oder Solidarfonds finanziert werden, weil die zu bearbeitenden Risiken - der Erkrankung, des Alterns - vom jeweiligen einzelnen nicht getragen werden können und deshalb vergemeinschaftet worden sind. Wenn die einzelnen in solchen Solidarsystemen ihren Konsum maximieren, wird der Gemeinschaftsfond - sei er nun aus Steuern oder Beiträgen finanziert - überzogen. Diese Entwicklung findet insbesondere in der Gesundheits- und Altersversorgung statt. Es mag unmoralisch klingen, ist aber nur im Sinne einer Beschreibung gemeint, wenn hier behauptet wird, daß die finanziellen Engpässe der Gesundheits- und Altersversorgung an entgrenzten Vorstellungen über die Bekämpfung von Krankheit und Tod, also an entgrenztem Konsum von Versorgungsleistungen liegen. Das Leben selbst wird zum Produkt von Versorgung, sein Ende ist ein Versagen des Versorgungssystems, nicht Erfüllung und Ziel in sich. Die dritte gesellschaftliche Energie ist die kapitalistische. Geld war im alten Handwerk ein Mittel der Gebrauchswertschaffung, aber es hat sich von diesem Ziel gelöst und ist zum Mittel der Tauschwerterzeugung, damit zu Kapital geworden. Immerhin hat es auch in dieser Rolle noch die Funktion der Sicherung eines gewissen Niveaus der Versorgung und Zivilisation. Indem es sich selber riskiert und die Möglichkeit in Kauf nimmt, daß es sich nicht rentiert, setzt es die technische Entwicklung, die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die Konsummöglichkeiten frei und treibt sie an. Bei allen Kosten

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und Risiken für die einzelnen, die im Zuge der Kapitalisierung der Wirtschaft rücksichtslos auskonkurriert oder übervorteilt werden, ergibt sich für die Allgemeinheit zunächst doch eine Erhöhung des Wohlstands. War dieses Ergebnis, wenn nicht bezweckt, so immerhin Seiteneffekt der unsichtbaren Hand der Konkurrenz der Einzelkapitale, so ist es mit dem Umschlag der Konkurrenz in Vermachtung bedroht. Wenn das Kapital sich auch selbst riskiert, so ist es doch daran interessiert, dieses Risiko klein zu halten. Eine Strategie besteht darin, Kosten zu externalisieren, also Umwelt- und Sozialkosten die Allgemeinheit tragen zu lassen. Dieses Interesse war in einer Situation der Trennung von Markt und Staat noch politisch zu konterkarieren. Mit der Ansammlung von Macht in der Hand großer Kapitalblöcke geht dies nur noch insoweit, wie ein Minimum von Umwelt- und Sozialschutz auch im langfristigen Interesse dieser Blöcke selbst steht. Sozial- und Umweltschutz sind nicht mehr Zweck, auch nicht mehr Seiteneffekt, sondern eine Art Langfristinvestition geworden. Nun zur Rolle des Rechts in diesem Entwicklungsprozeß. Um diese Rolle zu verstehen, empfiehlt es sich - wie m. E. überhaupt in der Rechtssoziologie zwischen verschiedenen Konfigurationen von Recht zu differenzieren, und zwar hauptsächlich zwischen dem freisetzenden oder Aktivitäten ermöglichenden Recht einerseits und dem solche Aktivitäten begrenzenden Recht andererseits. Dem begrenzenden Recht kann man noch solches Recht zur Seite stellen, das Umverteilung organisiert, wie z. B. das Steuer- und Sozialversicherungsrecht. Wenn man so unterscheidet, wird z. B. die Frage nach der Effektivität des Rechts aus strukturellen Gründen unterschiedlich beantwortet werden müssen. Dann wird verständlich, warum z. B. die Formen des Vertrages und des Sacheigentums eine sehr hohe Akzeptanz und ein geringes Vollzugsdefizit besitzen, während Recht, das die Freiheit von Eigentum und Vertrag einschränkt oder den Vermögenden Umverteilungslasten zumutet, weniger effektiv ist. Freisetzendes, ermöglichendes Recht steht mit an der Wiege jener Prozesse, die Sicherheit erzeugen sollten und letzten Endes zu Umwelt- und Sozialrisiken führten. Die wichtigsten Ablagerungen dieser Art von Recht bestehen aus der Eigentumsgarantie, aus der Berufsfreiheit in ihrem Bedeutungswandel vom Schutz der Person zum Schutz des Unternehmens, aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, das den Staat einschließlich der demokratischen Legislative zur Rechtfertigung jeden Eingriffs zwingt, aus dem im Kampf um die Wirtschaftsverfassung errungenen Sieg der sozialen Marktwirtschaft als Modell der Verfassung, aus der Ausweitung der Forschungsfreiheit zur Freiheit der Produktentwicklung, weiterhin aus der Zurverfügungstellung von Verkehrsformen auf der Ebene des einfachen Rechts, also der Verkehrsform des Vertrages, des privatrechtlichen Eigentums, und im Aufbau einer rechtlichen Infrastruktur in Gestalt des Wettbewerbsrechts, des Gesellschaftsrechts, welches ermöglicht, Kapital zusammenzufassen und umso effektiver zu wirt-

