Form und Funktion der Reflexiva in österreichischen Varietäten des Bairischen 9783515110020

Die auffälligsten Unterschiede zwischen Dialekten und ihren Standardsprachen betreffen die lautliche Ebene (Phonologie)

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German Pages 212 [214] Year 2015

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VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
TABELLENVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 THEORETISCHE EINORDNUNG UND METHODISCHE KONSEQUENZEN
2.1 VORBEMERKUNGEN
2.2 DER UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND
2.3 DIALEKTSYNTAX – THEORIE(N)
2.4 DATENGRUNDLAGE
2.5 ZUSAMMENFASSUNG
3 FORMENINVENTAR UND MORPHOSYNTAKTISCHE KLASSIFIZIERUNG
3.1 ZIELSETZUNG
3.2 FORMENINVENTAR I
3.3 VON WORT BIS AFFIX
3.4 EMPIRISCHE ÜBERPRÜFUNG UND KLASSIFIZIERUNG
3.5 ZUSAMMENFASSUNG
4 SYNKRETISMEN UND PARADIGMATISCHE UMSTRUKTURIERUNG
4.1 ZIELSETZUNG
4.2 TERMINOLOGISCHE KLÄRUNG
4.3 SYNKRETISMEN IN DER 3. PERSON
4.4 SYNKRETISMEN BEI HÖFLICHKEITSFORMEN
4.5 DER REFLEXIVMARKER IN DER 1. PERSON PLURAL
4.6 ZUSAMMENFÜHRUNG
5 INTENSIVIERUNG UND DESAMBIGUIERUNG
5.1 VORBEMERKUNGEN
5.2 AUSGANGSPUNKT
5.3 FORM UND FUNKTION VON SELF
5.4 DAS REFLEXIVUM ALS OBLIQUES OBJEKT
5.5 ZUSAMMENFASSUNG
6 FUNKTIONEN DES REFLEXIVUMS: NATIONALE UND DIALEKTALE STRUKTUREN
6.1 VORBEMERKUNGEN
6.2 FUNKTION DES REFLEXIVUMS I: AKKUSATIV
6.3 FUNKTION DES REFLEXIVUMS II: DATIV
6.4 DIE PSEUDOMEDIALE KONSTRUKTION
6.5 ZUSAMMENFASSUNG
7 SCHLUSSBEMERKUNGEN
LITERATURVERZEICHNIS
APPENDIX
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Form und Funktion der Reflexiva in österreichischen Varietäten des Bairischen
 9783515110020

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BEIHEFTE

Ursula Stangel

Form und Funktion der Reflexiva in österreichischen Varietäten des Bairischen

Germanistik

ZDL

Franz Steiner Verlag

zeitschrift für dialektologie und linguistik

beihefte

161

Ursula Stangel Form und Funktion der Reflexiva in österreichischen Varietäten des Bairischen

zeitschrift für dialektologie und linguistik beihefte In Verbindung mit Michael Elmentaler und Jürg Fleischer herausgegeben von Jürgen Erich Schmidt

band 161

Ursula Stangel

Form und Funktion der Reflexiva in österreichischen Varietäten des Bairischen

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11002-0 (Print) ISBN 978-3-515-11047-1 (E-Book)

Meinen Eltern

VORWORT Dieses Buch ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation gleichen Titels, die im Rahmen des Linguistischen Internationalen Promotionsprogrammes LIPP der Ludwig-Maximilians-Universität München 2012 eingereicht, angenommen und verteidigt wurde. Eine Dissertation zu schreiben ist schwer möglich ohne Unterstützung. Mir wäre es unmöglich gewesen, meine Dissertation zu Ende zu bringen, ohne die Begleitung, Hilfe und den Rückhalt der folgenden Menschen, die auf ganz unterschiedliche Art, aber in jeder Weise unabdingbar wichtig zum Abschluss dieser Arbeit beigetragen haben. Beginnen möchte ich mit dem Dank an meinen Doktorvater PD David Restle. Die Reflexiva im Bairischen zu betreuen war bestimmt nicht immer einfach. Die Gespräche und Diskussionen über dieses Thema waren jedoch stets spannend und wertvoll und das Vertrauen in mich und diese Arbeit unschätzbar. Als Zweitgutachter hat Prof. Anthony Rowley dieses Werk begleitet. Seine Begeisterung für das Bairische mit all seinen Varietäten und Phänomenen hat mich immer wieder aufs Neue „angesteckt“ und ermutigt. Für intensive und wertvolle Diskussionen möchte ich mich auch bei Prof. Elena Skribnik bedanken, die sich auch als Drittprüferin der Disputation dieser Arbeit der Reflexiva des Bairischen in Österreich angenommen hat. Dank gilt auch Prof. Elisabeth Leiss und Prof. Werner Abraham für ihre Hinweise, Vorschläge und Anstöße zur kritischen Reflexion über die eigene Arbeit. Im Zusammenhang mit meinen universitären Lehrern ist noch eine Person besonders hervorzuheben: Prof. Bernhard Hurch, Universität Graz. Details zu erkennen und große Zusammenhänge zu sehen, die Wissenschaft auch in ihrer historischen Dimension zu fassen und das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren, sind nur die wichtigsten Dinge, die ich von ihm gelernt habe. Eine Promotion in einem strukturierten Programm durchführen zu können, war für mich ein großes Privileg. Unter allen Kolleginnen und Kollegen im LIPP möchte ich mich besonders bei Sylvia Jaki, Tabea Reiner und Conceição Cunha für ihre Rückendeckung, Hilfe und vor allem ihre Freundschaft und Loyalität bedanken. Ein weiteres herzliches Dankeschön sei der wissenschaftlichen Koordinatorin des LIPP Dr. Caroline Trautmann ausgesprochen, die in allen Abschnitten meiner Promotion eine ganz wichtige Anlaufstelle für mich war. Nun ist es Zeit, den Menschen Dank zu bekunden, die mir abseits der akademischen Welt immer zur Seite gestanden haben. Am Beginn dieses persönlichen Teils meiner Danksagung sollen meine Eltern Barbara und Johann Stangel stehen. Sie haben von Anfang an meine Begeisterung für die Linguistik geteilt – ich hatte das große Glück, dass ich meine Studienwahl nie rechtfertigen musste, sondern in

8

Vorwort

meinen Eltern vielmehr Weggefährten gefunden habe. Mein Elternhaus war immer ein Ort der Erholung, des Austauschs und des Lachens. Niemand anderem als euch kann dieses Buch gewidmet sein. Auch mein Bruder Johannes war mir ein wichtiger Begleiter, der mit Verständnis und vor allem Witz meine auch durchaus vorhandenen zweifelnden Momente leichter gemacht hat. In diesen Kreis sind auch Kristina Sonnleitner und Manuel Gotthalmseder aufzunehmen, deren Freundschaft und Rückhalt gerade vor Abgabe der Dissertation gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Auch auf dem Weg zur Veröffentlichung meiner Dissertation habe ich wichtige Unterstützung erfahren, die nicht unerwähnt bleiben darf. Zu danken habe ich hier vor allem Thomas Weidhaas, dessen Geduld und Ungeduld, diese Dissertation schließlich ein gedrucktes Werk werden ließ. Zum Schluss ist auch noch dem Phonogrammarchiv Wien für die Verwendung einiger Aufnahmen aus der Sammlung von Maria Hornung und Eberhard Kranzmayer und natürlich auch allen Teilnehmern an der Umfrage mittels Fragebogen zu meiner Studie zu danken.

INHALTSVERZEICHNIS ABBILDUNGSVERZEICHNIS .................................................................... 15 TABELLENVERZEICHNIS ......................................................................... 17 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ................................................................... 19 1 EINLEITUNG ............................................................................................ 21 2 THEORETISCHE EINORDNUNG UND METHODISCHE KONSEQUENZEN ................................................................................... 25 2.1 Vorbemerkungen ................................................................................ 25 2.2 Der Untersuchungsgegenstand ........................................................... 25 2.2.1 Dialekt, regionale Umgangssprache, Standardvarietät ........... 26 2.2.2 Bundesstaatliche Varietäten .................................................... 27 2.2.3 Schlussfolgerungen ................................................................. 28 2.3 Dialektsyntax – Theorie(n) ................................................................ 28 2.3.1 Dialektologie ........................................................................... 29 2.3.1.1 Syntaktische Erhebungen in der Dialektologie allgemein ................................................................... 29 2.3.1.2 Reflexiva und Personalpronomina in der Dialektologie ............................................................. 30 2.3.2 Syntaxtheorien......................................................................... 30 2.3.2.1 Arbeiten zum Bairischen ........................................... 31 2.3.2.2 Makro- und Mikrovariation in generativen Syntaxmodellen ......................................................... 32 2.3.3 Typologie ................................................................................ 34 2.3.3.1 Variation .................................................................... 34 2.3.3.2 Zusammenführung..................................................... 34 2.3.4 Synthese .................................................................................. 35 2.4 Datengrundlage .................................................................................. 37 2.4.1 Methodische Schlüsse ............................................................. 37 2.4.2 Quellenvielfalt und Verlässlichkeit der Daten ........................ 38 2.4.3 Fragebogenerhebung ............................................................... 38

10

Inhaltsverzeichnis

2.4.3.1 Fragebögen: Typologie und Dialektologie im Vergleich ................................................................... 39 2.4.3.2 Metadaten .................................................................. 42 2.4.3.3 Aufbau ....................................................................... 43 2.4.3.4 Zu prüfende Distributionen ....................................... 44 2.4.4 Verteilung und Auswertung .................................................... 44 2.5 Zusammenfassung .............................................................................. 45 3 FORMENINVENTAR UND MORPHOSYNTAKTISCHE KLASSIFIZIERUNG................................................................................. 47 3.1 Zielsetzung ......................................................................................... 47 3.2 Formeninventar I ................................................................................ 48 3.2.1 Personalpronomina .................................................................. 48 3.2.1.1 Vorbemerkungen ....................................................... 48 3.2.1.2 Überblick über die Paradigmen ................................. 49 3.2.2 Reflexiva ................................................................................. 52 3.2.2.1 Gegenüberstellung: Bairisch und Standarddeutsch ... 52 3.2.2.2 Typologische Überlegungen...................................... 55 3.3 Von Wort bis Affix ............................................................................ 57 3.3.1 Abgrenzungskriterien und Klassifikationsvorschläge............. 57 3.3.1.1 Selbstständig – klitisch .............................................. 58 3.3.1.2 Klitika und angrenzende Formen .............................. 62 3.3.1.3 Dreiteilung des PERSPRON-Systems ........................... 65 3.3.1.4 Klitikon oder Flexiv .................................................. 69 3.3.1.5 Kategoriale Klassen oder Kontinuum ....................... 70 3.3.2 Abfolge von Vollform und Klitikon ....................................... 71 3.4 Empirische Überprüfung und Klassifizierung ................................... 74 3.4.1 Vorannahmen .......................................................................... 74 3.4.2 Stellungsbeschränkungen von REFL ........................................ 75 3.5 Zusammenfassung .............................................................................. 78 3.5.1 Formeninventar II.................................................................... 78 3.5.1.1 Personalpronomina .................................................... 78 3.5.1.2 Reflexiva ................................................................... 79 3.5.2 Ausgangspunkt und Ausblick ................................................. 80 4 SYNKRETISMEN UND PARADIGMATISCHE UMSTRUKTURIERUNG ......................................................................... 83 4.1 Zielsetzung ......................................................................................... 83 4.2 Terminologische Klärung .................................................................. 84 4.3 Synkretismen in der 3. Person ............................................................ 85 4.3.1 Exkurs: Synkretismus von Dativ und Akkusativ .................... 86

Inhaltsverzeichnis

4.3.1.1 4.3.1.2 4.3.1.3 4.3.1.4

Überblick ................................................................... 86 Phonologische Faktoren ............................................ 88 Syntaktische und semantische Eigenschaften ........... 90 Die Sonderstellung des Neutrums, Femininums und Plurals ........................................................................ 94 4.3.1.5 DEMPRON und PERSPRON............................................ 95 4.3.2 Erhalt von PERSPRON statt REFL............................................... 97 4.3.2.1 Geographische Distribution und Geschichte ............. 97 4.3.2.2 Eigenschaften des reflexiven Dativs ......................... 98 4.4 Synkretismen bei Höflichkeitsformen ............................................. 101 4.4.1 Synchrone Befunde ............................................................... 101 4.4.1.1 Gegenüberstellung: 3. Person Plural und höfliche Anrede ..................................................................... 101 4.4.1.2 Respekt im Plural .................................................... 103 4.4.2 Diachrone und funktionale Überlegungen ............................ 104 4.5 Der Reflexivmarker in der 1. Person Plural ..................................... 105 4.5.1 Sprachkontakt ........................................................................ 105 4.5.2 Systeminterne Faktoren ......................................................... 107 4.5.2.1 Archaismus .............................................................. 107 4.5.2.2 Homophonie bei Pronomina .................................... 108 4.5.2.3 Formengleichheit der Flexion.................................. 109 4.5.3 Zusammenfassung ................................................................. 110 4.5.3.1 Vergleich der Ansätze ............................................. 110 4.5.3.2 Ein mögliches Szenario ........................................... 112 4.5.3.3 (Re)Kapitulation ...................................................... 113 4.6 Zusammenführung ........................................................................... 114 5 INTENSIVIERUNG UND DESAMBIGUIERUNG............................... 117 5.1 Vorbemerkungen .............................................................................. 117 5.2 Ausgangspunkt ................................................................................. 118 5.3 Form und Funktion von SELF ......................................................... 121 5.3.1 Typologische Grundlagen ..................................................... 121 5.3.1.1 Formale Charakterisierung ...................................... 121 5.3.1.2 Semantische und funktionale Aspekte..................... 123 5.3.2 Morphologisch komplexe REFL im Bairischen ...................... 129 5.3.2.1 PERSPRON und SELF .................................................. 129 5.3.2.2 REFL und SELF .......................................................... 130 5.3.2.3 Zusammenführung................................................... 131 5.4 Das Reflexivum als obliques Objekt ................................................ 133 5.4.1 Bestimmung der Strategien ................................................... 133 5.4.2 Momentaufnahme eines Kategorienwandels ........................ 136

11

12

Inhaltsverzeichnis

5.5 Zusammenfassung ............................................................................ 140 5.5.1 Formale und funktionale Prinzipien ...................................... 140 5.5.2 Unterspezifizierte Gerichtetheit ............................................ 141 5.5.3 Schlussbemerkungen und Ausblick ...................................... 142 6 FUNKTIONEN DES REFLEXIVUMS: NATIONALE UND DIALEKTALE STRUKTUREN ............................................................. 145 6.1 Vorbemerkungen .............................................................................. 145 6.1.1 Ausgangspunkt ...................................................................... 145 6.1.1.1 Reflexiva im österreichischen Deutsch ................... 145 6.1.1.2 Verwendung des REFL im Dialekt ........................... 147 6.1.2 Fragestellungen ..................................................................... 149 6.2 Funktion des Reflexivums I: Akkusativ ........................................... 149 6.2.1 Die Funktion des REFL im Deutschen ................................... 149 6.2.2 Anaphorisch und inhärent reflexiv ........................................ 151 6.2.2.1 Anaphorisches REFL................................................. 152 6.2.2.2 Inhärentes REFL ........................................................ 155 6.2.3 Mittelverben .......................................................................... 157 6.2.4 Zwischenfazit ........................................................................ 160 6.3 Funktion des Reflexivums II: Dativ ................................................. 160 6.3.1 Ausgangspunkt ...................................................................... 160 6.3.2 Reflexive Dative allgemein ................................................... 161 6.3.2.1 Im Deutschen ........................................................... 161 6.3.2.2 Im Sprachvergleich.................................................. 165 6.3.3 Im Bairischen und Österreichischen ..................................... 168 6.3.3.1 Fallbeispiele............................................................. 168 6.3.3.2 Bemerkungen zum Sprachkontakt........................... 172 6.4 Die pseudomediale Konstruktion ..................................................... 173 6.4.1 Überblick ............................................................................... 173 6.4.2 Daten und Fakten .................................................................. 175 6.4.2.1 Kasusvariation ......................................................... 175 6.4.2.2 Geographische Verteilung und Produktivität .......... 177 6.4.3 Die Mittelkonstruktionen im Deutschen ............................... 180 6.4.3.1 Syntaktische Struktur .............................................. 180 6.4.3.2 Funktion................................................................... 181 6.4.4 Die pseudomediale Konstruktion des Bairischen ................. 183 6.4.4.1 Syntaktische Struktur .............................................. 183 6.4.4.2 Funktion................................................................... 185 6.4.5 Zusammenführung ................................................................ 187 6.5 Zusammenfassung ............................................................................ 188

Inhaltsverzeichnis

7 SCHLUSSBEMERKUNGEN ................................................................. 189 LITERATURVERZEICHNIS ...................................................................... 193 APPENDIX................................................................................................... 203

13

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Überschneidungen der relevanten Bereiche von Dialektologie, Typologie und theoretischer Syntax ................................. 36 Abbildung 2: Typologie der Reflexiva nach morphologischen Gesichtspunkten (modifiziert nach JAKUBOWICZ 1994, 208; Übersetzung US) ...................................................................................... 57 Abbildung 3: Einteilung von Wort – Klitikon – Affix (nach HASPELMATH 2002, 149) ................................................................ 58 Abbildung 4: Kontinuum zwischen Lexem und Klitikon (nach NÜBLING 1992, 65) .................................................................................................. 59 Abbildung 5: Dreiteilung der PERSPRON (nach CARDINALETTI 1999, 62) ...... 66 Abbildung 6: Kontinuum zwischen Vollform und Klitikon ........................... 71 Abbildung 7: Überprüfung der CL-Abfolgen .................................................. 75 Abbildung 8: Verteilung der Abfolge von si und DOCL.................................. 77 Abbildung 9:Reanalyse der Objektskasus im M nach [+betont] und [–betont] (nach HOWE 1996; schematische Darstellung US)................... 90 Abbildung 10: Reanalyse der Objektskasus nach dem Belebtheitskriterium . 93 Abbildung 11: Nicht-klitsche Reflexivierung bei 1PL .................................. 112 Abbildung 12: Reflexivierung bei Kontrastfokus und Modifikation ........... 119 Abbildung 13: REFL als obliques Objekt – außengerichtet ........................... 134 Abbildung 14: REFL als obliques Objekt – eigengerichtet ............................ 135 Abbildung 15: Horizontale und vertikale Verschiebung des REFL ............... 139 Abbildung 16: Die Strategien auf dem Kontinuum ...................................... 141 Abbildung 17: Außen- und eigengerichtete Interpretation bei ‘denken an’ ....................................................................................... 142 Abbildung 18: Die Unterscheidbarkeit der Partizipanten bei unterschiedlichen Ereignistypen (KEMMER 1993, 73) ........................... 153 Abbildung 19:Direkt reflexives Ereignisschema und körperbezogene Handlung als „middle event schema“ im Vergleich (KEMMER 1993, 71)................................................................................ 156 Abbildung 20:Indirekt reflexiver Situationstyp und „indirect middle event schema“ im Vergleich (KEMMER 1993, 77 und 81) ..................... 166 Abbildung 21: Setzen einer Vollform bei ‘denken’ und ‘kaufen’ ................ 168 Abbildung 22: Doppelte Markierung REFL_DAT + PP ................................... 170 Abbildung 23: Verteilung der Verwendung und des Kasus des REFL nach Altersgruppen ................................................................................ 176 Abbildung 24: Verwendung der pseudomedialen Konstruktion nach Varietät (Relation: Verwendung/Sprecher der Varietät)........................ 177 Abbildung 25: Verteilung der Kasus (Relation: Sprecher/Sprecher mit Verwendung pro Varietät)...................................................................... 178

16

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 26:Akzeptabilität der Beispielsätze nach Varietät (BU1: gewöhnlich bis BU4: ungewöhnlich) .......................................... 179 Abbildung 27: Akzeptabilität der Beispielsätze nach Kasus (BU1: gewöhnlich bis BU4: ungewöhnlich) .......................................... 180

TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1:Dialektkenntnis nach Selbsteinschätzung (tabellarische Übersicht der Karte aus KÖNIG 2004, 134) .............................................................. 27 Tabelle 2: Untersuchungsprioritäten und Methoden im Vergleich ................ 37 Tabelle 3: Fragestellungen und Befragungsstrategie ...................................... 42 Tabelle 4: Metadaten zu den Fragebögen ....................................................... 45 Tabelle 5: PERSPRON im österreichischen Mittelbairisch (nach WIESINGER 1990, 491–42) .......................................................................................... 49 Tabelle 6: Südbairische PERSPRON (Tirolerisch) nach KOLLMANN (2000). ... 51 Tabelle 7: PERSPRON im Bairischen (nach WEIß 1998, 87) ............................ 51 Tabelle 8: REFL und PERSPRON in reflexiver Verwendung im Standarddeutschen.................................................................................... 53 Tabelle 9: Reflexivierungsstrategien im Bairischen ....................................... 55 Tabelle 10: Typologie der pronominalen Reflexivierungsstrategien (modifiziert nach DIMITRIADIS / EVERAERT 2004, 59; Übersetzung US) ...................................................................................... 56 Tabelle 11: Terminologie und Klassifikation zu klitischen und unselbstständigen Formen ........................................................................ 63 Tabelle 12: Grundschema der PERSPRON im Bairischen................................. 79 Tabelle 13: Übersicht über den Zusammenfall von Formen im Paradigma der PERSPRON und REFL in österreichischen Varietäten des Bairischen ................................................................................................. 83 Tabelle 14:Dativform als Objektskasus der 3SG in dialektalen Varietäten des Deutschen und germanischer Sprachen ........................... 87 Tabelle 15:Zeitliche und räumliche Verteilung von PERSPRON und REFL im DAT (nach WALCH / HÄCKEL 1988, 173) .................................. 98 Tabelle 16:Kasusformen der Pronomina der 2SG.HON und der 3PL (modifiziert nach SIMON 2004, 360) ...................................................... 102 Tabelle 17: Abfolge und Auslöser für si....................................................... 108 Tabelle 18: 1PL im Bairischen ...................................................................... 111 Tabelle 19: nicht-klitische Reflexivierungsstrategien .................................. 118 Tabelle 20:Konventionell eigen- und außengerichtete Handlungen (nach KÖNIG / SIEMUND 2000b, 61) .............................................................. 126 Tabelle 21: Ökonomieprinzipien bei REFL.................................................... 132 Tabelle 22: Reflexivierungsstrategien im Bairischen ................................... 136 Tabelle 23: Unterschiedliche Strategien bei obliquem Objekt in eigengerichteter Situation....................................................................... 136 Tabelle 24: Formenbestimmung und Funktionszuweisung .......................... 140 Tabelle 25: Anwendung mehrerer Strategien bei ‘denken an’ ..................... 142

18

Tabellenverzeichnis

Tabelle 26:Unterschiede zwischen den deutschen Standards in Österreich und Deutschland im Bereich der Reflexivierung (nach MUHR 1995, 227) ......................................................................... 145 Tabelle 27: Typen der Funktion von REFL im Deutschen nach KUNZE (1997) ................................................................................ 150 Tabelle 28: Vergleich der syntaktischen und semantischen Eigenschaften der Mittelkonstruktion und der pseudomedialen Konstruktion des Bairischen ............................................................................................... 184

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 1

1. Person

2

2. Person

3

3. Person

AKK

Akkusativ

AUX

Auxiliar

CL

Klitikon/Klitika

DAT

Dativ

DEF

definiter Artikel

DEMPRON

Demonstrativpronomen

DOCL

Klitikon des direkten Objekts

F

feminin/Femininum

FOC

Fokus/Fokusphrase

HON

Honorifikum

IMP

Imperativ

INDEF

indefiniter Artikel

IOCL

Klitikon des indirekten Objekts

IV

intransitives Verb

M

maskulin/Maskulinum

MB

Mittelbairisch

MK

Mittelkonstruktion

MSB

Mittel-Südbairisch

N

neutrum/Neutrum

NOM

Nominativ

NP

Nominalphrase

OCL

Objektsklitikon

OT

Optimalitätstheorie

PERSPRON

Personalpronomen/Personalpronomina

20

Abkürzungsverzeichnis

PhAW

Phonogrammarchiv Wien

PL

Plural

PMK

pseudomediale Konstruktion

PP

Präpositionalphrase

PPERF

Partizip Perfekt

PRÄS

Präsens

PRÄT

Präteritum

PRON

Pronomen/Pronomina

PROPNAM

Eigenname (proper name)

REFL

Reflexivmarker

SB

Südbairisch

SCL

Subjektsklitikon

SELF

Intensifikator ‚selbst‘

SG

Singular

TV

transitives Verb

VF

Vollform

1

EINLEITUNG Die Kennworte des Wieners: Wie komm denn i dazu? Es zahlt sich ja net aus! Tun S’ Ihnen nix an! ARTHUR SCHNITZLER

Diese Kennworte charakterisieren nicht nur, zumindest nach Meinung des literarischen Psychologen SCHNITZLER, die Einstellung und die Struktur der Wiener Seele, sondern spiegeln auch typische grammatische Strukturen des Wienerischen und anderer österreichischer Varietäten wider. Es handelt sich dabei erstens um auffällige Reduktionen der Personalpronomina, zweitens um eine Reflexivierung, die im Duden unter umgangssprachlich verbucht ist, und schließlich um die Verwendung eines Personalpronomens an einer Stelle, an der wohl das Reflexivpronomen zu erwarten wäre. Und das ist auch schon eine fast vollständige Zusammenfassung der Phänomenbereiche, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen. Denn diese Arbeit hat zum Ziel, reflexive Strukturen der österreichischen Varietäten des Bairischen und zum Teil auch des österreichischen Deutsch zu untersuchen. Dazu sind folgende Vorüberlegungen anzustellen: Ein Dialekt zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass er sich in verschiedenen Bereichen vom Standard unterscheidet. Natürlich sind die unterschiedlichen dialektalen Eigenheiten am besten im Vergleich zum Standard sichtbar. Aber ein Dialekt muss auch in seinem System verstanden und somit über Einzelphänomene hinaus untersucht werden. Das soll anhand des Subsystems der Reflexiva hier gezeigt werden. Zum anderen ist es dabei aber auch wichtig, dieses System nicht isoliert zu betrachten, sondern die Unterschiede zwischen Dialekt und Standard auch in einen typologischen Zusammenhang zu setzen. Auch dies soll anhand der Reflexiva in den österreichischen Varietäten ausgeführt werden. Dabei ist aber auch die dialektologische Perspektive interessant, da sich verschiedene Varietäten auch in weniger offensichtlichen Bereichen unterscheiden können. Diese Unterschiede wiederum nicht nur festzustellen, sondern auch zu verstehen, ist ein weiteres Ziel dieser Arbeit. Außerdem ist auch synchron die Beständigkeit der Strukturen zu prüfen, da ein Dialekt durch viele Einflussfaktoren – systemintern und systemextern – ständigem Wandel unterworfen ist. Daher ist es auch wichtig, nicht nur Strukturen zu untersuchen, die als alte dialektale Muster gelten, sondern auch zu prüfen, wie sich diese synchron verhalten. Dazu müssen natürlich verschiedene Perspektiven eingenommen und somit auch unterschiedliche Disziplinen miteinander verknüpft werden: die Dialektologie, die Syntaxforschung und auch die funktionale Typolo-

22

Einleitung

gie. Wie die Zusammenführung von verschiedenen Disziplinen, die für ein solches Vorhaben notwendig ist, aussehen kann, soll im nächsten Kapitel (Kapitel 2) dargelegt werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Methode vorzustellen, denn schließlich sollen hier verschiedene Varietäten aus synchroner Perspektive untersucht werden. Im Zentrum der Untersuchungen stehen vor allem die dialektalen Varietäten des Bairischen in Österreich, also des Mittelbairischen, des mittel-südbairischen Übergangsgebiets und des Südbairischen. Allerdings sind vor allem die Auffälligkeiten in der Funktion des Reflexivums ein Bereich, in dem die Strukturen der Varietäten des Bairischen nicht mehr klar von denen des österreichischen Deutsch abzugrenzen sind, daher werden diese auch in die Untersuchung einbezogen. Nun soll ein kurzer Überblick über die Phänomenbereiche zeigen, mit welchen Strukturen sich diese Arbeit auseinandersetzen wird und in welchem Kapitel diese behandelt werden. Zunächst muss der Frage nachgegangen werden, wie das Reflexivum grundsätzlich morphosyntaktisch eingeordnet werden kann und welche Einteilung dafür praktikabel ist (Kapitel 3). Dazu ist auch ein Vergleich zum System der Personalpronomina sinnvoll, denn schließlich ist eine der augenscheinlichsten Auffälligkeiten im Bairischen der Erhalt eines Personalpronomens an Stellen, in denen im Standarddeutschen ein Reflexivum zu erwarten wäre, wie die folgenden Beispiele zeigen. (1)

Personalpronomen statt Reflexivum Dativ Singular (Oststeiermark, um 1900) fuatgehn denkt er eahm fortgehen denken:3SG 3SG.NOM.M 3SG.DAT.M loß=ih=n lassen:1SG=1SG.NOM=3SG.AKK.M

doh doch

nit NEG

‘Fortgehen, denkt er sich, lasse ich ihn nicht.’ (StMA_180) (2)

Personalpronomen statt Reflexivum Dativ Singular (Kärntnerisch) si hot irn ane firther gekhaft sie AUX 3SG.DAT.F INDEF:PL Schürzen gekauft ‘Sie hat sich Schürzen gekauft.’ (BERNDT 1912, 3)

(3)

Personalpronomen statt Reflexivum Dativ Singular regen=s(i) eana ned so auf PL.HON.AKK nicht so auf regen=PL.HON ‘Regen Sie sich nicht so auf.’

Es ist aber auch der umgekehrte Fall zu finden. So ist in einigen Varietäten in der 1PL ein Reflexivum zu finden. Dass diese Phänomene auch mit den Eigenschaften

23

Einleitung

der Formen und den Stellen, an denen sie zu finden sind, in Verbindung gebracht werden können, wird in Kapitel 4 untersucht. (4)

si für 1PL in einigen Varietäten (z. B. Wienerisch, auch in Oberösterreich) schau-ma si an füm an schauen-1PL

REFL

DEF

Film

an

‘Schauen wir uns einen Film an.’ In Kapitel 5 wird schließlich gezeigt, dass der morphosyntaktische Status der Formen zu einer Struktur des Systems führt, das sich ganz erheblich vom Standarddeutschen unterscheidet. Hier werden auch ganz besonders die verschiedenen Mechanismen und Einflussfaktoren deutlich, die im und auf den Dialekt wirken. Und schließlich sind noch Auffälligkeiten hinsichtlich der Funktion des Reflexivums zu untersuchen. Dabei stehen einerseits Strukturen im Mittelpunkt, die auch für das österreichische Deutsch angenommen werden, und zum anderen auch Phänomene, die wirklich als dialektal verankert gelten können und in den unterschiedlichen Varietäten auch mit verschieden Kasus verwendet werden (Kapitel 6). (5)

reflexiver DAT in bairischen Varietäten und im österreichischen Deutsch mia hom=ma si oba mehr erwoat 1PL.NOM haben=1PL.NOM REFL da etwas gesehen ‘Wir haben wir uns aber mehr erwartet.’

(6) a.

Dialektal verankerte Konstruktion und Kasusvariation gäh=mi so schwààr i 1SG gehen.1SG=1SG.AKK so schwer

b.

i gäh=ma 1SG gehen.1SG=1SG.DAT

so so

schwààr schwer

‘Ich tue mich/mir schwer beim Gehen.’ (wörtlich: ‘Ich gehe mich so schwer.’) (MERKLE [1975] 2005, 135)

2

THEORETISCHE EINORDNUNG UND METHODISCHE KONSEQUENZEN 2.1

VORBEMERKUNGEN

Der Beschäftigung mit spezifischen grammatischen Mustern von Dialekten über phonologische (und morphologische) Phänomene hinaus wurde in den letzten Jahrzehnten immer mehr Aufmerksamkeit zuteil. Zum einen erkannte die Dialektologie, dass morphosyntaktische und syntaktische Besonderheiten nicht nur auf die der gesprochenen Sprache eigenen Anforderungen zurückzuführen sind, wie LÖFFLER in seiner Einführung in die Dialektologie noch behauptet: „Eine Dialektsyntax kann […] für die Zukunft nur im Rahmen einer Linguistik der gesprochenen Sprache sinnvoll sein“ (LÖFFLER 1990, 129; vgl. z. B. auch WEIß 1998, 15 für eine ausführliche Argumentation gegen die Annahme von LÖFFLER). Zum anderen ist die stiefmütterliche Behandlung der Syntax natürlich auch den methodischen Schwierigkeiten geschuldet, die mit der Erhebung von syntaktischen Mustern verbunden sind. Doch ist heute unumstritten, dass die Erforschung von dialektaler Syntax nicht nur möglich, sondern auch wichtig ist und eine Verteilung im Raum von syntaktischen Phänomenen empirisch bestätigt werden kann und muss: Daß die Dialektsyntax entgegen älteren Meinungen ein Gegenstand ist, der eine wissenschaftliche Bearbeitung verdient, ist heute nicht mehr kontrovers. Dennoch kann nicht oft genug betont werden, wie wichtig und auch lohnend die Materie ist, damit es nicht bei der Formulierung von Desideraten bleibt. (PATOCKA 2000, 249–250)

Die Frage, ob die Syntax von Dialekten untersucht werden soll, ist also eindeutig geklärt. In diesem Kapitel soll nun der Frage nach dem Wie nachgegangen werden, sowohl in theoretischer als auch in methodischer Hinsicht, wobei diese beiden Belange nicht unabhängig von einander behandelt werden dürfen. Zunächst ist allerdings der Untersuchungsgegenstand an sich genauer zu definieren. Dabei meint Untersuchungsgegenstand die sprachliche Varietät, in der die Phänomene untersucht werden sollen. 2.2

DER UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

In diesem Kapitel soll also die theoretische und methodische Einordnung dieser Arbeit abgehandelt werden. Das bedeutet allerdings nicht nur, dass verschiedene grammatische Theorien und Schulen, die sich auf unterschiedliche Weise mit den morphosyntaktischen und syntaktischen Strukturen von Dialekten auseinandersetzen, untersucht werden. Es muss auch eine Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes erfolgen. Konkret heißt dies: Dieser Abschnitt behandelt den theoretischen

26

Theoretische Einordnung und methodische Konsequenzen

und methodischen Zugang der Arbeit, muss aber auch die theoretische Auseinandersetzung mit den Begriffen und Begrifflichkeiten liefern, die eine wesentliche Rolle spielen. Es muss also eine Abgrenzung zwischen den Termini und den hier angenommenen Konzepten von Dialekt, Regionalsprache, Standardsprache, österreichischem Deutsch und gesprochener Sprache erfolgen. Diese Erörterung ist deshalb wesentlich, da einige der Phänomene, die hier zu behandeln sind, auch dem österreichischen Deutsch zugeordnet werden, andere wiederum als Gesamtbairisch gelten, und einige sich auf kleinere Regionen beschränken. Dabei ist es nicht vordringlich, eine genaue Klassifikation zu schaffen oder gar klare Grenzen zwischen den oben angeführten Etiketten zu etablieren. Es soll vielmehr eine kritische Besprechung dieser Termini erfolgen und die definitorische und praktische Konsequenz aus dieser Diskussion für das vorliegende Projekt dargelegt werden. 2.2.1

Dialekt, regionale Umgangssprache, Standardvarietät

In den letzten Jahren hat sich eine Regionalsprachenforschung herausgebildet, die sich mit der Stellung der Regionalsprachen, deren Definierbarkeit und der Unterscheidung von Dialekten, Regionalsprachen und auch nationalen Varietäten des Deutschen beschäftigt. Diese Forschungsrichtung ergibt sich nicht zuletzt aus der Beobachtung, dass sich die Einteilung und Betrachtung der Dialekte in den letzten Jahrzehnten auch mit Fragen der Mobilität und der sozialen Schichten auseinandersetzen muss. Das heißt im Wesentlichen: Seit einigen Jahrzehnten sind Sprecher mobiler und somit nicht mehr in kleinen Dialektgemeinschaften fassbar. Möchte man sich mit der vertikalen Abgrenzung (vgl. LENZ 2008) von Dialekt, Regionalsprache, standardnaher Sprache und Standardsprache näher beschäftigen, muss man bedenken, dass sich die Situation in den verschiedenen Dialektregionen sehr unterschiedlich darstellt. So ist nicht nur hinsichtlich des Dialektgebrauchs und der Dialektkenntnis ein Süd-Nord-Gefälle (siehe Tabelle 1) auszumachen, sondern es bestehen auch Differenzen hinsichtlich der Abgrenzbarkeit und Beeinflussung der drei Größen Dialekt (als Basisdialekt), regionale Umgangssprache und Standardsprache, wie aus KÖNIG (2004, 134) veranschaulicht, so ist im Norden eine deutliche Unterscheidung zwischen Standardsprache und Dialekt gegeben, während Richtung Süden die Grenzen zwischen den Lekten immer weniger klar erscheinen.

Der Untersuchungsgegenstand

Selbsteinschätzung Dialektkenntnis in % 81–90

27

Region Deutsch-Schweiz

71–80

Österreich, Bayern, Baden-Württemberg Süd, Saarland, Rheinland-Pfalz

61–70

Baden-Württemberg Nord, Hessen, SchleswigHolstein (!)

51–60

Thüringen

41–50

Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen Nord, Bremen, Hamburg

31–40

Sachsen-Anhalt, Brandenburg Nord, Berlin

21–30

Niedersachsen Süd, Mecklenburg-Vorpommern

0–20

Brandenburg Süd

Tabelle 1: Dialektkenntnis nach Selbsteinschätzung (tabellarische Übersicht der Karte aus KÖNIG 2004, 134)

Wichtig für diese Arbeit sind nun die folgenden Schlüsse, die aus den beiden Darstellungen abgeleitet werden können: Die Dialekte in Österreich sind sehr vital, das bedeutet, dass man im Gegensatz zu anderen Regionen von einer relativen Konstanz des Dialektgebrauchs ausgehen kann. Außerdem ist in den südlichen Dialekten, also vor allem im Bairischen, keine klare Grenze zwischen den drei Größen Basisdialekt, regionale Umgangssprachen und Standardsprache zu ziehen (vgl. dazu auch BESCH 1983). Das heißt, die drei Varietäten können nur idealisiert als Punkte auf einem Kontinuum verstanden werden. In dieser Arbeit ist es also nicht möglich und auch nicht sinnvoll, die relevanten Phänomene auf einer vertikalen Achse einzuordnen. 2.2.2

Bundesstaatliche Varietäten

Syntagmatische Auffälligkeiten im Bereich der Reflexiva werden immer wieder mit den grammatischen Besonderheiten des österreichischen Deutsch hervorgehoben, wobei stets darauf verwiesen wird, dass es sich um slawischen Einfluss handeln soll und dass der Gebrauch meist auf die Umgangssprache beschränkt sei (vgl. EBNER 1988; MUHR 1995; WIESINGER 1988, 93–94). Beliebte Beispiele sind:

28

Theoretische Einordnung und methodische Konsequenzen

(7)

sich erwarten (WIESINGER 1988, 94, vgl. dazu auch ZIEGLER 2010)

(8)

sich (mit jemandem) etwas anfangen (EBNER 1988, 162)

(9)

Er soll sich spielen (WIESINGER 1988, 94; MUHR 1995; WIESINGER 1988, 227)

Eine tiefer gehende Diskussion zur Etablierung eines österreichischen Standards würde hier zu weit führen. Wesentlich ist an dieser Stelle folgende Frage: Warum unterscheidet sich das österreichische Deutsch vom bundesdeutschen Standard? Oder präziser formuliert: Sind einige Phänomene darauf zurückzuführen, dass Österreich zum größten Teil vom Bairischen geprägt ist? Und wenn die oben angeführten Auffälligkeiten wirklich auf den Kontakt mit dem Slawischen zurückzuführen sind, ist dieser Sprachkontakt wirklich der zwischen z. B. dem Tschechischen und dem österreichischen Standard oder doch zwischen einer tschechischen Varietät und einigen österreichischen Dialekten? Meines Wissens wurde auf diese Fragen noch keine befriedigende Antwort gefunden. Leider kann auch im Rahmen dieser Arbeit nicht der Beantwortung dieser Fragen nachgegangen werden. Es ist aber wichtig, diese explizit zu formulieren, da, vor allem mit Berücksichtung der Darstellung oben, folgende Entscheidung abgleitet werden kann: Egal, welchen Weg diese Phänomene gegangen sind – ob von der Standardsprache in den Dialekt oder umgekehrt –, sie sind im dialektalen System verankert. Als Kontrastfolie soll der bundesdeutsche Standard nach diversen Standardisierungsinstitutionen herangezogen werden. 2.2.3

Schlussfolgerungen

Für dieses Projekt ist also nicht wichtig, o b die zu untersuchenden Phänomene auch in anderen, vertikal zu definierenden Varietäten zu finden sind – wobei die vertikale Einteilung gerade in Österreich sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich zu bewerkstelligen ist –, sondern vielmehr, w i e diese sich im dialektalen System verhalten, da dort andere Voraussetzungen zu finden sind als in einem möglichen österreichischen Standarddeutsch. Die Richtung des Transfers beziehungsweise der Interferenzen spielt folglich eine untergeordnete Rolle. 2.3

DIALEKTSYNTAX – THEORIE(N)

In jüngster Zeit lassen sich in Bezug auf die Beschäftigung mit Dialektsyntax grob drei Strömungen ausmachen: Zunächst hat natürlich die (traditionelle) Dialektologie die Syntax von Dialekten (wieder) für sich entdeckt. Hier steht erwartungsgemäß die historische und geographische Dimension der syntaktischen Phänomene im Vordergrund.

Dialektsyntax – Theorie(n)

29

Des Weiteren lässt sich ein funktional und typologisch orientierter Ansatz festmachen, der vor allem den Vergleich von Nonstandardvarietäten untereinander und die Funktionsbedingungen von dialektspezifischen syntaktischen Mustern zum Gegenstand hat und räumliche und funktionale Typologien aufzeigen möchte (vgl. BISANG 2004; CHAMBERS 2004; KORTMANN 2004). Im Sinne der funktionalen Grammatik stehen hier Beschreibungsadäquatheit und, neben der funktionalen Beschreibung von Einzelvarietäten und einzelnen Phänomenbereichen, das Aufzeigen von typologisch geographischen Distributionen im Vordergrund (vgl. HASPELMATH 2008b). Dem gegenüberzustellen ist eine generative Herangehensweise an Dialektsyntax, die Einzelvarietäten – auch im Vergleich mit anderen Varietäten – systemlinguistisch (z. B. ABRAHAM 1996b; ABRAHAM / BAYER 1993; ABRAHAM / WIEGEL 1993; WEIß 1998) und unter dem Gesichtspunkt des syntaktischen Variationspotentials untersucht, vor allem unter der Prämisse der Theorieadäquatheit, und Hypothesen über Makrovariationen auf mikrovariationelle Phänomene überträgt. Im Folgenden sollen die Motivationen, die programmatischen Zugänge und die Erkenntnisziele dieser drei Forschungsrichtungen diskutiert werden. Dabei stehen natürlich sowohl die Einordnung der vorliegenden Arbeit als auch die Relevanz für die zu bearbeitenden Phänomene im Vordergrund. Im Anschluss daran gilt es zu klären, wie die verschiedenen Termini und die damit verbundenen Konzepte von Dialekt, Standarddeutsch und österreichischem Deutsch zu werten sind und wie mit ihnen im Laufe der vorliegenden Untersuchung verfahren werden soll. Der letzte Teil dieses Kapitels widmet sich dem methodischen Zugang, der hier gewählt wurde und der sich auf die Auseinandersetzung mit den relevanten Theorien und Ansätzen zurückführen lässt. 2.3.1

Dialektologie

2.3.1.1 Syntaktische Erhebungen in der Dialektologie allgemein In der Dialektologie steht bei morphologischen und syntaktischen Phänomenen – nicht anders als bei den traditionellen Kerngebieten der Dialektologie, nämlich der Phonologie und Lexikologie, – die geographische Verbreitung im Mittelpunkt der Untersuchungen. Allerdings wurde lange Zeit eine Untersuchung von dialektspezifischen syntaktischen Mustern eher am Rande miterhoben, also ohne große Systematizität. Bemerkungen zu grammatischen Besonderheiten, also zu Morphologie und Syntax von Dialekten, finden sich vereinzelt in Ortsgrammatiken und in Darstellungen zu Einzeldialekten (vgl. als Übersicht über die Forschungsgeschichte zur Syntax von deutschen Dialekten HENN 1983). In den letzten Jahrzehnten wurde versucht, diese Forschungslücken zu schließen: zum einen die Lücke hinsichtlich der geographischen Verbreitung von syntaktischen Phänomenen, zum anderen die lange vernachlässigte eingehende Beschäftigung mit der Syntax von Dialekten über eine dokumentatorische Absicht hinaus. Diese Bestrebungen resultieren natürlich aus der eingangs erwähnten Überwindung der Annahme, dass

30

Theoretische Einordnung und methodische Konsequenzen

dialektale Syntax nicht als eigenständig zu betrachten sei, sondern nur im Rahmen der gesprochenen Sprache als Forschungsdisziplin Bestand habe. In diesem Zusammenhang sind vor allem drei Projekte zu nennen, die seit Jahren eine Vorreiterrolle in der Erhebung von Dialektsyntax einnehmen und sich nicht auf die Untersuchung der Phänomene im Raum beschränken, sondern auch tiefgreifende Studien zu diesen Phänomenen mit verschiedenen Schwerpunkten hervorgebracht haben: das Projekt „Syntax Hessischer Dialekte“ (SyHD), der „Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten“ (SAND) und der „Syntaktische Atlas der Deutschen Schweiz“ (SADS). In dieser Arbeit muss auf einzelne Darstellungen zum Bairischen zurückgegriffen werden, die auch morphologische und syntaktische Besonderheiten berücksichtigen, und eine eigene Erhebung zur geographischen Verteilung der relevanten Phänomene durchgeführt werden, soweit dies in einem Dissertationsprojekt möglich ist. 2.3.1.2 Reflexiva und Personalpronomina in der Dialektologie Untersuchungen speziell zu reflexiven Strukturen gibt es in der Dialektologie kaum. Die einzige Ausnahme bildet BERNDT (1912), der eine breite und stellenweise auch tiefe Arbeit zu den „Verba reflexiva in den Deutschen Mundarten“ verfasst hat und der vorliegenden Arbeit auch als wichtige Referenz dient. Durchaus immer wieder im Fokus von dialektologischen Untersuchungen waren und sind die klitischen Personalpronomina der deutschen Dialekte im Allgemeinen und des Bairischen im Besonderen (z. B. ALTMANN 1984; zum Teil auch MAAK 1983). Diese werden vor allem in Kapitel 3 und 4 eine wesentliche Rolle spielen. Dazu kommen noch generelle Darstellungen des Bairischen, die auch Reflexiva und Personalpronomina mit einschließen (v. a. MERKLE 2005 [1975], 122–124). Auch in eher auf geographische Distributionen von Dialektmerkmalen im Allgemeinen zielenden Arbeiten gibt es ab und an Verweise auf die für diese Arbeit relevanten Phänomene (so zum Beispiel in KÖNIG 2004, 155). Diese Arbeiten sind gut als Quellengrundlage und empirische Absicherung geeignet und liefern auch interessante Fakten zur geographischen und historischen Dimension der Muster. 2.3.2

Syntaxtheorien

In der theoretischen Syntax hat vor allem die generative Schule die syntaktischen Besonderheiten von Dialekten für sich entdeckt. Das liegt zu einem nicht unerheblichen Teil an der Erkenntnis, dass Dialekte als natürlicher Input zu werten sind, im Gegensatz zur Standardsprache, die oft erst im schulischen Umfeld erlernt wird:

Dialektsyntax – Theorie(n)

31

Dialekte sind sowohl in Hinblick auf ihre historische Entwicklung als auch in Hinblick auf ihre Erwerbbarkeit natürliche Objekte. Diese zweifache Natürlichkeit macht die Dialekte zu so interessanten Untersuchungsgegenständen für die Linguistik und insbesondere auch für die Syntaxforschung. (WEIß 1998, 16)

Diese Beobachtung fußt vor allem auf der Unterschiedlichkeit zwischen Standardsprache und Dialekt hinsichtlich Wandel und Erwerbbarkeit. Um Erkenntnisse über die Universalgrammatik zu testen oder sogar zu korrigieren, sind solche „natürlichen“ Sprachen selbstverständlich eine ideale Grundlage. Ausgehend davon sollen in diesem Abschnitt die Annahmen der generativen Schule zu syntaktischer Variation und Dialektsyntax behandelt werden. Dabei steht der Forschungsüberblick im Vordergrund und nicht die tief gehende Darstellung der Theorien, da die relevanten Bereiche in den entsprechenden Kapiteln und Abschnitten besprochen werden sollen. Eine Theorie, die in der Beschäftigung mit Reflexiva natürlich unumgänglich ist, ist die Bindungstheorie, die auch einen wesentlichen Bestandteil der generativen Forschung darstellt. Da in diesem Kapitel allerdings der theoretische und methodische Zugang im Allgemeinen geklärt werden soll, werden hier Einzeltheorien, die sehr spezifisch sind, hier ausgeklammert und erst im entsprechenden relevanten Kapitel eingeführt. 2.3.2.1 Arbeiten zum Bairischen Zunächst ist eine kurze Vorstellung der Pionierarbeiten im Rahmen der generativen Transformationsgrammatik zur Dialektsyntax, vor allem zur Syntax des Bairischen, angebracht. Es wurde entdeckt, dass Dialekte einige syntaktische Eigenschaften und Phänomene aufweisen, die in der (deutschen) Standardsprache nicht vorhanden, für eine generative Syntaxtheorie aber von großem Interesse sind. Die am frühesten und am meisten beachteten dialektspezifischen Bereiche des Bairischen sind die Klitisierung von Personalpronomina, die doppelte Negation, die doppelt gefüllte complementizer-Position (doubly-filled COMP) und die scheinbare Flexion von subordinierenden Konjunktionen. Die erste systematische Beschäftigung mit dialektsyntaktischen Mustern in einem generativen Modell stellt der Sammelband von ABRAHAM / BAYER „Dialektsyntax“ (1993) dar. Des Weiteren ist hier auch noch einmal explizit die „Syntax des Bairischen“ von WEIß (1998) zu erwähnen. Im Sinne des generativen Zugangs zu Daten, nämlich eines induktiven, basieren auch diese Arbeiten hauptsächlich auf Introspektion. Hinsichtlich der Genauigkeit der Analyse der Phänomene sind diese Werke eine wichtige Referenz für das vorliegende Projekt. In diesen Arbeiten ist noch keine programmatische Formulierung zur Variation innerhalb einer Sprache, also zur Dialektvariation, im generativen Kontext zu entdecken, diese wurde erst später formuliert und soll im nächsten Abschnitt behandelt werden.

32

Theoretische Einordnung und methodische Konsequenzen

2.3.2.2 Makro- und Mikrovariation in generativen Syntaxmodellen Bei einer Arbeit zu dialektspezifischen syntaktischen Mustern muss eine wesentliche Konzeption sehr gut durchdacht sein, nämlich die der Variation. Variation scheint zunächst eher eine Konstante in der Typologie als in der generativen Syntax zu sein. Doch sind es Ansätze aus der generativen Syntax, die sich eingehend mit Variation beschäftigen und die auch die Unterscheidung zwischen Mikro- und Makrovariation geprägt haben. Ganz grundsätzlich bezeichnet Makrovariation die (syntaktischen) Unterschiede zwischen Sprachen, während Mikrovariation auf die unterschiedlichen Muster zwischen Dialekten und – sofern vorhanden – auf den Vergleich zur überdachenden Standardsprache hinweist (vgl. BARBIERS / CORNIPS 2002, 3; HENRY 2006, 125). Bei beiden Arten von Variation spielt das theoretische Primitiv der Parametersetzung1 eine wesentliche Rolle, das in der Weiterentwicklung der generativen Transformationsgrammatik, des Principles and Parameters-Ansatzes der 1980er (vgl. dazu z. B. LENERZ 1995, 1173) auch ein für den Formalisten geeignetes Modell darstellt, um Variation im allgemeinen Sinn zu erfassen: Within this framework, syntactic variation is considered as a type of parametric variation, one that is partly the result of the innate principles of Universal Grammar (UG) and partly the result of the triggering experience of exposure to a specific language variety. From this point of view, variation that is language-specific illustrates different “settings” or “values” of a syntactic parameter. (CORNIPS 1998, 2)

Kritik an diesem Modell kommt aus den eigenen Reihen der formalen Syntaxtheorie. Eine ausführliche Argumentation gegen die Annahme von Parametern, vor allem gegen deren Theorieadäquatheit, liefert NEWMEYER (2005, 79–81). Ein schlagendes Argument aus dieser sehr genauen Abhandlung über die Unzulänglichkeiten („deficiencies“) der Parameteridee ist das der zahlenmäßigen Uneingrenzbarkeit der anzunehmenden und angenommenen Parameter (NEWMEYER 2005, 81): „How many parameters are there. […] Certainly hundreds have been proposed since the notion was introduced around 1980“ (NEWMEYER 2005, 81). Nicht zuletzt kann die Annahme von Parametern, die für Variation verantwortlich zeichnen sollen, eine der wichtigsten Prämissen der generativen Grammatik nicht erfüllen, nämlich die Theorieadäquatheit in einer Theorie, welche die Lernbarkeit von sprachlichen Mustern zu erklären sucht: If the number of parameters needed to handle the different grammars of the world’s languages, dialects, and (possibly) idiolects is in the thousands (or, worse, millions), then ascribing them to an innate UG to my mind loses all semblance of plausibility. True, we are not yet at the point of being able to ‘prove’ that the child is not innately equipped with 7846 (or 7,846,938) parameters, each of whose settings is fixed by some relevant triggering experience. I would put my money, however, on the fact that evolution has not endowed human beings in such an exuberant fashion. (NEWMEYER 2005, 83)

1

Auch schon VEITH (1982) beschreibt die Aufgabe einer generativen Dialektologie als die Identifizierung der für die Variation verantwortlichen Parameter, allerdings nicht in Hinblick auf syntaktische Variation.

Dialektsyntax – Theorie(n)

33

Nicht verschwiegen werden darf an dieser Stelle, dass NEWMEYER (2005) nicht nur gegen die Annahme von Parametern argumentiert, sondern auch gegen den Versuch der Integration von typologischen und generativen Erkenntnissen. NEWMEYERS Argumentation gegen Parameter hat schließlich zum Ziel, die variationslinguistische Perspektive, sei es nun Makro- oder Mikrovariation, aus der Erforschung der Universalgrammatik auszuklammern. Die Ansicht, die in der vorliegenden Arbeit vertreten wird, ist allerdings, dass sich beide Richtungen, die funktional-typologische und die generative Grammatik, gegenseitig durchaus befruchten können. Auch aus Sicht der funktionalen Typologie sind Parameter zu verwerfen. CROFT (2003, 80–86) zeigt anhand des pro-drop-Parameters, dass typologisch betrachtet keine guten Vorhersagen abgeleitet werden können, die eine Annahme eines Parameters rechtfertigen. Die Grundkritik, die CROFT äußert, ist folgende: Wenn Parameter eingeführt wurden, um der Variation zwischen Sprachen gerecht zu werden, dann müssten sie so beschaffen sein, dass sie Vorhersagen über mögliche Verbindungen und Distributionen machen können. Augenscheinlich ist dieser Zweck aber nicht erfüllt, da sich zu leicht Gegenbeispiele aus den Sprachen der Welt finden lassen. Eine immer wieder neue Anpassung der Parameter auf neu entdeckte Muster lässt schließlich weiter an der Konzeption dieser Idee zweifeln. Insofern unterscheiden sich die Kritikpunkte an der Erklärung von Variation über Parameter von Seiten der Funktionalisten gar nicht so sehr von denen der generativen Grammatiker wie NEWMEYER. Ein weiterer formaler Ansatz, deren Vertreter das Konzept der Parameter als Erklärung für typologische Variation bzw. Makrovariation – und folglich auch für Mikrovariation – als ungeeignet beurteilen, aber dennoch die Wichtigkeit von Variation auch in einem generativen Rahmen hochhalten und ein Alternativmodell anbieten, ist die Optimalitätstheorie (OT). In diesem Ansatz wird nicht mehr von Parametern, sondern von constraints ausgegangen, die je nach Sprache oder Varietät unterschiedlich geordnet (ranking) sein können. Die OT hat also zum Ziel, Variation innerhalb von und über Sprachen hinweg in einem formalen Ansatz zu fassen (vgl. ARCHANGELI 1997). Wie dieser Ansatz aus Sicht der funktionalen typologischen Richtung zu beurteilen ist, wird weiter unten ausgeführt. Abschließend soll noch einmal eine terminologische Präzisierung erfolgen: Aufgrund der Gleichsetzung von mikroparametrischer Variation und Mikrovariation ist der Terminus syntaktische Mikrovariation generativ geprägt (vgl. BARBIERS / CORNIPS 2002; HENRY 2006). Dennoch wird hier dafür plädiert, diesen Terminus theorieunabhängig beziehungsweise theorieneutral als Überbegriff für dialektal, regiolektal und auch soziolektal definierbare syntaktische Auffälligkeiten zu verwenden. In diesem Sinne soll dieser Begriff also im weiteren Verlauf dieser Arbeit möglichst theorieneutral verwendet und verstanden werden.

34

Theoretische Einordnung und methodische Konsequenzen

2.3.3

Typologie

2.3.3.1 Variation Nun soll gleich an die Ausführungen zum Zugang zu Variation in der formalen Tradition angeknüpft werden. Variation ist natürlich ein wesentliches Konzept in der Typologie. Typologie als ein linguistischer Begriff beziehungsweise eine linguistische Ausrichtung lässt nach CROFT (2003, 1–4) drei Definitionen zu, die alle miteinander zusammenhängen, aber die verschiedenen Schwerpunktsetzungen innerhalb der linguistischen Typologie widerspiegeln: 1. Typologie als typologische Klassifikation auf Grundlage von Sprachenvergleich 2. Typologie als typologische Generalisierung (typologische Universalien) 3. Typologie als Funktionalismus: funktional-typologische Erklärungsansätze beziehungsweise Gegenentwurf zur formalen Grammatiktheorie Wesentliche Bestandteile aller drei Ausrichtungen sind die zentrale Stellung der Empirie und die Suche nach funktionalen, typologisch – also im Sprachvergleich – gewonnenen und bestätigbaren Erklärungen. Darin steckt auch schon der wesentliche Unterschied zu formalen Ansätzen: die stärkere empirische Orientierung und die Idee, dass die linguistische Struktur von Sprache durch deren Funktion erklärt werden muss, im Gegensatz zum formalen Ansatz, bei dem das Formale und die Formalisierung von Sprache im Vordergrund steht. Daraus ergibt sich auch der wesentliche Unterschied zur OT, nämlich dass verschiedene (funktionale) Faktoren nicht geordnet (ranked), sondern gewichtet werden müssen (vgl. CROFT 2003, 85). 2.3.3.2 Zusammenführung Was bedeutet es nun, typologische Ideen mit Dialektsyntax zu verknüpfen? KORTMANN formuliert es für sein Projekt zu Dialekten des Englischen so: [T]his means that the cross dialectal variation observable in individual domains of grammar […] is judged against cross-linguistic variation described in typological studies. (KORTMANN 2002, 193)

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich jedoch nicht um ein groß angelegtes Projekt zu den Dialekten des Deutschen oder den Reflexiva in Dialekten des Deutschen. Wir beschränken uns hier auf einige Subvarietäten des Bairischen, das heißt einer Dialektfamilie. Dennoch ist dieser Gedanke, typologische Erkenntnisse, Beschränkungen und Distributionsverhältnisse auch für diesen kleinen Raum als Hintergrund und auch als Kontrollinstanz für Erklärungsansätze hernzuziehen, sehr sinnvoll und zielführend.

