Tulliana simplicitas: Zu Form und Funktion des Zitats in den philosophischen Dialogen Ciceros 9783666252587, 3525252587, 9783525252581


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Tulliana simplicitas: Zu Form und Funktion des Zitats in den philosophischen Dialogen Ciceros
 9783666252587, 3525252587, 9783525252581

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Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Albrecht Dihle, Siegmar Döpp, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Hugh Lloyd-Jones, Günther Patzig, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 159

Vandenhoeck & Ruprecht

Lothar Spahlinger

Tulliana simplicitas Zu Form und Funktion des Zitats in den philosophischen Dialogen Ciceros

Vandenhoeck & Ruprecht

Verantwortlicher Herausgeber: Siegmar Döpp

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-25258-7 Hypomnemata ISSN 0085-1671

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Gesamtherstellung: Hubert & Co. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Forschungsüberblick 1.1. Fragestellung und Forschungsgegenstand .................................................. 9 1.2. Bestimmung des Untersuchungsmaterials ................................................ 24 1.3. Terminologie und Methode ...................................................................... 29 2. Einzelinterpretationen

2.1. »Cato maior de senectute« ....................................................................... 31 Das Problem der Einordnung des »Cato maior« im Rahmen der antiken Dialogtradition ............................................................................. 31 Struktur und Anlage des Dialogs .............................................................. 36 Ennius-Zitate ............................................................................................ 38 Pythagoreer-Zitate .................................................................................... 44 Xenophon- und Platon-Zitate ................................................................... 47 Die übrigen Dichter- und Prosa-Zitate ..................................................... 53 Ciceros Gestaltung Catos im »Cato maior« ............................................. 60 Zusammenfassung .................................................................................... 66 2.2. Die Epikureer- und Stoiker-Reden in »de natura deorum« und »de jinibus bonorum et malorum« sowie die Rede des Quintus Cicero in »de divinatione« [mit einem Exkurs zur Rede des Piso in »de jinibus«] ............................................................................................. 67 Die Rede des Epikureers C.Velleius in »de natura deorum« ................... 67 Die Rede des Epikureers L. Manlius Torquatus in »dejinibus bonorum et malorum« ............................................................ 75 Die Rede des Stoikers Balbus in »de natura deorum« ............................. 82 Die Rede des Stoikers Cato in »de jinibus bonorum et malorum« ........... 96 Die Rede des Q. Cicero in »de divinatione« .......................................... 109 Zusammenfassung .................................................................................. 129 [Exkurs: Zur Rede des Piso in »de jinibus«] ....................... ................... 130 2.3. Das 1. Buch der »Tusculanae disputationes« [mit einem Exkurs: Platon als Modell ciceronischer Dialogtechnik]. .................................... 132 Das Prooemium des Gesamtwerks (1-8) ................................................ 133 Einleitung und doxographischer Exkurs (9-25) ...................................... 136 Exposition und 1. Hauptteil (26-81) ....................................................... 141 2. Hauptteil (82-111) .............................................................................. 155 5

Der Epilog (112-119) .............................................................................. 165 Zusammenfassung .................................................................................. 167 [Exkurs: Platon als Modell ciceronischer Dialogtechnik] ...................... 168 2.4. Die Cato- und Selbstzitate in »de officiis« ............................................. 173 Selbstzitate .............................................................................................. 173 Cato-Zitate .............................................................................................. 178 Zusammenfassung .................................................................................. 187 2.5. Ciceros Zitiertechnik .............................................................................. 188 de gloria frg. 2 Garbarino und das Problem der Fehlzitate .................... 189 Ciceros »Timaios«-Übersetzung ............................................................. 196 Zum Problem der Markierung von Zitaten ............................................. 205

2.6. Schluß ....................................................................................................... 218 3. Die Auswahl der Autoren und ihrer Werke 3.1. Lateinische Autoren ................................................................................ 223 3.2. Griechische Autoren ............................................................................... 254 Griechische Dichter ................................................................................ 254 Griechische Prosa-Autoren ..................................................................... 264 Griechische Philosophen ........................................................................ 269 4. Schluß .............................................................................................................. 341 5. Bibliographie ................................................................................................... 344 6. Index ................................................................................................................ 358

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2002 von der Geisteswissenschaftlichen Sektion der Universität Konstanz als schriftliche Habilitationsleistung angenommen und für den Druck überarbeitet. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Peter Lebrecht Schmidt, Konstanz, für seine vielfältige Unterstützung sowie meiner Lehrerin, Frau Professor Dr. Antonie Wlosok, Mainz, und Herrn Professor Dr. Jürgen Paul Schwindt, Heidelberg, denen ich ebenfalls Teile dieser Studie vorlegen durfte. Zu nennen ist ferner Herr Professor Dr. Markus Asper, Pennsylvania, der in zahlreichen Gesprächen wesentlich zur Klärung meiner eigenen Überlegungen beitrug. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft gebührt Dank für ihre großzügige Förderung meiner Studien, der Universität Konstanz dafür, den institutionellen Rahmen für meine Forschungen zur Verfiigung gestellt zu haben. Den Herausgebern der »Hypomnemata«, namentlich Herrn Professor Dr. Siegmar Döpp, Göttingen, habe ich für die Bereitschaft zu danken, diese Untersuchung in ihre Reihe aufzunehmen, ebenso dem Verlag. Ein Wort dankbaren Andenkens gehört schließlich Herrn Professor Dr. Reinhart Herzog (gest.1994), Konstanz, ohne dessen Förderung die Arbeit niemals hätte entstehen können. Uxori patientissimae ac !iberis Frankfurt am Main, im März 2005

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1. Einleitung und Forschungsüberblick

1.1 Fragestellung und Forschungsstand Mit der Wendung Tulliana simplicitas charakterisiert der ältere Plinius in der praejatio seiner Naturalis historia Ciceros Umgang mit seinen Quellenautoren. In einer Kritik seiner Gewährsmänner, von denen gerade die Zuverlässigsten ohne Quellenangaben ihre Vorgänger ausgeschrieben hätten, vermerkt Plinius als positive Gegenbilder den Umgang des Vergil und des Cicero mit ihren Vorlagen: Der eine habe, Vergiliana virtute, seine Quellen nicht aufgedeckt, um mit ihnen in einen literarischen Wettstreit zu treten, der andere habe sie, eben Tulliana simplicitate, in aller Offenheit benannt. l Daß aber Plinius in dieser Einschätzung einem Irrtum unterliegt, zeigen die von ihm selbst herangezogenen Beispiele: Forschungen zu .ode oJjiciis« haben erkennbar werden lassen, daß Cicero hier über Panaitios hinaus auf andere Quellen zurückgreift; die ciceronische Korrespondenz der Zeit bestätigt dieses Ergebnis. Während also gemäß der plinianischen Äußerung ein Teil der Quellen Ciceros genannt ist, bleibt ein anderer unerwähnt. Dabei handelt es sich nicht nur um marginale Passagen innerhalb der philosophischen Argumentation, sondern zuweilen werden zentrale Punkte der Erörterung mit wörtlichen Übernahmen größeren Umfangs aus Schlüsselwerken der griechischen Philosophie bestritten, ohne daß diese von Cicero ausgewiesen wären? In einigen Fällen könnte dabei Cicero Diebstahl geistigen Eigentums vorgeworfen werden, wie Plinius selbst

'.seito enim eonferentem auctores me deprehendisse a iuratissimis ex proximis veteres transcriptos ad verbum neque nomillalos, non illa Vergiliana virtute, ul eertarent, non Tulliana si11lplieitate, qui de re publiea Platonis se eomitem profitetur, in eOllsolatione filiae 'Crantorem', inquit, 'sequor', item 'Pallaetium' de offieiis, quae volumina ediseenda, 11011 modo in manibus eolidie habenda nosti.« (nat.hist. praef22). Zur Wertschätzung Ciceros beim älteren Plinius vgl. RE. Wolverton, The Encomiurn of Cicero in Pliny the Eider. In: Classical, Mediaeval, and Renaissance Studies in Honor of B.L.Ullman. Roma 1964, 159-164, ferner mit Blick auf den weiteren ZusanmJenhang W.Richter, Das Cicerobild der römischen Kaiserzeit. In: G.Radke (Hrsg.), Cicero - ein Mensch seiner Zeit. Acht Vorträge zu einem geistesgeschichtlichen Phänomen. Berlin 1968, 161197. Zur praefatio des Plinius selbst vor allem Th.Köves-Zulauf, Die Vorrede der plinianischen »Naturgeschichte. WS 86, 1973, 134-184, ferner N.P.Howe, In Defense ofthe Encyclopedic Mode: on Pliny's Prefaee to the Natural Histo/Y. Latomus 44, 1985,561-576, wo allerdings eine Interpretation der vorliegende Passage fehlt. 2S0 der Beweis der Unsterblichkeit der Seele aus dem platonischen .Phaidros. in Tuse. disp.l ,5355, und die übertragung aus dem platonischen»Timaios« zur Adaption in dem geplanten Dialog ode universo«. Zu beiden vgl. unten S.149 ff. bzw. 197-206. 9

es gegenüber seinen jüngeren Gewährsleuten tut 3 Auf der anderen Seite ließe sich aber ebenso sehr auch von einer Tulliana virtus sprechen, die die literarische aemulatio mit den Griechen aufgenommen hat auf dem Felde der philosophischen Literatur, wie Vergil auf dem der Dichtung: 4 Die zahlreichen Selbstaussagen Ciceros zur »Einbürgerung der Philosophie in Rom«5 belegen diesen Aspekt seines literarischen Programms. Dieser gegenüber Plinius weitaus komplexere Umgang Ciceros mit seinen Quellen wird von der Quellenforschung bestätigt. Vor allem R.Hirzel hat vor einem allzu großen Enthusiasmus hinsichtlich der Identifizierbarkeit der Quellen Ciceros gewarnt und auf die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung von dessen Quellenbenutzung hingewiesen: So sei die unterschiedlich schnelle Ausarbeitung der Schriften insofern relevant, als sie einen unterschiedlich engen Anschluß an die Quellen bedinge; die Lehrvorträge einzelner Schulvertreter seien enger an Quellen gebunden als von Cicero freier entwickelte Partien, und schließlich sei die Unterschiedlichkeit der in den Dialogen behandelten Gegenstände zu berücksichtigen, ethische Themenstellungen seien einer rhetorischen Behandlung zugänglicher als erkenntnistheoretische oder theologische. Aus all dem folgt nach Hirzel, daß es keine allgemein geltende Schablone gebe, »nach der wir über Ciceros Verhältniss zu seinen Quellen in zwei Worten absprechen könnten.«.6 Zudem hat sich die Forschung nur auf einen Teil des Quellen Materials konzentriert, das Cicero herangezogen hat, nämlich auf die philosophische Literatur im engeren Sinne, die als inhaltliche Vorlage in Frage kommt. Die in breitem Umfang nachweisbare nicht-philosophische Literatur blieb hingegen weitgehend unbeachtet, obschon Dichterzitate in zum Teil beträchtlicher Länge die philosophischen Darlegungen durchbrechen. Und auch hier läßt sich eine ähnliche Komplexität der Behandlung nachweisen wie bei den philosophischen Quellen. Die Vernachlässigung der nicht-philosophischen Zitate in den philosophischen Schriften hängt dabei offenkundig zusammen mit der generellen Vernachlässigung nicht-philosophischer Aspekte der ciceronischen Philosophica während langer Zeit. 7 Obwohl die Cicero-

3»abnoxii profecto animi et infelicis ingenii est deprehendi infurto malle quam mutuum reddere, cum praesertim sors fiat ex usura.• (praej23). Zur Frage nach dem Plagiat in der Antike vgl. neben E.Stemplinger, Das Plagiat. In: Ders., Die Ewigkeit der Antike. Gesammelte Aufsätze. Leipzig 1924, 15-30, die Darstellung vonK.Ziegler, RE.20.2, 1950, Sp. 1957-1997 s.v. Plagiat). 'Zu aemulatio und verwandten Phänomenen vgl. A.Reiff, interpretatio, imitatio, aemulatio. Begriff und Vorstellung literarischer Abhängigkeit bei den Römern. Diss. Köln 1959; und W. Schmid, Originalität als Metamorphose des Übernommenen. Traditionsbindung und Spontaneität der römischen Literatur. Jetzt in: Ders., Ausgewählte philologische Schriften. BerlinI New York 1984, 718-726. 5R.Harder, Die Antike 5,1929,291-315. 6R.Hirzel, Untersuchungen zu Ciceros philosophischen Schriften. 1. De natura deorum. Leipzig 1877 (=repr. Hildesheim 1964), S.l-3 (das Zitat aufS.3). 'Charakteristisch hierfür E.Norden, Die antike Kunstprosa vom VI. Jahrhundert V.Chr. bis in die Zeit der Renaissance. Darmstadt 61971, der in seinem ohnehin knappen Abschnitt zu Cicero (S.I 212233) dessen philosophische Schriften vollkommen übergeht.

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Forschung in den letzten Jahrzehnten den künstlerischen Eigenwert seiner Schriften schätzen gelernt hat und die Analyse von Form und Gestaltung der philosophischen Werke immer breitere Aufmerksamkeit fur sich beansprucht, 8 stellen stilistische Einzelanalysen zur Mehrzahl der Schriften nach wie vor ein Desiderat dar. Symptomatisch hierfur ist W.Süß' Untersuchung »Die dramatische Kunst in den philosophischen Dialogen Ciceros«,9 dessen Thema zwar »die Kunst« ist, »mit der hier die Figuranten auf der Bühne dirigiert, die Fäden gezogen und der rechte Einsatz der Argumente entsprechend der Prozeßlage bemessen wird«,10 und der die Personengestaltung als wesentliches Medium von Ciceros philosophischer Schriftstellerei ausmacht, auf die Mittel aber gleichwohl nicht eingeht. Allein R.EJones hat sich mit Ciceros Personengestaltung in den Dialogen befaßt ll und deren Stimmigkeit hinsichtlich der historischen Daten nachzuweisen versucht. Seine Aufinerksamkeit gilt mithin auch hier in erster Linie inhaltlichen Aspekten der Reden, auf eine stilistisch-rhetorische Analyse ist hingegen weitestgehend verzichtet. Dem Fehlen stilistisch-rhetorischer Einzelanalysen zu den philosophischen Schriften entspricht der Umstand, daß auch monographische Behandlungen einzelner rhetorischer Mittel in Ciceros Philosophica kaum vorliegen. Mit Blick auf die Zitate ist man hier noch immer auf die Dissertation von E.Howind angewiesen, die sich mit Cicero lediglich neben Plutarch, Seneca und dem Neuen Testament befaßt/ 2 gleichwohl aber wesentliche Aspekte herausgearbeitet hat. Mit ihr liegt eine Untersuchung vor, die sich in erster Linie mit formalen Aspekten der Zitate beschäftigt, mit dem methodisch berechtigten Verzicht auf dicta praeclara et

8Vgl. neben RHirzel, Der Dialog. Ein literarhistorischer Versuch. Zwei Theile. Leipzig 1895, bes. S.I 411-565, EBecker, Technik und Szenerie des ciceronischen Dialogs. Diss. Münster 1938; und G.Zoll, Cicero Platonis Aemulus. Untersuchung über die Form von von Ciceros Dialogen, besonders von De oratore. Zürich 1962; ferner AD.Leeman, Oratioms Ratio. The Stylistic Theories and Practice of the Roman Orators, Historians, and Philosophers. Amsterdam 1963, dort bes. S.198216, und P.RSmith, 'A seihndulgent misuse ofleisure and writing'? How Not to Write Philosophy: Did Cicero Get it Right? In: lG.F.Poweli (Ed.), Cicero the Philosopher. Twelve Papers. Oxford 1995, 301-323 (hier findet sich gleichsam als Motto die Formulierung: »Cicero requires rhetorical philosophy ... , S.302, was rhetorische Analysen der Philosophica nur umso mehr als dringliche Desiderate erscheinen läßt). Wichtig zur rhetorischen Aspekten einzelner philosophischer Schriften AMichel, RMtorique et Philosophie dans les Tusculanes. REL 39, 1961, 158-171; AEDouglas, Form and Content in the Tusculan Disputations_ In: Powell, Cicero, 197-218; C.Schäublin, Philosophie und Rhetorik in der Auseinandersetzung um die Religion. Zu Cicero, De natura deorum 1. MB 47, 1990, 87-10 1; sowie die aufeinander bezogenen Studien von NDenyer, The Case against Divination, An Examination ofCicero's De divinatione. PCPhS 31, 1985, 1-10; MBeard, Cicero and Divination, The Formation of a Latin Discourse. JRS 76, 1986,33-46; und MSchofield, Cicero for and against Divination. Ebd., 47 -65. 'Hermes 80, 1952, 419-436. IOSÜ ß, Dramatische Kunst, S,419. lIRE.Jones, Cicero's Accuracy of Characterization in His Dialogue. AJPh 60, 1939, 307-325; vgl. auch einschlägige Abschnitte bei Becker, Technik und Szenerie. 12EHowind, De ratione citandi in Ciceronis Plutarchi Senecae Novi Testamenti scriptis obvia. Diss. Marburg 1921, S. 7-23 zu Cicero. II

memorabilia13 einerseits und proverbia andererseits, und die als einzige alle Schriften erfaßt, mit einer deutlichen Konzentration auf die philosophischen Schriften, die Auswahl der zitierten Autoren und Werke sowie die Funktionen der Zitate in ihrem Zusammenhang spielen jedoch keine Rolle. Die knappen Studien zu Zitaten bei Cicero von M.Radin und P.J.Armleder wenden sich einzelnen Werkgruppen, den Reden bzw. den Briefen, zu und liefern auf der Grundlage dieses Textmaterials wichtige Ergebnisse zur Form sowie zur Statistik zitierter Autoren. 14 Im Rahmen seiner Ciceros Werk insgesamt umfassenden Stil- und Sprachanalyse befaßt sich ferner auch M.von Albreche s mit Ciceros Zitattechnik, seine Ergebnisse bleiben aber - dem Genre des Lexikon-Artikels gemäß - weitgehend allgemein. 16 Im selben Jahr wie von Albrechts RE. - Artikel erschien schließlich auch eine Abhandlung von H.D. Jocelyn, deren Material sich zwar auf die griechischen Dichterzitate in Ciceros Prosaschriften beschränkt, deren Ergebnisse aber außerordentlich folgenreich sind für das Verständnis auch der lateinischen Dichterzitate 17 Ihre zentrale These näm-

l3Hierauf konzentriert sich H.C.Gotoff, Cicero's Style for Relating Memorable Sayings. rcs 6, 1981, 294-316; sein Versuch einer Angrenzung der Apophthegmata von Anekdoten scheitert jedoch an terminologischen Inkonsequenzen. 14M.Radin, Literaf)' References in Cicero's Orations. CJ 6, 1910-1911,209-217; P.J.Arrnleder, Cicero's Method~ 01' Quoting. CB 36, 1959-1960, 20, und ders., Litera!) Quotations in Cicero', Epistulae. CB 43, 1967,81-85. Arrnleders Beschäftigung mit den Zitaten in Ciceros Briefen hat Vorgänger in RB.Steele, The Greek in Cicero's Epistles. AJPh 21, 1900, 387-410 (zu Zitaten bes. S.392-403), mit einer nützlichen Bestandsaufuahme der Zitate und ihrer Autoren, und in W.Stahlenbrecher, Die Dichterzitate in Ciceros Korrespondenz. Diss. Hamburg 1957. V gl. ferner G.L.Hendrickson, Literat)' Sources in Cicero's Bmtus and the Technique of Citation in Dialogue. AJPh 27, 1906, 184-199, der sich mit der Indizierung der Quellen in den Dialog-Reden durch Verweise auf ftktive persönliche Begegnungen der Redner mit den Quellenautoren befaßt und so eine Verbindung zwischen Quellenforschung und Zitatanalyse herstellt. 15M.vonAlbrecht, RE.Suppl. 13,1973, Sp.1237-1347 s.v. M. Tullius Cicero: Sprache und Stil. 16Die eher technischc Frage nach Ciceros Verhältnis zu Büchern beleuchten die beiden Dissertationen von T.Pütz, De M. Tulli Ciceronis Bibliotheca. Diss. Münster 1925, und F.L.Meyer, Cicero und die Bücher. Diss. Zürich 1955. Während die Studie Meyers über eine weitgehend ciceronische Selbstzeugnisse paraphrasierende Materialsammlung nicht hinausgelangt, wertet Pütz in der Absicht »quos tandem libros in bibliotheca habuerit, indagare« (S.3) Zeugnisse und Zitate vor allem des Briefkorpus, aber auch der übrigen ciceronischen Schriften ans, wobei die Nelmung einzelner Autoren und einzelner Werke, aber auch Ergebnisse der Quellenforschung die Grundlage bilden. Mit dieser streng positivistischen Konzeption ist jedoch über Wahrscheinlichkeitsschlüsse nicht hinauszuge!angen. Denn zum Einen wird nicht in Rechnung gestellt, daß Cicero Autoren bt-'!lutzt haben könnte, die er nicht erwähnt, zum Anderen, daß er mittels Zitate auf Autoren hinweist, die heute nicht mehr identiftziert werden können: Pütz' Dissertation ist mithin als Testimonien-Sammlung noch immer nützlich, in ihrer eigentlichen Zielsetzung aber verfehlt 17H.D.Jocelyn, Greek poetry in Cicero's prose writing. YCIS 23, 1973, 61-111. »A brief discussion of the role that verse-quotations in general played in Cieero's philosophical essays« bietet PJ.Aieher, Homer and Roman Republican Poetry. Diss. Chape! Hili 1986, bes. S.102-106 (das Zitat S 102). Er unterscheidet zwei Funktionen, das Verszitat als Schmuck (»to sweeten exposition with ist charmes«, S.103) und als Argument der auctoritas. Im einen Falle dienen der Stoiker Dionysios und PhiIon von Latissa als Vorbilder (»as practitioners of the technique of interspersing philosophy with poetry«, ebd.), im anderen Aristoteles, vor allem in den ethischen und politischen Schriften; ebenfalls bei Aicher [mdet sich auch der Hinweis auf Platon als generelles Vorbild, womit wesentliche Aspekte zu einer Analyse der ciceronischen Zitattechnik angedeutet sind. 12

lich ist, daß die Mehrheit der Zitate Beweisfunktion habe (im Gegensatz zur Schmuckfunktion in den Reden) und hierin den Charakter griechischer Handbücher widerspiegele, die Cicero als Quelle benutzt habe; 18 Cicero habe die griechischen Zitate seiner Vorlagen durch ihre lateinischen Äquivalente ersetzt. Diese These hat drei, bei Jocelyn nicht erwähnte Prämissen: 1.) eine starre Abhängigkeit Ciceros von seinen griechischen Quellen (in diesem Punkt knüpft die Untersuchung an die Grundpositionen der Quellenforschung an, die Ciceros eigenen literarischen Intentionen keine Rechnung trägt), 2.) eine ebenso starre Abhängigkeit der zitierten lateinischen Adaptionen von ihren griechischen Vorlagen (denn nur dann ist es möglich, ein griechisches Verszitat durch ein lateinisches zu ersetzen, wenn sie dem Inhalt und dem Tenor nach einander entsprechen) und 3.) eine Identität der literarischen Kenntnisse der griechischen und der römischen Adressaten (denn nur so kann der argumentative Status der Zitate gesichert werden: Ein Zitat, das fur die Rezipienten der griechischen Vorlagen bedeutsam, fur das lateinischen Publikum der ciceronischen Schriften aber ohne Bedeutung ist, verliert seine argumentative Funktion). Ungeachtet dieses höchst problematischen Ansatzes, denn keine dieser drei Prämissen kann Gültigkeit fur sich beanspruchen,19 bietet Jocelyns Untersuchung eine Fülle von nützlichem Material und ist überhaupt die einzige Studie, die den Verszitate in Ciceros Philosophica bislang die gebührende Aufmerksamkeit schenkt; darüber hinaus leistet sie die wichtige Verbindung zwischen Zitaten einerseits und dem Fragenkomplex ciceronischer Übersetzungspraxis andererseits. Neben diesen Untersuchungen haben einige Studien die Zitate bei Cicero insofern zum Thema, als sie die Rezeptionsgeschichte einzelner Autoren verfolgen und so auch deren Berücksichtigung bei Cicero behandeln,20 bis hin dazu, daß sie ausschließlich die ciceronische Rezeption eines Autors oder einer Autorengruppe zum Inhalt haben 21 Eine Einzelanalyse des Phänomens .. Zitat im philosophischen Dialog Ciceros« liegt mithin noch nicht vor. 22 Sie hat, um das Problem nicht wieder

18Jocelyn, aaO., S.66. 19Vgl. im Einzelnen hierzu unten S.196 f. 20Vgl. H.Marti, Zeugnisse zur Nachwirkung des Dichters Terenz im Altertum. In: UReinhardti K.Sa11mann (Hrsgg.), Musa Iocosa. Fs. AThierfelder. Hildesheiml New York 1974, 158-178, zu Cicero bes. S.159 ff. 21ZU nennen sind W.Zillinger, Cicero und die altrömischen Dichter. Diss. Erlangen 191 L E.Malcovati, Cicerone e la Poesia. Pavia 1943 (= Annali de11a Facolta di Lettere e di Filosofia della Universita di Cagliari. VoLl3, 1943); und F. Warren Wright, Cicero and the Theater. Northamptonl Mass. 1931.Vgl. auch R.Giomini, Echi di Accio in Cicerone. In: Atti deI I. Congresso Internazionale di studi Ciceroniani. Roma Aprile 1959. Roma 1961, VoI.II, 321-331. 22. Vielleicht ist in a11 diesen Studien längst jede mögliche Wirkung des Zitierens schon einmal bedacht worden, und wer imstande wäre, aus solcher Vielfalt die Summe zu ziehen, könnte wohl hoffen, eine heimlich vorhandene, aber nie explizite Theorie des Zitierens als Ernte einzubringen. Doch ich fürchte: diese Ernte bleibt auf dem Halm.- Diese eher pessimistische Einschätzung der Forschungssituation zu einer Zitattheorie neuerer Literatur bei P.H.Neumann, Das Eigene und das Fremde. Über die Wünschbarkeit einer Theorie des Zitierens. Akzente 27, 1980, 292-305, läßt sich 13

um nur in Einzelaspekten zu behandeln, mehrerlei zu leisten: Mit Blick auf Cicero sind formale und funktionale Fragen zu klären, vor allem Fragen nach dem argumentativen Status der Zitate innerhalb der einzelnen Dialogreden (hier wird zu zeigen sein, daß die Funktion über die rhetorischen Schmucks hinausreicht), im Nebeneinander der einzelnen Reden und schließlich in Hinblick auf die literarische Gattung insgesamt; die formale Seite betriffi in erster Linie die Frage nach der Kennzeichnung des Zitats im Text. Über Cicero hinausgehend erhalten die Zitate auch eine literaturgeschichtliche Perspektive, insofern Zitate auch als Dokument der Rezeption verstanden werden müssen: Von hier aus gelangen die Auswahl der Autoren und ihrer Werke bis hin zur Herausbildung eines literarischen Kanon am Ausgang der römischen Republik in den Blick. Bei all dem kann sich die vorliegende Untersuchung - auch von Cicero selbst abgesehen - kaum auf Vorarbeiten stützen, der Versuch einer Zitattheorie fur die lateinische Literatur fehlt noch immer weitgehend, so daß sich an der Einschätzung der Forschungslage, die H.Hagendahl schon 1947 vorgetragen hat, bislang wenig geändert hat 23 Hagendahls eigener Ansatz einer systematischen Analyse der Zitationstechnik ist fur die gesamte spätere Forschung insofern charakteristisch, als die Rezeption paganer in christlicher Literatur auf dem Wege des Zitats den Ausgangspunkt bildet und eine Übertragung der Ergebnisse außerhalb dieses geistesgeschichtlichen Zusammenhangs daher auch nicht ohne Weiteres möglich ist. Wie schon in seinem knappen Aufsatz steht auch in Hagendahls monumentaler Studie von 1958 die Rezeption paganer Literatur durch die christlichen Autoren im Mittelpunkt, d.h. das Phänomen der Anverwandlung einer prägenden kulturellen Tradition unter völlig neuen religiösen Vorzeichen: 24 Es geht hier um den geistesgeschichtlichen Prozeß eines sich verändernden Umgangs mit der paganen Tradition, bei der die Zitation heidnischer Autoren lediglich ein Aspekt ist. Im selben Jahr wie Hagendahls Monographie erschien die thematisch eng verwandte Untersuchung von

ohne weiteres auch auf die Forschungssituation zu Cicero übertragen. Dabei ist dieses Fehlen einer systematischen Untersuchung des Zitatgebrauchs in Ciceros philosophischen Schriften auch insofern bemerkenswert, als vergleichbare Studien zu Platon bereits seit geraumer Zeit vorliegen, die Fruchtbarkeit dieser Fragestellung für das Verständnis auch eines philosophischen Autors mithin erkennbar ist (vgl. zu Platon D.Tarrant, Plato's Use of Quotations and Other Illustrative Material. CQ 45, 1951, 59-67, und IRöttger, Das Zitat bei Platon. Diss. Tübingen 1960; ausführlich hierzu auch unten S.169-173). 23»As for Latin literature, a systematic history of its methods of quotation has yet to be written. The scholar who feels inclined to engage himself in that interesting subject cannot complain of the absence of works dealing with imitation and sources .... he will fmd useful materials brought together in innumerable dissertations and papers. In spite of all that preparatory work, the main task however will remain for him: there is the difficulty of making an attempt at pointing out different proceedings and tendencies and tracing the development.. So HHagendahl, Methods of Citation in Post-classical Latin Prose. Eranos 45, 1947, 114-128, das Zitat aufS.II8. 24HHagendahl, Latin Fathers and the Classics. A Study on the Apologlsts, Jerome and Other Christian Writers. Göteborg 1958 (= Studia Graeca et Latina Gothoburgensia VI); bes. S.298-309. 14

W.Krause, in der sich immerhin der ·,Versuch einer allgemeinen Theorie des Zitats« findet: 25 Er klassifiziert funf Aspekte, unter denen Zitate zu betrachten seien: als .'soziologisches Phänomen« (»soziologische(s) Zitat« oder »Zitat im weiteren Sinne« sind dabei Wendungen, die »ohne Berücksichtigung jener festgefugten Formulierungen« .. als kurze Redewendungen wie als ganze Sätze Lebenserfahrungen und Weltbild der Gemeinschaft darbieten«; sie sind als solche entindividualisiert und verleihen dem subjektiven Gedanken dessen, der sie aufgreift, höhere Autorität); als "psychologisches Phänomen« (hier geht es um die Klassifikation der Motive des Zitierens, wobei .. Autoritätszitat«, ..Hilfszitat«, ..Hinweiszitat«, .,Materialzitat« und ..polemisches Zitat« zu unterscheiden seien); als ..formales Problem« (Unterscheidung von ..direktem«, .,indirektem.', ..InhaIts-« und ..Werkzitat.,); die .. Stellung des Zitats«; und schließlich das Zitat als .. Ausdruck der Bildung«. Krauses Ansatz einer Theorie umreißt das Problemfeld des Zitierens, die von ihm gewählte Terminologie sowie die genannten Aspekte scheinen allerdings willkürlich: So ist nicht einzusehen, weshalb das Zitat als ..psychologisches Phänomen« nicht auch das Zitat als .. Ausdruck der Bildung« umfassen sollte, und bleibt weiterhin die Differenzierung nach .. direktem« und .'indirektem«, nach ..Inhalt-« oder »Werkzitat« unscharf. Es bedarf daher einer terminologischen Präzisierung dieses theoretischen Ansatzes. H.Berthold hat in zwei Studien wichtige Grundlagen zu einer Theorie des lateinischen Zitats geboten: 26 Während sich aber die jüngere Untersuchung vor allem den ..mannigfachen Bemühungen« widmet, »Spruchgut zu sammeln und anwendungsbereit zu halten«, also die »Verbrauchersphäre«, die »Literaturnachnutzung« in den Blick nimmt und in einen geistesgeschichtlichen Kontext einzuordnen sucht,27 unterscheidet Berthold in der Studie von 1985 im Zusammenhang mit Vergil-Zitationen wesentliche Funktionen,28 differenziert hinsichtlich der Markiertheit von Zitaten drei Möglichkeiten mit ihren Entsprechungen bei den Rezipienten29 und

"W.Krause, Die Stellung der frühcluistlichen Autoren zur heidnischen Literatur. Wien 1958, der genannte -Versuch- dort S.51-58 (hier auch die im Folgenden zitierten Tennini). 26H.Berthold, Das -klassische. Zitat. Versus notissimi der Augusteischen Epoche. Klio 67, 1985, 302-314; und ders., Dichtervers und Philosophenspruch. Konkurrenz und Zusanunenspiel. Philologus 135, 1991, 184-190. 27Alle Zitate bei Berthold, Dichtervers, S.185. 28Das Zitat ist demzufolge die -Möglichkeit ... , eigene Erlebniswirklichkeit historisch! mythisch zu überhöhen, zu steigern, Gnmdfragen des Menschen- und Weltbildes zu diskutieren, schließlich im Akt lebendiger Aneignung den hermeneutischen Teufelskreis zu durchbrechen., so Berthold, Das .klassische- Zitat, S.302; später, S.304, findet sich die Unterscheidung von »Beleg- und Beweiszitaten. als inhaltliche Funktion und .Schmuck- und Bildungszitaten•. 29Berthold, aaO., S.304: .Zitiert werden kann mit Erfolg nur, was eingeführt, bekannt, was erkennbar ist. Wer zitiert, führt a) das Zitat eines von ihm bezeichneten Autor ein, b) ein abgehobenes Zitat ohne Namensnennung, oder c) ein Zitat ohne Kennzeichnung im fortlaufenden (poetischen oder prosaischen) Text. Dem entspricht auf der Seite des Rezipienten die Möglichkeit, a) ein konkret vorliegendes Zitat zu erkennen, b) den Zitatcharakter einer Stelle zu ahnen, oder c) ein Zitat nicht als solches zu verstehen.15

behandelt schließlich auch das Problem des Verhältnisses eines Zitats zu dem neuen, es umgebenden Kontext. 30 Damit sind, ohne daß Berthold diesen Anspruch tatsächlich erhebt, wesentliche Elemente einer Zitattheorie behandelt, über die die altsprachliche Forschung bislang nicht hinausgelangt ist. 3! Demgegenüber hat die Zitatforschung in den neueren Literaturen ein weitaus höheres theoretisches Niveau erreicht, das sie, neben der älteren Monographie von E.E.Kellett,32 vor allem der deskriptiven Sprachwissenschaft und der Intertextualitätstheorie33 verdankt. Dennoch ist die Forschungsliteratur zum Zitat aus dem