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schaften, weiterhin des gewerblichen Rechtsschutzes und vielerlei mehr. Durch dieses freisetzende Recht wird der Prozeß der Wohlfahrtssteigerung gefördert, aber auch der Prozeß des Umschlags in Risiken, wobei dieses Recht auch zugleich die erzeugten Risiken der Gesellschaft zurechenbar macht, so daß sie nicht mehr als von außen, von der Natur kommende Risiken verstanden werden können. Auf die Risiken, die mit diesem freisetzenden Recht verbunden sind, reagiert die Politik durch Rechtsetzung des Typs Eingrenzung und Umverteilung. Das geschieht historisch in späteren Phasen, und zwar, je nach der Gesellschaft, in der man sich umsieht, unterschiedlich spät. Die Reaktionen durch eingrenzendes Recht sind bekannt: Technik wird einer Risikokontrolle durch Umweltrecht unterworfen. Der Konsum wird modifiziert, etwa in Gestalt der Durchsetzung der Recycling-Idee, damit die Fülle der zu Abfall werdenden Produkte reduziert wird. Die Steigerung der technischen Produktivität mit ihren Beschäftigungseffekten wird durch Arbeitsrecht, z. B. durch Kündigungsschutz, bearbeitet. Die Explosion der Gesundheitskosten wird durch Gebührenkontrolle eingedämmt. Gegen die Vermachtung des Kapitals sollen Wettbewerbsrecht, AGB-Kontrolle, "Materialisierung" des Privatrechts und anderes helfen. Neben solches regulatives Recht, das Freiheiten begrenzt, tritt umverteilendes Recht. Umverteilung soll hier bedeuten, daß eine potentiell schadensstiftende Aktivität zugelassen, aber zur Entschädigung verpflichtet wird, sollte der Schaden (an der Umwelt, am Menschen) eintreten. Gegen manche Umweltrisiken - solche der Kernspaltung und der Gentechnik z. B. - müssen Versicherungen abgeschlossen werden, andere unterliegen nur der normalen Pflicht zum Schadensersatz; allerdings ist überall schnell die Grenze erreicht, von der an der Staat eintreten muß oder von der an der Staat auch nicht mehr leisten kann - man denke an Contergan, an Tschernobyl, an die Waldschäden. Zur Minderung von Sozialrisiken werden soziale Sicherungssysteme aufgebaut, die ganz ähnlich wie bei den Umweltrisiken nur teilweise aus den Beiträgen der Verursacher bezahlt werden, während die Lasten im Übrigen von den Betroffenen und der öffentlichen Hand zu tragen sind. Ziel des eingrenzenden und umverteil enden Rechts ist zu verhindern, daß die genannten Produktivkräfte von Instrumenten der Existenzsicherung in Instrumente der Existenzbedrohung umschlagen. Dieses Ziel ist jedoch schwer zu verwirklichen, weil die dialektische Bewegung jener Faktoren, die durch freisetzendes Recht gestützt wird, zu dynamisch ist. Jeder neuen Form regulativen Rechts steht immer schon die neue Form von Ausweichmanöver gegenüber. Doch wäre es übertrieben, das regulative Recht angesichts seiner Vollzugsdefizite als gänzlich ineffektiv hinzustellen. In vielen Bereichen wirkt es durchaus, in anderen könnte es durch kleinere Reformen, durch eine "Moder-