Dialektsyntax – Theorie(n)

35

Nach BISANG (2004) sieht der ideale und somit erstrebenswerte, jedoch sehr ambitionierte Zugang zur Erforschung von Sprachen, Varietäten und Sprache an sich wie folgt aus: [The] integration of typology, dialectology and contact linguistics may open new perspectives for research dealing with linguistic variation and what we can learn from variation about the human brain. (BISANG 2004, 11)

Erwartungsgemäß gibt es am typologisch-funktionalen Zugang zur Dialektsyntax Kritik. So sieht ABRAHAM (2006a; 2006c) eine wesentliche Schwäche dieses Zugangs darin, dass solche funktionalen Beschreibungen und Implikationen ein viel zu grobes Raster darstellen, um Details in natürlichen Sprachen adäquat zu beschreiben oder in ihrem mannigfachen diachronen Wandel zu erklären. (ABRAHAM 2006c, 95)

Dieser Einwand muss natürlich berücksichtigt werden und zwar integratorisch im folgenden Sinne: Bei einer beschränkten Anzahl von Varietäten (einer Dialektfamilie, wie hier dem Bairischen) soll natürlich eine fein granulierte Beschreibung und Analyse vorgelegt werden, die allerdings nicht unbedingt nach einem formalen Modell verlangt. 2.3.4

Synthese

Dass diese Arbeit sich im Umfeld der funktionalen typologischen Grammatiktheorie positionieren will, soll an dieser Stelle einmal ausgesprochen werden. Dennoch ist die Entwicklung in der generativen Theorie nicht zu unterschätzen und auch teilweise sinnvoll zu integrieren. Um diesen Abschnitt abzuschließen, sollen nun die einzelnen Stücke zu einem Bild zusammengefügt werden. Die Annahmen, die dieser Arbeit zugrunde liegen sind also: Funktional-typologische Erkenntnisse sind für die Beschäftigung mit Einzelvarietäten eine lohnende Grundlage. Auch der große Stellenwert der Empirie in der funktional orientierten Linguistik ist als sehr wichtig einzustufen. Allerdings muss bei einer vergleichsweise geringen Anzahl von Varietäten und einem beschränkten Phänomenbereich eine sehr genaue und konsistente Einordnung und Analyse erfolgen, darum sind Arbeitsweise und die Erkenntnisse aus der generativen Ecke eine weitere wichtige Basis, nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass generative Arbeiten zu den hier bearbeiteten Varietäten und Phänomenbereichen wesentlich zahlreicher und umfangreicher sind als aus der Typologie. Dem Vorwurf der formalen Schule an die Typologie und auch an die Dialektologie, dass diese Disziplinen oft über ein deskriptives Moment nicht hinauskommen, soll mit der Feststellung entgegnet werden, dass wohl das eine ohne das andere nicht möglich ist (vgl. dazu auch ROWLEY 1997, 21), wie auch einige Fehler in den Daten von allzu sehr theoretisch ausgerichteten Arbeiten zeigen. Was allen drei Disziplinen, also der formalen Syntax, der funktionalen Typologie und vor allem auch der Dialektologie gemeinsam ist, das ist die zentrale Stellung der Diachronie in den Untersuchungen und Erklärungsansätzen. Auch im

36

Theoretische Einordnung und methodische Konsequenzen

vorliegenden Projekt ist die Aufarbeitung der historischen Entwicklung wichtig, selbst wenn dies oft erschwert wird durch den Umstand, dass es wenige Beschreibungen zu früheren Stadien des Bairischen gibt. Folgende Graphik soll nun abschließend noch einmal die Spezialbereiche der einzelnen Disziplinen zusammenfassen und die wichtigsten Überlappungsgebiete veranschaulichen:

geographische Distribution, Verteilungsbeschränkungen, empirische Orientierung

Dialektologie historische und geographische Dimension

Typologie übereinzelsprachliche Tendenzen, Implikationen und Verteilungsbeschränkungen

historische Entwicklungen

Syntaxtheorie systemlinguistische Fragestellungen; Analyse derEinzelphänomene

Variationsmöglichkeiten und -beschränkungen

Abbildung 1: Überschneidungen der relevanten Bereiche von Dialektologie, Typologie und theoretischer Syntax

37

Datengrundlage

2.4 2.4.1

DATENGRUNDLAGE Methodische Schlüsse

Nicht nur in theoretischer Hinsicht ist es sinnvoll, die Vorzüge aus den jeweiligen Schulen zusammenzuführen oder es zumindest zu versuchen. Auch was methodische Überlegungen betrifft, ist eine Zusammenschau und Zusammenführung ein sehr gewinnbringendes Unterfangen. Tabellarisch seien hier noch einmal die theoretischen Schulen, die oben schon einem Integrationsversuch unterzogen worden sind, und ihre Zugänge und Methoden zur Datenerhebung einander gegenübergestellt:

Dialektologie

Generative Syntax Funktionale Typologie

Untersuchungsgegenstand geographische und historische Dimension von dialektspezifischen Phänomenen Universalgrammatik von Sprache geographische und historische Distribution von Phänomenen in den Sprachen der Welt, funktionale Erklärungen für Distributionen, (tendenzielle und statistische) Universalien

Zugang deduktiv

Methode Fragebögen, Referenzgrammatiken

induktiv2

Introspektion

deduktiv

Fragebögen, Referenzgrammatiken, Feldforschung

Tabelle 2: Untersuchungsprioritäten und Methoden im Vergleich

Um nicht Gefahr zu laufen, Hypothesen und Erklärungsansätze auf fehlerhaften Daten basieren zu lassen, ist – auch im Sinne der Dialektologie und Typologie – zunächst eine deduktive Herangehensweise sinnvoll. Allerdings ist auch die induktive Methode nicht vollständig abzulehnen. Mit Vorbehalt zu sehen ist aber das Vorgehen, seine Daten ausschließlich aus Introspektion zu gewinnen. Denn zum einen kann die Introspektion nur auf die eigene Varietät angewendet werden, womit keine Relation und Variation zu und in anderen Varietäten hergestellt werden kann. Und zum anderen ist auch die eigene Intuition zu hinterfragen, zu überprüfen und zu kontrollieren.

2

Zum Verhältnis zwischen Introspektion und generativer Syntax siehe auch HAIDER (2001).

38

Theoretische Einordnung und methodische Konsequenzen

2.4.2

Quellenvielfalt und Verlässlichkeit der Daten

Grundsätzlich können Sprachdaten auf vier unterschiedliche Weisen akquiriert werden, nämlich auf Basis von schon vorhandenen Sprachbeschreibungen (Grammatiken, Arbeiten zu einzelnen Phänomenen und Phänomenbereichen in einer Sprache oder Sprachfamilie), aus einem bestehenden oder selbst erstellten Korpus, das aus schriftlichen und/oder mündlichen Daten besteht, durch Introspektion (konstruierte Sätze und eigene Grammatikalitätsurteile) und schließlich durch experimentelle Erhebungen, wie zum Beispiel Fragebogenuntersuchungen. Alle vier Typen der Sprachdatensammlung finden Eingang in die hier darzustellende Untersuchung. Konkret setzt sich also der Datenpool dieses Projekts aus folgenden Komponenten zusammen: –



– –

Daten aus der Literatur, genauer aus Darstellungen von Dialekten (Dialektgruppen und Einzelvarietäten), wie Grammatiken (z. B. BERNDT 1912; MERKLE 1975 [2005]; PATOCKA 1997; POHL 1989; ROWLEY 1990; RUSS 1990; WEIß 1998; ZEHETNER 1985) und Arbeiten zu einzelnen Phänomenen, wie zu den Personalpronomina im Bairischen und deren syntaktischer Distribution Daten aus einem selbst erstellten Datenkorpus, das aus folgenden Komponenten besteht: Aufnahmen des Phonogrammarchivs Wien (in den Beispielen angegeben mit PhAW_lfdNr3), eigene Aufnahmen, Primärdaten aus Dialektliteratur, genauer dem „Steirischen Mundartwörterbuch“ (angegeben mit StMA_SeitenNr) und Zufallsbelegen aus dem Internet, Fernsehen, Gesprächen mit Dialektsprechern Daten aus eigenen Grammatikalitätsurteilen (Introspektion), Überprüfung und Ergänzung der gefundenen Daten und angenommenen Distributionen mithilfe eines Fragebogens. 2.4.3

Fragebogenerhebung

Eine Fragebogenerstellung ist sehr genau zu durchdenken. Eine intensive Beschäftigung mit den zu überprüfenden Hypothesen sowie den Möglichkeiten, aber auch Gefahren, die mit einer Fragebogenerhebung verbunden sind, ist unabdingbar. Darum wird der Erläuterung dieser Methode hier auch der größte Raum gegeben. Die sehr detaillierte Darstellung der Konzeption soll die größtmögliche Transparenz und Nachvollziehbarkeit gewährleisten. Außerdem soll hier das oben anhand der Theorien Besprochene, nämlich die Schwerpunktsetzungen der einzelnen Disziplinen und deren Integration, hier seine erste Umsetzung erfahren. Fragebögen sind in allen Teilbereichen der Sprachwissenschaft, bei denen die empirische Überprüfung von Hypothesen eine Rolle spielt, ein mehr oder weniger geeignetes Mittel, um schnell und effektiv an eine große Datenmenge zu gelangen 3

Laufende Nummer nach dem Verzeichnis des Phonogrammarchivs Wien.

Datengrundlage

39

und theoretische Annahmen effizient empirisch zu stützen. Im Rahmen dieser Untersuchung sind es vor allem zwei Disziplinen, die hinsichtlich ihrer Fragestellungen und Methodik wegweisend sind für die Erstellung eines Fragebogens zum vorliegenden Phänomenbereich: die Typologie und die Dialektologie. Warum und wie die Herangehensweisen dieser beiden Zweige hier interessant sind und wie eine sinnvolle Synthese der Methoden für dieses Projekt zu fruchtbaren Ergebnissen führen kann, wird nun im Folgenden dargelegt. 2.4.3.1 Fragebögen: Typologie und Dialektologie im Vergleich Untersuchungen von Einzelphänomenen: typologische Questionnaires Typologische Untersuchungen beziehen ihre Daten meist aus Grammatiken zu Einzelsprachen oder Untersuchungen zu einzelnen Phänomenbereichen einer Sprache oder Sprachgruppe. Diese grammatischen Darstellungen wiederum basieren auf Sprachdokumentation beziehungsweise linguistischer Feldforschung, die sich ihrerseits wieder unterschiedlicher Methoden bedienen. Um allerdings eine breite typologische Studie zu einem Phänomenbereich auf eine große Anzahl von Sprachen stützen und effizient an Daten gelangen zu können, werden in jüngster Zeit Questionnaires eingesetzt, die sich nicht an die Sprecher einer Sprache beziehungsweise Varietät richten, sondern an Experten, also Linguisten, die zu einer bestimmten Sprache oder Sprachgruppe arbeiten (z. B. die Questionnaires zu verschiedenen typologischen Datenbanken und Projekten wie beispielsweise EUROTYP4 und auch GLASER 2000, 269). Diese Art von Fragebögen ist sehr nützlich, wenn grammatikalisch komplexe Phänomenbereiche untersucht werden sollen. Die Spezialisierung auf eine formale und/oder funktionale Kategorie erlaubt es also, verlässliche, spezifische und nicht zuletzt gut vergleichbare Daten zu gewinnen. Allerdings sind diese Fragebögen nicht geeignet, linguistische Laien zu befragen. Für das vorliegende Projekt ist also die Konzeption eines solchen Questionnaire nicht sinnvoll. Die grundsätzlichen Überlegungen, Annahmen und typologisch möglichen Distributionsverteilungen sowie die Vernetzung der einzelnen Phänomene, welche die Fragen des Questionnaires konstituieren, sind hingegen fundamental, da die hier angestrebte Studie sich ja ebenfalls auf einen Phänomenbereich beschränkt. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang der Questionnaire zur Typologie von Anaphern der Universität Utrecht. Auch der Questionnaire des Projektes „Universals and the Typology of Reflexives“ des Utrecht Institute of Linguistics5 verwendet ausschließlich Übersetzungsfragen, es sind dabei englische Sätze von Experten, also Linguisten, in die jeweilige Sprache beziehungsweise Varietät zu bertragen. Dahinter stehen die folgenden Fragestellungen (vgl. 4 5

URL: ; Stand: 15.12.2014. „Questionnaire Anaphora Typology Survey“ URL: ; Stand: 15.12.2014.

40

Theoretische Einordnung und methodische Konsequenzen

„EUROTYP Questionnaires“6 und auch DIMITRIADIS / EVERAERT 2004), die auch grundlegend für das vorliegende Projekt sind: – – –

Welche Reflexivierungsstrategien, also welche formale Markierung von Reflexivität, gibt es grundsätzlich, auch abhängig von Person, Numerus und Respekt? Unterscheiden sich die Reflexivierungsstrategien bei direktem und indirektem beziehungsweise obliquem Objekt? Was sind die Reflexivierungsdomänen?

Konzeption von Fragebögen in der Dialektologie In der Dialektologie stellen Fragebögen ebenfalls ein grundlegendes Instrumentarium dar. Allerdings richten sich hier die Fragebögen ausschließlich an Dialektsprecher, also primäre Informanten, und dienen weniger zur Überprüfung von Einzelphänomenen als vielmehr zur Erfassung der geographischen Distribution von verschiedenen dialektalen Mustern, vornehmlich phonologischer und lexikalischer Art. Diese indirekte Erhebungsmethode wurde auch für morphologische und syntaktische Erhebungen im Raum, also in Hinblick auf ihre geographische Verteilung, zunehmend interessanter (vgl. GLASER 2000, 373–375). Je nach Projekt kommen verschiedene Abfragestrategien zum Einsatz, nämlich Übersetzungsaufgaben vom Standarddeutschen in die jeweilige dialektale Varietät, Vervollständigungsaufgaben und schließlich Grammatikalitätsurteile in Form von Multiple Choice. Diese Abfrageformen führen je nach Phänomen, das auf seine geographische Verteilung hin geprüft wurde, hinsichtlich der Verwertbarkeit der Antworten zu unterschiedlichen Ergebnissen – eine ausführliche Darstellung der einzelnen Projekte und deren Ergebnisse findet sich ebenfalls in GLASER (2000). Übersetzungsaufgaben eignen sich nur bedingt für syntaktische Erhebungen. Die Nachteile, die sich aus der Freiheit der Befragten und der geringen Kontrolle über die Antworten ergeben, liegen auf der Hand: Die Befragten behalten entweder die standarddeutsche Satzstruktur bei und füllen diese mit lexikalisch dialektalem Material, oder es werden unerwartete Strukturen erzeugt, die nicht das zu untersuchende Phänomen betreffen. Diese häufigen Probleme führen zu einem hohen Ausschuss. Natürlich könnte sich aus dem eher ungesteuerten Verfahren der Übersetzungsaufgabe auch der Vorteil ergeben, auf unerwartete und dennoch interessante Konstruktionen zu stoßen. Doch liegt dies außerhalb jeder Berechenbarkeit, basiert also nur auf Zufall, was diesen Vorteil nicht über die genannten Nachteile erhaben macht (vgl. zu den Vor- und Nachteilen dieser Methode auch BUCHELI / GLASER 2002, 59–61 im Rahmen der Darstellung der Erhebungen zum „Syntaktischen Atlas der Deutschen Schweiz“7). Lückentexte beziehungsweise 6

7

„EUROTYP Questionnaires. Typological Tools for Field Linguistics“, Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology Department of Linguistics. URL: ; Stand: 15.12.2014. „Syntaktischer Atlas der Deutschen Schweiz“, Deutsches Seminar der Universität Zürich. URL: ; Stand: 15.12.2014.

Datengrundlage

41

Vervollständigungsaufgaben sind – nicht nur für dieses Projekt – ebenfalls problembehaftet: Grundsätzlich ist diese Art der Abfrage, bei der die Informanten einen Satz vervollständigen müssen, kontrollierter als die reine Übersetzungsaufgabe. Dennoch ergeben sich die gleichen Schwierigkeiten, nur in geringerem Ausmaß (vgl. BUCHELI / GLASER 2002, 61–62). Die präferierte Variante ist eine Multiple-Choice-Abfrage, in der vorgegebene Konstruktionen hinsichtlich ihrer Grammatikalität beurteilt werden müssen, da diese die am besten kontrollierbar ist und effektiv zu vergleichbaren Daten führt. Auch GLASER (2000) und BUCHELI / GLASER (2002) plädieren für diese Methode. Natürlich können mit dieser Technik nur Konstruktionen und Distributionen überprüft und nicht im klassischen Sinne erhoben werden. Aber genau das ist auch das Ziel des Fragebogens für dieses Projekt: die Prüfung und Evaluation der gefundenen und angenommenen Muster und Restriktionen. Der Nachteil ist natürlich, dass es aufgrund der schriftlichen Befragung und der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten unmöglich ist, den orthographischen und phonetischen Besonderheiten der einzelnen Varietäten gerecht zu werden (vgl. dazu auch EICHHOFF 1982). Dieser Minuspunkt beeinträchtigt allerdings die Qualität der Antworten wenig, wie auch GLASER (2000) und BUCHELI / GLASER (2002) darlegen. Entscheidend ist, dass – obwohl es sich um eine schriftliche Befragung handelt – eine Situation simuliert wird, die eine mündliche Äußerung evoziert. Mit anderen Worten, es muss ein Kontext geschaffen werden, in dem eine mündliche Äußerung getätigt wird (vgl. GLASER 2000 und BUCHELI / GLASER 2002). Zusammenführung Wie bereits besprochen, sind dialektale Fragebogenerhebungen darauf ausgerichtet, (morpho)syntaktische Muster im Raum zu bestimmen und, ähnlich wie in phonologisch orientierten Dialektuntersuchungen, Areale und Grenzen von bestimmten syntaktischen Konstruktionen zu erheben. Dabei steht also nicht die detaillierte Untersuchung eines Phänomenbereichs im Vordergrund, im Gegenteil, es sollen so viele dialektspezifische (morpho)syntaktische Phänomene wie möglich auf ihre geographische Verteilung hin überprüft werden. Dies ist jedoch nicht das Ziel der vorliegenden Untersuchung. Zwar spielen geographische und areale Distributionen eine nicht unwesentliche Rolle, doch ist es nur ein Phänomenbereich, der ähnlich wie in typologischen Untersuchungen erfasst werden soll. Das bedeutet nun, dass die Fragestellungen so detailliert sein müssen, wie es ein typologischer Questionnaire zu einem Bereich ist, die Erhebungsmethode aber aus der Dialektologie übernommen werden muss, da sich der Fragebogen nicht an Linguisten, sondern an Dialektsprecher richtet. Die Herausforderung besteht also darin, die Verteilungen und Muster gezielt abzuprüfen, ohne linguistisches Wissen bei den Informanten vorauszusetzen. Die Strategien, die dies gewährleisten sollen, werden im Abschnitt zum Aufbau des Fragebogens vorgestellt. Zunächst soll eine tabellarische Zusammenschau die bisherigen Überlegungen zusammenfassen:

42

Theoretische Einordnung und methodische Konsequenzen

Typologische Fragestellung zu prüfende Distribution Beurteilungsverfahren Reflexivierungsstrategien

si für 1PL eam/ihr/eana für REFL.DAT (si) eana als REFL.HON

Reflexivierungsstrategien Form (REFL oder PER& Reflexivierungsdomänen SPRON) nach Präpositionen; Intensivierung durch söba in betonter Stellung

einfache absolute Bewertung, auch als Überprüfung der geographischen Distribution und Komplementarität

Funktion des Reflexivums und Kasus

mediale Konstruktion Entscheidungsfrage zwimit Dativ oder Akkusativ schen zwei Konstruktionen (DAT vs. AKK)

semantische und syntaktische Restriktionen

Beschränkungen der me- graduelle Bewertung, Zuordnungsaufgaben dialen Konstruktion, reflexiver Dativ, Belebtheit

Tabelle 3: Fragestellungen und Befragungsstrategie

2.4.3.2 Metadaten Die Fragebögen werden nicht ausschließlich an bekannte Personen und geographische Referenzpunkte ausgesendet, da dies einen langen Akquirierungsprozess bedingen würde. Um dennoch eine geographische Zuweisung der Antworten zu erhalten, ist es selbstverständlich auch notwendig, die entsprechenden Metadaten zu erheben. Allerdings muss hier differenziert vorgegangen werden, da eine einfache Zuordnung zum Wohnort oder zum Geburtsort aufgrund der immer höheren Mobilität nicht auseichend ist. Des Weiteren sind auch soziolinguistische Daten zu erfassen. Diese sind zwar nicht von unmittelbarem Interesse für diese Untersuchung, doch können sie bei der Auswertung einzelner Bögen durchaus relevant werden, schließlich können die Einstellung zum Dialekt oder der regelmäßige beziehungsweise nur seltene Gebrauch des Dialekts zu Unterschieden in der Bewertung dialektaler Muster führen. Dies muss im Einzelfall überprüfbar sein. Durch das Verfahren, die Fragebögen auch über das Internet zu verbreiten, sichern die Metadaten zudem die Überprüfbarkeit der Authentizität der Antworten.

Datengrundlage

43

2.4.3.3 Aufbau Verwendete Abfragetypen Die Begründung dafür, die Fragestellung als Multiple-Choice-Abfrage zu gestalten, wurde bereits gegeben. Jedoch stellt dieses Frageschema keine einheitliche Methode dar, vielmehr handelt es sich um einen Typus, der weiter ausdifferenziert werden muss. Je nach abzuprüfendem Muster und erwartbarer Antwort bieten sich verschiedene Möglichkeiten der Beurteilung an. Dabei kann im Wesentlichen zwischen zwei Beurteilungsvorgaben unterschieden werden, nämlich zwischen einer absoluten und einer graduellen Bewertung. Wie und wann diese Verfahren sinnvoll einzusetzen sind, ist nun zu klären. Bei einer absoluten Bewertung werden implizit oder explizit zwei Möglichkeiten vorgeschlagen: „grammatisch“ oder „nicht grammatisch“, für die Informanten übersetzt in „verwende ich“ oder „verwende ich nicht“, dabei sind auch Mehrfachnennungen zulässig. Diese Art der Multiple-Choice-Abfrage wurde auch für den „Syntaktischen Atlas der Deutschen Schweiz“ verwendet (BUCHELI / GLASER 2002, 63). Diese Methode zwingt den Sprecher, sich für mindestens ein vorgegebenes Muster zu entscheiden. Er kann aber auch zusätzlich Sätze als absolut ungrammatisch klassifizieren. Und schließlich gibt es auch die Möglichkeit, eine nicht vorgeschlagene Konstruktion zu nennen. Diese Option ist auch bei dem hier verwendeten Fragebogen gegeben. Ein expliziter Ausschluss von Konstruktionen wird hier allerdings nicht als sinnvoll erachtet, da der zeitliche Aufwand für die Informanten so gering wie möglich gehalten werden soll. Ein realistischer und zumutbarer Aufwand sind ungefähr 20 Minuten (vgl. EICHHOFF 1982, 552). Eine Bewertungsmodalität, die nur auf tatsächliche Verwendung abzielt und keine negative Beurteilung verlangt, sollte rasch zu erledigen sein. Vor allem bei der Überprüfung von geographischen Distributionen ist positive Evidenz ausreichend. In manchen Fällen ist es allerdings auch nötig, ein explizites Ausschließen einer Konstruktion abzuprüfen, um auch zu negativer Evidenz zu gelangen. Dafür eignet sich das zweite Beurteilungsverfahren, das hier als graduelles Verfahren eingeführt wurde. Für diese Art der Abfrage spricht sich SIMON (2008) aus. Auch hier können die Informanten mehrere Konstruktionen als korrekt bewerten, haben allerdings die Möglichkeit, Abstufungen vorzunehmen. Der Vorteil dieser Methode ist, dass sie auch individuelle Variation erfassen kann. Allerdings ist dieses Verfahren für die Informanten sehr anspruchsvoll und zeitintensiv und kann somit nicht für alle Fragen verwendet werden, will man die Konzentration und Geduld der Informanten nicht überstrapazieren. Für Einzelsätze, die grundsätzlich auf ihre Grammatikalität hin geprüft werden sollen, ist dieser Abfragemodus allerdings gut geeignet.

44

Theoretische Einordnung und methodische Konsequenzen

2.4.3.4 Zu prüfende Distributionen Nun soll das bisher Besprochene konkretisiert werden. In diesem Abschnitt wird demnach geklärt, welche Distributionen (geographisch und syntaktisch) auf welche Art überprüft werden: Die geographische Verteilung und eine mögliche geographisch komplementäre Distribution von eam/ihr/eana als reflexiver Dativ und der Gebrauch des Reflexivums si in der 1PL sowie der Erhalt des Personalpronomens in der Höflichkeitsform beziehungsweise die Doppelmarkierung mit Personalpronomen und Reflexivum sollen mithilfe einfacher absoluter Bewertung untersucht werden. Die Abfolge des Reflexivums in Kombination mit anderen pronominalen Elementen soll mit derselben Strategie überprüft werden. Ebenfalls mit einfacher absoluter Bewertung soll die Verteilung von Reflexivpronomen und Personalpronomen in betonter und unbetonter Stellung erfasst werden, so auch die Kasusvariation beziehungsweise Kasusalternation bei medialen Konstruktionen (wie i geh mi/ma so schwaa ‘ich gehe mich/mir so schwer’). Die Grammatikalität von Einzelkonstruktionen, so wie der doppelte Dativ mit Reflexivum und der dialektspezifische Gebrauch des reflexiven Dativs, soll mit gradueller Bewertung evaluiert werden. Darüber hinaus werden auch semantische Zuordnungen zu pronominalen Elementen durch Zuordnungsaufgaben abgetestet, um Grammatikalitätsurteile, die aus Introspektion gewonnen wurden, und Daten aus der relevanten Literatur zu stützen. 2.4.4

Verteilung und Auswertung

Die Verteilung der Fragebögen erfolgte über E-Mail und Post, wobei hier das Schneeballprinzip erhofft wurde und auch eingetroffen ist.8 So wurden insgesamt 95 verwertbare Fragebögen abgegeben. Die Verteilung nach Bundesländern, den Räumen für Teilvarietäten des Bairischen in Österreich sowie nach Geschlecht und Alter stellt sich wie folgt dar:

8

Einen weiteren Anreiz stellte ein mit der Abgabe des Fragebogens verbundenes Gewinnspiel dar.

45

Zusammenfassung

Bundesland BG L 1 K 5 NÖ 8 OÖ 23 S 7 ST 43 T 3 W 5 n=95

Varietät9

Geschlecht Altersgruppen10

MB 36 MS B 40 SB 19

m

48

1

26

w

47

2 3 4 5 6 undef

25 15 17 8 1 3

Tabelle 4: Metadaten zu den Fragebögen

Die Auswertung der einzelnen Fragestellungen und die Distributionsüberprüfungen erfolgen in den entsprechenden Kapiteln. 2.5

ZUSAMMENFASSUNG

Die theoretische und methodische Positionierung sei damit vorläufig geklärt: Diese Arbeit versucht die Form und Funktion der Reflexiva in österreichischen Varietäten des Bairischen aus einer funktional-typologischen Perspektive zu analysieren. Dabei dürfen aber die wichtigen und grundlegenden Arbeiten der generativen Theorie nicht vernachlässigt werden. Die tiefer gehende Beschäftigung mit einzelnen Theorien und Ansätzen, die für die hier relevanten Phänomene wichtig sind, erfolgt an der jeweils sinnvollen Stelle. Die methodische Konsequenz daraus ist, dass eine gut geprüfte Datengrundlage eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen eines solchen Vorhabens darstellt. Muttersprachliche Intuition kann dabei nicht das alleinige Mittel sein, da diese oft zu Fehlern führt und den Vergleich zu anderen Varietäten – mögen diese auch noch so nah an der Muttervarietät sein – nicht zulässt. Deshalb wurden konstruierte Beispiele und die Verteilung der Phänomene in den einzelnen Varietäten mithilfe einer Fragebogenerhebung überprüft. Hier sei auch noch kurz eine Anmerkung zur Darstellung der Beispiele notiert: Um die Beispiele mit ihren grammatischen Relationen auch Lesern ohne Bairischkenntnisse zugänglich zu machen, wird jedes bairische Beispiel mit einer Interlinearglossierung nach den Konventionen der Leipzig Glossing Rules und einer freien sowie einer wörtlichen Übersetzung abgebildet (vgl. dazu die Kritik von FISCHER / SIMON 2004 an der fehlenden Auszeichnung und Übersetzung der Beispiele bei WEIß 1998). 9 10

MB: Mittelbairisch; MSB: Mittel-südbairisches Übergangsgebiet; SB: Südbairisch 1: 19–30; 2: 31–40; 3: 41–50; 4: 51–60; 5: 61–70; 6: 70+

46

Theoretische Einordnung und methodische Konsequenzen

Abschließend ist noch eine weitere Implikation des hier Besprochenen zu erläutern: Dass und wie diese Untersuchung von den einzelnen linguistischen Ausrichtungen profitieren kann, ist nun geklärt. Eine systematische und empirisch valide Darstellung der syntagmatischen und paradigmatischen Besonderheiten von dialektalen Varietäten, wie sie hier angestrebt wird, liefert aber auch einen wichtigen Beitrag hinsichtlich Daten und Verteilungsbeschränkungen für die erwähnten Bereiche der Dialektologie, Syntax und Typologie.

3

FORMENINVENTAR UND MORPHOSYNTAKTISCHE KLASSIFIZIERUNG 3.1

ZIELSETZUNG

Eine sinnvolle Darstellung des Formeninventars der Reflexiva in ausgewählten Varietäten des Bairischen muss bei einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem System der Personalpronomina ansetzen. Schließlich finden sich Personalpronomina (PERSPRON) an Stellen, an denen das Reflexivum (REFL)11 zu erwarten wäre und vice versa. Auch die reflexive Form an sich muss nicht nur hinsichtlich ihrer phonologischen Abweichung vom Standarddeutschen, sondern auch vor allem bezüglich ihrer morphosyntaktischen Einordnung genauer betrachtet werden. Dazu muss vorausgeschickt werden, dass das Paradigma der PERSPRON im Bairischen – im Gegensatz zum Standarddeutschen – auch über nicht selbstständige oder unbetonte Formen verfügt. Die paradigmatischen und syntaktischen Eigenschaften von Personalpronomina des Bairischen stellen jenen Bereich dar, der auch über die Dialektologie hinaus vor allem in der (theoretischen) Syntax besondere Aufmerksamkeit erfahren hat. Dabei standen einerseits die Erfassung der Form und die Einteilung hinsichtlich betonter, unbetonter und klitischer Formen sowie die Abgrenzung zwischen klitischer Form und Flexiv im Vordergrund (ALTMANN 1984; auch NÜBLING 1992, 65–84 und 118–125). Andererseits wurden die Abfolgerestriktionen der Formen und deren Relationen und Konsequenzen auf formale Syntaxtheorien hin geprüft (ABRAHAM 1996a; ABRAHAM 1996b; ABRAHAM 2005; ABRAHAM / WIEGEL 1993; WEIß 1998, Kapitel 3). Da die Unterscheidung zwischen klitischer, unbetonter und voller Form und die Abfolgerestriktionen dieser drei Realisierungsarten der PERSPRON wesentlich für die weiteren Ausführungen in dieser Arbeit sind, ist es wichtig, die Diskussion um diese Bereiche den anderen Kapiteln vorzuschalten und sie sehr genau zu führen. Im Folgenden werden also die PERSPRON des Bairischen in ihrer paradigmatischen und syntagmatischen Distribution untersucht. Unterschiedliche Klassifizierungen und Analyseversuche werden vorgestellt, nicht nur hinsichtlich des Bairischen, sondern natürlich auch unter den theoretischen Prämissen dieser Arbeit hinsichtlich sprachübergreifender und typologischer Erkenntnisse und Tendenzen. Auf Grundlage der Sichtung und Diskussion verschiedener Ansätze wird am Ende dieses Kapitels eine morphosyntaktische Klassifikation der reflexiven und reflexiv gebrauchten Formen der relevanten Varietäten des Bairischen vorgelegt, welche die Basis für die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema liefert. Es ist 11

Im Folgenden werden die Abkürzungen PERSPRON und REFL für Singular und Plural verwendet.

48

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

auch noch darauf hinzuweisen, dass die Darstellungen hier auf den Gebrauch des REFL und reflexiv verwendeter PERSPRON in Objektposition konzentriert sind. So werden hier REFL nach Präpositionen nur angeschnitten, denn diese werden in Kapitel 5 genauer beleuchtet. 3.2

FORMENINVENTAR I

Im Folgenden sollen nun zunächst ganz positivistisch die Paradigmen der Personalpronomina und Reflexiva einiger Varietäten des Bairischen exemplarisch erfasst werden. Ziel dieses Abschnittes ist es, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der bairischen Varietäten im Bereich der PERSPRON und REFL herauszuarbeiten. Der Fokus liegt hier natürlich auf den Objektpronomina, also auf den Formen im AKK und DAT, zumal Reflexivität im Bairischen nur diese Kasus betrifft. Die Formen im NOM sind dennoch nicht zu vernachlässigen, da deren Form und die Formengleichheit zwischen den einzelnen Kasus wichtige Strukturen und Strukturprinzipien der Paradigmen widerspiegelt. Diese Erwägung wird am Ende des Kapitels noch einmal aufgegriffen. 3.2.1

Personalpronomina

3.2.1.1 Vorbemerkungen Die Paradigmen, die im Folgenden für eine synoptische Darstellung der PERSPRON in den Varietäten des Bairischen herangezogen werden, sind verschiedenen Arbeiten zu Einzelvarietäten des Bairischen entnommen. Diese Daten werden schließlich durch eigene Daten ergänzt. Im Vordergrund stehen die Einteilung, der Umfang und die Oppositionen innerhalb der Paradigmen. Die phonologische Form beziehungsweise die tatsächliche phonetische Realisierung in den Einzelvarietäten sind für das vorliegende Vorhaben zweitrangig, außer sie spiegeln eine morphologische Strukturierung wider oder sind für diese relevant. Um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurde die Darstellung vereinheitlicht. Die jeweilige Klassifizierung und Terminologie wurde allerdings beibehalten. Die Tabellen verzeichnen nur drei Kasus, denn im Unterschied zum Standarddeutschen sind im Bairischen nur drei Kasus anzunehmen: Nominativ, Akkusativ und Dativ. Der Genitiv ist in manchen Wendungen und Archaismen sowie nach einigen Präpositionen noch erhalten. Konstruktionen mit Genitiv sind jedoch nicht mehr produktiv. So wird dieser Kasus auch bei den meisten Arbeiten zum Bairischen nicht in ein Paradigma aufgenommen, weder in das Paradigma der PERSPRON noch in das der Nomina. Auch für das vorliegende Vorhaben ist der

49

Formeninventar I

Genitiv nicht relevant, daher wird auch die folgende Darstellung der Paradigmen der PERSPRON diesen Kasus unberücksichtigt lassen.12 Die hier vorgestellten Paradigmen folgen nicht der traditionellen Auflistungsfolge der Kasus nach NOM – DAT – AKK. Es wurde die Reihenfolge NOM – AKK – DAT gewählt, um eine bessere Visualisierung von allgemeinen Tendenzen, die noch zu diskutieren sein werden, zu gewährleisten. 3.2.1.2 Überblick über die Paradigmen Für das Mittelbairische in Österreich sind nach WIESINGER (1990, 491–492) betonte und unbetonte Formen im Paradigma der PERSPRON anzunehmen. In der jeweiligen rechten Spalte der folgenden Tabelle sind reduzierte Formen verzeichnet, die nur noch teilweise den Formen in der jeweiligen linken Spalte ähneln. Synchron sind diese Formen, die hier als unbetont bezeichnet werden, meist nicht mehr von den betonten Formen ableitbar. Besonders deutlich ist dies bei der 3SG.M im Akkusativ zu sehen. Solche reduzierten Formen sind im Standarddeutschen nicht zu finden. Die genauen Unterschiede zum Standard werden weiter unten genauer erläutert. Die unbetonten Formen werden von WIESINGER noch weiter als suffigiert bezeichnet, also auch hinsichtlich ihrer morphosyntaktischen Eigenschaften eingeordnet: Als Suffixe sind die Formen nicht mehr als freie Morpheme zu begreifen und müssen wohl an eine Basis gebunden sein. Auffällig ist, dass vor allem im Dativ die rechten Spalten sehr lückenhaft sind. NOM

betont 1SG 2SG 3SG.M 3SG.F 3SG.N 1PL 2PL 3PL

iː duː ɛɐ ziː ez miɐ eːz/iɐ zeː/ziː

AKK

unbetont (suffigiert) e d ɐ s/z/z s/z/za mɐ z/s z/s/za

betont miː diː eɐm ziː ez unz/inz eŋg/aix zeː/ziː

DAT

unbetont (suffigiert) me de n/ɐn s/z/zɐ s/z/za – – z/s/za

betont miɐ diɐ eɐm iɐ eɐm unz/inz eŋg/aix eɐnɐ

unbetont (suffigiert) mɐ dɐ – – – – – –

Tabelle 5: PERSPRON im österreichischen Mittelbairisch (nach WIESINGER 1990, 491–42)

12

ALTMANN (1984, 196–197) gibt folgende Formen für PERSPRON im Genitiv an (VF): 1SG.GEN [maɪna], 2SG.GEN [daɪna], 3SG.M [saɪna], 3SG.F [ɪɐrɐ], 3SG.N [saɪna], 1PL [ʊnns(ɐ)], 2PL [ennggɐ], 3PL [ɛɐnɐ]. Es gibt keine unbetonten/klitischen Formen. Nach WIESINGER (1990, 492) ist der Genitiv auch mit den Präpositionen wegen und ohne zu finden: [weːŋ mãĩna] ‘wegen meiner’ und [cːne dãĩna] ‘ohne deiner’.

50

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

Für das Übergangsgebiet zwischen Mittelbairisch und Südbairisch kann grundsätzlich ein ähnliches Paradigma wie für das Mittelbairische zugrunde gelegt werden. Allerdings sind ein paar Ergänzungen zu treffen. Zum einen ist in manchen Varietäten dieses Dialektgebiets, im Unterschied zum oben abgebildeten Paradigma, auch eine n-Form in Opposition zur betonten m-Form im Dativ zu finden, wie in Beispiel (10) (so auch im Nordbairischen, siehe ROWLEY 1990, 429). Zum anderen gibt es Varietäten, in denen die Form ihr(a) im Femininum nicht nur im Dativ, sondern auch im Akkusativ verwendet wird, wie in Beispiel (11). (10) n-Form für 3SG.M im Dativ (Obersteirisch) na na(ja) en DET

d=oide

Eiblhofa nimmt Eiblhofer (PROPNAM) nehmen:3SG.PRÄS

DET=alt:NOM

Peda Rosegger mit Peter Rosegger (PROPNAM) mit

klopft=n klopfen:3SG.PRÄS=3G.M.DAT

auf auf

und und

d=Ochsl DET=Achsel

‘Naja, der alte Eiblhofer nimmt den Peter Rosegger mit und klopft ihm auf die Schulter.’ (PhAW_B466) (11) ihra für 3SG.AKK.F (Südweststeiermark) hod=a AUX:3SG=3SG.NOM.M

ira gern ghobt 3SG.AKK.F gern haben:PPERF

‘Hat er sie gern gehabt.’ (PhAW_B427) Das Paradigma, das KOLLMANN (2000) für das Südbairische (in Tirol) annimmt, sieht auf den ersten Blick wesentlich vollständiger aus als das für das Mittelbairische. Die Einteilung ist wieder nach betonten und unbetonten Formen getroffen. Es ist aber schnell ersichtlich, dass die hier als unbetont bezeichneten Formen in ihrer Substanz sehr heterogen sind und offensichtlich nicht nach den gleichen Maßstäben eingeordnet worden sind wie die unbetonten Formen bei WIESINGER (1990, Tabelle 5).

51

Formeninventar I NOM

1SG 2SG 3SG.M 3SG.F 3SG.N 1PL 2PL 3PL

AKK

unbetont betont satzinitial iː i duː du eːʀ er siː sa – s biər biər iər iər sui sui

unbetont

13

i da ər sa s bər ər sa

DAT

betont unbetont betont

unbetont

mĩː diː ĩːm siː ĩːm ins ɛŋkç sui

məʀ dəʀ im iʀ im ins ɛŋkç ĩːmanən

mĩ di n/ən sa s ins ɛŋkç sa

miəʀ diəʀ ĩːm iːʀ ĩːm ins ɛŋkç ĩːmanən/ sui

Tabelle 6: Südbairische PERSPRON (Tirolerisch) nach KOLLMANN (2000).

WEIß (1998, 87) nimmt für seine Darstellung der Syntax des Bairischen eine Einteilung des Paradigmas in Vollform und Klitika14 vor und spricht nicht von unbetonten Formen. Die Varietät, die als Grundlage für seine Untersuchung dient, ist das Mittelbairische (Bayerischer Wald). NOM

1SG 2SG 3SG.M 3SG.F 3SG.N 1PL 2PL 3PL

AKK

DAT

VF

CL

VF

CL

VF

CL

i du ea sie – mia es se

e/a sd a s s ma (d)s s

mi di eam sie – uns enk si

me de (a)n (a)s (a)s – – s

mia dia eam iar (eam) uns enk ea

ma da – – – – – –

Tabelle 7: PERSPRON im Bairischen (nach WEIß 1998, 87)

Sowohl hinsichtlich des Formeninventars als auch hinsichtlich der Einordnung ähneln einander die Paradigmen von WEIß und WIESINGER sehr. Allerdings unterscheiden sich die Bezeichnungen der jeweiligen Spalten: WEIß spricht von Vollform und Klitikon, WIESINGER hingegen von betonten und unbetonten 13

14

KOLLMANN unterscheidet zwischen unbetont in „präverbaler Stellung am Satzanfang“ und unbetont „in präverbaler Stellung im Satzinternen und in postverbaler Stellung“. Akkusativ und Dativ sind in satzinitialer Stellung nach KOLLMANN nur betont belegt (KOLLMANN 2000, 174–175). So spricht auch bereits MERKLE (1975 [2005], 123) von Klise, verwendet den Begriff Enklise und nimmt somit die Richtung der Klise in seine Terminologie auf. Auf die Entstehung der Termini Klitikon und Klise sowie auf die Einteilung in Pro- und Enklise soll hier nicht weiter eingegangen werden. Eine ausführliche Abhandlung findet sich bei NÜBLING (1992, 5–8).

52

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

(suffigierten) Formen. Auch KOLLMANN verwendet den Terminus unbetont, allerdings unterscheidet sich hier das Formeninventar erheblich von den anderen beiden – und das ist nicht nur auf die unterschiedlichen Varietäten zurückzuführen. Die Unterschiede in der Terminologie und offensichtlich auch Klassifikation der Formen des Paradigmas der PERSPRON im Bairischen müssen natürlich genauer bearbeitet werden, denn schließlich kann nur ein kohärentes terminologisches Inventar und Klassifikationsinstrumentarium zum Ziel dieses Kapitels führen, nämlich der morphosyntaktischen Klassifikation der PERSPRON und vor allem der REFL in den österreichischen Varietäten des Bairischen. Dem wird weiter unten nachgegangen, denn zuvor muss noch das Formeninventar der REFL im Bairischen dargestellt werden. Zunächst begnügen wir uns mit folgenden Beobachtungen: Für ähnliche und gleiche Formen werden unterschiedliche Etiketten verwendet. Die Bezeichnungen betonte Form oder Vollform stehen den Labels unbetont, klitisch und suffigiert gegenüber. Allgemein gültig scheint aber eine Zweiteilung des Paradigmas zu sein: Selbstständige Formen werden von unbetonten oder klitischen Formen klar abgegrenzt. Die freien, selbstständigen Formen sollen ab hier nach der Terminologie von WEIß (1998) als Vollformen bezeichnet werden. Die Einteilung von WEIß kann als Grundschema für das Bairische begriffen werden. Auch wenn Unterschiede hinsichtlich der phonologischen Form der PERSPRON in den Einzelvarietäten des Bairischen auszumachen sind, so ist das Paradigma in Tabelle 7 der kleinste gemeinsame Nenner der verschiedenen Paradigmen der Einzelvarietäten: In allen Einzelvarietäten sind mindestens die Stellen ausgefüllt, die WEIß hier annimmt.15 3.2.2 Reflexiva 3.2.2.1 Gegenüberstellung: Bairisch und Standarddeutsch Die Besonderheiten der reflexiven Formen des Bairischen werden zunächst am deutlichsten, wenn man sie vor der Kontrastfolie des Standarddeutschen betrachtet. Das Standarddeutsche verfügt über das REFL sich, das unabhängig von Kasus und Numerus in der 3. Person verwendet wird. In den ersten beiden Personen wird Reflexivität über die jeweiligen PERSPRON ausgedrückt, die als Vollformen oder selbstständige Formen klassifiziert werden können. Das REFL sich kann in bestimmten Kontexten16 durch selbst intensiviert werden.

15

16

Das gilt auch für Varietäten, die hier nicht eingehend besprochen werden, so zum Beispiel für das Nordbairische (vgl. ROWLEY 1990, 429) oder für das Südbairische in Kärnten (vgl. POHL 1989, 46). Der Intensivierung und den Möglichkeiten und Beschränkungen in diesem Bereich widmet sich das Kapitel 4.

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Formeninventar I AKK

1SG, 2SG, 1PL, 2PL 3SG 3PL, HON

DAT

PERSPRON

PERSPRON

sich/sich selbst

sich/sich selbst

Tabelle 8: REFL und PERSPRON in reflexiver Verwendung im Standarddeutschen

Im Bairischen bietet sich ein differenzierteres Bild. Es sind zwar grundsätzlich die gleichen Reflexivierungsstrategien wie im Standarddeutschen anzunehmen, nämlich die Markierung der Reflexivität durch ein distinktes REFL oder durch das PERSPRON, jedoch unterscheidet sich die Verteilung erheblich. Für das distinktive REFL sind folgende Formen in der Literatur verzeichnet: /ze/ im Nordbairischen (ROWLEY 1990, 429), /zi/ oder /ze/ für das Mittelbairische in Österreich (WIESINGER 1990, 492). MERKLE (1975 [2005], 133) verzeichnet für seine Darstellung der Bairischen Grammatik si oder se, POHL (1989, 48) nimmt für das Südbairische in Kärnten si an. In den meisten Fällen findet man jedenfalls eine Zentralisierung des Vokals. Wie schon bei den PERSPRON bemerkt, ist die phonetische Realisierung und phonologische Form nur insoweit relevant, sofern sie in Zusammenhang mit morphosyntaktischen Eigenschaften steht. Wichtig ist hier also, dass die Form des REFL reduziert ist im Vergleich zum Standarddeutschen und wie sie morphosyntaktisch einzuordnen ist, jedoch weniger, ob sie mit stimmhaften oder stimmlosen Sibilanten realisiert wird. Darum wird im Folgenden auch si für REFL in bairischen Varietäten verwendet, außer die Transkription in den Quellen weicht davon ab. Es liegt aber jedenfalls nahe, dieses REFL gleich oder ähnlich zu klassifizieren wie die Formen der jeweiligen rechten Spalten der PERSPRON. So spricht auch MERKLE von klitischen Elementen, WIESINGER bezeichnet die REFL wieder als unbetont. In der 1SG, 2SG und 2PL wird in allen Varietäten des Bairischen das PERSPRON – betont oder unbetont/klitisch – zur Markierung von Reflexivität verwendet. In der 3. Person ergeben sich die ersten dialektalen Unterschiede: Im Südbairischen, aber auch in einigen Varietäten des Übergangsgebiets zwischen Mittel- und Südbairisch, findet man im Dativ das PERSPRON auch bei reflexiver Verwendung, wie in Beispiel (12). Eine Desambiguierung durch den Intensifikator selba/söba ist nicht zwingend, tritt aber bei ambiger Referenz oft auf, wie Beispiel (13) zeigt. (12) Reflexiver Dativ mit PERSPRON im Südbairischen a.

er hɔt 3SG.NOM.M AUX

im 3SG.DAT.M

di DET

hɛnt oːgaˌbaʃt Hand:PL (ab)waschen:PPERF

‘Er hat ihm (sich) die Hände gewaschen.’ (KOLLMANN 2000, 175; Glossierung US) b.

sa hɔt 3SG.NOM.F AUX

ir 3SG.DAT.F

di DET

hɛnt oːgaˌbaʃt Hand:PL (ab)waschen:PPERF

‘Sie hat ihr (sich) die Hände gewaschen.’ (KOLLMANN 2000, 176; Glossierung US)

54

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

(13) Reflexiver Dativ mit und ohne Desambiguierung Da DET

Petrus roat’t a wenk ban eahm selba, Petrus überlegen:3SG.PRÄS ein bisschen bei 3SG.DAT.M selbst

fuatgehn, denkt weggehen:INF denken:3SG.PRÄS

er eahm, 3SG.NOM.M 3SG.DAT.M

1oß ih=n lassen:1SG.PRÄS 1SG.NOM=3SG.AKK.M

doh doch

nit NEG

‘Petrus überlegt ein bisschen bei ihm selbst (sich selbst), weggehen, denkt er ihm (sich), lass ich ihn doch nicht.’ (StMA_180)17 Natürlich sind die PERSPRON in reflexiver Verwendung nicht als Reflexivpronomen, weder in der 3. Person noch in der 1. und 2. Person, einzuordnen, denn sie weisen überhaupt keine reflexive Funktion bzw. Bedeutung als strukturelle – d.h. kontextunabhängige – Eigenschaft auf: Die reflexive Interpretation entsteht lediglich aus dem Ko-Text und zwar nur dann, wenn das ‚Subjekt‘ und das ‚Objekt‘ identisch sind. (ANDERSEN 1993, 125)

Darum wird hier der Terminus Reflexivierungsstrategie (nach EVERAERT 2003 und DIMITRIADIS / EVERAERT 2004) verwendet. Die Formen an sich werden als PERSPRON in reflexiver Verwendung bezeichnet und nicht als REFL. In der 1PL ist in einigen mittelbairischen Varietäten, vor allem im Wienerischen, aber auch in einigen Varietäten in Oberösterreich, nicht das PERSPRON uns für reflexive Konstruktionen verantwortlich, sondern das distinktive REFL: (14) si für 1PL (Innviertel) des

wear=ma

si

DEM.N AUX=1PL.NOM REFL

spoan sparen:INF

‘Das werden wir sich (uns) sparen.’ Schließlich ist noch eine Form von besonderem Interesse, die bisher noch keine Erwähnung gefunden hat: die Höflichkeitsform (HON18). Auch bei dieser Form wird nicht wie im Standard das distinkte REFL verwendet, sondern das PERSPRON (Beispiel [15]). Diese Besonderheit wird bei fast allen allgemeinen Darstellungen zum Bairischen in unterschiedlichen Regionen erwähnt, ist also als gesamtbairisch einzustufen: 17

18

Zwar handelt es sich hier um eine Konstruktion mit Präposition, die in diesem Kapitel, wie angekündigt, nicht ausführlich behandelt werden soll, allerdings zeigt sich doch deutlich die Notwendigkeit der Desambiguierung. Die nicht eindeutige Referenz bei diesem Beispiel ergibt sich aus dem Umstand, dass bei eam roatn sowohl ‘für/bei sich überlegen’ als auch ‘bei ihm überlegen’ wie im Standarddeutschen bei ihm überlege ich es mir zweimal, ob ich ihm helfe bedeuten kann. Zu der Annahme einer eigenen Kategorie HON oder „Respekt“ im Bairischen vgl. SIMON (2003 und 2004) und Kapitel 3.

Formeninventar I

55

(15) Erhalt des PERSPRON in reflexiver Verwendung bei HON hoggàn=S setzen:IMP=HON.NOM

Eàhna hĩ HON.AKK hin

‘Setzen Sie Ihnen (sich) (hin).’ (MERKLE 1975 [2005], 134; Glossierung US) Eine vorläufige Übersicht über das Formeninventar liefert Tabelle 9. Als vorläufig ist diese Übersicht deshalb zu verstehen, da noch keine morphosyntaktische Klassifizierung vorgenommen wurde. Sie dient als Grundlage für die Diskussion um eine sinnvolle Einordnung, also als Referenz dafür, welche Formen bei dieser Diskussion im Mittelpunkt stehen. AKK

DAT

1SG, 2SG, 2PL 3SG, 3PL

PERSPRON

PERSPRON

si

1PL

MB: si MSB und SB: uns eana/si

MB: si SB (und MSB): PERSPRON (selba/söba) MB: si SB und MSB: uns eana/si

HON

Tabelle 9: Reflexivierungsstrategien im Bairischen

3.2.2.2 Typologische Überlegungen Gemäß den Bemerkungen im letzten Kapitel ist das Ziel dieser Arbeit nicht vordergründig der Vergleich zwischen Dialekt und Standard, sondern die Betrachtung der Unterschiede zwischen den beiden Varietäten auch in einem typologischen Rahmen. Bei der Überlegung und Begründung, warum und wie diese Herangehensweise auch und gerade bei der morphosyntaktischen Einteilung des Formeninventars sinnvoll ist, drängen sich folgende Fragen auf: Welche morphologischen Eigenschaften können pronominale REFL grundsätzlich haben? Wie wird in den Sprachen der Welt Reflexivität ausgedrückt? Und sind das Standarddeutsche und das Bairische hier unterschiedlich einzuordnen? In den Sprachen der Welt sind es nicht nur pronominale Elemente, die Reflexivierung ausdrücken. So können beispielsweise auch Possessivpronomen in Verbindung mit Körpernomen der Reflexivierung dienen (vgl. DIMITRIADIS / EVERAERT 2004; SCHLADT 1999). Im Standarddeutschen und im Bairischen lassen jedoch sich nur pronominale Reflexivierungsstrategien ausmachen. Mögliche pronominale Elemente zum Ausdruck von Reflexivität fassen DIMITRIADIS / EVERAERT (2004, 59) wie folgt zusammen:

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Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

Personalpronomen doppelte Personalpronomen Objektpronomen + Intensifikator/ Körpernomen unterspezifiziertes Reflexivum: klitisches Pronomen unterspezifiziertes Reflexivum: phonologisch schwach unterspezifiziertes Reflexivum: phonologisch stark unterspezifiziertes Reflexivum + Intensifikator

Fidschianisch, Afrikaans, Niederländisch in der 1. und 2. Person me/je und Deutsch mich/dich, Alt- und Mittelenglisch Tsaxur, Altsyrisch, Malayalam Niederländisch 1SG mezelf, Morisyen li mem, Saramaccaans en sikin, Englisch himself Französisch se, Italienisch si Niederländisch zich, Norwegisch seg Deutsch sich, Polnisch siebie Niederländisch zichzelf, Deutsch sich selbst

Tabelle 10: Typologie der pronominalen Reflexivierungsstrategien (modifiziert nach DIMITRIADIS / EVERAERT 2004, 59; Übersetzung US)

Es wird also deutlich, dass viele Sprachen nicht nur über e i n e Reflexivierungsstrategie verfügen. Dem Deutschen werden drei Strategien zugeschrieben: Personalpronomen (in der 1. und 2. Person), ein hinsichtlich Genus, Person, Numerus und auch Kasus unterspezifiziertes Reflexivpronomen und die Möglichkeit, dieses Reflexivpronomen durch selbst zu intensivieren. Wenn nun das Formeninventar des Bairischen in diese Auflistung eingegliedert werden soll, sind folgende Kategorien klar: 1. und 2. Person Singular und Plural, 3SG.DAT, 3PL.DAT und HON als Personalpronomen und 3SG.DAT sowie 3PL.DAT bei einer Desambiguierung als Objektpronomen + Intensifikator. Aber wo ist das distinkte REFL si einzuordnen? Wieder sind dabei die Termini zu finden, die schon bei der Klassifizierung der Formen der PERSPRON im Bairischen uneindeutig erschienen: klitisch, phonologisch schwach und phonologisch stark. Es wird also deutlich, dass eine klare Klassifikation der Formen nicht nur systemintern, sondern auch typologisch interessant ist. Der endgültigen Klärung dieser Einteilung soll noch eine weitere Klassifikationstypologie vorangestellt werden. Die mit dem Ziel aufgestellte Typologie von JAKUBOWICZ (1994), morphologische Parameter im generativen Sinne zu finden, ähnelt der oben gezeigten stark, doch versucht sie, die möglichen Formen zu ordnen, und orientiert sich stärker an den morphologischen Eigenschaften.

57

Von Wort bis Affix

+φ-features

–φ-features

engl. himself franz. lui même +morphologisch komplex –morphologisch komplex

dt. sich selbst dän. sig selv –klitisch

russ. sebja

+klitisch

–fest verbunden +fest verbunden

dän. sig franz. se

Abbildung 2: Typologie der Reflexiva nach morphologischen Gesichtspunkten (modifiziert nach JAKUBOWICZ 1994, 208; Übersetzung US)

Bei dieser Einteilung werden PERSPRON ohne eindeutige Desambiguierung nicht berücksichtigt. Die Typologie beginnt mit der Einteilung nach der Spezifikation der φ-Merkmale (also Genus, Person und Numerus): Nur wenn alle Merkmale spezifiziert sind, werden die entsprechenden Formen unter dem Wert +φ-Merkmale gelistet, die anderen werden weiter in morphologisch komplexe und nicht komplexe Formen eingeteilt. Und hier beginnt es nach den bisherigen Darstellungen wieder interessant zu werden: JAKUBOWICZ unterscheidet an dieser Stelle zwischen nicht klitisch und klitisch, wobei letztere weiter differenziert werden in nicht fest verbunden („–attached“) und fest verbunden („+attached“). Die Formen, die als nicht fest verbunden klassifiziert werden, könnten auch unter den Termini phonologisch schwach oder unbetont verbucht werden. Am Ende dieses Kapitels muss also eine systeminterne und typologisch relevante Einteilung des Formeninventars der Reflexivierungsstrategien der hier zu untersuchenden Varietäten des Bairischen stehen. Dazu müssen Antworten auf folgende Fragen gefunden werden: –

Welche Einteilung scheint für die PERSPRON und damit nicht zuletzt für die im Bairischen sinnvoll? Wie können die unterschiedlichen Kategorien voneinander abgegrenzt werden? Und schließlich: Lassen sich das Standarddeutsche und das Bairische auch typologisch unterschiedlich klassifizieren?

REFL

– –

3.3 3.3.1

VON WORT BIS AFFIX

Abgrenzungskriterien und Klassifikationsvorschläge

Zentral für die folgenden Ausführungen sind zum einen die Termini Vollform, selbstständige Form, unbetonte Form sowie Klitikon und zum anderen aber auch die Überlegung, ob diese Termini und die damit verbundene Klassifikation eine kategoriale ist oder ob es sich dabei um Orientierungspunkte auf einem Kontinuum handelt. Als Ausgangspunkt für dieses Vorhaben soll die Darstellung in

58

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

Abbildung 3 dienen. Diese zeigt eine basale Einteilung in prototypisch selbstständige Formen, nämlich Lexeme, und prototypisch unselbstständige Formen, das sind unbestritten Affixe, und den Platz, der klitischen Formen zwischen diesen klar definierbaren Klassen zuzuweisen ist. free forms

bound forms word-forms free word-forms clitics (=bound word-forms)

affixes

Abbildung 3: Einteilung von Wort – Klitikon – Affix (nach HASPELMATH 2002, 149)

Dieses Schema kann auf zwei Arten interpretiert werden: Einerseits suggerieren die Trennlinien zwischen den einzelnen Klassen eine eindeutige Abgrenzung und Abgrenzbarkeit, andererseits deuten die überlappenden Kategorien auf eine graduelle oder kontinuale Repräsentation hin.19 Auf jeden Fall wird den klitischen Formen ein Zwischenstatus beigemessen: Klitika teilen sich also gewisse Eigenschaften mit freien Formen oder Wörtern und mit Affixen. Das heißt in weiterer Folge, dass Klitika nach zwei Seiten hin abgegrenzt werden müssen: nicht nur in Richtung selbstständige, freie Formen, sondern auch in Richtung affigierte – in Zusammenhang mit PERSPRON und REFL – flexivische Formen. Es muss in diesem Zusammenhang klargestellt werden, dass es nicht das Ziel dieses Abschnitts oder Kapitels ist, die Theorie der Klitiksyntax neu zu schreiben, sondern innerhalb der bereits vorgeschlagenen Klassifikationen und Einteilungskriterien praktikable und aussagekräftige Klassen und Kriterien für die Formen des REFL und der PERSPRON zu finden. 3.3.1.1 Selbstständig – klitisch Um differenzierter mit dieser Einteilung umgehen zu können, scheint die Annahme eines Kontinuums zwischen den Polen selbstständiges Wort und Affix zunächst zielführend, zumal diese auch diachron plausibel ist. Die Einteilung, die in Abbildung 3 dargestellt ist, kann und muss in diesem Zusammenhang natürlich verfeinert werden. Um eine höhere Auflösung zu erzielen, widmen wir uns zuerst der Spanne zwischen selbstständigem Wort und Klitikon. Auf die Extension zum Affix hin soll danach kurz eingegangen werden. NÜBLING (1992, 65) schlägt folgendes Kontinuum vor:

19

HASPELMATH (2002, 149) nennt seine Graphik „Terms for distinction on the affix–word continuum“, geht aber nicht weiter auf die Annahme eines Kontinuums ein. Seine Darstellung zeigt die Relationen dieser Formen, aus denen sicher auch ein Kontinuum ableitbar ist.