30VgI. Berthold, aaü., S.306: »Zitiert, »bewegt«, wird immer ein Teilstück, ein Element, ein Lösbares, begrenzt Selbständiges, das trotzdem seinen Ursprung nicht leugnen kann und will. Zitieren setzt, auch und gerade beim vergegenwärtigenden Nahbezug, Abstand voraus, schaffi ihn aber auch zugleich, erhält ihn. Das Angemessensein, das »Passen- eines Zitats ist ein bloßer Richtwert. Es ist ja doch überhaupt nicht zu erwarten, daß ein Zitat jemals völlig »paßt«. Es muß mit Notwendigkeit höher (pathetisch) sein oder niedriger (parodistisch), wahrer (anerkannt) oder falscher (umkämpft), schöner (funktional stimmig) oder häßlicher (kontrastierend), anonymer (sprichwörtlich) oder »kanonischer« (anerkannte oder zur Anerkennung vorgeschlagene Vergleichsgröße).« 31 Hinzuweisen ist ferner auf J.Andrieu, Procedes de Citation et de Raccord. REL 26, 1948, 268292, der in erster Linie stilistische Fragen nach der Einfiigung fremder, sei es gesprochener, sei es geschriebener (Dokumente etc.) Rede in einen Text behandelt, und aufE.Löfstedt, Reminiscence and Imitation. Some Problems in Latin Literature. Eranos 47,1949,148-164, der anhand einer Fülle von Beispielen das von Bertho1d so genannte Phänomen des unvermeidlichen »Abstands« eines Zitats zu seinem neuen Kontext zu belegen sucht, ohne daß es eine grundlegende theoretische Behandlung

erfi\hre. 32E.E.Kellett, Literary Quotation and Allusion. Port Washington! London 1933 (repr. 1969), behandelt den »right use of quotation« (17-30), die »kinds of quotation- (31-43), die »motivs of quotation« (44-55) sowie einige Sonderphänomene, darunter die Frage nach der Aussagekraft von Zitaten zu Wesen und Intentionen des Zitierenden (56-64). Sie gelangt dabei zwar nicht zu einer systematischen Analyse, erfaßt aber relevante Fragen wie die der Publikumsorientiertheit von Zitaten, der Angemessenheit von Zitaten im sie umgebenden Kontext, der Arten des Zitierens und der Gründe hierfiir. Der essayistische Charakter der Untersuchung bedingt eine Fülle illustrativen Materials vor allem der englischen Literatur, aber auch eine terminologische Unschärfe, so vor allem eine fehlende Differenzierung zwischen Zitat und Anspielung. 33VgI. neben den Bibliographien von D.M.Bruce, Bibliographie annoree: Ecrits sur I' intertextualite. Texte 2, 1983, 217-258, und UJ.Hebel, Intertextuality, A1lusion, and Quotation. An International Bibliography of Critical Studies. New York 1989 (= Bibliographies and Indexes in Worlds Literature 18), vor allem M.Pfister, Konzepte der Intertextua1ität. In: U.Broichi M.Pfister (Hrsgg.), Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen 1985 (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 35), 1-30; ü.Ette, Intertextua1ität. Ein Forschungsbericht mit literatursoziologischen Anmerkungen. Romanische Zeitschrift ftir Literaturgeschichte 9, 1985,497519; sowie RLachmann, Gedächtnis und Literatur. Intertextualität in der russischen Moderne. Frankfurt am Main 1990, bes. S.126-199. Hervorzuheben sind weiterhin W.Schmid/ W.-D.Stempel (Hrsgg.), Dialog der Texte. Hamburger Kolloquium zur Intertextualität. Wien 1983; HF.Plett (Ed.), Intertextuality. BerlinI New York 1991 (= Research in Text Theorie Vo1.l5), hier neben Pletts eigenem Beitrag vor allem H-P.Mai, Intertextua1 Theory - A Bibliography, 237-250; sowie M.Worton! J. Still (Eds.), Intertextua1ity. Theories and practices. Manchester/ New York 1990; J.Parisier Plottel! H Charney (Eds.), Intertextuality. New Perspectives in Criticism. New York 1978 (= New York Literary Forum Vol.2); und die methodisch wichtige Abgrenzung des Intertextualitätskonzepts von der Einfluß-Forschung bei J.Clayton! E.Rothstein, Figures in the Corpus: Theories of Influence and Intertextuality. In: dies. (Eds.), Influence and Intertextuality in Literary History. Madison 1991, 3-36. 16

Blickwinkel der Intertextualitätstheorie eher schmalen Umfangs. 34 Dies mag auch daraus resultieren, daß lKristeva als Begründerin des ..Intertextualitätsbegriffs« einen umfassenden, eher unspezifischen Zitatbegriff vertreten hat, dem ein ebenso umfassender Begriffvon Intertextualität entspricht. 35 So scheint erst die Verengung des Intertextualitätsbegriffs auf die Wechselbeziehung zweier oder mehrerer Text zueinander gegenüber der früheren, umfassenderen Bedeutung36 auch eine präzisere

34Vgl. in diesem Zusammenhang die bereits genannte (Anm.22) Anregung von P.H.Nemnann, dessen Ansatz allerdings insofern nicht zu überzeugen vennag, als sein Zitat-Begriff unscharf bleibt. Nahezu nicht rezipiert wird ebenso wie Kelletts Monographie A.Compagnon, La second main ou Le travail de la citation. Paris 1979. Gestützt auf poststrukturalistische Ansätze unternimmt Compagnon in seinem Buch, das er mehrfach als »livre sans objet identifie- bezeichnet (S.9), eine umfassende Analyse des Zitats unter vier Gesichtspunkien: eine »phenomenologieo, die die Wirkung eines Zitats im Rahmen einer unmittelbaren Lese- und Schreiberfahrung als »geste elementaireo bestimmt (S.I 0), eine »semiologie., die die sprachlichen Verfahrensweisen des Zitierens in den Mittel rückt im Rahmen des Textes, in den das Zitat eingefügt ist - Ziel ist hier eine »typologie formelle des valeurs d' enonciation de la citation. (S.l 0), eine »genealogieo, die einzelne ausgewählte Zeitabschnitte ohne Anspruch auf historische Vollständigkeit behandelt, sofern sie signifikant erscheinen hinsichtlich ihres Zitatverfahrens, darunter die antike Rhetorik von Aristoteies bis Quintilian und die patristische Kommentationstechnik (S.lO f.), und schließlich eine »teratologieo, die Sonderformen des Zitats in den Mittelpunkt rückt. Allerdings vennochte sich, ungeachtet ihres umfassenden Grundansatzes, Compagnons Untersuchung im Umfeld linguistischer und intertextualitätstheoretischer Studien zum Zitat nicht zu behaupten, was neben der essayistischen Grundtendenz auch terminologischen Unschärfen geschuldet ist. "Vgl. J.Kristeva, Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman. In: J.Thwe (Hrsg.), Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Frankfurt a.M. 1972 (= Ars Poetica 8.3), 345-375 (zuerst veröffentlich als dies., Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman. Critique 23,1967, 438-465; die im Folgenden zitierte Formulierung hier S.440 0: •... jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Tell.1es.- (S.348), und dies., Probleme der Textstrukturation. In: H.B1mnensath (Hrsg.), Strukturalismus in der Literaturwissenschaft. Köln 1972,243-262, bes. S.245: Der Text ist eine »Pennutation von Texten, eine InterTextualität: in dem Ramn eines Textes überlagern sich mehrere Aussagen, die aus anderen Texten stammen und interferieren.- Zmn Begriff der .Intertextualität- vgl. dies., Der geschlossene Text. In: P.V.Zima (Hrsg.), Textsemiotik als Ideologiekritik. Frankfurt a.M. 1977, 194-229, hier S.194: »Folglich ist der Text eine Produktivität (productivite). Das bedeutet: ... 2. Er ist eine Textverarbeitung (permutation de textes), eine Intertextualität: Im Bereich eines Textes überschneiden und neutralisieren einander mehrere Aussagen, die anderen Texten entstammen.- (zur Kritik dieses weiten Intertextualitätsbegriffs von Kristeva vgl. neben Pfister, Konzepte, S.8-11, auch K. W.Hempfer, Poststrukturale Texttheorie und narrative Praxis. Tel Quel und die Konstitution eines nouveau Nouveau Roman. München 1976 (= Romanica Monacensia Bd.ll), S.53 ff. 36S0 bei G.Genette, Palimpsestes. La litterature au second degre. Paris 1982 (dt. als: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt am Main 1993; hier, S.IO: .Ich definiere sie (sc.: die Bezeichnung Intertextualität) wahrscheinlich restriktiver als Beziehung der Kopräsenz zweier oder mehrerer Texte, d.h. in den meisten Fällen, eidetisch gesprochen, als effektive Präsenz eines Textes in einem anderen Text.-). Als oeinfachste(n) und wörtlichste(n) Form- dieser so definierten Intertextualität bestimmt Genette unmittelbar darauf -die traditionelle Praxis des Zitats- (ebd.). V gl. auch den bei Pfister, Konzepte, S.25-30, basierend auf sechs Kriterien entwickelten Intertextualitätsbegriff, den U.Broich, Formen der Markierung von Intertextualität. In: Broichl Pfister, lntertextualität, S.3l-47, aufgreift und zusammenfaßt: .Nach diesem Konzept liegt Intertextualität dann vor, wenn ein Autor bei der Abfassung seines Textes sich nicht nur der Verwendung anderer Texte bewußt ist, sondern auch vom Rezipienten erwartet, daß er diese Beziehung zwischen seinem Text und anderen Texten als vom Autor intendiert und als wichtig für das Verständnis seines Textes erkennt. Intertextualität in diesem engeren Sinn setzt also das Gelingen eines ganz bestimmten Kommunikationsprozesses voraus, bei dem nicht nur Autor und Leser sich der Intertextualität eines 17

Analyse der Einzelphänomene von Intertextualität ermöglicht zu haben 37 Folgerichtig findet sich in kritischer Auseinandersetzung mit dem Intertextualitätskonzept Kristevas bei K. Stierle neben der Differenzierung zwischen einer produktions- und einer rezeptionsästhetischen IntertextualitäeS auch eine ansatzweise Betrachtung »jene(r) Formen der Bezogenheit zwischen Texten ... , bei denen am ehesten von Intertextualität im eigentlichen Sinne gesprochen werden könnte«, darunter auch des Zitats, das gegen die Anspielung als »Sonderfall des Zitats« einerseits und gegen die Übersetzung andererseits abgesetzt wird; denn bei der Übersetzung werde »der Ausgangstext zur Regel für die Konstitution des Zieltexts wird«, dieses Verhältnis aber sei beim Zitat umgekehrt, da dort »der primäre Text auf ein Fragment reduziert (wird), und dieses ... in den neuen Kontext eines Werks so integriert (wird), daß es eine Funktion übernimmt«.39 Ebenfalls einen eingeschränkten Intertextualitätsbegriff legen 1. S.Petöfi und T. Olivi ihren Überlegungen zugrunde, in die sie auch das Phänomen des Zitats einbeziehen, das ihrer Typologie zufolge als eine »diskursive, partielle, homolinguale und referentielle Textrelation« zu bezeichnen wäre. 40 Grundlage dieser Typologie ist dabei die Unterscheidung von »typologischer« und »referentieller« Intertextualität, nach der »eine typologische intertextuelle Relation besteht zwischen zwei Texten, wenn sie von irgendeinem bestimmten Gesichtspunkt aus untersucht die gleichen Eigenschaften aufweisen. Eine referentielle intertextuelle Relation hingegen besteht zwischen zwei Texten, wenn der eine Text auf irgendeine Weise auf den anderen referiert«.41 Dabei vermag diese Unterschei-

Textes bewußt sind, sondern bei dem jeder der beiden Partner des Kommunikationsvorgangs darüber hinaus auch das Intertextualitätsbewußtsein seines Partners miteinkalkuliert.• (S.31). Dieser Intertextualitätsbegriff, aus dem Broich auch die Forderung nach »Markiertheit. als einem »notwendige(n) Konstituens von Intertextualität- ableitet (S.32), ist erkennbar der Forschungspragmatik verpflichtet, da schon die einem Autor nicht bewußte Beziehung eines Textes zu einem anderen nicht mehr in diesem Konzept enthalten ist, ebensowenig alle Formen nicht markierter, gleichwohl aber absichtsvoller Intertextualität. Der enge Intertextualitätsbegriff ist zugleich auch detjenige, der in den AltertunJswissenschaften - wenn auch nur gelegentlich - aufgegriffen worden ist (vgl. hierzu AM. von Erp Taalman Kip, Intertextuality and Theocritus 13. In: I.J.F.De Jong! IP.Sullivan (Eds.), Modern Critical Theory and Classical Literature. Leiden 1994 (= Mnemosyne SuppI.130), 153-169, bes.S.153-157 mit methodischen VOfÜberlegungen, sowie die bibliographische Bestandsaufua1mJe ebd., S.284; und G.Biagio Conte/ ABarchiesi, hnitazione e arte allusiva. Modi e funzioni deli' intertestualita. In: G.Cavallo/ P.Fedeii/ AGiardina (eds.), Lo spazio letterario die Roma antica. Vol.!: La produzione dei testo. Roma 1989,81-114). "Daß damit der Intertextua1itätsbegriff Kristevas keineswegs obsolet ist, zeigt die Unterscheidung verschiedener »Ebenen des Intertextua1itätsbegriffso bei R.Lachmann, Ebenen des Intertextualitätsbegriff. In: K. Stierle/ R. Warning, Das C'n:spräch. München 1984 (= Poetik und Hermeneutik 11), 133-138. 3'X.Stierle, Werk und Intertextualität. In: Schmidl Stempel, Dialog der Texte, 7-26, bes. S.9 f "Stierle, aaO., S.19. 4oJ.S.PetöfI/ T.Olivi, Schöpferische Textinterpretation. Einige Aspekte der Intertextualität. In: dies. (Hrsgg.), Von der verbalen Konstitution zur symbolischen Bedeutung. Hamburg 1988 (= Papiere zur Text1inguistik Bd. 62), 335-350, bes. S.337 mit einer der zitierten Klassifizierung zugrunde liegenden .Makro- Struktur einer Intertextualitäts-Typologie-. 4lPetöfI! Olivi, aaO., S.336. 18

dung nicht zu überzeugen, denn ein Ineinanderfallen beider Formen von Intertextualität ist durchaus denkbar - und im Falle gerade der verborgenen Platon-Zitate Ciceros auch nachweisbar. 42 Eine »rezeptionsorientierte Konzeption von Intertextualität« schließlich vertritt S.Holthuis,43 die in ihrer Untersuchung »fiinfGrundtypen des Zitats« unterscheidet: Neben dem eher seltenen »Typus a): die unveränderte Wiedergabe fremden/eigenen Textmaterials ... erfolgt total, d.h, daß ein Text komplett wiederholt und in die syntagmatische Struktur des referierenden Textes eingebettet wird« (vor allem als »Typus auto-intertextueller Referenzen«) beobachtet sie »Typus b): die Wiederholung fremden/eigenen Textmaterials erfolgt total und modifiziert, d.h. ein Text wird vollständig, aber in modifizierter Form wiederholt,·, »Typus c): die Wiedergabe fremden/eigenen Textmaterials ... erfolgt partiell und unverändert, mit anderen Worten werden Segmente unterschiedlichen Umfangs 'wörtlich' wiederholt«, »Typus d): die Wiederholung von fremdem/eigenen Textmaterial erfolgt partiell und modifiziert«, wobei hier die »Unterscheidung in formal-semiotische und lexikosemantische Modifikationstypen vorgeschlagen« wird, und schließlich .. Typus e): als Sonderform von b) die totale und quasi-nicht-modifizierte Wiederholung einer oder mehrerer formaler Textebenen (phonetisch, syntaktisch) eines Referenztextes«.44 Damit legt Holthuis ein Begriffsinstrumentarium von hoher Differenziertheit vor, daß sich jedoch eigenem Eingeständnis nach auf Prototypen richtet, die in dieser reinen Gestalt kaum anzutreffen sind. Es erhebt sich, auch angesicht von Holthuis' notwendigen Modifikationen,45 die Frage nach dem sachlichen Ertrag dieser Terminologie; zudem erscheint lediglich Typus c) das Zitat im eigentlichen, in der nachfolgenden Untersuchung zugrunde gelegten Sinne zu beschreiben (Typus d) wäre hier ebenfalls einzubeziehen), bei Typus a) und b) ließe sich ebenso von einer Repetition bzw. einer paraphrasierenden Repetition sprechen.H. - I Frey schließlich, der innerhalb der Intertextualitätsdiskussion eher einer post-strukturalistischen Richtung zuzuordnen ist,46 schickt seiner Interpretation sieben Thesen zum Zitat voraus, die vor allem das Spannungsverhältnis zwischen der verbinden42Vgl. dazu unten S.215 f. 43S.Holthuis, Intertextualität: Aspekte einer rezeptionsorientierten Konzeption. Tübingen 1993 (= Stauffenburg~ColloquilUTI Bd.28); dazu dies., Intertextuality and Meaning Constitution. An Approach to the Comprehension of Intertextual Poetry. In: JS.Petöfil T.Olivi (Eds.), Approaches to Poetry. Some Aspects of Textuality, Intertextuality and Intermediality. BerlinI New York 1994 (= Research in Text Theory VoI.20), 77-93. Vgl. zu diesem im Wesentlichen von M.Riffaterre verfochtenen Ansatz auch W.~D.Stempel, Intertextualität und Rezeption. In: Schmid/ Stempel, Dialog der Texte, 85-109, mit grundsätzlichen Vorbehalten gegen das Intertextualitätskonzept. "Diese Typologie bei Holthuis, Intertextualität, S.98-105. "Vgl. Ho1thuis, aaO., S.105. 46Vgl. zu dieser Richtung die knappe Charakterisierung von Holthuis, Intertexiuality, S.77: »According to post~structural positions texts are at best regarded as 'collages' , rewritten or re~ arranged versions of already existing texts, but not as ingenious masterworks of aesthetic text production.«; polemischer hierzu P1ett, Intertextualities, S.3 f. 19

den Funktion eines Zitats zwischen zwei Texten und dem Zerreißen der Textoberfläche durch das Einfugen »fremder Rede« mit Hilfe eines Zitats unterstreichen. ~7 Unter den Untersuchungen, die ihren Ansatz in erster Linie der deskriptiven Sprachwissenschaft verdanken, ist die eine Studie von S.Morawski hervorzuheben, die zunächst eine theoretische Funktionsbestimmung des Zitats bietet, bevor diese an literarischen und filmischen Werken überprüft wird. Morawskis Funktionsbestimmung liefert vier Möglichkeiten: Den »appeal to authorities«, »a device for ducking independent thought«, woraus sich eine Begrenzung der Auswahl und der Möglichkeiten der Präsentation ergibt; weiterhin die »erudite function«, mit der Forderung nach »aptness« eines Zitats; zum dritten eine Funktion, die er als »stimulative-arnplificatory« beschreibt; und schließlich, mit Bezügen zur vorangehenden, die Funktion des Zitats als »omament«.48 Dabei unterscheidet sich die vierte Funktion von den übrigen dadurch, daß der ursprüngliche Kontext, aus dem das Zitat gewonnen ist, fur den neuen Kontext, in dem es erscheint, irrelevant bleibt 49 Die Verbindung beider Ansätze, der neueren Intertextualitätstheorie und der deskriptiven Sprachwissenschaft, bietet im Hinblick auf das Zitat eine Studie von H.F.Plett,50 der in zwei systematischen Abschnitten grundsätzliche Aspekte des Zitats herausarbeitet: Während unter »The Grammar of Quotation" das Wesen eines Zitats nach »quantity, quality, distribution, frequency, author, code, genre and markers of quotations« behandelt wird,51 bietet der zweite Abschnitt zu »The Pragmatics of Quotation« eine Funktionsbestimmung des Zitats auf der Basis von »sender>post eos« die Rede, während sonst durchaus bei übereinstimmender Lehrmeinung das Kollektiv »Stoici« erscheint. Der nächste Schritt nach der Erörterung und Klassifizierung der verschiedenen aöuxopa ist entsprechend der stoischen Systematik die Erörterung des lCa8"lCov, fur das der Terminus des »officium« eingefuhrt wird,144 definiert als dasjenige »quod itafactum es!, ut eiusfacti probabilis ratio reddi possit« (58). Mit der Bestimmung des ~fficium als »medium quiddam« endet der definitorische Teil, es folgt die Erörterung des Handeins sowohl des sapiens wie des insipiens im Rahmen dieses officium (59), die gesamte Darstellung mündet in die Diskussion der scheinbaren paradoxen Pflicht des Weisen zum Selbstmord unter entsprechenden Umständen (60-61). Damit endet zugleich die systematische Erörterung der stoischen Güterlehre, das Folgende befaßt sich mit ihren Implikationen, zunächst eher allgemeinen staatsund gesellschaftsphilosophischen Fragen (62-68), dann nach einem kurzen definitorischen Zwischenstück, das die systematische Einordnung von emolumenta/ detrimenta, commoda/ incommoda und recte facta/ peccata bietet (69) die kursorische Behandlung von amicitia (70) und ius (71) und schließlich die Einordnung von Dialektik und Physik unter die virlutes (72-73). Ein Epilog, der im Sinne einer captatio benevolentiae die Länge der Darstellung entschuldigt, und ein hymnischer Preis des geschlossenen stoischen Lehrgebäudes, des sapiens und der Philosophie beenden die Rede Catos (74-76). Die Cato-Rede erweist also das stoische System als ein dogmatisches, geschlossenes Ganzes, in dem jedes Teil sorgfältig auf das andere angestimmt ist. 145 Und gerade hierin scheint auch die Absicht Ciceros zu liegen wie schon bei der Darstellung der epikureischen Güterlehre: Die ersten vier Bücher von »de finibus« bieten die Auseinandersetzung der akademischen Skepsis in der Gestalt Ciceros selbst mit dogmatischen Systemen, deren Unzulänglichkeit aus akademischer Sicht gerade in ihrer Wahrheitsgewißheit zu sehen ist 146 Um dies deutlich zu machen,

144Auch hierzu Kilb, Ethische Grundbegriffe, S.42-63. 145Vgl. dazu das argumentative Zwischenstück (48) und den hymnischen Schluß-Passus (74). Patzig, Cicero als Philosoph, S.3l9, spricht in diesem Zusammenhang davon, der Vortrag Catos sei »etwas lehrbuchrnäßig«, und fuhrt dies darauf zurück, daß er »wohl auch aus einern Lehrbuch« stamme, womit ihm die gestalterische Absicht Ciceros allerdings entgeht. 146Entsprechend seiner These, Cicero formuliere in »de finibus« die grundsätzliche Kritik eines naturalistischen Monismus arn ethischen Dualismus von Stoa und Epikureismus, erkennt auch Giancotti, Der innere Grundzug, S.404, eine Gleichrangigkeit von stoischer und epikureischer Dogmatik in der akademisch-peripatetischen »Kritik an der epikureischen Einseitigkeit, die sich auf 103

hätte Cicero kaum einen geeigneteren Unterredner auswählen können als den jüngeren Cato, der spätestens seit seinem Tod in Utica als der Inbegriff stoischer Unbeugsamkeit gale 47 und in den Rang eines der großen exempla römischer Geschichte erhoben wurde. 148 Angesichts dieser legendenhaften Züge, die die historische Gestalt Catos in der Folgezeit angenommen hat, ist es allerdings schwierig, Authentisches von Fiktivem zu trennen. Hinzu tritt noch ein weiteres Problem, nämlich die mögliche Selbststilisierung Catos, wie sie ihm Cicero als imitatio des älteren Cato vorwirft 149 und wie sie die Berichte von seinem Selbstmord nahelegen: 150 Sollte das sokratische Gepräge dieses Selbstmords, das Plutarchs Schilderung bietet (Plut. Cat.min.68.1-70. 7), nicht späterer Legendenbildung geschuldet sein, sondern die tatsächliche Situation adäquat wiedergeben, 151 so handelt es sich um die Inszenierung eines Philosophentodes. Gut bezeugt immerhin ist die tiefe stoische Prägung Catos, die der Umgang mit den Stoikern Antipatros von Tyros und den Körper, und an der stoischen Einseitigkeit, die sich auf die Seele beschränkt- (eine Ablehnung des stoischen Dogmatismus durch die akademische Skepsis beobachtet auch auch M.Y.Henry, The Relation of Dogmatism and Scepticism in the Philosophical Treatises of Cicero. Diss. New York 1925, S.19). Damit ist auch - zumindest an dieser Stelle - »das vielberufene Schwanken Ciceros (zwischen akademischer Skepsis und stoischer Dogmatik, zwischen dem Tugendrigorismus der Stoa und der den Gegebenheiten menschlicher EnfaiJrung angemesseneren Metriopathie des Peripatos). (so Patzig, Cicero als Philosoph, S.311) entschieden. 147Vgl. dazu auch O.Seel, Cicero und das Problem römischen Philosophierens. In: Gerhard Radke (Hrsg.), Cicero - ein Mensch in seiner Zeit. Berlin 1968, 136-160, bes. S.l43: *Manches wäre darüber zu sagen, etwa daß dem Philosophieren Catos ... dieser ciceronische Zug der Inbrunst, der unerfüllten Sehnsucht, vollkommen abgeht. Cato sucht nicht, er hat. Er hat seine Dogmen wie ein Reglement, er weiß genau, was gut und was böse ist, hinter dem Panzer seiner überzeugtheiten und Unerschütterlichkeiten wird kein schlagendes Herz spürbar, und die starre Disziplin seiner Haltung ist gewiß großartig, aber sie ist dies bis zur Unmenschlichkeit.. 148Neben RFehrle, Cato Uticensis. Darmstadt 1983 (= Impulse der Forschung Bd.43),mit Verweisen auf ältere Literatur vgl. zum *mythischen. Rang Catos vor allem P. Pecchiura, La Figura di Catone Uticense nella Letteratura Latina. Torino 1965 (= Universita di Torino. Pubblicazioni della Facolta di Lettere e Filosofia 16.3), bes. S.13-35, und RJ.Goar, The Legend of Cato Uticensis from the First Century B.C. to the Fifth Century A.D. With an Appendix on Dante and Cato. Bruxelles 1987 (= Collection Latomus 197), bei dem sich die treffende Formel von Cato als »a pattern ofmoral perfection for Roman Stoics. fmdet, sowie weiterhin HBerthold, Cato von Utica inI Urteil seiner Zeitgenossen. In: Acta Conventus XI »Eireneo 1968. Warszawa 1971, 129-141, und G.zecchini: La Morte di Catone e I'Opposizione Intellettuale aCesare e ad Augusto. Athenaeum 58, 1980, 39-56. 149Vgl. Cicero, pro Murena 66. F.Miltner, RE.22.1, 1955, Sp.168-211 s.v. Porcius 16), bes. Sp.206, spricht in diesem Zusanunenhang von Catos .unbestreitbare(m) Hang zu archaisierenden Absonderlichkeiten, der nicht zuletzt von seinem Bestreben bestinJmt war, es seinem großen Ahnen, dem Zensor, gleichzutun•. 15°Vgl. hierzu die zahlreichen Belege bei Fehrle, Cato Uticensis, S.276 ff. l5lSkeptisch gegenüber der Authentizität der Nachrichten über Catos Lektüre despla tonischen »Phaidon. W.H.Alexander, Cato of Utica in the Works of Seneca Philosophus. Transactions of the Royal Society of Canada 40.2, 1946, 59-74, bes. S.60; anders hingegen RA.Gould, Cicero' s Indebtedness to the Platonic Dialogues in Tusculan Disputatious I. Diss. Princeton 1968, S.32 mit Anm.42. Die Skepsis gegenüber dem Wahrheitsgehalt der Nachricht wird unterstützt durch den von KallinIachos in einem Epigranun gestalteten Selbstmord des Platonikers Kleombrotos inI Anschluß an eine .Phaidon.-Lektüre (vgl. dazu unten S.157 f.): Dies erweckt den Eindruck, als habe die Lektüre des Platon-Dialogs in diesem Zusanunenhang topischen Charakter angenonJmen (vgl. hierzu neuerdings M.Griffm, Philosophy, Cato, and Roman Suicide. G & R 33, 1986,64-77 und 192-202. 104

Athenodoros Kordylion belegt. 152 Seine eigene philosophische Position ist aufgrund der schwierigen Quellenlage allerdings kaum feststellbar, auch der Versuch, ihn mit Hilfe der genannten Philosophen einer bestimmten Richtung innerhalb der Stoa zuzuordnen, muß hieran scheitern; Überlegungen, Cato aufgrund seines Umgangs mit Poseidonios-Schülern dessen modifizierter stoischer Position zuzurechnen, bleiben ohne Beleg, die vorliegende Personengestaltung widerspricht ihnen. Cicero selbst hat sich um eine stimmige Charakterzeichnung des Cato Uticensis bemüht. Erkennbar wird das an der sorgfältig ausgestalteten Rahmenpartie (6-9), die vom Zustandekommen dieses Gesprächs über die stoische Ethik berichtet und für die ein vergleichbares Element im ersten Buch von »de finibus« nahezu fehlt (14_16).153 Diese Diskrepanz kann nicht mit dem schriftstellerischen Unvermögen Ciceros begründet werden, sondern muß vielmehr in seiner erzählerischen Absicht liegen. Bezieht man die Szenerie-Beschreibung des abschließenden fünften Buches noch in die Überlegungen mit ein (1-5), so ergibt sich parallel zur »progressiven logischen Struktur des Werks« und seiner »regressiven chronologischen Einteilung«, die ihren Höhepunkt im funften Buch finden als der »Synthese des gesamten Werkes •• ,154 eine Intensivierung der narrativen Einkleidung: Die narratio des ersten Buches bietet die Namen der Gesprächsteilnehmer und den Ort der Unterhaltung, man erfährt nichts über den Grund des Zusammentreffens (lediglich »ad me in Cumanum salutandi causa«, 14), das anschließende Gespräch befaßt sich sogleich mit den Gründen der Ablehnung der epikureischen Lehre durch Cicero; entsprechend blaß bleibt die Darstellung der Gesprächsteilnehmer. Das Profll Catos in der na"atio des dritten Buches ist demgegenüber schon erheblich deutlicher: 155 Cicero trifft ihn im Haus des jüngeren Lucullus »in bibliotheca sedens multis circumfusus Stoicorum libris«, was seiner »aviditas legendi« entspricht »qui ne reprehensionem quidem vulgi inanem reformidans in ipsa curia soleret legere saepe, dum senatus cogeretur, nihil operae rei publicae detrahens.«(7). Cato erscheint als stoischer Gelehrter, der alle ihm zur VerfUgung stehende Zeit nutzt, seine sapientia zu vervollkommnen, der dabei aber zugleich dem Vorwurf entgeht, zugunsten seines otium seine Pflichten zu vernachlässigen, der Inbegriff also des stoischen Weisen

152ZU diesen vgl. neben Hvon Arnirn, RE.l, 1894, Sp.2Sl6 s.v.Antipatros 27), und ders., RE.2, 1896, Sp.204S s.v. Athenodoros 18), die kurzen Abrisse bei Steinmetz, Stoa, S.708 f. 153Lörcher, Das Fremde, S.3l6, urteilt hingegen, »daß, mit Ausnahmen, Cicero diese Seite (sc.: die szenische Einkleidung der Gespräche) ganz mechanisch oder schematisch behandelt hat. Mit einem Wort: unserem Autor fehlt etwas, was hierzu unbedingt nötig ist, die Phantasie.", fährt aber fort mit der dem widersprechenden Beobachtung, »daß die Szenerie am Anfang des III. Buchs de finibus zart und schön und die von de fin. V frisch und großzügig ist. Dagegen ist die Einführung des Torquatus und Triarius farblos und lahm, ebenso der Schluß des I. und II. Buchs.« 154Diese Terminologie nach Giancotti, Der innere Grundzug, S.390. 155S0 auch Bringmarm, Untersuchungen, S.146 f., der die Höherrangigkeit der ab dem dritten Buch erörterten Güterlehren schon ..im Formalen- ausgewiesen sieht, »durch die reichere Ausgestaltung der Szenerie und des Einleitungsgesprächs« .

lOS

im Dienste fur die Allgemeinheit. Auch das anschließende Gespräch wendet sich nicht unmittelbar der stoischen Lehre zu, sondern diese Erörterung entwickelt sich aus der praktischen Frage nach den Erziehungsprinzipien heraus, die bei der Unterweisung des jüngeren Lucullus zur Anwendung kommen sollten: Hinter der Erörterung ethischer Fragen verbirgt sich also ein praktisches Ziel. 156 Ein ähnlicher innerer Zusammenhang läßt sich auch fur die narratio des funften Buches herausarbeiten, die die Erinnerung an die verschiedenen Philosophenschulen an den Orten ihres Wirkens heraufbeschwört und so die philosophische Diskussion des Schlußbuches einbettet in einen biographisch-philosophiegeschichtlichen Zusammenhang. Den biographischen Bezug der Erörterungen zu Cato dürfte auch jener Passus der Rede herstellen, der sich mit der Frage nach dem Selbstmord befaßt (60-61), selbst wenn keine explizite Anspielung darauf zu finden ist. 157 Der zeitgenössische Leser der Schrift wird bei der Lektüre dieser Ausfuhrungen kaum von der Tatsache abstrahiert haben, wie konsequent Cato in Utica seine eigenen philosophischen Auffassungen in die Tat umgesetzt hat; ein ausdrücklicher Hinweis auf dieses allgemein bekannte Faktum war daher unnötig. Gleichwohl sind die Ausfuhrungen Catos auf zwei Ebenen lesbar: als biographische Reminiszenz mit eminent politischen Implikationen und als genuiner Bestandteil der stoischen Güterlehre, die immer auch die praktische Umsetzung in das Leben erfordert. Schließlich bestätigt sich bei Cato Uticensis die schon im Zusammenhang des »Cato maior« getroffene Feststellung, daß Cicero sich um Angemessenheit des Ausdrucks bei der Darstellung seiner Unterredner bemüht hat. ISS Während bei Velleius, Manlius Torquatus und Balbus mangels literarischen Zeugnissen keine Aussage möglich ist, ob der von Cicero vorgefuhrte rhetorische Stil ihrem tatsächlichen entspricht, ist diese Möglichkeit bei Cato sehr wohl gegeben. Zwar liegen auch hier nur wenige authentische Textzeugnisse vor,159 der Vergleich mit rhetorischen Bewertungen des Cato Uticensis hingegen ist möglich und ergibt ebenfalls das Bild eines dogmatisch strengen, wenig geschmeidigen Redners, der vor allem auf konzise Argumentation Wert gelegt zu haben scheint, weniger auf ein gewinnendes rhetorisches Auftreten. 160