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nisierung des Ordnungsrechts"7, effektiver gemacht werden. Zum Teil ist es sogar so effektiv, daß es trotz ehrenwerter ökologischer oder sozialer Absicht die Adressaten blockiert, etwa wenn für bestimmte Anlagen eine Vielzahl unkoordinierter Genehmigungen erforderlich ist, die in einer integrierten Genehmigung zusammengefaßt werden könnten. Das Beispiel zeigt zugleich aber auch, daß die Auflösung fester Strukturen nicht schon per se ein Gewinn ist. Flexibilisierung hat - abgesehen davon, daß sie meist jeweils von den anderen verlangt wird - ein spezifisches Risiko, nämlich das der Anomie, die wegen der unbegrenzten Zahl plötzlich entstehender Optionen eine eigene Art von Blockade darstellen kann. 8 Die Vielzahl der Genehmigungen kann also nicht einfach mit dem aufsichtslosen Belieben eingetauscht werden. Die integrierte Genehmigung ist ein funktionales Äquivalent, bei dem die nachteiligen Nebeneffekte der Verfahrenslänge und möglichen Widersprüchlichkeit der Einzelentscheidungen beseitigt wird. Auch wenn man das Reformpotential in Rechnung stellt, bleibt eine strukturelle Schwäche gegenüber der durch freisetzendes Recht gestärkten Dynamik der gesellschaftlichen Wachstumsenergien. Seit einigen Jahren ist nun eine gedankliche Strömung zu beobachten, die unter unterschiedlichem Namen - reflexives Recht, autopoietisches Recht, Zivil gesell schaft, Regulierung der Selbstregulierung, Kommunitarismus Möglichkeiten und Grenzen des Einbaus ökologischer und sozialer Verantwortung in jene Dynamik und das sie freisetzende Recht entdeckt und ausdenkt. 9 Diese Strömung ist vielleicht nur einer der nicht abreißenden Versuche, einen dritten Weg zwischen Markt und Plan zu finden, sozusagen die Nacharbeitung dessen, was im Übergang des "Ganzen Hauses" zur kapitalistischen Wirtschaftsweise verloren gegangen ist, nämlich der Verantwortung "von sich aus", die, wie uns seit Adam Smith bis zur samstäglichen Marktwirtschaftspredigt in der FAZ eingebleut wird, das Geschäft der auf Egoismen bauenden unsichtbaren Hand nur verdirbt. Soweit die zivilgesellschaftliche Konzeption auf moralische Appelle setzt lO , dürfte sie allenfalls in ökonomischen Schönwetterperioden zum Zuge kommen. In härteren Zeiten müssen schon Strukturen existieren, die Spielräume Für den Umweltschutz siehe als Beispiel Lübbe-WolffI996. Dies wird von den Befürwortern eines flexiblen Rechts - bei aller Fruchtbarkeit ihres Ansatzes - tn. E. nicht hinreichend mitthematisiert. Vgl. als wichtigen Repräsentanten dieser Richtung Ladeur (1995), der allerdings auf der Ebene der konkreten Vorschläge sehr viel weniger wagemutig ist als auf der Ebene der Theoriebildung. Zu einer Anwendung des Durkheimschen Anomietheorems auf moderne Normerosionen siehe Münch 1998, 118 ff. 9 Siehe z. B. Beck 1996, 19 ff., Teubner 1989. \0 So weitgehend der Ansatz von Elzioni 1996. 7