59

Von Wort bis Affix

Lexem

 grammatisches Morphem  Allegroform (Funktionswort) neben-/unbetont betonbar

 Klitikon

phonologische Kriterien

betont

syntaktische Kriterien

verschiebbar weniger verschiebbar isolierbar weniger isolierbar

unverschiebbar gebunden

Eigenschaften der Pole

hohe Typenfrequenz niedrige Tokenfrequenz – Adjazenz +Akzent –Reduktion selbstständig Lexik

niedrige Typenfrequenz hohe Tokenfrequenz +Adjazenz –Akzent +Reduktion gebunden Grammatik

unbetont unbetonbar

Abbildung 4: Kontinuum zwischen Lexem und Klitikon (nach NÜBLING 1992, 65)

Wichtig sind nun einerseits die Eigenschaften der Pole und andererseits die Punkte auf der Skala, an denen sich gewisse Eigenschaften ändern. Die wichtigsten Kriterien, um Wörter beziehungsweise Vollformen und unbetonte Formen und Klitika voneinander abzugrenzen, werden nun in Hinblick auf die hier relevanten Formen besprochen. Als Referenzen dienen das Schema von NÜBLING (1992) in Abbildung 4 und die Arbeiten von ZWICKY (1977, 1985 und 1994) zur Klise im Allgemeinen und ABRAHAM (1996b) sowie ABRAHAM / WIEGEL (1993) zu klitischen PERSPRON in germanischen Sprachen. Klitika und Vollformen unterscheiden sich hinsichtlich folgender syntaktischer Eigenschaften: Vollformen (VF) sind isolierbar und verschiebbar, sie sind frei beziehungsweise selbstständig, während Klitika (CL20) an einen sogenannten „host“ (ZWICKY 1977) oder an ein Trägerelement gebunden und daher auch nicht verschiebbar sind. Aus diesen Gründen können CL auch nicht in folgenden Kontexten auftreten: in Isolation, nach Präpositionen (also innerhalb von Präpositionalphrasen PP), in Kontrastfokus und in Koordination. Zudem sind CL weder topikalisierbar noch modifizierbar (vgl. ABRAHAM 1996, 445 und HASPELMATH 2002, 151). Der erste Test, der zeigen soll, ob es sich bei den fraglichen Formen um CL handelt, folgt nun dem Kriterium der Isolierbarkeit. VF können im Gegensatz zu 21 CL als Einwortsätze fungieren. Sind die fraglichen Formen der rechten Spalten der Tabellen unter 3.2.1.2 hier also nicht möglich, ist dies schon ein erster Hinweis auf ihren Status als CL.

20 21

Im Folgenden werden die Abkürzungen VF für Vollform(en) sowie CL für Klitikon und Klitika verwendet. Zum Test Klitika als Einwortsätze vergleiche unter anderem PRINZ (1991, 42)

60

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

(16) Isolierbarkeit von Vollformen A:

Wer hot leicht in wer AUX:3SG.PRÄS denn DET

B:

I

B’:

*e 1.SG.NOM

neichn Füm neu:DAT.M Film

scho gsehn? schon sehen:PPERF

‘Wer hat denn den neuen Film schon gesehen?’ – ‘Ich’ Dieser Befund ist natürlich eng mit der nächsten Eigenschaft verknüpft, die in NÜBLINGS Schema sehr prominent ist und auch bei der Einteilung der Paradigmen der PERSPRON des Bairischen eine wichtige Rolle zu spielen scheint: der Betonbarkeit beziehungsweise der Betontheit. Die Antwort B in Beispiel (16) ist nur grammatisch, wenn die entsprechende Form betont ist. Vollformen sind aber nicht inhärent betont, sie sind jedoch betonbar. So ist das erste terminologische Problem aufzulösen: Die Termini Vollform und betonte Form sind nicht gleichzusetzen. Betonte Formen sind Vollformen, Vollformen müssen aber nicht betont sein. Auch wenn vor allem pragmatische Faktoren die Wahl der Form bestimmen und Vollformen oft betont sind, ist dies keine inhärente Eigenschaft der Vollform. Das ist vor allem dann nahe liegend, wenn keine reduzierte Form, so wie beispielsweise in der 3SG.DAT im Femininum und Maskulinum, zur Verfügung steht. Diese Annahme ist auch kohärent mit dem oben angenommenen Kontinuum, in dem freie grammatische Morpheme, zu denen wohl auch die Vollformen der PERSPRON zu zählen sind, weiter rechts eingeordnet sind als Lexeme. Genau bei diesem Übergang ändert sich auch die Eigenschaft betont zu betonbar.22 Das bedeutet in weiterer Folge, dass die Begriffe unbetont und klitisch auch nicht äquivalent zu verwenden sind: Eine klitische Form ist ihrer Natur nach unbetont, eine unbetonte Form ist allerdings nicht implizit als Klitikon zu klassifizieren.23 Eines ist nun also deutlich: Die angestrebte Klassifizierung ist eine morphosyntaktische, muss daher primär über syntaktische Kriterien und Tests erfolgen und kann nicht über die Kategorien betont und unbetont durchgeführt werden. Es soll natürlich nicht behauptet werden, dass die Phonologie im Zusammenhang mit der Klise überhaupt keine Rolle spielt. Denn phonologische Kriterien sind durchaus wichtig, um eine Abgrenzung von Klitika zu Wörtern und Affixen treffen zu können. ZWICKY (1985) liefert eine Liste von phonologischen Kriterien, nach denen Klitika von 22

23

ABRAHAM (1996b, 445) spricht von tonisch und atonisch. Diese Bezeichnungen werden den Verhältnissen, die hier beschrieben sind, ebenso gerecht. Eine ausführliche Argumentation zur Gleichsetzung von betont („stressed“) und Vollform („strong pronouns“) findet sich auch bei CARDINALETTI / STARKE (1999, 161–163) unter dem bezeichnenden Abschnittstitel „Against focus“. Dass Klitika im Bairischen unbetont und meist auch unbetonbar sind, liegt vielleicht nicht zuletzt daran, dass der Großteil der Formen so weit reduziert ist, dass kein vokalisches Element mehr vorhanden ist. CARDINALETTI / STARKE (1999) zeigen allerdings, dass Klitika in manchen Sprachen auch betont sein können. Die Implikation gilt daher nur für die CL der PERSPRON im Bairischen.

61

Von Wort bis Affix

Affixen und selbstständigen Wörtern unterschieden werden können. Es ist aber wichtig, dass die Kriterien betont und unbetont nicht ausschlaggebend sind. Für die Abgrenzung hier sind die syntaktischen Kriterien die wesentlicheren, auch wenn sie phonologische und prosodische Konsequenzen haben. Die weiteren syntaktischen Kriterien, die bereits angesprochen wurden und aus der grundsätzlichen Eigenschaft frei vs. gebunden abzuleiten sind, werden im Folgenden anhand von Beispielen kurz illustriert. (17)

PERSPRON

mit Präposition

I hob=n 1SG.NOM AUX=3SG.AKK.M ‘Ich habe ihn bei dir gelassen.’ (18)

PERSPRON

a.

na,

bei bei

dia 2SG.DAT

lossn lassen.PPERF

in Kontrastfokus und mit NEG (Modifizierbarkeit)24

do hob=e

DI

gseng

und ned

eam

b. * na, do hob=e =de gseng und ned =n nein da AUX=1SG.NOM 2SG.AKK sehen:PPERF und NEG 3SG.AKK.M ‘Nein, da habe ich dich gesehen und nicht ihn.’ (19)

PERSPRON

a.

Ea

und Koordination (Wienerisch) hot

[mia

und da Frau] wos

geːm

b. * Ea hot [=ma und da Frau] wos geːm 3SG.NOM.M AUX:3SG.PRÄS 1SG.DAT und DET Frau etwas geben:PPERF ‘Er hat mir und der Frau etwas gegeben.’ (ABRAHAM / WIEGEL 1993, 34; Glossierung US) (20)

PERSPRON

a.

Mia

b. * Ma 1SG.DAT

und Topikalisierung (Wienerisch) kennan=s

net

kennan=s net können:3PL.PRÄS=3PL.NOM NEG

höfm höfm helfen:INF

‘Mir können sie nicht helfen.’(ABRAHAM / WIEGEL 1993, 34; Glossierung US) Abschließend ist noch das Kriterium der Adjazenz zu klären und ein Blick auf die Trägerelemente (hosts) zu werfen. Die bisher gezeigten Tests leiten sich aus der Gebundenheit der CL ab. Dass Klitika bei NÜBLINGS Darstellung mit der Eigenschaft +Adjazenz charakterisiert werden, ist also nicht überraschend. Die Frage ist aber, worauf sich diese Adjazenz bezieht oder, anders formuliert, an welche Elemente sich das CL binden kann. Grundsätzlich sind die CL der PERSPRON im 24

Analoge Beispiele finden sich bei WEIß (1998) und ABRAHAM / WIEGEL (1993).

62

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

Bairischen als Enklitika zu charakterisieren, das heißt, sie stehen nach ihrem Träger. Sehr häufig sind die CL der PERSPRON im Bairischen am Verb enklitisch realisiert. Das gilt für Subjektsklitika (SCL) in Sätzen mit Verbzweitstellung, wenn das Vorfeld durch ein anderes Element besetzt ist. Objektsklitika (OCL) folgen dem Verb in Sätzen mit Verbzweitstellung, wenn das Subjekt im Vorfeld oder durch eine NP realisiert ist. In Verbletztsätzen ist das Trägerelement die subordinierende Konjunktion. Wie diese Abfolgen genau aussehen, wird unter 3.3.2 geklärt. Dass die Umgebungen, die eine VF erfordern beziehungsweise ein CL nicht zulassen, in direkter Verbindung mit pragmatischen oder informationsstrukturellen Faktoren stehen, muss natürlich erwähnt werden und wird auch in den späteren Ausführungen eine wichtige Rolle spielen, ist in diesem Kapitel aber eher weniger wichtig. An dieser Stelle kann nun das erste kurze Fazit gezogen werden: Die Einteilung von WEIß in Tabelle 7 kann wohl als grundlegend begriffen werden. Es handelt sich bei den reduzierten Formen eindeutig um Klitika. Das von WIESINGER angenommene Paradigma muss nicht neu sortiert, aber neu etikettiert werden. Das Paradigma von KOLLMANN muss neu überdacht werden. Eine Schlussfolgerung liegt nahe: Wir haben es im Bairischen mit VF und CL zu tun. Also sind die oben vorgestellten Tests einfach auf die entsprechenden Formen, die zur Reflexivierung verwendet werden, anzuwenden und der Status ist geklärt. Eine eindeutige Klärung des Status gestaltet sich aber doch schwieriger: Vollformen und Klitika scheinen zwar klar voneinander abgrenzbar zu sein, die Formen den beiden Kategorien scheinen eindeutig zuweisbar. Doch die folgenden Punkte sind noch zu klären: Wie rechtfertigt sich nun also die Annahme eines Kontinuums, wie sind die Formen, die in diesem Kontinuum noch angesetzt sind, zu bewerten und gibt es vielleicht noch andere Zwischenstufen? 3.3.1.2 Klitika und angrenzende Formen Wirft man einen Blick in Arbeiten zu Klitika im Allgemeinen und in anderen Sprachen, so zeigt sich, dass eine reine Zweiteilung der Paradigmen wohl oft zu kurz gegriffen ist. Den betonten Formen oder Vollformen werden nicht einfach Klitika gegenübergestellt, sondern diese Klassifizierung wird weiter aufgespaltet. Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Differenzierungen zusammen, wobei zu beachten ist, dass die Einteilung der Spalten nicht bedeutet, dass die entsprechenden Termini und Klassifikationen gleichzusetzen sind. Diese Übersicht soll zeigen, dass auch noch andere Klassen und Kategorien von Formen – gerade bei den PERSPRON – in Betracht gezogen werden müssen.

63

Von Wort bis Affix

Differenzierung lexikalische Klitika postlexikalisch reduzierte Formen spezielle Klitika einfache Klitika syntaktische Klitika CL: +attached defizient: klitisch

phonologische Klitika CL: –attached defizient: schwach

Quelle PRINZ 1991 NÜBLING 1992; ZWICKY 1977; ZWICKY 1985; PRINZ 1991 WEIß 1998 JAKUBOWICZ 1994 CARDINALETTI / STARKE 1996; CARDINALETTI / STARKE 1999; STARKE 1996

Tabelle 11: Terminologie und Klassifikation zu klitischen und unselbstständigen Formen

Allegroformen Allegroformen sind wie Klitika ebenfalls reduzierte Formen, unterscheiden sich aber in einem wesentlichen Punkt von ihnen: Sie haben keinen paradigmatischen Status. Sie sind nämlich – wie die Bezeichnung schon vermuten lässt – auf einen bestimmten Sprechstil beschränkt: auf den Allegrostil, das heißt sie sind nicht im sogenannten Lentostil zulässig.25 PRINZ (1991, 86, passim) präzisiert dies im Sinne des generativen Modells als postlexikalisch. Diese Formen sind nicht den syntaktischen Regeln unterworfen, denen CL folgen. Ein schlagendes Argument gegen die Klassifikation der oben als CL eingeordneten Formen als Allegroformen ist, dass Klitika in dialektalen Texten auch in verschriftlichter Form zu finden sind, wie das folgende Beispiel zeigt. (21) Verschriftlichung von Klitika Hoamli heimlich

hot s’ ma ins aux 3SG.NOM.F 1SG.DAT in:DET

Ohrwaschl Ohr

gwischplt flüstern:PPERF

‘Heimlich hat sie mir ins Ohr geflüstert.’ (StMA_195) Allegroformen spielen also in der Klassifikation von PERSPRON und auch von REFL im Bairischen keine Rolle. Dass sich Klitika aus Allegroformen entwickeln können, wie das Schema unter 3.3.1.1 vermuten lässt, sei aber nicht bestritten, allerdings ist dieser Pfad nicht eindimensional zu betrachten.

25

Andere Faktoren für die Verwendung von Allegroformen können auch Unkonzentriertheit, Müdigkeit oder Stress sein (vgl. PRINZ 1991, 86 nach MOHANAN 1986).

64

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

Einfache und spezielle Klitika In den meisten Arbeiten zur Klitisierung von PERSPRON stößt man auf die Termini einfache und spezielle Klitika, die auf die Arbeit von ZWICKY (1977) und dessen Einteilung in „simple clitics“, „special clitics“ und „bound words“ zurückgehen. Diese Differenzierung trägt der Tatsache Rechnung, dass die Notation Klitikon auf verschiedenartige Formen Bezug nahm und nimmt, also als „umbrella term“ (ZWICKY 1994, xiii) zu verstehen ist. Die Einteilung basiert auf den Faktoren der synchronen Ableitbarkeit und der Distributionseigenschaften der Formen. In der Literatur rezipiert beziehungsweise weiterentwickelt wurde allerdings meist nur die Konzeption von einfachen und speziellen Klitika (zum Beispiel bei ANDERSON 2005 und NÜBLING 1992). Einfache CL sind nach dieser Einteilung reduzierte Formen mit einer korrespondierenden freien Form oder Vollform, sie sind synchron ableitbar von ihrer Vollform. Dabei gleichen sich die Distributionen von einfachen CL und VF. Nach NÜBLING (1992, 23) müssen die Mengen der Distributionsregeln nicht deckungsgleich sein. Es besteht vielmehr ein Inklusionsverhältnis: Die Menge der Distributionsregeln der einfachen CL ist eine Teilmenge der Menge der Distributionsregeln der VF. Zum Teil lässt die Anwendung des Terminus einfaches Klitikon auch eine Gleichsetzung mit dem vorhin besprochenen Terminus der Allegroform vermuten. Spezielle Klitika sind im Kontrast dazu nicht (mehr) synchron ableitbar, jedenfalls nicht zwangsläufig, und weisen eine zu den Vollformen komplementäre Distribution auf (vgl. dazu auch PRINZ 1991). Wie schon deutlich wurde, sind die Distributionseigenschaften von CL der PERSPRON im Bairischen nicht als Teilmenge der Verteilung der VF zu begreifen. Es handelt sich hier also um spezielle Klitika. Die Form si kann nach dieser Definition auch kein einfaches Klitikon sein, da es dazu im Dialekt keine Vollform gibt, aus der si abzuleiten wäre. Eine Ausnahme ist aber zu dieser Beobachtung hinzuzufügen, die im nächsten Unterabschnitt abgehandelt wird: das CL der 3SG.N. Syntaktische und phonologische Klitika In den syntaktischen Arbeiten zum Bairischen (ABRAHAM 1996a; ABRAHAM 1996b; ABRAHAM / WIEGEL 1993; WEIß 1998) wird grundsätzlich eine Zweiteilung in Vollform und Klitikon angenommen. Doch bei der 3SG.N wird eine weitere Differenzierung eingeführt: Es wird zwischen syntaktischen und phonologischen Klitika unterschieden. Dies wird nötig, da sich das CL in der 3SG.N so gar nicht den anderen Beschränkungen der CL unterwerfen will. So kann diese Form zum Beispiel als expletives Element auch proklitisch verwendet werden: (22) s=rengt ‘Es regnet.’ (vgl. WEIß 1998, 101) Phonologische Klitika verhalten sich nach WEIß (1998, 105–106) – vereinfacht gesagt – wie einfache Klitika, verfügen aber nicht über eine Vollform. Das heißt,

Von Wort bis Affix

65

dass sie aus phonologischen Gründen manche Position nicht einnehmen können, aber dass sie nicht den gleichen syntaktischen Beschränkungen unterliegen wie die anderen CL der PESRPRON, die ja bereits als spezielle Klitika identifiziert worden sind und von WEIß (1998) und auch von ABRAHAM (1996) als syntaktische Klitika bezeichnet werden. Die Stellungsbesonderheiten werden weiter unten an der Stelle beleuchtet, an der die Serialisierung von CL von PERSPRON im Bairischen im Allgemeinen behandelt wird. In den weiteren Ausführungen wird im Allgemeinen der Begriff Klitikon beziehungsweise die Abkürzung CL für syntaktische und phonologische Klitika im Sinne von ABRAHAM und WEIß verwendet. Wenn die Unterscheidung wesentlich ist, wird das zu explizieren sein. Interessant sind in diesem Zusammenhang noch zwei weitere Beobachtungen: Für manche Varietäten des Bairischen wird eine VF für die 3SG.N es angenommen (so zum Beispiel auch im Mittelbairischen in Österreich, siehe Tabelle 5), in manchen Varietäten ist diese Stelle im Paradigma frei (siehe die Paradigmen zum Südbairischen in Tirol und zum Mittelbairischen in Bayern, Tabelle 6 und Tabelle 7). Des Weiteren kann die Dativform eam nach WEIß (1998, 87) nur für belebte Referenten verwendet werden, wobei im DAT auch kein CL anzunehmen ist. 3.3.1.3 Dreiteilung des PERSPRON-Systems Die Notationen und die damit verbundenen Klassen und Formen unter den Termini Allegroformen sowie einfache und spezielle Klitika sind in Hinblick auf das hier angestrebte Ziel der Klassifikation der PERSPRON und REFL des Bairischen nicht besonders relevant. Eine Einteilung der Formen, die für diese Studie sehr gewinnbringend scheint, da sie sich vornehmlich mit pronominalen Elementen auseinandersetzt, ist die von CARDINALETTI und STARKE (u. a. CARDINALETTI / STARKE 1996; CARDINALETTI / STARKE 1999; STARKE 1996).26 Dabei wird von einer grundsätzlichen und sprachuniversellen Dreiteilung des Systems der PERSPRON und einer Zweiteilung der „deficient forms“ ausgegangen. Das heißt also, dass VF nicht einfach CL gegenüberstehen, sondern dass noch eine weitere Zwischenstufe angesetzt werden muss. Die Formen, die in diese Zwischenstufe einzuordnen sind, teilen sich einige Eigenschaften mit VF („strong forms“) aber auch mit CL. Die Einteilung wird von CARDINALETTI (1999, 62) wie folgt dargestellt:

26

Im Folgenden wird in Bezug auf die Untersuchungen von CARDINALETTI und STARKE nur auf die empirischen Befunde der Studien eingegangen. Die formal-theoretischen Konsequenzen der hier vorgestellten Eigenschaften von Pronomina werden nicht dargelegt. Für die (inner)theoretischen Konsequenzen der Theorie sei hier auf die einzelnen Arbeiten verwiesen, vor allem CARDINALETTI / STARKE 1999, ab Sektion 5.

66

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

personal pronouns strong

non-strong = deficient weak

clitic

Abbildung 5: Dreiteilung der PERSPRON (nach CARDINALETTI 1999, 62)

CARDINALETTI und STARKE verorten demgemäß eine dritte Art, die nicht alle Distributionseigenschaften und -regeln mit der Vollform teilt, sich aber auch nicht nur auf die Verteilung der CL beschränkt. In den Termini der Autoren handelt es sich um Phrasen, defiziente Phrasen und defiziente Köpfe. Diese These gründet sich auf Beobachtungen in den romanischen Sprachen und wird auch zum Teil auf das Standarddeutsche übertragen. Schwache Formen haben folgende Eigenschaften mit CL gemein: Sie sind nicht koordinierbar, nicht topikalisierbar, nicht modifizierbar und nicht in Kontrastfokus zu setzen. Im Gegensatz dazu sind schwache Formen mit Präposition erlaubt. Eine weitere wichtige Eigenschaft, die in diesem Modell angenommen wird und auch im Gegensatz zu den meisten anderen Arbeiten, die sich mit der Klassifikation von PERSPRON auseinandersetzen, vernachlässigt wird, ist das semantische Merkmal der Belebtheit, bei CARDINALETTI und STARKE weiter verengt zu [±menschlich]. Dieses Merkmal kommt nur den Vollformen zu, CL und schwache Formen sind hinsichtlich dieses Merkmals unterspezifiziert, sie können also sowohl auf belebte als auch auf unbelebte Entitäten referieren.27 Diese Merkmalszuweisung ist selbstverständlich nur in der 3. Person sinnvoll. Für das Italienische kontrastieren CARDINALETTI / STARKE (1999, 166) drei Formen und Umgebungen, in denen die jeweiligen Formen auftreten können. Im Italienischen sind demnach klare Distributionsregeln zu erkennen, die auf drei verschiedene Klassen von Pronomina schließen lassen:

27

Es werden noch weitere Merkmale genannt, die aber entweder sehr theoriespezifisch sind oder für das Bairische beziehungsweise für die Formen, die hier von Interesse sind, keine Rolle spielen, wie zum Beispiel, die Möglichkeit, als Expletivum zu fungieren, oder die Kombination mit einem Kasusäquivalent, was zum Beispiel für das Italienische eine Rolle spielt.

67

Von Wort bis Affix

(23) Starke, schwache und klitische PERSPRON im Italienischen a.

stark Non NEG

b.

*a lui tutto a lui 3SG.DAT.M alles 3SG.DAT.M

schwach Non NEG

c.

*a lui diró mai 3SG.DAT.M sagen:1SG.FUT niemals

*loro 3PL.DAT

diró mai sagen:1SG.FUT niemals

loro 3PL.DAT

tutto *loro alles 3PL.DAT

klitisch Non NEG

gli diró mai 3SG.DAT.M sagen:1SG.FUT niemals

*gli tutto *gli 3SG.DAT.M alles 3SG.DAT.M

‘Niemals werde ich ihm/ihnen alles sagen.’ (nach CARDINALETTI / STARKE 1999, 166 und STARKE 1996, 409; Glossierung US) STARKE und CARDINALETTI zeigen, dass diese Dreiteilung der Formen auch für das Standarddeutsche anwendbar und sogar sinnvoll ist, da damit das auffällige Verhalten von es erklärt werden kann. Die Sätze unter (24) sind als ungrammatisch zu beurteilen, wenn das fragliche Pronomen modifiziert oder durch Voranstellung in eine betonte Position verschoben wird, ohne auf eine Person zu referieren (wie beim Verb essen), oder – positiv formuliert – die Voranstellung des Objektspronomen beziehungsweise dessen Modifikation ist nur zulässig, wenn der Referent das Merkmal [+menschlich] trägt (wie beim Verb einladen): (24) Belebtheit und Modifizierbarkeit/Betonbarkeit im Standarddeutschen a.

Er hat wohl sie eingeladen.

b.

Sie hat er gestern eingeladen.

c.

*Er hat wohl sie gegessen.

d.

*Sie hat er gestern gegessen.

(nach CARDINALETTI 1999, 54–55)

(25) Restriktionen bei es a.

Es ist teuer.

b.

*Es und der Wagen sind teuer.

Und auch zu dialektalen Varietäten finden sich in den Ausführungen von CARDINALETTI / STARKE (1999, 175) Daten, die diese These unterstützen.

68

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

(26) Schwache und klitische PERSPRON im Tirolerischen (Olang im Pustertal/Südtirol) a.

eːr 3SG.NOM.M

isch ist

intelligent. intelligent

‘Er ist intelligent.’ b.

es 3SG.NOM.N

isch ist

toire teuer

c.

*s 3SG.NOM.N

isch ist

toire teuer

‘ ’s ist teuer.’ Wichtig ist nun eines: Das Modell besagt nicht, dass es für jede Person drei Instanziierungen gibt: eine als Vollform, eine als schwache Form und eine als Klitikon. Die Daten, die CARDINALETTI und STARKE präsentieren, weisen vielmehr darauf hin, dass es grundsätzlich zwei Formen pro Person gibt. So ist für das Tirolerische unter Beispiel (26) in der 3SG.N eine schwache Form und eine klitische, in der 3SG.M ist hingegen eine Vollform und eine klitische Form anzunehmen.28 Die defizientere ist die präferierte Form, die nicht oder weniger defiziente wird in Kontexten verwendet, in denen die andere nicht erlaubt ist. Diese Dreiteilung und die strikten Kriterien, die zu dieser Klassifikation führen, sind auch als Gegenentwurf zu einer kontinualen oder graduellen Betrachtung der Spanne zwischen selbstständig und klitisch zu begreifen. Es wird – zumindest synchron – ein klarer Schnitt angesetzt. Die Autoren geben allerdings offen zu, dass ihrem Modell eine Idealisierung der Daten und Fakten zugrunde liegt (CARDINALETTI / STARKE 1999, 148). Diese Idealisierung ist sicher darauf zurückzuführen, dass es das Ziel der Darstellungen ist, eine Generalisierung innerhalb eines bestimmten theoretischen Rahmens – nämlich in dem der Principle and Parameter – aufzustellen oder zu g e n e r i e r e n . Dass diese Dreiteilung gerade für dialektale Daten sehr interessant sein kann, zeigt WERNER (1999), die diese Kategorisierung auf das System der PERSPRON im Zürichdeutschen anwendet. Doch wird auch dort an einer Stelle eingestanden, dass die Kriterien „zu kategorisch formuliert“ sind (WERNER 1999, 16). Es ist hier nicht die Aufgabe, dieses Modell zu widerlegen oder Gegenevidenzen dazu zu finden. Allerdings kann auf eine grundsätzliche Beurteilung in Hinblick auf die hier relevanten Daten nicht verzichtet werden. Der Schluss, der hier gezogen werden kann und der sich für die Klassifizierung der PERSPRON und vor allem der REFL im Bairischen als sinnvoll erweisen wird, ist folgender: Die Annahme von schwachen Formen als Hybridelemente zwischen VF und CL ist auch für das Bairische folgerichtig, weil es hier Elemente gibt, die weder alle Eigenschaften mit der einen Klasse noch alle Eigenschaften mit der anderen teilen (vgl. 28

Wie allerdings die Ausführungen zu phonologischen Klitika gezeigt haben, ist die Form =s in der 3SG.N nicht unproblematisch.

Von Wort bis Affix

69

das Beispiel des Tirolerischen unter (26). So wird auch hier weiter die Rede sein von schwachen Formen, allerdings ist der Terminus im Rahmen dieser Arbeit nicht so theoretisch aufgeladen, wie es bei CARDINALETTI und STARKE oder WERNER (1999) der Fall ist. Es wird auch kein eigenes Paradigma angesetzt für schwache Formen, da distinkte Formen – im Gegensatz zum Italienischen – nur für die VF und für CL belegt sind. Eine Ausnahme bildet es, das aber nicht in allen Varietäten zu finden ist. Doch gibt es Umgebungen, in denen die vermeintliche VF nicht alle Eigenschaften besitzt, die sie nach den Kriterien haben sollte. Die Einteilung in VF und CL ist im Bairischen aber auf jeden Fall die wesentlichere und grundlegende. Die Annahme von schwachen Formen zeigt aber auch, dass die Einteilung von KOLLMANN in Tabelle 6 nicht unbegründet ist, auch wenn schwache Formen nicht einfach als unbetonte Vollformen verstanden werden dürfen. Die Kriterien, mit deren Hilfe eine Zuordnung der Formen erfolgen soll und die an die Kriterien von CARDINALETTI und STARKE, NÜBLING und ABRAHAM angelehnt sind, werden am Ende dieses Abschnitts zusammenfassend dargestellt. 3.3.1.4 Klitikon oder Flexiv Da im Zusammenhang mit REFL und reflexiv verwendeten PERSPRON – wie schon bemerkt – das Hauptaugenmerk auf den Objektpronomina liegt, ist die Abgrenzung zu Flexiven nicht zentral. Schließlich wurden nur einige Formen im NOM bisher dahingehend geprüft, ob sie besser als Flexive einzuordnen wären, da nominativische Formen dem Verb am häufigsten folgen. Ein paar kurze Worte sind über die Abgrenzung zum Flexiv dennoch zu verlieren. Die fraglichen Formen sind (s)d (2SG.NOM) und (d)s (2PL.NOM). Auch ma (1PL.NOM) wird in manchen Arbeiten (z. B. ALTMAN 1984; HARNISCH 1989) als Kandidat für ein Flexiv geführt, da es in ähnlichen Umgebungen auftreten kann wie sd und ds. Die Annahme eines Flexivs bei diesen Formen gründet auf folgender Beobachtung: Selbstständige Formen treten nicht im gleichen Teilsatz auf wie ihre klitischen oder unbetonten Pendants, und zwar nach dem „Verbot der Verdoppelung einer syntaktischen Funktion“ (ALTMANN 1984, 194–195). Die Formen der 2. Person im NOM lassen diese scheinbare Doppelung offensichtlich zu:

70

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

(27) 2PL.NOM und 1PL.NOM als Flexiv? a.

Wann=s ees wenn=2PL.NOM 2PL.NOM geem=mà miàr gehen:1PL=1PL.NOM 1PL.NOM

b.

Wann-s ees wenn=2PL.NOM 2PL.NOM geem-mà gehen-1PL

miàr 1PL.NOM

need NEG

kem=ds, kommen:2PL=2PL.NOM

àlloàns alleine need NEG

kem-ds, kommen-2PL.NOM

àlloàns alleine

‘Wenn ihr nicht kommt, gehen wir alleine.’ (nach MERKLE 1975 [2005], 128; Glossierung US) Um diese Formen als Flexiv zu klassifizieren, müsste demnach eine Flexion an einer Konjunktion angenommen werden (HARNISCH 1989), was weiter zu Folge hätte, dass die Konjunktion auch mit einem Flexiv versehen werden müsste, wenn das Subjekt des Matrixsatzes in Form einer NP realisiert ist. Da dies nicht der Fall ist, wird hier nach NÜBLING (1992, 125) gegen eine Klassifizierung dieser Formen als Flexiv oder Affix argumentiert, weil die mangelnde Obligatorik eines solchen Konjunktionssuffix und die fehlende morphologische Selektivität stark gegen eine Annahme eines Konjunktionsflexivs sprechen. Deshalb werden diese Formen weiter als Klitika geführt werden. Hinsichtlich des REFL ist der Übergang zu einem Flexiv wenig erwartbar. 3.3.1.5 Kategoriale Klassen oder Kontinuum Wie die Terminologie in der Klassifikation von PERSPRON und der Zahl der anzunehmenden Kategorien so ist auch die Grundkonzeption der Klassen nicht eindeutig: So sind bei CARDINALETTI und STARKE klar voneinander abgrenzbare Kategorien zu finden, und auch ZWICKY (1994) spricht sich für die Aufrechterhaltung von distinkten Klassen aus. Dagegen nimmt NÜBLING (1992) klar ein Kontinuum an, was im Falle einer diachronen Arbeit, wie es die von NÜBLING ist, verständlich scheint. Auch in der funktionalen Typologie ist die Annahme von Skalen, Kontinua und Pfaden verbreitet. So zeigt sich auch SIEWIERSKA (2004) wenig optimistisch hinsichtlich der Einteilung von PERSPRON in klare Kategorien, vor allem aus typologischer Perspektive und nach der Begutachtung des Ansatzes von CARDINALETTI und STARKE.29

29

HASPELMATH (2002) geht noch einen Schritt weiter und zweifelt die Sinnhaftigkeit von sprachübergreifenden formalen Kategorien gerade auch hinsichtlich der Klasse der CL an.

71

Von Wort bis Affix

While many person markers are unequivocally affixes or clitics, the status of others depends on which property is taken as definitive of affixes, clitics, weak or independent forms, respectively. This suggests that the distinction between affix, clitic, weak or strong form is not in fact discrete but rather gradual. (SIEWIERSKA 2004, 40)

Einzelsprachlich können allerdings auf dem Kontinuum schon gewisse Punkte festgelegt werden. Um Sprachvariation im diachronen, aber auch im synchronen Sinne gerecht werden zu können, wird eine graduelle Konzeption zwischen zwei Polen allerdings als sinnvoller erachtet. So drängt sich auch für die vorliegende Arbeit, die sich ja mit morphosyntaktischer Variation beschäftigt, die Annahme eines Kontinuums auf, da sich in den verschiedenen Varietäten die Formen graduell unterschiedlich verhalten (können). Was allerdings bei einem Kontinuum festgesetzt werden muss, um es nicht ad absurdum zu führen, sind die Pole und deren Eigenschaften. Da für die vorliegende Untersuchung das Flexiv beziehungsweise die Abgrenzung zu Flexiven/Affixen keine Rolle spielt, sind die beiden Pole in diesem Fall Vollform und Klitikon. Die grundsätzlichen Eigenschaften der Pole wurden schon unter 3.3.1.1 vorgestellt und geprüft. Neu eingeführt wird hier nach CARDINALETTI und STARKE das Belebtheitskriterium: Vollformen haben das semantische Merkmal [+belebt], Klitika sind hinsichtlich dieses Merkmals unterspezifiziert. Das Kontinuum und die Eigenschaften der Pole sind nun in der folgenden Darstellung zusammengefasst. Der Pfeil nach rechts verdeutlicht, dass das Kontinuum nur für diese Arbeit, aber nicht grundsätzlich an dieser Stelle endet. Vollform topikalisierbar modifizierbar koordinierbar mit Präposition nur belebt selektiv/adjazent reduziert

+ + + + + – –

Schwache Form – – – + – –

– + +

Klitikon – – – – – + +

Abbildung 6: Kontinuum zwischen Vollform und Klitikon

3.3.2

Abfolge von Vollform und Klitikon

Ein weiterer wichtiger Punkt, um REFL und reflexiv verwendete PERSPRON besser bestimmen und einordnen zu können, sind die Abfolgemuster und Serialisierungspräferenzen von CL und VF. Denn bisher wurde nur gezeigt, an welchen Stellen CL auftreten können, nun soll die Stellungspräferenz der CL ergründet werden. Im Zusammenhang mit den Kriterien der Adjazenz und der Selektivität wurde bereits erläutert, dass sich CL nicht an VF binden können. Sie können aber

72

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

sogenannte Klitikcluster bilden, das heißt eine Reihe von CL. Diese sind ein wesentlicher Teil der formal-syntaktischen Arbeiten zum bairischen Klitiksystem (ABRAHAM 1996a; ABRAHAM 1996b; ABRAHAM / WIEGEL 1993; WEIß 1998), da die Serialisierung von CL und die Stellungsbeschränkungen und der Status der Elemente – im formalen Sinne als Phrasen oder Köpfe – nicht beliebig sind, sondern Mustern und klaren Präferenzen folgen. Aber auch dialektologische Arbeiten haben gezeigt, dass klare Abfolgen der klitischen Elemente zu finden sind. So nimmt POHL (1989) zum Kärntnerischen die gleichen Abfolgen an wie WEIß (1998) zum Mittelbairischen. Subjektsklitika stehen immer an erster Stelle von Klitikclustern, nach dem Verb oder nach einer subordinierenden Konjunktion, also im Mittelfeld. Die Objektsklitika folgen dem Subjektsklitikon oder ebenfalls dem Verb oder einer Konjunktion, falls das Subjekt nicht-klitisch realisiert ist. vor OCL

(28)

SCL

a.

das=e=n dass=1SG.NOM=3SG.AKK.M

seg sehen:1SG.PRÄS

b.

das=sd=n dass=2SG.NOM=3SG.AKK.M

segsd sehen:2SG.PRÄS

c.

das=a=n segd dass=3SG.NOM.M=3SG.AKK.M sehen:3SG.PRÄS ‘dass ich/du/er ihn sehe/siehst/sieht’ (nach WEIß 1998, 88; Glossierung US)

(29) a.

SCL

vor IOCL

DASS=3SG.NOM.M=1SG.DAT

das=a=ma

gfoid gefallen:3SG.PRÄS

b.

das=a=da dass=3SG.NOM.M=2SG.DAT

gfoid gefallen:3SG.PRÄS

c.

das=a dass=3SG.NOM.M

gfoid eam 3SG.DAT.M gefallen:3SG.PRÄS

‘dass er mir/dir/ihm gefällt’ (nach WEIß 1998, 89; Glossierung US) Diese Erkenntnisse sind bis hierhin noch nicht besonders überraschend oder erstaunlich. Wichtig ist aber, dass das die wichtigste Position für Klitika ist, auch wenn in der Literatur Beispiele für andere Stellungen zu finden sind, die meist unter dem Terminus Klitikwanderung besprochen werden. Diese Phänomene sind hier nicht relevant. Wichtig ist nun, dass bei Abfolgen von drei klitischen Elementen sich die Autoren auch einig sind, dass die präferierte Abfolge SCL – IOCL – DOCL ist. Auch hier gibt es Variation, doch die Normalabfolge oder unmarkierte Stellung der Elemente ist die folgende:

73

Von Wort bis Affix

(30) ditransitive Verben I: SCL – IOCL – DOCL a.

das=a=ma=n geem hot dass=3SG.NOM.M=1SG.DAT=3SG.AKK.M geben:PPERF AUX

b.

das=a=da=s dass=3SG.NOM.M=2SG.DAT=3SG.AKK.F geben:PPERF

AUX

(31) ditransitive Verben II: Vollformen eam und iar nach DOCL a.

das=a=n eam dass=3SG.NOM.M=3SG.AKK.M 3SG.DAT.M

geem hot ggeben:PPERF AUX

b.

das=a=n iar dass=3SG.NOM.M=3SG.AKK.M 3SG.F

geem hot geben:PPERF aux

c.

*das=a dass=3SG.NOM.M

geem hot eam=an 3SG.DAT.M=3SG.AKK.M geben:PPERF AUX

‘dass er ihn ihm/ihr gegeben hat’ (nach WEIß 1998, 89; Glossierung US) Kontroverser diskutiert wird die Abfolge von zwei Vollformen. ABRAHAM / WIEGEL (1993) bzw. ABRAHAM (1996) nehmen für Vollformen eine Normalabfolge AKK – DAT (DO – IO) an. WEIß (1998, 140) bestreitet die Interpretierbarkeit solcher Sätze (wie in [32]). Diese Abfolge wird im nächsten Kapitel noch kurz zu klären sein. (32) Interpretierbar oder nicht: 2 Vollformen (3SG) ea hot eam 3SG.NOM.M AUX 3SG.AKK.M

eam 3SG.DAT.M

geːm geben:PPERF

‘Er hat ihn ihm gegeben.’ (nach ABRAHAM / WIEGEL 1993, 20) Diese Darstellung ist natürlich eine sehr reduzierte, die nicht allen Phänomenen, die es in diesem Bereich gibt, gerecht wird. Sie genügt aber dem Vorhaben dieses Abschnitts, eine grundlegende Darstellung der Verhältnisse zu liefern und die Vorannahmen und Vorbedingungen für die Einteilung der PERSPRON und REFL im Bairischen darzulegen.

74

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

3.4

EMPIRISCHE ÜBERPRÜFUNG UND KLASSIFIZIERUNG 3.4.1

Vorannahmen

Wie verhält sich nun das REFL und welche Abfolgetendenzen können wir dafür feststellen? Doch die intersubjektive Überprüfung, ob si tatsächlich als CL zu bewerten ist, kann vereinfacht werden: Wenn nun also die Abfolgebeschränkungen – oder vielleicht besser Tendenzen –, wie sie hier dargestellt wurden, zutreffen, dann kann eine Vorhersage bezüglich der Stellung des REFL si und seines syntaktischen Status getroffen werden: Tritt si präferiert zwischen Verb und DOCL auf, so ist das ein valider Hinweis darauf, dass der Form si grundsätzlich Klitikstatus zugewiesen werden kann. Ist si also tatsächlich ein Klitikon, so sind – analog zu den Beispielen von WEIß –Grammatikalitätsurteile, wie sie in (33) dargestellt sind, zu erwarten. Diese Überprüfung hat noch einen weiteren Vorteil: Es kann gleichzeitig untersucht werden, wie verbreitet die Verwendung des PERSPRON in den 3. Personen im DAT (noch) ist. (33) Vorhersage REFL als CL a. b.

das=a=si=n baut dass=3SG.NOM.M=REFL=3SG.AKK.M bauen:pperf

AUX

hot

??/* das=a=n si baut dass=3SG.NOM.M=3SG.AKK.M REFL bauen:PPERF

AUX

hot

‘dass er ihn sich gebaut hat’ Die Überprüfung dieser Annahme und die daraus ableitbare Klassifikation der Formen ist nun Gegenstand dieses Abschnittes. Der erste Schritt ist es zu testen, ob die Abfolge IOCL vor DOCL wirklich präferiert wird oder ob die Abfolge variationell ist. Es wurde die Abfolge von =ma (1SG.DAT) und =n (3SG.AKK) getestet, da diese beiden Elemente unbestritten als Klitika einzuordnen sind. Bei der Auswertung ausgeklammert wurden alle Antworten, die ein offensichtlich oder vermutlich nicht-klitisches Element enthielten, also alle Antworten, die keine Aussage über die Serialisierungspräferenz bei CLAbfolgen erlauben. Daraus ergibt sich folgende Zahl, auf deren Grundlage die Prozente in der folgenden Graphik zu interpretieren sind: n=89.

Empirische Überprüfung und Klassifizierung

75

Abfolge IOCL_DOCL ma=n

=n=ma

=ma=n + =n=ma

6% 10%

84%

Abbildung 7: Überprüfung der CL-Abfolgen

30

Das Ergebnis ist eindeutiger als erwartet: in 84 Prozent der Antworten ist wohl IOCL vor DOCL die intersubjektiv unmarkierte Abfolge. Es lässt sich hier nicht der Schluss ableiten, dass dies die einzig mögliche Abfolge bei diesen Sprechern ist, aber sie lässt sich doch eindeutig als unmarkiert bezeichnen. Die Annahme von WEIß, ABRAHAM und POHL lässt sich also bestätigen. 3.4.2

Stellungsbeschränkungen von REFL

Folgende Umgebungen wurden berücksichtigt: Als DOCL wurden nur Formen ausgewählt, die eindeutig als CL zu klassifizieren sind, die Abfolge wurde im Cluster mit DOCL sowie mit SOCL und DOCL abgeprüft. Ausgeschlossen wurden alle Antworten mit sich, alle Fragebögen, die in Block 0 sich angegeben haben und Fragebögen, bei denen die Antwort nicht reflexiv war, und für die Darstellung hier auch alle Antworten mit PERSPRON. In absoluten Zahlen bedeutet das: A.1.a n=83, A1.b n=85, A.1.c n=82. Die Bespielsätze, die für den Test verwendet wurden, sind in (34), (35) und (36) ohne Kontext aufgelistet. Die Ergebnisse sind in Abbildung 8 als Diagramme dargestellt.

30

Im Folgenden werden nicht alle Fragen des Fragebogens in graphischer Form präsentiert, sondern lediglich diejenigen, die für die weitere Argumentationsführung wesentlich sind.

76

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

(34) Testbeispiel A.1.a a.

_si_DOCL erst erst

gestern (ge)khaft gestern kaufen:PPERF

(=)si erst (=)REFL erst

gestern (ge)khaft gestern kaufen:PPERF

ea hot=si=n 3SG.NOM.M AUX=REFL=3SG.AKK.M b.

_DOCL_si ea hot =n 3SG.NOM.M AUX=3SG.AKK.M

‘Er hat ihn sich erst gestern gekauft.’ (35) Testbeispiel A.1.b a.

_si_DOCL na, nein

b.

so hot=sa=si=n so AUX=3SG.NOM.F=REFL=3SG.NOM.M

net NEG

vorgstöllt vorstellen:PPERF

_DOCL_si na, nein

so hot=sa=n (=)si net vorgstöllt so AUX=3SG.NOM.F=3SG.AKK.M (=)REFL NEG vorstellen:PPERF

‘Nein, sie hat sie ihn sich nicht vorgestellt.’ (36) Testbeispiel A.1.c a.

_si_DOCL se 3PL.NOM

san sein:3PL.PRÄS

echt echt

dass=sa=si=s dass=3PL.NOM=REFL=3SG.AKK.F b.

froh, froh net NEG

khaft kaufen:PPERF

hom AUX

_DOCL_si se 3PL.NOM

san sein:3PL.PRÄS

echt echt

dass=sa=s dass=3PL.NOM=REFL=3SG.AKK.F

froh, froh (=)si net khaft (=)REFL NEG kaufen:PPERF

‘Sie sind wirklich froh, dass sie sie sich nicht gekauft haben.’

hom AUX

77

Empirische Überprüfung und Klassifizierung

A.1.a

A.1.b

A.1.c

_si_DOCL _DOCL_si _si_DOCL + _DOCL_si 7%

10%

4%

10%

83%

90%

96%

Abbildung 8: Verteilung der Abfolge von si und DOCL

Das Bild ist sehr eindeutig – wieder wesentlich eindeutiger als erwartet. Die hohe Zahl bei der Bewertung für die erste Abfolge im 3. Beispiel kann wahrscheinlich auf die phonologischen Probleme bei einer Abfolge von DOCL_si zurückgeführt werden. Aber die phonologische Präferenz kann für das erste und zweite Beispiel, für die ebenfalls eine Präferenz zu si_DOCL festzustellen ist, keine Rolle spielen. Interessant ist auch, dass nur beim ersten Beispiel Variation möglich scheint, also dass die Abfolge si_DOCL UND DOCL_si für sieben Prozent gleichermaßen gut erscheint. Worauf dies zurückzuführen ist, kann hier nicht geklärt werden. Was aber noch geklärt werden muss, ist die Korrelation zwischen den Abfolgepräferenzen, die in Abbildung 7 dargestellt sind, und der Abfolge, die für das REFL wohl die unmarkierte darstellt. Durch die ähnlichen Prozentzahlen in den Abfolgemöglichkeiten liegt der Schluss nahe, dass diese direkt korrelieren, das heißt, dass die Sprecher, welche die Abfolge DOCL_IOCL präferieren auch die Abfolge DOCL_si vorziehen. Hier kann aber keine Übereinstimmung festgestellt werden. Auch eine geographische Distribution lässt sich nicht erkennen, ebenso wenig eine Einteilung nach Altersgruppen. Die Abfolge ist also variabel, es können aber intersubjektiv klare Präferenzen in Richtung IDOCL_DOCL festgestellt werden. Die Form si lässt sich also in Argumentposition als Klitikon klassifizieren.31 Um den Befund zu stützen, dass si als CL einzuordnen ist, muss noch eine weitere Beschränkung von si aufgezeigt werden: Nach den oben angeführten Kriterien zur Bestimmung einer Form als Klitikon darf si nicht modifizierbar sein, wenn es als klitisch klassifiziert werden soll. Die Ergebnisse des Fragebogens 31

Auf den ersten Blick mag es so scheinen, als wenn dieser Test das REFL nur im DAT als CL ausweisen könnte. Das ist nicht der Fall, denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass die gleiche Form in einem Kasus ein CL ist und im anderen nicht. Der Test zur Modifizierbarkeit sollte auch dahingehend alle Zweifel beseitigen.

78

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

sind in dieser Hinsicht ganz klar: Es gibt nur einen Sprecher, der si mit Modifikation (nua/lei ‘nur’) als die Variante gekennzeichnet hat, die er verwenden würde. Die Frage, welche Ersatzstrategien in diesem Kontext zu finden sind, wird in Kapitel 5 behandelt. (37) Ungrammatikalität bei Modifikation von si * Ea 3SG.NOM.M

hot AUX

jo ja

nua nur

si REFL

fotografiert. fotografieren:PPERF

‘Er hat ja nur sich fotografiert.’ (vgl. Fragebogen B.1.b) Eine abschließende Beobachtung ist hier noch anzusprechen: PERSPRON statt REFL ist nicht mehr sehr weit verbreitet. Wie sich das erklären lässt und welche Korrelationen sich dazu feststellen lassen, soll hier nicht behandelt werden. Dies ist im nächsten Kapitel zu klären, in dem die Synkretismen im Bereich der PERSPRON und REFL unter die Lupe genommen werden. 3.5

ZUSAMMENFASSUNG

Es ist nun ersichtlich geworden, dass das angestrebte Ziel, eine morphosyntaktische Einteilung durchzuführen, nicht ganz einfach zu erreichen ist. So begann die Diskussion mit einem scheinbaren Terminologieproblem, das sich am Ende in ein grundsätzliches Konzeptionsproblem verwandelte und die Frage aufwirft, ob ein Kontinuum anzunehmen ist oder doch distinkte Klassen. Für die folgende Darstellung der Befunde wird zunächst wieder auf die beiden Kategorien beziehungsweise die Pole CL und VF zurückgegriffen, was aber nicht im Widerspruch mit der Annahme eines Kontinuums stehen soll. 3.5.1

Formeninventar II

3.5.1.1 Personalpronomina Für die weiteren Darstellungen in dieser Studie ist es wichtig, nun noch einmal eine Zusammenfassung des Formeninventars zu liefern, auf das sich die Ausführungen in den nächsten Kapiteln beziehen. Für die Personalpronomina wird grundsätzlich die Einteilung von WEIß beibehalten, mit wenigen Ergänzungen. Die Aufnahme von unbetonten Formen in das Paradigma scheint hier, wie bereits erwähnt, nicht sinnvoll, da diese im Bairischen – im Gegensatz etwa zum Italienischen – keine eigenständige Form aufweisen, sondern sich – wie im Standarddeutschen – die Form mit der VF teilen. Es ist also in auffälligen oder nicht eindeutigen Kontexten qualitativ zu klären, ob es sich um eine Vollform, eine schwache Form oder um ein Klitikon handelt.

79

Zusammenfassung NOM

AKK

DAT

VF/SF

CL

VF/SF

CL

VF/SF

CL

1SG 2SG 3SG.M 3SG.F

i du ea sie

e/a sd a s

mi di eam sie (iar[a])

me de (a)n (a)s

mia dia eam iar(a)

ma da ([a]n) –

3SG.N 1PL 2PL 3PL

– mia es se

s ma (d)s s

– uns enk si

(a)s – – s

(eam) uns enk ea

– – – –

Tabelle 12: Grundschema der PERSPRON im Bairischen

Nun sind noch einige paradigmatische Auffälligkeiten, die sich aus dieser Darstellung und aus dem Vergleich der verschiedenen Paradigmen und Varietäten ergeben und für die weiteren Ausführungen auch von Relevanz sind, zu explizieren. Denn diese Auffälligkeiten spielen in den späteren Ausführungen eine wichtige Rolle für einige Erklärungsansätze, schließlich sind die Paradigmen der PERSPRON und die der REFL im Bairischen sehr eng mit einander in Verbindung zu setzen: 1. Ein vollständiges Paradigma hinsichtlich Kasusdifferenzierung und auch bezüglich VF und CL lässt sich nur in der 1SG und 2SG ausmachen. 2. Die 3SG.N ist die einzige Person, in denen Lücken im Paradigma der Vollformen festzustellen ist. 3. Fehlt die klitische Form im AKK, so fehlt sie auch sicher im DAT. 4. In der 3SG.M, in der 1PL und der 2PL sind die Vollformen im AKK und DAT identisch, in den anderen Personen (außer natürlich in der 1SG und 2SG) sind nom und AKK formengleich. Die 3SG.M weist sowohl im AKK als auch im DAT die m-Form, also die dativische Form als Vollform auf. Wird das Paradigma hier auch in der klitischen Form ausgeglichen (Nordbairisch), ist es die nForm, also die akkusativische, die auch für DAT verwendet wird. Allerdings ist hier anzumerken, dass diese Tendenz in einigen Varietäten auch bei der 3SG.F zu beobachten ist. 3.5.1.2 Reflexiva Das REFL si lässt sich zunächst klar als CL einordnen oder, wenn man es im Sinne der Annahme eines Kontinuums weniger kategorisch formuliert: Es ist am äußersten rechten Rand auf der Spanne zwischen Vollform und Klitikon anzuführen. Dies ist natürlich ein ideales Ergebnis, alle Vorannahmen wurden bestätigt. Sind aber nun die Annahme einer schwachen Form, wie sie bei der Besprechung des Ansatzes von CARDINALETTI und STARKE als sinnvolle Erweiterung der Klassifikationsgrundlage eingeführt wurde, und das aufgestellte Kontinuum für das REFL

80

Formeninventar und morphosyntaktische Klassifizierung

obsolet geworden? Es wird sich erweisen, dass es durchaus Grund zur Annahme gibt, dass sowohl si als auch das PERSPRON in reflexiver Verwendung in Umgebungen zu finden sind, in denen diese Zwischenstufe anzunehmen ist. So kann si zum Beispiel in manchen Varietäten nach Präpositionen auftreten, jedoch ist die Verbindung mit Präpositionen in bestimmten Kontexten tendenziell besser als mit anderen. Dieser Variation kann ein Kontinuum auf jeden Fall besser gerecht werden als eine strikt kategoriale Einteilung. Die Strategien zur Erfüllung nichtklitischer Positionen stehen in Kapitel 5 im Mittelpunkt. An diesem Punkt ist vorerst Folgendes festzuhalten: Das distinkte REFL si ist in Argumentposition als Klitikon zu klassifizieren. Die Formen der PERSPRON in reflexiver Verwendung können Vollformen, schwache Formen oder Klitika sein, wobei das Paradigma in den 3. Personen im Dativ sehr lückenhaft ist, was die Klitika betrifft. Sprachtypologisch betrachtet, unterscheidet sich das Formeninventar also sehr stark von dem des Standarddeutschen: si ist nicht als eine reduzierte Variante von sich zu begreifen, sondern ist in morphosyntaktischer Hinsicht andersartig. Das manifestiert sich auch in anderen Umgebungen und Konstruktionen, wie schon bei der Besprechung von REFL in Modifikation und in PP hingewiesen wurde. 3.5.2

Ausgangspunkt und Ausblick

Nun ist weitestgehend der Startbereich der weiteren Untersuchungen definiert. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen stellen sich nun einige Fragen, die sich aus dieser Einordnung ergeben und die zum Teil auch schon angesprochen wurden. Diese sollen zum Abschluss gesammelt formuliert werden. Dazu gibt es hier noch den Verweis auf den entsprechenden Kontext, in dem diese zu behandeln sind und in welchem Kapitel dem Genüge getan wird. –



Sind die auffälligen Synkretismen in der 3. Person im Südbairischen und in der 1. Person Plural in einigen mittelbairischen Varietäten auf die strukturellen Eigenschaften der Formen, die hier besprochen worden sind, zurückzuführen? Auf dieser Überlegung baut das nächste Kapitel auf. Dabei ist nicht nur interessant, welche Eigenschaften diese paradigmatischen Besonderheiten ausgelöst oder begünstigt haben, sondern auch, wie stabil diese Erscheinungen heute noch sind. Wenn si als Klitikon oder zumindest als defiziente Form zu betrachten ist, welche Strategien sind zu finden, um Reflexivität, oder Koreferentialität mit dem Subjekt in Umgebungen auszudrücken, die keine klitischen Elemente oder schwache Formen dulden? Diese Frage steht im engen Zusammenhang mit einem Bereich, der bisher nur am Rande angesprochen wurde, nämlich mit der Intensivierung von REFL und der Desambiguierung von PERSPRON in der 3. Person in reflexiver Verwendung. Beide Themenbereiche, die – wie zu zeigen sein wird – ineinander übergreifen, werden in Kapitel 5 behandelt.

Zusammenfassung



81

Schließlich ist auch noch zu klären, ob die Formen, oder präziser formuliert, die Kontexte, in denen gewisse Formen erlaubt sind und andere nicht, Aufschluss über die syntaktische und semantische Einordnung von reflexiven Konstruktionen geben können. Dies ist vor allem in Hinblick auf die Verbindung mit der Grammatikalisierungstheorie, die auch mit dem Kontinuum zwischen Vollform und Klitikon in Zusammenhang steht, interessant.