156Vgl. zur narratio des dritten Buches auch Gigon! Stramne-Zimmermann, S.483 f, und bei Bringmann, Untersuchungen, S.147, der zudem auch die Verbindung zwischen den narrationes des dritten und des funften Buches sieht. 1S7Gigon! Stramne-Zimmermann, S.483. 158Vgl. dazu oben S.60-63. I59Der als ep.ad familiares 15,5 überlieferte Brief Catos an Cicero, das einzigeTextzeugnis, das wörtlich auf Cato selbst zurückgeht, ist in diesem Zusammenhang wenig aussagekräftig. 160Vgl. Cicero, Brutus 118-119, und die knappe Charakterisierung bei Cicero, Par.Stoic. 1-3; die übrigen Testimonien, überwiegend aus Plutarchs Cato-Vita stammend, bei Malcovati, I. S.404-415. W.C.McDermott, Cato the Younger: loquax or eloquens? CB 46, 1970,65-75, bes. S.75, bezieht in die Stilkritik Catos auch die Beschreibung de orat.2,159, mit ein, in der das stoische »genus sermoniso als »non liquidum, non fusum ac profluens, sed exile, aridum, concisum ac minutum, quod si qui 106

Cicero hat schon in vorangehenden Schriften ein Bild von Cato Uticensis entworfen, das dem hier in de jiniblls entwickelten weitgehend entspricht: Während aber hinsichtlich des .. Cato«, der unmittelbar durch den Selbstmord vor Utica angeregten enkomiastischen Schrift des Jahres 46, nur Mutmaßungen möglich sind161 und die knappe Charakterisierung im Prooemium der ..Paradoxa Stoicorllm« als '>perfectus Stoicus« wenig aussagekräftig ist, liegt in der Rede '>pro Murena« ein weit früheres Zeugnis Ciceros vor, 162, auf das er in seiner Widerlegung der stoischen Güterlehre im vierten Buch von ..de jiniblls« ausdrücklich relativierend Bezug nimmt (4,74). Das in diesem Zusammenhang gebrauchte Verb ..iocari« beschreibt in der Tat treffend den Umgang des Verteidigers Cicero mit dem Ankläger Cato, den er nicht selbst der Lächerlichkeit preisgibt, wohl aber seine philosophischen Grundpositionen (pro Mllrena 61_66).163 Cicero begibt sich mithin in dieser Rede auf den schmalen Grat, einerseits die Reputation seines Gegners unangetastet zu lassen, andererseits aber dessen ethische Grundüberzeugungen zu diskreditieren, ein Verfahren, das er auch in ..de jinibusc< aufgreift, nicht zuletzt aufgrund der eminenten politischen Bedeutung, die Cato zur Abfassungszeit dieser Schrift zukam: Cato,

probabit. ita probabit« gekennzeichnet wird (vgl. auch Berthold, Cato von Utica, S.133). Zu Cato Uticensis als Redner vgl. weiterhin HNelson, Cato the Younger as aStoie Orator. CW 44, 1950, 6569, sowie den Versuch einer Rekonstruktion der Rede gegen Murena von D.M.Ayers, Cato 's Speech against Murena. CJ 49, 1954, 245-253. Entgegen der hier vertretenen Auffassung, die den Verzicht auf Dichterzitate in der Cato-Rede ethopoietisch begründet, argwnentiert Jocelyn, Greek Poetry, S.70, mit einer angeblichen Unfertigkeit der Darstellung. Ausschlaggebend für diese Einschätzung ist die - generell zutreffende - Beobachtung Jocelyns, daß Cicero in seiner Darstellung auf das jeweilige Verhältnis der einzelnen Philosophen-Schulen zur Dichtung Rücksicht ninunt (vgl. S.6771); dies schließt die Beachtung individueller Züge der einzelnen Redner nicht aus, die - wie im Falle Catos - von der Schuldoktrin oder -praxis abweichen können. 161 V gl. zu dieser Schrift K.Kumaniecki, Ciceros »Catl)«. In: Forschungen zur römischen Literatur. Festschrift Karl Büchner. Wiesbaden 1970, 168-188 (enkomiastische Schrift in der Tradition des xenophontischen »Agesilaos«, basierend auf der in part.or. 70 ff. dargelegten Theorie enkomiastischer Reden); c.P.Jones, Cicero's Cato. RhM 113, 1970, 188-196 (Dialog-Biographie in der Tradition des Peripatetikers Sat}Tos); W.Kierdorf, Ciceros »Cato«. Überlegungen zu einer verlorenen Schrift Ciceros. RhM 121, 1978, 167-184 (Rede in enkomiastischer Tradition); und E.S.Ramage, Cicero's Cato: Form and Purpose. A & R 34, 1989, 14-25 (laudatio funebris). Zu Caesars, für die Rekonstruktion der ciceronischen Schrift wichtigem »Anticato« vgl. jetzt grundlegend HJ. Tschiedei, Caesars 'Anticato'. Eine Untersuchung der Testimonien und Fragmente. Darmstadt 1981 (= Impulse der Forschung Band 37), mit weiterführender Literatur. 162ZU dieser Rede vgl. neben der kommentierten Ausgabe von lAdamietz (Darmstadt 1989) und der kommentierten Aufbauanalyse bei P.MacKendrick, The Speeches of Cicero. Context, Law, Rhtoric. London 1995, S.75-91, insbesondere K.Kumaniecki, Ciceros Rede »Pro Murena... In: Acta Conventus XI »Eirene.. , 1968. Warschau 1971, 161-179; AD. Leeman, The Technique ofPersuasion in Cicero's Pro Murena. In: W.Ludwig (ed.), Eloquence et Rhetorique chez Ciceron. Vandoeuvres-Geneve 1981 (= Entr. Fond. Hardt VoI.28), 193-236; C.IClassen, Recht - Rhetorik - Politik Untersuchungen zu Ciceros rhetorischer Strategie. Darmstadt 1985, bes. S.120-179 mit weiterführender Literatur; sowie c.P.Craig, Cato's Stoicism and the Understanding of Cicero's Speech for Murena. TAPhA 116,1986,229-239. 163ZU den komischen Elementen vgl. JStrenge, Das Moment des Komischen in Ciceros Rede pro Murena. Schulprogranun Parchim 1896, und ABürge, Die Jurislenkomik in Ciceros Rede Pro Murena. Diss. Zürich 1974. 107

den bis in den Tod hinein unerbittlichen Gegner Caesars, zu wählen, impliziert ohne Zweifel eine politische Aussage des entschiedenen Republikaners Cicero gegen Caesar. l64 Es mußte also auch hier darum gehen, zwar die stoische Ethik in ihrer starren dogmatischen Form zu widerlegen, Cato selbst aber - wie schon Manlius Torquatus im ersten Buch - unberührt zu lassen. Zudem hätte sich ein Angriff auf die Person Catos kaum mit der Widmung der Schrift an Brutus vertragen, der - im Prooemium des dritten Buches neuerlich angeredet (1) - mit diesem verwandtschaftlich eng verbunden war, denn über seine Stiefschwester Servilia ist Cato dessen Onkel. Gleichwohl bleibt Ciceros Haltung ihm gegenüber ambivalent: Er schätzt ihn als politischen Heros im Kampf gegen die Alleinherrschaft Caesars, daher faUt sein Kritik an Catos Stoizismus deutlich verhaltener aus als die grundsätzliche Ablehnung der epikureischen Position des Torquatus - wobei immer auch eine gewisse Neigung Ciceros zur stoischen Pllichtenlehre zu berücksichtigen ist;165 seinen starren Dogmatismus, an dessen lebenspraktischer Umsetzung Cicero zweifelt, lehnt er jedoch nachdrücklich ab. l66 Auch hierin erweist sich die von Cicero gegenüber Cato in »de finibus" eingenommene Haltung als durchaus parallel zu der in der Rede pro Murena, in der in gleicher Weise der stoische Dogmatismus Catos mit der ciceronischen Skepsis konfrontiert war. 167 Die Bewertung Catos durch Cicero und das von ihm entworfene Bild haben sich also gegenüber früheren Zeugnissen nicht wesentlich verschoben, lediglich die politischen Implikationen des Selbstmordes in Utica verlangen einen behutsameren Umgang mit ihm. 168

Die Rede des Q. Cicero in »de divinatione«

Wie in der Rede des Balbus spielt auch in der Rede des Quintus in »de divinatione«,169 die die Verteidigung der Mantik aus dem stoischen System heraus bietet, die

164In diesem Sinne auch Strasburger, Ciceros philosophisches Spätwerk, S.43 f 165Vgl. dazu unten im Rahinen der Erörterung von »de officiis .. S.183-186. 166Vgl. in diesem Sinne auch Goar, Legend, S.13, der allerdings zwischen einer Beurtcilung vor und nach Catos Tod unterscheidet und insofern von dem hier vorliegenden Befimd abweicht: »Cicero' s remarks on Cato in the letters \\'fitten in this era reflect both admiration and exasperation: admiration for his integrity and courage, cxasperation at his political short- sightedness and inflexibility. After Cato's death, however, Cicero's tone is more uniform: in the letters, in the rhetorical works, and in the surviving speeches in which Cato is mentioned, adnliration is the keynote ... 167Vgl. den von Cicero gekennzeichneten Exkurs in Pro MurenG 61-66. Dazu Süß, Cicero, S.60, der im Zusammenhang mit der Murena-Rede von Ciceros Kritik an einem »weltfremden, starren. keine Verbindlichkeiten und Kompromisse kennenden Doktrinarismus der Stoa.. spricht. 168Dabei dürfte auch die Furiktion Catos als einer Projektionsfigur eine wichtige Rolle gespielt haben, die Tschiedel, Caesars 'Anticato', s.x f, treffend beschreibt. 169 Auch hier standen zunächst Fragen der Datierung und der Quellen im Vordergrund. Dabei hat vor allem das Prooemium des zweite Buches, das den eigentlichen Werkzusammenhang zertrennt, Anlaß geboten, es als Indiz auch einer chronologischen Zäsur anzusehen: Demnach wäre das erste 108

Kumulation von Zeugnissen, Zitaten und historischen exempla, eine entscheidende Rolle; dem Erfahrungsbeweis kommt insgesamt größere Bedeutung zu als der logischen Deduktion, womit sich die Rede des Quintus ganz im Rahmen der Stoa bewegt.17o Dessen ungeachtet folgt die Darstellung einer strengen Dispositiorfn Denn nach Prooemium (1-7) und narratio (8-11) eröfthet Quintus seine Rede mit zwei Ausgangsthesen (11-12), nämlich der Unterscheidung zweier ..genera divinandi, quorum alterum artis est alterum naturae« (11) und der Grundforderung, die genera divinandi seien nicht ex callsis, sondern ex eventis zu beurteilen (12). Diese zweite Grundforderung wird in sechs Beweisgängen entfaltet (13-33), von denen jeder durch Zitate, exempla oder andere Formen rhetorischer Beweisfuhrung vertieft ist. Entsprechend der eingangs getroffenen Unterscheidung von genus naturae und genus artis innerhalb der Mantik widmet sich der erste Hauptteil dem gemls naturae (34-71), dem als Einleitung eine Definition beider Formen vorangeht (34). Dieser definitorische Abschnitt bildet gemeinsam mit der abschließenden Erklärung des Phänomens der ..natürlichen« Mantik durch Kratippos, die Cicero als wörtliches Zitat wiedergibt (71), den argumentativen Rahmen fur eine Fülle von Zitaten und exempla, die sich nach eigenem Bekunden (39) in der Tradition der Sammlungen Chtysipps und Antipaters bewegen. Erheblich kürzer als dieser erste Erörterungsteil ist der folgende zweite, der sich mit dem genus artis befaßt (72-81). Auch hier rahmen zwei argumentative Partien einen Mittelteil, der Beispiele von Orakel- und Vorzeichendeutungen versammelt (72-79): Dabei bietet der erste Rahmenteil eine definitorische Unterscheidung innerhalb dieses genus nach Deutungen, die durch Buch noch vor Caesars Ennordung entstanden, das zweite hingegen erst danach (so Maurer, Abfassungszeit, S.388 f.; anders Hirzel, Dialog I., S.535 mit Anm.2; vgl. den Forschungsüberblick bei Pease, S.l3 ff.). Hinsichtlich der Quellen bezeichnet die überwiegende Mehrzahl der Forscher Poseidonios als Ciceros unmittelbaren Gewährsmann filr die Darlegungen des ersten Buches, genannt werden die Schriften »Ttepl llaVnKijmatura ipsa« zurückgegriffen wird. Der erste dieser Schritte (26-29), der die "antiquitas« als Beweis einfuhrt wegen ihrer Nähe "ab ortu et divina progenie« (26), gewinnt seine Argumente zum Einen aus Priesterrecht und Bestattungsriten, zum Anderen aus der euhemeristischen Götterdeutung, die durch eine lange Beispielreihe untermauert wird. Eingeleitet werden diese exempla durch einen Vers des Ennius, in dem dieser die Konsekration des Romulus behandelt (28); schon zuvor hatte Cicero auf Ennius Bezug genommen, hier allerdings nur, um eine ennianische Wendung wiederzugeben: » .. .insitun1 priscis illis, quos cascos appellat Ennius, ... « (27). Während die Bedeutung dieses Zitats kaum über den Charakter einer grammatischen Notiz hinausgeht/9 ist die

2'Diese Zäsur nach 37 erfolgt entgegen der Disposition in den meisten Strukturanalysen, allein Douglas, S.104, hebt die Sonderstellung der Abschnitte 36-37 dadurch hervor, daß er sie als eigenen Gedankensclnitt vom Übrigen trennt. So begreift auch Bringmann, Untersuchungen, S.160, die Zurückweisung des Volksglaubens von der Existenz der Seelen in der Unterwelt als einen Teil der »Vernunftbeweise«. Dabei wird aber von den Exegeten eine methodische Zwischenbemerkung Ciceros unterschlagen, die die Zäsur markiert. Denn er leitet die Erörterung des zweiten Abschnitts ein mit den Worten: »magni autem est ingenii sevoeare mentem a sensibus et eogitationem ab eonsuetudine abdueere.« (38) und begründet so eine neue Kategorie von Beweisen, den Verzicht auf weitere empirische Argumente (»a sensibus«) zugunsten von allein aus dem Denken gewonnenen Beweisen. Hinter 39 verlegt hingegen Gigon, Erneuerung, S.S3, die Zäsur, indem er zunächst philosophiegeschichtliche (bis 39), erst dann im eigentlichen Sinne philosophische KategOlien wirksam sieht bei der Begtiindung der Unsterblichkeit der Seele; ihm zufolge geht die gesamte philosophiegeschichtliche Erörterung auf peripatetische Tradition zurück, wobei »Cicero den Text nicht unerheblich erweitert« habe, »teils durch Material aus seiner Consolatio, teils vielleicht auch durch Material zu den zwei Büchern De gloria; Klarheit und Kohärenz der Gedanken haben dadurch spürbar gelitten.- (ebd.). 28Parallelstellen und Quellennachweise in platonisch-akademischer Tradition !Ur diesen >>C!efense ofimmortality with arguments from authority.. bei Jones, Posidonius, S.206-209 (das Zitat S.206). 29Diese Deutung wird unterstützt durch die Tatsache, daß Varro, ling.Lat.7,28, die Wendung ebenfalls zitiert, im Unterschied zu Cicero aber im gesamten Verszusammenhang: »easeum vetus esse sign!fieat Ennius quod ait 'quam Prisci, easei populi, tenuere Latini'.. (= frg.22 Sk.): das spätere Zitat bei Hieronymus (epist.8,1) dürfte von diesen beiden abhängen. Berücksichtigt man den mutmaßlichen ursprünglichen Zusammenhang bei Ennius (vgl. dazu Skutsch, S.181 f.), so läßt sich annehmen, Cicero habe die römische Frühgeschichte auf diese Weise in Erinnerung mfen wollen. 141

Funktion des Vers-Zitats erheblich komplexer: 3o Zunächst hat es illustrativen Charakter, indem so am Beispiel des Romulus die zuvor beschriebene Praxis der Konsekration verdienter Männer und Frauen erläutert wird, die lediglich den Nachvollzug des zuvor stattgefundenen Aufstiegs der Seele in den Himmel darstellt. Sodann kommt dem Zitat Scharnierfunktion zu, indem es die Beispielkette eröffuet: Seine metrische Struktur hebt es aus dem Kontext heraus, es markiert auch einen stilistischer Textumbruch: Denn nach einer ruhigen Argumentation in langen hypotaktischen Satzperioden beginnt nun eine dichte Reihe knapper rhetorischer Fragen, die Argumentation wirkt emphatischer. Schließlich aber dürfte auch der euhemeristische Kontext eine Rolle gespielt haben bei der Wahl gerade eines Ennius - Verses, da Ennius aufs Engste mit der Einbürgerung der euhemeristischen Theologie durch seine Übertragung der »iepa avaypa 8v1]'t yevEt öwp1]8ev ElC 8€wv.cc 62»... /lee Homerum audio, qui Ganymeden ab dis raptum ait propter formam, ut Iovi bibere ministraret; ...... Zu denken ist hier an einen Abschnitt der homerischen »Ilias« (20,232-235). 151

phen Menschen, der über dieselben Fähigkeiten des "vigere, sapere, invenire, meminisse« verfugt wie die Götter. Fungiert Homer so als Beispiel poetischer Göttervorstellung (65), wird gleich daraufEuripides von Cicero zum Gewährsmann seiner eigenen Auffassung, indem er sich auf dessen Gleichsetzung von "animus« und "deus« beruft 63 Auch hier findet sich das enge Beieinander von zitierter Autorität und Eigenem, das den eigenen Anspruch unterstreicht: "ergo animus, qui f. ..;, u! ego dico, divinus es!, IIt Euripides dicere audet, deus.« (66). Die Berufung auf den Dichter wird dabei ermöglicht durch seine Übereinstimmung in der Sache mit Aristoteles, der die Natur der Götter und der Seelen als jene »na/ura quinta« ausgab, von der zuvor schon in der Doxographie zu Beginn der Erörterung die Rede war. Hierauf folgt ein ausfuhrliches Selbstzitat aus der "Consolatio« (66), das der Ausfuhrung dieser Identifikation dient 64 Es ist mithin im Umfeld des argumentativen Höhepunktes der ersten Buchhälfte eine signifikante Häufung der Selbstzitate Ciceros zu beobachten parallel zu einer ebenso signifikanten Dichte expliziter Platon-Zitate. Auf das "Consolatio«-Zitat folgt eine kurze Partie (67), die erneut die Frage nach Ort und Beschaffenheit der Seele aufwirft, sie aber ebenso wenig wie die vorangehenden Abschnitte beantwortet. Das Thema der Erkenntnisfahigkeit der Seele hinsichtlich ihrer selbst bleibt im Mittelpunkt der Überlegungen und wird durch einen Vergleich der Seele mit dem menschlichen Auge erläutert, das wie diese sieht, aber nicht sich selbst sieht und auch keinen sicheren Eindruck über sein Wesen gewinnt. Damit bleiben die Seelenvermögen, die göttliche Natur der Seele und damit ihre Unsterblichkeit als einzige gewisse Aussagen dieses zweiten Beweises bestehen.

63Vgl. Euripides frg.l018 N. Pohlenz, S.89, und Dougan, S.83 f, jeweils z.St., veIweisen übereinstimmend auf einen Vers Menanders, der diesem euripideischen Vorbild folge: .,6 voiiqlKU! quamquam ita sunt in promptuut res disputatione non egeat, tamen sunt a nobis alio loeo disputata« (5). Auch hier wird wieder ein Begründungszusammenhang abgeschnitten, die im früheren Werk bezogenen Position knapp referiert. Ähnlich stellt sich auch der Verweis auf den ..Cato maior« dar (1,151), mit dem die Betrachtung de artifieiis et quaestibus endet, mit ihrer Unterscheidung niederer und edler Tätigkeit und Fertigkeiten, unter denen Cicero insbesondere den Ackerbau hervorhebt. Hier wird sogar die ausdrückliche Aufforderung an den Sohn angefugt, dieses Werk in der genannten Sache heranzuziehen. Auf ..Laelius« und die weitgehend verlorene Schrift ..de gloria« verweist Cicero im zweiten Buch (31), der ..Lae!ius«- Verweis beendet die Darlegungen zum Nutzen von ,ifamiliaritatesfidae amantium nos amieorum et nostra mirantium« (29-31), der Hinweis auf die ..duo !ibr;« von ,>de gloria« eröfthet die Erörterungen zu diesem Thema im Rahmen von ..de offieiis« (31-51). Der letzte Verweis auf eine frühere Dialogschrift findet sich im selben Buch in 60, wo Cicero auf frühere Erörterungen zum Thema öffentlicher Ausgaben im vierten Buch von ..de re pub!ica« rekurriert, wiederum um an der vorliegenden Stelle eine Wiederholung zu vermeiden. 6 Schließlich ist auch unter die Selbstzitate Ciceros das Verszitat ..eedant arma togae, eoneedat laurea laudi« (1,77) einzuordnen, das nach Ciceros eigenem Eingeständnis außerordentlicher Kritik ausgesetzt war ( ..in quod invadi solere ab improbis et invidis audio«).7 Hier allerdings ist die Funktion des Zitats eine andere: Es schließt nicht einen Gedankengang ab, in dem es auf eine Erörterung der Frage an anderer Stelle verweist, sondern leitet vielmehr eine Selbstrechtfertigung Ciceros ein. Im Zusammenhang einer ausfuhrlichen Erörterung von Einzelfragen zur jortitudo (66-91) diskutiert Cicero auch seine Auffassung eines generellen Vorzugs der res urbarlae vor den res bellieae, der ratio deeernendi vor der jortitudo deeertandi (74-81) und verweist dabei auf seine eigene politische Leistung. Der viel kritisierte Vers dient dabei sowohl als eine prägnante Formulierung der eigenen politischen Position wie auch als Ausgangspunkt einer Rechtfertigung in eigener Sache; es schließt sich daher unmittelbar an das Zitat eine Reihe rhetorischer Fragen an, die noch einmal die eigene Leistung in das ihr gebührende Licht rücken sollen. Auch

6.Sed de hoc genere toto in iis libris quas de re publica scripsi diligenter est disputatum .• Die fragliche Stelle in .de re publica. ist nicht überliefert, der Verweis 'wird bei Ziegler unter die Fragmente des vierten Buches eingeordnet. 7Eine Diskussion der antiken Kritik dieses und eines weiteren viel umstrittenen Verses bei W.Allen jr., »0 fortunatam natam ...•. TAPhA 87, 1956, 130-146, bes. S.133 ff.; dort auch ein Überblick über die ältere Forschungsliteratur. Vgl. auch Brush, Cicero's Poetry, S.59 f

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hieran ist im übrigen die Sonderstellung von ..de officiis« unter den philosophischen Schriften Ciceros erkennbar, daß er sich im Rahmen einer allgemeinen philosophischen Erörterung in eigener Sache äußert, während derlei sonst den Prooemien vorbehalten bleibt, die noch nicht der eigentlichen Sacherörterung zuzurechnen sind. 8 Der parainetische Grundzug der Schrift mit der Wendung an den Sohn und über ihn hinaus an eine weitere Öffentlichkeit9 bietet hierfur den angemessenen Ort. Aufinerksamkeit verdient auch die Frage, welche seiner Schriften Ciceros in ..de officiis« zitiert, denn es läßt sich eine auffällige Konzentration auf Schriften staatsphilosophischen und praktisch-ethischen Inhalts beobachten, zugleich ein Verzicht auf die theologischen Traktate. Dabei fällt das Fehlen von ..de legibus« und der .. Tusculanae disputationes« auf, allerdings wohl aus unterschiedlichen Gründen: ..de legibus«, deren inhaltliche Beziehungen zu ..de officiis« in ihrer praktisch-politischen Zielsetzung erkennbar sind,1O dürfte noch immer nicht publiziert gewesen sein; während der Abfassung von .ode re publica«, also um 52 v.Chr., begonnen, wurde die Schrift von Cicero selbst niemals abgeschlossen, wie im Prooemium zum zweiten Buch von ..de divinatione«, erübrigt sich auch in ..de officiis« der Verweis auf eine Schrift, die der Öffentlichkeit nicht vorlag. l1 Die .. Tusculanae disputationes« dürften aufgrund ihres Inhalts fehlen sein, den man mit Fragen praktischer Lebensbewältigung (Umgang mit Trauer, Schmerz etc.) umreißen könnte, dem jedenfalls eine praktisch-politische Ausrichtung fehlt;12 hierin unterscheiden sich die Tusculanen von ..Cato maior«, ..Laelius« und .ode gloria«, denen dieser praktisch-politische Skopos neben allgemeineren ethischen Fragen jeweils zu eigen ist. 13 Insgesamt fugt sich durch diese Selbstzitate »de officiis« ein in einen Gesamtplan von Ciceros philosophischen Werken, was auch aus dem Prooemium zum ersten Buch selbst erkennbar wird, wo er sich am eingehendsten an seinen Sohn wendet und ausdrücklich das eigene - auch philosophische - Lebenswerk zur Lektüre empfiehlt. Die über die gesamte Schrift hin verteilten Selbstzitate ermöglichen so

8Vgl. hierzu P.L. Schmidt: Cicero's Place in Roman Philosophy: A Study ofHis Prefaces. CJ 74. 1978-1979, 115-127, bes.S.121-126 (»de officiis« ist hier allerdings nicht behandelt). ·Vgl. dazu unten S.184 ff. IOSo bereits R.G.Tanner, Cicero on Conscience and Morality. In: JR.C.Martyn (Ed.), Cicero and Virgil. Studies in Honour ofHHunt. Amsterdam 1972, 87 -112. "Zu Abfassungszeit und Publikation von »de legibus« vgl. vor allem P.L.Schmidt, Die Abfassungszeit von Ciceros Schrift über die Gesetze. Roma 1969 (= Collana di Studi Ciceroniani 4), ferner E.Rawson, The Interpretation ofCicero's 'De legibus'. ANRW.I.4, 1973,334-356, bes. S.335-338, und neuerdings A.Grilli, Data e senso del De legibus di Cicerone. pp 45,1990,175-187. l2So auch P.Steinmetz, Beobachtungen zu Ciceros philosophischem Standpunkt. In: Fortenbaughl Steinmetz, Cicero's Knowledge, 1-22, bes. S.18. "Zu den Beziehungen von »de officiis« zu »de re publica«, »Laelius« und »de gloria« vgl. auch Gigon, Bemerkungen, S.378 f, dessen ansonsten ablehnende Einschätzung (»merJru.ürdig spannungslos«, S.379, »Eindruck einer seltsamen Nachlässigkeit und Lieblosigkeit in der Gestaltung des Ganzen wie in der Formulierung des EinzeInen, S.380) dem Werk allerdings kaum gerecht wird. 176

auch immer den Übergang zur Lektüre einer anderen ciceronischen Schrift. Auf diese Weise wird auch das philosophische Gesamtwerk Ciceros als ein Ganzes erkennbar: Eröffnet mit der protreptischen Schrift »Hortensius«,wird es beschlossen durch eine ebenso parainetische Pflichtenlehre. 14 Wie Cicero durch Querverweise innerhalb der drei Bücher von »de officiis« dieses Werk und seine Gedankengänge zusammenbindet, verfahrt er auch mit seinen philosophischen Schriften insgesamt. 15

l'Ebenso Patzig, Cicero als Philosoph, S.306. Eine etwas andere Ringstruktur des philosophischen Gesamtwerks Ciceros beobachtet Süß, Cicero, S.144, die allerdings . ungeachtet der tatsächlichen Bezüge zwischen theoretischer Grundlegung und an römischer Lebenspraxis orientierter Pflichtenlehre ~ insofern problematisch ist, als sie die von Cicero selbst als integraler Bestandteil seines philosophischen Spätwerks verstandenen (vgl. die praefatio von »de divinatione" 2) erkenntnistheoretischen »Academica« und den den Gesamtplan eröffuenden »Hortensius« unbelücksichtigt läßt. Zudem werden ~ wie ein Zeugnis bei Lactanz belegt (inst.div.6,2,14-15 = Hortensizls frg.34) . schon in der Antike der »Hortensius« und »de officiis" aufeinander bezogen. Daher ist auch nicht recht ersichtlich, weshalb Schmidt, Cicero's Place, S.120, den zweiten Zyklus unter den philosophischen Schriften Ciceros mit »de fato« enden läßt und nicht »de offieiis« noch mit einbezieht, zumal er treffend den thematischen Zusammenhang dieser Schriften zuspitzt. Ebenso hat Steinmetz, Planung, S.144, auf der Grundlage des Prooemiums von ode divinatione 2« eine Einteilung der ciceronischen Schriften in drei Gruppen unternommen, deren erste als »eine referierend~kritische Darstellung der wichtigsten Teilgebiete der griechischen Philosophie in lateinischer Sprache« vom »Hortensius« bis zu .de fato« reiche, die zweite hingegen »Schriften verschiedener Zeiten" enthalte, »die zwar einen philosophischen Inhalt oder wenigstens eine philosophische Ausrichtung haben, aber nicht als Teile des Kursus der Philosophie verfaßt sind. (zu ihnen gehören neben dem »Cato maiOJ" der »Laetius« und »de gloria«; auch »de offieiis« wird ausdrücklich dieser Gmppe zugeordnet, so Steinmetz, aao., S.150 ff.). Weder in formaler noch in inhaltlicher Hinsicht kann diese Gliederung letztlich überzeugen: Denn nicht nur wird der Komplex ethischer Schriften auf zwei Gmppen verteilt, auch ihrer Dialogstruktur nach ist kaum einzusehen, wamm die »Tuseulanen. dem Kursus, der »Cato maiorund der »Lae!ius« dem Kursus hingegen nicht angehören sollen. Es stellt sich mithin an diesem Punkt die Frage, ob eine klassifizierende Gmppierung der ciceronischen Schriften angesichts der zahlreichen Querbezüge überhaupt in dieser Form sinnvoll ist. Vgl. zum Gesamtplan von Ciceros philosophischen Schriften seit 46 v.Chr. auch Gawlickl Göder, Cicero, S.1019 ff. I'Das Phänomen der »Corpus-Bildung« durch Selbstzitate läßt sich, obschon nicht in gleichem Umfang, auch in anderen ciceronischen Schriften beobachten: So finden sich in den thematisch verwandten Dialogpaaren von »de re publiea«; »de legibus« und »de natura deorum«l »de divinatione« Verweise auf die jeweils frühere Schrift in der späteren: legg.l, 20. 27; 3,4. 32. 38; div.l,8 und 33. Dabei lassen sich zwei Formen des Selbstzitats unterscheiden: zum einen der generelle Verweis auf das eigene, frühere Werk (»... quaeque de optima re publica sentiremus, in sex !ibris ante diximus, ... «, legg.3,4), zum anderen das Zitat einer der beteiligten Dialogpersonen als selbständig Sprechender (» ... , quam opfumam esse doeuit in illis sex !ibris Scipio, ... «, leggl ,20: »... ut mihi videtur in iis libris quos legistis expressit Scipio., 27; und »... , in quo disputatio Cottae quamquam labefactavit senlentiam meam, non funditus famen sustu!it. ... etenim ipse CoUa sie disputat ... dicitur quidem istud, ... , a Coua ... ", div.l ,8). Im ersten Falle wird damit die literarische Fiktion des historischen Gesprächs durchbrochen, im zweiten Falle wird diese Fiktion bewahrt, innerhalb des literarischen Rahmens auf die Gewährsleute als nicht~literarische Personen Bezug genommen (vgl. auch die Verweise auf ode re publica« in Tuse.disp.4,I, und in jin.2,59, die ebenso nach diesen beiden Verfahren zu unterscheiden sind). Mehrere Selbstzitate, auch hier durch thematische Verwandtschaft der Schriften oder der Werksteile bedingt, gelten der verlorenen »Consolatio«): In den praktischethischen Erörterungen der »Tusculanen« zum Umgang des sapiens mit mors (I.Buch) und aegritudo (3.Buch), verweist Cicero mehrfach auf seine Trostschrift und kürzt so allzu ausführliche exemplaReihen ab (1,83; 3,70-71 und 76; schließlich 4,63), demselben Zweck dient auch der Verweis in div.2,22 (den Verweis in div.2,42, auf »nos tri Commentarii« bezieht Schäublin, S.358 zur Stelle, hingegen zu Recht nicht auf eine Schrift Ciceros, sondern auf Auguraltexte, die zur Deutung prodigienhafter Phänomene zur allgemeinen Verfügung der zuständigen Beamten standen). Weitere 177

Cato-Zitate Verweise auf Cato finden sich an funf Stellen in "de officiis«, wobei zu unterscheiden ist zwischen solchen Zitaten, die eine genaue Herkunftsangabe begleitet, und solchen, die eher kursorisch auf Cato verweisen. Dabei erscheint das erste Zitat besonders signifikant; denn hier heißt es mit genauer Angabe der FundsteIle: "Marci quidem Catonis senis est epistula ad Marcum filium, in qua scribit se audisse eum missum factum esse a consule cum in Macedonia bello Persico mi/es esset. Monet igitur ut caveat ne proelium ineat; negat enim ius esse qui mi/es non sit cum hoste pugnare. « (1,37).16 Dieser Abschnitt gehört zu einer Gruppe von Belegen aus der römischen Geschichte, die das vorbildliche Verhalten gegenüber dem Kriegsgegner illustrieren sollen (35-40), im vorliegenden Falle geht es um den unrechtmäßigen Kriegseintritt eines einzelnen Soldaten in die Schlacht. Hinsichtlich seiner Stellung also fällt das Zitat nicht aus dem gegebenen Rahmen, auffallend ist vielmehr die genaue Angabe des Textbelegs, die eine exakte Parallele liefert zum vorliegenden ciceronischen Werk selbst: Dabei mag die Betonung der gleichlautenden Vornamen als ein erstes Indiz gelten, entscheidend jedoch ist die Identität der Schreib situation Catos und Ciceros, die beide auf ein ethisch korrektes Verhalten ihrer Söhne mittels Sendschreiben hinzuwirken suchen.