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und Anreize für freiwillige Verantwortung in sich bergen. Denn man kann nicht darauf bauen, daß ein im Wettbewerb stehendes Unternehmen aus purem Altruismus eine Sonderlast zugunsten des Umweltschutzes übernimmt, oder daß jedes Jahr der Tod einer Lady Di gewaltige Spendenaktionen auslöst, die der Sozialhilfe ein bißchen aufhelfen. Soweit es das eingrenzende Recht angeht, besteht ein Potential fur freiwillige Verantwortung in der Verschiedenheit von Herstellern von Normalprodukten und Herstellern von Umweltschutzprodukten. Letztere werden den Ersteren zu zeigen versuchen, daß es umweltfreundlichere Technologie gibt, die vielleicht auch rentabler ist als die alte (übrigens werden sie auch an einem strengen Ordnungsrecht interessiert sein). Ein weiteres Potential liegt auf der Seite der Produktnachfrage. Soweit sie sich ökologisch orientiert, entsteht für die Hersteller und Anbieter ein entsprechender Anpassungsdruck. Diese Potentiale können durch neue Rechtsformen unterstützt werden, wie etwa das Umweltaudit, das dem Betrieb seine Rationalisierungsmöglichkeiten vorhalten und für eine verläßliche Information der Kunden sorgen soll. Das Recht steuert hier vermittelter als es bei dichter ordnungsrechtlicher Überwachung der Fall ist, es setzt Randbedingungen, schafft Anreize und errichtet Verhandlungspositionen, um gesellschaftliche Verantwortung zu induzieren. Soweit es das umverteilende Recht angeht, fehlt es dem zivilgesellschaftlichen Ansatz bisher noch an theoretisch fundierten Konzepten. Es herrscht noch die Phase des Brainstorming. Gedacht wird an Spendenbereitschaft und ehrenamtliche Arbeit im Gemeinschaftsinteresse, weitergehend auch an leicht entlohnte Bürgerarbeit, an Job-sharing, an Einkommensverzichte zur Schaffung neuer Arbeitsplätze etc. Vieles ist hier auf Altruismus angewiesen - eine Basis, die einerseits, wie gesagt, für die Größe der Problematik eher schwach ist und sich andererseits auch noch selbst zerstört, denn gerade die Vorstellung einer (nur, aber immerhin) teilweisen Entlohnung ist prekär: während Gratisarbeit immerhin durch soziale Anerkennung gestärkt wird, fuhrt geldliche Entlohnung in die Kultur des Tausches und der Äquivalenz, in der SubStandards demotivierend wirken. Der externe Anreiz des Geldes verdrängt die intrinsische Motivation, da das Geld aber die Leistung nicht adäquat belohnt, bleibt auch die Leistung aus. 11 Konsequenter Kommunitarismus hieße eigentlich Rückverlagerung der Sozialrisiken Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter in die Familie oder andere kleinere Gemeinschaften. Aber dieser Weg ist verbaut, weil die Individualisierung in der Moderne zu weit fortgeschritten ist, und er wäre auch nicht wünschenswert, weil die meisten Menschen sich veranlaßt sähen, wieder mehr 11 Siehe am Beispiel der freiwilligen bzw. bezahlten Blutspende Ti/muss 1971, 195 ff.

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Kinder zu zeugen, um für Notzeiten gesichert zu sein. Die Entsolidarisierung der Sozialrisiken würde also neues Bevölkerungswachstum auslösen und damit die natürlichen Ressourcen weiter überlasten. So bleibt nur, nach anderen Geldquellen für die Sozialleistungen zu suchen. Gegenwärtig wird für Steuern und Sozialbeiträge primär das Arbeitseinkommen herangezogen. Das ist in einer Gesellschaft, die neuen Wert durch Arbeit schafft, angemessen, ebenso wie es in der Agrargesellschaft, die neuen Wert aus dem Boden schöpfte, angemessen war, Ordnungs- und Sozialleistungen (soweit sie denn vom Grundherren erbracht wurden) aus einem Anteil an bäuerlichem Bodenertrag abzuzweigen. Die Technik- und Wissensgesellschaft wird demgegenüber eine neue Werttheorie ausbilden müssen, die ihrerseits Basis für die Bedienung der Sozialfonds wird. Wenn Technik und Wissen ermöglichen, daß eine Gesellschaft sich reproduziert, ohne daß alle arbeiten müssen, könnte auch der Geldmechanismus so eingestellt werden, daß nicht nur diejenigen die Soziallasten tragen, die arbeiten. Vielmehr muß das Einkommen aus dem arbeitslos geschaffenen Wert herangezogen werden. Denn der gesellschaftliche Charakter von Technik und Wissenschaft rechtfertigt es, das Einkommen hieraus in die gesellschaftliche Pflicht zu nehmen. Konkret heißt dies, daß der Weg in Richtung Technologiesteuer gehen könnte. Sie würde auch diejenigen Unternehmen verpflichten, die mit minimalen Arbeitskräften doch große Umsätze machen. Denkbar ist auch, die Mehrwertsteuer als geeignete Form anzusehen, weil sie auf jeden geschaffenen Wert, gleich ob sie aus Arbeit oder Technik und Wissen stammen, bezogen wird. Die Beispiele der Staaten, die sich von der Einkommensteuer auf die Umsatzsteuer umorientieren, sprechen dafür. Auch hätte sie zugleich dämpfenden Effekt auf das Konsumwachstum, zumal, wenn der Steuersatz in geeigneter Weise variiert wird. Demgegenüber scheint mir die Ökosteuer keine grundsätzliche Lösung zu sein, weil sie nicht auf Wertschöpfung, sondern auf Wertverbrauch fußt. Sie hat in der Gestalt von Sonderabgaben Sinn und dann den Status eines Regulierungsinstruments, das den Zweck der Ressourcenschonung verfolgt. Eine Basis für Sozialabgaben ist sie nicht, weil sie die Quelle, die sprudeln soll, gerade schließen will. Das Potential der Zivilgesellschaft soll mit solchen Hinweisen auf Strukturgrenzen nicht geleugnet werden. Selbstregulierung und selbstorganisierte Umverteilung sind ein sicher noch nicht ausgeschöpftes Feld für weitere Ideen. Dies gilt gerade auch für das Recht, genauer die Umformung des einfachen Rechts von regulativen zu induzierenden, mittelbar wirkenden Formen l2