4

SYNKRETISMEN UND PARADIGMATISCHE UMSTRUKTURIERUNG 4.1

ZIELSETZUNG

In diesem Kapitel steht die Untersuchung der paradigmatischen Auffälligkeiten im Bereich der REFL und PERSPRON des Bairischen im Mittelpunkt. Dabei sind die Besonderheiten und Formenübereinstimmungen der Objektspronomina, der Reflexivpronomina und der reflexiv verwendeten PERSPRON zentral. Aus diesen beiden Einschränkungen ergibt sich zum einen die Relevanz für die vorliegende Arbeit, zum anderen aber auch die Vernachlässigung von interessanten Auffälligkeiten, die im Dialekt und im Standard belegt sind, aber nicht unmittelbar in Verbindung zur Reflexivität stehen. An entsprechender Stelle wird dennoch auch auf diese Besonderheiten eingegangen und auf einschlägige Literatur verwiesen. Die zu diskutierenden Auffälligkeiten sollen noch einmal kompakt dargestellt werden: 3SG

M F

AKK

DAT

REFL

eam =n si (SB teilw. iar[a]) =s

eam (=n) iar(a) (=s)

SB DAT eam AKK =si

3PL HON

uns

SB DAT (eam) AKK =si MSB & SB uns

MB & MSB =si MB teilw. =si

ea(na)/sena

SB eana /sena

(eam)

N

1PL

SB DAT iar(a) AKK =si

MB & MSB =si MB & MSB =si

=s uns se =s se/eana

eana

MB & MSB =si eana

Tabelle 13: Übersicht über den Zusammenfall von Formen im Paradigma der PERSPRON und REFL in österreichischen Varietäten des Bairischen

MERKLE (1975 [2005]) stellt in seiner „Bairischen Grammatik“ hinsichtlich der Gleichlautung einiger Formen des Paradigmas der Personalpronomina im Bairischen, insbesondere in Bezug auf den Dativ und Akkusativ im Maskulinum und auf die Höflichkeitsform (also den Formen eam und eana, bei MERKLE eàhm und Eàhna), – wohl nicht ohne ein gewisses Augenzwinkern, mit einem Blick auf Tabelle 13 allerdings auch nicht ganz unberechtigt – fest: „Man sieht: Es herrscht schon ein gewisses Durcheinander in der bairischen Grammatik“ (MERKLE 1975 [2005], 98). Dieses „Durcheinander“ soll zunächst mit dem Begriff Synkretismus

84

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

erfasst werden. Das Ziel dieses Abschnittes ist es, aus dem vermeintlichen „Durcheinander“ der Formen die dafür verantwortlichen Faktoren herauszufiltern. In diesem Sinne werden die Auffälligkeiten und der Zusammenfall von bestimmten Formen vor dem Hintergrund der Eigenschaften und Distributionen, die im letzten Kapitel dargelegt wurden, daraufhin geprüft, welche Eigenschaften und Bedingungen zu diesen Besonderheiten geführt haben könnten. In diesem Sinne ist die Darstellung als diachron zu werten. Dabei ist zu beachten und zu bedenken, dass es wenige historische Daten zur bairischen Morphologie und Syntax oder gar zu strukturellen Besonderheiten der Einzelvarietäten gibt. Daher kann keine genaue Nachzeichnung der Verhältnisse in älteren Sprachstufen und deren Entwicklung vorgenommen werden. Auf der Grundlage von synchronen Evidenzen, typologischen Vergleichen und Erkenntnissen sowie einigen Parallelen zum Standarddeutschen kann allerdings ein plausibles Szenario erstellt werden. Die Überlegungen, die diesem Kapitel zugrunde liegen, und die Fragen, auf die hier Antworten gefunden werden sollen, sind folgende: – – –

Welche systeminternen und außersprachlichen Faktoren zeichnen verantwortlich für die Umstrukturierung des Paradigmas oder den Erhalt von gewissen Strukturen? Sind die paradigmatischen Auffälligkeiten auch mit weiteren strukturellen Eigenschaften verknüpft? Wie stabil sind diese Strukturen aus synchroner Sicht, und welche Tendenzen und Trends sind aus den synchronen Daten abzulesen? 4.2

TERMINOLOGISCHE KLÄRUNG

Unter dem Begriff Synkretismus werden an dieser Stelle paradigmatische Auffälligkeiten hinsichtlich der Gleichlautung des Formeninventars zusammengefasst, das heißt nach BAERMAN / BROWN / CORBETT (2005) als ein […] cover term that will apply to all instances of inflectional homophony, regardless of their origin or interpretation; indeed, this is how the term was first used by Pott (and Bindseil) in 1836 [in „Etymologische Forschungen auf dem Gebiet der Indo-Germanischen Sprachen“; Anmerkung US]. (BAERMAN / BROWN / CORBETT 2005, 7)

Die Verwendung des Begriffs Synkretismus impliziert demnach hier wie bei BAERMAN / BROWN / CORBETT noch keine Analyse hinsichtlich der für den Zusammenfall der Formen verantwortlichen Faktoren.32 Eine weitere Diskussion über den Terminus Synkretismus und die Phänomene, die er bezeichnen sollte 32

BAERMAN / BROWN / CORBETT (2005, 4–6) weisen darauf hin, dass einige Autoren für eine scharfe Trennung zwischen den Konzepten und somit auch den Begrifflichkeiten Homophonie für gleichlautende Formen als Resultat von phonologischem Wandel und Synkretismus für morphosyntaktische Umstrukturierung plädieren. Allerdings sind diese Zuordnungen oft nicht leicht zu treffen. Um eine voreilige Zuordnung und Klassifikation zu vermeiden, soll dieser Begriff also wie oben definiert verwendet werden.

Synkretismen in der 3. Person

85

oder nicht, findet sich bei LURAGHI / FABELLINI (2000). Eine Unterscheidung in zufällige und systematische Homophonie, wie sie ZWICKY (1991) bespricht, ist hier nicht nötig, da gezeigt wird, dass es sich bei den zu behandelnden Synkretismen nicht um zufällige phonologische Identität handelt. Des Weiteren werden hier die Termini paradigmatischer Ausgleich bzw. Ausgleichstendenz zentral sein. Unter Ausgleich wird im Folgenden der Mechanismus verstanden, der die Vereinheitlichung von Formen beziehungsweise die Reduzierung der distinkten Formen innerhalb eines Paradigmas zur Folge hat, d. h. als ein diachroner Prozess, der allerdings verschiedene Ursachen haben kann. Relevant sind in dem hier besprochenen Themenkomplex vor allem syntaktischsemantische Faktoren. Aber auch extrasystemische Einflüsse, wie Sprachkontakt, und phonologisch-prosodische Eigenschaften werden hinsichtlich ihrer Bedeutung für paradigmatische Veränderungen geprüft. Die Faktoren oder gegebenenfalls auch Faktorenbündel werden in den entsprechenden Abschnitten identifiziert und expliziert. Dabei ist das Ziel hier nicht, eine detaillierte diachrone Nachzeichnung der Entwicklung der Einzelformen vorzunehmen, sondern darzulegen, welche paradigmatischen und auch syntagmatischen Eigenschaften eine Umstrukturierung von Paradigmen bedingen können. Ferner sind nicht nur Innovationen beziehungsweise Umstrukturierungen des Paradigmas verantwortlich für die Gleichheit von Formen an unterschiedlichen Stellen im Paradigma. So ist im Dialekt auch der Erhalt von Formen festzustellen, die im Standard nicht mehr vorhanden sind. Solche konservierten Formen und auch der dialektspezifische Erhalt der Formen werden hier unter dem Terminus Archaismus zusammengefasst. Auch in diesem Zusammenhang ist die Frage und Suche nach dafür verantwortlichen Faktoren sinnvoll. Wieder steht nicht die gründliche diachrone Darstellung im Vordergrund, sondern die Nachzeichnung der systematischen Eigenschaften der Formen. Nun soll nicht der Eindruck entstehen, dass die Synkretismen der Art, wie sie in Tabelle 13 zusammengestellt sind, in der vorliegenden Arbeit zum ersten Mal behandelt würden. Doch die bestehenden Arbeiten dazu sind nicht unproblematisch. Auf die jeweiligen Ansätze wird an entsprechender Stelle näher eingegangen, sie werden evaluiert und dem hier vorgeschlagenen Ansatz gegenübergestellt. So ist auch eine Evaluierung des hier vorgestellten Analyseversuchs gewährleistet. 4.3

SYNKRETISMEN IN DER 3. PERSON

Die erste und im Vergleich zum Standarddeutschen augenscheinlichste Auffälligkeit im Paradigma der Personalpronomina und Reflexiva ist wohl die Dreifachfunktion der Form eam im Südbairischen: Sie wird sowohl als Vollform für den AKK, den DAT und als REFL im DAT verwendet. Im mittel-südbairischen Übergangsgebiet und im Mittelbairischen (auch im Nordbairischen) füllt sie zumindest zwei Funktionen aus. Im Femininum finden wir teilweise die gleiche Verteilung für die Form iar(a): im Südbairischen als Vollform für DAT und teilweise auch für

86

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

und als REFL im DAT. Auch im Neutrum ist die Form eam zu finden, allerdings beschränkt auf belebte Referenten im DAT (vgl. auch WEIß 1998, 88). Der Plural verhält sich wie das Femininum in den meisten Varietäten: Der Erhalt des PERSPRON in reflexiver Verwendung ist hier auch für den Dativ belegt. Der Ausgleich von AKK und DAT ist nicht zu beobachten. Die Verwendung des Personalpronomens in seiner Vollform anstelle des siReflexivums kann hier schon als Archaismus identifiziert werden. Die deckende Verbreitung der distinkt reflexiven Formen wird für den bairischen Sprachraum für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts angenommen (vgl. WALCH / HÄCKEL 1988, 175; WEIß 1998, 107). Daher wundert es nicht, dass gerade die konservativen südbairischen Dialekte33 auch in diesem Fall alte Formen bewahren. Interessant und ungeklärt sind allerdings noch folgende Fragen: Warum ist es gerade der Dativ, bei dem diese Formen nicht vom distinkten REFL si verdrängt worden sind? Besteht eventuell ein Zusammenhang zwischen diesem Archaismus beziehungsweise Konservativismus und den morphosyntaktischen Eigenschaften der Formen, die im letzten Kapitel aufgezeigt worden sind, vor allem auch im Hinblick darauf, dass eam sogar in drei Funktionen zu finden ist? Anders formuliert stellt sich die Frage: Welche Eigenschaften sind diesen Formen zuzuweisen, die sie für so viele Funktionen qualifizieren, oder handelt es sich einfach – um noch einmal MERKLE (1975 [2005], 98) zu bemühen – tatsächlich um ein „Durcheinander in der bairischen Grammatik“? Dem soll im Folgenden nachgegangen werden. AKK

4.3.1

Exkurs: Synkretismus von Dativ und Akkusativ 4.3.1.1 Überblick

Zunächst liegt also das Hauptaugenmerk auf dem Zusammenfall der Formen von Akkusativ und Dativ im Maskulinum. Besonders auffällig ist dabei, dass die dativische m-Form in der Vollform für Akkusativ und Dativ verwendet wird und die n-Form, also die akkusativische Form, nur als Klitikon erhalten bleibt.34 Das gilt allerdings nicht nur für das Bairische. Nach HOWE (1996), der die Personalpronomina und deren Entwicklung in der gesamten Germania behandelt, lässt sich feststellen, dass der Zusammenfall der Objektskasus hin zur dativischen Form im Maskulinum, aber auch im Femininum und die formale Opposition von Vollform und Klitikon auch in anderen dialektalen Varietäten des Deutschen und germanischer (Standard-)Sprachen stattfindet. Dies zeigt Tabelle 14. Darin sind einige

33 34

Zur Beurteilung der Dialekte nach konservativ und progressiv siehe WIESINGER (1983, 839– 840) bzw. in diesem Kapitel 4.3.2. Im Nordbairischen und auch in einigen Varietäten des österreichischen Bairischen ist das Klitikon =n sowohl im Dativ als auch im Akkusativ zu finden, in den übrigen Varietäten nur noch im Akkusativ.

87

Synkretismen in der 3. Person

germanische Varietäten und Sprachen zusammengefasst, die zumindest zum Teil den gleichen Synkretismus aufweisen wie das Bairische.35 Varietät/ Sprache

Genus/ Numerus

DAT VF

Friesisch

M F N

M F

ham har hat/dåt /et ja/jam em ehr dat jüm em iär et iär em eːæ dat eːæ hom [ɦɔm] haar [ɦɑːr] dit [dət] hulle hem haar

N PL

het hun

PL

Nordsächsisch

M

Nordmittelwestphälisch

M F N

F N PL

PL

Ostniederdeutsch36

M F N PL

Afrikaans

M F N PL

Niederländisch (Standard)

DAT CL/

schwach n s n/t s – – – – en – – – – ze/s t ze/s – – – – ‘m [əm] ‘r/d’r [ər/dər] ‘t [ət] ze

AKK VF

ham har hat/dåt /et ja/jam em ehr dat jem em iär et se em eːæ dat eːæ hom [ɦɔm] haar [ɦɑːr] dit [dət] hulle hem haar het hen

AKK CL/

Quelle

schwach n s n/t s – – – – en – – – – ze/s t ze/s –

WALKER 1990, 17 GOLTZ / WALKER 1990, 47 DURRELL 1990, 80

SCHÖNFELD 1990, 113

– – – ‘m [əm] ‘r/d’r [ər/dər] ‘t [ət] ze

HOWE 1996, 231

GOEDBLOED 2005, 55

Tabelle 14: Dativform als Objektskasus der 3SG in dialektalen Varietäten des Deutschen und germanischer Sprachen

35

36

Relevant und daher berücksichtigt sind an dieser Stelle nur Sprachen und Varietäten, die einen Zusammenfall des Objektskasus hin zur Dativform zumindest im Maskulinum aufweisen. Varietät von Stavenhagen (Mecklenburg-Vorpommern).

88

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

Wie schon angedeutet, ist diese Ausgleichserscheinung nicht auf das Maskulinum beschränkt, sondern kann auch durchaus im Femininum auftreten; dies gilt auch, wie erwähnt, für einige Varietäten des österreichischen Bairisch (Südbairisch): (38) Ausgleich bei 3SG.F (Südsteiermark) hod=a

ira

gern

AUX=3SG.NOM.M

3SG.AKK.F gern

ghobt haben:PPERF

‘Hat er sie gern gehabt.’(PhAW_B427) Zum Ausgleich im F ist allerdings anzumerken, dass dieser nicht allzu häufig ist. In der Fragebogenerhebung sind nur drei Belege dieses Ausgleichs zu finden, alle aus der Südweststeiermark. So kann angenommen werden: Ist eine klitische beziehungsweise unbetonte Form im Dativ erhalten, so handelt es sich im Maskulinum meist um die akkusativische n-Form, im Femininum um die akkusativische s-Form.37 Das bedeutet in weiterer Folge, dass hier nicht von einem einfachen Dativ-Akkusativ-Ausgleich ausgegangen werden darf, da die Akkusativform als reduzierte Form erhalten bleibt. Interessant ist außerdem, dass sich die Objektspronomina im Neutrum auffällig anders verhalten als die Maskulina und in den meisten germanischen Sprachen auch als die Feminina und der Plural. Auch die Ersetzung des PERSPRON durch das DEMPRON ist im N offensichtlich weit verbreitet. Letztere Beobachtung scheint auf den ersten Blick nicht in direktem Zusammenhang mit dem Ausgleich im Maskulinum und Femininum zu stehen. Doch es ist bemerkenswert und von Belang, dass sich das Neutrum ganz anders verhält als das M, und dass F und der PL im Bairischen sogar meist dem N in der Verteilung der Formen ähnlicher sind als dem M. Dem N ist allerdings in allen germanischen Sprachen und Varietäten eine Sonderstellung zuzuweisen. Zunächst nehmen wir den Ausgleich im M. genauer unter die Lupe, das sich offensichtlich in den meisten germanischen Sprachen und Varietäten ähnlich verhält. 4.3.1.2

Phonologische Faktoren

HOWE zufolge ist auch ein rein phonologischer Wandel von m > n hier auszuschließen.38 Eine phonologische Erklärung ist nämlich spätestens dann nicht mehr ausreichend, wenn die analoge Ausgleichstendenz auch in der 3SG.F, wie in süd-

37 38

Eine Ausnahme bildet das Standardniederländische. Hier bildet eine Reduzierung der dativischen Form das Klitikon. WALCH / HÄCKEL (1988) nehmen für das Frühneuhochdeutsche Orthographiefehler für die m/n-Alternation bei M an.

89

Synkretismen in der 3. Person

bairischen Varietäten, und im Großteil der germanischen Sprachen auch im Plural zu beobachten ist. Diese Analyse würde somit eine sekundäre Entwicklung der femininen Formen voraussetzen, der eine Reanalyse des Paradigmas der 3SG.M vorangeht. Man müsste also von folgenden Schritten ausgehen: Zuerst findet eine phonologische Umgestaltung im Maskulinum statt, die eine Verteilung von m-Form als Vollform und n-Form als klitische Form zur Folge hat. Diese neue Verteilung wird reinterpretiert, sodass die dativische Form mit der Vollform und die akkusativische Form mit der klitischen Form gleichgesetzt wird. Wirft man allerdings einen Blick auf germanische Sprachen, deren Sprachgeschichte gut dokumentiert ist, wie es zum Beispiel für das Englische der Fall ist, kann nicht von einer sekundären Entwicklung ausgegangen werden, denn hier vollzieht sich der Ausgleich im M und im F simultan: (39) Entwicklung des pronominalen Objektskasus im Englischen (nach HOWE 1996, 131, 138, 167) AE DAT

ME AKK

NE

DAT

AKK

DAT AKK

hin(e), hene; später meist schon als

him him

M

him, hym hine, hiene, hyne

him, hym(e), (hem)

F

hire, hiere, hyre him

hir(e), hur(e), her(e)

DAT

N

hī, heī hit

hēo, hī, ha; auch his(e), es; später meist schon als DAT him hym(e), hit, hit, hyt, it, ytt, a, -t hyt, it

her her it

it

Das bedeutet nun, dass die Annahme einer sekundären Entwicklung zwar nicht in allen Varietäten abzulehnen ist, aber auch, dass solch eine Analogie nicht als grundsätzlich für einen Erklärungsansatz angenommen werden darf und dass ein plausibles Szenario auch sprachübergreifend valide sein muss.39 HOWE (1996, 112, passim) geht für die germanischen Sprachen insgesamt nun davon aus, dass die Umstrukturierung in [+betont] und [–betont] („+accented“ und „–accented“ im Original) kein Zwischenschritt in der Reanalyse ist, wie bei oben erwähntem Szenario angenommen, sondern der Grund für diesen Ausgleich. Demnach wird eine Reanalyse der Formen nach dem Merkmal [±betont] angenommen. Schematisch dargestellt, ist dieser Ausgleich für die 3SG.M nach HOWE (1996) also wie folgt zu skizzieren: 39

Eine nur einzelsprachlich relevante beziehungsweise auf eine Varietät beschränkte Bestimmung der Faktoren eines Ausgleichs ist nicht grundsätzlich abzulehnen. Doch ist bei dieser auffälligen Parallelität mit anderen Varietäten des Deutschen und in den germanischen Sprachen gesamt ein Ansatz zu favorisieren, der zwar am Bairischen exemplifiziert werden kann, aber auch unter typologischen Gesichtspunkten eine valide Erklärung liefert.

90

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung AKK

Form betont

n +

DAT

=n –

m +

=m –

⎯→

Objektskasus m =n + –

Abbildung 9: Reanalyse der Objektskasus im M nach [+betont] und [–betont] (nach HOWE 1996; schematische Darstellung US)

Problematisch an dieser Analyse ist allerdings, dass HOWE damit weder erklären kann, warum die m-Form bzw. die Dativform an sich besser als Form mit dem Merkmal [+betont] geeignet ist als die n-Form beziehungsweise die Akkusativform, noch Auskunft darüber geben kann, was diesen Wandel begünstigt oder gar auslöst. Er stellt somit das Resultat, aber nicht den Anlass der Reanalyse dar, gibt also eine Antwort darauf, was sich wo und wie ändert, bleibt aber eine Erklärung für das Warum schuldig (vgl. dazu auch CYSOUW 2001). 4.3.1.3 Syntaktische und semantische Eigenschaften Das heißt, phonologische Faktoren zeichnen nicht in erster Linie für den Ausgleich verantwortlich. Zu prüfen ist daher, welche nicht-phonologischen Eigenschaften diesen Formen inhärent sind und wie und warum diese Eigenschaften diese Umstrukturierung des Paradigmas bedingen. Die Eigenschaft, die hier als grundlegend erachtet wird, ist das semantische Merkmal der Belebtheit [±belebt].40 Die Beobachtungen, die zu dieser These führen, werden im Folgenden genauer expliziert. Beobachtung Nummer 1: Der Dativ ist, typologisch wie einzelsprachlich betrachtet, zwar ein heterogener Kasus, aus typologischer Perspektive sind (nach NÆSS 2009, 574) zumindest zwei Charakterisierungen und Generalisierungen hinsichtlich des Dativs möglich: Erstens ist dieser Kasus mit einer geringen Transitivität verbunden und zweitens, für die Argumentation hier wesentlicher, ist dem Kasus folgende Eigenschaft zuzuschreiben: […] the dative frequently reflects the affectedness, direct or indirect, of animate or sentient entities – this includes the recipient of ditransitives, which must typically be animated in order to be plausibly said to receive something, as well as experiencers, benefactives/malefactives, and animate objects. (NÆSS 2009, 574; Hervorhebung im Original)

Auch für das Deutsche ist das Merkmal der Belebtheit an den Dativ gekoppelt. So verweist zum Beispiel WEGENER (1985, 286–288) darauf, dass der Dativ im Deutschen oft nur dann zulässig ist, wenn der Referent das Merkmal [+belebt] trägt (Beispiel [40]). Dabei ist das Belebtsheitskriterium nach WEGENER zwar nicht als absoluter Wert für den Dativ zu begreifen, aber immerhin als starke Präferenz. 40

Dass Belebtheit eine wichtige Rolle spielt im Zusammenhang mit der paradigmatischen Umstrukturierung im Bairischen, zeigt zum Beispiel auch ROWLEY für das Nominalparadigma (ROWLEY 1995).

Synkretismen in der 3. Person

91

(40) Dativ und Belebtheit im Deutschen (nach WEGENER 1985, 286) a.

Er überweist dem Freund das Geld.

b.

*Er überweist dem Konto das Geld.

Eine ausführliche Diskussion der Literatur zu den semantischen Merkmalen des Dativs (und der Kasus im Deutschen generell) bietet DÜRSCHEID (1999, Kapitel 3), die eine Zuweisung von semantischen Merkmalen zu einem Oberflächenkasus generell (DÜRSCHEID 1999, 173) und das Merkmal [+belebt] zum Dativ, wenn auch mit einigen Einschränkungen, für legitim und haltbar hält (DÜRSCHEID 1999, 171–72). Diese Einschränkungen betreffen vor allem die Relationen zu anderen Kasus im Syntagma. So trägt nach Dürscheid der Dativ tendenziell nur das Merkmal belebt, „wenn potenziell eine Dativ- und eine Akkusativ-NP zu einem Verb hinzufügbar sind“ (DÜRSCHEID 1999, 172). WILLEMS / VAN POTTELBERGE (1998, 642–645) stellen sich explizit gegen die Beurteilung von WEGENER (1985), dass der Dativ den Kasus der betroffenen Person darstellt, sehen aber auch, ähnlich wie DÜRSCHEID (1999), einen Kontrast Akkusativ und Dativ im Syntagma hinsichtlich der Belebtheit. So ist aber in jedem Fall klar, dass der semantischen Rolle des Dativs im Syntagma das Belebtheitsmerkmal zugeschrieben werden muss. Für das Englische sieht KRIFKA (2009) einen direkten Zusammenhang zwischen den Rollen, die der Dativ besetzt, dem Belebtheitskriterium und der Umstrukturierung des Paradigmas der Personalpronomina: We find that for animates it was generally th dative, and for inanimates, the accusative, that developed into the objective case. This is because datives, which prototypically mark the recipient or benefactive, most often denote animates. (KRIFKA 2009, 155)

Diese Erklärung ist aussagekräftig und ausreichend für das Englische, dem erstens ein System des natürlichen Geschlechts hinsichtlich der anaphorischen Referenz der PERSPRON zugrunde liegt und das zweitens keine klitischen PERSPRON (spezielle Klitika bzw. Klitika im engeren Sinne) aufweist. Sie gibt außerdem Aufschluss über den Zusammenhang und die Unterschiede zwischen den Ausgleichsmustern im Maskulinum und im Femininum einerseits und dem Neutrum andererseits. Um allerdings auch die Umstrukturierung des bairischen Paradigmas, also auch den (teilweisen) Erhalt der akkusativischen Formen als Klitika im Dativ und Akkusativ zu erfassen, muss noch eine weitere Beobachtung Eingang in die Analyse finden. Beobachtung Nummer 2 ist nun, dass – wie im letzten Kapitel ausgeführt – Vollformen und schwache Pronomina beziehungsweise Klitika sich nicht nur hinsichtlich ihrer Form und syntaktischen Distribution voneinander unterscheiden, sondern auch bezüglich des semantischen Merkmals der Belebtheit. Wie im letzten Kapitel schon dargelegt wurde, tragen nach CARDINALETTI und STARKE (CARDINALETTI 1999; CARDINALETTI / STARKE 1996; CARDINALETTI / STARKE 1999; STARKE 1996) Vollformen immer das Merkmal [+menschlich], während

92

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

schwache und klitische PERSPRON keinen eindeutigen Wert tragen, sie sind also [±menschlich].41 In Sprachen wie dem Bairischen, das auch klitische Formen aufweist, ist die Relation noch eindeutiger: Vollformen können nur auf belebte beziehungsweise menschliche Entitäten referieren, klitische Formen auch auf nichtmenschliche/unbelebte. Für das akkusativische eam ist also eine semantische Beschränkung festzustellen, die für die klitische Form nicht gilt: (41) Belebtheitskriterium bei eam im AKK a.

eam hot=a gsehng

den Mann/*den Stein

b.

ea hott=n gsehng

den Mann/den Stein

Diese Restriktion führt auch dazu, dass vermeintlich ambige Konstruktionen eindeutig interpretiert werden können. So ist Beispiel (42) nur dann grammatisch, wenn eam als Dativ interpretiert wird. Betrachtet man eam isoliert, also nicht im Syntagma, könnte diese Form durchaus einen Akkusativ repräsentieren. Da sich die Vollform aber auf einen menschlichen/belebten Referenten beziehen muss, kann eam hier nur als Dativ fungieren, schließlich erfüllt beim Verb schreiben nur der Dativ diese semantische Bedingung. (42) Dativ und Belebtheit im Syntagma ea schreibt eam DAT[+belebt]/*AKK[–belebt]

dem Freund/*den Brief

Führt man nun beide Beobachtungen zusammen, nämlich dass sowohl dem Dativ als auch pronominalen Vollformen das Merkmal [+belebt] als Schnittmenge der semantischen Merkmale zugewiesen wird, können die Motivation und der Verlauf für diese Umstrukturierung des Paradigmas der 3SG.M (und auch der 3SG.F in einigen Varietäten des Bairischen und des Germanischen insgesamt) eindeutig identifiziert werden: Die m-Form als ursprünglich dativische Form wird als Vollform für belebte Referenten generalisiert, während die n-Form als ursprünglich akkusativische und von semantischen Präferenzen hinsichtlich Belebtheit freie Form die Stelle der klitischen und somit semantisch nicht spezifizierten Form im Paradigma ausfüllt. Diese Reanalyse und Generalisierung gilt in Sprachen und Varietäten, die

41

Das Merkmal [+menschlich] zeichnet nicht nur Menschen im engeren Sinne aus, sondern auch Götter, Fabelwesen und Ähnliches, aber auch Haustiere, also Entitäten, die als Person wahrgenommen werden (vgl. dazu auch die Anmerkung von EWALD LANG als Übersetzer von STARKE [1996] auf Seite 412). Im Folgenden wird das Merkmal [+menschlich] nach CARDINALETTI und STARKE beibehalten. Als Überbegriff wird allerdings Belebtheit verwendet, da diese Eigenschaft und dessen Kriterien auch die Schnittmenge zur oben geführten Diskussion um die Eigenschaften des Dativs darstellen.

93

Synkretismen in der 3. Person

den gleichen Synkretismus auch im Femininum aufweisen, auch für die dativische Form auf -r und die klitische akkusativische s-Form. Wir sehen also, dass das Ergebnis des Ausgleichs genau das ist, das HOWE (1996) vorschlägt, allerdings kann mit dem hier vorgeschlagenen Szenario auch die Frage beantwortet werden, auf die Howe keine Antwort liefert, nämlich, warum die dativische Form besser als Vollform geeignet ist als die akkusativische. Analog zur Darstellung der Reanalyse nach Betonungswerten in Abbildung 9, wie sie HOWE (1999) vorschlägt, sei die hier vorgeschlagene Umstrukturierung für das Maskulinum noch einmal graphisch resümiert: AKK

Form betont

n +

=n – AKK

Form belebt

+

=n ±

=m –

⎯→

Objektskasus m =n + –

=m (±)

⎯→

Objektskasus m =n + ±

DAT

m + DAT

m +

Abbildung 10: Reanalyse der Objektskasus nach dem Belebtheitskriterium

Diese Beziehung zwischen dem Status als Vollform und dem Merkmal [+menschlich] ist sprachübergreifend, auch über die indogermanischen Sprachen hinaus (z. B. Ungarisch, Hebräisch und Gun, vgl. CARDINALETTI / STARKE 1999,147) zu beobachten.42 Für das Standardniederländische ist diese Zuweisung gut dokumentiert und unumstritten – schließlich haben die oben erwähnten Beschränkungen bereits Eingang in Lehrgrammatiken gefunden (z. B. bei GOEDBLOED 2005, 56–57). Eine weitere wichtige Tendenz, die im Bairischen zu finden ist, kann mit diesem Ansatz erklärt werden. Es ist schließlich eine eindeutige Verteilung der Klitika in den 3. Personen zu erkennen: Der Abbau von Klitika in den 3. Personen ist immer in die gleiche Richtung festzustellen, vom Dativ zum Akkusativ. Es kann also folgende Implikation aufgestellt werden: Ist ein Fehlen des Klitikons im Akkusativ einer Person festzustellen, so ist auch von einem Fehlen des Klitikons im Dativ auszugehen. Dies ist nach der oben dargestellten Diskussion nun nicht mehr verwunderlich. Das Klitikon geht im Dativ eher verloren, schließlich ist sowohl der Dativ als auch die Vollform mit dem Belebtheitsmerkmal verknüpft.

42

Für CARDINALETTI und STARKE stellt dieses Merkmal sogar ein absolutes Sprachuniversal dar (CARDINALETTI / STARKE 1999, 146). Dieser Befund muss an anderer Stelle überprüft werden. Für die romanischen und auch germanischen Sprachen ist dieser Befund jedenfalls valide.

94

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

4.3.1.4 Die Sonderstellung des Neutrums, Femininums und Plurals Zu klären ist nun noch, warum im Deutschen und auch in den meisten bairischen Varietäten das Femininum und der Plural sich diesem Ausgleich nicht unterziehen, ja sogar einen Synkretismus zwischen Nominativ und Akkusativ aufweisen. Die paradigmatische Struktur der 3SG.F und 3PL ähnelt im Bairischen und auch im Standarddeutschen sogar eher der Struktur des Neutrums. Das Neutrum weist nur im Dativ eine Vollform auf, diese ist aber, wie schon WEIß (1998, 87–88) anmerkt, auf belebte Referenten beschränkt. Dies erklärt auch die nächste Auffälligkeit, nämlich die deutlichen Unterschiede zwischen Neutrum auf der einen Seite und Maskulinum auf der anderen: Das N verfügt im Bairischen nur über eine klitische Pronominalform =s (außer im Dativ mit der gerade beschriebenen Beschränkung) und in manchen Varietäten auch über eine schwache Form. Eine starke Form ist im N eben genau deshalb nicht zu finden, weil diese einen belebten Referenten fordert und Pronomina im N im Bairischen grundsätzlich eher auf unbelebte Referenten verweisen.43 Dieses Argument findet sich auch schon bei CARDINALETTI und STARKE. Warum sind aber das Femininum und der Plural im Bairischen nicht dem gleichen Wandel wie das Maskulinum unterworfen? Nach KRIFKA (2003 und 2009) ist die Gleichheit der Formen von NOM und AKK in Akkusativ-Sprachen typologisch betrachtet äußerst ungewöhnlich, zeichnen sich die Sprachen dieses Typus doch dadurch aus, dass sie Subjekt oder Agens auf der einen Seite (Nominativ) und Objekt oder Patiens (Akkusativ) auf der anderen formal unterscheiden, im Gegensatz zu Ergativ-Sprachen, in denen das Subjekt des intransitiven und das Objekt des transitiven Satzes formengleich sind (Absolutiv) und der Agens in transitiven Konstruktionen gesondert markiert wird (Ergativ). Um diese Auffälligkeit zu erklären, ist wieder das semantische Merkmal der Belebtheit zentral. So zeigt KRIFKA (2009, 156–158) dass das Femininum im Deutschen ein Genus darstellt, das wesentlich seltener belebte Referenten bezeichnet als das Maskulinum. Der Ausgleich von NOM und AKK im F, der nach KRIFKA die Übernahme der akkusativischen Form in den Nominativ darstellt, ist allerdings möglicherweise auch auf die Ähnlichkeiten mit dem Plural nach der Umstrukturierung des Paradigmas im Mittelhochdeutschen zurückzuführen. Der Plural als markierte Kategorie, die hinsichtlich Genus und auch Belebtheit unterspezifiziert ist, bildet also das Muster für das F. KRIFKA kommt zu dem Schluss, dass beide Gründe einen Einfluss auf das auffällige Verhalten des F ausgeübt haben könnten, doch sieht er auch Evidenz für außersprachliche Faktoren, die diese Struktur mitbeeinflusst haben könnten: die Einstellung der Sprecher, dass Frauen weniger Agenshaftigkeit zugeschrieben werden kann und die Unterscheidung von NOM und AKK daher für Frauen nicht wesentlich ist. Im Bairischen ist jedenfalls die gleiche Verteilung zu finden wie im Standarddeutschen: Das F verhält sich wie der PL, aber auch ähnlich wie das N. Allerdings weisen das F und der PL auch VF 43

Dies bedeutet nun natürlich nicht, dass die bairischen Pronomina sexusbasiert referieren, so wie es im Englischen der Fall ist.

Synkretismen in der 3. Person

95

im NOM und AKK auf, im Gegensatz zum N. Aus diesen formalen Eigenschaften ließe sich auch die Zwischenstellung von F und PL auf einer Animatizitätsskala ableiten. 4.3.1.5

DEMPRON

und PERSPRON

Die bisher gewonnenen Kenntnisse sind nicht nur hinsichtlich der Ausgleichsphänomene in der 3SG.M (und 3SG.F) von Bedeutung, sondern können auch mit dem Eindringen der Demonstrativpronomina in das Paradigma der Personalpronomina in Zusammenhang gebracht werden. In Tabelle 14 oben wurde auch ersichtlich, dass die DEMPRON vor allem im N von den einzelnen Autoren in das Paradigma der PERSPRON aufgenommen werden. Auch für das Bairische werden von einigen Autoren DEMPRON in das Paradigma der 3SG.N integriert. MERKLE (1975 [2005], 122) stellt zur Beziehung zwischen PERSPRON und DEMPRON44 im Bairischen fest, dass die Unterschiede zwischen den DEMPRON und den PERSPRON im Bairischen weniger kategorisch oder „fließender“ sind als im Standarddeutschen. Auch für das Nordbairische (ROWLEY 1990, 430) und für das Kärntnerische (POHL 1989, 46 und 48) wird explizit darauf hingewiesen, dass in der 3. Person DEMPRON sehr häufig statt der betonten PERSPRON verwendet werden. Auch ALTMANN (1984) nimmt Demonstrativa in das Paradigma der PERSPRON auf, allerdings nicht in allen Genera und Kasus – im M nur für den NOM, im F in allen Kasus (außer Genitiv), im N im NOM und AKK und im Plural in allen Kasus (außer Genitiv). Nun könnte nach ABRAHAM / WIEGEL (1993, 46, Endnote 6) argumentiert werden, dass DEMPRON nicht relevant sind für die Analyse der PERSPRON und deren Abfolge, denn „diese Ersatzformen haben nicht dieselbe Distribution wie die eigentlichen Pronominalformen – sie stehen nicht in freier Distribution zu ihnen“. Allerdings ist damit nicht die Frage geklärt, welche Eigenschaften diese Formen besitzen, um in ein eigentlich vollständiges Paradigma einzudringen – ein vollständiges Paradigma in dem Sinne, als das Paradigma der PERSPRON hinsichtlich des Inventars der Vollformen außer im Neutrum keine Lücken aufweist. Wie hängt nun aber das Eindringen von DEMPRON in das Paradigma der PERSPRON, vor allem im Neutrum, mit Belebtheit zusammen? DEMPRON weisen alle Merkmale einer Vollform auf, aber sie unterscheiden sich in dem hier wesentlichen Merkmal von PERSPRON: Sie weisen keine semantische Restriktion hinsichtlich belebter/menschlicher Referenten auf. Damit lässt sich erklären, warum gerade im Neutrum DEMPRON zu finden sind, und auch, warum DEMPRON generell das Paradigma der PERSPRON invadieren können. Weitere Evidenz für die Wichtigkeit des Belebtheitskriteriums liefert eine Beobachtung, die in anderem Zusammenhang von WEIß (1998, 139–140) diskutiert wird. In der Auseinandersetzung mit den Annahmen von ABRAHAM / WIEGEL 44

Im Bairischen fungieren folgende Formen als DEMPRON: dea, diː/d ə, deːs; die standarddeutschen Formen dieser, diese, dieses existieren nicht.

96

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

(1993) zur Normalabfolge von pronominalen Elementen verweist WEIß auf eine empirische Unzulänglichkeit: Die Autoren nehmen für das Bairische strikte Normalabfolge AKK – DAT (DO – IO) der Vollformen an, die sie auf den Synkretismus im DAT und AKK zurückführen (ABRAHAM / WIEGEL 1993, 20 und 41–42). WEIß (1998, 140) bestreitet erstens die Interpretierbarkeit solcher Sätze wie in (43) und zeigt, dass auch die Intuition von Muttersprachlern über eine Normalabfolge von zwei Vollformen in der dritten Person im Objektskasus bei nicht homophonen Formen nicht eindeutig ist (Beispiele in [44]). (43) Interpretierbar oder nicht: 2 Vollformen 3SG.OBJ eam * ea 3SG.NOM.M

hot AUX

eam 3SG.AKK.M

eam 3SG.DAT.M

geːm geben:PPERF

‘Er hat ihn ihm gegeben.’ (Beispiel nach ABRAHAM / WIEGEL 1993, 20; Kennzeichnung als ungrammatisch nach WEIß 1998, 140) (44)

DO – IO

a.

i 1SG.NOM

AUX

i 1SG.NOM

AUX

b.

oder IO – DO bei Vollformen der Objektskasus in der 3. Person hob

hob

sie 3SG.AKK.F

iar 3SG.DAT.F

iar 3SG.DAT.F

sie 3SG.AKK.F

zoagt45 zeigen:PPERF zaogt zeigen:PPERF

‘Ich habe sie ihr/ihr sie gezeigt.’ Die Beurteilungen von WEIß, dass eine Bewertung eines Satzes wie in (43) gar nicht möglich ist, da kein Muttersprachler des Bairischen „eine natürliche Intuition“ (WEIß 1998, 139) bezüglich dieses Satzes hat und dass eine Normalabfolge für Vollformen nicht nachzuweisen ist, wird hier ohne Einschränkung geteilt. Die Fragebogenerhebung ergab folgende Tendenz: Zwei Vollformen im Objektskasus in der 3. Person scheinen im Bairischen nicht aufzutreten. Setzt man einen Kontext voraus, in dem beide Formen als Vollformen realisiert werden müssen, so wird die Vollform des AKK durch das DEMPRON ersetzt, bei der Abfolge IO – DO ohne prosodische Beschränkung, bei der Abfolge DO – IO mit betonten PERSPRON: (45) Verwendung von DEMPRON anstelle von PERSPRON a.

ea 3SG.NOM.M

hot AUX

eam den 3SG.DAT.M DEMPRON.AKK.M

‘Er hat ihm ihn/den gegeben.’

45

Bei WEIß (1998, 140) findet sich die Schreibung zoigt.

geːm geben:PPERF

97

Synkretismen in der 3. Person

b.

ea 3SG.NOM.M

hot

den

AUX

DEMPRON.AKK.M

EAM 3SG.DAT.M

geːm geben:PPERF

‘Er hat ihn/den ihm gegeben.’ Diese syntaktische Besonderheit ist konform mit den bisher besprochenen Befunden und Erklärungen: Der DAT ist gerade im syntagmatischen Kontrast zum AKK immer der belebte Kasus. Die pronominale Vollform ist an das semantische Merkmal [+belebt] geknüpft. Bei zwei Vollformen ist der semantische Kontrast formal aufgehoben, was gerade bei einem Verb wie geːm ‘geben’ irritierend ist.46 Daher ist es im Sinne der hier dargelegten Argumentation nur folgerichtig, dass das PERSPRON im AKK durch das DEMPRON ersetzt wird. 4.3.2

Erhalt von PERSPRON statt REFL

4.3.2.1 Geographische Distribution und Geschichte Wie bereits vermerkt, handelt es sich bei diesem Synkretismus um einen Archaismus, das heißt um den Erhalt einer Form, die in anderen Varietäten und im Standarddeutschen zugunsten des REFL si beziehungsweise sich aufgeben wurde. Die geographische Verteilung von ‘sich’ und ‘ihm’ im deutschen Sprachraum zeigt KÖNIG (2004, 155):47 So ist die Konservierung vornehmlich im bairischen Sprachraum zu beobachten, teilweise auch im Alemannischen (also im Oberdeutschen), aber auch in friesischen Varietäten. Die Karte, die KÖNIG präsentiert, geht auf den „Deutschen Sprachatlas“ von WREDE et al. (1927–1956) zurück, bietet also keine aktuelle Darstellung der Verhältnisse. Die Karte zeigt allerdings deutlich, dass dieser Archaismus im Süden des bairischen Sprachgebiets konzentriert auftritt und im Nordbairischen kaum zu finden ist, was aber nicht mehr eindeutig belegbar ist, wie die synchronen Daten zeigen und wie noch zu besprechen sein wird. In WALCH / HÄCKEL (1988, 171–173) findet sich eine detaillierte Nachzeichnung der Gegebenheiten im deutschen Sprachraum im Frühneuhochdeutschen. Demnach tritt im Oberdeutschen bis Ende des 17. Jahrhunderts der „Typ ihm usw.“ für den reflexiven DAT noch genauso häufig auf wie das REFL sich, während im Mitteldeutschen die Form sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts die häufigere ist (vgl. WALCH / HÄCKEL 1988, 175). Die zeitliche und geographische Verteilung sei hier noch einmal zusammengefasst:

46

47

WEIß (1998, 140) wählt für seine Beispiele das Verb zoagn ‘zeigen’, das auch mit zwei belebten Objekten kompatibel ist. Solche Verben sind allerdings selten, somit stellen sie meiner Meinung nach keine Gegenevidenz dar. Die Formen gelten für die Übertragung des Satzes ‘Sein Bruder will sich zwei schöne neue Häuser bauen’ in den jeweiligen Dialekt (siehe KÖNIG 2004, Karte auf 155).

98

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

14. Jh. 48

15. Jh.

16. Jh

17. Jh.

Westmitteldeutsch ihm , auch sich

sich und ihm sich und ihm sich und ihm

Ostmitteldeutsch

ihm, auch sich

ihm, auch sich

ihm, auch sich

sich und ihm

Nordoberdeutsch

ihm

ihm

ihm, auch sich

ihm und sich

Westoberdeutsch

ihm, auch sich

ihm, auch sich

ihm, auch sich

sich und ihm

Ostoberdeutsch

ihm

ihm

ihm und sich ihm und sich

Tabelle 15: Zeitliche und räumliche Verteilung von PERSPRON und REFL im DAT (nach WALCH / HÄCKEL 1988, 173)

Man sieht also, dass diese mittelhochdeutsche Verteilung PERSPRON anstelle des si im Oberdeutschen und im speziell im bairischen Sprachraum am längsten stabil bleibt. REFL

4.3.2.2 Eigenschaften des reflexiven Dativs Um nun zu verstehen, warum diese Form für den Dativ konserviert wird, muss gezeigt werden, wie und warum sich der reflexive Dativ auch funktional vom Akkusativ unterscheidet. Denn auch wenn die beiden Kasus zumindest im M die gleiche Form aufweisen, ist für den AKK dieser Erhalt der Form nicht belegt. Zur Präzisierung ist vorauszuschicken, dass dies nur für die beiden Kasus in unmarkierter Argumentposition zutrifft. Im nächsten Kapitel wird zu zeigen sein, dass unter bestimmten Umständen auch das PERSPRON im AKK zur Markierung von Reflexivität verwendet werden kann. Nach der klassischen Bindungstheorie (CHOMSKY 1981) sind REFL, also Anaphern im engeren Sinne, immer in ihrer Rektionskategorie gebunden, während Pronomina in ihrer Rektionskategorie immer frei sind. Das heißt, vereinfacht gesagt, dass eine Anapher ihren Antezedens im gleichen Satz haben muss und das Pronomen seinen Antezedens nicht im gleichen Satz haben darf. Dass diese Annahmen nicht nur für die Daten des Bairischen inadäquat sind, ist nicht neu (siehe zum Beispiel auch die Diskussion bei GAST (2006, 163). Daher wurde auch in verschiedenen Richtungen versucht, die Bindungstheorie neu zu formulieren, so wurde auch sie auch von REINHART / REULAND (1993) so modifiziert, dass es Pronomina erlaubt ist, koindiziert, also vom Antezedens gebunden zu sein. 48

Nach WALCH / HÄCKEL wird hier ihm als Stellvertreter für die Formen (und ihren Varianten) ihm, ihr und ihnen angeführt.

99

Synkretismen in der 3. Person

ZIFONUN (2003) plädiert für eine semantische Bindung. Reflexiva zeigen innerhalb einer Prädikation Koreferentialität an („Funktionsbestimmung“). Innerhalb des Prädikationsausdrucks ist ein Argument ein nicht-reflexives Antezedens, das durch REFL wieder aufgenommen wird („Antezedensbezug“). Bei Erfüllung der ersten beiden Punkte ist folgende Aussage zutreffend: REFL ist vom Antezedens „referentiell abhängig“, wird vom Antezedens also „lokal gebunden“. Um diese Konzeption von anderen Bindungskonzepten abzugrenzen, spricht ZIFONUN hier von „lokaler s-Bindung“, also von lokaler semantischer Bindung (vereinfacht nach ZIFONUN 2003, 269). Dabei können aber auch Personalpronomina (zumindest für die erste und zweite Person) hinsichtlich der Werte frei und gebunden unterspezifiziert sein (nach ZIFONUN 2003, 270–272). Doch auch wenn die Einschränkung aufgehoben worden ist, dass PERSPRON nicht koindiziert sein können, wirkt sich dies noch nicht erklärend auf die Datenlage im Bairischen aus. Warum ist die hinsichtlich Bindung offensichtlich unterspezifizierte Form eam auf den Dativ beschränkt? Es ist also zu überlegen, welche Eigenschaften der reflexive DAT im Gegensatz zum reflexiven AKK hat, die es erlauben, eine nicht zwingend gebundene Form zu erhalten, wenn doch im AKK ein distinktes REFL zur Verfügung steht. Werfen wir einen kurzen Blick auf die Funktion des Dativs im Allgemeinen. WEGENER (1985, 100) unterscheidet zwei Typen von reflexiven DAT im Deutschen, und zwar den nur-reflexiven Dativ und den reflexiv gebrauchten Dativ. Dabei unterscheiden sich die beiden Dativtypen grundsätzlich lediglich darin, dass der nur-reflexive Dativ ausschließlich mit einer Akkusativ-NP auftreten kann (WEGENER 1985, 100). Hier wesentlicher ist, dass sich der nur-reflexive DAT in einer ganz bestimmten Eigenschaft vom nur-reflexiven AKK unterscheidet: Das REFL beim nur-reflexiven AKK ist semantisch leer (z. B. bei sich schämen), der nur-reflexive DAT hingegen „[…] bezeichnet wie der auch irreflexiv gebrauchte Dativ den vom Geschehen Betroffenen“ (WEGENER 1985, 100). (46) nur-reflexiver Dativ im Bairischen mit Erhalt von PERSPRON im DAT fuatgehn denkt er eahm fortgehen denken:3SG 3SG.NOM.M 3SG.DAT.M 1oß=ih=n lassen:1SG=1SG.NOM=3SG.AKK.M

doh doch

nit NEG

‘Fortgehen, denkt er sich, lasse ich ihn nicht.’ (StMA_180; Oststeiermark, um 1900) (47) reflexiv gebrauchte Dative im Bairischen si sie

hot AUX

irn 3SG.DAT.F

ane INDEF:PL

firther Schürzen

gekhaft gekauft

‘Sie hat sich Schürzen gekauft.’ (BERNDT 1912, 3; Kärntnerisch)

100

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

Der wesentliche Unterschied zwischen dem Dativ und dem Akkusativ liegt wie oben in den verschiedenen Rollen der beiden Kasus begründet. Der Dativ ist nun schon mehrmals als der indirekt Betroffene oder mit geringerer Transitivität verbundene Kasus klassifiziert worden. Das bedeutet im Unterschied zur AKK-NP, dem Patiens, dass die DAT-NP nicht das Ziel einer transitiven Handlung ist. Der reflexive Dativ tritt auch immer (außer als Argument) zusammen mit einer AKKNP auf, ist an einer transitiven Handlung also nur beteiligt und nicht das Ziel dieser Handlung (vgl. dazu auch KEMMER 1993, 81; und hier Kapitel 6). In einer prototypischen transitiven Handlung ist der Patiens immer als vom Agens different anzusehen. Tritt also der Fall auf, dass der Patiens mit dem Agens referenzidentisch ist, muss dies gekennzeichnet sein. Es besteht also die Notwendigkeit, den AKK different vom DAT zu markieren (vgl. NÆSS 2007). In diesem Zusammenhang ist auch die folgende Hierarchie zu verstehen, die sowohl synchron als Implikation als auch diachron als Entwicklungsweg Geltung besitzt (SIEMUND 2003, 24): (48)

DO > IO > OBL > GEN/POSS

argument > non-argument

(KÖNIG / MOYSEFAURIE 2010)

Das bedeutet nun, dass in den Sprachen der Welt sich zuerst für das direkte Objekt ein distinktes REFL entwickelt – auf welchem Wege auch immer, wenn man an die verschieden Möglichkeiten des Ausdrucks von REFL im letzten Kapitel zurückdenkt. Implikational heißt dies: Weist eine Sprache ein distinktes REFL an einer Position in der Hierachie auf, so ist sicher auch eines in der Position links davon vorhanden. Demnach ist es, typologisch betrachtet, nicht ungewöhnlich, dass eine Sprache im AKK ein distinktes REFL aufweist und im DAT nicht. Nach den Daten in der Literatur, die nur ein REFL im DAT belegen, ist dies also ein historisch und typologisch gesehen nachvollziehbarer Zustand (SIEMUND 2004, 24) Verlässt man aber die Daten aus der Literatur, ergibt sich synchron ein differenzierteres Bild für das Bairische. Zwar zeigen die Daten, dass das PERSPRON im DAT sehr zurückgeht, allerdings ist es in anderen Bereichen noch immer zu finden. So kann es unter Umständen auch im AKK auftreten.49 (49)

PERSPRON

statt REFL im AKK (vgl. Fragebogen B.1.b)

ea 3SG.NOM.M

hot AUX

nua nur

eam söwa 3SG.AKK.M SELF

fotografiert fotografieren:PP

‘Er hat nur sich selbst fotografiert.’ Dieses Beispiel zeigt also, dass der Sachverhalt im Bairischen um einiges komplexer ist als die Daten aus der Literatur vermuten ließen. Der Erhalt des PERSPRON 49

ABRAHAM (1999) nimmt auch für den AKK das PERSPRON generell in südbairischen Varietäten an: Ea siacht eam (söba). Die Verwendung ist aber auf ganz bestimmte Kontexte beschränkt.

Synkretismen bei Höflichkeitsformen

101

hat nämlich auch funktionale und strukturelle Gründe. Wie diese genau aussehen, wird im nächsten Kapitel besprochen. Für den Erhalt des PERSPRON im DAT in unmarkierter Argumentposition, also als direktes Objekt ohne diskursprominente Eigenschaft, ist die oben besprochene Hierarchie allerdings zutreffend. 4.4

SYNKRETISMEN BEI HÖFLICHKEITSFORMEN

Die Höflichkeitsformen sind nach BERNDT (1912) eine Erscheinung, die erst im Frühneuhochdeutschen Eingang in die deutschen Dialekte gefunden hat. Dabei ist die Einführung des Sie und Ihna/Eana gar nicht die erste Innovation im Bereich der Höflichkeit. Die erste Neuerung war der Gebrauch der 2PL in dieser Funktion im Frühneuhochdeutschen. Bezugnehmend auf die GRIMM’sche Grammatik stellt BERNDT fest, dass im Mittelhochdeutschen „das irzen“ aber noch nicht verbreitet war, es „blieb beim duzen stehen“ (GRIMM 1837 [1898]), 364 zitiert nach BERNDT 1912, 12). SCHWÄBL (1903, 63) beschreibt, dass es für das Altbayerische im „bäuerlichen“ Gebrauch kein Sie gebe, sondern die Anrede du (2SG) und es (2PL) verbreitet sei.50 Beide Autoren werten die Verwendung von Sie in der höflichen Anrede als „Eindringen“ aus der „Schriftsprache und Halbmundart“ (BERNDT 1912, 12–13) beziehungsweise Entlehnung aus dem Neuhochdeutschen (SCHWÄBL 1902, 63) und halten dieses Phänomen folglich für jung. Doch die Integration dieses Höflichkeitsausdrucks in das System des Bairischen ist nicht als einfache Kopie der standarddeutschen Strukturen zu fassen. Auf den ersten Blick mag man zwar vermuten, dass eine Übertragung der Formen der 3PL für die höfliche Anrede der 2SG stattgefunden hat. Doch dies ist nur oberflächlich betrachtet so. Die Ausführungen dieses Abschnitts beziehen sich nicht auf einzelne Varietäten des Bairischen, da davon auszugehen ist, dass es sich hierbei um ein gesamtbairisches Phänomen handelt. 4.4.1

Synchrone Befunde

4.4.1.1 Gegenüberstellung: 3. Person Plural und höfliche Anrede Es sind einige Unterschiede zwischen den Formen der Höflichkeit (Honorifika, im Bairischen und denen im Standarddeutschen auf der einen Seite und den Formen der 3PL und den Formen von HON im Bairischen auf der andern Seite zu finden. In den Arbeiten von SIMON (2003 und 2004) sind diese Unterschiede systematisch und ausführlich dargestellt. In Hinblick auf den Schwerpunkt der Arbeit hier sind hier natürlich die Auffälligkeiten im Bereich der reflexiven Verwendung, aber auch der Objektspronomina zentral. HON)

50

es ist nach SCHWÄBL (1903, 63) auch als Anrede für die Schwiegereltern, also in einem Kontext, in dem Höflichkeit und Respekt zu dieser Zeit auszumachen sind, verbreitet.

102

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

SIMON (2003, 75–78) führt zunächst aus, dass grundsätzlich zwischen dem semantischen/pragmatischen Merkmal Respekt, das sich in der Grammatik äußern kann oder eben nicht, und der Kategorie Honorativ, die sich eben in der Grammatik mit eigenen Formen beziehungsweise einem eigenständigen Paradigma manifestiert, differenziert werden muss. Im Bairischen ist nach diesen Kriterien eine Kategorie Honorativ anzusetzen, da sich die fraglichen Formen eigenständig verhalten. Die Übertragung der Formen aus der 3PL ist zwar nachzuweisen, doch steht das Paradigma der HON in klarer Differenz zum Paradigma der 3PL, also zum nicht-honorifischen Gebrauch von se und eana. Wesentliche Unterschiede betreffen die Objektspronomina im nicht-reflexiven Gebrauch und in reflexiver Verwendung. Diese sind nach SIMON hier noch einmal zusammengefasst: Kasus NOM AKK DAT REFL.AKK REFL.DAT

2SG.HON Sie/-S Eana Eana Eana Eana

3PL se/-s se eana/ea se/si se/si/eana

Tabelle 16: Kasusformen der Pronomina der 2SG.HON und der 3PL (modifiziert nach SIMON 2004, 360)

Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich das folgende Bild: Die VF des DAT übernimmt beim Honorativ auch die Stelle des AKK. Dieses Muster wird auch auf die reflexive Verwendung übertragen. Das ist zum einen deshalb so besonders, da dies die einzige Person im Bairischen ist, in der in unmarkierter Argumentposition die VF des PERSPRON für die reflexive Verwendung zur Verfügung steht. Und zum anderen ist zu bemerken, dass der Ausgleich des Objektskasus in der 3PL im Bairischen sich nicht nach dem Muster des M, wie es oben beschrieben wurde, vollzieht. Im HON hat dieser Ausgleich aber offensichtlich stattgefunden. Diese syntaktischen Besonderheiten seien anhand von Beispielen noch einmal illustriert: (50)

HON

a.

Ham=S Eana scho im AUX=HON.NOM HON.AKK schon im

Spiagl ãgschaud heid? Spiegel anschauen:PPERF heute

b.

Ham=sa AUX=3PL.NOM

Spiagl ãgschaud heid? Spiegel anschauen:PPERF heute

und 3PL reflexiv

=se =REFL

scho im schon im

‘Haben Sie/sie sich heute schon im Spiegel angesehen?’ (nach SIMON 2003, 359; Glossierung US)

Synkretismen bei Höflichkeitsformen

(51)

HON

a.

Ham=s AUX=3PL.NOM

Eàhnà HON.AKK

Ham=sa

=s gsäng? =3PL.AKK sehen:PPERF

b.

103

und 3PL im AKK

AUX=3PL.NOM

gsäng? sehen:PPERF

‘Haben sie Sie/sie schon gesehen?’ (nach MERKLE 1975 [2005], 131; Glossierung US) 4.4.1.2 Respekt im Plural Das HON ist nach SIMON in zwei Kontexten zu finden: Als höfliche Anrede für einen einzelnen Adressaten und als Anrede für eine Gruppe von Adressaten. Allerdings kann eine Gruppe auch mit den PERSPRON der 2PL adressiert werden, ohne das semantische oder pragmatische Merkmal Respekt einzubüßen. Demnach ist das Merkmal Respekt wie das Merkmal Genus im Plural unterspezifiziert oder „neutralisiert“ (SIMON 2003, 364). Stehen also die höfliche Adressierung von einer Gruppe mit den Formen der 2PL und der von SIMON etablierten Formen für HON in freier Variation zueinander? Nach SIMON kann hier eine weitere Differenzierung vorgenommen werden, nämlich die in inklusiver und exklusiver Adressierung. Demnach gibt es eine funktionale Unterscheidung zwischen der Verwendung von HON und von 2PL: HON für die inklusive Verwendung, also auf den Adressaten und unbeteiligte Personen bezogen, und 2PL für die exklusive Verwendung, die nur auf Adressaten Bezug nehmen kann. (52) Inklusive und exklusive Lesart bei HON und 2PL a.

b.

Ham AUX

Eana HON.AKK.

amoi einmal

troffa? treffen:PPERF

Hab=ts enk AUX=2PL.NOM 2PL.AKK. amoi einmal

Sie HON.NOM

eß 2PL.NOM

heid scho inklusiv heute schon Adressat…, Unbeteiligter…

heid scho exklusiv heute schon Adressat…, Adressat…

troffa? treffen:PPERF

‘Haben Sie sich heute schon einmal getroffen?’ (nach SIMON 2004, 366) Diese Einteilung in ein inklusives und exklusives Anredepronomen scheint allerdings doch ein wenig konstruiert. Was aber aus dieser Idee und Darstellung abge-

104

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

leitet werden kann, ist, dass im Bairischen die Formen der 2PL auch in der höflichen Anrede verwendet werden können. Der synchrone Befund zum Bairischen lautet also: Im Singular findet sich eine distinkte Höflichkeitsform, im Plural bleibt die nach BERNDT und SCHWÄBL ältere Strategie zur höflichen Anrede, nämlich das „irzen“ mit den Formen der 2PL, neben dem HON weiter bestehen. 4.4.2

Diachrone und funktionale Überlegungen

Die synchronen Verhältnisse sind zunächst geklärt. Doch warum verhalten sich die Pronomen des Objektskasus des HON im Bairischen so auffällig? Warum ist die Eingliederung des HON aus dem „Schriftdeutschen“ oder der „Halbmundart“ nicht nach dem Vorbild der Gebersprache vollzogen worden? Gerade bei reflexiven Konstruktionen ist dies besonders auffällig, da das HON im Gegensatz zur 3PL auch im AKK ein PERSPRON in reflexiver Verwendung aufweist. BERNDT (1912, 13) erklärt diese Auffälligkeit über die funktionale Äquivalenz von HON und der 2PL, denn „hier werden die Verhältnisse des älteren Ihr auf das neu eindringende Pronomen übertragen. Dat. und Akk. von Ihr [Kursivsetzungen US] lauten gleich“, und nach diesem Muster wird auch für HON die Dativform für AKK und DAT im reflexiven und auch im nicht reflexiven Gebrauch verwendet. Zum Ausgleich im nicht reflexiven AKK ist nach ZAUPSER (1789 [1986], 7) und auch nach SCHMELLER (1821, 195) eine Vermeidungsstrategie zu verorten: Die höfliche Anrede soll im Akkusativ nicht mit der 3SG.F verwechselt werden, die als weniger höflich gilt.51 Diese Annahme vertritt auch SIMON (2003, 179– 180), der in Anlehnung an ein wichtiges Prinzip in KELLERS Sprachwandeltheorie (KELLER 1994), nämlich der Vermeidung von Verwechslungen oder Uneindeutigkeit, zum Schluss kommt, dass „[i]m Bereich der höflichen Anrede hier […] eine bestimmte Wortform vermieden [wird], um sich nicht dem Vorwurf sozialer Geringschätzung auszusetzen“ (SIMON 2003, 180). Für den Ersatz des klitischen REFL durch die dativischen Vollformen bei der Eingliederung des honorifischen Systems in das Bairische verortet SIMON (2003, 181) auch soziopragmatische Gründe, führt dies aber nicht weiter aus. Den Formen der 3SG.F sind wir bereits beim Ausgleich der Objektskasus in den 3. Personen begegnet. Dabei ist deutlich geworden, dass die Formengleichheit zwischen NOM und AKK im Femininum auf das Kriterium der Belebtheit, oder – in diesem Fall besser – auf das Kriterium der geringeren Belebtheit zurückgeführt werden kann. Ist es also möglich, auch den Schluss zu ziehen, dass Höflichkeit mit den Formen, die ganz eindeutig mit Belebtheit in Zusammenhang stehen, nämlich den Vollformen des Dativs, assoziiert werden kann? Die Gegenüberstellung der Formen von HON und 3PL in Tabelle 16 deutet wohl darauf hin, dass die VF im Bairischen nicht nur mit dem Merkmal der Belebtheit in Verbindung gebracht werden können, sondern auch mit dem Merkmal Respekt. In der höflichen Anrede sind nur im NOM klitische Formen zu verorten. Doch auch die Vollform 51

Diese Quellen stammen aus SIMON (2003, 359).