Selbstzitate, die einzelne Teile einer philosophischen Schrift oder zwei verschiedene Schriften zusanunenbinden, finden sich in »de finibus. (5,9) und in Ac.pr.79, bezogen auf den verlorenen »Catulus.), zu nennen ist hier schließlich noch der Rekurs auf die Verteidigung philosophischer Beschäftigung im »Hortensius. und die Rechtfertigung der skeptischen Methode in den »/ibri Academici. in Tusc.disp.2,4, der eine ausftthrliche Erörterung dieser Themen abschneidet. Als bislang einziger hat sich R. J.Starr, Cross-References in Roman Prose. AJPh 102, 1981, 431437, mit dem Phänomen der Querverweise befaßt und auch »de officiis. berücksichtigt (vgl. S.433). Sein Untersuchungsinteresse gilt allerdings Wendungen wie out supra diximus. und Verwandtem, Querverweisen also, die nicht aus dem Werk herausweisen. Seine Funktionsbestimmung (einerseits das Gedächtnis des Lesers zu trainieren, andererseits übergänge zu schaffen und Zusanunenfassungen zu bieten und schließlich in der Vorbereitung eines Arguments an ein vorangehendes zu erinnern, so S.434 f.) ist aber gleichwohl fiIr die vorliegenden Selbstzitate Ciceros von Interesse. Daß Starr in seiner Studie die corpus- Bildung durch Zitate nicht berücksichtigt, liegt vor allem in der engen Beschränkung auf die genannten Wendungen, weiterhin existiert bis hin zu Seneca minor kein dem Umfang nach mit Cicero vergleichbares Prosa-Werk, so daß einer systematischen Betrachtung des Phänomens des Selbstzitats im Rahmen eines Gesamtwerks enge Grenzen gesetzt sind. Möglicherweise kann aber ein Blick in die poetischen Gattungen ein mit Ciceros Selbstzitaten durchaus vergleichbares Phänomen aufweisen. Während die Forschung ungeachtet früher Warnungen von W.Bannier, Wiederholungen bei älteren griechischen und lateinischen Autoren. RhM 69, 1914, 491-513, bes. S.512 f, zumeist auf Interpolationen schloß (so vor allem GJachmann, Zur Frage der Verswiederholung in der augusteischen Dichtung. In: 8tudi in onore di Ugo Enrico Paoli. Firenze 1956, 393-421; dazu U.Knoche, Zur Frage der Properzinterpolation. RhM 85, 1936, 8-63, bes. 8.22-27 zur ästhetischen Ächtung von Verswiederholungen in hellenistischer Zeit), hat P.w. Harsh, Repetition ofLines in Euripides. Hermes 72,1937,435-449, vor dieser allzu vorschnellen Folgerung gewarnt und auf dramatische Effekte hingewiesen (auch H. -C.Günther, Properz und das Selbstzitat in der augusteischen Dichtung. München 1997 (= SBAW.phil. - hist.Kl. 1997.2). 16Vgl. zu diesem Abschnitt P.L.Schmidt, Catos Epistula ad M. filium und die Anfange der römischen Briefliteratur. Hermes 100, 1972,568-576, bes. S.569-573. 178

Der nächstfolgende Verweis auf Cato findet sich - wiederum verbunden mit einer Werkangabe - im Rahmen der Erörterung des decorum, anläßlich der Unterscheidung zweier genera iocandi (1,103 -1 04): Hierbei folgt der Bestimmung eines abzulehnenden genus inliberale, petufans, jlagitiosum, obscenum die nähere Charakterisierung des positiv bewerteten genus elegans, urbanum, ingeniosum, facetum durch literarische Werke. Bemerkenswert ist hier vor allem der literarische Rang, der dieser catonischen Aphorismen-Sammlung zugesprochen wird, indem sie in der Nachbarschaft nicht nur des Plautus und der attische Komödie, sondern auch der sokratischen Dialoge erscheint. 17 Zum dritten Mal verweist Cicero auf Cato in 3,104 (auch hier mit genauer Stellenangabe), wo im Zusammenhang mit der Frage nach dem Stellenwert von Eidverletzungen auf die räumliche Nachbarschaft der Tempel der Fides und des Iuppiter Optimus Maximus aufmerksam gemacht wird; diese Nachbarschaft als Ausdruck enger Zugehörigkeit sei von den ..maiores nostri« ausdrücklich gewollt »ut in Catonis oratione est«. Angesichts der bei Cicero selbst bezeugten Zahl von mehr als 150 überlieferten Reden Catos18 wird man dies allerdings im Unterschied zu den vorangehenden Belegen kaum aus genaue Stellenangabe bezeichnen können; der Rahmen, in dem diese Äußerung Catos ehemals ihren Platz gefunden hatte, ist daher auch nicht mehr zu rekonstruieren. 19 Im Zusammenhang der Erörterungen von »de ojficiis« folgt der Verweis aufCato einem Tragödien-Zitat des Ennius mit einer hymnischen Epiklese der Göttin Fides,20 evoziert wird so - auch durch den ausdrücklichen Verweis auf die ..maiores nostri« - der hohe Stellenwert von Eiden in der alten Zeit vor der Folie der Bürgerkriegswirren der Gegenwart. Dem dient schließlich auch die eingehende Erörterung des exempfum des Regulus, das den weiteren Rahmen bildet (99-111).

"Die beiden Fragmente dieser »Apophthegmata« bei Jordan, S.83; nicht zu vermischen sind mit diesem Werk die gleichfalls bei Jordan, S.95-111, als »dictorum Catoniorum collectioo gesammelten Aussprüche Catos, die der biographischen Tradition zuzurechnen sind (vgl. so H. Jordan, Ueber die Apophthegmen und Sentenzen des Cato. RhM 14, 1859,261-283, in! selben Sinne auch Schönberger, S.396, und Hehn, (RE.), Sp.I64). Weiterhin zu trennen sind die »Apophthegmata. von den Cato lediglich untergeschobenen »disticha Catonis«, die aber immerhin das Bewußtsein von einer mit Cato zusammenhängenden Sentenzen-Sammlung widerspiegehI (vgl. zu diesen P.L.SchInidt, HLL.4, 1997, § 488, sowie grundlegend F.Skutsch, RE.5.I, 1903, Sp.358-370 s.v. Dicta Catonis). Vgl. zu diesem Passus auch treffend F. Quadlbauer, Die Dichter der griechischen Komödie in! literarischen Urteil der Antike. WS 73, 1960,40-82, bes. S.55 mit Anm.61, der die »Tendenz des nationalstolzen Römers« hervorhebt, »zu allen griechischen Leistungen ein römisches Gegenstück zu suchen«. 18Vgl. Cicero, Brntus 65: .referlae sunt orationes amplius centum qUinquaginta, quas quidem adhuc invenerim et legerim, et verbis et rebus illustribus." 19Malcovati, ORF. I, S.95, fuhrt Ciceros testimonium daher als frg.238 unter den .incertae sedis reliquiae., ebenso auch Jordan, S.72 frg.4. Jordan, Apophthegmen, S.280, weist auf eine bei Caecilius Balbus überlieferte Anekdote hin, die sich auf dieselbe Äußerung Catos zu beziehen scheint, ohne daß dadurch der Zusammenhang erhellt würde. 2°»0 Fides alma apta pinnis et iusiurandum Iovis« (= scen.frg.403 Vahlen; frg.350 Jocelyn). Auch hier ist der ursprüngliche Zusammenhang nicht mehr feststellbar.

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Schon zuvor, am Beginn des Prooemiums zum 3 .Buch hatte Cicero eine Äußerung des P.Scipio Mricanus zitiert und hierfur als seinen Gewährsmann - durch Zeitgenossenschaft als zuverlässig ausgewiesen - Cato angegeben (1 )21 Der Zusammenhang, in dem Cato diesen Satz Scipios wiedergegeben hat, ist unklar, denkbar wäre die von ihm veranstaltete Aphorismen-Sammlung,22 Cicero macht hierzu auch keinerlei Angabe. Ohnehin stellt sich die Frage, warum Cicero ausdrücklich auf Cato rekurriert: Seine Erwähnung könnte vollständig unterbleiben, ohne daß der Gedankengang irgendeinen Schaden nähme. Es scheint, als ginge es lediglich darum, die Erinnerung an ihn wachzuhalten und auch am Beginn des 3. Buches von »de officiis« gewissermaßen ein »catonisches Kolorit« zu erzeugen. Noch deutlicher wird dies schließlich in dem eher anekdotischen Verweis auf Cato in 2,89, der sich in der Erörterung, der von Panaitios übergangenen comparatio utilitatum findet. Aber auch Cicero behandelt diese Frage eher kursorisch und verwendet statt dessen die Äußerungen Catos, um diesem Problem einen knappen Abschluß zu geben. Was die Authentizität der dabei angefuhrten Anekdote betrifft, so ist hierüber keinerlei Aussage möglich; spätere Belege, deren Abhängigkeit allein von Cicero wenig wahrscheinlich ist, sprechen fur ihre Verbreitung 23 Immerhin fugt sie sich auch ihrem sprachlichen Duktus nach eng an den Stil Catos an 24 Die systematische Unterweisung ad Marcum jilium, die Cicero mit »de officiis« vorlegt, hat in der lateinischen Literatur ihren Vorgänger in den Lehrschriften des älteren Cato an seinen Sohn, auf die Cicero mit einem Zitat in 1,37 ausdrücklich verweist: »Marci quidem Catonis senis est epistula ad Marcum jilium, in qua scribit « 25 Über die nähere Gestalt dieser catonischen Schriften ist nur noch schwer

2lVgl. auch rep.l,27, wo Cicero bereits dieselbe Äußerung zitiert hat, und Plut.apophth.reg. el imp. p.196 B (alle diese Stellen auch bei Jordan, S.86 frg.15 der incertOl1l1ll librol1il11 reliquiae). "Zu dieser Aphorismen' Sammlung Catos vgl.oben Anm.22. Der hier zitierte Ausspruch Scipios findet sich allerdings lmter den von Jordan gesammelten Fragmenten überraschenderweise nicht. 23 Jordan, S.I 08 zu fi·g.63, führt Plin., NH. 18,5,25 an, ferner Coltunella 6 prae/4 und Senius ad Verg.Aen. 7 ,539. "Vgl. M.Pohlenz, Antikes Führertum. Ciceros De officiis und das Lebensideal des Panaitios. LeipzigIBerlin 1934, S.125 Anm.2, der wohl mit Recht hier zwei Anekdoten ineinandergeflossen sieht, von denen allein die erste Parallelbelege hat und sich in ihrem Stil eng an Cato. agr.61, anpaßt. 25Hirzel, Dialog 1., S.429 Anm.4, vennerkt als weitere Parallelen des Vater--Sohu-Gesprächs neben Cicero Livius, Seneca, Asconius, Quintilian, den Juristen Paulus, Martianus Capella, Macrobius, Tiberius Claudius Donatus, ferner Cornutus' »1tepl i'rewv«, verwischt damit jedoch den Umstand, daß in der Tat zwischen dem älteren Cato und Cicero keine Schrift dieser Fonn belegt ist. Darüber hinaus trägt die Bezeichnung »Vater-Sohn-Gespräch« der genauen Fonn von »de officiis« ebenso wenig Rechnung wie der mutmaßlichen Gestalt der catonischen Unterweisungen: Es liegt hier kein Gespräch vor, sondern eine lehrhafte Unterweisung des Sohnes durch den Vater. Insof(:rn stellt auch die zweite Schrift in Ciceros Gesamtwerk, deren äußere Fonn die einer Unterweisung des Sohnes Marcus durch den Vater ist, keine Parallele zu »de officiis« dar: Die tun die Mitte der 50er Jahre entstandenen »Partitiones oratoriae« (vgl. abschließend zur Debatte um die Datierung der Schrift B.B.Gilleland, The Date ofCicero's Partitiones oratoriae. CPh 56,1961,29-32) tragen den Charakter eines Schul gesprächs zwischen Vater und Sohn, Hirzel, aaO., S.494, spricht in diesem Zusammenhang von der »Fonn des Katechismus« nach einem von Brutus auf die Jurisprudenz 180

Aufschluß zu erlangen, die Fragmente, die diesen Werken eindeutig zuzuordnen sind, sind spärlich: 26 Eingebürgert hat sich fur diese Schriften in der Nachfolge Jahns der Begriff der ,.Enzyklopädie«27, der jedoch neuerdings von Astin entschieden zurückgewiesen wird 28 Auch die Bezeugungen durch spätere Zitate ergeben kein eindeutiges Bild, da hier der wenig aussagekräftige Verweis »Cato adfilium« (Diomed.I p.362 Keil = frg.3 Jordan; Prisc.VI p.268 Hertz = frgA Jordan; und Plin.nat.hist.7,51,171 = frg.5 Jordan) variiert wird mit »Cato in epistula ad filium«(Prisc.VII p.337 Hertz = frgA Jordan), mit »Cato in oratione adfilium« (Servius, ad VergGeorg1,46 = frg.6 Jordan) und mit »in/ibris adfilium>de re publica« überliefert (ep.mor.108,33),zz weitere Zitate mit Äußerungen des Scipio Africanus finden sich unter den fragmenta incertae sedis von "de re publica«.Z3 Alle übrigen Ennius-Zitate sind prägnante Redewendungen, die Cicero ohne weiteres Interesse übernimmt. z4 Gegenüber Ennius deutlich zurückgedrängt ist der zweite große republikanische Epiker, C.Naevius: Z5 Ist die Zahl von zwei expliziten Zitaten des Naevius in den

l"Dazu auch Zillinger, Cicero, S.87, mit einer - allerdings spekulativen - Begründung. 2°Die beiden anderen Stellen sind Orat.152 und de orat.3,167 (hier erscheint auch eines der Versstücke aus ode jinibus« zum ersten Mal). Vgl. zu diesem Gedicht des Ennius vor allem die bereits oben, S.147 mit Anrn.46, genannten Arbeit von u.w. Scholz. 2lVgl. hierzu oben S.42 f., 143 und 166; dort auch zum Verhältnis der beiden Distichen zueinander mit weiterfuhrender Literatur. 22Die Kombination beider Versstücke auch bei Zillinger, Cicero, S.123; die Verbindung ist in der Tat verfuhrerisch, die Zitationspraxis entspricht durchaus dem im Zusammenhang mit dem Grabepigramm ad se ipsum Beobachteten. Gleichwohl bleibt die Zuordnung hypothetisch. 23 rep. frg.6 (nach Lact., inst.Div.1,l8,11 f.) und frg.7 (nach Seneca, ep.mor.108,32-34). Der ursprüngliche Zusammenhang heider Fragmente sowohl bei Cicero wie auch bei Ennius ist nicht mehr sicher feststellbar; in den Ausgaben werden diese Versstücke gemeinhin unter die Epigramme eingeordnet, angesichts des polymetrischen Charakters des »Scipio« wäre aber eine Einordnung in dieses Werk ebenso gut denkbar. 24Sodie Wendung ocaeli palatum« in nat.deor.2,49, -initium insaniae. in Tusc.disp.4,52 und »vita vitalis. in Lael.22 (jeweils mit Autor-Angabe). 2'ZU ihm vgl. neben Leo, GrL., S.76-92, und von Albrecht, GrL., S.98-l06, vor allem E.Fraenkel, RE.Supp1.6, 1935, Sp.622-640 s.v. Naevius 2), und neuerdings S.M.Goldberg, Epic in Republican Rome. New York/ Oxford 1995, passim. Die Diskussion zu Naevius' -Bel/um Poenicum. ist in erster 227

philosophischen Schriften Ciceros schon gering genug,26 so fallt weiterhin auf, daß diese Zitate dramatischen Werken entstammen, nicht aber dem naevianischen Hauptwerk, dem in Saturniern abgefaßten »hellum Poenicum.( Ein kursorischer Verweis auf dieses Epos findet sich lediglich im »Cato maior« (49 f.), im Zusammenhang mit der Beweisfuhrung zur ungebrochenen Schaffenskraft im Alter, im »Cato maior« erscheint auch ein Zitat aus einem »Ludus« des Naevius (20).27 Ciceros Urteil zu Naevius scheint dabei ambivalent: Zwar nimmt er einerseits den Dichter gegenüber der Kritik des Ennius in Schutz, indem er Naevius' Leistung würdigt (so Brutus 75 f.), berücksichtigt aber seinerseits das »hellum Punicum« als zu altertümlich nicht mehr. Hieran ändert auch die intensive philologische Auseinandersetzung mit Naevius zur selben Zeit nichts,28 seine Sprache galt in ciceronischer Zeit als veraltet, und hierin ist wohl auch Ciceros Verzicht auf Zitate aus dem Epos begründet. 29 Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Betrachtung der Zitate aus dramatischen Dichtungen des Naevius: Allein die Tatsache, daß Cicero den in Tusc.disp.4,67 zitierten Vers aus dem »Hector proficiscens« noch zweimal anfuhrt,30 nährt den Verdacht, daß es sich hierbei um eine sprichwörtliche Wendung handelt, bei der der Ursprungskontext keine Bedeutung mehr hatte, wofur im Übrigen auch spricht, daß aus dieser Tragödie lediglich ein weiterer Vers bei dem spätantiken Grammatiker Priscian erhalten ist (G.L.2,400,1 K). Eine Auffiihrung des »Equus Troianus«, aus dem Cicero zweimal in den Briefen adfamiliares zitiert,31 zu Ehren Linie bestimmt von der Frage nach der Form des Werks bzw. dem Verhältnis von historischem und mythischem Teil in der Darstellung, ein Überblick hierzu findet sich bei M.von Albrecht, Naevius' 'Bellum Poenicum'. In: E.Burck (Hrsg.), Das römische Epos. Darmstadt 1979, 15-32, bes. S.17-21; vgl. auch die monumentale Darstellung von M.Barchiesi, Nevio Epico. Storia, Interpretazione, Edizione critica dei Frammenti dei primo Epos latino. Padova 1962; sowie die Untersuchungen von S.Mariotti, La struttura deI Bellum Poenieum di Nevio. In: Studi in onore di G.Funaioli. Roma 1955, 221-238, und von W.Richter, Das Epos des Gnaeus Naevius. Göttingen 1960 (= NAWG 1960.1). Eine zusammenfassende Erörterung der dramatischen Werke des Naevius fehlt hingegen völlig; vgl. hierzu einschlägig Ribbeck, Römische Tragödie, S.44-76, und IBlänsdorf, Voraussetzungen und Entstehung der römischen Komödie. In: E.Lefevre (Hrsg.), Das römische Drama. Darmstadt 1978, 91-134, bes. S.127-133. '"Die Hauptmasse der Naevius-Zitate bei Cicero gehört in die Briefe adfamiliares, weitere Zitate finden sich in der zweiten Rede gegen Antonius und im »Orato,..: An drei Stellen in den Briefen ad familiares finden sich Verweis auf die Tragödie »equus Troianus. (7,1,2, und 16,1), zwei auf den »Heetor profieiseens- (5,12,7, und 15,6,1); zwei Verse der »Iphigenia. schließlich fmden sich in Orat.52, ein Vers aus einer unbekannten Komödie in PhiI.2,65. Vgl. auch die Stellensammlung bei Zillinger, Cicero, S.91-94, und Malcovati, Cicerone, S.92 ff. "Vgl. dazu die Erörterungen oben S.53 f 28S0 in Textedition des »bellum Poenieum- durch den republikanischen Grammatiker C. Octavius Lampadio wohl um die Mitte des 2.Jahrhunderts (bezeugt durch Sueton, gramm. 2,4; vgl. zu Lampadio die oben Anm.3 genannte Literatur) und in Zitaten bei Varro. '9Vgl. de oral. 3,45: »equidem eum audio soerum meam Laeliam .... eam sie audio. ut Plautum mihi aut Naevium videar audire .•, eine Äußerung, die »den größeren sprachlichen Konservatismus und Purismus der Frauen belegen (sc.: soll) und beweist, daß die Sprache des Naevius als Inbegriff für reines, aber schon etwas altertümliches Latein galt.- (so von Albrecht, GrL., S.l 04). 300ie beiden anderen Stellen oben Anm.26. 31 Auch hierzu oben Anm.26. 228

des Pompeius im Jahre 55 v.Chr. ist gleichfalls bei Cicero belegt (ad fam. 7, 1,2), vermochte aber diesem Stück offensichtlich ebenfalls kein neues Leben zu geben 32 Hieraus erkennbar ist, wie sehr sowohl die epische wie auch die dramatische Dichtung des Ennius das Werk seines Vorgängers aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt hat; kaum mehr als literarhistorisches Interesse wird ihm in ciceronischer Zeit noch entgegengebracht, das Fehlen von Zitaten in Ciceros philosophischen Dialogen, die als Gespräch Gebildeter der römischer Oberschicht charakterisiert sind, bezeugen seine mangelnde Präsenz. 33 Gleiches gilt auch für den Archegeten lateinischer Dichtung überhaupt, Livius Andronicus; weder aus dessen Epos ..Odusia« noch aus seinenfabulae findet sich in Ciceros philosophischen Schriften ein Zitat. 34 Begründet ist dies ohne Zweifel darin, daß Livius Andronicus zwar als Archeget lateinischer Literatur überhaupt hohes Ansehen genoß, man seine literarische Leistung aber gleichwohl als überwunden betrachtete: Deutliches Zeichen hierfür ist wohl der gescheiterte Versuch, der livianischen ..Odusia« durch Umsetzung der Saturnier in Hexameter neues Leben einzuhauchen. 35 Dieses ambivalente Verhältnis ist auch bei Cicero erkennbar, denn er hebt die führende Stellung des Livius am Beginn der lateinischen Dichtung durch die Kennzeichnung ..Daedalus« ausdrücklich hervor, fällt aber gleichwohl ein vernichtendes Urteil über seine Werke. 36 Diese geringe Wertschätzung des Livius Andronicus vom Standpunkt der ausgehenden Republik her erklärt, warum Cicero ihn nicht als zitablen Autor in seinem Werk einsetzt. Ein antiquarisches Interesse, dem sich die Zitate des Livius bei Varro verdanken, liegt Cicero in seinen philosophischen Schriften fern, weder im Sinne einer argumentativen Absicherung noch als schmückendes Element der Rede ist dieser Autor tauglich. Neben Ennius entfällt die zweitgrößte Gruppe von Dichterzitaten auf den Tragiker L.Accius,37 ein Befund, der in mehrerlei Hinsicht von Bedeutung ist. Denn eine

"Hierzu Wright, Cicero, S.55. 33Vgl. auch die Bestandsaufualnne bei Classen, Ennius, S.134 f., im selben Sinne. 34Die Fragmente bei Blänsdorf, FPL., S.l7-38, und Ribbeck, TRF., S.I-6. Zu Livius Andronicus ferner neben Leo, GrL., S.55-75, die Darstellungen von E.Fraenkel, RE.Suppl. 5, 1931, Sp.598-607 s.v. Livius 10a), und von Albrecht, GrL., S.92-98 mit ausführlichen Literaturhinweisen. Zur .odusia. vor allem K.Büchner, Livius Andronicus und die erste künstlerische Übersetzung der europäischen Kultur. SO 44, 1979, 37 -70, und GA Sheets, The Dialect Gloss, Hellenistic Poetics and Livius Andronicus. AJPh 102, 1981, 58-78, zu den Tragödien neben Ribbeck, Römische Tragödie, S.19-43, E.M. Sanford, The Tragedies of Livius Andronicus. CJ 18, 1922-1923, 274-285. Zur Bedeutung des Livius Andronicus im Werk Ciceros vgl. auch Malcovati, Cicerone, S.91 f. "Schon Leo, GrL., S.73, hat die vier Hexameter (frgg.37-40 Blänsdort) einer Bearbeitung der Gracchen-Zeit zugewiesen. Vgl. auch ATraina, Il Pasto del Ciclope egli Esametri pseudo-liviani. In: ders., Vortit barbare. Le traduzioni poetiche da Livio a Cicerone. Rorna 1970,29-36. '6S 0 schon Leo, GrL., S.75, mit Blick auf Brut.71-73. Die chronologische Diskussion hat in neuerer Zeit ihre Fortsetzung gefunden (vgl. von Albrecht, GrL., S.92 mit Anrn.I). 37Vgl. auch zu den Accius-Zitaten bei Cicero Zillinger, Cicero, S.34 ff., und die Stellensamrnlung S.131-140, ferner Wright, Cicero, S.31-39, und Malcovati, Cicerone, S.132-148. Die Studie von R.Giomini, Echi di Accio in Cicerone. Atti del I.Congresso Internazionale di Studi Ciceroniani. 229

Durchsicht der bei Ribbeck, Warmington und D'Ant6 gesammelten Fragmente38 ergibt, daß Cicero nach Nonius der wichtigste Gewährsmann fur Accius überhaupt ist: Während auf jenen 339 sicher zugeschriebene Fragmente entfallen, hinzu kommen weitere 13 der überhaupt nur bei diesem spätantiken Grammatiker bezeugten praetexta ..Aeneadae sive Decius«, gehören 33 der Fragmente in Schriften Ciceros, zuzüglich den beiden umfangreichen Versgruppen aus der praetexta ..Brutus«. Diese läßt sich noch vertiefen: Denn von insgesamt 48 bezeugten Tragödientiteln des Accius (unter Einschluß der beiden praetextae) rekurriert Cicero lediglich auf acht Stücke und bezeugt weitere zwei: Die Hauptzahl der Fragmente, nämlich 12, gehört in die ..AtreusceTragödie des Accius, acht Fragmente entstammen dem ..Phi/oetetes«, zwei der ..Clytaemnestra« und der praetexta ..Brutus«; die übrigen entfallen mit jeweils einem Fragment auf das ..Armorum iudicium«, den »Eurysaces«, die ..Medea sive Argonautae«39 und die ..Nyctegresia«~o Zudem sind die bei Cicero überlieferten Fragmente die mit Abstand umfangreichsten, was sich durch das grammatische Interesse der spätantiken Zitationen erklärt, das sich auf einzelne Wendungen und Worte konzentriert. Nach Maßgabe der sicher zugewiesenen Fragmente aber ergibt sich eine Konzentration auf wenige Tragödien des Accius. Eine Gegenprobe bestätigt diesen Befund, denn die Fragmente, die Cicero überliefert, werden häufig begleitet durch Zitationen anderer spätrepublikanischer Autoren aus denselben Stücken: Der auctor ad Herennium zitiert gleichfalls aus dem ..Armorum iudicium«,41 Varro aus dem ..Phi/octeta sive Philocteta Lemnius«42 und aus dem

Rorna Aprile 1959. Vol.II. Bari 1961,323-331, bietet hingegen für den vorliegenden Zusammenhang wenig, sondern konzentriert sich vielmehr auf sprachliche Anklänge, poetische Wortwahl und ähnliche Phänomene bei Cicero, die auf Accius verweisen. 38Ribbeck, TRF., S.136-227; Warmington, ROL.II, S.326-595 (hier auch die Fragmente der Schriften des Accius neben den Tragödien); die hier angegebenen Zahlen folgen der Ausgabe von D'Ant6. 39Die Fragmente des »Atreuso: pro Planc.59;pro Sest. 102; in Calp.Pison.82; de orat. 3,217 f.; Tusc. disp.2,13, 4,55, und 77; nat.deor.3,68; off 1,97, und 3,102 (= 106). Die Fragmente des »Philoctetes-: jin.2,94, und 5,32; Tusc.disp.I,68; 2,19, 23 und 33; nat.deor.I,119; ad fam.7,33,1. Die Fragmente der »Clytaemnestra.c: Topica 61 und ad fam. 7, I ,2. Die Fragmente des »Brotuso: pro Sestio 123 und div.I,44. Die Fragmente des »armorom iudiciumo off3,97, des »Eurysaces.: pro Sestio 120 und der »Medea sive Argonautaeo: nat.deor.2,89. "'Die Zuordnung der Tusculanen-Stelle 3,62 zu dieser Tragödie ist allerdings umstritten: Während Warmington, ROL.II, S.490, und Zillinger, Cicero, S.l36, den Vers »scindens dolore identidem intonsam comamo übereinstinlmend der »Nyctegresiao zuweisen (der Text selbst bietet lediglich das Attribut »Accianuso und den Hinweis auf die »Dolonieo in der homerischen »llias.), führen Ribbeck, TRF., S.223, und D'Ant6, S.171, den Vers unter den Fragmenten ex incertisfabulis als frg.19 (vgl. auch den Kommentar, S.483); dem schließt sich auch G.Pacitti, Il Reso e la Nyctegresia di Accio. Maia 15, 1963, 184-198, insofern an, als er das Fragment gleichfalls nicht berücksichtigt. Gleichfalls unsicher ist die Zuordnung des Fragments in Tusc.disp.l, I 05, das einer nicht näher bestinlmten Achill-Tragödie anzugehören scheint (= frg.inc.xm, v.667 Ribbeck; vgl. dazu auch die unten Anm.50 genannte Studie von Consolino). 4lAuctor ad Herennium 2,42 = frg.103-108 Warmington. 42Varro,ling.Lat. 7, I 0 (= frg.527 -530, 533-540 Warmington); 7, II (= frg.557 Warmington); 7,80 (= frg. 554 Warmington). 230

"BrutuS«.43 Der Verdacht liegt also nahe, daß in spätrepublikanischer Zeit sich das Interesse des Publikums auf bestimmte Stücke des Accius konzentriert hat. 44 Ein Grund hierfur mag nicht zuletzt in den politischen Implikationen dieser Werke zu sehen sein: Denn eine Verherrlichung des L.Iunius Brutus, wie sie die praetexta "Brutus« zu Ehren des D.Iunius Brutus Callaecus, des Freundes und Gönners des Accius,45 bot, mußte zu der Zeit, in der Cicero seine philosophischen Werke schrieb, angesichts der Ermordung Caesars durch M.Iunius Brutus erneut politische Brisanz gewinnen46 . Gleiches gilt fur den "Atreus'. des Accius, dessen Thema des Tyrannen-Hochmuts und des Tyrannen-Sturzes vor dem Hintergrund der Alleinherrschaft Caesars und ihres Ende auf die aktuelle politische Lage bezogen werden konnte: Schon Cicero selbst hat das berühmte ..oderint dum metuant« in einer Rede gegen Marcus Antonius eingesetzt, um ..die Zerbrechlichkeit einer auf Furcht gegründeten Herrschaft zu verdeutlichen«.47 Schließlich hat Tandoi auf die sehr persönliche Beziehung Ciceros zur Philoktet-Gestalt hingewiesen: Wenn er sich in seiner Deutung auch auf die Zeit um das Jahr 60 beschränkt, in der Cicero seine eigene politische Isolation in der Gestalt Philoktets gespiegelt gesehen habe, so scheint dies doch durchaus auch auf die Zeit um die Ermordung Caesars übertragbar zu sein und belegt zudem die grundsätzliche Möglichkeit einer TragödienDeutung mit Blick auf die unmittelbar gegebene politische Situation. 48 Unzulänglich ist daher, die Begründung fur Ciceros Rückgriff auf Dramen des Accius in der Möglichkeit zu sehen, beide könnten noch miteinander in persönlichen Kontakt getreten sein: 49 Denn wie das Beispiel des Ennius schon belegt, verwendet Cicero - ungeachtet der Tatsache, daß dieser persönliche Kontakt tatsächlich belegt ist (in Brutus 107) - fur seine Beweisfuhrung auch Autoren, zu denen sich in keiner Weise eine unmittelbare persönliche Beziehung herstellen läßt. Ausschlaggebend sind vielmehr die aktuelle politische Situation, die diese Accius-Tragödien wieder in das