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Siehe dazu Ladeur (1995), mit vielen Ideen.

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und die Konstruktion verfassungsrechtlicher Anschlüsse 13 wie insbesondere eine Aktivierung der Kategorie der verfassungsrechtlichen Grundpfliche 4 • Insgesamt ist die Palette der Reforminstrumente also beachtlich: Modernisierung des eingrenzenden und umverteilenden Rechts, neues Vertrauen auf die Zivilgesellschaft und Ansätze zu Strukturreformen vor allem im Bereich des umverteilenden Rechts. Diese Reform wird nun durch eine neue Erscheinung gefährdet, die unter dem Ausdruck Globalisierung zusammen gefaßt wird. Die Dynamik der genannten gesellschaftlichen Wachstumsenergien macht nicht an der Grenze des Nationalstaats halt. Soweit sie im Wesentlichen nationalstaatliehe Ausdehnung besitzen, können sie in gewissem Maße gebunden werden, so daß die zerstörerische Dialektik gehemmt wird. Aber sie sprengen heute mehr denn je die nationalen Grenzen. Das Kapital begnügt sich nicht mehr damit, von rechtlich und notfalls auch militärisch geschützter nationaler Basis aus die Rohstoffe der Welt auszubeuten, am eigenen Standort zu verarbeiten und die Produkte auf den ausländischen Märkten wieder abzusetzen, woraus Verschuldungszirkel und Abhängigkeiten zwischen reichen und armen Staaten entstehen. Vielmehr werden die großen Kapitale selbst anational und behandeln die Nationalstaaten als Standorte mehr oder weniger günstiger Verhältnisse, und zwar sowohl der faktischen Bedingungen wie des Ausbildungsstands der Arbeitskräfte, des Lohnniveaus, etc., wie auch der rechtlichen Bedingungen. Gerade die rechtlichen Bedingungen werden zu strategischen Faktoren der Unternehmen und treten in Wettbewerb miteinander. Die EG hat vorgemacht, wie solche .. regulatorische Konkurrenz" funktioniert. Der Import von Produkten ist frei, außer es gibt zwingende Erfordernisse bestimmter Schutzgüter, fiir die der Importstaat aber die Beweislast trägt. Im Prinzip muß der Importstaat also die Regelungen des Exportstaats anerkennen. Dies gilt für die Regelung der Anforderungen an die Produkte (z. B. Gesundheitsverträglichkeit der Produkte) wie auch - obwohl dies selten deutlich herausgestellt wird - für die Anforderungen an die Produktion (z. B. Arbeitsschutz, Umweltschutz, Lohnniveau). Regulatorische Konkurrenz bedeutet, daß schlechte Karten hat, wer Produkte und Produktion strengen Schutznormen unterwirft. Er wird nicht nur mit dem Widerstand seiner Industrie rechnen müssen, die eine Verteuerung ihrer Produkte befürchtet. Sondern er muß gewärtigen, daß seine Industrie die Produktion ins Ausland verlagert. Das ist allemal ein gutes Argument gegen Regulierung.