Der Reflexivmarker in der 1. Person Plural

105

des HON im NOM ist weniger reduziert als die Form des NOM der 3PL. Die Formen des HON folgen der Verteilung, die in vielen germanischen Sprachen im Plural zu finden ist, nämlich die Übertragung des Dativpronomens auf den Akkusativ, das in Abschnitt 4.3.1 auf das Belebtheitskriterium zurückgeführt werden konnte. 4.5

DER REFLEXIVMARKER IN DER 1. PERSON PLURAL

Nun wenden wir uns dem Eindringen des REFL in die 1PL zu, das schon mancherorts unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert wurde. Dabei wurden sowohl systeminterne als auch -externe Faktoren bemüht, mehr als ein Vorschlag oder eine Tendenz in die eine oder andere Richtung wurde dabei aber nicht erbracht. Vor allem konnte nie erklärt werden, worin die Notwendigkeit besteht, gerade in der 1PL einen distinkten Reflexivmarker zu setzen, während die anderen Gesprächspartizipanten (also Sprecher 1SG, Adressat 2SG, Adressat 2PL) die PERSPRON beibehalten. Zunächst werden die bisherigen Erklärungsansätze zu diesem Phänomen vorgestellt und evaluiert. Im Anschluss daran soll gezeigt werden, dass diese Ansätze gar nicht so gegensätzlich sind. Zur Verbreitung dieses Phänomens gibt es unterschiedliche Ansichten. Dass „das Bairisch-Österreichische, abgesehen von Wien und dem Burgenland, das falsche ‚sich‘ überhaupt nicht kennt“ (STEINHAUSER 1978, 25) ist wohl eine Fehleinschätzung. Schließlich ist es auch in Oberösterreich und Niederösterreich in einigen Regionen verbreitet. Es beschränkt sich in Österreich aber auf jeden Fall auf mittelbairische Varietäten. 4.5.1

Sprachkontakt

Die bisherigen Versuche, dieses Phänomen zu erklären, drehen sich zunächst um den – nicht nur im Zusammenhang mit dem REFL viel strapazierten – Sprachkontakt zwischen dem Deutschen, hier dem Bairischen, und dem Slawischen, genauer dem Tschechischen beziehungsweise Slowakischen (vgl. STEINHAUSER 1978). Das ist zunächst sehr einleuchtend, denn die Varietäten, die diese Besonderheit aufweisen, sind alle in der Nähe der Grenzen zu Sprechern des Tschechischen oder Slowakischen zu finden. Außerdem ähneln die Formen der Tschechischen REFL sehr dem Bairischen si beziehungsweise se. Das Tschechische verfügt über zwei klitische REFL: si im DAT und se im AKK. Sie werden aber im Gegensatz zum Bairischen in allen Personen verwendet, So zeigt das folgende Beispiel die Verwendung des distinkten REFL in der 1SG.

106 (53)

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung REFL

kam wo

im Tschechischen bych würde.ich

se REFL

schoval verstecken:PPERF

‘Wo würde ich mich verstecken?’ (nach DIMITROVA-VULCHANOVA 1999, 114; Glossierung US) Im lexikalischen Bereich sind einige Entlehnungen aus dem Tschechischen zu belegen (so bereits SCHUCHARDT 1884 und MÜLLER 1971). Allerdings ist hier von einem grammatischen Phänomen und nicht von einer lexikalischen Entlehnung auszugehen, da hier direkt das Paradigma und auch das Syntagma betroffen sind. Das soll hier kurz präzisiert werden. Grundsätzlich muss zwischen der Entlehnung von Substanz und von Struktur differenziert werden (vgl. z. B. bei MATRAS 2009, 234–240 „matter“ und „pattern“). Die Entlehnungen im Bereich des Lexikons vom Tschechischen in das österreichische Deutsch sind meist als substantielle Entlehnungen zu kategorisieren. Ausgenommen davon sind Lehnübersetzungen, bei denen die Struktur, aber nicht die phonologische Form der Lexeme entlehnt wird. Im Bereich der Syntax und Morphologie finden sich ebenfalls Entlehnungen, die strukturell aus der Modellsprache in die Replicasprache („model language“ und „replica language“ bei WEINREICH 1953, weiter verfeinert z. B. bei HEINE 2005) übernommen werden können, ohne dass die in der Modellsprache dafür verantwortlichen Formen mit entliehen werden. Lässt sich die Verwendung von REFL in der 1PL nun tatsächlich auf Sprachkontakt zurückführen, muss von einer strukturellen Entlehnung oder syntaktischen Konvergenz ausgegangen werden: Das Bairische hat ein Mittel zur Markierung von Reflexivität, durch den Einfluss des Tschechischen beziehungsweise Slowakischen wird die Funktion des REFL erweitert. Nach dem Vorbild der Modellsprache ist also die distinkte Markierung von Reflexivität in der Replicasprache Bairisch nicht mehr auf die 3. Person beschränkt. Das wird wohl auch erleichtert durch die formale, in diesem Fall substantielle Ähnlichkeit zwischen den REFL der Modellsprache und der Replicasprache. Wie intensiv der Sprachkontakt aus kontaktlinguistischer Perspektive sein muss, damit strukturelle Entlehnung erfolgt oder stattfinden kann, ist umstritten (vgl. MATRAS 2009, 240). Es zeigt sich, dass die Intensität des Kontaktes nicht unbedingt ausschlaggebend dafür ist, ob es zu syntaktischen Entlehnungen kommt. Ein sehr intensiver Sprach- und Sprecherkontakt kann allerdings für das Wienerische, für das dieses Phänomen nicht nur belegt, sondern auch charakteristisch ist, angenommen werden. Zum Wienerischen finden sich daher auch Abhandlungen, die nicht nur die lexikalischen, sondern auch die phonologischen und grammatischen Konvergenzen beschreiben (so z. B. STEINHAUSER 1978). Das Problem dieses Ansatzes ist vor allem das Folgende: Ginge man von einem Replizieren der Strukturen des Tschechischen aus, müsste das REFL auf alle Personen übertragen werden, nicht nur auf die 1PL. Ein solcher Erklärungsansatz ist also nur dann gerechtfertigt, wenn erklärt werden kann, warum sich die

Der Reflexivmarker in der 1. Person Plural

107

Entlehnung auf die 1PL beschränkt und nicht in allen Personen durchgesetzt hat, ist doch das distinkte REFL im Tschechischen in jeder Person zu finden. Außerdem tritt dieses Phänomen auch in Gebieten auf, die nicht in so enger Verbindung mit dem Tschechischen stehen, wie das für das Wienerische belegbar ist. Den Schwächen der Sprachkontakthypothese sind natürlich auch andere begegnet. Die Alternativansätze stellen systeminterne Faktoren ins Zentrum ihrer Thesen, die nun zu diskutieren sind. 4.5.2

Systeminterne Faktoren 4.5.2.1 Archaismus

Die Archaismushypothese, wie sie BRUGMANN (1876) und BEHAGHEL (1923, 305) vertraten, besagt, dass es sich hier um „eine bloße Verstümmelung der im Ahd. allgemeingültigen und weiter im Mhd. bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts zu belegenden Akkusativform unsih“ (BRUGMANN 1876, 122; Kursivsetzung US) handelt. Der von einigen Autoren geteilte Einwand dagegen lautet, dass sich die Reduzierung von 'unsih mit Betonung auf der ersten Silbe auf sih, also die unbetonte Silbe, nur schwer annehmen lässt (BERNDT 1912, 8). STEINHAUSER (1978, 23) meint, dass allerdings eine Akzentverschiebung eine gerechtfertigte Annahme ist, denn schließlich gibt es Varietäten, die als unbetontes Pendant zum betonten ins die Form si aufweisen (zum Beispiel im Wallis). Nach lautgesetzlichen Gesichtspunkten ist es dann plausibel, dass die Silbe un verloren geht. Das heißt, es wird folgender Pfad angenommen: (54) 'unsih > un'sih > sih Doch wenn die zweite Silbe ohnehin als unbetonte oder sogar klitische Form erhalten bleibt, ist die Akzentverschiebung vielleicht gar keine nötige Voraussetzung. So kann auch eine Reanalyse angesetzt werden. Die Form unsih könnte als eine syntaktische Doppelmarkierung von Vollform uns und klitischem REFL reanalysiert und das nicht klitische Element so gelöscht worden sein. Gegen jeden dieser Pfade spricht jedoch die historische Evidenz. Denn die Herleitung von si in der 1PL kann nur dann Gültigkeit besitzen, wenn dieser Wandel am Übergang vom Mittelhochdeutschen ins Frühneuhochdeutsche stattgefunden hat, denn die Form unsih war auch schon im Mittelhochdeutschen nicht mehr allzu gebräuchlich. Die ersten Belege für si im 1PL sind allerdings zum Beispiel für das Wienerische weitaus später anzusetzen. Es scheint erst […] frühestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgekommen [zu] sein und muß dann eine Zeit lang als eine von den Urwienern nicht anerkannte Neuerung ein Schattendasein geführt haben […] (STEINHAUSER 1978, 30)

bis es schließlich allgemein gebräuchlich wurde. BERNDT (1912, 8) findet allerdings im Schlesischen Belege aus dem 14. Jahrhundert. Wann die Verwendung

108

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

des REFL in der 1PL nun wirklich in die einzelnen Varietäten des Bairischen Eingang gefunden hat, müsste ein gründliches Quellenstudium zeigen, das im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. Was hier aber weiter versucht werden kann, ist, die systembedingten Möglichkeiten und Beschränkungen für die Varietäten des Bairischen aufzuzeigen, die für diese Besonderheit verantwortlich sein können. Die Herleitung des si in der 1PL aus dem im Mittelhochdeutschen wenig gebräuchlichen unsih ist allerdings wohl sehr unsicher. 4.5.2.2 Homophonie bei Pronomina Die weiteren Versuche, dieses Phänomen zu erklären, basieren auf der Überlegung, ob die paradigmatischen Übereinstimmungen mit anderen Formen der PERSPRON beziehungsweise der Verbflexion die Aufnahme des REFL in die 1PL auslösen könnten. Die erste formale Äquivalenz ist zwischen dem NOM des PERSPRON der 1PL und dem NOM des unpersönlichen PRON =ma ‘man’ zu finden. Es ist davon auszugehen, dass die Abfolge =ma=si ‘man sich’ häufig ist und diese Abfolge zu einem „festen Lautganzen verschmolzen ist“ (STEINHAUSER 1978, 24). Schließlich zeigt NÜBLING (1992, 275–277), dass in alemannischen Dialekten das Subjekt sehr häufig am Verb enklitisch realisiert ist. Diese Präferenz lässt sich wohl auch für das Bairische annehmen. Dagegen spricht allerdings nach BERNDT (1912, 8), dass sich zwar die Formen der PRON gleichen, nicht aber die Verbflexion der 1PL und der 3SG. Des Weiteren hält BERNDT es für sehr unwahrscheinlich, dass der SG den PL beeinflusst. Dieser Einwand ist auch berechtigt. Steinhauser wirft dazu ein, dass diese Abfolge und die Homophonie von ‘man’ und ‘wir’ sehr weit verbreitet ist – das ist ja auch bei den meisten Dialekten in Österreich der Fall – und daher sehr schwer zu erklären ist, warum diese Abfolge oder Verschmelzung nicht überall dort, wo diese zu finden ist, auch zur Aufnahme des REFL in die 1PL geführt hat. Auf der Grundlage von synchronen Daten ist es schwer zu sagen, ob die Abfolge =ma=si diesen Synkretismus auslösen konnte. Als synchrone Evidenz kann aber dagegengehalten werden, dass die Abfolge =ma=si als ‘wir sich’ nicht als unbedingt als Auslöser interpretiert werden kann. Die Auswertung der Fragebögen ergab sogar die gegenläufige Tendenz: Nicht alle Sprecher, die in Testsatz A.2.a die Konstruktion mit si als ihrem Dialekt entsprechend wählten, gaben auch bei Testsatz A2.b. die Verwendung von si an. Abfolge 1PL_V_si V_1PL_si

Anzahl 18 11

Tabelle 17: Abfolge und Auslöser für si

Prozentualer Vergleich 100 61,1

Der Reflexivmarker in der 1. Person Plural

109

Worin die Gründe dafür liegen, kann hier nicht geklärt werden, aber es kann eindeutig belegt werden, dass ma die Verwendung von si nicht unbedingt erleichtert. 4.5.2.3 Formengleichheit der Flexion BERNDT (1912, 8) kommt zum Schluss, dass die folgende Erklärung die einzig valide ist: Es muss sich um eine Übertragung aus der 3PL in die 1PL handeln, schließlich stimmt auch die Verbalflexion dieser beiden Personen überein. So meint auch Steinhauser, dass diese Erklärung zunächst sinnvoll ist, denn schließlich tritt die Verwendung von REFL in 1 PL nur in Varietäten auf, in der die Verbflexion von 1PL und 3PL identisch sind. Dazu gibt es zwei Einwände. Erstens spricht die Beobachtung, dass die Abfolge Verb =si wohl weniger häufig ist als Verb ma si, dagegen. Denn diese Abfolge führt auch zu einer Assimilation der Flexionsendung, was zu Folge hat, dass die Verbalflexion von 1PL und 3PL in diesem Falle nicht mehr formengleich sind: (55) Assimilation bei der Kombination von Verb und CL der 1PL a.

do kem=ma gestan sam=ma glafn

‘da können wir’ ‘gestern sind wir gelaufen’

b.

do kennan=s gestan san=s glafn

‘da können sie’ ‘gestern sind sie gelaufen’

Die Präferenz von Verb =si in den Daten, die oben als Gegenargument für den Übertrag des REFL von unpersönlichen ma angeführt wurde, könnte aber wiederum als Evidenz dafür gesehen werden, dass die Verbalendung die Verwendung des REFL in der 1PL ausgelöst hat. Allerdings ist die formale Übereinstimmung der Verbalendungen nicht in allen Varietäten gegeben, auch wenn die Differenzierung nicht sehr stabil zu sein scheint. So sind zum Beispiel im Innviertlerischen die Verbalendungen von 1PL und 3PL bei den Formen von ‘sind’ oft unterschieden. (56) mia han se han(d) Allerdings spricht hier wieder für diesen Ansatz, dass der Plosiv in der 3PL im Kärntnerischen, in dem dieses Phänomen nicht zu finden ist, auch heute noch Teil der Verbalendung in der 3PL ist, die Formen also eindeutig differenziert sind.

110

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

(57) mir saima se saint (vgl. zu den Verbalformen im Kärntnerischen POHL 1989, 50–52) In der Steiermark sind die Verbalendungen der beiden Personen allerdings wieder identisch, die Aufnahme des REFL in die 1PL ist aber nicht belegt. So ist also auch dieser Erklärungsansatz mit sehr vielen Schwächen behaftet, aber auch nicht eindeutig widerlegbar. STEINHAUSER (1978, 30) hält den Ansatz allerdings für plausibel und schließt seine Beobachtungen zu diesem Pfad mit der Erkenntnis, dass eben das Wienerische „den Lockungen des Musters erlag“. Grundsätzlich habe schließlich auch die Migration von Sudetendeutschen nach Wien dieses Muster unterstützt. Jede der Erklärungen hat ihre Legitimation, aber auch ihre Schwächen und Lücken. Eines der größten Probleme, das allen Ansätzen gemeinsam ist, stellt die Frage dar, worin die Notwendigkeit besteht, in der 1PL ein distinktes REFL zu setzen. Und vielleicht ist das auch die wesentlichere Frage, denn schließlich ist eine genaue historische Herleitung und Nachzeichnung der Verhältnisse aufgrund der Datenlage nur schwer zu erreichen. 4.5.3

Zusammenfassung

Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen soll hier Folgendes diskutiert werden: Welche syntaktische Distribution ist synchron zu beobachten? Und kann auf Grundlage dieser Überlegungen vielleicht ein nachvollziehbares Szenario aufgestellt werden? Um die Aufnahme des REFL in die 1PL erklären zu können, muss demnach einmal grundsätzlich überlegt werden, an welcher Stelle des Paradigmas die Form steht. Ist hier wirklich ein Ersatz von uns in reflexiver Verwendung gegeben, oder gibt es eine Stelle oder eine Lücke, die uns nicht ausfüllt und in die das REFL si eindringen kann? 4.5.3.1 Vergleich der Ansätze Wenn man nun alle bisherigen Erklärungsansätze miteinander vergleicht und versucht, die Variable herauszufiltern, die Teil jedes vorgeschlagenen Weges ist, dann lässt sich eine Gemeinsamkeit feststellen: Der Status des si als Klitikon spielt für jeden Ansatz eine mehr oder weniger große Rolle: –

Sprachkontakthypothese: Die Übertragung des si in die 1PL wird über den Einfluss des Tschechischen erklärt. Das REFL in Argumentposition ist im Tschechischen klitisch, die Formengleichheit zwischen REFL im Bairischen und im Tschechischen besteht nur bei den CL des tschechischen REFL. So weist auch STEINHAUSER auf diese Ähnlichkeit hin, ohne jedoch auch eine morphosyntaktische Ähnlichkeit zu explizieren.

Der Reflexivmarker in der 1. Person Plural







111

Die Archaismus-Erklärung: Es handelt sich um eine „Verstümmelung“ des mittelhochdeutschen unsih. Das ist dann plausibel, wenn der zweite Teil als klitisches Element reanalysiert wird, da sonst die unbetonte Silbe des Wortes wohl nicht diejenige wäre, die beibehalten wird. Die Annahme einer Akzentverschiebung ist dann nicht mehr unbedingt nötig. Systeminterne Umstrukturierung I: Die Formengleichheit von 1PL.NOM und dem unpersönlichen ma löst die Verwendung von si in der 1PL aus. Auch diese Annahme ist nur dann sinnvoll, wenn der klitische Status des REFL berücksichtigt wird. Denn wenn die direkte Abfolge von ma und si sehr häufig ist, dann wegen des Klitikstatus von REFL und seinen Abfolgebeschränkungen. Systeminterne Umstrukturierung II: Auch die Annahme der Übertragung aus der 3. Person über die Verbalflexion ist dann vernünftig, wenn die Abfolge berücksichtigt wird. Das REFL muss demnach möglichst nah an der Verbalflexion stehen, um hier einen Zusammenhang herstellen zu können.

Wenn wir die Formen der 1PL im AKK und DAT aus dem Paradigma herausschneiden, wird ersichtlich, dass genau diese Stelle des CL in der 1PL unbesetzt ist: NOM

mia

AKK

ma

uns

DAT



uns –

Tabelle 18: 1PL im Bairischen

Die synchronen Daten sprechen auf jeden Fall dafür, dass das REFL als CL integriert ist. So zeigt auch der folgende Test, dass uns nicht von REFL abgelöst worden ist, denn in Kontexten, die kein CL zulassen, wird weiterhin uns verwendet. Das ist eine starke Evidenz dafür, dass si synchron als die klitische Variante von uns in reflexiver Verwendung zu sehen ist.52 So bleibt innerhalb von PP und im Kontrastfokus das PERSPRON uns bestehen. (58)

PP

mit uns

Mia 1PL.NOM

redn reden

gern gerne

üba über

uns. 1PL.AKK

(59) Testsatz REFL in Kontrastfokus bei Sprechern mit si in 1PL (Fragebogen A.2.c) Na, den hom=ma Nein DEMPRON.AKK.M AUX=1PL.NOM

REFL/PERSPRON

khaft! kaufen:PPERF

‘Nein, den haben wir UNS gekauft.’

52

Dass die Verwendung von si_SELF, also si söba nicht zwingend als Vollform zu interpretieren ist, wird im nächsten Abschnitt gezeigt.

112

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

Abfolge IOCL_DOCL uns/uns_SELF

si_SELF

uns_SELF + si_SELF

si_uns_SELF

1 2

3

12

Abbildung 11: Nicht-klitsche Reflexivierung bei 1PL

4.5.3.2 Ein mögliches Szenario Die bisherigen Erklärungen und möglichen Pfade, die zur Verwendung des REFL in der 1PL führen sollen, sind alle hinsichtlich der strukturellen oder geographischen Verbreitung unzureichend. Wenn die geographische Verbreitung mit Sprachkontakt in Zusammenhang gebracht werden kann, dann ist die Entlehnungsthese wohl nicht aufgrund der Defizite in der strukturellen Herleitung gleich zu verwerfen, vielleicht ist die strukturelle Basis des Sprachkontaktes zu modifizieren. Nach den Ausführungen oben zu Modellsprache und Replicasprache und zur Übernahme von Strukturen ist folgendes Szenario möglich: Die Struktur beziehungsweise das Modell, das der Entlehnung zugrunde liegt, ist nicht nur die distinkte Markierung von Reflexivität. Die replizierte Struktur ist auch die klitische Markierung von Reflexivität in unmarkierter Argumentposition. Damit könnte schon einmal erklärt werden, warum keine Übertragung des Musters in den SG erfolgt, denn schließlich sind in der 1SG und 2SG die Stellen des CL im AKK und DAT besetzt. Nun ist aber auch in der 2PL die Stelle des CL offen, das Modell könnte also auch hier repliziert werden. Doch nach den Ausführungen zu HON, die zeigen, dass sich HON relativ resistent verhält hinsichtlich der Aufnahme des distinkten REFL, ist es naheliegend, dass die Aufnahme des REFL aus funktionalen Gründen blockiert ist. Dazu müssen die Voraussetzungen für diese Idee noch einmal expliziert werden: Die Form der 2PL war vor dem Eindringen der heute verbreiteten HON das übliche Mittel, um dem Adressaten gegenüber Höflichkeit auszudrücken, für den PL gilt das heute noch. Bei der Aufnahme des Musters Sie/Eana war die Aufnahme des REFL sogar im AKK offensichtlich blo-

Der Reflexivmarker in der 1. Person Plural

113

ckiert. Daher wäre es nicht undenkbar, dass diese Vermeidungsstrategie auch die Aufnahme des REFL in die 2PL verhindert hat. Diese These oder dieses Szenario ist zugegebenermaßen mit vielen Vorraussetzungen behaftet, die nur schwer überprüfbar sind. Ein weiteres Problem, das dieser Erklärung zuzuschreiben ist, stellt die Beobachtung von MATRAS (2009, 220–221) dar, dass es wohl eher selten ist, dass grammatische oder strukturelle Entlehnung auf rein strukturelle Bedingungen zurückzuführen sind. Allerdings ist diese Erkenntnis auch eine Stützung der Annahme, dass funktionale Faktoren auch hemmend wirken können, wie es hier für die 2PL angenommen werden kann. Für ein auf Sprachkontakt basiertes Szenario spricht allerdings die folgende sprachenübergreifende Beobachtung: In den Sprachen der Welt sind grundsätzlich zwei Systeme der Markierungsstrategien für Reflexivität zu finden. Nach FALTZ (1977, 118) sind dies „strategically streamlined“ und „functionally streamlined“ Systeme. Erstere weisen in allen Personen ein distinktes REFL auf, wie zum Beispiel das Englische oder eben das Tschechische. Funktional geleitete Systeme hingegen besitzen nur in der 3. Person ein solches REFL. KEMMER (1993, 48) legt den beiden möglichen Systemen eine „expressive motivation“ und „economic motivation“ zugrunde. Es gibt aber auch Sprachen, die in keiner Person die Reflexivität markieren. Daraus lässt sich auch die folgende Implikation ableiten: Ist Reflexivität in der 1. Person distinkt markiert, dann ist dies auch in der 2. Person der Fall. Und schließlich: Ist in den ersten beiden Personen ein distinktes REFL zu finden, so auch in der 3. Person: (60) 3. Person > 2. Person > 1. Person Für das Bairische bedeutet das nun, dass es sprachübergreifend betrachtet sehr unwahrscheinlich ist, dass eine Sprache nur in der 1. Person Plural ein distinktes REFL rein systeminduziert ausbildet (vgl. ZIFONUN 2001). 4.5.3.3 (Re)Kapitulation Die Ausführungen haben gezeigt, dass viele Faktoren und strukturelle Eigenschaften für diesen Synkretismus zwischen 3PL und 1PL verantwortlich zeichnen können. Eine eindeutige Klärung ist nicht gelungen, da diese wahrscheinlich eine eigene große Studie verlangen würde, die sich der genauen soziokulturellen, kontaktlinguistischen, historischen – im geschichtlichen wie im sprachlichen Sinne – und systemlinguistischen Gegebenheiten der Gebiete und Dialekte, die diese Besonderheit aufweisen, widmet. Es konnte allerdings gezeigt werden, dass Sprachkontakt und strukturelle Faktoren miteinander in Verbindung gesetzt werden müssen, da eine isolierte Betrachtung des einen oder anderen zu kurz greift. Aus synchroner Perspektive lässt sich klar sagen, dass das REFL die klitische Stelle im Paradigma besetzt, die Form uns also nicht grundsätzlich ersetzt hat, sondern die Aufnahme des REFL zu einer funktionalen Beschränkung des PERSPRON geführt

114

Synkretismen und paradigmatische Umstrukturierung

hat. Dieser Faktor ist – meines Wissens nach – bei den bisherigen Ansätzen zur Bestimmung der historischen Entwicklung dieses Phänomens nicht zu finden und hier zum ersten Mal berücksichtigt worden. Des Weiteren ist es typologisch betrachtet als äußerst auffällig und unwahrscheinlich zu werten, dass die Aufnahme eines distinkten REFL als rein systemintern festzumachen ist. 4.6

ZUSAMMENFÜHRUNG

Es muss hier allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Strukturen, die hier beschreiben worden sind, in ihrer Stabilität – auf Basis der synchronen Daten aus der Fragebogenerhebung – sehr unterschiedlich zu bewerten sind. Wie schon angemerkt, ist der Ausgleich in den Objektskasus des Femininums kaum (mehr) zu finden. Der Ausgleich im M ist dagegen als sehr robust zu bezeichnen, eine Angleichung an die n-Form des Standarddeutschen in der VF des AKK kann nicht als Tendenz irgendeiner Varietät des Bairischen in Österreich festgestellt werden. Die funktionale Unterscheidung der m-Form von der n-Form ist ebenfalls sehr beständig, auch wenn wohl in manchen Varietäten eam auch für nicht belebte Referenten verwendet werden kann. Dabei wäre allerdings der Schluss zulässig, dass es sich in dieser Verwendung um ein schwaches Pronomen handelt. Der Status von PERSPRON im DAT als Reflexivierungsstrategie der 3. Person kann wohl am treffendsten mit verschwindend bezeichnet werden. Das ist nicht verwunderlich, denn diese Struktur ist zumindest zwei Einflussgrößen ausgesetzt: dem Standarddeutschen und den benachbarten Varietäten, die diese Strukturen nicht (mehr) aufweisen. Interessant ist, dass in diesem Zusammenhang der Einfluss des Standards größer zu sein scheint als jener der benachbarten Varietäten. Dieser Schluss liegt nahe, weil die Form sich nur von Sprechern südbairischer Varietäten, also jener Dialekte, die für den Erhalt von PERSPRON statt REFL in der Literatur stets gelistet werden, in der Fragebogenerhebung angeben wurde. In Zahlen heißt das nun: von 19 Sprechern des Südbairischen verwendeten 8 das Standarddeutsche sich. Der Erhalt von PERSPRON ist nach der Auswertung der Fragebögen sowohl hinsichtlich des Dialektgebiets als auch des Alters der Sprecher zu diffus, um eine generelle Aussage treffen zu können, vereinzelt haben auch Sprecher des Mittelbairischen und des Mittel-Südbairischen diese Konstruktion als diejenige angegeben, die sie verwenden würden. Auffällig ist allerdings, dass im Plural die Verwendung am häufigsten zu finden war, was wohl mit der Ähnlichkeit zum HON erklärt werden kann. Als Desideratum kann hier formuliert werden, dass es lohnend wäre, diese Strukturen systematisch mit einer größeren Anzahl von Sprachen zu überprüfen, bevor sie ganz verschwinden. Der Erhalt der honorifischen Strukturen ist in Österreich nicht so stabil, wie er in den Varietäten zu sein scheint, die SIMON (2003 und 2004) seiner Untersuchung zugrunde gelegt hat. Allerdings muss der Abbau dieses Musters relativ jung sein. Die Verwendung von REFL in der 1PL ist in den Varietäten, in denen sie erwartet worden ist, doch sehr häufig und beständig. Als anekdotische Beobachtung

Zusammenführung

115

kann noch hinzugefügt werden, dass einige Sprecher, die den Fragebogen ausgefüllt haben und bei denen auch die Möglichkeit bestand, sie persönlich zu befragen, im schriftlichen Fragebogen die Verwendung von si in der 1PL nicht angeben haben, im persönlichen Interview allerdings diese Struktur sehr wohl zu erkennen war. Das stellt natürlich ein grundsätzliches Problem der schriftlichen Befragung im Rahmen von dialektalen Untersuchungen dar, diese Probleme dürfen nicht ganz ausgeblendet werden. Das nächste Kapitel wird zeigen, dass der Klitikstatus von si in diesen Varietäten besonders resistent und persistent ist.

5

INTENSIVIERUNG UND DESAMBIGUIERUNG 5.1

VORBEMERKUNGEN

Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass der Status von REFL als CL und die Eigenschaften, die mit den jeweiligen Formen verbunden sind, nicht nur als morphosyntaktische Unterschiede zwischen dem Standarddeutschen und den Varietäten des Bairischen zu werten sind, sondern dass diese Besonderheiten auch Einfluss auf die systeminterne Strukturierung der Paradigmen nehmen. In diesem Zusammenhang beschränkten sich die Ausführungen allerdings auf die Verwendung und Stellung des REFL und reflexiv verwendeter PERSPRON als Argumente in unmarkierten Positionen. Es muss aber auch der Frage nachgegangen werden, welche Formen in den Kontexten zu finden sind, die für CL nicht zulässig sind. Das heißt also, dass die Kontexte, die in Kapitel 3 im Rahmen der Diagnoseverfahren zur morphosyntaktischen Einordnung von pronominalen Elementen vorgestellt worden sind, nicht nur dahingehend interessant sind, dass CL hier nicht auftreten können. Es ist auch wesentlich, zu erfassen, welche Formen hier zu finden sind. Um den Titel des Kapitels zu erklären und auch die Struktur zu verstehen, muss an dieser Stelle vorweggenommen werden, dass dabei der Intensifikator söba (SELF)53 eine ganz zentrale Rolle spielt. Die formale und funktionale Erfassung der Formen mit und ohne SELF ist also der Kern dieses Kapitels. Damit diese Aspekte erfasst werden können, müssen zunächst die folgenden Fragen beantwortet werden: – –

Welche Formen sind für das REFL in Kontrastfokus, bei Modifikation und bei obliquen Objekten innerhalb von Präpositionalphrasen zu finden? Wie können diese Formen unter formalen und funktionalen Gesichtspunkten eingeordnet und erklärt werden?

Die Strategien in diesen Umgebungen folgen verschiedenen strukturellen und funktionalen Prinzipien. Daraus ergeben sich auch konkurrierende Formen in verschiedenen Umgebungen. Diese Beobachtung führt dann schließlich zu weiteren Fragen, zu denen am Ende des Kapitels Stellung bezogen werden soll: – –

53

Gibt es Unterschiede bezüglich der Umgebungen zwischen und innerhalb der Varietäten? Welche Umstrukturierungsprozesse sind zu beobachten und welchen Prinzipien folgen diese? SELF wird im Folgenden für alle Formen von ‘selbst’ in den verschiedenen Varietäten verwendet, also für söwa, söba, söbst, söhm etc.

118

Intensivierung und Desambiguierung

Zunächst werden rein deduktiv die Strategien und Formen dargestellt. Im Anschluss daran werden die einzelnen Beispiele und Formen genauer betrachtet und es wird versucht, allgemeine Tendenzen auch unter theoretischen und funktionalen Gesichtspunkten herauszuarbeiten. Grundsätzlich können fünf Strategien festgestellt werden, die in der nachstehenden Tabelle zusammengefasst sind. Zu beachten ist, dass nicht alle Strategien und Formen in allen Kontexten zu finden sind. Die genaue Distribution wird im Anschluss ermittelt. Die Nummerierung impliziert an dieser Stelle noch keine Einteilung hinsichtlich der Häufigkeit der Verwendung oder des Alters der Strategie. Strategie 1 Strategie 2 Strategie 3 Strategie 4 Strategie 5

PERSPRON

+ SELF

si + SELF PERSPRON

si sich

Tabelle 19: nicht-klitische Reflexivierungsstrategien

Der Intensifikator (SELF) ist also wichtiger Bestandteil der beiden erstgelisteten Strategien. Eine weitere unerwartete Form sticht dabei ebenfalls ins Auge, nämlich si, das ja zuvor als CL eingeordnet worden ist. Ist diese Einordnung nun falsch oder muss sie für einzelne Varietäten noch präzisiert werden? Es wird zu zeigen sein, dass Letzteres der Fall ist und dass die Verwendung von si in Kontexten und Positionen, in denen ein CL nicht erlaubt ist, auch bestimmten Bedingungen und Beschränkungen unterliegt. Die folgenden Ausführungen sind zum Teil als eher explorativ denn als konklusiv zu sehen, da hier ein Bereich der Grammatik des Bairischen behandelt wird, der bisher noch wenig Aufmerksamkeit in der Literatur erfahren hat. Die hier zu diskutierenden Strukturen zeigen aber sehr deutlich, dass sich das System der Reflexiva in den bairischen Varietäten deutlich von dem des Standarddeutschen unterscheidet. 5.2

AUSGANGSPUNKT

Die beiden ersten Kontexte, die hier zunächst genauer betrachtet werden, sind die Argumentposition einerseits als Kontrastfokus und andererseits mit Modifikation, also die Umgebungen, in denen nach den Ausführungen in Kapitel 3 nur Vollformen auftreten können. Vorerst ist die Daten- und Faktenlage zu bestimmen. In einem weiteren Schritt werden dann die formale und funktionale Dimension der Strategien bestimmt, die schließlich auch für die Erfassung der Formen in PP grundlegend sein werden. Nach der Terminologie von GAST (2002, 230) werden in diesem Kapitel die Formen bei „coargument reflexivity“ für die oben angeführten Umgebungen bestimmt und untersucht, welche Strategien bei „coparticipant reflexivity“, also bei Partizipanten in einer PP zu finden sind.

119

Ausgangspunkt

Die Formen, die in Kontrastfokus beziehungsweise mit Modifikation zu finden sind, sind nach ihrer relativen Häufigkeit in Abbildung 12 zusammengefasst.54 Die Testsätze, die im Fragebogen zur Erhebung der Strategien verwendet wurden, sind folgende: (61)

REFL

und Kontrastfokus (B.1.a)

si hot 3SG.NOM.F AUX

die REFL

Bluman Blume:PL

DET

khaft kaufen:PPERF

‘Sie hat sich (selbst) die Blumen gekauft.’ (62)

REFL

und Modifikation (B.1.b)

Ea 3SG.NOM.M

hot AUX

jo ja

nua nur

fotografiert fotografieren:PPERF

REFL

‘Er hat ja nur sich (selbst) fotografiert.’ REFL bei Kontrastfokus

REFL bei Modifikation

si_SELF si sich si dist. SELF si für si_SELF si_SELF + si dist. SELF

3% 8%

si_SELF eam_SELF si_SELF + eam_SELF sich dist. SELF si dist. SELF si_SELF + si dist. SELF

1%

1% 17%

3% 5%

3% 4% 8% 80%

67%

Abbildung 12: Reflexivierung bei Kontrastfokus und Modifikation

54

Um die Darstellung übersichtlich zu halten, wurden beim Beispiel mit Kontrastfokus die Antworten mit Ersatz durch PP (mit für) ausgeklammert und beim Beispiel mit Modifikation alle Formen mit nur einem Beleg. Daraus ergibt sich die Zahl n=66 für Kontrastfokus_REFL und n=93 für Modifikation_REFL.

120

Intensivierung und Desambiguierung

Der häufigste Weg, diese Positionen zu besetzen, ist also die Intensivierung des si mit SELF. Dass SELF in Fokusposition auftritt, ist an sich nicht überraschend, das ist bekanntlich auch im Standarddeutschen der Fall. Hier wird aber für wesentliche Unterschiede zwischen dem Standarddeutschen und den in dieser Arbeit untersuchten Varietäten argumentiert: zum einen hinsichtlich der Fakultativität und Grammatikalisierung und zum anderen auch hinsichtlich der Funktion. Im Standarddeutschen ist in Kontexten, in denen das REFL als Argument im Kontrastfokus auftritt, die Verwendung von selbst fakultativ, denn sich ist betonbar und als starkes Pronomen zu klassifizieren. So sollten die beiden folgenden Sätze jeweils gleich gut in einem Kontext, in dem das reflexive Argument in Kontrastfokus erscheint, funktionieren:

REFL

(63) Betontes sich und sich SELF im Standarddeutschen a.

Otto wäscht [SICH]FOC. REFL

b.

Otto wäscht [sich SELBST]FOC. REFL SELF

(nach STEINBACH 2002, 152) Im Standarddeutschen ist also hier die Fokusphrase entweder mit dem betonten REFL oder dem REFL mit betontem SELF besetzt. Im Bairischen ist aufgrund des Klitikstatus von si, das heißt aufgrund des nicht-phrasalen Status von si, nicht die gleiche Struktur anzunehmen, der Intensifikator ist obligatorisch. Außerdem ist nicht nur die Verbindung von si + SELF, sondern auch die von PERSPRON + SELF zu finden, allerdings nur bei Modifikation. Im Kontrastfokus – hier des Dativs – ist die Verwendung des PERSPRON offensichtlich nicht (mehr) verbreitet. Bei Modifikation ist der Erhalt des PERSPRON allerdings zunächst sehr unerwartet und ungewöhnlich. Denn nach den bisherigen Ausführungen haben wir die Form eam in reflexiver Verwendung nur für den DAT angenommen, so wie es sich auch aus den Daten und Beispielen aus der Literatur ableiten ließ. Hier tritt auf einmal aber das PERSPRON als AKK auf, allerdings nur in Verbindung mit SELF, und das mit einer Häufigkeit von insgesamt zwölf Prozent. Die zweithäufigste Variante im Beispiel mit Kontrastfokus ist die Beibehaltung des CL und die Ersetzung des indirekten Objekts mit einer PP. Auch diese Doppelung ist durchaus bemerkenswert. Im Mittelpunkt stehen an dieser Stelle allerdings vorerst die Formen in Argumentposition. Die zweithäufigste Variante beim Testsatz mit Modifikation ist die Beibehaltung des klitischen REFL mit der Modifikation von SELF (in der Abbildung als „si dist. SELF“ geführt). Die gleiche Struktur ist auch bei Kontrastfokus zu finden, allerdings nicht ganz so häufig. Diese Strategien sind nicht nur interessant, sondern auch aufschlussreich, denn sie weisen darauf hin, dass SELF rein formal auf unterschiedliche Weise interpretiert werden kann, nämlich einmal als eigene Konstituente und einmal als Vollform in der Fusion von si und SELF beziehungsweise als Adposition zum PERSPRON. Die syntaktischen Strukturen, die an dieser Stelle

Form und Funktion von SELF

121

als mögliche Analyse vorgeschlagen werden, sind in den folgenden Beispielen dargestellt. (64) Struktur von si_SELF a.

si hot=si [söwa]FOC die Blumen khaft

a’.

si hot=si die Blumen [söwa]FOC khaft

b.

si hot [si söwa]FOC die Blumen khaft

(65) Struktur von si_SELF und eam_SELF a.

ea hot jo [nua [si söba]]FOC fotografiert

a’.

ea hot=si jo [nua söba]FOC fotografiert

b.

ea hot jo [nua [eam söba]FOC fotografiert

Um diese Strategien und die formalen Eigenschaften besser erfassen zu können, muss zunächst überlegt werden, welche Eigenschaften der Intensifikator in formaler und funktionaler Hinsicht aus typologischer Perspektive aufweist. Ziel des nächsten Abschnitts ist es also darzulegen, welche formalen und funktionalen Grundlagen zu beachten sind, um die Stellung von SELF in diesen Kontexten erklären zu können. 5.3

FORM UND FUNKTION VON SELF 5.3.1

Typologische Grundlagen

5.3.1.1 Formale Charakterisierung In Hinblick auf die typologischen Möglichkeiten einer morphosyntaktischen Klassifikation von REFL in Kapitel 3 wurde bereits deutlich, dass es in den Sprachen der Welt verschiedene formale Strategien zur Reflexivierung gibt. Wir haben in diesem Zusammenhang das bairische si als Klitikon klassifiziert. Aber wie die Daten oben zeigen, ist dieser Befund zu präzisieren. Gemäß der Klassifikation von JAKUBOWICZ (1994, 208) nach morphologischen Parametern sind die beiden Formen, die in nicht-klitischen Kontexten auftreten können, nämlich si SELF und eam SELF als morphologisch komplex und Letzteres auch als hinsichtlich Genus, Person und Numerus spezifiziert einzuordnen. Nach der Einteilung von DIMITRIADIS / EVERAERT (2004, 59) können diese Formen den Strategien „Unterspezifiziertes Reflexivum + Intensifikator“ und „Objektspronomen + Intensifikator“ zugeordnet werden. Im Folgenden werden diese Formen als morphologisch komplex bezeichnet. Grundsätzlich können die Formen auch nach REINHART / REULAND (1993) in SE- und SELF-Anaphern eingeteilt werden. Im Rahmen der Weiterentwicklung der

122

Intensivierung und Desambiguierung

CHOMSKY’schen Bindungstheorie weisen die Autoren den SE- und SELF-Formen zwei verschiedene Funktionen zu: So können nur SELF-Formen Reflexivierung von nicht inhärent reflexiven Prädikaten erzeugen, SE-Anaphern hingegen sind nur mit Prädikaten zu finden, die lexikalisch reflexiv sind. Daraus ergibt sich nach REINHART / REULAND auch die syntaktische Distribution von SE und SELF: SELFAnaphern sind lokal gebunden, SE-Anaphern können auch „long-distant bound“ sein, sind also nicht auf die lokale Domäne beschränkt. Für das Standarddeutsche würde das bedeuten, dass zum Beispiel waschen zwei Lexikoneinträge besitzt, nämlich einen inhärent reflexiven und einen transitiven. So ist die Verwendung von sich bei lexikalischer Reflexivität zu finden, die Form sich selbst reflexiviert hingegen den transitiven Eintrag: (66)

SE

und SELF im Deutschen

a.

Der Krankenpfleger wäscht sich.

b.

Der Krankenpfleger wäscht sich selbst.

Bei Verben wie waschen oder anziehen mag dieser doppelte Lexikoneintrag noch plausibel sein. Bei anderen Verben, die im Deutschen sowohl SE als auch SELF aufweisen, ist diese Einteilung nicht leicht zu halten. So modifiziert REULAND (1999, 31) diese Annahme. Die Erklärung, warum die Verben schneiden und verteidigen (im Original die Niederländischen Verben snijden und verdedigen) sowohl mit SE als auch mit SELF zu finden sind, liegt nach Reuland in der mentalen Repräsentation der Prädikate. So sind die lexikalischen Einträge von Verben einmal hinsichtlich der konzeptuellen thematischen Rollen und einmal hinsichtlich der Stelligkeit (-arity) spezifiziert. Die oben genannten Verben sind also auf zwei thematische Rollen spezifiziert, nicht jedoch darauf, ob den beiden Rollen ein Argument oder zwei Argumente zugewiesen werden. Daraus ergibt sich, dass bei einstelliger Verwendung keine Lizensierung von SELF-Formen erfolgt. Demnach sind SE-Formen als Detransitivierer zu verstehen. Das Verb haaten ‘hassen’ wiederum kann nur in Verbindung mit der SELF-Anapher auftreten, da es sich hier um ein transitives Verb handelt, bei dem die Stelligkeit auf 2 spezifiziert ist. Diese Theorie und ihre Generalisierungen sind schon von verschiedenen Autoren auf ihre empirische Haltbarkeit oder Beschreibungsadäquatheit überprüft worden. Dabei wurden vor allem aus der typologisch funktionalen Richtung erhebliche Zweifel laut und viele Daten aus den verschiedensten Sprachen der Welt als Gegenevidenzen vorgelegt. Aber auch das Deutsche scheint diese Thesen nicht unbedingt zu stützen. So findet sich auch bei KÖNIG / SIEMUND (1999) erhebliche Kritik an dieser Zuordnung. Sie sprechen im Bezug auf das Deutsche davon, dass die Behauptung absurd sei, dass einfache REFL wie das Deutsche sich ohne selbst keine reflexivierende Funktion haben können. Schließlich wird selbst im Deutschen auch nicht sehr oft zur Intensivierung von REFL verwendet (KÖNIG / SIEMUND 2000b, 63). Der Umstand, dass das deutsche sich im Sinne einer SEAnapher und einer SELF-Anapher verwendet werden kann, stellt also ein erhebliches

Form und Funktion von SELF

123

Problem für diese Theorie dar.55 Denn schließlich ist im Deutschen die Verwendung von hassen auch ohne Intensifikator möglich (vgl. GAST 2006, 169): (67) a. Er hasst sich. b. Sie applaudierten sich. Wenn wir zu Beispiel (66) zurückkehren, dann ist ersichtlich, dass hier wohl pragmatische Gründe eine große Rolle spielen. Ein Kontext in dem der Krankenpfleger sich selbst wäscht, ist schnell konstruiert: Er kann zum Beispiel sich selbst gewaschen haben, nachdem er einen Patienten gewaschen hat.56 Das bedeutet, dass offenbar Kontrastierung und damit auch Desambiguierung ein wesentliches funktionales Moment in der Diskussion um die Funktion von SELF darstellen (vgl. auch KÖNIG / SIEMUND 2000c, 234). 5.3.1.2 Semantische und funktionale Aspekte Grundsätzliche Eigenschaften des Intensifikators SELF Die semantischen und pragmatischen Eigenschaften des Intensifikators SELF und der REFL in Verbindung mit SELF sind nun auch die Faktoren, die für die Erklärung der Formen im Bairischen am besten geeignet scheinen. Im Folgenden wird, basierend auf den Arbeiten von KÖNIG, SIEMUND und GAST (GAST 2002; GAST / SIEMUND 2006; KÖNIG 2001; KÖNIG / GAST 2006; KÖNIG / GAST 2008; KÖNIG / SIEMUND 2000a; KÖNIG / SIEMUND 2000b; KÖNIG / SIEMUND 2000c; SIEMUND 2000), zu zeigen sein, welche Funktionen dem Intensifikator grundsätzlich zugewiesen werden können und wie damit die Formen des Bairischen eingeordnet werden können. Die wichtigsten Konzepte in diesem Ansatz sind die folgenden, die sowohl semantische als auch pragmatische Dimensionen haben: Zentrum und Peripherie sowie eigengerichtet und außengerichtet (KÖNIG / SIEMUND 2000c, 234) oder „self-directed/non-other-directed“ und „other-directed“ (u. a. KÖNIG / SIEMUND 2000b, 60, passim). Die Autoren treffen auch eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen adnominalen und adverbialen Intensifikatoren. Die Bedeutung des Intensifikators ist nun wie folgt zu charakterisieren: The most basic fact about the adnominal use and indeed about all uses of intensifiers is that they – or the focusing with which they interact – evoke alternatives to the referent of their focus. (KÖNIG 2001, 749)

55 56

Eine ausführliche Diskussion des Ansatzes von REINHARDT / REULAND findet sich auch bei GAST (2002). Diese Kontrastierung zu anderen kann aber auch durch die Betonung von sich ausgedrückt werden (siehe auch Beispiel [63]).

124

Intensivierung und Desambiguierung

Die Bedeutung des Intensifikators besteht demnach darin, die möglichen Referenten, also den Referenten des Fokus, der durch den Intensifikator bestimmt ist, und die dadurch hervorgerufenen alternativen Referenten in eine Struktur nach einem Zentrum X und einer Peripherie Y zu setzen, wobei der Referent im Fokus das Zentrum bildet und die Alternativen die Peripherie (vgl. KÖNIG / SIEMUND 2000a, 42; KÖNIG / SIEMUND 2000b, 44–45; KÖNIG 2001, 749).57 Den Alternativen wiederum sind bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben, so ist in den folgenden Beispielen der Referent der NP, die im Fokus des Intensifikators steht, als im Rang höher einzustufen (a.) als die Alternativen, oder die Alternative(n) sind als durch den Referenten der NP im Fokus definiert zu begreifen (b.) (nach KÖNIG / SIEMUND 2000b, 45–46):58 (68) Adnominaler Intensifikator als Zentrum a.

Die Bundeskanzlerin selbst hat sich um die Angelegenheit gekümmert. X ist in der Hierarchie höhergestellt als Y (z. B. Abgesandte der Bundeskanzlerin).

b.

Marias Schwester kann besser Klavier spielen als Maria selbst. Y ist durch X definiert.

Als weitere Bedingungen sind noch diese anzusetzen: X ist in einer bestimmten Situation signifikanter als Y, oder X ist das perspektivische Zentrum. Die wichtigsten Fakten sind an dieser Stelle die folgenden: Der Intensifikator SELF erzeugt im adnominalen Gebrauch Alternativen, die als „Entourage“ (KÖNIG / SIEMUND 2000c, 232) zur im Zentrum stehenden NP zu begreifen sind: „Adnominal intensifiers relate a center X (referent of the focus) to a periphery of alternative values“ (KÖNIG / SIEMUND 2000b, 45). 57

58

Diese Bedeutung und Funktion wurde auch unter formalsemantischen Gesichtspunkten weiter spezifiziert (u. a. von GAST 2002) und als Identitätsfunktion beschrieben. Dabei kann die Bedeutung des Intensifikators in den folgenden Beispielen wie in (63) formalsemantisch dargestellt werden. (1) Adnominaler Intensifikator im Englischen und Deutschen a. The chancellor himself was surprised at the results. b. Der Präsident selbst hat die Rede geschrieben. (nach KÖNIG / GAST 2006, 230) Der Intensifikator himself beziehungsweise selbst drückt also die Identitätsfunktion aus, in der die NP the chancellor beziehungsweise der Präsident als Argument des Intensifikators auf denselben Wert abgebildet wird. Formalsemantisch ist diese Identitätsfunktion wie folgt darzustellen: (2) [[der Präsident selbst]] = ID( [[der Präsident]] ) = [[der Präsident]] (nach KÖNIG / GAST 2006, 229) Die Denotation von der Präsident verändert sich durch den Intensifikator nicht. Der wichtige Punkt ist der Fokus, der eben die Alternativen erzeugt. Eine detailliertere und formale Darstellung der Bedingungen und der Eigenschaften der Alternativen findet sich zum Beispiel bei KÖNIG / SIEMUND (2000, 44–46) und bei KÖNIG / GAST (2006, 230–231).

Form und Funktion von SELF

125

Neben der adnominalen Verwendung von SELF ist auch der adverbiale Gebrauch genauer zu durchleuchten. Die adverbiale Intensivierung kann nach dem hier verfolgten Ansatz in zwei Klassen unterteilt werden: die exklusive adverbiale und die inklusive adverbiale Intensivierung. Für das Standarddeutsche listen KÖNIG / SIEMUND (2000c, 231) dafür folgende Beispiele auf: (69) Adverbiales exklusives SELF im Standarddeutschen a.

Der Botschafter hat den Brief dem Minister selbst überreicht.

b.

Der Botschafter hat selbst den Brief dem Minister überreicht.

(70) Adverbiales inklusives SELF im Standarddeutschen a.

Ich kann dir nicht helfen, ich bin selbst knapp bei Kasse.

b.

Wie kannst du ihn so kritisieren, wo du selbst solche Probleme hast.

Der exklusive Intensifikator lässt sich nach KÖNIG / SIEMUND (2000c, 231) mit ‘allein’ oder ‘ohne Hilfe’ paraphrasieren, der inklusive ist in der Bedeutung von ‘auch’ zu verstehen. Die Stellungspräferenz der adverbialen Intensifikatoren ist für das Standarddeutsche die linke oder rechte Peripherie des Mittelfeldes. In der Verbindung mit dem REFL ist eine syntaktische Auffälligkeit für das Standarddeutsche und auch für das Bairische hinsichtlich des adnominalen und des exklusiven adverbialen SELF zu beobachten. Denn die beiden Verwendungstypen können rein sequentiell nicht voneinander unterschieden werden. (71) Adnominales und adverbiales (exklusives) SELF im Bairischen und Standarddeutschen a.

[Hobts

[enck söwa]] gwoschn?

a’.

[[Hobts

enck] söwa]

b.

[Habt

b’.

[[Habt ihr euch] selbst]

gwoschn?

ihr [euch selbst]] gewaschen? gewaschen?

Diese Beobachtung führt zum wesentlichen Punkt dieser Darstellung, nämlich zur Interaktion von SELF und REFL, die nun aus den bisherigen Ausführungen abzuleiten ist und bei der das zuvor eingeführte Konzept der Gerichtetheit im Zentrum steht. Reflexivität und Intensivierung Die Kombination von Reflexivum und Intensifikator lässt sich grundsätzlich auf die Semantik des Verbs zurückführen. Dabei differenzieren KÖNIG und SIEMUND zwischen zwei möglichen Bedeutungen von Prädikaten beziehungsweise deren

126

Intensivierung und Desambiguierung

Semantik hinsichtlich der Gerichtetheit der Handlung beziehungsweise Situation: prototypisch oder konventionell eigengerichtete und außengerichtete Handlungen. Eine weitere wichtige Unterscheidung, die in Hinblick auf die Daten unter 5.2 zu treffen ist, stellt die Differenzierung von Intensivierung und Desambiguierung durch den Intensifikator dar. Beginnen wir mit der semantischen Eigenschaft des Intensifikators in Verbindung mit dem REFL. KÖNIG und SIEMUND (u. a. KÖNIG / SIEMUND 2000b, 60) argumentieren, dass die Differenzierung in „conventionally other-directed“ und „conventionally non-other directed“ Situationen diejenige ist, die bei der Verwendung von REFL mit und ohne SELF relevant ist. Die Konventionalität ist dabei nach HASPELMATH (2008) auch mit Frequenzunterschieden hinsichtlich der Verwendung der Verben mit REFL oder nicht-koreferenziellen Pronomina und NP in Verbindung zu bringen. So treten also Verben wie waschen frequentiell häufiger und so auch konventionell zusammen öfter mit dem REFL auf als mit NPen und PER59 SPRON. Die grundsätzliche Einteilung und Terminologie geht auf HAIMAN (1983, 803) zurück, der zwischen Verben mit der Bedeutung „introverted“ und „extroverted“ unterscheidet. Hier folgen wir der deutschen Terminologie von KÖNIG und SIEMUND: eigengerichtet und außengerichtet (nach KÖNIG / SIEMUND 2000c). Bei konventionell oder prototypisch eigengerichteten Handlungen oder Situationen wird nun also einfaches REFL verwendet, bei prototypisch außengerichteten Handlungen hingegen das morphologisch komplexe REFL. Nach SMITH (2004), basierend auf der Terminologie von HAIMAN (1983), ist von „light reflexives“ und „heavy reflexives“ in diesen Kontexten zu sprechen. Die folgende Tabelle fasst diese Situationen und Handlungen zusammen: eigengerichtete Situationen/ Handlungen Körperpflege (waschen, rasieren, anziehen) vorbereiten, schützen verteidigen, befreien stolz sein auf

außengerichtete Situationen/ Handlungen gewalttätige Handlungen (töten, zerstören) Emotionen (lieben, hassen) kommunizieren eifersüchtig sein auf, wütend sein auf, zufrieden sein mit

Tabelle 20: Konventionell eigen- und außengerichtete Handlungen (nach KÖNIG / SIEMUND 2000b, 61)

59

Zur Verwendung von waschen mit REFL oder mit PERSPRON gibt HASPELMATH (2008, 46) zum Beispiel folgende Zahlen nach der Auswertung des Korpus COSMAS II des IDS Mannheim an: disjoint pronoun reflexive pronoun 66 (32%) 141 (68%)

Form und Funktion von SELF

127

In diesem Kontext sind nun vor allem das Englische und das Standardniederländische von besonderem Interesse. Im Englischen ist der Reflexivmarker himself auf die Fusion von Personalpronomen und Intensifikator zurückzuführen. Diese Form ähnelt doch sehr stark einer der Strategien des Bairischen, die zuvor vorgestellt worden sind, nämlich eam_SELF. Das Niederländische, oder präziser das Standardniederländische, verfügt über zwei Reflexivmarker, wie bereits deutlich wurde, nämlich über einen einfachen und einen komplexen, wobei der komplexe Reflexivmarker aus dem distinkten REFL und dem Intensifikator besteht. Diese Form sieht wiederum der prominentesten Strategie des Bairischen sehr ähnlich. Wie diese Parallelen zu werten sind und auf die hier zu untersuchenden Daten übertragen werden können, wird im Anschluss zu klären sein. Das Altenglische weist hinsichtlich der Markierung von Reflexivität starke Parallelen zum Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen auf, denn das PERSPRON ist in allen Personen auch in reflexiver Verwendung zu finden: (72)

PERSPRON

hine 3G.AKK.M

in reflexiver Verwendung im Altenglischen he 3SG.NOM.M

bewerað mid verteidigen:PRÄT mit

wæpnum Waffe:DAT.PL

‘Er verteidigte ihn/sich mit Waffen.’ (nach KÖNIG / SIEMUND 2000a, 44; Glossierung US) Das distinkte Reflexivum hat sich im Mittelenglischen herausgebildet und ist als Fusion von PERSPRON und SELF zu analysieren. Diese Entwicklung ist nun nach KÖNIG / SIEMUND (2000a) auf die semantischen und strukturellen Faktoren zurückzuführen, die bisher besprochen wurden. Die Desambiguierung ist demnach zuerst in Kontexten zu beobachten, die eine außengerichtete Situation oder Handlung denotieren. Die strukturelle Bedingung kann entweder auf die adnominale oder auf die adverbiale Verwendung des Intensifikators zurückgeführt werden. Als adnominale Intensivierung spielt natürlich wieder die Konzeption eines Zentrums gegenüber einer Peripherie eine wichtige Rolle. Das PERSPRON in einem Satz wie (73) mit dem Verb ahangian ‘hängen’ als konventionell außengerichtete Handlung ist als nicht koreferent mit dem Subjekt/Agens aufzufassen. Die adnominale Verwendung von SELF signalisiert aber, dass das PERSPRON als Zentrum und nicht als Peripherie zu verstehen ist (vgl. KÖNIG / SIEMUND 2000a, 58–59). Diese Desambiguierung durch den adnominalen Intensifikator kann wie folgt analysiert werden: (73) Desambiguierung durch SELF im AE: adnominal Judasi aheng (außengerichtet) 

hine j≠i

selfne i Zentrum: Peripherie der Alternativen wird ausgeschlossen; Agens ist Zentrum (KÖNIG / SIEMUND 2000a, 59)

128

Intensivierung und Desambiguierung

Die Desambiguierung des PERSPRON durch SELF in der Geschichte des Englischen kann nach KÖNIG / SIEMUND aber auch auf den adverbialen exklusiven Gebrauch des Intensifikators zurückgeführt werden. Wie bereits unter (71) gezeigt wurde, sind der adnominale und exklusive adverbiale Intensifikator der Stellung nach oft nicht unmittelbar voneinander abgrenzbar. Präzisiert man die grundlegenden Ausführungen zum exklusiven adverbialen Intensifikator, so kann diesem auch die folgende Funktion zugewiesen werden. Given that exclusive adverbial intensifiers exclude alternative agents for a given event whose patient is given, they may also provide the basis for expressing co-reference between a given patient and an agent. (KÖNIG / SIEMUND 2000a, 62)

Das bedeutet also, dass sowohl der adnominale als auch der adverbiale Intensifikator in Verbindung mit dem PERSPRON als Ausgangspunkt für die Entwicklung des REFL im Englischen gesehen werden können. Der Intensifiaktor fungiert dabei als Desambiguierer. Für das Niederländische sind zwei distinkte Reflexivmarker anzunehmen, das morphologisch komplexe zischself und das einfache, unterspezifizierte und phonologisch schwache zich. Die Verwendung des komplexen REFL kann wieder auf die Unterscheidung in eigengerichtete und außengerichtete Handlungen zurückgeführt werden. Allerdings ist das Niederländische dabei als sehr strikt einzuordnen, das heißt, es muss komplexe REFL in außengerichteten Handlungen setzen. Die Fusion von zich und self ist allerdings parallel zum Bairischen zu sehen. Der Vorteil der Ausführungen von KÖNIG, SIEMUND und GAST gegenüber der Einteilung von REINHART / REULAND liegt nun darin begründet, dass die Konzepte des Zentrums und der Peripherie, aber auch der eigengerichteten und außengerichteten Handlungen auch eine funktionale Erklärungskraft besitzen. Sie beschränken sich also nicht auf den lexikalischen Eintrag, sondern können auch auf die paradigmatische Ebene ausgeweitet werden. Diese funktionale Komponente ist bei den Formen und Strategien des Bairischen wesentlich, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden. Zuvor ist aber noch etwas zum Begriff der Gerichtetheit zu sagen. Denn die Verben und Konstruktionen, die uns hier interessieren, sind nicht nur transitiv, also transitiv gerichtet. Es ist auch interessant, wie sich die Formen beim Dativ und in obliquen Objekten und im DAT verhalten. Da auch KÖNIG / SIEMUND (2000a) in ihren Beispielen indirekte und oblique Objekte anführen und unter den gleichen Begriff der Gerichtetheit setzen, wird hier auch nicht weiter differenziert. Dies ist auch im Sinne von KEMMERS Typologie (1993), die die Unterscheidbarkeit der Partizipanten als wesentliches Kriterium sieht und damit auch direkte und indirekte reflexive Konstruktionen in Verbindung bringt. Dazu wird im nächsten Kapitel noch mehr zu sagen sein.