43Varro, Iing.Lat. 6,7 (= 7,72; = frg.39 Wannington) und 5,80 (= frg.41 Wannington). 44 V gl. Wrights überlegungen zur Präsenz einzelner accianischer Stücke auf der zeitgenössischen Bühne; ihm gelingt es, für den -Atreus. und den »Brutus., für »Clytaemllestra., »Eurysacus., »Medea. und »Tereus. zeitgenössische Auffiihrungen zu belegen (Cicero, S.33-38). 45Vgl. zu diesemF.Münzer, RE. 10.1, 1917, Sp. 1021-1025 s.v. Iunius (Brutus) 57). Zu dem Stück selbst vgl. die oben S.116 mit Amn.193 genannten Untersuchungen. 4·Sichtbar wird dies nicht zuletzt in dem Vorhaben des M.lunius Brutus, bei seinen ludi Apollinares im Juli 44 den »Brutus. zur Auffiihrung zu bringen (vgl. hierzu C.C.CouIter, Marcus Iunius Brutus and the Brutus of Accius. CJ 35, 1939-1940, 460-470); geboten wurde dann allerdings der »Tereus. des Accius (vgl. dazu Cicero, ad Att.16,2,3 und 5,1). 47SOO. Zwierlein, Der Schluß der Tragödie 'Atreus' des Accius. Hermes 111, 1983, 121-125, das Zitat - mit Blick auf Phil.l,34 - auf S.121. Vgl. zu dieser Tragödie grundlegend I.Lana, L' »Atreocc di Accio e la leggenda di Atreo e Tieste nel teatro tragico romano. AAT 93, 1958-1959,291-385; sowie in jüngerer Zeit V. Messina, Appunti suIl' Atreus Acciano. Dioniso 58,1988,53-73. 48VgI. V.Tandoi, Accio e il complesso del Filottete Lemnio in Cicerone verso il60 a.c. Ciceroniana 5, 1984, 123-160; ein überblick über die gesamte Philoktet-Tragödie des Accius mit allen Fragmenten bei M.F.Bucalo, Il »Filottete« di Accio. Studi Noniani 4, 1977,27-49. 49S0 schon Zillinger, Cicero, S.34; dies wiederholt bei Shackleton Bailey, Cicero, S.242. 231

allgemeine Interesse gerückt haben, 50 dessen Spiegel wiederum die ciceronischen Zitate sind, und persönliche Neigungen Ciceros. Etwas weniger sicher zugewiesene Zitate entstammen dem Werk des Vorgängers des Accius als fuhrendem Tragiker in Rom, M.Pacuvius. 51 Aber auch sie verteilen sich wie im Falle des Accius auf bestimmte Tragödien, wobei diese Konzentration durch literarkritische Urteile Ciceros in seinen rhetorischen Schriften unterstützt wird; zudem stellt neben den spätantiken Grammatikern und Lexikographen Cicero die bei weitem wichtigste Quelle fur das Werk des Pacuvius dar. Denn von den insgesamt vierzehn bezeugten Tragödie des Pacuvius (einschließlich der praetexta »Paulus«) finden sich bei Cicero sieben durch Zitate belegt: Es sind dies die »Antiopa«, das »Armorum iudicium«, der »Chryses«, die »Iliona«, der »Medus«, die »Niptra«, und der »Teucer«;52 hinzukommen weitere zwei Fragmente, deren ursprüngliche Zugehörigkeit nicht mehr nachweisbar ist. 53 Anders als bei Accius scheinen die Stücke des Pacuvius allen politischen Implikationen enthoben zu sein, ihre Zitation bei Cicero ist daher wohl auch ohne eine politische Bedeutung. 54 Mit

50Vgl. zu den politischen Implikationen accianischer Tragödiendichtung F.E.Consolino, Accio senza Cicerone: Tratti »Romanio e debattito politico nelle tragedie su Achille. AmIali di Facolta di Lettere e Filosofia deli' Universitä di Siena 6, 1985, 13-28. Allgemein weist nachdrücklich auf die politischen Implikationen republikanischer Tragödienauffiihrungen, vor allem -wiederauffiihrungen E.Lefevre, Die politische Bedeutung der römischen Tragödie und Senecas 'Ödipus'. ANRW. II 32.2, 1985,1242-1262, bes. S.1243-1246,hin. "Zu Pacuvius vgl. neben den Fragmenten bei Ribbeck und Warmington die Einzelausgabe von G.D'AmIa, M. Pacuvii Fragmenta. Roma 1967 (dort, S.18-24); ausführlich zum Verhältnis der Tragödien des Pacuvius zu griechischen Vorlagen); Rekonstruktionsversuche der pacuvianischen Tragödien mit Übersetzung der Fragmente bei Raffaele Argenio: Niptra di Pacuvio. RSC 7, 1959, 334; eine literarkritische Würdigung des Pacuvius neben Ribbeck, Römische Tragödie, S.216-339, und RHeIm, RE.18.1, 1942, Sp.2159-2174 s.v. Pacuvius 6) zuletzt von G.Manuwald, Pacuvius summus tragicus poeta. Zum dramatischen Profil seiner Tragödien. Leipzig 2003 (= BzA. Bd.191), mit weiterfuhrender Literatur. "Die Fragmente der -Antiopa.: fin.l,4, und div. 2,133, dazu inv.l,94, de orat.2,155, und opt. gen.orat. 18. Das Fragment des »Annornm iudiciumo: Orat.155. Die Fragmente des .Ch,yseso: fin.2,79 und 5,63 (die Zuordnung dieses Fragments ist umstritten, gelegentlich wird auch der »Duloresteso als Quelle dieses Versstücks genannt; vgl. dazu schon OJalm, Satura. Hermes 2, 1867,225251, bes.S.229-233, der nach einer Erörterung der mutmaßlichen Vorlagen dieser Tragödie das Fragment dem Chryseso zuweist (S.233); ferner D'AmIa, S.200 zu frg. 10), nat.deor. 2,91, div. 1,131 (zu diesen beiden Zitaten auch W. - H.Friedrich, Ennius-Erklärungen. Philologus 97, 1948, 277-301, bes. S.283 ff.) und Laelius 24, ferner Orat.154 und de orat. 3,167. Die Fragmente der »Ilionao: Ac.pr.88, Tusc.disp.l, 106, und 2,44, ferner Pro Sest.126, rat. 164, de orat.3,219 und ad Alt. 14,14,1. Die Fragmente des -Meduso: rep.3,14, Tusc. disp.3,26, und 4,69, sowie inv.l,26. Die Fragmente der »Niptra.: Tusc.disp.2,48-50, und 5,46. Die Fragmente des .Teucer«: Tusc.disp. 5,108, div.l,24 und 80, ferner de orat.2,193, und 3,157 (dazu das Testimonium 1,246), sowie Caelius in ad fam.8,2,1 (vgl. auch die ZusanmJenstellung der Fragmente mit ausführlicher Kommentierung bei Zillinger, Cicero, S.124-131, und Malcovati, Cicerone, S.119-132). "fin.5,31 , undnat.deor.2,91. "Dies gilt allem Anschein nach ftir die Zitate aus dem »Annornm iudiciumo, das eine Nachricht Suetons zufolge ftir die Leichenspieie Caesars adaptiert worden war (Suet., Div.lul.84,2). Das bei Cicero vorliegende Zitat gehört deutlich vor die Zeit von Caesars Ermordung (Orat.155, die Abfassungszeit dieser Schrift gehört in das Jalrr 46 v.Chr.), der umgebende Kontext des Zitats weist auf keine politische Intention. 232

Pacuvius wird vielmehr ein römischer Dichter zitiert, dessen Werk fur das zeitgenössische Publikum einen hohen künstlerischen Rang einnahm, dessen Aussagen daher eine hohe Allgemeinverbindlichkeit besaßen. 55 Diese Allgemeinverbindlichkeit wird auch nicht relativiert durch literar- und sprachkritische Anmerkungen in den rhetorischen Schriften Ciceros, 56 sondern diese bestätigen viel eher die Aktualität des Pacuvius als Bühnenautor. 57 Dies erweist sich - wie schon bei Accius - auch durch andere Zitate bei zeitgenössischen Autoren. Denn neben Varro ist es vor allem der auetor ad Herennium, der teilweise sehr umfangreiche Zitate aus pacuvianischen Tragödie bietet, 58 wobei zu beobachten ist, daß mit Ausnahme der ,.Hermionae< und der ,.Periboeaepro Caelio« auf die »Andria« zurück 69 Ob man hieraus die Berechtigung gewinnen kann, die »Andria« als Ciceros Lieblingsstück des Terenz zu bezeichnen,70 erscheint allerdings eher fraglich, wenn man die Verteilung der Zitate auf das Stück betrachtet: Denn mit Ausnahme lediglich zweier Verse stammen alle Zitate aus der Exposition des Stücks, dem Zwiegespräch des senex Simo und seines libertus Sosia, in dem erster seine Erziehungsprinzipien aufdeckt und die via media zur Richtlinie der Lebensfuhrung erklärt. Der im »Laelius« zitierte Vers ist hierfur ein besonders signifikantes Beispiel, indem er die Gefährdung dessen beschreibt, der über das mittlere Maß herausragt: »obseqllillm amicos, veritas odium parit.« (v.68)71 Daß dieses - wenn man will - »bürgerliche Sicherheitsdenken« dabei schon den Auffassungen des Scipionenkreises, wie Cicero ihn verstand, zuwider lief, macht die an das Zitat anschließende Auseinanderset zung mit ihm deutlich (Laelills 89). Auch der ..Phormio« ist mit lediglich zwei Zitaten in den philosophischen Schriften eher schwach vertreten,72 weitere Zitate finden sich im »Orator« (157) und in dem Brief ad Att.2,19,1. Daß sich diese Komödie des Terenz ungeachtet ihrer schwachen Bezeugung bei Cicero gleichwohl in ciceronischer Zeit hoher Bekanntheit erfreute, machen zwei Verweise deutlich, die sich in ciceronischen Reden finden, in denen er bestimmte Personen zur näheren Charakterisierung als ..Phormio« bezeichnet (pro Caecina 27, und Phil.2,15), der terenzische Parasit muß also sprichwörtlichen Charakter gehabt haben. Hinsichtlich der Verwendung von Terenz-Zitaten verdient vor allem das Zitat in den »11Isculanen« Aufinerksamkeit, das eingebettet ist in ein ganzes Zitaten-Nest (3,29-31). Dort, im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Buchthema »aegritudo in sapientem cadere videtllr« (7), findet sich die Auseinandersetzung mit dem kyrenaischen Lehrgedanken der praemeditatio des Künftigen als Schutz vor unvermutetem Unheil (28-31).73 Cicero beginnt die Zitatenreihe dabei mit einer Gruppe von Euripi-

'''Die weiteren Zitate aus der »Andria« fmden sich an den folgenden Stellen: inv. 1,27 und 33 (hier ein ganzes Zitatennest); de orat.2,172 und 326 f.; ad/am. 9,7,1 und 12,25,5; ad Att.I3,34; und pro Cae/io 61. Zu dieser expositorischen ersten Szene der »Andria« vgl. G.Rambelli. I1 Prologo e la Prima Scena delI' »Andria«. SIFC 16, 1939, 79-104. 7OS 0 Zillinger, Cicero, S.40. 7lNachweise zahlreicher weiterer Zitate dieses Verses bei späteren Autoren bei Otto, Sprichwörter, S.368 s.v. veritas 3), griechische Parallelen scheinen auf eine allgemeine Verbreitung dieser Maxime hinzudeuten. Gleichwohl belegen aber die übrigen Zitate aus der Exposition der »Andria« bei Cicero, daß dieser den Vers nicht einer Sentenzerr-Sammlung verdankt, sondern Terenz unmittelbar. Vgl. hierzu auch Büchner, Theater, S.33 f. 72Tuse.disp.3,30-31 (vv.24 1-246), und nat.deor.3,73 (v.321). "Vgl. dazu vor allem N.MmIDone, Il Pensiero Cirenaico nel Libro III delle Tuseulanae. RFIC 94. 1966.424-440. Die älteren Arbeiten von P.Finger, Die beiden Quellen des III. Buches der Tusculanen Ciceros. Philologus 84. 1929,51-81.320-348, bes. S.75 ff, und R. Philippson, Das dritte und das vierte Buch der Tusculanen. Hermes 67, 1932,245-294, bes. S.261 ff., sind vor allem quellenkritisch angelegt und bieten zur vorliegende Stelle daher eher nur dürftiges Material. 235

des-Versen,74 hinter denen er eine Äußerung des Euripides selbst sieht, fugt hieran eine Gnome des Anaxagoras an, was sich aufgrund der antiken Tradition eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses von Anaxagoras und Euripides nahe legt/5 um die Reihe mit den Versen aus dem »Phormio« abzuschließen, hinter denen er wiederum philosophische Autoritäten vermutet und daher die Berechtigung gewinnt, die Verse hier zu zitieren (31). Bei dem Zitat ist dabei weniger die Textabweichung gegenüber der überlieferten Form von Interesse76 als der Wegfall des parodistischen Elements: Denn den zitierten Worten des greisen Demipho entspricht bei Terenz die Erwiderung des Sklaven Geta, der bis in die Formulierungen hinein den Gedanken seines Herrn aufgreift, ihn aus »philosophischer Höhe« auf seine eigenen praktischen Lebensverhältnisse ummünzt und so als eine Plattitüde entlarvt (vv.247251)77 Dadurch, daß diese parodierende Fortsetzung bei Cicero fehlt, wird der Gedanke selbst wieder in sein altes Recht gesetzt und kann als poetisches Beweismittel im philosophischen Gedankengang herangezogen werden. Die Hauptmasse der Terenz-Zitate bei Cicero entfallt mithin auf »Eunuchus« und »Heautontimorumenos«, was wiederum der allgemeinen Beliebtheit beider Stücke beim römischen Publikum entspricht: Der außerordentliche Publikumserfolg des »Eunuchus« ist durch die Terenz-Vita belegt78 Neben dem schon zitierten Verweis in Phil. 2,15, der neben dem offenbar sprichwörtlichen parasitus Phormio noch den ebenso sprichwörtlichen parasitus Gnatho aus dem »Eunuchus« und den plautinischen Ballio anfuhrt, gehören in diese Komödie des Terenz insgesamt sechs Zitate in den philosophischen Schriften, weitere drei in den Briefen. 79 Auffallend ist hierbei die Tatsache, daß im Gegensatz zu den bereits angefuhrten Komödien Zitate aus dem »Eunuchus« in den rhetorischen Schriften fehlen. Der gleiche Befund ergibt

74VgL dazu unten S.260 f 75VgL etwa Diog.Laert.2,lO, und Gellius 15,20,4, wo neben Anaxagoras physicus auch Prodikos rhetor genannt wird sowie die »philosophia Socratis ... Darüber hinaus belegen Schmid-Stählin, GgrL 3.1, S.315-318, weitere Verbindungen des Euripides zu zeitgenössischen Philosophen aus der biographischen Tradition. Dabei wird eine philosophische Beeinflussung des Euripides grundsätzlich anerkannt, ein Lehrer- Schüler- Verhältnis im engeren Sinne aber zu Recht mit Skepsis betrachtet (vgl. im selben Sinne auch Lesky, GgrL, S.409, ferner Dieterich: RE.6, 1909, Sp.1242-1281 s.v. Euripides 4), bes. Sp.1246). Zu Anaxagoras bei Cicero vgL weiterhin unten S.338. 76Anstelle des überlieferten Verses »pericla damna exsilia: peregre rediens semper cogitet.. (v.243) schreibt Cicero »pericla, damna peregre rediens semper secum cogitet«, anstelle des überlieferten Verses »communia esse haec, fleri posse, ut ne quid animo sit novom .. (v.245) heißt es bei Cicero »communia esse haec, ne quid hOnlm umquam accidat animo novum«. Der Hinweis hierauf auch bei E.Lefevre, Der Phonnio des Terenz und der Epidikazomenos des Apollodor von Karystos. München 1978 (= Zetemata H74), S.105 ff. 7'Zum parodistischen Charakter der Verse vgL auch die knappe Bemerkung bei von Albrecht, GrL, S.176. "Suel., vit.Ter.p.29.8 fr: »ElInuchlis quidem bis deinceps acta est meruitque praemium qualltum nulla antea cuiusquam comoedia, octo milia nummum,« 79Tusc.dispA,76 (= vv.59-63); nat.deor.3,n (= vv.46.49), und 2,60 (= v.732); Lad 93 (= vv. 252 f) und 98 (= v.391); off1,l50 (= v.257). Dazu ad Au. 7,3,10 (= vv.114 fund 539) und adfam. 1,9,19 (= vv.440-445). 236

sich bei den Zitaten aus dem »Heautontimorumenos", auch hier finden sich Verszitate des Terenz lediglich in den philosophischen Schriften und den Briefen, nicht aber in den rhetorischen Schriften. Angesichts der sonst guten Bezeugung beider Komödien bei Cicero verdient dieser Umstand Beachtung, ohne daß eine Erklärung fur diesen Befund erkennbar wäre. Des weiteren ist eine Konzentration der Zitate aus dem »Eunuchus,,80 - zumindest, was die philosophischen Schriften angeht - auf die Eröffuungsszene zwischen Phaedia und Parmeno81 und auf die zweite Szene des zweiten Aktes zwischen Gnatho und Parmeno zu beobachten, dem ersten Auftritt des Parasiten, der sich und seine Lebensfuhrung hier selbst charakterisiert. 82 Ein weiteres Zitat, wiederum im »Laelius" und in gleichem Zusammenhang, fuhrt Gnatho als Schmeichler an, entstammt aber einer späteren Szene (98 = v.391). Das letzte »Eunuchus•.-Zitat schließlich bietet als Beispiele fur die metonymische Bezeichnung von Sachen durch die sie repräsentierenden Gottheiten den noch oft 83 zitierten Vers »sine Cerere et Libero jriget Venus." (v.732). Aus dem »Heautontimorumenos,,84 zitiert Cicero in den philosophischen Schriften an acht Stellen, weitere dreimal in seiner Korrespondenz85 . Zu beobachten ist dabei - wie im »Eunuchus" eine Konzentration auf bestimmte Partien des Stücks, hier auf die Eröffuungsszene zwischen Chremes und Menedemus, der alle Belege entnommen sind. Vor allem aber wird an dem berühmten Vers »homo sum: humani nil a me alienllm Pllto" (v.77), auf den Cicero an vier Stellen mehr oder weniger frei rekurriert und womit er die fur uns heute greitbare Wirkungsgeschichte dieses Verses eröffuet,86 dasselbe Verfahren der Zitation erkennbar, das zuvor schon an dem Demipho-Zitat aus dem 80Zum »Eunuchuso vgl. neben Büchner, Theater, S.230-306, G.Jachmann, Der EWlUchus des Terenz. Jetzt in: ders., Ausgewählte Schriften. Hrsg. v. C.Gnilka. Königstein! Ts. 1981 (= Beiträge zur klassischen Philologie HI28), 132-151, ferner E.K.Rand, The Art of Terence's Eunuchus. TAPhA 63, 1932,54-72, und D.Konstan, Love in Terence's Eunuch: The Origins ofErotic Subjectivity. AJPh 107, 1986,369-393. 8IYv.I_80; hieraus werden zitiert vv.46 und 49 in nat.deor.2,72, und vv.59-63 in Tusc.disp. 4,76. An der ersten Stelle sind das Ringen der ratio und ihr schlechter Gebrauch Thema - das »Eunuchus.-Zitat leitet eine Gruppe von drei Komödien-Zitaten ein, neben einem weiteren des Terenz aus dem .Phormio. eines aus den .Synephebi. des Caecilius (vgl. dazu unten S.239 0, an der zweiten Stelle der Liebeswahnsinn. 82Yv.232-291; hieraus werden vv.252-253 im .Laelius. 93 (der Parasit und seine adulatio als Widerpart der veritas, der Grundlage wahrer Freundschaft) und v.257 in ode officiis. 1,150 zitiert (der Vers bietet fur diesen Zusammenhang Beispiele fur »ar/es ... quae minis/rae sun/ volup/atum.). 83Ygl. die Belegstellen bei Otto, Sprichwörter, S.366 s.v. Yenus. 84ZU diesem Stück vgl. neben Büchner, Theater, S.l7 1-229, jetzt grundlegend E.Lefevre, Terenz' und Menanders Heautontimorumenos. München 1994 (= Zetemata H 91). 85fin.I,3 (= v.69), 2,14 (= v.53; die Authentizität dieses Zitats wird jetzt bestritten von P.G. McBrown, An Interpolated Line of Terence at Cicero, De finibus 2.14. CQ 47, 1997, 583 0, und 5,28-29 (= vv.80 und 1470; Tusc.disp.3,65 (= vv.135 und 147 f.); offl,30 (= v.77; derselbe Vers auch in legg.l,33). Dazu ad Alt. 9,6,5 (= v.86; derselbe Vers auch in adfam. 7,10,4) und 12,6,3 (= v.75). 86Ygl. legg.1 ,33; fin.I,3 und 3,63; sowie off I ,30. Zur Wirkungsgeschichte H.DJocelyn, Homo sum: humani nil a me alienum puto (Terence, Heautontimornmenos 77). Antichthon 7, 1973, 14-46. und mit wnfangreicher Dokumentation Lefevre, Heautontimorumenos, S.26-57. 237

..Phormio« sichtbar geworden war: Auch hier wird der Vers als illustrierendes Beweismittel in philosophischem Kontext verwendet, obschon die gesamte Komödie des Terenz darauf ausgerichtet ist, in der Gestalt des Chremes, der diese Sentenz seinem Nachbarn Menedemus gegenüber formuliert, das Auseinanderklaffen von Sentenz und gelebter Wirklichkeit vorzufiihren. 87 Die ..Ironisierung« des Chremes und damit auch der geäußerten Maxime ist vollkommen beiseite gelassen. Diese Tendenz, die ..Ironisierung« des Chremes umzuwerten, weist auch Lefevre nach, der den Einfluß der terenzischen Vorlage, des ..Heautontimorumenos« des Menander, hier wirksam sieht: Cicero habe ..durch die terenzischen Figuren hindurch ihre Vorbilder gesehen ... Cicero kannte die Praxis der alten Komiker zu gut, um nicht zu wissen, daß sie unter dem Einfluß des römischen Volkstheaters die Gestalten der Vorbilder in teilweise grotesker Weise verzerrt und karikiert hatten.«88 Diese Erklärung vermag jedoch kaum zu überzeugen: Mag auch Cicero ..durch Terenz hindurch auf Menander hindurchschauen«, sein Publikum tut dies zunächst einmal nicht, sondern bemerkt lediglich eine Verschiebung der Personengestaltung zwischen ciceronischem Zitat und terenzischer Vorlage. Die Erklärung fur Ciceros freien Umgang mit dem Original an dieser Stelle dürfte wiederum auf eine generelle Lizenz zurückzufiihren sein, den ursprünglichen Kontext nach Belieben ein- oder auszublenden, wie sie auch an anderer Stelle zu beobachten ist. 89 Unter den Terenz-Zitaten bei Cicero fällt mithin eine gewisse Gewichtung auf den ..Phormio«, den ..Eunuchus« und den ..Heautontimorumenos« auf Des weiteren ist zu beobachten, daß die beiden letzten Stücke nur in den philosophischen Schriften zitiert werden und in den Briefen, nicht aber in den Rhetorica, was besonders bei der Jugendschrift ..de inventione« ins Auge springt, in der Cicero Terenz häufiger zitiert, nicht jedoch aus diesen beiden Komödien. Schließlich ist festzuhalten, daß die Mehrzahl der Zitate aus den Eingangsszenen der Komödien stammt, häufig aus der eigentlichen Exposition, wohingegen Zitate aus den späteren Szenen eher selten sind. Die von Marti hierfur vorgeschlagene Erklärung aus der ••Praxis des Schulbetriebs«, derzufolge ..der Lehrer ... den Anfang eines Lesestücks am ausfuhrlichsten und intensivsten behandeln (muß), und erst nach Überwindung der Anfangsschwierigkeiten ... die Interpretation in flotterem Tempo vonstatten (geht)de officiis« schließlich zusammen mit dem ..!ihri Socraticorum« und der älteren attischen Komödie als Beispiel fur das ..elegans, urbanum, ingeniosum, facetum« genus iocandi (1,104). Auch ein Blick auf die übrigen ciceronischen Schriften verändert diesen Befund nicht: Das einzige längere Verszitat mit Verfasserangabe gehört in die Jugendschrift ..de inventione« (1,95 = Trinummus 2326), ein weiteres kurzes Zitat mit Stellenangabe gehört in ..de oratore« (2,39 = Trinummus 705), sonst finden sich auch in den rhetorischen Schriften nur Testimonien/OB ..de re publica« enthält ein weiteres Testimonium (4,11), auch in den Reden findet sich lediglich ein Verszitat,109 ebenso in den BriefeH.o Aus allen diesen Belege ergibt sich, daß lediglich vier Komödien des Plautus von Cicero berücksichtigt werden. Angesichts der ..Plautus-Philologie« ciceronischer Zeie n ist dieser

lO6Vgl. dazu die Bemerkungen bei Bigott, (RE.), Sp.1490. lO7Shackieton Bailey, Cicero, S.246, spitzt diesen Befund zu einer Kontrastienmg von Plautus und Terenz zu (»relative neglect ofPlautus ... and ... cultivation ofTerence.) - ein Blick auf Quintilian (inst.or.1 ,8, 11) macht dabei deutlich, daß dieses Fehlen des Plautus schon antiken Ciceronianern nicht entging. Vgl. hierzu auch Laidlaw, Cicero, S.22, der allerdings auf eine Begründung dieses Befunds verzichtet, ferner Malcovati, Cicerone, S.152-157. lO8De orat.3,45 (ein Verweis auf Plautus und Naevius im Zusammenhang einer sprachlichen »ineorrupta antiquitaso), Brutus 60 und 73 zur absoluten und relativen Chronologie der frührömischen Dramatiker. I09In Pis.82 (= Trinummus 419), Phi/. 2, I 5 und pro Rose.20 bieten Bezüge auf den »Pseudolus. durch die Erwähnung des Ballio. !lOAd Brutum 1,2,5 (= Trinummus 319); ad Quint.fr. 9,16,4 enthält lediglich eine Erwähnung des Plautus. 111 Zu verweisen ist hier vor allem auf die Diskussion der Echtheitsfrage der unter dem Namen des Plautus überlieferten Stücke durch LAelius Stilo und M.Terentius Varro (auf den die Kanonisienmg der 21 in den Mss. als echt anerkannten sog. »Fabulae Varronianae. zurückgeht; Quelle hierfur 242

nahezu vollständige Verzicht auf Plautus als Referenzautor in den philosophischen Schriften umso signifikanter und zugleich erklärungsbedürftiger: Zillinger hat den Grund fur Ciceros Zurückhaltung in Plautus' allzu großer Derbheit vermutet, seine Annahme kollidiert jedoch - eigenem Eingeständnis nach - mit dem Testimonium aus »de officiis«, das Zillinger daher mit einiger Mühe als unwesentlich weginterpretiert. 112 Neben stilistischen Vorbehalten gegenüber einem allzu archaischen Sprachgebrauch bei Plautus dürfte Ciceros Haltung aber viel eher in einer Entwicklung begründet sein, die Oppermann sich zwischen Plautus und Terenz in der lateinischen Komödie vollziehen sieht, nämlich die Entwicklung bestimmter künstlerischer Regeln fur die Palliata in den Prologen des Caecilius, die sich »theoretischem Nachdenken und künstlerischer Besinnung« verdankten und die Terenz in ihrer Mehrzahl anerkannt habe. 113 Diese kunsttheoretische Reflexion zusammen mit der engeren Anlehnung an die neuere Komödie Menanders dürften zu den Gründen der Bevorzugung des Terenz gegenüber Plautus durch Cicero gehören. Hingegen läßt sich von einer stärkeren philosophischen Prägung des Terenz nur bedingt sprechen, denn philosophische Wendungen sind auch bei Plautus vorhanden;1l4 der entscheidende Unterschied zwischen beiden Komödien-Dichtem liegt auch im Hinblick auf griechische Philosopheme in ihrer Umsetzung innerhalb der Stücke: Denn während Plautus »das griechische Milieu seiner Vorlagen.. beibehält »und typisch griechische Züge sogar noch ausgestaltet und verstärkt«,115 griechische Philosophie mithin dem Lokalkolorit dient, sucht Terenz eine Verknüpfung des »griechisch-menandrischen Ethos der Humanität« mit der »moralischen Tradition des Römerturns« zu erreichen. 116 Diese Ernsthaftigkeit bei der Adaption griechischer Philosophie, zusammen mit der »moralische(n), erzieherische(n), humanisierende(n) Absicht«117 des Terenz ermöglicht es Cicero, einzelne Sentenzen aus ihrem Kontext zu lösen und in seine Argumentation einzufugen, auch wenn er sich dabei,

scheint die bei Gellius, NA 3,3,9, bezeugte Schrift »de comoediis Plautinis. gewesen zu sein) sowie auf den bei Cicero wiederum in einem Brief an Papirius Paetus (ad fam. 9,16,4) genannten »frater tuus. Servius Clodius, der aufgrund seiner stilistischen Schulung einen Vers des Plautus als solchen zu erkennen vennochte (vgl. hierzu auch neben dem schon genannten Abschnitt bei Gellius, der unter dem Titel steht »de noscendis explorandisque Plauti comoediis, quoniam promisce verae atque falsae nomine eius inscriptae ferunt; ...• und daher einen guten überblick über die »Plautus-Philologie. bis in die Zeit des Gellius selbst bietet, den kurzen Abriß bei Sonnenburg, RE.14.l, 1928, Sp.95-126 s.v. Maccius, bes. Sp.l19 f). 112Zillinger, Cicero, S.24 f ll3Oppermann, Zur Entwicklung der Fabula palliata, S.127, ferner Wright, Cicero, S.64 1l4Vgl. hierzu Schlesinger, Philosophische Einflüsse, passim, die Belegstellen einzelnen philosophischen Themen zuordnet, und Coleman-Norton, Philosophical Aspects, passim. 115Außerordentlich instruktiv in diesem Zusammenhang K.Gaiser, Zur Eigenart der römischen Komödie: Plautus und Terenz gegenüber ihren griechischen Vorbildern. ANRW I 2, 1972, 10271113, die Zitate hier S.1079. 1l6Gaiser, aaO., S.1034, unter Verweis aufO. Rieth, Die Kunst Menanders in den 'Adelphen' des Terenz. Mit einem Nachwort hrsg. v. Konrad Glliser. Hildesheim 1964. 117Gaiser, aaO., S.1034 und 1108. 243

wie im Falle des Chremes im »Heautontimorllmenos«, über die eigentliche dichterische Intention hinwegsetzt. Hinzukommt schließlich die enge Verbindung des Terenz mit dem von Cicero ohnehin idealisierten »Scipionen-Kreis«, 118 der einen stärkeren Rekurs auf ihn als aufPlautus naheliegend macht. Neben der Konzentration auf bestimmte Stücke bestimmter Autoren ist der Verzicht auf bestimmte Autoren insgesamt bemerkenswert: Außer dem nahezu vollständigen Verzicht aufPIautus 119 und dem Fehlen des Livius Andronicus 120 fällt auch die geringe Zahl der Zitate aus der jablila togata, namentlich ihres fuhrenden Vertreters L.Afranius auf, l2J den Cicero lediglich an zwei Stellen in den Tllsculanen, mit identischem Vers zitiert,122 wobei er an der ersten Stelle wenigstens noch den Kontext des Zitats umreißt. Der Verzicht auf Afranius ist umso auffallender, als Cicero selbst noch eine Auffilhrung von dessen Stück »Sim1l1ans« bezeugt (pro Sest. 55/118) und das Nachleben dieses Dichters bis in die frühe Kaiserzeit hinein belegt iSt. 123 Der Rang des Afranius wird allgemein als hoch eingeschätzt, 43 Titel sind bezeugt, mehr als 200 Fragmente überliefert. 124 Weiterhin kennt ihn Cicero als Nachahmer des Menander (de jin.I,3/7) und als beredten Dichter (Brutus 45/167), Afranius' Vorliebe fur Terenz wiederum ist bei Sueton überliefert (vit.Ter.p.8 W). All dies macht sein weitgehendes Fehlen unter den Dichterzitaten bei Cicero erklärungsbedürftig,125 der fragmentarische Zustand seiner Werke, der keinerlei Rekonstruktion eines Handlungszusammenhanges zuläßt, macht jedoch jeden Versuch einer Begründung in höchstem Maße hypothetisch. Denkbar sind dabei zwei Gründe: zum einen die weitgehende Konzentration auf innerfamiliäre Themen, die einen Anschluß an allgemeinere Frage nicht zugelassen haben mag, zum anderen Afranius' Zugehörigkeit zur »Reaction des Einheimisch-Italischen gegen das Griechische« in der Gracchenzeit,126 die den Dichter dem durchweg griechisch geprägten Adressatenkreis der ciceronischen Schriften und ihrem Autor selbst wenig geeignet hätte erscheinen lassen, als dichterische Autorität zu gelten.