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Siehe dazu Frankenberg 1997. Winter 1998.

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Während die Durchschlagskraft der regulatorischen Konkurrenz in der EG dadurch ziemlich weitgehend entschärft wird, daß die Anforderungen an Produkte und Produktion mehr und mehr durch EG-Sekundärrecht harmonisiert werden, ist dies auf internationaler Ebene anders, weil die Harmonisierung der Standards dem mühsamen Prozeß des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge unterworfen ist. Kompetenzen zur Sekundärrechtssetzung gibt es nur ansatzweise, z. B. im Rahmen der FAO und WHO (Codex Alimentarius Commission) und im Rahmen mancher Umweltübereinkommen. Andererseits hat die WTO, ähnlich wie früher die EG in der Cassis-Entscheidung, einen kräftigen Schritt in Richtung regulatorische Konkurrenz gemacht, indem sie das Diskriminierungsverbot des Art. III GATT zu einem allgemeinen Verbot auch nicht-diskriminierender Produkt regelungen (soweit sie nicht durch plausible Schutznormen gerechtfertigt sind) ausbauteiS, und indem sie, klarer noch als dies bisher im EG-Recht ausgesprochen worden ist, dem Importstaat eine Einflußchance auf die Produktionsstandards im Exportstaat versagte l6 • Die Entwicklung zur regulatorischen Konkurrenz wird zwar durch die Dynamik des sich entnationalisierenden Kapitals gestützt, aber es ist zugleich Recht, das die Schleusen geöffnet hat. Dem eingrenzenden und umverteilenden Recht der Nationalstaaten ist auf höherer Ebene - zunächst der EG, dann der WTO - ein Schub freisetzenden Rechts übergestülpt worden. Bemerkenswerterweise geschah dies nicht nach breiter demokratischer Diskussion der beteiligten Völker, vielmehr waren die Parlamente allenfalls als Zustimmungsinstanzen post factum beteiligt, oder gar nicht, soweit nämlich unabhängige Organe der EG und WTO: der EuGH und Panels Appellate Bodies entschieden haben. Auf nationaler Ebene politisch mühsam erstrittene Schutznormen werden so auf höherer Ebene "unpolitisch" dereguliert. Zwar kann der Nationalstaat Schutznormen beibehalten oder neu erlassen, aber sein Spielraum wird stark beschränkt, denn er ist nun zur Rechtfertigung vor dem Prinzip des Freihandels gezwungen, er verliert seine Kompetenz, über Importregelungen die Produktionsbedingungen zu beeinflussen, und er riskiert selbst dann, wenn er gute Gründe zu vergleichsweise strenger Regulierung hat, daß das Kapital auswandert. Drei Wege aus dieser Situation sind in der Diskussion. Der eine ist der Weg zum Weltstaal, der in großem Umfang Kompetenzen zu harmonisierender Regelung erhält. Selbst wenn man dies nach den Erfahrungen der EU ge-

IS Zunächst auf den Anwendungsbereich des Zusatzabkommens über Sanitary and Phytosanitary Measures (ABI. EG L 336/1994,40 ff.), d. h. vorwiegend auf Lebensmittelprodukte, beschränkt, aber weitere Bereiche werden vermutlich folgen. 16 Marksteine auf diesem Weg sind die Berufungsentscheidung in Sachen Hormone in Fleisch und Fleischprodukten, EuZW 1998, 157 ff., und die Panelentscheidung in Sachen Thunfischfang von Juni 1994, ILM 1994, 839 ff.