Form und Funktion von SELF

5.3.2

129

Morphologisch komplexe REFL im Bairischen

Wie können nun diese Erkenntnisse und Einteilungen aus den verschiedenen Sprachen für die vorliegenden Daten aus den österreichischen Varietäten des Bairischen nutzbar werden? Grundsätzlich ist es nach den bisherigen Ausführungen nicht mehr sonderlich erstaunlich, dass in den Kontexten Modifikation und Kontrastfokus der Intensifikator ein wesentliches Mittel zur Fokussierung darstellt. Allerdings muss den Fragen nachgegangen werden, warum zwei Strategien zu finden sind, welche Eigenschaften diese Strategien in formaler und funktionaler Hinsicht haben und wie die Formen einzuordnen sind. Dazu müssen die beiden Strategien zunächst einzeln genauer betrachtet werden. 5.3.2.1

PERSPRON

und SELF

Die Kombination von PERSPRON und SELF lässt sich im Wesentlichen auf die oben besprochenen semantischen Faktoren zurückführen und kann analog zur Entwicklung des englischen REFL beschrieben werden. Doch ist auch den strukturellen Bedingungen, die den Ausgangspunkt unserer Überlegungen darstellten, Rechnung zu tragen. Denn es werden in diesem Abschnitt genau die Kontexte untersucht, in denen nur eine Vollform zulässig ist, das klitische REFL also nicht auftreten kann. Führt man nun also die Beobachtungen zur Funktion des Intensifikators und die strukturellen Bedingungen der Positionen des REFL zusammen, kann für die Form eam_SELF im Bairischen folgende Analyse in synchroner, aber auch in diachroner Hinsicht vorgelegt werden: Zunächst ist der morphosyntaktische Status des PERSPRON wesentlich, denn nur eine Vollform kann modifiziert werden. Die Desambiguierung durch SELF ist als zweiter Schritt zu betrachten und kann wie beim Englischen auf die adnominale oder die exklusive adverbiale Verwendung des Intensifikators zurückgeführt werden. Die Desambiguierung folgt semantischen oder pragmatischen Faktoren. Bei unserem Beispielsatz (vgl. [62] und Abbildung 12) ist das Verb fotografieren auf jeden Fall als außengerichtet einzuordnen. Aber auch pragmatische Faktoren spielen hier eine Rolle, denn durch die Modifikation wird eben genau die Struktur nach Zentrum und Peripherie erzeugt. Äußerungen mit fotografieren ohne Modifikation und komplexe Form, also mit klitischem si, sind auf jeden Fall auch möglich. Ob von einer Fusion der beiden Elemente zu einem phonologischen Wort wie im Englischen auszugehen ist, kann hier nicht restlos beantwortet werden. Die Tatsache, dass eam und SELF allerdings nur adjazent verwendet werden – im Gegensatz zu si und SELF (vgl. dazu Abbildung 12 und Beispiel [64] oben) – legt die Vermutung nahe, dass eam_SELF als Vollform reanalysiert wurde, also als Einheit zu begreifen ist, wenn auch vielleicht nicht unbedingt als phonologisches Wort. Der Pfad, der hier anzunehmen ist, kann nun also wie folgt dargestellt werden:

130

Intensivierung und Desambiguierung

(74) Modifikation des PERSPRON > Desambiguierung durch adnominales oder adverbiales SELF > Reanalyse von PERSPRON + SELF als VF

5.3.2.2

REFL

und SELF

Die Kombination von REFL und SELF bedarf nun einer ausführlicheren Analyse, schließlich scheint die Stellung von SELF hier variabler zu sein und auch der Klitikstatus von si ist in diesem Zusammenhang nicht unerheblich. Zuerst widmen wir uns der formalen und strukturellen Einordnung der Formen. Die möglichen Stellungen von SELF unter Kontrastfokus seien hier noch einmal dargestellt: (75) Struktur von si_SELF a.

si hot=si [söwa] die Blumen khaft

a’.

si hot=si die Blumen [söwa] khaft

b.

si hot [si söwa] die Blumen khaft

Aufgrund des Klitikstatus von si kann hier zunächst nicht von einer adnominalen Intensivierung ausgegangen werden. Auch das zum REFL nicht adjazente Auftreten von SELF spricht wohl gegen eine adnominale Verwendung des Intensifikators. Unter Berücksichtigung des morphosyntaktischen Status des REFL im Bairischen und der Tatsache, dass REFL und SELF nicht zwingend adjazent sind, ergeben sich zwei Analysewege für diese Formen. Geht man von einer adnominalen Verwendung des Intensifikators aus, muss die Definition von adnominaler Verwendung erweitert werden. So muss in diesem Zusammenhang der adnominale Gebrauch von SELF im Sinne des Skopus, also des semantischen Bezugsbereichs von SELF, begriffen werden und nicht als adpositionale Modifikation. Da allerdings auch die (exklusive) adverbiale Verwendung als funktionale und strukturelle Basis für die Intensivierung des REFL – vor allem nach den Ausführungen zur Entstehung des distinkten REFL im Englischen – plausibel ist, muss diese wohl aus strukturellen Gründen als die sinnvollere Analyse erachtet werden. In den Beispielen mit REFL in Kontrastfokus ist jedenfalls nicht eindeutig zu klären, ob eine Reanalyse von si und SELF zu einem phonologischen Wort anzunehmen ist. Betrachtet man allerdings die Verwendung von si und SELF mit Modifikation, kann zumindest eine Tendenz in diese Richtung festgestellt werden. Denn schließlich kann si nur in Verbindung mit dem Intensifikator modifiziert werden, was eindeutig auf die Verwendung von si_SELF als ein phrasales Element oder genauer als Vollform schließen lässt, denn weder eine klitische Form noch eine schwache Form können in diesem Kontext auftreten. Das heißt also in weiterer Folge, dass die Fusion von si_SELF als Vollformbildung zu sehen ist.

Form und Funktion von SELF

131

(76) si_SELF als Vollform Ea hot jo [nua [si söba]]FOC fotografiert. In funktionaler Hinsicht ist die Kombination von SELF mit dem distinkten REFL genauer zu betrachten und von der Desambiguierung des PERSPRON klar abzugrenzen. Es handelt sich hier eindeutig um eine Intensivierung und nicht um eine Desambiguierung. Bei der Verwendung von SELF in Kontrastfokus ist auch die semantische Konzeption der Gerichtetheit um eine pragmatische Komponente zu erweitern. Die Fokussierung von REFL ist also mit pragmatischen Faktoren, die wiederum im Sinne der Opposition von Zentrum und Peripherie erklärt werden können, zu begründen. Diese Verwendung von SELF legt daher auch die Annahme einer kontextuellen Gerichtetheit des Prädikats nahe. Das heißt also, dass die Verwendung von SELF im Kontrastfokus zunächst auf pragmatische Gründe zurückzuführen ist. Vergleicht man die Verwendung des Intensifikators im Bairischen mit der im Standarddeutschen, wird allerdings klar, dass auch formale Bedingungen eine Rolle spielen. Im Standarddeutschen ist der Intensifikator in solchen Kontexten fakultativ, da diese Kontrastierung auch über die Kontrastbetonung von sich erfolgen kann. Im Bairischen ist dies aufgrund des Klitikstatus von si nicht möglich, die Verwendung von SELF ist in diesen Kontexten also obligatorisch. Die Formen si und SELF sind zwar nicht zwingend adjazent, treten aber auch adjazent auf. Das ist nun die Umgebung, in der die Reanalyse zu einer Vollform stattfinden kann. Als modifizierte NP muss si_SELF auf jeden Fall als Vollform analysiert werden. Nimmt man also an, dass sich in bestimmten Umgebungen eine Vollform si_SELF herausgebildet hat – und diese Annahme wird in den weiteren Ausführungen noch gestützt werden – kann folgender Entwicklungsverlauf nachgezeichnet werden: (77) Intensivierung und Kontrastierung von si durch SELF > Reanalyse von si und als Vollform > Verwendung von si_SELF als Vollform in Kontexten wie Modifikation

SELF

5.3.2.3 Zusammenführung Nun ist noch den Fragen nachzugehen, warum im Kontrastfokus das PERSPRON nicht zu finden ist und warum die Form si_SELF bei Modifikation häufiger verwendet wird als die Kombination aus PERSPRON und Intensifikator. Die erste Frage ist nach den bisherigen Ausführungen relativ schnell zu beantworten. Schließlich kann der Kontrastfokus über den Intensifikator alleine erreicht werden, ohne dass eine Vollform diese Funktion übernehmen muss. Das klitische REFL kann also erhalten bleiben, die Reanalyse zu einer Vollform ist in solchen Kontexten anzusiedeln, die Vollform an sich ist hier nicht zwingend erforderlich.

132

Intensivierung und Desambiguierung

Bei einer Modifikation hingegen ist nur die Vollform zulässig. Das heißt, dass sich hier beide Strategien erhalten haben. Die Präferenz für die Kombination aus distinktem REFL und SELF gegenüber der von PERSPRON und SELF ist aus den folgenden Überlegungen und Beobachtungen abzuleiten: Beide Formen sind morphologisch komplex. Das PERSPRON ist durch die Verbindung mit SELF als distinkte Reflexivierungsstrategie aufzufassen. Der Unterschied zwischen den beiden Formen liegt in der Spezifikation. Während die Verbindung von si und SELF hinsichtlich Genus, Person und Numerus unterspezifiziert ist (bei der Einteilung nach JAKUBOWICZ 1994 „– φ-features“), ist die Verbindung von PERSPRON und SELF hinsichtlich dieser Merkmale spezifiziert. Nach den Ausführungen des letzten Kapitels ist wohl anzunehmen, dass die Strategie mit PERSPRON die ältere ist und zugunsten der unterspezifizierten Form abgebaut wird. Und diese Unterspezifikation kann auch als der Grund für diesen Ab- beziehungsweise Umbau begriffen werden. In der OT-basierten Analyse von GAST (2002, Kapitel 7 und 2006, Kapitel 8) zu komplexen Reflexivierungsstrategien mit dem Intensifikator SELF in einigen germanischen Sprachen, die auf der OT-Analyse von komplexen Anaphern durch KIPARSKY (2002) aufbaut, sind neben den Constraints der Gebundenheit und der Gerichtetheit der Handlung auch noch die Bedingungen „morphological economy“ und „featural economy“ wesentlich. Gebundenheit und Gerichtetheit spielen für die Formen des Bairischen an dieser Stelle keine Rolle mehr. Morphologische Ökonomie ist bei beiden Formen, die als morphologisch komplex eingeordnet worden sind, nicht gegeben, das ausschlaggebende Kriterium ist also die Merkmalsökonomie. Demnach ist diese Umstrukturierung auf die Präferenz von unterspezifizierten REFL zurückzuführen, die die Bedingung der Merkmalsökonomie erfüllen. Fasst man nun die Bedingungen nach GAST in einer Merkmalsmatrix anstatt in einem OT-Tableau zusammen, ergibt sich folgendes Bild: morphologische Ökonomie

Merkmalsökonomie

eam_SELF





si_SELF



+

Tabelle 21: Ökonomieprinzipien bei REFL

Das Kriterium der Merkmalsökonomie ist also als gewichtiger einzustufen. Dies hängt natürlich auch mit dem generellen Abbau des PERSPRON in reflexiver Verwendung in der 3. Person und der Reanalyse von si_SELF als VF zusammen. Denn die Reanalyse des unterspezifizierten REFL in Kombination mit dem Intensifikator bildet die Voraussetzung dafür, dass ein unterspezifiziertes REFL auch als VF zur Verfügung steht. Diese Reanalyse wird natürlich auch vom Verschwinden des PERSPRON in reflexiver Verwendung begünstigt. Die Prinzipien, Kriterien und formalen wie funktionalen Eigenschaften der Formen, die hier besprochen worden sind, bilden auch die Grundlage für den nächsten Abschnitt, der sich mit den Reflexivierungsstrategien innerhalb von Prä-

133

Das Reflexivum als obliques Objekt

positionalphrasen beschäftigt. Diese Strukturen sind aus mehreren Gründen besonders interessant. Denn nach den Ausführungen in Kapitel 3 können an dieser Stelle sowohl Vollformen als auch schwache Formen auftreten. Außerdem wird bei der Einteilung der Formen auch die geographische Distribution eine wichtige Rolle spielen. Daher ist diesen Formen und Konstruktionen auch ein eigener Abschnitt gewidmet. 5.4

DAS REFLEXIVUM ALS OBLIQUES OBJEKT 5.4.1

Bestimmung der Strategien

Nach den bisherigen Ausführungen ist Folgendes zu erwarten: Eine der morphologisch komplexen Vollformen tritt in außengerichteten Handlungen oder Situationen auch als obliques Objekt, also als Objekt in einer PP auf. Allerdings muss geklärt werden, welche Form in prototypisch eigengerichteten Situationen und Handlungen auftritt. Hier ist eine schwache Form zu erwarten. Die beiden Situationen, anhand derer die Reflexivierungsstrategien innerhalb von PP60 ermittelt werden können, sind nun ‘spielen gegen’ und ‘einladen zu’. (78) Testsatz obliques Objekt mit Vollform Donn Dann

hot

da

AUX

DET

Fronz Franz

hoit halt/eben

gegen gegen

REFL

spün spielen

miaßn. müssen

‘Dann hat Franz eben gegen sich (selbst) spielen müssen.’ (79) Testsatz obliques Objekt mit schwacher Form Ea hot=me zu 3SG.NOM.M AUX=1SG.AKK zu

REFL

ham nach_Hause

einglodn. einladen:PPERF

‘Er hat mich zu sich nach Hause eingeladen.’ Dabei ist eine Verteilung zu beobachten, die, nach der geographischen Distribution aufgeschlüsselt, ein interessantes Muster zeigt. Bei der außengerichteten Handlung dominiert die Vollform si_SELF in allen Varietäten. Im Mittelbairischen ist die Form eam_SELF noch am häufigsten vertreten, im Südbairischen wird in diesem Kontext die Form si_SELF präferiert, allerdings ist diese Varietät auch die einzige, die an dieser Stelle die Form sich in Verbindung mit dem Intensifikator aufweist, und mit zwar einer großen Häufigkeit.

60

Das Abprüfen der Formen nach Präposition erfolgte für das M, da in diesem Genus – im Gegensatz zum F und PL – die Formen von PERSPRON und REFL im AKK eindeutig von einander zu unterscheiden sind.

134

Intensivierung und Desambiguierung

spielen gegen nach Varietäten in % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 si SELF

eam SELF

si

sich SELF

si SELF + eam SELF

MB

72,2

22,2

0,0

0,0

5,6

MSB

90,0

10,0

0,0

0,0

0,0

SB

42,1

15,8

5,3

31,6

5,3

Abbildung 13: REFL als obliques Objekt – außengerichtet

Nun sind noch ein paar Erläuterungen zum Kontext zu machen, in dem eine schwache Form verortet werden muss. Wir haben zuvor die SELF-Formen als Vollformen klassifiziert. Diese treten in außengerichteten Situationen auf. Bei obliquen Objekten mit eigengerichteter Handlung ist daher eine schwache Form zu erwarten. Die häufigste Strategie ist an dieser Stelle in allen drei Großvarietäten der Erhalt des PERSPRON. Allerdings ist eine deutliche Zunahme der Strategien sich und si von Norden nach Süden auszumachen. Im Übergangsgebiet zwischen Mittel- und Südbairisch scheint sich die Verwendung von si als schwache Form immer mehr durchzusetzen, im Südbairischen ist die Standardvariante sich offensichtlich etabliert. Im Mittelbairischen ist die Verwendung des PERSPRON in diesem Kontext sehr stabil, das heißt in weiterer Folge auch, dass der Status von si als Klitikon in diesen Varietäten als besonders gefestigt einzustufen ist, also genau in den Varietäten, die auch zum Teil das Klitikon in die 1PL übertragen haben.

135

Das Reflexivum als obliques Objekt

einladen zu nach Varietäten in % 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

eam

si

sich

si SELF

eam + si

k.A.

MB

83,3

8,3

2,8

2,8

2,8

0,0

MSB

62,5

27,5

5,0

0,0

2,5

2,5

SB

42,1

26,3

31,6

0,0

0,0

0,0

Abbildung 14: REFL als obliques Objekt – eigengerichtet

Wie können diese Beobachtungen nun in formaler und funktionaler Hinsicht eingestuft werden? Der Erhalt des PERSPRON in diesen Kontexten hat auch, wenn nicht sogar überhaupt, eine formale Basis. Denn das distinkte REFL kann als CL nicht Teil einer PP sein. Das PERSPRON bleibt also aus formalen Gründen hier erhalten, aber natürlich spielen auch funktionale und semantische Gründe eine große Rolle. Denn die Interpretierbarkeit beziehungsweise die Zuweisung der Referenz des PERSPRON als referenzidentisch mit dem Subjekt ist wieder auf die Bedeutung des Prädikats zurückzuführen. Durch die Eigengerichtetheit von einladen zu ist die Referenzambiguität aufgehoben. Wichtig ist, hier zu betonen, dass die Form nicht vom Kasus abhängt, den die Präposition der NP verlangt, sondern von der Gerichtetheit der Handlung. So ist auch bei reden mit die Vollform oder starke Form zu erwarten. Dass allerdings auch si_SELF in diesem Kontext zu finden ist, spricht dafür, dass der phrasale Status des fraglichen Elements eine wichtige Rolle spielt. Die Ersetzung der dialektalen Strategie durch das Standarddeutsche sich und die Verwendung von si als nicht-klitische Form ist auf mehrere Prinzipien zurückzuführen. Die Verwendung eines distinkten REFL in eigengerichteten Kontexten folgt zwei unterschiedlichen Wegen: Einerseits dringt das standarddeutsche sich in den Dialekt ein, andererseits kommt es zu einer Überführung des klitischen REFL in eine schwache Form. Die Verwendung von si in diesem Kontext muss also genauer beleuchtet werden, denn diese Reorganisation ist nicht als rein sprachinterne Umstrukturierung zu verstehen, wie im nächsten Abschnitt noch deutlich wird.

136

Intensivierung und Desambiguierung

Zuvor sollen noch einmal die hier besprochenen Strategien und deren Herleitungen, um Reflexivität in Kontexten auszudrücken, die nur eine Vollform oder eine schwache Form erlauben, zusammengefasst werden. Strategie 1 PERSPRON + SELF Strategie 2 si + SELF Strategie 3 PERSPRON Strategie 4 si Strategie 5 sich

Desambiguierung des PERSPRON durch SELF Reanalyse von si und SELF als Vollform Erhalt des PERSPRON als phrasales Element Ersetzung des PERSPRON durch si in Verbindung mit Statuswechsel von CL zu schwacher Form Entlehnung aus dem Standard

Tabelle 22: Reflexivierungsstrategien im Bairischen

5.4.2

Momentaufnahme eines Kategorienwandels

Wir müssen also davon ausgehen, dass sich si in bestimmten Kontexten, eben innerhalb einer PP mit eigengerichteter Semantik des Prädikats, zu einer schwachen Form entwickelt hat. Nun ist zu klären, wie man diesen Kategorienwandel bestimmen kann und welche Bedingungen diesen Wandel ausgelöst haben beziehungsweise begünstigen. Es wurde ersichtlich, dass sich die Verwendung von si als schwache Form auch geographischen Verteilungspräferenzen zuordnen lässt. Besonders bemerkenswert ist allerdings die folgende Beobachtung: In einer Konstruktion, die von mehreren Befragten unabhängig als nicht dialektal oder nicht basisdialektal gekennzeichnet wurde, tritt das distinkte REFL wesentlich häufiger auf. Der Testsatz enthielt die Prädikation aufnehmen bei. Um diese Unterschiede zu veranschaulichen, werden hier die Nennungen von PERSPRON in PP bei einladen zu und die Verwendung des distinkten REFL bei aufnehmen bei einander gegenübergestellt. Die 63 Befragten, die bei einladen zu das PERSPRON verwendet haben, haben in einer hohen Prozentzahl die Strategie bei aufnehmen bei geändert, wie die folgende Tabelle zeigt: ‘einladen zu’ PERSPRON

100% (63)

‘aufnehmen bei’ si sich 38,1% (24) 12,7% (8)

Tabelle 23: Unterschiedliche Strategien bei obliquem Objekt in eigengerichteter Situation

Das bedeutet nun, dass in einem Kontext, der als weniger dialektal zu beurteilen ist, die Anzahl der Verwendung des distinkten REFL ansteigt. Verbindet man diese Beobachtung nun mit der Datenlage, so müssen beim Wandel von si von einem CL zu einer schwachen Form also zwei Faktoren berücksichtigt werden: die

Das Reflexivum als obliques Objekt

137

systeminternen Bedingungen, die einen solchen Wandel erlauben, und die systemexternen, die einen solchen Wandel begünstigen. Betrachtet man nur das System an sich, so muss der Wandel der Form si von einem CL zu einer schwachen Form als Degrammatikalisierung beschrieben werden, in dem Sinne, dass eine Verschiebung dieser Form auf der Achse in Richtung selbstständigere Form anzunehmen ist. Als Lexikalisierung, die oft als Gegentendenz zur Grammatikalisierung verstanden wird, ist diese Verschiebung natürlich nicht zu verstehen. Die Annahme von Degrammatikalisierung ist natürlich nicht unumstritten, ist er doch nicht mit der Annahme eines unidirektionalen Grammatikalisierungspfads vereinbar, wie er im Allgemeinen angenommen wird, nämlich, vereinfach gesagt, von einem lexikalischen Element zu einem grammatischen. Wie im Fall der hier relevanten Formen und deren Einordnung ein solcher Pfad aussehen kann, wurde in Kapitel 3 dargelegt. Die dortigen Ausführungen zu diesem Kontinuum und zur morphologischen Klassifikation stehen ebenfalls nicht gerade in Einklang mit der Annahme einer Degrammatikalisierung. Über die kennzeichnenden Mechanismen von Grammatikalisierung, die also definitorisch für Grammatikalisierung sind, herrscht allerdings allerdings keine große Einigkeit. So ist nicht ganz deutlich, ob Unidirektionalität als definitorisch oder als eine Tendenz zu begreifen ist (vgl. die Diskussion bei CAMPBELL 2001b). Nach NORDE ist Degrammatikalisierung wie folgt zu definieren: Degrammaticalization is a composite change whereby a gram in a specific context gains autonomy or substance on more than one linguistic level (semantics, morphology, syntax, phonology). (NORDE 2009, 120)

Degrammatikalisierung ist NORDE (2009, 236) zufolge auch nicht als die Umkehrung des Grammatikalisierungsprozesses zu verstehen, sondern als ein Epiphänomen anderer Umstrukturierungen und Bedingungen. Im strukturellen Sinne wird das PERSPRON in reflexiver Verwendung in der 3. Person abgebaut. In den mittelbairischen Varietäten ist eine größere Stabilität gegeben, sowohl was die Verwendung von eam betrifft, als auch hinsichtlich des Klitikstatus von si. Im Südbairischen wird das PERSPRON in allen Positionen abgebaut. So rückt das REFL si in diese Lücke und kann auch als schwache Form verwendet werden. Dabei sind zwei strukturelle Faktoren wesentlich: Zum einen ist die Reanalyse als schwache Form darauf zurückzuführen, dass das REFL in einem Klitikcluster bei transitiven Verben das letzte Element der Sequenz darstellt. Für das REFL im DAT ist das ebenso der Fall, wenn der Akkusativ als NP auftritt. Zum anderen ist das phonologische Gewicht zu berücksichtigen. In den mittelbairischen Varietäten ist die Zentralisierung des Vokals weiter fortgeschritten als in den beiden anderen großen Varietäten. Die Reanalyse als schwache Form ist in jenen Varietäten weiter verbreitet, die ein weniger zentralisiertes vokalisches Element als Nukleus des REFL aufweisen. Ob nun die Verwendung des REFL als schwache Form zu dieser Dezentralisierung führt, oder ob die Dezentralisierung der Degrammatikalisierung voranzustellen ist, kann nicht sicher bestimmt werden. Dass hier aber ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, scheint doch sehr klar.

138

Intensivierung und Desambiguierung

Der Degrammatikalisierungspfad, der demnach angenommen werden kann, ist der von einem Klitikon zu einer selbstständigen, wenn auch defizienten Form. Nach NORDE (2009, 121 und Kapitel 6) kann diese Rekategorisierung oder – um es weniger abrupt darzustellen – diese Verschiebung auf dem Kontinuum zwischen CL und schwacher Form in Richtung schwache Form als „debonding“, also als Ablösung beziehungsweise Auflösung der Gebundenheit oder morphosyntaktischen Abhängigkeit bezeichnet und beschrieben werden. Im Übergangsgebiet zwischen Mittel- und Südbairischem und im Südbairischen ist diese Verschiebung generell bereits weit verbreitet, wobei im Südbairischen auch die standardnahe Variante sich sehr gebräuchlich ist. Im Mittelbairischen ist die Verwendung des REFL als schwache Form stärker restringiert. Es sind aber auch systemexterne Faktoren miteinzubeziehen. Diese Faktoren sind der Einfluss der Standardsprache und die nicht klar setzbaren Grenzen zwischen den einzelnen Varietäten des Repertoires eines Sprechers, wie es in Kapitel 2 dargelegt wurde. Das bedeutet, dass zu der horizontalen Achse Klitikon > schwache Form auch die vertikale Achse eine wichtige Rolle spielt. Die Anpassung des dialektalen Inventars in Situationen und Kontexten, die von den Sprechern eher mit dem Standard oder überregionalen Varietäten in Zusammenhang gebracht werden, ist für die phonologische und phonetische Ebene bereits untersucht worden, zum Beispiel im Rahmen der Soziophonetik für das Wienerische (z. B. MOOSMÜLLER 1991) und für das Westmitteldeutsche (LENZ 2003 und 2008). Die Übertragung dieser Überlegungen auf syntaktische Muster stellt eine jüngere Forschungsrichtung dar. Doch die Prozesse und Angleichungen der dialektalen Muster in verschiedenen Kontexten sind auch in der Syntax evident.61 Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem das Konzept der Hyperdialektalismen, das von LENZ (2003 und 2005) für den phonetischen und phonologischen Aspekt des Kontinuums zwischen Basisdialekt und Regiolekt beschrieben wird, dessen grundsätzliche Definition sich aber auch auf die hier relevante strukturelle Anpassung übertragen lässt. Denn danach sind „Hyperdialektalismen […] Hyperformen, die sich aus der fehlerhaften Annäherung eines Sprechers an die Zielvarietät Dialekt ergeben“ (LENZ 2003, 207). So kann auch ein vertikaler Pfad des REFL angenommen werden, der in einer schwachen Form endet. Die systeminternen Faktoren sind die weniger zentralisierte Realisierung des Vokals sowie die syntaktische Position in vielen Kontexten, die eine Reanalyse als schwache Form zulassen. Als systemexterner Faktor ist die Angleichung an den Standard, vor allem bei Kontexten, die als wenig dialektal eingeschätzt werden, in Verbindung mit dem vermeintlichen Erhalt von dialektalen Strukturen im Sinne eines Hyperdialektalismus anzunehmen. Dabei wirken also zwei Kräfte: Einerseits die standardnahe Struktur, die hier wohl die Standardvariante sich verlangen sollte, und andererseits der Erhalt eines als dialektal beurteilten Musters, nämlich die Beibehaltung des reduzierten si. In diesem Zu61

Projekte, die diese Dimension der syntaktischen Variation zum Gegenstand haben, sind vor allem am Institut für Germanistik der Universität Wien zu finden. Zum Bairischen ist dahingehend ebenfalls ein Projekt in Planung.

139

Das Reflexivum als obliques Objekt

sammenhang ist natürlich auch die oben besprochene Merkmalsökonomie als weitere strukturelle Bedingung anzuführen, die sich nach dem Vorbild des Standards durchzusetzen beginnt. Demnach ist nicht von einer strikten systeminternen Degrammatikalisierung auszugehen. Dennoch spielen die Struktur und die Beschaffenheit der Form eine wesentliche Rolle. Dass beide Faktoren für diese Umstrukturierung verantwortlich zeichnen können, soll die folgende Graphik zum Ausdruck bringen. Standard

x

x Basisdialekt Vollform

Schwache Form

Klitikon

Abbildung 15: Horizontale und vertikale Verschiebung des REFL

Natürlich sind diese Ausführungen im Rahmen dieser Arbeit als eher tentativ zu werten. Sie sollen aber zeigen, dass es wichtig ist, solche Phänomene nicht nur als Einfluss aus dem Standard oder als Sprachkontaktphänomen zwischen Standard und Dialekt zu bezeichnen. Bei der Beurteilung dieser Prozesse sind sowohl strukturelle, also systeminterne, als auch außersprachliche, das heißt systemexterne Faktoren als wesentlich zu begreifen. Um diesen Umstrukturierungsprozessen weiter auf die Spur zu kommen, bedarf es aber natürlich einer differenzierten Methodik. Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf den strukturellen Eigenschaften des REFL im Dialekt liegt, kann diese Beobachtung empirisch nicht bewiesen werden. Es ist aber durchaus evident, dass ein solcher Prozess aus den oben besprochenen Bedingungen und Voraussetzungen ableitbar ist. Dabei ist auch die geographische Verteilung interessant. Denn die Stabilität des Klitikstatus des REFL ist im Mittelbairischen am meisten gefestigt. Das bedeutet also, dass die Varietäten sich nicht nur in ihren strukturellen Eigenschaften unterscheiden, sondern auch hinsichtlich der Erhaltung und Stabilität von Strukturen.

140

Intensivierung und Desambiguierung

5.5

ZUSAMMENFASSUNG

Nun sollen die wichtigsten Beobachtungen dieses Kapitels resümiert werden. Dabei werden auch die hier besprochenen Strukturen und deren Eigenschaften mit den Ausführungen der vorhergehenden Kapitel verknüpft. Dies ist besonders in Hinblick auf die formalen und funktionalen Eigenschaften des Formeninventars wesentlich. 5.5.1

Formale und funktionale Prinzipien

Die formalen und funktionalen Eigenschaften und Prinzipien hinsichtlich der Wahl der Form, also ob nun eine Vollform, ein Klitikon oder eine schwache Form verwendet wird, sind nun noch einmal genauer zu durchleuchten. Zunächst soll das Prinzip „minimise structure“ (CARDINALETTI / STARKE 1999, 197–198) eingeführt werden. Die Generalisierung nach CARDINALETTI / STARKE ist also: „A ‘smaller structure’ is obligatorily chosen, if possible“ (CARDINALETTI / STARKE 1999, 198). Diese Ökonomie der Repräsentationen besagt also, dass die defizientest mögliche Form zu wählen ist. Eine parallele Generalisierung zur Verwendung von morphologisch komplexen REFL findet sich auch bei KÖNIG und SIEMUND, welche die Korrelation zwischen der Bedeutung des Prädikats und der Reflexivierungsstrategie und deren Komplexität wie folgt charakterisieren: The more complex strategy tends to be used for the more remarkable (i. e. conventionally other-directed) situation; the less complex strategy tends to be used for inherently reflexive verbs and for conventionally non-other directed situations. (KÖNIG 2001, 758)

Fasst man nun die formale und die funktionale Komponente der Formen in reflexiver Verwendung zusammen, kann man diese nach der Bedeutung des Prädikats beziehungsweise der kontextuellen Bedeutung gruppieren (vgl. auch KÖNIG / SIEMUND 2000b, 61): eigengerichtet CL/schwache Form

außengerichtet Vollform

si, eam

sisöwa, eam söwa

Tabelle 24: Formenbestimmung und Funktionszuweisung

Fasst man die Formen nach ihrer Stelle im Kontinuum zwischen Klitikon und Vollform und den Präferenzen in den drei großen Varietäten des Bairischen in Österreich zusammen, so ergibt sich das folgende Bild:

141

Zusammenfassung CL

si

schwache Form si sich eam MSB (SB) SB MB

Vollform sisöwa eam söwa im Rückgang

Abbildung 16: Die Strategien auf dem Kontinuum

Diese Darstellung berücksichtigt auch die Verschiebungen der Formen entlang dieses Kontinuums. So rückt das morphologisch nicht komplexe REFL in den beiden südlicheren Varietäten nach rechts. Dies ist auf strukturelle und extrasystemische Faktoren zurückzuführen. Das PERSPRON in reflexiver Verwendung ohne Intensifikator ist dagegen nach links gewandert, da das PERSPRON mit Intensifikator die Stelle der Vollform eingenommen hat. Diese Form wird allerdings zunehmend von der neuen Vollform si + Intensifikator verdrängt. Die Einschätzung, dass diese Form als jünger zu werten ist, ergibt sich zum einen aus den historischen Daten und zum anderen auch aus der Einschätzung der Befragten, die teilweise angeben, dass diese Formen bei älteren Sprecherinnen und Sprecher noch zu hören seien. Das REFL sich, das im Standarddeutschen als Vollform und als schwache Form zu finden ist, wird dialektal als schwache Form integriert. Es ist also auch hier von einem Einfluss des Standards auszugehen, allerdings wird nicht das gesamte Muster, das im Standard zu finden ist, übertragen. 5.5.2

Unterspezifizierte Gerichtetheit

Bisher war die Zuordnung der Form zu bestimmten Kontexten sehr eindeutig. Es kann aber durchaus zu unterschiedlichen Einordnungen der Situation betreffend die Gerichtetheit des Prädikats kommen. Diese Unklarheiten hinsichtlich der kontextuellen und semantischen Gerichtetheit spiegeln sich schließlich in der Kodierung der Reflexivität wider, so zum Beispiel beim Prädikat denken an. Die folgende Abbildung zeigt, dass hier sowohl Strategien auftreten, die bei eigengerichteten Prädikaten zu erwarten sind, als auch Formen, die oben außengerichteten Prädikaten zugeordnet worden sind. Die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten zeigen sich nicht nur darin, dass im Vergleich der Antworten eine hohe Variabilität besteht, sondern sind auch aus der Tatsache abzuleiten, dass viele Sprecherinnen und Sprecher mehrere Strategien als korrekt beurteilen, sich also nicht auf eine präferierte Form festgelegt haben.

142

Intensivierung und Desambiguierung

Strategien bei denken an si_SELF 8%

eam_SELF

5%

si 44% 25%

sich sich_SELF

9%

9%

Anwendung mehrerer Strategien (siehe Tabelle)

Abbildung 17: Außen- und eigengerichtete Interpretation bei ‘denken an’

si_SELF + si 2%

si_SELF + sich 2%

eam_SELF + si 2%

si_SELF + eam_SELF + si 2%

Tabelle 25: Anwendung mehrerer Strategien bei ‘denken an’

Geht man nicht a priori von einem Erklärungsansatz aus, der auf der semantischen und kontextuellen Gerichtetheit der Prädikatsbedeutung basiert, sondern nimmt man diese Datenlage als Ausgangspunkt einer deduktiven Herleitung, so ist diese eine weitere Evidenz für die Relevanz der Prädikatsbedeutung bei der Wahl der Form als obliques Objekt in einer PP. Denn nur der funktionale Interpretationsspielraum dieser Konstruktion kann als Erklärung für diese Kodierungskonflikte und Uneindeutigkeit bestehen. Eine rein formale Analyse könnte diesen Daten nicht gerecht werden. 5.5.3

Schlussbemerkungen und Ausblick

Dieses Kapitel sollte also zeigen, wie Intensivierung und Desambiguierung mit Reflexivität im Bairischen im Allgemeinen und im Besonderen zusammenhängen. Dabei sind verschiedene syntaktische Umgebungen näher untersucht worden. Es wurde deutlich, dass funktionale und strukturelle Faktoren zu berücksichtigen sind, die, um die Formen der Reflexiva im Bairischen erfassen zu können, eine wichtige Rolle spielen. In diesem Zusammenhang ist auch noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Formen sich in wesentlichen Punkten vom Standarddeutschen unterscheiden, nämlich in der morphosyntaktischen Einordnung und hinsichtlich der Fakultativität des Intensifikators. Der Einfluss, den das Standarddeutsche auf die Reflexivierungsstrategien des Bairischen ausübt, ist unbedingt zu beachten, aber auch zu konkretisieren. Eine schlichte Zurückführung mancher Formen und Phänomene auf diesen Einflussfaktor ist oft zu kurz gegriffen, denn

Zusammenfassung

143

die Formen werden den strukturellen Bedingungen des Bairischen angepasst in das System der Varietäten integriert. Auch diese Mechanismen sind nicht eindimensional zu erfassen. Die formale und funktionale Bestimmung der Reflexiva ist allerdings noch weiter zu beleuchten. Es ist noch nicht geklärt, welche Funktionen dem REFL über die Markierung von mit dem Subjekt koreferenten Argumenten und Partizipanten hinaus zuzuschreiben ist. Auch einige syntaktische Auffälligkeiten, die hier schon als bemerkenswert eingestuft worden sind, bedürfen noch größerer Aufmerksamkeit. Unter 5.2 wurde zum Beispiel schon darauf hingewiesen, dass das klitische REFL im selben Teilsatz auftreten kann wie das REFL in PP, also eine doppelte Markierung zu finden ist: (80) Sie hot si die Blumen für sisöba khaft. Diese Doppelungen sind für die bairischen Varietäten, die in dieser Arbeit untersucht werden, vor allem im Dativ evident. Diese und andere Besonderheiten der syntaktischen Distribution des REFL stehen nun im nächsten Kapitel im Mittelpunkt der Untersuchungen.

6

FUNKTIONEN DES REFLEXIVUMS: NATIONALE UND DIALEKTALE STRUKTUREN 6.1

VORBEMERKUNGEN 6.1.1 Ausgangspunkt

Dieser Teil der Untersuchung widmet sich nun eingehend der syntaktischen Funktion des Reflexivums im Bairischen. Die Phänomene, Konstruktionen und Besonderheiten, die hier abgehandelt werden, sind auch diejenigen, die besonders im Spannungsfeld zwischen Dialekt und Standardsprache stehen und auch im Vergleich zum bundesdeutschen Standard oft als Beispiele für syntaktische Besonderheiten des österreichischen Deutsch genannt werden. 6.1.1.1 Reflexiva im österreichischen Deutsch Einige Beispiele für die Reflexivität von Verben im österreichischen Deutsch wurden bereits in Kapitel 2 angeführt. Die Standardbeispiele sollen hier nach einem Überblick von MUHR (1995, 227) wiederholt werden. Dieser listet die folgenden Syntagmen auf und verweist auf einen wahrscheinlichen Sprachkontakt mit dem Slowakischen und/oder Tschechischen als Grund für diese Auffälligkeiten. Österreichisches Deutsch Es lohnt sich nicht. Das geht sich nicht aus. Er soll sich nicht zu viel erwarten. Da hört sich doch alles auf. Er soll sich nicht spielen. Er soll sich niederknien. Es spießt sich.

Bundesdeutsch Es lohnt nicht. Das reicht nicht./Das ist zu wenig. Er soll nicht zu viel erwarten. Das ist zu viel./Jetzt reicht’s. Er soll aufpassen. Er soll niederknien. Es gibt Probleme./Es stockt.

Tabelle 26: Unterschiede zwischen den deutschen Standards in Österreich und Deutschland im Bereich der Reflexivierung (nach MUHR 1995, 227)

Eine der wenigen ausführlicheren Auseinandersetzungen mit dem Bereich der auffälligen Verwendung der REFL im österreichischen Deutsch, die über ein reines Aufzeigen der Phänomene hinausgehen, liefert ZIEGLER (2010). Darin wird auf

146

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

der Grundlage von Pressetexten aus Österreich eine Funktionsbestimmung der spezifischen Verwendungen von REFL ausgehend von den folgenden Beispielen angestrebt: (81) sichDAT erwarten, sichDAT nehmen, sichDAT kein Blatt vor den Mund nehmen, sichDAT machen, sichDAT notieren, sichDAT abhören, sichAKK aufhören (Irgendwann hört sich der Spaß auf), sichAKK auf den Magen schlagen, sichAKK zu Buche schlagen (nach ZIEGLER 2010, 72–73) Im Mittelpunkt der Untersuchungen von ZIEGLER steht vor allem die Konstruktion sich erwarten. Die Beispiele, die dazu angeführt werden, sind: (82) erwarten mit REFL im österreichischen Deutsch a.

Denn manchmal erwartet sich der Kunde im Urlaub Ruhe und Frieden.

b.

Warum sich André Heller von der Politik nichts mehr erwartet.

c.

Man hat sich erwartet, daß frischer Wind reinkommt und die Tür aufgeht.62 (nach ZIEGLER 2010, 72–73)

ZIEGLER schlägt zwei mögliche Erklärungsansätze für diese Strukturen vor: entweder als Valenzerweiterung oder als „Ausbau des Verbalparadigmas im Bereich Genus verbi“ hinsichtlich der Medialität (ZIEGLER 2010, 76). Demnach ist die wesentliche Frage, ob dem REFL in diesen Konstruktionen eine semantische Rolle zuzuschreiben ist oder nicht. ZIEGLERS Analyse favorisiert die zweite Annahme, nämlich, dass dem REFL in keinem der oben genannten Beispiele eine semantische Rolle zugeschrieben werden kann und das Reflexivum daher als Medialmarker zu klassifizieren sei. Dieser Ansatz hat auf den ersten Blick den Vorteil, dass alle Phänomene, die bisher unter dem Schlagwort auffällige Reflexivverwendung im österreichischen Deutsch angeführt worden sind, einheitlich zu analysieren und zu klassifizieren sind. Dass das REFL im Deutschen und auch im Bairischen nicht nur Reflexivität im referenziellen Sinne markiert, ist nun natürlich nicht zu bestreiten. Die Zusammenfassung der Phänomene in Tabelle 26 und in den Beispielen in (81) unter dem Begriff Medium ist dennoch problematisch, denn schließlich weisen die REFL ganz unterschiedliche Qualitäten auf, die bei den bisherigen Darstellungen zu diesem Phänomen nicht thematisiert worden sind. Denn es handelt sich um verschiedene Kasus, unterschiedliche Grade der Ideomatizität und um zu differenzierende Argumentstrukturen. So lässt sich der Reflexivmarker bei sich erwarten eindeutig als DAT identifizieren, denn schließlich tritt er mit einer NP im AKK auf und die Ersetzung der Person bringt eine PERSPRON im DAT zutage. 62

Wie schon bemerkt, sind die Beispiele Pressetexten entnommen. Die Quellen nach ZIEGLER sind für a. „Reisen“ 6/199, 62; für b. „Profil“ 19.01.1998, 6; für c. „Echo“ 28.01.1999, 20.

Vorbemerkungen

147

(83) Ich erwarte mir eine gute Note. Auch wenn die Klassifizierung des REFL als Medialmarker bei den Beispielen von ZIEGLER (2010), die unter (81) zusammengefasst worden sind, hier als voreilig einzustufen ist, so werden die grundsätzlichen An- und Einsichten ZIEGLERS geteilt, nämlich dass das REFL funktional genauer zu bestimmen ist und die reine Feststellung der auffälligen Verwendung von REFL im österreichischen Deutsch und vor allem in den bairischen Varietäten nicht als ausreichend empfunden werden kann. Eine weitere Problematik ergibt sich jedoch aus der Zurückführung dieser Phänomene auf Sprachkontakt mit dem Tschechischen und/oder Slowakischen. Denn ohne eine genaue Identifizierung der einzelnen Funktionen des REFL hat diese Erklärung wenig Aussagekraft. Des Weiteren ist es wahrscheinlich gar nicht uneingeschränkt möglich, hier eine syntaktische Konvergenz nachzuweisen, wie dies auch schon in Kapitel 4 thematisiert wurde. Wesentlicher erscheint an dieser Stelle ohnehin die Untersuchung dieser Verwendungen oder Konstruktionen an sich. Die Rückführung auf Sprachkontakt ist erst im zweiten Schritt sinnvoll oder gar möglich. 6.1.1.2 Verwendung des REFL im Dialekt Ziel dieser Arbeit ist jedoch nicht primär die Untersuchung des österreichischen Deutsch, sondern der dialektalen Varietäten. Wie schon bemerkt, sind allerdings gerade bei diesem Phänomenbereich die Grenzen zwischen Dialekt, regionalen Varietäten und österreichischer Standardvarietät äußerst unscharf. Die meisten der oben genannten Beispiele werden sicher auch im Dialekt verwendet. Es gibt aber auch Verwendungen des REFL, die nicht dem österreichischen Standard oder dem gesamten Raum des Bairischen in Österreich zugerechnet werden können – zum leichteren Verständnis in Standardorthographie wiedergegeben: (84) sichDAT etwas sehen, sichDAT es auf etwas stehen, sichDAT etwas besprechen, sichDAT etwas abschminken, sichDAT eine (Zigarette) anrauchen, sichDAT etwas schnorren, sichDAT jemanden aufreißen, sichDAT etwas aufhören, sichAKK schicken, sichAKK schleunen, sichAKK schleichen, sich auswissen sichAKK scheren (um)63 Das bedeutet, dass in den dialektalen Varietäten diese Besonderheiten noch stärker zutage treten. Es gilt hier also generelle Tendenzen zu bestimmen und Erklärungsansätze zu liefern, die für die dialektalen Muster und die Konstruktionen, die dem österreichischen Standard zuzuschreiben sind, valide sind. 63

Diese Liste ist natürlich nicht vollständig, illustriert aber bereits, dass die Verben mit akkusativischen REFL tendenziell auch öfter metaphorisch verwendet werden als die Verben mit REFL im DAT.

148

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

Wichtig ist zu betonen, dass hier nicht die Behandlung von dialektspezifischen Verben mit REFL im Vordergrund steht, auch wenn hin und wieder auf Parallelen verwiesen wird. Dies wäre eine Aufgabe für eine eigene Abhandlung und hätte auch eher lexikologischen und lexikographischen Charakter. Was hier besonders interessant ist, sind jene Verben, die im bundesdeutschen Standard oder – weniger national formuliert – in einem präskriptiven Wörterbuch als nicht reflexiv geführt werden und im österreichischen Deutsch und vor allem im Bairischen mit REFL auftreten oder auftreten können. Denn nur so können systematische Eigenheiten der jeweiligen Varietät festgestellt werden. Des Weiteren sind den Dialekten auch Konstruktionen zuzuschreiben, die für das österreichische Deutsch nicht belegt sind, die also ganz klar dem Basisdialekt zuzuordnen sind und sich auch von den oben dargestellten Verwendungen deutlich unterscheiden. Diese Konstruktionen, die hier als pseudomediale Konstruktionen bezeichnet werden, sind zum einen im Kontrast mit dem Standarddeutschen und zum anderen im regionalen Vergleich differenzierbar. So ist hier eine mediale Konstruktion festzustellen, die im Gegensatz zum Standard mit intransitiven Verben gebildet wird, ohne dass eine Neuzuordnung der Partizipanten erfolgt, wie es bei der Mittelkonstruktion im Deutschen der Fall ist. Zum anderen ist für den bayrischen Raum hier – wie es für mediale Konstruktionen zu erwarten ist – das REFL im AKK belegt (nach MERKLE 1975 [2005], 135), wie die Beispiele unter (85) zeigen. In den österreichischen Varietäten hingegen ist an dieser Stelle das REFL im DAT zu finden, wie in Beispiel (86). (85) Pseudomediale Konstruktionen im Bairischen mit AKK a.

I 1SG.NOM

gäh=mi gehen:1SG.PRÄS=1SG.AKK

so so

schwààr. schwer

‘Ich tue mich so schwer beim Gehen.’ b.

Seitdem seitdem

daß dass

i 1SG.NOM

schnauf=i=mi atmen:1SG.PRÄS=1SG.NOM=1SG.AKK

nimà nicht_mehr

vui viel

rauch, rauchen:1SG.PRÄS

leichddà. leichter

‘Seit ich nicht mehr rauche, tue ich mich viel leichter beim Atmen.’ (beide Beispiele nach MERKLE 1975 [2005], 135) (86) Pseudomediale Konstruktionen im Bairischen mit DAT I 1SG.NOM

schnauf=ma atmen:1SG.PRÄS=1SG.DAT

hoit eben

‘Ich tue mir eben nicht so leicht beim Atmen.’

ned NEG

so so

leicht. leicht

Funktion des Reflexivums I: Akkusativ

6.1.2

149

Fragestellungen

Die Auffälligkeiten im Feld der syntaktischen Funktion der Reflexiva betreffen also einerseits verschiedene syntaktische Bereiche und sind andererseits regional und auf dem Kontinuum zwischen Basisdialekt und Standard unterschiedlich einzuordnen. Auch wenn eine unifizierende Erklärung der Phänomene erstrebenswert erscheint, so ist es doch sinnvoll, die Verwendungstypen nach ihren speziellen Eigenschaften einzeln zu analysieren, um eventuelle Gemeinsamkeiten, die über die Verwendung des REFL hinausgehen, herausfiltern zu können. Aus diesen Beobachtungen und Überlegungen sind nun also die Fragestellungen abzuleiten, die diesem Abschnitt zugrunde liegen: – – –

Welche Differenzierungen nach Rolle und Kasus des REFL sind sinnvoll, um die Verwendungstypen zu kategorisieren beziehungsweise zu typologisieren? Welche Funktion hat das Reflexivum? Welche Unterschiede lassen sich hinsichtlich Dialekt und österreichischem Standard hinsichtlich der Verwendung des REFL ausmachen und welche Faktoren können die Verbreitung von bestimmten Mustern beeinflussen beziehungsweise beeinflusst haben?

Diese Fragestellung führt auch zur Vernachlässigung von hochideomatischen Wendungen und Verwendungen des REFL, da diese jeweils einer einzelnen Fallanalyse bedürften. Ziel ist es aber, vielmehr allgemeine Tendenzen festzustellen und der Frage nachzugehen, wie auffällig welche Verwendungen des REFL nun tatsächlich sind. Der Ansatz, die auffälligen Verwendungen des REFL auf die Funktion als Medialmarker zurückzuführen, wurde bereits deutlich als problematisch gekennzeichnet. Dennoch ist die Argumentation in dieser Hinsicht noch eingehender zu führen. Die Diskussion um die verschiedenen Funktionen des REFL und vor allem die Funktion als Medialmarker erscheint auch als der geeignete Ausgangspunkt der theoretischen und klassifikatorischen Auseinandersetzung mit den Phänomenen, da die Klassifikation ja nur über die Abgrenzung zu anderen Verwendungstypen möglich ist. Des Weiteren steckt hinter einem Klassifikationsproblem nicht selten ein terminologisches. Im Mittelpunkt des nächsten Abschnitts steht nun also die Einteilung der Reflexiva im Allgemeinen, aus germanistischer Sicht und aus typologischer Perspektive. 6.2

FUNKTION DES REFLEXIVUMS I: AKKUSATIV 6.2.1

Die Funktion des REFL im Deutschen

Die wesentliche Trennung der Funktion beziehungsweise der Typen von Verwendungen des Reflexivums wird für das Deutsche in anaphorische/referenzielle, lexikalische und mediale REFL vorgenommen (zum Beispiel HAIDER 1985), wobei

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Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

alle drei Typen noch weiter differenzierbar sind. Die detaillierteste Typologie für die Funktion des REFL im Standarddeutschen legt KUNZE (1997) vor. Typ T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8 T9 T 10 T 11 T 12 T 13 T 14 T 15 T 16

Bezeichnung Strikte anaphorische Fügung Reziproke anaphorische Fügung Symmetrische Fügung Symmetrische Lexikalisierung Quasi-anaphorische Fügung

Beispiele Karl rasiert sich. Die beiden Brüder begrüßen sich. Karl verabredet sich mit Otto. Anna verträgt sich mit Karl. Ich eigene mir etwas an. Ich informiere mich. Prädikative Fügung Er läuft sich warm. Prädikative Lexikalisierung Er legt sich quer. Ich schreibe mir die Finger wund. Ortswechsel, Fügung Er dient sich nach oben. Ortswechsel, Lexikalisierung Er redet sich heraus. Einfache Medialform, Fügung Der Text übersetzt sich schwer. Einfache Medialform, Lexikalisie- Die Äste biegen sich. rung I Einfache Medialform, Lexikalisie- Karl schämt sich. rung II lassen-Medialform, Fügung Die Frau ließ sich fallen. Der Stein ließ sich tragen. lassen-Medialform, Lexikalisie- Dieses Ergebnis kann sich sehen rung lassen. mis-Modifikation Ich habe mich verfahren. Holistische Reflexivität Der Mitarbeiter weigert sich.

Tabelle 27: Typen der Funktion von REFL im Deutschen nach KUNZE (1997)

Diese Tabelle soll nun als Orientierungspunkt für die Einteilung der Verwendung des REFL im Deutschen dienen. Die grundsätzlichen Beobachtungen, die im Folgenden präziser zu bestimmen sind und die als wesentlich für die oben formulierten Fragestellungen zu gelten haben, sind demnach folgende: Die grundsätzliche Differenzierung ist die in einerseits anaphorische, also referenzielle REFL, denen eine semantische Rolle zugewiesen werden kann, und andererseits in jene Verwendungen des REFL, die nicht referenziell sein können. Die wichtigsten Typen der ersten Gruppe sind für diese Abhandlung die anaphorischen reflexiven Fügungen (T1) und die quasi-anaphorischen Fügungen (T5). Die Typen der zweiten Gruppe, die für die Einteilung der Konstruktionen und Verben des österreichischen Deutsch – dialektal wie national – genauer betrachtet werden müssen, sind die Mittelkonstruktionen und Mittelverben (T10–T12). Dabei sind folgende

Funktion des Reflexivums I: Akkusativ

151

Überlegungen besonders zentral: Die Einteilung der Kategorien und die Zuweisung zu diesen beruht auf formalen Kriterien, wie der Ersetzbarkeit des REFL oder der Zuweisung der Partizipanten zu syntaktischen Rollen. Hinzu kommen noch Differenzierungen, die die semantischen Eigenschaften der Fügungen und Verben auszeichnen. Funktionale oder pragmatische Bedingungen scheinen bei den Einteilungen, die hier kurz vorgestellt worden sind, keine große Rolle zu spielen. Außerdem ist die Zuweisung einer Konstruktion zu einem bestimmten Typ nicht in jedem Fall so eindeutig, wie es die kategorische Einteilung zunächst vermuten ließe. Nicht zuletzt ist auch die terminologische Frage zentral, denn so eindeutig die Terminologie und die Zuordnung bisher auch scheinen mögen, so verbergen sich doch oft verschiedene Konzepte hinter ein und demselben Begriff. Vor allem dann, wenn man die germanistische und formale Literatur zu diesem Thema verlässt, ist eine eindeutige Konzeptualisierung unter den Begriffen Medium und Reflexivität nicht unbedingt gegeben. Daher ist es wesentlich, klare Konzepte und klare Terminologie zur Verfügung zu stellen. Im nächsten Teil steht also die Abgrenzung der referenziellen und nicht referenziellen Verwendung des REFL im Vordergrund. In diesem Zusammenhang wird auch die Medialität unter typologischen Gesichtspunkten weiter zu diskutieren sein. Dabei spielt natürlich auch der jeweilige Kasus des REFL eine wesentliche Rolle. Am Ende dieses Abschnitts sollen die wichtigsten Begriffe und die dahinter stehenden Konzepte, die für die Analyse der hier relevanten Konstruktionen grundlegend sind, bestimmt sein. Dabei finden auch die bisherigen Ausführungen zum Formeninventar und zu den Bedingungen der Formenauswahl Berücksichtigung. Schließlich lassen sich daraus auch Tendenzen hinsichtlich der Zuweisung der Formen des Bairischen ableiten. 6.2.2

Anaphorisch und inhärent reflexiv

Die Zuweisung der Verwendung des REFL als anaphorisches Element scheint auf den ersten Blick relativ unproblematisch zu sein. Nach den bisherigen Ausführungen zeichnen sich REFL in anaphorischer Verwendung vornehmlich durch die Eigenschaft aus, dass ihnen eine semantische Rolle zugewiesen werden kann. Hinsichtlich der Ersetzbarkeit durch eine mit dem Subjekt nicht koreferenzielle NP und der Betonbarkeit des REFL ergeben sich allerdings Unterschiede, denen die Einteilung von KUNZE in strikt anaphorische Fügungen und quasi-anaphorische Fügungen Rechnung trägt. Ausgehend von diesen Überlegungen müssen hier also die Verwendungen des REFL, die nach KUNZE eine semantische Rolle tragen, noch genauer betrachtet und in Verbindung unterschiedlicher Konzepte und Kategorisierungsideen schärfer umrissen und diskutiert werden. Dabei ist es wichtig, den anaphorischenGebrauch des REFL von anderen Verwendungstypen abzugrenzen.

152

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

6.2.2.1 Anaphorisches REFL Die Funktion des REFL als Marker von Koreferenzialität mit dem Subjekt ist ohne Zweifel diejenige, die als die grundlegende oder prototypische Funktion zu gelten hat (vgl. z. B. FALTZ 1977, 34 und KEMMER 1993, 44–48). Dabei gilt, wie schon in Kapitel 4 angeschnitten wurde, dass die direkte Reflexivität die fundamentale Funktion hat. Das heißt, dass distinkte REFL genau dann auftreten, wenn in eine Handlung konventionell zwei verschiedene Partizipanten, im prototypischen Fall Agens und Patiens, involviert sind und unerwarteterweise der Referent des zweiten Partizipanten identisch ist mit dem Subjekt. Nach KEMMER (1993, 73; passim) sind dies „two-participant events“, wobei die beiden Partizipanten den gleichen Referenten verbuchen, wie bei folgenden Beispielen: (87) two-participant events mit Reflexivum a.