1l8Ygl. hierzu oben S.31 mit Arun.4. ll"Dazu schon oben S.242 f. 12°Auch hierzu oben S.229. lZlZu Afranius vgl. neben den Fragmenten bei Ribbeck, CRF., S.I64-222, vor allem F. Mar>.:, RE.l, 1894, Sp.708-710 s.v. Afranius 5), zur Nachwirkung dort Sp.710 sowie - im Rahmen allgemeiner Erörterungen der Geschichte der logala - M.Cacciaglia, Ricerche sulla Fabula Togata. RCCM 14, 1972,207-245 (zu Afranius dort S.215-245). 122»dum modo doleat aliquid, doleat quidlubet.« (Tusc. dispA,45 und 55; vgl. auch ad Att.16,2,3. wo Cicero noch einmal auf dieses Textstück zurückgreift). 123Ygl. SuetNero 11, mit der Nachricht einer Aufführung des »/ncendiuln«. Zu einer Aufführung in ciceronischer Zeit Wright, Cicero, S.39. 124Ygl. die Bewertungen bei Horaz, epist.2,1,57, und bei Quintilian, inst.or.IO, 1,100. 125Zillinger, Cicero, S.41, der Afranius' weitgehendes Fehlen ebenfalls verrnerk1: (». im Yerhältnis zu der großen Zahl seiner Stücke ... nur sehr selten erwähnt oder zitiert ... ), beläßt es hingegen bei dieser lapidaren Feststellung. Ygl. auch Malcovati, Cicerone, S.186 f. 126S0 Marx, (RE.), Sp.708. 244

In das Umfeld des »Scipionen-Kreises« schließlich gehört der Satiriker C.Luciliden Cicero mehrfach anfuhrt~28 Dabei lassen sich bemerkenswerte Gewichtungen sowohl in Bezug auf die Werke, in denen Cicero Lucilius zitiert, wie auch hinsichtlich der Form der Verweise ausmachen: Denn die größte Zahl von Verweisen gehört in die Schrift .ode oralore«, gefolgt von »Brutus« und »de jinibus«; dabei sind Verszitate selbst seltener als Verweise und Paraphrasen von Witzworten des Lucilius auf politische Gegner. Hierin dürfte auch der Grund zu suchen sein, warum - gemessen an Lucilius' literaturgeschichtlicher, zu Ciceros Zeit längst schon anerkannter Bedeutung, wie die aufblühende »Lucilius-Philologie« im Umfeld des Pompeius Magnus, seines Großneffen, belegt129 - die Zahl der Zitate in den philosophischen Schriften relativ gering ist, nicht hingegen in den rhetorischen Schriften und der Korrespondenz: Die Verknüpfung der Satiren mit dem politischen Zeitgeschehen lassen sie fur die Argumentation in den weniger politischen Fragen verpflichteten philosophischen Schriften Ciceros weniger tauglich erscheinen. Zudem teilte Cicero die literaturkritischen Anschauungen des Lucilius, die vor allem in seinen Invektiven gegen Pacuvius und Accius sichtbar werden, nicht; allerdings dürften fur Lucilius bei seinen Urteilen politische Implikationen eine Rolle gespielt haben. 130 Gleichwohl sind noch weitere Aspekte bei den LuciliusUS,127

127Vgl. im Hinblick auf die nachfolgenden überlegungen neben A.Kappelmacher, RE.13 .2, 1927, Sp.1617-1637 S.v. Lucilius 4), und J. Christes, Lucilius. Ein Bericht über die Forschung seit F. Marx (1904/5). ANRWI.2, 1972, 1182-1239, vor allem U. Knoche, Die römische Satire. Göttingen 41982, S.20-34, A.Ronconi, Lucilio critico letterario. Maia 15, 1963, 515-525, und W. J. Raschke, Anna pro amico - Lucilian Satire at the Crisis ofthe Roman Republic. Herrnes 115, 1987,299-318. 128In den philosophischen Schriften: Ac.pr. 102;fin.I,7-9; 2,23-25 und 5,92 (= Tl/sc.disp. 3,31); Tl/SC. disp.4,48; und nat.deor.I,63. In den rhetorischen Schriften: de orat.l,72; 2,25 (= Brotus 99); 2,253 und 277; 3,86 und 171 (= Brutus 274 und Orator 149); Brutus 160 und 172; opt.gen. orat.17. Schließlich in der Korrespondenz ad jam.9,15,2 und 12,16,3; ad AIt.2,8,1; 6,3,7; 13,21,3 und 16,11,1. Vgl. zu Lucilius als »One of Cicero's favourite authorso die einleitenden Bemerkungen bei J.C.Martyn, Irnagery in Lucilius. WZ.Rostock 15, 1966, 493-505, bes. S.493, und MaJcovati, Cicerone, S.193-203. 129S0 gehören in den Kreis um Pompeius die Philologen P.Valerius Cato und Pompeius Lenaeus, beide Schüler des Vettius Philocomus bzw. des Q. Laelius Archelaus (die schon im Umkreis des Dichters selbst eine erste Gesamtausgabe durchgefllhrt zu haben scheinen, so Suet.gramm.2) und Curtius Nicias, auf die Editionen, Kommentare mit Interpretationen und Glossen-Sammlungen zurückgehen. Vor allem Curtius Nicias ist in vorliegendem Zusammenhang von Interesse, da Sueton ihn als Autor eines »de Lucilio libero hervorhebt und gleichzeitig als »familiaris M.Ciceronis« bezeichnet, was er mit zwei Belegen aus der ciceronischen Korrespondenz (adjam. 9,10,1, und ad Att.12,26,2) belegt (Suet.gramm.14). Damit ist eine philologische Beschäftigung mit Lucilius im Umkreis Ciceros gesichert, wie auch Bezeugungen bei Varro und Asinius Pollio die Präsenz des Dichters bestätigen. V gl. zur Beschäftigung mit Lucilius auch die Darstellungen bei Knoche, Römische Satire, S.25, und in den Prolegomena der Ausgabe von Marx, S.L-L VI. l30Zu diesen politischen Implikationen der Literarkritik des Lucilius vor allem W.Krenkel, Zur literarischen Kritik bei Lucilius. WZ. Rostock 7, 1957-1958,249-282, bes. S.258 ff. und 272-278, heraus: Krenkel sieht in Lucilius' Polemik gegen Accius verschiedene Faktoren wirksam, deren einziger strikt literarischer die Ablehnung der zeitgenössischen Tragödie aufgrund ihres unrealistischen Pathos sei; des weiteren scheint sich Lucilius - hier gemeinsam mit Terenz (zu Lucilius' Nähe zu Terenz bes. S.266-271) - gegen das wiederum von Accius präsidierte collegium poetarum als 245

Zitaten relevant: Zum Einen ist eine gewisse philosophische Nähe zwischen Cicero und Lucilius festzuhalten, dem der Kameades-Nachfolger Kleitomachos nach Ciceros testimonium eine Schrift gewidmet haben soll (Ae.pr.102), bei Lucilius selbst findet sich eine Erwähnung des Kameades (frg.31 Marx), weiterhin wird Lucilius im Zusammenhang von Ciceros Erörterungen zur Integration griechischer Philosophie in lateinischer Dichtung ausdrücklich genannt und zitiert (jin.1,3/7-9); ob aus dem Zeugnis in de orat. 1,16/72 ohne Weiteres geschlossen werden kann, daß Lucilius der Akademie nahe stand,13I scheint hingegen eher fraglich: Sicher ist eine umfassende griechische Bildung des Lucilius, die er sich bei einem Aufenthalt in Athen erworben haben dürfte. 132 Zum Anderen bewegte sich Lucilius als Gleicher unter Gleichen in dem von Cicero ohnehin idealisierten »Scipionen-Kreis«, fur dessen politische Interessen er offensiv eintrat. In ihrer Gesamtheit bieten die ciceronischen Dichterzitate Aufschluß über den literarischen Kanon am Ausgang der Republik. Wie sich nämlich an mehrfach erwies, deckt sich Ciceros Auswahl zitierter Autoren und ihrer Werke weitgehend mit der Zitatpraxis anderer zeitgenössischer Autoren, vor allem Varros, aber auch des auetor ad Herennium. Ein besonders signifikantes Beispiel hierfur bildet der Komödienautor Trabea, \33 dessen Werke außerhalb Ciceros lediglich in zwei Testimonien bezeugt sind: Trabea erscheint im »Kanon« des Volcacius Sedigitus an achter Stelle, vor allem aber nennt ihn nach einem Zeugnis des Charisius Varro als denjenigen, der sich vor allem durch die Erregung von »naöTj" in seinen Stücken ausgezeichnet habe. 134 Offensichtlich erfreute sich Trabea schon zu dieser Zeit nur noch unter diesem Aspekt des Interesses der Gebildeten, denn Ciceros Fragmente weisen in dieselbe Richtung, bei den Späteren jedenfalls findet sich keinerlei Hinweis mehr auf ihn, auch die archaistische Bewegung des 2.Jahrhunderts und die Grammatiker- und Lexikographen-Sammlungen berücksichtigen ihn nicht. 135

einer zunftartigen Organisation und ihren Reglementierungen dichterischer Produktion (vgl. zwn collegium poetarum die neuerdings skeptisch N.Horsfall, The Collegiwn Poetarum. BICS 23, 1976, 79-95) zur Wehr gesetzt zu haben; und schließlich griff er offensichtlich Accius aufgrund von dessen politischer Parteinahme an, da der accianische ..Brutus« (vgl. oben S.231 f.) gegen Scipio Aemilianus gerichtet gewesen zu sein scheint und daher Lucilius' Stellungnahme als eines engen Freundes des Scipio herausgefordert hat. Vgl. auch F.Münzer, Lucilius und seine Zeitgenossen nach den neuesten Untersuchungen. NJbb 23,1909,180-195, bes. S.187-l90. 13ISo Knoche, Römische Satire, S.23. 132Dazu vgl. Kappehnacher, (RE.), Sp.1621. 133Vgl. zu ihm oben S.240 f. 134»ijß'l, ut ait Van-o de lat.serm./. V, nullis aliis servare convenit, inquit, quam Titinio, Terentio, Attae; mxß'l vero Trabea, inquit, Ati!ius, Caecilius facile moverunt.• (Charis.p.241 K). Vgl. zu dieser Klassifizierung C.Gill, The Ethos/ Pathos Distinction in Rhetorica1 and Literary Criticism. CQ 34, 1984, 149-166, mit weiterführenden Literaturangaben; eine Erörterung der vorliegenden VarroPassage fehlt hier allerdings. 135Vgl. auch P.L.Schmidt: KL.P.5, 1979, Sp.904 s.v. Trabea 2): »... die wenigen Fragmente machen deutlich, daß er nur bis in die Generation Ciceros und Varros ein Publikum fanel. 246

Gleiches gilt fur den Palliaten-Dichter Atilius, der gleichfalls bei Volcacius Sedigitus und Varro erscheint und auf den Cicero zweimal rekurriert, einmal unter Hinweis auf sein Stück »Misogynus« (Tusc.disp.4, 11/25), das andere Mal mit dem Verszitat »suam quoique sponsam, mihi meam; suum quoique amorem, mihi meum« und der literarkritischen Bewertung )'Poeta durissimus« (ad Att.14,20,3), eine Bewertung, die sich mit dem »ferreus scriptor« des Porcius Licinus deckt, den Cicero selbst infin.l,2/5 zitiert,136 und der er die Feststellung beifugt, Atilius habe eine schlechte Übersetzung der sophokleischen »Elektra« angefertigt.137 In dieser geringen literarischen Wertschätzung dürfte auch der Grund zu sehen sein, warum Cicero ihn lediglich in dem Atticus-Brief explizit zitiert. Daß aber Atilius zu den bekannten Autoren der Zeit zählte, belegt neben den genannten Testimonien auch die Nachricht bei Sueton, daß Partien seiner »Electra« bei den Leichenspielen Caesars zur Auffiihrung kamen (div./ul.84,2).138 Neben derfabula togata fehlt unter den Zitaten Ciceros auch diefabula Atellana mit ihren Hauptvertretern Novius und L.Pomponius: 139 Novius erscheint dreimal in »de orafore', (2,255. 279 und 285), Pomponius einmal in den Briefen adfamiliares (7,31,2), jeweils mit Verszitaten, in den Philosophica jedoch bleiben beide unbe-

l36Die genaue Abgrenzung dieses Zitates gegenüber seinem Kontext ist in der Forschung umstritten; vgl. dazu O.Skutsch, On Three Fragments ofPorcius Licinus and on the Tutiline Gate. BICS 17,1970,120-123, bes. S.123. m.A quibus tantum dissentio, ut, cum Sophocles vel optime scripserit Electram, tamen male conversam Ati/ii mihi legendam putem, de quo Licinus: ferreum scriptorem, vernm, opinor, scriptorem tamen, ut legendus sit.o Die Emendation des überlieferten .lucinius/ liciniuso durch Detlefsen, Verse im Cicero, S.182 f., in .Luci/iuso hat sich trotz der übernahme von Schiche in seiner Ausgabe nicht durchgesetzt (vgl. Blänsdorf, FPL., S.99 f. zur Stelle). Zu Porcius Licinus selbst vgl. vor allem H.Gundel, RE.22.1, 1953, Sp.232-233 S.v. Porcius 48); ferner auch R.Büttner, Porcius Licinus und der litterarische Kreis des Q. Lutatius Catulus. Ein Beitrag zur Geschichte und Kritik der römischen Litteratur. Leipzig 1893. 138Vgl. auch Zillinger, Cicero, S.36 f., der im Hinblick auf die literarkritische Bewertung des Atilius (unter Bezug auf die Hervorhebung der mithrDarstellung des Atilius) einen Gegensatz zwischen Varm und Cicero konstruiert, dabei aber den Unterschied zwischen sprachlicher Bewertung (bei Cicero) und dramatischer Bewertung (bei Varro) verwischt. Die Geltung der Komödien des Atilius scheint über die republikanische Zeit nicht hinaus gedauert zu haben: Weder die Archaisten des 2. nachchristlichen Jahrhunderts noch die spätantiken Grammatiker greifen auf ihn zurück, die einzigen Fragmente überliefern Cicero und Varro (vgl. Ribbeck, CRF., S.32 0. 13"Neben den älteren Darstellungen zur Atellana von F.Marx: RE. 2.2, 1896, Sp.1914-1921 s.v. Atellanae fabulae, und bei Leo, Römische Poesie, S.169-179, vgl. vor allem die Fragmentsammlung von P.Frassinetti, Atellanae fabulae. Roma 1967, und dessen vorangehende grundlegende Studie ders.: Fabula Atellana. Saggio sul Teatro popolare latino. Genova 1953; weiterhin R.Rieks, Mimus und Atellane. In: Lefevre, Das römische Drama, 348-377, und jüngst B.Höttemann, Phlyakenposse und Atellane. In: G. Vogt-Spira (Hrsg.), Beiträge zur mündlichen Kultur der Römer. Tübingen 1993 (= ScriptOralia 47), 89-112. Zu ihren Hauptvertretern Novius und L.Pomponius (neben den einschlägigen Abschnitten in der genannten Literatur) vgl. die Artikel von W.Kroll, RE.17.1, 1936, Sp.1215-1216 s.v. Novius 5), und von A.Kurfess, RE.2J.2, 1952, Sp.2354-2356 s.v. Pomponius 101), die Fragmente ihrer Stücke bei Ribbeck, CRF., 8.225-254 (pomponius) und 254-272 (Novius), sowie die Darstellung zur Atellanen-Dichtung bei Leo, Römische Poesie, S.169-179 (dort auch die Belege zu Pomponius im Umkreis Ciceros, S.169 mit Anrn.2). Zu Ciceros Bewertung von Atellane und Mimus auch Malcovati, Cicerone, S.188-192. 247

rücksichtigt. Der Grund hierfur liegt in der Art dieser Stücke, deren possenhaftobszöner Charakter eine Verwendung in philosophischem Zusammenhang, und sei es auch nur in Form eines kurzen Zitats, verboten zu haben scheint. 140 Deutlich wird dies auch in den ausdrücklichen Warnungen der rhetorischen Lehrbücher davor, auf diese Werke zurückzugreifen: Cicero selbst warnt vor der »obscenitas«, die »non solum non foro digna, sed vix convivio liberorum« sei (de orat.2,62/252), eine ähnliche Warnung findet sich später bei Quintilian (inst.or.6,3,46). Weiterhin ist unter den Dichterzitaten Ciceros das weitestgehende Fehlen jeglicher lyrischer Dichtung zu beobachten. Hierfur ist wohl nicht so sehr »seine völlige Verständnislosigkeit der Lyrik gegenüber«141 ausschlaggebend als die fehlende öffentliche Präsenz lyrischer Dichtung in Rom: Zwar ist vor Laevius, vor allem aber Catull und dem Dichterkreis um ihn Lyrik im engeren Sinne in Rom bezeugt, der künstlerische Rang der lyrischen Partien in den Komödien des Plautus aber belegt gleichwohl deren Existenz. Auch persönliche Vorlieben Ciceros scheinen hierbei eine Rolle zu spielen, denn unter seinen poetischen Fragmenten ist nichts überliefert, was sich aufgrund seines Versmaßes als lyrischer Text ansprechen ließe. V orsicht ist schließlich auch gegenüber einem bei Seneca überlieferten dictum Ciceros geboten, der zur Unterstützung seiner eigenen Ablehnung der Logik als philosophischer Disziplin vermerkt: »negat Cicero, si duplicetur sibi aetas, habitur-

I40S0 auch D.F.Sutton, Cicero on Minor Dramatic Forms. SO 59, 1984,29-36, bes. S.32 f.; der Verweis Suttons auf div.2,25, wo Cicero »approvingly alludes to an Atellan verse making firn ofthe idea of fateu (S.33), stellt insofern kein Gegenargument dar, als Cicero diesen offensichtlich geläutigen Atellanen' Vers eben gerade nicht zitiert. Aus ähnlichen Gründen lehnte Cicero auch den MinlUs ab, wie sich aus den zahlreichen Äußerungen zu dieser Gattung und ihren Darstellern inl gesamten Werk ergibt (vgL die bei Sutton, aaO., S.29-32, gesanlffielten und interpretierten Belege); daher ist es auch kaum überraschend, daß sich Notizen zu den gerade in Ciceros Zeit hochgeschätzten Mimographen D. Laberius und Publilius Syrus nur in Ciceros Korrespondenz fmden (D. Laberius: adfam. 7,11,2 und 12,18,2; vgL zu ihm auch W.Kroll, RE.12.1, 1924, Sp.246-248 s.v. Laberius 3). Publilius Syrus: ebenfalls adfam.12,18,2 und ad Att.14,2,1; vgL zu ihm neben O.Skutsch, RE.23.2, 1959 Sp.1920-1928 S.v. Publilius 28), P.Hambleffile, L'opinion romaine en 46-43 et les sentences 'politiques' de Publilius Syrus. ANRW 1.3, 1973, 631-702. Das Aufeinandertreffen des Laberius und des Publilius behandelt E.Hoffinaffil, Der Wettstreit des Laberius und Syrus. RhM 39, 1884,471476, beide Autoren untersucht auch F. Giancotti: Mimo e Gnome. Studio su Decinlo Laberio e Publilio Siro. MessinaIFirenze 1967 (= BibI. di Cult. Cont. 98).). Dabei dürften auch über die Gattung hinaus politische Vorbehalte - vor allem Publilius fand in Caesar einen entschiedenen Fürsprecher - eine Rolle gespielt haben. l4IS 0 Zillinger, Cicero, S.19unter Verweis auf Cic., Orator 183: »qllamquam etiam a modis qllibllsdam cantu remoto soluta esse videtur oratio maximeque id in optimo quoque eorum poetarum, qui ÄVPl1W(a Graecis nominantllr, quos cum cantll spoliaveris, nI/da paene remanet oratio.« Dabei trägt er allerdings nicht der Veränderung des Lyrik-Begriffs Rechnung, der sich von formalen Aspekten in der Neuzeit zu inhaltlichen Aspekten hin verschiebt, da in der Antike Lyrik zunächst definiert ist (so HGörgemaffils, Zum Ur~1Jrung des Begriffs »Lyrik«. In: Musik und Dichtung. Fs. V.PöschL Frankfurt! Bernl New York/ Paris 1990 (= Quellen und Studien zur Musikgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart, Bd.23), 51-61). Eine grundsätzliche Mißbilligung und Verständnislosigkeit Ciceros gegenüber lyrischer Dichtung bestreitet auch JMartin, Cicero und die zeitgenössischen Dichter. In: Atti deI I Congresso Internazionale di Studi Ciceroniani. Roma Aprile 1959. Vol.II. Roma 1961,185-193, bes.S.189-193. 248

um se tempus quo legat lyricosc< (ep.mor.49,5). Von Grilli unter die Fragmente des »Hortensiusc< eingeordnet, haben Straume-Zimmermann et al. den entsprechenden Passus in ihrer Rekonstruktion des »Hortensiusc< wiederum nicht mehr berücksichtigtl42, indessen findet er sich bei Ziegler unter den Fragmenten des vierten Buches von »de re publica'. (9/9), im Rahmen der Erörterungen Scipios zur Stellung der Künste. Damit wird die Deutung dieser Aussage als einer Selbstaussage Ciceros in hohem Maße problematisch, denn sie erscheint in zweifacher Weise gebrochen: zum einen durch das Vorbild der Dichterkritik in der platonischen »PoliteiaC>offenbar bestrebt (ist), den Stoff in aller Klarheit zu entfalten, ihm nichts Eigenes von sich aus hinzuzufügen. was die Klarheit der Lehre und ihre prakiische Benutzbarkeit beeinträchtigen könnte.« (so B.Effe, Dichtung ood Lehre. Untersuchoogen zur Typologie des antiken Lehrgedichts. München 1977, S.59: vgl. auch: Nicander. The Poems and Poetical Fragments. Edited with a Translation and Notes by A.S.F. Gowl A.F. Schofield. Cambridge 1953, S.144-161 (= frgg.68-91) sowie den Kommentar, S.209-214). Die Verbindoog Arats ood Nikanders in diesem argumentum a minore entspricht dabei durchaus literaturgeschichtlicher Tradition, v.'ie die zahlreichen antiken Anekdoten eines dichterischen Agons zwischen beiden belegen (dazu W.Kroll, RE.l7.!, 1936, Sp.250-265 s.v. Nikandros 11).); die Kenntnis Nikanders scheint zur Allgemeinbildoog ciceronischer Zeit gehört zu haben (so Kroll, (RE.), Sp.263), der Einfluß der ..rewpymx« läßt sich noch bei Vergil (bes. georg.3,391 ff.) nachweisen. Arat ood Nikander sind gleichermaßen zur hellenistisch-alexandrinischen Dichtungsbewegung zu zählen, als deren entschiedener Opponent Cicero im Allgemeinen betrachtet wird. Dabei mahnen nicht nur die deutlich alexandrinisch beeinflußten lugenddichtungen Ciceros zur Vorsicht gegenüber einer solchen Einschätzoog. Auch die v.'iederholten Rekurse auf Vertreter dieser literarischen Strömoog in den späteren Schriften weisen auf ein deutlich differenzierteres Bild (vgl. hierzu auch Malcovati, Cicerone, S.82 ff.). So erscheint neben Nikander ood Arat auch der Hauptexponent der alexandrinischen Poesie, Kallimachos, bei Cicero durchaus in günstigem Licht: Als Philologe wird Kallimachos neben Aristophanes von Byzanz in de orat.3,331J32 erwähnt, und. abgesehen von dem schon behandelten Epigramm 23 pr, auf das Cicero in Tusc.disp.1 ,84 anspielt (vgl. dazu oben S.156 0, rekurriert Cicero an einer weiteren Stelle im selben Tusculanen- Buch noch einmal auf ilm: Bei der Diskussion des vermeintlichen Unglücks eines viel zu frühen Todes verweist er paraphrasierend auf einen Gedanken des Alexandriners, nämlich »multo saepius lacrimasse Priamum quam Troilum«, dem er (»non male ait«) grundsätzlich zustimmt (93). Die beiden .. Tusculanen«-Zitate sind zusammen mit zwei Briefstellen in der Atticus-Korrespondenz, an denen Cicero Wendungen des Kallimachos anführt (6,9,3, ood 8,5,1) vor allem auch deshalb aufschlußreich, weil sie die Geläufigkeit illustrieren, mit der Cicero den Alexandriner zitiert ood damit zugleich seine Kenntnis beim Gegenüber voraussetzt. Während keinerlei Rezeption Theokrits bei Cicero nachweisbar ist (zu Recht weist Maleovati, aaO., S.84, auf den sprichwörtlichen Charakter einer Wendoog in ad fam.16,32,2, hin, die sich mit Theocr.id.16, 18, deckt), wird Euphorion von Chalkis, ein 257

dokumentiert, entspringt dabei nicht nur der philosophischen Nähe Ciceros zu Arat,20 sondern in der unmittelbaren Aneignung des Vorbilds Hesiod durch Arat und seiner literarischen Überwindung21 . Darüber hinaus hat Arat auch als Dichter eine viel größere Bedeutung, über die Übersetzung hinaus, fiir Cicero als Hesiod. 22 Der älteste der drei kanonischen Tragiker, Aischylos, wird bei Cicero am wenigsten erwähnt oder zitiert: 23 Er erscheint an nur sechs Stellerr~ wobei die Gründe hierfiir aufgrund des Fehlens sonstiger Äußerungen Ciceros zu Aischylos kaum mehr festzustellen sind. 25 Auffallend ist ferner, daß sich alle Zitate Ciceros auf Prometheus-Tragödien des Aischylos beziehen, die übrigen hingegen nicht erwähnt werden: 26 So bewahrt Cicero neben einem vierzeiligen Verszitat aus dem »Prometheus Desmotes« in Tuse.disp.3,76 zugleich das umfangreichste Fragment des »Prometheus Lyomenos« in Tuse.disp.2,23-25. Es bildet den Abschluß einer Gruppe von Tragiker-Zitaten, die eingeleitet wird durch ein Zitat aus dem »Phi/oeteta« des Accius,27 ihren argumentativen Höhepunkt findet in einem Zitat aus den »Trachinierinnen« des Sophokles28 und mit eben diesem Aischylos-Zitat endet. Verknüpft sind die 28 Verse einer Rede des gefesselten Prometheus, die wohl am Beginn der Tragödie gestanden haben muß,29 mit einer Hervorhebung der philosophischen Schulzugehörigkeit des Aischylos (»non poeta so/um, sed etiam Pythagoreus«, 23); hierauf folgt eine kurzer Ausblick auf das prometheische »fortum Lemnium«, dies

Nachahmer des Kallimachos, zweimal erwähnt, Wld hier ist das Urteil Ciceros in der Tat WlgUnstig: In div.2,132 wird er als Inbegriff poetischer obscuritas gegen Horner abgesetzt, in Tusc.disp.3,45 werden in einer viel diskutierten, abschätzigen Bemerkung seine Nachfolger als »eantores Euphorionis. bezeichnet (vgl. dazu die neuere Studie von L.C.Watson, Cinna and Euphorion. SIFC n.s.54, 1982, 93-110; ferner Verf., Cicero als Literaturförderer, S.250-253). In den Zusammenhang alexandrinischer Poesie gehört schließlich auch der Epigrammatiker Antipatros von Sidon, den Cicero allerdings nicht zitiert, sondern auf den er lediglich an zwei Stellen verweist (jat.5, Wld de orat. 3,194): Während die erste Stelle Bezug ninnnt auf die biographische Tradition zu Antipatros (vgl. hierzu den Kommentar bei Bayer, S.124 zur Stelle), bezieht sich Cicero an der zweiten auf das spontane poetische Talent dieses Dichters, um den Wert der exercitatio hervorzuheben. 20Vgl. dazu oben S.92-95. 2lZum Verhältnis Arats zu Hesiod groodlegend B.Effe, IIpon:PTl yeveTj- eine stoische Hesiodinterpretation in Arats Phainornena. RhM 113, 1970, 167- 182, bes. S.168 ff. 22Vgl. hierzu Kubiak, Aratean Influence, passim. 23 Außer den drei kanonischen findet sich bei Cicero kein anderes griechisches Tragikerzitat: Der Chairernon-Vers in Tusc.disp.5,25 ist kein Gegenbeispie1 (vgl. oben Anm.4), Theodektes wird nur als Rhetor berücksichtigt (vgl. Tusc.disp.l,59, wo seine Gedächtnisleistung im MittelpWlkt steht, Wld die ErwähnWlgen in Orator 172, 194 Wld 218, wo Theodektes in Zusammenhang mit Aristote1es Wld Theophrast gebracht wird). 24Ac.post.l0 Wld de orat.3,27 (heide Mal zusammen mit Sophokles Wld Euripides im Zusammenhang literarischer imitatio); Tusc.disp.2,23-25, Wld 3,76; sowie in den Briefen ad Att. 14,10,1, Wld ad Q.fratr.1 ,2, 13 (jeweils ein Zitat aus dem "Prometheus Desmotes.; vgl. Steele, Greek, S.395 f.). 25Der Versuch einer BegründWlg bei Malcovati, Cicerone, S.63. 26Auch hierzu Malcovati, aaO., S.63 f. 27Vgl. dazu oben S.230 f. "'Dazu Wlten S.259 f. 29Die Fragmente des "Prometheus Lyornenos. jetzt bei S.Radt, TrGF. Vol.3: Aeschylus, S.304320 (das vorliegende Stück hier S.31 0-313 als frg.193; hier auch weiterfubrende Literatur). 258

wiederum mit Versen aus Accius' »Philocteta«.30 Die Funktion des Zitats ist wie auch der vorangehenden rein illustrativ. Gleiches gilt auch fur das Versstück aus dem »Prometheus Desmotes« im dritten Buch (76): Die eher freie Übertragung der Verse 377-380 aus der aischyleischen Tragödie3! folgt einem knappen doxographischen Abriß zu den »officia consolantium« und unterstützt die Forderung, der Wahl des konsolatorischen Zeitpunkts genaue Aufmerksamkeit zu schenken. Deutlich stärker berücksichtigt wird Sophokles: Hier sind vor allem zahlreiche Erwähnungen und anekdotisches Material anzufuhren,32 während die Zahl wirklicher Zitate auch in seinem Falle eher gering ist. In den philosophischen Schriften finden sich lediglich zwei Verszitate, beide in den» Tusculanen«, weitere vier Zitate gehören in das Brief-corpus. 33 Unter diesen zählt das Verszitat in Tusc.disp.2,20-22 zu den umfangreichsten Zitaten in Ciceros Schriften überhaupt. 34 Die Verse bilden das Mittelstück einer Gruppe tragischer Zitate, die unmittelbar im Anschluß an eine Doxographie zum Buchthema »dolorem maxumum malorum omnium«, die vom Sokratiker Aristippos (15) bis hin zu Epikur (18) reicht, die mythischen exempla zum Beleg der Ausgangsthese bieten. Die Gruppe wird eröffnet durch mehrere Zitate aus dem »Philocteta« des Accius,35 von wo Cicero mit den Worten »videamus Herculem ipsum ... « (19) zu den Sophokles-Versen überleitet, wobei er die sophokleische Gestaltung emphatisch mit den Worten preist: »quas hic voces apud Sophoclem in Trachiniis editl« (ebd.); sowohl Autor wie Stück sind auf diese Weise kenntlich. Das dritte Stück dieser Zitaten-Gruppe bildet schließlich das AischylosZitat,36 das aber dem Sophokles-Zitat nicht mehr den Rang eines argumentativen

30Vgl. auch hierzu oben S.230 f Ein Überblick über die Diskussion dazu, ob diese Verse Cicero oder Accius zuzuschreiben sind, bei J.Soubiran, Accius ou Ciceron? (A propos de Tusc., II,10,2325). RPh 44, 1970,257-273; aufgrund der folgenden kurzen Erörterungen zur Praxis griechischer Verszitate in philosophischer Prosa bei den griechischen Lehrern (26), kann aber Ciceros Urheberschaft inzwischen als gesichert gelten. Zur Übersetzung selbst Jocelyn, Greek poetry, S.98-109, und Ahrens, Cicero als übersetzer, S.216-264. 3lVgl. die Gegenüberstellung bei Blänsdorf, FPL., S.166 f, als frg.32. "Neben Ac.post.IO: fin.I,5 (die sophokleische »EIektra. und ihre hölzerne Übertragung durch Atilius; dazu oben S.247) und 5,3 (der Hügel von Kolonos als Ort der Vergegenwärtigung des Dichters); Tusc. disp.2,49 (Vergleich der Personengestaltung des Odysseus/ Ulixes bei Sophokles und bei Pacuvius) und 2,60 (im strengen Sinne kein Sophokles-Zitat, da hier eine Kleanthes-Anekdote berichtet wird, deren Pointe aus einem Sophokles-Vers besteht); Cato m. 22 und 47 (zwei Sophokles-Anekdoten); div. I ,54 (prädikationen des Sophokles als »homo doctissimus. und »poeta quidem divinus. - der Zusammenhang sind mantische Traumgesichte des Dichters, die zur überfilhrung eines Tempelräubers fUhren) sowie off1,144 (eine Anekdote um Sophokles und Perikles). Drei Verweise gehören in die rhetorischen Schriften: de orat.3,27; opt.gen.orat.18; und Orator 4. Vgl. zur Bedeutung des Sophokles fur Cicero auch Malcovati, Cicerone, S.65 ff. 33adAtt.2,7,4 (=frg.579 N'). 2,16,2 (= frg.701 N'). 4,8,1 (= frg. 601 N'); ad Q.jr.2,9,2 (= frg.877 N'). Zu diesen Zitaten vgl. Stee1e, Greek, S.396. 34Vgl. hierzu vor allem F.Caviglia, Cicerone traduttore di Sofocle. In: Studi di Poesia Latina in onore di Antonio Traglia. Vol.I. Roma 1979, 333-350. 35Vgl. hierzu oben S.230 f 36Vgl. hierzu oben S.258 f 259

Höhepunktes streitig macht; denn aus ihm zog Cicero bereits die Folgerung: »possumusne nos contemnere dolorem, cum ipsum Herculem non intoleranter dolere videamus?« (22).37 Das Zitat selbst gibt in 45 Versen nahezu die gesamte Schlußrede des Herakles aus den sophokleischen »Trachinierinnen« wieder,38 wobei unter den von Cicero vorgenommenen Kürzungen besonders der Wegfall des Schlußteils (vv.11 03-1111) bemerkenswert ist. Allerdings ist dieser mit der Klage über das eigene Schicksal und über die verweigerte Größe als Zeus-Sohn sowie dem Racheschwur gegen Deianeira argumentativ fiir Ciceros Zwecke nicht mehr von Interesse. Das fiinfzeilige Zitat im dritten »Tusculanen«-Buch fällt demgegenüber weitaus knapper aus: 39 Es findet sich im Zusammenhang der Erörterungen zu den Ursachen und Formen der Trauer40 und berichtet von Oileus, dem Vater des kleineren Aias, der dem Telamon, dem Vater des größeren, noch Trost in seiner Trauer zu spenden vermag, fiir den selbst aber bei der Nachricht vom Tode seines Sohnes die eigenen Trostgründe keine Geltung mehr besitzen. Er wird als ein Beispiel fiir diejenigen angefiihrt, die den Status wahrer sapientia noch nicht erreicht haben. Die Hauptmasse der Zitate aus griechischen Tragödien entfällt auf die Werke des Euripides, obschon keines der Zitate die Länge der beiden aus dem "Prometheus Lyomenos« des Aischylos und den »Trachinierinnen« des Sophokles erreicht. Insgesamt elf Zitate sind in den philosophischen Schriften gesichert,41 hinzu kommen zahlreiche Erwähnungen. 42 Besonders aufschlußreich ist unter diesen der eher kursorische Verweis in Tusc.disp.4,71, denn der rhetorische Charakter der Frage und die allgemeine Formulierung zwingen zu der Annahme, daß die Darstellung des Laios im euripideischen »Chrysippos« im Rahmen der literarischen Fiktion der »Tusculanen« dem Gesprächspartner, über diesen Rahmen hinaus auch dem zeitge-