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schickt anlegt - durch Übernahme der "neuen Konzeption" einer Trennung von Grundsatznorm und technischer Regelung, durch strenge Beachtung eines Subsidiaritätsprinzips, durch Einführung einer wenigstens ansatzweise legitimierten Komitologie - erscheinen die Aufgaben doch so immens, daß diese Variante auf absehbare Zeit bestenfalls in einigen wenigen Sektoren effektiv werden kann (am weitesten ist diesbezüglich wohl das Feld der Regulierung gefährlicher Chemikalien fortgeschritten). Zuviele Faktoren: Souveränitätsdenken, Organisierbarkeit, Legitimierbarkeit, Unterschiedlichkeit der Interessen und Kulturen wirken sich aus. Eine andere Variante ist Selbstregulierung I7 • Das entnationalisierte Kapital ist immerhin insoweit verletzlich, als es sich nicht nur der Behinderung, sondern grundsätzlich auch der Protektion der Nationalstaaten entzogen hat. Es steht in staatlich nicht mehr unbedingt geschütztem Wettbewerb mit anderen um die Gunst des ebenso entnationalisierten und entgrenzten Konsums, der ständig gepflegt sein will und sich schon auf geringe Hinweise hin abwenden könnte. Dies ist der Grund - nicht Altruismus - der multinationale Unternehmen wie Shell veranlaßt hat, die Plattform Brent Spar nicht zu versenken und bei der Ölförderung in Nigeria die Umwelt besser zu schonen. Gerade die weltweite Standardisierung der Produkte macht die Anbieter anfälliger für wechselhafte Kundenorientierungen. Ob ich bei Shell oder ESSO tanke, ist realiter vollkommen gleichgültig und deshalb stark vom Image abhängig. Daß dieses nicht angekratzt wird, treibt die Anbieter um, nicht so sehr der staatliche Eingriff oder gar das soziale und ökologische Bewußtsein des Leitungspersonals. Aber in Beziehung auf Umwelt- und Sozialrisiken ist auf den Konsum kaum dauerhaft Verlaß. Er läßt sich zu spontan ein, reagiert nur auf eklatante Fälle, ist leicht manipulierbar und sehr schnell vergeßlich. Deshalb ist noch eine dritte Lösung anzusprechen. Sie besteht in einer weltweiten Regionalisierung der Märkte und politischen Organisation. Sie ist bereits kräftig im Gang, in Europa, Amerika, Asien, weniger bisher in Afrika und den GUSStaaten. Die Sozial- und Umweltmodelle dieser Blöcke werden unterschiedlich ausgebildet sein, und es wird darauf ankommen, den Austausch zwischen ihnen so zu organisieren, daß die Standards nicht nach unten nivelliert werden. Dies kann dadurch geschehen, daß die Öffnung der Märkte nicht als erster Schritt vollzogen (oder, da er bereits vollzogen ist, interpretiert) wird, sondern als eine Konzession, die im Tausch gegen Anforderungen an Produkte und Produktion gewährt wird. 18 Dann erscheinen Umwelt- und Sozialstan17 Siehe dazu Teubner 1996, 3 ff. Die Chancen der Selbstregulierung liegen anscheinend vor allem im Bereich des freisetzenden Rechts (vor allem: lex mercatoria), während sich die Selbstbeschränkung im öffentlichen Interesse bisher schwerer tut. 18 Genauere Angaben hierzu bei Winter 1997, 33 f.

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dards nicht als Beschränkungen des freien Marktes, sondern als Primärziele, an denen sich der freie Markt bewähren muß. Das Recht, das dieses zu organisieren versteht, wäre weder freisetzendes noch eingrenzendes, sondern Nachhaltigkeit gestaltendes Recht, es wäre nicht nur Instrument sondern Zweck in sich: Gerechtigkeit.

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Zolo, Emile: La Curee (1871), Ausg. Paris 1997.

Die Autoren PD Dr. Alfons Bora, Wissenschaftszentrum Berlin, Abteilung "Nonnbildung und Umwelt" Prof. Dr. Wolfgang van den Daele, Wissenschaftszentrum Berlin, Abteilung "Normbildung und Umwelt" Dr. Petra HiIler, Wolfson College Oxford, Centre for Socio-Legal Studies Dr. Hans Hoch, Universität Konstanz, Sozialwissenschaftliche Fakultät Prof. Dr. Klaus Peter Japp, Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie Dr. Wolfgang Köck, Universität Bremen, FB 6 Rechtswissenschaft Prof. Dr. Kar/-Heim Ladeur, Universität Hamburg, Fachbereich Rechtswissenschaft II Prof. Dr. Cornelius Prittwitz, Universität Rostock, Juristische Fakultät Prof. Dr. Gerd Winter, Universität Bremen, Fachbereich Rechtswissenschaft Prof. Dr. Rainer Wolf, Technische Universität Bergakademie Freiberg