Er verklagt seinen Professor.

Er verklagt sich (selbst).

b.

Ich sehe meine Freundin.

Ich sehe mich (selbst).

Wir sehen also, dass die Konzeption nach eigen- und außengerichteten Handlungen auch bei der Einteilung der Funktion wieder wesentlich ist. Denn bei eigengerichteten Handlungen mit REFL scheiden sich – wie auch im letzten Kapitel schon erkenntlich wurde – die Geister hinsichtlich der Kategorisierung der Funktion des REFL. Die Einteilung und Beispiele nach KUNZE zählen die Verwendung des REFL bei Verben wie waschen, rasieren und kämmen, also bei jenen Verben, die unter eigengerichtete Handlungen der Körperpflege fallen, zu den strikt anaphorischen Fügungen, das heißt, er weist sie derselben Kategorie zu wie die Verwendung des REFL bei den Beispielen unter (87). KEMMER (1993) hingegen, in Anlehnung daran auch zum Beispiel ÁGEL (2000, 150–154) für das Deutsche, nimmt für diese Fälle eine andere Kategorie an. Danach sind Verben der Körperpflege als mediale Verben einzuordnen, so wie auch die folgenden Verbgruppen:

153

Funktion des Reflexivums I: Akkusativ

(88) mediale Verben (übersetzt und ergänzt nach KEMMER 1993, 16, 54 und ÁGEL 2000, 150): semantische Gruppen a.

Körperpflege:

sich rasieren, sich waschen, sich kämmen

b.

nicht-translationale Bewegung:

sich strecken, sich recken, sich ausruhen, sich verbeugen (b. oder c.)

c.

Veränderung der Körperhaltung: sich hinlegen, sich setzen, sich erheben, sich verbeugen (b. oder c.)

d.

natürlich reziprokes Ereignis:

sich küssen, sich umarmen

e.

translationale Bewegung:

sich beeilen, sich begeben

f.

kognitionsbezogenes Medium:

sich überlegen, sich bedenken

g.

emotionsbezogenes Medium:

sich beklagen

Diese Einteilung basiert auf den folgenden Grundlagen und Überlegungen: KEMMER nimmt ein Kontinuum an zwischen Ereignissen und Handlungen, bei denen zwei Partizipanten involviert sind, und jenen Ereignissen, an denen nur ein Partizipant teilnimmt. Auf diesem Kontinuum sind nun reflexive Fügungen wie unter (87) eher bei den zwei Partizipanten umfassenden Ereignissen, also den transitiven Ereignistypen, einzuordnen. Verben der Körperpflege, der körperbezogenen Handlungen im Allgemeinen und der kognitiven und emotionalen Beteiligung befinden sich eher am anderen Ende des Kontinuums. Die Konzeption, die hinter dieser Einteilung steht, beruht auf dem Grad der Unterscheidbarkeit der Partizipanten, der bei two-participant events am höchsten ist, bei reflexiven Handlungen ein Stück weit abnimmt und bei one-participant events klarerweise nicht vorhanden ist. Middles, also mediale Verben und Konstruktionen, nehmen dann genau den Platz zwischen oder in der Mitte von reflexiven und nur einen Partizipanten involvierenden Ereignissen ein, wie die folgende Graphik illustriert. Two-particpant Event +

Reflexive

Middle

Degree of distinguishability

One-participant Event –

Abbildung 18: Die Unterscheidbarkeit der Partizipanten bei unterschiedlichen Ereignistypen (KEMMER 1993, 73)

Für diese Klassifikation spricht der Vergleich der Verben über verschiedene Sprachen hinweg. Denn im Englischen zum Beispiel verhalten sich die Verben der Körperpflege ähnlich wie die der anderen semantischen Gruppen unter (88). So treten diese Verben im Gegensatz zum Deutschen ohne REFL auf, sind demnach also nicht als reflexiv zu interpretieren. Im Lateinischen sind hier auffallend auch

154

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

Formen mit dem Medialmarker zu finden (z. B. perluo-r ‘ich nehme ein Bad’). Es ist aber gerade hinsichtlich des Englischen und des Deutschen ein erheblicher Unterschied zwischen den Verben unter (88) a. und den anderen Gruppen auszumachen. Die Eigengerichtetheit kann kontextuell aufgehoben sein – wie bereits im letzten Kapitel deutlich wurde – und so kann auch das REFL kann als Partizipant erfragt werden (vgl. dazu u. a. auch KUNZE 1997, 100; OYA 2010, 233 für diese und auch weitere Unterscheidungskriterien). So kann auch im Englischen das REFL auftreten, wenn der Kontext es verlangt. (89) Fakultatives REFL im Englischen und Erfragbarkeit a.

He shaved.

He shaved whom?

‘Er rasierte sich.’ ‘Er rasierte wen?’ b.

He shaved himself ‘Er rasierte sich (selbst).’

The barber shaved himself. ‘Der Barbier rasierte sich (selbst).’

Im Gegensatz dazu kann bei den anderen semantischen Gruppen das REFL im Deutschen nicht erfragt werden, im Englischen ist die Verwendung des REFL in diesem Kontext ausgeschlossen. Manche Autoren gehen daher im Fall der Körperpflegeverben sogar von einem „invisible reflexive“ für das Englische aus (OYA 2010, 249; zum Teil nach MASSAM 1992). Die Beobachtung, die hier wesentlich ist und noch weiter von Bedeutung sein wird, ist die folgende: Es gibt unterschiedliche Strategien in verschiedenen Sprachen bei Verben, die konventionell eigengerichtete Handlungen denotieren. Das Lateinische bedient sich in diesen Fällen des Medialmarkers, im Englischen kann das REFL gesetzt werden, im Deutschen ist es obligatorisch. Im Deutschen und Englischen ist aber dennoch nicht von medialen Verben auszugehen, da sich sie sich formal von anderen Verbgruppen unterscheiden und vor allem im Deutschen in allen Kriterien den Verwendungen des REFL in (87) ähneln. Für die weiteren Ausführungen ist grundlegend, dass bei eigengerichteten Handlungen, die als reflexiv interpretiert werden, das REFL, also der Ausdruck des zweiten Partizipanten, der koreferent mit dem Subjekt ist und eindeutig eine semantische Rolle trägt, ausgedrückt werden muss (im Deutschen) oder kann (im Englischen). Zusammenfassend gilt: Eigengerichtete Handlungen, können tatsächlich medial ausgedrückt werden, wie es im Lateinischen der Fall ist, sie können aber auch reflexiv verstanden werden, und dabei ist sprachübergreifend gesehen, eine Optionalität hinsichtlich der Setzung des REFL erkennbar. Aber auch einzelsprachlich ist diese Optionalität bemerkbar, man denke an (sich) baden oder (sich) duschen. Der Terminus medial oder middle ist aus diesen Gründen für diese Verbgruppe im Deutschen und auch im Bairischen irreführend, zumal der Terminus hinsichtlich des Deutschen für andere Konstruktionen besetzt ist. Zunächst sind allerdings noch die weiteren Verwendungen des REFL unter (88) und die Verwendungen des REFL, die in KUNZES Typologie unter dem Typ quasi-anaphorische Fügung eingeordnet sind, zu besprechen.

Funktion des Reflexivums I: Akkusativ

155

6.2.2.2 Inhärentes REFL Zu inhärent reflexiven Verben werden bei verschiedenen Autoren sehr unterschiedliche Verben mit REFL gezählt. In KUNZES Typologie sind quasianaphorische Verwendungen klar von anderen Lexikalisierungen des REFL getrennt. Nach KUNZE (1997, 121) sind die „Charakteristika der quasianaphorischen Reflexivität in nuce“ die folgenden: Das REFL kann nicht mit einer NP ersetzt werden. Wenn die entsprechende Stelle des REFL mit einer NP besetzt ist, ist dies mit einem klaren Bedeutungsunterschied verbunden. Diese NP kann eben genau nicht reflexiviert werden. Auch wenn KUNZE die Verben der Bewegung nicht explizit nennt, so können diese auch in dieser Klasse verortet werden. Die Nichtersetzbarkeit des REFL zeigt sich auch daran, dass dieses nur als CL oder schwache Form – je nach Sprache – realisiert werden kann. Im Falle des Bairischen bedeutet dies also, dass diese Verben nur mit einem Klitikon auftreten können – natürlich nur bei den Personen, in denen ein CL vorhanden ist. Dabei sind die quasianaphorischen REFL von den medialen Lexikalisierungen zu trennen. OYA (2010, 240) nimmt für erstere ein „semantically vacuous reflexive“ an, das die Position des externen Arguments, also des logischen Objekts, einnimmt. Das bedeutet im formalen Sinne, dass die zweite Argumentstelle durch ein semantisch leeres REFL besetzt ist, die erste Argumentstelle durch das Subjekt. Diese Zuweisung stellt OYA den Verben gegenüber, bei denen das REFL eine sozusagen invertierte Zuweisung der Argumente an die Positionen Subjekt und direktes Objekt bewirkt; das logische Objekt tritt also an die Subjektstelle (zu den syntaktischen Tests, warum bei diesen Verben von dieser Struktur ausgegangen werden muss, siehe OYA 2010). Man vergleiche die folgenden Beispiele: (90) Ich beeile mich. (91) Der Ast biegt sich. Die semantische Leere des REFL bei Verben wie in Beispiel (90) darf bezweifelt werden. Hier kommt nochmals der Ansatz von KEMMER ins Spiel: Denn dabei sind wieder die Semantik und die Unterscheidbarkeit der Partizipanten das grundlegende Gerüst für die Analyse. So stehen reflexive Konstruktionen, die eher als zwei Partizipanten umfassend zu kategorisieren sind, den körperbezogenen Handlungen gegenüber, die keine oder nur eine geringe Unterscheidbarkeit der Partizipanten aufwiesen. Auch wenn oben gegen die Einordnung der Körperpflegeverben unter die gleiche Kategorie wie die anderen körperbezogenen Handlungen argumentiert wurde, so ist doch der Grad der Unterscheidbarkeit der Beteiligten in diesem Zusammenhang ein wesentlicher, der wohl die Funktion des REFL über die syntaktische Zuweisung hinaus erklären kann. Die folgende Graphik zeigt, wie sich die Konzeptualisierung von reflexiven Handlungen in KEMMERS Sinne und die körperbezogenen Handlungen als middles von einander unterscheiden. Auch wenn der Terminus middle in einem germanistischen Kontext wiederum schwierig erscheint, so wird doch die Annahme, dass diese Körperbezogenheit wie in der

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Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

Abbildung links als Handlung zu fassen ist, bei der Ausgangs- und der Endpunkt in einem Teilnehmer vereint ist und diese beiden Punkte auch nicht voneinander zu unterscheiden sind, als valide erachtet. So stehen diese Handlungen den reflexiven Handlungen gegenüber, bei denen der Ausgangspunkt und der Endpunkt als voneinander abgrenzbar interpretiert werden müssen und die Koreferenzialität der beiden Punkte (durch die gestrichelte Linie in der Abbildung dargestellt) an dieser Konzeption nichts ändert.

A

A

Abbildung 19: Direkt reflexives Ereignisschema und körperbezogene Handlung als „middle event schema“ im Vergleich (KEMMER 1993, 71)

Auch hier wird die Abgrenzung zu Antikausativen deutlich. Denn der Ausgangspunkt A ist weiterhin als das in formal-syntaktischen Worten externe oder erste Argument zu verstehen. Dabei ist die Handlung mit einer geringeren Transitivität verbunden als two-participant events und strikt anaphorische Fügungen.64 Diese Handlungen sind unter diesen Gesichtspunkten als „endoreflexive“ zu interpretieren (HASPELMATH 1987, 27). Das Konzept hinter diesem Terminus entspricht dem von KEMMER hinsichtlich der körperbezogenen Handlungen wie in Abbildung 19 rechts dargestellt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass diese Verben ganz klare semantische Gruppen bilden, in denen sprachübergreifend ähnliche Strategien zur Markierung festzustellen sind. Die Semantik der Gerichtetheit auf den eigenen Körper, Geist oder die eigenen Emotionen stellt das konstituierende semantische Merkmal dar. Diese Handlungen verlassen also auch konzeptuell nicht die eigene Sphäre. Dass in diesen Klassen schließlich auch Übertragungen des Musters der reflexiven Markierung stattfinden können ist dann nicht mehr überraschend, wie zum Beispiel bei sich niederknien. Die Auffälligkeit ergibt sich also nur aus dem Kontrast mit dem bundesdeutschen Standard und kann typologisch und auch systemintern gesehen, als völlig unmarkiert betrachtet werden. Die unakkusative Variante von niederknien ist demnach im Vergleich mit den anderen Verben in der Klasse der Veränderung der Körperhaltung eher inkonsistent als sich niederknien. Demnach muss hier auch nicht die wenig aussagekräftige Sprachkontakthypothese bemüht werden. Die Verwendung des REFL mit dialektspezifischen Verben, die diesen semantischen Gruppen zugeteilt werden können, ist daher auch nicht mehr auffällig. Die 64

Diese Annahme setzt natürlich eine graduelle Beschaffenheit von Transitivität voraus und keine binäre nach transitiv und intransitiv (vgl. dazu KEMMER 1993, 218 und vor allem HOPPER / TRAUGOTT 1980).

Funktion des Reflexivums I: Akkusativ

157

folgenden Verben können also klar als quasi anaphorisch oder absolut eigengerichtet eingeordnet und auch zumeist den obigen semantischen Klassen zugeteilt werden. Die Parallelen zum Standard zeigen auch die Übersetzungen. (92) Bairisch: sich taugen ‘sich freuen’, sich schicken ‘sich beeilen’, sich zusammenreißen ‘sich zügeln’ (übertragen), sich riegeln ‘sich recken’, sich schleunen ‘sich beeilen’, sich schleichen ‘weggehen’, sich auswissen parallel zu ‘sich auskennen’, sich scheren ‘sich kümmern’ (93) Österreichisches Deutsch (und Bairisch): sich irren, sich niederknien Doch so eindeutig wie sich die Klasse der quasi-anaphorischen Verwendung des zunächst darstellen mag, so sind auch Grenzfälle zwischen quasianaphorischen Verwendungen und der medialen Klasse zu finden. REFL

(94) Grenzfall zwischen quasi-anaphorisch und medial: sich ändern (nach KUNZE 1997, 125) a.

Karl will sich ändern.

b.

Das Wetter ändert sich.

c.

Karl ist immer noch der alte, er hat sich nicht geändert.

Bei Beispiel c. ist es nun nicht ganz klar, ob es sich dabei um ein inhärent reflexives Verb handelt, bei dem das interne (oder zweite) Argument, also das logische Objekt, der Subjektposition zugewiesen wird und die Stelle des direkten Objekts mit einem semantisch leeren REFL besetzt ist. Diese Verben markieren aber wohl den Übergang zum nächsten Typ, der hier besprochen werden soll, nämlich die Antikausativa oder Mittelverben. Zuvor sei noch bemerkt, dass der reflexive Dativ nur den bis hierher besprochenen Klassen zuzuweisen ist, nämlich den anaphorischen und den quasianaphorischen oder koreferenziellen REFL (vgl. z. B. KUNZE 1997, 129; STEINBACH 2002, 246; WEGENER 1985, 100). Die Besprechung des reflexiven Dativs muss in Hinblick auf die Verwendungen des REFL im Österreichischen und Bairischen natürlich noch genauer erfolgen. Zunächst soll diese Einordnung, die hier der Vollständigkeit halber anzuführen ist, genügen. 6.2.3

Mittelverben

Wie schon bemerkt, werden unter Mittelverben oft die folgenden Verben zusammengefasst: Verben, die synchron aus ihren transitiven Gegenparten abgeleitet werden, und jene, denen diese transitive Entsprechung fehlt (vgl. z. B. ABRAHAM 1995). Bei KUNZE entsprechen diese den Typen 10 und 11. Die strukturelle Gemeinsamkeit ist die, dass das externe Argument nicht mehr vorhanden ist und dem

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Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

internen Argument die Subjektsposition zugeteilt wird. Das REFL ist in beiden Fällen als semantisch leer zu bezeichnen. So ergibt sich für beide Typen die folgende Struktur, wenn x das externe Argument und y das interne Argument ist: , also die Löschung des externen Arguments. Das REFL fungiert dabei also als Detransitivierer (vgl. ABRAHAM 2005, 543). Besteht eine Ableitbarkeit von transitiven Verben zu dieser Struktur, so ist dieser Vorgang semantisch als Dekausativierung zu begreifen, die abgeleiteten Verben sind als Antikausativa zu klassifizieren. Dabei ist es sprachübergreifend und auch im Deutschen auffällig, dass die Markierung des Antikausativs mit dem REFL nicht bei allen Verben zu finden ist. Für das Deutsche können zum Beispiel die folgenden Verben gegenübergestellt werden (vgl. dazu auch STEINBACH 2002, 42–45) (95) Antikausativa mit und ohne REFL a.

Johann schließt das Fenster.

Das Fenster schließt *(sich).

b.

Barbara taut den Kuchen auf.

Der Kuchen taut (*sich) auf.

(96) Optionale Markierung der Antikausativa a.

Die Welle bricht (sich).

b.

Der Wind dreht (sich).

Bei Mittelverben, die synchron nicht mehr aus einer transitiven Handlung ableitbar sind, wird historisch eine Ableitbarkeit angenommen. Sie stehen nicht mehr in der Kausativ-Antikausativ-Alternation, sind aber daraus herleitbar. Das klassische Beispiel für eine solche historische Ableitung eines Mittelverbs ist sich schämen, das auf das ahd. transitive Verb skâmen zurückgeführt werden kann (vgl. z. B. HAIDER 1985; KUNZE 1997, 152). Dabei ist oft eine Art Zwischenstufe der folgenden Struktur festzustellen (implizit ist dies auch HAIDER 1985, 247–248 zu entnehmen): Die Subjektsposition wird mit einem expletiven es gefüllt, der Agens wird damit ausgeblendet, so wird die Perspektive auf den Patiens der Handlung oder das interne Argument gelenkt. Für schämen ist diese Struktur es schämt ihn auch zu finden (vgl. HAIDER 1985). Die Medialisierung dieser Struktur ist demnach auf eine Auflösung der thetischen Struktur mit Beibehaltung der Agenslosigkeit zurückzuführen. Im Bairischen sind zum Beispiel die transitiven Strukturen bei folgendem Beispiel noch zu erkennen, eine Ableitbarkeit aus einem transitiven Satz mit Agens ist aber nicht mehr gegeben.

Funktion des Reflexivums I: Akkusativ

159

(97) Mittelverb und Ableitbarkeit aus thetischer Struktur a.

ea hot=si mitn Auto darennt

b.

es hot=n mitn Auto darennt

Auch synchron ist hier noch eine Parallele zu erkennen, wie die folgenden Beispiele demonstrieren:65 (98) Deutsch a.

Der Ast biegt sich.

Es biegt den Ast.

b.

Der Wagen hat sich gedreht.

Den Wagen hat es gedreht.

c.

Der Stein rollt.

*Es (expl.) rollt den Stein.

d.

Der Krug zerbricht.

*Es (expl.) zerbricht den Krug.

Nun ist nach diesen Ausführungen in Hinblick auf die Struktur nicht mehr als unmotiviert aufzufassen: (99) Der Aufwand lohnt sich nicht.

Es lohnt den Aufwand nicht.

Nicht mehr transparent, aber der gleichen Struktur folgend, können nun auch (sich) zu Buche schlagen und das wohl sehr idiosynkratische (sich) auf den Magen schlagen angesehen werden. Hier könnte auch tatsächlich eine andere Perspektivierung angenommen werden: Beim Gebrauch mit REFL ist eine Ursache noch implizit, bei der Verwendung ohne REFL nicht mehr. Ebenfalls noch transparent in der Ableitung, die hier gezeigt wurde, allerdings ohne die angenommene Zwischenstufe mit expletivem es ist Da hört sich der Spaß auf. Die diachrone Herleitung ist nicht in jedem Fall möglich, die Strukturen sind aber nicht völlig intransparent. Bei sich aufhören lässt sich tatsächlich eine unerwartete Verwendung des REFL feststellen. Denn aufhören war wohl nie ein transitives Verb, sondern immer schon unakkusativ (vgl. DWB Bd. 1, Sp. 670, 72). Dass es nun antikausativ markiert ist, gibt doch einen Hinweis auf eine unterschiedliche Perspektivierung als eine weniger spontane Handlung. Allerdings beschränkt sich diese Verwendung auch auf wenige Wendungen: da hört sich doch alles auf, da hört sich der Spaß auf, aber nicht es hört sich auf zu regnen, da hört sich die Spannung auf. Dennoch wird hier die Annahme zurückgewiesen, dass dabei ein Ausbau der Mittelverben zu beobachten ist (wie implizit bei ZIEGLER 2010). Denn hinsichtlich der Markierung von Mittelverben mit dem REFL ist weder eine Systematik noch eine Produktivität zu erkennen. Es handelt sich um einzelne Ableitungsmus65

Angemerkt sei, dass nicht alle Antikausative mit REFL dieses Muster aufweisen, aber die unakkusativen Verben nie. Man teste: rollen, trocknen, zerbrechen, zerknittern, einfrieren, auftauen.

160

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

ter, die historisch nachgezeichnet werden müssen, dann allerdings nicht mehr als ungewöhnlich oder auffällig einzustufen sind. Ein systematischer Ausbau ist allerdings nicht zu diagnostizieren. Hinsichtlich der Verben mit und ohne REFL, die synchron ableitbar sind, lässt sich keine Tendenz feststellen, dass das österreichische Deutsch oder das Bairische eine Präferenz für die Verben mit REFL aufweisen. 6.2.4

Zwischenfazit

Bis hierher ist noch keine systematische Ausdehnung eines Musters zu erkennen. Die einzelnen Verben lassen sich erstens leicht bestimmten semantischen und auch strukturell homogenen Klassen zuweisen und sind zweitens oft auf wenige Verben beschränkt, die auch synchron keine Ableitung mehr zulassen. Der Unterschied der letzteren Gruppe von Verben im Bairischen und österreichischen Deutsch im Vergleich zum bundesdeutschen Standard ist also nicht auf eine systematische Ausbreitung einer Strategie zurückzuführen und liegt in vielen Fällen in einer unterschiedlichen diachronen Ableitung. Die Annahme eines Ausbaus im Bereich der Diathesen ist für die bisher besprochenen Verben nicht haltbar. Im nächsten Abschnitt wird allerdings gezeigt, dass sich sehr wohl in einem Bereich ein systematischer Unterschied zwischen dem bundesdeutschen Standard, dem österreichischen Standard und den österreichischen Varietäten des Bairischen ausmachen lässt, und zwar hinsichtlich des reflexiven Dativs. 6.3

FUNKTION DES REFLEXIVUMS II: DATIV 6.3.1

Ausgangspunkt

Bisher ist der reflexive Dativ oder genauer das REFL im DAT hauptsächlich wegen seiner Form diskutiert worden. Die funktionalen Eigenschaften spielten dabei schon eine wichtige Rolle. Wie die Darstellung über die Funktion des REFL oben bereits deutlich gemacht hat, ist der reflexive Dativ den anaphorischen und quasianaphorischen Verwendungen des REFL zuzuordnen. Das bedeutet, dass dem reflexiven DAT beziehungsweise dem REFL im DAT (im Deutschen) immer eine semantische Rolle zuzuschreiben ist (vgl. KUNZE 1997; STEINBACH 1999; STEINBACH 2002; WEGENER 1985). Die zwei Typen anaphorisches REFL und quasi-anaphorisches REFL von KUNZE werden hier zunächst für den DAT in die Terminologie von WEGENER (1985, 100–105) übersetzt als „nur-reflexiver Dativ“ und „reflexiv gebrauchter Dativ“. Da letzterer natürlich die Rollen und Strukturen

Funktion des Reflexivums II: Dativ

161

besetzt, die auch der nicht reflexive Dativ einnimmt, ist auch ein allgemeiner Blick auf die Funktion des Dativs im Deutschen zu richten.66 6.3.2

Reflexive Dative allgemein 6.3.2.1 Im Deutschen

Der Unterschiede zwischen nur-reflexivem Dativ und reflexiv verwendetem Dativ sind nach WEGENER (1985, 100–103) die folgenden: Der nur-reflexive Dativ kann nicht durch eine mit dem Subjekt nicht referenzidentische NP ersetzt werden und tritt ausschließlich mit einer NP im AKK auf. Das bedeutet auch, dass er distributionell ganz klar als DAT zu erkennen ist und nicht mit dem AKK verwechselt werden kann, auch wenn in der 3. Person kein formaler Unterschied zwischen den Kasus feststellbar ist (vgl. STEINBACH 2002, 246; WEGENER 1985, 100). Einige Beispiele für den nur-reflexiven DAT im Deutschen sind: (100) Der nur-reflexive Dativ im Deutschen a.

Ich schaue mir den Film an.

b.

Er hört sich die Platte an.

c.

Du lachst dir einen Ast. (nach WEGENER 1985, 100)

Der nur-reflexive DAT ist wie der inhärent reflexive AKK nicht topikalisierbar oder modifizierbar, kann also nach den formalen Kriterien, die in den letzten Kapiteln besprochen worden sind, nicht als Vollform realisiert werden. Etwas formaler, aber im gleichen Tenor bestimmt auch STEINBACH (2002, 246–247) den Unterschied zwischen inhärent reflexiven Verben mit REFL im AKK und nur-reflexivem DAT. Dabei wird allerdings eine weitere Unterscheidung eingeführt. So ist dem nur-reflexiven Dativ klar eine Theta-Rolle, also eine semantische Rolle, zuzuweisen, wenn dieser obligatorisch ist, wie in den Beispielen unter (101). Die notwendige Koreferenzialität beziehungsweise Koindizierung lässt sich nach STEINBACH auf semantische Gründe zurückführen, was aus den Beispielen auch klar hervorgeht, denn ein nicht dem Subjekt entsprechender Referent ist aufgrund der Semantik der Verben einfach nicht zulässig. Das heißt, nach der vorgestellten Konzeption der Eigengerichtetheit oder Eigenbeteiligung ist diese in den Fällen absolut.

66

Es sei angemerkt, dass hier die Dative, die als einziges Argument eines Verbs zu Verfügung stehen, wie bei helfen oder huldigen, nicht behandelt werden. Auch der Unterschied zwischen freien Dativen und Dativen als Argument wird hier nicht diskutiert, denn diese Unterscheidung ist für die folgende Darstellung nicht unbedingt relevant.

162

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

(101) Obligatorischer reflexiver DAT a.

Er nimmt sich vor, endlich mit dem Rauchen aufzuhören.

b.

Sie hat sich das ganz alleine angeeignet.

c.

Ich leiste mir einen neuen Laptop.

Ist der reflexive Dativ weglassbar, so ist eine semantische Differenz zwischen den Verwendungen mit reflexivem und ohne reflexiven DAT festzustellen, die mit Absichtlichkeit und Vollständigkeit des Erhalts des Objekts korreliert (STEINBACH 2002, 246–247; so auch OGAWA 2003, 50–51): (102) Bedeutungsunterschiede zwischen V und V + reflexivem DAT a.

Er sieht die Blumen an.

vs.

Er sieht sich die Blumen an.

b.

Er hört die Beatles an.

vs.

Er hört sich die Beatles an.

Interessant ist auch, dass bei Verben des Nehmens dem reflexiven DAT stets eine positive Rolle zugeschrieben wird, dieser also als Rezipient einzustufen ist, im Gegensatz zum nicht reflexiven DAT, der bei diesen Verben die Source repräsentiert (KUNZE 1997, 121; WEGENER 1985, 100). Die Rollen kehren sich also um: (103) Verben des Nehmens mit reflexivem und nicht reflexivem DAT a.

Er nimmt sich das Geld.

vs.

b.

Dieses Buch hab ich mir gestohlen. vs.

Er nimmt ihm das Geld. Dieses Buch gestohlen.

habe

ich

dir

(nach WEGENER 1985, 101) Die Verwendung des reflexiven Dativs in diesen Kontexten ist nach WEGENER (1985) als Intensivierung zu verstehen, denn bei „negativen Verben des Besitzwechsels“ wie nehmen und stehlen ist der Empfänger bereits im Subjekt benannt und durch das REFL im DAT wiederholt und intensiviert. WEGENER sieht nun auch die Verben, die unter (100) aufgeführt werden, in diesem Zusammenhang. Diese Verben bezeichnen demnach „ein Nehmen im weitesten Sinn“ (WEGENER 1985, 101) und lassen sich auf dieselbe Weise interpretieren. KUNZE zählt diese Verwendungen des REFL bei Verben des Nehmens (und auch des Gebens) aufgrund dieser Rollenumkehr zu den quasi-anaphorischen REFL. Der reflexiv verwendete Dativ unterscheidet sich nach WEGENER weder syntaktisch noch semantisch vom nicht reflexiven Dativ. Es gelten die gleichen Diagnoseverfahren wie für das anaphorische und quasi-anaphorische REFL im AKK, um den reflexiven vom nur-reflexiven DAT zu differenzieren (Erfragbarkeit, Betonbarkeit, Topikalisierbarkeit). Außer bei einigen wenigen Verben (nach WEGENER sind das: jem./*sich verhelfen zu etwas und etwas/*sich begegnen [nur

163

Funktion des Reflexivums II: Dativ

reziprok])67 kann jede DAT-NP durch ein REFL realisiert werden (WEGENER 1985, 102). In klassischer Terminologie kann der reflexiv verwendete Dativ also als dativus (in)commodi, Pertinenzdativ aber auch als dativus iudicandis verwendet werden. Das heißt, dass der reflexive Dativ alle semantischen Rollen besetzen kann, die auch dem nicht reflexiven Dativ zugewiesen werden können. Einige Beispiele für die unterschiedlichen Verwendungen des reflexiv gebrauchten Dativs im Deutschen sind (ergänzt nach WEGENER 1985, 97): (104) a. die Verkäuferin verkauft sich (selbst) ein Kleid.

Rezipient

b. Sie näht, kauft sich (selbst) ein Kleid.

Rezipient

c. Sie bügelt sich ein Kleid.

Dativus Commodi

d. Sie bricht sich den Arm.

Pertinenzdativ

e. Sie traut sich nichts zu.

psych. Vorgang

f. Sie ähnelt sich selbst (vor 10 Jahren).

Korrespondenz

g. Ich bin mir zu klein.

Dativus Iudicandis

Allerdings sind dabei große Frequenzunterschiede auszumachen. Der Pertinenzdativ oder Possessor ist demnach viel häufiger reflexiv realisiert als der Benefizient oder Rezipient (WEGENER 1985, 103). Auch ist der reflexive Ausdruck des Benefizienten oft ungewöhnlich oder sogar ungrammatisch, wie WEGENER an den folgenden Beispielen zeigt: (105) a. ich putze mir die Zähne / *ich putze mir die Wohnung / ?ich putze mir die Schuhe b. ich wasche mir die Hände / ?ich wasche mir die Strümpfe, Bluse c. ich trage dir den Koffer / *?ich trage mir den Koffer (WEGENER 1985, 103) WEGENER führt dies im Wesentlichen auf zwei Gründe zurück. Zum einen ist das statistische Übergewicht des Pertinenzdativs als reflexiver DAT ausschlaggebend: Handlungen, die am Körper vorgenommen werden, werden sehr häufig am eigenen Körper vorgenommen. Deshalb werde ein reflexiver Dativ leicht als Pertinenzdativ (miss)verstanden und daher gemieden. Zum anderen sei der Ausdruck des Benefizienten „ungewöhnlich redundant“, wenn das Subjekt und der Benefizient referenzidentisch sind (WEGENER 1985, 103). Das bedeutet in WEGENERS Ausführungen, dass zum Beispiel kaufen ohnehin reflexiv interpretiert wird, es 67

Eine kurze Überprüfung über das Internet zeigt, dass diese Verwendungen nicht unmöglich sind: Ich verhelfe mir damit zu meinem Traumgewicht. Bei begegnen ist die nicht reziproke Verwendung allerdings sehr auf spirituelle Kontexte beschränkt, also eher als metaphorisch einzustufen.

164

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

bestehen also pragmatische Gründe im Sinne der Redundanzvermeidung. Die Redundanz des REFL kann dadurch aufgehoben sein, dass der Gegenstand, wie oben die Strümpfe, gleich nach der Handlung „zur Verfügung steht“ oder auch durch oppositiven Kontext: (106) Ich hole erst mir und dann dir ein Bier. (WEGENER 1985, 103) Diese Resultativität der Handlung steht in Zusammenhang mit Affiziertheit (z. B. bei WEGENER 1991, 85; OGAWA 2002, 14) die als wesentliche Eigenschaft bei der Dativrealisierung angesehen wird. Grundsätzlich hängt der Grad der Affiziertheit davon ab, ob dem Verbalgeschehen oder der Handlung ein Resultat zugeschrieben werden kann oder nicht. Vereinfacht gesagt, bedeutet das, je resultativer eine Handlung, desto stärker die Affiziertheit und desto eher kann ein Dativ realisiert werden: (107) *Johannes beobachtet seiner Chefin die Kollegen. Johannes tritt seiner Frau die Blumen kaputt.

(nach WEGENER 1991, 85)

Zusätzlich zur Affiziertheit führt OGAWA (2002, 14–15) noch den Begriff der Relation ein. So kann ein Dativ auch bei niedriger Affiziertheit auftreten, wenn die Relation zwischen Basisprädikat und dessen Argumenten in enger Relation zum Dativ steht. (108) Der Hut brannte mir. implizit: Der Hut auf meinem Kopf (OGAWA 2002, 17) Nun sieht Ogawa hinsichtlich des reflexiven Dativs eine Verschiebung der Relationsbedingungen: So muss für die Akzeptabilität eines reflexiven Dativs diese Relation wie oben beschrieben noch enger sein als bei den nicht reflexiven Dativen. (109) Ich wasche (ihm) das Auto. Ich wasche (*mir) das Auto. (OGAWA 2002, 49) WEGENER stellt des Weiteren fest, dass die Übergänge zwischen nur-reflexivem Dativ und reflexiv gebrauchtem Dativ vor allem beim Pertinenzdativ fließend sind. Das äußert sich vor allem beim Kriterium der Betonbarkeit. So ist danach der Benefizient oder dativus commodi ohne Einschränkungen betonbar und topikalisierbar, der Pertinenzdativ allerdings nicht (WEGENER 1985, 104):68 68

Betonung mit Versalien: US; im Original (WEGENER 1985, 104) ist die Betonung durch Akzent notiert: mír.

Funktion des Reflexivums II: Dativ

165

(110) a. Das Bier hab ich eigentlich MIR bestellt. DIR kaufst du gar nichts? b. ?Die Zähne hab ich MIR geputzt. *?DIR wäschst du gar nichts? ?Er wusch nur SICH die Hände, dem Kind aber nicht. Bisher wurde rein deskriptiv dargestellt, wie der reflexive Dativ in der Literatur beschrieben wird und welchen Beschränkungen er unterliegt. Diese sollen noch einmal kurz zusammengefasst werden: Im Standarddeutschen ist der reflexive Dativ grundsätzlich unter zwei Klassen zu fassen, nämlich als nur-reflexiver und als reflexiv verwendeter Dativ. Der reflexive Ausdruck des Benefizienten ist kontextuell möglich, nach den Einschätzungen von WEGENER und OGAWA aber ohne diese kontextuellen Voraussetzungen der Kontrastierung oder einer „verstärkte[n] Verfügbarkeit“ (OGAWA 2002, 48) des Gegenstandes, den die AKK-NP kodiert, nur schwer möglich, weil er als redundant erachtet wird. Die nun für die weiteren Ausführungen wichtigsten Rollen sind der Rezipient und der Benefizient, obwohl diese beiden Rollen gerade in der reflexiven Verwendung nicht leicht unterscheidbar sind. Wenn die Unterscheidung nicht unmittelbar wichtig ist, wird im Folgenden von Benefizient-Rezipient (vgl. KITTILÄ / ZÚÑIGA 2010, 19) die Rede sein. In diesem Zusammenhang ist auch noch einmal anzuführen, warum die Relativität die Voraussetzung für die Setzung eines Benefizienten oder Rezipienten ist: Beneficiaries are often affected by the result of an event (this is particularly evident in the case of beneficiaries that are also recipients), while patiens are integral parts oft he event that results in the affectedness oft he beneficiary. (KITTILÄ / ZÚÑIGA 2010, 4)

Diese Beobachtung ist nun gleich noch zu konkretisieren, dabei ist wieder der Ansatz von KEMMER (1993) wichtig. 6.3.2.2 Im Sprachvergleich Bei KEMMERS (1993) Einteilung wird für indirekte Situationstypen, also Situationen, in denen der DAT oder das indirekte Objekt reflexiv markiert wird, analog zu den transitive reflexives und transitive middles zwischen indirekt reflexiven und indirekten middles unterschieden. Das folgende Schema wird für die beiden Typen angenommen:

166

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

A

B

A

B

Abbildung 20: Indirekt reflexiver Situationstyp und „indirect middle event schema“ im Vergleich (KEMMER 1993, 77 und 81)

Der Unterschied zu den direkten Situationstypen ist dabei der, dass die Handlung transitiv gerichtet bleibt, der Anfangspunkt und der Endpunkt aber bei den reflexiven Typen konzeptionell differenzierbar sind, während bei den middleSituationen die beiden Punkte wieder zusammenfallen. Allerdings ist immer ein zweiter Partizipant, nämlich der Patiens vorhanden. Wieder ist die Unterscheidbarkeit der Partizipanten wesentlich. Diese Abbildungen visualisieren auch den Zusammenhang zwischen einer transitiven Handlung, dem Resultat und dem Benefizienten oder Rezipienten. Als Beispiel für Verben, die dem indirekt reflexiven Situationstyp zugerechnet werden, nennt KEMMER (1993, 75) vor allem kaufen, bauen. Auch die reflexiven Pertinenzdative werden als den indirekt reflexiven Typen nahe eingeordnet. Dem indirekten middle sind nach KEMMER (1993, 78) Verben wie aussuchen und aneignen zuzuordnen Wieder ist die Form das ausschlaggebende Kriterium für die Zuordnung in diese Klassen. Sprachen, die nach KEMMER für Situationstypen ohne Partizipantendifferenzierung eine andere Form als für reflexive Situationen oder eine schwache Form des REFL aufweisen, werden den middles zugeordnet. Im Gegensatz zum direkten Situationstyp nach KEMMER, der für das Deutsche und auch für das Bairische ganz gut anwendbar war, ergeben sich hier Probleme bei der genauen Zuordnung. Nach den Ausführungen von WEGENER oben kann ja der Benefizient bei vielen Verben nicht reflexiv ausgedrückt werden, weil dies redundant wäre. Das heißt in weiterer Folge, dass die Konzeption bei diesen Verben die eines Typs ist, wie ihn Abbildung 20 rechts darstellt. Daraus ließe sich also ableiten, dass zum Beispiel kaufen und bauen im Deutschen indirekt eigengerichtet sind und dies nicht ausgedrückt wird. Allerdings entsprechen die quasianaphorischen reflexiven Dative oder nur-reflexiven Dative auch der Einteilung in middles, man denke an die Verben sich aneignen, (sich) aussuchen, die KEMMER auch als die Stellvertreter des middle-Typs versteht. Also gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ist das Kriterium der Redundanz von WEGENER nicht zutreffend oder diese Einteilung ist für das Deutsche nicht ganz so einfach. Die strikte Zuordnung zu einem der Typen ist also problematisch. Dennoch ist die Idee hier auch wesentlich, dass nämlich zwischen Handlungen und Situationen unterschieden werden muss, die konzeptionell drei Partizipanten aufweisen, und jenen, bei denen die Handlung eigenbezogen ist, also rückläufig zum Ausgangspunkt.

Funktion des Reflexivums II: Dativ

167

Bei GENIUŠIENĖ (1987, 290) findet sich für den reflexiven Dativ die Bezeichnung dative transitive reflexives. Dieser Terminus ist wohl auch besser geeignet für die Dative, die hier beschrieben werden sollen, denn auch hier werden nur Dative behandelt, die, wie in der Darstellung nach KEMMER oben, in eine transitive Situation eingebettet sind. Die Auswertung des enormen Datenmaterials dieser Studie zeigt, dass sich die indoeuropäischen Sprachen69 hinsichtlich der Setzung eines Reflexivpronomens im Dativ und in verschiedenen Dativtypen stark von einander unterscheiden, und zwar darin, wie obligatorisch oder unmöglich das Setzen eines REFL DAT ist. Die drei semantischen Rollen, die GENIUŠIENĖ (1987, 40–41) für die „dative transitive reflexives“ annimmt, sind der Rezipient, Benefizient und Possessor oder „Total Patient“. Als Rezipienten bestimmt sie dabei die Rolle des zweiten menschlichen Referenten als Objekt im Dativ, wie bei Ich ziehe dem Kind die Schuhe an. Die Autorin ordnet hier nur Verben des Anziehens ein. Kaufen oder bauen werden dem Benefizienten zugerechnet. Der Benefizient wird charakterisiert als die Rolle des Partizipanten, für die der Patiens vorgesehen ist, wie bei Ich habe dir ein Kleid genäht. Und schließlich wird der Possessor oder „Total Patient“ als diejenige Rolle beschrieben, die einem Partizipanten zugewiesen ist, der über einen Körperteil indirekt beteiligt ist: Kristina kämmt ihrem Freund die Haare. Die beiden letzten Rollen entsprechen also auch den traditionellen Termini dativus commodi und Pertinenzdativ. Die Benefizientenrolle ist dabei sehr weit gesteckt, so werden hier auch Dative bei Verben wie kaufen und bauen eingeordnet. Also ist die Definition wie oben als Benefizient-Rezipient zu fassen. Nun nimmt GENIUŠIENĖ hinsichtlich der Möglichkeit der Setzung eines benefaktiven REFL Folgendes an: Languages possessing benefactive TRVs [transitive reflexive verbs, Anmerkung US] can be seen as forming a continuum relative to the degree of obligatoriness and regularity of expressing the reflexive-benefactive sense. (GENIUŠIENĖ 1987, 293)

Am einen Ende des Kontinuums sind demnach Sprachen zu verorten, bei denen der Ausdruck des Benefaktivs als REFL „practically obligatory“ ist, wie beim Litauischen. Im Sinne von WEGENERS (1985, 103) Beurteilung gibt es also Sprachen, bei denen der Ausdruck des Benefizienten bei Koreferenz als nicht oder weniger „redundant“ angesehen wird. Am anderen Pol des Kontinuums stehen Sprachen, die diese Möglichkeit gar nicht oder nur in besonderen Kontexten haben, wie zum Beispiel das Russische oder auch das Englische. In diesen Sprachen ist die Setzung des reflexiven Benefizienten tatsächlich markiert und nur in oppositivem Kontext zulässig.

69

Die Autorin vergleicht auch noch weitere Sprachfamilien, hier erfolgt jedoch eine Beschränkung auf das Indogermanische.

168

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

6.3.3

Im Bairischen und Österreichischen 6.3.3.1 Fallbeispiele

Wie wir bei der kurzen Beschreibung des reflexiven Dativs im Deutschen gesehen haben, unterscheiden sich der nur reflexive Dativ und der reflexiv verwendete Dativ darin, dass der reflexiv verwendete Dativ ohne Probleme topikalisierbar, betonbar und modifizierbar ist. Im Bairischen müsste also bei einem Verb wie kaufen die Vollform ohne Probleme möglich sein. Aber die Möglichkeit der Setzung einer Vollform – in diesem Testsatz MIA – ist nur eingeschränkt möglich und verhält sich ähnlich wie bei dem nur-reflexiven Dativ bei denken, wie folgende Abbildung zeigt. Bei kaufen ist die Setzung der Vollform nicht ganz unmöglich, so wie bei denken, aber auch nicht sehr präferiert. Auffällig ist auch noch, dass bei dem Beispiel mit zwei belebten Referenten sogar ein doppelter Dativ von zwölf Prozent der Sprecher mit 1 oder 2 bewertet worden ist. Grammatikalität der Vollform in % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

denken

kaufen

BU1

0,00

23,33

BU2

2,22

7,78

BU3

7,78

10,00

BU4

90,00

58,89

Abbildung 21: Setzen einer Vollform bei ‘denken’ und ‘kaufen’

Eine weitere interessante Beobachtung in diesem Zusammenhang schließt an das letzte Kapitel an. Dort haben wir gesehen, dass bei der Bestimmung der Form des REFL in Kontrastfokus bei kaufen eine bemerkenswerte Doppelmarkierung zu beobachten ist. Immerhin acht Prozent der Sprecher haben hier die folgende Konstruktion angegeben:70

70

Dabei ist auch noch wichtig zu sagen, dass diese Variante nicht als mögliche Antwort im Fragebogen angeben war, sondern von den Sprechern selbst formuliert wurde. Das heißt, dies ist auch ein Indikator dafür, dass dies nicht als reiner Zufall zu begreifen ist.

Funktion des Reflexivums II: Dativ

169

(111) Doppelte Markierung des Benefaktivs bei sich kaufen si hot 3SG.NOM.F AUX

=si REFL

für si söba für REFL_SELF

die Bluman khaft DET Blume:PL kaufen:PPERF

‘Sie hat sich (für sich selbst) die Blumen gekauft.’ Das bedeutet also, dass der Kontrastfokus durch eine zusätzliche PP erreicht und nicht direkt am REFL ausgedrückt wird, obwohl es dazu ja formal die Möglichkeit gibt, wie das letzte Kapitel gezeigt hat.71 Hier ist auch die Diskussion von ZIEGLER (2010) hinsichtlich der Auffälligkeit des folgenden Satzes im Österreichischen einzuordnen: (112) Der Vogel baut sich im Frühling für seine Jungen ein Nest. (ZIEGLER 2010, 74) Demnach ist es möglich, im Bairischen und offensichtlich auch im österreichischen Deutsch, die Rollen, die kaufen oder bauen für den Dativ vorsehen, nämlich den Benefizienten oder Rezipienten, aufzuteilen. Im Deutschen sieht WEGENER (1985, 104) dafür auch eine grundsätzliche Möglichkeit, aber nur bei stark restringiertem Kontext. In oppositivem Kontext sind danach auch die folgenden Äußerungen möglich: (113) Er hat mir für mich das Buch gegeben und für dich die Platte. Es wird hier dafür argumentiert, dass dies im Bairischen in Österreich nicht kontextabhängig ist. Getestet wurde je ein Satz mit zwei belebten Referenten und mit einem belebten und unbelebten. Interessant ist nun die folgende Auswertung. Demnach ist die Verwendung des REFL im DAT mit PP unabhängig von der Belebtheit des zweiten Partizipanten. Das ist deshalb bemerkenswert, da ein unbelebter Partizipant als goal oder auch im Sinne einer Lokalangabe verstanden werden kann und daher eher akzeptabel für einen Sprecher des Standarddeutschen ist; bei einem belebten ist das schon schwieriger.

71

Man bedenke dazu auch, dass die Verwendung von si in Verbindung mit SELF in diesem Kontext nicht uneingeschränkt als Vollform bzw. phonologisches Wort analysiert werden kann.

170

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

E.2.

E.1. 80 70 60 50 40 30 20 10 0

80 70 60 50 40 30 20 10 0

REFL_DAT + DAT

REFL_DAT + PP

BU1

1,10

58,95

23,16

BU2

3,30

30,53

17,58

4,21

78,02

6,32

REFL_DAT + DAT

REFL_DAT + PP

BU1

6,59

53,68

BU2

5,49

BU3

17,58

8,42

BU3

BU4

70,33

14,74

BU4

Abbildung 22: Doppelte Markierung REFL_DAT + PP

EKBERG (2012, 28) zufolge ist bei kaufen auch im Deutschen immer konzeptionell ein „interimistischer Rezipient“ vorhanden und erst „wenn das gekaufte Objekt im Besitz des Agens ist, kann es von diesem an eine andere Person weitergegeben werden“. Des Weiteren sieht sie diese Konzeption auch im Einklang mit der Einteilung von KEMMER und ordnet kaufen somit den indirekten middles zu. Für das Bairische bedeutet das nun, dass ‘sich kaufen’ in der Grauzone zwischen den beiden von KEMMER angenommenen Kategorien befindet. Es ist nicht als quasi-anaphorisch in KUNZES Terminologie einzuordnen. Doch ist die Obligatorik des REFL bei Eigenbezug auf jeden Fall anzunehmen und nicht redundant, wie es WEGENER für das Standarddeutsche beschreibt. Allerdings ist dies nicht beliebig möglich. Die Bedingung, die WEGENER nennt, nämlich, dass es ein unmittelbares Resultat geben muss, um den Benefizienten zu setzen, gilt auch hier. Dabei ist aber wichtig, dass der zweite Benefizient vom ersten semantisch abhängig (gebunden) ist: (114) i kauf=ma füa mei Kind a Leiberl ?? i kauf=ma füa in Koarl sei Kind a Leiberl Bei erwarten mit REFL, das ZIEGLER (2010) so prominent bespricht, handelt es sich im Sinne von WEGENER um einen nur-reflexiven Dativ. Die Verwendung des reflexiven Dativs ist nämlich nur möglich, wenn eine Bedeutungsänderung des Verbs einhergeht. Das reflexive sich erwarten drückt nämlich im Gegensatz zum nicht reflexiven erwarten in übertragener Weise eine mental resultative Handlung aus und steht demnach in Opposition zu erwarten im Sinne von ‘warten auf’. Das bedeutet, dass zwischen der mentalen und der körperlichen Situation des Wartens unterschieden wird; während erwarten ohne REFL durativ ist, ist durch den Aus-

Funktion des Reflexivums II: Dativ

171

druck des Benefizienten-Rezipienten eine resultative Lesart die einzig mögliche. In diesem Sinne ist es parallel zu sehen zu erhoffen/sich erhoffen. Mit diesem Bedeutungsunterschied ist sich erwarten in die „indirect middle“-Situation nach KEMMER (1993) einzuordnen. Die Setzung des reflexiven BenefizentenRezipienten ist im Österreichischen Deutsch und im Bairischen obligatorisch. (115) a. Ich erwarte mir, dass du morgen kommst. b. Ich erwarte dich morgen um 10 Uhr in meinem Büro. Als dialektal verankert können sich auf etwas stehen und sich sehen betrachtet werden, wobei aber beide Verwendungen wieder den oben beschriebenen Beschränkungen unterliegen und somit auch einen Benefizienten-Rezipienten ausdrücken. Bemerkenswert ist dabei auch, dass bei der Verwendung des reflexiven DAT mit stehen auf die Strukturbedingung einer AKK-NP durch ein nichtreferenzielles es ausgefüllt wird. (116) i steh=ma=s ned so auf Schweinsbrotn. ‘Ich mag Schweinebraten nicht so gerne.’ Nach den Bedingungen, die hier dargestellt wurden, sind nun auch die folgenden Verben und ihre reflexive Verwendung einzuordnen: (117) sich etwas behalten, sich etwas besprechen, sich etwas/jemanden finden, sich (mit) etwas aufhören, sich etwas verdienen, sich etwas sparen, sich etwas anfangen mit jemandem, sich jemanden abschleppen, sich jemanden aufreißen, sich etwas mieten, sich etwas/jemanden suchen, sich holen, sich besorgen, sich eine anrauchen (118) sich erwarten, sich machen, sich notieren, sich abhören (ZIEGLER 2010) Kommen wir nun zurück zum Kontinuum, das GENIUŠIENĖ für die Setzung des REFL DAT als Benefizienten annimmt. Nach dem bisher Gesagten kann man das Bairische und das Österreichische dort nun zwischen den Sprachen, die das REFL obligatorisch setzen, und den Sprachen, die das REFL setzen können, einordnen. Um also Sprachen als Anhaltspunkte zu nehmen: Wir können die österreichischen Varietäten zwischen dem Deutschen und dem Tschechischen einordnen, wobei das Bairische noch mehr Möglichkeiten hat, das REFL als Benefiezient-Rezipient zu setzen.

172

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

6.3.3.2 Bemerkungen zum Sprachkontakt Nun soll noch der Frage nachgegangen werden, ob die Verwendung des REFL DAT oder Benefaktiv-Rezipienten wirklich auf Sprachkontakt zurückgeführt werden kann. In Kapitel 4 wurde bereits darauf hingewiesen, dass dies aus historischer Sicht ein durchaus mögliches Szenario darstellt. Bevor dies aber konstatiert werden darf, muss zunächst das Tschechische in dieser Hinsicht näher unter die Lupe genommen werden. Nach GENIUŠIENĖS Typologie ist das Tschechische auf jeden Fall den Sprachen zuzuorden, die den Benefaktiv nahezu obligatorisch reflexiv ausdrücken, wenn kein anderer Benefizient vorhanden ist. Gerade im Kontrast mit dem Russischen ist diese Verwendung besonders auffällig. Nach JANDA (2003) und JANDA / TOWNSEND (2002, 74) sind für das Tschechische verschiedene Verwendungsmöglichkeiten des reflexiven Dativs anzunehmen: als Benefaktiv und als Experiencer, wobei der letzte noch weiter spezifiziert werden kann. Denn der reflexive DAT „indicates the ‘pleasure factor’ of certain activities“ oder drückt auch eine Art Erleichterung aus (JANDA 2003, 5). Für den Benefaktiv, der nach den Beispielen, die JANDA gibt, wieder als Benfizient-Rezipient einzuordnen ist, sind folgende Beispiele anzuführen: (119) dobýt si ‘sich besorgen/holen/beschaffen’, dovolit si ‘sich erlauben’ koupit si ‘sich kaufen’, obstarat si ‘sich besorgen’, opatřit si ‘sich besorgen/holen/beschaffen’, pořídit si ‘sich aneignen’, vybrat si ‘sich aussuchen’, zařídit si ‘sich ordnen’. (nach JANDA 2003, 2–3) (120) chtít si ‘sich etwas wollen/wünschen/erwarten’, naklonit si ‘sich jemanden herumkriegen’, osvojit si ‘sich aneignen’, podmanit si ‘sich erobern’, vyžádat si ‘sich etwas verlangen’, zasloužit si ‘sich verdienen’, zažádat si ‘sich fordern’ (nach JANDA / TOWNSEND 2002, 73) Diese Beispiele entsprechen in etwa denen, wie wir sie auch unter (117) verzeichnet haben. Diese Verwendungen unterliegen auch den gleichen Beschränkungen, wie sie für das Österreichische und das Bairische gelten. Darüber hinaus ist im Tschechischen aber noch ein Gebrauch des reflexiven Dativs zu nennen. Nach JANDA / TOWNSEND (2002, 74) kann das Tschechische den reflexiven Dativ auch setzen, um die positive Wertung des Ereignisses oder der Handlung auszudrücken: „The fact that people often do things for their enjoyment provides further occasions to use dative si“:

173

Die pseudomediale Konstruktion

(121) házet si ‘(zum Spaß/zur Freude) werfen’, zacvičit si ‘zur Freude ein paar Übungen machen’, popovídat si ‘ein Gespräch genießen’ Dieser Gebrauch ist weder im Österreichischen noch im Bairischen verzeichnet. Das bedeutet also, dass zwar das Muster, das im Deutschen vorhanden war, durch Sprachkontakt verstärkt worden sein könnte, ein neues Muster aber nicht übertragen wurde. Nun kann folgende Schlussfolgerung gezogen werden. Im Österreichischen und im Bairischen verschiebt sich die Möglichkeit und die Obligatorik der Setzung des reflexiven Benefizienten-Rezipienten auf einem Kontinuum, das zwischen Sprachen angenommen werden kann, die diese Möglichkeit gar nicht aufweisen, und jenen, die den Eigenbezug immer reflexiv ausdrücken, so wie es eben das Tschechische macht. Demnach kann der Sprachkontakt mit dem Tschechischen tatsächlich eine Rolle gespielt haben. Allerdings wurden hier keine neuen Strukturen übernommen, die im Deutschen gar nicht angelegt sind, so wie die Verwendung des reflexiven Dativs zum Ausdruck des Vergnügens im Tschechischen. Der Kontakt mit dem Tschechischen ist demnach nur als Katalysator zur Verstärkung bereits angelegter Strukturen zu begreifen. Eine strukturelle Innovation ist demnach nicht zu finden. Eine wirklich nur dem Dialekt zuordenbare Struktur wird nun im nächsten Abschnitt behandelt. 6.4

DIE PSEUDOMEDIALE KONSTRUKTION 6.4.1

Überblick

Bisher konnte dem REFL in jedem Fall entweder eine semantische Rolle oder eine syntaktische Funktion zugewiesen werden, auch wenn bei Lexikalisierungen diese oft nicht mehr ganz transparent ist. Zweifelsohne ist aber bisher auch die syntaktische Stelle, an der das REFL erscheint, in der semantischen oder syntaktischen Stelligkeit des Verbs eindeutig zu bestimmen gewesen. Die Konstruktion, die in der Einleitung dieses Kapitels unter dem Namen pseudomediale Konstruktion (PMK) geführt worden ist, lässt sich in dieser Hinsicht schwer fassen. Ein paar Beispiele seien zur Illustration noch einmal gegeben. Die Beispiele sind alle überprüft worden. Auf deren Akzeptabibiltät wird gleich eingegangen. (122) Die pseudomediale Konstruktion des Bairischen a.

i hear=mi so schwa in 1SG.NOM hören=1SG.AKK so schwer in

letzter letzter

Zeit Zeit

‘Es fällt mir in letzter Zeit schwer, zu hören.’ (Fragebogen D.2.e.)

174 b.

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

i iss=mi hoit schwa mit 1SG.NOM essen.1SG.PRÄS=1SG.AKK halt schwer mit

da DET

Zahnspong Zahnspange

‘Es fällt mir eben schwer, zu essen mit der Zahnspange.’ (Fragebogen D.2.f.) Des Weiteren ist hier die Kasusvariation zwischen AKK und DAT des REFL72 bemerkenswert. Denn der DAT kann nach den bisherigen Ausführungen nicht als Medialmarker im engeren Sinne klassifiziert werden. (123) Kasusvariation: DAT a.

so schwa in i hear=ma 1SG.NOM hören=1SG.DAT so schwer in

letzter letzter

Zeit Zeit

‘Es fällt mir in letzter Zeit schwer, zu hören.’ (Fragebogen D.2.e.) b.

i iss=ma hoit schwa mit da Zahnspong 1SG.NOM essen.1SG.PRÄS=1SG.DAT halt schwer mit DET Zahnspange ‘Es fällt mir eben schwer, zu essen mit der Zahnspange.’ (Fragebogen D.2.f.)

Die Konstruktion ist außerdem als dialektal verankert zu begreifen, denn weder im Bundesdeutschen noch im Österreichischen ist dieses Muster belegt, wobei diese Fügung auch für das Bairische in Bayern verzeichnet ist, allerdings nur mit AKK (MERKLE 1975 [2005], 135). Die einzige Ausnahme bildet die folgende Fügung, die auch in gleicher Weise dieser Kasusvariation unterliegt, aber auf e i n Verb, nämlich tun, beschränkt.73 KUNZE (1997, 129) verzeichnet diese Verwendung des REFL mit tun unter dem Typ 5 quasi-anaphorische Fügung „mit unklarer Herkunft“. Wie anaphorisch diese Fügung wirklich ist, wird noch zu klären sein. (124) Pseudomediale Konstruktion im Standarddeutschen a.

Ich tue mich schwer, diese Arbeit zu schreiben.

b.

Ich tue mir schwer, diese Arbeit zu schreiben.

In der Literatur zu Diathesen des Deutschen findet sich auch hin und wieder folgendes Beispiel, das aber als idiomatische Wendung klassifiziert wird:

72 73

Kasusvariation ist hier als aut-Variation zu begreifen. Das bedeutet also, dass ein Sprecher entweder AKK oder DAT verwendet, aber nicht beide Kasus. Der DUDEN (Band 9) gibt hier die Variante mit AKK als die häufigere an.