37Demgemäß sieht auch Caviglia, Cicerone, S.350, den argumentativen Zweck dieser Zitate vollkommen zu Recht in der Tatsache, daß gemeinhin als exempla virtutis angefilhrte Heroen in der äußersten Zuspitzung menschlichen Leides gerade als Leidende gezeigt werden. 38Vv.1046-1102 (vgl. Blänsdorf, FPL., S.168-171 unter frg.34; dazu auch Jones, Cicero as a Translator, S.30f.). 393,71 (= frg.666 N'); beide Fassungen bei Blänsdorf, FPL., S.I72 als frg.35. Vgl. hierzu auch B. Gentili, Sofocle, fr.576 P; Eschilo 'Coefore', 290. SIFC 21,1946,101-107, bes. S.101-104. 40Vgl. zum Kontext P.Finger, Die beiden Quellen des III. Buches der Tusculanen Ciceros. Philologus 84, 1929, 51-81. 320-348; R.Philippson, Das dritte und vierte Buch der Tusculanen. Hermes 67,1932,245-294; N.Marinone, I1 pensiero cirenaico nellibro III delle Tusculane. RFIC 94, 1966, 424-440; und S.A.White, Cicero and the Therapists. In: Powell, Cicero the Philosopher, 219246; unter diesen geht allein, wenn auch nur kursorisch, Philippson auf das Sophokles-Zitat ein und führt die griechischen Original~Verse schon auf die Vorlage Ciceros zurück, die sie wiederum Chrysipp verdanke; Cicero habe sie lediglich aus diesem ZusanJlllenhang heraus übersetzt (S.270). 4:fin.2,105 (= Andr.frg.133 N'); Tusc.disp.l,65 (= frg.1018 N) und 115 (= Cresph. frg.449 N); 3,29 (= frg.964 }f). 57 ff. (= Hypsip.frg.757 N) 67 (= Phrix.frg.821 N); 4,63 (= Or.I-3); nat.deor.2,65 (= frg.941 }f); sowie off.3,82 (= Phoen.524-525) und 108; ungesichert div.2, 13 fur Euripides (= inc.fab.frg.973 }f; vgl. hierzu unten Anm.44). Bei allen diesen Zitaten handelt es sich offenbar um Übersetzungen Ciceros (vgl. Blänsdorf., FPL., S.173-176 mit frgg.36-45). 42Ac.post.I,10; Ac.pr.89;fin.l,4; Tusc.disp.l,65 und 4,71; sowie in den rhetorischen Schriften: inv.l ,94; de orat.3,27; und opt.gen.orat.18. Zu Euripides bei Cicero Malcovati, Cicerone, S.67 -74. 260

nössischen Leser der Schrift geläufig war. Dies belegt die Präsenz der euripideischen Stücke beim gebildeten Publikum ciceronischer Zeit. Derselbe Eindruck ergibt sich bei einer Analyse der Einleitungen der Euripides-Zitate bei Cicero. Am auffallendsten ist hier wohl das Zitat von Iph.AuI.16 in Tusc.disp.3,57: Denn nicht nur verzichtet Cicero hier auf eine explizite Quellenangabe, er spricht zudem lediglich paraphrasierend von ..illud potentissimi regis anapaestumCde divinatiolleC< vertreten, zwei Zitate gehören in ..de officiiscificta et commenticia fabula« durch Cicero gegen seine Kritiker); alle übrigen Belege erscheinen mithin im ersten Buch. Neben zwei einfachen Erwähnungen in 4 und ISS sind dies Zitate aus dem .Phaidros« (250d in 15), aus dem 9. Brief an Archytas (358a in 22), aus .Menexenosu und »Lachesu (246e bzw. 197b/182e in 63 und 64) und aus dem -Staat- (342e und 420 b in 85; vgl. auch 485f. in 28). 126Vgl. zur Platon-Rezeption des Panaitios neben Steinmetz, Stoa, S.650 f., vor allem E.Des Places, Le Platonisme de Panetius. MEFR 68, 1958,83-93. 276

kundig hat sich Cicero auch in diesem Falle bemüht, nicht Unvereinbares zu verknüpfen, sondern eine innere Stimmigkeit seiner Darstellung zu herzustellen. Erwartungsgemäß spielt selbst im Rahmen polemischer Auseinandersetzung Platon auch fiir die Vertreter des Epikureismus nur eine untergeordnete Rolle. 127 Torquatus nennt in ..de finibus«128 Platon nur an zwei Stellen in eher nebensächlichem Zusammenhang: 14 wird der Verzicht Epikurs auf die ..orationis ornamenta« von Platon, Aristoteles und Theophrast abgesetzt, in 72 Platons Beschäftigung mit Musik, Geometrie, Mathematik und Astronomie als von falschen Voraussetzungen ausgehend zurückgewiesen. Während also hier eine Auseinandersetzung mit platonischer Lehre überhaupt nicht statt findet, befaßt sich Velleius in seiner Rede in ..de natura deorum«129 sehr wohl mit Lehrpositionen Platons. Dabei eröffuet er seine Darlegungen der epikureischen Theologie mit einer ironischen Polemik gegen die Weltentstehungslehren Platons und der Stoa (18-24), aus welcher Spitzenstellung im Umkehrschluß die Folgerung gezogen werden muß, daß gerade diese beiden die wirkungsvollste Konkurrenz zur epikureischen Position darstellen. Die platonische Grundlage der epikureischen Polemik ist der ..Tirnaios«, auf den einmal gleich zu Beginn ausdrücklich verwiesen ist (nat.deor.1,18), an einer weiteren Stelle ist er zu erschließen (nat.deor.1,24 = Tim.33b)yoIm Rahmen der polemischen Doxographie des Velleius erscheint Platon noch einmal, diesmal von den Vorsokratikern zu den Sokratikern überleitend, an deren Spitze (30), und wiederum steht der ..Tirnaios« im Mittelpunkt, wobei es die erklärte Absicht des Velleius ist (..de Platonis inconstantia IOllgum est dicere c.), durch die Konfrontation des im ..Tirnaios« dargelegten Positionen mit Passagen der ..Nomoi« die Inkonsistenz der platonischen Lehre nachzuweisen. l3l Auffallend ist, daß jeweils auf Platon um seiner selbst willen, nicht als Vermittler sokratischer Anschauungen Bezug genommen ist. 132

127Dieser Befimd deckt sich mit in der epikureischen Literatur insgesamt zu beobachtenden Stellenwert Platos. Denn die Angriffe Epikurs und seiner Nachfolger richten sich in erster Linie gegen Sokrates und die von ihm vertretene Methode, weniger gegen die von Platon vorgetragene Lehre (so auch Riley, Epicurean Criticism, S.56; ähnlich Yander Waerdt, Epicurean Refutation, S.257 if.). Y gl. in diesem Zusanunenhang auch die Aufstellung antisokratischer Schriftentitel bei Kleve, Scurra Atticus, S.228-23I , die durchweg platonische Dialoge nennen, aber nicht auf Platon selbst zielen, sondern auf den bei ihm geschilderten Sokrates. 128Ygl. zu ihr ausfuhriich oben S.75-82. 129Auch zu ihr ausfuhrlich oben S.67-75. 1"'Hierzu vgl. GeriachlBayer, S.579. 1"Die übrigen Erwähnungen Platons in der Yelleius-Rede beziehen sich auf verwandtschaftliche oder Lehrer-Schüler-Yerhältnisse und sind in diesem Zusanunenhang wenig aussagekräftig: 31 (neben Xenophon), 32 (als Onkel des Speusipp), 33 (als Lehrer des Aristoteles) und 34 (in Yerbindung mit Herakleides Pontikos). l32Yon den behandelten Dialogschriften und den dort belegten Platon-Rekursen abzusetzen sind die Platon-Bezüge in den »Tusculanen. und den staatstheoretischen Schriften»de re publica. und »de legibus•. Denn hier handelt es sich nicht um das Gegeneinander verschiedener philosophischer Konzepte, bei dem nicht nur die unterschiedliche Lehrmeinung, sondern auch der jeweils andere philosophische Grundgestus erkennbar wird: Die Platon-Rekurse in den behandelten Dialogschriften 277

Speusippos, Platons Neffe und Nachfolger als Haupt der Akademie, hat fur Cicero nur geringe Bedeutung: Er erscheint in den Darstellungen der akademischen Lehrsukzession zwar an erster Stelle (de orat.3,67; Ac. post.34) und wird neben Xenokrates, Polemon und gelegentlich Krantor als Vertreter der vetus Academia genannt (legg.I,38;jin.5,2 und 7), in seine Lehrpositionen aber diesen - und Aristoteles - zugeordnet (Tusc.disp.5,30. 39 und 87; fernerjin .4,3). Dem entspricht eine Bemerkung zum Stellenwert Speusipps in der Akademie im Zusammenhang einer Geschichte der Älteren Akademie(Ac.post. 17): Während Speusipp demzufolge das materielle Erbe Platons antrat, lag das philosophische Talent bei Xenokrates und Aristoteles. 133 Es ist daher gewiß kein Zufall, daß die einzige Stelle, an der eine Lehrposition des Speusipp erscheint, in die Polemik der Velleius-Rede in ..de natura deorum« gehört (1,32).134 Xenokrates, sein Nachfolger,!35 nimmt unter den Vertretern der älteren Akademie bei Cicero bei weitem den bedeutendsten Rang ein: Er erscheint in den Scholarchen-Listen nach Speusippos, wird aber zugleich ohne ihn, dafur häufig gemeinsam mit Aristoteles als Vertreter nach-platonischer Philosophie genannt 136 Auch die

fungierten als Argumentationshilfe, daneben auch als ethopoietisches Element. Diese Funktion, die Charakterisienmg der Dialogunterredner in ihrem Verhältnis zu Platon, entfallt aber in den» Tusculanen., die in ihrer gesamten Anlage das philosophische Vorbild Platon gegenwärtig halten (vgl. den Nachweis bei Shackleton Bailey, OCT., S.92 und 141; ferner die überlegungen zur Bedeutung der Platon-Zitate im ersten »Tusculanen.-Buch oben S.168-172 mit weiterfuhrender Literatur). In noch stärkerem Maße gilt dies für ode re publica. und ode legibus., die in direkte Konkurrenz zu den platonischen Schriften gleichen Titels treten und als deren lateinische Aquivalente angelegt sind. Hier ist ebenfalls durch Verweise und Erwähnungen das Vorbild Platon gegenwärtig (vgl. auch hier Shackleton Bailey, ebd.) und der Gattungszusammenhang dieser Schriftengruppe sichergestellt. Damit entspricht die Praxis der Platon-Zitate und Verweise in den beiden ciceronischen Staatsschriften dem in »de officiis. beobachteten Verfahren, das Gattungsvorbild einer Schrift durch Referenzen aufzurufen (vgl. dazu oben S.180-183; zu den Bezügen der Staatsschriften zu Platon vgl. gnmdlegend V.Pöschl, Römischer Staat und griechisches Staatsdenken bei Cicero. Untersuchungen zu Ciceros Schrift De re publica. Berlin 1936 (repr. Darmstadt 1983), bes. S.108-170; ferner H Meyerhöfer, Platons IIoAt't'eia Ciceros De re publica. Versuch eines Vergleichs. Anregung 33, 1987, 218-231; P.L. Schmidt, Die Abfassungszeit von Ciceros Schrift über die Gesetze. Roma 1969 (= Collana di Studi Ciceroniani 4), bes. S.48 f.; und E.Rawson, The Interpretation of Cicero's 'De legibus'. ANRW 1.4, 1973,334-356, bes. S.338 ff). 133 Auch Straume-Zimmermann, S.416 zu Ac.post.17, merken mit Verweis auf Diog.Laert. 4.1-5, und Aelian, var.hist.3, 19, eine frühe Polemik gegen Speusipp an, die sich auf das Gegeneinander von Erbe einerseits und Schülerschaft andererseits bezieht (dazu und zu einer Gegnerschaft zwischen Speusipp und XenokratesiAristoteles P.Merlan, Zur Biographie des Speusippos. Philologus 103, 1959,198-214, bes.S.206-212. 134Vgl. zur generellen Wirkungsgeschichte Speusipps, der dieser Befund entspricht, Krämer, Altere Akademie, S.38; zu Speusippos insgesamt L.Taran, Speusippus of Athens. A critical study with a collection ofthe related texts and commentary. Leiden 1981 (= Philosophia antiqua vo1.39). 135Zu ihm neben Krämer, Altere Akademie, S.44-72, vor allem HDörrie, RE. 11.9.2, 1967, Sp.1512-1528 s.v. Xenokrates 4); die Fragmente und Testimonien bei M.Isnanli Parente, Senocrate. Ennodoro. Frammenti. Napoli 1982 (= La Scuola di Platone Vol.3). 136S0 neben Ac.post.17, vor allem Ac.pr.ll3 (neben Aristoteles, Polemon und Theophrast); fin.4,49 und 79 (neben Platon, Aristoteies, Theophrast und Dikaiarch als philosophische Autorität fur Panaitios); ferner legg.l ,55, und de orat.3,62 (neben Platon und Aristoteles). 278

rühmenden Bewertungen des Xenokrates bei Cicero sind nicht allein ethopoietisch begründet, sondern finden sich auch dort, wo weder Cicero selbst noch ein anderer als Dialogpartner auftritt. 137 Ferner ist bei Xenokrates im Unterschied zu seinen Nachfolgern bei Cicero keine Konzentration allein auf ethische Fragen und die Güterlehre zu beobachten, obschon auf ihn die Dreiteilung der Philosophie in ihre Disziplinen zurückzufuhren ist; zwar greift Cicero selbst auf diese Dreiteilung zurück, ihren Urheber bringt er aber nicht damit in Verbindung. 138 Dem entspricht auch, daß das Schriftenverzeichnis des Xenokrates mit Ausnahme der naturwissenschaftlichen Einzelforschung und der Musik alle Bereiche abdeckt und nicht auf die Ethik begrenzt ist. 139 Außer in biographisch-anekdotischem KonteXfO erscheint sein Name im Zusammenhang metaphysischer Fragen,141 vor allem aber im Kontext der Seelen- und der Güterlehre; am klarsten umrissen ist dabei seine Bestimmung der Seele in Tusc.disp.l,20, Angaben finden sich aber auch in den »Academica«.142 In anderem Zusammenhang wird in den »Academica« zugleich eine Strategie des Umgangs mit philosophischen Autoritäten erkennbar, die sich am signifikantesten bei Epikur nachweisen läßt,143 aber auch bei Xenokrates aufscheint: nämlich eine philosophische Autorität gegen jemanden zu wenden, der sich in seiner Argumentation nachdrücklich auf sie beruft. Denn Lucullus benennt in seiner Verteidigung der Erkenntnistheorie der dogmatischen Akademie nach Antiochos von Askalon diesen als die Quelle seiner Darlegungen; 144 dessen Rückwendung auf die Lehre der Alten Akademie vor der skeptischen Bewegung mit Arkesilaos von Pitane fuhrt zu Xenokrates als dem »erste(n) Konservator« und »Begründer der Orthodoxie im Platonismus".145 Gegen seine von Lucullus dargelegte Position fuhrt Cicero in seiner

137S0 heißt in o.ff.I,109, Xenokrates »severissimus philosophorum., in rep.I,3 »nobilis in primis philosophus., Ill1d in Tusc.disp.5,51 »gravissimus philosophorum.; Tusc.disp.5, 107, schließlich erscheint er in einem Katalog von »philosophi nobilissimi., die fern ihrer Heimat lebten. Hierher gehört auch die emphatische Wendlll1g: »quem virum, dii immortales. (nat.deor.I,72). 138Ygl. neben Krämer, Ältere Akademie, S.46 ff., P.Hadot, Les divisions des parties de la philosophie dans l'Antiquite. MH 36, 1979,201-223, bes. S.206 f, Ill1d P.Boyance, Ciceron et les parties de la philosophie. REL 49, 1971, 127-154. 139ygl. hierzu Dörrie, (RE.), Sp .15 25 f, mit einer Auflistllllg der überlieferten Werktitel. l4°Neben der schon angeflihrten Erwähnlll1g im Katalog der »philosophi nobilissimi.: Tusc.disp. 5,109 (im selben ZusanImenhang), ZUSanImen mit Platon als Beleg fur die Irrelevanz der Heimat fur die vita beata; Ill1d Cato m.23, Xenokrates als exemplum nicht nachlassender Kräfte im Alter; sowie die beiden Anekdoten in rep.l,3 (eine Handllll1gsmaxime des Xenokrates), und in Tusc. disp.5,9l (zur Bedürfnislosigkeit des Xenokrates angesichts eines Geldgeschenks Alexanders des Großen; vgl. zum biographischen Hintergrund dieser Anekdote Krämer, Ältere Akademie, S.46). 141 nat.deor.l,34, mit einer polemisch verknappten Wiedergabe von Xenokrates' Götterlehre; zugleich erscheint hier auch ein Schrifttitel als Quellenangabe: »de natura deorum. (= »llepl ftewv.). 142Ac.pr.124 (dazu Straume-Zimmermann, S.439 z.St.), Ill1d Ac.post.39 (die Ablehnlll1g der Unkörperlichkeit der Seele, die Xenokrates »et superiores. vertreten hatten, durch Zenon; hierzu Dörrie, (RE.), Sp.1522 f, Ill1d Krämer, Ältere Akademie, S.56 f 143Dazu Ill1ten S.328 ff. 144ygl. vor allem Ac.pr.6l ; dazu Straume-Zimmermann, S.406 ff. z. St. 145S0 Dörrie, (RE.), Sp.1518, ähnlich Krämer, Ältere Akademie, S.65. 279

Entgegnung Xenokrates ins Feld und erweist ihn viel eher als einen konservativen Stoiker chrysippischer Prägung denn als einen Gefolgsmann des Xenokrates oder des AristoteIes (Ac.pr.143): Zur Unterstützung dieses Arguments fuhrt Cicero ähnlich wie Velleius in ,ode natura deorum« einen Schriftentitel als Quelle an, die »/ibri ... de ratione loquendi multi et mulum probatieqUi constitutam philosophiam everteret et in eorum auctoritate delitesceret qui negavissent quicquam sciri aut percipi posse." (Ac.pr.15), 160 geäußert von Lucullus als Vertreter der dogmatischen Akademie, bis zur Einschätzung des Arkesilaos als desjenigen, der die sokratische Methode wiederbelebt habe (fin.2,2): In der Tat ist die eigentliche philosophische Leistung des Arkesilaos in dem bewußten Rückgriff auf Sokrates zu sehen, der sich bis in die Lebenfuhrung hinein ausgewirkt zu haben scheint; denn die Tatsache, daß sich Arkesilaos auf mündliche Lehre beschränkt hat, dürfte der Methode und dem Vorbild des Sokrates geschuldet sein. Diese Rückbesinnung und eigentliche Radikalisierung der skeptischen Haltung des Sokratesl61 bedeutet zugleich eine Möglichkeit der Behauptung der Akademie im

suavitas gerühmt wird (zu i1un W.Capelle, RE.15.1, 1931, Sp.429-431 s.v. Melanthios 12). Neben diesem Katalog wird an noch einer weiteren Stelle Lakydes von Kyrene genannt, der als Schulhaupt Arkesilaos unmittelbar nachfolgte; allerdings wird auch hier, Tuse.disp.5,107, nicht auf seine, auch sonst kaum mehr kenntliche Lehrposition Bezug genommen, sondern auf die Tatsache, daß er sein Leben weitgehend fern der Heimat verbrachte. Auch die Lehrpositionen der übrigen Vertreter der skeptischen Akademie sind nicht von Bedeutung: Charmadas (zu i1un Hvon Arnim, RE.3.2, 1899, Sp.2172-2173 s.v. Charmadas I) erscheint in der »Schulgeschichtede divinalione« finden sich Verweise aufDikaiarchs Position in der Frage der Mantik, einmal darunter der Hinweis auf ein »magnus Dicaearchi fiber«, demzufolge »nescire ea (sc.: zukünftige Ereignisse) me/ius esse quam scire« (2,105). Hierbei scheint es sich um die Schrift »eiC; Tpodifficilis atque ardua, sed iam tamen fracta et convicta«. Aristons Ablehnung der Logik und der Physik als philosophischen Disziplinen und seine Konzentration auf ethische Fragen zeigt sich auch in den Rekursen auf ihn in den ciceronischen Philosophica: In den »Academica« erscheint er mit Blick auf astronomisch-mathematische Fragen als derjenige »qui nihil istorum sciri putat posse« (Ac.pr.123) und wird so zum Kronzeugen der skeptischen Position des Lucullus; in nat.deor.l,37, wird seine ablehnende Haltung zu theologischen Fragen hingegen zum Ansatz kritischer Bemerkungen des Velleius, der diese skeptische Anschauung ebenso wenig teilt wie die der stoischen Orthodoxie. Im Kontext theologischer Fragen läßt schließlich Cicero den Akademiker Cotta eine Maxime des Ariston zitieren, derzufolge »nocere audientibus philosophos is qui bene dicta male interpretarentur ... prorsus, si qui audierunt vitiosi essent discessuri, quod perverse philosophorum disputationem inpretarentur, tacere praestaret philosophis quam iis qui se audissent nocere« (nat.deor.3,77); es scheint diese skeptische Haltung Aristons, die Cotta fur seine Zwecke verwendet, zugleich auch der Grund fur dessen Konzentration auf die Ethik zu sein. 334 Die Instrumentalisierung Aristons auch mit Blick auf seine ethischen Positionen im Sinne der jeweiligen argumentativen Absichten zeigt sich auch darin, fur und gegen welche Auffassungen er zusammen mit anderen oder auch allein geltend gemacht wird: Während Ariston in den Tusculanen zusammen mit Zenon als Vertreter einer radikalen Güterlehre erscheint,335 wird er an anderen Stellen gegen diesen ausgespielt. 336 Am deutlichsten wird Aristons Güterlehre, derzufolge »praeter vitia atque virtutes rem esse (n-)ullam aut fugiendam aut expetendam« (fin.4,73), so daß »inter optime valere et gravissime aegrotare nihil interesse« (fin.2,42),337 in der Diskussion der ethischen Systeme in H3Zu diesen oben S.286 mit Anm.186 und unten S.3l8 (hier auch die Textbelege zu Ciceros Einschätzung); immerhin kann seine Philosophenschule durch seine Schüler Eratosthenes und Apollophanes eine gewisse philosophiegeschichtliche Relevanz fur sich beanspruchen, wenn auch über diese Schüler hinaus keine weitere Dauer beschieden war. Vgl. zu Ariston neben den Fragmenten bei von Arnirn, SVF. I.,75-90, und den Darstellungen von dems., RE 2.1, 1896, Sp.957 fI. s.v. Ariston 56), und Steinmetz, Stoa, S.558-561, jetzt umfassend AM.Ioppolo, Aristone di Chio e 10 stoicismo antico. Napoli 1980 (= Collana Elenchos 1). Zu der schwierigen Trennung des Ariston von Chios und Ariston von Keos zuzuweisenden Textmaterials vgl. die bereits oben S.32 mit Anm.9. 334Damit entspricht die ablehnende Haltung Aristons gegenüber einer Beschäftigung mit logischen und physikalischen Fragen der generellen Entwicklung der hellenistischen Philosophie der Zeit, fur die ein Vorrang der Ethik kennzeichnend ist; vgl. hierzu Steinmetz, Krise, passim. "'So Tusc.disp.5,27 und 33, in 2,15, tritt zu beiden noch Pyrrhon von Elis. 336Sofin.4,72: »verbis concinere, re dissidere«, aber auch legg.1,55. 337Vgl. auch die Darstellung von Aristons Lehre in der knappen Doxographie in Ac.pr. 130. 317

..de jinibus« je nach dem jeweiligen Standpunkt eingesetzt. Dabei erscheint er häufig neben Pyrrhon als Vertreter einer radikalen Güterlehre; wird dies von der Seite der stoischen Orthodoxie, hier vertreten durch Cato, zum Ansatz einer Kritik Aristons,338 fuhrt umgekehrt Cicero mehrfach Ariston gegen die stoische Orthodoxie ins Feld: 4,43, erscheint die Stoa teils gegen ihn abgesetzt, teils mit ihm in Übereinstimmung; 49 werden Ariston und Pyrrhon als einzige Opponenten eines stoischen Syllogismus angegeben, um die Allgemeinverbindlichkeit der Aussage und damit ihre Irrelevanz zur Bestimmung einer charakteristisch stoischen Güterlehre aufzuzeigen; in 68-70 schließlich werden Zenon und Ariston deutlich gegeneinander gesetzt, wobei Aristons Lehre als in sich konsequenter erscheint. Die Tatsache, daß Aristons Ethik als ebenfalls inakzeptabel dargestellt wird,339 ist so lange irrelevant, wie sie als Argument gegen die Stoa ins Feld gefuhrt werden kann. Als dritter dissidenter Zenon-Schüler erscheint schließlich Herillos von Karthago, zumeist in Verbindung mit Pyrrhon von Elis und Ariston von Chios als Vertreter einer in ciceronischer Zeit erloschenen Lehrposition. 34O Die übrigen Erwähnungen gelten seiner Güterlehre, da er ..scientiam summum bonum esse defendit nec rem ullam aliam per se expetendam«.341 Diese Stelle ist auch insofern bemerkenswert, weil sie wiederum die Instrumentalisierung philosophischer Positionen zur Absicherung der eigenen Lehrauffassungen deutlich macht: Der Vertreter der peripatetischen Lehre in ..de jinibus«, Piso, vermerkt in seiner Darstellung der peripatetischen Güterlehre gerade die Nähe der Lehrauffassungen des Herillos zu Theophrast und gewinnt so durch den dissidenten Stoiker eine Bestätigung der peripatetischen Lehre. Ohnehin zeigt die Behandlung des Herillos bei Cicero, indem sie seine Unterscheidung eines "tEAOC; und einer u1ton:Aic; unterschlägt, daß seine Lehroppositionen nicht um ihrer selbst willen entwickelt werden, sondern fur die jeweilige Argumentation instrumentalisiert sind. Die Rezeption Chrysipps in den ..Philosophica« weist einige Besonderheiten auf Zunächst nämlich läßt sich bei der Verteilung der Belege innerhalb des Gesamtcorpus kein besonderer Schwerpunkt feststellen, mit Ausnahme der fragmentierten Schrift ·>de fato«: Denn hier dient Chrysipp in der Frage von Schicksal und Willens-

338S0 erhebt Cato in 3,50, gegen Ariston den Vorwurf, seine LeugnWlg der .differentia ren/mo filhre zu einer confusio omnis vitae. 339Vgl. dazu auch fin. 3,1 1-12, mit der CharakterisiefWlg Aristons Wld Pyrrhons als denjenigen »qui omnia exaequant«. 34°Vgl.fin.2,35 (.iam diu abiectus.), Wld 5,23; Tusc.disp.5,85; sowie ojJ.I,6. In der Tat scheint Herillos' Lehre mit seinem Tode erloschen zu sein (so auch Steinmetz, Stoa, S.563); die WendWlg von den .Erillii«, die de orat.3,62, den .fere Socratici« beigeordnet werden, kann nicht als ein Beleg ftIr eine längere Schultradition gewertet werden. 341Sofin.5,73; ähnlich auch auchfin.2,43, WldAc.pr.129. Eine Kritik der AuffassWlg des Herillos findet sich infin.4,36, insofern seine WertschätzWlg der cognitio animi auf Kosten der actio geschehe. Zu Herillos' Lehre vgl. von Arnim: RE.8.l, 1912, Sp.683 f. S.V., Wld Steinmetz, Stoa, S.562 f., dazu die Fragmente bei von Arnim, SVF. I., 91 ff. 318

freiheit als einer der zentralen Referenzautoren der Diskussion. 342 Hinsichtlich der übrigen Schriften aber läßt sich kein Schwerpunkt feststellen. Überraschend ist aber die Tatsache, daß Chrysipp in den Stoiker-Reden weniger oft angefuhrt wird als in denen ihrer Gegner. Signifikant ist hier besonders »de divinatione« Nur dreimal wird Chrysipp im ersten Buch, der Rede des Quintus namentlich herangezogen, 343 achtmal hingegen in der Rede des skeptischen Bruders. 344 Dies ist insofern überraschend, als es als Chrysipps besonderer Beitrag innerhalb der stoischen Schulgeschichte angesehen wird, »die Grundsätze Zenons interpretiert(e), ergänzt(e). Gelegentlich auch ab(ge)ändert(e) und vor allem dialektisch neu begründet« zu haben. 345 Cicero scheint dieser Einschätzung ebenfalls Rechnung zu tragerf;'6 nur um unmittelbar im Anschluß Chrysipp gegen die Stoa ins Feld zu fuhren: 347 Chrysipp wird zur argumentativen Stütze seiner Gegner, sogar nach dem Eingeständnis seiner eigenen Schule (Ac.pr.87)348 Dieses Verfahren der Wendung Chrysipps gegen sich selbst findet sich noch einmal in »de divinatione«, wo Cicero in der RoUe

342Innerhalb der Schrift .de fata« geht Cicero vor allem in sechs Partien ausführlicher auf Positionen Chrysipps ein, wobei vor allem der Schlußpassus mit der Erörterung der chrysippischen Ursachenlehre (41-45) aufgrund des folgenden Textverlusts einige Schwierigkeiten bereitet (vgl. neben Bayer, S.163 f z.St., und D.P.Marwede, A Commentary on Cicero's »de fato«. Diss. Baltimore 1984, S.14-18, jetzt grundlegend W.Görler, 'Hauptursachen' bei Chrysipp und Cicero? Philologische Marginalien zu einem vieldiskutierten Gleichnis (De fato 41-44). RhM 130, 1987, 254-274,und - an Görlers Neudeutung anknüpfend - S.Schröder, Philosophische und medizinische Ursachensystematik und der stoische Determinismus. Prometheus 15, 1989,209-239.16,1990, 5-26 und 136-154): als erstes in 5-8 mit der Disk'Ussion der chrysippischen Lehre von der »naturae contagio« (= OU~1tai}Eta), zunächst in expliziter Auseinandersetzung mit Poseidonios, dann, in 7, in Rückwendung auf die ,,chrysippi laquei« (da von Chrysipp bislang nicht die Rede war, gilt dieser Rüclbezug offensichtlich der nicht unbeträchtlichen Textlücke nach 4; vgl. hierzu Bayer, S.123 und 126 f, sowie Marwede, S.lI-14); dann in 12-16, wo Chrysipp in Auseinandersetzung gezeigt wird mit Diodoros KrOllOS in der Frage der Verknüpfung logischer Notwendigkeit und kausaler Determination (hierzu umfassend Bayer, S.130-135) - Chrysipp erscheint hier als der Diodoros unterlegene Dialektiker; in 20-21 mit Chrysipps Verknüpfung des Satzes vom Widerspruch mit der lückenlosen Gültigkeit der Kausalität, die er mit dem fatum gleichsetzt (vgl. Bayer, S.140 f.); in 28-30, wo Chrysipps Auseinandersetzung mit der »ignava ratio«, dem apyot; Myot;, angeführt ist mit der Unterscheidung von »simplicia« und »copulata« (vgl. Bayer, S.147 f.); ferner in 39, wo Chrysipp in seinem Bemühen vorgestrellt wird, zwischen den strikten Vertretern des fatum und den Befürwortern völliger Willensfreiheit zu vermitteln, wobei er allerdings eher auf die Seite der Gegner des fatum geraten; und schließlich in 41-45 mit der bereits erwähnten Eröl1erung der chrysippischen Ursachenlehre. Hinzuzuzählen ist auch frg.1 (= Gellius, NA. 7 (6),2, 15), wo zugleich der Grundtenor der Auseinandersetzung Ciceros mit Chrysipp in .de fato« in einem Zitat der Schrift erhalten ist: »Chrysippus aestuans laboransque, quonam hoc modo explicet, etfato omniajieri et esse aliquid in nobis, intricatur. « 343div.l,37. 39 und 84. 344div.2,35. 61. 101. 115-116. 126. 130. 134 und 144. 345Nach Steinmetz, Stoa, S.585. Vergleichbar M.Pohlenz, Zenon und Chrysipp. In: ders., Kleine Schriften 1. Hildesheim 1965, 1-38, bes. S.I (dabei bieten Pohlenz' Überlegungen insofern eine Erklärung des Phänomens, als er eine freiwillige Unterordnung Chrysipps unter die Autorität des Schulgrunders beobachtet). 346Vgl. Ac.pr.75: •... cum habeam Chrysippum, qui fuleire putalur portieum Stoicorum«. 347Vgl. hierzu Straume-Zimmermann, S.415 zur Stelle. 348Vgl. auch hierzu Straume'Zimmermann, S.420 f z. st. 319

des Skeptikers den ..divinationis allctor« widerlegt (2,61), indem er die Möglichkeit von portenta durch den Hinweis auf die von Chrysipp selbst unternommenen Bemühungen um eine natllralis ratio der Dinge widerlegt: Wenn diese gefunden werden kann, existieren keine portenta. 349 Neben dem Verfahren, Chrysipp in Widerspruch zu seiner Schule zu bringen, finden sich noch zwei weitere Argumentationsstrukturen in der Auseinandersetzung mit dem Stoiker; zum einen der Nachweis innerer Uneinheitlichkeit der Lehre, zum anderen die Widerlegung des Dialektikers mit der Unzulänglichkeit seiner Schlußverfahren. Während der erste Weg der stoischen Lehre insgesamt gilt, als deren großer Exponent in seiner Stellung als Systematiker Chrysipp gelten kann,350 trifft das zweite Argument vor allem Chrysipp selbst und wird in den ciceronischen Schriften vor allem mit Karneades in Verbindung gebracht. Dabei ergeben sich wiederum zwei Grundgedanken, zum einen - so schon aus der dem Karneades verpflichteten Rede des L. Furius Philus im dritten Buch von ..de re pllblica« erkennbar (rep.3,12) - der Vorwurf, der Ausdifferenzierung der Worte größeres Gewicht beizumessen als ihrem tatsächlichen sachlichen Gehalt 351 , zum anderen aber der Nachweis der Untauglichkeit des gewählten Beweisverfahrens - der Dialektiker Chrysipp352 wird auf seinem eigenen Feld geschlagen. Als Musterbeispiel hierfur kann die Diskussion des ..Sorites« in Ac.pr. 93 gelten, die den Karneades in unmittelbarer Diskussion mit einem Verteidiger Chrysipps zeigt und in der der Skeptiker das Innehalten des Stoikers als willkürlich erweist; zudem scheint Cicero hier ein typisches Argumentationsverfahren des Karneades in der Auseinandersetzung mit Chrysipp aufgegriffen zu haben, denn offenbar hat Karneades die stoische Theologie insgesamt mit Hilfe des ..Sorites« zu widerlegen gesucht. 353 Neben diesen Chrysipps philosophischer Methode geltenden Einwänden, die zugleich das dogmatische Lehrgebäude der Stoa insgesamt treffen, finden sich

349Zur Triftigkeit dieser Widerlegung vgl. Schäublin, S.362 zur Stelle. 350Vgl. zu diesem Verfahren vor allem Ac.pr.143, wo der schulinterne Streit mit mehreren Personen, mit Kleanthes, Chrysipp, Antipater und Archidemos namhaft gemacht ist (vgl. hierzu Straume-Zimmermann, S.451 f. zur Stelle; die Schlagkraft des ATguments beruht auf den Bemühungen der Stoa um strikte Geschlossenheit des Systems), aber auch jin.5,89, wo der Vorwurf der Inkonsistenz gegen Chrysipp persönlich erhoben wird (das hier gebrauchte Argument der Diskrepanz von philosophischer Theorie und Lebenspraxis wird in »de jinibus« melnfach von akademischskeptischer Seite gegen die dogmatischen Schulen vorgebracht, so 2,74-78, gegen den Epikureer Torquatus und 4,21-23, gegen den Stoiker Cato: Es stellt gleichsam die Selbstwiderlegung des Dogmatikers dar. 35IVgl. in diesem Sinne Tusc.dispA,9. 152Vgl. die Charakterisierung injin.4,9, ähnlich auch de orat.I,50, wo Chrysipp als »acutissimus« erscheint. Zur Bedeutung der Dialektik im Werk Chrysipps umfassend Steinmetz, Stoa, S.595-603. hier auch weiterfuhrende Literatur; zur stoischen Dialektik insgesamt M.Frede, Die stoische Logik. Göttingen 1974 (= AAWG., phil. -histKl. III.88) 353Vgl. bereits hierzu oben S.285 mit Anm.178. 320

zahlreiche Erwähnungen des Stoikers als Quellenautor/ 54 Verweise auf definitorische Versuche und deren Kritik, also die Diskussion bestimmter Einzelpositionen. 355 Chrysipp gilt dabei sowohl epikureischen wie auch stoischen und akademisch-skeptischen Gesprächsteilnehmern als ernst zu nehmende Autorität: Signifikant ist dabei der Unterschied zwischen der Behandlung Chrysipps durch den Epikureer Velleius in "de natura deorum«, der in polemischer Art Einzelpositionen Chrysipps angreift und keine sachliche Diskussion zuläßt,356 und der durch den Epikureer Torquatus in "de jinibus«, der auf die Gestik einer Chrysipp-Statue auf dem Athener Kerameikos verweist und diese aus der Sicht der epikureischen voluptas- Lehre interpretiert. 357 Unter den Schülern Chrysipps ist wie unter den Zenon-Schülern eine deutliche Gewichtung zu beobachten, die der generellen Situation der stoischen Philosophie nach Chrysipp entspricht: Als Kennzeichen der sich nun entfaltenden »mittleren Stoaeie finibus« gegen den Stoiker Cat0372 und mehrfach in.>de divinatione«gegen Quintus Cicero. 373 Auch unabhängig von solchen Rückgriffen auf Panaitios, die den Philosophen in umnittelbaren Gegensatz zu anderen stoischen Schulvertretern bringen, finden sich in den Philosophica mehrfach Hinweise auf seine Sonderstellung innerhalb der Stoa: Mag er auch als Autor verschiedener Schriften in der Nachfolge Chrysipps genannt sein (fin.1,6), so erscheint er legg. 3,14, als einziger Stoiker, der sich im Rahmen staatsphilosophi'6·ZU ihm neben M.Pohlenz, RE.18.2, 1949, Sp.418-440 s.v. Panaitios 5), und Steinmetz, Stoa, S.646-669, M.van Straaten, Panaetii Rhodii fragmenta. Leiden 1952 (= Phi10sophia antiqua 5), sowie, dieser Edition vorangehend, ders., Panetius. Sa vie, ses ecrits et sa doctrine avec une edition des fragments. Amsterdam 1946. 37°rep.1,15 (Scipio über Panaitios' naturkundliche Forschungen) und 34 (als Gesprächspartner Scipios de re publica), dazu Ac.pr.5, wo Panaitios als comes des Scipio genannt ist, und Tusc. disp.1 ,81, im selben Sinne. Weiterhin wird Panaitios verbunden mit Q.Aelius Tubero (Ac. pr. 135; jln.4,23, und Tusc.disp.4,4), dessen Schülerschaft bei dem Stoiker so faßbar wird, mit Q.Mucius Scaevola augur (de orat.1,75, und Brutus 101) als dessen Redelehrer, in derselben Stellung auch P.Rutilius Rufus (Brutus 114) und schließlich als contubemalis des M. Vigellius (de orat.3,78). 371 ZIllll sachlichen Gehalt dieses Passus vgl. Panaitios, frgg.64-69 van Straaten. 3724,23, wo die definitorischen Bemühungen der stoischen Orthodoxie Illll eine Abgrenzung der »bonao und der »praepositao voneinander mit dem ausdrücklich als »Stoicuso apostrophierten Panaitios als 1ebenspraxisfern charakterisiert werden. Dabei bedient sich Cicero als Gesprächsteilnehmer eines Briefs des Panaitios »de dolore patiendoo an Q.Aelius Tubero, indem sich dieser anläßlich des Todes Scipios weniger mit definitorischen Fragen zum dolor aufgehalten hatte, sondern vielmehr dessen Natur und BeWältigung in den Mittelpunkt gestellt hatte (vgl. Gigonl StrallllleZimmermann, S.520 zur Stelle; zu diesem Schreiben an Tubero, dem auch Ac.pr.135 (Empfehlung von Krantors »de luctuo an Tubero) und Tusc.disp.4,4 (Lob des »Appii Claudii carmen., ohne nähere Angaben), zugeordnet werden, neben frg.113 van Straaten auch kurz Steinmetz, Stoa, S.649. 373 1,6 f., noch in der Einleitung vor der eigentlichen Gesprächseröffuung, werden Panaitios' Zweifel am Wahrheitsgehalt der divinatio erwähnt; ebenso in 2,88, wo aufPanaitios' Ablehnung der .praedicta astrologorum. als »unus Stoicorum. verwiesen ist, und schließlich 2,97, wo sich der divinatio-Kritiker explizit nicht an Kameades, sondern an Panaitios anschließt. Vgl. zu Panaitios' Haltung zur divinatio auch Pohlenz, (RE.), Sp.432, und Steinmetz, Stoa, S.652 f., sowie frgg.70-74 van Straaten, die insofern aufschließreich sind, als sich die Kenntnis von Panaitios' Haltung zur Mantik mit Ausnahme einer Bemerkung bei Diog.Laert. 7,149 (= frg.73) allein Cicero verdankt. 324

scher Erörterungen mit der Frage »de magistratu'. befaßt habe - wobei ausdrücklich hervorgehoben ist, daß Panaitios hier eine vor allem in Akademie und Peripatos »ad hunc usum popularem atque civilem« behandelte Frage übernommen habe; Ac. pr.107 wird er in der Frage nach dem Wahrheitsgehalt der verschiedenen Formen der divinatio von den übrigen Stoikern abgesetzt, und infin.4,79, wird Panaitios' Vertrautheit mit der akademischen und peripatetischen Lehrtradition hervorgehoben und er selbst von seiner Schule abgegrenzt. Eine weitere Auffälligkeit bei den Rekursen auf Panaitios in den ciceronischen Philosophica ist neben der Berücksichtigung und argumentativen Instrumentalisierung seines Dissidententurns seine unterschiedliche Behandlung als Quellenautor: Zwar wird Panaitios wiederholt in Verbindung gebracht mit Laelius,374 im »Laelius« aber, der in der Forschung auf entsprechende Darlegungen 1tEp\ qnAiac; in Panaitios' Pflichtenlehre, zurückgefuhrt wurde,375 fehlt Panaitios aber ganz. Warum Cicero in dieser Schrift seine mutmaßliche Quelle völlig unterschlägt, während er sie in ,>de officiis« aufdeckt, läßt sich kaum mit letzter Sicherheit beantworten; anzunehmen aber ist, daß ein Zusammenhang besteht mit dem unterschiedlichen Charakter beider Schriften: Denn wiederum gilt, daß die offene Angabe der Quellen die Gesprächsfiktion des »Laelius« durchbrochen und damit entlarvt hätte, während der ohnehin didaktische Charakter von »de officiis«376 mit den häufigen Hinweisen auf weiterfuhrende Literatur, dem eine solche fiktionale Situation nicht zugrunde liegt, die Aufdeckung der philosophischen Quellen zuläßt. In der Tat entfallt die größte Gruppe namentlicher Erwähnungen und Zitate des Panaitios auf »de officiis«,377 wofur Cicero eigenem Bekunden nach auf Panaitios zurückgegriffen hat,378 ihn gelegentlich allerdings in seinem Sinne modifzierend ( ..non interpretatus«, 2,60). Dementsprechend groß ist auch das Spektrum an Möglichkeiten, Panaitios im Argumentationsgang anzufuhren: Er erscheint als Gewährsmann und Autorität einer Lehrposition379 und als Vorbild philosophischer Verfahren. Die Berufungen aufPanaitios sind dabei nicht kritiklos, es wird zuweilen eine Auseinandersetzung mit ihm gefuhrt bis hin zum Verweis aufVersäumnisse;38o die von Panaitios 374Vgl.fin.2,24, wo Laelius als Hörer des Panaitios genannt ist, und 4,23, wo seinefamiliaritas mit Laelius und Scipio hervorgehoben wird. 375S0 vor allem aber von F.A.Steinmetz, Die Freundschaftslehre des Panaitios nach einer Analyse von Ciceros .Laelius de amicitia•. Wiesbaden 1967 (~ Palingenesia Bd.3), und von M.Schäfer, Panaitios bei Cicero und Gellius. Gymnasilllll62, 1955,334-353, bes. S.344-348. 376Vgl. hierzu ausführlicher oben S.182 ff. 377Vgl. ShackietonBailey, OCr., S.91. 378Vgl. 2,60, und 3,7; zum Verhältnis von Ciceros Schrift zu Panaitios' .nepl K(d)tlKOV'tO~o vgl. die oben S.173 mit Anm.1 genannte Literatur. 379S0 1,9; ähnlich auch 2,51 (»gravissimus Stoicoromo), und 2,6, wo eine von ihm vertretene Position referiert ist unter Angabe der von ihm herangezogenen historischen Belege und testes. 380 Verbunden meist mit einer Formulierung wie »qui locus a Panaetio est praetermissus., 1,152 (vgl. auch den expliziten Rekurs auf diese Stelle in 1,161; ferner 1,7 (Verzicht des Panaitios auf eine Definition »quid sit ojJicium.), und 2,88). 325

angekündigte, aber zu Ciceros Verwunderung nicht fertiggestellte Abwägung von

honestum und utile im Falle eines Konfliktes beider (3,7 f) sucht Cicero selbst wenig später in seinem Sinne zu entscheiden und fuhrt daher Panaitios als mutmaßlichen Gewährsmann an (3,18). In der gleichen Weise, in der Cicero hier Panaitios' mutmaßliche Position entwickelt, verteidigt er ihn auch an anderen Stellen gegen tatsächliche oder mögliche Kritik. 381 Es ergibt sich mithin ein höchst differenziertes Bild von Ciceros Umgang mit Panaitios als philosophischer Autorität, das von den jeweils gegebenen argumentativen Zielen und den literarischen Gattungskonventionen bestimmt ist. Deutlich weniger als Panaitios findet sein Schüler Poseidonios Erwähnung, zugleich ist die Verteilung dieser Belege auf die einzelnen Unterredner noch signifikanter; denn in den Reden stoischer Schulvertreter spielt Poseidonios eine eher geringe Rolle: In der Cato-Rede von ,ode finibus« bleibt er ungenannt, in der Rede des Balbus in »de natura deorum« wird er lediglich als Konstrukteur einer »sphaera« erwähnt (2,88), nicht in dogmatischem Zusammenhang; Quintus Tullius Cicero fuhrt ihn schließlich in »de divinatione« immerhin dreimal an, aber auch dies ist gemessen an der Gesamtzahl der Zitate ein eher geringer Anteil. 382 Immerhin zweimal erscheint Poseidonios in der Antwort des Bruders Marcus im zweiten Buch, wo auf die Auseinandersetzung des Poseidonios mit den »causae prognosticorum« Bezug genommen ist (47), aufschlußreicher ist hingegen die frühere Stelle, an der die Lehrübereinstimmung des Poseidonios mit Chrysipp und Antipater betont wird (div.2,35) und so die an einer Position des Bruders geäußerte Kritik zu einer Kritik der orthodoxen stoischen Position in dieser Sache fuhrt. Es erscheint im Sinne der Figurenzeichnung Ciceros plausibel, daß Poseidonios gerade wegen seiner kritischen Auseinandersetzung mit der stoischen Orthodoxie chrysippischer Prägung und seinem Versuch, auch nicht-stoische Autoritäten fur die eigene Lehre fruchtbar hinzuziehen,383 nicht recht geeignet schien, das Bild einer in sich geschlossenen stoischen Lehre zu unterstützen. Daher finden sich neben zahlreichen, eher kursorischen Verweisen auf Poseidonios384 die umfangreichsten Belege in nicht-stoischem Zusammenhang, und hier stehen vor allem die theologischen Schriften im Mittelpunkt: Neben den funfBüchern »de divinatione« (= »1tep'i. IlIXVttldlc;;«), auf die Cicero selbst in seiner Schrift über die Wahrsagung verweist

381Vgl. 2,86, mit einer Verteidigung des Panaitios gegen Einwände des Antipater von Tyros, und 3,33 f., wo wiederum der Güterkonflikt zwischen honestum und utile im Mittelpunkt steht. 382div.l,64 (poseidonios als Gewährsmann fiIr die divinatio Sterbender); 125 (Berufung auf Poseidonios in der Herleitung der divinatio von Gott, vom fatum und von der natura) und 130 (Verweis auf die Auffassung des Poseidonios »esse ... in natura signa quaedam rerumJUturarum.). 383Vgl. dazu knapp Steinmetz, Stoa, S.682 f. 384Vgl. ftn. 1,6; Tusc.disp.2,61, und 5,107; nat.deor.l,6; div.1,6; sowie off.1,159, und 3,8 und 10 (hier Testimonien des Poseidonios zu seinem Lehrer Panaitios). 326

(1,6),385 findet sich eine Zitat unter genauer Stellenangabe in der Widerlegung der epikureischen Theologie durch Cotta in »de natura deorum«386 Der umfangreichste Rekurs auf Poseidonios findet sich in »de fato", von dem allerdings durch erhebliche Textverluste nur noch das Ende greifbar ist (5-7): Cicero setzt sich hier mit einer Reihe von Beispielen auseinander, in denen Poseidonios das Wirken des fatum nachzuweisen glaubte, und lehnt diese Begründung seinerseits ab. Die Rekonstruktion der verlorenen Textpartie ist in der Forschung kontrovers,387 fur den vorliegenden Zusammenhang ist immerhin relevant, daß Cicero aus einer Schrift des Poseidonios schöpft, um diesen und mit ihm die orthodox-stoische Lehre von der zu widerlegen. Poseidonios tritt also immer dann explizit und ausfuhrlich in Erscheinung, wenn es um die orthodox-stoischen Positionen geht, nicht aber dann, wenn er seinerseits die orthodox-stoischen Auffassungen kritisiert. Noch deutlicher wird diese Konzentration auf orthodox-stoische Position durch Hekaton von Rhodos, einen weiteren Schüler des Panaitios,388 dessen philosophisches Schrifttum sich allem Anschein nach auf ethische Fragen konzentrierte und der dabei sowohl altstoische Positionen vertrat wie auch die Positionen seines nichtorthodoxen Lehrers Panaitios in den Zusammenhang der altstoischen Orthodoxie zu bringen suchte 389 Cicero rekurriert nur an zwei Stellen auf ihn, einmal, off.3,63, indem er aus seinen »libri de officio ad Q. Tuberonem« die Auffassung zitiert, es sei dem Weisen erlaubt, ein Vermögen zu besitzen, solange er sich »nihil contra leges mores instituta« zu Schulden kommen lasse, das zweite Mal, off.3,89-90, indem er ausfuhrlicher aufHekaton zurückgreift im Zusammenhang mit dem Streit zwischen Diogenes und Antipater über das Verhältnis von Sittlichkeit und Eigennutz; wobei Hekaton dem Weisen das Verfolgen eigener Interessen durchaus gestattet unter der

385Vgl. hierzu neben Steinmetz, Stoa, S.675, vor allem W.Theiler (Hrsg.), Poseidonios. Die Fragmente. 1: Texte. Berlinl New York 1982 (= Texte und Kommentare Band 10.1), S.295-306, der mit einer eingehenden Benutzung dieser Schrift durch Cicero rechnet. Klarheit ist in dieser Sache jedoch nicht zu gewinnen. Bemerkenswert ist die Erwähnung bei Cicero vor allem deshalb, weil sie den Poseidonios in enger Lehrnachfolge mit den Vertretern der stoischen Orthodoxie, allen voran mit Chrysipp zeigt. Denn eine Abweichung von der traditionellen Position wird ausdrücklich bei Panaitios vermerkt, der daher entgegen der Sukzession erst nach Poseidonios erscheint. 386 nat.deor.1,l23 (poseidonios als »familiaris omnium nostrum«, angeführt wird eine Stelle »in /ibm quinto de natura deorum«; zu dieser Schrift »1lepl iJewv« vgl. Poseidonios frgg.344-369 Theiler mit Erläuterungen sowie Steinmetz, Stoa, S.675; auch hier ist von einer Benutzung der Schrift durch Cicero auszugehen, in welchem Umfang hingegen ist ebenfalls nicht auszumachen. 387Vgl. die Erörterungen dieser Frage bei R.Philippson, Rez. A.Yon. PhW 54, 1934, 1031-1038~ Bayer, S 123-126; und Marwede, S.II-14; schließlich HEisenberger, Zur Frage der ursprünglichen Gestalt von Ciceros Schrift De Fato. GB 8,1979,153-172, bes.S.159 f. und 164 f. Grundlage dieser Erörterungen dürfte Poseidonios' Schrift »1lepl dIlUPIlEV'Ij" gebildet haben, deren nähere Gestalt angesichts der wenigen Fragmente kaum erkennbar ist (vgl. Poseidonios frgg.381-386 Theiler mit Erläuterungen, ferner Steinmetz, Stoa, S.675). 388ZU ihm neben Steinmetz, Stoa, S.662-665, vor allem HGomoll, Der stoische Philosoph Hekaton. Seine Begriffswelt und Nachwirkung. Unter Beigabe seiner Fragmente. Bonn 1933; hier auch ausführliche Erörtenlllgen zu seiner Wirkung bei Cicero hier. 3,"SO Steinmetz, Stoa, S.664. 327

Voraussetzung, daß keinem anderen daraus Schaden erwächst. Daß diese ethischpraktischen Fragen gerade unter Rückgriff auf Hekaton erörtert werden, hat seinen Grund wohl in der didaktischen Zielsetzung der Schrift »de ojjiciis«390 und in der Tendenz zu lehrhaft-sentenziöser Zuspitzung bei Hekaton selbst 391 Von noch geringere Bedeutung fur die philosophische Argumentation sind die übrigen zeitgenössischen Stoiker, die Cicero in seinen Philosophica erwähnt. Neben den jeweils einmal angefuhrten Antipater von Tyros, Apollodoros und Dardanos von Athen erscheint immerhin an drei Stellen Mnesarchos von Athen,392 vier Belege gehören Diodot, der diese Nennungen allerdings weniger seiner philosophischen Bedeutung verdankt als vielmehr der Tatsache, daß er als Lehrer und Hausgenosse Cicero lebenslang verbunden war; demgemäß fuhrt Cicero auch von ihm keine Lehrposition an, sondern erwähnt ihn rühmend, vor allem Tusc.disp. 5,113 fur die Überwindung seiner Blindheit allein durch Willenskraft und geistiges Sehen 393 Damit zeigt sich auch bei den stoischen Schulvertretern eine Konzentration auf die ältere Orthodoxie, zu deren Gunsten die Zeitgenossen in den Hintergrund treten. Dies bedeutet auch hier nicht, daß die zeitgenössische Philosophie ohne weiteren Einfluß auf die Philosophica Ciceros geblieben wäre, sondern daß ihre Bedeutung im Bereich nicht benannter Quellenautoren zu suchen ist, während die Diskussion sich explizit weitgehend an den älteren Schulautoritäten ausrichtet.

Epikur und seine Nachfolger Unter den hellenistischen Philosophenschulen nimmt der Epikureismus im Werk Ciceros eine Sonderstellung ein, da er als der eigentliche philosophische Gegner Ciceros fungiert; daher entfällt auch auf ihn eine hohe Zahl von Verweisen und Zitaten,394 wobei hier eine deutliche Gewichtung zu beobachten ist. Denn zunächst ist festzuhalten, daß die überwiegende Zahl von Rekursen Epikur selbst gilt. Auf ihn entfallt die höchste Zahl von Erwähnungen nach Sokrates und Platon, noch vor Aristoteles, Karneades und Chrysipp, den übrigen bedeutenden Schulhäuptern;395 390Vgl. dazu oben S.181 ff. 391Auch hierzu vgl. Steinmetz, Stoa, S.663. 392 Antipater von Tyros: off.2,86 (vgl. zu ihm Steinmetz, Stoa, S.?08 f., der eine Schrift »m:pl KU{h'JlCov't'wv« als Quelle dieses Passus ansieht); Apollodoros: nat.deor.l ,93 ( als Opfer von Schmähungen durch den Epikureer Zenon, seinen Altersgenossen; sonst ist Apollodoros überhaupt nicht kenntlich); Dardanos von Athen: Ac.pr.69 (als führender philosophischer Kopf der Zeit); Mnesarchos von Athen schließlich: Ac.pr.69 (neben Dardanos), Ac.post. frg.l (als Gegner des Karneades), und fin.I,6 sowie - außerhalb der Philosophica - de orat.I,4S (als Schüler des Panaitios) und 83 (mit dem Zitat einer pointierten Charakterisierung der oratores als »operani lingua celen et exercitata«). 393Die übrigen Erwähnungen des Diodot fmden sich in den Philosophica in Ac.pr.IIS und in nat.deor.I,6; anzuführen ist ferner der Beleg in Brutus 309, wo Cicero ihn als seinen Lehrer der Dialektik anfuhrt. Auch Diodot ist außerhalb von Cicero nicht näher kermtlich. 39'ZU Ciceros Anti-Epikureismus vgl. oben S.?3 ff. mit weiterführender Literatur. 395Vgl. das vollständige Verzeichnis der Belegstellen bei Shackleton Bailey, OCT., S.89.

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abgesehen wiederum von Platon werden von keiner philosophischen Autorität so viele Schriftentitel genannt wie von Epikur: 3% In ..de jinibus« und den "Tusculanae displItationes« wird die Schrift "de summo bono«! "de jine«397 angefuhrt, in "de jiniblls« ebenso die ..Kuptat ö6~at«,398 die ..epistllia ad Hermarchum" und das "Testamentum,,;399 in ..de natura deorum« finden sich Epikurs ).de pietale adversus deos«! ..de sanctitate,,400 und ..de regula vel iudicio",401 in ..de divinatione" schließlich die Schrift ..de voluptate,,402 Dabei ist wiederum eine bemerkenswerte Verteilung der Verweise und Zitate zu beobachten; denn mit Ausnahme des Rekurses auf ).de regula et illdicio«, der als Quellenangabe fur die epikureische ProlepsisLehre dient,403 finden sich alle anderen Belege in anti-epikureischen Stellungnahmen bzw. in fingierten Einwänden, auf die dann der Redner antwortet 404 Ungeachtet aller grundsätzlichen Ablehnung epikureischer Philosophie erfolgt damit

396S0 auch bereits Gigon, Geschichte, S.47. 397fin.2,20 (= n:epl. 'tE\.ou,;), dazu 2,100, lUld das große Te~1stück Tusc.disp.3,41 L vgl. hierzu Erler, Epikur, S.93 f. 39"fin.2,20 (= Kuptat ö6~at 10: vgl. dazu Gigon! Straume-ZimmellnalUl, S.446 f. zur Stelle, die auf dieselbe Kombination von Epikur-Zitaten bei Chrysipp (= SVF3,709) hinweisen, lmd P. Von der Mühl1, Zum Wortlaut der zehnten der Kuptat ö6~at Epikurs. MH 22. 1965,229-231), sowie nat.deor.1,85 (= Kuptat ö6~cnl; vgl. dazu außerdem die paraphrasierende Wiedergabe in nat.deor.1,45). Zu diesem »'Katechismus' der Lehren Epikurs« vgl. den knappen Abriß bei Erler, Epikw·. S.80 ff; W.Schmid, RAC5, 1962, Sp681-819 s.v. Epikur, bes. Sp.695 ff, lUld HStecke1, RE. Suppt 11, 1968, Sp.579-652 s. v. Epikuros), bes. Sp.598 f. 39"lin.2,l00 f, fur die »epistula ad Hennarchum« fin.2,96 (vgl. hierzu Erler, Epikur, S.104). >de oratore .. (3, 13 9). Mehrfach geschieht dies in Verbindung mit Platon,426 zweimal bezieht er sich auf dieselbe Anekdote um den erzürnten Archytas. 427 Unter den ArchytasBelegen interessant ist vor allem die in umfangreicher Paraphrase wiedergegebene Rede im »Calo maio.. (39-41) aufgrund des mit ihr verbundenen Phänomens indirekter Augenzeugenschaft, 428 ein Verfahren das - wiederum in Verbindung mit Archytas - Cicero noch einmal im »Laelius.. eingeschlagen hat (Lael.88). Weiterhin erscheinen als Vertreter der pythagoreischen Schule bei Cicero Alkmaion von Kroton, Arion, Echekrates. Hiketas von Syrakus, Lysis, Philolaos von Kroton und Timaios von Lokroi, zumeist in doxographischem Zusammenhang oder im Kontext der Unterweisung von Herrschern durch Philosophen; darüber hinaus erfährt keiner dieser Autoren nähere Aufinerksamkeit. 429 Bemerkenswert ist ferner das völlige Fehlen des P. Nigidius Figulus außerhalb des »Timaios.. -Fragments,430 da mit ihm ein namhafter zeitgenössischer Vertreter der pythagoreischen Schule unberücksichtigt bleibt431 . Ciceros Zurückhaltung gegenüber Vertretern des Pythagoreismus nach Archytas von Tarent ist auch insofern auffallend, als er diese Schule einmal im »Calo maiar.. als »Ilalici philosophi.. bezeichnet (78) und so »römische Ansprüche" gegenüber griechischer Philosophie geltend macht. Die vorsokratischen Philosophen schließlich erscheinen bei Cicero zumeist in Zusammenhang mit doxographischem und anekdotischen Material. 432 Auffallend ist

' 25 Texte und Testimonien bei H. Thesleff, The Pythagorean Texts of the Hellenistic Period. Abo 1965 (= Acta Academiae Aboensis SerA Vol. 30,1), S.2-48, dazu ders., An lntroduction to the Pythagorean Writings of the Hellenistic Period. Abo 1%1 (= Acta Academiae Aboensis SerA Vo1.24,3), passim; weiterhin E. Wellmann/ vJan, RE.2, 1896, Sp.600 ff. s.v. Archytas 3). '26rep.1 ,16; jin.2,45, und 5,87; und Tusc.disp.5,64. Zur Verbindung von Archytas und P1aton vgl. neuerdings G.E.R. Lloyd, Plato and Archytas in the Seventh Letter. Phronesis 35, 1990, 159-174, mit weiterfilhrender Literatur. 427 rep.1,59; und Tusc.dispA,78. '2"Dazu ausführlicher oben S.45 f. '2"Be1ege: Ac.pr.2,123 (Hiketas von Syrakus als Astronom), jin.5,87 (Arion, Echekrates und Timaios von Lokroi), nat.deor.1,27 (Alkmaion von Kroton), und off. 1,155 (Lysis); weiterhin rep.1,16 (Timaios und Philolaos von Kroton) und de orat.3,139 (Lysis und Philolaos). Vgl. auch die Testimonien und Fragmente bei Diels-Kranz. In diesem Zusammenhang ist auch der nur bei Cicero im .cato« als Übermittler der Archytas-Rede genannte Nearchos zu erwähnen (zu ihm oben S.46). ""Dazu oben S.196-205. 43lZU P. Nigidius Figu1us bereits eingehend oben S.203 ff. 432Neben den eingehender zu behandelnden Empedokles, Anaxagoras und Demokrit werden genannt Thales: Ac.pr.118; rep.1,22 und 25; legg.2,26; nat.deor.1,25 und 91; schließlich div.1,111, und 2,58; Heraklit: Ac.pr.118;jin.2,15; Tusc.disp.5,105; nat.deor.1,74, und 3,35; div.2,133;jal.39 (im Mittelpunkt steht dabei seine sprichwörtliche »Dunkelheit./ »obscuritasu, doxographische Angaben finden sich lediglich an zwei Stellen); Anaximander: Ac.pr.1l8; nat.deor.1,25, und div.1,112; Anaximenes: Ac.pr.118 und nat.deor.1,26; Xenophanes: Ac.pr.14. 74. 118. 123. 129; nat.deor.1,28; div.1,5 und 87; Parmenides: Ac.pr.14. 74. 118 und 129, sowie nat.deor.1,28 (als früher Kronzeuge der radikalen Skepsis); Zenon von Elea: Ac.pr.129, dazu die anekdotenhaften Berichte in Tusc.disp.2,52, und nat.deor.3,82; Leukipp: Ac.pr.118 und nat.deor.1,66 (gemeinsam mit

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dabei vor allem die Tatsache, daß kein vorsokratischer Philosoph in ..de officiis.. belegt ist, daß außer einem Verweis auf die ..obscuritas.. Heraklits weiterhin kein Beleg zu ..de finibus .. gehört und daß schließlich auch die Zahl der Belegstellen in den Tusculanen äußerst gering ist. Dies entspricht durchaus Ciceros eigener Formulierung, derzufolge Sokrates als erster die Philosophie vom Himmel herabgerufen und ihr einen Platz in den Städten zugewiesen habe;433 die Abwendung von naturphilosophischer Spekulation hin zu theoretischen und praktischen Fragen der Ethik, die Sokrates' Wirken auch nach Cicero charakterisiert, läßt den Vorsokratikern nur mehr einen Platz in der Philosophiegeschichte, fur die aktuelle philosophische Diskussion sind sie als ..physici« ohne unmittelbare Bedeutung. 434 Unter den Vorsokratikern genießt lediglich Empedokles zusammen mit Demokrit und Anaxagoras innerhalb der ciceronischen Philosophica eine Sonderstellung, was nicht zuletzt in der Zahl der Belege zum Ausdruck kommt. 435 Dabei wird neben einzelnen Lehrpositionen zur Frage nach der Natur des animus ( ..animum esse cord; suffusum sanguinem«, Tusc.disp.l,19), zum Wirken desfatum (»omnia itafatofieri ut idfatum vim adfe"et«,fat.39) und zu denprincipia rerum (Ac.pr.118) vor allem seine Vorläuferschaft zur radikalen Skepsis betont: In Ac.pr. 14 wirft Lucullus seinem Gegenredner Cicero vor, Empedokles fur seine Auffassung in Anspruch zu nehmen - neben Empedokles erscheinen in diesem Zusammenhang noch Anaxagoras, Demokrit, Parmenides, Xenophanes, Platon und Sokrates, in 74 beruft sich dann Cicero als Vertreter der Skepsis karneadeischer Prägung auf Empedokles in

Demokrit); Melissos von Samos: Ac.pr.118; ferner Eukleides: Ac.pr.129; und Diogenes von Apollonia: nat.deor.I,29; Bias von Priene wird lediglich als einer der sieben Weisen erwähnt, Parad.Stoic.8 mit der Anekdote des »omnia mea mecum porto., im Lael.59 im Zusammenhang einer falschlich untergeschobenen Lehnneinung zur amicitia. Angesichts dieser geringen Zahl von Belegen der Vorsokratiker bei Cicero liegen auch nur sehr wenige Untersuchung zur Präsenz vorsokratischer Philosophen in den Philosophica vor; zu nennen sind lediglich HDiller, Heraclitea bei Cicero. In: W.Wimmel (Hrsg.), Forschungen zur römischen Literatur. Festschrift K.Büchner. Wiesbaden 1970, 60-65, und A. Grilli: Democrito e I'Hortensio. In: Studi in onore di A.Barigazzi. Vol.I. Roma 1986, 263-276. 433 Tusc. disp. 5,1 0, dazu ausführlich 1.Kerschensteiner, Socrates philosophiam devocavit a caelo. Festschrift Fanz Egermann. München 1985, 41-56. 434»physici. als Kollektivbezeichnung in nat.deor.I,66, im Zusammenhang mit Leukipp und Demokrit; als Einzelbezeichnung gebraucht in Tusc.disp.5,l05, für Heraklit, und in div. 2,58, für Thales und Anaxagoras. mNeben rep.3,19, und de orat.I,217 (Empedokles als »physicus.), sind anzufuhrenAc.pr. 14,74 und 118; Ac.post.44; Tusc.disp.l, 19; nat.deor.1 ,29 und 93; sowie fat.39. Hinzuzählen ist ferner der Beleg in Lael. 24, wo Empedokles nicht namentlich erscheint, aber durch die Umschreibung »Agrigentinus ... doctus quidam vi,.. erkennbar ist; dabei wird seine Lehre zum Beweis der einigenden Kraft der Freundschaft herangezogen. Die auffallende Unbestimmtheit der Bezeichnung wird noch zusätzlich dadurch vertieft, daß ein anonymes »ferunt. als Gewährsangabe sowohl für die philosophische Position selbst wir für ihren Autor dient. Der Grund für dieses Verfahren ist nicht klar erkennbar: Er kann sowohl in einer gewissen Unbestimmtheit als Ausdruck kolloquialer Entspanntheit dienen oder zum Ausdruck einer Unbekanntheit der empedokleischen Kosmologie auch unter philosophisch gebildeten Laien; schließlich ist aber auch ebenso denkbar, daß der »verfehlten« Lehre des Empedokles kein breiter Raum zugestanden werden soll. 336

seiner Auffassung von der Unzulänglichkeit der Sinnesorgane; auch Ac.post.44 wird Empedokles wiederum durch Cicero, wiederum neben Sokrates, Demokrit und Anaxagoras für die Auffassung zitiert »nihil cognosci nihil percipi nihil sciri posse ... , angustos sensus imbecillos animos brevia curricula vitaec