Die pseudomediale Konstruktion

175

(125) Die Leute reden sich leicht. Es wird hier aber zu zeigen sein, dass im Bairischen diese Konstruktion sehr wohl produktiv ist und daher als syntaktisches Muster, als synchrone Ableitung zu fassen ist. Denn es ist weder von einer idiomatischen Wendung, noch von einer Lexikalisierung auszugehen. 6.4.2

Daten und Fakten

6.4.2.1 Kasusvariation Diese beiden Konstruktionen mit AKK und DAT haben eine ähnliche Funktion, wie noch zu zeigen sein wird. Daher ist es legitim anzunehmen, dass hier ein Ableitungsverhältnis besteht. So gibt es gute Gründe, zu postulieren, dass die PMK, die ältere Fügung ist, also die Konstruktion mit DAT die abgeleitete darstellt. Gerade im süddeutschen Sprachraum ist auch in anderen Fällen eine Ersetzung des AKK durch den DAT zu finden (vgl. auch ABRAHAM 2005, 151) (126) Kasusvariation zwischen AKK und DAT im Standarddeutschen a.

Das kostet mich die letzten Nerven.

b.

Das kostet mir die letzten Nerven.

c.

Er hat mich das Durchhalten gelehrt.

d.

Er hat mir das Durchhalten gelehrt.74

Eine weitere Evidenz dahingehend ist die Verteilung der Konstruktion auf die Altersgruppen. Hier nimmt die Verwendung der Konstruktion allgemein in Richtung Altersgruppe 1 (Alter: 19 bis 30) ab. Vergleicht man die Verwendung der Kasus in dieser Konstruktion, so ist der AKK eindeutig jener Kasus, der bei älteren Sprechern zu finden ist, wie die folgende Abbildung zeigt.

74

Im Bairischen ist die Verwendung des DAT in diesen Fällen sicher die, die dem Basisdialekt zugeschrieben werden kann. Allerdings wird hier nicht lehren verwendet, sondern ein transitives lernen: Ea hot=ma heit nix neigs glernt. ‘Er hat mir heute nichts Neues gelernt.’

176

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

Sprecher absolut

Verteilung nach Alter I 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0

AKK DAT nicht verwendet

1

2

3

4

5

6

Altersgruppe

Sprecher/Altersgruppe

Verteilung nach Alter II 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

AKK DAT nicht verwendet

1

2

3

4

5

6

Altersgruppe Abbildung 23: Verteilung der Verwendung und des Kasus des REFL nach Altersgruppen

Um dies wirklich festgemauert zu sagen, müssten natürlich noch mehr Erhebungen durchgeführt werden. Allerdings gibt es gute Evidenzen dafür, dass die PMK mit AKK die ältere ist. Wichtig ist nun vor allem auch, die zu Beginn behauptete Produktivität zu explizieren. Dabei ist auch die geographische Distribution wieder sehr interessant.

177

Die pseudomediale Konstruktion

6.4.2.2 Geographische Verteilung und Produktivität

Verwendung/Varietät in %

Teilt man die Verwendung beider Konstruktionen, der PMK und der dativischen, den drei großen bairischen Varietäten in Österreich, nämlich Mittelbairisch, Mittelsüdbairisch und Südbairisch zu, sieht man eindeutige Präferenzen hinsichtlich der Erhaltung dieser Struktur: Es ergibt sich wieder ein klares Nord-Süd-Gefälle. Im Mittelbairischen verwenden über 70 Prozent diese Konstruktion, Im Mittelsüdbairischen ist der Anteil derer, die sich dieses Musters bedienen, und die Zahl derer, die es nicht gebrauchen, ungefähr gleich groß. Im Südbairischen wird diese Konstruktion nur noch von den älteren Sprechern verwendet. Insgesamt ist bei noch knapp 50 Prozent der Befragten die Konstruktion gebräuchlich. Verwendung der Konstruktion 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

MB

MSB

SB

Gesamt

ja

72,22

47,50

10,53

49,47

nein

27,78

52,50

89,47

50,53

Abbildung 24: Verwendung der pseudomedialen Konstruktion nach Varietät (Relation: Verwendung/Sprecher der Varietät)

Wirft man einen Blick auf die Distribution der Kasus in den drei Varietäten, so kann festgestellt werden, dass es im Mittelbairischen keine Präferenz gibt. Im Mittelsüdbairischen ist eine eindeutige Vorliebe für den DAT zu erkennen. Die beiden Sprecherinnen des Südbairischen, für die diese Konstruktion noch gebräuchlich ist, verwenden den AKK.

178

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

Verwendung der Kasus/ Varietät in %

Verteilung der Kasus 100 80 60 40 20 0

MB

MSB

SB

Gesamt

AKK

50,00

26,32

100,00

42,55

DAT

50,00

73,68

0,00

57,45

Abbildung 25: Verteilung der Kasus (Relation: Sprecher/Sprecher mit Verwendung pro Varietät)

Diese Verteilungen sagen allerdings noch nichts darüber aus, ob dieses Muster tatsächlich als produktiv einzustufen ist oder ob es sich nur in einigen erstarrten Wendungen nachweisen lässt. Um dieser Frage nachzugehen, wurden Verben verschiedenster semantischer Klassen und auch unterschiedlicher Valenzen abgeprüft.75 Die folgende Abbildung rechtfertigt die Annahme, dass es sich hier um eine produktive Konstruktion handelt, denn schließlich sind für jedes Beispiel76 mindestens 50 Prozent zu verzeichnen, die dem Satz eine eindeutige Grammatikalität zuschreiben, also mit 1 oder 2 beurteilen. Grundsätzlich sind große individuelle Unterschiede in der Akzeptabilität der Beispiele festzustellen. So gibt es Sprecher, die alle Sätze mit 1 beurteilt haben, aber auch Sprecher, bei denen eine grundsätzlich nicht mehr sehr hohe Produktivität festzustellen ist. Dennoch ist die Annahme eines produktiven Musters berechtigt.

75 76

In der Auswertung wurde das Südbairische vernachlässigt, da eine Aussage über Produktivität bei nur zwei Sprechern nicht sehr sinnvoll ist. Die einzelnen Beispiele, die hinter dem Kürzel stehen, sind gesammelt dem Anhang zu entnehmen, zum Teil werden sie auch in der folgenden Darstellung als Argumentationsgrundlage verwendet.

Die pseudomediale Konstruktion

179

100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

MB MSB MB MSB MB MSB MB MSB MB MSB MB MSB MB MSB MB MSB MB MSB MB MSB MB MSB MB MSB

Akzeptabilität nach Varietät

D.2.a. D.2.b. D.2.c. D.2.d. D.2.e D.2.f. D.2.g D.2.h. D.2.i. D.2.k. D.2.l. D.2.m. BU1

BU2

BU3

BU4

Abbildung 26: Akzeptabilität der Beispielsätze nach Varietät (BU1: gewöhnlich bis BU4: ungewöhnlich)

Die Darstellung in Abbildung 27 ist nun hinsichtlich zweier Beobachtungen besonders relevant: Zum einen ist diese Konstruktion eindeutig als produktives Muster zu bestimmen, das zwar intersubjektiv bei einigen Verben besser funktioniert als bei anderen, aber nichtsdestotrotz als nicht idiomatisch oder als nicht mehr transparente inhärente lexikalische Reflexivität zu klassifizieren ist. Und zum anderen zeigt die Verteilung, dass es durchaus sinnvoll ist, die Akzeptabilität von dialektalen Phänomenen über die Feststellung des Vorhandenseins hinaus zu prüfen. Interessant ist auch die Verteilung der Akzeptabilität nach Kasus. Demnach beurteilten die Sprecher, die PMK im AKK verwenden, die Beispiele durchwegs positiver.

180

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

DAT AKK DAT AKK DAT AKK DAT AKK DAT AKK DAT AKK DAT AKK DAT AKK DAT AKK DAT AKK DAT AKK DAT AKK

Akzeptabilität nach Kasus

D.2.a. D.2.b. D.2.c. D.2.d. D.2.e D.2.f. D.2.g D.2.h. D.2.i. D.2.k. D.2.l. D.2.m. BU1

BU2

BU3

BU4

Abbildung 27: Akzeptabilität der Beispielsätze nach Kasus (BU1: gewöhnlich bis BU4: ungewöhnlich)

Besonders schlecht schneiden dabei die Verben lesen (D.2.b.) kochen (D.2.c.) und hören (D.2.e.) ab. Dies liegt sicher an der funktionalen Beschränkung dieser Konstruktion, die gleich erörtert wird. Bevor wir zur Funktion dieser Konstruktion kommen, die bisher ja nur implizit durch die Übersetzung der Beispiele dargelegt wurde, sind noch ein paar Worte zur Mittelkonstruktion des Deutschen zu verlieren. Denn schließlich wurde eingangs behauptet, dass sich die MK und die PMK funktional ähnlich sind. 6.4.3

Die Mittelkonstruktionen im Deutschen 6.4.3.1 Syntaktische Struktur

Die Mittelkonstruktion zeichnet sich dadurch aus, dass hier eine Selektions- oder Valenzänderung des Verbs hinsichtlich Nominativ und Akkusativ erfolgt. Das bedeutet, dass bei transitiven Verben das interne Argument in die Subjektposition angehoben wird, die Position des internen Arguments wird durch das REFL sich besetzt. Bei intransitiven Verben wird die Subjektposition mit einem expliziten es gefüllt. Bei intransitiven Verben ist allerdings immer ein Adjunkt oder eine Temporaladverbiale zu setzen:

181

Die pseudomediale Konstruktion

(127) *(Hier) tanzt es sich gut. Die Setzung eines Adverbials ist in beiden Fällen obligatorisch oder zumindest fast obligatorisch (vgl. STEINBACH 2002, 277). Die Umstrukturierung dieser Diathese kann wie folgt dargestellt werden (in Anlehnung an ABRAHAM 1996, 11): (128) transitive/intransitive Basis: Mittelkonstruktion:

x[NOM]

(y [AKK])

y[NOM]

sich

IV/TV ADV

IV/TV

Sind bei der syntaktischen Analyse der MK noch alle Autoren einig – auch wenn diese hier dargestellte formal vereinfacht ist – so sind bei der Funktionsbestimmung und den semantischen Eigenschaften dieser Konstruktion doch fast so viele Ansätze wie Autoren zu diesem Thema zu finden. Da es hier nicht die Aufgabe ist, die semantischen Bedingungen und Funktionen der MK zu bestimmen, sollen hier nur einige Ansätze referiert werden. 6.4.3.2 Funktion STEINBACH (2002, 267) sieht als eine der wichtigsten Eigenschaften der MK die Generizität an. Formalsemantisch präzisiert, nimmt er einen generischen Quantifikator an, der die freien Variablen, das sind das logische Subjekt, das in der MK syntaktisch nicht ausgedrückt werden kann, und die Situationsvariable, bindet. Weniger formal ausgedrückt, bedeutet das, dass die MK nur eine Lesart hat und das ist eine generische. Die Generizität wird dem logischen Subjekt und der Situation zugeschrieben.77 Demnach sind alle MK als generisch zu fassen und somit ganz klar abgrenzbar von Ereignissen und existentiellen Konstruktionen. Gegen diese Auffassung sprechen aber Mittelkonstruktionen, die durch zusätzliche Adverbiale auf eine nichtgenerische Lesart schließen lassen (vgl. dazu auch OTTOSSON / MALING 2006, 432–433), wie die folgende, die auch von STEINBACH (2002, 276) behandelt wird: (129) Der Bach hat sich gestern ausnahmsweise mal ganz gut gespielt. Aber auch hier verortet STEINBACH Generizität und paraphrasiert diesen Satz mit: ‘Wann immer jemand dieses Stück von Bach gespielt hat, so hat er/sie es nur einmal gut gespielt’ (nach STEINBACH 2002, 276; Übersetzung US). Der generische oder bei manchen Autoren auch arbiträre Agens ist nach den Auffassungen der meisten Autoren immer implizit (vgl. ABRAHAM 1996 und 77

Die formalsemantische Darstellung dieses Operators ist nun die folgende (STEINBACH 2002, 271): (3) Krieg und Frieden liest sich leicht. GENS,X,Y [y=Krieg-und-Frieden] [lesen (s,x,y) & leicht (s)]

182

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

STEINBACH 2002). Diese Auffassung ergibt sich aus dem Umstand, dass, im Gegensatz zum Passiv, der Agens nicht durch eine von-Phrase ausgedrückt werden kann (130) Agenshinzufügung bei Passiv und MK im Deutschen a.

Diese Zeilen schreiben sich schwer (*von mir).

b.

Diese Zeilen werden (von mir) geschrieben.

Dass die MK auch eine modale Komponente hat, ist in der Literatur unstrittig. Allerdings ist der Stellenwert der Modalität je nach Zugang verschieden. STEINBACH sieht die Modalität der MK als Folge der Generizität an, FAGAN (1992) sieht Modalität als zentrale Eigenschaft der MK und drei Arten von Modalität für die Mittelkonstruktion, nämlich ability-, possibility- und necessity-Lesarten, also die Fähigkeit, die Möglichkeit und die Notwendigkeit für die Situation, die in der MK ausgedrückt wird. Für HEYVAERT (2003, 133–136) leitet sich die Modalität bei Mittelkonstruktionen von der Bedeutung der Adverbialen ab. Dabei werden die folgenden Modalitäten unterschieden: Zum einen die facility-Lesart bei Adverbien wie leicht und schwer, also die Zuweisung, wie die Situation oder der Prozess zu bestimmen ist, des Weiteren die feasability-Modalität, bei der festgelegt wird, ob eine Handlung ausgeführt werden kann oder nicht, und schließlich noch eine destiny- und eine result-Modalität, bei denen also das Ziel oder das Resultat im Vordergrund stehen. Für DÜRSCHEID (1999, 209) stellt die Zuweisung einer Eigenschaft die zentrale Funktion der Mittelkonstruktion dar. In diesem Zusammenhang spielt die Perspektivierung von Situationen eine große Rolle. So stellt zum Beispiel DÜRSCHEID zu den Diathesen des Deutschen fest, dass die MK nicht primär die Funktion besitzt, ein Geschehen patiensorientiert zu präsentieren, sondern ihre Funktion in der Denotierung einer Eigenschaft liegt. Dementsprechend sind eben auch MK von intransitiven Verben mit Adjunkten möglich, wie zum Beispiel in (138), da diese Eigenschaft auch beispielsweise einem Ort zugeschrieben werden kann. Die Frage ist nun, welchem Teil der Konstruktion welche Eigenschaft zugewiesen wird. Die Bemerkung von DÜRSCHEID impliziert, dass der Topik der MK diese Eigenschaft zugesprochen wird. Nach ABRAHAM (1996, 20) muss es sich beim Adverbial um eine evaluierbare Eigenschaft handeln. Dies sieht er darin begründet, dass ein Evaluator hinzugefügt werden kann: (131) Mir tanzt es sich gut in diesen Schuhen.

183

Die pseudomediale Konstruktion

6.4.4

Die pseudomediale Konstruktion des Bairischen 6.4.4.1 Syntaktische Struktur

Nun soll vor dem Hintergrund der MK die PMK genauer betrachtet werden. Die syntaktische Auffälligkeit der PMK wurde in der Einleitung dieses Abschnitts zwar schon angeschnitten, sie soll hier aber noch einmal präzisiert werden. Wie bei der MK kann auch bei der PMK das Basisverb ein intransitives, ein absolut gebrauchtes oder ein transitives sein, wie die folgenden Beispiele zeigen. Die Bewertung der Beispiele sind der Abbildung 26 oben zu entnehmen. (132) Pseudomediale Konstruktion mit intransitivem Verb (D.2.d.) i 1SG.NOM

laf=mi so gehen.1SG.PRÄS=1SG.AKK so

leicht leicht

heit heute

‘Ich tue mir heute so leicht beim Gehen/Laufen. / Das Gehen/Laufen fällt mir heute so leicht.’ (wörtl.: ‘Ich gehe/laufe mich so leicht heute.’) (133) Pseudomediale Konstruktion mit transitivem Verb (D.2.a.) seit=i=s seit=1SG.NOM

mitn mit:DET

Kreiz Rücken

heb=i=mi heben.1SG.PRÄS=1SG.NOM=1SG.AKK

hob, haben.1SG.PRÄS

in DET.AKK

Koffer Koffer

so schwa so schwer

‘Seitdem ich Rückenbeschwerden habe, fällt mir das Heben des Koffers so schwer.’ (wörtl.: ‘Seit ich es mit dem Kreuz habe, hebe ich mich den Koffer so schwer.’) Das Besondere bei dieser Konstruktion ist nun die Tatsache, dass hier das REFL keine Neuzuordnung der Argumente zu den syntaktischen Stellen auslöst. Das externe Argument bleibt also an der Subjektposition erhalten, bei transitiven Verben verbleibt auch das interne Argument an der Stelle des direkten Objekts. Das bedeutet also, dass das REFL nicht an diese Stelle treten kann. Wir haben es also mit einer doppelten Besetzung dieser Stelle zu tun. Das REFL kann nicht als Detransitivierer verstanden werden. Trotzdem ist ihm keine semantische Rolle zuzuweisen. Somit unterscheidet sich die Struktur erheblich von der Mittelkonstruktion, wie sie oben dargestellt wurde. Da das REFL auch nicht enger an das Verb rückt, sondern die Klitikabfolge bestehen bleibt, wie sie in Kapitel 3 dargestellt wurde, ist diesem REFL auch kein affixoider Status zuzuschreiben. Dies wird in Beispiel (133) besonders deutlich. Gemeinsam ist den beiden Konstruktionen allerdings die obligatorische Setzung eines Adverbials. Angesichts dieser Struktur ist nun auch die Bezeichnung dieses Musters als pseudomediale Konstruktion (PMK) begründet. Vergleicht man

184

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

nun die syntaktischen Eigenschaften der MK und der de Gegenüberstellung zu treffen:

PMK

miteinander, ist folgen-

Mittelkonstruktion

Pseudomediale Konstruktion

+



+



+ + +

– + +

REFL an der Stelle des direkten Objekts Anhebung des internen Arguments impliziter Agens semantisch leeres REFL Adverbial obligatorisch

Tabelle 28: Vergleich der syntaktischen und semantischen Eigenschaften der Mittelkonstruktion und der pseudomedialen Konstruktion des Bairischen

Es zeigt sich, dass, rein strukturell gesehen, nicht sehr viel Ähnlichkeit zwischen den beiden Konstruktionen herrscht. Es wird aber im Verlauf der Darstellung der Funktion deutlich, dass auf jeden Fall fundamentale funktionale Ähnlichkeiten zu finden sind. Grundsätzlich wäre es auch möglich, eine Ableitung der PMK aus der MK diachron anzunehmen. Denn es lassen sich durchaus Konstruktionen und Kontexte konstruieren, in denen eine Ambiguität zwischen MK und PMK besteht. In diesen Kontexten wäre also eine Reanalyse der MK zur PMK möglich. Zu leichteren Verständlichkeit werden die Beispiele nach der Standardorthographie wiedergegeben: (134) Ambiguität zwischen MK und PMK a.

Du hebst dich aber schwer. MK:

‘Es ist aber schwer, dich zu heben.’

PMK:

b.

‘Es fällt dir aber schwer, zu heben.’

Er fängt sich so leicht. MK: ‘Es

ist leicht, ihn zu fangen.’

PMK: ‘Es

fällt ihm leicht, zu fangen.’

Diese Beispiele wirken zugegebenermaßen konstruiert und sind auch konstruiert. Aber die Herleitbarkeit der PMK aus der MK ist dennoch nicht unmöglich und angesichts der Ähnlichkeiten in den Funktionen auch plausibel. Wir haben es also mit einem klassischen Fall von Reanalyse zu tun, im Zuge derer die zugrundeliegende Struktur in ambigen Kontexten neu zugeordnet wird. Diese Reanalyse ist schließlich die Grundlage für die Extension auf andere Bereiche (zum Konzept von syntaktischer Reanalyse vgl. CAMPBELL 2001a, 227 und 231–234).

Die pseudomediale Konstruktion

185

(135) Reanalyse und Extension von MK zu PMK Ambiguität zwischen MK und PMK bei transitiven MK > Reanalyse des Verbs als absolut gebrauchtes TV und Reanalyse des internen Arguments als externes > Übertragung des Musters auf IV des Typs ‘gehen’ und auf TV mit internem Argument des Typs ‘den Koffer heben’ Nun muss also die Funktion der PMK geklärt werden. Denn auch wenn eine historische Ableitung grundsätzlich möglich scheint, so hat diese Beobachtung wenig Wert, wenn nicht gezeigt werden kann, zu welcher Funktion hin diese Ableitung erfolgt ist. Da diese Herleitung auch schwer zu beweisen ist, ist der wesentliche Punkt hier die Funktionsbestimmung der PMK. Oder anders formuliert: Wenn das REFL syntaktisch eigentlich keine Stelle (mehr) hat, an die es treten kann, eine syntaktische Umstrukturierung der Partizipanten also nicht stattfindet, so muss es doch eine Funktion besitzen. 6.4.4.2 Funktion Generizität ist auch bei der PMK evident, allerdings natürlich nur hinsichtlich der Situation. Diese kann aber temporal spezifiziert sein, so wie dies auch die folgenden Beispiele zeigen: (136) Generizität bei pseudomedialen Konstruktionen a.

I geh=mi schwa.

b.

I heb=mi schwa.

c.

I geh=mi heite so schlecht.

Aber es sind auch Konstruktionen mit Adverbialen zulässig, die nicht auf eine generische Lesart hinweisen (vgl. auch Beispiel [129]): (137) PMK (vgl. Fragebogen D.2.i) gestan bin=i=mi auf amoi wieda leicht ganga gestern AUX=1SG.NOM=1SG.AKK auf einmal wieder leicht gehen:PPERF ‘Gestern ist mir das Gehen auf einmal wieder leicht gefallen.’ Dennoch ist, wie auch STEINBACH argumentiert, hier nicht von einer eventativen Handlung auszugehen. Was das REFL nämlich trotz eines nicht-generischen Agens in der PMK bewirkt, ist die vordergründige Perspektivierung der Situation. Damit geht auch einher, dass die Handlung nicht vom Subjekt kontrolliert wird. Es handelt sich also um eine unwillentliche, unkontrollierte Situation. Das REFL bestimmt also das Subjekt als der Situation ausgesetzt und nicht als willentlich

186

Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

handelnder Agens, hat also eher patientativen Charakter, ähnlich dem Subjekt in der MK. Ganz entscheidend ist bei dieser Konstruktion auch die Modalität. Allerdings ist die Modalität auf eine ganz bestimmte festgelegt, nämlich auf die der körperlichen Fähigkeit. Eine Ausnahme zu dieser Beobachtung bildet si redn ‘sich reden’ (vgl. D.2.l). Dabei ist aber – wie im Standarddeutschen – schon von einer metaphorischen und recht gefestigten Wendung auszugehen. Die Beschränkung besteht also darin, dass hier nur eine facility-Modalität feststellbar ist. Diese ist wiederum auf die ability-Lesart reduziert, im Gegensatz zur MK, der auch possibilityund necessity-Lesarten zugeschrieben werden. Dementsprechend muss hier angefügt werden, dass sich die PMK auf Verben beschränkt, die im weitesten Sinne mit körperlicher Fähigkeit und Anstrengung verbunden sind. Mit dieser Beschränkung ist auch der Grund für die weniger verbreiteten Verwendungsmöglichkeit der Verben lesen, kochen und hören zu erklären. Ist eines dieser Verben allerdings zulässig, so ist nur die Lesart hinsichtlich der körperlichen Fähigkeit z. B. des Lesens zulässig. Man vergleiche die folgenden Beispiele: (138) Es liest sich gut in diesem Ohrensessel. (139) I lies=mi scho so schwa. Beispiel (138) setzt keine körperliche Fähigkeit zum Lesen voraus, während Beispiel (139) auf diese impliziert. Das heißt, das schwere Lesen hat körperliche Gründe. Selbst wenn das Adverbial weggelassen werden kann, in ähnlichen Kontexten, wie dies auch bei der MK möglich ist, ist diese körperliche Fähigkeit implizit. (140) A: Gehst=di heit scho besser? B: Jo, i geh=mi scho. Nun ist noch die Funktion und Beschränkung des Adverbials zu klären. Wie bei der MK ist nicht jede Art von Adverbialen zulässig, sondern muss bestimmte Qualitäten aufweisen. Die Beobachtung von ABRAHAM (1996), dass es sich bei der Adverbialen der MK immer um eine evaluierbare, wertende Eigenschaft handelt, trifft auch auf die PMK zu. Allerdings ist hier auch die Restriktion auf Adverbiale in Zusammenhang mit der ability-Modalität zu erkennen. Denn diese lässt nicht in dem Ausmaß Eigenschaftszuweisungen zu, wie es bei der MK der Fall ist. Sie müssen mit dieser Eigenschaft natürlich kompatibel sein. Das bedeutet, dass hier nur die Adverbialen zulässig sind wie leicht und schwer. Die Qualität der Adverbiale ist nun auch entscheidend für die Ersetzung des AKK durch den DAT. Das heißt, der Ableitungsprozess der Konstruktion mit Dativ ist auf die Evaluation der Situation durch das Subjekt zurückzuführen. Auch in den MK kann die Evaluation durch den Dativ ausgedrückt werden. In der dativischen Variante der Konstruktion des Bairischen – wir wollen hier Mittel- oder

Die pseudomediale Konstruktion

187

Medialkonstruktion vermeiden – ist also die Beurteilung der Situation durch das Subjekt zum Ausdruck gebracht. Im Bairischen ist aber eine zusätzliche Evaluation der Situation bei der PMK nicht möglich: (141) i geh mi (*mia) heit so schwa. Nun sind aber wieder Kontexte zu finden, wo die PMK und die dativische Konstruktion ambig sind. In diesen Kontexten ist also der Auslöser für die Umstrukturierung der PMK in eine dativische Variante zu suchen. =si: REFL_AKK oder REFL_DAT

(142) ea geht=si heit leicht

Der Dativ ist allerdings topikalisierbar oder betonbar. Der Fokus liegt weiter auf der Handlung und der Eigenschaft, die dieser zugeschrieben wird. Ähnlich wie bei folgenden Konstruktionen kann somit angenommen werden, dass das REFL im DAT als vom Adjektiv abhängig zu bestimmen ist. (143) Er geht mir heute zu langsam.

dativus iudicandis

[du [[mir [zu langsam]] [gehst]]] (144) I geh =mi heute schlecht. [ich [[mir [schlecht]] [gehen]]] Im Unterschied zum dativus iudicandis muss aber die Evaluation nicht durch eine Gradpartikel ausgedrückt werden. Dass dem Dativ aber gerade in Verbindung mit einem wertenden Adverbial eine evaluative Funktion zuzuschreiben ist, steht außer Frage (vgl. auch ABRAHAM 2006b, 23). Die Konstruktion mit Dativ ist zwar transparenter als die PMK, aber immer noch als eine eigenständige Konstruktion zu werten, mit einer Struktur, die so im Standarddeutschen nicht belegt ist. 6.4.5

Zusammenführung

Die PMK ist in mehrerlei Hinsicht interessant. Sie drückt ähnliche Funktionen aus wie die MK, ist aber nicht als Diathese in dem Sinne zu verstehen, dass eine Neuzuordnung der semantischen Rollen zu den syntaktischen Stellen zu beobachten ist. – –

Die PMK ist vor allem mit AKK sehr produktiv, daher ist sie nicht als idiomatische Wendung zu klassifizieren. Die Funktionen der PMK lassen sich aus der MK ableiten, auch wenn die tatsächliche diachrone Entwicklung nicht zu beweisen ist. Es gibt aber Kontexte, in denen die Voraussetzung für eine Reanalyse, nämlich die Ambiguität zwischen MK und PMK, gegeben ist.

188 –





Funktionen des Reflexivums: Nationale und dialektale Strukturen

Die Funktionen der PMK sind erstens die Vordergrundierung der Handlung und die damit verbundene Kennzeichnung des Subjekts als nicht agierend und nicht kontrollierend. Zentral sind zweitens die Zuweisung einer evaluierbaren Eigenschaft durch das Adverbial und Modalität, allerdings nur hinsichtlich einer körperlichen Fähigkeit (ability). Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass die Konstruktion mit DAT aus der PMK abgeleitet ist. Zum einen kann ist die Auflösung einer doppelten Besetzung des indirekten Objekts dafür verantwortlich gemacht werden, zum anderen zeigt auch die Altersstruktur diese Entwicklung. Warum allerdings die Konstruktion mit DAT offensichtlich mehr Einschränkungen unterliegt, ist nicht klar. Die Konstruktion mit DAT ist natürlich aufgrund der Struktur nicht als mittelähnliche Konstruktion einzustufen. Dem REFL ist wie bei allen anderen Verwendungen des REFL eine semantische Rolle zuzuschreiben, und zwar die eines Evaluators. Die Rolle ist vergleichbar ist mit dem dativus iducandis, auch wenn sich formal Unterschiede zwischen den beiden finden. 6.5

ZUSAMMENFASSUNG

In diesem Teil der Arbeit wurde nun geprüft, inwiefern sich die Strukturen des österreichischen Deutsch und des Bairischen vom bundesdeutschen Standard unterscheiden. Dabei ist bei der Verwendung des REFL im AKK zunächst keine systematische Auffälligkeit zu detektieren. Beim reflexiven DAT ist eine Verschiebung des Musters der obligatorischen Setzung des reflexiven Benefizienten festzustellen, die auch durchaus mit einem Sprachkontakt mit dem Tschechischen in Verbindung gebracht werden kann. Allerdings wirkt hier das Tschechische eher als Katalysator denn als neuer Strukturengeber. Eine wirklich auffällige und dialektal verankerte Struktur ist die PMK. Es konnte gezeigt werden, dass es sich dabei um ein produktives, synchrones Muster handelt und dass diese Struktur ganz bestimmten Regeln unterliegt.

7

SCHLUSSBEMERKUNGEN

Abschließend sollen die hier dargelegten Beobachtungen und Erkenntnisse noch einmal konzentriert zusammengefasst werden. Gemäß dem Titel dieser Arbeit, wird sich diese komprimierte Darstellung wieder an Form und Funktion orientieren. Ausgehend von der Überlegung, dass das System der PERSPRON des Bairischen sich in vielen Belangen deutlich von dem des Standarddeutschen unterscheidet, lag die Vermutung nahe, dass auch für das REFL eine morphosyntaktische Einordnung grundlegend ist. Dabei sind nicht nur hinsichtlich des morphosyntaktischen Status des REFL, sondern auch hinsichtlich der paradigmatischen Organisation der Formen des REFL und der PERSPRON einige erklärungsbedürftige Strukturen deutlich geworden. Die morphosyntaktischen Eigenschaften und die Positionen, in denen die Formen auftreten können, sind schließlich als essentiell für die Umstrukturierung und Organisation des Paradigmas identifiziert worden. So ist das Fehlen eines Klitikons im Dativ kein Zufall, sondern auf die Eigenschaften von Vollform und Klitikon zurückzuführen, die sich aus der syntaktischen und semantischen Rolle ableiten lassen. Auch der relativ lange Erhalt des PERSPRON als koreferenzielles Element ist aus der syntaktischen Rolle des Dativs ableitbar. Als Benefizient-Rezipient sind die Referenten des Dativpronomens zum einen immer belebt und zum anderen nicht das Ziel einer transitiven Handlung. Beide Eigenschaften des Dativs spielen eine Rolle bei den Ausgleichsphänomenen. Im Zusammenhang mit der Aufnahme des distinkten REFL in die 1PL ist wieder die Form an sich entscheidend. Denn es ist aus der synchronen Datenlage klar, dass das REFL als Klitikon integriert ist. Diese Beobachtung kann den Weg in das Paradigma nicht vollständig erklären, aber es ist der Ausgangspunkt, an dem ein mögliches Szenario für diesen Weg ansetzen kann. Eine rein systeminterne Umstrukturierung ist aufgrund von typologischen Evidenzen allerdings nicht sehr plausibel. Die präzise Überprüfung des vorgeschlagenen Entlehnungsprozesses ist aufgrund einer sehr schlechten Datenlage für das Bairische nur schwer oder wahrscheinlich auch nicht zu leisten. Auch kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass es sich bei dieser Entlehnung in allen Varietäten um direkten Sprachkontakt mit dem Tschechischen handelt, oder ob sich dieses Muster auch unter den Varietäten verbreitet hat. Es konnte allerdings gezeigt werden, dass auch bei einer Rückführung eines Phänomens auf Sprachkontakt die Struktur der beiden Sprachen zu berücksichtigen ist beziehungsweise nachvollzogen werden muss, wie die entlehnte Struktur integriert wird. Entscheidend ist auch, dass sich das System der Reflexiva und reflexiv verwendeten Personalpronomina nicht nur hinsichtlich der auffallenden Synkretismen unterscheidet, sondern eine vom Standarddeutschen differente Struktur besitzt.

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Schlussbemerkungen

Diese Formen sind nun hinsichtlich ihrer syntaktischen Position und Funktion als Marker für Reflexivität unter verschiedenen kontextuellen Bedingungen weiter zu spezifizieren. Nach der formalen Bestimmung im Sinne des Prinzips Minimalisierung der Struktur ist zu prüfen, in welchen Kontexten die nicht minimalen Formen welche Funktion haben. Dabei sind auch unterschiedliche Strategien für verschiedene Positionen und damit verbundene Funktionen in den unterschiedlichen Varietäten zu finden. Besonders in dieser Hinsicht bringt die Fragebogenerhebung völlig neue Daten zutage, denn dieser Bereich wurde bisher für das Bairische nicht berücksichtigt. Auch hier unterscheidet sich das Bairische erheblich vom Standarddeutschen. In Anlehnung an die Verbindung der These und Einteilung von außen- und eigengerichteten Handlungen nach KÖNIG / SIEMUND (unter anderem 2000b), zeigt sich, dass hier verschiedene Strategien zum Einsatz kommen, die teilweise denen des Standarddeutschen entsprechen, zum anderen aber als dialektspezifisch zu werten sind. So kann das distinkte REFL im Deutschen bei eigen- und außengerichteten Handlungen verwendet werden. Das ist grundsätzlich auch für das Bairische der Fall. Bei kontextuell außengerichteten Handlungen, also bei Modifikation oder Kontrastfokus, unterscheidet sich das Bairische jedoch erheblich vom Standard hinsichtlich der Setzung des Intensifikators, denn beim Standarddeutschen ist dieser fakultativ, beim Bairischen obligatorisch. Das hat nicht zuletzt auch formale Gründe und ist auf den Klitikstatus des REFL zurückzuführen. Bei REFL in PP scheint die semantische Klasse der Verben eine absolute Wirkung zu haben. Hier sind die Strategien besonders interessant, weil sich hier nicht nur der semantische Unterschied der Verben manifestiert, sondern auch varietätenspezifische Muster zu erkennen sind. Ich denke, im Vergleich zu phonologisch sehr fein gestreuten Studien in der Dialektologie wäre es auch von besonderem Interesse, diese Daten in die Dialektologie zu integrieren und somit auch bei diesen feinen Unterscheiden größere Erhebungen durchzuführen. Außerdem spiegeln diese verschiedenen Strategien nicht nur eine regionale Spezifik wider, sondern sind auch auf ökonomische Prinzipien wie Merkmalsreduktion und sprachsituative Bedingungen zurückzuführen. In diesem Zusammenhang wurde das Hauptaugenmerk auf die strikt anaphorische Verwendung des REFL gelegt und auf die Funktion der einzelnen Formen in verschiedenen Umgebungen. Die Frage nach der Form stellt sich nun auch im zweiten Bereich der funktionalen Besonderheiten des REFL. Den Ausgangspunkt der Untersuchungen zur Funktion des REFL im Bairischen waren die sogenannten „auffälligen“ Verwendungen des REFL im österreichischen Deutsch im Vergleich zum bundesdeutschen Standard. Die bisherigen Ausführungen zu diesem Bereich sind nicht sehr zahlreich. Es wurde in dieser Arbeit schließlich versucht, ausgehend von einer sinnvoll erscheinenden Einteilung der Funktionen der REFL im Deutschen, diese Auffälligkeiten den verschiedenen Typen zuzuordnen. Für die akkusativischen REFL des Österreichischen konnte zum einen gezeigt werden, dass sich diese Verwendungen problemlos den einzelnen Gruppen zuordnen lassen, und zum anderen, dass aus dieser Verwen-

Schlussbemerkungen

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dung des REFL keine Systematizität abgleitet werden kann, die für den Ausbau eines Typs oder einer Funktion sprechen könnte. Für den reflexiven Dativ hingegen kann eine systematische Verschiebung der Obligatorik des reflexiven Ausdrucks des Benefaktivs festgestellt werden. Dabei ist aber zu bemerken, dass diese Verwendungen verschiedenen Restriktionen unterliegen. Der Vergleich mit dem Tschechischen, das in der Literatur immer wieder als Quelle für die Besonderheiten der häufigeren Verwendung des REFL in Österreich angeführt wird, zeigt, dass das Tschechische tatsächlich als Einflussgröße berücksichtigt werden muss, allerdings werden keine neuen Strukturen entlehnt, sondern bereits vorhandene ausgebaut. Schließlich wurde auch eine dialektale Struktur untersucht, die bisher noch nicht viel Aufmerksamkeit in der Literatur erfahren hat. Dazu ist bestimmt noch nicht das letzte Wort gesprochen, aber zumindest einmal das erste. Im Rahmen dieser Arbeit wurden insgesamt auch viele Fragen aufgeworfen, und einige Bereiche sind sicher noch weiter zu untersuchen. Dennoch glaube ich, dass die Ergebnisse dieser Untersuchungen neue Perspektiven aufzeigen für die hier behandelten Phänomene und für Disziplinen, die sich mit Variation in verschiedenen Dimensionen beschäftigen. Es konnte gezeigt werden, dass es sich (!) lohnt, einen detaillierten Blick auf zunächst unscheinbare Phänomene zu werfen. Zu hoffen ist nun, dass diese Arbeit auch als Anstoß und Ausgangspunkt für weitere Auseinandersetzungen mit den hier besprochenen Phänomenen aus unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen wird.

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APPENDIX

204

Appendix

Fragebogen zu dialektalen Satzkonstruktionen Sie können den Fragebogen direkt am Computer ausfüllen oder ausdrucken und per Hand ausfüllen. Wenn Sie ihn ausdrucken schicken Sie ihn bitte an folgende Adresse: xxxxx Wenn Sie den Bogen am Computer ausfüllen, klicken Sie bitte in die grauen Kästchen, dann wird ein Kreuzchen gesetzt. Wenn Sie ein Kreuzchen entfernen wollen, klicken Sie wieder in das Kästchen. Um Text einzugeben, klicken Sie einfach in die vorgegebenen grauen Rechtecke und schreiben Sie wie gewohnt auf Ihrer Tastatur. Vergessen Sie nicht den Fragebogen immer wieder zu speichern. Schicken Sie ihn fertig ausgefüllt bitte an folgende Email-Adresse: xxxxx Vorbemerkungen: 1. In diesem Fragebogen geht es darum, dass Sie Sätze danach beurteilen, ob Sie diese in ihrem Dialekt so sagen würden oder nicht. Die Anleitung für die Beurteilung finden Sie in jedem Abschnitt. Dabei geht es nicht so sehr um die Aussprache und Schreibung der einzelnen Wörter, sondern um die Abfolge. Also beurteilen Sie bitte hauptsächlich die Stellung der einzelnen Wörter. WICHTIG: Es geht um Ihren Dialekt, wie Sie sprechen, das heißt, es gibt keine richtigen oder falschen Antworten! 2. Bitte lesen Sie die Sätze für sich laut vor, um sie besser beurteilen zu können. 3. Die Schreibung mancher Wörter entspricht vielleicht nicht der Aussprache in Ihrem Dialekt. In diesem Fall werden Ihnen verschiedene Schreibungen vorgeschlagen, die mit Schrägstrich / getrennt sind, oder durch Klammer () ergänzt sind. Zum Beispiel vorgstöit/vorgstöllt (vorgestellt) oder ihr(a) für ihr oder ihra. Entspricht keine der Schreibungen ihrem Dialekt, schreiben Sie bitte den vollständigen Satz in Ihrer angepassten Schreibung in das Feld ‚Sonst‘ oder ‚Anmerkungen‘ oder wählen Sie den Satz aus, der Ihrem Dialekt am nächsten kommt, und schreiben Sie die abweichenden Wörter in das Feld ‚Sonst‘ oder ‚Anmerkungen‘. Das dialektale Wort für ‚sich‘ wird in den Beispielen ab Block A immer si geschrieben. Wenn Sie eher die Schreibung se oder sich bevorzugen, merken Sie es bitte unter dem Feld ‚Sonst’ oder ‚Anmerkungen‘ an. Zum Beispiel: A.1. a. Ihr Onkel Franz hat einen auffälligen Mantel an. Sie fragen ihre Tante, ob der Mantel neu ist oder ob Franz ihn schon länger besitzt. Ihre Tante erzählt Ihnen, dass der Mantel neu ist, und sagt: Ea hot si’n gestern erst (ge)khaft/kauft. Ea hot’n si gestern erst (ge)khaft/kauft. Ea hot’n eam/iam gestern erst (ge)khaft/kauft. Ea hot’n eam/iam söba gestern erst (ge)khaf/kauft . Sonst: 4. Ist ein Wort in GROSSBUCHSTABEN geschrieben, bedeutet das, dass dieses Wort besonders stark betont, also hervorgehoben ist. 5. Das Ausfüllen des Fragebogens dauert ungefähr 30 Minuten. Sie können gerne Pausen machen und müssen den Fragebogen nicht an einem Stück ausfüllen. Vielen herzlichen Dank für Ihre Mithilfe!!!

205

Appendix Angaben zur Person Geburtsjahr: Geschlecht:

m w

aufgewachsen in (Ort/Region): Dialekt, der hauptsächlich verwendet wird (z. B. Südkärntnerisch, Wienerisch, Südsteirisch, Innviertlerisch): zurzeit wohnhaft in: Einflüsse auf den Dialekt: (z. B. langer Aufenthalt in einer anderen Region): In welchen Situationen/Umgebungen sprechen Sie regelmäßig Dialekt? Bewerten Sie: 1 immer bis 4 nie

in der Familie

mit Freunden/ Bekannten

im Beruf

Email-Adresse (für das Gewinnspiel)

Block 0 Wie würden Sie folgende Sätze in Ihrem Dialekt sagen? (Mehrfachnennungen sind möglich.) 0.

a. Er hat ihm ein Haus gekauft. Ea hot iam a Haus (ge)khaft/kauft. Ea hot eam a Haus (ge)khaft/kauft. Ea hot’n a Haus (ge)khaft/kauft. Ea hot ihm a Haus (ge)khaft/kauft. Sonst: b. Ich habe ihr gestern geholfen. I hob ihra gestern ghuifn/ghulfn/gholfn. I hob ihr gestern ghuifn/ghulfn/gholfn. I hob’s gestern ghuifn/ghulfn/gholfn. Sonst: c. Ich habe ihnen gestern den Garten gezeigt. I hob eana gestern den/in/an Goartn (ge)zoagt/zagt/zeigt. I hob ea gestern den/in/an Goartn(ge)zoagt/zagt/zeigt. I hob iana gestern den/in/an Goartn (ge)zoagt/zagt/zeigt. I hob ihna gestern den/in/an Goartn (ge)zoagt/zagt/zeigt. Sonst:

206

Appendix

d. Er hat sich ein neues Auto gekauft. Ea hot si a neigs/neis/neichs Auto (ge)khaft/kauft. Ea hot se a neigs/neis/neichs Auto (ge)khaft/kauft. Ea hot eam/iam/ihm a neigs/neis/neichs Auto (ge)khaft/kauft. Ea hot eam/iam/ihm söba a neigs/neis/neichs Auto (ge)khaft/kauft. Sonst: e. Meine Schwester, ich habe sie gestern erst getroffen. Mei Schwesta, i hob’s gestern erst troffn. Mei Schwesta, i hob ihra gestern erst troffn. Mei Schwesta, i hob ihr gestern erst troffn. Sonst: f. Er hat ihn mir schon gegeben. Ea hot ma’n scho gem. Ea hot’n ma scho gem. Sonst: g. Er hat sich rasiert. Ea hot si rasiat. Ea hot se rasiat. Ea hot eam/iam/ihm söba rasiat. Ea hot eam/iam/ihm rasiat. Sonst:

Block A Welche der folgenden Sätze würden Sie in der beschriebenen Situation in Ihrem Dialekt verwenden? Es sind auch Mehrfachnennungen möglich, wenn Sie mehrere Sätze gleich gut finden. Entscheiden Sie sich aber bitte immer für den Satz, der am besten für Sie klingt. Wenn Sie den Satz auch anders ausdrücken können, schreiben Sie den entsprechenden Satz bitte unter ‚Sonst‘ auf. A.1. a. Ihr Onkel Franz hat einen auffälligen Mantel an. Sie fragen ihre Tante, ob der Mantel neu ist oder ob Franz ihn schon länger besitzt. Ihre Tante erzählt Ihnen, dass der Mantel neu ist, und sagt: Ea hot si’n gestern erst (ge)khaft/kauft. Ea hot’n si gestern erst (ge)khaft/kauft. Ea hot’n eam/iam/ihm gestern erst (ge)khaft/kauft. Ea hot’n eam/iam/ihm söba gestern erst (ge)khaf/kauft . Sonst: b. Maria hat sich mit einem unbekannten Verehrer getroffen. Marias Mutter erzählt Ihnen, dass Maria enttäuscht war und sagt: Na, so hot sa si’n ned vorgstöit/vorgstöllt. Na, so hot sa’n si ned vorgstöit/vorgstöllt. Na, so hot sa’n ihr(a) ned vorgstöit/vorgstöllt. Na, so hot sa’n ihr(a) söba ned vorgstöit/vorgstöllt. Sonst:

Appendix

207

c. Bekannte von Ihnen waren auf der Suche nach einer neuen Eigentumswohnung. Ein Freund fragt Sie, wie die Suche gelaufen ist. Sie erzählen, dass Ihre Bekannten eine Wohnung gefunden haben, diese allerdings schlussendlich zu teuer war und Ihre Bekannten nun froh sind, dass sie die Wohnung nicht genommen haben. Sie sagen: Se san echt froh, dass se si’s net (ge)khaft/kauft hom. Se san echt froh, dass se’s si net (ge)khaft/kauft hom. Se san echt froh, dass se’s ea(na) net (ge)khaft/kauft hom. Se san echt froh, dass se’s ea(na) söba net (ge)khaft/kauft hom. Sonst: A.2. a. Gestern waren Sie und Ihre Schwester im Kino. Sie erzählen Ihren Freunden: Mia hom si gestern den nei(g)n Füm angschaut. Mia hom uns gestern den nei(g)n Füm angschaut. Sonst: b. Bei dem Film handelte es sich um einen Horrorfilm und Sie geben Ihren Freunden gegenüber zu: Do homma uns gscheid gfiacht. Do homma si gscheid gfiacht. Sonst: c. Sie und Ihre Frau/Ihr Mann haben einen neuen Fernseher gekauft. Ihr Bruder fragt Sie, ob der Fernseher ein Geburtstagsgeschenk für ihn ist. Sie antworten empört: Na, den homma UNS (ge)khaft/kauft! Na, den homma SISÖBA (ge)khaft/kauft! Na, den homma UNS SÖBA (ge)khaft/kauft! Sonst: A.3. a. Sie gehen nach einem anstrengenden Tag noch einkaufen. In der Schlange vor der Kassa steigen Sie unabsichtlich einem Herren auf den Fuß. Der dreht sich um und mault Sie an. Sie können nicht anders und schreien, bleiben aber noch höflich: Jetzt regen’S Eana ned so auf! Jetzt regen Se si Eana ned so auf! Jetzt regen Se si ned so auf! Sonst: b. Sie helfen einer Freundin in deren Modegeschäft aus. Sie beraten eine ältere Dame. Nachdem diese aus der Umkleidekabine kommt, fragen Sie etwas unbeholfen: Hom’S Eana scho im Spigel angschaut? Hom Se si scho im Spiegel angschaut? Hom Se si Eana scho im Spiegel angschaut? Sonst: c. ... Und Sie fragen weiter: Gfoin Se si Eana in dem Kleid? Gfoin’S Eana in dem Kleid? Gfoin Se si in dem Kleid? Sonst:

208

Appendix

Block B Welche der folgenden Sätze würden Sie in der beschriebenen Situation in Ihrem Dialekt verwenden? Es sind auch Mehrfachnennungen möglich, wenn Sie mehrere Sätze gleich gut finden. Entscheiden Sie sich aber bitte immer für den Satz, der am besten für Sie klingt. Wenn Sie den Satz auch anders ausdrücken können, schreiben Sie den entsprechenden Satz bitte unter ‚Sonst‘ auf. B.1. a. Sabine hat Blumen gekauft. Entgegen Ihrer Erwartung sind diese nicht für Sabines Mutter, sondern für Sabine selbst. Sie stellen erstaunt fest: Sie hot SI SÖBA die Blumen khaft. Sie hot SI die Blumen khaft. Sie hot IHR(A) SÖBA die Blumen khaft. Sie hot für SI SÖBA die Blumen khaft. Sie hot für IHR(A) SÖBA die Blumen khaft. Sonst: b. Markus hatte den Auftrag, bei einer Familienfeier Fotos zu machen. Sie sehen sich die Fotos an und bemerken erstaunt, dass die meisten Fotos nur Markus selbst zeigen. Sie rufen: Der hot jo nua SI SÖBA fotografiert! Der hot jo nua SI fotografiert! Der hot jo nua EAM SÖBA fotografiert! Der hot jo nua EAM fotografiert! Sonst: B.2. a. Ihr Bruder Franz spielt regelmäßig am Spielautomaten und bricht schon seit langer Zeit alle Rekorde. Ihre Schwester erzählt Ihnen, dass Franz beim letzten Mal so gut war, dass ihn keiner schlagen konnte. Sie sagt, dass er trotzdem nicht aufhören wollte und: Donn hot da Fronz hoit gegen si söba spün/spuin/spieln miaßn. Donn hot da Fronz hoit gegen eam söba spün/spuin/spieln miaßn. Donn hot da Fronz hoit gegen si spün/spuin/spieln miaßn. Sonst: b. Peter hat Sie in sein Haus eingeladen. Da Peter nicht oft Besuch einlädt, sind Sie ganz stolz und erzählen Ihren Freunden davon. Sie sagen: Ea hot mi zu eam/iam/ihm ham einglodn. Ea hot mi zu si ham einglodn. Sonst: c.

Karl hat einen Hund aus dem Tierheim geholt. Er hat ihn in sein Haus aufgenommen. Ea hot’n ba si aufgnumman. Ea hot’n ba eam/iam/ihm aufgnumman. Sonst:

Appendix

209

d. Ihr Onkel Bertl ist in Ihrer Familie nicht sehr beliebt. Sie erklären Ihren Freunden, warum: Da Bertl denkt imma nua an si. Da Bertl denkt imma nua an si söba. Da Bertl denkt imma nua an eam söba. Da Bertl denkt imma nua an sich. Sonst:

Block C Welche der folgenden Sätze würden Sie in der beschriebenen Situation in Ihrem Dialekt verwenden? Es sind auch Mehrfachnennungen möglich, wenn Sie mehrere Sätze gleich gut finden. Entscheiden Sie sich aber bitte immer für den Satz, der am besten für Sie klingt. Wenn Sie den Satz auch anders ausdrücken können, schreiben Sie den entsprechenden Satz bitte unter ‚Sonst‘ auf. C.1. a. Sie sollten schon seit langer Zeit einen Brief an ihren Freund Karl schreiben. Ihre Freundin Susi will Sie daran erinnern und fragt Sie, ob Sie dem Freund schon geschrieben haben: Host eam/iam/ihm jetzt/iatz scho gschriem, im/am/dem Koarl? Host’n jetzt/iatz scho gschriem, im/am/dem Koarl? Sonst: b. Auch Ihre Tante Lilli will Sie erinnern und fragt, ob Sie den Brief schon geschrieben haben: In/an/den Briaf, host eam scho gschriem? In/an/den Briaf, host’n scho gschriem? Sonst: c. Sie suchen ihre Taschenlampe. Sie überlegen und sagen laut: I hob’s doch gestan erst gsehn/gseng. I hob ihr(a) doch gestan gsehn/gseng. Sonst: d. Sie erinnern sich gerne an Ihre beste Freundin aus Kindertagen. Sie erzählen von ihr und sagen: Jo, i hob ihr(a) scho gern ghobt. Jo, i hob’s scho gern ghobt. Sonst:

210

Appendix

C.2. a. Ihr Bruder ist gerade mit seiner Ausbildung fertig. Auf einer Familienfeier fragt Sie Ihre Mutter, ob Ihr Bruder schon weiß, wer Onkel Albert ist, da Onkel Albert ihm vielleicht einen Job vermitteln kann. Sie antworten genervt: (eam ist wieder ersetzbar durch iam ihm) oder Jo, eam hob i eam scho zoagt. Jo, den hob i eam scho zoagt. Jo, eam hob i den scho zoagt. Jo, eam hob i dem scho zoagt. Jo, dem i hob i eam scho zoagt. Jo, i hob’n eam scho zoagt. Sonst: b. Natürlich will Ihre Mutter, dass sich Onkel Albert amüsiert. Da der Onkel Autos liebt, will Sie von Ihnen wissen, ob Sie dem Onkel schon Ihren neuen Mercedes gezeigt haben. Das haben Sie. Ihre Mutter fragt, ob Ihr Onkel wohl auch schon den neuen Audi Ihrer Schwester gesehen hat. Sie antworten genervt: (eam ist wieder ersetzbar durch iam ihm) oder Jo, eam hob i eam scho zoagt. Jo, den hob i eam scho zoagt. Jo, eam hob i den scho zoagt. Jo, eam hob i dem scho zoagt. Jo, dem i hob i eam scho zoagt. Jo, i hob’n eam scho zoagt. Sonst: Block D D.1. Welchen der beiden Sätze würden Sie in Ihrem Dialekt verwenden, um zu sagen, dass Sie heute nicht so gut gehen können? Wenn Sie beide Sätze nicht sagen können, kreuzen Sie bitte ‚nein‘ an und überspringen Sie Block D. A B

i geh mi heit(e) so schwa. i geh ma heit(e) so schwa. nein

Wenn Sie sich für Satz A entschieden haben, beachten Sie unten bitte nur die Sätze unter A. Haben Sie sich für Satz B entschieden, bewerten Sie bitte nur die Sätze unter B. Beurteilen Sie nun, wie gewöhnlich (1) oder ungewöhnlich (4) die folgenden Sätze in Ihrem Dialekt sind. Sie haben auch die Möglichkeit, am Ende noch zusätzliche Informationen/Anmerkungen zu den Beispielen usw. anzugeben. D.2. A a.

seit i’s mitn Kreiz hob, heb i mi in/an/den Koffer so schwa

B seit i’s mitn Kreiz hob, heb i ma in/an/den Koffer so schwa

ungewöhnlich

gewöhnlich

1

2

3

4

211

Appendix b.

i lies mi scho so schwa

i lies ma scho so schwa

1

2

3

4

c.

i koch mi so schwa mit dem neigen Herd.

i koch ma so schwa mit dem neigen Herd.

1

2

3

4

d.

i lauf/laf mi so leicht heit(e)

i lauf/laf ma so leicht heit(e)

1

2

3

4

e.

i hear mi so schwaa in letzter Zeit

i hear ma so schwaa in letzter Zeit

1

2

3

4

f.

i iss mi so schwa mit da Zahnspong

i iss ma so schwa mit da Zahnspong

1

2

3

4

g.

seit i nimma/neama rach/rauch schnauf i mi wieder leichta

seit i nimma/neama rach/rauch schnauf i ma wieder leichta

1

2

3

4

i trog mi in/an/den Rucksock heit so schwa

i trog ma in/an/den Rucksock heit so schwa

1

2

3

4

gestern bin i mi auf amol/amoi wieder so leicht ganga(n)

gestern bin i ma auf amol/amoi wieder so leicht ganga(n)

1

2

3

4

j.

ea geht eam so schwa

ea geht eam so schwa

1

2

3

4

k.

ea geht si so schwaa

ea geht si so schwaa

1

2

3

4

l.

ea red si immer so leicht

ea red si immer so leicht

1

2

3

4

ea red eam immer so leicht

ea red si immer so leicht

1

2

3

4

seit i’s mitn Kreiz hob, heb i mi so schwa

seit i’s mitn Kreiz hob, heb i ma so schwa

1

2

3

4

h.

i.

m. n.

Anmerkungen:

Block E Beurteilen Sie, wie gewöhnlich (1) oder ungewöhnlich (4) die folgenden Sätze in Ihrem Dialekt sind. Sie haben auch die Möglichkeit, zu den einzelnen Satzgruppen noch zusätzliche Informationen/Anmerkungen zu den Beispielen usw. anzugeben. gewöhnlich 1.a. b.

ungewöhnlich

ea hot si seim Hund a riesige Hittn baut

1

2

3

4

ea hot si fia/füa sein Hund a riesige Hittn baut

1

2

3

4

ea hot si seim Haus an Zaun baut

1

2

3

4

ea hot si füa/fia sei Haus an Zaun baut

1

2

3

4

Anmerkungen: 2.a. b.

212

Appendix Anmerkungen:

3.a

i hob ma durt(n) a wos gsehn(g)

1

2

3

4

b.

i hob ma’n a gsehng, den Pullover

1

2

3

4

c.

i hob mia’n a gsehng, den Pullover

1

2

3

4

d.

MIA hob i’n a gsehng den Pullover

1

2

3

4

do hot a si nix dabei denkt/(ge)docht

1

2

3

4

b.

do hot a eam nix dabei denkt/(ge)docht

1

2

3

4

c.

do hot a eam söba nix dabei denkt/(ge)docht

1

2

3

4

Anmerkungen: 4.a.

Anmerkungen: 5.a.

i hob ma a nix denkt/(ge)docht dabei

1

2

3

4

b.

i hob mia a nix denkt/(ge)docht dabei

1

2

3

4

c.

MIA hob i a nix denkt/(ge)docht dabei

1

2

3

4

Anmerkungen: 6.a.

i hob ma de Blusn erst vor ana Wochn (ge)kahft/kauft

1

2

3

4

b.

i hob mia de Blusn erst vor ana Wochn (ge)kahft/kauft

1

2

3

4

c.

MIA hob i de Blusn erst vor ana Wochn (ge)kahft/kauft, da Rosi hob i’s scho letztn Monat gschenkt

1

2

3

4

Anmerkungen: 7.a.

i steh ma’s ned so auf Schweinsbrotn

1

2

3

4

b.

i steh ma ned so auf Schweinsbrotn

1

2

3

4

c.

MIA steh i’s ned so auf Schweinsbrotn

1

2

3

4

d.

MIA steh i ned so auf Schweinsbrotn

1

2

3

4

e.

i steh mia’s ned so auf Vanilleeis

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i steh mia ned so auf Vanilleeis

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Anmerkungen:

Die auffälligsten Unterschiede zwischen Dialekten und ihren Standardsprachen betreffen die lautliche Ebene (Phonologie) und die des Wortschatzes (Lexikon). Entsprechend stellen diese Bereiche traditionell auch die Hauptforschungsgebiete der Dialektologie dar. Erst in jüngerer Zeit mehren sich Untersuchungen, die sich dialektalen Besonderheiten in den Bereichen Formenbildung (Morphologie) und Satzbau (Syntax) widmen. In diese relativ junge Forschungsrichtung der Dialektsyntax ordnet sich auch die Publikation Form und Funktion der Reflexiva in österreichischen Varietäten des Bairischen ein. „Wir

ISBN 978-3-515-11002-0

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haben sich ein Auto gestohlen“ ist im Wienerischen zumindest kein grammatikalisches Vergehen; im Kärntnerischen kann Anton „ihm“ eine Freude machen, wenn er sich selbst beschenkt; und im gesamten bairischen Sprachraum kann man „sich schon einmal schwer gehen“, wenn der Rücken schmerzt. Solche und verwandte Konstruktionen des Bairischen werden erstmals einer genauen Analyse unterzogen. Diese Untersuchung setzt unter anderem syntaxtheoretische, typologische und dialektologische Ansätze zueinander in Bezug.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag