Rechtfertigender Notstand bei internen Interessenkollisionen [1 ed.] 9783428540754, 9783428140756

Der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB wird bislang überwiegend auch dazu herangezogen, um Eingriffe in Rechtsgüter

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German Pages 218 Year 2013

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Rechtfertigender Notstand bei internen Interessenkollisionen [1 ed.]
 9783428540754, 9783428140756

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 240

Rechtfertigender Notstand bei internen Interessenkollisionen Von

Jörg L. Schmitz

Duncker & Humblot · Berlin

JÖRG L. SCHMITZ

Rechtfertigender Notstand bei internen Interessenkollisionen

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 240

Rechtfertigender Notstand bei internen Interessenkollisionen

Von

Jörg L. Schmitz

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Karsten Altenhain, Düsseldorf Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahre 2012 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 61 Alle Rechte vorbehalten © 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-14075-6 (Print) ISBN 978-3-428-54075-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84075-5 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Sanni

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Juni 2012 der Juristischen Fakultät der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf als Dissertation vorgelegt. Sie befindet sich auf dem Stand von Februar 2013. Mein herzlichster Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Karsten Altenhain für die Betreuung dieser Arbeit und für die ebenso lehrreiche wie angenehme Zeit, die ich als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl verbringen durfte. Herrn Prof. Dr. Helmut Frister danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Friedrich-Christian Schroeder und Herrn Prof. Dr. Andreas Hoyer danke ich für die Aufnahme in die Schriftenreihe „Strafrechtliche Abhandlungen“. Weiterer Dank gehört allen Mitarbeitern des Lehrstuhls, die mich auf meinem Weg begleitet haben. Sie alle haben durch fachliche Diskussionsbereitschaft, menschliche Fürsorge und ausgiebigen Humor den Erfolg dieser Arbeit erst ermöglicht. Darüber hinaus danke ich meinen Eltern Monika und Wolfgang Schmitz für den von ihnen stets gewährten Rückhalt. Größter Dank gebührt schließlich meiner Lebensgefährtin Gianna Bodden nicht zuletzt für das Korrekturlesen des Manuskripts und doch vor allem dafür, dass sie jeden Tag für mich da war. Düsseldorf, im Februar 2013

Jörg L. Schmitz

Inhaltsverzeichnis A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Die interne Interessenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 II. Relevante Fallgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Dauerhafte oder vorübergehende Einwilligungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Handeln gegen den Willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Rechtliche Unmöglichkeit einer Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Überblick über die grundlegend vertretenen Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 IV. Die relevante Historie des rechtfertigenden Notstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 V. Gang der weiteren Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Die Beschränkung der Notstandssituation auf die Interessen einer Person . . . . . 39 I. Die Notstandsfähigkeit von Allgemeinrechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II. Der Schutz von Allgemeinrechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Die Beeinträchtigung von Allgemeinrechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 IV. Der Schutz von Individualrechtsgütern Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 V. Die Beeinträchtigung von Individualrechtsgütern Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 C. Die Voraussetzungen des § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Die Notstandsfähigkeit eines preisgegebenen Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 II. Das Vorliegen einer Interessenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Vorliegen eines geschützten Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Vorliegen eines beeinträchtigten Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 III. Das Überwiegen des Rechtsguts Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

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Inhaltsverzeichnis IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

D. Das Verhältnis des rechtfertigenden Notstands zu Einwilligung und mutmaßlicher Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 I. Die Rechtsnatur der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Die Rechtsnatur der mutmaßlichen Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. Die Grenzen der mutmaßlichen Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Fehlende Anhaltspunkte zur Bestimmung individueller Präferenzen . . . . . . . 85 2. Konstitutionelle Einwilligungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 IV. Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Kongruente Ergebnisse durch Berücksichtigung der Autonomie innerhalb der Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Grundsatz der parallelen Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Kumulation und Kollision von Rechtfertigungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Das logische Verhältnis der Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 5. Konkurrenz interferierender Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 V. Verfassungsmäßigkeit teleologischer Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Argumentation für die Geltung des Analogieverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Argumentation gegen die Geltung des Analogieverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4. Grenze des Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität des rechtfertigenden Notstands bei internen Interessenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Ausrichtung und Wortlaut des § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Das Rechtfertigungsprinzip der Einwilligung: Das Selbstbestimmungsrecht . . . 125 1. Gefahr des Übergehens autonomer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Rechtfertigender Notstand jenseits der Grenzen des Selbstbestimmungsrechts 130 3. Wahrung des Selbstbestimmungsrechts durch den rechtfertigenden Notstand 133 4. Dysfunktionalität des Wesentlichkeitserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Inhaltsverzeichnis

11

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Ausgangspunkte der Diskussion bei Kant und Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Zwecktheorie und Güterabwägungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Theorie des überwiegenden Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4. Utilitaristische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Anwendungsbezogene Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Kritik an der Figur des Gemeinnutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 c) Individualistische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 5. Solidaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Die verschiedenen Begründungsentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Die Diskussion über das Solidaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Kritik und eigener Ansatz bei Haas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 d) Kritik bei Pawlik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 e) Eigener Ansatz bei Pawlik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 f) Der rechtfertigende Notstand als Surrogat der Einwilligung . . . . . . . . . . . 172 IV. Auswirkungen des Solidaritätsprinzips auf die Beurteilung interner Interessenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 V. Materielle Subsidiarität des rechtfertigenden Notstands gegenüber Einwilligung und mutmaßlicher Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 F. Lösungen für die relevanten Fallgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Rechtfertigung bei dauerhafter oder vorübergehender Einwilligungsunfähigkeit 183 II. Keine Rechtfertigung bei möglicher Unbeachtlichkeit eines entgegenstehenden Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 III. Keine Rechtfertigung bei rechtlicher Unmöglichkeit einer Einwilligung . . . . . . 186 1. Möglichkeit der Einwilligung in eine Fremdtötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Möglichkeit der Einwilligung in eine Lebensgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . 193 G. Ergebnisse der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Abkürzungsverzeichnis a.F. BGBl. BGHSt BT-Drucks. BtPrax BVerfGE DNotZ DÖV FamFR FamRZ FPR GA JA JR Jura JuS JZ MDR MedR n.F. NJW NotBZ NStZ NStZ-RR StV ZfL ZIS ZJS ZRP ZStW

alte Fassung Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundestagsdrucksache Betreuungsrechtliche Praxis Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Deutsche Notar-Zeitschrift Zeitschrift für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft Familienrecht und Familienverfahrensrecht Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Familie Partnerschaft Recht Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung JuristenZeitung Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungsreport Strafverteidiger Zeitschrift für Lebensrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

A. Problemstellung Der rechtfertigende Notstand gemäß § 34 StGB wurde durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 19691, welches am 1. Juli 1975 in Kraft trat, wie folgt gefasst: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“

Mit diesem Wortlaut stellt § 34 StGB den weitreichendsten kodifizierten Rechtfertigungstatbestand des Strafrechts dar.2 Zugleich handelt es sich auf Grund der verwendeten auslegungsbedürftigen Begriffe3 und vor allem der im Mittelpunkt stehenden Interessenabwägung, deren genaue Ausgestaltung vom Gesetz nur angedeutet wird4, um eine der in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft am facettenreichsten diskutierten Normen des Strafrechts. Diese Arbeit soll auf der einen Seite einen spezifischen Teil dieser Diskussion aufgreifen, analysieren und dem korrekten Ergebnis näherbringen und auf der anderen Seite dadurch einen Beitrag zum angemessenen Gesamtverständnis dieser Norm leisten. Der BGH stellte in seinem viel beachteten5 Urteil zur gerechtfertigten Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch vom 25. Juni 2010 folgendes fest: „Auch eine Rechtfertigung aus dem Gesichtspunkt des Notstands gem. § 34 StGB scheidet, wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend gesehen hat, vorliegend schon deshalb aus, weil sich der Eingriff des Angeklagten hier gegen das höchstrangige Rechtsgut (Leben) derje-

1

BGBl. I, 717. Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 46: „Grundfigur“; Roxin, AT I, § 14 Rn. 43. 3 Vgl. Kühl, AT, § 8 Rn. 1: „nicht gerade präzis formulierten“; Küper, JZ 2005, 105: „vage Norm“; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 4: „Unschärfe“. 4 Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 65; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 22. 5 Man beachte nur die Anmerkungen und Besprechungen von Albrecht, DNotZ 2011, 40; Bergmann/Wever, MedR 2010, 635; Doering-Striening, FamFR 2010, 341; Dölling, ZIS 2011, 345; Eidam, GA 2011, 232; Engländer, JZ 2011, 513; Gaede, NJW 2010, 2925; Joerden, in: FS Roxin 2011, S. 593; Kubiciel, ZJS 2010, 656; Lipp, FamRZ 2010, 1555; Mandla, NStZ 2010, 698; Rieger, NotBZ 2010, 457; Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544; Rosenau, in: FS Rissing-van Saan, S. 547; Verrel, NStZ 2010, 671; Walter, ZIS 2011, 76; Wolfslast/Weinrich, StV 2011, 286. 2

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A. Problemstellung nigen Person richtete, welcher die gegenwärtige Gefahr (für die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Selbstbestimmungsrechts) im Sinne von § 34 StGB drohte“.6

Dieser Aussage wird teilweise lediglich entnommen, dass der BGH – wie schon zuvor7 – eine Rechtfertigung nach § 34 StGB allein deshalb ablehne, weil das im konkreten Kontext beeinträchtigte Rechtsgut Leben im Rahmen der Interessenabwägung von keinem anderen Interesse wesentlich überwogen werden könne.8 In diesem Fall wäre der angeschlossene Relativsatz jedoch gänzlich überflüssig. Dieser stellt allerdings klar, dass die Anwendung des rechtfertigenden Notstands hier „schon deshalb“ ausscheiden soll, weil sich der Eingriff gegen den Gefährdeten selbst richtet. Damit geht der zweite Strafsenat in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung9 davon aus, dass der rechtfertigende Notstand gemäß § 34 StGB nicht anwendbar ist, sobald der Notstandstäter zur Abwehr der drohenden Gefahr in Rechtsgüter desjenigen eingreift, zu dessen Gunsten die Notstandstat erfolgen soll, und schließt sich somit der in der Literatur entwickelten Differenzthese10 an. Nach dieser muss das im Zuge der Notstandshandlung geschützte Interesse zwingend einem anderen Rechtsgutsträger zustehen als das demgegenüber beeinträchtigte Interesse. Sogenannte interne oder intrapersonale Interessenkollisionen sollen demgegenüber nicht in den Anwendungsbereich des rechtfertigenden Notstands fallen.11 Ob dies zutrifft, soll Thema dieser Arbeit sein.

I. Die interne Interessenkollision Die Rechtfertigungssituation des Notstands wird zumeist definiert als Zustand gegenwärtiger Gefahr für ein berechtigtes Interesse, der nur durch die Aufopferung eines anderen berechtigten Interesses abgewendet werden kann.12 In den typischen Anwendungsfällen des § 34 StGB liegt eine solche Sachlage vor, indem der Täter zur 6

BGH Urteil v. 25.06.2010 – 2 StR 454/09, Rn. 20; abgedruckt unter anderem in BGHSt 55, 191; NJW 2010, 2963; NStZ 2010, 630; FamRZ 2010, 1551; JZ 2011, 532. 7 BGH NStZ 2001, 324, 326. 8 So die Deutung von Engländer, JZ 2011, 513, 515 u. 517. 9 BGH JZ 1973, 173 f.; BGH NStZ 1997, 182, 184; AG Nordenham MedR 2008, 225. 10 Diese Terminologie findet sich bei Bottke, Suizid, S. 87, und Kühl, AT, § 8 Rn. 34 Fn. 47; ähnlich Bottke, GA 1982, 346, 356: „Differenzgebot“. 11 Engländer, GA 2010, 15, 25; Frister, GA 1988, 291; v. Hippel, in: FG RG V, S. 1, 2; Kindhäuser, AT, § 17 Rn. 33; Knauf, Einwilligung, S. 89; Pawlik, Notstand, S. 103 Fn. 140; Renzikowski, Notstand, S. 65. 12 Diese Kernaussage ist allen gängigen Definitionsversuchen gemein, vgl. Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 1; Jescheck/Weigend, AT, S. 353; Kindhäuser, AT, § 17 Rn. 1; Kindhäuser, LPK-StGB, § 34 Rn. 1; Kühl, AT, § 8 Rn. 17; Küper, JuS 1987, 81; Lenckner, Notstand, S. 7; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 67; Lugert, Notstand, S. 27; Maurach/Zipf, AT I, § 27 Rn. 1, 13; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 46; Rengier, AT, § 19 Rn. 1; Wessels/Beulke, AT, Rn. 291; ähnlich bereits Berner, Lehrbuch, § 85, und v. Liszt, Lehrbuch, § 34 II.

I. Die interne Interessenkollision

17

Abwehr einer Gefahr in ein Rechtsgut eingreift, welches einem anderen Rechtsgutsträger zusteht als das demgegenüber geschützte Rechtsgut. Es wird also zu Gunsten des Interesses einer Person in ein Interesse einer anderen Person eingegriffen. Wenn beispielsweise A den schwerverletzten und bewusstlosen B in der heißen Sonne liegend auffindet und ihn zu dessen Schutz in das Haus des C bringt, ohne über die Zustimmung des C zu verfügen,13 so handelt er zu Gunsten des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit des B und greift dazu in das Hausrecht des C ein. Eine Strafbarkeit nach § 123 StGB würde hier jedoch durch § 34 StGB ausgeschlossen, da A zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr14 eine erforderliche15 Handlung vornimmt und dabei das geschützte Interesse in Form von Leib und Leben des B das beeinträchtigte Interesse des Hausrechts des C wesentlich überwiegt16. Denkbar sind aber auch Fälle, in denen das Interesse einer Person beeinträchtigt wird, um ein anderes Interesse eben dieser Person zu schützen. Wenn zum Beispiel A in Abwesenheit des C dessen Haus betritt, um während eines heftigen Unwetters ein offenstehendes Dachfenster zu schließen,17 wird das Hausrecht des C verletzt und dadurch auf der anderen Seite das Eigentum des C vor Schaden bewahrt. Es wird also ein Interesse des C zu Gunsten eines anderen Interesses des C geopfert. Die eingangs genannte Definition schließt solche Konstellationen somit grundsätzlich mit ein. Zwar wird in einigen Formulierungen darauf verwiesen, dass das Interesse eines anderen18 oder ein fremdes Interesse19 betroffen sein müsste. Dies meint jedoch nicht, dass der Träger des Erhaltungsguts, zu dessen Gunsten gehandelt wird, und der Träger des Eingriffsguts20, dessen Rechte verletzt werden, verschiedene Personen sein müssen, sondern ist aus Sicht des Eingreifenden zu betrachten. Eine Not13

Beispielsfall angelehnt an Heinrich, AT, Rn. 407. Eine gegenwärtige Gefahr liegt vor, wenn bei natürlicher Weiterentwicklung der Dinge der Eintritt eines Schadens sicher oder höchstwahrscheinlich ist, wenn nicht alsbald Abwehrmaßnamen ergriffen werden. BGH NJW 1979, 2053, 2054; BGH NStZ 1988, 554; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 39, 56; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 12, 17; Rengier, AT, § 19 Rn. 12; Wessels/Beulke, AT, Rn. 303; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 26, 36; ähnlich BGHSt 5, 371, 373. 15 Erforderlich ist die Tat, wenn sie zur Abwendung der Gefahr geeignet ist und unter mehreren gleichermaßen geeigneten das mildeste Mittel darstellt. OLG Hamm NJW 1976, 721, 722; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 93; Frister, AT, Kap. 17 Rn. 7; Küper, JZ 1976, 515, 516; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 18; Wessels/Beulke, AT, Rn. 308. 16 Grundsatz der Interessenabwägung; Jescheck/Weigend, AT, S. 362; Lenckner, Notstand, S. 123; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 68; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 22; Roxin, AT I, § 16 Rn. 26. 17 Beispielsfall angelehnt an Rengier, AT, § 23 Rn. 52; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 32. 18 Jescheck/Weigend, AT, S. 353; Küper, JuS 1987, 81; Lenckner, Notstand, S. 7; Maurach/ Zipf, AT I, § 27 Rn. 1. 19 Kühl, AT, § 8 Rn. 17; Wessels/Beulke, AT, Rn. 291. 20 Vgl. zu dieser Terminologie Küper, JZ 1976, 515, 516; Küper, JuS 1987, 81, 82; Rengier, AT, § 19 Rn. 26. 14

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A. Problemstellung

standstat kann nämlich nicht vorliegen, wenn der Handelnde ausschließlich eigene Rechtsgüter zur Rettung opfert, wenn also beispielsweise A den verletzten B lediglich in sein eigenes Haus bringt. Ein solches Verhalten ist schon nicht geeignet, den Tatbestand eines Delikts zu verwirklichen21, und bedarf daher auch keiner Rechtfertigung.22 Ein fremdes Interesse ist somit im hiesigen Kontext jedes, welches nicht eines des Täters ist. Im Ergebnis wird folglich durch die gängige Definition des Notstands nicht ausgeschlossen, dass beide betroffenen Interessen derselben Person zustehen können. Auch der Wortlaut des § 34 StGB scheint Fälle der Identität von geschütztem und beeinträchtigtem Rechtsgutsträger nicht aus dem Anwendungsbereich des rechtfertigenden Notstands auszuschließen. Er verlangt jedenfalls nicht ausdrücklich, dass sich die Tat gegen einen anderen richtet als den, von dem die Gefahr abgewendet wird.23 Vorstellbar sind schließlich auch Sachverhalte, in denen nur ein einzelnes Rechtsgut einer Person berührt wird. Dies sind Konstellationen, bei denen in ein Gut eingegriffen wird, um ebendieses vor einem aus anderer Quelle drohenden Schaden zu bewahren. Hier könnte man am Eingreifen des § 34 StGB zweifeln, weil dessen Wortlaut von der Abwägung der „widerstreitenden Interessen“ und der „betroffenen Rechtsgüter“ spricht und somit durch die Verwendung des Plurals einen Konflikt zwischen mindestens zwei verschiedenen Rechtsgütern verlangen könnte.24 Diese Formulierung mag dafür sprechen, dass die Vorschrift auf Kollisionen unterschiedlicher Interessen ausgerichtet wurde, begrifflich kann man aber auch in diesen Fällen ein Interesse an der Abwendung der Gefahr und ein Interesse am Unterbleiben des Eingriffs gegenüberstellen und annehmen, dass letzteres zu Gunsten des ersteren geopfert wird. Die Bejahung einer Notstandssituation ist somit im Rahmen der oben genannten Definition und des Wortlauts des § 34 StGB auch hier zumindest denkbar. Betrachtet man nun aber einen einfachen Sachverhalt, welcher der zuletzt dargestellten Kollisionssituation entspricht, so erscheint dies zweifelhaft. Nimmt ein Arzt mit Zustimmung des Patienten einen minimalinvasiven Eingriff vor, um so den drohenden Verlust eines Beines abzuwenden, so wird das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit sowohl durch den Heileingriff beeinträchtigt25 als auch durch selbige 21 Wird wie bei § 109 StGB die Selbstverletzung unter Strafe gestellt, so geschieht dies, weil dadurch in der konkreten Situation nicht nur eigene Rechtsgüter verletzt werden, sondern auch solche der Allgemeinheit. Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 109 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 109 Rn. 1; Müller, in: MK-StGB, § 109 Rn. 1; Niestroj, Selbsttötung, S. 33. 22 Bottke, Suizid, S. 89; Kindhäuser, LPK-StGB, § 34 Rn. 3; Kindhäuser, AT, § 17 Rn. 6. 23 Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 9; Hruschka, Strafrecht, S. 176; Knauf, Einwilligung, S. 83; Kühl, AT, § 8 Rn. 34; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 54; Trück, Einwilligung, S. 88 f. 24 So Spendel, JZ 1973, 137, 141. Vgl. dazu auch Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 59, der diese Fälle daher nur mittels eines Schlusses a maiore ad minus in den Anwendungsbereich des § 34 StGB einbeziehen will; dem folgend Boll, Kompetenzüberschreitungen, S. 114. 25 Da der Fall nur exemplarischen Charakter haben soll, wird an dieser Stelle nicht explizit auf die verbreitete Literaturmeinung eingegangen, nach der ein nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführter Heileingriff bereits nicht den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB erfüllt.

II. Relevante Fallgestaltungen

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Handlung geschützt. Beide Positionen stehen demselben Rechtsgutsträger, nämlich dem Patienten zu und im vorherigen Krankheitszustand bestand für diesen auch eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 34 StGB. Objektiv betrachtet überwiegt nun das Interesse am Erhalt des Beines das Interesse an der Vermeidung des nicht gravierenden Eingriffs wesentlich, wie in § 34 S. 1 StGB gefordert. Dennoch wird allgemein die Rechtfertigung des Arztes in diesem Fall nach den Regeln der Einwilligung beurteilt werden. Fehlt es an einer solchen, so werden die Rechtsfiguren der mutmaßlichen Einwilligung oder der umstrittenen26 hypothetischen Einwilligung herangezogen. Lehnt der Patient hingegen die Behandlung auf Grundlage einer selbstbestimmten Willensentscheidung ab, so soll eine Rechtfertigung des Arztes zwingend ausscheiden.27 Ähnlich sieht es im zuvor beschriebenen Unwetter-Fall aus: Die Befugnis des A, das Haus des C zu betreten, um das Fenster zu schließen, soll allein vom tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des C abhängen.28 Erkennt A hingegen korrekt, dass C sein Zutritt auch angesichts der drohenden Gefahr unerwünscht ist, so ist er gemäß § 123 StGB zu bestrafen, obwohl auf den ersten Blick weiterhin alle Voraussetzungen des § 34 StGB erfüllt sind. Dass also der Wirkungsradius des rechtfertigenden Notstands in Fällen, in denen das beeinträchtigte Rechtsgut derselben Person zusteht wie das geschützte Rechtsgut, zumindest im Ergebnis und im Verhältnis zur Einwilligung einzuschränken ist, entspricht der gängigen Rechtsanwendung. Fraglich bleibt jedoch, auf welchem Weg dies geschehen soll. Denkbar ist es etwa, entsprechende Einschränkungen im Zuge der Auslegung der Voraussetzungen des § 34 StGB einzuführen oder hier von der Unanwendbarkeit dieses Rechtfertigungstatbestands auszugehen oder gerechte Ergebnisse durch die nähere Bestimmung des Konkurrenzverhältnisses zur tatsächlichen und mutmaßlichen Einwilligung herzustellen. Diese Fragen sollen im Zuge der vorliegenden Arbeit beantwortet werden.

II. Relevante Fallgestaltungen Richtet sich der Eingriff des Notstandstäters gegen den Gefährdeten selbst, um diesen vor einer gegenwärtigen Gefahr zu schützen, so wird es in den meisten Fällen so sein, dass der Betroffene im eigenen Interesse mit der Vornahme der Tathandlung Vgl. dazu eingehend Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 27 ff.; Fischer, StGB, § 223 Rn. 16 ff.; Hardwig, GA 1965, 161; Joecks, in: MK-StGB, § 223 Rn. 42 ff. jeweils m.w.N. 26 Vgl. zur Problematik BGH NStZ 1996, 34, 35; BGH NStZ-RR 2004, 16, 17; BGH NStZRR 2007, 340, 341; zustimmend Roxin, AT I, § 13 Rn. 119 ff.; ablehnend Frister, AT, Kap. 15 Rn. 33; Puppe, GA 2003, 764, 772 jeweils m.w.N. 27 Bockelmann, NJW 1961, 945, 950; Bottke, Suizid, S. 90 f.; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 35; Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 34; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 8a; Merkel, Früheuthanasie, S. 163 u. 322; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 14; Rengier, AT, § 23 Rn. 5; Roxin, AT I, § 16 Rn. 101. 28 Rengier, AT, § 23 Rn. 52; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 32.

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A. Problemstellung

einverstanden ist, da sie ihm schließlich zu Gute kommt. Ist demnach festzustellen, dass die betroffene Person das beeinträchtigte Rechtsgut bereits eigenverantwortlich und in zulässiger Weise selbst preisgegeben hat, so entfällt schon aus diesem Grund das Unrecht der Tat29, sodass im Ergebnis unerheblich bleibt, ob dies auch nach den Regeln des § 34 StGB geschehen wäre. Denn wenn an der Seite des § 34 StGB ein anderer Rechtfertigungsgrund die Rechtswidrigkeit der tatbestandlichen Handlung entfallen lässt, spielt die Festlegung darauf, ob darüber hinaus auch der rechtfertigende Notstand eingreift, für die Beurteilung der Strafbarkeit grundsätzlich30 keine Rolle mehr.31 Dies kann im hier maßgeblichen Spannungsfeld, in dem nur die Interessen einer Person betroffen sind, vor allem durch die Einwilligung oder mutmaßliche Einwilligung geschehen.32 Für die rechtswissenschaftliche Diskussion und auch die hiesige Betrachtung sind daher die Fälle von wesentlicher Bedeutung, in denen das Vorliegen der Rechtswidrigkeit mit der Anwendung des rechtfertigenden Notstands steht und fällt, weil andere Rechtfertigungsgründe nicht eingreifen. Die im Folgenden geschilderten Fallkonstellationen zeichnen sich daher durch ihre spezifische Beziehung zum Rechtfertigungsgrund der Einwilligung beziehungsweise der mutmaßlichen Einwilligung aus. Auf dieser Grundlage lassen sie sich in drei Gruppen einteilen, die zum Ausdruck bringen, warum ein Eingreifen des rechtfertigenden Notstands in Erwägung gezogen werden muss und die Kriterien der Einwilligung keine hinreichende Lösung zu gewähren scheinen. 1. Dauerhafte oder vorübergehende Einwilligungsunfähigkeit Die vielfach behandelte Fallkonstellation der Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen wird zumeist anhand eines klassischen Lehrbuchfalls33 erörtert, mit dessen Problematik sich auch der BGH bereits auseinandersetzen musste: Ein Feuerwehrmann findet im Obergeschoss eines brennenden Hauses ein Kleinkind, welches auf sicherem Wege nicht mehr gerettet werden kann. Die einzig verbleibende Rettungsmöglichkeit besteht darin, das Kind aus dem Fenster hinaus in die Arme eines anderen Retters zu werfen. Dabei besteht jedoch das Risiko, dass sich das Kind in Folge des Wurfes schwerste Verletzungen zuzieht. Bei einem weiteren Verbleib im Haus steht jedoch der sichere Tod bevor. Wirft der Feuerwehrmann nun das Kind hinunter, so schafft er eine erhebliche Gefahr für die körperliche Unversehrtheit des 29

Kühl, AT, § 9 Rn. 23; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 33; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 156. 30 Siehe zum Grundsatz der parallelen Anwendbarkeit von Rechtfertigungsgründen unten D. IV. 2. 31 Momsen, in: BeckOK-StGB, § 34 Rn. 12.1; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 6; Rengier, AT, § 23 Rn. 5. 32 Vgl. Frister, AT, Kap. 17 Rn. 9 Fn. 11; Kindhäuser, AT, § 17 Rn. 3. 33 Ursprünglich wohl bei Welzel, Strafrecht, S. 91 f.; weiter bei Bockelmann, Strafrecht, S. 70 Fn. 103; Rengier, AT, § 19 Rn. 44; Spendel, JZ 1973, 137, 141; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 106.

II. Relevante Fallgestaltungen

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Kindes und greift schon dadurch in die Rechtsgüter des zu Rettenden ein.34 Auf der anderen Seite handelt er zum Schutz des Lebens desselben Rechtsgutsträgers. Wenn er die Gefährlichkeit des Hinunterwerfens zutreffend erkennt, so weist er damit Eventualvorsatz bezüglich einer entsprechenden Verletzung auf.35 Somit wäre selbst bei erfolgreicher Rettung an eine Strafbarkeit wegen versuchter Körperverletzung zu denken. Im parallel gelagerten Fall des BGH ging es darum, dass ein Vater in ähnlicher Situation das Hinunterwerfen seiner Kinder unterließ und sich nur selbst aus dem Fenster rettete. Hier bejahte die Vorinstanz einen Totschlag durch Unterlassen, welchen die Revision lediglich auf Grund mangelnden Vorsatzes verneinte.36 Eine Erfüllung des objektiven Tatbestands kann beim Unterlassen aber stets nur dann angenommen werden, wenn die vom Täter geforderte Handlung – also hier das Hinunterwerfen der Kinder – nicht von der Rechtsordnung missbilligt wird.37 Der BGH hat die Rechtmäßigkeit einer solchen Handlung bejaht.38 Zu deren Begründung kommt aber jedenfalls keine ausdrückliche Einwilligung des Kleinkindes in Frage, welche in Betracht zu ziehen wäre, wenn sich ein Erwachsener in Anbetracht dieser Gefahr von einem anderen aus dem Fenster heben lassen würde.39 Einem Kind fehlt die hierzu erforderliche Einsichtsfähigkeit40 und auch eine entsprechende Willensäußerung41 ist ihm unmöglich. Es ist somit dauerhaft (konstitutionell) einwilligungsunfähig.42 Bei Menschen, die selbst nicht in der Lage sind eine wirksame Einwilligung zu erteilen, weil ihnen die dazu nötige Einsichtsfähigkeit fehlt oder sie ihren Willen nicht oder nicht mehr äußern können, obliegt die Befugnis, Eingriffe zu erlauben, dem gesetzlichen Vertreter.43 Dies sind bei Kindern 34

Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 44; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 27. Die Tatsache, dass dem Täter der Eintritt des Erfolgs hier höchst unerwünscht ist, steht der Annahme eines dolus eventualis nicht entgegen. BGH NStZ 1987, 362; BGH NStZ 1988, 175; BGH NStZ 2008, 93. 36 BGH JZ 1973, 173 f.; entspricht BGH bei Dallinger, MDR 1971, 361 f.; vgl. Freund, in: MK-StGB, § 13 Rn. 195. 37 Umstritten ist lediglich, ob dies bereits die Handlungsmöglichkeit oder erst die Handlungspflicht ausschließt. Vgl. Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 15 Rn. 18; Roxin, AT II, § 31 Rn. 14; Spendel, JZ 1973, 137, 140; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13 Rn. 18. 38 BGH JZ 1973, 173 f. 39 Zur Möglichkeit der Einwilligung in eine Lebensgefährdung siehe unten F. III. 2.; dagegen Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 59. 40 Vgl. zu dieser Voraussetzung BGH NJW 1959, 811; BGH NStZ 2000, 87, 88; Kühl, AT, § 9 Rn. 33; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 39; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 14 ff.; Roxin, AT I, § 13 Rn. 80 ff. 41 Vgl. zu dieser Voraussetzung BGH NJW 1956, 1106, 1107; BGH NJW 1959, 811; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 43; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 13, 68; Roxin, AT I, § 13 Rn. 71. 42 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 36; Wachenhausen, Versuche, S. 56 ff. 43 BGH NJW 1959, 825; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 41; Roxin, AT I, § 13 Rn. 92 ff. 35

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A. Problemstellung

gemäß §§ 1626, 1629 BGB regelmäßig die Eltern, bei unter Betreuung stehenden Erwachsenen gemäß §§ 1896, 1902 BGB die gesetzlich bestellten Betreuer. Stimmen diese der Verletzung zu, so wirkt diese Einwilligung nicht anders als eine vom Betroffenen persönlich erteilte.44 Probleme treten nun in Fällen auf, in denen der gesetzliche Vertreter nicht erreichbar ist oder ein solcher nicht bestimmt ist oder die zuständige Person die Einwilligung entgegen ihrer Fürsorgepflichten verweigert beziehungsweise pflichtwidrig ganz untätig bleibt. Dann kann jeweils keine stellvertretende Einwilligung angenommen werden. So stellt es sich im aufgeworfenen Hausbrand-Fall dar, in dem das Eintreffen eines Elternteils nicht abgewartet werden kann. Anders sieht es hingegen im angesprochenen Fall des BGH aus: Hier ist das Verhalten des Vaters selbst zu beurteilen. Würde dieser die riskante Rettungshandlung durchführen, so könnte darin zugleich die zumindest konkludente stellvertretende Einwilligung in diese zu sehen sein.45 Dieser Aspekt wurde von der Rechtsprechung allerdings nicht berücksichtigt, welche ausschließlich auf eine objektive Interessenabwägung Bezug nimmt.46 Wenn der gesetzliche Vertreter die Einwilligung entgegen seiner Pflichten nicht erteilt, so sehen die zivilrechtlichen Regelungen als letzte Möglichkeit vor, dass das Vormundschaftsgericht einen neuen Vertreter bestellt oder selbst die Entscheidung trifft, § 1666 BGB.47 Hier ist es in Gefahrensituationen aber gerade typisch, dass eine solche Entscheidung zeitlich nicht abgewartet werden kann.48 Eine so zu Stande gekommene wirksame Einwilligung wird also regelmäßig nicht vorliegen. Zusammengefasst geht es im Rahmen dieser Fallgruppe also um Fälle der Einwilligungsunfähigkeit des Gefährdeten, in denen eine grundsätzlich ausschlaggebende stellvertretende Einwilligung nicht vorliegt und nicht eingeholt werden kann.49 Teilweise wird in diesen Fallkonstellationen angenommen, dass der Täter durch einen gefährlichen aber rettenden Eingriff ein erlaubtes Risiko eingehe. Wer lediglich eine bereits bestehende Gefahr abmildere, dem sei der eintretende Erfolg

44 Dölling, in: HK-GS, § 228 Rn. 5; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 68; Roxin, AT I, § 13 Rn. 92; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 141. 45 Die Berechtigung eines Elternteils, bei Gefahr im Verzug alleinig über die Erteilung der Einwilligung zu entscheiden, folgt aus § 1629 Abs. 1 S. 4 BGB. Vgl. Lenckner/SternbergLieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 41. Auch hier bliebe jedoch zu klären, inwiefern eine Einwilligung in eine Lebensgefährdung möglich ist; siehe dazu unten F. III. 2. 46 BGH JZ 1973, 173 f. 47 Siehe hierfür §§ 1666 Abs. 1, 1909 Abs. 1 BGB; vgl. Hillenkamp, in: FS Küper, S. 123, 142; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 71. 48 AG Nordenham MedR 2008, 225, 226 geht bei der ärztlichen Versorgung eines leicht verletzten Kindes sogar von der nicht rechtzeitigen Erlangung der gerichtlichen Entscheidung trotz richterlichen Notdienstes aus. 49 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 36 f.

II. Relevante Fallgestaltungen

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nicht zuzurechnen.50 Die Erörterung einer möglichen Rechtfertigung gemäß § 34 StGB erübrigt sich unter dieser Prämisse. Nach anderer Ansicht soll an die Stelle der hier nicht vorliegenden Einwilligung eine mutmaßliche Einwilligung treten. Eine solche rechtfertigt das Verhalten des Täters, wenn eine ausdrückliche Einwilligung nicht eingeholt werden kann, die Tat aber dem hypothetischen Willen des Betroffenen entspricht.51 Da jedoch die subjektiven Präferenzen des Gefährdeten auf Grund seines geistigen Zustands hier nicht feststellbar sind, beziehungsweise gar nicht existieren, sollen allein objektive Kriterien zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens herangezogen werden.52 Hiergegen wird eingewandt, dass eine solche Herleitung den Prinzipien der mutmaßlichen Einwilligung widerspreche und eine solche vielmehr ausscheide, wenn kein zu ermittelnder Wille bestünde.53 Die wohl herrschende Meinung will daher § 34 StGB anwenden. Die beeinträchtigten und die geschützten Interessen des Betroffenen seien nach objektiven Maßstäben gegeneinander abzuwägen. Überwiege nach dieser Wertung die geschützte Position wesentlich, so sei der Eingriff gerechtfertigt.54 Im aufgeworfenen Beispiel wäre das Hinunterwerfen des Kindes also legitimiert, weil der Schutz vor dem sicheren Tod schwerer wiegt als die neu geschaffene Gefahr einer Körperverletzung. Parallel zu diesem Ergebnis soll weiterführend nach vereinzelter Ansicht eine Rechtfertigung gemäß § 34 StGB auch schon dann möglich sein, wenn die Einwilligungsfähigkeit des Gefährdeten nicht dauerhaft entfällt, sondern nur vorübergehend nicht besteht, es dem Handelnden aber in der konkreten Situation nicht möglich ist, Rückschlüsse auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu ziehen. Es mache keinen Unterschied, ob entsprechende subjektive Präferenzen gar nicht existierten oder diese für den Täter lediglich nicht ersichtlich seien.55 Hierunter sollen beispielsweise Fälle der Operationserweiterung fallen.56 50 Bockelmann, Strafrecht, S. 70; Spendel, JZ 1973, 137, 141; ablehnend Neumann, in: NKStGB, § 34 Rn. 36; Roxin, AT I, § 11 Rn. 54; Ulsenheimer, JuS 1972, 252, 255 Fn. 26. 51 BGH NJW 1988, 2310; Frister, AT, Kap. 15 Rn. 31 f.; Jakobs, AT, Abschn. 15 Rn. 16 ff.; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 32 Rn. 52 ff.; Renzikowski, Notstand, S. 65. 52 Engländer, GA 2010, 15, 25; Jakobs, Tötung, S. 27. 53 Bockelmann, NJW 1961, 945, 949; Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 563 f.; Merkel, Früheuthanasie, S. 155, 324 – 327; Roxin, AT I, § 18 Rn. 5, einschränkend aber bei Rn. 20; Schmidt, Gutachten 44. DJT, S. 134. 54 BGH JZ 1973, 173; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 36; Hirsch, in: FS Welzel, S. 775, 795 Fn. 66; Lackner/Kühl, StGB, § 34 Rn. 4; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 15; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 8a; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 15; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 106; Ulsenheimer, JuS 1972, 252, 255; Welzel, Strafrecht, S. 91 f.; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 59, 61. 55 Otto, Jura 1999, 434, 435 f.; Otto, Jura 2004, 679, 681 f.; Otto, NJW 2006, 2217, 2219 f. 56 Während eines mit Zustimmung des Patienten vorgenommen Eingriffs wird festgestellt, dass weitere medizinisch ratsame Maßnahmen im Rahmen derselben Operation vorgenommen werden könnten. Diese Erweiterungen sind von der zuvor erteilten Einwilligung, welche sich nur auf den geplanten Eingriff bezog, nicht umfasst. Für eine Anwendung des rechtfertigenden Notstands: Schmidt, Gutachten 44. DJT, S. 87; ablehnend Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 37, der

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A. Problemstellung

Noch darüber hinaus gehen schließlich jene Autoren, welche bei jeder Anwendung der mutmaßlichen Einwilligung die alleinige Spekulation über das vermutlich vom Betroffenen Gewollte als unzureichend erachten. Ohne eine ausdrückliche Selbstverfügung seien nur solche Eingriffe zulässig, die sowohl dem gemutmaßten Willen als auch dem objektiv überwiegenden Interesse des Eingriffsopfers entsprächen. Von daher soll die mutmaßliche Einwilligung nur einen Unterfall des rechtfertigenden Notstands darstellen.57 Ebenfalls dieser Fallgruppe zuzuordnen sind Sachverhalte, bei denen sich die Einwilligungsunfähigkeit nicht daraus ergibt, dass der Betroffene keinen hinreichend substantiierten Willen bilden kann oder nicht in der Lage ist, diesen zu äußern, sondern das Einholen der Einwilligung zwar theoretisch möglich ist, in Anbetracht der Umstände mit Rücksicht auf den Betroffenen jedoch unterbleiben muss. Dies gilt etwa bei Patienten, für die sich erst aus der Aufklärung über ihren Gesundheitszustand Risiken ergeben können. Grundsätzlich hat der Arzt vor einer Heilbehandlung die entsprechende Einwilligung einzuholen, welche wiederum zunächst eine umfassende Aufklärung voraussetzt, mit der dem Betroffenen eine fehlerfreie Willensbildung und Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts ermöglicht wird.58 Beispielsweise bei Erkrankungen an Morbus Basedow kann jedoch durch das Auslösen von Stress eine Überfunktion der Schilddrüse herbeigeführt werden, die schlimmstenfalls das Leben des Patienten bedrohen kann. Eine hinreichende emotionale Belastung kann sich dabei schon aus der Aufklärung über den Gesundheitszustand und über die anstehende Behandlung ergeben.59 Nach ganz überwiegender Auffassung ist daher in diesen Fällen die Aufklärungspflicht des Arztes eingeschränkt oder sie entfällt gänzlich.60 Zumindest in letzterem Fall kann eine wirksame tatsächliche Einwilligung vom Kranken dann allerdings nicht mehr erteilt werden. Die Rechtsprechung und Teile des Schrifttums wollen daher auf die Regeln der mutmaßlichen Einwilligung abstellen, nach denen aufzuklären sei, ob der Patient bei erfolgter Unterrichtung dem ärztlichen Eingriff zugestimmt hätte.61 Die Gegenauffassung verlangt dem widersprechend, nach den Kriterien des rechtfertigen-

jedoch auf die Konvergenz der erzielten Ergebnisse hinweist; Müller-Dietz, JuS 1989, 280, 281; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 15. 57 Bockelmann, NJW 1961, 945, 949; Heidner, Bedeutung, S. 155 ff.; Welzel, Strafrecht, S. 92; Zipf, Einwilligung, S. 52 ff. 58 Fischer, StGB, § 228 Rn. 13; Lackner/Kühl, StGB, § 228 Rn. 14; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 74. 59 Vgl. Bockelmann, Strafrecht, S. 62; Schmidt, Gutachten 44. DJT, S. 136. 60 BGHZ 29, 46, 56 f.; Fischer, StGB, § 228 Rn. 17; Kindhäuser, LPK-StGB, § 228 Rn. 9; weitreichend auch Schmidt, Gutachten 44. DJT, S. 110; a.A. Momsen, in: SSW-StGB, § 223 Rn. 40, mit Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht. 61 BGHZ 29, 176, 185; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 326; Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 42; Hanack, in: Euthanasie, S. 121, 129; Hirsch, in: LK-StGB, § 228 Rn. 25 u. 35; Joecks, in: MK-StGB, § 223 Rn. 94; kritisch Seelmann, Verhältnis, S. 15.

II. Relevante Fallgestaltungen

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den Notstands zu ermitteln, ob das Interesse des Betroffenen an seinem körperlichen Wohl ausnahmsweise dessen Selbstbestimmungsrecht überwiege.62 2. Handeln gegen den Willen Problematisch sind weiterhin Fälle, in denen der Gefährdete sich freiverantwortlich dazu entschieden hat, einem Eingriff nicht zuzustimmen, er also eine Einwilligung verweigert, es dabei aber zweifelhaft erscheint, ob ein Dritter bei seinen Handlungen an diesen Entschluss gebunden ist. Dies kann relevant werden, wenn der Täter einen zur Selbsttötung Entschlossenen an der Durchführung seiner Pläne hindert und dazu in dessen Rechtsgüter eingreift – etwa indem er den zum Absprung bereit Stehenden gewaltsam auf ein Hausdach zurückschubst, wodurch der Tatbestand der Nötigung oder gar Körperverletzung verwirklicht wird, oder indem der Suizident in einem Zimmer eingesperrt wird, sodass tatbestandlich eine Freiheitsberaubung begangen wird.63 Des Weiteren könnte zum Schutz eines Patienten vor sich selbst gegen die ärztliche Schweigepflicht verstoßen werden.64 In diesen Fällen scheitert die Annahme einer Einwilligung in die Rechtsgutsverletzung am offenkundig entgegenstehenden Willen.65 Auch hier soll nach überwiegender Auffassung jedoch § 34 StGB zu Gunsten des Handelnden eingreifen.66 Obwohl die Selbstbestimmung des Betroffenen grund62 Engisch, in: FS Bockelmann, S. 519, 533 f.; Otto, Gutachten 56. DJT, D 33 f.; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 78 ff.; Roxin, AT I, § 13 Rn. 112; Schmidt, Gutachten 44. DJT, S. 112 u. 135 f. 63 Vgl. Wagner, Selbstmord, S. 57, mit Verweis auf die §§ 223, 240 StGB. Hinsichtlich § 240 StGB ist unabhängig von § 34 StGB besonderes Augenmerk auf die Verwerflichkeit der Nötigung zur Suizidverhinderung gemäß § 240 Abs. 2 StGB zu werfen; vgl. Eser/Eisele, in: Schönke/Schröder, § 240 Rn. 32. 64 Möglicher Verstoß gegen § 203 StGB; BGH NJW 1983, 350, 351; BayObLG NJW 1995, 1623. Nicht hierhin gehören hingegen Fälle, in denen ein Strafverteidiger das Anwaltsgeheimnis durchbricht, um seinen Mandanten vor einer fehlerhaften Verurteilung auf Grundlage eines von diesem vorgetragenen falschen Geständnisses zu bewahren. Entgegen der Darstellungen von Cierniak/Pohlit, in: MK-StGB, § 203 Rn. 86, und Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 67, sind hier nicht nur Interessen des Mandanten betroffen, sondern vor allem auch das öffentliche Interesse an einer korrekten Strafverfolgung; so auch Beulke, Verteidiger, S. 120; Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 535 f. 65 Bottke, GA 1982, 346, 356; Frister, AT, Kap. 15 Rn. 7; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 33. 66 BGH NJW 1983, 350, 351; Arzt, in: Arzt/Weber, § 3 Rn. 47; Bockelmann, NJW 1961, 945, 950; Bottke, Suizid, S. 128; Bottke, GA 1982, 346, 357 f.; Cierniak/Pohlit, in: MK-StGB, § 203 Rn. 86; Ebert, JuS 1976, 319, 322 Fn. 32; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 35; Geiger, JZ 1983, 153; Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 61; Hardwig, GA 1965, 161, 168; Heidner, Bedeutung, S. 183 ff.; Kliemann/Fegert, ZRP 2011, 110; Kreuzer, JR 1984, 294, 295; Lackner/ Kühl, StGB, § 34 Rn. 4, § 203 Rn. 25; Lenckner, Notstand, S. 99; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 73; einschränkend Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 33, der nur dann eine Rechtfertigung annehmen will, wenn die Aussicht besteht, dass der Suizident seinen Entschluss zurücknimmt.

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A. Problemstellung

sätzlich maßgeblich sein soll, soll es auch Fälle geben, in denen die Entscheidung des Rechtsgutsträgers für Dritte unbeachtlich sei. Dies seien Konstellationen, in denen der Gefährdete mit der Ablehnung des Eingriffs im Umkehrschluss über sein Rechtsgut Leben verfüge. Dieses Rechtsgut, das zeige § 216 StGB, sei der Verfügungsgewalt des Einzelnen entzogen67, somit sei die letztliche Entscheidung dieses hinzugeben für Dritte nicht verbindlich. In die gebotene Interessenabwägung sei somit nur das Leben als geschütztes Interesse auf der einen Seite und das durch die Verhinderungshandlung beeinträchtigte Gut auf der anderen Seite einzustellen, nicht hingegen die subjektive Interessengewichtung des Betroffenen, womit regelmäßig das Leben als höchstes Schutzgut wesentlich überwiegen wird.68 Der Retter dürfte somit den Eingriff vornehmen, obwohl dem der Wille des Befugten entgegensteht.69 Der Gegenauffassung nach ist § 34 StGB auf Grund der vorliegenden Personenidentität nicht anwendbar, sondern vielmehr die Entscheidung des Betroffenen als Ausdruck der persönlichen Autonomie maßgeblich. Danach scheidet eine Rechtfertigung des Täters aus, welcher somit die freiverantwortliche Entscheidung eines Suizidenten hinnehmen müsste.70 Vergleichbar damit sind Fälle der ärztlichen Zwangsbehandlung: Der Patient lehnt eine Behandlung ab, die nach objektiven Gesichtspunkten und dem Stand der medizinischen Erkenntnisse ratsam wäre. Hier ist dem Behandelnden ein Eingriff in die Rechtsgüter des Patienten nach ganz überwiegender Ansicht zu versagen. Zur Legitimation eines Heileingriffs sei allein auf das Vorliegen einer Einwilligung abzustellen und nicht § 34 StGB heranzuziehen.71 Von dieser Maxime werden jedoch Abweichungen erwogen: Der Patient soll über das Untersagen einer Behandlung nicht befugt werden, entgegen der Wertung des § 216 StGB über sein Leben zu verfügen. In lebensbedrohlichen Situationen soll damit in Einzelfällen ein zwangsweiser Eingriff nach den Regelungen des rechtfertigenden Notstands legitim 67 Kindhäuser, LPK-StGB, § 216 Rn. 2; Neumann, in: NK-StGB, § 216 Rn. 1; Roxin, AT I, § 13 Rn. 37; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 103 ff. 68 Vgl. BGH NJW 2003, 2464, 2466; Fischer, StGB, § 34 Rn. 14; Gropp, JR 1996, 478, 480; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 30; Rengier, NStZ 1984, 21, 22. 69 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 35; Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211 Rn. 33; Hardwig, GA 1965, 161, 168; a.A. im Rahmen des § 203 StGB unter Verweis auf den Vorrang der Autonomie Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 67; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, § 203 Rn. 31, welche die Anwendbarkeit des § 34 StGB jedoch nicht in Abrede stellen. 70 Baltz, Lebenserhaltung, S. 236 f.; Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 9; Engländer, GA 2010, 15, 26; Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 8; Jakobs, AT, Abschn. 15 Rn. 16; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35 f., 84, Vor § 211 Rn. 82; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 1 Rn. 27; Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 75, 93 f. 71 BGHSt 11, 111, 113 f.; Bottke, Suizid, S. 91; Dreier, JZ 2007, 317, 323; Ebert, JuS 1976, 319, 322 Fn. 32; Arthur Kaufmann, ZStW 73 (1961), 341, 368; Müller-Dietz, JuS 1989, 280, 281; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 19, 35a, 84; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 8a, 33; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 15; Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 75, 93; selbst dem Einwilligungsunfähigen wird noch ein möglichst weitreichendes Recht zur Ablehnung ärztlicher Behandlungen eingeräumt, vgl. Böse, in: FS Roxin 2011, S. 523, 527.

II. Relevante Fallgestaltungen

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sein.72 Mitgliedern der Zeugen Jehovas sei es demnach beispielsweise nicht zu gestatten, aus religiösen Beweggründen auf eine lebensnotwendige Bluttransfusion zu verzichten.73 Noch weiter geht in einer aktuellen Entscheidung der vierte Zivilsenat des OLG Bamberg, der ruhigstellende Zwangsmaßnahmen an einem die weitere Behandlung ablehnenden und sich selbst gefährdenden Patienten als auf Grundlage des § 34 StGB zulässig erachtet und diese sogar als Teil des Behandlungs- und Pflegestandards ansieht.74 Nicht in diesen Kontext gehören hingegen Fälle, bei denen der ablehnende Wille des Betroffenen nicht auf einer freiverantwortlichen Entscheidung beruht. So etwa wenn ihm die Entscheidung gegen den Eingriff abgenötigt wird, sie durch eine psychische Erkrankung hervorgerufen wird oder bei sogenannten Appellsuiziden, mit denen der vermeintliche Suizident nur die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen auf sich lenken jedoch letztlich nicht wirklich sterben möchte. Hier richten sich lediglich die Äußerungen des Eingriffsopfers gegen die Rettungshandlung, sein tatsächlicher Wille steht dieser jedoch nicht entgegen. Daher bleibt Raum für die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung zur Rechtfertigung des Handelnden.75 Nach welchen Kriterien die Grenze zwischen einer freiverantwortlichen und einer nicht freiverantwortlichen Entscheidung für den eigenen Tod zu ziehen ist, bleibt freilich höchst umstritten.76 72 Umfassend Hardwig, GA 1965, 161, 168 f., nach dem der Patient ansonsten gegen seine eigene Würde verstieße; für unbestimmte Notfallsituationen und Einzelfälle auch Dodegge, NJW 2012, 3694, 3695 f.; Schmidhäuser, AT, Kap. 9 Rn. 50; Zipf, Einwilligung, S. 54; Schwalm, Grenzen, S. 30, nur für den Fall, dass ein Patient eine Krankheit in „selbstmörderischer Absicht“ ausnutzt; ebenso Kreuzer, Hilfeleistungspflicht, S. 68; ähnlich Otto, Gutachten 56. DJT, D 87 f.; Schmidt, Gutachten 44. DJT, S. 135 f.: „von Fall zu Fall“; Haft, AT, S. 99; Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 29, sagt lediglich, die Zwangsbehandlung „kann […] ein unangemessenes Mittel sein“; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 33, für die Zwangsernährung im Strafvollzug; offengelassen bei Momsen, in: BeckOK-StGB, § 34 Rn. 12.1; lediglich für Fälle im Anschluss eines versuchten Suizids Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211 Rn. 33. 73 Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart, zitiert bei Ulsenheimer, in: FS Eser, S. 1225, 1234; Bockelmann, NJW 1961, 945, 950; Hardwig, GA 1965, 161, 167; Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 566 f.; einschränkend Ulsenheimer, in: FS Eser, S. 1225, 1233. 74 OLG Bamberg, Urteil v. 05.12.2011 – 4 U 72/11, Rn. 55 u. 60. Beim dortigen Sachverhalt stand aber insbesondere die Verdachtsdiagnose eines Alkoholentzugsdeliriums im Raum (Rn. 75), sodass wohl auch die Annahme eines Zustands der Einwilligungsunfähigkeit und des Eingreifens einer mutmaßlichen Einwilligung möglich gewesen wäre. Jedenfalls hätte diesbezüglich ein entsprechender Erlaubnistatbestandsirrtum des Krankenhauspersonals in Erwägung gezogen werden können. Zudem lag in diesem Fall ebenfalls eine vom Patienten ausgehende Gefährdung des Personals vor, welche bei der Begründung des Senats jedoch außer Betracht bleibt, womit im Ergebnis allerdings nicht ausschließlich ein intrapersonaler Interessenkonflikt gegeben war. 75 Baltz, Lebenserhaltung, S. 237; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 80; dies verkennt Schmitt, JZ 1984, 866, 869, der einen auf diese Fälle beschränkten gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrund anerkennen will. 76 Vgl. nur Arzt, in: Arzt/Weber, § 3 Rn. 24 ff.; Fischer, StGB, Vor § 211 Rn. 19 ff.; Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211 Rn. 25 ff.; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 37 ff., jeweils

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A. Problemstellung

3. Rechtliche Unmöglichkeit einer Einwilligung § 34 StGB wird des Weiteren herangezogen, um in Fällen die Rechtswidrigkeit entfallen zu lassen, in denen die Erteilung einer wirksamen Einwilligung durch den Betroffenen rechtlich unmöglich ist, weil das betroffene Rechtsgut der Disposition77 des Einzelnen entzogen ist. So vor allem, wenn ein Eingriff in das Rechtsgut Leben in Rede steht. Da § 216 StGB die Tötung eines Menschen auch dann bestraft, wenn dieser ausdrücklich und ernstlich danach verlangt, ergibt sich die logische Konsequenz, dass eine rechtfertigende Einwilligung hier nicht in Betracht gezogen werden darf, weil dieser Straftatbestand sonst ohne jeden Anwendungsbereich verbliebe.78 Daher wird in Fällen der bislang so bezeichneten passiven Sterbehilfe unter anderem ein Abstellen auf den rechtfertigenden Notstand diskutiert.79 In diesen Situationen liegt beim Betroffenen eine Erkrankung vor, die nach ihrem natürlichen weiteren Verlauf zum Tod führen wird. Mittels medizinischer Maßnahmen wäre es aber zumindest möglich, den Eintritt des Todes noch heraus zu zögern, also das Leben des Patienten zu verlängern. Passive Sterbehilfe kann nun zum einen dadurch geleistet werden, dass nach dem feststehenden oder aus den Umständen zu ermittelnden Willen des Patienten auf die Aufnahme lebensverlängernder Maßnahmen verzichtet wird, oder zum anderen dadurch, dass bereits begonnene Anstrengungen dieser Art, wie die Versorgung mit Nährstoffen über eine Magensonde, eingestellt werden, jeweils um der natürlichen tödlichen Krankheitsentwicklung ihren Lauf zu lassen.80 Nach der neuen Rechtsprechung des zweiten Strafsenats des BGH macht es dabei für die rechtliche Würdigung keinen Unterschied mehr, ob das Ergreifen von Maßnahmen unterlassen oder die Behandlung mittels aktiven Tuns unterbrochen wird.81 Von daher wurde der Begriff der passiven Sterbehilfe, welcher die Legitim.w.N. Nimmt man allerdings mit Bringewat, in: Suizid, S. 368, 375, an, dass jeder Entschluss, trotz möglicher Hilfe zu sterben, als krankhaft anzusehen ist, so ist stets die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung möglich und ein Rückgriff auf § 34 StGB somit nicht erforderlich. 77 Vgl. zu dieser Voraussetzung der Einwilligung Kühl, AT, § 9 Rn. 28 ff.; Roxin, AT I, § 13 Rn. 33 ff. 78 Eser, in: Schönke/Schröder, § 216 Rn. 13; Neumann, in: NK-StGB, § 212 Rn. 21; Schneider, in: MK-StGB, § 216 Rn. 56. 79 Chatzikostas, Disponibilität, S. 333; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 122; C. Schneider, Tun und Unterlassen, S. 271. 80 Chatzikostas, Disponibilität, S. 82; Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 27; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 211 Rn. 8; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 104; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 114. 81 BGHSt 55, 191, 201 ff.; im dort gegebenen Fall durchschnitt die Tochter der Patientin den Schlauch der Magensonde; ebenso Eidam, GA 2011, 232, 239 f.; Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 32; Freund, Erfolgsdelikt, S. 19 Fn. 6; Gaede, NJW 2010, 2925, 2926; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 211 Rn. 20; Kubiciel, ZJS 2010, 656, 659; Kühl, AT, § 18 Rn. 19; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 211 Rn. 8a; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 130; Rosenau, in: FS Roxin 2011, S. 577, 580; Verrel, NStZ 2010, 671, 672; kritisch: Frister, AT, Kap. 22 Rn. 10; Joerden, in: FS Roxin 2011, S. 593, 606; Walter, ZIS 2011, 76 ff.; anders noch BGH

II. Relevante Fallgestaltungen

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mierung eines Tuns auszuschließen scheint, als unpassend aufgegeben und durch den des Behandlungsabbruchs ersetzt.82 Ein solcher soll trotz der Schranke des § 216 StGB nun allein durch eine ausdrückliche oder mutmaßliche Einwilligung83 zu rechtfertigen sein, da der Gesetzgeber durch die neu geschaffenen zivilrechtlichen Regelungen zur Patientenverfügung in den §§ 1901a ff. BGB dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten den Vorrang eingeräumt habe.84 Die handelnden Personen sollen allein an den Willen des Betroffenen gebunden und dazu verpflichtet sein, diesem Willen „Ausdruck und Geltung zu verschaffen“.85 Bisher ging die Rechtsprechung davon aus, dass nur im Falle eines Unterlassens die Strafbarkeit entfallen könne. Wenn der Patient nämlich dem Arzt die Vornahme einer Behandlung untersagt, ist dieser Wille als Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts zu beachten und liegt sogar ein durch § 223 StGB strafbewehrtes Verbot der Durchführung weiterer ärztlicher Eingriffe vor. Die Nichtvornahme einer verbotenen Handlung kann jedoch nicht sanktioniert werden, da es dann an einer gemäß § 13 Abs. 1 StGB erforderlichen Garantenpflicht zum Handeln fehlt. Somit mangelt es bereits an der Erfüllung des objektiven Tatbestands des unechten Unterlassungsdelikts.86 Den Schritt zum Ausschluss der objektiven Tatbestandsmäßigkeit wollen einige Autoren mit der Begründung auch auf das aktive Tun übertragen, dass ein Handeln im Sinne des Patienten nicht dem Schutzzweck der Tötungsdelikte zuwiderlaufe.87 Schließlich wird für die passive Sterbehilfe auch ein Rückgriff auf § 34 StGB befürwortet. Das Interesse des Patienten an einem Ende der Schmerzen trete hier dem Interesse an einem weiteren Leben gegenüber. Dabei soll Ersteres ausnahmsweise in NStZ 1995, 80, 81; Dreier, JZ 2007, 317, 323; Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 75, 95; kritisch zur bislang vorgenommenen „Umdeutung“ aktiven Tuns in ein Unterlassen Brammsen, NStZ 2000, 337, 341 f.; Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211 Rn. 18; Jakobs, AT, Abschn. 7 Rn. 64; Otto, Gutachten 56. DJT, D 42 ff.; Rosenau, in: FS Rissing-van Saan, S. 547, 555 f.; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 37. 82 BGHSt 55, 191, 202 f.; ähnlich zuvor bereits Kutzer, FPR 2004, 683, 685; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 104; Schreiber, NStZ 2006, 473, 474. 83 Nach Eidam, GA 2011, 232, 240, und Gaede, NJW 2010, 2925, 2927, liegt eine neuartige Form der „antizipierten Einwilligung“ vor. 84 BGHSt 55, 191, 198 f. Obwohl der BGH ausdrücklich betont, dass die Regelung des § 216 StGB unberührt bleibe, spricht er im Folgenden von einer rechtfertigenden Einwilligung (S. 200). Zuvor bereits für die Einwilligungslösung Jakobs, Tötung, S. 29; Rieger, Einwilligung, S. 58. Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 132, sieht die Argumentation des BGH zwar als im Wesentlichen zutreffend an, tendiert aber dazu, auf ihrer Grundlage einen Ausschluss der objektiven Zurechnung anzunehmen. 85 BT-Drucks. 16/8442, S. 11. 86 BGH NStZ 1995, 80, 81; Frister, AT, Kap. 22 Rn. 8 ff.; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 126; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 119. 87 Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211 Rn. 16; Möllering, Schutz, S. 67; Sax, JZ 1976, 429, 438; abstellend auf die objektive Zurechenbarkeit Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544, 550; Tröndle, in: FS Göppinger, S. 595, 606; offen gelassen bei Gaede, NJW 2010, 2925, 2927; ablehnend Otto, Gutachten 56. DJT, D 47.

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A. Problemstellung

der Lage sein, dass ansonsten einer Abwägung entzogene Rechtsgut Leben88 wesentlich zu überwiegen.89 Weit mehr im Fokus der Rechtswissenschaft steht der rechtfertigende Notstand bislang bei der sogenannten indirekten Sterbehilfe. Dies sind Konstellationen, in denen ein Arzt einem Schwerkranken, dessen Tod in absehbarer Zeit sicher bevorsteht und der bis dahin schwerste Schmerzen erleiden würde, ein schmerzlinderndes Medikament verabreicht, welches jedoch den Tod zu einem früheren Zeitpunkt herbeiführen kann, was bei der Behandlung mit Zustimmung des Patienten billigend in Kauf genommen, jedoch nicht beabsichtigt90 wird.91 Da jede Verkürzung des Lebens geeignet ist, die Tatbestände der Tötungsdelikte zu erfüllen92, kann in diesem Verhalten eine Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB gesehen werden. In der Literatur existieren vielfältige Vorschläge, aus welchem Grund heraus eine Bestrafung des Handelnden dennoch ausscheiden soll, die sich in weiten Teilen mit den zur passiven Sterbehilfe vorgetragenen Lösungsmöglichkeiten decken.93 So soll es zum Beispiel auch hier an einer Erfüllung des objektiven Tatbestands des Tötungsdelikts fehlen, weil ein Handeln zu Gunsten des Opfers nicht in den Schutzbereich des Tötungsverbots falle.94 Ferner soll es beim Täter am erforderlichen Tötungsvorsatz fehlen, wenn es ihm subjektiv vorrangig auf die Linderung der Schmerzen ankomme.95 Andere Autoren gehen davon aus, dass der Täter ein erlaubtes Risiko eingehe, welches die Rechtswidrigkeit ausscheiden lassen soll.96

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Vgl. Mitsch, in: FS Weber, S. 49, 61 ff. Chatzikostas, Disponibilität, S. 333; Herzberg, JZ 1988, 182, 187; Schneider, in: MKStGB, Vor § 211 Rn. 122; C. Schneider, Tun und Unterlassen, S. 270 f.; nach Kindhäuser, LPKStGB, Vor § 211 Rn. 19, ist lediglich bei fehlender mutmaßlicher Einwilligung eine „Abwägung nach Notstandskriterien vorzunehmen“. 90 Ob eine zulässige indirekte Sterbehilfe nur anzunehmen ist, wenn der Täter hinsichtlich des vorzeitigen Todeseintritts dolus eventualis aufweist, oder ob auch ein Handeln mit dolus directus zweiten Grades legitimiert werden kann, ist weiterhin ungeklärt; vgl. Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 75, 90 f. 91 Kindhäuser, BT I, § 3 Rn. 2; Kutzer, NStZ 1994, 110, 114 f.; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 99; Rosenau, in: FS Roxin 2011, S. 577; Schreiber, NStZ 2006, 473, 474. 92 BGH NStZ 1981, 218, 219; BGH NStZ 1985, 26, 27; Eser, in: Schönke/Schröder, § 212 Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, § 212 Rn. 2; Neumann, in: NK-StGB, § 212 Rn. 3; Schneider, in: MK-StGB, § 212 Rn. 1. 93 Verschiedene Lösungsansätze aufgeführt bei Fischer, StGB, Vor § 211 Rn. 57; Lackner/ Kühl, StGB, Vor § 211 Rn. 7; Schreiber, NStZ 1986, 337, 340 f., jeweils m.w.N.; kritisch zu dieser Vielfalt Verrel, Gutachten 66. DJT, C 55. 94 Ingelfinger, Grundlagen, S. 273; Ingelfinger, JZ 2006, 821, 824; Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211 Rn. 16; Herzberg, NJW 1996, 3043; Tröndle, ZStW 99 (1987), 25, 30; wohl auch Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544, 551. 95 Engisch, in: FS Bockelmann, S. 519, 532 f.; Schmitt, JZ 1979, 462, 465. 96 Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 26; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 1 Rn. 33; für die Anerkennung eines gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrundes Wimmer, FamRZ 1975, 438, 439. 89

II. Relevante Fallgestaltungen

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Ein weiterer Ansatz besteht darin, eine Ausnahme vom Verbot der Einwilligung in die Tötung zu machen und dadurch eine Rechtfertigung zu ermöglichen.97 Dieser Auffassung hat sich nunmehr auch der zweite Strafsenat des BGH angeschlossen, der in seiner Entscheidung zur Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch ausdrücklich feststellt, dass die dort neu entwickelten Regeln auch für die indirekte Sterbehilfe gelten sollen.98 Der bisher vorherrschenden Ansicht nach sollte nur eine Rechtfertigung gemäß § 34 StGB möglich sein.99 Auch hier wird darauf verwiesen, dass das durch die indirekte Sterbehilfe geschützte Interesse eines menschenwürdigen Todes ausnahmsweise in der Lage sein solle, das ansonsten einer Abwägung entzogene Rechtsgut Leben wesentlich zu überwiegen.100 Vereinzelt wird vertreten, dass entsprechend der Wertungen zur indirekten und passiven Sterbehilfe nach § 34 StGB auch eine Rechtfertigung von Fällen der aktiven Sterbehilfe101, also der Herbeiführung des Todes eines bereits tödlich Erkrankten mit direktem Vorsatz102, möglich sein soll.103 Darüber hinaus soll nach den gleichen Erwägungen in den sogenannten Gnadenschussfällen, bei denen der Täter auf Bitten des Opfers dessen Leiden durch die Tötung beendet, die Strafbarkeit des Täters ausscheiden können.104 Und auch dann, wenn jemand sich töten lässt, weil dies der einzige Weg ist, das Leben eines anderen zu retten, soll die Rechtswidrigkeit gemäß 97

Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 32 f.; Jakobs, Tötung, S. 27; Klinkenberg, JR 1978, 441, 444; Verrel, JZ 1996, 224, 226 f. 98 BGHSt 55, 191, 204. Eine explizite Entscheidung zu einem entsprechenden Fall gab es seitdem jedoch nicht. Kritisch hierzu Wolfslast/Weinrich, StV 2011, 286, 287, nach denen die indirekte Sterbehilfe nicht unter die aufgestellte Definition des Behandlungsabbruchs passt. 99 BGHSt 46, 279, 285; noch ohne eindeutige Festlegung BGH NStZ 1997, 182, 184; v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 192; Diettrich, Organentnahme, S. 165; Kühl, AT, § 8 Rn. 163 f.; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 211 Rn. 7; Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 569 Fn. 59; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 15; Rosenau, in: FS Rissing-van Saan, S. 547, 560; Rosenau, in: FS Roxin 2011, S. 577, 584 f.; Roxin, AT I, § 16 Rn. 57; Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 75, 87; Schreiber, NStZ 1986, 337, 340 f.; Simson, in: FS Schwinge, S. 89, 109 f.; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 75; nur widerwillig Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 37: „Notbehelf“; für eine Kombination von Einwilligung und rechtfertigendem Notstand Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 212 Rn. 43 f.; Schöch, NStZ 1997, 409, 410; dagegen ausführlich Jähnke, in: LKStGB, Vor § 211 Rn. 15. 100 Hanack, in: Euthanasie, S. 121, 132; Kutzer, in: FS Salger, S. 663, 672; Roxin, AT I, § 16 Rn. 57; Schreiber, NStZ 1986, 337, 341; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 75. 101 Zur Schwierigkeit der begrifflichen Abgrenzung insbesondere von der indirekten Sterbehilfe Ingelfinger, JZ 2006, 821, 824; Otto, Gutachten 56. DJT, D 29; Otto, Jura 1999, 434, 440; Rosenau, in: FS Roxin 2011, S. 577, 578; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 100. 102 Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211 Rn. 12. 103 Herzberg, NJW 1986, 1635, 1639; Merkel, in: Debatte, S. 71, 97; Merkel, in: FS Schroeder, S. 297; Neumann, in: FS Herzberg, S. 575; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 38, 85; Otto, Gutachten 56. DJT, D 56 f.; Rosenau, in: FS Roxin 2011, S. 577 passim; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 68; später a.A. Herzberg, NJW 1996, 3043. 104 Herzberg, NJW 1996, 3043, 3047 f.; Otto, Jura 1999, 434, 441.

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A. Problemstellung

§ 34 StGB entfallen.105 Die herrschende Meinung lehnt in all diesen Fällen eine Rechtfertigung ab und spricht sich für die Strafbarkeit jedweder zielgerichteten Fremdtötung aus.106 Schließlich soll der rechtfertigende Notstand auch bei bewusst eingegangenen Lebensgefährdungen und insbesondere bei lebensgefährlichen Rettungshandlungen eingreifen können, bei denen ebenso die Einwilligungssperre des § 216 StGB eingreifen könnte. So zum Beispiel bei lebensgefährlichen Operationen, die für den Patienten die letzte Möglichkeit zur Rettung seines Lebens darstellen, dabei aber für sich eine eigene gravierende Lebensgefahr begründen.107 Der wiederum vorherrschenden Ansicht nach soll hier bereits die Schranke des § 216 StGB nicht eingreifen und eine Einwilligung in die Lebensgefahr nach gewöhnlichen Maßstäben möglich sein.108

III. Überblick über die grundlegend vertretenen Positionen Nach überwiegender Ansicht soll der rechtfertigende Notstand also bei Eingriffen in die Rechtsgüter des Gefährdeten neben den Rechtfertigungsgründen der Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung einen eigenen, nämlich für die Beurteilung der Strafbarkeit ausschlaggebenden Anwendungsbereich besitzen. Dieses Ergebnis wird allerdings mittels unterschiedlicher dogmatischer Konstruktionen erzielt. Viele Autoren wollen den rechtfertigenden Notstand ohne jede Beschränkung bei Identität von geschütztem und beeinträchtigtem Rechtsgutsträger anwenden.109 In den Fällen, in denen bereits eine wirksame Einwilligung zu Gunsten des Täters 105

Mitsch, in: FS Weber, S. 49, 66 f. BGH NStZ 1992, 34, 35; BGH NStZ 2003, 537, 538; BGHSt 55, 191, 205; v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 297 ff.; Eser, in: Euthanasie, S. 45, 63; Fischer, StGB, Vor § 211 Rn. 69; Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211 Rn. 14; Roxin, NStZ 1992, 35; Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 75, 116; Schreiber, NStZ 1986, 337, 339; a.A. Kutzer, MedR 2001, 77, 78. 107 Göbel, Einwilligung, S. 45; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 106; Ulsenheimer, JuS 1972, 252, 255; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 59. 108 BGHSt 49, 166, 175; BGHSt 53, 55, 62 f.; Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 8; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 33; Kühl, AT, § 17 Rn. 87; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 36; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 166; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 136. 109 Bockelmann, NJW 1961, 945, 949; Bottke, Suizid, S. 88 ff.; v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 190; Diettrich, Organentnahme, S. 162 ff.; Dreier, JZ 2007, 317, 322; Ebert, JuS 1976, 319, 321; Engisch, in: FS Bockelmann, S. 519, 534; Fischer, StGB, § 34 Rn. 12; Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 61; Haft, AT, S. 99; Hardwig, GA 1965, 161, 166; Heidner, Bedeutung, S. 158; M. Koch, Nothilfe, S. 18 f.; Kühl, AT, § 8 Rn. 34; Lackner/Kühl, StGB, § 34 Rn. 4; Rengier, AT, § 19 Rn. 44; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 110; Seelmann, Verhältnis, S. 71; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 106; Wessels/Beulke, AT, Rn. 322; Zieschang, in: LKStGB, § 34 Rn. 59; so auch ausdrücklich OLG Bamberg, Urteil v. 05.12.1011 – 4 U 72/11, Rn. 55. 106

III. Überblick über die grundlegend vertretenen Positionen

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eingreift, soll es auf das Urteil des § 34 StGB lediglich nicht mehr ankommen. Werde andersherum die mögliche Einwilligung vom Betroffenen rechtlich zulässig verweigert, so bleibe auch im Rahmen des Notstands diese selbstbestimmte Präferenzsetzung maßgeblich. Dies soll entweder dadurch erreicht werden, dass die Zustimmung des Betroffenen dann als zusätzliche Voraussetzung des Notstandsrechts verstanden wird110, oder indem die individuelle Entscheidung mit derartigem Gewicht in die Interessenabwägung des Notstands eingestellt wird, dass sie nicht zu einem dem Willen des Eingriffsopfers widersprechenden Ergebnis kommen kann.111 Das heißt, dass Einwilligung und Notstand trotz ihrer grundsätzlich unabhängig voneinander erfolgenden Anwendung die Rechtswidrigkeit in diesen Fällen stets identisch beurteilen müssen. Lediglich in den aufgeführten Fallkonstellationen der auf Grund mangelnder Einwilligungsfähigkeit fehlenden Einwilligung, der rechtlichen Unbeachtlichkeit des den Eingriff ablehnenden Willens und der rechtlichen Unzulässigkeit einer Einwilligung soll § 34 StGB demnach eigenständige Bedeutung zukommen. Anderer Ansicht nach, soll bei internen Interessenkollisionen im Grundsatz von der Unanwendbarkeit des rechtfertigenden Notstands ausgegangen werden, da bei Konflikten, die lediglich eine Person betreffen, allein die individuelle Entscheidung des Betroffenen maßgeblich sei.112 Dennoch soll dann ausnahmsweise eine Anwendung des § 34 StGB möglich bleiben, wenn eine Einwilligung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen schlechterdings nicht vorliegen kann oder wenn die Rechtsordnung der subjektiven Wahl des Betroffenen keinen Geltungsanspruch zuweist.113 Im Ergebnis spricht diese Auslegung dem rechtfertigenden Notstand damit allerdings den gleichen Relevanzbereich zu wie die zuvor geschilderte, von einer generellen Anwendbarkeit ausgehende Auffassung. Einige Autoren, die prinzipiell dieser Ansicht zuzurechnen sind, wollen jedoch die Zahl und die Reichweite der anzuerkennenden Ausnahmen einschränken und kommen dadurch in einzelnen Fallgruppen zu abweichenden Resultaten.114 So soll in Fällen der lediglich vorübergehenden Einwilligungsunfähigkeit ein Rückgriff auf § 34 StGB nicht notwendig sein, weil zutreffende Ergebnisse auch über den Weg der mutmaßlichen Einwilligung erzielt werden könnten.115 Auch bei der indirekten Sterbehilfe soll eine 110 Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 589; ähnlich Bottke, Suizid, S. 90 f.; Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 309. 111 v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 190; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 52. 112 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 30; Erb, JuS 2010, 17, 19; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 14; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 15; Roxin, AT I, § 16 Rn. 101; ähnlich Wagner, Selbstmord, S. 131, der den Anwendungsbereich des § 34 StGB grundsätzlich auf Fälle der Fremdgefährdung beschränkt. 113 Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 8a; Rieger, Einwilligung, S. 77; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 15; Roxin, AT I, § 16 Rn. 101 f.; im Ergebnis auch Boll, Kompetenzüberschreitungen, S. 108 f. 114 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 32 ff.; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 32. 115 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 37; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 33, welche beide jedoch auf die in vielen Fällen übereinstimmenden Ergebnisse verweisen.

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A. Problemstellung

teleologische Reduktion der Einwilligungssperre des § 216 StGB die sachgerechtere Lösung darstellen.116 In den aufgeworfenen Problemfällen der Suizidverhinderung sei der freiverantwortliche Entschluss zur Selbsttötung zu respektieren und der Wille des Betroffenen könne daher nicht aus objektiven Gesichtspunkten heraus übergangen werden.117 Die Vertreter einer beachtlichen Lehrmeinung gehen schließlich von der gänzlichen Unanwendbarkeit des rechtfertigenden Notstands bei Eingriffen in Rechtsgüter des Gefährdeten aus, ohne dass hiervon in besonderen Situationen wieder Ausnahmen zuzulassen wären.118 In diese Richtung deutet nunmehr auch die Entscheidung des zweiten Strafsenats zum gerechtfertigten Behandlungsabbruch.119 Danach ist ein Entfallen der Rechtswidrigkeit in den beschriebenen Konfliktfällen ausschließlich nach alternativen Rechtfertigungstatbeständen möglich oder es muss im Ergebnis die Beurteilung der Tat als rechtswidrig bestehen bleiben.

IV. Die relevante Historie des rechtfertigenden Notstands Um beurteilen zu können, wie weit der Regelungsbereich des § 34 StGB bei Schutz und Beeinträchtigung nur einer Person reicht, soll zunächst ein kurzer Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Notstandsrechts gegeben werden. In der weiteren Analyse soll ermittelt werden, inwiefern diese Historie Aufschlüsse über die heutige Interpretation der Norm geben kann. Bevor sich in der Rechtswissenschaft die Überzeugung durchsetzte, dass zwischen rechtfertigendem und entschuldigendem Notstand zu differenzieren ist, wurde der Notstand als einheitliche Rechtsfigur betrachtet, die entweder die Rechtswidrigkeit oder die Schuld einer Tat entfallen lassen sollte. Die entsprechende Einordnung war abhängig von der gewählten Begründung für die Existenz des Notstands lange Zeit umstritten.120 Mit seinem Satz „Und gleichwohl kann es keine Noth geben, welche, was unrecht ist, gesetzmäßig machte.“121 prägte vor allem Kant die Ansicht, 116

Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 34; hier a.A. Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 37. Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35; hier a.A. Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 35. 118 Aselmann/Krack, Jura 1999, 254, 258; Dannecker, in: Graf/Jäger/Wittig, § 34 StGB Rn. 26; Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 9; Engländer, GA 2010, 15, 25; Engländer, in: Matt/ Renzikowski, § 34 Rn. 8; Frister, AT, Kap. 17 Rn. 9 Fn. 11; Frister, GA 1988, 291; Günther, in: Günther/Taupitz/Kaiser, Vor § 1 Rn. 87 Fn. 35; v. Hippel, in: FG RG V, S. 1, 2; Hruschka, Strafrecht, S. 174 ff.; Joecks, Studienkommentar, § 34 Rn. 10; Kindhäuser, LPK-StGB, § 34 Rn. 39; Kindhäuser, AT, § 17 Rn. 33; Knauf, Einwilligung, S. 89; Kurcz, Begrenzung, S. 172; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 54; Renzikowski, Notstand, S. 65; Riedel, BtPrax 2010, 99, 100; Schroth, JuS 1992, 476, 478; Trück, Einwilligung, S. 86 ff.; wohl auch Rudolphi, in: GS Schröder, S. 73, 87. 119 BGHSt 55, 191, 197 f. 120 Vgl. Kühl, AT, § 8 Rn. 1; Küper, JuS 1987, 81, 84; Gimbernat Ordeig, in: FS Welzel, S. 485. 121 Kant, Metaphysik, Einleitung XLII. 117

IV. Die relevante Historie des rechtfertigenden Notstands

35

dass eine rechtfertigende Wirkung auszuschließen sei. Im Notstand sollte lediglich aus Billigkeit auf eine Bestrafung verzichtet werden können, wenn durch die Notlage ein solcher psychologischer Zwang auf dem Täter laste, dass seine Handlung nachvollziehbar erscheine.122 Dem gegenüber stand die auf Hegel zurückgeführte Sichtweise, nach der ein echtes Notrecht anzuerkennen sei.123 Sie orientierte sich vor allem am Beispielsfall, dass der Verlust des Lebens nicht hingenommen werden müsse, wenn dieser durch einen Eingriff in fremdes Eigentum abgewendet werden könne.124 Bei seiner Einführung im Jahre 1872125 wurden schließlich zwei Notstandsregelungen in das StGB aufgenommen, welche in ihrem Anwendungsbereich weit hinter dem aktuellen § 34 StGB zurückblieben und lediglich Fälle regelten, denen nunmehr entschuldigende Wirkung zugerechnet wird.126 § 54 StGB a.F. entsprach weitestgehend dem heutigen entschuldigenden Notstand nach § 35 StGB n.F., in § 52 StGB a.F. wurde die Straflosigkeit des Nötigungsnotstandes angeordnet, dessen Einordnung heute umstritten ist.127 Weiterreichende Notstandsvorschriften, welchen erstmals rechtfertigende Wirkung zuzurechnen war128, wurden dann 1900 in das BGB129 aufgenommen, und zwar in Form der heute noch gültigen §§ 228, 904 BGB130. In der strafrechtlichen Literatur setzte sich zum Ende des 19. und mit Beginn des 20. Jahrhunderts die Differenzierungstheorie durch, nach der zwischen rechtfertigendem und entschuldigendem Notstand zu unterscheiden ist.131 Aus dieser heraus folgte die Erkenntnis, dass dem Strafrecht eine den zivilrechtlichen Regelungen entsprechende, rechtfertigende Notstandsvorschrift fehlte. Diese Lücke schloss schließlich das Reichsgericht im Jahr 1927 in einer wegweisenden Entscheidung 122 Hierzu eingehend Hruschka, in: FS Jakobs, S. 189 ff.; Küper, in: FS Wolff, S. 285 ff.; Kant unterschied insoweit das Nothrecht vom Billigkeitsrecht, wobei letzteres vom Gericht nicht bestätigt werden, aber Nachsicht erlangen könne; Kant, Metaphysik, Einleitung XLII. 123 Hegel, Grundlinien, § 127: „ein Nothrecht (nicht als Billigkeit, sondern als Recht)“. 124 Vgl. Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 38; Küper, JuS 1987, 81, 84. 125 Gesetz v. 15. 05. 1871, RGBl. S. 127. 126 Roxin, AT I, § 16 Rn. 1. 127 Für eine Anwendung des § 35 StGB Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 41b; Rengier, AT, § 19 Rn. 53; Wessels/Beulke, AT, Rn. 443; für eine Rechtfertigung nach § 34 StGB Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 14; differenzierend Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 147; Lackner/ Kühl, StGB, § 34 Rn. 2; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 54; Roxin, AT I, § 16 Rn. 68. 128 Zu § 228 BGB Grothe, in: MK-BGB, § 228 Rn. 12; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 69; zu § 904 BGB Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, Vor § 32 Rn. 68; Säcker, in: MK-BGB, § 904 Rn. 13. 129 Gesetz v. 18. 08. 1896, RGBl. S. 195. 130 Die eigenständige Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Notstandsregelungen neben § 34 StGB wird heute jedoch teilweise bestritten; so Hellmann, Anwendbarkeit, S. 157 ff. 131 Grundlegend im Jahre 1857 Berner, Lehrbuch, § 85; vgl. Jescheck/Weigend, AT, S. 354; Lenckner, Notstand, S. 7 ff.; Kühl, AT, § 8 Rn. 6; Küper, JuS 1987, 81, 82; Küper, JZ 2005, 105, 106; Roxin, AT I, § 16 Rn. 1; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Entstehungsgeschichte.

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A. Problemstellung

zum medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch, in welcher der erst später so benannte132 übergesetzliche rechtfertigende Notstand erstmals anerkannt wurde.133 Die Rechtsprechung berief sich dabei auf die Theorie der Güterabwägung. Nach ihr ist eine Handlung dann gerechtfertigt, wenn sie zum Schutz eines höherwertigen Rechtsguts ein geringerwertiges verletzt.134 Dem gegenüber stand die in der Literatur vorgeschlagene Zwecktheorie, welche die Rechtfertigung davon abhängig machen wollte, ob ein staatlich anerkannter Zweck verfolgt wird und der Eingriff ein angemessenes Mittel darstellt, diesen zu erreichen.135 Schon in der Rechtsprechung des Reichsgerichts stellte sich die rein abstrakte Abwägung der betroffenen Rechtsgüter alsbald als nur bedingt geeignet heraus. Von Beginn an wurden weitere Faktoren, die für die zutreffende Beurteilung der Sachlage von Bedeutung waren, in die durchzuführende Abwägung eingestellt.136 Die Rechtsgüterabwägung wurde so mit der Zeit durch eine umfassendere Interessenabwägung ersetzt.137 Auf diesem Stand wurde 1975138 schließlich die Kodifikation des rechtfertigenden Notstands in § 34 StGB eingeführt. Der Gesetzgeber bemühte sich dabei angesichts der unterschiedlichen Interpretations- und Begründungsansätze um eine vermittelnde Formulierung. So diente die Aufnahme der weiten Interessenabwägung in § 34 S. 1 StGB als Bestätigung der weiterentwickelten Güterabwägungstheorie und die Aufnahme der Angemessenheitsklausel in § 34 S. 2 StGB als Realisierung der Zwecktheorie.139 Trotz dieser Bezugnahme auf zwei zu Grunde liegende dogmatische Ansätze, oder gerade weil die Kombination beider Theorien nicht ohne weiteres möglich erscheint140, haben sich in der Folge weitere Ansätze herausgebildet, mit deren Hilfe die Existenz des Notstandsrechts begründet werden soll. Nach dem Utilitaritätsprinzip findet beim Notstand keine Abwägung individueller Interessen gegenein132

RGSt 62, 35, 46; RGSt 62, 137. RGSt 61, 242. 134 RGSt 61, 242, 254; RGSt 65, 422, 427; RGSt 77, 113. 135 v. Liszt, Lehrbuch, § 32 II; Schmidt, ZStW 49 (1929), 350, 375 f.; vgl. zudem RGSt 61, 242, 253; Lenckner, Notstand, S. 60. 136 RGSt 61, 242, 255; RGSt 62, 137; RGSt 77, 113, 116. 137 Lenckner, Notstand, S. 51 ff. 138 Gesetz v. 4. 7. 1969, BGBl. I, 717. 139 Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962, § 39; vgl. Lenckner, Notstand, S. 146; Roxin, AT I, § 16 Rn. 7. 140 Eine eigenständige Bedeutung der Angemessenheitsklausel aus § 34 S. 2 StGB wird teilweise abgelehnt, da sämtliche hier zu berücksichtigende Umstände bereits in der umfassenden Interessenabwägung des Satzes 1 hinreichend gewürdigt werden müssten. So Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 50; Krey, ZRP 1975, 97, 98; Krey/Esser, AT, Rn. 604; Lenckner, Notstand, S. 146 ff.; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 46; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 78 f. Für eine Berücksichtigung der Angemessenheitsklausel als zweite Wertungsstufe Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 31; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 177; Grebing, GA 1979, 79, 93; Jescheck/Weigend, AT, S. 363; Joerden, GA 1991, 411 ff.; Renzikowski, Notstand, S. 247 ff. 133

V. Gang der weiteren Bearbeitung

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ander statt, sondern die betroffenen Positionen werden zusammengerechnet und sodann wird die für die Gemeinschaft vorteilhafteste Gesamtlösung ermittelt. Maßgeblich ist demnach grundsätzlich nicht das überwiegende Interesse einer einzelnen Person, sondern das der Allgemeinheit. § 34 S. 2 StGB dient nach dieser Sichtweise dazu, unangemessene Sonderopfer des Einzelnen auszuschließen.141 Gemäß den verschiedenen Ausprägungen des Solidaritätsprinzips hingegen soll das Eingriffsopfer zur Preisgabe seines Rechtsguts verpflichtet sein, weil es dem Gefährdeten zum Beistand verpflichtet ist.142 Aus diesem Gesichtspunkt heraus wird in § 34 StGB zumeist ausschließlich eine Regelung des Aggressivnotstands, also eines Eingriffs in die Rechtsgüter Unbeteiligter, gesehen.143 Auch hier dient die Angemessenheitsklausel zur Aufrechterhaltung einer Belastungsgrenze für den in Anspruch Genommenen.144 Teilweise werden in den verschiedenen Ansätzen keine sich gegenseitig ausschließenden Thesen gesehen, sondern wird vorgeschlagen, diese in Kombination zur Begründung des rechtfertigenden Notstands heranzuziehen.145 In der bisherigen Entwicklung des rechtfertigenden Notstands spielte die explizite Frage nach der Behandlung interner Interessenkollisionen folglich noch keine besondere Rolle. Allein aus der historischen Genese des Notstandsrechts beziehungsweise aus der Geschichte dessen gesetzlicher Regelungen heraus ergeben sich somit keine Rückschlüsse darauf, ob intrapersonale Konfliktlagen in den Anwendungsbereich des § 34 StGB fallen oder nicht. Die weiterhin aktuelle Diskussion über die Grundlagen des Notstandsrechts wird hingegen als bedeutendes Element der Normauslegung an späterer Stelle wieder aufgegriffen werden.146

V. Gang der weiteren Bearbeitung Im nächsten Schritt unter Gliederungspunkt B. soll erörtert werden, ob in den aufgeworfenen relevanten Fallgruppen tatsächlich ausschließlich intrapersonale Interessenkollisionen gegeben sind oder ob die jeweiligen Konfliktlagen auch externe Belange Dritter oder der Allgemeinheit berühren. Das Ergebnis einer nur beschränkten oder gänzlich ausgeschlossenen Anwendbarkeit des rechtfertigenden Notstands auf diese Sachverhalte kann schließlich auf Grundlage verschiedener Aspekte in Betracht kommen. Zunächst könnte festzustellen sein, dass eine der zum Eingreifen dieses Rechtfertigungstatbestands erforderlichen Voraussetzungen in 141

Hruschka, Strafrecht, S. 113; Joerden, GA 1991, 411, 414; Joerden, GA 1993, 245, 247. Engländer, GA 2010, 15, 20; Fischer, StGB, § 34 Rn. 2; Frister, AT, Kap. 17 Rn. 1; Frister, GA 1988, 291, 292; Kühl, AT, § 8 Rn. 9. 143 Engländer, GA 2010, 15, 21; Frister, AT, Kap. 17 Rn. 21; Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 46; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 86; Renzikowski, Notstand, S. 47. 144 Engländer, GA 2010, 15, 20; Kühl, AT, § 8 Rn. 9. 145 Eine eindeutige Festlegung auf eine philosophische Begründung ist für Roxin, AT I, § 16 Rn. 11, gar ein „unmögliches Unterfangen“. 146 Siehe dazu unten E. III. 142

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A. Problemstellung

derartigen Konstellationen generell oder jedenfalls bei bestimmten Fallgruppen nicht erfüllt sein kann. Ein Eingreifen des § 34 StGB würde dann schon deshalb ausgeschlossen sein, weil niemals alle Anforderungen des Erlaubnistatbestands vorliegen könnten. Mit der Analyse dieser Möglichkeit soll unter Punkt C. fortgefahren werden. Darüber hinaus kann ob der besonderen Nähe interner Interessenkollisionen zum Rechtfertigungsgrund der Einwilligung in Erwägung gezogen werden, dass diese Fälle abschließend nach den Wertungen der Erlaubnistatbestände der Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung zu beurteilen sind. Der rechtfertigende Notstand könnte daher auf Ebene der Konkurrenzen hinter der Anwendung dieser Rechtfertigungsgründe zurücktreten müssen. Deshalb sollen in Abschnitt D. zunächst die Rechtsnatur und die Reichweite der ausdrücklichen und mutmaßlichen Einwilligung untersucht werden und sodann deren Konkurrenzverhältnis gegenüber § 34 StGB näher bestimmt werden. Zur näheren Bestimmung der Beziehung dieser Erlaubnisnormen zueinander sowie zur Ermittlung des generellen Anwendungsbereichs des rechtfertigenden Notstands werden anschließend bei Gliederungspunkt E. der Normzweck des § 34 StGB und dessen dogmatische wie philosophischen Grundlagen erläutert werden. Auf Grundlage der dort erzielten Ergebnisse soll letztlich in Abschnitt F. ein Ausblick auf mögliche Lösungen für die aufgeworfenen, relevanten Fallgestaltungen gegeben werden.

B. Die Beschränkung der Notstandssituation auf die Interessen einer Person Die hiesige Betrachtung soll sich nur auf Fälle beziehen, in denen ausschließlich die Rechtsgüter einer Person von der Notstandshandlung betroffen sind. Damit stellt sich die Frage, ob in den eingangs aufgeworfenen Fallkonstellationen tatsächlich stets interne Interessenkollisionen vorliegen oder auch externe Belange entweder als beeinträchtigtes oder als geschütztes Rechtsgut zu berücksichtigen sind. In Betracht zu ziehen ist hier zunächst ein etwaiges Interesse der Allgemeinheit an der Verhinderung der Gefahrverwirklichung, welches bei Suizidfällen oder der Rettung Einwilligungsunfähiger bestehen könnte. Dies könnte als geschütztes Rechtsgut heranzuziehen sein. Auf der anderen Seite könnte vor allem im Bereich der Sterbehilfe auch ein öffentliches Interesse daran bestehen, dass der Notstandseingriff unterbleibt. Dieses könnte als beeinträchtigtes Rechtsgut relevant sein. Des Weiteren ist zu erwägen, dass durch den Notstandseingriff zugleich Individualrechtsgüter Dritter oder des Eingriffstäters selbst geschützt oder beeinträchtigt werden könnten.

I. Die Notstandsfähigkeit von Allgemeinrechtsgütern Für den ersten Fall ist zunächst zu klären, ob Rechtsgüter der Allgemeinheit überhaupt notstandsfähige Rechtsgüter darstellen, die mittels eines nach § 34 StGB zu rechtfertigenden Eingriffs geschützt werden können. Dies wird von der herrschenden Meinung umfassend bejaht.1 Der Wortlaut des § 34 StGB gibt jedoch Anlass dazu, dies in Zweifel zu ziehen. So werden in der exemplarischen2 Aufzählung der geschützten Güter mit „Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum“ lediglich Individualrechtsgüter genannt, was darauf hindeuten könnte, dass diese Reihe auch nur um solche erweitert werden soll.3 Denn wenn schlicht jedes Rechtsgut erfasst werden sollte, hätte auch die Formulierung „Gefahr für ein Rechtsgut“ ausgereicht. Diesem Umstand wird daher zumindest der Hinweis zu entnehmen sein, dass das 1 BGH NStZ 1988, 558, 559; OLG Koblenz NJW 1963, 1991; OLG Frankfurt a.M. NStZRR 1996, 136; OLG Düsseldorf NJW 2006, 630; Dannecker, in: Graf/Jäger/Wittig, § 34 StGB Rn. 4; Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 5; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 59; Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 10; Keller, Grenzen, S. 284; Kühl, AT, § 8 Rn. 21; Lackner/Kühl, StGB, § 34 Rn. 4; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 10; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 7; Roxin, AT I, § 16 Rn. 13; Wessels/Beulke, AT, Rn. 301. 2 Frister, AT, Kap. 17 Rn. 2; Roxin, AT I, § 16 Rn. 12. 3 So wohl Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 23.

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B. Die Beschränkung auf die Interessen einer Person

Notstandsrecht primär auf den Schutz von Individualgütern zugeschnitten ist.4 Des Weiteren wird die Abwehr der Gefahr „von sich oder einem anderen“ verlangt, wodurch ein personeller Bezug hergestellt werden könnte in der Gestalt, dass die Gefahr von einer konkret gefährdeten Person (anderer) und nicht etwa vom Allgemeinwesen abgewendet werden müsste.5 Die herrschende Meinung erblickt in dieser Formulierung allerdings nur die generelle Ermöglichung der Notstandshilfe, da gezeigt werde, dass die Gefahr nicht dem Eingriffstäter selbst drohen müsse.6 Die Einbeziehung von Allgemeinrechtsgütern wird damit begründet, dass es keinen Unterschied mache, ob nur ein einzelner, eine größere Gruppe oder gleich jedermann ein Interesse an der Vornahme des Eingriffs hätten. Aus Sicht des Beeinträchtigten ändere dies nichts.7 Ferner wird vorgetragen, dass sowohl der Eingriffstäter als auch das Eingriffsopfer als Bürger dem Allgemeinwesen verpflichtet seien und eine entsprechende Mitverantwortung trügen. Daraus ergäben sich die Befugnis, gegebenenfalls zu Gunsten der Allgemeinheit zu handeln, und die Pflicht, eigene Rechtsgüter für diese zu opfern.8 Würde man dem konsequent folgen, so stünde es allerdings jedem zu, sich in einer entsprechenden Notlage die vollumfänglichen Befugnisse der grundsätzlich zur Abwehr der Gefahr zuständigen staatlichen Stelle, welche berufen ist das Wohl der Allgemeinheit zu sichern, anzueignen.9 Vor allem § 127 StPO zeigt jedoch, dass die Rechte Privater auch in Notsituationen, in denen sie an die Stelle des staatlichen Gewaltmonopols treten, hinter den Rechten hoheitlich Handelnder zurückbleiben, denn das JedermannFestnahmerecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO gewährt dem Bürger weniger Befugnisse als sie nach § 127 Abs. 2 StPO der Polizei und Staatsanwaltschaft zustehen.10 Des Weiteren stünde ein Bürger, dessen Eingriffsermächtigung sich allein aus § 34 StGB ergäbe, sogar besser als ein Staatsbediensteter, der den differenzierten Regelungen vor allem der StPO unterworfen ist. Den Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit im Rahmen des § 34 StGB auf den „äußersten Notfall“ zu beschränken11, stellt dabei kaum ein taugliches Kriterium zur Einschränkung dar. Neben der Unbestimmtheit solcher Begriffe setzt schließlich jede Notstandslage bereits den Zustand einer gegenwärtigen Gefährdung voraus. Auch eine dahingehende Einschränkung, das Notstandsrecht im Zuständigkeitsbereich staatlicher Stellen generell einzuschränken12, überzeugt mangels tauglicher Abgrenzungsmerkmale13 nicht, denn der Staat 4

Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 22; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 22. Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 17. 6 Kühl, AT, § 8 Rn. 21; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 10; anders zu § 32 StGB Roxin, AT I, § 15 Rn. 1. 7 Keller, Grenzen, S. 284. 8 Pawlik, Notstand, S. 181. 9 Zum Vorrang hoheitlicher Maßnahmen Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 23. 10 Vgl. Volk, StPO, § 10 Rn. 68; Wessels/Beulke, AT, Rn. 353. 11 So ausdrücklich Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 10; ähnlich Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 59; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 23. 12 Pawlik, Notstand, S. 226 ff. 5

II. Der Schutz von Allgemeinrechtsgütern

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ist umfassend zur Gefahrenabwehr berufen, weshalb die Gefahr einer zu restriktiven Anwendung des § 34 StGB bestünde. Es dürfte jedoch auch zu weit gehen, den Schutz eines Individualrechtsguts in der Form zu verlangen, dass die Gefahr einem individualisierbaren Rechtsgutsträger drohen muss.14 Hier greift der Einwand, dass es nicht ausschlaggebend sein kann, ob die Gefahr nur einer einzelnen oder einer nicht näher bestimmbaren Vielzahl von Personen droht.15 Es sind im Ergebnis daher solche Rechtsgüter der Allgemeinheit als notstandsfähig anzuerkennen, die sich aus der Zusammenfassung individueller Güter ergeben und somit deren mittelbaren Schutz bezwecken, so wie beispielsweise die Verkehrssicherheit den Schutz von Leib und Leben aller Verkehrsteilnehmer erstrebt.16

II. Der Schutz von Allgemeinrechtsgütern Fraglich ist nun, ob etwa die Verhinderung eines Suizids oder die Rettung eines Einwilligungsunfähigen oder -unwilligen vor dem Tod dem Schutz eines solchen Allgemeinrechtsguts dient. Ohne nähere Begründung gehen jedenfalls die ältere Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass der Schutz des Lebens zugleich Schutz der Allgemeinheit sei.17 Hier bleibt aber zu erörtern, welches Interesse der Allgemeinheit konkret betroffen sein könnte.18 Mit der tradierten Rechtsprechung des BGH ist für Suizidfälle zunächst in Betracht zu ziehen, dass die Selbsttötung gegen das Sittengesetz verstoßen könnte. Danach sei die „selbstherrliche“ Verfügung über das eigene Leben vom Recht nicht anzuerkennen.19 In ähnlicher Richtung nimmt Gallas einen Verstoß gegen die „herrschende Moral […] als Inbegriff der in unserem Kulturbereich gemeinhin als verbindlich empfundenen Verhaltensmaximen“ an.20 Unabhängig davon, ob man

13 Pawlik, Notstand, S. 229, will dort keine Sperrwirkung annehmen, wo „das Tätigwerden des Bürgers keine Infragestellung des Kompetenzvorrangs der institutionalisierten Notbekämpfung bedeutet“. Im Zweifel wird dies jedoch immer der Fall sein, solange der Eingriff das mildeste geeignete Mittel zur Gefahrenabwehr darstellt. Ein Zugewinn gegenüber dem regulären Kriterium der Erforderlichkeit wird somit nicht erreicht. 14 So Frister, AT, Kap. 17 Rn. 2, Kap. 16 Rn. 6; Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 23. 15 Vgl. Keller, Grenzen, S. 284. 16 Ebenso Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 22. Dieses Ergebnis ergibt sich auch dann, wenn man § 34 StGB als Ausdruck eines ausschließlich zwischen natürlichen Personen wirkenden Solidaritätsgedankens versteht; siehe dazu unten E. III. 3; vgl. Engländer, in: Matt/ Renzikowski, § 34 Rn. 17. 17 BGHSt 4, 88, 93; Welzel, Strafrecht, S. 96: „Wo zugleich öffentliche Interessen geschützt sind“; ebenso Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 16. 18 Ebenso Ingelfinger, Grundlagen, S. 181. 19 BGH NJW 1954, 1049, 1050; zustimmend Otto, Gutachten 56. DJT, D 13 ff.; Schmidhäuser, in: FS Welzel, S. 801, 819; Schwalm, Grenzen, S. 30. 20 Gallas, JZ 1960, 649, 653.

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B. Die Beschränkung auf die Interessen einer Person

dem inhaltlich folgen möchte21, können diese Belange nach der hier vertretenen Auffassung jedoch nicht als notstandsfähige Rechtsgüter herangezogen werden, da sie sich nicht aus dem antizipierten Schutz individueller Güter ergeben, sondern gesellschaftliche Positionen darstellen, die sich erst aus dem kulturellen Zusammenwirken Einzelner neu ergeben. Darüber hinaus ist aber auch nach der vorherrschenden weiteren Ansicht erforderlich, dass die geschützten Allgemeinrechtsgüter ausreichend konkretisierbar sind.22 Es wird jedoch unmöglich sein, den Schutzbereich des Sittengesetzes oder der herrschenden Moral hinreichend zu bestimmen23, sodass bei einer Anerkennung als notstandsfähige Rechtsgüter § 34 StGB zur allgemeinen Eingriffsbefugnis aus Billigkeitsgründen verkommen würde. Dieselben Einwände stehen auch der Argumentation Bottkes entgegen, nach dem die Allgemeinheit „ein ureigenes […] Interesse daran hat, […] ihre Wertschätzung des Rechtsguts ,Leben‘ […] auszudrücken“.24 Konkreter erscheinen hingegen Bestrebungen, die das Rechtsgut Leben an sich als Allgemeinrechtsgut begreifen und dementsprechend eine Pflicht zum Leben postulieren. Diese soll sich vor allem daraus ergeben, dass die Gesellschaft ein grundsätzliches Interesse an ihrer weiteren Existenz habe. Die Basis für das Bestehen des Ganzen sei dabei der Erhalt der einzelnen Teile. Das Gemeinwesen könne daher nicht dulden, dass Individuen sich aus ihm selbst entfernten und dadurch den Fortbestand des sozialen Lebens gefährdeten.25 An dieser im Kern utilitaristischen Begründung ist vielfach überzeugend Kritik geübt worden.26 Dem offensichtlichen Einwand, dass praktisch niemals das Ende 21 Ablehnend Bottke, Suizid, S. 51; Dreier, JZ 2007, 317, 318; Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459, 464 f. 22 Fincke, NJW 1977, 1094, 1095; Kühl, AT, § 8 Rn. 31; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 23. 23 Ähnlich v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 218 f.; Möllering, Schutz, S. 88 f.; SternbergLieben, Schranken, S. 105; Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41, 43. 24 Bottke, Suizid, S. 90; ähnlich VG Karlsruhe NJW 1988, 1536, 1537; Kühl, AT, § 8 Rn. 161; Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 212 Rn. 21; kritisch hierzu Jakobs, ZStW 95 (1983), 669, 670 f. 25 Jescheck/Weigend, AT, S. 379; Laber, Schutz, S. 17, 133; Schmidhäuser, in: FS Welzel, S. 801, 817; Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 66; ähnlich bereits Feuerbach, Lehrbuch, § 206: „Da […] durch die Verletzung [des Lebens] dem Staat ein Glied seiner Vereinigung völlig entzogen wird“; im Ergebnis ähnlich Klinkenberg, JR 1978, 441, 443, der die Pflicht zum Leben jedoch wenig überzeugend allein aus der Polizeirechtswidrigkeit des Suizids und der Existenz des § 216 StGB ableitet; abwegig hingegen Bringewat, ZStW 87 (1975), 623, 647 f., nach dem sich eine solche Pflicht aus einem gewohnheitsrechtlich anerkannten Straftatbestand der Selbsttötung ergeben soll. Dem steht nicht nur das strafrechtliche Analogieverbot entgegen, sondern es fehlt hierzu bereits sowohl an einer erforderlichen langanhaltenden Übung als auch an einer entsprechenden rechtlichen Überzeugung im betroffenen Rechtskreis. 26 Eingehend Chatzikostas, Disponibilität, S. 212 ff.; v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 202 ff.; Engländer, Nothilfe, S. 132 ff.; Fink, Selbstbestimmung, S. 113 ff.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 522 f.; Niestroj, Selbsttötung, S. 31 ff.; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 114 ff.

II. Der Schutz von Allgemeinrechtsgütern

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eines Gemeinwesens allein durch einverständliche Fremd- oder Selbsttötungen drohen wird27, möge man noch entgegenhalten, dass bereits Umfang und Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft geschützt werden könnten. Es gibt allerdings zahlreiche Möglichkeiten, durch die sich der Einzelne der Gesellschaft entziehen kann, die zweifelsfrei nicht verboten sind, es dieser Ansicht folgend jedoch sein müssten, wie das Auswandern oder das Eremitentum.28 Des Weiteren müsste konsequent auch eine Übertragung auf weitere Individualrechtsgüter stattfinden, die allesamt zum größtmöglichen Gemeinnutzen einzusetzen wären. Dies würde letztendlich die Grundlage für ein totalitäres System bilden können, in dem das Individuum nur noch als Teil der Gemeinschaft angesehen wird, welches einer grenzenlosen Inanspruchnahme zu Gunsten der Allgemeinheit ausgesetzt ist.29 Dem deutschen Recht liegt jedoch eine freiheitliche Werteordnung zu Grunde, die Verpflichtungen des Einzelnen auf das Nötigste reduziert, und deren Zweck die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens und nicht ihr Selbsterhalt ist30, sodass das Leben nicht als Allgemeinrechtsgut interpretiert werden kann. Bottke bringt für die Fälle der Suizidverhinderung als weiteren Aspekt den sogenannten Werther-Effekt ein.31 Nach diesem erzeugt die öffentliche Wahrnehmung von Selbsttötungen eine suggestive Wirkung, die sich dergestalt manifestiert, dass andere dem Vorbild des Suizidenten folgend den Entschluss zur Selbsttötung fassen und sich sogar an der konkreten Form der Lebensbeendigung ein Beispiel nehmen. Die Nachahmung wird dabei vor allem durch die mediale Berichterstattung über den Suizid ausgelöst und der Effekt wird potenziert, wenn Personen von besonderem öffentlichem Interesse betroffen sind. Die Existenz dieser Zusammenhänge ist heute sowohl in der Medienwissenschaft als auch in der Psychiatrie umfassend anerkannt.32 Daraus ergibt sich, dass derjenige, welcher eine Selbsttötung verhindert, mit seiner Handlung zugleich entsprechende Nachahmungstaten verhindern könnte, womit das Leben einer unbestimmten Vielzahl von Personen geschützt werden könnte. 27 v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 203; Merkel, Früheuthanasie, S. 416; Möllering, Schutz, S. 24. 28 v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 204; Engländer, Nothilfe, S. 133; Merkel, Früheuthanasie, S. 417; Niestroj, Selbsttötung, S. 32; als weiteres Beispiel wird das Mönchtum benannt, vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 219. Bottke, Suizid, S. 49 f., wendet ein, dass vergleichbare Pflichten durchaus existierten, jedoch einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedürften, welche für den Suizid nicht gegeben sei. 29 Engländer, Nothilfe, S. 133; Ingelfinger, Grundlagen, S. 183 f. 30 v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 205 ff.; Dreier, JZ 2007, 317, 319: „Vorrang[] des Einzelnen gegenüber dem Staat“; Ingelfinger, Grundlagen, S. 184; Murmann, Selbstverantwortung, S. 522; Niestroj, Selbsttötung, S. 34; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 115. 31 Bottke, Suizid, S. 126; Bottke, GA 1982, 346, 359. Die Bezeichnung geht auf die ersten wahrgenommenen Fälle der Suizidnachahmung in Folge der Veröffentlichung des Romans „Die Leiden des jungen Werthers“ von Johann Wolfgang von Goethe zurück. Baltz, Lebenserhaltung, S. 237, erkennt dieses Interesse zwar ebenfalls an, spricht ihm aber die Relevanz für eine Anwendung des § 34 StGB ab. 32 Vgl. für die Medienwissenschaft Kunczik/Zipfel, Gewalt, S. 94 ff.; für die Psychiatrie Ziegler/Hegerl, Nervenarzt 2002, 41, jeweils m.w.N.

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B. Die Beschränkung auf die Interessen einer Person

Dies hat zunächst bereits Bottke dahingehend eingeschränkt, dass ein Eintritt des Werther-Effekts dort nicht zu befürchten ist, wo eine öffentliche Wahrnehmung des Suizids ausgeschlossen ist.33 Bei der Verhinderung einer weitestgehend privaten Selbsttötung spielt dieser Gesichtspunkt also keine Rolle. Aber auch darüber hinaus überzeugt die vorliegende Argumentation nicht. In letzter Konsequenz stellt sie dem Suizid entgegen, dass andere ebenfalls einen solchen begehen könnten. Dies impliziert jedoch, dass man die folgenden Suizide bereits aus anderen Gründen als rechtswidrig erachtet. Tut man dies, so wird man diese Bewertung auch ohne Berücksichtigung des Werther-Effekts schon auf die vorliegende Selbsttötung übertragen können. Tut man dies hingegen nicht, so ist ersichtlich, dass es einer Handlung nicht allein entgegenstehen kann, dass andere sie ebenfalls begehen könnten. Dies wäre ein Zirkelschluss, da jeder weitere Suizid nur deshalb als zu vermeidende Folge anzusehen wäre, weil er wieder andere Nachahmungstaten auslösen könnte. Durch die Verhinderung eines Suizids oder die Rettung eines Einwilligungsunfähigen oder Einwilligungsunwilligen wird folglich generell kein notstandsfähiges Allgemeinrechtsgut geschützt. Etwas anderes gilt nur in Einzelfällen, in denen durch die konkreten äußeren Umstände Rechtsgüter der Allgemeinheit gefährdet werden. Beispielsweise indem ein Suizident zur Selbsttötung in entgegengesetzter Fahrtrichtung eine Autobahn befährt und damit die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt. Hier kann eine Unterbindung des Vorhabens selbstverständlich durch die entgegenstehenden Gemeinschaftsinteressen legitimiert werden.34

III. Die Beeinträchtigung von Allgemeinrechtsgütern Zu erörtern ist nun, ob vor allem durch das Leisten von Sterbehilfe ein Rechtsgut der Allgemeinheit beeinträchtigt wird. Die Betrachtung ist dabei auf dieser Seite nicht auf die Erfassung von notstandsfähigen Gütern beschränkt. Aus den zuvor genannten Gründen kann aber auch in diesem Kontext das Leben des Sterbenden per se nicht als in diesem Fall beeinträchtigtes Allgemeininteresse erachtet werden.35 Es könnte jedoch sein, dass jede Form der Fremdtötung gegen ein gesellschaftlich etabliertes Tötungstabu verstößt. Nach Neumann ist dieses soziale Interesse in Fällen der Sterbehilfe gegen die individuellen Interessen des Sterbewilligen abzuwägen. Sterbehilfe sei demnach nur dort zulässig, wo die Belange des Betroffenen das In33

Bottke, Suizid, S. 52. Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 1 Rn. 29. 35 Dieser und die folgenden Standpunkte werden zumeist in die Diskussion um die Legitimation des § 216 StGB eingebracht. Sie dienen jedoch generell der Begründung eines umfassenden, einer Einwilligung nicht zugänglichen Lebensschutzes und können daher gegen jedwede Form der Fremdtötung eingewandt werden. Nicht berücksichtigt werden sollen hier die Ansätze, die § 216 StGB mit dem (paternalistischen) Schutz des Todeswilligen vor sich selbst begründen, da diese das Vorliegen einer rein internen Interessenkollision nicht in Abrede stellen. Siehe dazu aber unten F. III. 1. 34

III. Die Beeinträchtigung von Allgemeinrechtsgütern

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teresse an der Aufrechterhaltung des Tabus wesentlich überwögen.36 Fraglich ist allerdings, ob und woraus sich ein Solches begründen lässt. Herzberg hat hierzu angeführt, dass es innerhalb unseres Kulturkreises ein natürliches Streben der Rechtsgemeinschaft nach einem tabuisierten Lebensschutz gebe. Seine rechtliche Anerkennung resultiere bereits daraus, dass eine solche Überzeugung in der Gesellschaft existiere.37 Hiergegen wurde zutreffend eingewandt, dass ein derartiger Konsens, jede Form der aktiven Tötung zu ächten, in der Bevölkerung nicht gegeben ist, da beispielsweise der polizeiliche Rettungsschuss, die Tötung in Notwehr oder die indirekte Sterbehilfe weit überwiegend gebilligt werden. Vielmehr eröffnet schon Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG die Möglichkeit in das Rechtsgut Leben einzugreifen.38 Murmann nimmt daher die Einschränkung vor, dass sich der Tabubereich nur auf bestimmte Fälle der Fremdtötung erstrecke und es im Kompetenzgebiet des Gesetzgebers liege, diesen zu definieren.39 Doch selbst dann bleibt das Tabu seinem Wesen nach eine emotionale Überzeugung der gesellschaftlichen Mehrheit, die – selbst wenn man ihre Existenz bejaht – keine ausreichende Grundlage für eine Strafbewehrung bieten kann, unter anderem da gerade der Minderheitenschutz ein wesentlicher Grundsatz der deutschen Rechtsordnung darstellt.40 Diese Überzeugung ist daher dem Privatbereich eines jeden Einzelnen zuzuordnen, sodass sie auch bei weitreichendem Konsens nicht zur öffentlichen Wertungsmaxime erhoben werden kann.41 Ein Fremdtötungstabu als Allgemeinrechtsgut zu schützen ist folglich nicht möglich. Andere Stimmen wollen das Tabu einer Fremdtötung daher damit sachlich begründen, dass im entgegengesetzten Fall ein Dammbruch42 drohe. Würde der Schutz 36

Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 16, Vor § 211 Rn. 128; Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 584; ebenso Merkel, Früheuthanasie, S. 551; diesen Interessenkonflikt erkennt grundsätzlich auch Herzberg, NJW 1996, 3043, 3048, an. 37 Herzberg, NJW 1996, 3043, 3047; für eine ähnlich autarke Begründung Hirsch, in: FS Lackner, S. 597, 612; Murmann, Selbstverantwortung, S. 517 ff.; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 118, verweist zwar darauf, dass das Tabu dazu diene das Leben Dritter zu schützen, kann aber nicht erklären, warum die mögliche Straflosigkeit einer Tötung auf Verlangen zu einer entsprechenden Gefährdung führen würde. Schroeder, in: FS Deutsch, S. 505, 510, begründet den Tabuschutz mit dem jeder Fremdtötung innewohnenden Handlungsunwert, der im Fall des § 216 StGB trotz eines durch eine Einwilligung getilgten Erfolgsunwerts bestehen bleibe. 38 Engländer, Nothilfe, S. 136; Ingelfinger, ZfL 2005, 38, 39; Hoerster, Sterbehilfe, S. 22 f.; zweifelnd auch Merkel, in: Debatte, S. 71, 93: „das angebliche Interesse“. 39 Murmann, Selbstverantwortung, S. 520 f. 40 v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 218 ff.; Engländer, Nothilfe, S. 136; Geilen, Euthanasie, S. 25; Hoerster, Sterbehilfe, S. 23; Ingelfinger, Grundlagen, S. 186; Roxin, AT I, § 2 Rn. 43; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565, 567; ähnlich Merkel, Früheuthanasie, S. 417: „zu unklar und zu voluminös, um als normative Begründung einer Strafdrohung akzeptabel zu sein“. 41 Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459, 468 f. 42 Unerheblich bleibt, ob diese Begründung als Dammbruchargument, Normstabilisierungsargument, Argument des nächsten Schritts oder Argument der schiefen Bahn deklariert wird.

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B. Die Beschränkung auf die Interessen einer Person

des Lebens auch nur partiell aufgehoben, so könne dies der Anstoß dazu sein, dass das Leben in der Bevölkerung zukünftig als frei disponibles und begrenzbares Rechtsgut verstanden werde, der Respekt vor diesem dadurch nachlasse und dies in der Folge weiteren gravierenden Einschränkungen den Weg ebnen könnte, wodurch insgesamt der von der Verfassung angestrebte Lebensschutz erodieren würde.43 Auch dieser Sichtweise stehen allerdings überzeugende Einwände entgegen. So existieren heute bereits die oben genannten Einschränkungen des Lebensschutzes, welche bislang jedoch nicht zu einem derartigen Dammbruch geführt haben.44 Konsequent wäre es aber erforderlich, diese Argumentation auf alle Fälle irgendwie gearteter Lebensverkürzung zu übertragen, was in der Sache allerdings niemand ernstlich erwägt.45 Des Weiteren würde diese Herangehensweise in Hinblick auf den Gesetzgeber bedeuten, dass dieser berechtigt wäre, die Rechte der Bürger allein deswegen einzuschränken, weil er fürchten müsste, folgenden Forderungen nach weiteren Erlaubnissen selbst nicht standhalten oder weiterhin gültige Verbote nicht durchsetzten zu können. Ein solcher Schutz des Staates vor seiner eigenen Schwäche ist vor allem zu Lasten der Normadressaten nicht anzuerkennen.46 Und schließlich gibt es für die Annahme eines solchen Effekts auch keine gesicherten soziologischen Nachweise. Will man auf dieser Grundlage jedoch individuelle Freiheitsrechte einschränken, so reicht es nicht, hierfür Vermutungen und Behauptungen anführen zu können.47 Ein anderer Ansatz versucht das Verbot jedweder Fremdtötung damit zu begründen, dass im entgegengesetzten Fall, bei dem eine Einwilligung in den Totschlag möglich wäre, erhebliche Beweisprobleme und damit Missbrauchsgefahren48 gegeben seien. Nach einer tatsächlich strafbaren Tötung könne sich der Täter darauf berufen, dass er vom Opfer um die Beendigung seines Lebens gebeten worden sei. 43 Giesen, JZ 1990, 929, 935; Hirsch, in: FS Lackner, S. 597, 613; Hufen, NJW 2001, 849, 855; Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 584; diesen Bedenken zustimmend auch Schroeder, ZStW 106 (1994), 565, 568; trotz eingehender und grundsätzlich überzeugender Gegenargumentation (S. 193 ff.) im Ergebnis auch Ingelfinger, Grundlagen, S. 217 f. 44 Engländer, Nothilfe, S. 137; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 119. 45 So zum Beispiel auf die indirekte Sterbehilfe oder die Tötung in Notwehr; Chatzikostas, Disponibilität, S. 249; Herzberg, NJW 1986, 1635, 1642. 46 Murmann, Selbstverantwortung, S. 280 f.; ähnlich auch Merkel, Früheuthanasie, S. 600; Ingelfinger, Grundlagen, S. 193 f., verweist hier auf die Kontrollfunktion des Verfassungsgerichts. 47 Chatzikostas, Disponibilität, S. 249; Hegselmann, in: Debatte, S. 197, 207; Ingelfinger, Grundlagen, S. 194 f.; Merkel, Früheuthanasie, S. 599; Rosenau, in: FS Roxin 2011, S. 577, 589; Schneider, in: MK-StGB, § 216 Rn. 3 Fn. 12. 48 Unter dem Begriff der Missbrauchsgefahr wird ebenfalls diskutiert, inwiefern bei legalisierter aktiver Sterbehilfe von Dritten oder der Allgemeinheit Druck auf den Kranken ausgeübt werden könnte, der Beendigung seines Lebens beispielsweise aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus zuzustimmen; vgl. Geilen, Euthanasie, S. 27; Ingelfinger, JZ 2006, 821, 823. Dieser Aspekt schützt allerdings den Betroffenen selbst vor einer fremdbestimmten Entscheidung und bezieht daher keine Allgemein- oder Drittinteressen mit ein; siehe hierzu unten F. III. 1.

III. Die Beeinträchtigung von Allgemeinrechtsgütern

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Das Gegenteil sei dann, da eine Befragung des Betroffenen augenscheinlich ausscheidet, nur schwer nachzuweisen. Die vorliegende Einschränkung diene damit dazu, das Leben eines jeden nicht Sterbewilligen zu schützen und Täter eines Totschlags überführen zu können.49 Der hiergegen vorgebrachte Einwand, es liege, würde man dem folgen, bei § 216 StGB eine verfassungsrechtlich nicht haltbare Bestrafung auf Verdacht vor50, ist deshalb nicht haltbar, weil nicht der Mangel einer Einwilligung unterstellt, sondern zu Gunsten des Lebens Dritter ausdrücklich auch beim unzweifelhaften Vorliegen einer solchen bestraft wird.51 Überzeugender ist jedoch, dass bereits aktuell die Möglichkeit besteht, dass der Täter unter der wahrheitswidrigen Behauptung einer Einwilligung versuchen könnte, den wesentlich milderen Strafrahmen des § 216 StGB auszunutzen. Hierzu wurde allerdings nachgewiesen, dass solche Fälle in der Praxis keine Rolle spielen.52 Und weiterhin ist ein solch absoluter Schutz dort nicht erforderlich, wo das Vorliegen der Einwilligung sicher nachgewiesen werden kann. Diese Fälle werden allerdings von § 216 StGB nicht ausgeschlossen. Auf Grund der zurückhaltenden Natur des Strafrechts wäre der Gesetzgeber allerdings dazu verpflichtet, entsprechende Ausnahmeregelungen zu schaffen. Jedenfalls müsste eine teleologische Reduktion der Norm für solche Fälle durchgeführt werden.53 Im Ergebnis wird somit durch die Beendigung eines Lebens kein Rechtsgut der Allgemeinheit beeinträchtigt. Das Leben stellt keine Rechtsposition des Gemeinwesens dar und es existiert weder ein entsprechendes rechtlich zu schützendes Tabu, noch gefährdet eine Tötung in jedem Fall das Leben unbestimmter anderer, indem die gesellschaftliche Achtung des menschlichen Lebens herabgesetzt würde oder die Zulässigkeit bestimmter Tötungen zu verdeckten Straftaten führen könnte.

49 Arzt, ZStW 83 (1971), 1, 36; Hirsch, in: FS Lackner, S. 597, 613; Kutzer, MDR 1985, 710, 715; Otto, in: FS Tröndle, S. 157, 159; Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216 Rn. 2; Tröndle, ZStW 99 (1987), 25, 38; diese Argumentation wurde bereits 1792 vorgebracht von Soden, Geist, § 200. 50 Ingelfinger, Grundlagen, S. 190; Rönnau, Willensmängel, S. 164; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565, 570; Schroeder, in: FS Deutsch, S. 505, 509. 51 Chatzikostas, Disponibilität, S. 261; Engländer, Nothilfe, S. 134 Fn. 118; Murmann, Selbstverantwortung, S. 523. 52 Chatzikostas, Disponibilität, S. 263; Engländer, Nothilfe, S. 135; Ingelfinger, Grundlagen, S. 189; Jakobs, Tötung, S. 21; Rönnau, Willensmängel, S. 164; Schneider, in: MKStGB, § 216 Rn. 3 Fn. 11; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565, 570; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 119 f.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 525, wendet hiergegen ein, dass erst die Attraktivität vollständiger Straflosigkeit entsprechende Missbrauchsfälle hervorrufen könnte. 53 Engländer, Nothilfe, S. 135; Murmann, Selbstverantwortung, S. 524; siehe zur Möglichkeit einer teleologischen Reduktion unten F. III. 1.

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B. Die Beschränkung auf die Interessen einer Person

IV. Der Schutz von Individualrechtsgütern Dritter Die Rettung eines Menschen vor dem Tod könnte auch dazu dienen, Individualrechtsgüter, die nicht solche des Geretteten sind, zu schützen. Dafür kommen zunächst Rechtsgüter des Eingriffstäters in Betracht, da dieser ein eigenes, berechtigtes und rechtlich geschütztes Interesse an der Hinderung des Todeseintritts und damit an der Vornahme der Rettungshandlung haben könnte. Ein Solches wird vor allem in Suizidsituationen aber auch bei der Ablehnung lebensnotwendiger aber medizinisch gebotener Behandlungen in Erwägung gezogen, wenn Ärzte Heileingriffe vornehmen, die vom Gefährdeten nicht mehr gewollt sind. Hier soll sich aus der ärztlichen Standesethik und der Berufspflicht des Arztes grundsätzlich ein Recht, lebenserhaltende Maßnahmen zu ergreifen, ergeben, welches gegen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten abzuwägen sei.54 Dieses Recht wird darüber hinausgehend teilweise auch mit der Menschenwürde des Arztes und seiner Gewissensfreiheit begründet, da es ihm nicht zugemutet werden könne, einem sinnlosen Sterben tatenlos zuzusehen.55 Soweit in diesem Kontext allerdings auf die Rechtsprechung des BVerfG verwiesen wird, in der die rechtliche Bedeutsamkeit der ärztlichen Standesethik herausgestellt wurde56, ist einzuwenden, dass das BVerfG bei der Legitimation ärztlicher Eingriffe stets das Selbstbestimmungsrecht des Patienten aus Art. 2 Abs. 1 GG in den Mittelpunkt gerückt hat.57 Danach bestimmt allein die autonome Entscheidung des Betroffenen die Rechte und Pflichten des Arztes.58 In diesem Sinne ist folglich auch kritisiert worden, dass auf einem solchen Wege einem Zwangsbehandlungsrecht Tür und Tor geöffnet werden könnte und Umfang und Dauer der Behandlung der „Vernunftshoheit“ des Arztes unterstellt würden.59 Mit der Neufassung des § 1901a BGB60 und der Feststellung des BGH, dass dessen Regelungsgehalt auf die Würdigung strafrechtlicher Sachverhalte zu übertragen ist61, wurde nun erneut betont, dass die Zulässigkeit ärztlicher Heileingriffe, insbesondere in unmittelbarer Nähe des Todeseintritts, allein anhand des ausdrücklichen (§ 1901a Abs. 1 BGB) oder mutmaßlichen (§ 1901a Abs. 2 BGB) Willens des Patienten zu

54 BGH NStZ 1985, 119, 121; Kreuzer, Hilfeleistungspflicht, S. 68 f.; M. Koch, Nothilfe, S. 51; Ulsenheimer, in: FS Eser, S. 1225, 1242; für eine eigenständige Kollision ärztlicher Pflichten v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 407. 55 OLG München NJW 2003, 1743, 1744 f., mit Verweis auf die Art. 1, 2, 4 GG und weitergehend sogar auf die vertragliche Bindung des Patienten durch den Heimvertrag; Händel, NJW 1972, 330; ablehnend im Folgenden BGHZ 163, 195. 56 So BGH NStZ 1985, 119, 121, unter Berufung auf BVerfG NJW 1979, 1925, 1930. 57 BVerfG NJW 1972, 327, 330; BVerfG NJW 1979, 1925, 1930; ebenso Verrel, Gutachten 66. DJT, C 71. 58 Otto, Gutachten 56. DJT, D 40. 59 Eser, MedR 1985, 6, 15; ebenso Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35a; Uhlenbruck, NJW 2003, 1710, 1711. 60 Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts v. 29. 07. 2009, BGBl. I, 2286. 61 BGHSt 55, 191, 199 f.

IV. Der Schutz von Individualrechtsgütern Dritter

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beurteilen ist.62 Von daher bleibt kein Raum mehr dafür, ein eigenes Interesse des Arztes oder eines sonstigen Retters an der Vornahme einer lebenserhaltenden Maßnahme zu berücksichtigen. Ein solches kann sich auch nicht daraus ergeben, dass der Eingriffstäter für den Fall, dass er untätig bleiben würde, zu befürchten haben könnte, dass er sich wegen unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB strafbar macht. Insbesondere bei Suizidversuchen hat die Rechtsprechung vielfach eine strafbewehrte Hilfspflicht angenommen – unabhängig davon, ob die Selbsttötung freiverantwortlich stattfinde oder nicht.63 Die Literatur lehnt dies hingegen jedenfalls für selbstbestimmte Suizide mehrheitlich ab, wobei sich auch die Rechtsprechung vereinzelt dieser Position angeschlossen hat.64 Doch selbst wenn man erstgenannter Ansicht folgt, kann sich daraus kein im Rahmen des § 34 StGB zu berücksichtigendes Interesse des Täters ergeben, die Rettungshandlung vornehmen zu dürfen, um sich nicht strafbar zu machen. Denn § 323c StGB setzt im Rahmen des Kriteriums der Zumutbarkeit eine Interessenabwägung voraus, die mit der des § 34 StGB zumindest vergleichbar ist.65 Die strafbewehrte Hilfspflicht greift also nur dann ein, wenn bei dieser Abwägung bereits ein Interessenübergewicht zu Gunsten des Eingriffs festgestellt wird. Diese, sich aus § 323c StGB ergebende Pflicht zum Handeln im Rahmen des § 34 StGB zu berücksichtigen würde demnach dazu führen, dass man das bei der Prüfung des § 323c StGB ermittelte Abwägungsergebnis bei § 34 StGB zu seiner eigenen Begründung heranziehen würde. Es kann somit kein eigenständiges derartiges Interesse des Eingriffstäters existieren, eine Suizidverhinderung durchführen zu dürfen. Es könnten jedoch auch Belange der Familienangehörigen des Eingriffsopfers als geschützte Rechtsgüter in Betracht kommen. Hierbei ist zunächst festzustellen, dass der Tod eines Menschen die hinterbliebenen Freunde und Verwandte regelmäßig mit Schmerz und Trauer erfüllen wird. Bei Suizidfällen kommt vielfach hinzu, dass die Angehörigen sich selbst Vorwürfe machen, für den Entschluss des Suizidenten verantwortlich zu sein.66 Bei der Rettung eines Menschenlebens könnten daher durch die Abwendung dieser Folgen Rechtsgüter Dritter geschützt werden. Es ist jedoch zweifelhaft, ob hierin rechtlich geschützte und vor allem notstandsfähige Positionen zu erblicken sind. Dagegen spricht zum einen, dass bereits im zivilrechtlichen Schadensersatzrecht seelische Schmerzen keine Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB 62

Vgl. BT-Drucks. 16/13314, S. 20. BGH NJW 1954, 1049 f.; BGH NStZ 1985, 119, 121; ebenso Safferling, in: Matt/ Renzikowski, § 212 Rn. 31; Schwalm, Grenzen, S. 30. 64 BGH NJW 1952, 552; BGH NStZ 1983, 117; BGH NJW 1988, 1532; eingehend Bottke, Suizid, S. 292 ff.; ebenso Fischer, StGB, § 323c Rn. 5; Freund, in: MK-StGB, § 323c Rn. 58 f.; Hilgendorf, in: Arzt/Weber, § 39 Rn. 13; Sternberg-Lieben/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 323c Rn. 7; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 323c Rn. 5. 65 Freund, in: MK-StGB, § 323c Rn. 93; Hilgendorf, in: Arzt/Weber, § 39 Rn. 23; Sternberg-Lieben/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 323c Rn. 19; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 323c Rn. 11. 66 Wallace, in: Suizid, S. 207, 215. 63

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B. Die Beschränkung auf die Interessen einer Person

begründen, solange sie sich nicht in einem pathologischen Zustand physischer oder psychischer Art niederschlagen.67 Zum anderen gibt es vielfältige Wege auf denen anderen Leid zugefügt werden kann, welche von der Rechtsordnung allerdings gebilligt werden. So hat beispielsweise eine Scheidung der Eltern oft erhebliche negative Auswirkungen auf die Situation der Kinder, ohne dass hierdurch ein Einschreiten legitimiert werden könnte.68 Allein durch die Vermeidung von Trauer wird somit kein Rechtsgut eines Dritten geschützt.69 Auf juristisch fassbareren Gesichtspunkten beruht hingegen die Erwägung, dass durch die Rettung eines Lebens zukünftige zivilrechtliche Ansprüche von Familienangehörigen gegen den Geretteten geschützt werden könnten. Zu denken ist an die Pflicht eines Elternteils, seinen Kindern Unterhalt zu gewähren70 oder die elterliche Sorge wahrzunehmen71, oder an die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft72. Diese entgegenstehenden Belange sollen nach vereinzelter Ansicht in der Lage sein, das Verfügungsrecht über das eigene Leben einzuschränken oder gar ganz auszuschließen.73 Tatsächlich ist die rechtliche Anerkennung dieser Positionen durch ihren Niederschlag in den zivil- und verfassungsrechtlichen Regelungen nicht zu leugnen. Zudem ist die Schutzwürdigkeit künftiger Unterhaltsansprüche durch die entsprechende Schadensersatzpflicht bei Tötungen aus § 844 Abs. 2 BGB dokumentiert. Wer den Tod eines anderen abwendet, schützt somit auch Rechtsgüter der Angehörigen. Fraglich erscheint jedoch, inwiefern diese Positionen im Rahmen des § 34 StGB den Interessen des Todeswilligen entgegengehalten werden können. Bei der Prüfung des rechtfertigenden Notstands, müssten sie innerhalb der Interessenabwägung den zur Rettung beeinträchtigten Gütern und insbesondere dem Selbstbestimmungsrecht des Eingriffsopfers entgegengesetzt werden.74 Zweifelhaft ist aber, ob sie in der Lage sind, ein Interessenübergewicht zu Ungunsten des Eingriffsopfers auszulösen. Zu Recht ist eingewandt worden, dass sich hieraus keine Pflicht zum Leben ergeben kann, um die Forderungen seiner Angehörigen erfüllen zu können.75 Würde man diesen Ansprüchen einen solchen Geltungsanspruch gegenüber den Rechten des Betroffenen einräumen, so böte dies die Grundlage im Zuge eines erstrecht-Schlusses auch weiterreichende Beschränkungen zu Gunsten der Unterhaltsberechtigten anzuerkennen. Beispielsweise könnte die Pflicht zur Aufnahme einer 67

BGH NJW 1989, 2317 f.; BGH NJW 1998, 2293. Chatzikostas, Disponibilität, S. 234. 69 So im Grundsatz auch Roxin, AT I, § 2 Rn. 26. 70 Vgl. § 1601 BGB. 71 Vgl. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, § 1626 Abs. 1 BGB. 72 Vgl. § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB. 73 Bottke, Suizid, S. 45 f.; Bottke, GA 1982, 346, 353; Roellecke, in: Suizid, S. 336, 338; angedeutet auch bei BVerfG NJW 1972, 327, 330. 74 Verrel, Gutachten 66. DJT, C 71. 75 Otto, Gutachten 56. DJT, D 13. 68

IV. Der Schutz von Individualrechtsgütern Dritter

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Erwerbstätigkeit, mit deren Einnahmen die Forderungen zu bedienen wären, bestehen und es würde in diesem Kontext nicht mehr einleuchten, warum ein Suizid und die Beihilfe dazu nicht ebenfalls untersagt sind.76 Des Weiteren ist auch eine Einwilligung stets zwar nur dann statthaft, wenn der Einwilligende ausschließlich über eigene Rechtsgüter verfügt.77 Hierbei ist aber anerkannt, dass eine aus dem Eingriff folgende mittelbare Benachteiligung Dritter die Einwilligungsbefugnis nicht ausschließt, sondern lediglich auf das durch den konkreten Tatbestand geschützte Interesse abzustellen ist.78 Im Ergebnis werden somit zwar durch eine Lebensrettung geschützte Rechtsgüter Dritter tangiert, sie können allerdings als nur mittelbar betroffene Interessen innerhalb des rechtfertigenden Notstands keine Rolle spielen. Das Ergebnis des § 34 StGB muss folglich ausschließlich von der Abwägung unmittelbar einbezogener Faktoren abhängen. Es ist daher nicht möglich die Rettung eines Menschenlebens als Notstandshilfe zu Gunsten familienrechtlicher Ansprüche eines Dritten zu erfassen. Dasselbe gilt unbestritten auch für die theoretisch mögliche Erwägung, dass die Beendigung eines Lebens das Vermögen Dritter schützen könnte, indem das Anfallen weiterer Behandlungskosten vermieden wird. Auch dieser Aspekt darf bei der rechtlichen Beurteilung nicht nur eine untergeordnete, sondern gar keine Rolle spielen. Hier zeigt sich allerdings bereits eine mögliche Schwäche der Lösung derartiger Konfliktfälle mittels des rechtfertigenden Notstands, denn die grundsätzlich offene und umfassende Interessenabwägungsformel des § 34 StGB schließt die Einbeziehung solcher Belange nicht ausdrücklich und kategorisch aus und könnte somit potentiell als Einfalltor für die Durchsetzung solcher Interessen gegen die Rechte des Betroffenen missbraucht werden.79 Allgemein kann die Rettung eines Lebens somit nicht mit dem Schutz von Individualrechtsgütern, welche nicht solche des Geretteten sind, begründet werden. Auch hier gilt allerdings, dass sich aus den konkreten Umständen der Tatsituation etwas anderes ergeben kann. So ist es insbesondere beim Suizid möglich, dass durch die gegebene Begehungsweise Dritte in Mitleidenschaft gezogen werden können. So zum Beispiel, wenn der Suizident durch das Aufdrehen eines Gashahns die Gefahr einer Explosion schafft oder eine öffentliche Selbsttötung dazu führen kann, dass die diese wahrnehmende Personen im pathologischen Sinne traumatisiert werden.80 In diesen Fällen stehen den Interessen des Geretteten durchaus die geschützten Interessen der Gefährdeten gegenüber.

76 Chatzikostas, Disponibilität, S. 233; Fink, Selbstbestimmung, S. 120 ff.; SternbergLieben, Schranken, S. 117. 77 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 36. 78 Kühl, AT, § 9 Rn. 27. 79 Trück, Einwilligung, S. 92 f. 80 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 1 Rn. 29.

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B. Die Beschränkung auf die Interessen einer Person

V. Die Beeinträchtigung von Individualrechtsgütern Dritter Letztlich ist in Erwägung zu ziehen, dass durch die Beendigung eines Lebens auch Individualrechtsgüter Dritter beeinträchtigt werden könnten. Hierzu ist jedoch weitestgehend auf die obigen Ausführungen zu den als geschützte Rechtsgüter in Betracht zu ziehenden Positionen spiegelbildlich zu verweisen. Wie die Rettung eines Lebens Dritte vor seelischen Schmerzen bewahren könnte, so kann die Beendigung eines Lebens solche begründen. Und wie auf der einen Seite rechtliche Ansprüche geschützt sein könnten, könnten sie hier beeinträchtigt werden. Wie oben erläutert gilt jedoch auch hier, dass diese Positionen für die Abwägung im Rahmen des rechtfertigenden Notstands keine Relevanz besitzen. Möglich bleibt lediglich, dass gerade durch die konkrete Form der Sterbehilfe Belange Dritter tangiert werden, was aber nur in Ausnahmefällen gegeben sein wird.

VI. Zwischenergebnis Festzuhalten ist somit, dass in den eingangs beschriebenen Fallgruppen, für die eine im Ergebnis ausschlaggebende Anwendung des rechtfertigenden Notstands zumindest teilweise befürwortet wird, in der Tat regelmäßig eine Kollision von Interessen nur einer Person vorliegt. Die abweichenden Ansichten, nach denen bei der Betroffenheit des Rechtsguts Lebens entweder vom Schutz oder der Beeinträchtigung von Allgemein- oder Drittinteressen auszugehen ist, sind wie gezeigt abzulehnen. Das Leben stellt ein Individualrechtsgut dar, welches ausschließlich dem Einzelnen zusteht und daher nur diesen schützt und berechtigt. Sein Schutz dient ebenso nur dem Inhaber selbst wie seine Beeinträchtigung nur diesen verletzt. Mittelbar mit dem Leben verknüpfte Ansprüche Dritter stellen zwar anerkannte Rechtspositionen dar, erlangen aber in der Interessenabwägung und bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit als nur mittelbare Folgen keine Bedeutung. Lediglich in den Fällen, in denen sich eine Gefahr für Dritte erst aus den weiteren Umständen des Einzelfalls wie vor allem der Art und Weise eines Suizids ergibt, sind unstreitig auch externe Interessen betroffen, sodass eine Anwendung der Notstandsregelungen möglich ist. In den übrigen Konstellationen bleibt ihre Anwendbarkeit zu klären.

C. Die Voraussetzungen des § 34 StGB Der rechtfertigende Notstand setzt das Vorliegen einer Notstandslage sowie die Vornahme einer zulässigen Notstandshandlung voraus.1 Zudem ist nach heute herrschender Auffassung ein subjektives Rechtfertigungselement erforderlich.2 Dabei ist umstritten, ob in diesem Rahmen die Kenntnis der objektiven rechtfertigenden Umstände ausreicht3 oder der Täter darüber hinaus zielgerichtet gerade zur Abwendung der Gefahr handeln muss4. Was diese Voraussetzung anbelangt, so gelten für Eingriffe in Rechtsgüter des Gefährdeten allerdings keine Besonderheiten. Die Anforderungen, welche an die Kenntnis beziehungsweise den Willen des Täters zu stellen sind, sind hier dieselben wie bei Eingriffen gegen Dritte. Fraglich ist jedoch, ob das Vorliegen einer lediglich internen Interessenkollision die Annahme einer Notstandslage oder einer Notstandshandlung ausschließen kann.

I. Die Notstandsfähigkeit eines preisgegebenen Rechtsguts Die Notstandslage setzt eine gegenwärtige Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut voraus. An ihrem Vorliegen können Zweifel bestehen, wenn der Gefährdete die Realisierung der Gefahr wünscht oder diese sogar selbst zielgerichtet geschaffen hat, um sein eigenes Rechtsgut zu verletzen. Denn es besteht Einigkeit darüber, dass ein Rechtsgüterschutz dort nicht erforderlich ist, wo entweder der Berechtigte in zulässiger Weise über sein Rechtsgut verfügt hat oder die Rechtsordnung die Verwirklichung der Gefahr billigt.5 Umstritten ist lediglich, ob in diesen Fällen bereits keine Notstandslage mehr vorliegt, da ein preisgegebenes Rechtsgut

1

Kindhäuser, AT, § 17 Rn. 13; Rengier, AT, § 17 Rn. 10. Frister, AT, Kap. 14 Rn. 7: „nach heute wohl nicht mehr bestrittener Auffassung“; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 85; Roxin, AT I, § 14 Rn. 96; mit Verweis auf das Gesetzgebungsverfahren Lenckner, Notstand, S. 188 f. 3 So Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 200; Fischer, StGB, § 34 Rn. 27; Lackner/Kühl, StGB, § 34 Rn. 5; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 106; Roxin, AT I, § 14 Rn. 97. 4 Dies wird aus der Formulierung „um die Gefahr […] abzuwenden“ in § 34 S. 1 StGB gefolgert; BGH NJW 1979, 2621, 2622; BGH NStZ 1983, 117; BGH NStZ 1996, 29; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 45; Zieschang, JA 2007, 679, 682. 5 Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 29; Frister, AT, Kap. 17 Rn. 3; Haft, AT, S. 99; Lenckner, Notstand, S. 77; Kühl, AT, § 8 Rn. 32; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 9; Renzikowski, Notstand, S. 64; Wessels/Beulke, AT, Rn. 300. 2

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C. Die Voraussetzungen des § 34 StGB

nicht mehr notstandsfähig ist,6 oder die mangelnde Schutzbedürftigkeit erst im Rahmen der Interessenabwägung7 oder der Angemessenheitsklausel8 zu berücksichtigen ist. Auf die Beurteilung der Rechtswidrigkeit wirkt sich die unterschiedliche Verortung jedoch nicht aus. Relevant wird die Preisgabe eines Rechtsguts nun in der aufgezeigten Fallgruppe, in der der Wille des Gefährdeten dem rettenden Eingriff des Täters entgegensteht, wie beim Suizid oder der Ablehnung einer medizinisch gebotenen Behandlung. Hier verzichtet der Gefährdete ausdrücklich auf den Schutz seiner Rechtsgüter. Diese Entscheidung ist für den Notstandstäter nun grundsätzlich bindend, da Notstandshilfe nur da zulässig ist, wo sie auch erwünscht wird, und somit andersherum eine aufgedrängte Notstandshilfe unzulässig ist.9 Dies folgt aus dem Autonomieprinzip10, das dem Rechtsgutsträger den grundsätzlich freien Umgang mit seinen Rechtsgütern erlaubt, was auch deren Beeinträchtigung oder gar Vernichtung beinhaltet11. Es macht dabei keinen Unterschied, ob der Berechtigte sich entscheidet, sein Gut aktiv selbst zu schädigen, oder ob er die Realisierung einer bestehenden externen Gefahr dulden möchte. In beiden Fällen ist Dritten ein rettendes Eingreifen gegen den Willen des Rechtsgutsträgers zu untersagen. Die freiverantwortliche Entscheidung zur Hinnahme des Schadens kann nämlich ohne weiteres auf die Rechte und Pflichten des Eingriffstäters übertragen werden. So nimmt dieser im Rahmen der Notstandshilfe kein eigenes Recht wahr, sondern setzt lediglich ein solches des Gefährdeten durch (Akzessorietät der Nothilfe). Verzichtet der Betroffene nun aber auf seine Befugnis zur Gefahrenabwehr, so existiert auch kein Recht mehr, das auf den Eingriffstäter zu übertragen wäre.12 Ebenso besteht die Duldungspflicht des Eingriffsopfers nicht aus sich heraus, sondern wird durch das spiegelbildliche Abwehrrecht des Gefährdeten begründet. Verzichtet dieser auf den Rettungseingriff, so kann auch niemand zu dessen Duldung verpflichtet werden.13 Hruschka geht auf dieser Grundlage sogar so weit, dass stets die ausdrückliche oder mutmaßliche 6 Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 18; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 9; Wessels/ Beulke, AT, Rn. 302. 7 Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 16; Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 13; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 24. 8 Maurach/Zipf, AT I, § 27 Rn. 14. 9 Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 13; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 139; Kühl, AT, § 8 Rn. 35; Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 309: „gehört zu den fraglosen Prinzipien“; Pawlik, Notstand, S. 285; Renzikowski, Notstand, S. 64; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 25; ebenso zur Nothilfe im Rahmen des § 32 StGB BGH Beschluss v. 01.07.1986 – 4 StR 306/86, Rn. 4; Engländer, Nothilfe, S. 99; einschränkend Roxin, AT I, § 16 Rn. 71, nach dem die Gewichtung des Betroffenen nur präjudizielle Wirkung haben soll. 10 Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 82; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 34. 11 Roxin, AT I, § 13 Rn. 12; Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 61. 12 Hruschka, Strafrecht, S. 168; nach Renzikowski, Notstand, S. 64, ist der Helfer dem Willen des Gefährdeten untergeordnet; entsprechend zur Nothilfe im Rahmen des § 32 StGB Engländer, Nothilfe, S. 90 f. u. 99. 13 Hruschka, Strafrecht, S. 168.

I. Die Notstandsfähigkeit eines preisgegebenen Rechtsguts

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Zustimmung des Gefährdeten zur Abwehr der Gefahr konstitutive Voraussetzung des Notstandsrechts sein soll.14 Fraglich ist nun, welche Anforderungen an die wirksame und für Dritte verbindliche Preisgabe eines Rechtsguts zu stellen sind. Hierzu gilt: Wenn der Verzicht auf den Schutz eines Rechtsguts wie aufgezeigt Ausdruck der freien Verfügung über dieses ist, so müssen dem die gleichen Voraussetzungen zu Grunde liegen wie der Einwilligung.15 Ohne eine solche Korrelation wäre das Autonomieprinzip nicht wirksam durchsetzbar. Denn wenn der Rechtsgutsträger einen Eingriff in rechtlich anzuerkennender Weise wünscht, also seine Einwilligung erteilt, wäre es widersprüchlich, einem Dritten im Zuge der Notstandshilfe die Abwehr eben dieses Eingriffs zu erlauben. Dem Berechtigten wäre es dann nicht möglich, eigenverantwortlich den von ihm gewollten Zustand herzustellen. Aus dieser Übereinstimmung muss allerdings auch folgen, dass die Grenzen, welche für die Erteilung der Einwilligung gelten, auch auf die Preisgabe eines Rechtsguts im Rahmen des § 34 StGB zu übertragen sind.16 Daher ist unter anderem nur die Preisgabe eines disponiblen Rechtsguts beachtlich17, wonach ein Verzicht auf das Rechtsgut Leben wegen § 216 StGB nicht möglich ist18 und ein solcher auf die körperliche Unversehrtheit nur in den Grenzen des § 228 StGB. Demgegenüber wollen einige Autoren bei § 34 StGB aber auch den Verzicht auf der Dispositionsbefugnis des Einzelnen entzogene Rechtsgüter zulassen.19 Begründet wird dies teilweise damit, dass der Entzug der Disponibilität lediglich bezwecke, dass Eingriffe Dritter in das jeweilige Rechtsgut untersagt blieben, hingegen nicht beabsichtigt sei, auf diesem Wege rettende Eingriffe in andere Rechtsgüter zu legitimieren.20 Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass mit der Entscheidung, dass weiterhin ein notstandsfähiges Rechtsgut vorliegt, noch nicht festgelegt ist, dass 14 Hruschka, Strafrecht, S. 166 ff. Diese Zustimmung sei allerdings nur zu prüfen, wenn Anhaltspunkte für ihr Fehlen vorlägen. Tatsächlich steht die Rechtsordnung allerdings auf dem entgegengesetzten Standpunkt, dass ein Rechtsgut schutzwürdig ist, bis ein entgegenstehender Wille vorliegt. Ansonsten wäre die Konzeption einer Einwilligung verfehlt. 15 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 139; Maurach/Zipf, AT I, § 27 Rn. 14. 16 Hruschka, Strafrecht, S. 167; einschränkend für § 32 StGB Engländer, Nothilfe, S. 138 ff. 17 Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 9: „in rechtlich zulässiger Weise preisgegeben“; ebenso Wessels/Beulke, AT, Rn. 302; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 38: „bewussten Preisgabe eines disponiblen Rechtsguts“; Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 29; Lenckner, Notstand, S. 77; Maurach/Zipf, AT I, § 27 Rn. 14; insofern nicht widerspruchsfrei Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 13, der auf die Einsichtsfähigkeit, die Freiheit von Willens- oder Wissensmängeln und die Dispositionsbefugnis verweist, wobei ausdrücklich auf § 216 StGB hingewiesen wird, aber dennoch die Entscheidung zum Suizid als Preisgabe des Rechtsguts Leben respektieren will. 18 Auf gegebenenfalls zu machende Ausnahmen von der Einwilligungssperre des § 216 StGB soll an dieser Stelle noch nicht eingegangen werden, siehe dazu unten F. III. 1. 19 Ausdrücklich Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 35; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 84; im Ergebnis ebenso Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 55. 20 Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 84.

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C. Die Voraussetzungen des § 34 StGB

dieses nicht von einem anderen Interesse überwogen werden kann oder dass der Eingriff nicht als unangemessen bewertet werden könnte. Die Nichtdisponibilität würde also nicht automatisch einen rettenden Eingriff rechtfertigen, sondern dies nur abstrakt ermöglichen.21 Des Weiteren wäre es widersprüchlich, wenn der auf einer nicht wirksamen Einwilligung beruhende Eingriff zwar als rechtswidrig eingeordnet würde, auf der anderen Seite die Rechtsordnung jedoch dessen gewaltsame Abwehr durch einen Dritten unter Strafe verbieten würde. Würde A also B gestatten, ihn zu erschießen, so würde sich B nach § 216 StGB strafbar machen. Verhinderte nun aber C den Erfolg der Tötungshandlung, indem er eine Sache des D in die Schussbahn wirft, die dabei zerstört wird, so wäre C nach § 303 StGB strafbar. Hier würde auf der einen Seite die Strafbarkeit des Gefahrverursachers (B) mit der Unbeachtlichkeit der vorgenommenen Disposition begründet und auf der anderen Seite die Strafbarkeit des Eingriffstäters (C), zu dessen Gunsten § 34 StGB nicht mehr eingreifen kann, mit der rechtlichen Beachtlichkeit eben dieser.22 Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die frei von Willensmängeln erfolgende Entscheidung eines einsichtsfähigen Gefährdeten, die Verletzung eines disponiblen Rechtsguts hinzunehmen, das Eingreifen von § 34 StGB zu Gunsten eines Notstandshelfers ausschließt. Dies gilt jedoch gerade nicht in den Fällen, in denen das Gut der Verfügungsgewalt des Einzelnen entzogen ist, sodass in den hier relevanten Fällen der Suizidverhinderung oder der ärztlichen Zwangsbehandlung zur Lebensrettung, wo jeweils die Aufgabe des Rechtsguts Leben in Rede steht, zumindest auf dieser Ebene eine Anwendung des rechtfertigenden Notstands nicht ausscheidet. Ist der Eigentümer einer Sache hingegen bereit, deren Zerstörung hinzunehmen, so kann ein Eingriff zu deren Schutz in keinem Fall über § 34 StGB gerechtfertigt werden.

II. Das Vorliegen einer Interessenkollision Die Eingangs bereits aufgeführte und inhaltlich von niemandem bestrittene Definition des Notstands als Zustand gegenwärtiger Gefahr für ein berechtigtes Interesse, der nur durch die Aufopferung eines anderen berechtigten Interesses abgewendet werden kann23, statuiert zwei Voraussetzungen zur Anwendbarkeit der Notstandsregeln, welche als so fundamental anzusehen sind, dass sie kaum einmal ausdrückliche Erwähnung finden. Erforderlich ist demnach nämlich, dass sowohl ein 21

So zur Möglichkeit einer ärztlichen Zwangsbehandlung Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 29. Engländer, Nothilfe, S. 140 f., will den Verzicht auf ein nicht disponibles Rechtsgut nur dann als für Dritte verbindlich anerkennen, wenn durch die Hilfe eine gleichrangige anderweitige Rechtsgutsverletzung ausgelöst würde. Hier obliege es dem Gefährdeten die Verletzung und sogar Tötung hinzunehmen, um dadurch einen anderen zu schützen. Aus Sicht des Helfers weist diese Konstellation aber eher Parallelen zur rechtfertigenden Pflichtenkollision auf, sodass es angemessener erscheint, weder das Unterlassen noch die Vornahme der Hilfeleistung als rechtswidrig zu bewerten. Vgl. zu dieser Konstellation auch Mitsch, in: FS Weber, S. 49, 66 f. 23 Siehe A. I. 22

II. Das Vorliegen einer Interessenkollision

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geschütztes als auch ein beeinträchtigtes Interesse existiert. Nur eine dadurch hervorgerufene Kollisionslage bringt § 34 StGB zur Anwendung, da der Wortlaut insofern widerstreitende Interessen verlangt.24 Fehlt es hingegen an einem geschützten Interesse, so ist die Verletzung eines anderen Guts nicht zu legitimieren. Dies ergibt sich nicht erst daraus, dass sich im Rahmen der Interessenabwägung kein Übergewicht zu Gunsten des Täters ergeben kann, sondern es liegt bereits keine Notstandslage vor, da hier keine Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut besteht. Ähnliches gilt bei Ermangelung eines beeinträchtigten Interesses. Verletzt die Handlung des Täters keine fremden Belange, so liegt bereits kein tatbestandsmäßiges Verhalten vor.25 § 34 StGB setzt dies als Rechtfertigungsgrund jedoch bereits systematisch zwingend voraus26, und auch der Wortlaut verlangt in Satz 1 ausdrücklich, dass der Eingriffstäter „eine Tat begeht“. Zu untersuchen ist daher, ob in den aufgeworfenen Anwendungsfällen des rechtfertigenden Notstands, in denen nur Interessen einer Person betroffen sind, tatsächlich auch widerstreitende Interessen gegeben sind. Bezweifelt wird dies vor allem für Fälle der Sterbehilfe, in denen nach einer Sichtweise kein geschütztes Interesse27 und nach anderer Ansicht kein beeinträchtigtes Interesse28 vorliegen soll, wonach jeweils die Anwendbarkeit des § 34 StGB auszuschließen wäre. 1. Vorliegen eines geschützten Interesses Als geschütztes Interesse des Betroffenen kommt im Rahmen der Sterbehilfe zunächst die Erlösung von krankheitsbedingten Schmerzen in Betracht.29 Dass das körperliche Wohl und damit die Freiheit von Schmerzen ein geschütztes Rechtsgut darstellt, ist unbestritten.30 Es erscheint jedoch auf den ersten Blick widersprüchlich, dieses zu schützen, indem man das Leben des Leidenden beendet.31 Nachvollziehbar ist daher eingewandt worden, dass auf diese Weise die Schutzperson selbst beseitigt werde, sodass es zum Schutz eines einzelnen Gutes dieses Individuums nicht mehr 24

Vgl. Herzberg, NJW 1996, 3043, 3048; Möllering, Schutz, S. 40. Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 586. 26 Nur die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit; vgl. Kindhäuser, LPKStGB, Vor § 32 Rn. 2; Kühl, AT, § 6 Rn. 2; Roxin, AT I, § 14 Rn. 1. 27 Eser, in: Euthanasie, S. 45, 63; Ingelfinger, Grundlagen, S. 249 f.; Ingelfinger, ZfL 2005, 38, 39; Ingelfinger, JZ 2006, 821, 822; Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211 Rn. 20c; Möllering, Schutz, S. 40. 28 Herzberg, NJW 1996, 3043, 3046 u. 3048. 29 So v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 290; Hanack, in: Euthanasie, S. 121, 132 f.; Kutzer, in: FS Salger, S. 663, 672; Otto, Gutachten 56. DJT, D 57; Schreiber, NStZ 1986, 337, 341; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 75. 30 v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 289 ff.; vgl. zum Schutzgut des § 223 StGB Eser/ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 1; Joecks, in: MK-StGB, § 223 Rn. 1; Paeffgen, in: NK-StGB, § 223 Rn. 2. 31 Auch Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 584, verweist daher auf die „vordergründige Plausibilität“ der ablehnenden Auffassung. 25

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C. Die Voraussetzungen des § 34 StGB

kommen könne.32 Es werde insofern nicht der bestehende Schmerz aufgehoben und ein Wohlbefinden hergestellt, sondern lediglich ein Zustand herbeigeführt, in dem jede derartige Wahrnehmung generell ausgeschlossen sei. Die Beseitigung der Schmerzen realisiere sich daher nicht mehr beim Betroffenen, sodass im Ergebnis auch kein Handeln zu dessen Vorteil vorliege.33 Darüber hinaus sei zu bedenken, dass der Tod eines Menschen kaum einmal das einzige und somit erforderliche Mittel zur Linderung von Schmerzen darstelle, da dies regelmäßig auch mit Mitteln der Anästhesie erreicht werden könne.34 Gegen diese Argumentation, die sich zumeist vorrangig gegen die aktive Sterbehilfe richtet, ist zunächst einzuwenden, dass sie konsequent auch eine Rechtfertigung der passiven und der indirekten Sterbehilfe nach den Regeln des rechtfertigenden Notstands ausscheiden lassen muss.35 Darüber hinaus kann es, um den Schutz eines Interesses anzunehmen, nicht darauf ankommen, ob der Betroffene den nicht (mehr) beeinträchtigten Zustand noch wahrnehmen kann. Merkel hat hierzu angeführt, dass dies auf Seiten einer Schädigung auch nicht verlangt werde, da eine schmerzlose Tötung ansonsten kein Übel darstellen würde, weil sich das Opfer dieser nicht bewusst werde.36 Soweit weiterhin darauf verwiesen wird, dass es primär darauf ankomme, dass der Patient den Rest seines Lebens bis zum herbeigeführten Tod schmerzfrei bestreiten könne37, so wird hiergegen korrekt eingewandt, dass es im Angesicht der Lebensbeendigung nicht ausschlaggebend sein kann, ob der Betroffene vor seinem Dahinscheiden noch eine kurze Phase des Wohlbefindens durchlebt oder unmittelbar verstirbt.38 Richtigerweise muss der Schutz vor einer Beeinträchtigung spiegelbildlich zu eben dieser betrachtet werden. Die Schädigung des körperlichen Wohlbefindens besteht im gegenwärtigen, Leiden verursachenden Gesundheitszustand und droht für die Zukunft durch das weitere Andauern dieses Zustands. Das Interesse an Schmerzfreiheit zu schützen, beinhaltet nun nichts anderes als die Abwendung der Beeinträchtigung; konkret bedeutet dies also die Beendigung fortdauernder und die Unterbindung künftiger Schmerzen. Ein Interesse wird also schon dann geschützt, wenn seine Verletzung ausgeschlossen wird. Somit schützt die Tötung eines Menschen das Interesse des Betroffenen an Schmerzfreiheit

32 Sog. „normlogischer Widerspruch“, Eser, in: Euthanasie, S. 45, 63; im Ergebnis ebenso Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 25; Ingelfinger, ZfL 2005, 38, 39; Ingelfinger, JZ 2006, 821, 822. 33 Möllering, Schutz, S. 40. 34 Eser, in: Euthanasie, S. 45, 63; Möllering, Schutz, S. 40 f. 35 v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 292; Merkel, Früheuthanasie, S. 198; anders aber Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 29. 36 Merkel, Früheuthanasie, S. 197; Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 311. 37 Simson, in: Suizid, S. 322, 331; ebenso v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 225 u. 289, die jedoch später feststellt, dass darin kein maßgeblicher Abwägungsfaktor zu erblicken sei, S. 296. 38 Ingelfinger, Grundlagen, S. 250; Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 311.

II. Das Vorliegen einer Interessenkollision

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schon dadurch, dass das Erfahren weiterer Schmerzen verhindert wird.39 Dem Einwand, dass eine anästhetische Behandlung hier als milderes Mittel heranzuziehen sei, ist entgegenzuhalten, dass dies zum einen nicht in allen real auftretenden Fällen möglich sein wird40 und es sich zum anderen dabei um einen ärztlichen Eingriff handelt, welcher der Zustimmung des Patienten bedarf. Liegt eine solche nicht vor, so stellt dieses Vorgehen keine verfügbare Alternative und somit kein milderes Mittel dar, sodass die Wahl dieses Weges allein in der Hand des Betroffenen liegt. Richtigerweise muss die Berufung auf diesen Schutzzweck allerdings dort versagen, wo der Patient auf Grund eines dauerhaften und irreversiblen komatösen Zustands (insbesondere beim Apallischen Syndrom) keinerlei Schmerzen mehr wahrnehmen kann.41 Das geschützte Interesse könnte dann allerdings auch darin gesehen werden, dass die Beendigung des Lebens die Würde des Betroffenen gemäß Art. 1 Abs. 1 GG schützt. Parallel zur soeben erläuterten Diskussion steht natürlich auch dem der Einwand gegenüber, dass die Würde des Menschen nicht geschützt werden könne, indem man das Leben als deren vitale Basis42 beende.43 Andere Autoren sind demgegenüber der Ansicht, dass gerade die Durchführung lebenserhaltender Maßnahmen, insbesondere wenn sie allein auf Grund finanzieller Interessen Dritter erfolgen oder nur eine objektiv sinnlose Verlängerung einer Agonie bewirken44, den Patienten zum „Objekt medizinischer Möglichkeiten“45 mache und daher die weitere Behandlung die Menschenwürde des Betroffenen verletze. Der Abbruch dieser Maßnahmen schütze daher die Würde, indem eine weitere Verletzung unterbunden werde. Hieraus ergebe sich sodann nicht nur das Recht das Leben zu beenden, sondern sogar die Pflicht, dieses zu tun.46 Dieser Ansicht ist zu Gute zu halten, dass sie in den jeweiligen Situationen wohl dem entspricht, was umgangssprachlich unter einem ,unwürdigen Zustand‘ verstanden wird.47 Bei der Übertragung dieser Wertung auf die rechtliche Beurteilung ist jedoch weitreichende Vorsicht geboten.48 Zunächst einmal ist die Beurteilung, wann sich der Patient in einer seine Würde verletzenden Lage befindet und wo dieser 39 Ebenso v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 293; Merkel, Früheuthanasie, S. 198; Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 311; Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 584 f.; im Ergebnis auch Geilen, Euthanasie, S. 26; Roxin, AT I, § 16 Rn. 57. 40 Otto, Gutachten 56. DJT, D 58. 41 Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 29; Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211 Rn. 20c. 42 BVerfG NJW 1975, 573, 575; BVerfG NJW 2006, 751, 757. 43 Vgl. Merkel, Früheuthanasie, S. 320 f.; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 112. 44 Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 75, 97. 45 Möllering, Schutz, S. 57; ebenso v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 402; Arthur Kaufmann, JZ 1982, 481, 483. 46 Eser, in: Heilauftrag, S. 75, 136 f.; Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 29; Möllering, Schutz, S. 56 ff.; Núñez Paz, in: FS Roxin 2011, S. 609, 612; Otto, Gutachten 56. DJT, D 35 ff., D 42, D 50. 47 Vgl. Murrmann-Kahl, in: Menschenbild, S. 123, 132. 48 So auch Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 106.

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C. Die Voraussetzungen des § 34 StGB

Bereich beginnt, nicht nur äußerst schwierig, sondern die zuverlässige Beantwortung dieser Frage erscheint vielmehr unmöglich. Merkel hat hierzu zutreffend darauf hingewiesen, dass der Begriff der Menschenwürde durch ethische, moralische, philosophische und theologische Werte und Überzeugungen ausgefüllt werde, sodass eine lückenlose Präzisierung seinem Wesen nach unmöglich sei.49 Genau eine solche Trennschärfe ist aber erforderlich, wenn es um die Frage geht, ob eine Pflicht zur Lebenserhaltung oder eine exakt entgegengesetzte Pflicht zur Lebensbeendigung besteht. Auch eine Begrenzung auf Fälle irreversiblen Bewusstseinsverlusts bietet hierzu keine hinreichende Sicherheit.50 Zum einen, weil bei jeder ärztlichen Diagnose ein Rest an Unsicherheit verbleibt und zum anderen, weil jeder Mensch sein Interesse an einer weiteren Behandlung in dieser Situation individuell bestimmen wird. Darüber hinaus gehört es zum unbestrittenen Inhalt der Menschenwürdegarantie, dass jedes Leben unabhängig von seiner Qualität gleichermaßen zu schützen ist.51 Von daher ist es ausgeschlossen, dass bereits allein die weitere Existenz des Menschen und seine Lebenserhaltung – sei sie auch noch so qualvoll – für sich eine Verletzung seiner Würde darstellen könnten.52 Eine Beurteilung der bloßen Lebensverlängerung als Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG ist somit nicht möglich.53 Ein Behandlungsabbruch stellt unter diesem Aspekt daher auch keinen Schutz der Menschenwürde dar. Ist es nun aber zum Beispiel so, dass ein Mensch nur am Leben erhalten wird, um dadurch medizinische Erkenntnisse zu gewinnen, so verletzt diese Behandlung zwar sicherlich die Würde des Patienten54 und ihre Beendigung würde folglich deren Schutz dienen, aber dann ist es wiederrum nicht so, dass der Tod des Patienten den einzigen Ausweg aus dieser Situation darstellt. Als milderes Mittel könnte vielmehr stets die Aufgabe einer derartigen Zweckrichtung der Behandlung gefordert werden.55 Dennoch bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass jede Berücksichtigung dieses Grundrechts hier ausgeschlossen sein muss.56 Das geschützte Interesse kann nämlich auch im Schutz des Rechts auf einen würdigen Tod, abgeleitet aus Art. 1 Abs. 1 GG 49 Merkel, Früheuthanasie, S. 315; ähnlich Chatzikostas, Disponibilität, S. 106; Knopp, MedR 2003, 379, 383; Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 212 Rn. 37; Schneider, in: MKStGB, Vor § 211 Rn. 112. 50 So aber v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 405; Otto, Gutachten 56. DJT, D 35. 51 BVerfG NJW 1975, 573, 575: „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu“; BVerfG NJW 1993, 1751, 1753; Hillgruber, in: BeckOK-GG, Art. 1 Rn. 17; Otto, Gutachten 56. DJT, D 24 f.; Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 212 Rn. 36. 52 Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211 Rn. 20c; Merkel, Früheuthanasie, S. 345; a.A. Otto, Gutachten 56. DJT, D 73. 53 Chatzikostas, Disponibilität, S. 106; Merkel, Früheuthanasie, S. 320 f.; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 106; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 112. 54 Soweit auch Verrel, Gutachten 66. DJT, C 72. 55 So im Ergebnis auch Höfling, JuS 2000, 111, 114; ähnlich Otto, Gutachten 56. DJT, D 25. 56 So Merkel, Früheuthanasie, S. 315 u. 321; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 112.

II. Das Vorliegen einer Interessenkollision

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i.V.m. Art. 2 Abs. 1 u. 2 GG57, gesehen werden. Die Anerkennung dieses Interesses hat grundsätzlich breite Zustimmung erfahren.58 Im Gegensatz zum vorgenannten Ansatz wird hier nicht das weitere Leben des Kranken und dessen Aufrechterhaltung als Verletzung der Würde erachtet, sondern sein Wunsch zu sterben als zu respektierender Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts und der Patientenautonomie.59 Einigkeit besteht in diesem Zusammenhang darüber, dass sich hieraus zumindest ein Recht auf den natürlichen Tod, also ein Anspruch auf die Nichthinderung eines tödlichen Krankheitsverlaufs, ergibt.60 Ob darüber hinaus auch der Wunsch nach einer aktiven Beendigung des Lebens als schützenswert erfasst ist, ist umstritten.61 Dafür wird angeführt, dass aus Sicht des Patienten das Recht auf einen würdigen Tod nicht davon abhängen könne, ob sein Qualen verursachender Zustand bei ungehindertem Fortlauf bereits aus sich heraus das Leben beenden kann oder es dazu des Eingreifens eines anderen bedarf.62 Sowohl bei einer lebensnotwendigen Behandlung gegen den Willen des Betroffenen als auch bei einer Versagung der gewünschten aktiven Tötung komme es letztlich zu einer Fremdbestimmung über das Lebensende.63 Der BGH hat diese Ansicht jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Selbstbestimmungsrecht insofern nur ein Abwehrrecht gegen nicht gewollte Heilbehandlungseingriffe darstelle. Daraus ergebe sich für den Patienten lediglich ein Anspruch auf den „unbeeinflussten Fortgang“ seines Sterbens, nicht aber auf selbstständige und vom Krankheitsbild unabhängige Eingriffe Dritter in sein Leben.64 Nach Höfling ist der ausschließlich geschützte Vorgang des Sterbenlassens durch einen „innerorganismischen Desintegrationsprozess“ gekennzeichnet, während der nicht erfasste Akt der Tötung „eine 57 Die genaue verfassungsrechtliche Grundlage ist durchaus streitig, für die inhaltliche Erörterung aber nicht ausschlaggebend; vgl. Hufen, NJW 2001, 849, 851; gegen einen Rückgriff auf Art. 1 Abs. 1 GG Höfling, JuS 2000, 111, 114; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 72; gegen einen Rückgriff auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Knopp, MedR 2003, 379, 384; für einen solchen Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 35. 58 BGHSt 42, 301, 305; BGH NJW 1991, 2357, 2358; Czerner, MedR 2001, 354, 357 f.; Podlech, in: AK-GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 54; Dreier, in: Dreier-GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 157; Häberle, in: Handbuch Staatsrecht I, § 20 Rn. 96 f.; Hufen, NJW 2001, 849, 851; Kutzer, in: FS Salger, S. 663, 672; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 45 m.w.N.; Otto, Gutachten 56. DJT, D 27 u. D 38; Rosenau, in: FS Rissing-van Saan, S. 547, 554; Taupitz, in: FG BGH I, S. 497, 502; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 35: „Allgemein anerkannt“; kritisch hierzu auf Grund mangelnder Bestimmbarkeit Fischer, in: FS Roxin 2011, S. 557, 563 f.; Stratenwerth, in: FS Schreiber, S. 893, 899. 59 BGHSt 55, 191, 204 f.; Füllmich, NJW 1990, 2301; Knopp, MedR 2003, 379, 384; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 107 u. 139; Otto, NJW 2006, 2217, 2219. 60 BGHSt 55, 191, 204 f.; Dreier, JZ 2007, 317, 321; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1 Rn. 89; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 35. 61 Dies bejahend Hufen, NJW 2001, 849, 851; Knopp, MedR 2003, 379, 384; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 139. 62 Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 139. 63 Hufen, NJW 2001, 849, 851; Knopp, MedR 2003, 379, 384. 64 BGHSt 55, 191, 204.

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C. Die Voraussetzungen des § 34 StGB

Wendung gegen den Organismus als ganzen“ von außen darstelle. Daraus könne geschlossen werden, dass nur der erste Fall als Internum des Betroffenen zu betrachten und daher dessen Selbstbestimmungsrecht zu unterstellen sei.65 Für letztere Ansicht mag sprechen, dass dieses Verständnis der Funktion der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte66 entspricht, die Gegenauffassung also deren Wirkungsbereich überdehnen könnte. Auf der anderen Seite kann aber gerade die in Bezug genommene Menschenwürdegarantie als Konstitutionsprinzip des Grundgesetzes67 auch eine darüber hinausgehende Wirkung beanspruchen. Dem Wortlaut der Art. 1, 2 GG ist jedenfalls keine Aussage zu Gunsten einer der beiden Auffassungen zu entnehmen. In letzter Konsequenz wird daher an dieser Stelle dem 12. Zivilsenat des BGH beizupflichten sein, nach dem auf Grundlage der Verfassung in diesem Grenzbereich keine „dem jeweiligen Einzelfall gerecht werdende, rechtlich verläßliche und vom subjektiven Vorverständnis des Beurteilers unabhängige Orientierung“ möglich ist.68 Da dem Grundgesetz also keine eindeutige Antwort auf diese Frage entnommen werden kann, wird dem Gesetzgeber hier ein entsprechender Gestaltungsspielraum zuzubilligen sein.69 Hierzu kann aus strafrechtlicher Sicht aus der Existenz des § 216 StGB gefolgert werden, dass der Gesetzgeber ein Recht auf eine einverständliche Fremdtötung nicht anerkennen will.70 Festzuhalten ist damit, dass im Bereich der Sterbehilfe durch die Tat geschützte Interessen anzuerkennen sind – zum einen im Verlangen nach Schmerzlinderung und zum anderen im Recht auf einen würdigen, selbstbestimmten Tod, das jedenfalls im Rahmen der passiven Sterbehilfe beziehungsweise eines Behandlungsabbruchs geschützt wird. 2. Vorliegen eines beeinträchtigten Interesses Auf der anderen Seite hat vor allem Herzberg bestritten, dass das Leben eines Todkranken, der selbst seinen Tod wünscht, noch ein im Rahmen des rechtfertigenden Notstands abzuwägendes, durch die Tat beeinträchtigtes Interesse darstellt.71 Maßgeblich sei insofern auf den tatsächlichen Willen des Betroffenen abzustellen. Der Konflikt zwischen dem Wunsch, länger zu leben, und dem, von seinen Qualen erlöst zu werden, sei lediglich ein Internum des Sterbenden. Mit der persönlichen 65 Höfling, JuS 2000, 111, 113; ebenso Verrel, Gutachten 66. DJT, C 64; auf diese verweisend BGHSt 55, 191, 205. 66 Vgl. Remmert, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 2 Rn. 42. 67 BVerfGE 45, 187, 227. 68 BGHZ 154, 205, 219; zustimmend Verrel, Gutachten 66. DJT, C 69 u. C 73. 69 So auch Storr, MedR 2002, 436, 437. 70 Dieser Grundsatz wurde nunmehr auch im Rahmen der Einführung der §§ 1901a ff. BGB erneut ausdrücklich bestätigt, BT-Drucks. 16/8442, S. 7 f.; vgl. auch Czerner, MedR 2001, 354, 356 Fn. 12. 71 Herzberg, NJW 1996, 3043, 3048; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 99, spricht jedenfalls von einem „äußerst fragliche[n] Interesse“; ähnlich unter § 34 Rn. 17.

II. Das Vorliegen einer Interessenkollision

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Entscheidung, Letzterem den Vorzug zu gewähren, verbleibe bei diesem letztlich nur ein Interesse am Tod. Ein dem gegenüberstehendes Interesse am weiteren Erleiden der Qualen und damit am Leben an sich existiere sodann nicht mehr.72 Merkel folgte dieser Auffassung ursprünglich jedenfalls für Fälle irreversiblen Bewusstseinsverlusts. Denn wer seine Existenz nicht mehr wahrnehmen könne, der habe auch kein Interesse mehr an eben dieser. Es ginge nicht darum, den Wert des Lebens herabzusetzen, sondern es gebe kein „Subjekt“ mehr, welches das Interesse innehaben könnte.73 Dass allein die Preisgabe des Rechtsguts Lebens dessen Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit im Rahmen des Notstands nicht aufzuheben vermag, wurde bereits oben erläutert.74 Zwar verweist auch Ingelfinger darauf, dass sich die gleichzeitige Annahme und Gegenüberstellung eines Interesses am Leben und eines Interesses am Sterben begrifflich und logisch ausschlössen75, er folgert aber aus der „Maxime vom positiven Wert jedes Menschenlebens“, dass die Rechtsordnung in der Folge stets nur ein positives Interesse am Leben anerkennen könne.76 So war ursprünglich auch Herzberg selbst der Auffassung, dass jedem auch qualvollem Leben ein Wert zuerkannt werden müsse, da sonst unter Berufung auf dessen Unwertigkeit ein Missbrauch des dadurch eingeräumten Rechts auf eine einverständliche Tötung drohe.77 Der Annahme eines vollständigen, subjektiven Interessenverzichts steht dabei in Bezug auf das Leben bereits die sich aus § 216 StGB ergebende Unbeachtlichkeit eines solchen entgegen.78 Des Weiteren ist zutreffend eingewandt worden, dass das angenommene mangelnde Interesse am Leben in Wahrheit erst das Ergebnis einer internen Abwägung des Patienten darstellt.79 Er entscheidet sich nur deshalb letztendlich nach außen hin für den Tod, weil er persönlich seinen dem Leben gegenüberstehenden Interessen den Vorrang einräumt. Daraus darf allerdings nicht gefolgert werden, dass mit dem Treffen dieser Entscheidung sein Interesse am Leben auf „Null“ sinke, wie es Ingelfinger annimmt.80 Der Todkranke wird sehr wohl zugleich ein Interesse daran haben, weiter zu leben, wie auch daran, von seinen Schmerzen erlöst zu werden. Dass er logisch zwingend nur eines von beidem weiter verfolgen kann, führt nicht dazu, dass der Weg, für den er sich entscheidet, zum einzig möglichen wird. Vielmehr entspricht es gerade dem Wesen des Notstands, einen Konflikt zwischen zwei sich gegenseitig ausschließenden Alternativen dar72

Herzberg, NJW 1996, 3043, 3048. Merkel, in: Debatte, S. 71, 99. 74 Siehe C. I. 75 Ingelfinger, Grundlagen, S. 253; dagegen Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 313 Fn. 59. 76 Ingelfinger, JZ 2006, 821, 822. 77 Herzberg, NJW 1986, 1635, 1639; so auch Ingelfinger, JZ 2006, 821, 822. 78 Ingelfinger, ZfL 2005, 38, 39; Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 588. 79 Merkel, Früheuthanasie, S. 550; Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 313; Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 75, 88; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 110. 80 Ingelfinger, Grundlagen, S. 255. 73

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C. Die Voraussetzungen des § 34 StGB

zustellen. Bei der Notstandshilfe kollidiert so die Pflicht zur Hilfsleistung mit der Pflicht, den Eingriff zu unterlassen. Überwiegt erstere nun wesentlich, so ist der Eingriff legitim und die Pflicht zum Unterlassen wird aufgehoben, sie existiert im Ergebnis also nicht mehr. Dies kann allerdings nicht rückwirkend zu der Annahme führen, dass gar keine Kollision von Handlungs- und Unterlassungspflicht vorlag. Die Gegenauffassung zieht somit lediglich das Ergebnis der Konfliktentscheidung heran, um das Nichtvorliegen eines solchen Konflikts zu begründen.81 Entscheidend ist zudem bereits, dass der Begriff des Interesses im Rahmen des § 34 StGB nicht mit der subjektiven Präferenzsetzung des Betroffenen gleichzusetzen ist. Die Norm verweist mit der Bezugnahme auf den Grad der dem Interesse drohenden Gefahr auf eine zumindest auch objektive Betrachtungsweise.82 Darüber hinaus hat historisch der Begriff des Interesses den des Rechtsguts abgelöst, um zusätzliche Kriterien in der Abwägung berücksichtigen zu können.83 Die Beschränkung des Begriffs auf das vom Rechtsgutsinhaber in der aktuellen Situation Gewollte würde demgegenüber jedoch eine Verengung gegenüber dem Rechtsgutsbegriff darstellen. Denn es kann insbesondere nicht angenommen werden, dass das Leben eines Todeswilligen kein Rechtsgut mehr darstellt.84 Seine Qualität als von der Rechtsordnung grundsätzlich geschütztes Gut verliert das Leben nämlich nicht schon dadurch, dass der Rechtsgutsinhaber unter bestimmten Voraussetzungen bestimmten Personen die Befugnis einräumen will, ihn zu töten. Dies könnte vielmehr nur dann angenommen werden, wenn das Leben völlig preisgegeben würde; der Betroffene also jedermann erlauben wollen würde, seine Existenz unter jedweden Umständen und auf jede beliebige Art und Weise zu beenden, also insbesondere auch noch dann, wenn die dem Interesse am Leben gegenüberstehenden Interessen wieder wegfallen würden. Die Konstruktion einer solch absoluten Aufgabe des Lebensschutzes dürfte allerdings rein theoretischer Natur sein. Beim Leisten von Sterbehilfe muss daher immer das Leben des Betroffenen als beeinträchtigtes Rechtsgut einbezogen werden. Eine zur Anwendung des § 34 StGB erforderliche Interessenkollision liegt somit stets vor. Dieses Ergebnis kann diametral auf Fälle der Suizidverhinderung übertragen werden. Hier stellt das Leben des Suizidenten, auch wenn er seinen Tod ernstlich wünscht, das geschützte Interesse dar.85 Auf der Seite des beeinträchtigten Interesses steht demgegenüber das Gut, in welches durch die konkrete Rettungshandlung eingegriffen wird, wie die Fortbewegungsfreiheit oder die körperliche Unversehrtheit. Eine Interessenkollision kann also auch hier bejaht werden, unabhängig davon, 81

Merkel, Früheuthanasie, S. 550. Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 587. 83 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 10; Roxin, AT I, § 16 Rn. 7; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 3; siehe A. IV. 84 Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 75, 88. 85 Otto, Gutachten 56. DJT, D 17 f., D 20 f., sieht zudem die Würde des Betroffenen als geschütztes Gut an. 82

III. Das Überwiegen des Rechtsguts Leben

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ob man darüber hinaus auch den Freitodwillen des Suizidenten als durch die Hinderung beeinträchtigtes, schutzwürdiges Interesse anerkennt.86

III. Das Überwiegen des Rechtsguts Leben Wenn ein Konflikt gegenüberstehender Interessen besteht, ermöglicht § 34 StGB eine Rechtfertigung nur dann, wenn das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Wiegt das beeinträchtigte Interesse hingegen mehr oder ist es als gleichwertig anzusehen87, so scheidet ein Eingreifen des rechtfertigenden Notstands aus. Problematisch erscheint dies nun in Fällen, in denen das verletzte Rechtsgut das Leben eines Menschen ist. Denn im Grundsatz wird zumeist davon ausgegangen, dass das Leben als höchstes Schutzgut unserer Rechtsordnung jeder qualitativen oder quantitativen Abwägung entzogen ist und folglich von keinem anderen Interesse übertroffen werden kann.88 Das BVerfG hat es entsprechend als „Höchstwert“ tituliert.89 In der Folge gehen viele Autoren konsequent davon aus, dass diese Abwägungsfestigkeit auch im Rahmen intrapersonaler Konflikte aufrechterhalten werden müsse und dadurch vor allem eine Rechtfertigung der Sterbehilfe gemäß § 34 StGB nicht in Betracht komme.90 Andernfalls müssten anerkannte Wertungsmaximen aufgegeben werden, indem die Schutzwürdigkeit eines Lebens auf Grund dessen Qualität oder abzusehender Dauer eingeschränkt würde.91 Dem Verweis darauf, dass in den hiesigen Fällen nur eine Abwägung mit einem „verbleibenden Lebensrest“ stattfinde92, kann keine Aussage über die Reichweite des Lebensschutzes entnommen werden. Und auch wenn das stetige Festhalten an einem absoluten Schutz emotional als „abwegig, lebensfremd, inhuman“93, „unsinnig […] unmenschlich“94 oder „ebenso grausam wie widersinnig“95 bezeichnet wird, führt dies die juristische Diskussion nicht weiter.96 86

D 18. 87

So Bottke, GA 1982, 346, 357; a.A. BGH NStZ 2001, 324, 326; Otto, Gutachten 56. DJT,

Roxin, AT I, § 16 Rn. 122. BGH NStZ 2001, 324, 326: „ohne eine zulässige Relativierung“; Fischer, StGB, § 34 Rn. 14 ff.; Frister, AT, Kap. 17 Rn. 14; Kühl, AT, § 8 Rn. 114 f.; Küper, JuS 1981, 785 ff.; Laber, Schutz, S. 151 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 1 Rn. 5; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 73 ff.; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 23; Roxin, AT I, § 16 Rn. 33 ff.; Wessels/ Beulke, AT, Rn. 316; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 2. 89 BVerfGE 39, 1, 42; BVerfGE 46, 160, 164. 90 Eser, in: Euthanasie, S. 45, 62; Fischer, StGB, Vor § 211 Rn. 57; Verrel, JZ 1996, 224, 226. 91 Tröndle, ZStW 99 (1987), 25, 30; Verrel, JZ 1996, 224, 226. 92 Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 29; ebenso Geilen, Euthanasie, S. 26; ähnlich Stratenwerth, in: FS Schreiber, S. 893, 900. 93 Merkel, in: Debatte, S. 71, 93. 94 Merkel, Früheuthanasie, S. 425 f. 95 Hanack, in: Euthanasie, S. 121, 133. 88

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C. Die Voraussetzungen des § 34 StGB

Stichhaltiger ist demgegenüber der Ansatz, nach dem zwar die Höchstwertigkeit des Rechtsguts Leben nicht in Abrede gestellt wird, dieses allerdings überwogen werden können soll, wenn ihm ein weiterer Höchstwert, namentlich die Menschenwürde, gegenübersteht. Das Interesse an einem Tod in Würde soll somit in der Lage sein, in einer Abwägung gegen das Leben die Überhand zu gewinnen.97 Gegen ein solches Ergebnis sind nachvollziehbar die bereits oben angesprochenen Einwände eingebracht worden, nach denen der Schutzbereich von Art. 1 Abs. 1 GG nicht eindeutig genug bestimmt werden kann, um in einer Gegenüberstellung ein hinreichend sicheres Ergebnis erzielen zu können.98 Doch selbst wenn ein Eingreifen der Menschenwürdegarantie eindeutig festgestellt werden könnte, überzeugt dieser Standpunkt nicht. Denn weiterhin stünden sich zwei Höchstwerte gegenüber, die als solche lediglich gleichrangig zu bewerten wären. In Anbetracht dessen, dass § 34 StGB nicht einmal ein schlichtes, sondern nur ein wesentliches Überwiegen ausreichen lässt, ist folglich nicht dargelegt, warum ein Maximum ein anderes übertreffen soll.99 Merkel will den Interessenwiderstreit dadurch lösen, dass er zwischen dem Schutz des Rechts auf Leben und dem Schutz des biologischen Lebens, also der tatsächlichen Existenz des Menschen, unterscheidet. Das Recht auf Leben stelle dabei ein subjektives Recht dar und nur dieses sei als Höchstwert jeder Relativierung entzogen. Allerdings gehöre zum Wesen subjektiver Rechte, dass sie nur Abwehrrechte gegen fremde Eingriffe darstellten. Es sei daher nicht möglich, das Recht auf Leben den eigenen Interessen des Betroffenen entgegen zu halten. In die hiesige Abwägung sei es somit nicht einzubringen, sondern nur der Schutz des biologischen Lebens müsse als gegenläufiges Interesse berücksichtigt werden, dessen eigenständige Bewahrung sich aus § 216 StGB ergebe und welches im Rahmen des § 34 StGB schließlich den übrigen Belangen unterliegen könne.100 Das subjektive Recht auf Leben versteht Merkel als Rechtsposition, die dem Inhaber erlaube, Dritten den Zugriff auf sein Leben zu versagen. Auf der anderen Seite postuliere es spiegelbildlich die Pflicht für jeden Dritten, das Leben zu respektieren. Damit komme ihm im Ergebnis nur Außenwirkung zu, denn sollten Recht und Pflicht in einer Person zusammenkommen, müssten sie sich logisch gegenseitig aufheben. Das eigene Recht könne somit keine Pflicht gegen sich selbst begründen,

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Ähnlich Stratenwerth, in: FS Schreiber, S. 893, 899: „Leerformeln“. BGH NStZ 1997, 182, 184; Hufen, NJW 2001, 849, 855; Kutzer, NStZ 1994, 110, 115; Kutzer, in: FS Salger, S. 663, 672; Otto, Gutachten 56. DJT, D 56; Rosenau, in: FS Rissing-van Saan, S. 547, 560; Rosenau, in: FS Roxin 2011, S. 577, 584 f.; auch Merkel, Früheuthanasie, S. 427, verweist darauf, dass das Sterbensinteresse dem Lebensinteresse gleichkommen kann. 98 Ingelfinger, Grundlagen, S. 267; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 106. 99 Dreier, JZ 2007, 317, 322; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 112. 100 Merkel, Früheuthanasie, S. 395 ff.; Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 572; Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 310 f.; im Ergebnis zustimmend Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 3 f. 97

III. Das Überwiegen des Rechtsguts Leben

67

das Recht auf Leben daher nicht in eine Pflicht zu leben umschlagen.101 Konsequenz daraus sei nicht nur die Zulässigkeit der Selbsttötung, da der Suizident keine Pflicht verletzen könne, die ihn gar nicht trifft102, sondern auch die Exklusivität der Schutzbereiche der §§ 212 und 216 StGB.103 § 212 StGB schütze ausschließlich das Recht auf Leben, welches zwar höchstrangig sei, auf dessen Ausübung der Berechtigte jedoch verzichten könne. Eine Einwilligung müsste insofern also durchaus möglich sein. In diesen Fällen sei dann jedoch der Schutzbereich des § 216 StGB eröffnet, der allein das biologische Leben sichere. Als Parallelfall führt Merkel die Zerstörung einer Sache mit Zustimmung des Eigentümers an: Hier werde zwar die Sache als dinglicher Gegenstand vernichtet, aber das Recht an der Sache nicht verletzt, sondern im Gegenteil gerade ausgeübt und durchgesetzt.104 Der Sonderfall, dass im Bereich des Lebens auch die biologische Existenz an sich geschützt wird, bedürfe nun einer externen Begründung, welche jedenfalls nicht zirkulär aus dem Recht auf Leben hergeleitet werden könne.105 Gegen diese Herangehensweise hat Jähnke angeführt, dass die Rechtsordnung das Leben stets im Interesse des Betroffenen schütze. Die Aufspaltung dieses Rechtsguts in einen abwägbaren und einen unabwägbaren Teil sei daher nicht zulässig.106 Es entspricht insofern der gängigen Betrachtung, dass die §§ 212, 216 StGB nur ein einheitliches Rechtsgut Leben schützen.107 So wird Merkels Auffassung schwerlich mit den Ansichten zu vereinbaren sein, nach denen Rechtsgüter nicht nur geschützte Individualinteressen darstellen108, sondern als von diesen losgelöst zu betrachten sind.109 Auf Grund der mannigfaltigen Diskussion um den Rechtsgutsbegriff110, wird hieraus jedoch keine verbindliche Lösung zu gewinnen sein. Vielmehr muss sich die Frage stellen, ob die angenommene Differenzierung nicht auch auf die Seite des Erhaltungsguts zu übertragen ist. Denn die Interessenabwägung stellt einen wechselseitigen Vorgang dar, in dem das Erhaltungsgut dem Eingriffsgut in derselben Weise gegenübertritt wie dies andersherum der Fall ist. Konsequent dürften daher 101

Merkel, Früheuthanasie, S. 396 u. 402; soweit grundsätzlich auch v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 292 u. 409 f.; Engländer, Nothilfe, S. 125; Hirsch, in: FS Welzel, S. 775, 795 Fn. 66; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 3; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 113. 102 Merkel, Früheuthanasie, S. 398. 103 Merkel, Früheuthanasie, S. 403 f. 104 Merkel, Früheuthanasie, S. 404. 105 Merkel, Früheuthanasie, S. 403. 106 Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211 Rn. 15. 107 Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 12; Fischer, StGB, Vor § 211 Rn. 1; Lackner/ Kühl, StGB, Vor § 211 Rn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 1 Rn. 1; Neumann, in: NKStGB, Vor § 211 Rn. 1; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 1. 108 So etwa Chatzikostas, Disponibilität, S. 134; Hassemer/Neumann, in: NK-StGB, Vor § 1 Rn. 144. 109 So Jescheck/Weigend, AT, S. 256 f.; Roxin, AT I, § 2 Rn. 7; im Grundsatz auch Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 3. 110 Vgl. nur Roxin, AT I, § 2 Rn. 2 m.w.N.

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C. Die Voraussetzungen des § 34 StGB

auch im Rahmen des geschützten Interesses subjektive Rechte keinerlei Bedeutung erlangen, da sie die Reichweite der entgegengesetzten beeinträchtigten Interessen derselben Person ebenso wenig begrenzen können wie umgekehrt. Über die entsprechende Einordnung des Verlangens nach Schmerzlinderung sagt Merkel jedoch nichts. Zieht man seine Ausführungen zu Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG und den §§ 212, 216 StGB heran, könnte man daraus schließen, dass auch Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG und § 223 StGB insofern nur ein subjektives Recht auf Schmerzfreiheit gewähren. Eine darüber hinausgehende, § 216 StGB vergleichbare Norm, welche die Schmerzfreiheit an sich schützen soll, ist hingegen nicht ersichtlich.111 Dass also auf Seiten des Erhaltungsguts nach dieser Ansicht ein im Innenverhältnis beachtliches Interesse besteht, müsste erst noch begründet werden. Auch wenn man der vorgetragenen Differenzierung folgt, bleibt zu ergründen, warum das Recht auf Leben einen Höchstrang einnehmen soll, das biologische Leben hingegen nicht. Insbesondere das BVerfG hat ausdrücklich auf die herausragende Stellung des menschlichen Lebens und nicht auf die des Rechts auf Leben verwiesen.112 Denn nur dieses kann als „die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte“113 bezeichnet werden. Die tatsächliche Existenz des Menschen macht ihn zum Träger von Rechten und ist somit auch Grundlage dafür, ein Recht auf Leben im Sinne eines Abwehrrechts gegen Eingriffe von außen innehaben zu können. Deswegen kann es nicht überzeugen, dass sich der Schutz eben dieser Basis erst aus der einfachgesetzlichen, im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegenden Regelung des § 216 StGB ergeben soll. Viel mehr spaltet Merkel de facto nur einen Höchstwert in zwei Teile auf, die jeder für sich jedoch weiterhin Höchstwerte darstellen müssen. Dieselbe Argumentation steht im Übrigen auch der Sichtweise Jakobs entgegen, nach dem anstelle des biologischen Lebens dessen Güte und Erträglichkeit den Höchstwert ausmachen sollen.114 Der einzig gangbare Weg wird daher derjenige sein, welcher sich schon darin abzeichnet, dass auch der BGH auf die Abwägung mit einer kurzen Lebenszeit unter schwersten Schmerzen verweist.115 Wer im Ergebnis das Interesse an einer Lebensbeendigung höher bewerten will als das Interesse am Erhalt des Lebens, der muss vom Dogma der Unabwägbarkeit des Lebens Abstand nehmen und dessen Wertigkeit nach der verbleibendenden Lebensqualität und -dauer beurteilen. Nur

111

ab. 112

§ 228 StGB deckt nur einen unwesentlichen Teilbereich der körperlichen Unversehrtheit

BVerfGE 39, 1, 42; BVerfGE 46, 160, 164. BVerfGE 39, 1, 42. 114 Jakobs, Tötung, S. 26. 115 BGH NStZ 1997, 182, 184; ebenso Kutzer, NStZ 1994, 110, 115; Kutzer, in: FS Salger, S. 663, 672. 113

III. Das Überwiegen des Rechtsguts Leben

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dann ist es möglich, dass der Lebenserhalt in der Interessenabwägung überhaupt irgendeinem anderen Interesse unterliegen kann.116 Dafür sind zahlreiche Argumente vorgebracht worden. So widerspreche bereits der Eingriffsvorbehalt aus Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG der Annahme eines absolut gesetzten Schutzguts.117 Auch § 216 StGB könne dies nicht entnommen werden, da dort singulär nur die rechtfertigende Wirkung einer Einwilligung ausgeschlossen werde.118 Die überwiegende Akzeptanz des Umstands, dass ein Patient lebensnotwendige Behandlungsmaßnahmen auf Grund seines Selbstbestimmungsrechts ablehnen dürfe, zeige, dass in Wahrheit die persönliche Freiheit das höchste Verfassungsgut darstelle.119 Des Weiteren komme es gar nicht ausschlaggebend auf den abstrakten Rang des Rechtsguts an, da dies der überkommenen Güterabwägungstheorie entspreche, sondern § 34 StGB rücke ausdrücklich die Schutzwürdigkeit im Einzelfall in den Mittelpunkt.120 Allen Ansätzen ist gemein, dass nur eigene Interessen das Leben überwiegen können sollen, während Belange Dritter stets zurücktreten müssen. Daher sei eine Erosion des allgemeinen Lebensschutzes oder gar die Vernichtung von als unwert bezeichnetem Leben nicht zu befürchten.121 Auch die Abwägung eines Lebens gegen das Leben eines anderen sei somit weiterhin ausgeschlossen.122 Die Probleme dieser Auffassung werden allerdings deutlich im Fall des Schwerkranken, welcher nur noch wenige äußerst qualvolle Tage zu durchleben hat, der aber ausdrücklich den Einsatz aller medizinischen Möglichkeiten zur größtmöglichen Verlängerung seines Lebens wünscht. Selbstverständlich will niemand hier einen Behandlungsabbruch gegen den Willen des Patienten legitimieren. Seine zu erwartende Lebensqualität und -dauer, sowie sein grundsätzliches Interesse an einem Ende der Schmerzen, unterscheiden sich jedoch nicht von demjenigen, der in dieser Situation seinen Tod wünscht und bei dem ein wesentliches Überwiegen der geschützten Interessen gegenüber seines Rechtsguts Leben festgestellt werden würde. Den endgültigen Ausschlag für das Ergebnis der Interessenabwägung gibt folglich allein die persönliche Entscheidung des Betroffenen123 und damit dasselbe Kriterium, das zur Beurteilung einer Einwilligung heranzuziehen ist, obwohl das 116

Diettrich, Organentnahme, S. 164; Dreier, JZ 2007, 317, 322; Ingelfinger, ZfL 2005, 38, 39 f.; Ingelfinger, Grundlagen, S. 257 u. 267; Arthur Kaufmann, JZ 1982, 481, 482; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT I, § 1 Rn. 34; Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544, 551; Rosenau, in: FS Rissing-van Saan, S. 547, 560; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 113; Schreiber, NStZ 1986, 337, 341; Taupitz, in: FG BGH I, S. 497, 502. 117 Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 27; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 73. 118 Herzberg, NJW 1986, 1635, 1639. 119 Taupitz, in: FG BGH I, S. 497, 502. 120 v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 199. 121 Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 113. 122 So grundsätzlich Rengier, AT, § 19 Rn. 32. 123 Vgl. Ingelfinger, Grundlagen, S. 267; Rosenau, in: FS Rissing-van Saan, S. 547, 560 f.; Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 212 Rn. 44.

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C. Die Voraussetzungen des § 34 StGB

Eingreifen einer solchen auf Grund von § 216 StGB gerade nicht möglich sein soll. § 34 StGB dient hier daher im Endeffekt nur dazu, die objektiven Bedingungen einzugrenzen, unter denen eine Tötung auf Verlangen doch zulässig sein soll und der Betroffene die Dispositionsbefugnis über sein Leben zurückerlangt. Des Weiteren scheint es, wenn man einmal die Abwägbarkeit des menschlichen Lebens gegen die Belange derselben Person bejaht, nicht mehr überzeugend, dass jede Form der aktiven direkten Sterbehilfe dennoch ausgeschlossen sein soll.124 Nimmt man an, dass das Interesse an der Schmerzlinderung dasjenige am weiteren Leben wesentlich überwiegen kann, so ist nicht ersichtlich, warum allein die Art und Weise, auf die ersteres Interesse durchgesetzt wird, das Übergewicht wieder auf die Seite des Eingriffsguts verlagern soll. Viel mehr ist eine Differenzierung zwischen erlaubter indirekter und verbotener direkter Sterbehilfe auf Grundlage der so ausgestalteten Interessenabwägung nicht mehr möglich.125

IV. Zwischenergebnis Sowohl das Vorliegen einer Notstandslage als auch die Bewertung des Eingriffs als zulässige Notstandshandlung werden nicht dadurch ausgeschlossen, dass nur Interessen einer Person kollidieren. An einer Notstandlage mangelt es in den hier in Rede stehenden Fällen lediglich dann, wenn der Gefährdete bereit ist, die Verletzung eines disponiblen Rechtsguts hinzunehmen, sodass aber insbesondere die Bereitschaft, den Tod hinzunehmen, die Notstandslage nicht ausschließt. Auf Seiten der Notstandshandlung bedarf im Bereich der Sterbehilfe die Annahme einer Interessenkollision und eines Interessenübergewichts besonderen Argumentationsaufwandes. Im Ergebnis können hier jedoch geschützte Interessen im Anspruch auf Schmerzlinderung und im Recht auf einen würdigen Tod erblickt werden. Dem gegenüber steht das beeinträchtigte Rechtsgut Leben, welches auch bei höchsten Qualen und einem Todeswunsch des Betroffenen einen grundlegenden positiven Wert behält. Die Interessenabwägung kann aber schließlich nur dann zu Gunsten des Eingriffstäters ausfallen, wenn von der absoluten Höchstrangigkeit des Lebens Abstand genommen wird und dieses nach qualitativen Aspekten bewertet wird.

124

So aber Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 100, der nur extrem gelagerte Ausnahmekonstellationen anerkennen will. 125 Vgl. Ingelfinger, Grundlagen, S. 269; im Ergebnis ebenso Merkel, Früheuthanasie, S. 170; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 139.

D. Das Verhältnis des rechtfertigenden Notstands zu Einwilligung und mutmaßlicher Einwilligung Wortlaut und die Voraussetzungen des § 34 StGB stehen also einer Anwendung des rechtfertigenden Notstands auf interne Interessenkollisionen nicht entgegen. Vielfach wird jedoch festgestellt, dass diese Fälle „grundsätzlich“1, „primär“2, „prinzipiell“3 oder „im Normalfall“4 nach den Regeln der Einwilligung oder der mutmaßlichen Einwilligung zu behandeln seien. Zu klären ist daher, in welcher Beziehung die genannten Rechtsinstitute zum rechtfertigenden Notstand stehen, insbesondere ob eine voneinander unabhängige Anwendung möglich ist oder ob im Regelungsbereich der ausdrücklichen und mutmaßlichen Einwilligung der Rückgriff auf § 34 StGB eingeschränkt oder ganz gesperrt ist. Hierzu soll zunächst erläutert werden, welcher Rechtsnatur die Einwilligung und die mutmaßliche Einwilligung sind und wie weit ihr Anwendungsbereich geht, um sie anschließend dem Rechtfertigungsgrund des Notstands korrekt gegenüberstellen zu können.

I. Die Rechtsnatur der Einwilligung Dass die Zustimmung des Eingriffsopfers zur Vornahme eines Rechtsgutseingriffs die Strafbarkeit des Täters unter bestimmten weiteren Voraussetzungen ausschließt, ist allgemein anerkannt5 und wird unter dem Rechtsinstitut der Einwilligung erfasst. Deren rechtliche Grundlage könnte für alle Fälle im entsprechend titulierten § 228 StGB zu sehen sein6, welcher der überwiegenden Auffassung nach allerdings höchstens eine Teilkodifizierung der Einwilligung für den Bereich der Körperverletzungsdelikte darstellen7 und darüber hinaus lediglich dokumentieren soll, dass der 1

Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 14; ebenso Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 30; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 15. 2 Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 8a; ähnlich Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 60: „vorrangig“. 3 Engländer, GA 2010, 15. 4 Roxin, AT I, § 16 Rn. 101. 5 Hardtung, in: MK-StGB, § 228 Rn. 1: „allgemeine Regel“; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 146: „seit Jahrhunderten bejaht […] einmütig vertreten“. 6 So Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 8: „ausdrückliche Positivierung“; dagegen Hardtung, in: MK-StGB, § 228 Rn. 1. 7 Dölling, in: HK-GS, § 228 Rn. 1; Frister, AT, Kap. 13 Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 32 Rn. 10; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 228 Rn. 1.

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

Gesetzgeber dieses Institut als Voraussetzung der dortigen Regelung anerkennt.8 Vornehmlich wird die Einwilligung daher dem Gewohnheitsrecht zugeordnet.9 Darüber hinaus soll sie einigen Stimmen nach in dem in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Selbstbestimmungsrecht eine positiv-rechtliche Grundlage besitzen.10 Während die Diskussion über die Herleitung der Einwilligung auf ihre Anwendung keinerlei Auswirkungen hat, ist auf anderer Seite seit langem umstritten, in welchem Rahmen sich ihre Wirkung entfaltet. Traditionell wird hier zwischen dem tatbestandsausschließenden Einverständnis und der rechtfertigenden Einwilligung unterschieden.11 Ein Einverständnis soll immer dann bereits zur Nichterfüllung des gesetzlichen Tatbestands führen, wenn dessen Merkmale ein Handeln wider oder ohne den Willen des Verletzten ausdrücklich voraussetzen.12 In allen übrigen Fällen soll die Zustimmung des Rechtsgutsinhabers an der Tatbestandsmäßigkeit eines Eingriffs nichts ändern, sondern lediglich auf der Ebene der Rechtswidrigkeit zum Ausschluss der Strafbarkeit führen.13 Dem gegenüber steht die in der Literatur auf beachtliche Zustimmung gestoßene Auffassung, dass jede Form der Zustimmung bereits die Erfüllung des Tatbestands hindern soll.14 8 Hardtung, in: MK-StGB, § 228 Rn. 1; Kühl, AT, § 9 Rn. 20; Rosenau, in: SSW-StGB, Vor § 32 Rn. 31. 9 Engländer, in: Matt/Renzikowski, Vor § 32 Rn. 14; Frister, AT, Kap. 13 Rn. 3; Geerds, ZStW 72 (1960), 42, 43; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 92; Rengier, AT, § 23 Rn. 1; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 146; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 3. 10 Hardtung, in: MK-StGB, § 228 Rn. 1; Kühl, AT, § 9 Rn. 20; Murmann, Grundkurs, § 25 Rn. 116; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 146; Rosenau, in: SSW-StGB, Vor § 32 Rn. 31; Roxin, AT I, § 13 Rn. 14; Taupitz, in: FG BGH I, S. 497, 501. 11 BGHSt 16, 309; BGHSt 49, 34, 40; BGH NStZ 2004, 204, 205; Dölling, in: HK-GS, § 228 Rn. 1; Frister, AT, Kap. 13 Rn. 3; Geerds, GA 1954, 262 ff.; Geerds, ZStW 72 (1960), 42, 43; Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 968; Jescheck/Weigend, AT, S. 375; Kühl, AT, § 9 Rn. 22; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 29; Murmann, Selbstverantwortung, S. 369 ff.; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 5; Rengier, AT, § 23 Rn. 1; Rosenau, in: SSW-StGB, Vor § 32 Rn. 32; Wessels/Beulke, AT, Rn. 361. 12 Fischer, StGB, Vor § 32 Rn. 3b; Frister, AT, Kap. 15 Rn. 1; Geerds, ZStW 72 (1960), 42, 45; Jescheck/Weigend, AT, S. 372 f.; Kühl, AT, § 9 Rn. 25; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 32 Rn. 11; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 31; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 93; Rengier, AT, § 23 Rn. 3; Wessels/Beulke, AT, Rn. 366. 13 Jescheck/Weigend, AT, S. 373; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 32 Rn. 10; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 95; Noll, ZStW 77 (1965), 1, 15; Wessels/Beulke, AT, Rn. 370. 14 Delonge, Interessenabwägung, S. 215; Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 87 ff.; Göbel, Einwilligung, S. 66 ff.; Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 228 Rn. 2; Hoyer, in: SK-StGB, Vor § 32 Rn. 30; Armin Kaufmann, in: FS Welzel, S. 393, 397 Fn. 9; Armin Kaufmann, in: FS Klug, S. 277, 282; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 162; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 156; Roxin, in: FS Welzel, S. 447, 449; Roxin, AT I, § 13 Rn. 11 ff.; Paul, Delikt, S. 109 ff.; Rudolphi, ZStW 86 (1974), 68, 87; Rudolphi, in: GS Kaufmann, S. 371, 393; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 126 ff.; Schmidhäuser, in: FS Geerds, S. 593 ff.; Schroth, in: FS Volk, S. 719, 721 f.; Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 61; Zipf, Einwilligung, S. 28 ff. Jakobs, AT, Abschn. 7 Rn. 111 ff., steht dieser Auffassung zwar im Grundsatz nahe, möchte in bestimmten Konstellationen aber dennoch nur eine rechtfertigende Wirkung bejahen und kommt im Ergebnis zu einer Dreiteilung zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis, tatbe-

I. Die Rechtsnatur der Einwilligung

73

Obwohl die Auswirkungen der unterschiedlichen systematischen Verortung durchaus als gering bezeichnet werden können, sind sie dennoch nicht gänzlich unerheblich.15 Sowohl bei der Behandlung von Irrtümern als auch bei der Ermittlung der jeweiligen Voraussetzungen ergeben sich aus dem methodischen Verständnis Unterschiede.16 Und auch das hier interessierende Verhältnis zum rechtfertigenden Notstand wird je nach erfolgter Einordnung auf unterschiedlicher Grundlage zu bewerten sein. Nur dann, wenn man auch die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund versteht, treten sich die beiden Rechtsfiguren nämlich auf einer Regelungsebene gegenüber. Ansonsten wäre die Einwilligung stets vorrangig – nämlich bereits auf Tatbestandsebene – zu berücksichtigen. Zunächst ist festzuhalten, dass jedenfalls der möglichen verfassungsrechtlichen Grundlage in Form von Art. 2 Abs. 1 GG keine Antwort auf die vorliegende Streitfrage zu entnehmen ist, da sie allenfalls verlangt, dass die Strafbarkeit im Ergebnis entfällt, ihr jedoch der Weg, auf dem dieses Resultat erzielt wird, gleichgültig sein kann.17 Das Verständnis der Einwilligung als tatbestandsausschließendes Element beruht daher vor allem auf einem individualistischen Verständnis des Rechtsgutsbegriffs. Die Erfüllung eines Tatbestands setzt grundsätzlich die Verletzung eines Rechtsguts voraus.18 Ein Rechtsgut besteht nach den Vertretern dieser Auffassung aber nicht allein aus einer geschützten gegenständlichen Basis wie dem Leben oder der körperlichen Unversehrtheit, da die strafrechtlichen Tatbestände diese nicht „um ihrer selbst Willen“19 schützen könnten, sondern der Rechtsgüterschutz diene der freien Entfaltung des Einzelnen, um diesem durch den Erhalt seiner Güter die Möglichkeit einzuräumen, mit diesen nach eigenem Belieben zu verfahren.20 Erst die Einheit von „Verfügungsgegenstand und Verfügungsbefugnis“21 soll somit das geschützte Rechtsgut definieren. Nehme der Täter nun einen Eingriff mit Zustimmung des Dispositionsbefugten vor, so verletze er dadurch zwar den Verfügungsgegenstand, aber nicht die Verfügungsbefugnis, sondern helfe ganz im Gegenteil gerade bei deren Ausübung. Solange jedoch die Verfügungshoheit des Berechtigten nicht verletzt werde, könne, da diese eben integraler Bestandteil des

standsausschließender Einwilligung und rechtfertigender Einwilligung; hiergegen Göbel, Einwilligung, S. 70. 15 So aber Frister, AT, Kap. 13 Rn. 2; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 163. 16 Vgl. Engländer, in: Matt/Renzikowski, Vor § 32 Rn. 14; Fischer, StGB, Vor § 32 Rn. 3b; Jescheck/Weigend, AT, S. 376; Rudolphi, ZStW 86 (1974), 68, 88; eingehend Roxin, AT I, § 13 Rn. 4 ff. 17 Murmann, Selbstverantwortung, S. 370. 18 Schmidhäuser, in: FS Geerds, S. 593, 595; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 60 Fn. 18, widerspricht dem zwar nicht, stellt diese Annahme aber zumindest in Frage. 19 Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 152. 20 Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 88 f.; Göbel, Einwilligung, S. 66 f.; Roxin, AT I, § 13 Rn. 12; Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 60 f. 21 Rudolphi, ZStW 86 (1974), 68, 87.

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

Rechtsguts selbst sei, nicht von einer Rechtsgutsverletzung gesprochen werden und folglich auch nicht von der Tatbestandsmäßigkeit der Handlung.22 Daraus folge, dass einer Verletzung, mit der der Verletzte einverstanden ist, kein Erfolgsunwert zukomme, welcher im Rahmen der Rechtswidrigkeit getilgt werden müsste. Viel mehr stelle die Vornahme des Eingriffs in diesem Fall ein sozialadäquates Verhalten dar, denn der im Schutzobjekt enthaltene Wert werde hier nicht angegriffen oder negiert, sondern durchgesetzt. Im Ergebnis liege somit kein strafrechtliches Unrecht vor.23 Dies ergebe sich auch bereits aus dem Gesichtspunkt der Erfolgszurechnung. Da der Einwilligende selbst über Vornahme, Ablauf und Hinderung der Tathandlung entscheide, könne auch nur ihm, nicht aber dem seinem Willen Folgenden, die Tat zugerechnet werden.24 Weiterhin sei in Anlehnung an den Wortlaut des § 34 StGB nur dann eine Verwirklichung des Tatbestands anzunehmen, wenn durch die Handlung ein Interesse des Betroffenen verletzt werde. Liege hingegen eine Einwilligung vor, so werde dem Interesse des Berechtigten gerade nachgekommen.25 Allen Rechtfertigungsgründen sei hingegen gemein, dass sie die Auflösung von Interessenkollisionen bezweckten, also zur Entscheidung herangezogen würden, ob den Belangen des Täters oder des Opfers der Vorrang einzuräumen sei. Im Falle der Einwilligung würden beide Parteien jedoch dasselbe Ziel verfolgen und folglich gar kein Konflikt bestehen.26 Auch in systematischer Hinsicht soll ein Tatbestandsausschluss vorzugswürdig sein. Denn dies entspreche der Rechtsanwendung bei Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikten. Wer den Erfolg mit Zustimmung des Opfers herbeiführe, handele im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte nicht seiner Sorgfaltspflichten zuwider und sei im Rahmen des § 13 StGB von seiner Garantenpflicht entbunden, sodass jeweils bereits der Tatbestand nicht erfüllt werde.27 Schließlich sei eine Unterscheidung der rechtfertigenden Einwilligung vom tatbestandsausschließenden Einverständnis auch gar nicht überzeugend möglich. Zum einen seien bei den meisten disponiblen Individualrechtsgütern die entsprechenden Tatbestände bereits so gefasst, dass ein Einverständnis angenommen werden müsse. Für die Einwilligung verbliebe also ein

22 Roxin, AT I, § 13 Rn. 12; Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 60 f. Diesem Ansatz wird vielfach vorgeworfen, die Existenz der §§ 216, 228 StGB nicht erklären zu können, da hier trotz mangelnder Verletzung des Selbstbestimmungsrechts eine Rechtsgutsverletzung angenommen werden müsse; so Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 968; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 7; Rosenau, in: SSW-StGB, Vor § 32 Rn. 34. Da wie gezeigt jedenfalls § 216 StGB nicht überindividualistisch begründet werden kann, siehe B. II. und III., ist es jedoch nicht abwegig, auch hier den Schutz von Dispositionsbefugnissen anzunehmen. 23 Göbel, Einwilligung, S. 71; Jakobs, AT, Abschn. 7 Rn. 112; Paul, Delikt, S. 114; Roxin, AT I, § 13 Rn. 12; Schmidhäuser, in: FS Geerds, S. 593, 598. 24 Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 162. 25 Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 128 f. 26 Roxin, AT I, § 13 Rn. 22; Paul, Delikt, S. 113; Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 61. 27 Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 130.

I. Die Rechtsnatur der Einwilligung

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geringer und dadurch systemwidrig erscheinender Anwendungsbereich.28 Zum anderen unterliege es von vornherein oft nur sprachlichen Zufällen, ob der Gesetzgeber den entgegenstehenden Willen in die Formulierung des Tatbestands aufnehme oder nicht. Häufig sei eine anderslautende Abfassung gar nicht möglich, sodass es verfehlt wäre, daraus Konsequenzen für die rechtliche Würdigung zu entnehmen.29 Gegen das vorstehende Rechtsgutsverständnis sind zwei Einwände eingebracht worden, die es einerseits als zu ausufernd und andererseits als zu beschränkt identifizieren. Zunächst wird vorgetragen, dass, wenn die Verfügungsbefugnis des Inhabers das Rechtsgut präge, es widersprüchlich erscheine, dass Eingriffe in eben diese Befugnis, mit denen allerdings der Verfügungsgegenstand erhalten werde, keine Verletzung des Rechtsguts darstellten.30 Werde also jemand daran gehindert, sich selbst körperlich zu verletzen, so müsse auch darin konsequent eine Missachtung seiner Verfügungshoheit gesehen werden und damit eine Verletzung seines Rechts auf körperliche Unversehrtheit. Dieser Kritikpunkt verkennt jedoch, dass nur das Zusammentreffen von Objekts- und Befugnisverletzung zu einer Beeinträchtigung des Rechtsguts führen soll.31 Es bleibt dennoch festzuhalten, dass die Selbstbestimmung vor allem durch § 240 StGB im Strafrecht separat und unabhängig von einem Bezugsobjekt geschützt wird. Betrachtet man sie bereits als Bestandteil jeder Individualrechtsgutsverletzung, so verlieren diese Schutznormen einen wesentlichen Teil ihres Bedeutungsgehalts.32 In die andere Richtung bereitet es dem personalen Rechtgutsmodell Schwierigkeiten, einen geforderten Eingriff in die Dispositionshoheit dort zu begründen, wo der Betroffene vor allem auf Grund seines geistigen Zustands nicht mehr in der Lage ist, diese selbst auszuüben. Es scheint unmöglich, das Recht auf Selbstbestimmung zu verletzen, wo die Durchführung einer Selbstbestimmung ausgeschlossen ist.33 Roxin wendet dagegen ein, dass in diesen Fällen zunächst die Dispositionsbefugnis des Stellvertreters maßgeblich werde und wenn ein solcher nicht existiere, das Verfügungsrecht des Betroffenen nur in der Schwebe sei und daher ebenso verletzt werde.34 Doch was, wenn hinzukommt, dass die Wiedererlangung der Fähigkeit zur Selbstbestimmung ausgeschlossen ist? Rönnau hat korrekt eingewandt, dass die

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Roxin, AT I, § 13 Rn. 24 ff. Göbel, Einwilligung, S. 71; Paul, Delikt, S. 110; nach Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 33a, zeigt hingegen vor allem § 123 StGB, dass die Aufnahme des entgegenstehenden Willens in den Tatbestand keineswegs zufällig sei, da dieser ohne den entsprechenden Bezug keinen Sinn ergebe. 30 Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 155. 31 So auch Sternberg-Lieben, Schranken, S. 61 Fn. 19. 32 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 33a; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 61 Fn. 19. 33 Amelung, ZStW 109 (1997), 490, 505 f. 34 Roxin, AT I, § 13 Rn. 16; zustimmend Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 93. 29

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

Annahme einer Willensverletzung hier auf einer bloßen Willensfiktion beruht.35 Was endgültig verloren ist, befindet sich schließlich nicht mehr in der Schwebe. Dennoch will auch Rönnau mit Hilfe seines Basismodells an der tatbestandsausschließenden Wirkung der Einwilligung festhalten. Nach diesem sei nicht das Dispositionsrecht selbst Bestandteil des Rechtsguts, aber letzteres werde nur geschützt, um dem Inhaber entsprechende Dispositionen zu ermöglichen.36 Damit resultiere der Wert eines Gutes aus dem in ihm erfassten Handlungspotential; beim Vorliegen einer Einwilligung werde aber eben dieser Wert nicht angetastet.37 Im Ergebnis kann Rönnau dadurch vielleicht der Kritik begegnen, dass niemand sich aktuell all seiner Verfügungsmöglichkeiten bewusst sein kann, den obigen Einwand, Rechtsgutsverletzungen bei irreversiblem Verlust der Verfügungsmöglichkeit nicht erklären zu können, kann das Basismodell hingegen nicht entkräften.38 Da der Rechtsgüterschutz bei mangelndem Bewusstsein grundsätzlich in Hinblick auf die mögliche Wiedererlangung der Dispositionsfähigkeit erfolgen soll39, bedarf es hier ausdrücklich einer Ausnahme, die durch die besondere Schutzwürdigkeit des Menschen in schwersten Lebensphasen legitimiert werden soll, wonach „ausnahmsweise“ auf eine rein formale Begründung abzustellen sei.40 Doch eben dies mag nicht zu überzeugen, weil nicht ersichtlich ist, warum etwa dem Eigentum eines irreversibel vom Apallischen Syndrom Betroffenen ein dogmatisch nicht nur gleichbedeutender, sondern strengerer Schutz zukommen soll, als dies sonst der Fall ist. Durch Veränderung der persönlichen Verhältnisse des Eigentümers soll plötzlich doch allein die Objektsverletzung zum Strafgrund aufsteigen. Tatsächlich muss sich Rönnau daher in diesem Grenzbereich ähnlicher Behelfskonstruktionen bedienen, wie er sie dem personalen Rechtsgutsbegriff selbst entgegenhält. Den aufgezeigten Tatbestandslösungen gelingt es folglich nicht, für jedes tatbestandsmäßige Verhalten eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts nachzuweisen. Vielmehr müssen sie eine solche vermuten, solange keine Einwilligung vorliegt. Genau dies leistet aber auch die Gegenansicht, nach der die Einwilligung die durch die Tatbestandsmäßigkeit indizierte Rechtswidrigkeit entfallen lässt. Darüber hinaus verleiht es dem zu prüfenden Tatbestand klarere Konturen, indem nicht stets wertend die Verletzung eines Rechtsguts festgestellt werden muss, sondern streng unter die vom Gesetzgeber normierten Merkmale subsumiert werden kann.41 Denn es ist aus dem reinen Wortverständnis heraus nicht einleuchtend, warum etwa eine mit Einwilligung begangene Sachbeschädigung nicht mehr den Voraussetzungen des 35

Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 155. Rönnau, Willensmängel, S. 90; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 156. 37 Rönnau, Willensmängel, S. 91; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 156. 38 Der Einwand Roxins, AT I, § 13 Rn. 17, dass Rönnau letztlich nichts anderes sage als er selbst, erscheint daher berechtigt. 39 Rönnau, Willensmängel, S. 101; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 156. 40 Rönnau, Willensmängel, S. 110; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 156. 41 Sternberg-Lieben, Schranken, S. 62 f. 36

I. Die Rechtsnatur der Einwilligung

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§ 303 StGB genügen soll.42 Die gesetzlichen Tatbestände sind daher so zu deuten, dass sie typischerweise unrechtsbegründende Merkmale und damit typischerweise verbotene Verhaltensweisen umschreiben.43 Sie erkennen den beschriebenen Eingriffen damit zunächst einen abstrakten Unwertgehalt zu, wodurch im Umkehrschluss dem reinen Bestand der Tatobjekte ein positiver Eigenwert zugesprochen wird.44 Die Anerkennung dieser Wertigkeit ist sicherlich nicht Selbstzweck45, sondern dient dazu, die Objekte als Grundlage der Selbstbestimmung zu erhalten.46 Der Wegfall dieses Schutzzwecks hebt aber nicht die Rechtsgutsqualität des Gegenstandes auf. Er macht den vorgenommenen Eingriff nicht rechtlich bedeutungslos.47 Es wohnt nämlich jeder Rechtfertigung die Aussage inne, dass das betroffene Gut im konkreten Fall nicht mehr strafrechtlich geschützt wird. Würde man das, was im Ergebnis keinen Schutz genießt, jedoch von vornherein aus dem Rechtsgutsbegriff ausschließen, so müsste jeder Rechtfertigungsgrund tatbestandsausschließend wirken.48 Es obliegt aber der Wertungsstufe der Rechtswidrigkeit, den Bestand des vom Tatbestand ausgesprochenen Verbots im Rahmen der konkreten sozialen Situation zu überprüfen.49 Darüber hinaus streitet in erheblichem Maße für die Annahme einer rechtfertigenden Wirkung der Einwilligung, dass der Gesetzgeber im Wortlaut des § 228 StGB für Fälle der sittenwidrigen Einwilligung in eine Körperverletzung eindeutig die Rechtswidrigkeit der Tat angeordnet hat.50 Zwar ist der dagegen eingebrachte Einwand nachvollziehbar, dass § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB die rechtswidrige Tat als eine 42

Rn. 1.

Kühl, AT, § 9 Rn. 22; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 95; Rengier, AT, § 23

43 Erb, ZStW 108 (1996), 266, 287; Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 968; Kelker, Nötigungsnotstand, S. 117; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 9. 44 Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 967; Jescheck/Weigend, AT, S. 375; Kühl, AT, § 9 Rn. 22; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 96; Rosenau, in: SSW-StGB, Vor § 32 Rn. 34; Wessels/Beulke, AT, Rn. 363. 45 So, nochmals, der Vorwurf von Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 152. 46 Engländer, in: Matt/Renzikowski, Vor § 32 Rn. 15; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 33a. Kaum überzeugend ist demgegenüber der Standpunkt von Jescheck/Weigend, AT, S. 375 f., dass der Schutz eines jeden Individualrechtsguts auch im öffentlichen Interesse liege. Vgl. dazu nur die oben an einem entsprechenden Verständnis des Rechtsguts Leben geübte Kritik, unter B. II. 47 Jescheck/Weigend, AT, S. 376; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 60 Fn. 18. Nach Murmann, Selbstverantwortung, S. 375, stellt die Einwilligung ein Mittel der Rechtsgestaltung dar. Daher sei sie so zu verstehen, dass sie einen bestehenden Zustand (die Tatbestandsmäßigkeit und die dadurch indizierte Rechtswidrigkeit) abändere, aber nicht so, dass sie von Beginn an jede rechtliche Beachtung des Sachverhalts ausschließe. 48 Murmann, Selbstverantwortung, S. 373. 49 Sternberg-Lieben, Schranken, S. 64. 50 Frister, AT, Kap. 13 Rn. 2 f.; Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 968; Kühl, AT, § 9 Rn. 20; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 33a; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 8; Rengier, AT, § 23 Rn. 1; Rosenau, in: SSW-StGB, Vor § 32 Rn. 34; Wessels/ Beulke, AT, Rn. 363.

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

solche definiert, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, womit § 228 StGB im Ergebnis ebenso die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens festschreiben könnte.51 Doch zum einen wurde die unbestrittene dogmatische Verortung der §§ 32, 34, 218a Abs. 2 StGB auf eben diese Weise festgeschrieben und zum anderen ist nicht ersichtlich, wie die Norm sonst hätte abgefasst werden müssen, um die Rechtfertigungslösung noch ausdrücklicher im Gesetz zu verankern.52 Die Einwilligung stellt somit im Unterschied zum tatbestandsausschließendem Einverständnis einen Rechtfertigungsgrund dar. Sie tritt dem rechtfertigenden Notstand damit auf derselben Wertungsebene gegenüber.53

II. Die Rechtsnatur der mutmaßlichen Einwilligung Liegt eine ausdrücklich erteilte Einwilligung nicht vor, so bleibt ein Ausschluss der Strafbarkeit nach den Regeln der mutmaßlichen Einwilligung möglich. Für sie kommt nach weit überwiegender Auffassung keine tatbestandsausschließende Wirkung in Betracht, sondern es handelt sich um einen Rechtfertigungsgrund.54 Nach heute vorherrschender Ansicht ist die mutmaßliche Einwilligung ein gewohnheitsrechtlich anerkanntes, eigenständiges Rechtsinstitut.55 Dieser Umstand wird aber vor 51 Göbel, Einwilligung, S. 68 f.; Paul, Delikt, S. 114; Roxin, AT I, § 13 Rn. 29; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 127. 52 Besonders drastisch erscheint in diesem Zusammenhang die Aussage Schmidhäusers, in: FS Geerds, S. 593, 602, nach dem der Gesetzgeber gar nicht die Befugnis besitzen soll, die systematische Verortung von Straftatmerkmalen zu beeinflussen. Hiergegen sprechen die zahlreichen eindeutigen und generell unbestritten entsprechenden Anordnungen innerhalb des Allgemeinen Teils des StGB wie beispielsweise in den §§ 16, 17, 32, 34, 35 StGB. 53 Ob Einwilligung und rechtfertigender Notstand darüber hinaus auch Ausdruck des gleichen Regelungsprinzips, nämlich dem des überwiegenden Interessen bzw. der Lösung von Interessenkollisionen, sind, ist bis hierhin noch unerheblich. So Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 967; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 96; Noll, ZStW 77 (1965), 1, 15. 54 BGH NJW 1988, 2310; BGH NJW 2000, 885, 886; Roxin, AT I, § 18 Rn. 3; Roxin, in: FS Welzel, S. 447, 449; Wessels/Beulke, AT, Rn. 380; Zipf, Einwilligung, S. 52 f.; für einen Ausschluss des Tatbestands Hoyer, in: SK-StGB, Vor § 32 Rn. 34; lediglich bei willensbezogenen Delikten Ludwig/Lange, JuS 2000, 446; dagegen ausführlich Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 216; allgemein gegen die eigenständige Bedeutung dieses Rechtsinstituts Delonge, Interessenabwägung, S. 220. 55 BVerfG NJW 2002, 2164, 2165; BGH NJW 1988, 2310 mit Anm. Geppert, JZ 1988, 1024, 1025; BGH NJW 2000, 885, 886; Dannecker, in: Graf/Jäger/Wittig, Vor § 32 StGB Rn. 55; Diettrich, Organentnahme, S. 167; Engländer, in: Matt/Renzikowski, Vor § 32 Rn. 23; Fischer, StGB, Vor § 32 Rn. 4; Hruschka, Strafrecht, S. 174; Jescheck/Weigend, AT, S. 385; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 32 Rn. 51 f.; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 54; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 114; Müller-Dietz, JuS 1989, 280, 291; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 19; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 158; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 214; Rosenau, in: SSW-StGB, Vor § 32 Rn. 44; Roxin, AT I, § 18 Rn. 5 f.; Roxin, in: FS Welzel, S. 447, 449 ff.; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 206; Thiel, Konkurrenz, S. 94 ff.

II. Die Rechtsnatur der mutmaßlichen Einwilligung

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allem im Rahmen der Ansätze bestritten, die für eine mutmaßliche Einwilligung sowohl ein Handeln im objektiven Interesse als auch im mutmaßlichen Willen des Betroffenen voraussetzen.56 Diese kombinierten Anforderungen werden im Zuge verschiedener dogmatischer Begründungen aufgestellt, die jeweils zu ähnlichen Ergebnissen kommen. So wird die mutmaßliche Einwilligung teilweise lediglich als Unterfall des rechtfertigenden Notstands erachtet, denn nach der in diesem Rahmen durchzuführenden Interessenabwägung sei zu ermitteln, ob der Eingriff den überwiegenden Interessen des Betroffenen entspreche oder nicht.57 Insofern soll es also um die Auflösung einer internen Interessenkollision gehen. Andere verweisen zwar nicht ausdrücklich auf die Notstandsregelungen, wollen aber jedenfalls auf das gleiche Rechtfertigungsprinzip abstellen.58 Schließlich wird in der angestrebten Kombination von objektiv Nützlichem und mutmaßlich Gewolltem eine Ausprägung der Prinzipien der zivilrechtlichen berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß den §§ 677 ff. BGB gesehen. Diese sollen entweder zum Notstandsgedanken hinzutreten59 oder alleinig die Rechtfertigung begründen.60 Die Bedeutung des vermuteten Willens wird bei den verschiedenen Ansätzen dabei durchaus unterschiedlich gewichtet. Während vor allem im Rahmen der notstandsnahen Lösungen ein vermuteter entgegenstehender Wille lediglich als Korrektiv61 erachtet wird, um Fälle aufgedrängter Zwangsfürsorge zu untersagen, steht die Ermittlung des mutmaßlich Gewollten nach anderer Ansicht als gleichberechtigte Voraussetzung62 an der Seite einer Interessenabwägung. Im ersten Fall wird also die Zustimmung des Betroffenen zu einem interessengemäßen Eingriff praktisch vermutet, bis hinreichende Anzeichen auf das Gegenteil schließen lassen. Im zweiten Fall ist stets positiv die Übereinstimmung mit dem wahrscheinlich Erwünschten festzustellen, wobei bei fehlenden Hinweisen jedoch regelmäßig das objektiv Vorteilhafte als dem mutmaßlichen Willen entsprechend angesehen wird.63 Allen Ansätzen ist dabei die Überzeugung gemein, dass das Selbstbestimmungsrecht als Grundprinzip der Einwilligung im Kontext der mutmaßlichen Ein56 Nach Jescheck/Weigend, AT, S. 387, stellt die mutmaßliche Einwilligung sogar die Kombination dreier Gesichtspunkte dar: Der Interessenabwägung, des zu erwartenden Willensentschlusses und des erlaubten Risikos. 57 Bockelmann, NJW 1961, 945, 949; Heidner, Bedeutung, S. 155 ff.; Schmidt, Gutachten 44. DJT, S. 87 u. 135; Welzel, Strafrecht, S. 92; Zipf, Einwilligung, S. 52 ff. 58 Rudolphi, in: GS Kaufmann, S. 371, 393; Schmidhäuser, AT, Kap. 9 Rn. 49 f.; Taupitz, in: FG BGH I, S. 497, 507 f. 59 So Jakobs, AT, Abschn. 15 Rn. 17; Welzel, Strafrecht, S. 93. 60 v. Hippel, in: FG RG V, S. 1, 7; Noll, Rechtfertigungsgründe, S. 137 f.; Schroth, JuS 1992, 476. 61 Heidner, Bedeutung, S. 162 f.; Schmidhäuser, AT, Kap. 9 Rn. 49; Welzel, Strafrecht, S. 92; Zipf, Einwilligung, S. 53 f. 62 Jakobs, AT, Abschn. 15 Rn. 17; Noll, Rechtfertigungsgründe, S. 137; Schroth, JuS 1992, 476, 479. 63 Roxin, AT I, § 18 Rn. 7; siehe dazu unten D. III.

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

willigung keine hinreichende Grundlage bieten könne. Denn wenn der Täter auf Grundlage des gemutmaßten Willens des Opfers handele, liege eben keine eigenverantwortliche Preisgabe des Rechtsguts durch den Inhaber vor. Jede von einem Dritten durchgeführte Spekulation über das vom Betroffenen Gewollte sei nämlich zwangsläufig etwas anderes als eine Selbstverfügung, und zwar auch dann, wenn der Dritte den Willen im Ergebnis korrekt ermitteln kann.64 Daher sei tatsächlich ein Fall der Fremdbestimmung gegeben.65 Stelle man nun in deren Rahmen allein auf die Vermutungen des Handelnden ab, so berge dies stets die Gefahr, dass dieser die für ihn günstigste Annahme zu Grunde legen werde.66 Darüber hinaus sei ein hinreichend sicherer Rückschluss auf den Willen nie so weit möglich, als dass man den Eingriff als durch den Betroffenen bestimmten Akt qualifizieren könne.67 Denn es sei nur schwer möglich, sich von außen beispielsweise in die seelische Situation eines Schwerkranken hineinzuversetzen68, und weder könne angenommen werden, dass der Inhalt vorheriger Äußerungen in der konkreten Situation immer noch das Meinungsbild dominiere69, noch sei es so, dass in jeder Lage überhaupt ein subjektiver Wille existiere. Vielmehr stelle der gemutmaßte Wille regelmäßig nur eine Fiktion dar, da ein tatsächlicher Wille sich meist erst durch eine entsprechende Äußerung in der konkreten Situation konstituiere und somit ohne einen entsprechenden Selbstbestimmungsakt schlicht nicht bestehe.70 Zudem müsste in der Praxis – solange keine Anzeichen für eine zustimmende Haltung vorlägen – konsequent mangels zu vermutender Selbstverfügung von einer fehlenden auch mutmaßlichen Einwilligung ausgegangen werden.71 Wenn aber nun sowohl die Vornahme der Handlung als auch deren Unterlassen der Einwilligung bedürfen, wie es etwa bei der Wahl zwischen einem Behandlungsabbruch und der Weiterbehandlung des Patienten der Fall ist, müsse die Entscheidung zwangsläufig aus Erwägungen außerhalb des Selbstbestimmungsrechts getroffen werden.72 Aus diesen Gründen sollen bei mangelnder Einwilligung Eingriffe nur dann zulässig sein, wenn sie den objektiv feststellbaren und überwiegenden Interessen des Betroffenen entsprechen. Nur so könne sichergestellt werden, dass im Zweifel zu Gunsten des Eingriffsopfers gehandelt werde, da die Gefahr einer fehlerhaften 64

Noll, Rechtfertigungsgründe, S. 138. Heidner, Bedeutung, S. 123; Schachtschneider/Siebold, DÖV 2000, 129, 135; Seitz, ZRP 1998, 417, 421. 66 Taupitz, in: FG BGH I, S. 497, 507. 67 Bockelmann, NJW 1961, 945, 949, bezeichnet die Möglichkeit des Rückschlusses von äußeren Umständen auf den tatsächlichen Willen des Patienten als „Absurdität“. 68 Schmidt, Gutachten 44. DJT, S. 135. 69 Heidner, Bedeutung, S. 133; Taupitz, in: FG BGH I, S. 497, 506. 70 Heidner, Bedeutung, S. 125; Schachtschneider/Siebold, DÖV 2000, 129, 135. Nach Schmidt, Gutachten 44. DJT, S. 134, kann ein entsprechender Wille nur bei „wirklicher Kenntnis der Sachlage“ existieren. 71 Taupitz, in: FG BGH I, S. 497, 510. 72 Höfling, JuS 2000, 111, 116 f. 65

II. Die Rechtsnatur der mutmaßlichen Einwilligung

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Mutmaßung gebannt werde und auch dann zuverlässige Ergebnisse erzielt würden, wenn keine hinreichenden Anhaltspunkte auf die subjektive Einstellung vorlägen.73 Sofern zur Berücksichtigung des objektiven Interessenübergewichts auf die Regelungen zur berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag abgestellt wird, ist dies zunächst dahingehend einzuschränken, dass jedenfalls der nachträglichen Genehmigung durch den Betroffenen gemäß § 684 S. 2 BGB keine rechtfertigende Wirkung zugesprochen werden kann.74 Die Rechtswidrigkeit ist nämlich stets nach den Umständen zur Tatzeit zu bestimmen75, sodass eine nachträgliche Billigung der Tat durch das Opfer sich allenfalls über das Erfordernis der Strafantragsstellung oder im Rahmen der Strafzumessung auswirken kann.76 Auch darüber hinaus wird eine Berücksichtigung der §§ 677 ff. BGB zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit im Strafrecht teilweise mit der Begründung abgelehnt, dass diese Normen ausschließlich zivilrechtliche Ansprüche regeln sollen. Damit handele es sich nicht um die Anordnung einer Rechtfertigung, sondern lediglich um die Anwendung einer solchen, die bereits aus anderen Gründen heraus bestehen müsse, auf die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Eingriffstäter und Eingriffsopfer.77 Dieser Sichtweise steht entgegen, dass nach herrschender Auffassung im Zivilrecht der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag sehr wohl originäre rechtfertigende Wirkung zuzuerkennen ist.78 Von daher gebietet es bereits der Grundsatz von der Einheit der Rechtsordnung, diese auch im Strafrecht zu respektieren, da hier nicht sanktioniert werden kann, was das Recht an anderer Stelle billigt.79 Konkret wäre es widersprüchlich, wenn dem Geschäftsführer auf der einen Seite Ansprüche aus der Geschäftsführung zuerkannt würden, auf der anderen Seite das diese begründende Verhalten aber als strafrechtswidrig erachtet würde.80 Heidner verweist hier zwar zutreffend darauf, dass Ansprüche aus widerrechtlichem Verhalten, ins-

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Heidner, Bedeutung, S. 156 u. 166; Taupitz, in: FG BGH I, S. 497, 507 u. 510. Heidner, Bedeutung, S. 154 f.; Rieger, Einwilligung, S. 68; ebenso Schroth, JuS 1992, 476, 480, der in diesem Fall jedoch einen Schuldausschluss in Form eines Verantwortungsausschlusses befürwortet. 75 RGSt 25, 375, 383; BGH NJW 1995, 204, 205; v. Hippel, in: FG RG V, S. 1, 2. 76 Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 76. 77 Jakobs, AT, Abschn. 15 Rn. 16 Fn. 18; Jescheck/Weigend, AT, S. 388; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 55; Rosenau, in: SSW-StGB, Vor § 32 Rn. 44. 78 Gehrlein, in: BeckOK-BGB, § 677 Rn. 4; Mansel, in: Jauernig, Vor § 677 Rn. 4; Schulze, in: HK-BGB, Vor § 677 Rn. 12; a.A. Bergmann, in: Staudinger, Vor § 677 Rn. 245; Seiler, in: MK-BGB, Vor § 677 Rn. 17. 79 v. Hippel, in: FG RG V, S. 1, 4; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 32 Rn. 9; Rieger, Einwilligung, S. 68; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 215; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 114; Schroth, JuS 1992, 476, 478; Weber, in: FS Baur, S. 133, 140. 80 Rieger, Einwilligung, S. 69; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 215; Schroth, JuS 1992, 476, 477. 74

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

besondere beim unrechtmäßigen Besitz, durchaus verbreitet sind,81 jedoch liegt hier eine andere Situation vor: Eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag schließt ausdrücklich den Schadensersatzanspruch nach § 678 BGB aus. Würde sie nun nicht zugleich die Rechtswidrigkeit der Handlung verneinen, so würde dem Geschäftsherrn aber eben dieser Anspruch über § 823 BGB doch wieder zuerkannt werden müssen.82 Des Weiteren wurde eingewandt, dass § 682 BGB nicht voll Geschäftsfähige aus dem Regelungsbereich der §§ 677 ff. BGB ausschließe und eine derartige Beschränkung für einen Rechtfertigungsgrund nicht bestehen könne.83 Doch nach überwiegender Ansicht dient diese Norm allein dem Schutz nicht voll Geschäftsfähiger, sodass nur deren Verpflichtung nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag ausgeschlossen wird, während die vorteilhaften Wirkungen der §§ 677 ff. BGB, darunter die Rechtfertigung, auch ihnen unbeschränkt zu Gute kommen sollen.84 Die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag ist damit auch im Strafrecht als Rechtfertigungsgrund anzuerkennen. Fraglich bleibt aber, ob sie als solcher auch eigene Relevanz besitzt. Verharrt man auf dem Standpunkt der herrschenden Meinung, dass bei alleiniger Beachtung des gemutmaßten Willens bereits eine mutmaßliche Einwilligung vorliegt, so kommt man zu dem Ergebnis, dass jeder nach den §§ 677 ff. BGB zu rechtfertigender Sachverhalt auch bereits auf Grund einer mutmaßlichen Einwilligung gerechtfertigt ist. Die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag stellt dann nämlich mit dem Erfordernis der objektiven Interessengemäßheit lediglich eine zusätzliche Voraussetzung auf, auf deren Erfüllung es letztlich aber nicht mehr ankäme.85 Es bleibt daher weiterhin zu klären, ob die mutmaßliche Einwilligung nicht einen Unterfall der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag darstellt, also nur bei objektiv interessengemäßem Verhalten vorliegen kann, so wie es auch die Notstandslösungen verlangen. Gegen ein solches Verständnis ist zu Recht eingewandt worden, dass im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung nicht eine objektive, sondern eine subjektive Gewichtung der Interessen im Mittelpunkt stehen muss, um dem Willen des Betroffenen 81

Heidner, Bedeutung, S. 147. Rieger, Einwilligung, S. 69; Weber, in: FS Baur, S. 133, 139. 83 Heidner, Bedeutung, S. 153. 84 Rieger, Einwilligung, S. 69; zur zivilrechtlichen Schutzfunktion Gehrlein, in: BeckOKBGB, § 682 Rn. 1; Schulze, in: HK-BGB, § 682 Rn. 1. 85 So Kühl, AT, § 9 Rn. 48 f.; Mitsch, JuS 1992, 289, 290; Mitsch, ZJS 2012, 38, 39; Roxin, AT I, § 18 Rn. 7 f.; Trück, Einwilligung, S. 97 f.; ähnlich Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 55. Lediglich die Fälle, die unter § 679 BGB zu fassen sind, würden nicht bereits der mutmaßlichen Einwilligung unterfallen. Hier spricht, da es sich um die Berücksichtigung von Interessen Dritter handelt, aber vieles dafür, dass diese dem rechtfertigenden Notstand zugeordnet werden können; vgl. Dölling, in: HK-GS, § 228 Rn. 12: „kaum praktische Bedeutung“; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 215; Rosenau, in: SSW-StGB, Vor § 32 Rn. 44: „Unterfall“. 82

II. Die Rechtsnatur der mutmaßlichen Einwilligung

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einen größtmöglichen Geltungsanspruch zu verleihen.86 Vor allem der rechtfertigende Notstand bezweckt dem entgegengesetzt primär das Übergehen von Autonomie, indem er dem Eingriffsopfer eine Duldungspflicht auferlegt, die hier paradoxerweise gerade den mutmaßlich Einwilligenden treffen würde. Es würde somit die erhebliche Gefahr einer Bevormundung geschaffen.87 Eine solche mag das hinzutretende Kriterium des mutmaßlichen Willens88 zwar in die Richtung verhindern, dass nützliche aber ungewollte Eingriffe untersagt bleiben; auf der anderen Seite können nach den vorgenannten Ansätzen aber keine Taten gerechtfertigt werden, die allein dem Willen des Opfers entsprechen, ihm aber keinen objektiv feststellbaren positiven Erfolg89 garantieren. Da die ausdrückliche Einwilligung jedoch auch solche Fälle unstreitig erfassen kann, erscheint es unbillig, dem subjektiven Willen bei Abwesenheit oder geistiger Schwäche des Berechtigten weniger Gestaltungskraft zuzusprechen.90 Warum das Recht auf eine irrationale Entscheidung von den gegenwärtigen Erklärungsmöglichkeiten des Betroffenen abhängen soll91, ist nicht ersichtlich.92 Ein Einwilligungsunfähiger ist soweit wie möglich einem Einwilligungsfähigen gleichzustellen93; die Wünsche des Betroffenen würden hier jedoch, auch wenn sie zutreffend und sicher bekannt wären, im Widerspruch zum Autonomieprinzip gänzlich übergangen.94 Es ist weiterhin zu berücksichtigen, dass der Notstand die Rechtfertigung vom Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr abhängig macht und damit die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung unmöglich wäre, solange keine Notstandslage vorliegt.95 Eine ähnliche Wirkung entfaltet auch § 681 S. 1 BGB, nach dem die Ge86

Engländer, in: Matt/Renzikowski, Vor § 32 Rn. 23; Fischer, StGB, Vor § 32 Rn. 4; Jescheck/Weigend, AT, S. 385 f. Fn. 71; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 32 Rn. 52; Lenckner/ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 54; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 19; Rosenau, in: SSW-StGB, Vor § 32 Rn. 44; Roxin, AT I, § 18 Rn. 5; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 206 f. 87 Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 158; Rieger, Einwilligung, S. 70 f.; Thiel, Konkurrenz, S. 95 f.; Trück, Einwilligung, S. 85; Yoshida, in: FS Roxin 2001, S. 401, 420. 88 Yoshida, in: FS Roxin 2001, S. 401, 405, wendet hier zu Recht ein, dass diejenigen, die die mutmaßliche Einwilligung als reinen Unterfall des rechtfertigenden Notstands ansehen, das Hinzutreten dieses Kriteriums nur schwer erklären können. 89 So die Formulierung bei Jakobs, AT, Abschn. 15 Rn. 17. 90 Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 214. 91 So ausdrücklich v. Hippel, in: FG RG V, S. 1, 7 f. 92 Vergleichbar hierzu spricht BVerfGE 58, 208, 226, auch dem psychisch Kranken die „Freiheit zur Krankheit“ zu. 93 Böse, in: FS Roxin 2011, S. 523, 527; Lipp, Freiheit, S. 156. 94 Merkel, Früheuthanasie, S. 323; Roxin, AT I, § 18 Rn. 6; Yoshida, in: FS Roxin 2001, S. 401, 407. 95 Mitsch, ZJS 2012, 38, 39; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 214. Freilich ist hier zu beachten, dass die früheren Autoren noch auf den übergesetzlichen Notstand abstellten und somit nicht an konkrete und festgeschriebene Voraussetzungen des § 34 StGB gebunden waren; vgl. Welzel, Strafrecht, S. 92; Zipf, Einwilligung, S. 53. Der vorgetragene Einwand erklärt damit, warum in der neueren Literatur zumeist lediglich auf das identische Rechtfertigungs-

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

schäftsführung ohne Auftrag nur dann zulässig ist, wenn der Aufschub des Geschäfts mit Gefahr verbunden ist. Insbesondere solange die Möglichkeit zur Einholung einer ausdrücklichen Einwilligung besteht, könnte demnach keine mutmaßliche Einwilligung eingreifen.96 Demnach würden aber Fälle des sogenannten „mangelnden Interesses“97, bei denen der Betroffene, da ihm die Verletzung seiner Rechtsgüter gleichgültig ist, auf seine Befragung keinen Wert legt, zur Strafbarkeit des Eingriffstäters führen, wenn dieser keine ausdrückliche Einwilligung einholt.98 Dies vom Täter zu verlangen, erscheint jedoch unverhältnismäßig und würde ein eventuell bestehendes, berechtigtes Vertrauen nicht hinreichend respektieren.99 Man denke etwa an ein paar jugendliche Fußballspieler, deren Ball in den Garten eines derzeit verreisten Nachbarn gelangt. Sie müssten, auch wenn der Nachbar in der Vergangenheit schon öfters das Betreten seines Grundstücks ausdrücklich erlaubt hätte, zwingend dessen Rückkehr abwarten, um erneut um Erlaubnis zu bitten, und würden ansonsten wegen Hausfriedensbruchs100 bestraft.101 Tatsächlich ist eine strafrechtliche Ahndung hier jedoch nicht mehr zu legitimieren. Weder das vermeintliche Opfer noch die Allgemeinheit haben ein Interesse an der Sanktionierung eines solchen Verhaltens.102 Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch auf die Regelungen zur Patientenverfügung in den §§ 1901a ff. BGB zu verweisen. Gemäß § 1901a Abs. 2 S. 1 BGB soll bei Nichtvorliegen einer Patientenverfügung auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen abgestellt werden. Dieser ist gemäß S. 2 nach konkreten Anhaltspunkten zu ermitteln, wobei S. 3 als solche ausschließlich individuelle Umstände als beispielhaft hervorhebt. Ein Rückgriff auf das objektive Wohl wird nicht angeordnet und soll ausweislich der Gesetzesbegründung auch nur dann stattfinden, wenn der

prinzip verwiesen wird; vgl. Jakobs, AT, Abschn. 15 Rn. 16 ff.; Rudolphi, in: GS Kaufmann, S. 371, 393. 96 Für eine entsprechende Einschränkung auch Taupitz, in: FG BGH I, S. 497, 510. 97 Rengier, AT, § 23 Rn. 55; Wessels/Beulke, AT, Rn. 384. 98 Roxin, in: FS Welzel, S. 447, 471; ausdrücklich für eine Strafbarkeit Heidner, Bedeutung, S. 180 ff.; Schmidhäuser, AT, Kap. 9 Rn. 50; Yoshida, in: FS Roxin 2001, S. 401, 419; nach Zipf, Einwilligung, S. 55, kommt es hier auf Grund der Sozialadäquanz des Verhaltens bereits nicht zu einer Erfüllung des Tatbestands (siehe ebendort S. 80). Es erscheint aber widersprüchlich, bei einem solchen Verständnis gerade einem Handeln im objektiven Interesse des Opfers die Sozialadäquanz wieder abzusprechen und auf die mutmaßliche Einwilligung abzustellen. 99 Roxin, in: FS Welzel, S. 447, 472; ähnlich Seelmann, Verhältnis, S. 31 f. 100 Vgl. zur Frage, ob § 123 StGB einen entgegenstehenden Willen des Berechtigten voraussetzt, Fischer, StGB, Vor § 32 Rn. 4a. 101 Vgl. hierzu auch OLG Köln NJW 1968, 2348 mit Anm. Tiedemann, JuS 1970, 108, wo die Möglichkeit der Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung bei mangelndem Interesse grundsätzlich nicht bestritten wird, im konkreten Fall jedoch auf Grund der betroffenen öffentlichen Belange nicht in Betracht kam. 102 Rieger, Einwilligung, S. 70; Roxin, AT I, § 18 Rn. 7.

III. Die Grenzen der mutmaßlichen Einwilligung

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mutmaßliche Wille nicht feststellbar ist.103 Da nicht ersichtlich ist, warum der mutmaßliche Wille im Rahmen der Patientenverfügung anders zu bestimmen sein sollte als in übrigen Fällen, ist dieser partiellen Regelung damit eine verallgemeinerungsfähige Aussage über den Inhalt der mutmaßlichen Einwilligung zu entnehmen. Denn wenn schon bei der Entscheidung über Leben und Tod dem objektiv Vernünftigen nur nachrangige Gestaltungskraft zugesprochen wird, muss dies bei weniger gewichtigen Fragen erst recht geschehen. Die mutmaßliche Einwilligung setzt folglich nicht zwingend ein Handeln im objektiven Interesse des Betroffenen voraus und stellt daher weder einen Unterfall des rechtfertigenden Notstands noch der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag dar.

III. Die Grenzen der mutmaßlichen Einwilligung Die Notwendigkeit bei internen Interessenkollisionen auf den rechtfertigenden Notstand zurückzugreifen ergibt sich für Einige allerdings schon daraus, dass in gewissen Situationen den Kriterien der mutmaßlichen Einwilligung, wie sie die herrschende Meinung aufstellt, gar keine Lösung entnommen werden könne. 1. Fehlende Anhaltspunkte zur Bestimmung individueller Präferenzen Dies soll zunächst der Fall sein, wenn bei vorübergehender Einwilligungsunfähigkeit keinerlei Indizien vorliegen, die Rückschlüsse auf den wahren Willen des Betroffenen ermöglichen würden. Als Beispiel wird die Einlieferung eines schwer verletzten und bewusstlosen Unbekannten, dessen persönliche Umstände gänzlich unklar sind, in ein Krankenhaus genannt.104 Hier ergeben sich für den behandelnden Arzt keine Anhaltspunkte, auf deren Grundlage er den subjektiven Willen des Betroffenen ermitteln könnte. Die Rechtsprechung hat deshalb ausgeführt: „Lassen sich auch bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, so kann und muß auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen.“105 Nach einer ähnlichen, wiederholt verwendeten Formulierung des BGH sei dabei davon auszugehen, „daß sein (hypothetischer) Wille mit dem übereinstimmt, was gemeinhin als normal und vernünftig angesehen wird.“106 Die Ermittlung des vermutlich vom Eingriffsopfer Gewollten soll hier also ausnahmsweise nach rein objektiven, äußeren Gesichtspunkten erfolgen. Solche dürfen bei der mutmaßlichen Einwilligung grundsätzlich keine Rolle spielen, da – wie soeben gezeigt – allein der 103 BT-Drucks. 16/8442, S. 16; BT-Drucks. 16/13314, S. 4; vgl. dazu ferner den folgenden Abschnitt. 104 Otto, Jura 2004, 679, 682. 105 BGHSt 40, 257, 263. 106 BGHSt 35, 246, 250; BGHSt 45, 219, 221.

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

Wille des Betroffenen und nicht die objektive Nützlichkeit des Eingriffs ausschlaggebend ist.107 Liegen allerdings keine hinreichenden individuellen Anhaltspunkte zur zweifelsfreien Bestimmung des subjektiven Willens vor, sondern lediglich einzelne Hinweise, die für sich genommen noch keine sicheren Rückschlüsse zulassen, so sind nach Auffassung des BGH objektive Wertungsmaßstäbe als ergänzende und zusätzliche Indizien heranzuziehen, denen jedoch „keine eigenständige Bedeutung“108 zukomme. Fehle es aber schließlich an jedem Hinweis auf den individuellen Willen, so verbleibe die objektive Beurteilung als einziges Kriterium zur Ermittlung des mutmaßlich Gewollten.109 Diese Herangehensweise hat in der Literatur grundsätzlich breite Zustimmung gefunden.110 Auch der Gesetzgeber hat bei der Einführung des § 1901a Abs. 2 BGB darauf hingewiesen, dass bei einer fehlenden Patientenverfügung nach dieser Methode vorgegangen werden solle, wobei in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BGH Bezug genommen wurde.111 An diesem Ansatz wird nun kritisiert, dass er nicht damit zu vereinbaren sei, dass nach der vorherrschenden Sichtweise allein das Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers die Basis für eine mutmaßliche Einwilligung bilden soll. Denn wenn jeder Hinweis auf den subjektiven Willen fehle, könne die getroffene Entscheidung nicht als durch diesen bestimmt angesehen werden. Tatsächlich bliebe der mutmaßliche Wille hier gänzlich unbekannt. Die durchgeführte Abwägung objektiver Gesichtspunkte stelle daher keine Ermittlung der Wünsche des Betroffenen mehr dar, sondern allein eine Interessenabwägung nach den Grundsätzen des rechtfertigenden Notstands. Als solche müsste sie daher auch benannt werden.112 Otto folgert daraus, dass im hiesigen Kontext zwischen zwei eigenständigen Rechtsfiguren zu unterscheiden sei. Könne aus den vorliegenden Anhaltspunkten mit hinreichender Sicherheit auf den subjektiven Willen geschlossen werden, so liege eine gemutmaßte Einwilligung vor, welche einer ausdrücklichen Einwilligung in nichts nachstehe. Fehle es hingegen an solchen Hinweisen, so könne nur eine 107

Siehe D. II. BGHSt 35, 246, 249 f.; BGHSt 45, 219, 221. 109 Vgl. Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 37. 110 Dölling, in: HK-GS, § 228 Rn. 10; Eidam, GA 2011, 232, 242; Engländer, in: Matt/ Renzikowski, Vor § 32 Rn. 24; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 37; Frister, AT, Kap. 15 Rn. 30; Geppert, JZ 1988, 1024, 1026; Hirsch, in: FG BGH IV, S. 199, 222; Kühl, AT, § 9 Rn. 47; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 32 Rn. 21; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 57; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 121; Müller-Dietz, JuS 1989, 280, 282; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 19; Riedel, BtPrax 2010, 99, 100; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 217, 223; Roxin, AT I, § 18 Rn. 5, 20, 24; Roxin, in: FS Welzel, S. 447, 451; Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 212 Rn. 49. 111 BT-Drucks. 16/8442, S. 11 u. 16; BT-Drucks. 16/13314, S. 4. 112 Bottke, Suizid, S. 89 f.; Heidner, Bedeutung, S. 156; über diese Einwände noch hinausgehend Bockelmann, NJW 1961, 945, 949. 108

III. Die Grenzen der mutmaßlichen Einwilligung

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mutmaßliche Einwilligung, die jedoch nach den Regeln des rechtfertigenden Notstands zu behandeln sei, eingreifen.113 Da beide Ansätze im Ergebnis auf dasselbe Kriterium einer objektiven Interessenabwägung abstellen, wirkt sich die gewählte Herangehensweise auf die Beurteilung der Rechtswidrigkeit nicht aus. Neumann will daher der herrschenden Ansicht nur deshalb den Vorrang einräumen, weil sie immerhin symbolisch zum Ausdruck bringe, dass primär nach den Interessen des Betroffenen entschieden werde.114 Ähnlich will auch Boll den Eingriffstäter „ermahnen, daß dem Selbstbestimmungsrecht […] die oberste Priorität gebührt“.115 Roxin betont hingegen, dass nur auf diesem Wege klargestellt werde, dass die Belange des Eingriffsopfers durch die objektive Abwägung nicht etwa überspielt würden, sondern dass diese Abwägung nur als nachrangiges Hilfsmittel diene, um dem subjektiven Willen so nahe wie möglich zu kommen.116 In diesem Sinne führt auch Erb an, dass eben kein Fall aus dem Regelungsbereich des § 34 StGB vorliege, sondern nur die „begrenzten tatsächlichen Möglichkeiten“ ein Urteil nach den auch dort verwendeten Maßstäben erforderlich machen würden.117 Im Ergebnis ist der herrschenden Meinung beizupflichten, denn es wäre verfehlt eine mutmaßliche Einwilligung – im Sinne einer durch den gemutmaßten subjektiven Willen begründeten Rechtfertigung – nur dann anzunehmen, wenn allein aus den vorhandenen individuellen Anhaltspunkten heraus mit hinreichender Sicherheit auf den zu vermutenden Willen des Betroffenen geschlossen werden kann. Die Situationen, in denen Otto eine gemutmaßte Einwilligung annehmen will, ähneln eher bereits einer konkludenten oder antizipierten118 Einwilligung, können damit aber noch nicht die maximale Reichweite beachtlicher Selbstbestimmung darstellen. Denn durchaus häufig werden Konstellationen aufzufinden sein, in denen zwar gewisse Anhaltspunkte auf das vom Betroffenen Gewollte vorliegen, diese aber für sich genommen noch nicht ausreichen, um einen zutreffenden Rückschluss auf den mutmaßlichen Willen zu ermöglichen. So zum Beispiel bei einer viele Jahre zurückliegenden Äußerung des Eingriffsopfers zu einem ähnlichen, aber nicht iden-

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Otto, Jura 1999, 434, 435 f.; Otto, Jura 2004, 679, 681 f.; Otto, NJW 2006, 2217, 2219 f. Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 20, 33. 115 Boll, Kompetenzüberschreitungen, S. 108, der zu diesem Ergebnis kommt, obwohl er das zuvor genannte Argument Neumanns als „zu schwach“ bezeichnet. 116 Roxin, in: FS Welzel, S. 447, 451. 117 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 37. Rieger, Einwilligung, S. 110, kritisiert zwar, dass es hier nicht mehr um die Ermittlung eines individuellen Willens gehe und daher die eigentlich angewandte Methode verdeckt werde, will aber zur Erzielung gerechter Ergebnisse der herrschenden Ansicht jedenfalls dann folgen, wenn die „überragende Wahrscheinlichkeit“ dafür bestehe, dass das erzielte Ergebnis auch dem Willen des Betroffenen entspreche. 118 Diese Bezeichnung verwenden Eidam, GA 2011, 232, 240, und Gaede, NJW 2010, 2925, 2927, in Bezug auf die durch eine Patientenverfügung begründete Einwilligung. 114

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

tischen Sachverhalt.119 Hier müsste Otto nach seiner Variante der mutmaßlichen Einwilligung die vorliegenden Indizien gänzlich ignorieren und stattdessen einzig auf die geforderte objektive Interessenabwägung abstellen. Das Selbstbestimmungsrecht verlangt jedoch, dass den ersichtlichen individuellen Interessen des Betroffenen so viel Gestaltungsmacht eingeräumt wird, wie es maximal möglich ist. Jeder vorhandene Anhaltspunkt muss in der rechtlichen Würdigung berücksichtigt werden. Da die Interessenabwägung nach § 34 StGB dazu nicht in der Lage ist, ist mit der Rechtsprechung vom absoluten Vorrang individueller Anhaltspunkte bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens auszugehen. Reichen diese zur Begründung eines eindeutigen Ergebnisses noch nicht aus, sind die noch vorhandenen Lücken – aber auch nur diese – nach allgemeinen Wertvorstellungen, also objektiven Kriterien, auszufüllen. An dieser Methode kann nun insbesondere auch dann festgehalten werden, wenn einschlägige subjektive Willensäußerungen des Betroffenen gänzlich fehlen, es also zunächst so scheint, als lägen gar keine auf den subjektiven Willen hinweisenden Indizien mehr vor. Derjenige, dessen individuelle Präferenzen mit den allgemeinen Wertvorstellungen übereinstimmen, wird sich nämlich in aller Regel nicht dazu veranlasst sehen, diese Überzeugung auch kundzutun und sie dadurch für Dritte ersichtlich zu dokumentieren. Wer beispielsweise damit einverstanden ist, im Fall einer lebensgefährlichen Verletzung eine notwendige Bluttransfusion zu erhalten, der wird dies im Vorfeld regelmäßig nicht ausdrücklich äußern, weil er eine den medizinischen Standards entsprechende Behandlung erwarten wird und daher keine Notwendigkeit für eine entsprechende Erklärung sehen wird. Deshalb kann hier die Tatsache, dass kein vom objektiv Vernünftigen abweichender Wille bekundet wurde, als Indiz dafür gewertet werden, dass die persönliche Einstellung des Eingriffsopfers mit dem übereinstimmt, was allgemein als beste Lösung angesehen wird. 2. Konstitutionelle Einwilligungsunfähigkeit Insbesondere Merkel richtet seine Kritik auf die Fälle mutmaßlicher Einwilligung, in denen das Eingriffsopfer gar nicht in der Lage ist, einen subjektiven Willen zu bilden, und diese Fähigkeit auch nie besaß oder nie wieder erlangen wird. Beispielhaft für die zweite Variante, den Verlust der Einwilligungsfähigkeit, ist der Umgang mit einem irreversibel am Apallischen Syndrom leidenden Patienten.120 Die Erteilung von Einwilligungen erfolgt hier grundsätzlich durch den gemäß § 1896 BGB zu bestellenden Betreuer, § 1903 Abs. 1 BGB.121 Ist ein solcher jedoch bislang 119 Vergleichbar stellte sich der BGHSt 40, 257, zu Grunde liegende Fall dar, wo die Betroffene Jahre zuvor beim gemeinsamen Fernsehen geäußert hatte, nicht in Abhängigkeit lebenserhaltender Maschinen leben zu wollen. 120 Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 565. 121 Dölling, in: HK-GS, § 228 Rn. 5; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 68; Roxin, AT I, § 13 Rn. 92.

III. Die Grenzen der mutmaßlichen Einwilligung

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nicht berufen worden, nicht erreichbar oder verweigert er die Einwilligung pflichtwidrig und kann auf Grund der Eilbedürftigkeit auch nicht eine ersatzweise Entscheidung des Vormundschaftsgerichts gemäß §§ 1908i Abs. 1, 1846 BGB abgewartet werden, so soll nach vorherrschender Ansicht auf die mutmaßliche Einwilligung des Einwilligungsunfähigen abzustellen sein. So stellte der BGH im sogenannten Kemptener Fall fest, dass auch bei derartigen Sachverhalten das vom Betroffenen mutmaßlich Gewollte maßgeblich sei und dieses auch hier vor allem nach den vorherigen Äußerungen und Überzeugungen des Patienten zu bestimmen sei.122 Die Literatur hat dem weitestgehend zugestimmt.123 Nach Merkel ist hingegen zu beachten, dass bei der mutmaßlichen Einwilligung die Frage zu beantworten ist, ob der Betroffene, wenn man ihn aktuell befragen könnte, seine Zustimmung zum Eingriff erteilen würde oder ob er diesen jedenfalls im Nachhinein billigen würde. Existiere ein solcher Wille jedoch gegenwärtig nicht und könne er auch in der Zukunft nicht mehr entstehen, so sei die „Zuschreibung einer bestimmten inneren Einstellung“ nicht möglich und zwar auch dann nicht, wenn aus den vergangenen Äußerungen des Betroffenen eindeutige Präferenzen ersichtlich seien. Andernfalls könnte auch einem bereits Verstorbenen ein vermuteter Wille zugesprochen werden.124 Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Eintritt der die Einwilligungsfähigkeit ausschließenden Situation, also vor allem einer schweren Erkrankung, die Beurteilung der eigenen Lage völlig verändern könne. Es sei daher inakzeptabel, wenn die ehemalige Entscheidung nun dauerhaft als Zwang gegen den Betroffenen selbst wirke, da ein Widerruf nicht mehr möglich sei.125 Daher könne letztlich nur eine objektive Interessenabwägung im Rahmen der Anwendung des § 34 StGB ausschlaggebend sein.126 Im Schrifttum wurde demgegenüber korrekt angeführt, dass es im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung generell nicht um die Ermittlung einer zum Zeitpunkt der Tat tatsächlich vorliegenden inneren Einstellung des Opfers gehen kann, denn in den meisten Notfällen, bei denen die mutmaßliche Einwilligung unstreitig Anwendung findet, ist es so, dass der Betroffene sich zuvor keinerlei Gedanken über die eingetretene Situation gemacht hat.127 Im Ergebnis macht es aber keinen Unterschied, ob ein individueller Wille nicht besteht, weil er tatsächlich nicht gebildet wurde oder weil er von vornherein nicht gebildet werden konnte. Es findet also nicht nur eine Mutmaßung darüber statt, welchen Willen das Eingriffsopfer faktisch hat, ohne ihn zuvor geäußert zu haben, sondern bereits darüber, welchen Entschluss es in 122

BGHSt 40, 257, 263. Vgl. Coeppicus, NJW 1998, 3381, 3384; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 120; Scheffen, ZRP 2000, 313, 316; Schöch, NStZ 1995, 153, 155; soweit auch Otto, NJW 2006, 2217, 2219 f.; trotz kritischer Würdigung im Ergebnis wohl auch Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 130 f.; ablehnend Laufs, NJW 1998, 3399, 3400. 124 Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 565. 125 Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 566 f. 126 Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 568 f. 127 Rieger, Einwilligung, S. 72; Roxin, AT I, § 18 Rn. 4. 123

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

der konkreten Situation erst gefasst hätte. Andernfalls würde es sich bei der mutmaßlichen Einwilligung um nichts anderes als eine konkludent erklärte, tatsächliche Einwilligung handeln. Des Weiteren kann auch nicht ausschlaggebend sein, ob ein aktuell Einwilligungsunfähiger dem Eingriff nach Wiedererlangung der Einwilligungsfähigkeit vermutlich zustimmen würde. Denn zum einen wird der spätere Wille durch in der Zukunft liegende Umstände, wie vor allem durch das Ergebnis des Eingriffs, zumindest mitbestimmt, sodass die Strafbarkeit nicht mehr nach den zum Zeitpunkt der Tat vorliegenden Gegebenheiten bestimmt würde, und zum anderen wird bereits die ausdrückliche nachträgliche Genehmigung allgemein als irrelevant für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit angesehen, sodass für eine vermutlich zukünftig erfolgende nichts Anderes gelten kann.128 Das Argument, dass eine Änderung des individuellen Willens, die bei vollem Bewusstsein inzwischen eventuell eingetreten wäre, nicht berücksichtigt werden könne, überzeugt ebenfalls nicht. Denn bei Nichtanwendung der mutmaßlichen Einwilligung wird der Wille, der vor dem Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit bestand, unbeachtlich und durch die objektive Interessenabwägung ersetzt. Die rein objektive Herangehensweise muss damit jedoch die wesentlich wahrscheinlichere und häufigere Beibehaltung des vormaligen Willens übergehen. Darüber hinaus würde sie auch nur Veränderungen hin zum objektiv Vernünftigen respektieren und diese sogar, obwohl sie ebenso unsicher sind wie das Aufrechterhalten bisheriger Entschlüsse, zwingend durchsetzen. Somit wird nur der trügerische Eindruck erschaffen, dass dem Einwilligungsunfähigen ein Stück Autonomie zurückgegeben werde, obwohl diese tatsächlich in weiterem Umfang übergangen wird.129 Rieger stellt daher korrekt fest, dass die mutmaßliche Einwilligung auf einer Fortschreibung des ehemaligen Willens beruht, der so weit wie möglich die aus der Vergangenheit bekannten persönlichen Ansichten des Betroffenen zu Grunde liegen.130 Von daher ist auch die Zuschreibung eines mutmaßlichen Willens an einen Verstorbenen nicht als Absurdität zurückzuweisen.131 Seine Berücksichtigung wird vielmehr im Rahmen der Organspende gemäß § 4 Abs. 1 S. 4 TPG sogar vorgeschrieben. Auch der Gesetzgeber hat die Herangehensweise der Rechtsprechung nun ausdrücklich bestätigt.132 In § 1901a Abs. 2 S. 1 BGB wird der Betreuer verpflichtet bei fehlender Patientenverfügung dem mutmaßlichen Willen des Betreuten zu folgen.133 128 Jescheck/Weigend, AT, S. 388; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 122; Trück, Einwilligung, S. 118 f. 129 So im Ergebnis auch Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 19. 130 Rieger, Einwilligung, S. 73. 131 So auch Rieger, Einwilligung, S. 74; Trück, Einwilligung, S. 119. 132 BT-Drucks. 16/8442, S. 11. 133 Aus dieser Regelung ergibt sich jedoch die Frage, ob überhaupt auf die mutmaßliche Einwilligung des Betreuten selbst abgestellt werden darf oder ob ausschließlich die Einwilli-

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Da dies gemäß Abs. 3 unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung geschehen soll, ist dem auch bei dauerhaftem Verlust der Einwilligungsfähigkeit nachzukommen.134 Nach wie vor umstrittener ist allerdings die Behandlung von Fällen, in denen das Eingriffsopfer auch niemals zuvor die Fähigkeit besaß einen subjektiven Willen zu bilden. Dieses Problem stellt sich vor allem bei der medizinischen Versorgung von Neugeborenen und Kleinkindern.135 Auch hier sind Einwilligungen grundsätzlich durch die gesetzlichen Vertreter, also gemäß §§ 1626, 1626a Abs. 1 BGB durch die Eltern oder gemäß § 1626a Abs. 2 BGB durch die Mutter oder gemäß § 1793 BGB durch den bestellten Vormund, zu erteilen.136 Fehlt es bei einer gegenwärtigen Gefährdung des Kindes an der erforderlichen Einwilligung des Vertreters, so kann diese gemäß § 1666 Abs. 1 BGB auch unmittelbar durch das Familiengericht erteilt werden.137 Fraglich ist nun, wie zu verfahren ist, wenn die Entscheidung des zuständigen Gerichts nicht mehr abgewartet werden kann. In Betracht ziehen könnte man zunächst auch hier ein Abstellen auf den mutmaßlichen Willen des Einwilligungsunfähigen.138 Dagegen wendet wiederum gung des Betreuers, die jedoch an den mutmaßlichen Willen des Betreuten gebunden ist, zur Rechtfertigung führen kann. Die Rechtsprechung hat in BGHSt 55, 191, 200, zunächst nur angedeutet, dass die in den §§ 1901a ff. BGB enthaltende „verfahrensrechtliche Absicherung“ zu beachten sei. BGH NJW 2011, 161, 162 f., stellte anschließend ausdrücklich klar, dass eine Missachtung der betreuungsrechtlichen Verfahrensregeln auch die strafrechtliche Rechtfertigung entfallen lassen soll. Es kann danach also nur eine ausdrückliche und ordnungsgemäß zu Stande gekommene Einwilligung des Betreuers die Strafbarkeit des Behandlungsabbruchs entfallen lassen. Dies ist in der Literatur teilweise auf Kritik gestoßen vor allem, da bei einem Handeln im tatsächlichen Sinne des Betroffenen allein die Verletzung formeller Vorgaben nicht die Anwendung des weitreichenden Strafrahmens der §§ 211 ff. StGB legitimieren könne; vgl. dazu eingehend Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 176 ff.; Sternberg-Lieben, in: FS Roxin 2011, S. 537, 555; Verrel, NStZ 2010, 671, 674; Verrel, NStZ 2011, 276; hingegen dem BGH folgend Dölling, ZIS 2011, 345, 348; Gaede, NJW 2010, 2925, 2927; Rieger, NotBZ 2010, 457, 458. Auf die hiesige, generelle Betrachtung hat dieser Streit jedoch keine Auswirkungen, denn von diesem unabhängig bestätigt § 1901a Abs. 2 BGB jedenfalls die Maßgeblichkeit des mutmaßlichen Willens eines konstitutionell Einwilligungsunfähigen. Die aufgestellten Verfahrensvorschriften schließen eine unmittelbare mutmaßliche Einwilligung des Betroffenen nur für Fälle des tödlichen Behandlungsabbruchs aus, womit sie in anderen Angelegenheiten jedoch weiterhin zu Grunde gelegt werden kann. 134 Vgl. BT-Drucks. 16/8442, S. 12: „[…] erfordert der das Betreuungsrecht prägende Grundsatz der Selbstbestimmung, dass auch der festgestellte Wille des entscheidungsunfähigen Betroffenen in allen Lebensphasen zu beachten ist.“ 135 Merkel, Früheuthanasie, S. 159. 136 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 41; Paeffgen, in: NKStGB, § 228 Rn. 70; Roxin, AT I, § 13 Rn. 92. 137 So schon Lenckner, ZStW 72 (1960), 446, 461. 138 So für die Möglichkeit der mutmaßlichen Einwilligung eines Embryos Günther, in: Günther/Taupitz/Kaiser, Vor § 1 Rn. 87; auf den mutmaßlichen Willen eines Neugeborenen abstellend Jakobs, AT, Abschn. 15 Rn. 16; für die mutmaßliche Einwilligung eines Kindes Renzikowski, Notstand, S. 65; im Grundsatz zwar auch Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 20, dieser stellt im Einzelfall aber doch auf § 34 StGB ab, vgl. dort Rn. 15. Entgegen der Inter-

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Merkel ein, dass die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung des Betroffenen in diesem Fall nicht nur „blanke Spekulation, sondern schon eine begriffliche Unmöglichkeit“ sei.139 Eine entsprechende Mutmaßung sei nur dort möglich, wo der Betroffene zumindest irgendwann einmal einen subjektiven Willen besessen habe.140 Sei jede Form der Selbstbestimmung hingegen schon im Grundsatz ausgeschlossen, so könne eben jene nicht zur strafrechtlichen Legitimation von Eingriffen herangezogen werden.141 Der Eingriffstäter werde hier nicht zum bloßen Verwalter der subjektiven Präferenzen des Betroffenen, sondern die Entscheidung falle allein aus externen, objektiven Erwägungen heraus.142 Auch Rieger erkennt aus seinem Verständnis der mutmaßlichen Einwilligung als Fortschreibung des individuellen Willens hier die Grenzen dieses Rechtfertigungsgrundes.143 Rechtsprechung und Literatur scheinen diesen Standpunkt größtenteils zu teilen, da sie in der Regel eine etwaige mutmaßliche Einwilligung des niemals Einwilligungsfähigen erst gar nicht diskutieren.144 Stattdessen soll bei einer pflichtwidrigen Verweigerung der Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter und der Unmöglichkeit der rechtzeitigen Entscheidung des Vormundschaftsgerichts der Eingriff nach den Regeln des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB zu rechtfertigen sein.145 Wenn der Vertreter die Einwilligung jedoch nicht verweigert, sondern nur aus anderen Umständen heraus daran gehindert ist, diese zu erteilen, soll hingegen nach einer verbreiteten Auffassung der mutmaßliche Wille des gesetzlichen Vertreters zu ermitteln und gegebenenfalls dessen mutmaßliche Einwilligung anzunehmen sein.146 Es ist zunächst der Feststellung zuzustimmen, dass eine mutmaßliche Einwilligung eines auch niemals zuvor Einwilligungsfähigen nicht angenommen werden kann. Der Eingriffstäter kann sich hier nicht auf die aktuelle oder vergangene Selbstbestimmung des Eingriffsopfers als Grundlage dieses Rechtsinstituts berufen, sondern bestenfalls auf die künftig entstehende. Wie für die nachträgliche Genehmigung bereits ausgeführt wurde, eignet sich diese jedoch nicht dazu, Eingriffe zu pretation Merkels, Früheuthanasie, S. 324, stellt Ulsenheimer, in: Grenzen, S. 111, 114 f., zentral auf die eigenmächtige Entscheidungskompetenz des Arztes ab. 139 Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 564; ebenso Merkel, Früheuthanasie, S. 325. 140 Merkel, Früheuthanasie, S. 159. 141 Merkel, Früheuthanasie, S. 325 f. 142 Merkel, Früheuthanasie, S. 327. 143 Rieger, Einwilligung, S. 73. 144 Ausdrücklich ablehnend Müller, in: Medizinstrafrecht, 2. Aufl., S. 31, 43; Taupitz, in: FG BGH I, S. 497, 510; Trück, Einwilligung, S. 120; ohne Berücksichtigung bei BGH JZ 1973, 173. 145 RGSt 74, 350, 353; AG Nordenham MedR 2008, 225; Boll, Kompetenzüberschreitungen, S. 109; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 36; Jescheck/Weigend, AT, S. 382 Fn. 51; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 177; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 15; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 8a; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 15; Roxin, AT I, § 13 Rn. 92. 146 Engländer, GA 2010, 15, 24; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 54; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 120; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 220; Roxin, AT I, § 18 Rn. 4; Schramm, Untreue, S. 241.

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legitimieren.147 Dennoch kann das Rechtsinstitut der mutmaßlichen Einwilligung, auch wenn man nicht eine solche des Einwilligungsunfähigen selbst annimmt, hier eine tragfähige Lösung für jede Fallkonstellation bieten. Zu beachten ist, dass die zur Annahme einer wirksamen Einwilligung notwendige Dispositionsbefugnis beim Einwilligungsunfähigen auf den gesetzlichen Vertreter übergeht.148 Übt dieser seine Verfügungshoheit beispielsweise auf Grund von Abwesenheit nicht aus, führt dies jedoch noch nicht unmittelbar dazu, dass er seine Position als Stellvertreter verliert. Vielmehr bleibt er auch dann Inhaber der Dispositionsbefugnis und damit sein Wille zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Eingriffs maßgeblich. Es ist daher nach herkömmlicher Methodik auf die mutmaßliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters abzustellen. Dieses Vorgehen ist auch durchaus zwingend geboten, da nur so im Falle der elterlichen Sorge sichergestellt werden kann, dass die Entscheidung weiterhin auch den eigenen Vorstellungen der Eltern entspricht, deren Berücksichtigung innerhalb der Grenzen des Kindeswohls durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG garantiert ist.149 Verweigert der Vertreter allerdings ausdrücklich die stellvertretende Einwilligung, so bleibt natürlich auch für die Annahme seiner mutmaßlichen Zustimmung kein Raum mehr. Geschieht dies aber pflichtwidrig, so ist der Anordnung des § 1666 BGB zu folgen, nach dem die Dispositionsbefugnis weiter auf das Familiengericht übergeht. Auch hier ändert sich nun an der grundsätzlichen Entscheidungszuständigkeit dadurch nichts, wenn im Einzelfall die Anrufung des Gerichts etwa aus zeitlicher Not heraus nicht möglich ist. Von daher ist auch hier wie in gewöhnlichen Fällen auf den mutmaßlichen Entschluss des zur Erteilung der Einwilligung Berufenen abzustellen. Es ist also konkret die zu erwartende Entscheidung des Familiengerichts zu ermitteln.150 Natürlich ist das Gericht letztlich an das objektive Wohl des Einwilligungsunfähigen gebunden, sodass das Resultat stets einer Anwendung des rechtfertigenden Notstands entsprechen wird. Engländer führt hierzu jedoch zutreffend an, dass zum Ausdruck zu bringen sei, dass weiterhin nur eine Vertretung des Betroffenen stattfinde und keine Zwangsfürsorge.151 Darüber hinaus garantieren nur die Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung die klar subsidiäre Anwendung der Interessenabwägung durch den Eingriffstäter selbst. Denn solange die angezeigte stell147 Insofern sind Merkels, ZStW 107 (1995), 545, 564 f., Ausführungen nicht widerspruchsfrei. Da beim zuvor Einwilligungsfähigen die Aussicht auf die nachträgliche Billigung zur Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung ausreichen soll, müsste dies konsequent auch beim Neugeborenen, dem eine normale Entwicklung bevorsteht, gelten. 148 Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 102; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 140; Wessels/Beulke, AT, Rn. 373. 149 BVerfGE 24, 119, 143 f.; BVerfGE 47, 46, 70; BVerfGE 60, 79, 88; Uhle, in: BeckOKGG, Art. 6 Rn. 49; insofern besteht daher eine verfassungsrechtlich gebotene Ausnahme vom Grundsatz, dass den eigenen Interessen des Vertreters keine Relevanz zukommen soll; vgl. Knauf, Einwilligung, S. 82. 150 So auch Engländer, GA 2010, 15, 24 Fn. 35; Müller, in: Medizinstrafrecht, 2. Aufl., S. 31, 43. 151 Engländer, GA 2010, 15, 24 f.

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

vertretende Einwilligung eingeholt werden kann, ist der Rückgriff auf die mutmaßliche Einwilligung ausgeschlossen.152 Die Notstandslösung müsste hier erst noch den Nachweis erbringen, warum trotz identischer Gefahren- und Notstandslage die Erreichbarkeit des Stellvertreters zur Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 34 StGB führen soll. Im Ergebnis kann somit die Rechtmäßigkeit von Eingriffen in Rechtsgüter konstitutionell Einwilligungsunfähiger in allen Fallgestaltungen zutreffend nach den Gesichtspunkten der Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung beurteilt werden. Ein Heranziehen des rechtfertigenden Notstands ist daher zur Erzielung zutreffender Ergebnisse jedenfalls nicht zwingend erforderlich.

IV. Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen Die bisherigen Ausführungen haben zu dem Schluss geführt, dass weder der Wortlaut noch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 StGB dessen Anwendung auf intrapersonale Interessenkollisionen ausschließen. Auf der anderen Seite haben die voranstehenden Erläuterungen gezeigt, dass die Einwilligung dem rechtfertigenden Notstand gleichrangig als Rechtfertigungsgrund gegenübersteht, und dass der eigenständige Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung auf mehr der in Rede stehenden Streitfälle angewendet werden kann als von vielen Stimmen in der Rechtswissenschaft angenommen. Nun bleibt zu erörtern, wie sich das Nebeneinander von Einwilligung und mutmaßlicher Einwilligung auf der einen und rechtfertigendem Notstand auf der anderen Seite auf die Anwendung der jeweiligen Rechtsinstitute auswirkt. Konkret ist damit zu klären, ob auch bei internen Interessenkollisionen beide Rechtfertigungsgründe nebeneinander Anwendung finden oder die Rechtswidrigkeit abschließend nach einem von beiden zu beurteilen ist. Wonach ein Fall zu lösen ist, wenn mehrere Erlaubnistatbestände ihren Voraussetzungen nach als ausschlaggebend in Betracht gezogen werden können, ist nach den Prinzipien zur Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen zu bestimmen.153 1. Kongruente Ergebnisse durch Berücksichtigung der Autonomie innerhalb der Interessenabwägung Zunächst versucht Seelmann das Verhältnis von rechtfertigendem Notstand und Einwilligung so zu bestimmen, dass beide Erlaubnistatbestände gar nicht zu un152 Zu diesem Grundsatz BGHSt 16, 309, 312; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, Vor § 32 Rn. 54; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 221 f.; Roxin, AT I, § 18 Rn. 10 ff. 153 So auch Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 60 f.; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 219; vgl. dazu allgemein Diettrich, Organentnahme, S. 151 ff.; Gropengießer, Jura 2000, 262; Peters, GA 1981, 445; Thiel, Konkurrenz, S. 31 u. passim; Seelmann, Verhältnis, S. 19 u. passim; Warda, in: FS Maurach, S. 143.

IV. Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen

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terschiedlichen Ergebnissen kommen können. Nach ihm stellt § 34 StGB die allgemeine Kodifizierung des Rechtfertigungsprinzips der Interessenabwägung dar. Dieses Prinzip soll übergreifend allen Rechtfertigungsgründen unter alleiniger Ausnahme der Einwilligung zu Grunde liegen.154 Von daher betrachtet Seelmann den rechtfertigenden Notstand als lex generalis gegenüber allen demselben Rechtfertigungsprinzip unterfallenden Rechtfertigungsnormen.155 Die einzelnen, spezielleren Erlaubnistatbestände hätten dabei die Funktion, die im konkreten Fall zu beachtenden Interessen zu bezeichnen oder ein bestimmtes, durch den Gesetzgeber antizipiertes Ergebnis der Interessenabwägung festzustellen.156 Um zu ermitteln, ob ein solcher, § 34 StGB konkretisierender Rechtfertigungsgrund, einen Sachverhalt abschließend regelt, obwohl er im konkreten Fall selbst nicht zur Rechtfertigung kommt, seien sogenannte Konflikttypen zu bestimmen. Rechtfertigt beispielsweise § 228 BGB den vorliegenden Eingriff nicht, gehört die gegebene Konstellation aber dem durch diese Norm geregelten Konflikttypus an, so sei dadurch der Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des § 34 StGB zwar nicht gesperrt, aber die hier durchzuführende Interessenabwägung sei an den in § 228 BGB zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers gebunden und müsse daher zu einem übereinstimmenden, also hier negativem Ergebnis gelangen.157 Da die Einwilligung nun nicht dem Prinzip der Interessenabwägung unterfalle, sich aber dennoch mit dem Anwendungsbereich des rechtfertigenden Notstands überschneiden könne, wählt Seelmann zur Erzielung kongruenter Resultate hier einen anderen Weg. Verweigere der Betroffene seine Zustimmung zum Eingriff, so sei dieser Akt der Selbstbestimmung in Gestalt des Rechtsguts der Autonomie auf der Seite der durch den dennoch durchgeführten Eingriff beeinträchtigten Rechtsgüter in die Interessenabwägung des § 34 StGB einzustellen. Auf diesem Wege komme der rechtfertigende Notstand regelmäßig zum selben Ergebnis wie die Kriterien der Einwilligung, denn lediglich in Ausnahmefällen dürfe die Autonomie des Einzelnen zu Gunsten eines anderen, hochrangigen Interesses übergangen werden.158 Auf den bereits erwähnten159 Beispielsfall übertragen, in dem der Verlust eines Beines durch einen geringfügigen medizinischen Eingriff abgewendet werden kann, bedeutet dies: Stimmt der Patient der Behandlung zu, so überwiegt auch im Rahmen der Interessenabwägung das Interesse am Erhalt des Beines das an der Nichtvornahme der Operation. Verweigert er hingegen freiverantwortlich seine Einwilligung, so muss das durch den Eingriff geschützte Interesse an der Rettung des Beines den beiden 154 Seelmann, Verhältnis, S. 32 u. 69; ebenso Lenckner, GA 1985, 295, 302; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 93. 155 Seelmann, Verhältnis, S. 32; einschränkend Roxin, AT I, § 14 Rn. 48. 156 Seelmann, Verhältnis, S. 34. 157 Seelmann, Verhältnis, S. 62 f.; im Ergebnis ebenso Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 219 ff. 158 Seelmann, Verhältnis, S. 70 ff. 159 Siehe A. I.

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

durch den Eingriff beeinträchtigten Rechtsgütern der körperlichen Unversehrtheit und der Autonomie unterliegen. Bereits die grundlegende Interpretation des § 34 StGB als gesetzliche Verankerung eines allgemeinen Abwägungsprinzips ist auf berechtigten Widerspruch gestoßen.160 Gegen dieses Verständnis spricht, dass der rechtfertigende Notstand nicht als offener, auf alle Anwendungsfälle anderer Rechtfertigungsgründe passender Wertungsrahmen ausgestaltet wurde, sondern als selbstständiger Erlaubnistatbestand, der eigene, begrenzende Voraussetzungen wie das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr postuliert, welche Seelmann zur Annahme einer umfassenden lex generalis zwangsläufig übergehen muss.161 Des Weiteren gelingt es ihm nicht, die vermeintlich maßgeblichen Konflikttypen hinreichend zu definieren, sodass sie kein taugliches Kriterium zur Bewertung von Grenzfällen darstellen können.162 Im hiesigen Kontext interessiert zunächst mehr, ob die vorgeschlagene Einbeziehung der Autonomie in die Interessenabwägung überhaupt statthaft ist. Ein erheblicher Teil der Literatur bejaht dies.163 Zur weiteren Begründung wird angeführt, dass jedenfalls der Aggressivnotstand regelmäßig eine Verletzung der Autonomie des Eingriffsopfers begründe und diese Folge daher bei der Ermittlung eines sachgerechten Ergebnisses berücksichtigt werden müsse.164 Es sei zu bedenken, dass einem Unbeteiligten hier ein Sonderopfer auferlegt werde, was zu höheren Hürden für die Legitimation des Eingriffs führen müsse, welche das Kriterium der Autonomie realisiere.165 Gegen die Berücksichtigung der Selbstbestimmung als eigenständiger Faktor der Interessenabwägung bestehen jedoch einige Bedenken. So würde es durch dieses Kriterium weitreichend im Belieben des Rechtsgutsträgers stehen, welcher Wert einem betroffenen Interesse in der Abwägung zuzumessen ist, da dessen Rang, je nachdem wie viel Achtung der Inhaber seinem eigenen Rechtsgut entgegenbringt, durch das dann mehr oder weniger ausgeprägt hinzutretende Gut der Autonomie bestimmt würde. Eine zutreffende Gewichtung ist insbesondere für Dritte, und damit auch für den Notstandstäter, aber nur dann möglich, wenn man sich an standardi-

160 Hellmann, Anwendbarkeit, S. 111 ff.; Peters, GA 1981, 445; Thiel, Konkurrenz, S. 185 ff. 161 Diettrich, Organentnahme, S. 161; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 12; Peters, GA 1981, 445, 454; Thiel, Konkurrenz, S. 190. 162 Peters, GA 1981, 445, 467. 163 Bottke, Suizid, S. 123; Diettrich, Organentnahme, S. 163; Kühl, AT, § 8 Rn. 159; Küper, JuS 1987, 81, 87; Lenckner, Notstand, S. 114; Meyer, Ausschluß, S. 128 f.; Perron, in: Schönke/ Schröder, § 34 Rn. 38; Reichert-Hammer, Fernziele, S. 199; Roxin, AT I, § 16 Rn. 46; Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41, 50; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 114; Zieschang, in: LKStGB, § 34 Rn. 68. 164 Seelmann, Verhältnis, S. 70; Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41, 50. 165 Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 38; Roxin, AT I, § 16 Rn. 46.

IV. Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen

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sierten Wertungen orientieren kann.166 Zudem wurde bereits dargelegt, dass § 34 StGB vorrangig auf die objektive Betrachtung der betroffenen Interessen ausgerichtet ist.167 Des Weiteren gewährt der Notstand dem Täter nicht nur eine Eingriffsbefugnis, sondern legt ebenso dem Eingriffsopfer eine spiegelbildliche Duldungspflicht auf.168 Würdigt der Inhaber des Erhaltungsguts sein Interesse nun selbst geringer als es der objektiven Werteordnung entspricht, so steht es ihm frei dieses mittels einer ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einwilligung zur Abwendung der Gefahr zur Verfügung zu stellen, jedoch kann ihn deshalb nicht die überproportionale Pflicht treffen, dies zu tun. Ebenso kann man sich seiner Beistandsverpflichtung nicht entziehen, indem man seinen eigenen Gütern einen unverhältnismäßig hohen Stellenwert einräumt.169 Es muss darüber hinaus verwundern, wenn ein Patient, nachdem er seine Zustimmung zur Operation erteilt hat, dazu verpflichtet sein soll, diesen Eingriff hinzunehmen. Zumal diese Pflicht unmittelbar wieder entfallen würde, sobald der Patient seinen Entschluss noch einmal ändert. Welchen eigenständigen Gehalt soll aber eine Verpflichtung haben, die erst durch eine freiwillige Übernahme begründet wird und danach jederzeit vom Verpflichteten selbst wieder aufgehoben werden kann? Es widerspricht somit dem Wesen einer Pflicht, wenn diese von der eigenen Bereitschaft des Betroffenen diese hinzunehmen abhängig gemacht wird.170 Damit zeigt sich der wesentliche Charakter des rechtfertigenden Notstands als die Autonomie des Eingriffsopfers durchbrechende und überwindende Regelung. Folglich beantwortet § 34 StGB erst die Frage danach, welches Gewicht der Selbstbestimmung des Opfers im Verhältnis zu den geschützten Interessen zukommt, sodass das gesuchte Ergebnis nicht selbst zum Teil des Lösungsweges gemacht werden kann.171 Dem Einwand, dass nur nach hinreichender Würdigung der Autonomie das auferlegte Sonderopfer zu vertreten sei, ist zum einen entgegenzuhalten, dass sich die Prinzipien des Selbstbestimmungsrechts bereits bei der Höherbewertung höchst166 Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 82; Renzikowski, Notstand, S. 63; ähnlich Lenckner, Notstand, S. 99; im Ergebnis wohl auch Knauf, Einwilligung, S. 84 ff., der die Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts bei intrapersonalen Interessenkonflikten als zwingend erachtet, die Anwendung des § 34 StGB auf diese Fälle jedoch im Ergebnis verneint. 167 Vgl. zur Gewichtung des preisgegebenen Lebens C. III. 168 BGH NJW 1989, 2479, 2481; Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 1; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 1; Kühl, AT, § 8 Rn. 7; Lenckner, Notstand, S. 50; Seelmann, Verhältnis, S. 48. 169 Dies hindert nicht die objektive Höherbewertung einer Sache, wenn diese nur für den Inhaber einen besonderen Wert verkörpert. Denn das beispielhaft angeführte einzigartige Manuskript einer Hausarbeit (Roxin, AT I, § 16 Rn. 71) stellt nicht nur in den Augen des Verfassers einen höherwertigen Gegenstand dar, sondern auch aus Sicht der individuelle Umstände berücksichtigenden objektiven Werteordnung; vgl. Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 29; Lenckner, Notstand, S. 99. 170 Renzikowski, Notstand, S. 63. 171 Renzikowski, Notstand, S. 61.

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

persönlicher Rechtsgüter realisieren.172 Zum anderen – und dies tritt als wesentlichstes Argument zu Tage – wurde der Aspekt, dass der Notstand auf das Übergehen von Autonomie ausgerichtet ist, bereits in den Formulierungen und Voraussetzungen der Notstandsvorschriften zum Ausdruck gebracht. Soweit dies in § 904 BGB durch das Erfordernis eines unverhältnismäßig größeren Schadens erfolgt ist, wird dies auch von Vertretern der Gegenauffassung bestätigt.173 Doch ebenso ist es im Rahmen des § 34 StGB durch das Verlangen eines wesentlichen Überwiegens des geschützten Interesses geschehen.174 Es ergibt sich nämlich gerade aus dem Autonomieprinzip, dass Rechtsgüter nicht auf Grund jedes beliebigen gegenüberstehenden Interesses beeinträchtigt werden dürfen, sondern nur wenn ein qualifiziertes Übergewicht dieses gebietet. Da der Gesichtspunkt der Selbstbestimmung somit bereits im Maßstab der durchzuführenden Abwägung zu Gunsten des Eingriffsopfers Niederschlag gefunden hat, kann er nicht durch eine erneute Berücksichtigung auf Seiten der beeinträchtigten Interessen doppelte Wirkung entfalten, weil dies den ihm vom Gesetzgeber und der Verfassungsordnung zugedachten Wert übersteigen würde.175 Die Autonomie des Eingriffsopfers kann folglich nicht als eigenständiger Aspekt der Interessenabwägung berücksichtigt werden. Das Ergebnis des rechtfertigenden Notstands muss daher unabhängig davon beurteilt werden, ob das Opfer dem Eingriff zustimmt oder nicht. Die Rechtfertigungsgründe der Einwilligung und des Notstands können somit auf diesem Wege nicht zu stets übereinstimmenden Resultaten gebracht werden. Im Beispielsfall der drohenden Beinamputation müsste § 34 StGB demnach stets zur Rechtfertigung des Eingriffs kommen, während nur die Einwilligung die Zulässigkeit des Eingriffs nach dem Willen des Betroffenen beurteilen kann. 2. Grundsatz der parallelen Anwendbarkeit Als Basis der Beurteilung der Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen dient die Annahme, dass alle Rechtfertigungsgründe unabhängig voneinander, nebeneinander anzuwenden sind.176 Kommen also verschiedene Erlaubnissätze zur Rechtfertigung eines Eingriffs in Betracht, so soll es ausreichen, wenn einer von diesen sich als 172

Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 254; Renzikowski, Notstand, S. 63. Reichert-Hammer, Fernziele, S. 199; Roxin, AT I, § 16 Rn. 46; Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41, 50. 174 Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 254; Pawlik, Notstand, S. 143; Renzikowski, Notstand, S. 61. 175 So auch Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 24; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 21b. 176 Diettrich, Organentnahme, S. 157; Engländer, in: Matt/Renzikowski, Vor § 32 Rn. 12; Gropengießer, Jura 2000, 262, 263; Jakobs, AT, Abschn. 11 Rn. 16; Jescheck/Weigend, AT, S. 333 Fn. 43; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 16 Rn. 60; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 78; Roxin, AT I, § 14 Rn. 45; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 224; Thiel, Konkurrenz, S. 110 f.; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 149; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 93. 173

IV. Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen

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einschlägig erweist. Ob ein weiterer möglicherweise eingreifender Rechtfertigungsgrund die Tat ebenfalls legitimiert oder nicht, ist in der Folge unerheblich. Ebenso wenig entscheidend ist es, welcher von mehreren einschlägigen Rechtfertigungstatbeständen letztlich zur Begründung des Ergebnisses angeführt wird oder ob festgestellt wird, dass die Rechtswidrigkeit gleich aus mehreren Aspekten heraus entfällt. Dieser Ansatz wird dadurch gestützt, dass bei einer entgegengesetzten Konzeption, nach der stets nur ein einzelner Rechtfertigungsgrund eingreifen könnte177, ein klares Rangverhältnis aller Erlaubnistatbestände zueinander festgestellt werden müsste. Es müsste bei mehreren in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründen also stets der vorrangige zu bestimmen sein. Eine solch umfassende Rangfolge ist jedoch weder dem Gesetz zu entnehmen noch kann sie durch Auslegung ermittelt werden.178 Des Weiteren ordnen sämtliche Erlaubnissätze mit dem Entfallen der Rechtswidrigkeit eine identische Rechtsfolge an. Das Eingreifen einer Rechtfertigungsnorm führt also stets zum selben Resultat wie die Anwendung einer anderen oder mehrerer gemeinsam.179 Ein Verhalten kann nämlich ebenso wenig mehr als gerechtfertigt – also mehr als erlaubt – sein, wie negative Abstufungen der Rechtmäßigkeit existieren.180 Und schließlich liegt jedem Rechtfertigungsgrund ein ihm eigenes Rechtfertigungsprinzip zu Grunde, welches besagt, warum das Verhalten im konkreten Fall als erlaubt zu klassifizieren ist. Greift ein solches Prinzip, so ist die Rechtsgutsverletzung als nicht rechtswidrig einzustufen, und an dem Eingreifen eines Rechtfertigungsprinzips ändert sich nun nichts dadurch, dass neben ihm zugleich weitere derartige Prinzipien Anwendung finden.181 Von diesem Grundsatz der parallelen Anwendbarkeit und des beliebigen Rückgriffs auf einen von mehreren einschlägigen Rechtfertigungsgründen soll allerdings nach nahezu allgemeiner Ansicht182 dann abzuweichen sein, wenn ein Rechtfertigungsgrund existiert, der den in Rede stehenden Bereich von Lebenssachverhalten abschließend regelt, welcher also als speziellere Norm eine allgemeinere verdrängt.183 Dies ist beispielsweise für das Verhältnis des privaten Festnahmerechts 177 Warda, in: FS Maurach, S. 143, 149, führt hierzu anschaulich das Bild der Kerze an, die stets nur einmal und nicht mehrfach gelöscht werden könne. 178 Thiel, Konkurrenz, S. 110; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 150. 179 Gropengießer, Jura 2000, 262; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 16 Rn. 60; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 77; Thiel, Konkurrenz, S. 111. 180 Etwas anderes gilt natürlich dann, wenn nur eine teilweise Rechtfertigung des Verhaltens anzunehmen ist. Trotz der Unterscheidung zwischen Rechtfertigungsgründen und Strafunrechtsausschließungsgründen kommt auch Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 57, zur einheitlichen Rechtsfolge des vollständigen Ausschlusses des Strafunrechts. 181 Thiel, Konkurrenz, S. 110. 182 Abweichend lediglich Delonge, Interessenabwägung, S. 192 ff.; dagegen Diettrich, Organentnahme, S. 159. 183 Aselmann/Krack, Jura 1999, 254, 258; Diettrich, Organentnahme, S. 160; Engländer, in: Matt/Renzikowski, Vor § 32 Rn. 12; Jakobs, AT, Abschn. 11 Rn. 17; Jescheck/Weigend, AT,

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gemäß § 127 Abs. 1 S. 1 StPO gegenüber dem rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB anerkannt. Wenn beispielsweise die zeitliche Begrenzung des privaten Festnahmerechts überschritten ist, weil der Verdächtige nicht mehr auf frischer Tat betroffen oder verfolgt ist, soll der Täter sich nicht alternativ auf die Notstandsregelung des StGB berufen können.184 Die durch den Gesetzgeber gefasste Entscheidung zur gesondert normierten Fallgruppe, darf hier nicht durch den Rückgriff auf allgemeinere Regelungen übergangen werden.185 Insbesondere die dadurch aufgestellten besonderen Voraussetzungen dürfen nicht ignoriert werden. Mit Recht kritisiert Thiel jedoch die uneinheitliche und teilweise unreflektierte Verwendung des Begriffs der Spezialität in diesem Zusammenhang.186 Denn diesem Terminus werden durchaus verschiedene Bedeutungen zugemessen, an die sich auch verschiedene Rechtsfolgen knüpfen. Der simple Verweis auf den Vorrang des spezielleren Rechtfertigungsgrundes ist daher noch nicht in der Lage, in konkreten Konfliktsituationen die Ermittlung zutreffender Ergebnisse zu ermöglichen. Vielmehr setzt das Zusammentreffen mehrerer möglicher Rechtfertigungsgründe die umfassende Anwendung der Regeln zur Gesetzeskonkurrenz voraus187, wobei die verschiedenen Formen der Spezialität nur einen Ausschnitt der Möglichkeiten darstellen. 3. Kumulation und Kollision von Rechtfertigungsgründen In ihren grundlegenden Arbeiten zur Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen gehen Warda, Seelmann, Peters und Thiel übereinstimmend davon aus, dass die Festlegung auf einen konkreten, allein einschlägigen Erlaubnistatbestand jedenfalls dann nicht erfolgen muss, wenn feststeht, dass im konkreten Fall beide in Betracht zu ziehenden Rechtfertigungsgründe zu Gunsten des Täters eingreifen. Hier soll es zu keiner Verdrängung eines Erlaubnissatzes kommen, sondern beide einschlägigen Normen sollen, unabhängig von ihrem Verhältnis zueinander, nebeneinander Anwendung finden, sodass es genügt, wenn im Ergebnis die Erfüllung der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes positiv festgestellt werden kann.188 Diese Situation wird als Kumulation von Rechtfertigungsgründen bezeichnet.189 Sind bei S. 333 Fn. 43; Lackner/Kühl, StGB, § 34 Rn. 14; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, Vor § 32 Rn. 28; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 16 Rn. 60; Paeffgen, in: NKStGB, Vor § 32 Rn. 77; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 6; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 78; Roxin, AT I, § 14 Rn. 45; Irene Sternberg-Lieben, JA 1996, 129, 131. 184 Kühl, AT, § 9 Rn. 83; Lackner/Kühl, StGB, § 34 Rn. 14; Momsen, in: BeckOK-StGB, § 34 Rn. 23; Roxin, AT I, § 14 Rn. 48; im Grundsatz auch Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 220. 185 Thiel, Konkurrenz, S. 128. 186 Thiel, Konkurrenz, S. 129 f. 187 Renzikowski, Notstand, S. 18. 188 Peters, GA 1981, 445, 449; Seelmann, Verhältnis, S. 38 f.; Thiel, Konkurrenz, S. 111; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 150 f. 189 Jakobs, AT, Abschn. 11 Rn. 16; Thiel, Konkurrenz, S. 32.

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einem intrapersonalen Interessenkonflikt also sowohl die Voraussetzungen der Einwilligung als auch die des rechtfertigenden Notstands erfüllt, so soll es nicht mehr darauf ankommen, ob man die Rechtfertigung des Täters mit dem einen oder anderen oder beiden Erlaubnistatbeständen begründet, weil das zu erzielende Ergebnis jedenfalls feststeht.190 Begründet wird auch diese Annahme damit, dass zwischen den einzelnen Rechtfertigungstatbeständen kein Rangverhältnis bestehe und die hier im Ergebnis festzustellende Rechtsfolge identisch sei, sodass am Grundsatz gleichberechtigter Anwendung festgehalten werden könne. Darüber hinaus wird die prozessökonomische Vorteilhaftigkeit dieser Lösung ins Feld geführt: Sei im Strafverfahren die Erfüllung der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes schwerer festzustellen als die eines anderen, so könne sich das Gericht darauf beschränken, den eindeutiger eingreifenden Erlaubnissatz anzuwenden und müsse die Frage nach dem anderen nicht eingehend erörtern.191 Doch bereits Thiel selbst hat diese Annahme wesentlich eingeschränkt: Dort wo der Gesetzgeber spezielle Rechtfertigungsnormen geschaffen habe, die allgemeine Rechtfertigungsprinzipien konkretisierten und durch das Bereitstellen eindeutiger Ergebnisse Unsicherheiten bei der Anwendung generellerer Normen beseitigten, sei diesen auch bei übereinstimmenden Resultaten der Anwendungsvorrang einzuräumen. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die dort formulierten besonderen Voraussetzungen durch den Rückgriff auf allgemeine Grundsätze übergangen würden. Zudem bliebe der prozessökonomische Vorteil hier erhalten, weil die auf den konkreten Fall zugeschnittene Norm regelmäßig ein klareres und schneller zu ermittelndes Ergebnis liefere.192 Tatsächlich kann das Argument der Prozessökonomie im hiesigen Zusammenhang jedoch im Ganzen nicht überzeugen. Wenn es erst auf Grund übereinstimmender Ergebnisse zur parallelen beziehungsweise beliebigen Anwendung mehrerer Rechtfertigungsgründe kommen soll, setzt dies doch zwingend voraus, dass zunächst eben diese Kongruenz der Resultate positiv festgestellt wird. Dies bedeutet, dass dennoch alle in Betracht kommenden Erlaubnisnormen vollständig zu prüfen sind. Erst anschließend könnte festgestellt werden, dass es auf das etwaige Konkurrenzverhältnis der Normen zueinander nicht mehr ankommt. Eine Verminderung des Prüfungsaufwandes ist somit nicht gegeben. Als entscheidend erweist sich im Übrigen ein weiterer Einwand Thiels. Die Frage danach, in welcher Beziehung verschiedene Normen zueinander stehen, kann nicht 190 Auf dieser Annahme beruht bereits die hier vorgenommene Konzentration der Untersuchung auf relevante Fallgruppen, in denen eine Einwilligung nicht vorliegt und daher die Beurteilung der Rechtswidrigkeit allein vom rechtfertigenden Notstand abhängt; siehe A. II. Zu beachten ist jedoch, dass dort, wo beide Erlaubnistatbestände zugleich vorliegen können, zumeist ausschließlich auf die Einwilligung verwiesen wird. 191 Thiel, Konkurrenz, S. 110 f.; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 150. 192 Thiel, Konkurrenz, S. 113 f.

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davon abhängen, welche Ergebnisse sie im konkreten Einzelfall erzielen193, sondern stellt ein generelles, dogmatisches Problem dar.194 Das Vorliegen von Spezialität oder allgemein Gesetzeskonkurrenz bestimmt, da wo sie auftritt, eben doch ein allgemeines Rangverhältnis der Rechtfertigungsgründe und führt damit zur umfassenden Unanwendbarkeit der verdrängten Norm im jeweiligen Teilbereich. Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass bestimmte Fallgruppen durch einen besonderen Erlaubnistatbestand geregelt werden sollen, ist auch eine Entscheidung über das anzuwendende Recht und nicht nur über das zu erzielende Ergebnis. Im Sinne einer zuverlässigen und nachvollziehbaren Rechtsfindung und auch der verfassungsrechtlich gebotenen Gesetzesbindung kann der beschrittene Weg nicht gleichgültig sein, solange nur das korrekte Resultat gefunden wird. Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen ist daher gänzlich unabhängig vom zu erwartenden Ergebnis zu bestimmen. Normen, deren Anwendung durch die Existenz einer anderen gesperrt ist, können somit auch bei übereinstimmenden Ergebnissen nicht mehr zur Rechtfertigung herangezogen werden. Eine Kumulation von Rechtfertigungsgründen, bei der gleichgültig ist auf welche einschlägige Norm abgestellt wird, tritt daher nur dann auf, wenn auch im Falle divergierender Ergebnisse die gleichrangige Anwendbarkeit beider Erlaubnissätze nebeneinander festzustellen ist. Der der Kumulation entgegengesetzte Fall, dass mehrere Rechtfertigungsgründe bei der Anwendung auf den konkreten Sachverhalt zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, wird als Kollision von Rechtfertigungsgründen bezeichnet.195 Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese Konstellation grundsätzlich immer vorliegt, sobald ein Erlaubnistatbestand einschlägig ist. Denn eine Sachlage, bei der sämtliche strafrechtlich relevanten Erlaubnissätze zugleich erfüllt sind, kann es nicht geben, sodass stets neben dem erfüllten auch eine Vielzahl von nicht erfüllten Rechtfertigungsgründen stehen wird. Thiel will diese Tautologie vermeiden, indem er die Sicht auf „in Betracht kommende Erlaubnisnormen“ beschränkt.196 Doch ausgehend vom Grundsatz paralleler Anwendbarkeit muss unvoreingenommen erst einmal jeder Rechtfertigungsgrund in Betracht gezogen werden. Die wohl tatsächlich dahinterstehende Überlegung, dass nur die nicht einschlägigen Normen berücksichtigt werden sollen, die potentiell eine abschließende, vorrangige Regelung für den Sachverhalt darstellen könnten, setzt bereits eine zumindest partielle Anwendung der Konkurrenzregeln voraus, sodass es sich nicht mehr lediglich um eine Beschreibung der aufgetretenen Situation, sondern schon um eine wertende Feststellung handelt. Die Erkenntnis, dass in jedem Fall einer Rechtfertigung zugleich von einer Kollision gesprochen werden könnte, ist jedoch nicht nutzlos. Sie unterstreicht vielmehr die Annahme der grundsätzlich gleichberechtigten und unabhängigen parallelen Anwendung von Rechtfertigungsgründen. Die Nichterfüllung eines Er193 194 195 196

So aber Peters, GA 1981, 445, 449 Fn. 23. Thiel, Konkurrenz, S. 128. Diettrich, Organentnahme, S. 152; Thiel, Konkurrenz, S. 32 f. Thiel, Konkurrenz, S. 32.

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laubnissatzes kann nicht automatisch zur Sperrung eines anderen führen, weil sonst jede Rechtfertigung ausgeschlossen wäre. So ist offensichtlich, dass das Nichteingreifen des § 218a Abs. 2 StGB auf die Anwendung des § 228 BGB keinen Einfluss haben kann und umgekehrt, weil die Normen gänzlich andere Regelungsbereiche aufweisen. Es bedarf daher einer besonderen Begründung, wenn ein Rechtfertigungsgrund einen anderen ausnahmsweise verdrängen soll. Entscheidend ist bei divergierenden Ergebnissen der Erlaubnisnormen daher die Beantwortung zweier spiegelbildlich zueinander stehender Fragen: Fällt der Sachverhalt ausschließlich in den Anwendungsbereich der Norm, deren Anforderungen im konkreten Fall nicht erfüllt sind?197 Und darf damit der Rechtfertigungsgrund, dessen Voraussetzungen erfüllt sind, nicht angewendet werden, sodass der Eingriff dennoch rechtswidrig bleibt?198 Eben diese Problematik tritt auch in den hier interessierenden Konstellationen interner Interessenkollisionen auf. In den aufgeworfenen Fallgruppen bleibt ein Eingreifen des rechtfertigenden Notstands dessen Voraussetzungen nach möglich, während eine Rechtfertigung auf Grundlage einer Einwilligung oder mutmaßlichen Einwilligung ausscheidet. Zu erörtern ist daher, ob diese Sachverhalte nur dem Anwendungsbereich der Einwilligung zuzuordnen sind, sie also eine abschließende Regelung trifft, obwohl sie selbst hier nicht eingreift. Auf der anderen Seite ist somit zu fragen, ob diese Fälle aus dem Regelungsbereich des § 34 StGB ausgeschlossen sind.199 Und auch dann, wenn beide Rechtfertigungsgründe zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen, kann nach dem hier erzielten Ergebnis nicht beliebig auf einen von beiden abgestellt werden. Sollte die alleinige Anwendbarkeit der ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einwilligung festgestellt werden, so wäre auch in diesen Fällen eine Anwendung des rechtfertigenden Notstands ausgeschlossen, auch wenn dies nicht zu einer anderen Beurteilung der Strafbarkeit führt. 4. Das logische Verhältnis der Rechtfertigungsgründe Die Beurteilung der Konkurrenz von rechtfertigendem Notstand und Einwilligung ist abhängig von ihrer logischen Stellung zueinander. Zwar kann den Regeln der Logik noch kein abschließendes Urteil über das Konkurrenzverhältnis entnommen 197

Peters, GA 1981, 445, 449; Seelmann, Verhältnis, S. 20. Jescheck/Weigend, AT, S. 333 Fn. 43; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 145. 199 Der umgekehrte Fall, dass der rechtfertigende Notstand in bestimmten Fällen die Anwendbarkeit der Einwilligung sperren könnte, ist hingegen offensichtlich ausgeschlossen. Steht dem Eingriffstäter keine Notstandsbefugnis zu, erlaubt das Eingriffsopfer aber in rechtlich zulässiger Weise die Rechtsgutsverletzung, so muss diese Entscheidung maßgeblich sein. Ansonsten würden die von den §§ 216, 228 StGB gezogenen Grenzen der Dispositionsbefugnis erheblich überschritten und das Autonomieprinzip sowie insbesondere das Recht auf unvernünftige Entscheidungen würden weitestgehend aufgehoben. 198

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werden200, aber aus ihnen ergibt sich bereits einschränkend, welche Formen der Gesetzeskonkurrenz überhaupt einschlägig sein können oder nicht.201 Die grundlegende Untersuchung von Klug hat dabei gezeigt, dass sich Normen nur in vier möglichen logischen Konstellationen gegenüberstehen können.202 Es soll daher ermittelt werden, welcher von diesen der hier vorliegende Konflikt zuzuordnen ist. Zunächst sind Fälle der Identität denkbar. Sie liegt vor, wenn zwei Normen einen exakt übereinstimmenden Regelungsbereich aufweisen. Jeder Sachverhalt, der dem Rechtfertigungsgrund A unterfällt, wäre also zugleich Rechtfertigungsgrund B zuzuordnen und umgekehrt; dem entspricht das Bild zweier deckungsgleicher Kreise.203 Sie kann beispielsweise bei den Notwehrvorschriften der § 227 BGB und § 32 StGB angenommen werden.204 Für das Verhältnis von Einwilligung und rechtfertigendem Notstand scheidet sie hingegen offensichtlich aus, da nicht jeder Fall des einen Rechtfertigungsgrundes hier zwangsläufig auch einen solchen des anderen darstellt, andernfalls müsste die Zustimmung des Eingriffsopfer eine Voraussetzung zur Anwendung des § 34 StGB sein und das Vorliegen eines Interessenübergewichts eine solche der Einwilligung. Weiterhin ist das Verhältnis der Subordination205 denkbar, bei dem eine Norm nur einen Teilbereich einer anderen Norm regelt, jedoch nicht über deren Anwendungsbereich hinausgeht. Es ist also jeder Anwendungsfall des Rechtfertigungsgrundes A zugleich ein Anwendungsfall des Rechtfertigungsgrundes B, aber umgekehrt ist nicht jeder B unterfallende Sachverhalt zugleich ein solcher, der A unterfällt. Bildhaft dargestellt handelt es sich um einen kleineren Kreis der sich vollständig im Inneren eines größeren befindet.206 Dieser Konstellation wird verbreitet die Beziehung der zivilrechtlichen Notstandsvorschriften §§ 228, 904 BGB zum strafrechtlichen Notstands nach § 34 StGB zugeordnet.207 Ein solches Verhältnis besteht zwischen ausdrücklicher Einwilligung und rechtfertigendem Notstand 200

Gropengießer, Jura 2000, 262, 263; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 155 f. Vgl. dazu Joerden, Logik, S. 127 ff.; Klug, ZStW 68 (1956), 399, 405 ff. 202 Klug, ZStW 68 (1956), 399, 403 ff.; ebenso Gropengießer, Jura 2000, 262, 263 Fn. 14; Hruschka, JZ 1985, 1, 5; Joerden, Logik, S. 125; Thiel, Konkurrenz, S. 34; unter bewusstem Ausschluss der Identität von nur drei möglichen Verhältnissen zwischen Straftatbeständen ausgehend: Hruschka, Strafrecht, S. 389; Puppe, in: NK-StGB, Vor § 52 Rn. 8. 203 Joerden, GA 1984, 249, 259; Joerden, Logik, S. 125; Klug, ZStW 68 (1956), 399, 404; Thiel, Konkurrenz, S. 34. 204 Joerden, Logik, S. 127; Thiel, Konkurrenz, S. 34. 205 Alternative Bezeichnungen: Inklusion, Einschließung, Einschlussverhältnis oder Spezialität im logischen Sinne. Vgl. dazu die Quellen der folgenden Fn. 206 Gropengießer, Jura 2000, 262, 263; v. Heintschel-Heinegg, in: MK-StGB, Vor § 52 Rn. 35; Hruschka, Strafrecht, S. 390; Joerden, GA 1984, 249, 261; Joerden, Logik, S. 126; Klug, ZStW 68 (1956), 399, 404; Puppe, in: NK-StGB, Vor § 52 Rn. 8; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 52 Rn. 104; Thiel, Konkurrenz, S. 34; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 153. 207 Kühl, AT, § 9 Rn. 13 Fn. 22: „fast allgemeine Meinung“; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 82. 201

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wiederum recht eindeutig nicht.208 Beispielsweise bei der Zustimmung zu einem medizinisch nicht indizierten ärztlichen Eingriff sind die Anforderungen des § 34 StGB nicht erfüllt, womit die Einwilligung einen Bereich regelt, der nicht dem rechtfertigenden Notstand unterfällt. Auf der anderen Seite erlaubt der Notstand gerade auch Eingriffe gegen den Willen des Eingriffsopfers, sodass er in Fällen einschlägig ist, die wiederrum nicht in den Regelungsbereich der Einwilligung fallen. Etwas Anderes könnte jedoch für die mutmaßliche Einwilligung gelten. Folgt man dem Standpunkt, dass diese ein Handeln im objektiven Interesse des Betroffenen voraussetzt, oder erkennt man in ihr gleich gänzlich einen Unterfall des § 34 StGB, so regelt sie nur einen Ausschnitt aus dem Anwendungsbereich des rechtfertigenden Notstands und steht folglich zu diesem in einem Subordinationsverhältnis. Wie bereits gezeigt ist eine solche Interpretation jedoch abzulehnen209, weshalb die mutmaßliche Einwilligung insbesondere auch Fälle erfassen kann, in denen die gemutmaßte Entscheidung objektiv als unvernünftig einzustufen ist. Auch sie betrifft somit Fälle, die über den Anwendungsbereich des Notstands hinausgehen. Als weitere Kategorie existiert die Heterogenität210. Bei ihr weisen zwei Normen einen jeweils eigenständigen Regelungsbereich auf, ohne dass es zu Überschneidungen kommt. Kein Fall, der Rechtfertigungsgrund A unterfällt, stellt also zugleich einen solchen des Rechtfertigungsgrundes B dar und umgekehrt. Anders ausgedrückt: Es gibt keinen Sachverhalt auf den sowohl A als auch B Anwendung finden. Hier greift das Bild zweier ohne Berührung nebeneinander liegender Kreise.211 Zuletzt liegt Interferenz vor, wenn zwei Normen zwar grundsätzlich selbstständige Anwendungsbereiche aufweisen, diese sich aber teilweise auch überschneiden. Es existieren also zum einen Fälle, die lediglich Rechtfertigungsgrund A unterfallen, des Weiteren solche, die ausschließlich Rechtfertigungsgrund B zuzuordnen sind, und schließlich aber auch solche, die sowohl dem Anwendungsbereich von A als auch dem von B angehören. Dem entsprechen bildhaft zwei sich teilweise überlagernde Kreise.212 Ob sich die Regelungsbereiche von Einwilligung und rechtfertigendem Notstand nun teilweise überschneiden, wird durchaus unterschiedlich beantwortet. Es ist daher

208

Seelmann, Verhältnis, S. 69. Siehe D. II. 210 Alternative Bezeichnungen: Ausschlussverhältnis, Exklusivität oder Alternativität. 211 Hruschka, Strafrecht, S. 389; Joerden, GA 1984, 249, 260; Joerden, Logik, S. 126; Klug, ZStW 68 (1956), 399, 403; Puppe, in: NK-StGB, Vor § 52 Rn. 8; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 52 Rn. 104; Thiel, Konkurrenz, S. 34. 212 Gropengießer, Jura 2000, 262, 263; Hruschka, Strafrecht, S. 390; Joerden, GA 1984, 249, 260; Joerden, Logik, S. 126; Klug, ZStW 68 (1956), 399, 404 f.; Puppe, in: NK-StGB, Vor § 52 Rn. 8; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 52 Rn. 104; Thiel, Konkurrenz, S. 34. 209

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fraglich, ob die hiesige Konstellation der Heterogenität oder der Interferenz zuzuordnen ist. Bereits Warda hat festgestellt, dass von einer Konkurrenz zweier Rechtfertigungsgründe nur gesprochen werden kann, wenn zunächst festgestellt wurde, dass der vorliegende Sachverhalt in den „gegenständlichen Anwendungsbereich“ beider konkurrierenden Normen fällt. Sei hingegen nur der Anwendungsbereich eines Rechtfertigungsgrundes eröffnet, so handele es sich nicht um eine im Rahmen der Konkurrenzen zu erörternde Problematik. Denn die Frage nach der „tatbestandlichen Reichweite eines einzelnen Unrechtsausschließungsgrundes“ beziehungsweise konkret danach, ob die Anwendungsbereiche beider Normen betroffen sind oder nicht, sei vom Themengebiet der Konkurrenzen „scharf zu unterscheiden“.213 In der Folge sollen nach Ansicht Wardas und Thiels die Rechtfertigungsgründe der Einwilligung und des rechtfertigenden Notstands gerade nicht in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen, da sie sich bereits tatbestandlich gegenseitig ausschließen sollen. Warda verweist hierzu auf den Fall einer Organtransplantation, bei der der rechtfertigende Notstand seinen Voraussetzungen nach nur dann eingreifen könne, wenn das Einholen einer Einwilligung unmöglich sei.214 Demgegenüber stellt Thiel fest, dass der Anwendungsbereich des § 34 StGB auf externe Interessenabwägungen beschränkt sei und sich daher nicht mit dem der Einwilligung, welche nur interne Konflikte löse, überschneide.215 Lediglich wenn trotz interner Interessenkollision ein Fall dem Regelungsbereich der Einwilligung entzogen sei, könne dieser wieder in jenen des rechtfertigenden Notstands fallen, womit jedoch weiterhin keine Konkurrenzsituation vorliege.216 Auf die Systematik der logischen Fallgruppen übertragen bedeutet dies, dass im hiesigen Zusammenhang die Heterogenität der betroffenen Rechtfertigungsgründe anzunehmen wäre. Für diese gilt, dass die ihr zuzuordnenden Konstellationen keine Konkurrenzsituationen darstellen, da Normen nur dann miteinander in Konflikt treten können, wenn sich ihre Anwendungsbereiche zumindest teilweise überschneiden.217 Die Reichweite des rechtfertigenden Notstands würde demnach durch die Rechtsinstitute der Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung keineswegs im Zuge der Gesetzeskonkurrenz beschränkt, sondern allenfalls durch eine von

213 Warda, in: FS Maurach, S. 143, 144; dem folgend Diettrich, Organentnahme, S. 151; Thiel, Konkurrenz, S. 23 u. 32, der die Bestimmung des Anwendungsbereichs als „Vorfrage“ bezeichnet. 214 Warda, in: FS Maurach, S. 143, 168; welche Voraussetzung des rechtfertigenden Notstands hier nicht erfüllt sein soll, lässt er jedoch offen. 215 Thiel, Konkurrenz, S. 23 f. 216 Thiel, Konkurrenz, S. 95 f. u. Fn. 392; dies entspricht wohl auch dem Verständnis von Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 8a; Rieger, Einwilligung, S. 77; Rosenau, in: SSWStGB, § 34 Rn. 15; Roxin, AT I, § 16 Rn. 101. 217 Hruschka, Strafrecht, S. 391; Joerden, Logik, S. 127; Klug, ZStW 68 (1956), 399, 409 f.; Puppe, in: NK-StGB, Vor § 52 Rn. 8.

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diesen bedingte einschränkende Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 StGB.218 Nun haben aber die bisherigen Untersuchungen ergeben, dass die üblicherweise aufgestellten Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands und deren Auslegung einer Anwendung auf interne Interessenkonflikte nicht entgegenstehen. Selbiges gilt für den Wortlaut des § 34 StGB.219 Die von Warda und Thiel vorgenommenen Einschränkungen können sich also nur aus weiterreichenden systematischen oder teleologischen Erwägungen heraus ergeben und wären sodann als ungeschriebene Tatbestandsmerkmale, deren Konturen bislang unklar sind, den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands hinzuzufügen. Dabei muss aber verwundern, dass Warda in anderen Fällen eben solche teleologischen Aspekte erst als Beurteilungsmaßstab für das Konkurrenzverhältnis heranzieht.220 Denn wenn zwei Erlaubnissätze sich überschneidende Anwendungsbereiche aufweisen, soll nur dann einer von ihnen vorrangig anzuwenden sein, wenn sich dies aus dem Sinn und Zweck der Rechtfertigungsgründe ergibt. Warda spricht dann von „Spezialität im funktionalen Sinne“.221 Wann teleologische Erwägungen jedoch bereits zu einer Einschränkung des tatbestandlichen Wirkungsbereichs führen und wann sie sich demgegenüber erst auf Ebene der Konkurrenzen auswirken sollen, verbleibt als offene Frage, auf die eine Antwort nicht ersichtlich ist. Vielmehr scheint es so, als könnte nahezu jedes im Zuge teleologischer Auslegung zu den Konkurrenzen erlangte Ergebnis durch Einführung einer entsprechenden tatbestandlichen Beschränkung willkürlich auf eben diese Ebene vorverlagert werden. Überall dort, wo ein Erlaubnistatbestand einen anderen verdrängt, könnte dadurch von vornherein Heterogenität angenommen werden, sodass für die Anwendung der Konkurrenzregeln letztlich kein Raum mehr bliebe. Des Weiteren tritt der Annahme von strikter Heterogenität die Abwandlung eines simplen Lehrbuchfalls gegenüber: Ein Spaziergänger wird von einem bissigen Hund angefallen und bricht als einzig verfügbares Mittel zur Verteidigung eine Holzlatte aus einem für ihn fremden Zaun. Die Sachbeschädigung des Zauns ist hier gemäß § 904 BGB durch Notstand gerechtfertigt.222 Doch was wäre, wenn der geschädigte Zauneigentümer gerade anwesend wäre und ausdrücklich seine Zustimmung zum Herausreißen der Latte erklären würde? Es wäre dann durch Preisgabe des Rechtsguts der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung einschlägig und zugleich hätte sich an den das Eingreifen des rechtfertigenden Notstands begründenden

218

Für diese Möglichkeit Thiel, Konkurrenz, S. 23; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 144. Ebenso Seelmann, Verhältnis, S. 70. 220 Warda, in: FS Maurach, S. 143, 155. 221 Warda, in: FS Maurach, S. 143, 166. Davon zu unterscheiden sei die Spezialität im logischen Sinne, die der oben beschriebenen Figur der Subordination entspricht. 222 Freund, AT, § 3 Rn. 78; Gropp, AT, § 6 Rn. 148; Hübner, BGB AT, Rn. 563; ähnliches Beispiel bei Murmann, Grundkurs, § 25 Rn. 33; Wessels/Beulke, AT, Rn. 296. 219

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Umständen nichts geändert.223 Dies lässt sich nun auch auf intrapersonale Interessenkollisionen übertragen. Im eingangs aufgeführten224 Beispielsfall des mit Zustimmung des Patienten vorgenommenen, zur Abwendung einer ansonsten erforderlichen Beinamputation notwendigen minimalinvasiven Eingriffs greift zum einen der Erlaubnistatbestand der Einwilligung ein und sind zum anderen bislang keine Gründe ersichtlich, nach denen ein Eingreifen des § 34 StGB ausgeschlossen werden könnte. Es existieren also sehr wohl Sachverhalte, die sowohl dem Anwendungsbereich der Einwilligung als auch dem des rechtfertigenden Notstands zuzuordnen sind. Die beiden Regelungsbereiche weisen daher durchaus Überschneidungen auf, sodass logisch betrachtet Interferenz gegeben ist.225 5. Konkurrenz interferierender Rechtfertigungsgründe Aus dem festgestellten logischen Verhältnis der Interferenz ergibt sich noch keine zwingende Antwort auf die Frage, ob nun ein Rechtfertigungsgrund vorrangig anzuwenden ist oder ob es beim Grundsatz der parallelen Anwendbarkeit bleibt. Lediglich in Konstellationen der Subordination geht die vorherrschende Ansicht davon aus, dass bereits die Existenz einer einen spezifischen Teilausschnitt regelnden Norm deren vorrangige Anwendung zwingend bedingt, und setzt die logische Subordination daher mit der Spezialität im Sinne der Gesetzeskonkurrenz gleich.226 In Fällen der Interferenz bleibt eine nebeneinander erfolgende Anwendung hingegen prinzipiell möglich, kommt es hier allerdings doch zur Verdrängung einer 223 Zu dieser Konstellation so auch Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 16 Rn. 60. Die Einwilligung in den Eingriff beeinträchtigt insbesondere auch nicht den Wert des beeinträchtigten Interesses, Renzikowski, Notstand, S. 63. Lediglich wenn man der Einwilligung bereits tatbestandsausschließende Wirkung zuerkennt, bleibt mangels eines erfüllten Tatbestands und damit mangels indizierter Rechtswidrigkeit für den Notstand kein Raum mehr, doch ein solches Verständnis ist, wie bereits begründet wurde, abzulehnen und zudem bleiben Fälle denkbar, in denen nur eine unumstritten rechtfertigend wirkende mutmaßliche Einwilligung des Eingriffsopfers in Betracht kommt. 224 Siehe A. I. 225 So auch Bottke, Suizid, S. 89: „zwei sich überschneidende Kreise“; nach Seelmann, Verhältnis, S. 69, sind „Kollisionen zwischen § 34 StGB und der Einwilligung besonders häufig“. 226 So BGHSt 1, 152, 154; v. Heintschel-Heinegg, in: MK-StGB, Vor § 52 Rn. 35; Hruschka, Strafrecht, S. 391; Joerden, GA 1984, 249, 261; Joerden, Logik, S. 128; Klug, ZStW 68 (1956), 399, 405 f. u. 414; Puppe, in: NK-StGB, Vor § 52 Rn. 8; Thiel, Konkurrenz, S. 38; Wessels/Beulke, AT, Rn. 788. Die Gegenauffassung will hier eine solche Spezialität nur dann anerkennen, wenn zugleich der Sinn und Zweck der spezielleren Norm für eine Verdrängung der generelleren streitet, was jedoch in nahezu allen Fällen so sein soll; hierzu Gropengießer, Jura 2000, 262, 263; Hirschberg, ZStW 53 (1934), 34, 40; Kühl, AT, § 21 Rn. 52; Stree/ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 52 Rn. 104; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 155 f. u. 166. Im Grundsatz gehen auch die Vertreter der h.M. von diesem Erfordernis aus, nach ihnen kann eine ausschnittsweise Regelung allerdings gar keinen anderen Zweck als die Verdrängung der allgemeinen Norm haben.

IV. Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen

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Regelung, so wird allgemein von Subsidiarität gesprochen.227 Da diese keine unmittelbare Folge des logischen Verhältnisses ist, bedarf ihre Annahme einer besonderen Begründung. So kann sich die Subsidiarität zum einen aus einer entsprechenden ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung ergeben, dies wird als formelle Subsidiarität bezeichnet, oder zum anderen aus der Auslegung der betroffenen Normen, was der materiellen oder stillschweigenden Subsidiarität entspricht.228 Da es im Bereich von rechtfertigendem Notstand und Einwilligung an einer ausdrücklichen Regelung offensichtlich mangelt, kommt hier lediglich materielle Subsidiarität in Betracht. Jedoch lehnt Warda die der Konkurrenz von Straftatbeständen entstammende Kategorie der materiellen Subsidiarität als für den Bereich der Rechtfertigungsgründe untaugliches Instrument ab. Im Rahmen der Tatbestände des besonderen Teils ergebe sich die Subsidiarität ausschließlich aus dem unterschiedlich ausgeprägten Unwertgehalt der jeweiligen Normen. Erlaubnistatbestände hingegen würden mit der Rechtsfolge der Rechtfertigung aber stets eine insofern gleiche Wertigkeit aufweisen.229 Er ordnet diese Fälle daher der Spezialität im funktionalen Sinne zu, welche immer dann vorliegen soll, wenn nach teleologischen Erwägungen eine Norm den Sinn einer abschließenden Sonderregelung habe, auch wenn dies nur für einen bestimmten Ausschnitt des Regelungsbereichs gelte. Gegenüber der Spezialität im logischen Sinne könne die so verstandene Spezialität damit auch Konstellationen erfassen, die logisch der Interferenz zuzuordnen sind.230 Im Ergebnis wendet Warda damit jedoch unter anderer Bezeichnung dieselben teleologischen Kriterien an, wie sie zur materiellen Subsidiarität führen sollen, weshalb die verbleibende rein terminologische Frage grundsätzlich offen bleiben kann. Nimmt man jedoch mit der vorherrschenden Meinung eine zwingende Verknüpfung zwischen Subordination und Spezialität im Sinne der Gesetzeskonkurrenz an, so scheint es vorzugswürdig, übrige Fälle der Gesetzeskonkurrenz auch begrifflich davon abzugrenzen.231 227 v. Heintschel-Heinegg, in: MK-StGB, Vor § 52 Rn. 42; Hruschka, Strafrecht, S. 392; Jescheck/Weigend, AT, S. 734; Joerden, GA 1984, 249, 260; Joerden, Logik, S. 129; Klug, ZStW 68 (1956), 399, 406; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 52 Rn. 107; Thiel, Konkurrenz, S. 130. 228 Diettrich, Organentnahme, S. 152; v. Heintschel-Heinegg, in: MK-StGB, Vor § 52 Rn. 42; Hruschka, Strafrecht, S. 392; Jescheck/Weigend, AT, S. 734; Steinmetz, in: HK-GS, § 52 Rn. 4; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 18 Rn. 12 f.; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, Vor § 52 Rn. 108 f.; Thiel, Konkurrenz, S. 131; Wessels/Beulke, AT, Rn. 790. Die Kategorie der stillschweigenden oder materiellen Subsidiarität wird von Puppe, in: NK-StGB, Vor § 52 Rn. 21 f., abgelehnt, da die darunter erfassten Fälle entweder bereits der Spezialität unterfielen oder lediglich annähernde Spezialität vorliege. 229 Warda, in: FS Maurach, S. 143, 168 f. 230 Warda, in: FS Maurach, S. 143, 166. 231 Thiel, Konkurrenz, S. 131, verweist zudem darauf, dass Rechtfertigungsgründe durchaus eine unterschiedlich intensive Wirkung entfalten könnten. Demnach wär die Anwendbarkeit der Figur der materiellen Subsidiarität allerdings auf bestimmte Erlaubnistatbestände beschränkt.

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

Ob beim logischen Verhältnis der Interferenz eine der betroffenen Regelungen im Zuge materieller Subsidiarität zurücktritt, soll sich gemäß der gängigen Herangehensweise also aus dem Sinn und Zweck der einschlägigen Normen ergeben.232 Gropengießer hingegen betont, dass hierzu sämtliche Auslegungsmethoden, also auch die grammatische, die historische und die systematische, anzustrengen seien.233 Dem ist zwar im Grundsatz zuzustimmen, allerdings wird dieser Ansatz in der Regel – und so auch hier – nicht zu anderen Ergebnissen führen. Da es sich bei der Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung um ungeschriebene und lediglich gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtfertigungsgründe handelt, können weder der Wortlaut des Gesetzes noch der Wille des historischen Gesetzgebers oder die Dogmengeschichte hinreichende Anhaltspunkte zur Bestimmung des Konkurrenzverhältnisses gegenüber § 34 StGB liefern. Und auch der systematischen Auslegung wird hier nur insofern Bedeutung zukommen können, wie sie die Koordination verschiedener teleologischer Erwägungen betrifft.234 Warda hat im Rahmen der teleologischen Auslegung drei Fallgruppen herausgearbeitet, deren Vorliegen jeweils deutlich für die Verdrängung eines Rechtfertigungsgrundes durch einen anderen sprechen soll.235 Zunächst soll dies der Fall sein, wenn ein Erlaubnistatbestand engere oder zusätzliche Voraussetzungen aufstellt als ein anderer.236 Dazu ist festzustellen, dass die Einwilligung zwar über die Anforderungen des rechtfertigenden Notstands hinausgeht, indem sie eine Zustimmung des Eingriffsopfers verlangt, doch ebenso stellt § 34 StGB etwa durch das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr im Vergleich zur Einwilligung zusätzliche Voraussetzungen auf. Diese Kriterien führen daher jeweils nicht zu einem engeren Anwendungsbereich im Sinne einer ausschnittsweisen Regelung. Der zweite auf das Primat einer Reglung hinweisende Umstand soll darin liegen, dass eine Regelung den Bereich gerechtfertigter Handlungen gegenüber der anderen beschränkt. Dies ist bei Einwilligung und rechtfertigendem Notstand offensichtlich nicht der Fall. Wardas dritte Fallgruppe bezieht sich schließlich darauf, dass eine Norm im Gegensatz zur anderen über die strafrechtliche Rechtfertigung hinaus weitere Rechtsfolgen anordnet.237 Dies ist jedoch weder bei der Einwilligung noch bei § 34 StGB gegeben. Somit deutet jedenfalls die von Warda entwickelte Systematik hier noch nicht auf die vorrangige Geltung eines Rechtfertigungsgrundes hin. Es bleibt daher zu un232

Klug, ZStW 68 (1956), 399, 412; Seelmann, Verhältnis, S. 19; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 155 f. 233 Gropengießer, Jura 2000, 262, 263; ebenso Diettrich, Organentnahme, S. 154. 234 Thiel, Konkurrenz, S. 132, spricht daher von einer „teleologisch-systematische[n] Interpretation“; auch Trück, Einwilligung, S. 89, verweist auf die Unmöglichkeit der Trennung von systematischen und teleologischen Argumenten. 235 Warda, in: FS Maurach, S. 143, 166. 236 Vgl. Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 78. 237 Dieser Gedanke spielt vor allem beim Verhältnis der §§ 228, 904 BGB zu § 34 StGB eine gewichtige Rolle. Dazu auch Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 78; Seelmann, Verhältnis, S. 36 ff.; Thiel, Konkurrenz, S. 134 f.

V. Verfassungsmäßigkeit teleologischer Einschränkungen

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tersuchen, ob andere teleologische Aspekte für einen Fall der materiellen Subsidiarität sprechen. Als besonders gewichtiger teleologischer Erwägungspunkt werden dabei die Rechtfertigungsprinzipien der betroffenen Erlaubnissätze zu untersuchen sein.238

V. Verfassungsmäßigkeit teleologischer Einschränkungen Bevor diese Frage beantwortet werden kann, ist allerdings noch zu klären, ob nicht verfassungsrechtliche Gebote einer solchen Anwendung der Konkurrenzregeln auf die hier in Rede stehenden Rechtfertigungsgründe entgegenstehen. Sollte im Ergebnis festzustellen sein, dass die Regelungsprinzipien des rechtfertigenden Notstands und der Einwilligung für eine Zuordnung intrapersonaler Konflikte allein zur Einwilligung sprechen und somit in diesem Bereich die Unanwendbarkeit des rechtfertigenden Notstands auf Grund materieller Subsidiarität begründen, so wäre damit in den Fällen, in denen keine Einwilligung eingreift, die Rechtswidrigkeit der Tat festzustellen und zwar auch dann, wenn seinem Wortlaut nach § 34 StGB zu Gunsten des Täters streitet. Die Anwendung des rechtfertigenden Notstands müsste also unter Verweis auf den Zweck des Gesetzes hinter dem Wortlaut des § 34 StGB zurückbleiben, was eine teleologische Reduktion der Vorschrift bedeuten würde.239 Teleologische Reduktionen sind im Strafrecht in Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG jedoch nur bei Normen, die die Strafbarkeit begründen oder erhöhen, unbedenklich, während bei Regelungen, die die Strafbarkeit ausschließen oder mildern, im Grundsatz von deren Unzulässigkeit ausgegangen wird.240 Denn das verfassungsrechtliche Analogieverbot, welches zur wortlautgetreuen Auslegung verpflichtet241, untersagt dem Strafrecht Abweichungen vom Wortsinn zu Lasten des Täters und erlaubt lediglich solche zu dessen Gunsten.242 Die Nichtanwendung eines Erlaubnistatbestandes würde allerdings das durch die Tatbestandsmäßigkeit indizierte Urteil der Rechtswidrigkeit der Tat bestehen lassen und sich somit zu Lasten des Täters auswirken. Zu klären ist also, ob nicht das Verfassungsrecht auch bei eventuell entgegenstehender gesetzlicher Zweckrichtung die wortlautgetreue Anwendung des § 34 StGB im Interesse des Täters gebietet.243 238

Thiel, Konkurrenz, S. 208 f. Zum Begriff Looschelders/Olzen, in: Staudinger, § 242 Rn. 346. 240 Frister, AT, Kap. 4 Rn. 29. 241 Frister, AT, Kap. 4 Rn. 22; Roxin, AT I, § 5 Rn. 26; kritisch zum herkömmlichen Verständnis des Analogieverbots mit Blick auf den Bereich zulässiger Auslegung Jescheck/Weigend, AT, S. 151; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 3 Rn. 33. 242 Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 30 ff.; Kindhäuser, AT, § 3 Rn. 6; Roxin, AT I, § 5 Rn. 44; Schmitz, in: MK-StGB, § 1 Rn. 60; Welzel, Strafrecht, S. 23; Wessels/Beulke, AT, Rn. 54. 243 Peters, GA 1981, 445, 449; Thiel, Konkurrenz, S. 167. Merkel, in: Zustand, S. 171, 176, geht hingegen von der unbedingten Notwendigkeit aus, den „riesigen Anwendungsbereich“ des rechtfertigenden Notstands „auf einen kleinen Ausschnitt daraus zu reduzieren“. 239

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

Die diesem Problem zu Grunde liegende Frage, ob das durch Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB kodifizierte Analogieverbot auch auf Rechtfertigungsgründe anzuwenden ist, wird dabei seit langem kontrovers diskutiert. Auch wenn der Ausgangspunkt für die meisten hierzu erfolgten Stellungnahmen die Beurteilung der Zulässigkeit teleologischer Einschränkungen des Notwehrrechts nach § 32 StGB war244, hat die Debatte doch generelle Bedeutung und kann somit ohne weiteres auf den Bereich des rechtfertigenden Notstands übertragen werden. In der Rechtsprechung ist eine eindeutige Positionierung bislang ausgeblieben. Der BGH stellte lediglich vage fest, dass Rechtfertigungsgründe „nicht generell von dem Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG ausgeschlossen“ sind.245 Während das BVerfG urteilte, dass „für Rechtfertigungsgründe nicht – wie für den Straftatbestand und die Strafandrohung – der strikte Gesetzesvorbehalt“ gilt.246 1. Argumentation für die Geltung des Analogieverbots Weite Teile der Lehre stehen hingegen auf dem konkreten Standpunkt, dass jedenfalls das Analogieverbot für Rechtfertigungsgründe gelte und somit jede zu Ungunsten des Täters erfolgende Abweichung vom Wortlaut der Norm verbiete. Müsse ein Sachverhalt nach Erschöpfung der herkömmlichen Auslegungsregeln unter einen Erlaubnistatbestand subsumiert werden, so könne die Straflosigkeit der Tat nicht durch einen Verweis auf die teleologische Ausrichtung der Norm dennoch verweigert werden.247 Zur Begründung wird angeführt, dass Art. 103 Abs. 2 GG nicht allein die Tatbestände des besonderen Teils adressiere, sondern allgemein alle Normen, welche die Strafbarkeit bestimmen. Er richte sich also an alle Strafbarkeitsvoraussetzungen, unabhängig davon, welcher Ebene sie von der Strafrechtswissenschaft zugeordnet würden.248 Dem Wortlaut der Verfassungsvorschrift nach komme es nur auf die Eigenschaft als gesetzliche Bestimmung an und zum Gesetz gehörten nun mal auch die Regelungen des Allgemeinen Teils und damit auch die

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So etwa bei Engels, GA 1982, 109; Frister, GA 1988, 291; Koch, ZStW 104 (1992), 785; Kratzsch, GA 1971, 65; Krause, in: GS Kaufmann, S. 673; Krey, JZ 1979, 702; Lenckner, GA 1968, 1. 245 BGH NJW 1993, 141, 147. 246 BVerfG NJW 1997, 929, 930. 247 Dannecker, in: FS Otto, S. 25, 36; Engels, GA 1982, 109, 114 ff.; Engländer, Nothilfe, S. 298 ff.; Engländer, in: Matt/Renzikowski, Vor § 32 Rn. 10 f.; Erb, ZStW 108 (1996), 266, 279; Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 13; Frister, GA 1988, 291, 315; Frister, AT, Kap. 4 Rn. 36; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 67; Jescheck/Weigend, AT, S. 136; Kratzsch, GA 1971, 65; Krause, in: GS Kaufmann, S. 673 f.; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 25; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 66; Rogall, in: KKOWiG, § 3 Rn. 24; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 63 u. 66; Runte, Veränderung, S. 283 ff.; Schmid-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 103 Abs. 2 Rn. 231; Schmitz, in: MK-StGB, § 1 Rn. 13 f.; Würtenberger, in: FS Rittler, S. 125, 133. 248 Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 13; Schmitz, in: MK-StGB, § 1 Rn. 13.

V. Verfassungsmäßigkeit teleologischer Einschränkungen

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dort normierten Rechtfertigungsgründe.249 Darüber hinaus sei es lediglich Zufall, ob ein Verhalten bereits als nicht strafbar zu bewerten sei, weil es nicht den Tatbestand eines Delikts verwirkliche, oder ob dasselbe Ergebnis erst durch das Erfüllen einer Erlaubnisnorm festzustellen sei. Der Gesetzgeber habe insofern die freie Wahl, auf welcher Ebene er Einschränkungen der Strafbarkeit vornehme, ob er also den Tatbestand enger oder den Rechtfertigungsgrund weiter fasse. Dies könne sich aber nicht auf den Umfang der verfassungsrechtlichen Kontrolle auswirken.250 Entscheidend sei allein die Wirkung für den potentiellen Täter, dessen Schutz Art. 103 Abs. 2 GG diene. Verboten sei daher eine über das Gesetz hinausgehende Ausdehnung der Strafbarkeit und diese erfolge über die Einschränkung eines Rechtfertigungsgrundes ebenso wie über die Ausweitung eines Tatbestandes.251 Die teleologische Reduktion eines Erlaubnissatzes sei daher ebenso zu werten wie die analoge Anwendung einer strafbegründenden Norm.252 Auch die dem Grundsatz nulla crimen, nulla poena sine lege253, dessen gesetzliche Fixierung Art. 103 Abs. 2 GG darstellt254, zu Grunde liegenden Prinzipien und Schutzzwecke sollen für dessen Anwendung auf Rechtfertigungsgründe sprechen. So sei es ein Ziel des Gesetzlichkeitsprinzips, die Vorhersehbarkeit strafrechtlicher Sanktionen sicherzustellen. Der Normadressat soll darauf vertrauen können, dass ein nach dem Wortsinn des Gesetzes nicht strafbares Verhalten vor Gericht nicht doch mit Strafe bedacht wird. Insofern übe das Analogieverbot eine Garantiefunktion aus. Dieses Vertrauen werde jedoch zerstört, wenn der Handelnde dem Gesetzestext nach von der Rechtfertigung seines Eingriffs ausgehen dürfe, diese jedoch im Ergebnis verweigert würde. Dadurch sei für ihn nicht mehr ersichtlich, welches Verhalten die Rechtsordnung erlaube und welches sie verbiete.255 Darüber hinaus bezwecke der in Rede stehende Grundsatz die Wahrung einer institutionellen und demgegenüber nicht emotionalen Urteilsfindung, da letztere im Angesicht des im Einzelfall begangenen Unrechts die objektive Angemessenheit der strafrechtlichen Würdigung gefährden könne. Die Öffnung gegenüber einer rein teleologischen Begründung der Strafbarkeit lege deren Beurteilung hingegen wieder weitreichender in die Hände des

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Engels, GA 1982, 109, 119. Engels, GA 1982, 109, 119. 251 Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 13; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 67; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 25; insofern auch Krey, Studien, S. 235 f. 252 Engels, GA 1982, 109, 120; Rogall, in: KK-OWiG, § 3 Rn. 24; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 63. 253 Dieser geht zurück auf Feuerbach, Lehrbuch, S. 20. 254 Frister, AT, Kap. 3 Rn. 2. 255 Engländer, in: Matt/Renzikowski, Vor § 32 Rn. 10; Erb, ZStW 108 (1996), 266, 276; Kratzsch, GA 1971, 65, 72; Krause, in: GS Kaufmann, S. 673, 674; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 63 u. 66; Runte, Veränderung, S. 288. 250

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

Richters.256 Letztlich drohe durch eine Aushöhlung des Gesetzlichkeitsprinzips die Gefahr rein willkürlicher Urteile.257 Allerdings gewähren auch die Befürworter einer Anwendung des Analogieverbots in der Regel gewisse Einfallstore zur weitest möglichen Berücksichtigung teleologischer Erwägungen und zur Erzielung gerechter Ergebnisse. So sollen die meisten vorgeschlagenen, sich aus dem Sinn und Zweck ergebenden Restriktionen bereits über die bestehenden Tatbestandsmerkmale im Rahmen herkömmlicher, wortlautkonformer Auslegung in die Anwendung der Rechtfertigungsgründe übernommen werden können. So seien beispielsweise die Begriffe der Gebotenheit oder der Erforderlichkeit im Rahmen des § 32 StGB oder die Verhältnismäßigkeits- oder Angemessenheitsklausel bei § 34 StGB einer weitgehenden Auslegung gegenüber offen, durch die die meisten nicht von den jeweiligen Rechtfertigungsprinzipien erfassten Sachverhalte aus dem Anwendungsbereich des jeweiligen Erlaubnistatbestands ausgeschlossen werden könnten.258 Des Weiteren besteht wohl Einigkeit darüber, dass das Analogieverbot denknotwendig nicht für gesetzlich nicht fixierte, also lediglich gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtfertigungsgründe wie die Einwilligung gelten kann.259 Ob es darüber hinaus auch bei außerhalb des Strafrechts normierten Erlaubnistatbeständen wie den §§ 228, 904 BGB keine Anwendung findet, wird unterschiedlich beantwortet.260 Hierfür wird angeführt, dass außerstrafrechtliche Normen kein Vertrauen in Hinblick auf die strafrechtliche Würdigung eines Verhaltens erzeugen könnten.261 2. Argumentation gegen die Geltung des Analogieverbots Dem gegenüber stehen die Vertreter der Lehre, nach denen das Analogieverbot und hier im speziellen das Verbot teleologischer Reduktionen zu Lasten des Täters im Rahmen von Rechtfertigungsgründen generell nicht einschlägig sein soll.262 Dafür wird hauptsächlich angeführt, dass es sich bei Rechtfertigungsgründen nicht um eine 256

Erb, ZStW 108 (1996), 266, 277 f.; Kratzsch, GA 1971, 65, 72. Engels, GA 1982, 109, 118 f. 258 Dannecker, in: FS Otto, S. 25, 35 f.; Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 13; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 25; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 63; Rogall, in: KK-OWiG, § 3 Rn. 24; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 66. 259 Engels, GA 1982, 109, 120; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 65. 260 Gegen eine Berücksichtigung des Analogieverbots Kratzsch, GA 1971, 65, 72 f.; Rogall, in: KK-OWiG, § 3 Rn. 24; a.A. Engels, GA 1982, 109, 120; Engländer, in: Matt/Renzikowski, Vor § 32 Rn. 11; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 67; Schmitz, in: MK-StGB, § 1 Rn. 13. 261 Kratzsch, GA 1971, 65, 72 f. 262 Amelung, JZ 1982, 617, 620; Diettrich, Organentnahme, S. 196; Günther, in: FS Grünwald, S. 213; Koch, ZStW 104 (1992), 785, 818; Krey, Studien, S. 236; Krey, JZ 1979, 702, 712; Krey/Esser, AT, Rn. 94; Lenckner, GA 1968, 1, 9; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 16 Rn. 48; Roxin, Kriminalpolitik, S. 31 f.; Roxin, AT I, § 5 Rn. 42; Thiel, Konkurrenz, S. 179 ff.; wohl auch Lenckner, JuS 1968, 249, 252. 257

V. Verfassungsmäßigkeit teleologischer Einschränkungen

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genuin strafrechtliche Materie handele. Sie legitimierten nicht nur die Erfüllung von Straftatbeständen, sondern entfalteten ihre Wirkung ebenso im Zivilrecht wie im öffentlichen Recht. Deshalb seien auch die in diesen Rechtsgebieten geregelten Erlaubnissätze im Strafrecht anzuwenden, wie beispielsweise die §§ 228, 904 BGB, ebenso wie andersherum die strafrechtlichen Normen Geltung im Privat- wie im öffentlichen Recht beanspruchen könnten. Art. 103 Abs. 2 GG sei nun jedoch eine Vorschrift, die ausschließlich das Strafrecht adressiere. In den übrigen Teilen der Rechtsordnung könne sie keine Geltung beanspruchen und daher auch nicht in den Bereichen, die übergreifend auf alle Rechtsgebiete wirkten.263 Doch genau so sollen Rechtfertigungsgründe umfassend regeln, was Recht und Unrecht, was erlaubt und was verboten ist. Eine partielle Anwendung des Analogieverbots auf den Bereich des Strafrechts bedeute nun aber, dass die Beurteilung dieser Fragen im Strafrecht anders ausfallen müsse als in den übrigen Rechtsgebieten. Konkret müsse das Strafrecht dann Verhaltensweisen als gerechtfertigt verstehen, die auf der anderen Seite beispielsweise zivilrechtliche Schadensersatzansprüche auslösen würden. Das Recht dürfe gegenüber dem Normadressaten jedoch keine widersprüchlichen Verhaltensregeln aufstellen. Von daher gebiete die Einheit der Rechtsordnung eine übereinstimmende Auslegung und Anwendung aller Rechtfertigungsgründe.264 Gegen diese Argumentation wird eingewandt, dass es sich bei Art. 103 Abs. 2 GG um eine von der Verfassung vorgeschriebene Eigenheit des Strafrechts handele, welche sich daher auch in unterschiedlichen rechtlichen Bewertungen realisieren könne.265 Dem wurde erwidert, dass es bereits logisch zwingend ausgeschlossen sein müsse, dass ein Verhalten zugleich erlaubt und verboten sei.266 Des Weiteren beziehe sich das Analogieverbot nur auf Normen, die die Strafbarkeit bestimmten. Darunter sollen aber nur solche Vorschriften fallen, die die Strafbarkeit positiv anordnen, also strafbegründend wirken. Dies sei lediglich bei den Tatbeständen der Fall, während Rechtfertigungsgründe strafausschließend beziehungsweise als negative Strafbarkeitsvoraussetzungen wirken sollen.267 Darüber hinaus sollen die strengen Auslegungsgrenzen des Gesetzlichkeitsprinzips auch auf Grund der Funktion von Rechtfertigungsgründen nicht auf diese passen. Während Tatbestände lediglich eine spezifische Gruppe von Handlungen beschrieben, müssten Erlaubnissätze erheblich weiter formuliert werden, sodass sie auf eine Vielzahl von erfüllten Tatbeständen und diesen zu Grunde liegenden Lebenssachverhalten angewendet werden könnten. Ihr Wortlaut müsse daher zwangsläufig 263 Günther, in: FS Grünwald, S. 213, 219; Krey, JZ 1979, 702, 712; Krey/Esser, AT, Rn. 94; Thiel, Konkurrenz, S. 179. 264 Amelung, JZ 1982, 617, 620; Diettrich, Organentnahme, S. 196; Günther, in: FS Grünwald, S. 213, 215 ff.; Krey, Studien, S. 235; Roxin, AT I, § 5 Rn. 42; Thiel, Konkurrenz, S. 181. 265 Engels, GA 1982, 109, 120 f.; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 63; ähnlich Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 66. 266 Günther, in: FS Grünwald, S. 213, 216 f.; Thiel, Konkurrenz, S. 181. 267 Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 16 Rn. 48; Thiel, Konkurrenz, S. 181.

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

elastisch und dynamisch abgefasst werden, sodass ein zu strenges Haften an diesem nicht angezeigt sei.268 Diesem Argument wurde jedoch vorgeworfen, dass es die im Gesetz aktuell vorhandene Dynamik zirkulär zur Legitimation eben dieser anführe.269 Schließlich wird gegen die Geltung des Analogieverbots vorgetragen, dass eine am Sinn und Zweck der Norm orientierte Unterschreitung des Wortlauts lediglich die dem jeweiligen Rechtfertigungsprinzip bereits immanenten Schranken zum Ausdruck bringe.270 Hiergegen wurde allerdings zu Recht eingewandt, dass Art. 103 Abs. 2 GG keine Unterscheidung zwischen internen und externen Begründungen für eine Analogie entnommen werden kann.271 3. Stellungnahme Dem eine Anwendung des Analogieverbots auf Rechtfertigungsgründe bejahenden Ansatz ist zuzugeben, dass Art. 103 Abs. 2 GG tatsächlich alle die Strafbarkeit konturierenden Normen zu adressieren scheint und dadurch auch Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe erfasst sein müssten. Allerdings muss vor diesem Hintergrund insgesamt die Inkonsequenz bei der Anwendung des Gesetzlichkeitsprinzips verwundern. Denn dieses äußert sich nicht nur im Analogieverbot, sondern ebenso im Kodifizierungsgebot, im Bestimmtheitsgebot und im Rückwirkungsverbot.272 Dennoch ist allgemein anerkannt, dass das Kodifizierungsgebot für Rechtfertigungsgründe nicht gelten soll.273 Nur so ist die Berücksichtigung lediglich gewohnheitsrechtlich anerkannter Erlaubnistatbestände wie der Einwilligung oder der rechtfertigenden Pflichtenkollision möglich.274 Dies wird damit begründet, dass die Neuschaffung von Rechtfertigungsgründen sich ausschließlich zu Gunsten des Täters auswirke, womit kein von Art. 103 Abs. 2 GG ausgeschlossenes strafbegründendes Gewohnheitsrecht geschaffen werde.275 Doch dies muss in Anbetracht des dem Gesetzlichkeitsprinzip zu Grunde liegenden Vertrauensgrundsatzes, der auch selbst für die hiesige Anwendung des Analogieverbots sprechen soll, bedenklich erscheinen. Dessen Ziel soll es schließlich sein, dass die Normadressaten sicher vorhersehen können, ob ein bestimmtes Verhalten strafrechtlich sanktioniert wird oder nicht. Das ist jedoch nicht mehr der Fall, wenn lediglich der Tatbestand ge268 269 270

S. 32. 271

Koch, ZStW 104 (1992), 785, 818; Roxin, Kriminalpolitik, S. 31. Engels, GA 1982, 109, 124. Lenckner, GA 1968, 1, 9; Koch, ZStW 104 (1992), 785, 818; Roxin, Kriminalpolitik,

Engels, GA 1982, 109, 124. Frister, AT, Kap. 4 Rn. 1 ff.; Rengier, AT, § 4 Rn. 10; Wessels/Beulke, AT, Rn. 44 ff. 273 Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 12; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 25; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 58. 274 Vgl. BVerfG NJW 1997, 929, 930. 275 Engländer, Nothilfe, S. 298; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 59. 272

V. Verfassungsmäßigkeit teleologischer Einschränkungen

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setzlich fixiert ist und darüber hinaus unter Umständen eine Vielzahl von richterrechtlich entwickelten Ausnahmen Geltung beansprucht. Es wäre dem Normadressaten dann nicht mehr zuverlässig möglich, sein Betragen anhand der Strafrechtsordnung auszurichten und deren Grenzen zu erkennen. Somit finden sich unter der Voraussetzung, dass man der vorgebrachten Argumentation weiter folgt, gute Gründe dafür, auch das Kodifizierungsgebot auf die Ebene der Rechtswidrigkeit zu erstrecken und den Gesetzgeber damit zur gesetzlichen Regelung aller Rechtfertigungsgründe zu verpflichten. Diese Konsequenz der Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG scheut die vorgetragene Lehre wohl nachvollziehbar aus einem nicht zu leugnendem praktischen Bedürfnis heraus. Während das Kodifizierungsgebot also gar keine Anwendung finden soll, plädiert die grundsätzlich auf das Gesetzlichkeitsprinzip abstellende Lehre für eine immerhin partielle, also eingeschränkte Anwendung des Bestimmtheitsgebots, indem zwar unbestimmte Fassungen von Rechtfertigungsgründen verfassungswidrig sein sollen, dabei aber an die Annahme der hinreichenden Bestimmtheit wesentlich geringere Anforderungen gestellt werden.276 Hier stellt sich jedoch die Frage, ob das Fordern genügender Bestimmtheit ohne Anwendung des Kodifizierungsgebots überhaupt sinnvoll möglich ist.277 Es erscheint widersprüchlich, wenn auf der einen Seite verlangt wird, dass Rechtfertigungsgründe hinreichend konkret abgefasst werden, auf der anderen Seite aber auch das Fehlen jeder Niederschrift unschädlich sein soll. Dadurch wird die Rechtsfortbildung, die ohne jeden Bezugspunkt im Gesetz erfolgt, zulässig, wohingegen eine solche, die auf einem lediglich (zu) allgemein gefassten Grundsatz im geschriebenen Recht fußt, als verfassungswidrig beurteilt werden muss. Für den Gesetzgeber könnte sich daraus die paradoxe Situation ergeben, dass es günstiger sein könnte, überhaupt keine gesetzliche Regelung zu erlassen und auf die Konstruktion gerechter Ergebnisse durch die Rechtsprechung zu hoffen, als das Risiko einzugehen, eine Norm zu schaffen, die entweder wegen mangelnder Bestimmtheit unwirksam sein könnte oder auf Grund zu eng bestimmter Voraussetzungen nicht alle anvisierten Sachverhalte erfassen könnte.278 Dem wird erwidert, dass der Gesetzgeber ohne Bindung an den Bestimmtheitsgrundsatz unerträglich weite Tatbestände schaffen könnte, welche dann durch unbestimmte, wertungsoffene Rechtfertigungsnormen wieder eingeschränkt würden, womit im Ergebnis das gesamte Strafrecht dem Ermessen der Gerichte überlassen werden könnte.279 Dem steht 276 Engländer, Nothilfe, S. 299; Erb, ZStW 108 (1996), 266, 284 f.; Lenckner/SternbergLieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 25; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 68: „nicht ganz so strenge Anforderungen“; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 69. 277 Verneinend Amelung, JZ 1982, 617, 620. 278 Diese Gefahr dürfte dabei durchaus nicht nur abstrakter Natur sein. Man stelle sich nur den potentiellen Versuch vor, die aktuell praktizierte Anwendung der Einwilligung in eine gesetzliche Form zu bringen. Vgl. Lenckner, JuS 1968, 249, 252, der dieses Argument jedoch selbst nicht durchgreifen lässt. 279 Erb, ZStW 108 (1996), 266, 285. Bereits heute könnte man dem Gesetzgeber eventuell ein solches Vorgehen im Rahmen des § 240 Abs. 1 u. 2 StGB vorwerfen.

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

aber entgegen, dass sich bereits jeder Straftatbestand für sich an Art. 103 Abs. 2 GG, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Übermaßverbot280 messen lassen muss. In die andere Richtung ergibt sich hinsichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes die Frage, warum es bei Rechtfertigungsgründen zu einer gegenüber Straftatbeständen nur eingeschränkten Anwendung dieses Prinzips kommen soll. Auch hier müsste das Argument, dass Erlaubnissätze die Strafbarkeit ebenso bestimmen wie die strafbegründenden Normen des Besonderen Teils, konsequent zu einer uneingeschränkten Kontrolle hinreichender Bestimmtheit führen. Dann müsste allerdings insbesondere die Verfassungswidrigkeit des § 32 StGB ernstlich in Betracht gezogen werden, bei dem schon aktuell das Element der Gebotenheit als unbestimmter Rechtsbegriff281 beziehungsweise als Leerformel282 bezeichnet wird und dessen Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG daher in der Diskussion steht283. Wenn man dem folgen würde, zeigt sich hier anhand der eintretenden Rechtsfolge jedoch nur die generelle Untauglichkeit des Art. 103 Abs. 2 GG, Verfehlungen des Gesetzgebers in diesem Bereich sinnvoll zu sanktionieren. Denn die Nichtanwendung eines als verfassungswidrig zu bewertenden Rechtfertigungsgrundes würde sich ausschließlich zu Lasten des Täters auswirken, weil die durch die Erfüllung des Tatbestands bereits indizierte Rechtswidrigkeit der Tat nicht mehr getilgt werden könnte. Da das Gesetzlichkeitsprinzip als Justizgrundrecht aber nur zu Gunsten des Täters wirken soll284, kann dieses Ergebnis keinen Bestand haben. Der Richter müsste die durch die Nichtanwendung eines Rechtfertigungsgrundes entstehende Lücke daher im Rahmen notwendiger Rechtsfortbildung wieder schließen. An die Stelle einer nicht hinreichend bestimmten gesetzlichen Vorschrift würde also lediglich gänzlich unbestimmtes Richterrecht treten. Unbestritten ist hingegen die Geltung des Rückwirkungsverbots für Rechtfertigungsgründe.285 Der Gesetzgeber ist nicht berechtigt ein von einem Erlaubnistatbestand gedecktes Verhalten durch spätere Streichung oder Begrenzung dieser Norm zu kriminalisieren. Ob es dazu jedoch tatsächlich des Rückgriffs auf Art. 103 Abs. 2 GG bedarf, wird noch zu klären sein.286 Zusammenfassend kann die nur partielle und teilweise eingeschränkte Anwendung des Gesetzlichkeitsprinzips und seiner verschiedenen Ausprägungen auf

280

BVerfGE 6, 389, 439; BVerfGE 23, 127, 133; BVerfGE 90, 145, 172 f. Herzog, in: NK-StGB, 3. Aufl., § 32 Rn. 89. 282 Perron, in: Schönke/Schröder, § 32 Rn. 44; Wohlers, JZ 1999, 434, 437. 283 Vgl. Erb, ZStW 108 (1996), 266, 294 ff.; Erb, in: MK-StGB, § 32 Rn. 204 ff.; Kühl, AT, § 7 Rn. 164. 284 Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 7; Schmitz, in: MK-StGB, § 1 Rn. 8. 285 BVerfG NJW 1997, 929, 930; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 26; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 69; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 70. 286 Vgl. dazu den folgenden Abschnitt. 281

V. Verfassungsmäßigkeit teleologischer Einschränkungen

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Rechtfertigungsgründe nicht überzeugen.287 Während die vorgetragenen Begründungen zur Geltung des Analogieverbots konsequent auch für das Kodifizierungsund Bestimmtheitsgebot vorgetragen werden könnten und müssten, findet sich für die vorgenommenen Einschränkungen im Ergebnis keine bessere Erklärung als ein entsprechendes praktisches Bedürfnis. Doch wenn dies ausreichen soll, ist nicht ersichtlich, warum ein solches nicht ebenso für eine Einschränkung des Analogieverbots bestehen soll. Es ist daher Amelung zuzustimmen, dass eine tatsächliche Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG auf Rechtfertigungsgründe noch nie stattgefunden hat und das Konstrukt einer angeblich partiellen Berücksichtigung „nicht mehr als einen rechtsstaatlichen Schein“ erzeugt.288 Die aufgezeigten, wohl unüberwindbaren Probleme, die eine vollständige Berücksichtigung des Gesetzlichkeitsprinzips mit sich bringen würde, legen dar, dass Art. 103 Abs. 2 GG sich im Ganzen nicht an Rechtfertigungsgründe richten kann. Folglich kann auch das strafrechtliche Analogieverbot in Form des Verbots teleologischer Reduktionen zu Lasten des Täters bei Erlaubnistatbeständen keine Geltung beanspruchen. 4. Grenze des Art. 20 Abs. 3 GG Dennoch ist der Täter auf der Ebene der Rechtswidrigkeit selbstverständlich nicht der Willkür des Gesetzgebers oder Richters ausgesetzt. Zunächst wird jede mögliche Rechtsfortbildung dadurch beschränkt, dass der Anwender im Rahmen einer teleologischen Auslegung an den Gesetzeszweck gebunden bleibt.289 Des Weiteren bleibt es unstreitig bei der Geltung des Art. 20 Abs. 3 GG, welcher die Rechtsprechung an Gesetz und Recht bindet. Aus diesem ergibt sich sodann, auch ohne Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG, die Gültigkeit des allgemeinen Rückwirkungsverbots290, des allgemeinen Bestimmtheitsgebots291 und schließlich das Verbot der Rechtsbildung gegen das Gesetz (contra legem).292 Fraglich bleibt jedoch nun, ob nicht gerade letzteres Verbot einer Verdrängung des seinem Wortlaut nach erfüllten rechtfertigenden Notstands durch den nicht einschlägigen Rechtfertigungsgrund der Einwilligung entgegensteht. Die postulierte Bindung an das Gesetz könnte nämlich auch so verstanden werden, dass eine vom Gesetzgeber niedergeschriebene rechtliche Beurteilung stets einer lediglich durch Auslegung oder durch Gewohnheitsrecht gewonnenen vorgehen müsse.293 Tat287

Günther, in: FS Grünwald, S. 213, 216. Amelung, JZ 1982, 617, 620. 289 Koch, ZStW 104 (1992), 785, 818; Lenckner, GA 1968, 1, 9; Roxin, AT I, § 5 Rn. 42. 290 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Rn. 76; Huster/Rux, in: BeckOK-GG, Art. 20 Rn. 173. 291 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Rn. 58; Huster/Rux, in: BeckOK-GG, Art. 20 Rn. 169. 292 Amelung, JZ 1982, 617, 620; Günther, in: FS Grünwald, S. 213, 219; Krey, JZ 1979, 702, 712; Thiel, Konkurrenz, S. 182. 293 In diesem Sinne Peters, GA 1981, 445, 467; Würtenberger, in: FS Rittler, S. 125, 133. 288

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D. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

sächlich würde eine solche Interpretation der Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt jedoch das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG überdehnen. Durch die Gegenüberstellung von Gesetz auf der einen und Recht auf der anderen Seite, bringt die Verfassung zum Ausdruck, dass ein streng positivistisches Haften am Gesetzestext zur zutreffenden Rechtsfindung nicht zwingend erforderlich ist.294 Daher sind die richterliche Rechtsfortbildung über das geschriebene Gesetz hinaus und die am Sinn und Zweck orientierte Auslegung als verfassungsgemäß anerkannt.295 Und zu eben diesem Bereich nicht niedergeschriebenen Rechts gehören auch die Anwendung der anerkannten Kollisionsregeln sowie die Durchführung einer gebotenen teleologischen Reduktion.296 Die Nichtanwendung des § 34 StGB trotz Erfüllung seiner geschriebenen Voraussetzungen verletzt damit nicht das Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG.

VI. Zwischenergebnis Festgestellt wurde hiermit, dass die Einwilligung als jedenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannter Rechtfertigungsgrund dem rechtfertigenden Notstand auf einer Regelungsebene gegenübertritt. Gleiches gilt für die mutmaßliche Einwilligung, die darüber hinaus auch nicht nur einen Unterfall des rechtfertigenden Notstands oder der zivilrechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag darstellt, sondern einen diesen gegenüber eigenständigen Regelungsbereich aufweist. Zudem steht es der Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung nicht entgegen, wenn konkrete Anhaltspunkte für den vermuteten Willen des Betroffenen nicht ersichtlich sind oder wenn dieser dauerhaft seine Einwilligungsfähigkeit verloren hat. War der Betroffene auch niemals zuvor in der Lage einen solchen Willen zu bilden, so ist auf die mutmaßliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters oder unter Umständen auf die zu erwartende Entscheidung des zuständigen Gerichts abzustellen. Notstand und Einwilligung gelangen nicht stets zu übereinstimmenden Ergebnissen. Denn es ist unzulässig, um dies zu erreichen, die Autonomie des Eingriffsopfers nochmals gesondert in die Interessenabwägung des § 34 StGB einzustellen. Kommt bei internen Interessenkollisionen sowohl eine Beurteilung der Strafbarkeit nach den Regeln zur Einwilligung oder mutmaßlichen Einwilligung als auch nach § 34 StGB in Betracht, so ist nach den Prinzipien zur Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen zu entscheiden, welcher von beiden Rechtfertigungsgründen Anwendung findet oder ob beide zugleich berücksichtigt werden müssen. Dabei ist vom Grundsatz paralleler Anwendbarkeit auszugehen. Welche Ergebnisse die Erlaubnissätze im konkreten Fall erzielen, ist für die Beurteilung der Konkurrenz unerheblich. 294

BVerfGE 34, 269, 286; zur möglichen Interpretation als Tautologie Huster/Rux, in: BeckOK-GG, Art. 20 Rn. 156.1. 295 BVerfGE 34, 269, 287; BVerfGE 69, 315, 371 f.; BVerfGE 108, 150, 160; BVerfGE 111, 54, 81 f. 296 Diettrich, Organentnahme, S. 187; Thiel, Konkurrenz, S. 168.

VI. Zwischenergebnis

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Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung auf der einen und rechtfertigender Notstand auf der anderen Seite stehen zueinander im logischen Verhältnis der nur teilweisen Überschneidung ihrer Anwendungsbereiche, sogenannter Interferenz. In dem Bereich, in dem die Regelungsbereiche sich überschneiden, kann sich der Vorrang eines Rechtfertigungsgrundes hier nur aus teleologischen Erwägungen ergeben. Es ist daher zu erörtern, ob ein Fall materieller Subsidiarität vorliegt, welche konkret nur für den rechtfertigenden Notstand in Betracht zu ziehen ist. Sollte dadurch festzustellen sein, dass die Fälle interner Interessenkollisionen ausschließlich dem Anwendungsbereich der Einwilligung zuzuordnen sind, auch wenn die Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes im Ergebnis gar nicht erfüllt sind, so bliebe § 34 StGB unangewendet, selbst wenn seine Voraussetzungen gänzlich erfüllt sind. Diese teleologische Unterschreitung des Wortlauts zu Lasten des Täters ist mit der Verfassung zu vereinbaren, da Art. 103 Abs. 2 GG auf Rechtfertigungsgründe keine Anwendung findet und Art. 20 Abs. 3 GG einer am Sinn und Zweck des Gesetzes orientierten Auslegung nicht entgegensteht.

E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität des rechtfertigenden Notstands bei internen Interessenkollisionen Es ist nun also zu ermitteln, ob interne Interessenkollisionen nach dem Sinn und Zweck des rechtfertigenden Notstands diesem Rechtfertigungsgrund unterfallen können oder ob sich andererseits aus dem der Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung zu Grunde liegenden Rechtfertigungsprinzip ergibt, dass sie abschließend nach diesen Erlaubnistatbeständen zu beurteilen sind. Dazu sollen zunächst die allgemein auf den Wortlaut und die Ausrichtung des § 34 StGB abstellenden Argumente aufgegriffen werden, anschließend werden die Auswirkungen des Autonomieprinzips als Grundlage der (mutmaßlichen) Einwilligung untersucht. Daraufhin wird zu klären sein, auf welcher Basis der Rechtfertigungsgrund des Notstands beruht, und schließlich, wie sich diese auf die Beurteilung intrapersonaler Konflikte auswirkt.

I. Ausrichtung und Wortlaut des § 34 StGB In der Literatur wird teilweise davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber in § 34 StGB nur Interessenkollisionen unterschiedlicher Betroffener regeln wollte1, beziehungsweise dass die Norm auf derartige Fälle zugeschnitten sei2. Für die Annahme einer solchen generellen Ausrichtung spricht zunächst, dass der weit überwiegende Teil der dem rechtfertigenden Notstand zugeordneten Sachverhalte externe Interessenkonflikte zum Gegenstand hat. Eingriffe in die Rechtsgüter des Gefährdeten stehen dem, soweit sie überhaupt von diesem Rechtfertigungsgrund erfasst sein sollen, üblicherweise als Ausnahmefälle gegenüber, deren Einbeziehung in den Regelungsbereich des § 34 StGB daher zumeist gesondert hervorgehoben und begründet wird.3 Darüber hinaus kann auch eine entsprechende Tendenz des Wortlauts, der von „betroffenen Rechtsgütern“ im Plural spricht, nicht gänzlich abgestritten werden.

1

Aselmann/Krack, Jura 1999, 254, 258. Hruschka, Strafrecht, S. 174; ähnlich Erb, JuS 2010, 17, 19; Mitsch, in: Baumann/Weber/ Mitsch, § 16 Rn. 53; Rudolphi, in: GS Schröder, S. 73, 87. 3 So etwa bei Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 8a; Rengier, AT, § 19 Rn. 44; Roxin, AT I, § 16 Rn. 101 f.; Wessels/Beulke, AT, Rn. 322. 2

I. Ausrichtung und Wortlaut des § 34 StGB

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Wie allerdings bereits zu Anfang4 festgestellt wurde, ist dem Wortlaut des § 34 StGB über diese Neigung hinaus keine eindeutige Festlegung auf ausschließlich externe Konflikte zu entnehmen.5 Maßgeblich ist lediglich das Erfordernis widerstreitender Interessen und hierzu wurde bereits nachgewiesen, dass durchaus auch eine Person zeitgleich mehr als ein Interesse und ebenso sich gegenseitig ausschließende Interessen verfolgen kann.6 Des Weiteren ist ein eindeutiger Wille des Gesetzgebers, lediglich interpersonale Kollisionen zu regeln, nicht belegt. Lediglich die Ausrichtung der Norm auf diese Fälle oder die Tatsache, dass die erfassten Konstellationen größtenteils diesen zuzuordnen sind, können für sich noch keine einschränkende Auslegung der Norm bedingen – insbesondere da sich eine solche Verengung auf den Regelfall hier zu Lasten des Täters auswirken würde. Korrekt wird man daher aus den vorgetragenen Erwägungen nur folgern können, dass der rechtfertigende Notstand in externen Interessenkonflikten seinen Schwerpunkt hat7, hingegen nicht, dass er dadurch entgegengesetzte Fälle ausschließt. Beachtenswert ist jedoch, dass es bei der Auslegung des § 904 BGB innerhalb des Zivilrechts der wohl allgemeinen Ansicht entspricht, dass diese Notstandsregelung nur eingreifen soll, wenn die abzuwendende Gefahr einem anderen als dem Eigentümer der Sache droht, die zur Beseitigung der Gefahrenlage herangezogen wird.8 Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich diese Einschränkung noch nicht aus dem Wortlaut der Notstandsvorschrift ergibt.9 Grundlage dieser Auslegung dürfte aber primär der spezifisch zivilrechtliche Blickwinkel sein, denn der § 904 BGB zu Grunde liegende Aufopferungsanspruch definiert sich durch den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der dem Eingriffsopfer auferlegten Duldungspflicht aus § 904 S. 1 BGB und dem diesem als Ausgleich zustehenden Ersatzanspruch nach § 904 S. 2 BGB.10 Die so begründete Schadensersatzpflicht trifft zwar zunächst den Eingriffstäter, der die Gefahr abwendet,11 allerdings kann der vom Eingriffsopfer in Anspruch genommene Eingriffstäter letztlich im Innenverhältnis den zuvor Gefährdeten, von dem die Gefahr abgewendet wurde, in Regress neh4

Siehe A. I. Bottke, GA 1982, 346, 356; Trück, Einwilligung, S. 88 f. 6 Siehe C. II. 7 So auch Bottke, Suizid, S. 88 f. 8 Fritzsche, in: BeckOK-BGB, § 904 Rn. 1; Säcker, in: MK-BGB, § 904 Rn. 1; SchulteNölke, in: HK-BGB, § 904 Rn. 1; Seiler, in: Staudinger, § 904 Rn. 7. 9 Seiler, in: Staudinger, § 904 Rn. 7. 10 Bassenge, in: Palandt, § 904 Rn. 1; Fritzsche, in: BeckOK-BGB, § 904 Rn. 1; Säcker, in: MK-BGB, § 904 Rn. 1; Seiler, in: Staudinger, § 904 Rn. 4. 11 So jedenfalls die h.M., vgl. BGHZ 6, 102, 105; Bassenge, in: Palandt, § 904 Rn. 5; Fritzsche, in: BeckOK-BGB, § 904 Rn. 20; Schulte-Nölke, in: HK-BGB, § 904 Rn. 4; der Gegenauffassung nach richtet sich der Anspruch direkt gegen den durch die Notstandshandlung Geschützten, vgl. Säcker, in: MK-BGB, § 904 Rn. 17; Seiler, in: Staudinger, § 904 Rn. 38; auf Grundlage des strafrechtlichen Verständnisses des Notstandsrechts auch Pawlik, Notstand, S. 10 Fn. 5. 5

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

men.12 Könnten nun Eingriffsopfer und Gefährdeter ein und dieselbe Person sein, so würde zwar ein Anspruch des Eigentümers (als Eingriffsopfer) gegen den Eingriffstäter begründet, dem würde aber stets ein entsprechender Gegenanspruch des Eingriffstäters gegen den Eigentümer (als Begünstigter) entgegentreten.13 Im Ergebnis würde folglich der Entschädigungsanspruch entfallen und es somit an der Korrelation von Duldungspflicht und Entschädigungsanspruch fehlen. Zwar besitzt § 34 StGB entgegen § 904 BGB nun keine Regelung über einen derartigen Ausgleichsanspruch, doch entspricht es der weit vorherrschenden Ansicht, dass es hier zu einer analogen Anwendung des § 904 S. 2 BGB kommen soll.14 Demzufolge kann die Gegenstandslosigkeit der Entschädigungspflicht auch diesbezüglich gegen eine Anwendung des rechtfertigenden Notstands ins Feld geführt werden. Ausschlaggebend kann eine solche Argumentation jedoch letztlich nicht sein, da es der Rechtfertigung in klassischen Notstandssituationen auch nicht entgegenstehen kann, wenn dem Opfer schlicht kein ersatzfähiger Schaden entsteht und dadurch kein entsprechender Anspruch existiert, und da der zu leistende Ausgleich nur eine sekundäre15 Folge der Notstandstat darstellt, welche nicht über die vorgelagerte Frage der Zulässigkeit des Eingriffs entscheiden kann. Für die Anwendung des rechtfertigenden Notstands auf interne Interessenkonflikte wird ins Feld geführt, dass § 34 StGB die einzige gesetzliche Regelung darstelle, in der die Abwägung widerstreitender Interessen normiert sei. Müsse sich der Täter zwangsläufig zwischen zwei sich gegenüberstehenden Übeln entscheiden, so stelle die Heranziehung des § 34 StGB nach Merkel die „ehrliche Offenlegung“ der dem Rechtswidrigkeitsurteil zu Grunde liegenden Kriterien dar.16 Vergleichbar argumentiert auch Rosenau, dass die Norm eine „gesetzliche Vermutung“ für die Bewältigung solcher Kollisionslagen enthalte.17 Dem ist entgegenzuhalten, dass allein die Tatsache, dass § 34 StGB einen Fall der Interessenabwägung regelt, noch nicht zu dem Schluss zwingt, dass er auch alle möglichen Abwägungssituationen erfassen will.18 Im Gegenteil spricht das Erfordernis einer vorliegenden Notstandslage dafür, nur ganz bestimmte Kollisionsfälle unter die Vorschrift zu subsumieren. Ob darunter auch intrapersonale Konflikte fallen können, ist hier erst noch zu ermitteln. Nur der Wunsch, auch solche Fälle nach 12 Bassenge, in: Palandt, § 904 Rn. 5; Fritzsche, in: BeckOK-BGB, § 904 Rn. 20; SchulteNölke, in: HK-BGB, § 904 Rn. 4. 13 Erachtet man mit der M.M. den Gefährdeten als Schuldner des Anspruchs, so würden sogleich Anspruch und Verpflichtung in einer Person zusammenfallen. 14 Fritzsche, in: BeckOK-BGB, § 904 Rn. 23; Grothe, in: MK-BGB, § 228 Rn. 2; Pawlik, Notstand, S. 9; Renzikowski, Notstand, S. 196; Repgen, in: Staudinger, § 228 Rn. 4; Seiler, in: Staudinger, § 904 Rn. 48; a.A. Peters, GA 1981, 445, 455. 15 Vgl. Renzikowski, Notstand, S. 196. 16 Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 310; ähnlich Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 568. 17 Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 15. 18 Anders offensichtlich Koch, Nothilfe, S. 17 f.

II. Das Rechtfertigungsprinzip der Einwilligung

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den Kriterien einer objektiven Interessenabwägung zu beurteilen, und die abstrakte Möglichkeit, dies gemäß § 34 StGB zu tun, können noch nicht für die Richtigkeit dieser Herangehensweise sprechen. Dass die Vorschrift für diese Fälle eventuell unabhängig von ihrem Regelungsbereich eine sachgerechte Lösung anbieten könnte, wird allenfalls im Rahmen einer möglicherweise zu erwägenden Analogie beachtlich.19

II. Das Rechtfertigungsprinzip der Einwilligung: Das Selbstbestimmungsrecht Wie weit nach dem Sinn und Zweck der Regelungsbereich eines Rechtfertigungsgrundes reicht, ist maßgeblich nach dem diesem zu Grunde liegenden Rechtfertigungsprinzip zu bestimmen.20 Von daher sollen nunmehr die Rechtfertigungsprinzipien der Einwilligung, der mutmaßlichen Einwilligung und des rechtfertigenden Notstands daraufhin untersucht werden, inwiefern ihnen Aussagen über das Konkurrenzverhältnis der Erlaubnistatbestände entnommen werden können. Das Wesen der Einwilligung und der Grund für das Entfallen der Strafbarkeit in diesen Fällen sind in der Rechtswissenschaft verschiedenartig umschrieben worden. Teilweise wird die Einwilligung auf das Prinzip des mangelnden Interesses zurückgeführt.21 Entsprechend soll ihre Ausübung einen Verzicht auf Rechtsschutz darstellen.22 Demgegenüber wird sie partiell dem Prinzip des überwiegenden Interesses zugeordnet, da der Wunsch, den Eingriff zu dulden, hier das einzig verbleibende und somit höchstwertige Interesse bilde.23 Doch diesen und weiteren vergleichbaren24 Ansätzen ist letztlich gemein, dass sie das Wesen der Einwilligung lediglich charakterisieren, ihnen aber noch nicht die dahinterstehende Begründung der Legitimationswirkung entnommen werden kann.25 Die Befugnis, Eingriffe in eigene Rechtsgüter zu erlauben, ergibt sich unmittelbar aus dem in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit.26Als ausschlaggebendes Rechtfertigungsprinzip der Einwilligung gilt daher

19 Siehe dazu unten E. IV.; für diese Möglichkeit, ohne sie zwingend vorauszusetzen, Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 310; Merkel, Früheuthanasie, S. 533. 20 Thiel, Konkurrenz, S. 208 f. 21 Kühl, AT, § 9 Rn. 23; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 7. 22 Lenckner, ZStW 72 (1960), 446, 453; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 33; Wessels/Beulke, AT, Rn. 370. 23 Noll, ZStW 77 (1965), 1, 15; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 60 f. 24 Vgl. Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 97. 25 Amelung, ZStW 109 (1997), 490, 514. 26 Dannecker, in: Graf/Jäger/Wittig, Vor § 32 StGB Rn. 37; Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 228 Rn. 1; Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 953; Jescheck/Weigend, AT, S. 377; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 3; Roxin, AT I, § 13 Rn. 14.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

nach wohl allgemeiner Ansicht das Selbstbestimmungsrecht des Einwilligenden.27 Dem entspricht auch das heute vorherrschende Verständnis von Rechtsgütern und Grundrechten, nach dem diese nicht nur den rechtlichen Schutz ihrer positiven Ausübung begründen, sondern ebenso den ihrer Preisgabe.28 Dieses Recht zur Preisgabe eigener Interessen kann nur dann wirksam durchgesetzt werden, wenn auch die strafrechtliche Sanktionierung diesem folgender Verhaltensweisen aufgehoben wird. Die Grundlage der mutmaßlichen Einwilligung muss hingegen dann anders beurteilt werden, wenn man sie als Unterfall des rechtfertigenden Notstands oder der zivilrechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag versteht. Eine solche Interpretation ist aber, wie gezeigt wurde, abzulehnen.29 Sie stellt daher richtigerweise ein Surrogat der tatsächlichen Einwilligung dar.30 Als solches liegt daher auch ihre Basis im Selbstbestimmungsrecht des Einwilligenden und damit in Art. 2 Abs. 1 GG.31 Eben dieses Selbstbestimmungsrecht streitet nun erheblich dafür, sämtliche Fälle intrapersonaler Interessenkollisionen nur nach den Regeln der Einwilligung und mutmaßlichen Einwilligung zu beurteilen. Denn dieses garantiert dem Einzelnen gerade das Recht, Konflikte, die nur ihn selbst betreffen, auch selbst zu entscheiden. Ausschlaggebend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines entsprechenden Eingriffs muss deshalb der subjektive Wille des Betroffenen sein.32 Der rechtfertigende Notstand hält demgegenüber mit der nach objektiven Maßstäben durchzuführenden Abwägung der Interessen ein geradezu entgegengesetztes Instrument zur rechtlichen Wertung bereit. Aber hier geht es nicht darum, die für die Gesellschaft oder Dritte beste Lösung zu finden, weil deren Belange eben gar nicht betroffen sind, sondern lediglich darum, den für den Betroffenen besten Weg zu bestreiten.33 An die Stelle des objektiv Vernünftigen und Vorteilhaften setzt das Selbstbestimmungsrecht daher in den hiesigen Fällen die subjektiven Präferenzen des Eingriffsopfers.34 Und dabei steht es der Rechtsordnung grundsätzlich nicht zu, über die Sinnhaftigkeit der

27 Kühl, AT, § 9 Rn. 20; Noll, ZStW 77 (1965), 1, 15; Rengier, AT, § 23 Rn. 7; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 146; Schroth, in: FS Volk, S. 719, 722; Wessels/Beulke, AT, Rn. 370. 28 Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 3. 29 Siehe D. II. 30 Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 228 Rn. 28; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, Vor § 32 Rn. 54; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 115; Rengier, AT, § 23 Rn. 49. 31 Knauf, Einwilligung, S. 66; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 214. 32 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 547; Aselmann/Krack, Jura 1999, 254, 258; Dannecker, in: Graf/Jäger/Wittig, § 34 StGB Rn. 26; Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 9; Günther, in: SKStGB, § 34 Rn. 60; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 54; Müller-Dietz, JuS 1989, 280, 281; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 15; Roxin, AT I, § 16 Rn. 101. 33 Renzikowski, Notstand, S. 65. 34 Engländer, GA 2010, 15, 23; Kindhäuser, LPK-StGB, § 34 Rn. 39.

II. Das Rechtfertigungsprinzip der Einwilligung

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individuellen Präferenzsetzung zu entscheiden35, weil das Selbstbestimmungsrecht gerade dort seine Schutzwirkung entfalten muss, wo der Einzelne von den Wertungsmaßstäben der Allgemeinheit abweichen will. 1. Gefahr des Übergehens autonomer Entscheidungen Gegen die Anwendung des § 34 StGB auf interne Interessenkollisionen ist dementsprechend einzuwenden, dass die an überindividualistischen Maßstäben orientierte Interessenabwägung des rechtfertigenden Notstands in diesen Fällen keinen angemessenen Lösungsweg darstellt. Ihr Ergebnis entspricht dem, was allgemein als sinnvollste Entscheidung angesehen wird und damit nicht zwingend dem subjektiven Willen des Gefährdeten. Sie kann folglich im Grundsatz auch solche Eingriffe legitimieren, die der Betroffene für sich freiverantwortlich ablehnt. Wäre diese Betrachtungsweise für den Eingriffstäter ausschlaggebend, so würde das Selbstbestimmungsrecht auf diesem Wege in erheblichem Umfang ausgehebelt und einer paternalistischen Zwangsfürsorge Tür und Tor geöffnet.36 Die Befürworter der Anwendbarkeit des rechtfertigenden Notstands verweisen jedoch teilweise darauf, dass eine Verletzung der Autonomie dadurch ausgeschlossen sei, dass eine gegen den Willen des Betroffenen aufgedrängte Notstandshilfe schon nach den grundlegenden Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands nie zulässig sei.37 Hieran ist richtig, dass, wenn der Gefährdete freiverantwortlich auf den Schutz seiner Rechtsgüter verzichtet, die Anwendung des § 34 StGB gänzlich unabhängig vom Ergebnis der Interessenabwägung ausscheidet, weil es dann bereits an einem notstandsfähigen Rechtsgut mangelt.38 Zu beachten ist allerdings die im Vergleich zur Einwilligung gänzlich entgegengesetzte Herangehensweise zur Berücksichtigung der Selbstbestimmung. Im Rahmen des rechtfertigenden Notstands ist solange von der Notstandsfähigkeit eines gefährdeten Rechtsguts und damit bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen von der Zulässigkeit des Eingriffs auszugehen, bis ein ablehnender Wille des Rechtsgutsträgers positiv festgestellt wurde. Bei der Einwilligung hingegen ist auf Grund des durch die Tatbestandsmäßigkeit indizierten Rechtswidrigkeitsurteils solange die Unzulässigkeit des Eingriffs anzunehmen, bis ein zustimmender Wille des Betroffenen ermittelt wurde. Die Einwilligung besitzt daher einen zurückhaltenderen Charakter, der grundsätzlich besser geeignet ist, die Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts sicherzustellen. 35

32. 36

Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 97; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 14 u.

Diettrich, Organentnahme, S. 167; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 54; Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 582; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 19; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 15; Trück, Einwilligung, S. 91. 37 Bottke, Suizid, S. 90 f.; Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 309. 38 Siehe C. I.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

Darüber hinaus wurde bereits aufgezeigt, dass der Wille des Gefährdeten, die Schädigung hinzunehmen, nur dann zu beachten ist, wenn dieser auch die Dispositionsbefugnis über das betroffene Rechtsgut innehat.39 Insbesondere Notstandshandlungen, die der Rettung des Lebens dienen, können daher auf diesem Wege nicht ausgeschlossen werden. Dies steht im Widerspruch zur heute weit überwiegenden Ansicht, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten diesen auch dazu berechtigt, selbst lebensnotwendige ärztliche Behandlungen freiverantwortlich abzulehnen.40 Teilweise wird daher bei internen Interessenkonflikten zusätzlich zu den üblichen Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands das Vorliegen einer ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einwilligung in die Eingriffshandlung verlangt, um eine Rechtfertigung gemäß § 34 StGB zu ermöglichen.41 Gegen einen solchen Ansatz ist aber zu Recht eingewandt worden, dass es für diese auf den Einzelfall zugeschnittene zusätzliche Voraussetzung keine Grundlage im Wortlaut des § 34 StGB gibt. Es würde hier zu einer Vermengung der Rechtfertigungsgründe der Einwilligung und des rechtfertigenden Notstands kommen, die mit der Systematik des Strafrechts und insbesondere des Allgemeinen Teils nicht zu vereinbaren wäre.42 Des Weiteren wird der rechtfertigende Notstand zumeist gerade dann herangezogen, wenn eine Einwilligung des Betroffenen die Rechtfertigung nicht mehr herbeiführen kann. Es ist aber widersprüchlich, wenn beispielsweise in Fällen der Sterbehilfe eine vorliegende Einwilligung für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit grundsätzlich unerheblich sein soll, sodann aber eine Anwendung des rechtfertigenden Notstands davon abhängen soll, ob der Betroffene die Beendigung seines Lebens wünscht oder nicht.43 Doch selbst wenn man das Eingreifen des rechtfertigenden Notstands effektiv auf Fälle beschränken würde, in denen die Zustimmung des Eingriffsopfers gewiss ist, bliebe es bei der Rechtsfolge, dass dem Opfer damit die Pflicht zur Duldung des Eingriffs auferlegt würde.44 Diese stellt dabei nicht nur eine notwendige Nebenfolge 39

Siehe C. I. BGHSt 11, 111, 113 f.; Dreier, JZ 2007, 317, 323; a.A. Hardwig, GA 1965, 161, 168 f.; vgl. dazu und zu weiteren Nachweisen bereits unter A. II. 2. 41 Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 589; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 37; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 59 u. 68. Der Unterschied zu der bereits oben unter D. IV. 1. dargestellten Auffassung Seelmanns besteht darin, dass dieser die Autonomie des Betroffenen im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigen will, während die Zustimmung des Eingriffsopfers hier als davon unabhängige zusätzliche Voraussetzung des Notstandsrechts verstanden wird. Nach Seelmann ist es also sowohl denkbar, dass das Selbstbestimmungsrecht im Rahmen der Abwägung unterliegt, als auch, dass es zu einem Eingreifen des Notstandsrechts kommt, obwohl nach einer rein objektiven Betrachtung kein Interessenübergewicht festzustellen ist. Die hiesige Ansicht verlangt hingegen stets das Zusammentreffen von objektiv überwiegendem Interesse und einem entsprechenden Willen. 42 Trück, Einwilligung, S. 92. 43 So Merkel, Früheuthanasie, S. 158 f., der dem jedoch auf S. 164 selbst widerspricht. 44 BGH NJW 1989, 2479, 2481; Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 1; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 1; Kühl, AT, § 8 Rn. 7; Lenckner, Notstand, S. 50; Seelmann, Verhältnis, S. 48; Thiel, Konkurrenz, S. 95 Fn. 387: „entspricht einhelliger Auffassung“. 40

II. Das Rechtfertigungsprinzip der Einwilligung

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der erteilten Eingriffsbefugnis dar, sondern ist als zentraler Regelungsinhalt des § 34 StGB zu verstehen.45 Auf die Widersinnigkeit der Anordnung einer solchen Duldungspflicht in Fällen interner Interessenkonflikte wurde hier allerdings bereits hingewiesen.46 Zum einen würde der in eine Behandlung einwilligende Patient durch seine Zustimmung zur Hinnahme des Heileingriffs verpflichtet und zum anderen würde es sich dabei um eine inhaltsleere Verpflichtung handeln, die der Verpflichtete selbst jederzeit durch seinen Widerspruch wieder auflösen könnte. § 34 StGB ist daher darauf ausgerichtet, dem die Gefahr Abwehrenden ein Recht zum Eingriff an die Hand zu geben, welches dieser auch gegen den Willen des Inhabers des zur Gefahrenabwehr herangezogenen Rechtsguts durchsetzen kann.47 Hruschka betont in diesem Zusammenhang jedoch zutreffend, dass der Nothelfer stets der Diener und nicht der Herr des Gefährdeten sein müsse.48 Die postulierte Duldungspflicht macht nun – bleibt man in diesem Bild – das Eingriffsopfer zum Diener des Nothelfers, was bei einem Auseinanderfallen von Eingriffsopfer und Gefährdetem zur Bildung einer sinnvollen und logischen Kette führt. Sind bei intrapersonalen Interessenkollisionen schließlich aber Eingriffsopfer und Gefährdeter eine Person, so würde diese zugleich zum Diener wie zum Herrn ernannt werden müssen. Es zeigt sich dadurch, dass die Rechtsfolgen des rechtfertigenden Notstands auf das Übergehen von Autonomie ausgerichtet sind und nicht auf deren Achtung.49 Als Einwand wird nun geltend gemacht, dass auch bei der mutmaßlichen Einwilligung dann, wenn es an subjektiven Präferenzen des Betroffenen fehlt oder diese im Einzelfall nicht ermittelt werden können, auf eine objektive Gewichtung der einschlägigen Interessen zurückgegriffen wird.50 Es ist zuzugeben, dass in diesen Fällen die Anforderungen der mutmaßlichen Einwilligung denen des rechtfertigenden Notstands entsprechen.51 Es ist daher zunächst nicht ersichtlich, warum die Lösung über den Weg der Einwilligung das Selbstbestimmungsrecht des Gefährdeten hier angemessener respektieren sollte als es der rechtfertigende Notstand tut, welcher zum selben Ergebnis gelangt. Merkel spricht darüber hinaus sogar von „Verdeckungs- und Selbsttäuschungsstrategien“, wenn durch das Heranziehen der Einwilligung somit der wahre Rechtfertigungsgrund verschleiert werde.52 Tatsächlich geht es hier jedoch nicht nur darum, die Wichtigkeit des Autonomieprinzips durch die vorrangige Anwendung der mutmaßlichen Einwilligung 45

Nach Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 307, stand das Auferlegen der Duldungspflicht bei der gesetzlichen Regelung des rechtfertigenden Notstands im Vordergrund. 46 Siehe D. IV. 1.; Renzikowski, Notstand, S. 63. 47 Hruschka, Strafrecht, S. 175; Thiel, Konkurrenz, S. 95. 48 Hruschka, Strafrecht, S. 175. 49 Engländer, GA 2010, 15, 24 f. 50 Merkel, Früheuthanasie, S. 159; zur mutmaßlichen Einwilligung auf der Grundlage einer objektiven Interessenabwägung, insbesondere auch bei konstitutioneller Einwilligungsunfähigkeit, siehe D. III. 1. 51 Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 33. 52 Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 310.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

symbolisch zum Ausdruck zu bringen53, sondern auch um daraus resultierende handfeste rechtliche Konsequenzen. Denn nur die mutmaßliche Einwilligung stellt eindeutig klar, dass rein objektive Kriterien, die nicht der Selbstbestimmung des Opfers entstammen, ausschließlich subsidiär und lediglich als Hilfsmittel berücksichtigt werden dürfen.54 Solange hinreichende individuelle Anhaltspunkte vorliegen, ist der Rückgriff auf objektive Wertungen nämlich versagt. Und auch der Vorrang einer ausdrücklichen oder stellvertretend erklärten Einwilligung beziehungsweise einer entsprechenden Ablehnung des Eingriffs wird nur durch die Nachrangigkeit des Instituts der mutmaßlichen Einwilligung sichergestellt. Demgegenüber fehlt es beim rechtfertigenden Notstand an tauglichen Kriterien, die die ausschließlich hilfsweise Anwendung sicherstellen würden, denn hinsichtlich der formal zu prüfenden Voraussetzungen des § 34 StGB ändert sich durch das Bekanntsein der inneren Einstellung des Eingriffsopfers nichts. Und wenn demzufolge die autonomen Präferenzen des Opfers lediglich als zusätzliche, wenn auch gewichtige, Positionen in die allgemeine Interessenabwägung eingestellt werden55, so sind sie infolgedessen mit objektiven Kriterien zu verrechnen, wodurch stets ihre Verdrängung zumindest als abstrakte Gefahr droht. 2. Rechtfertigender Notstand jenseits der Grenzen des Selbstbestimmungsrechts Einige Autoren, die eben auf Grund des Selbstbestimmungsrechts den rechtfertigenden Notstand auf interne Interessenkollisionen im Grundsatz nicht anwenden wollen, nehmen dann eine Ausnahme von der alleinigen Maßgeblichkeit der ausdrücklichen und mutmaßlichen Einwilligung an, wenn das Eingreifen einer solchen von vornherein ausgeschlossen ist, der Betroffene den Eingriff also mittels einer autonomen Entscheidung gar nicht legitimieren kann. Dies soll konkret dann der Fall sein, wenn der Betroffene nicht einwilligungsfähig ist oder wenn das in Rede stehende Rechtsgut der Dispositionsbefugnis des Einzelnen entzogen ist.56 Die Grenzen, die der möglichen Einwilligung gesetzt werden, werden damit als Grenzen des Selbstbestimmungsrechts verstanden. Dort wo dem Betroffenen kein Recht zur eigenen Entscheidung zukomme, könne eben dieses auch nicht durch Anwendung des § 34 StGB verletzt werden. So besitze der Einwilligungsunfähige keine Autonomie, 53 So etwa Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 20; ähnlich Boll, Kompetenzüberschreitungen, S. 108. 54 Engländer, GA 2010, 15, 24 f., betont die „präferenzvertretende“ und nicht „präferenzverdrängende“ Funktion der mutmaßlichen Einwilligung gegenüber dem rechtfertigenden Notstand; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 37; Roxin, in: FS Welzel, S. 447, 451; Trück, Einwilligung, S. 91. 55 So Bottke, Suizid, S. 123; v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 190; Kühl, AT, § 8 Rn. 161; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 68. 56 Rieger, Einwilligung, S. 77; Roxin, AT I, § 16 Rn. 102; auf diesen verweisend auch Merkel, Früheuthanasie, S. 155; Thiel, Konkurrenz, S. 96.

II. Das Rechtfertigungsprinzip der Einwilligung

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welche daher auch nicht durch das Abstellen auf seinen Willen geachtet oder durch die Heranziehung des Notstands übergangen werden könnte.57 Ordne das Gesetz wie in § 216 StGB die Unbeachtlichkeit der eigenen Verfügung an, werde dadurch die ansonsten zu respektierende autonome Entscheidungskompetenz aufgehoben.58 Und letztlich soll es auch beim Suizid so sein, dass der Freitodwille des Suizidenten nicht als dem Selbstbestimmungsrecht unterfallender Gegenstand anzusehen sei.59 Insgesamt sollen die Schranken des Autonomieprinzips also dazu führen, dass die subjektiven Präferenzen des Betroffenen im darüber hinausgehenden Bereich rechtlich unbeachtlich sind. Daher soll allein die Anwendung des rechtfertigenden Notstands gegen den beachtlichen und verfassungsrechtlich geschützten Willen ausgeschlossen sein.60 Zunächst ist gegen die Begründung, dass die mangelnde Dispositionsbefugnis eine Rechtfertigung nach den Regeln der Einwilligung ausschließe und dadurch eine solche gemäß § 34 StGB ermögliche, einzuwenden, dass der Entzug der Dispositionshoheit gerade dazu dienen soll, selbst mit Zustimmung des Opfers vorgenommene Rechtsgutsverletzungen zu verbieten. Im Fall des § 216 StGB soll so der maximal mögliche Schutz des Lebens sichergestellt werden, der daher auch als „absolut“ bezeichnet wird.61 Dem Willen der Rechtsordnung, die hier sogar die eindeutigste Form der Rechtfertigung, nämlich den eigenen Verzicht des Berechtigten auf seine Schutzposition, kategorisch ausschließt, ist daher wohl kaum dadurch nachzukommen, indem man lediglich einen ausgenommenen Erlaubnistatbestand durch einen anderen ersetzt, der im Falle des rechtfertigenden Notstands auf Grund der offenen Interessenabwägung dabei auch noch eine erhebliche Weite und nicht etwa den Charakter einer Ausnahmeregelung aufweist. In diesem Zusammenhang wurde von Neumann korrekt festgestellt, dass der Regelungsgehalt des § 216 StGB ausschließlich darin besteht, Eingriffe in das Leben eines anderen zu untersagen, weshalb dieselbe Norm nicht herangezogen werden kann, um mit ihrer Hilfe die Eingriffsmöglichkeiten des Täters zu erweitern.62 § 34 StGB würde hier allein dazu dienen, die gezogenen Grenzen der Rechtfertigungsmöglichkeiten auszuhebeln.63 Nach Erb darf der rechtfertigende Notstand jedoch nicht zur „Metanorm“

57

Boll, Kompetenzüberschreitungen, S. 109. Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 583. 59 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 35; dagegen Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35. 60 Merkel, Früheuthanasie, S. 158 f. 61 Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 211 Rn. 7; Arthur Kaufmann, in: FS Roxin 2001, S. 841 ff.; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 27; ähnlich Rengier, BT II, § 6 Rn. 1: „Unantastbarkeit“; kritisch dazu Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 14. 62 So Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35, in Hinblick auf die Rettung eines Suizidwilligen, der allerdings im Widerspruch dazu im Rahmen der indirekten Sterbehilfe doch wieder das gemäß § 216 StGB mangelnde Selbstbestimmungsrecht zur Begründung der Anwendung des § 34 StGB heranzieht, vgl. Rn. 37. 63 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 32 u. 34; Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 9. 58

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

erhoben werden, die der „abstrakt-generellen Korrektur“ von unangemessenen Beschränkungen der Erlaubnistatbestände dienen soll.64 Auch die Argumentation, dass jenseits der Grenzen der Einwilligungsfähigkeit keine Verletzung der Autonomie mehr möglich sei, kann nicht überzeugen. Es wurde bereits nachgewiesen, dass auch in diesen Fällen eine weitreichende Anwendung der Rechtfertigungsgründe der ausdrücklichen und mutmaßlichen Einwilligung möglich ist.65 An die Stelle des Willens des Betroffenen tritt hier die Entscheidung des gesetzlichen Vertreters. Bei dessen Abwesenheit kann auf seine mutmaßliche Einwilligung abgestellt werden. Verweigert der Vertreter die Zustimmung hingegen pflichtwidrig, so wird sie vom Familiengericht erteilt, und ist dies zeitlich nicht abzuwarten, kann die mutmaßliche Entscheidung des Gerichts ermittelt werden.66 Da die jeweiligen Vertreter nicht frei entscheiden dürfen, sondern dazu verpflichtet sind, ihr Verhalten am objektiven Wohl des Vertretenen auszurichten, kann hier zwar nicht mehr von einer Autonomieverletzung durch Anwendung des rechtfertigenden Notstands gesprochen werden, dennoch sprechen gute Gründe für die vorrangige Anwendung der Regeln zur Einwilligung. Würde nämlich allein die Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen den Rückgriff auf § 34 StGB ermöglichen, so würde das gesetzlich angeordnete Verfahren der stellvertretenden Entscheidung weitreichend überflüssig. So könnte beispielsweise ein Arzt einen medizinisch gebotenen Eingriff bei einem Geisteskranken stets ohne vorherige Befragung des gesetzlich bestellten Betreuers durchführen, da er niemandes Selbstbestimmungsrecht übergehen würde. Dies ist eine Konsequenz, die sicher niemand befürwortet, da zum einen bei Kindern das verfassungsrechtlich garantierte Recht der Eltern zur Wahrnehmung der Fürsorge67 und ansonsten jedenfalls die dezidierten zivilrechtlichen Regeln zur Vertretung übergangen würden. Der rechtfertigende Notstand soll deshalb stets nur nachrangig zur Anwendung kommen, wenn keine Zeit mehr zur Einholung einer ausdrücklichen Einwilligung verbleibt.68 Doch wiederrum ist nicht ersichtlich, aus welchen Voraussetzungen des § 34 StGB sich diese Form der Subsidiarität ergeben soll. Den Vorrang der gesetzlich angeordneten Vertretung kann man letztlich nur garantieren, indem man gänzlich innerhalb der Kriterien zur mutmaßlichen Einwilligung verbleibt, die allein in der Lage sind, den lediglich nachrangigen Rückgriff auf objektive Abwägungsgesichtspunkte sicherzustellen.

64

Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 34. Siehe D. III. 1. 66 So auch Engländer, GA 2010, 15, 24; Müller, in: Medizinstrafrecht, 2. Aufl., S. 31, 43. 67 Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG; vgl. BVerfGE 24, 119, 143 f.; BVerfGE 47, 46, 70; BVerfGE 60, 79, 88. 68 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 36; Jescheck/Weigend, AT, S. 382; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 15; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 8a; Roxin, AT I, § 13 Rn. 92. 65

II. Das Rechtfertigungsprinzip der Einwilligung

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3. Wahrung des Selbstbestimmungsrechts durch den rechtfertigenden Notstand Eine Verletzung des Autonomieprinzips durch die Anwendung des rechtfertigenden Notstands soll des Weiteren dadurch ausgeschlossen sein, dass § 34 StGB selbst das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen achtet oder gar erst wirksam durchsetzt. Dies soll vor allem im Rahmen der durchzuführenden Interessenabwägung geschehen, entweder dadurch, dass die Autonomie des Eingriffsopfers als eigenständiges, abzuwägendes Interesse in diese eingestellt wird, oder dadurch, dass die Gewichtung der zu berücksichtigen Belange nach den individuellen Präferenzen des Gefährdeten erfolgt.69 In diesem Zusammenhang wurde bereits festgestellt, dass eine zusätzliche Beachtung der Autonomie im Zuge der Interessenabwägung nicht möglich ist.70 Der rechtfertigende Notstand ist auf eine objektivierte Würdigung der betroffenen Belange ausgerichtet und angewiesen und verwirklicht die Respektierung des Selbstbestimmungsrechts des Eingriffsopfers bereits abschließend durch das Erfordernis eines nicht nur einfachen, sondern wesentlichen Interessenübergewichts.71 Darüber hinaus wird ein solches Vorgehen teilweise auch als überflüssig bewertet, da bei einer konsequenten Orientierung der Interessenabwägung am Willen des Betroffenen die Ergebnisse nach § 34 StGB stets mit denen der ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einwilligung übereinstimmen müssten, sodass dem rechtfertigenden Notstand hier gar kein eigener Regelungsgehalt zukäme.72 Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass auf diesem Wege jedenfalls die Grenzen der Einwilligungsfähigkeit und der Einwilligungsbefugnis überwunden werden können.73 Dies verweist auf ein weiteres Argument für die Anwendung des rechtfertigenden Notstands auf interne Interessenkonflikte: Indem dem Täter Eingriffe ermöglicht würden, die das Eingriffsopfer selbst mittels einer autonomen Entscheidung nicht legalisieren könne, werde die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts ausschließlich erweitert. § 34 StGB ermögliche dort die Durchsetzung des individuellen Willens, wo die Einwilligung nicht mehr weiterhelfe. So sei im Rahmen der Sterbehilfe die Achtung des Sterbewunsches durch § 216 StGB grundsätzlich versagt, während der rechtfertigende Notstand die Maßgeblichkeit der eigenen Präferenzen des Schwerkranken wiederherstellen könne. Die Anwendung auf diese Fälle ver69

Vgl. Bottke, Suizid, S. 123; Diettrich, Organentnahme, S. 163; Merkel, Früheuthanasie, S. 163; Seelmann, Verhältnis, S. 71. 70 Siehe D. IV. 1. 71 Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 254; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 21; Pawlik, Notstand, S. 143; Renzikowski, Notstand, S. 61. 72 Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 37; Kindhäuser, LPK-StGB, § 34 Rn. 39; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 54. 73 Eben dies wird Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 54, allerdings vor Augen haben, wenn er Abweichungen von den Ergebnissen der Einwilligung als „in höchstem Maße bedenklich“ bezeichnet.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

letzte also nicht das Selbstbestimmungsrecht, sondern erweitere es und setze es durch.74 Deshalb entstehe auch kein Konflikt zum Rechtfertigungsgrund der (mutmaßlichen) Einwilligung, weil dessen Leitgedanke, die persönliche Autonomie zu respektieren, hier durch den rechtfertigenden Notstand nur weiter verfolgt werde.75 An dieser Begründung muss zunächst der Widerspruch zur zuvor erläuterten Argumentation auffallen, nach der die Anwendung des rechtfertigenden Notstands das Selbstbestimmungsrecht dort nicht verletzen könne, wo dieses nicht mehr bestehe. Wenn jenseits der Einwilligungsfähigkeit und der Dispositionsbefugnis keine zu respektierende Autonomie existieren soll, kann deren Achtung auch nicht für den erweiterten Rückgriff auf § 34 StGB angeführt werden. Aber auch wenn man ein über die Grenzen der Einwilligung hinausgehendes Selbstbestimmungsrecht anerkennt, ist es nicht zwingend, dieses mit Hilfe des Notstands durchzusetzen. Denn so sehr auch über den Rechtsgrund des rechtfertigenden Notstands diskutiert wird76, muss darüber Einigkeit bestehen, dass dieser Erlaubnistatbestand jedenfalls nicht genuin zur Durchsetzung persönlicher Autonomie berufen ist. Diese Aufgabe ist viel mehr den eindeutig nur auf dieses Prinzip ausgerichteten Rechtfertigungsgründen der ausdrücklichen und mutmaßlichen Einwilligung zugedacht. Es sollte daher näher liegen, alle Fälle verfassungsrechtlich garantierter Selbstbestimmung den eigens für diese geschaffenen Normen zu unterstellen und gegebenenfalls deren Grenzen mit den tatsächlichen Beschränkungen der Autonomie in Einklang zu bringen. Denn wenn, wie angenommen, das Rechtsinstitut der Einwilligung unmittelbarer Ausfluss des Rechts zur freien Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG ist, dann muss seine Ausgestaltung und Reichweite auch mit diesem übereinstimmen. Dies spricht dann wiederum dafür, dass es ein Selbstbestimmungsrecht jenseits des Einwilligungsrechts, auf das sich die Anwendung des rechtfertigenden Notstands berufen könnte, nicht geben kann. Ein weiterer Vorschlag, der Autonomie des Betroffenen innerhalb der Anwendung des rechtfertigenden Notstands Geltung zu verschaffen, besteht schließlich darin, über das Korrektiv der Angemessenheitsklausel nach § 34 S. 2 StGB Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts aus dem Bereich gerechtfertigter Handlungen auszuschließen.77 Diese soll hierzu neben der Interessenabwägung gemäß S. 1 eine zweite Wertungs- und Abwägungsebene darstellen, auf der vor allem der sozialethische Sinn der Notstandshandlung gewürdigt werde.78 Solange der Betroffene

74

Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 583 u. 589; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 37. Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 563. 76 Siehe dazu unten E. III. 77 Bottke, Suizid, S. 90 u. 124; Jescheck/Weigend, AT, S. 363 f.; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 34; für den Fall der Verletzung der Befugnisse eines Fürsorgeberechtigten auch Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 42. 78 Zur Frage, ob der Angemessenheitsklausel überhaupt eine eigene Funktion zukommt, vgl. bereits die Verweise unter A. IV. 75

II. Das Rechtfertigungsprinzip der Einwilligung

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dem Eingriff in freiverantwortlicher und zulässiger Weise widerspreche, soll die Tat demnach als unangemessen zu bewerten sein.79 Auch dieser Methodik ist entgegenzuhalten, dass die Autonomie des Eingriffsopfers bereits durch die erforderliche Wesentlichkeit des Überwiegens bei der Interessenabwägung Berücksichtigung findet. Daher würde das zusätzliche Heranziehen dieses Kriteriums auf Ebene der Angemessenheitsklausel hier zu einer doppelten und damit unangemessenen Gewichtung führen. Darüber hinaus muss die Ausschlussfunktion des § 34 S. 2 StGB als nicht sehr konsequent und nicht hinreichend präzise bezeichnet werden. Der Begriff der Angemessenheit und sein Verständnis als sozialethisches Korrektiv geben dem Rechtsanwender weitreichende Ausfüllungsmöglichkeiten an die Hand, mit deren Hilfe ein Einfallstor zum erheblichen Übergehen individueller Präferenzen geschaffen werden könnte. Auf diese Weise bestünde die Möglichkeit, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen schließlich einer allgemeinen Abwägung mit gesellschaftlichen Interessen preiszugeben. Doch letztlich besteht Einigkeit darüber, dass es sich bei der Angemessenheitsklausel – soweit man ihr überhaupt eigenständige Bedeutung zumisst – um eine begrenzte Ausnahmeregelung zur Wahrung fundamentaler Werte handelt.80 Dann wiederrum passt aber die Berücksichtigung der Autonomie in diesem Rahmen nicht, weil sie keine Ausnahme sondern die Regel sein muss. Das Selbstbestimmungsrecht ist kein letztes Korrektiv, dass ein an sich vorhandenes Eingriffsrecht im gedanklich letzten Moment doch wieder ausschließt, sondern ein zuvorderst zu berücksichtigender Grundsatz, der zumeist sogar ganz für sich über die Zulässigkeit der Handlung abschließend entscheidet. 4. Dysfunktionalität des Wesentlichkeitserfordernisses Der rechtfertigende Notstand setzt zur Erlaubnis eines Eingriffs voraus, dass das durch diesen geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Die Bedeutung der Wesentlichkeit ist dabei seit jeher umstritten. Ein Teil der Lehre versteht sie lediglich als eine klarstellende Formulierung, um Fälle zweifelhafter Wertdifferenzen aus dem Anwendungsbereich des § 34 StGB auszuschließen.81 Dies wird aber zum einen schon dem Wortlaut der Norm nicht gerecht82 und verkennt zum anderen vor allem die Funktion dieses Kriteriums als Einschränkung des Notstandsrechts zur Wahrung der individuellen Freiheit des Eingriffsopfers. Denn eine freiheitliche Werteordnung muss zunächst davon ausgehen, dass der Einzelne nicht dazu verpflichtet ist, seine Güter allein zu Gunsten Dritter preiszugeben, sondern ihm 79

Wagner, Selbstmord, S. 131 f. Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 21; Gallas, ZStW 80 (1968), 1, 27; Kühl, AT, § 8 Rn. 167: „Appell- oder Korrektureffekt“; Momsen, in: BeckOK-StGB, § 34 Rn. 19. 81 Diettrich, Organentnahme, S. 117; Jescheck/Weigend, AT, S. 362; Kühl, AT, § 8 Rn. 101; Lackner/Kühl, StGB, § 34 Rn. 6; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 82; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 45; Roxin, AT I, § 16 Rn. 90. 82 Engländer, GA 2010, 15, 18; Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 23. 80

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

das Recht zusprechen, diese ausschließlich nach eigenem Gutdünken zu verwenden. Von diesem Grundsatz dürfen nun nicht schon dann Ausnahmen gemacht werden, wenn ein beliebiges anderes Interesse als geringfügig höherwertig anzusehen ist. Denn ein unter einem solch weitreichenden Vorbehalt gewährtes Recht würde für den Inhaber einen Gutteil des ihm innewohnenden Wertes verlieren. Deshalb können nur überragende Belange zur Einbeziehung von Rechtspositionen eines Unbeteiligten führen, wie es auch § 904 S. 1 BGB mit dem Erfordernis eines drohenden unverhältnismäßig großen Schadens voraussetzt.83 Eben diese Grenze wird durch die Voraussetzung der Wesentlichkeit in den rechtfertigenden Notstands eingebracht, weshalb dementsprechend kein einfaches, sondern nur ein erhebliches beziehungsweise qualifiziertes Interessenübergewicht zur Rechtfertigung führen kann.84 Die so zu interpretierende Voraussetzung des wesentlichen Überwiegens macht nun aber im Rahmen intrapersonaler Konflikte erkennbar keinen Sinn.85 Wiegt für den allein Betroffenen eines seiner Interessen auch nur unerheblich höher als das dem entgegenstehende, so wird er diesem regelmäßig den Vorrang einräumen wollen. Doch die Anwendung des rechtfertigenden Notstands könnte sogar das Gegenteil bewirken: Ist der Erhaltung des gefährdeten Rechtsguts lediglich geringfügig höhere Bedeutung zuzumessen als der Erhaltung des Eingriffsguts, so muss § 34 StGB die Rechtfertigung verweigern. Damit bliebe das Unrechtsurteil des Tatbestandes bestehen und der Eingriff verboten. Obwohl der Rechtsgutsträger also die Abwendung der Gefahr unter herkömmlichen Voraussetzungen wünschen würde, wäre die Erfüllung dieses Wunsches hier mitunter strafbar. Dies demonstriert erneut die mangelnde Vereinbarkeit des rechtfertigenden Notstands mit dem Selbstbestimmungsprinzip; denn Gründe dafür, dem nur einfach überwiegenden Interesse nicht zur Durchsetzung zu verhelfen, existieren bei internen Kollisionslagen nicht. Wie gezeigt soll das Wesentlichkeitserfordernis das Eingriffsopfer vor einer übermäßigen Beanspruchung seiner Rechtsgüter durch Dritte bewahren, also dessen Schutz dienen. Doch dieses Schutzes bedarf der Betroffene hier ersichtlich nicht, auch weil er ihm nicht etwa einen Vorteil, sondern sogar einen Nachteil einbringt, da die ihm erwünschte Interessenlage in der Folge nicht hergestellt werden kann.86 Bei internen 83

Vgl. zu dieser Argumentation Böse, ZStW 113 (2001), 40, 59; Gallas, ZStW 80 (1968), 1, 23 f.; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 67. Sie beruht zudem wesentlich auf dem Verständnis des § 34 StGB als Durchsetzung der Solidaritätspflichten des Eingriffsopfers, so Frister, AT, Kap. 17 Rn. 9; Renzikowski, Notstand, S. 241 f., worauf hier jedoch erst später und gesondert eingegangen werden wird. Man beachte in diesem Kontext auch die erhöhten Anforderungen an eine öffentlich-rechtliche Inanspruchnahme von Nichtstörern, etwa nach § 20 Abs. 1 BPolG, § 6 Abs. 1 PolG NW oder § 9 Abs. 1 PolG BW. 84 Böse, ZStW 113 (2001), 40, 59; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 106 f.; Frister, AT, Kap. 17 Rn. 9; Frister, GA 1988, 291, 293 Fn. 5; Haas, Kausalität, S. 253; Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 33; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 67; Rengier, AT, § 19 Rn. 43; Renzikowski, Notstand, S. 240 ff.; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 31; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 76. 85 Hruschka, Strafrecht, S. 174 f.: „völlig irrational“; trotz Anwendung des § 34 StGB auch Merkel, Früheuthanasie, S. 533 Fn. 26: „offensichtlich obsolet“. 86 Engländer, GA 2010, 15, 22; Knauf, Einwilligung, S. 88 f.

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

137

Interessenkollisionen muss also stets das einfache Überwiegen eines Interesses als ausreichend angesehen werden, wie es im Rahmen des § 34 StGB jedoch grundsätzlich nicht möglich ist.87 Auch Merkel erkennt die Funktionslosigkeit des Wesentlichkeitserfordernisses, so wie es im Normalfall verstanden wird, in den hiesigen Fällen an, zieht daraus aber nur die Konsequenz, dass dessen Bezugsgegenstand hier anders verstanden werden müsse. Nicht die „Quantitäten der abgewogenen Interessen“ seien ausschlaggebend, sondern die „Qualität der vorgenommenen Wahl als richtig oder falsch“. Bei intrapersonalen Konflikten sei die Entscheidung für das nur einfach überwiegende Interesse als die richtige Wahl zu bewerten und die für das knapp unterliegende folglich als die falsche. Die richtige Alternative überwiege die falsche nun stets wesentlich, womit den Anforderungen des § 34 StGB genüge getan sei.88 Schon Engländer hat hiergegen zutreffend hervorgehoben, dass der Wortlaut des rechtfertigenden Notstands eindeutig ein wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses verlangt und deshalb ein solches der Entscheidungsqualität nicht genügen kann.89 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass eine solche Rhetorik die Funktion der Interessenabwägung insgesamt gefährdet. Denn wenn hier die Anwendung eines solches Maßstabes ohne eine Grundlage in § 34 StGB möglich sein soll, wodurch ist dann auszuschließen, dass dies nicht auch in weiteren Fällen geschieht? Und wenn es letztlich nur auf die Bewertung des Eingriffs als richtig oder falsch ankommt, ist nicht ersichtlich, warum überhaupt noch ein Interessenübergewicht vonnöten sein soll. Vielmehr wird die Rechtfertigung somit zu einer ausschließlich moralischen Frage, was einerseits rechtlich bedenklich ist und andererseits keinerlei einheitliche Beantwortung erwarten lässt. Das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht als Grundlage der Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung liefert somit gute Gründe dafür, interne Interessenkollisionen allein nach den Regeln dieser Rechtfertigungsgründe zu beurteilen. Der rechtfertigende Notstand ist weder in der Lage das Übergehen autonomer Entscheidungen wirksam auszuschließen noch eröffnet er die Möglichkeit, Selbstbestimmungsakte dort zu respektieren, wo das Eingreifen einer Einwilligung ausgeschlossen ist.

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands Im Gegensatz zur Einwilligung, deren Basis unbestritten das Selbstbestimmungsrecht des Einwilligenden darstellt, besteht über das dem rechtfertigenden 87

Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 34, Abschn. 15 Rn. 16; Pawlik, Notstand, S. 104 Fn. 140; generell kritisch zum Erfordernis eines (auch nur einfachen) Interessenübergewichts bei Behandlungsabbrüchen Stratenwerth, in: FS Schreiber, S. 893, 900. 88 Merkel, Früheuthanasie, S. 533. 89 Engländer, GA 2010, 15, 23.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

Notstand zu Grunde liegende Rechtfertigungsprinzip, und damit über dessen Legitimationsursprung, keine Einigkeit.90 Dies liegt vor allem daran, dass die Rechtsordnung ein Notstandsrecht nicht zwangsläufig gewähren muss, sondern dem Gefährdeten auch auftragen könnte, die Gefahr selbst zu tragen und ihr ausschließlich mit dem Einsatz eigener Mittel entgegenzutreten. Demgegenüber wäre ein System ohne die Möglichkeit der Einwilligung, womit vor allem die Möglichkeit der Zustimmung zu ärztlichen Heileingriffen ausgeschlossen würde, undenkbar. Die Existenz des Notrechts kann sich daher nicht aus sich heraus erklären, sondern bedarf einer in die Systematik der Rechtsordnung passenden Begründung. Als bereits im Ausgangspunkt problematisch erweist sich dabei, dass der rechtfertigende Notstand eher im Widerspruch als im Einklang mit übergeordneten Grundsätzen zu stehen scheint, denn das freiheitliche Rechtsgutsverständnis weist Inhaberschaft und Verfügungsgewalt über rechtlich anerkannte und damit geschützte Individualinteressen ausschließlich dem jeweiligen Rechtsgutsträger zu. Diese Eigenständigkeit entbindet den Einzelnen grundsätzlich von der Pflicht, seine Güter für andere oder zu Gunsten der Allgemeinheit aufopfern zu müssen. Rechtsgüter werden dem Individuum nämlich nicht unter dem allgemeinen Vorbehalt zugewiesen, sie jederzeit wieder einem anderen, der ihrer aktuell bedarf, zuordnen zu können, weil eine solche Einschränkung den Wert der Individualgüter an sich konterkarieren würde.91 Vielmehr gewähren sie gerade das Recht, grundsätzlich sämtliche Zugriffe anderer zu untersagen. Wenn ein solches Abwehrrecht allerdings für jedermann besteht, dann folgt aus der Befugnis, Interventionen Dritter ausschließen zu können, zugleich das Verbot in Rechtspositionen anderer eingreifen zu dürfen.92 Die persönliche Freiheit bewahrt den Einzelnen daher nur vor Beeinträchtigungen seiner Güter, begründet für diesen aber keinen Anspruch darauf, zur positiven Förderung seiner Belange auf Positionen Dritter zugreifen zu dürfen.93 Nachteile und damit insbesondere drohende Gefahren muss der Rechtsgutsinhaber folglich – solange es sich dabei nicht um menschliche Eingriffe handelt, zu deren Abwehr der Verursacher herangezogen werden kann – selbst tragen.94 Die liberale Rechtsordnung begründet insofern ein Prinzip der Eigenverantwortlichkeit.95 Die Regelung des rechtfertigenden Notstands, nach der zur Abwendung gegenwärtiger Gefahren auch gegen den Willen des Eingriffsopfers auf die Interessen gänzlich Unbeteiligter zugegriffen werden darf, kollidiert nun offensichtlich mit dieser Verteilung von Gütern und Freiheiten.96 Sie steht damit im direkten Wider90

Vgl. zur Diskussion im Überblick Kühl, AT, § 8 Rn. 1 ff.; Roxin, AT I, § 16 Rn. 1 ff. Frister, GA 1988, 291 f.; ähnlich Lenckner, Notstand, S. 111 f. 92 Pawlik, Notstand, S. 17. 93 Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 31. 94 Haas, Kausalität, S. 254; Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 33; Renzikowski, Notstand, S. 191. 95 Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 7. 96 Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 157; Merkel, in: Zustand, S. 171, 176. 91

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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spruch zur prinzipiell gewährten autonomen Verfügungsbefugnis.97 Selbstverständlich geht zwar allen voran bereits das Grundgesetz nicht von einer schrankenlosen Zuordnung von Rechtspositionen aus, doch Eingriffsbefugnisse sollen grundsätzlich nur dem Staat zustehen, der mit ihrer Hilfe das Zusammenleben der Gemeinschaft zu regeln hat, während die Bürger eine Friedenspflicht treffen soll.98 Auf diese Art und Weise konstituiert sich letztlich das staatliche Gewaltmonopol. Die Notstandsregelung durchbricht dieses nun zielgerichtet, indem in gewissen Situationen dem Bürger das Recht zur Gewaltausübung übertragen wird. Ließe sich diese Ausnahme vom Gewaltmonopol jedoch nicht hinreichend legitimieren, so würde durch das Notstandsrecht eine Gefährdung des gesamtgesellschaftlichen Friedens drohen.99 Dem Eingriffsopfer wird in diesem Rahmen also ein Sonderopfer auferlegt, welches über seine gewöhnlichen, dem Staat gegenüber bestehenden Duldungspflichten hinausgeht, weshalb die Begründung vor allem diesem gegenüber Bestand haben muss.100 Von vornherein muss jedoch der Gedanke zur Legitimation des rechtfertigenden Notstands ausscheiden, dass allein die konkrete Gefahrenlage, also die Notsituation oder lediglich die vorliegende Kollision widerstreitender Interessen den Eingriff erlauben könnten. Denn diese äußeren Umstände beschreiben nur die Notstandslage, es kann aber nicht reflexartig von einem tatsächlichen Sein auf ein rechtliches Dürfen geschlossen werden. Das bloße Verlangen des Gefährdeten kann ihm kein Recht zubilligen und damit nicht allein die Not jedes Gebot übergehen.101 Die Grundlage des Notstandsrechts ist daher in einem übergeordneten Rechtsprinzip zu suchen, welches vor allem den Vorwurf der Systemwidrigkeit entkräften können muss.102

1. Ausgangspunkte der Diskussion bei Kant und Hegel Vor der gesetzlichen Kodifizierung des rechtfertigenden Notstands in § 34 StGB stand lange Zeit nicht die Frage danach im Mittelpunkt, welches Rechtfertigungsprinzip dem Notstandsrecht zu Grunde liegt, sondern ob es überhaupt eine legitime Basis für ein solches geben kann. An prominentester Stelle vertrat Kant den Standpunkt, dass auch der Notleidende kein Recht habe, in die Güter eines für die Gefahrenlage nicht Verantwortlichen einzugreifen. Er fasste dies mit der prägenden Formel zusammen: „Der Sinnspruch des Nothrechts heißt: ,Noth hat kein Gebot […]‘; und gleichwohl kann es keine Noth geben, welche, was unrecht ist, gesetzmäßig machte“.103 Zur Veranschaulichung zieht Kant den Beispielsfall des Brettes 97

Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 7. Pawlik, Notstand, S. 1. 99 Lenckner, Notstand, S. 113 f. 100 Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 150 u. 157; Küper, JZ 2005, 105. 101 Kühl, AT, § 8 Rn. 7; Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 37; Pawlik, Notstand, S. 2. 102 Küper, JZ 2005, 105. 103 Kant, Metaphysik, Einleitung XLII. 98

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

des Karneades heran, bei dem ein Schiffbrüchiger sein eigenes Leben ausschließlich dadurch retten kann, dass er einen anderen von einem Brett stößt, welches nur einen von ihnen zu tragen vermag. Die Tötung könne in diesem Fall nicht der objektiven Gesetzmäßigkeit entsprechen, gleichwohl bliebe das Strafgesetz hier aber wirkungslos, weil die Androhung des Todes durch den Richterspruch – Kant geht von einer Ahndung mit der Todesstrafe aus – die Furcht vor dem sicheren Tode durch das Ertrinken nicht überwiegen könne. Die Gebote des Rechts könnten hier also unter keinen Umständen dazu führen, dass der Notleidende tatsächlich auf die Vornahme seiner Handlung verzichte. Deshalb sei der Totschlag zwar nicht unsträflich – also nicht rechtmäßig – aber unstrafbar, worunter Kant eine subjektive Straflosigkeit versteht.104 Auf den aufgeworfenen Beispielsfall bezogen entspricht diese Lösung weitestgehend auch der heutigen Rechtslage, da hier auf Grund des Eingriffs in das Rechtsgut Leben eine Rechtfertigung gemäß § 34 StGB nicht in Betracht kommt aber überwiegend eine Entschuldigung des Täters nach § 35 StGB angenommen wird.105 In der Folge lässt sich natürlich die Frage aufwerfen, ob Kants Ablehnung eines Notstandsrechts sich damit nicht ausschließlich auf derartige Sachverhalte, in denen die Aufopferung des Lebens eines nicht für die Notstandslage Verantwortlichen in Rede steht, bezieht und seinen Ausführungen folglich keine Bewertung des nunmehr geltenden rechtfertigenden Notstands entnommen werden kann, der nur Eingriffe in geringwertigere Rechtsgüter erlaubt.106 Tatsächlich verweist er nicht nur auf den genannten Beispielsfall des Brettes des Karneades, sondern nimmt bereits im Zuge der Beschreibung des Notrechts ausschließlich auf die Tötung im Aggressivnotstand Bezug.107 Allerdings ist Kants Fazit sodann nicht nur offen, sondern so umfassend und absolut formuliert, dass es jede andere Handhabung des Notstands ausschließt („kann es keine Noth geben“). Darüber hinaus wurde in der Literatur vielfach nachgewiesen, dass die Ablehnung eines rechtfertigend wirkenden Notstands und die vorgenommene Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Straflosigkeit sich unmittelbar in die gesamte Lehre Kants einfügen, beziehungsweise sich notwendigerweise aus dieser ergeben.108 Dennoch hat er somit dem Notstand nicht jede rechtliche Beachtlichkeit abgesprochen, sondern ihn lediglich aus der objektiven Gesetzmäßigkeit ausgeschlossen, was unter heutiger Diktion der Verneinung einer rechtfertigenden Wirkung ent104

Kant, Metaphysik, Einleitung XLI f. Kühl, AT, § 8 Rn. 4; Momsen, in: BeckOK-StGB, § 35 Rn. 4; Müssig, in: MK-StGB, § 35 Rn. 2 Fn. 4; Wessels/Beulke, AT, Rn. 316; vgl. zur Diskussion, solche Grenzfälle einem rechtsfreien Raum zuzuordnen, Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 55. 106 Vgl. Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 19. 107 Kant, Metaphysik, Einleitung XLI: „Dieses vermeinte Recht soll eine Befugniß seyn, im Fall der Gefahr des Verlusts meines eignen Lebens, einem Anderen, der mir nichts zu Leide that, das Leben zu nehmen.“ 108 Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 146 u. 149; Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 20 ff.; Küper, JZ 2005, 105, 108 f.; Küper, in: FS Wolff, S. 285, 293; Pawlik, Notstand, S. 18 ff. 105

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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spricht.109 Daraus ergibt sich jedoch der gravierende Unterschied, dass dem Eingriffsopfer gerade nicht die für § 34 StGB typische Duldungspflicht auferlegt wird und diesem folglich das Recht zum Widerstand gegen den Eingriff erhalten bleibt. Von daher ist es ausgeschlossen, dass der dem Notstand von Kant zu Grunde gelegte Rechtsgedanke die Basis für das heutige Notstandsrecht bilden könnte. Die aktuelle Gesetzeslage postuliert eindeutig, dass der Notstand nicht nur eine ethische und moralische Pflicht des Eingriffsopfers zur Rücksichtnahme begründet, sondern auch einen gesetzmäßigen Anspruch des Eingriffstäters, der aus einer noch näher zu bestimmenden Gemeinschaftsbezogenheit des Individuums folgen muss.110 Im Gegensatz zu Kant sprach sich Hegel für eine weiterreichende, rechtliche Anerkennung des Notstands aus. Dabei geht aber auch er zunächst von der Grundannahme aus, dass die Absicht, das eigene Wohl oder das Wohl eines anderen zu fördern, „nicht eine unrechtliche Handlung rechtfertigen“ könne.111 Sodann wirft er jedoch die Fallkonstellation auf, in der die Beendigung eines Lebens nur durch einen Eingriff in fremdes Eigentum abgewendet werden kann. Hier kommt er zu dem Ergebnis, dass dem Leben in dieser Situation ein „Nothrecht“ zuzusprechen sei, und betont dabei in einem Klammerzusatz, dass dieses „Nothrecht (nicht als Billigkeit, sondern als Recht)“ anzuerkennen sei.112 Auch wenn teilweise bestritten wird, dass der verwendete Begriff des Rechts mit der heutigen Kategorie der Rechtfertigung übereinstimmt113, so widerspricht er damit wohl jedenfalls der Auffassung Kants, nach der der Notstandstäter vor Gericht nur „Nachsicht erlangen kann“.114 In seiner Begründung führt Hegel an, dass hier „auf der einen Seite die unendliche Verletzung des Daseyns und darin die totale Rechtlosigkeit, auf der anderen Seite nur die Verletzung eines einzelnen beschränkten Daseyns der Freiheit steht“.115 Auf Grund dieses Verweises auf den gravierendsten Fall des drohenden Todes und der zuvor genannten Grundannahme, welche die Anerkennung eines Notstandsrechts eigentlich ausschließt, wird im Falle Hegels noch intensiver als bei Kant diskutiert, ob seine Ausführungen zum Notstand nicht nur für den aufgeworfenen Beispielsfall gelten sollen, ob also seine Annahme eines Notrechts nicht ausschließlich die Abwendung einer Lebensgefahr erfasst und somit bei allen übrigen Interessenkollisionen die Legitimierung des Eingriffs zu verweigern ist.116 In der Tat bespricht Hegel nicht das Gegenüberstehen von zwei einzelnen Freiheitsrechten, sondern nur den Konflikt mit dem Leben als „Totalität“ aller Interessen. Er leitet den Abschnitt 109

Küper, JZ 2005, 105, 108; Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 84 f. Vgl. Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 8. 111 Hegel, Grundlinien, § 126. 112 Hegel, Grundlinien, § 127. 113 Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 97. 114 Kant, Metaphysik, Einleitung XLII. 115 Hegel, Grundlinien, § 127. 116 Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 144 f. u. 152; Kühl, AT, § 8 Rn. 5; Küper, JZ 2005, 105, 111; Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 90 u. 94 f. 110

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

zudem mit dem hervorgehobenen Hinweis ein, dass es sich bei dieser Totalität um eine „Besonderheit“ handele. Und schließlich zieht er als Parallele heran, dass einem Schuldner von einem Gläubiger stets (nur) so viel zu lassen sei, dass dieser für seine standesgemäße Ernährung, also den Erhalt seines Lebens, sorgen könne.117 Es scheint daher konstitutive Voraussetzung dieses Rechts zu sein, dass gerade das „unendliche“ Leben mit einem endlichen anderen Recht kollidiert.118 Vor allem Pawlik, der seine eigene Notstandslehre auf der Basis Hegels entwickelt, wendet sich jedoch gegen eine solch punktuelle Interpretation. Nach ihm spricht vor allem der unbedingte Systemwille Hegels gegen ein derartiges Verständnis, welches das Notstandsrecht zur Ausnahme für den Fall des Lebensnotstands macht. Dafür, dass ausschließlich Fälle des drohenden Todes erfasst seien, gebe es keine Grundlage in der übrigen Lehre Hegels. Im Gegenteil lasse sich aus seiner Systematik das Fundament für ein allgemeines Notstandsrecht gewinnen, sodass es vermessen wäre, Hegel hier im Ergebnis einen Widerspruch zu seiner übrigen Dogmatik vorzuwerfen.119 Küper hebt an Hegels Beitrag hingegen hervor, dass dieser jedenfalls erstmals an prominenter Stelle die qualitative Bewertung der betroffenen Interessen zur Beurteilung des Notrechts in den Mittelpunkt gestellt habe. Dies habe den Weg zur Maßgeblichkeit einer Güter- oder Interessenabwägung bereitet, so wie sie auch heute in § 34 StGB vorgeschrieben ist.120 Soweit aus diesem Umstand gefolgert wurde, dass Hegel allein das Prinzip des überwiegenden Interesses zur maßgeblichen Rechtsgrundlage des Notstandsrechts erhebe, wendet Pawlik dagegen ein, dass dies erneut eine Reduzierung seines Standpunktes darstelle, die den wesentlichen Aussagegehalt – wiederum insbesondere in Hinblick auf die Systematik Hegels – verkenne.121 Dennoch räumt auch Pawlik ein, dass den Ausführungen keine unmittelbare Aussage über die Grundlagen des Notstandsrechts entnommen werden kann, und macht Hegels Überlegungen daher auch nur zum Ausgangspunkt seines eigenen Lösungsansatzes.122 Korrekt ist daher festzuhalten, dass Hegel lediglich eine Entscheidung über die Zulässigkeit des Notstandseingriffs getroffen hat, aber selber noch nicht hinreichend erklärte, warum und woraus ein solches Recht besteht.123 2. Zwecktheorie und Güterabwägungstheorie Die ersten Bemühungen, Fällen des rechtfertigenden Notstands ein tragfähiges Rechtsprinzip zu Grunde zu legen, beginnen schon vor der eigentlichen Anerken117 118 119 120 121 122 123

Hegel, Grundlinien, § 127. Küper, JZ 2005, 105, 111. Pawlik, Notstand, S. 81. Küper, JZ 2005, 105, 111. Pawlik, Notstand, S. 98 ff. Pawlik, Notstand, S. 105. Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 156.

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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nung dieses Rechtsinstituts durch das Reichsgericht. In der strafrechtlichen Literatur wurde dazu teilweise auf die Zwecktheorie abgestellt. Nach ihr ist eine Tat dann zu rechtfertigen, wenn sie das angemessene Mittel zur Erreichung eines anerkannten Zwecks darstellt.124 Die Ausgestaltung der Fragen danach, wann ein Mittel angemessen und ein Zweck anerkannt ist, sollte im Einzelfall dadurch geschehen, dass der Richter sich in die Rolle des Gesetzgebers versetze und sich auf die „erlebte Kultur“ besinne. Konkret seien dabei wiederum „die in der Gemeinschaft herrschenden Kulturanschauungen, die in den staatlichen Einrichtungen erkennbar hervortretenden Wertungen, die ,Lebensgewohnheiten, Verkehrsgepflogenheiten, Zeitströmungen, vor allem aber die sittlichen Anschauungen und Kulturideale seiner Zeit und seines Volkes‘ […] maßgebend“.125 Der Vorteil einer solchen Herangehensweise liegt darin, dass bei der Beurteilung des Notstands – wie es bereits die obige Aufzählung von Schmidt zeigt – umfassend alle Gesichtspunkte der Lebenswirklichkeit berücksichtigt werden können. Der Richter ist somit nicht auf ein formales Abwägungsverfahren beschränkt, sondern kann alle Umstände des Einzelfalls in seine Beurteilung aufnehmen und dadurch im Idealfall stets ein gerechtes Ergebnis finden. Doch bereits von Liszt, einer der Anhänger dieser Auffassung, erkannte die dadurch auf der Hand liegende Gefahr rein willkürlicher Entscheidungen, welche er jedoch offensichtlich in Kauf zu nehmen bereit war.126 Das Reichsgericht hingegen erteilte der Zwecktheorie eine Absage und verwies dabei auf die nicht zu überschauende Weite eines derart ausgestalteten Rechtfertigungsgrundes.127 Seitdem hat sich die Kritik durchgesetzt, nach der dieser Ansatz keine hinreichenden Kriterien zur zuverlässigen Beurteilung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Notstandseingriffs zur Verfügung stellt. Er beschreibt keine in der Rechtsanwendung konkret zu fassenden Voraussetzungen, unter die ein sich stellender Problemfall handfest subsumiert werden könnte. Tatsächlich handelt es sich nicht nur um einen unbestimmten, sondern vielmehr um einen gänzlich inhaltsleeren Rechtssatz, mit dessen Hilfe jedes beliebige Ergebnis erzielt werden könnte.128 Darüber hinaus bezieht sich die Zwecktheorie nicht einmal spezifisch auf Notstandssituationen, da sie nicht an das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr gebunden ist. Dies bestätigt nicht nur den Eindruck der unerträglichen Weite, sondern weist auch darauf hin, dass die Frage danach, warum das zunächst unbeteiligte Eingriffsopfer einen Notstandseingriff zu dulden hat, in diesem Rahmen gar nicht beantwortet wird. Dass ein Dritter mit seinen Rechtsgütern für das Wohl eines an124

Grünhut, ZStW 51 (1931), 455, 460 f.; v. Liszt, Lehrbuch, § 32 II 2 a; Schmidt, ZStW 49 (1929), 350, 376. 125 Schmidt, ZStW 49 (1929), 350, 376. 126 v. Liszt, Lehrbuch, § 32 II 2 b. 127 RGSt 61, 242, 253; zustimmend Lenckner, Notstand, S. 62. 128 Lenckner, Notstand, S. 71; Pawlik, Notstand, S. 48; Renzikowski, Notstand, S. 41; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 2.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

deren einstehen muss, kann sich ob der gravierenden Qualität eines solchen Eingriffs nicht allein aus dem Satz ergeben, dass dies nun mal das rechte Mittel zum rechten Zweck sei.129 In diese Richtung ergänzt aber beispielsweise von Liszt, dass die Angemessenheit einer Handlung sich auch aus dem Zweck eines geregelten Zusammenlebens ergeben könne.130 Und Schmidt will die Beurteilung der Zweckmäßigkeit danach ausrichten, ob die vorgenommene Handlung, wenn man sie zur allgemeinen Norm generalisieren würde, als „kulturfördernd“ zu beurteilen wäre.131 Darin klingt die Begründung an, dass ein Notstandseingriff auf Grund der durch ihn erfolgten Förderung von Gemeinschaftswerten zulässig sein soll, das Eingriffsopfer also zu Gunsten der Allgemeinheit verpflichtet wird. In diesem Sinne kann man in der Zwecktheorie bereits einen im Kern utilitaristischen Ansatz sehen132, der als solcher erst später ausdrücklich formuliert wurde133. Trotz der überzeugenden Kritik entschied sich der Gesetzgeber allerdings dafür, die Grundzüge der Zwecktheorie in die Angemessenheitsklausel nach § 34 S. 2 StGB zu übernehmen.134 Eine Anerkennung als dem Notstand zu Grunde liegendes Rechtsprinzip ist darin jedoch nicht zu erblicken, weil zum einen eine Kombination mit der von S. 1 vorgeschriebenen und vorrangig zu prüfenden Interessenabwägung stattgefunden hat und zum anderen der Angemessenheitsklausel heute allenfalls noch eine korrigierende Wirkung beigemessen wird135 und sie damit nicht für sich über die Rechtmäßigkeit eines Eingriffs entscheidet. Der Zwecktheorie gegenüber stand in der Diskussion des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts die Güterabwägungstheorie. Ihr schloss sich schließlich 1927 auch das Reichsgericht an, indem es feststellte, „daß dann, wenn ein Ausgleich nicht anders möglich ist, als durch Vernichtung oder Schädigung des einen der beiden Rechtsgüter, das geringerwertige Gut dem höherwertigen weichen muß, der Eingriff in das geringerwertige also nicht rechtswidrig ist“.136 Dieser Ansatz stellt damit auf eine erheblich formalere Betrachtungsweise ab, indem er nicht die Angemessenheit des Eingriffs in seiner Gesamtheit wertend beurteilt, sondern lediglich das abstrakte Rangverhältnis der betroffenen Rechtsgüter zu bestimmen hat. So wird bei strenger Anwendung dieser Regel eine Verletzung des Eigentums immer statthaft sein, wenn sie den einzigen Weg zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit dar129

Vgl. Pawlik, Notstand, S. 48. v. Liszt, Lehrbuch, § 32 II 2 b. 131 Schmidt, ZStW 49 (1929), 350, 377. 132 So Küper, JZ 2005, 105, 106. 133 Siehe dazu unten E. III. 4. 134 Vgl. BGH NJW 1976, 680, 681; Lenckner, Notstand, S. 146; Roxin, AT I, § 16 Rn. 7. 135 So ausdrücklich Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 177: „Schranken“; Joerden, GA 1991, 411: „Korrektiv“; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 79: „Kontrollklausel“. 136 RGSt 61, 242, 254; bestätigend RGSt 62, 35, 46; RGSt 62, 137; RGSt 65, 422, 427; RGSt 77, 113; ebenso Beling, Grundzüge, § 22 II. 130

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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stellt, unabhängig davon, in welchem qualitativen wie quantitativen Ausmaß die Rechtsgüter geschützt oder beeinträchtigt werden. Der Vorteil dieser Herangehensweise liegt darin, dass sie in diesem schwierigen Grenzbereich zwischen der Rechtfertigung und der Bestrafung einer Handlung dem Rechtsanwender einen sicher zu bestimmenden Maßstab an die Hand gibt.137 Im Gegensatz zur Zwecktheorie überantwortet sie die Lösung der Notstandsproblematik nicht der Willkür des einzelnen Richters, sondern reduziert deren Einfluss auf ein Minimum. Auf der anderen Seite drängt sich allerdings auch hier die wesentlichste Kritik geradezu auf: Eine vollständige und angemessene Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ist nach dieser Maßgabe nicht möglich.138 Insbesondere das Ausmaß der aus dem Eingriff folgenden sowie der durch die Gefahr drohenden Verletzung und der Grad der drohenden Gefahr bleiben gänzlich außen vor.139 So muss es befremdlich wirken, wenn die sichere Vernichtung höchstwertigen Eigentums dadurch gerechtfertigt werden soll, dass eine nur sehr unwahrscheinliche und im Umfang geringfügige Körperverletzung abgewendet wird. Umgekehrt wäre der Schutz von immensen Sachgütern einer Vielzahl von Personen vor dem sicheren Untergang nicht möglich, wenn er auch nur den kleinsten Eingriff in die körperliche Integrität eines anderen erfordern würde. Die Güterabwägungstheorie ahndet damit Taten, die man nach wohl allgemeiner Auffassung als gesetzmäßig anerkennen will, und vor allem legitimiert sie Eingriffe, bei denen dem Eingriffsopfer die Beschränkung seiner Rechte wohl nicht plausibel zu begründen sein wird.140 Des Weiteren ist die Gewichtung betroffener Rechtsgüter nicht mit einer solchen Sicherheit durchzuführen, wie es zunächst den Anschein hat. Der auf die Verletzung ausgesetzte Strafrahmen, den das Reichsgericht als gesetzlich verbürgten Anhaltspunkt heranzieht141, erlaubt noch keine endgültigen Rückschlüsse, denn oft schützen mehrere Tatbestände mit unterschiedlichen Strafandrohungen das gleiche Rechtsgut oder ein Rechtsgut wird von vornherein nur partiell strafrechtlich geschützt, während bestimmte andere Verletzungen straflos bleiben. Die angestrebte und vorgegebene Rechtssicherheit wird somit auch auf diesem Wege nicht erreicht.142 Die aufgeworfenen Kritikpunkte hat offensichtlich auch bereits das Reichsgericht nicht gänzlich übersehen. So hat es bereits in seiner grundlegenden Entscheidung, in der die Rechtfertigung eines Schwangerschaftsabbruchs zur Diskussion stand, auch die Einwilligung der Schwangeren zur Voraussetzung des Eingreifens des Notstands gemacht.143 Später wurde unter anderem auf eine gewissenhafte Prüfung der Not137

Vgl. Lenckner, Notstand, S. 55. Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 2; Renzikowski, Notstand, S. 33; Roxin, AT I, § 16 Rn. 6. 139 Lenckner, Notstand, S. 54 f. 140 Ähnlich Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 2. 141 RGSt 61, 242, 255. 142 Lenckner, Notstand, S. 56. 143 RGSt 61, 242, 256. 138

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

standsvoraussetzungen durch den Täter abgestellt.144 Mit der rein abstrakten Gewichtung der betroffenen Güter haben diese Gedanken freilich nichts mehr zu tun. Es ist daher korrekt eingewandt worden, dass schon das Reichsgericht selbst den von ihm postulierten Maßstab niemals konsequent eingehalten hat. Von vornherein wurden über das abstrakte Rangverhältnis hinaus weitere Umstände des Einzelfalls berücksichtigt.145 Damit ist die reine Güterabwägungstheorie in der Sache niemals zur Anwendung gekommen. Die Einbeziehung von über den Wert der Rechtsgüter hinausgehenden Kriterien im Rahmen der durchzuführenden Abwägung entspricht dem Modell einer wesentlich weiterreichenden Interessenabwägung146, wie sie sich als solche benannt erst später in Wissenschaft, Rechtsprechung und Gesetzgebung durchsetzen sollte. 3. Theorie des überwiegenden Interesses Als Reaktion auf die aufgezeigte Kritik an der Güterabwägungstheorie setzte sich die Überzeugung durch, dass nicht allein die Höherwertigkeit des geschützten Rechtsguts gegenüber dem beeinträchtigen Rechtsgut zur Legitimation eines Notstandseingriffs ausreichen könne, sondern dass alle in der konkreten Situation betroffenen, rechtlich beachtenswerten Belange zu berücksichtigen und in einer umfassenden Interessenabwägung zu würdigen seien. Das Interesse, welches sich in dieser Abwägung als das wertvollere herausstelle, dürfe nun in der Not gegenüber dem unterlegenen Interesse durchgesetzt werden. Eine tatbestandliche Handlung, die seiner Wahrung diene, sei also als rechtmäßig zu beurteilen. Der Inhaber des unterlegenen Interesses sei hingegen zur Duldung des Eingriffs verpflichtet. Diese Grundsätze sollen das Rechtfertigungsprinzip des überwiegenden Interesses bilden.147 Dafür, dieses Prinzip als § 34 StGB zu Grunde liegenden Rechtsgedanken zu verstehen, spricht als gewichtigstes Argument, dass eben dies der Vorstellung des historischen Gesetzgebers entsprach. Danach sollte § 34 S. 1 StGB eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Güterabwägungstheorie unter Rücksichtnahme auf die dazu in der Rechtswissenschaft vorgebrachten Ver-

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RGSt 62, 137, 138, lehnte die Rechtfertigung eines Schwangerschaftsabbruchs allein deshalb ab, weil zuvor keine sachkundige Person zu Rate gezogen worden war. 145 Lenckner, Notstand, S. 56 ff.; Roxin, AT I, § 16 Rn. 6. 146 Lenckner, Notstand, S. 59. 147 Diettrich, Organentnahme, S. 161; Jescheck/Weigend, AT, S. 360 f.; Lenckner, Notstand, S. 133 ff.; Lenckner, GA 1985, 295; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 44; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 1; Rengier, AT, § 19 Rn. 1; Riedel, BtPrax 2010, 99, 100; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 58; Seelmann, Verhältnis, S. 32 ff.; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 3; in diesem Sinne bereits vor Einführung des § 34 StGB: BGH NJW 1952, 151; BGH NJW 1957, 1146; BGH NJW 1968, 2288, 2290; ebenso zu § 16 OWiG Rengier, in: KK-OWiG, § 16 Rn. 2.

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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besserungsvorschläge sein. Es ist daher durchaus statthaft, die gesetzliche Regelung als ausdrückliche Kodifizierung dieser Theorie zu verstehen.148 Eine Anwendung des rechtfertigenden Notstands auf intrapersonale Interessenkollisionen ist nach diesem Ansatz problemlos möglich.149 Kollidieren zwei Interessen einer Person, so kann auch in dieser Situation das höherwertige Interesse ermittelt und seine Wahrung durch den tatbestandlichen Eingriff folglich legalisiert werden. Grundlage der Interessenabwägungstheorie soll die allgemeine Ordnungsfunktion des Rechts sein. Dieses habe die Aufgabe, das menschliche Zusammenleben vor allem dort zu regeln, wo gegenläufige Interessen aufeinandertreffen. In einer Situation, in der die Verletzung und damit die Zurückstufung eines Interesses unumgänglich ist, müsse die Rechtsordnung zwangsläufig eine Seite bevorzugen; und dies sei stets diejenige, die das Recht selbst als höherwertig beurteile.150 Diese Wahl sei dadurch fundiert, dass der Erhalt des überwiegenden Interesses als insgesamt sozial nützlich zu bewerten sei.151 Dem Eingriffsopfer gegenüber könne die ihn treffende Duldungspflicht damit erklärt werden, dass gerade durch das Übergewicht des entgegenstehenden Interesses eine Sozialbindung seines Rechtsguts begründet werde.152 Der am häufigsten gegen die Theorie des überwiegenden Interesses vorgebrachte Einwand besteht darin, dass es sich bei ihr gar nicht um ein das Notstandsrecht erklärendes Rechtfertigungsprinzip handelt, sondern lediglich um einen Zirkelschluss: Die tatbestandliche Voraussetzung, welche im Kern über die Zulässigkeit des Notstandseingriffs entscheiden soll und nunmehr den Mittelpunkt des § 34 StGB bildet, – die Interessenabwägung – wird zugleich zu dem Prinzip erhoben, aus dem sich erst die Notwendigkeit einer solchen Abwägung ergeben soll.153 Der Inhalt der Norm soll also zugleich ihre dogmatische Grundlage bilden. Als entscheidende Frage verbleibt aber gerade, warum dem überwiegenden Interesse der Vorrang eingeräumt werden soll und darf. Eingangs wurde erläutert, dass Rechtsgüter grundsätzlich nicht unter dem Vorbehalt zugeordnet werden, sie jederzeit zu Gunsten eines entgegenstehenden Verlangens wieder einfordern zu können. Die Interessenabwägungstheorie geht jedoch davon aus, dass allein die Existenz eines als überwiegend zu bewertenden Interesses dazu ausreichen soll. Sie beschreibt damit aber nur die in diesen Situationen objektiv festzustellenden Umstände, beantwortet aber 148 Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 58; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 3; vgl. Knauf, Einwilligung, S. 83. 149 Boll, Kompetenzüberschreitungen, S. 107; Engländer, GA 2010, 15, 18; Kühl, AT, § 8 Rn. 34; Pawlik, Notstand, S. 104 Fn. 140. 150 Lenckner, Notstand, S. 134. 151 Vgl. Roxin, AT I, § 16 Rn. 3. 152 Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 1. 153 Haas, Kausalität, S. 249; Knauf, Einwilligung, S. 84; Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 37; Trück, Einwilligung, S. 89.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

nicht die Frage danach, wodurch dies legitimiert werden kann.154 Pawlik wirft dieser Ansicht daher vor, eine Kapitulation vor der Schwierigkeit der Materie zu sein.155 Meißner sieht in ihr mehr ein Begründungsdefizit, als eine tragfähige Basis des Notstandsrechts.156 Der verlockende Gedanke an dieser Herangehensweise dürfte sein, dass es einer natürlichen Person selbstverständlich sein wird, dass sie dann, wenn zwei ausschließlich ihr selbst zustehende Rechtsgüter miteinander kollidieren, dem ihren Bewertungsnormen nach übergeordnetem Interesse den Vorzug einräumen wird. Daher liegt es zunächst nahe, ein solches Verhalten auch auf die gesamte Rechtsordnung zu übertragen und ihr denselben Entscheidungsweg zu Grunde zu legen. Doch die Übertragung dieses individuellen Verhaltensmusters auf Situationen, in denen verschiedene Personen betroffen sind, ist nicht ohne weiteres möglich und kann erst recht keine Selbstverständlichkeit sein, da der Notstandseingriff für das Eingriffsopfer ausschließlich eine Verletzung seiner Rechte darstellt.157 Auch im Detail und in der praktischen Anwendung vermag diese Theorie es nicht, ausreichend konkrete Kriterien zur Beurteilung des Eingreifens des rechtfertigenden Notstands zu liefern. Die im Rahmen des § 34 StGB zu berücksichtigenden Interessen dienen nur als Abwägungsfaktoren, sie können damit aber nicht selbst auch der Abwägungsmaßstab sein.158 Es ist erforderlich zu klären, aus welchem Blickwinkel die Bewertung der abzuwiegenden Interessen erfolgen soll und wann tatsächlich das Überwiegen eines Interesses festgestellt werden kann. Eine Theorie, die nicht über die Wiederholung der Abwägungsformel hinausgeht, kann allerdings nicht in der Lage sein, solche Bewertungskriterien vorzugeben.159 Aus sich heraus stellt der Vorgang der Interessenabwägung, ohne dass die näheren Kriterien der Abwägungsmethodik benannt oder ermittelt werden könnten, jedoch lediglich eine Billigkeitsklausel dar, die beliebig ausgefüllt werden kann.160 Damit trifft dann auch die Interessenabwägungstheorie der schon gegen die Zwecktheorie vorgebrachte Einwand, dass sie die Beurteilung des Notstandsrechts weitestgehend allein den subjektiven Wertungen des Richters überantwortet.161 Doch bereits der Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt, dass alle aktuellen und potentiellen Eingriffsopfer im rechtfertigenden Notstand dieselben Einstandspflichten treffen. Dies kann nicht dadurch erreicht werden, dass in Anbetracht der konkret betroffenen Güter Ein154 Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 9; Knauf, Einwilligung, S. 84; Renzikowski, Notstand, S. 41 u. 200. 155 Pawlik, Notstand, S. 48. 156 Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 121 f. u. 127 f. 157 Pawlik, Notstand, S. 40. 158 Renzikowski, Notstand, S. 38. 159 Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 43; Pawlik, Notstand, S. 48. 160 Haas, Kausalität, S. 249; Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 66; Renzikowski, Notstand, S. 30 u. 34 f. 161 Renzikowski, Notstand, S. 40; siehe E. III. 2.

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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zelfallgerechtigkeit hergestellt wird, sondern lässt sich nur dadurch realisieren, dass die Beurteilung des Notstandsrechts hinreichend systematisiert wird.162 Es verbleibt jedoch der genannte Einwand, dass der Gesetzgeber die Theorie des überwiegenden Interesses in § 34 StGB verankern wollte. Doch bei genauerer Betrachtung ist festzustellen, dass der Wortlaut der Norm keineswegs zwingend auf dieses Rechtfertigungsprinzip verweist, sondern sich aus ihm im Gegenteil sogar entscheidende Argumente gegen diese Theorie ergeben. So lässt sich auf ihrer Basis zunächst nicht erklären, warum § 34 S. 1 StGB nicht nur ein einfaches, sondern ein wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses verlangt.163 Bei konsequenter Anwendung der Interessenabwägungstheorie müsste jedes noch so marginale Übergewicht eines Interesses als ausreichend angesehen werden, weil sie keinen anderen Inhalt hat, als die Bevorzugung höherwertiger Belange zu fordern. Auf das Ausmaß der Höherwertigkeit kann es dabei nicht ankommen, allein schon deshalb, weil sich aus diesem Prinzip keinerlei Anhaltspunkte dafür ableiten lassen, welchen konkreten Umfang ein solches Übergewicht haben müsste. Indem § 34 StGB nun aber ein wesentliches Überwiegen verlangt, sind Konstellationen denkbar, in denen das durch den Eingriff geschützte Interesse zwar das beeinträchtigte überwiegt, der Eingriff aber, wenn die Wertdifferenz nicht als wesentlich zu bewerten ist, dennoch rechtswidrig und die Handlung mithin untersagt bleibt. Im Ergebnis gewährt die Norm dann dem geringerwertigen Interesse den Vorrang. Ein solches Resultat ist mit der Theorie des überwiegenden Interesses jedoch nicht zu vereinbaren. Der einzig mögliche Ausweg besteht hier darin, das Erfordernis der Wesentlichkeit als bloße Klarstellungsklausel zu interpretieren und folglich doch jedes minimale Interessenübergewicht ausreichen zu lassen. Neben den hiergegen bereits vorgebrachten Bedenken164 ist jedenfalls festzustellen, dass eine solche Deutung der Norm sich nicht mehr auf eine besondere Treue zum Wortlaut berufen kann. Darüber hinaus ist auch die Angemessenheitsklausel aus § 34 S. 2 StGB mit dieser Theorie nicht in Einklang zu bringen.165 Wenn das Überwiegen eines Interesses zur Legitimierung eines Eingriffs ausreichen soll, bedarf es keiner weiteren Wertungsebene mehr, um die Zulässigkeit der tatbestandlichen Handlung zu beurteilen. Mit der Feststellung eines Interessenübergewichts ist dann die finale Entscheidung über die Rechtmäßigkeit gefallen. Die Angemessenheitsklausel muss daher konsequent als gegenstandslos erachtet werden.166 Dies widerspricht aber nicht nur dem Wortlaut des § 34 StGB, sondern war auch vom Gesetzgeber, der die Klausel eingeführt hat, offensichtlich nicht vorgesehen. Der Versuch, in dieser Regelung die Theorie des überwiegenden Interesses mit der Zwecktheorie zu vereinigen, stellte somit von Beginn an ein unmögliches Unterfangen dar. Wenn nun folglich eine 162 163 164 165 166

Renzikowski, Notstand, S. 36. Engländer, GA 2010, 15, 18. Siehe E. II. 4. Engländer, GA 2010, 15, 18; Renzikowski, Notstand, S. 39. So Lenckner, Notstand, S. 146 f.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

konsequente Beachtung des Willens des Gesetzgebers gar nicht machbar ist, so kann es auch nicht als zwingend angesehen werden, dem rechtfertigenden Notstand wie vorgesehen die Interessenabwägungstheorie zu Grunde zu legen. Richtigerweise wird man die Interessenabwägung daher nur als in § 34 StGB verankerte Methode zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit ansehen können, deren Legitimation sich allerdings aus einer anderen Grundlage ergeben muss. Insofern hat der Gesetzgeber nur einen ausfüllungsbedüftigen Grundsatz postuliert, dessen weitere Ausgestaltung damit der Rechtswissenschaft und Praxis überantwortet wurde.167 Gegen das Rechtfertigungsprinzip des überwiegenden Interesses wird schließlich noch eingewandt, dass eine solch umfassende und allein aus sich selbst heraus begründete Gewinn-Verlust-Rechnung bei Rechtsgütern verschiedener Personen kollektivistische Züge trage und dadurch dem personalen Rechtsgutsverständnis widerspreche.168 Diese Kritik deutet bereits in eine andere Richtung: Wer die Vorzugswürdigkeit des höher zu bewertenden Interesses damit begründet, dass dieses Ergebnis für die Rechtsordnung sinnvoll und insgesamt sozial nützlich sei, geht über den bloßen Grundsatz der Interessenabwägung schon hinaus und legt dem Notstand hierdurch ein weiteres, übergeordnetes Rechtfertigungsprinzip zu Grunde. Eine derartige Ausformung entspricht nämlich einem utilitaristischen Begründungsansatz169, wie er von anderen Autoren ausdrücklich als Basis des Notstandsrechts herangezogen wird. 4. Utilitaristische Begründung Das dem rechtfertigenden Notstand zu Grunde liegende Rechtfertigungsprinzip soll anderer Auffassung nach in der Lehre des Utilitarismus zu finden sein.170 Danach ist ein Notstandseingriff dann zulässig, wenn er der Gemeinschaft mehr Nutzen als Schaden einbringt. Seine Legitimität zieht er folglich daraus, dass er für die Gesellschaft als Ganzes vorteilhaft ist. Im Detail soll die Bewertung der Rechtswidrigkeit dadurch erfolgen, dass die betroffenen Positionen nicht als Interessen des Einzelnen verstanden werden, sondern ausschließlich als Bestandteile eines Gemeinschaftskontos zusammengerechnet werden. Treten zwei solcher Bestandteile nun auf eine Art in Konflikt, dass notwendigerweise einer von beiden geopfert werden muss, so soll untersucht werden, 167

Erb, JuS 2010, 17. Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 156; Renzikowski, Notstand, S. 200. 169 Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 44 ff., bewertet die Theorie des überwiegenden Interesses daher nicht als eigenständiges Legitimationsprinzip und verweist dazu auf die deutlichen Hinweise in diese Richtung bei Lenckner, Notstand. In der Tat stellt dieser eine Verbindung her zwischen dem Notstandsrecht und der Bestandsfähigkeit der Gesellschaft (S. 49) und verweist auf die generelle Ordnungsfunktion des Rechts (S. 134), ohne dabei selbst eine utilitaristische Ausrichtung anzuerkennen. 170 Hruschka, Strafrecht, S. 112 ff.; Hruschka, JuS 1979, 385, 388 ff.; Joerden, GA 1991, 411, 414; Joerden, GA 1993, 245, 247; Küper, JuS 1987, 81, 87; Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 164 ff. u. passim; Torp, ZStW 23 (1903), 84, 101. 168

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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nach welcher Vorgehensweise ein größerer Wert auf dem Gemeinschaftskonto verbleibt. Dient der Notstandseingriff dazu, den im Vergleich größeren Gesamtgüterbestand zu erhalten, so wird er als rechtmäßig beurteilt und das Eingriffsopfer zu Gunsten der Allgemeinheit zur Duldung des Eingriffs verpflichtet. Wesentlichstes Element dieses Verrechnungsprinzips ist also, dass rechtlich geschützte Interessen von Einzelpersonen nicht anerkannt werden, sondern nur die Gemeinschaft ein beachtliches Interesse am Erhalt von Rechtsgütern haben soll.171 Auch dieser Ansatz steht einer Anwendung des § 34 StGB auf interne Interessenkonflikte nicht entgegen.172 Stehen alle betroffenen Interessen derselben Person zu, so können sie eher noch einfacher zu einem Gesamtwert verrechnet werden. Der Erhalt der wertigeren Belange einer Person fließt sodann in den Gesamtbestand der Gesellschaft ein, dessen Förderung schließlich die Bevorzugung des höherwertigen Individualinteresses verlangt. Zur Erläuterung dieser Sichtweise beruft sich Hruschka auf einen Vergleich Benthams, der als Begründer des Utilitarismus gilt, nach dem der Einzelne ebenso ein fester Teil der Gesellschaft sei wie Glieder Teile des menschlichen Körpers seien. Und so wie die einzelnen Körperteile keine eigenständigen Interessen haben könnten, sondern nur der Körper als Ganzes, so existierten auch nur Interessen der Gesellschaft und keine der einzelnen Personen.173 Dieses Ergebnis deckt sich jedoch nicht mit den Schlussfolgerungen Benthams, der die Interessen der Gemeinschaft ausdrücklich als Summe der Interessen ihrer Mitglieder bezeichnete.174 Demnach wäre die Existenz individueller Interessen im Grundsatz sehr wohl anzuerkennen. Die utilitaristische Deutung soll mit dem Wortlaut des § 34 StGB und damit mit den sich aus diesem ergebenden Voraussetzungen besonders gut in Einklang zu bringen sein. So könne das Verrechnungsprinzip unmittelbar den Vorgang der Interessenabwägung, die nichts anderes als eine Verrechnung darstelle, erklären.175 In deren Rahmen werde nämlich ermittelt, ob dem geschützten oder dem beeinträchtigten Interesse ein höherer Wert zuzuordnen sei, und die Erhaltung des größeren Wertes führe sodann notwendigerweise zur Wahrung des größeren Gesamtgüterbestands der Gesellschaft. Darüber hinaus soll auch das Kriterium der Erforderlichkeit eine derartige Deutung unterstützen. In ihm zeige sich, dass nicht etwa die moralische Billigung der Tathandlung den Eingriff legitimiere, sondern ausschließlich das durch diese hergestellte Resultat, also die nach Abschluss der Tat verbleibende Güterbilanz. Dadurch werde deutlich, dass der rechtfertigende Notstand ausschließlich auf die tatsächliche Nützlichkeit des Eingriffs abstelle.176 171

Hruschka, Strafrecht, S. 113; Joerden, GA 1993, 245, 248. Engländer, GA 2010, 15, 19. 173 Hruschka, Strafrecht, S. 112. 174 Bentham, Introduction I, Chap. I unter IV: „The interest of the community then is, what? – the sum of the interests of the several members who compose it.“ 175 Joerden, GA 1993, 245, 247; Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 131. 176 Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 174. 172

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

In der praktischen Anwendung der Norm soll der utilitaristische Gedanke vor allem dann die Herstellung gerechterer Ergebnisse ermöglichen, wenn zugleich die Interessen mehrerer einzelner Rechtsgutsträger beeinträchtigt oder geschützt werden. So zum Beispiel dann, wenn bei einem Brand die drohende schwere Rauchvergiftung eines Menschen dadurch abgewendet wird, dass der Rauch mit Hilfe einer Lüftungsanlage im ganzen Gebäude verteilt wird, wodurch jedoch eine Vielzahl von Menschen eine leichte Rauchvergiftung erleidet. Hier wird zur Rettung eines Interesses ein im direkten Vergleich geringerwertiges Interesse geopfert, allerdings geschieht dies gleichzeitig in einer Häufung von Fällen.177 Die auf die Gesamtgüterbilanz abstellende Auffassung addiert hier schlicht die beeinträchtigten Einzelinteressen und stellt schließlich deren Summe dem geschützten Rechtsgut gegenüber. So werde sichergestellt, dass stets der größtmögliche Gesamtnutzen erzeugt werde.178 Auf der Grundlage anderer Theorien bleibt die Vorgehensweise in diesen Fällen umstritten.179 Formal wird diesem Ansatz entgegengehalten, dass er gar nicht dem Gedanken des Utilitarismus entspreche, da dieser nicht auf einen größtmöglichen Güterbestand abstelle, sondern auf ein größtmögliches Maß an Glück. Korrekt müsse die vorgetragene Lösung daher als kollektivistisch-konsequentialistisch bezeichnet werden.180 Dabei handelt es sich allerdings um ein rein deklaratorisches Problem, welches der inhaltlichen Anwendung dieser Ansicht nicht entgegensteht. a) Anwendungsbezogene Kritik Stichhaltige Argumente gegen eine utilitaristische Deutung des rechtfertigenden Notstands finden sich zunächst in Hinblick auf die sich aus ihr ergebenden Konsequenzen für die praktische Anwendung des § 34 StGB. Im Rahmen der Interessenabwägung müssen hier nämlich nicht nur die sich konkret begegnenden Individualinteressen gegenübergestellt werden, sondern diese müssen auch stets danach bewertet werden, welchen Gesamtnutzen für die Gesellschaft sie repräsentieren. Der Begriff des Gesamtnutzens ist dabei aber denkbar unbestimmt.181 So wird es zumeist im Auge des jeweiligen Betrachters liegen, die Förderung welcher Werte der ge177

Ausgangspunkt dieser Überlegungen war wohl der Fall des BayObLG NJW 1978, 2046, in dem ein mit Fäkalien beladener LKW nur dadurch gerettet werden konnte, indem seine Ladung auf einem benachbarten Feld verteilt wurde. Hier wurden durch die Rettungshandlung zugleich das individuelle Interesse des Eigentümers als auch das Allgemeininteresse am Umweltschutz beeinträchtigt. 178 Joerden, GA 1993, 245, 248 u. 252 f. 179 Gegen eine Addition von Interessen mehrerer Eingriffsopfer, weil es auf die Begründung des Eingriffsrechts gegenüber jedem einzelnen Opfer ankommen soll, Dencker, JuS 1979, 779 f.; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 70; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 23; dafür Pawlik, Notstand, S. 266 ff.; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 55. 180 Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 39; Pawlik, Notstand, S. 33. 181 Merkel, in: Zustand, S. 171, 188.

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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samten Gesellschaft den meisten Nutzen einbringen soll. So könnte man beispielsweise die Unterstützung sozialer, kultureller, wirtschaftlicher oder militärischer Belange jeweils als für die Gemeinschaft wertvollste Interessen bewerten und je nach erfolgter Präferenzsetzung müsste man dann konsequent auch den entsprechenden Zweck fördernde individuelle Güter höher gewichten. Damit ist dem Rechtsanwender wieder ein erheblicher Beurteilungsspielraum eingeräumt. In vielen Notstandslagen, die nur die betroffenen Personen unmittelbar berühren, wird es zudem so sein, dass ein Gesamtnutzen oder -schaden gar nicht ohne Weiteres zu ermitteln ist.182 Wie schon gegen die Theorie des überwiegenden Interesses eingewandt wurde, besteht auch für dieses Rechtfertigungsprinzip das Problem, das es das Erfordernis eines wesentlichen Interessenübergewichts nicht begründen kann.183 Käme es nur darauf an, den größeren Gesamtgüterbestand zu erhalten, so müsste jedes noch so geringe Überwiegen eines Interesses ausreichen, um den Notstandseingriff zu legitimieren, da es schließlich zu einer tatsächlich positiveren Gesamtbilanz führen würde.184 Hruschka erkennt diese Unvereinbarkeit und deutet das Wesentlichkeitserfordernis daher als Abschwächung des Verrechnungsprinzips, die erforderlich sei, weil beim Aggressivnotstand im Gegensatz zum Defensivnotstand nach § 228 BGB gerade in die Rechte eines Unbeteiligten eingegriffen werde.185 Diese Einschränkung wird von Kühnbach als Anerkennung des Autonomieprinzips verstanden.186 Der Utilitarismus stellt demnach das legitimierende Rechtfertigungsprinzip und die Autonomie ein dieses wieder limitierendes Prinzip dar. Durch diese Aufspaltung zerfallen die Grundlagen des Notstands somit in zwei – oder in Hinblick auf die Angemessenheitsklausel wohl noch mehr – konkurrierende Prinzipien. Dem Anspruch auf eine hinreichend systematische Lösung wird eine solche Herangehensweise damit aber nicht mehr gerecht.187 Dies ergibt sich daraus, dass sich die verschiedenen Ansätze nicht zu einem sinnvollen Ganzen miteinander kombinieren lassen, sondern sich viel mehr unversöhnlich gegenüberstehen. Denn wenn der Gesamtnutzen für die Beurteilung des Notstandsrechts das oberste Prinzip bilden soll, dann muss die persönliche Autonomie diesem Zweck notwendigerweise un182

Jahn, Strafrecht, S. 225. Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 1; Engländer, Nothilfe, S. 92; Engländer, GA 2010, 15, 19; Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 2; Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 10; Haas, Kausalität, S. 253; Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 41 f. u. 47; Merkel, in: Zustand, S. 171, 190; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 10. 184 Pawlik, Notstand, S. 37 f. Nach Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 41, müsste sogar die Gleichwertigkeit von beeinträchtigtem und geschütztem Rechtsgut ausreichen, da der Gesellschaft in diesem Fall kein Schaden entstehe, ihr die Vornahme des Eingriffs also gleichgültig sein könne. Hält man sich aber an die Deutung als Mehr-Nutzen-als-Schaden-Prinzip, so kann allein die Abwesenheit eines Nachteils ohne einen diesen übertreffenden Vorteil noch nicht zur Begründung eines Notstandsrechts genügen. 185 Hruschka, Strafrecht, S. 113 ff.; Hruschka, JuS 1979, 385, 390. 186 Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 48. 187 Pawlik, Notstand, S. 54. 183

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

tergeordnet werden.188 Ein tragfähiges Rechtfertigungsprinzip muss nämlich gerade erklären können, warum das Selbstbestimmungsrecht des Eingriffsopfers in der Not ausnahmsweise begrenzt wird und ihm eine Duldungspflicht auferlegt wird. Begründet man den geringeren Geltungsanspruch der Autonomie mit dem diese übertreffenden Verrechnungsprinzip, so kann die Autonomie als nachrangiger Grundsatz nicht mehr als Grenze des vorrangigen dienen.189 Ebenso kann die Existenz der Angemessenheitsklausel nach § 34 S. 2 StGB nicht erklärt werden.190 Hruschka sieht wie im Wesentlichkeitserfordernis auch in ihr den Ausdruck eines den Utilitarismus begrenzenden Prinzips191, was allerdings auch hier auf Grund der damit verbundenen Aufspaltung des Rechtfertigungsprinzips nicht überzeugen kann. Joerden hingegen misst ihr die Bedeutung zu, die gesamt-gesellschaftlichen Auswirkungen des Notstandseingriffs zu kontrollieren. Hier sei demnach zu überprüfen, ob die Eingriffsbefugnis, wenn man sie zur allgemeinen Praxis erheben würde, negative Konsequenzen für das gesellschaftliche Zusammenleben begründen würde.192 Ein solches Verständnis bettet sich zwar unproblematisch in die kollektivistische Deutung des Notstandsrechts ein, ihm ist aber vorzuwerfen, dass gerade § 34 S. 2 StGB mit der konkreten Bezugnahme auf „die Tat“ und „die Gefahr“ einen individuellen Bezug herstellt. Es ist vielmehr die an generellen Maßstäben ausgerichtete Interessenabwägung als die allgemeinere Regel zu verstehen, während die Angemessenheitsklausel als Korrektiv danach überprüft, ob das erzielte, abstrakte Ergebnis auch in der konkreten Tatsituation und in Anbetracht der individuellen Umstände haltbar ist.193 Darüber hinaus muss es befremdlich erscheinen, dass die Duldungspflicht des Opfers allein davon abhängen soll, ob die Wiederholung eines derartigen Eingriffs durch Dritte droht oder nicht.194 Es geht darum, dem Notstandsopfer gegenüber die ihn treffende Duldungspflicht und damit die Beschränkung seiner Rechte zu erklären, und dies kann wohl kaum dadurch erfolgen, dass man darauf verweist, dass eine Nachahmung des Eingriffs gegenüber anderen ausgeschlossen sei.195 Des Weiteren ist einzuwenden, dass die Herstellung einer größtmöglichen Güterbilanz nicht allein dadurch erreicht werden kann, indem dem Täter ein Recht zum Notstandseingriff gewährt wird und dem Opfer die Pflicht zur Duldung auferlegt wird, weil dadurch nur die Möglichkeit eröffnet wird, einen möglichst positiven Gesamtbestand herzustellen, auf die der Berechtigte aber ebenso verzichten könnte. 188

Vgl. Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 154. Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 51. 190 Engländer, Nothilfe, S. 92; Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 10; Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 47. 191 Hruschka, Strafrecht, S. 113 ff. 192 Joerden, GA 1991, 411 ff. 193 Jahn, Strafrecht, S. 226. 194 So ausdrücklich Joerden, GA 1991, 411, 421. 195 Vgl. Pawlik, Notstand, S. 52 f. 189

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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Käme es der Rechtsordnung jedoch umfassend auf den Erhalt einer möglichst großen Summe an Gütern an, so müsste sie konsequent den Eingriffstäter auch zur Vornahme des nützlichen Eingriffs und darüber hinaus sogar das Eingriffsopfer zur eigenen Aufopferung seiner Interessen verpflichten.196 Eine solche Einstandspflicht kennt aber allenfalls § 323c StGB. Weitergedacht müsste ein solches System zudem schließlich dazu führen, dass jedwedes Individualrechtsgut zum maximalen Nutzen für die Gesellschaft verwendet werden müsste. Für die Interessenabwägung ergibt sich aus dem utilitaristischen Ansatz die Konsequenz, dass es keine nicht zu überwiegenden Interessen mehr geben kann. Vor allem die nach herrschender Ansicht einer Abwägung entzogenen, höchstrangigen Rechtsgüter des Lebens und der Würde müssten übergangen werden können, wenn allein der verbleibende Gesamtbestand ausschlaggebend sein soll und zudem eine schlichte Addition von Interessen mehrerer Personen zulässig sein soll.197 So fällt bei der Tötung eines Unschuldigen zur Rettung einer Vielzahl von Menschen die Güterbilanz recht eindeutig zu Gunsten des Handelnden aus. Ein solches Ergebnis wäre aber mit höherrangigen Prinzipien des Rechts nicht zu vereinbaren.198 Den Ausschluss solcher Resultate kann diese Theorie jedoch nicht überzeugend begründen. Ebenso steht sie im Widerspruch zum Notwehrrecht und zum Defensivnotstand, weil es in diesen Situationen jeweils erlaubt sein soll, auch Interessen zu opfern, die schwerer wiegen als das geschützte Rechtsgut.199 Bei Maßgeblichkeit des nach der Tat verbleibenden Bestandes an Rechtsgütern müsste aber der Angegriffene zur Hinnahme der Verletzung verpflichtet werden können, wenn dies die höherrangigen Güter des Angreifers schonen würde. b) Kritik an der Figur des Gemeinnutzes Gegen das Konzept einer alleinigen Maßgeblichkeit des gesamtgesellschaftlichen Nutzens und der umfassenden Verrechnung individueller Rechtsgüter zu einem Gesamtbestand ist zu Recht eingewandt worden, dass ein solches Interesse der Allgemeinheit daran, in jeder Notstandssituation die größtmögliche Güterbilanz zu erhalten, nicht zu begründen ist. Gerät eine einzelne Person in Not, sodass eine Beeinträchtigung ihrer Interessen droht, so wird dies dem weit überwiegenden Teil der übrigen Gesellschaftsangehörigen gleichgültig sein.200 Sie werden regelmäßig weder von der Notsituation noch von der eintretenden Schädigung Notiz nehmen und von dem Verlust auch nicht unmittelbar oder mittelbar selbst beeinträchtigt werden. Wieso sollten sie dann ein Interesse am Erhalt ihnen fremder Individualrechtsgüter 196

Pawlik, Notstand, S. 37 f. Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 154; Renzikowski, Notstand, S. 205; Trück, Einwilligung, S. 90; im Grundsatz zustimmend Hruschka, Strafrecht, S. 113. 198 BVerfGE 115, 118. 199 Renzikowski, Notstand, S. 205 f. 200 Merkel, in: Zustand, S. 171, 180; Pawlik, Notstand, S. 42. 197

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

besitzen? Und wenn ein solches Interesse beim Großteil der Bevölkerung nicht besteht, so kann es auch nicht als Interesse der Allgemeinheit abstrahiert werden. Denn die Gemeinschaft kann zwangsläufig nur – das zeigt auch das von Hruschka aufgenommene Beispiel Benthams – als Summe aller Mitglieder verstanden werden, weshalb sie auch nicht als unabhängige Rechtsperson mit eigenen Interessen begriffen werden darf, sondern nur die Interessen haben kann, die auch ihre Mitglieder als Bestandteile aufweisen und die folglich zusammengefasst werden können. Ein Interesse am Erhalt eines einzelnen Gutes hat aber eben nur der jeweilige Inhaber und nicht jeder oder auch nur ein überwiegender Teil der Bürger.201 Die Güter des Einzelnen bilden weiterhin – wenn überhaupt – nur einen verschwindend geringen, nahezu nichtigen Anteil am Gesamtgüterbestand und sind daher für dessen Wahrnehmung und Beurteilung irrelevant, weshalb die Optimierung individueller Belange nicht als unweigerliche Optimierung einer gesellschaftlichen Rechtsposition verstanden werden kann.202 Im Gegenteil existieren sogar unstreitig von der Rechtsordnung geschützte Individualinteressen, die man für die Gemeinschaft als Ganzes als eher nachteilig bewerten müsste. So wird dem Erhalt eines teuren, die Umwelt stark verschmutzenden Sportwagens im Vergleich zum Erhalt eines einfachen Fahrrads auf Grundlage des § 34 StGB stets der Vorrang eingeräumt werden müssen, obwohl abgesehen vom Eigentümer die übrigen Mitglieder der Gesellschaft durch ihn nur Nachteile erleiden.203 Es zeigt sich also insgesamt, dass der Vorteil eines Einzelnen nicht mit einem Vorteil für die Rechtsgemeinschaft gleichzusetzen ist, ebenso wie der Nachteil eines Einzelnen nicht zwangsläufig zu einem Nachteil für die Gemeinschaft führt.204 Wäre der rechtfertigende Notstand auf die Herstellung des maximal möglichen Gemeinnutzens ausgerichtet, so müsste diese Norm zudem als gänzlich systemwidrig angesehen werden. Würde man darin nämlich einen übergeordneten Grundgedanken unserer Rechtsordnung erblicken, so müsste es verwundern, dass die Bürger nicht in jeder Lebenslage zur möglichst effektiven Verwaltung ihrer Güter und zur optimalen Schaffung neuer Werte verpflichtet sind.205 Im Gegenteil steht es aber jedem frei, seine Rechtsgüter eigenverantwortlich zu verwalten, was insbesondere auch zur Beschädigung und Vernichtung eigener Güter ermächtigt. Eine umfassende Verpflichtung des Bürgers auf das Allgemeinwohl gibt es also nicht und es sind auch keine Gründe ersichtlich, warum eine solche ausgerechnet in Notsituationen eingreifen sollte. Wenn es jedem freisteht, mit seinen Gütern zu tun und zu lassen was er will, und somit gewöhnlich kein Interesse der Gemeinschaft an einer 201

Vgl. Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 50 f.; Merkel, in: Zustand, S. 171, 187. Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 49; Merkel, in: Zustand, S. 171, 179; Pawlik, Notstand, S. 42: „nicht wahrnehmbare[r] relative[r] Anteil“. 203 Mit ähnlichem Beispiel Merkel, in: Zustand, S. 171, 179 f.; ebenso Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 49. 204 Vgl. Merkel, in: Zustand, S. 171, 196. 205 Renzikowski, Notstand, S. 202. 202

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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Güteroptimierung besteht, kann nicht einleuchten, warum ausschließlich bei Eintritt einer Gefahr die Allgemeinheit plötzlich ein Interesse am Erhalt eines Gütermaximums haben soll.206 Ein eigenes Interesse der Rechtsordnung, das wertvollere Gut zu erhalten, existiert folglich nicht. Sie beschränkt sich daher darauf, das Zusammenleben der Bürger zu regulieren und die verschiedenen unter Umständen in Konflikt zueinander geratenen Individualinteressen zu ordnen und miteinander in Einklang zu bringen.207 Ein Gesamtnutzen für die Gemeinschaft ergibt sich somit bestenfalls aus der generellen Existenz des § 34 StGB, da er die Befugnisse und Pflichten in Notstandssituation regelt, allerdings nicht aus der konkreten Vornahme einer Notstandshandlung.208 c) Individualistische Kritik Der wohl wesentlichste Einwand gegen eine utilitaristische Begründung des Notstandsrechts besteht darin, dass das in ihm enthaltene Verrechnungsprinzip die von der Rechtsordnung gezogenen personalen Grenzen übergeht.209 Indem sämtliche Interessen eines jeden Individuums in einen gemeinsamen Güterbestand zusammengefasst werden, werden sie zugleich dem Einzelnen als Rechtspositionen entzogen. Im Bilde des Gemeinschaftskontos gesprochen werden alle Rechtsgüter auf dieses Konto transferiert, was aber zwingend zur Folge hat, das dem bisherigen Inhaber selber nichts mehr verbleibt. Der Bestand an individuellen Interessen wird, wenn jedes Interesse ein solches der Allgemeinheit sein soll, notwendigerweise auf null gesetzt.210 Und wenn man die Existenz von Individualrechtsgütern noch rein deklaratorisch anerkennen wollen würde, so blieben sie nur eine leere Hülle, weil zur praktisch relevanten Durchsetzung von Rechten allein der Gesamtgüterbestand ausschlaggebend sein soll. Es mag gegen diese Kritik einzuwenden sein, dass eine derartige Verrechnung nur für Notstandsfälle als maßgeblich herangezogen wird. Aber es ist nicht zu begründen, warum etwa das Eigentum in allen übrigen Fällen von der Rechtsordnung als Interesse des Eigentümers anerkannt werden sollte und in Notsituationen sein Erhalt ausschließlich noch ein Interesse der Gesellschaft darstellen sollte. Man kann ein Rechtsgut nur entweder konsequent einem individuellen Rechtskreis zuordnen, oder man muss sämtliche Interessen der Person in jeder rechtlichen Situation ausschließlich der Gemeinschaft zuschreiben, weil ein kontextabhängiger Wechsel des

206

Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 49; Merkel, in: Zustand, S. 171, 179. Pawlik, Notstand, S. 44. 208 Merkel, in: Zustand, S. 171, 186. 209 Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 2; Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 154; Merkel, in: Zustand, S. 171, 189; Neumann, ZStW 116 (2004), 751, 752; Pawlik, Notstand, S. 42 f. 210 Jahn, Strafrecht, S. 226. 207

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

Interesseninhabers nicht plausibel ist.211 Ein solches System widerspricht damit aber im Ganzen der freiheitlichen Werteordnung, wie sie schon das Grundgesetz vorgibt, indem es vor allem jedermann individuelle Grundrechte zusichert. Eine Interessenverrechnung auf der Ebene des Kollektivs ignoriert somit die garantierte individuelle Freiheit.212 Eine konsequente und damit widerspruchsfreie utilitaristische Deutung der Rechtsordnung würde somit die Allgemeinheit als eigenständiges Rechtssubjekt zum alleinigen Träger aller Rechtsgüter erheben müssen. Dem Einzelnen hingegen könnte seine Stellung als Inhaber von rechtlichen Interessen höchstens noch vorgespielt werden.213 Dies entspricht aber nicht den tatsächlichen Gegebenheiten, denn ein Interesse am Schutz des Eigentums hat vor allem der einzelne Eigentümer, ein Interesse am Schutz des Lebens hat der jeweilige Mensch und allenfalls nachrangig besitzt ein solches auch der Staat oder die Gesellschaft. Es ist daher notwendig, dem Einzelnen auch die entsprechenden Rechtsgüter zuzuordnen.214 Es hat sich damit gezeigt, dass die Eingriffsbefugnis beim rechtfertigenden Notstand nicht damit begründet werden kann, dass mit ihrer Hilfe der größtmögliche Nutzen für die Allgemeinheit hergestellt wird. 5. Solidaritätsprinzip Das Recht des Eingriffstäters zur Vornahme einer Notstandshandlung und die Pflicht des Eingriffsopfers zur Duldung der Verletzung seiner Interessen sollen sich anderer Auffassung nach aus dem Grundgedanken der Solidarität ergeben.215 Diese Begründung des Notstandsrechts kann heute, nachdem seit Einführung des § 34 StGB lange Zeit die Theorie des überwiegenden Interesses als dominant anzusehen war, wohl als vorherrschende Meinung bezeichnet werden.216 Zu bedenken ist dabei jedoch, dass es durchaus unterschiedliche Ausprägungen und Interpretationen dieses Ansatzes gibt, sodass es sich bei ihm – jedenfalls bislang – nicht um einen einheitlich 211

Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 49 f.; ähnlich Haas, Kausalität, S. 255. Engländer, GA 2010, 15, 20; Kühl, AT, § 8 Rn. 8; Renzikowski, Notstand, S. 42. 213 Pawlik, Notstand, S. 43. 214 Haas, Kausalität, S. 254 f. 215 Engländer, Nothilfe, S. 91 ff.; Engländer, GA 2010, 15, 20; Erb, JuS 2010, 17, 18; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 8; Fischer, StGB, § 34 Rn. 2; Frister, GA 1988, 291, 292; Frister, AT, Kap. 17 Rn. 1 u. 9; Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 11; Jakobs, AT, Abschn. 11 Rn. 3; Joecks, Studienkommentar, § 34 Rn. 1; Kelker, Nötigungsnotstand, S. 162; Knauf, Einwilligung, S. 84; Krey/Esser, AT, Rn. 587; Kühl, AT, § 8 Rn. 9; Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 157; Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 581; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 9; Renzikowski, Notstand, S. 196; Trück, Einwilligung, S. 90; einschränkend auch Pawlik, Notstand, S. 112; Pawlik, GA 2003, 12; ebenso OLG Bamberg, Urteil v. 05.12.1011 – 4 U 72/11, Rn. 58. 216 So auch Haas, Kausalität, S. 255; Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 581; mit anderer Einordnung noch Engländer, GA 2010, 15, 17; Pawlik, Notstand, S. 48; Renzikowski, Notstand, S. 28. 212

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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verstandenen Rechtsgrund handelt.217 So ist vor allem der Standpunkt verbreitet, dass dem rechtfertigenden Notstand eine Kombination der Interessenabwägungstheorie mit dem Solidaritätsprinzip zu Grunde liegen soll.218 Wobei erstere hier wohl nur die Ausgestaltung des § 34 StGB beschreiben soll und letzteres sodann als eigentliche Legitimation des Eingriffsrechts herangezogen wird. Vereinzelt wird aber auch befürwortet, den Solidaritätsgedanken mit dem utilitaristischen Ansatz zu vereinigen.219 Inhaltlich übereinstimmend soll dieses Rechtfertigungsprinzip zunächst auf dem Gedanken beruhen, dass der, in dessen Interessen zur Abwendung der Gefahr eingegriffen wird, die Verletzung seiner Rechtsgüter hinnehmen muss, weil er zur Solidarität mit dem in Not Geratenen verpflichtet ist. Damit kommt es grundsätzlich weder auf die Höherwertigkeit des geretteten Interesses noch auf die Gemeinnützlichkeit der Notstandshandlung an. Offen bleiben damit freilich noch die Fragen, woraus sich eine solche Verpflichtung zur Solidarität ergibt und welchen genauen Inhalt sie aufweist. Dabei ist zunächst festzustellen, dass der Begriff der Solidarität jedenfalls keine klar definierten Konturen aufweist und demnach aus sich heraus keine hinreichenden Antworten zu geben vermag, sondern er vielmehr als ungreifbare Leitfigur erscheint, die der Konkretisierung bedarf.220 a) Die verschiedenen Begründungsentwürfe Zur Herleitung einer solchen Pflicht zur Solidarität werden in der Rechtswissenschaft mehrere, meist ähnliche Modelle vorgeschlagen. Nach Kühl stellt die gegenseitige, solidarische Hilfeleistungspflicht zunächst nur eine moralische Pflicht dar. Diese moralische Pflicht erstarke im rechtfertigenden Notstand nun zur durchsetzungsfähigen Rechtspflicht, welche für jedermann bestehe und deren Einrichtung damit begründet werden könne, dass ihre Übernahme auch jedermanns freiwillige Zustimmung finden müsse. Denn jeder einzelne könne erkennen, dass er seine Existenz nur auf Grundlage wechselseitiger Hilfe absichern könne. Somit liege die Etablierung einer derartigen moralischen Pflicht im Interesse aller, also auch im grundsätzlichen Interesse des in der konkreten Situation benachteiligten Eingriffsopfers. Zu bedenken sei jedoch, dass eine solche Solidaritätspflicht bestimmter Grenzen bedürfe, um sicherzustellen, dass die Freiheit des in Anspruch Genommenen erhalten und nicht über das notwendige Maß hinaus belastet werde, um so sein

217

Kühl, in: FS Hirsch, S. 259, 267 ff. Dannecker, in: Graf/Jäger/Wittig, § 34 StGB Rn. 1; Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB, § 34 Rn. 1; Kindhäuser, AT, § 17 Rn. 10; Kindhäuser, LPK-StGB, § 34 Rn. 16; Krey/Esser, AT, Rn. 587; Kühl, AT, § 8 Rn. 9; Kühl, in: FS Hirsch, S. 259, 266; Rosenau, in: SSW-StGB, § 34 Rn. 1. 219 Küper, JuS 1987, 81, 87. 220 Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 15; vgl. Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 157 f.; Pawlik, Notstand, S. 58 f. 218

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

weiteres Einverständnis mit der Regelung sicherzustellen. Diese Grenzen seien durch die Voraussetzungen und Einschränkungen des § 34 StGB bewahrt worden.221 Merkel hingegen betont, dass sich Solidarität nicht erst aus einer moralischen Einstellung heraus ergebe, sondern ihre Existenz bereits aus einem rationalen und egoistischen Eigeninteresse abzuleiten sei. In ihrer tatsächlichen Ausgestaltung stelle sie zwar schließlich ein „ethisches Minimum“ dar, sie könne aber nur für sich beanspruchen, als allgemeines und verbindliches Prinzip zu gelten, weil jeder aus ihr heraus Verpflichteter selber auch einen Vorteil als Gegenleistung erhalte, indem ihm in Zukunft bei eigener Gefährdung die gleichen Rechte zustünden wie dem aktuell Gefährdeten. Für die Hinnahme der Verletzung eigener Interessen werde dem Opfer also die Möglichkeit eröffnet, künftig auf die Rechtsgüter anderer zuzugreifen, wenn er dieser zur Abwendung eigener Not bedürfe. Damit habe auch das Eingriffsopfer ein ureigenes Interesse an der Geltung einer derartigen Norm. Die Solidaritätspflichten entsprächen damit dem Modell einer Sozialversicherung.222 Einen sehr ähnlichen Ansatz verfolgt auch Engländer, nach dem das Solidaritätsprinzip eine versicherungsgleiche, auf Gegenseitigkeit beruhende Regelung darstellt.223 Der in Not Geratene erkaufe sich das Recht zum Eingriff in die Rechtsgüter eines Dritten, indem er diesem im Gegenzug das Recht einräume, in Zukunft bei eigener Notlage auch auf seine Güter zugreifen zu dürfen. Für den Gegenüber sei es nun aus rationalem Eigeninteresse heraus vernünftig, auf dieses Geschäft einzugehen, um sich gegen künftige Gefahren abzusichern. Für beide Parteien überwögen damit die erhaltenen Vorteile die in Kauf zu nehmenden Nachteile, weshalb es insgesamt zu einer Besserstellung aller Beteiligten im Vergleich zum Zustand völliger Freiheit und Eigenverantwortlichkeit komme.224 Auch Renzikowski sieht die Vorteile einer gegenseitigen Verpflichtung zum Beistand zunächst darin, dass jeder Verpflichtete einen Anspruch auf spätere Hilfe von anderen bekomme. Er erweitert diesen Gedanken jedoch nicht unerheblich dadurch, dass er annimmt, dass sich aus dieser Beistandspflicht auch bereits ein gegenwärtiger Vorteil ergebe in der Form, dass jedermann jederzeit darauf vertrauen könne, dass ihm in Notsituationen Hilfe zukomme. Dies ermögliche es dem Einzelnen, weniger eigene Vorsorge leisten zu müssen und auch riskantere Unternehmungen eingehen zu können, sodass seine Freiheit bereits durch die Existenz einer derartigen Absicherung erweitert werde. Darüber hinaus sieht er den Grundsatz der zwischenmenschlichen Solidarität allerdings als nicht weiter deduktiv ableitbare Wertentscheidung an.225

221

Kühl, in: FS Hirsch, S. 259, 274 ff. Merkel, in: Zustand, S. 171, 185. 223 Engländer, Nothilfe, S. 93; Engländer, GA 2010, 15, 20; Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 3. 224 Engländer, Nothilfe, S. 92 f. 225 Renzikowski, Notstand, S. 197 f. 222

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

161

Das Solidaritätsprinzip wird von Kühl, auch in Hinblick auf seine Begründbarkeit, zudem mit dem Gebot der Nächstenliebe verglichen.226 Diese Gegenüberstellung zeigt zunächst noch einmal die grundsätzliche Ungreifbarkeit des Begriffs der Solidarität, denn eine genaue Bestimmung des Inhalts der Nächstenliebe wird man erst Recht als Ding der Unmöglichkeit begreifen müssen. Davon abgesehen wird dieser Vergleich allerdings als unpassend kritisiert, weil Akte der Nächstenliebe vor allem durch die freie, rein altruistische Entscheidung des Gebenden geprägt würden, während im Rahmen des rechtfertigenden Notstands gerade eine Pflicht zur Solidarität in Rede stünde.227 b) Die Diskussion über das Solidaritätsprinzip Mit dem Ableiten des Notstandsrechts und der Notstandspflicht aus einem rechtlichen Gebot zur zwischenmenschlichen Solidarität soll nach verbreiteter Auffassung auf denselben Grundsatz abgestellt werden, der auch der strafbewehrten Verpflichtung zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen und gemeiner Gefahr nach § 323c StGB zu Grunde liegen soll.228 Im Rahmen der unterlassenen Hilfeleistung entspricht es nämlich durchaus der vorherrschenden Ansicht, dass die Pflicht zum Ergreifen von Rettungsmaßnahmen aus dem Solidaritätsgedanken hervorgehen soll.229 Es ist dabei offensichtlich, dass die Verpflichtung zur Vornahme eigener aktiver Rettungshandlungen und die Verpflichtung zur Bereitstellung eigener Güter zur Ermöglichung fremder Rettungshandlungen ihrem Wesen nach jedenfalls eng miteinander verwandt sind. In beiden Fällen wird die Freiheit eines grundsätzlich an der Notsituation Unbeteiligten zu Gunsten des Gefährdeten eingeschränkt. Damit liegt es nahe beide Rechtsfiguren auch demselben übergeordneten Prinzip zu unterstellen und als solches, welches im gleichen Maße im Kontext des § 34 StGB wie des § 323c StGB Geltung beanspruchen kann, zeichnet sich gerade das Solidaritätsprinzip aus. Des Weiteren spricht ganz erheblich für die Maßgeblichkeit des Solidaritätsgedankens, dass diese Theorie im Gegensatz zu den zuvor dargestellten Ansätzen das Erfordernis eines nicht nur einfachen, sondern wesentlichen Interessenübergewichts erklären kann.230 Denn eine Pflicht zum solidarischen Beistand kann es nicht schon 226

Kühl, in: FS Hirsch, S. 259. Pawlik, Notstand, S. 61 f. 228 Erb, JuS 2010, 17, 18; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 8; Kühl, in: FS Hirsch, S. 259, 267; Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 157; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 9; ähnlich Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 33. 229 Fischer, StGB, § 323c Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB, § 323c Rn. 1; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 1042; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 323c Rn. 1; a.A. Freund, in: MK-StGB, § 323c Rn. 4; Pawlik, GA 1995, 360, 365; Sternberg-Lieben/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 323c Rn. 1. 230 Engländer, Nothilfe, S. 93; Engländer, GA 2010, 15, 20; Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 11; Kühl, AT, § 8 Rn. 9; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 11. 227

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

immer dann geben, wenn die Belange des Gefährdeten als geringfügig höherwertig zu beurteilen sind. Im Bilde der Sozialversicherung kann eine solche keine allgemeine Geltung beanspruchen und nicht auf größtmögliche Zustimmung hoffen, wenn sie dazu dienen soll, jede noch so geringe Ungleichverteilung von Gütern zu egalisieren. Dies würde vielmehr den Grundzügen eines liberalen Staates widersprechen. Die Pflicht zur Solidarität ist deshalb auf gravierende Fälle zu beschränken und greift daher nur beim Schutz besonders hochwertiger Interessen sowie nur beim Eingriff in vergleichsweise geringwertige Güter. Nur wenn die zu erwartenden Einbußen auf ein Minimum reduziert werden, zugleich aber dennoch die Absicherung aller besonders gewichtiger Interessen garantiert wird, kann ein solidarisches System als für jedermann vorteilhaft gelten und folglich auf überwiegende Billigung treffen.231 Derartige Grenzen werden nun durch die relativ wirkende Schranke des Wesentlichkeitserfordernisses in § 34 StGB eingeführt. Die Solidaritätstheorie kann somit das Kriterium der Wesentlichkeit – in Form einer gravierenden qualitativen Differenz und nicht lediglich einer Klarstellungsklausel – nicht nur erklären, sondern setzt es sogar zwingend voraus. Auch die Voraussetzung der Erforderlichkeit stellt vor dem Hintergrund des Solidaritätsgedankens eine notwendige Bedingung des Notstandsrechts dar, denn der Beistand eines Unbeteiligten kann nur verlangt werden und wird von diesem nur gewährt werden, wenn der Einsatz seiner Rechtsgüter auch Erfolg verspricht und wenn keine schonendere Handlungsalternative mehr zur Verfügung steht. Ebenso gelingt es der Solidaritätstheorie entgegen der konkurrierenden Ansichten, der Angemessenheitsklausel aus § 34 S. 2 StGB wieder einen eigenständigen und sinnvollen Anwendungsbereich zuzuordnen. Diese dient hier nämlich dazu, die trotz Vorliegens eines wesentlichen Interessenübergewichts zu beachtenden Grenzen der Solidaritätspflichten durchzusetzen, etwa wenn in hochrangige persönliche Güter eingegriffen werden soll, die einer sozialen Verpflichtung entzogen sind, wie beispielsweise im Falle einer zwangsläufigen Blutspende232 oder wenn der Anspruch des Gefährdeten auf Beistand einzuschränken ist, weil er zur Duldung der Gefahr verpflichtet ist,233 oder wenn zur Abwendung der Gefahr ein anderweitiges geordnetes Verfahren zur Verfügung steht234. Dem Solidaritätsprinzip wird nun vorgeworfen, dass seine zunehmende Beliebtheit größtenteils mit der generell sehr positiven Besetzung des Begriffs der Solidarität zusammenhänge, die es ermögliche, eine einschneidende, freiheitsbe231

Engländer, Nothilfe, S. 93; Engländer, GA 2010, 15, 20; Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 34 Rn. 3. 232 Dieser Fall soll hier nur als Beispiel dienen. Ob ein solcher Eingriff tatsächlich nicht mehr den Notstandspflichten unterfällt, ist in der Literatur umstritten. Dies bejahend Hruschka, Strafrecht, S. 145; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 118; ablehnend Engländer, in: Matt/ Renzikowski, § 34 Rn. 34; Frister, AT, Kap. 17 Rn. 15; Roxin, AT I, § 16 Rn. 49; vgl. Kühl, AT, § 8 Rn. 169 ff. 233 Engländer, GA 2010, 15, 20. 234 Frister, AT, Kap. 17 Rn. 17; Kühl, AT, § 8 Rn. 176.

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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schränkende Regelung mit einem Ausdruck zu begründen, dem fast ausschließlich positive Assoziationen anhaften. Tatsächlich handele es sich aber nur um einen inhaltsleeren Blankettbegriff, dem über seine positive Konturierung hinaus kein handfester, rechtlicher Regelungsgehalt entnommen werden könne.235 Dem ist entgegenzuhalten, dass die positive Deutung eines Wortes dessen rechtlicher Verwendung nicht entgegenstehen kann und darüber hinaus auch die mangelnde Bestimmtheit des Begriffs seine Anwendung in diesem Zusammenhang nicht ausschließen muss. Es handelt sich hier schließlich nicht um ein dem Bestimmtheitsgrundsatz unterfallenden Bestandteil einer Rechtsnorm, sondern um ein abstraktes, übergeordnetes Rechtsprinzip. In diesem Bereich ist die Verwendung weitreichender Termini gang und gäbe, wie es beispielsweise die Begriffe der Würde, der Freiheit oder des Rechtsguts demonstrieren. Zudem bieten die soeben dargestellten Varianten der Ausgestaltung des Solidaritätsprinzips eine hinreichende Grundlage, um jedenfalls den Kernbereich der Solidaritätspflichten hinreichend zu konkretisieren.236 Des Weiteren wird gegen die Annahme der Solidarität als das Notstandsrecht begründendes Rechtfertigungsprinzip eingewandt, dass die Frage danach, ob der Betroffene zur Solidarität verpflichtet ist, der Ausgestaltung des § 34 StGB gemäß im Wesentlichen nach der Interessenabwägung zu beurteilen sei. Wenn also die Interessenabwägung erst über die Existenz einer Solidaritätspflicht in der konkreten Situation entscheide, könne letztere nicht bereits das diese Abwägung begründende Prinzip darstellen.237 In eine ähnliche Richtung weist die Kritik, dass der Gedanke eines durch mitmenschliche Solidarität geprägten Altruismus nichts damit gemein habe, dass die tatsächliche Entscheidung letztlich nach Maßgabe einer streng rational kalkulierten Interessenbilanz ausfalle.238 Jedoch ist eine rechtliche Ausgestaltung des Solidaritätsprinzips auf anderem Wege als durch die Anordnung einer Interessenabwägung kaum möglich. Das Gesetz ist zur Systematisierung und Schematisierung des Notstandsrechts verpflichtet, um dem Anwender Maßstäbe zur sicheren Beurteilung des Einzelfalls an die Hand zu geben und dadurch eine grundsätzliche Gleichbehandlung aller Bürger sicherzustellen. Insofern kann die Solidarität als moralisches Prinzip nicht unmittelbare rechtliche Geltung beanspruchen, sondern ihre gesetzliche Ausgestaltung bedarf einer handfesteren Verallgemeinerung. Die aktuelle Gestalt des § 34 S. 1 StGB widerspricht damit nicht dem Solidaritätsgedanken, sondern kann als seine abstrahierte Ausprägung verstanden werden. Ein anderer nicht unerheblicher Einwand gegen die Solidaritätstheorie besteht in der Überlegung, dass diesem Rechtsgrundsatz zwar eine recht offensichtliche Plausibilität innewohne, weil ein allgemeines Interesse an einer sich solidarisch verhaltenden Gesellschaft selbstverständlich sei und dieser Gedanke damit jedenfalls einen legitimen Motivationsgrund für eine rechtfertigende Notstandsregelung dar235 236 237 238

Pawlik, Notstand, S. 58 f. Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 58 f. Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 1. Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 130.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

stelle, mit diesen Erwägungen aber noch nicht erklärt werden könne, warum dieses Prinzip nun auch zur zwangsweise durchsetzbaren Rechtspflicht erstarken könne und dürfe.239 Die Lösung liegt hier in den oben beschriebenen, das Solidaritätsprinzip ausgestaltenden Ansätzen, nach denen dem zur Solidarität Verpflichteten als Gegenleistung für die Beschränkung seiner Freiheiten ein eigener Vorteil gewährt wird. Dieser Vorteil soll grundsätzlich darin bestehen, dass der Verpflichtete auch selbst auf die Solidarität anderer vertrauen kann. Er soll also solidarisch agieren, weil er in der Folge zum einen bei eigener Not mit Solidaritätsleistungen Dritter rechnen kann und dadurch zum anderen bereits gegenwärtig seine eigenen Freiheiten ausweiten kann. Ein solches Vertrauen in die Solidarität anderer kann aber nur dann begründet werden, wenn hinreichend sicher ist, dass jedenfalls der weit überwiegende Teil der Bevölkerung sich ebenfalls solidarisch verhalten wird. Würde dies nun aber eine ausschließlich moralische Pflicht darstellen, so bestünde die latente Gefahr, dass der durch eine Notstandshandlung aktuell Benachteiligte sich jeweils seiner Beistandsverpflichtung entziehen würde, wodurch ein derartiges Vertrauen schon gar nicht entstehen könnte.240 Die wechselseitige Gewährung von Solidarität wird daher erst durch die verpflichtende Regelung des § 34 StGB – und im Übrigen auch des § 323c StGB – sichergestellt. Die Norm hält jedermann zur von ihm erwarteten Solidarität an, indem sie dazu rechtlich verpflichtet und Zuwiderhandlungen mit Sanktionen belegt in der Form, dass etwa der Widerstand gegen eine durch Notstand gerechtfertigte Handlung rechtswidrig und damit strafrechtlich verfolgbar ist. Erst durch diese Sanktionen kann der an einem solidarischen System Interessierte auf die allgemeine Geltung und Befolgung dieses Prinzips vertrauen und somit seine eigenen Solidarpflichten im Vertrauen auf eine hinreichende Gegenleistung erfüllen und seinen aktuellen Freiheitsbereich dadurch erweitern. Die rechtliche Durchsetzung des Solidaritätsprinzips ist also Voraussetzung dafür, dass der Einzelne sich zu einem solidarischen Verhalten bereiterklären wird.241 Davon abgesehen wird man aber auch, wenn man im Streben nach einer sich wechselseitig beistehenden Gesellschaft jedenfalls ein legitimes Interesse sieht, dem Gesetzgeber zumindest die Freiheit einräumen müssen, ein solches Prinzip im Rahmen seiner Kompetenzen zur Rechtspflicht zu erheben. In diesem Falle wäre es dann die freie Entscheidung der Legislative, welche die zunächst moralische Verantwortung zur zwangsweise durchsetzbaren hochstufen würde, was dann spätestens mit Einführung des § 34 StGB geschehen wäre.

239 240 241

Küper, JZ 2005, 105, 108; Pawlik, Notstand, S. 75. So auch Pawlik, Notstand, S. 71 f. So auch Engländer, Nothilfe, S. 95.

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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c) Kritik und eigener Ansatz bei Haas Auf umfassende Ablehnung stößt die Rückführung des Notstandsrechts auf den Gedanken der Solidarität bei Haas. Dieser führt zunächst an, dass die Zuweisung individueller Rechte im Rahmen des Autonomieprinzips derselben Wertungsebene zugeordnet werde wie deren umfassende Beschränkung nach dem Solidaritätsprinzip. Da Letzteres nicht dazu diene, die persönliche Autonomie zu fördern, sondern Rechtspositionen wieder anderen Rechtsgutsträgern zuordne, stelle es in diesem Zusammenhang ein diametral gegenüberstehendes Prinzip dar. Dies löse einen Widerspruch aus, da das Recht somit mit der einen Hand nehme, was es mit der anderen gegeben habe, indem es gleichzeitig zwei gegensätzliche Rechtszuweisungen vornehme.242 Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass die Einschränkung persönlicher Rechtspositionen einen gewöhnlichen Vorgang darstellt. Bereits die Schranken der Grundrechte ermöglichen wieder Eingriffe in die zuvor gewährten Individualgüter. Dennoch wird man hier nicht von einer konterkarierten Rechtszuordnung sprechen, weil weiterhin ausschließlich der ernannte Rechtsgutsträger Inhaber des Rechts bleibt und damit noch keine generelle Zuweisung zu einem anderen Rechtskreis stattfindet. Des Weiteren wendet Haas ein, dass es durch eine derartige Gegenüberstellung von Autonomie und Solidarität weitestgehend dem Rechtsanwender überlassen werde, welchem der beiden Prinzipien er den Vorrang einräume. Er könne daher seine individuellen Vorstellungen von einer idealen Sozialordnung einbringen und auf diesem Wege den Solidaritätsgedanken so weit ausdehnen, bis der grundsätzliche Vorrang der Freiheit ausgehöhlt werde.243 Einer solchen Beliebigkeit unterliegt die Regelung des § 34 StGB aber gerade nicht. Sie postuliert einschneidende Grenzen der Solidaritätspflichten durch die Kriterien der Erforderlichkeit, des Interessenübergewichts und der Angemessenheit. Und gerade das Wesentlichkeitserfordernis stellt sicher, dass den Interessen des Eingriffsopfers im Grundsatz stets der Vorrang gegenüber den Interessen des Gefährdeten eingeräumt wird. Auch Haas sieht die Bereitschaft zur Solidarität in der Folge ausschließlich als freiwillige Tugendpflicht, die aus Mitmenschlichkeit erwachse. Ein Staat, der dazu verpflichte, könne hingegen nicht mehr als liberal gelten, sondern müsse als genossenschaftlich organisiert angesehen werden.244 Dies verkennt jedoch, dass das Grundgesetz sich nicht zu einem radikalen Liberalismus bekennt, sondern in Art. 20 Abs. 1 GG auch das Sozialstaatsprinzip postuliert, dessen Durchsetzung ohne eine Beschränkung individueller Rechtspositionen gar nicht möglich wäre. Schließlich führt Haas an, dass ein solidarisches Notstandsverständnis die Ausübung individueller Rechte zu weitgehend beschränken und ihre Garantie praktisch aufheben

242 243 244

Haas, Kausalität, S. 258. Haas, Kausalität, S. 259. Haas, Kausalität, S. 259.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

würde, da man jederzeit seine Güter für den Zugriff anderer bereithalten müsse.245 So weit geht das Notstandsrecht allerdings ausdrücklich nicht. Der zur Solidarität Verpflichtete muss seine Güter weder aktiv zur Verfügung stellen noch in einem Zustand erhalten, der jederzeit eine möglichst effiziente Gefahrabwendung ermöglicht. Ihn trifft ausschließlich die Pflicht, fremde Rettungsmaßnahmen zu dulden, sich ihnen also nicht in den Weg zu stellen. Haas gelangt dennoch zu dem Ergebnis, dass nicht der einzelne, sondern ausschließlich die Allgemeinheit, repräsentiert durch den Staat, zur Solidarität mit einem in Not Geratenen verpflichtet sei. Dies beschränke sich jedoch darauf, jedem Bürger das Existenzminimum und damit auch den Schutz seiner grundlegendsten Rechtsgüter zu garantieren, weil der Gefährdete ansonsten gewaltsam versuchen würde, sein Überleben zu sichern, woraus dann eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und den staatlichen Herrschaftsanspruch entstehen würde. Die Gewährung des entsprechenden Beistandes obliege also grundsätzlich den staatlichen Stellen, es könne aber ausnahmsweise auch der einzelne Bürger in die Pflicht genommen werden, wenn staatliche Hilfe in der konkreten Situation nicht zu erlangen sei. Der Verpflichtete habe dann ein eigenes Interesse an der Erbringung dieser Hilfsleistung, weil sie den Erhalt des Staates sichere und damit auch für ihn vorteilhaft sei. Der Zugriff auf seine Rechtsgüter im Interesse der Allgemeinheit sei dennoch als Akt der Enteignung zu qualifizieren, sodass dem Beeinträchtigten im Gegenzug ein Entschädigungsanspruch gegen die eigentlich in der Pflicht stehende Allgemeinheit zustehe.246 Diese Konzeption ist mit der aktuell geltenden Rechtslage evident nicht zu vereinbaren. Allen voran dient § 34 StGB nicht nur dem Erhalt eines Existenzminimums beziehungsweise der dazu benötigten Rechtsgüter, sondern kann durch die ausdrücklich nicht abschließende Aufzählung der potentiell zu schützenden Rechtsgüter in § 34 S. 1 StGB auf jedes rechtlich anerkannte Interesse angewandt werden. Darüber hinaus ist ein nach Haas zwingend erforderlicher Ausgleichsanspruch zu Gunsten des Eingriffsopfers jedenfalls nicht ausdrücklich geregelt. Die herrschende Meinung wendet hier zwar § 904 S. 2 BGB analog an247, dieser richtet sich aber privatrechtlich gegen den einzelnen Eingriffstäter und gerade nicht gegen die Allgemeinheit. Haas muss diese Regelung daher konsequent als „verfassungsrechtlich äußerst fragwürdig“248 beurteilen. Sein Vergleich des Notstandseingriffs mit dem Fall einer Enteignung setzt zudem voraus, dass der rechtfertigende Notstand allein der Förderung des Gemeinwohls dienen soll.249 Damit erweist sich dieser Ansatz, obwohl er formal auf die Solidarität der Allgemeinheit abstellen soll, als in Wahrheit utilitaristische Begründung des Notstands. Als solche stehen ihm die gleichen 245 246 247 248 249

Haas, Kausalität, S. 260. Haas, Kausalität, S. 261 f. Siehe E. I. Haas, Kausalität, S. 262. Vgl. Renzikowski, Notstand, S. 199.

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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Einwände und Bedenken entgegen, wie sie bereits gegen die ausdrücklich so benannten Auffassungen vorgebracht wurden. d) Kritik bei Pawlik Neben anderen hier bereits diskutierten Vorbehalten gegen die Solidaritätstheorie bezieht sich die Kritik Pawliks vor allem auf die Konzeption des Notstandsrechts als versicherungsgleiches System. Um ein solches zu begründen, fehle es jedenfalls an der ausdrücklichen Zustimmung des Einzelnen, an ihm auch partizipieren zu wollen. Daher verbliebe nur die Möglichkeit, von einer mutmaßlichen Zustimmung der Bürger auszugehen, welche aber nur dann angenommen werden könne, wenn die Regelung auch für jedermann vorteilhaft sei.250 Zur Beurteilung dieser Frage geht Pawlik von zwei Prämissen aus: Zum einen komme es nur darauf an, ob das Eingriffsopfer auch in der akuten Situation des bevorstehenden Eingriffs vernünftigerweise noch ein Interesse an der Gewährung des Eingriffsrechts habe, und zum anderen könne nur dann von der Vorteilhaftigkeit des Eingriffs auch für den in Anspruch Genommenen ausgegangen werden, wenn das Eingriffsopfer dadurch eine Besserstellung für die Zukunft erlange. Eine bereits in der Vergangenheit gewährte Begünstigung müsse für die Beurteilung der akuten Situation außer Betracht bleiben.251 Damit versage das Prinzip von Leistung und dadurch erlangter Gegenleistung aber in der gegenwärtigen Realität einer Großgesellschaft, in der die einzelnen Bürger sich grundsätzlich nur anonym begegneten. Hier sei es nicht erforderlich, sich selbst solidarisch zu verhalten, um künftig auf den solidarischen Beistand anderer vertrauen zu können, weil der Unsolidarische davon ausgehen könne, dass der weit überwiegende Teil der Bevölkerung von seiner mangelnden Pflichterfüllung niemals erfahre. In der Folge könne auch er weiterhin die Solidarität anderer in Anspruch nehmen, die diese gewähren würden, weil sie mangels entgegengesetzter Kenntnis gutgläubig darauf vertrauten, dass auch der nun Bevorzugte sich entsprechend verhalten würde. Somit müssten „Trittbrettfahrer“ keinen Ausschluss aus dem System befürchten und könnten ohne Gegenleistung auf alle seine Vorteile zugreifen. Diese Situation müsste nun jedoch beim sich redlich Verhaltenden ein generelles Misstrauen gegenüber allen auf Solidarität Angewiesenen auslösen, sodass auch er nicht mehr zur Hingabe seiner Güter bereit sei, solange der in Not Geratene nicht diesbezüglich in Vorleistung getreten wäre.252 Darüber hinaus seien auch nicht sämtliche Bürger auf die Teilnahme an einer solidarischen Rechtsgüterversicherung angewiesen, weshalb sie für sie auch nicht als vorteilhaft bezeichnet werden könne. So sei es zunächst für einen Alten oder Schwerkranken, der seinen baldigen Tod absehen könne und der in der ihm ver250 251 252

Pawlik, Notstand, S. 66. Pawlik, Notstand, S. 69 f. Pawlik, Notstand, S. 71 f.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

bleibenden Zeit aller Voraussicht nach nicht mehr auf den Zugriff auf fremde Interessen angewiesen sein werde, nicht einleuchtend, warum er seine Güter dennoch weiterhin Dritten bereitstellen sollte. Ebenso sei es für einen „Starken“, der über ausreichende Ressourcen und Fähigkeiten verfüge, um sich selber jedenfalls vor den meisten Gefahren abzusichern, nicht logisch, sich an einem solchen System zu beteiligen.253 Und zum Dritten sei es für den durchschnittlichen Bürger nicht ersichtlich, warum auch ein dauerhaft Schwacher, der über keine nennenswerten eigenen Güter verfüge, die er anderen zur Hilfe bereitstellen könnte, an einer solchen Versicherung teilnehmen dürfe. Hier sei schließlich zu erwarten, dass er ausschließlich und in erheblichem Umfang die Interessen Dritter in Anspruch nehmen müsse ohne dafür jemals eine Gegenleistung erbringen zu können, wenn andere dieser bedürfen sollten.254 Dem Einwand, dass der Einzelne dann, wenn er tatsächlich als potentielles Eingriffsopfer von einer Notstandssituation betroffen sei, kein Interesse mehr an der Geltung einer Solidaritätspflicht habe und damit in dem Moment, in dem es gerade darauf ankomme, keine Zustimmung zu einer entsprechenden Versicherungsregelung mehr existiere, hält Engländer zutreffend entgegen, dass hier zwischen dem Interesse an der Geltung der Norm und dem Interesse an der Befolgung der Norm zu unterscheiden ist.255 Ein Interesse an der konkreten Befolgung der Notstandsvorschrift im Einzelfall wird das Eingriffsopfer in den meisten Fällen von sich aus nicht aufweisen, weil hier isoliert betrachtet allein die Beschränkung seiner Rechte in Rede steht. Dennoch bedeutet dies nicht, dass der Betroffene kein Interesse an der abstrakten Einrichtung eines Notstandsrechts haben kann. Denn seinen Willen so zu deuten, dass er nur ein Interesse an einer Norm hat, nach der er in der Not auf die Rechtsgüter anderer zugreifen darf, diesen jedoch nicht die gleiche Befugnis einräumen muss, wäre nicht statthaft, da die allgemeine Geltung einer solchen Regelung schlicht unmöglich ist und man rechtlich nicht den Wunsch nach einer Utopie zu Grunde legen kann. Sein tatsächlich ausführbarer Wille wird daher trotzdem auf die Einrichtung einer wechselseitig wirkenden Notstandsvorschrift ausgerichtet sein.256 Weil es nun aber nachvollziehbar dazu kommen kann, dass der Betroffene in der konkreten Not dem Gefährdeten keine Eingriffsbefugnis mehr einräumen und sich somit seiner Notstandsverpflichtung entziehen will, bedarf es gerade der rechtlichen Aufwertung der Solidarität zur verbindlichen Norm und deren Absicherung mithilfe 253

Pawlik, Notstand, S. 73. Pawlik, Notstand, S. 73 f. 255 Engländer, Nothilfe, S. 94. 256 Engländer, Nothilfe, S. 95. Vergleichbar damit ist die Situation eines Steuerpflichtigen, der regelmäßig kein Interesse an der Zahlung in Folge eines konkreten Steuerbescheids haben wird, aber dennoch ein solches an der Einrichtung eines generellen Steuerwesens. Auch ihm kann nicht ein Interesse an einem Steuersystem unterstellt werden, in dem alle übrigen zu Leistungen verpflichtet werden, er selbst aber nicht. 254

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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von anzudrohenden Sanktionen. Dies stellt auf der einen Seite sicher, dass das Eingriffsopfer neben seinem abstrakten Normgeltungsinteresse auch wieder ein einzelfallbezogenes Normbefolgungsinteresse erlangt, und auf der anderen Seite, dass jedermann wieder auf die Gewährung der notwendigen Solidarität durch Dritte vertrauen kann und sich in diesem Vertrauen dann selbst solidarisch verhalten kann.257 Pawlik wendet hiergegen zwar ein, dass auch eine strafbewehrte Verpflichtung des Eingriffsopfers nicht sicherstellen könne, dass der Gefährdete tatsächlich auf die zur Gefahrenabwehr benötigten Güter Zugriff nehmen könne258, aber in Rede steht hier schließlich nur die Begründung eines entsprechenden berechtigten Vertrauens, wozu es genügt, wenn der Betroffene jedenfalls mit dem normgemäßen Verhalten der anderen rechnen kann. Des Weiteren greift Pawliks Kritik zu kurz, wenn sie die Vorteilhaftigkeit der Partizipation an diesem Solidarsystem davon abhängig macht, ob der Einzelne in Zukunft von ihm profitieren wird, indem er wahrscheinlich die konkrete Möglichkeit erhält, auf die Rechtsgüter Dritter zuzugreifen. Wie bereits beschrieben wurde, führt die Möglichkeit, jederzeit auf die Hilfe anderer vertrauen zu können, bereits zu einer gegenwärtigen Erweiterung der persönlichen Freiheit, indem sie die Notwendigkeit eigener Vorsorge mindert und damit neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet.259 So stellt etwa die Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr überhaupt nur dann ein vertretbares Risiko dar, wenn man im Falle eines Unfalls nicht gänzlich auf sich allein gestellt ist, sondern auf fremde Unterstützung hoffen kann. Und auch eine solidarische Krankenversicherung entfaltet ihre Vorteile nicht erst bei Eintritt einer konkreten Erkrankung, sondern entbindet bereits von der Notwendigkeit für diesen Fall eigene Rücklagen zu schaffen oder sich diesbezüglich unverhältnismäßig vorsichtig zu verhalten. Eine Verpflichtung zur Solidarität wirkt daher nicht nur zukünftig, sondern jederzeit und damit auch im Augenblick des konkreten Eingriffs für jedermann freiheitsfördernd. Und dabei kommt es nicht darauf an, ob der Begünstigte diese erweiterte Freiheit auch tatsächlich in Anspruch nimmt, ebenso wenig wie die rechtliche Zuordnung und Wertigkeit des Eigentums von der aktuellen Nutzung einer Sache abhängt. Die Vorteile der gegenseitigen Unterstützung kommen damit rechtlich betrachtet auch dem zu Gute, der diese nicht in Anspruch nimmt, etwa weil er sich selbst schützen kann und will, da er zumindest die Freiheit erhält, stattdessen auf fremden Beistand zu vertrauen. Ein solidarisches Notstandsrecht gewährt somit jedem einen jederzeitigen Vorteil, der die Basis für dessen anzunehmende Zustimmung zu dieser Verhaltensnorm bilden kann.

257 258 259

Engländer, Nothilfe, S. 95. Pawlik, Notstand, S. 72. Renzikowski, Notstand, S. 197; siehe bereits E. III. 5. a).

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

e) Eigener Ansatz bei Pawlik Pawliks in der Folge entwickelte eigene Begründung der Existenz eines Notstandsrechts nimmt für sich in Anspruch, auf den Lehren Hegels zu beruhen.260 Danach unterteile sich das Recht in das abstrakte Recht und das Recht des Wohls. Notstandsituationen seien nun dadurch gekennzeichnet, dass diese beiden Positionen miteinander in Konflikt gerieten. Auf der einen Seite stehe das abstrakte Recht des potentiellen Eingriffsopfers, das situationsunabhängig jedem anderen den Zugriff auf dessen Rechtspositionen versage, auf der anderen Seite das Recht des Gefährdeten, in der konkreten Notlage sein eigenes Wohl zu fördern. Beide Positionen seien untrennbar miteinander verbunden, weil ein abstraktes Recht, welches das Recht auf das Wohl nicht achte, keine Geltung beanspruchen könne. Demzufolge dürfe auch in der Not keine der beiden Positionen vollständig aufgeopfert werden, also nicht generell zu Gunsten einer Seite entschieden werden. Gäbe es jedoch kein Notstandsrecht, so würde stets allein das abstrakte Recht obsiegen. Daraus resultiere, dass nun erst in einer Gegenüberstellung einem der beiden Momente der Vorrang einzuräumen sei. Dies müsse dabei zum einen auf eine objektiv anerkennungsfähige Weise geschehen und zum anderen nach verallgemeinerungsfähigen Maßstäben.261 Die sich bei Überwiegen des gefährdeten Interesses aus der Institution des rechtfertigenden Notstands ergebende Verpflichtung des Eingriffsopfers beruhe also auf der Achtung des Rechts des Wohls und stelle daher eine sittlich begründete Pflicht dar. Die Verwirklichung der sittlichen Idee sei nun grundsätzlich der Staat.262 Durch das Notstandsrecht Verpflichteter sei daher die Gemeinschaft und damit aber auch jeder einzelne als Mitglied und Repräsentant dieser Gemeinschaft. Die entstehende Duldungspflicht des Eingriffsopfers sei somit eine staatsbürgerliche, quasiinstitutionelle Pflicht.263 Unter dieser Prämisse könne dann auch „weiterhin“ von einer Solidaritätspflicht gesprochen werden.264 Auch die Ausführungen Pawliks sind nicht unbestritten geblieben. So kommt er zu dem Schluss, dass das Notstandsrecht in zu billigender Weise Schäden, die zufälligerweise bei einem Einzelnen auftreten, in gewissem Umfang gleichmäßig in der Rechtsgemeinschaft verteile.265 Neumann wendet dagegen ein, dass eine derartige Egalisierung von individuellen Nachteilen konsequent in einem System der gleichmäßigen Verteilung aller Ressourcen münden müsste.266 Ebenso wendet er sich 260

Pawlik, Notstand, S. 105. Pawlik, Notstand, S. 85 ff. 262 Hiergegen Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459, 464, nach dem ein pluralistisch und individualistisch aufgebauter Staat die Sittlichkeit „privatisieren“ muss. 263 Pawlik, Notstand, S. 110 ff. 264 Pawlik, Notstand, S. 112; insgesamt ähnlich auch Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 84 ff., die dabei insbesondere die Gemeinsamkeiten mit den übrigen auf dem Solidaritätsgedanken beruhenden Ansätzen herausstellt. 265 Pawlik, Notstand, S. 122. 266 Neumann, ZStW 116 (2004), 751, 754 f. 261

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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dagegen, dass das Eingriffsopfer als Repräsentant der an sich verpflichteten Allgemeinheit angesehen wird und ihm als solcher ein Entschädigungsanspruch gegen die Gemeinschaft zustehen soll.267 Wie hier bereits zur Ansicht von Haas festgestellt wurde, existiert ein solcher Anspruch in der aktuellen Rechtsordnung nicht268, was auch Pawlik dazu nötigt, seinen Entwurf an dieser Stelle „entgegen der gegenwärtigen Rechtslage“269 zu begründen. Der aktuell maßgebliche und auf § 34 StGB analog anzuwendende § 904 S. 2 BGB postuliert hingegen einen diesem Gedanken zuwider laufenden individuellen Ausgleichsanspruch. Küper widmet sich zunächst Pawliks Anknüpfung an die Lehre Hegels und stellt dazu fest, dass Hegel zum einen dem abstrakten Recht stets den Vorrang vor dem Wohl eingeräumt habe und zum anderen seine eigene Konzeption des Notstands nicht mit dem Recht auf das Wohl begründet habe. Richtigerweise liege daher keine Interpretation Hegels vor, sondern ein eigenständiger, neu entwickelter Ansatz auf Basis der Lehre Hegels, was aber auch der Sichtweise Pawliks entspricht.270 Positiv hebt Küper hervor, dass dieser Ansatz vor allem zutreffend aufzeige, dass die Verwirklichung der Freiheit – in Form der Bewahrung in Not geratener Rechtsgüter – als Teil der Freiheitsgewährleistung zu betrachten sei und der Notstandseingriff somit nicht allein als freiheitsverletzende Handlung angesehen werden dürfe.271 Ein solcher Konflikt innerhalb des Begriffs der Freiheit liege allerdings ausschließlich bei einer interpersonalen Betrachtung der Notstandssituation vor, während der Eingriff, verengt auf die Sicht des in Anspruch Genommenen, unbestreitbar nur einen freiheitsverletzenden Vorgang darstelle. Ähnliches gelte für den skizzierten Konflikt zwischen abstraktem Recht und dem Recht auf das Wohl: Beim Eingriffsopfer werde sowohl das eine als auch das andere verletzt, sodass es letztlich auch zu einer Kollision zwischen dem Wohl des Gefährdeten und dem des Verpflichteten komme. Dieses Problem werde von Pawlik jedoch nicht hinreichend ergründet.272 Pawlik gelingt es letztlich nicht, die Grenze zwischen einer individualistischen und kollektivistischen Deutung des Notstandsrechts sinnvoll und hinreichend klar zu ziehen. Auf der einen Seite betont er, „daß die Notstandspflicht [nicht] ,eigentlich‘ dem Staat gegenüber bestehe“273, auf der anderen Seite soll das Eingriffsopfer als Repräsentant der Allgemeinheit verpflichtet sein und von dieser eine Entschädigung verlangen können274. Dies wirft allerdings den Widerspruch auf, dass hier den Vertreter eine Verpflichtung treffen soll, die für den Vertretenen selbst gar nicht besteht. Zugleich soll der Vertretene schließlich zum Ersatz verpflichtet sein, weil 267 268 269 270 271 272 273 274

So Pawlik, Notstand, S. 123. Neumann, ZStW 116 (2004), 751, 755. Pawlik, Notstand, S. 123. Küper, JZ 2005, 105, 112 f.; Pawlik, Notstand, S. 105. Küper, JZ 2005, 105, 114. Küper, JZ 2005, 105, 114 f. Pawlik, Notstand, S. 112. Pawlik, Notstand, S. 123.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

der Einzelne für ihn eine Aufgabe übernimmt, obwohl diese Aufgabe gar nicht zu seinem Pflichtenkreis gehören soll. Eine stringente Ableitung der individuellen Verpflichtung aus der kollektiven Bindung an die Sittlichkeit gelingt somit im Ergebnis nicht. f) Der rechtfertigende Notstand als Surrogat der Einwilligung Angesichts der auch gegen die dogmatisch wie philosophisch durchdringendsten Ansätze bestehenden Bedenken sieht Küper letztlich die Grenzen der rechtsphilosophischen Legitimierbarkeit des Notstands erreicht.275 Auch Roxin bezeichnet das Streben nach einer einheitlichen Leitfigur des rechtfertigenden Notstands als „unmögliches Unterfangen“, weshalb nur eine Kombination der verschiedenen Begründungsmuster möglich sei.276 Ähnliche Erwägungen werden auch Renzikowski zu seinem Schluss geführt haben, dass das Solidaritätsprinzip eine nicht weiter deduktiv ableitbare Wertentscheidung sei.277 In der Literatur hat man daher teilweise versucht, sich auf die übereinstimmenden Aussagen und einheitlichen Grundideen der verschiedenen Ansichten zu konzentrieren, um so den bestehenden Konsens zu ermitteln. Demnach solle Solidarität im Wesentlichen als gemeinschaftsstiftende Verbundenheit verschiedener Personen verstanden werden, die gegenseitige Verantwortung und Sorge für einander übernehmen würden.278 Sie stelle dementsprechend eine Verknüpfung von Recht und Moral dar, welche insgesamt die Freiheit aller fördere, indem sie deren Wirklichkeit und Stabilität sichere.279 Im Zentrum steht damit die für jedermann freiheitserweiternde Wirkung der gegenseitigen Gewährung einer Eingriffsbefugnis zur Abwehr gegenwärtiger Gefahren. Auf dieser Basis stellt der Solidaritätsgedanke heute das tragfähigste Konzept zur Begründung des rechtfertigenden Notstands dar. Man kann dabei sicherlich in Zweifel ziehen, ob es sich beim Notstand um eine auf Grund von fundamentalen Prinzipien zwingend erforderliche Institution handelt oder ob es der Rechtsordnung auch freistünde, den Bürger auch in größter Not auf seine Eigenverantwortlichkeit zu verweisen.280 Für ersteres spricht, dass ohne ein geordnetes Verfahren, welches es dem Bürger erlaubt, bei Bedrohung seiner fundamentalen Rechtsgüter selbst Gewalt anzuwenden, der unkontrollierte Einsatz von Gewalt drohen würde, weil der Selbsterhaltungstrieb hier das staatsbürgerliche Pflichtbewusstsein regelmäßig überlagern würde. Die Übertragung des Gewaltmonopols auf den Staat und dessen Anerkennung durch die Bürger sind davon abhängig, 275

Küper, JZ 2005, 105, 115. Roxin, AT I, § 16 Rn. 11. 277 Renzikowski, Notstand, S. 197. 278 Knauf, Einwilligung, S. 84; Volkmann, Solidarität, S. 6. 279 Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 85 f.; zur freiheitssichernden Wirkung auch Kelker, Nötigungsnotstand, S. 162. 280 So Pawlik, Notstand, S. 123, wohl im Widerspruch zu Hegel, Grundlinien, § 127, auf dessen Lehren er sich beruft. 276

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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dass der Staat diese Gewalt auch zum Wohl der Bevölkerung einsetzt oder dort, wo er selbst nicht für einen hinreichenden Schutz von Individualrechtsgütern sorgen kann, dem Einzelnen normierte Ausnahmebefugnisse einräumt. Dieser Erhalt des staatlichen Gewaltmonopols ist letztlich Grundlage für die öffentliche Sicherheit und die Souveränität des Staates.281 Während diese Frage aber zur Zeit des Ursprungs der Diskussion und der frühen Rechtsprechung zum Notstand noch ausschlaggebend war, kann sie in letzter Konsequenz nunmehr dahinstehen. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 34 StGB jedenfalls die aktuelle Geltung eines Notstandsrechts begründet, die solange nicht in Abrede gestellt werden kann, wie ihr nicht der Verstoß gegen höherrangiges Verfassungsrecht nachgewiesen wurde. Mit dem Rekurs auf das Solidaritätsprinzip, dem zumindest eine enge Verwandtschaft zum Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG attestiert werden kann282, ist einem solchen Einwand jedoch die Grundlage entzogen. Gegenüber dem Einzelnen, in dessen Rechte auf Grundlage des Notstandsrechts eingegriffen wird, kann die geforderte Duldung des Eingriffs auf Grundlage des Solidaritätsgedankens nicht nur als altruistisches Verhalten zu Gunsten Dritter erklärt werden, wie es etwa dem Begriff der Nächstenliebe innewohnen würde. Wie gezeigt wurde, ist die Einrichtung des rechtfertigenden Notstands für das Eingriffsopfer auch rational vorteilhaft, indem es ihm die Möglichkeit einräumt, in Zukunft bei eigener Not auf fremde Interessen zugreifen zu können und auf eben diese Hilfe schon gegenwärtig vertrauen zu können, woraus sich die insgesamt freiheitserweiternde Wirkung des § 34 StGB ergibt. Beim rechtfertigenden Notstand liegt somit letztlich eine Situation vor, bei der der Inhaber des Eingriffsguts bereits freiwillig aus eigenem Interesse dem Eingriff zustimmen müsste.283 Würde dies in jedem Fall auch geschehen, wäre die Regelung des § 34 StGB aber gänzlich überflüssig, weil jeweils bereits eine rechtfertigende Einwilligung angenommen werden könnte. Auf das Vorliegen einer solchen Billigung aus freien Stücken kann jedoch nicht vertraut werden, weil der Betroffene zum einen in der konkreten Situation, in der seine Rechtsgüter zu Gunsten eines anderen beeinträchtigt werden sollen, oft nur den eigenen Nachteil und nicht die durch dieses System erlangten Vorteile im Blick haben wird und zum anderen, wie Pawlik insofern korrekt einwandte284, weil er versuchen könnte, die Solidarität Dritter als Trittbrettfahrer lediglich auszunutzen, ohne die ihm obliegende Gegenleistung zu erbringen. Aus diesen Gründen bedarf es, um das für alle vorteilhafte Verfahren aufrecht zu erhalten, des gesetzlichen Zwangs 281 BVerfGE 49, 24, 56 f.; Becker, NJW 1995, 2077, 2078; Scholz, NJW 1983, 705; Stober, NJW 1997, 889, 890. 282 Bottke, GA 1982, 346, 356; Köhler, GA 1988, 435, 452; vgl. auch Renzikowski, Notstand, S. 197. 283 Kelker, Nötigungsnotstand, S. 117 u. 162; Kühl, in: FS Hirsch, S. 259, 176; Kühl, AT, § 8 Rn. 9; kritisch hierzu Pawlik, Notstand, S. 60 f. Fn. 25. 284 Pawlik, Notstand, S. 71 f.; siehe E. III. 5. d).

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

in Form der dem Eingriffstäter erteilten Eingriffsbefugnis und der dem Eingriffsopfer auferlegten Duldungspflicht.285 Dennoch prägt dieses Verständnis das Verhältnis des rechtfertigenden Notstands zur Einwilligung. In beiden Fällen geht es letztlich um die Preisgabe von Rechtsgütern. Bei der Einwilligung nimmt der Berechtigte diese freiwillig vor, weil er darin individuell einen wie auch immer gearteten Vorteil erblickt, beim Notstand wird er hingegen dazu verpflichtet, um ein für jedermann – auch für ihn – abstrakt vorteilhaftes Solidarsystem durchzusetzen. Damit ist es aber ebenso möglich und gerade die Idealvorstellung der Rechtsordnung, dass der Betroffene in der Notstandslage die Vorteilhaftigkeit des gegen ihn gerichteten Eingriffs auch für seine Person erkennt und folglich bereits ungezwungen seine Zustimmung erklärt. Dazu soll erneut der Beispielsfall herangezogen werden, in dem ein Spaziergänger sich gegen einen angreifenden, bissigen Hund nur dadurch zur Wehr setzen kann, dass er eine Holzlatte aus einem für ihn fremden Gartenzaun herausbricht.286 Der Sachverhalt sei nun so ausgestaltet, dass der Eigentümer des Zauns in seinem Garten anwesend ist, der bedrohte Spaziergänger diesen noch vor dem Eingriff fragt, ob er zu seiner Verteidigung den Zaun beschädigen dürfe, und der Eigentümer ihm dazu aus solidarischer Gesinnung heraus tatsächlich seine Erlaubnis erteilt. In dieser Konstellation könnte die Sachbeschädigung des Zauns recht problemlos auf Grund einer vorliegenden Einwilligung des Eigentümers gerechtfertigt werden. Wandelt man den Fall nun so ab, dass der Eigentümer auf die Frage hin ausdrücklich die Beschädigung seines Zauns, auch in Anbetracht der drohenden Gefahr, untersagt, so kann eine Einwilligung offensichtlich nicht mehr angenommen werden. Der Spaziergänger kann sich dann aber auf sein Notstandsrecht aus § 904 S. 1 BGB berufen. Selbstverständlich sind auch in der ersten Fallvariante bereits alle Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands erfüllt. Der Inhaber des Eingriffsguts verhält sich hier jedoch bereits freiwillig so, wie es die Rechtsordnung von ihm verlangt, und lässt den Gefährdeten gewähren. In dieser Situation bedarf es daher der Anordnung einer Duldungspflicht grundsätzlich nicht mehr. Wenn die Bürger sich bereits autonom die jeweils geschuldete, wechselseitige Solidarität einräumen, ist eine gesetzliche Verpflichtung dazu überflüssig. Der rechtfertigende Notstand ist hingegen auf ein Übergehen von Autonomie ausgerichtet, doch dessen bedarf es dann nicht, wenn schon die frei getroffene Entscheidung mit dem gesetzlich verfolgten Ziel in Einklang steht. Anders liegt es erst in der zweiten Variante dieses Falles. Hier will sich der Eigentümer dem Gebot zur Solidarität widersetzen, er will also der Pflicht zur Preisgabe seines Rechtsguts nicht nachkommen. Die ihm abverlangte Zustimmung ersetzt die Rechtsordnung nun durch das Institut des rechtfertigenden Notstands. In der Folge zwingt sie ihm das Verhalten auf, das er an den Tag gelegt hätte, wenn er dem Eingriff aus freien Stücken zugestimmt hätte, gewährt ihm aber auch dieselben Vorteile als Gegenleistung. 285 286

Vgl. Engländer, Nothilfe, S. 95. Siehe D. IV. 4.

III. Das Rechtfertigungsprinzip des rechtfertigenden Notstands

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Wandelt man den Fall so ab, dass für den Spaziergänger, für alle Beteiligten erkennbar, auch jederzeit die Möglichkeit zur Flucht vor dem Hund besteht, so ist das Herausreißen der Zaunlatte mit der Zustimmung des Eigentümers weiterhin durch eine Einwilligung legitimiert, auch wenn er hier nicht mehr seinen Solidaritätspflichten nachkommt, sondern rein altruistisch handelt. Der rechtfertigende Notstand greift jedoch nicht mehr ein, weil es insofern an der Erforderlichkeit des Eingriffs fehlt.287 Damit kommt es nun, wenn der Eigentümer die Beschädigung untersagt, zu einer strafbaren Verwirklichung des § 303 Abs. 1 StGB durch den Spaziergänger und dem Eigentümer steht die Befugnis zu, den Angriff auf sein Eigentum abzuwehren. Dies führt zunächst zu der trivialen Feststellung, dass der Bereich möglicher Einwilligungen weiter reicht als der, in dem § 34 StGB zu Gunsten des Täters eingreift. Die Unterscheidung zwischen Einwilligung und rechtfertigendem Notstand kann somit danach durchgeführt werden, dass die Einwilligung die Konstellationen erfasst, in denen der Rechtsgutsträger berechtigt ist seine Interessen hinzugeben, während der rechtfertigende Notstand die Situationen erfasst, in denen er dazu verpflichtet ist. Das Solidaritätsprinzip gestaltet das Notstandsrecht dabei so aus, dass in Notstandsfällen grundsätzlich die Billigung des Eingriffs vom Eingriffsopfer verlangt wird. Kommt es dieser Verpflichtung nicht nach, darf der Eingriff auch zwangsweise durchgesetzt werden. Der Notstand ersetzt daher die zu erwartende Einwilligung oder stellt – ausgedrückt in einer sprachlichen Kontradiktion – eine aufgezwungene Einwilligung dar. Damit ergibt sich eine gravierende Konsequenz für das Notstandsrecht: Der rechtfertigende Notstand kann keine Eingriffe legitimieren, die nicht auch mittels einer Einwilligung potentiell zu rechtfertigen gewesen wären. Denn wenn das auf Leistung und Gegenleistung beruhende Solidaritätssystem dadurch legitimiert sein soll, dass jeder Bürger ihm schon aus einem vernünftigen Eigeninteresse heraus zustimmen müsste, dann kann der Einzelne im Rahmen dieser Zustimmung nicht mehr Rechte in das Solidarsystem einbringen, als er auch ansonsten freiverantwortlich auf andere übertragen kann. Dies führt dazu, dass der rechtfertigende Notstand in den Fällen, in denen die Annahme einer Einwilligung daran scheitert, dass das betroffene Rechtsgut der Verfügungsgewalt des Einwilligenden entzogen ist, wie es vor allem bei allen Varianten der Sterbehilfe gegeben ist, von vornherein ebenso wenig zu einer Rechtfertigung führen kann. Die rechtlichen Grenzen der autonomen Dispositionsbefugnis gelten folglich in vollem Umfang auch für die Eingriffsbefugnis beim rechtfertigenden Notstand. Dies ergibt sich im Übrigen auch schon daraus, dass bei einer weiterreichenden Anwendung des Notstands dieser nicht mehr mit der generellen Vorteilhaftigkeit eines solchen Systems für das Eingriffsopfer begründet werden könnte. Würde man nämlich auch Eingriffe in das Leben, also die Tötung eines Menschen, gemäß § 34 StGB rechtfertigen, so könnte offensichtlich nicht mehr behauptet werden, dass der Getötete als Gegenleistung ein 287

Frister, AT, Kap. 17 Rn. 8; Kühl, AT, § 8 Rn. 77; Rengier, AT, § 19 Rn. 22.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

potentielles, zukünftiges Eingriffsrecht gegenüber anderen erhalte und es würde auch kein abstraktes Vertrauen in den Beistand Dritter mehr begründet. Ohne eine solche Ausgleichsleistung kann aber kein Interesse an einem Solidarsystem begründet werden. Im Ergebnis kann ein auf das Solidaritätsprinzip gestütztes Notstandsrecht somit auf all die internen Interessenkollisionen keine Anwendung finden, bei denen eine rechtfertigende Einwilligung auf Grund mangelnder Dispositionshoheit ausscheidet.

IV. Auswirkungen des Solidaritätsprinzips auf die Beurteilung interner Interessenkollisionen Damit bleibt die Frage offen, ob § 34 StGB auf dieser dogmatischen Grundlage wenigstens dann bei intrapersonalen Konflikten Anwendung finden kann, wenn in ein Interesse eingegriffen wird, das der Berechtigte auch selbst hätte preisgeben können, eventuell also auf Grund der ihm abverlangten Solidarität hätte preisgeben müssen. Der überwiegende Teil der Literatur, der das Notstandsrecht auf den Gedanken der Solidarität zurückführt, geht dabei zutreffend davon aus, dass ein Eingriff in die Rechte des Gefährdeten keinen Fall der Solidarität darstellt und somit nicht dem rechtfertigenden Notstand unterfallen kann.288 Schon auf der rein terminologischen Ebene ist Solidarität ausschließlich als Verbundenheit, Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung verschiedener Personen zu verstehen und ist gerade durch den Zusammenschluss mehrerer Individuen zu einer Solidargemeinschaft gekennzeichnet.289 Deshalb kann sich niemand selbst Solidarität schulden290 und es ist auch ausgeschlossen, ein Verhalten, das man bezüglich seiner eigenen Belange an den Tag legt und von dem andere nicht einmal tangiert werden, als solidarisch zu bezeichnen. Geleistete Solidarität ist somit nur etwas, was der Harmonisierung sozialer Beziehungen dient und dadurch zu einer wechselseitigen Besserstellung führt.291 Dies ist beim Eingriff zur Auflösung eines internen Interessenkonflikts jedoch nicht der Fall. Die aus dem rechtfertigenden Notstand entspringende Duldungspflicht ist dementsprechend eine rein interpersonale Verpflichtung und keine, die gegenüber einem selbst besteht. § 34 StGB bringt somit ausschließlich eine Gemeinschaftsbezogenheit des Individuums zum Ausdruck.292

288 Boll, Kompetenzüberschreitungen, S. 107; Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 34 u. Abschn. 15 Rn. 16; sowie die in den folgenden vier Fußnoten Zitierten. 289 Knauf, Einwilligung, S. 84; Volkmann, Solidarität, S. 6; soweit auch Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 581: „Nun versteht es sich von selbst, dass ein Solidaritätsprinzip nur im Rahmen interpersonaler Beziehungen greifen kann.“ (Hervorhebung im Original). 290 Engländer, GA 2010, 15, 21; Erb, JuS 2010, 17, 20; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 28; Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 9; so auch Pawlik, Notstand, S. 104 Fn. 140. 291 Knauf, Einwilligung, S. 84; Trück, Einwilligung, S. 90. 292 Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 53 f.

IV. Auswirkungen des Solidaritätsprinzips

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Auch die Deutung des Notstands als Versicherungsprinzip steht der Anwendung auf intrapersonale Konflikte entgegen.293 Wer verpflichtet wird, seine eigenen Güter zum Erhalt seiner eigenen Güter zu opfern, kann dadurch nicht die Bereitschaft Dritter begründen, sich ihm gegenüber solidarisch zu verhalten, weil der Dritte von diesem Vorgang überhaupt nicht betroffen ist. Das Eingriffsopfer erlangt daher keine versicherungsgleiche Gegenleistung, auf deren zukünftigen Erhalt er vertrauen könnte, sondern lediglich den unmittelbaren, aus der Notstandshandlung erwachsenden Vorteil der Abwendung der gegenwärtigen Gefahr. Leistung und Gegenleistung egalisieren sich damit bereits im Moment der Vornahme der Rettungshandlung. Und selbst wenn man auch hier ein solches Versicherungssystem annehmen könnte, so wäre jedenfalls dessen zwangsweise Durchsetzung in diesem Kontext nicht zu begründen.294 Es besteht hier nämlich nicht die Notwendigkeit, die Erbringung des individuellen Beitrags sicherzustellen, damit andere darauf vertrauen und auf dieser Grundlage ihre eigenen Beiträge leisten können, weil das Verhalten bei internen Konflikten für die Erwartungshaltung bezüglich der Aufopferungsbereitschaft bei zwischenmenschlichen Interessenkollisionen völlig ohne Belang ist. Neben der vorherrschenden Interpretation des Solidaritätsprinzips ist auch nach der oben dargestellten Auffassung Pawliks eine Anwendung des rechtfertigenden Notstands auf interne Interessenkollisionen ausgeschlossen. Nach seiner Lehre ist der Notstand durch einen Konflikt des abstrakten Rechts mit einem fremden Wohl gekennzeichnet. Der Eingriff in interne Angelegenheiten sei hingegen allein eine Definition des individuellen Wohls, die der Betroffene selbst vornehmen müsse und die daher der persönlichen Einwilligung vorbehalten sei.295 Es finden sich jedoch auch Anhänger der Solidaritätstheorie, die dennoch eine Anwendung des § 34 StGB auf derartige Fälle als möglich erachten. Bei Kühl ist dies wohl nur dadurch möglich, dass er in diesem Zusammenhang den Zweck des rechtfertigenden Notstands im Schutz des überwiegenden Interesses erblickt296, was jedoch im Widerspruch zu seinen sonstigen, dem Solidaritätsgedanken folgenden Ausführungen steht297. Selbst wenn man die Grundlagen des Notstandsrechts in einer Kombination der Theorie des überwiegenden Interesses mit der Solidaritätstheorie erblickt, wird man letztere stets als das die erstere ausfüllende und begründende Prinzip ansehen müssen298, sodass ein Widerspruch zwischen beiden Ansätzen ausgeschlossen sein muss. Und auch dann, wenn man sie inkonsequent als gleichberechtigt nebeneinander geltende Rechtfertigungsprinzipien akzeptieren würde, kann dies nicht zu der Beliebigkeit führen, dass alternativ das Eingreifen einer be-

293 294 295 296 297 298

Engländer, GA 2010, 15, 25. Vgl. Erb, JuS 2010, 17, 20. Pawlik, Notstand, S. 103 Fn. 140. Kühl, AT, § 8 Rn. 34. Kühl, AT, § 8 Rn. 9; Kühl, in: FS Lenckner, S. 143, 157. Siehe dazu schon E. III. 5.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

liebigen Theorie als ausreichend erachtet wird, sondern müsste der Notstandseingriff stets kumulativ den Anforderungen beider Methoden genügen. Bottke hingegen beruft sich darauf, dass auch der externe Eingriff zur Bewältigung eines internen Interessenkonflikts als Akt der Solidarität qualifiziert werden könne. Der Eingriffstäter zeige sich hier solidarisch mit dem Gefährdeten, indem er dessen überwiegende Interessen schütze. Insbesondere sei daher jeder Erhalt von Leben eine Demonstration von Solidarität.299 Nicht unähnlich dazu verhält sich der Ansatz Neumanns, auch wenn er sich quasi entgegengesetzt auf das mangelnde Dispositionsrecht über das Rechtsgut Leben bezieht. Die Beschränkung des § 216 StGB sei demnach ein Ausdruck der Solidarität mit dem Sterbewilligen. Die ebenfalls dem Solidaritätsgedanken verschriebene Norm des § 34 StGB sei nun dazu berufen, diesen Schutz dort wieder aufzuheben, wo er mehr Schaden als Nutzen einbringe.300 Gegen letzteren Gedanken hat Engländer korrekt eingewandt, dass die Wiederherstellung persönlicher Entscheidungsbefugnisse keine Frage von Solidarität ist, sondern – wesentlich naheliegender – einer Ausdehnung des Autonomieprinzips entspricht.301 Schließlich wird auch niemand den auf eine zulässige Einwilligung hin erfolgenden Eingriff als solidarische Handlung klassifizieren, nur weil er dem Einwilligenden zu Gute kommt, sondern nur als eine durch die autonome Entscheidung des Betroffenen legalisierte. Dass der Schutz des Lebens, sei es durch die Verhinderung einer Suizidhandlung oder durch die Einrichtung des § 216 StGB, ein Ausdruck von Solidarität mit dem Betroffenen sein soll, ist mit dem grundlegenden Verständnis dieses Begriffs nicht zu vereinbaren. Der Lebensschutz dient, das wurde bereits aufgezeigt302, allein den Interessen des einzelnen Menschen. Solidarität setzt hingegen zwingend eine gemeinschaftliche Verbindung verschiedener Personen voraus, die hier jedoch nicht gegeben ist. In den hiesigen Situationen handelt es sich vielmehr um Elemente der Fürsorge. Zwar stellt diese sicherlich ein gewichtiges Element der Solidarität dar, aber gerade nur in Form der wechselseitigen, von allen Beteiligten erbrachten Fürsorge und nicht in Fällen der bloß einseitigen. Auch Merkel identifiziert den rechtfertigenden Notstand grundsätzlich als „interpersonales Moralprinzip“303, wonach eine Anwendung auf intrapersonale Interessenkonfrontationen an sich ausgeschlossen sein müsste. Dennoch will er das Notstandsrecht auch auf diese Fälle erweitern. Dazu verweist er im Wesentlichen auf einen erst-recht-Schluss: Wenn der Notstandstäter zur Abwendung der dem Gefährdeten drohenden Gefahr auf Grundlage des § 34 StGB bereits in die Interessen gänzlich unbeteiligter Dritter eingreifen dürfe, dann müsse er erst recht in die Interessen eingreifen dürfen, die dem Gefährdeten und durch die Tat Begünstigten 299 300 301 302 303

Bottke, GA 1982, 346, 356. Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 583; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 37. Engländer, GA 2010, 15, 22. Siehe B. II. bis VI. Merkel, in: Zustand, S. 171, 186.

IV. Auswirkungen des Solidaritätsprinzips

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selber zustünden.304 Zieschang bezeichnet seinen ganz ähnlichen Gedankengang als Schluss a maiore ad minus: Wenn der Schutz eines Rechtsguts schon dadurch erfolgen dürfe, dass in die Rechtssphäre eines Dritten eingegriffen werde, dann müsse erst recht ein Eingriff in das gefährdete Rechtsgut selbst, zu dessen eigenem Erhalt zulässig sein.305 Dem wird auch die Überlegung zu Grunde liegen, dass dem Gefährdeten nicht die Beistandspflichten anderer zur Verfügung gestellt werden sollen, wenn ebenso der Zugriff auf seine eigenen Güter zu seinem eigenen Vorteil möglich ist. Diese Herangehensweise verkennt, dass es zur Erzielung einer gerechten Lastenverteilung zwischen dem zur Solidarität verpflichteten Dritten und dem Gefährdeten nicht der Anwendung des § 34 StGB bedarf, beziehungsweise dass dort, wo hier eine drohende Ungleichverteilung angedeutet wird, in Wahrheit keine solche besteht. Kann beim Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr der Schadenseintritt auch durch den Zugriff auf Interessen des Gefährdeten abgewendet werden, so wird der Betroffene nach seiner eigenen Präferenzsetzung regelmäßig seine Einwilligung zu diesem Eingriff erklären, wenn er für ihn vorteilhaft erscheint. Verbietet der Gefährdete hingegen die Beanspruchung seiner eigenen Rechtsgüter zur Rettung, so wird man darin zugleich eine Preisgabe des gefährdeten Rechtsguts zu Gunsten des Erhalts des ansonsten in Anspruch zu nehmenden Interesses sehen müssen. Durch diesen Akt der Preisgabe verliert das gefährdete Gut dann aber auch seine Qualität als notstandsfähiges Interesse, sodass in der Folge auch ein Eingriff in Rechtspositionen Dritter nicht mehr gemäß § 34 StGB legitimiert werden kann. In beiden Fällen besteht also gegenüber dem Unbeteiligten, demgegenüber grundsätzlich der rechtfertigende Notstand Anwendung finden kann, keine größere Eingriffsbefugnis als gegenüber dem Gefährdeten selbst, wo diese Befugnis ausschließlich nach den Kriterien der Einwilligung beurteilt wird. Noch deutlicher wird dies in Fällen der Sterbehilfe, auf die sich die Ausführungen Merkels beziehen: Die gegenwärtige Gefahr in Form des Erleidens schwerster Qualen bis zum baldigen Tod kann hier nur dadurch abgewendet werden, dass das Leben des Betroffenen beendet wird. Eine Möglichkeit, die Gefährdung durch einen Eingriff in Interessen anderer Personen zu beenden, besteht hier überhaupt nicht und damit logischerweise auch keine auf § 34 StGB gestützte Eingriffsbefugnis gegenüber Dritten. Wenn aber gar kein Zugriffsrecht gegenüber anderen besteht, dann kann aus diesem auch nicht erst recht eines gegen den Gefährdeten selbst gefolgert werden. Ein Schluss vom Größeren zum Kleineren funktioniert notwendigerweise nur dann, wenn es überhaupt ein Größeres, in diesen Fällen ein Recht zur Verletzung von Interessen Unbeteiligter, gibt. Der Trugschluss dieser Argumentation besteht daher darin, dass von der lediglich abstrakten Möglichkeit, nach § 34 StGB ein Eingriffsrecht gegenüber einem Dritten zu begründen, auf das vermeintliche 304 Merkel, Früheuthanasie, S. 154; Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 569; Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 310. 305 Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 59.

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

„Minus“ eines Eingriffsrechts gegenüber dem Gefährdeten geschlossen wird. Dies würde indes aber nur dann funktionieren beziehungsweise würde nur dann einen logischen und aus Gerechtigkeitserwägungen heraus gebotenen Schluss darstellen, wenn auch in einer konkreten Gefahrensituation einmal eine größere Fremdverantwortung einer kleineren Eigenverantwortung entgegenstehen könnte. Solche Konstellationen treten aber, auch wenn man die Anwendung des rechtfertigenden Notstands auf interne Interessenkonflikte verneint, nicht auf. Zur Untermauerung seines Standpunkts verweist Merkel aber zugleich noch auf eine zweite Begründung, die die Anwendbarkeit des rechtfertigenden Notstands sicherstellen soll. Wenn man die direkte Anwendung des § 34 StGB als unzulässig ansehe, könne dieser immer noch im Zuge einer Analogie herangezogen werden.306 Begründet werden könne dies damit, dass § 34 StGB als einzige Norm offen die Abwägung zweier Übel regele und bei internen Interessenkonflikten – wie insbesondere den Fällen der Sterbehilfe – genau eine solche Gegenüberstellung von zwei Notlagen bestünde. Alle anderen aufgezeigten Lösungsmöglichkeiten entsprächen dagegen nur „Verdeckungs- und Selbsttäuschungsstrategien“.307 Dem Konzept einer Analogie ist zunächst vorzuwerfen, dass eine solche zwar die Anwendbarkeit des rechtfertigenden Notstands sicherstellen aber nicht die Probleme in Hinblick auf die einzelnen Voraussetzungen des Notstandsrechts für diese Fälle beseitigen kann. So müsste auch im Rahmen einer analogen Anwendung weiterhin ein wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses festgestellt werden und würde durch den Vorgang der umfassenden Interessenabwägung ein Übergehen autonomer Entscheidungen drohen. Auch ein nur als Lückenfüller herangezogener § 34 StGB würde also keine zutreffenderen Lösungen für interne Interessenkonflikte erzeugen.308 Des Weiteren weicht Merkels Darstellung vom Grundsatz eines auf Solidarität gestützten Notstandsrechts erheblich ab, wenn sie ihm nicht schon gänzlich widerspricht. Die Übertragbarkeit des Notstandsgedankens soll sich daraus ergeben, dass in beiden Fällen der Widerstreit zweier Übel zu bewältigen sei. Dies mag zwar auf einer stark pauschalisierten Ebene zutreffen, umschreibt damit aber nicht den wahren Zweck und die Ausrichtung des rechtfertigenden Notstands. Ein sich in der Gegenüberstellung und Abwägung zweier Nachteile erschöpfendes Verständnis des Notstandsrechts entspricht inhaltlich ausschließlich der Theorie des überwiegenden Interesses.309 Sieht man die Aufgabe des rechtfertigenden Notstands nur darin das höherwertige Interesse zu bestimmen und diesem sodann zur Durchsetzung zu verhelfen, ist, wie bereits gezeigt wurde, auch die Anwendung auf interne Konflikte 306

Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 310; Merkel, Früheuthanasie, S. 533 f.: „problemlos“; Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 569; so bereits Ulsenheimer, JuS 1972, 252, 255; und wohl auch schon Welzel, Strafrecht, S. 91 f. 307 Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 310. 308 Engländer, GA 2010, 15, 23. 309 Engländer, GA 2010, 15, 23.

V. Materielle Subsidiarität

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problemlos möglich. Dass dies das § 34 StGB zu Grunde liegende Rechtfertigungsprinzip allerdings nicht zutreffend beschreibt, ist ebenso nachgewiesen worden. Die Annahme einer Analogie setzt voraus, dass in den von der heranzuziehenden Norm ausdrücklich geregelten Fällen und in denen, auf die diese erstreckt werden soll, eine vergleichbare Interessenlage vorliegt. Welche Interessenlagen der rechtfertigende Notstand regeln will, ergibt sich dabei erst aus der Auslegung des ihm zu Grunde liegenden Rechtfertigungsprinzips. Und dieses ist zutreffend im Prinzip gegenseitiger Solidarität zu sehen, sodass die Norm auch nur das Interesse verfolgt, wechselseitig gewährte Solidarität in der Bevölkerung sicherzustellen. Die Interessenlage besteht folglich ausschließlich in der Harmonisierung interpersonaler Konflikte. Bei internen Interessenkollisionen liegt somit keine erforderliche vergleichbare Regelungssituation vor. Eine Anwendung des § 34 StGB kann daher hier auch nicht auf eine Analogie gestützt werden.

V. Materielle Subsidiarität des rechtfertigenden Notstands gegenüber Einwilligung und mutmaßlicher Einwilligung Damit ist nun eine Beantwortung der Ausgangsfrage möglich. Es wurde im Vorfeld gezeigt, dass eine Anwendung des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB auf interne Interessenkollisionen nach dem Wortlaut der Norm und den gängigen Interpretationen seiner Voraussetzungen grundsätzlich möglich ist. Es wurde ferner dargelegt, dass die Rechtfertigungsgründe der Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung gemeinsam mit dem rechtfertigenden Notstand sich überschneidende Anwendungsbereiche aufweisen und diese Erlaubnistatbestände daher zueinander im logischen Verhältnis der Interferenz stehen. In diesem Fall ist grundsätzlich von einer unabhängig voneinander erfolgenden Anwendung auszugehen, nach der ein straftatbestandliches Verhalten immer dann gerechtfertigt ist, wenn auch nur ein in Betracht zu ziehender Rechtfertigungsgrund eingreift. Etwas anderes gilt nur dann, wenn nach dem Sinn und Zweck der betroffenen Erlaubnisnormen eine von diesen die vorliegende Fallkonstellation abschließend regeln will, beziehungsweise wenn eine von diesen die zu beurteilenden Sachverhalte gerade nicht beurteilen will. Dann scheidet die Anwendbarkeit eines Rechtfertigungsgrunds auf Basis materieller Subsidiarität aus. Die Ausführungen des vorstehenden Kapitels haben nun nachgewiesen, dass sowohl das Rechtfertigungsprinzip von ausdrücklicher und mutmaßlicher Einwilligung, das Autonomieprinzip, als auch das Solidaritätsprinzip als Grundlage des rechtfertigenden Notstands dafür sprechen, dass interne Interessenkollisionen ausschließlich nach den Grundsätzen der Einwilligung oder mutmaßlichen Einwilligung zu beurteilen sind und demgegenüber § 34 StGB auf diese keine Anwendung finden

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E. Teleologische Erwägungen zur Subsidiarität

kann. Aus Sicht des Autonomieprinzips spricht dafür, dass durch das Abstellen auf den rechtfertigenden Notstand die Gefahr des Übergehens selbstbestimmter Entscheidungen drohen würde. Zudem ist es entgegen in der Literatur vorgebrachter Ansätze nicht möglich, durch das Heranziehen des § 34 StGB die Autonomie des Betroffenen erst durchzusetzen oder gar zu erweitern. Vielmehr stehen die dort postulierten Anforderungen eines wesentlichen Interessenübergewichts sowie der Angemessenheit im Widerspruch zu einer freiverantwortlichen Selbstbestimmung. Die Wahrung der persönlichen Autonomie ist somit nur durch eine vorrangige Anwendung der dieser entspringenden Rechtfertigungsgründe der ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einwilligung sicherzustellen. Auf der anderen Seite dient die Installation eines Notstandsrechts ausschließlich der Einrichtung eines Systems gegenseitig gewährter Solidarität, um durch dieses ein Vertrauen in die Hilfsbereitschaft anderer herzustellen und somit die Freiheit eines jeden an diesem System Beteiligten zu erweitern. Demgegenüber kann der Solidaritätsgedanke nicht fruchtbar gemacht werden, wenn von vornherein nur eine Person betroffen ist, denn die darin enthaltenen Beistandspflichten treffen niemanden gegenüber sich selbst. Der rechtfertigende Notstand bezweckt damit nur die Regelung interpersonaler Konflikte und hält folglich für interne Kollisionen keine Lösungen bereit. Dies lässt sich wie gezeigt auch nicht dadurch umgehen, dass man hier eine Solidarität des Eingriffstäters mit dem Gefährdeten annimmt, und ebenso wenig im Zuge eines erst-recht-Schlusses oder einer Analogie. Nach den diesen Rechtfertigungsgründen zu Grunde liegenden Rechtfertigungsprinzipien ist der Widerstreit zwischen verschiedenen Interessen einer Person damit nicht durch den rechtfertigenden Notstand geregelt. Trotz der dem Wortlaut nach offenstehenden Möglichkeit der Anwendung des § 34 StGB tritt dieser hier im Zuge materieller Subsidiarität hinter den abschließenden Regelungen der Rechtfertigungsgründe der Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung zurück, sodass rettende Eingriffe in die Rechtsgüter des Gefährdeten nur nach deren Maßgabe zu beurteilen sind, auch wenn diese nicht zum Ergebnis einer Rechtfertigung gelangen.

F. Lösungen für die relevanten Fallgestaltungen Im Folgenden soll erläutert werden, wie sich das Ergebnis der umfassenden Unanwendbarkeit des rechtfertigenden Notstands auf intrapersonale Konfliktlagen auf die strafrechtliche Lösung des eingangs aufgeworfen Fallkonstellationen auswirkt, in denen jeweils zumindest teilweise ein Abstellen auf § 34 StGB als notwendig erachtet wird.

I. Rechtfertigung bei dauerhafter oder vorübergehender Einwilligungsunfähigkeit In den Fällen interner Interessenkollisionen, in denen der Gefährdete auf Grund konstitutioneller Defizite dauerhaft nicht in der Lage ist eine selbstbestimmte Einwilligung zu erteilen, wie es bei Kleinkindern oder schwerst geistig Behinderten der Fall ist, oder in denen diese Fähigkeit nur zeitweise, etwa in Folge einer Bewusstlosigkeit, entfällt,1 kann auch ohne Anwendung des rechtfertigenden Notstands eine zutreffende Lösung stets nach den Kriterien der mutmaßlichen Einwilligung gefunden werden. In letzterem Fall ist dies im Grundsatz bereits allgemein anerkannt; jedenfalls dann, wenn hinreichende Hinweise aus den vorherigen Äußerungen des Betroffenen auf dessen zur Zeit der Einwilligungsunfähigkeit tatsächlich bestehenden Willen deuten. Die heute gängige Herangehensweise beinhaltet jedoch auch, dass partiell fehlende Anzeichen für subjektive Präferenzen durch objektive Kriterien ersetzt werden können. Deshalb ist es nicht weniger zulässig, wenn alle individuellen Anhaltspunkte bezüglich der Vorstellungen des Gefährdeten fehlen, auch die gesamte mutmaßliche Einwilligung anhand überindividualistischer Erwägungen durchzuführen. Die Ergebnisse entsprechen somit zwar einer Interessenabwägung nach § 34 StGB, diese Methodik stellt aber zum einen die strenge Subsidiarität einer objektiven Abwägung gegenüber einer auf subjektiven Indikatoren beruhenden Beurteilung der Situation sicher und garantiert zum anderen, dass jeder kleinste Teil an verfügbaren Anhaltspunkten, der auf den individuellen Willen schließen lässt, noch berücksichtigt werden kann.2 Bei konstitutioneller Einwilligungsunfähigkeit liegt die Lösung in der Kombination der Grundsätze der stellvertretenden Einwilligung mit denen der mutmaßli1 2

Siehe zu dieser Fallgruppe A. II. 1. Siehe D. III. 1.

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F. Lösungen für die relevanten Fallgestaltungen

chen Einwilligung. Die Befugnis zur Erteilung von ausdrücklichen Einwilligungen geht in diesen Fällen auf den gesetzlich bestimmten Vertreter über. Die Prinzipien der mutmaßlichen Einwilligung bedingen nun, dass bei mangelnder Entscheidung des Dispositionsbefugten auf dessen hypothetischen Entschluss abgestellt werden soll. Danach ist hier die mutmaßliche Wahl des gesetzlichen Vertreters zu ermitteln und rechtlich ausschlaggebend. Übt der Vertreter seine Vertretungsmacht hingegen pflichtwidrig oder gar nicht aus, so fällt die Entscheidungsgewalt dem zuständigen Zivilgericht zu. In der Folge richtet sich die Rechtfertigung dann nach dessen ausdrücklicher oder eben zu vermutender Beschlussfassung.3 Wirft ein Feuerwehrmann also als letzte Rettungsmöglichkeit ein Kleinkind aus einem brennenden Haus, so ist die jedenfalls versuchte Körperverletzung durch eine mutmaßliche Einwilligung der Eltern gerechtfertigt. Versagen die Eltern ihre Zustimmung jedoch entgegen dem Kindeswohl ausdrücklich, so kann der Feuerwehrmann sich auf die anzunehmende, die Einwilligung ersetzende Entscheidung des Gerichts berufen. Wird ein Bewusstloser, dessen persönlicher Hintergrund völlig unbekannt ist, schwerverletzt in ein Krankenhaus eingeliefert, so kann eine mutmaßliche Einwilligung in die folgende Behandlung angenommen werden, wenn diese objektiv als vernünftig anzusehen ist.

II. Keine Rechtfertigung bei möglicher Unbeachtlichkeit eines entgegenstehenden Willens Die Verhinderung eines freiverantwortlichen Suizids, zu der es notwendig ist in die Rechtsgüter des potentiellen Suizidenten einzugreifen, sowie die Zwangsbehandlung eines Patienten, der aus objektiv unvernünftigen Erwägungen heraus eine gebotene ärztliche Behandlung trotz Lebensgefahr ablehnt,4 sind nach der hier vertretenen Auffassung nicht zu rechtfertigen. Dies ist durch das Autonomieprinzip auch durchaus geboten, weil insbesondere die Entscheidung über die Zulässigkeit ärztlicher Heileingriffe stets in der Hand des Patienten liegen muss und es insofern keine Vernunftshoheit des Arztes geben darf. Es wird dementsprechend allgemein akzeptiert, wenn ein Schwerstkranker in hohem Alter, der dauerhaft unter größten Schmerzen leidet, eine weitere Operation ablehnt, die ihm keine Besserung, sondern nur eine kurzfristige Verlängerung seines Leidens verspricht. Doch diese gravierende Entscheidung muss allein in den Machtbereich des Betroffenen fallen, sodass nichts anderes gelten kann, wenn ein jüngerer Mensch mit guten Heilungschancen sich gegen einen medizinisch sinnvollen Eingriff entscheidet. Eine objektive Bewertung der Sachlage verbietet sich im einen wie im anderen Fall, weil ansonsten nicht zu begründen ist, warum nicht jede medizinische Maßnahme rein nach ihrer objektiv zu bestimmenden Gebotenheit zulässig oder unzulässig wird. Und ebenso macht es 3 4

Siehe D. III. 2. Siehe zu dieser Fallgruppe A. II. 2.

II. Keine Rechtfertigung bei möglicher Unbeachtlichkeit

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rechtlich und aus dem Blickwinkel des Autonomieprinzips keinen Unterschied, ob der Betroffene bereit ist, einem natürlich begründeten Krankheitsverlauf seinen Lauf zu lassen, oder ob er sich die gefahrbegründenden Verletzungen zuvor selbst zugefügt hat oder ob er schließlich die Gefahr erst dadurch schafft, dass er versucht, sich selbst zu töten. Ein erfolgender Eingriff würde jeweils nicht anders zu bewerten sein als eine medizinische Zwangsbehandlung.5 Diesem Ergebnis wird nun vorgeworfen, dass die Unzulässigkeit der einen Straftatbestand verwirklichenden Suizidverhinderung im Widerspruch zu den meisten landesrechtlichen Polizeigesetzen stehe, die der Polizei eine solche Befugnis entweder ausdrücklich, etwa gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 2 lit. c PolG BW, oder im Rahmen der Generalklauseln erlauben würden.6 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass landesrechtliche Vorschriften weder eine korrigierte Auslegung noch eine übergesetzliche Neuschaffung strafrechtlicher Rechtfertigungsgründe erzwingen können. Zu beachten ist zudem, dass auch die hiesige Lösung den Rettungswilligen in lebensbedrohlichen Situationen nicht generell zur Untätigkeit zwingt. Immer dann, wenn der Entschluss zur Beendigung des eigenen Lebens oder zur Untersagung eines medizinisch gebotenen Eingriffs nicht auf einer freiverantwortlichen Entscheidung des Rechtsgutsträgers beruht oder die entsprechende Äußerung tatsächlich nicht ernst gemeint ist, bleibt Raum dafür, den Eingriff unter Rückgriff auf den vermuteten wahren Willen des Betroffenen im Zuge einer mutmaßlichen Einwilligung zu rechtfertigen.7 Dies ist etwa der Fall bei durch Dritte abgenötigten Entscheidungen, bei Entschlüssen, die durch psychische Erkrankungen ausgelöst werden, sowie bei Appellsuiziden. Ebenso ist es denkbar, dass demjenigen, der den rettenden Eingriff zunächst abgelehnt hat, nach Verlust des Bewusstseins ein anderer, die Rettung bejahender hypothetischer Wille zu unterstellen sein könnte. Während die frühere Rechtsprechung hierbei sehr großzügig zumeist – jedenfalls im Ergebnis – von einem solchen Sinneswandel ausging8, entspricht es aber der heute herrschenden Auffassung, dass es konkreter Anhaltspunkte bedarf, um die mutmaßliche Abkehr von einer zuvor freiverantwortlich gefassten Entscheidung annehmen zu können.9 Dem entsprechen die nunmehr gesetzlich fixierten Regelungen zur Patientenverfügung nach § 1901a BGB: Selbst wenn keine einschlägige Patientenverfügung vorliegt, richtet 5

So auch Baltz, Lebenserhaltung, S. 236; so zur Behandlung von Häftlingen Arndt/ v. Olshausen, JuS 1975, 143, 149 f.; Ebert, JuS 1976, 319, 322 Fn. 32. 6 Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 73; ähnlich Schmidhäuser, in: FS Welzel, S. 801, 817; zur Berechtigung der Polizei zum Einschreiten gegen Selbsttötungen VG Karlsruhe NJW 1988, 1536. 7 Bottke, GA 1982, 346, 355; Duttge, in: HK-GS, § 34 Rn. 13; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35. 8 BGH NJW 1960, 1821; BGHSt 32, 367, 374; ebenfalls weitreichend Ulsenheimer, in: FS Eser, S. 1225, 1231 f. 9 BGH NJW 2003, 1588, 1591; Bottke, GA 1982, 346, 356; Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 44; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35a; Schneider, in: MK-StGB, Vor § 211 Rn. 73; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 57.

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F. Lösungen für die relevanten Fallgestaltungen

sich die Zulässigkeit ärztlicher Maßnahmen gemäß § 1901a Abs. 2 BGB nach dem anhand konkreter Anhaltpunkte zu ermittelnden mutmaßlichen Willen des Betroffenen. Die generelle Annahme einer mit Eintritt der Bewusstlosigkeit eintretenden Umorientierung zu Gunsten des weiteren Lebens ist auf dieser Basis also nicht mehr möglich. Doch auch wenn danach eine freiverantwortliche Entscheidung gegen den rettenden Eingriff vorliegt, der Notstandstäter allerdings inkorrekt davon ausgeht, dass eine solche nicht gegeben ist, und stattdessen entgegen der Sachlage eine mutmaßliche Einwilligung des Gefährdeten annimmt, so irrt er damit über das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes und kann auf Grund dieses Irrtums nicht wegen einer vorsätzlicher Tatbestandsverwirklichung bestraft werden.10 Zwar ist die rechtliche Behandlung eines solchen Erlaubnistatbestandsirrtums im Einzelnen umstritten11, doch selbst nach den rigideren Maßstäben der strengen Schuldtheorie, die § 17 StGB auf diese Fälle anwenden will,12 wird man hier, da die rechtliche Beurteilung von inneren, nach außen hin kaum zuverlässig erkennbaren Tatsachen abhängt, regelmäßig zur Unvermeidbarkeit des Irrtums und somit zur Entschuldigung der Tat gelangen. Aus denselben Gründen wird man auch nach der herrschenden eingeschränkten Schuldtheorie13 nur sehr selten zu einer möglichen Strafbarkeit wegen der Verwirklichung eines Fahrlässigkeitsdelikts kommen. In der Praxis dürften damit die meisten Fälle der Suizidverhinderung – auch mit Blick auf den Grundsatz in dubio pro reo – doch straflos bleiben.14

III. Keine Rechtfertigung bei rechtlicher Unmöglichkeit einer Einwilligung Auch wenn die Annahme einer rechtfertigenden Einwilligung daran scheitert, dass das in Rede stehende Rechtsgut der Verfügungsmacht des Einzelnen entzogen ist, wie es gemäß § 216 StGB insbesondere beim menschlichen Leben der Fall ist,15 verbietet sich folglich die Legitimierung eines solchen Eingriffs nach den Regeln des rechtfertigenden Notstands. Daraus ergibt sich zunächst die Konsequenz, dass auch weiterhin von der Unabwägbarkeit des höchstrangigen Rechtsguts Leben im Rahmen des § 34 StGB ausgegangen werden kann und muss, da der Notstand nur eine

10

Wagner, Selbstmord, S. 132. Vgl. Frister, AT, Kap. 14 Rn. 29 ff.; Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 103 ff.; Rengier, AT, § 30 Rn. 1 ff.; Roxin, AT I, § 14 Rn. 52 ff. 12 Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 123. 13 BGHSt 3, 105, 107; BGH NStZ 2001, 530; Hoyer, in: SK-StGB, Vor § 32 Rn. 51; Rengier, AT, § 30 Rn. 20; Roxin, AT I, § 14 Rn. 64. 14 Wagner, Selbstmord, S. 133. 15 Siehe zu dieser Fallgruppe A. II. 3. 11

III. Keine Rechtfertigung bei rechtlicher Unmöglichkeit

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Verrechnung mit Interessen Dritter regelt und niemand aus Solidarität zur Hingabe seines Lebens verpflichtet werden kann. Des Weiteren ist insbesondere in allen Varianten der Sterbehilfe folglich keine Rechtfertigung über die Anwendung des rechtfertigenden Notstands möglich, wie es auch der zweite Strafsenat des BGH in seinem grundlegenden Urteil zum Behandlungsabbruch somit im Ergebnis korrekt erkannte.16 Und auch bei der Einwilligung in eine Lebensgefährdung kann die Straffreiheit des Täters damit nicht aus § 34 StGB folgen. 1. Möglichkeit der Einwilligung in eine Fremdtötung Die komplexe Diskussion um die strafrechtliche Würdigung der Sterbehilfe ist auch mit dem Grundsatzurteil des BGH nicht zu einem von einem Konsens getragenen Ende gekommen.17 Näher beleuchtet werden soll an dieser Stelle jedoch nur der neue Lösungsweg der Rechtsprechung, nach dem die Rechtfertigung eines Behandlungsabbruchs allein durch den Rückgriff auf den Willen des Patienten möglich sein soll.18 Zwar stellt der zweite Strafsenat in diesem Zusammenhang ausdrücklich klar, dass damit keine Begrenzung des § 216 StGB einhergehen solle, spricht aber dennoch vom Eingreifen einer rechtfertigenden Einwilligung.19 Eine solche kann der Sache nach nur mittels einer teleologischen Reduktion des § 216 StGB angenommen werden, womit zu erörtern bleibt, wie diese dogmatisch begründet werden kann und in welchen Grenzen sie zulässig ist.20 Dies setzt zunächst voraus, den der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen zu Grunde liegenden Rechtsgedanken genauer zu bestimmen. Dabei ist hier bereits nachgewiesen worden, dass sowohl der Schutz als auch die Beeinträchtigung des Lebens für sich genommen keine Rechtsgüter der Allgemeinheit oder Dritter berühren.21 Damit kann auch die Existenz des § 216 StGB nicht mittels überindividualistischer Maßstäbe begründet werden.22 Der historische Gesetzgeber wird bei Einführung des uneingeschränkten Fremdtötungsverbots vor allem durch religiöse Wertvorstellungen motiviert worden sein, die von der Unantastbarkeit des gottgegebenen Lebens geprägt sind.23 Eine ähnlich abstrakte, auf der Rechtsordnung übergeordnete naturrechtliche oder mo16

BGHSt 55, 191, 197 f. Kritisch vor allem Walter, ZIS 2011, 76, 79: „Der schlichte, gänzlich unsubstantiierte Hinweis auf eine ,Abwägung der betroffenen Rechtsgüter‘ und den ,Hintergrund der verfassungsrechtlichen Ordnung‘ schwebt einsam und schwerelos durchs methodische Vakuum.“ 18 BGHSt 55, 191, 199. 19 BGHSt 55, 191, 200; so auch Eidam, GA 2011, 232, 241; Gaede, NJW 2010, 2925, 2927. 20 Ebenso Dölling, ZIS 2011, 345, 347; Eidam, GA 2011, 232, 241; Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 32; Gaede, NJW 2010, 2925, 2927; Walter, ZIS 2011, 76, 81. 21 Siehe B. II. bis VI. 22 Hoyer, in: SK-StGB, Vor § 32 Rn. 32. 23 Vgl. Engländer, Nothilfe, S. 119; Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459, 467 f. 17

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F. Lösungen für die relevanten Fallgestaltungen

ralphilosophische Erwägungen abstellende Begründung findet sich heute in der Annahme eines nicht weiter ableitbaren absoluten Lebensschutzes.24 Solche Ansätze können im heutigen säkularen und bekenntnisneutralen System des Grundgesetzes jedoch keine zwingende Wirkung gegen den Einzelnen, dessen Dispositionsbefugnis aufgehoben wird, mehr legitimieren. Die Annahme eines derart losgelösten Schutzzwecks ist mit dem Verständnis des Lebens als Individualrechtsgut, welches dem jeweiligen Rechtsgutsträger zusteht und dessen Schutz dient, nicht zu vereinbaren.25 Konkreter auf die Rechte des Betroffenen und die Wertungen der Verfassung stellt daher die Ansicht ab, nach der der Todeswillige mit der Einwilligung in seine Tötung zugleich eine Verletzung seiner Würde gestatte, in die aber auf Basis von Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG jeder Eingriff untersagt bleiben müsse. Der Einwilligende mache sich durch seine Zustimmung zum bloßen Objekt des Handelns des Täters und gebe vollständig seine Qualität als Rechtsperson auf.26 Hiergegen ist aber einzuwenden, dass gerade keine Objektivierung des Opfers stattfindet, sondern die Achtung seiner autonomen Entscheidung und die Durchsetzung seines Willens vielmehr auch als Anerkennung des Einwilligenden als freies Individuum verstanden werden können.27 Zudem ist es die Funktion der Menschenwürdegarantie die durch das Grundgesetz im Folgenden gewährten Freiheitsrechte zu stärken, weshalb sie nicht herangezogen werden kann, um ganz im Gegenteil die Rechte der Grundrechtsinhaber gleich wieder zu beschränken, indem die Verfügungsbefugnis über sie aufgehoben wird.28 Ein einwilligungsresistentes Lebensrecht wird auch unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG abgeleitet. Das dort gewährte Recht auf Leben sei gemäß Art. 1 Abs. 2 GG als unverletzliches und vor allem unveräußerliches Menschenrecht ausgestaltet und könne daher auch vom Rechtsgutsinhaber selbst nicht gänzlich aufgegeben werden.29 Ähnlich wie zum Menschenwürdeargument ist auch hier zu entgegnen, dass Art. 2 GG Freiheitsrechte gewährt, die dem Schutz des Berechtigten vor Eingriffen Dritter und des Staates dienen sollen. Das Abwehrrecht der Bürgers würde dieser Auffassung nach aber zum Eingriffsrecht anderer verkehrt. Aus dem eingeräumten Recht zum Leben würde sich unmittelbar die Pflicht zum Leben ergeben.30 Übereinstimmend ist den vorgetragenen Ansätzen, die im Ergebnis jeweils ein unverletzliches Recht auf Leben begründen wollen, entgegenzuhalten, dass nach 24

Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 1 Rn. 5; Rengier, BT II, § 6 Rn. 1; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 2. 25 Engländer, Nothilfe, S. 119 f.; Rönnau, Willensmängel, S. 163; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 105. 26 Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41, 44. 27 Chatzikostas, Disponibilität, S. 259; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 110. 28 Niestroj, Selbsttötung, S. 13; Rönnau, Willensmängel, S. 163. 29 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216 Rn. 2; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565, 573 f. 30 Engländer, Nothilfe, S. 125; Niestroj, Selbsttötung, S. 12; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 108.

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ihnen der allgemeine Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG, dem auch das Lebensrecht unterfällt, oder das Recht zur Tötung in Notwehrsituationen kaum zu erklären sind.31 Des Weiteren müssten sie konsequent nicht nur die Zustimmung zur Fremdtötung, sondern auch bereits die Selbsttötung als Verstoß des Suizidenten gegen seine eigenen Rechte begreifen. Jedenfalls müsste die Beteiligung an einer Selbsttötung danach als mittelbarer Eingriff in ein unverletzliches Recht untersagt sein. Diese Fälle werden jedoch von der gegenwärtigen Rechtslage nicht strafrechtlich missbilligt. Überzeugend lässt sich das Verbot einverständlicher Fremdtötungen daher letztlich nur mit dem paternalistischen Schutz des Einwilligenden vor seinen eigenen übereilt oder defizitär gefällten Entscheidungen begründen.32 Dabei spielen vor allem die Tragweite des Entschlusses für den Tod als Aufgabe der eigenen Existenz und dessen definitive Irreversibilität eine entscheidende Rolle, die in diesen Zusammenhang eine begrenzte Zwangsfürsorge legitimieren kann. Der Betroffene soll vor einem Schritt bewahrt werden, den er selbst eventuell nur aus einer aktuellen emotionalen Zwangslage heraus machen, aus einiger Distanz heraus aber bereuen würde, oder zu dem er sich nur auf der Grundlage falscher Annahmen entschließt. Dieser Begründung werden nun jedoch zwei plausible Einwände entgegengebracht: Zum einen müsse § 216 StGB unter dieser Prämisse dann Ausnahmen zulassen, wenn die Entscheidung des Einwilligenden von jedermann unbestreitbar als ernsthafter und dauerhafter Wille zum Sterben feststehe,33 zum anderen sei nicht ersichtlich, warum dann nicht auch der Suizid und die Beihilfe zum Suizid untersagt seien, wo ebenso die Gefahr voreiliger Entschlüsse bestehe34. Dem kann erwidert werden, dass der einzige Unterschied zwischen der straflosen Selbsttötung und der strafbaren Tötung auf Verlangen in der Ausführung der Tötung durch einen anderen liegt, sodass darin die Basis für die Strafandrohung des § 216 StGB liegen muss.35 Deshalb ist gerade in der Delegation der Vornahme der todbringenden Handlung auf einen Dritten ein Zeichen der Unsicherheit zu sehen.36 Der Todeswillige bringt damit zum Ausdruck, dass er nicht bereit ist, diese finale Grenze eigenständig zu überschreiten, sondern legt die Ausführungshandlung in die Hände eines Dritten. Dabei ist es wohl offensichtlich, dass es dem Betroffenen wesentlich einfacher fallen und erheblich weniger Überwindungskraft kosten wird, jemanden mit einem bloßen Ausspruch zu seiner Tötung zu ermächtigen, als an sich selbst eine 31

Ingelfinger, ZfL 2005, 38, 39. Engländer, Nothilfe, S. 126 ff.; Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459, 467 f.; Jakobs, Tötung, S. 22; Murmann, Selbstverantwortung, S. 493; Schneider, in: MK-StGB, § 216 Rn. 8; als einer von mehreren Normzwecken bei Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216 Rn. 2. 33 Rönnau, Willensmängel, S. 163. 34 Sternberg-Lieben, Schranken, S. 112. 35 Hauck, GA 2012, 202, 211; Roxin, NStZ 1987, 345, 347. 36 Chatzikostas, Disponibilität, S. 265; Murmann, Selbstverantwortung, S. 496 f.; Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216 Rn. 3. 32

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tödliche Handlung vorzunehmen. Die Anforderung, die eigene Hand gegen sich selbst zu führen und damit den natürlichen Selbsterhaltungstrieb zu überwinden, stellt daher das finale Hemmnis dar, mit dessen Überschreitung der Todeswillige endgültig seinen Entschluss für die Beendigung seines Lebens dokumentiert.37 Mit der Einrichtung des § 216 StGB statuiert die Rechtsordnung daher die grundsätzlich unwiderlegbare Vermutung, dass die auf einen anderen übertragene Ausführung der Tötung ein Anzeichen für die Schwäche des Entschlusses zu sterben darstellt38, und verlangt daher die Unumstößlichkeit dieser Entscheidung durch die eigene Vornahme der todbringenden Handlung zu belegen. Aus der Norm folgt daher die Pflicht des Sterbewilligen, die letzte Handlung eigenhändig durchzuführen.39 Verglichen werden kann diese Regelung folglich mit der Pflicht zur persönlichen Errichtung eines Testaments gemäß § 2064 BGB. Auch diese basiert auf der besonderen Bedeutung der zu dokumentierenden Entscheidung, dem Schutz der Entschlussfreiheit und der Übernahme der persönlichen Verantwortung durch den Handelnden selbst.40 Wenn der Zweck des § 216 StGB also darin besteht, den in seine Tötung Einwilligenden vor übereilten Entscheidungen zu schützen und ihn daher auf die höchstpersönliche Durchführung des Tötungsaktes zu verweisen, bleibt zu erörtern, ob es dem Wortlaut der Norm unterfallende Sachverhalte gibt, deren Pönalisierung diesem Telos nicht dient und die daher im Zuge einer teleologischen Reduktion aus dem Anwendungsbereich der Strafvorschrift auszuschließen sind. Dabei geht es zu weit, bereits dann von einer Straflosigkeit auszugehen, wenn der Entschluss des Betroffenen als wohlüberlegte und gesicherte Entscheidung feststeht oder wenn die Gründe für die Durchführung einer Fremdtötung nach öffentlichem Urteil akzeptabel erscheinen.41 Das postulierte Verbot umfasst gerade auch die Unbeachtlichkeit eines rationalen und endgültigen Entschlusses42 und beschränkt den Betroffenen in diesen Fällen auf die zulässige Möglichkeit der Selbsttötung. Etwas anderes gilt daher nur dann, wenn diese von der Rechtsordnung grundsätzlich eröffnete Möglichkeit für den Einzelnen in der konkreten Situation nicht mehr besteht, wenn er also nicht in der

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Chatzikostas, Disponibilität, S. 265; Roxin, NStZ 1987, 345, 348. Schneider, in: MK-StGB, § 216 Rn. 8. 39 Ebenso Chatzikostas, Disponibilität, S. 267; Frister, AT, Kap. 13 Rn. 4; Jakobs, Tötung, S. 22 f.; Roxin, AT I, § 2 Rn. 33; kritisch hierzu Schneider, in: MK-StGB, § 216 Rn. 6, der letztlich aber auch zum Ergebnis gelangt, dass § 216 StGB dem Schutz vor übereilten Entscheidungen dient (vgl. Rn. 7 f.). Betrachtet man die Verpflichtung zur eigenhändigen Durchführung der Tötung nicht als Zweck der Norm, so muss man sie jedenfalls als deren Folge anerkennen. 40 BGHZ 15, 199, 200; Leipold, in: MK-BGB, § 2064 Rn. 1; Otte, in: Staudinger, § 2064 Rn. 4; die zivilrechtliche Norm verfolgt allerdings noch weitere, darüber hinausgehende Zwecke, vgl. Goebel, DNotZ 2004, 101, 105. 41 So Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459, 470; Jakobs, Tötung, S. 24 ff.; erheblich restriktiver auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 500 f.; dagegen ausführlich Roxin, in: FS Jakobs, S. 571, 574 ff. 42 Vgl. Murmann, Selbstverantwortung, S. 495. 38

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Lage ist, sich selbst zu töten.43 Hier würde § 216 StGB den Todeswilligen nicht mehr nur auf eine andere Variante des Sterbens verweisen, sondern ihn jeder Option zu sterben berauben. Erst dann würde die Vorschrift eine Pflicht zum Leben postulieren und sich damit in ihrer Wirkung gegen den von ihr eigentlich zu schützenden Rechtsgutsträger richten. Dennoch kann in solchen Situationen sodann nicht jedes Verlangen nach einer Fremdtötung respektiert werden, sondern ist der anvisierte Schutz vor übereilten Entscheidungen so weit wie möglich aufrecht zu erhalten. Deshalb sind auch hier nur möglichst eng begrenzte Ausnahmen zuzulassen, in denen die erteilte Einwilligung als gefestigter und unumstößlicher Entschluss feststeht. Ein Verfahren zur Ermittlung einer solch sicheren Entscheidung hat der Gesetzgeber nunmehr in den §§ 1901a ff. BGB installiert, nach deren Vorgaben der vom Betroffenen selbst antizipierte oder mutmaßliche Wille eines inzwischen Einwilligungsunfähigen festzustellen ist. Insofern dieser Interpretation nun vorgeworfen wird, die Grenzen zulässiger Gesetzesauslegung angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 216 StGB zu überschreiten44, ist dem zu erwidern, dass die Unterschreitung des Wortlauts gerade zum Wesen einer teleologischen Reduktion gehört, die hier, da sie zu Gunsten eines potentiellen Täters wirkt, auch mit dem Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbaren ist. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit der Einführung der §§ 1901a ff. BGB nun eindeutig den fortwirkenden Willen des Betroffenen zum allein entscheidenden Kriterium über dessen Behandlung in der Nähe des Todes erhoben.45 Zutreffend hat deshalb auch der BGH aus dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung die Regelungskraft dieser Vorschriften für das Strafrecht abgeleitet.46 Dabei ist der Anwendungsbereich dieser Normen gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB auf Fälle der Einwilligungsunfähigkeit ausgerichtet, also de facto auf Sachverhalte, in denen eine eigenverantwortliche Selbsttötung nicht mehr möglich ist. Der von der Rechtsprechung jedenfalls angedeutete Weg einer teleologischen Reduktion des § 216 StGB, wonach eine rechtfertigende Einwilligung in Sterbehilfehandlungen, die grundsätzlich den Tötungstatbeständen unterfallen, möglich ist, erweist sich damit als zulässig und sogar geboten. Im Grundsatz ist der Sterbewillige aber, solange er dazu in der Lage ist, auf die Möglichkeit des Suizids zu verweisen. Er darf sowohl dazu motiviert als auch vor allem dabei unterstützt werden, da die

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Im Grundsatz ebenso Murmann, Selbstverantwortung, S. 499 u. 528; mit ähnlichen Ausführungen zur Fallgruppe, aber mit Lösung über § 34 StGB Chatzikostas, Disponibilität, S. 264, und Simson, in: FS Schwinge, S. 89, 109; ähnlich auch Hirsch, in: FS Welzel, S. 775, 796; vgl. zur Fallkonstellation auch Schneider, in: MK-StGB, § 216 Rn. 6; Schroeder, in: FS Deutsch, S. 505, 506. 44 So Rönnau, Willensmängel, S. 164; Roxin, in: FS Jakobs, S. 571, 574 f.; Schroeder, in: FS Deutsch, S. 505, 508; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 113. 45 BT-Drucks. 16/8442, S. 11. 46 BGHSt 55, 191, 200.

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Teilnahme an einer Selbsttötung straffrei bleibt.47 Verliert der sich selbst Tötende schließlich das Bewusstsein, muss und darf er nur dann wieder gerettet werden, wenn aus konkreten Anhaltspunkten ersichtlich ist, dass er seinen Entschluss mutmaßlich auch selbst wieder zurückgenommen hätte. Erst wenn der Betroffene sich nicht mehr selbst töten kann, also vor allem im komatösen Zustand, kann ein Dritter zur Vornahme einer Fremdtötung berechtigt sein, wenn dies dem gefestigten tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Dieser Wille ist dabei insbesondere nach den Regelungen der §§ 1901a ff. BGB zu ermitteln.48 Wie die Rechtsprechung zu Recht erkannte, ist es unerheblich, ob die Tötung dann durch ein Tun oder Unterlassen geschieht.49 Fraglich bleibt lediglich, ob sich der Anwendungsbereich der hier vorgenommenen teleologischen Reduktion, wie vom BGH angenommen, auf Fälle des Behandlungsabbruchs oder des Fortlaufenlassens eines tödlichen Krankheitsprozesses beschränkt.50 Dafür sprechen die nur auf diese Konstellationen bezogene Regelung des § 1901a BGB und der bei deren Einführung geäußerte Wille des Gesetzgebers, das grundsätzliche Verbot aktiver Sterbehilfe unangetastet zu lassen.51 Das Ziel eines möglichst weitreichenden Schutzes des Sterbewilligen vor übereilten oder unüberlegten Entscheidungen gebietet es zudem, dass im Falle einer teleologischen Reduktion an die Stelle des absoluten Verbotes des § 216 StGB ein Verfahren gesetzt wird, das in größtmöglichem Umfang sicherstellt, dass der Entschluss zu sterben auf gefestigten und unumstößlichen Überlegungen beruht. Wenn in regulären Fällen die Dokumentation dieses Entschlusses durch die drastische Form einer Selbsttötung verlangt wird, muss im Übrigen ein Procedere angewandt werden, welches nicht viel mehr Zweifel an der Festigkeit der Entscheidung zulässt. Im Rahmen des geschriebenen Rechts bieten allerdings nur die §§ 1901a ff. BGB diesen Ansprüchen genügende Regelungen, indem sie detailliert vorgeben, wie der tatsächliche oder mutmaßliche Wille eines Einwilligungsunfähigen zu ermitteln ist. In anderen Konstellationen müssten vergleichbare Kriterien ausschließlich im Wege richterlicher Rechtsfortbildung herausgearbeitet werden. Zu bedenken ist jedoch, dass es gerade in diesem Bereich erforderlich ist, sowohl zu Gunsten der potentiellen Opfer als auch der potentiellen Täter ein größtmögliches Maß an Rechtssicherheit herzustellen.52 Doch dies wird ohne Anwendung eines gesetzlich vorgegebenen und 47

BGHSt 2, 150, 152; BGHSt 13, 162, 167; BGHSt 32, 262, 264; Eser, in: Schönke/ Schröder, Vor § 211 Rn. 35; Fischer, StGB, Vor § 211 Rn. 19; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 47. 48 Zur Diskussion, ob bei feststehendem Willen des Patienten aber Missachtung des zivilrechtlich vorgeschriebenen Verfahrens die Strafbarkeit bestehen bleibt, siehe die Nachweise unter D. III. 2. 49 BGHSt 55, 191, 201 f. 50 BGHSt 55, 191, 204 f. 51 BT-Drucks. 16/8442, S. 9. 52 Kritisch gegenüber zu unbestimmten Lösungen Hirsch, in: FS Welzel, S. 775, 796; Roxin, in: FS Jakobs, S. 571, 576.

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ausgestalteten Verfahrens kaum möglich sein. Im Ergebnis wird somit über die zivilrechtlichen Regelungen zur Patientenverfügung hinaus keine Möglichkeit bestehen, einen die Vermutung des § 216 StGB entkräftenden Willen mit hinreichender Sicherheit zu bestimmen, weshalb die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion auf deren Anwendungsbereich zu beschränken ist. So bleibt beispielsweise eine Rechtfertigung der sogenannten Gnadenschussfälle53 ausgeschlossen. Es ist aber zu beachten, dass die hiesige Lösung sowieso nur dann eingreift, wenn der Betroffene sich bereits nicht mehr selbst töten kann, sodass weit überwiegend nur die Endstadien auch selbstständig tödlich verlaufender Krankheitsbilder erfasst sein werden, für die die §§ 1901a ff. BGB eine Lösung bieten. 2. Möglichkeit der Einwilligung in eine Lebensgefährdung Fraglich bleibt letztlich, auf welcher Grundlage eine Rechtfertigung von das Leben nicht zielgerichtet beendenden sondern lediglich gefährdenden Handlungen möglich ist, wenn in ihrer Folge der Tod des Betroffenen eintritt und daher eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung im Raum steht, oder der Tod sogar billigend in Kauf genommen wird, sodass zumindest ein versuchter Totschlag in Betracht zu ziehen ist. Letzteres kann insbesondere bei hoch riskanten aber notwendigen ärztlichen Eingriffen der Fall sein.54 Für diese Konstellationen wird in der Literatur ein breites Spektrum an Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Ein beachtlicher Teil der Lehre will hier bereits die Tatbestandsmäßigkeit der entsprechenden Handlungen verneinen.55 Die wohl herrschende Meinung geht hingegen von der Möglichkeit einer Einwilligung aus, die vom Ausschluss der Dispositionsbefugnis nach § 216 StGB nicht erfasst sein soll.56 Begründet wird dies oft damit, dass die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen nur vorsätzliche Tötungshandlungen ausschließe57, womit aber Verhaltensweisen als strafbar erfasst werden müssten, bei denen das Risiko so erheblich ist, dass aus Sicht des die Sachlage korrekt erfassenden Täters bereits dolus eventualis anzunehmen ist, wie vor allem im genannten Beispiel der höchst riskanten lebensrettenden Operation.58 Die Reichweite des die Autonomie beschränkenden § 216 StGB ist auch in diesen Fällen anhand des diesem zu Grunde liegenden Zwecks zu bestimmen. Die Norm soll den Einwilligenden vor einer unüberlegten und voreiligen Entscheidung für den 53

Siehe A. II. 2. Siehe zu dieser Fallgruppe A. II. 3. 55 Auflistung der verschiedenen Varianten bei Sternberg-Lieben, Schranken, S. 223 f. m.w.N.; grundlegend Roxin, AT I, § 11 Rn. 121 ff.; ablehnend Hauck, GA 2012, 202, 213 ff. 56 BGHSt 49, 166, 175; BGHSt 53, 55, 62 f.; Frister, AT, Kap. 15 Rn. 26; Kühl, AT, § 17 Rn. 87; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 36; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 166; Schaffstein, in: FS Welzel, S. 557, 571. 57 Kühl, AT, § 17 Rn. 87; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 36; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 166. 58 Zutreffend kritisch Frister, AT, Kap. 15 Rn. 26. 54

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eigenen Tod schützen und verlangt dadurch, einen gefestigten und freiverantwortlichen Todeswunsch durch die eigenhändige Vornahme der todbringenden Handlung zu dokumentieren. Bei der Einwilligung in ein Risiko entscheidet sich der Betroffene allerdings gar nicht dafür zu sterben, sondern wird diese stets in der Hoffnung erteilen, dass er tatsächlich überleben und vom durch die Vornahme der Handlung erwarteten Vorteil profitieren wird. Da somit gar kein Todeswunsch existiert, kann der Einwilligende auch nicht vor dessen voreiliger Abfassung geschützt werden und geht folglich auch der Auftrag, diesen durch eine eigenhändige Handlung zu belegen, ins Leere. Dieses Resultat wird erst recht dann deutlich, wenn ein Patient sich durch die Zustimmung zu einem gefährlichen Heileingriff gerade für den Schutz seines Lebens und gegen den ansonsten drohenden Tod ausspricht. Es besteht kein Anlass dafür, die Autonomie dort erheblich zu beschränken, wo der Schutzzweck der Regelung mit dem Willen des Adressaten übereinstimmt.59 Von § 216 StGB ausgeschlossen wird daher nur die Einwilligung in die zielgerichtete, also absichtlich oder wissentlich erfolgende Tötung.60 Dass weitere Fälle nicht in den Anwendungsbereich der Norm fallen sollen, wird auch von ihrem eigenen Wortlaut gestützt, da bei einer Risiko-Einwilligung kaum von einem ausdrücklichen und ernstlichen Verlangen sowie von einem Bestimmen des Täters gesprochen werden kann. Unabhängig davon stellt sich in der Folge noch die Frage, ob die somit mögliche Einwilligung in eine Lebensgefahr einem Vorbehalt vergleichbar der Sittengemäßheit nach § 228 StGB unterliegt.61 Ein solcher kann sich allerdings jedenfalls nicht aus dem hier im Ganzen nicht einschlägigen § 216 StGB ergeben.

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Vgl. Erb, in: MK-StGB, § 34 Rn. 33; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 36. Frister, AT, Kap. 15 Rn. 26; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 104. 61 So BGHSt 49, 166, 175; BGHSt 53, 55, 62 f.; ebenso Helgerth, NStZ 1988, 261, 263; ähnlich Frister, AT, Kap. 15 Rn. 27; ablehnend Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 166; Schaffstein, in: FS Welzel, S. 557, 570. 60

G. Ergebnisse der Arbeit Interne Interessenkollisionen liegen immer dann vor, wenn zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr ausschließlich in die Interessen des Gefährdeten eingegriffen werden muss. Die Rechtfertigung derartiger Eingriffe erfolgt in den meisten Fällen mittels der Erlaubnistatbestände der Einwilligung oder der mutmaßlichen Einwilligung. In bestimmten Fallgestaltungen soll allerdings ausschließlich eine Legitimierung der Tat nach den Grundsätzen des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB möglich sein und zwar dann, wenn das Eingreifen einer Einwilligung ausgeschlossen ist, weil der Betroffene vorübergehend oder dauerhaft einwilligungsunfähig ist, sein Wille dem Eingriff entgegensteht, dieser aber unbeachtlich sein soll, oder ihm das Erteilen einer Einwilligung rechtlich unmöglich ist. Bei derartigen Sachverhalten geht es zumeist um den Schutz des Rechtsguts Leben, so vor allem bei der Rettung eines Einwilligungsunfähigen oder der Verhinderung einer Selbsttötung, oder um dessen Beeinträchtigung, so bei der Sterbehilfe. Dies ändert jedoch nichts daran, dass lediglich ein intrapersonaler Interessenkonflikt vorliegt, da weder der Erhalt noch die Beendigung eines Lebens ein beachtliches Interesse der Allgemeinheit oder Dritter betreffen. Der Anwendung des rechtfertigenden Notstands steht es nicht bereits entgegen, dass ein von § 34 StGB vorausgesetzter Interessenwiderstreit innerhalb einer Person gar nicht bestehen kann. Es ist durchaus möglich, dass ein Mensch zeitgleich zwei sich gegenseitig ausschließende Wünsche verfolgt. Auch in Fällen der Sterbehilfe können sich diametrale Interessen gegenüberstehen in Form des Rechts auf Leben einerseits und dem Streben nach Schmerzfreiheit und einem würdigen Tod andererseits. Ein Eingreifen des rechtfertigenden Notstands würde hier allerdings voraussetzen, den Grundsatz der Unabwägbarkeit des höchstrangigen Rechtsguts Leben aufzugeben. Ausdrückliche und mutmaßliche Einwilligung stellen eigenständige Rechtfertigungsgründe dar, sodass sie dem rechtfertigenden Notstand gleichgeordnet gegenübertreten. Es ist dabei aber nicht möglich, dass der Notstand bereits durch die Berücksichtigung der Autonomie im Rahmen der Interessenabwägung stets zu mit der Einwilligung übereinstimmenden Ergebnissen kommt. Das Verhältnis der Erlaubnistatbestände zueinander ist nach den Regeln zur Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen zu beurteilen. Im Grundsatz ist von der parallelen Anwendbarkeit aller Rechtfertigungsgründe auszugehen. § 34 StGB auf der einen und Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung auf der anderen Seite weisen sich teilweise überschneidende Anwendungsbereiche auf, weshalb sie im logischen Verhältnis der Interferenz stehen, wonach die vorrangige Geltung eines Rechtfertigungsgrunds nur

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G. Ergebnisse der Arbeit

auf Grund materieller Subsidiarität des anderen in Betracht kommt. Ob ein solcher Fall der Subsidiarität vorliegt, bestimmt sich danach, ob die im Überschneidungsbereich liegenden Sachverhalte nach dem Sinn und Zweck der Erlaubnisnormen ausschließlich einer von diesen zugeordnet sind. Eine danach in Betracht kommende, hinter dem Wortlaut des § 34 StGB zurückbleibende Anwendung der Norm entspricht zwar einer teleologischen Reduktion zu Lasten des Täters, ist aber zulässig, weil das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG auf Rechtfertigungsgründe keine Anwendung findet. Bereits das der ausdrücklichen und mutmaßlichen Einwilligung zu Grunde liegende Rechtfertigungsprinzip der persönlichen Autonomie spricht dafür, interne Interessenkonflikte ausschließlich nach den Kriterien dieser Erlaubnistatbestände zu beurteilen. Denn durch die Anwendung des § 34 StGB droht ein Übergehen autonomer Entscheidungen. Zudem eröffnet das Heranziehen des Notstandsrechts nicht die Möglichkeit, das Selbstbestimmungsrecht weitreichender zu respektieren, und stehen dessen einzelne Voraussetzungen dem Autonomiegedanken entgegen. Die Basis des rechtfertigenden Notstands bildet eine wechselseitige Verpflichtung zur Solidarität. Durch dieses System kann jedermann darauf vertrauen, in Notsituationen die Hilfe anderer in Anspruch nehmen zu können. Dieses Vertrauen führt zu einer bereits gegenwärtigen Erweiterung der individuellen Freiheit und ist daher auch für denjenigen, in dessen Rechte nach § 34 StGB eingegriffen wird, insgesamt vorteilhaft. Aus diesem Grund müsste das Eingriffsopfer dem Notstandseingriff verständigerweise bereits aus freien Stücken zustimmen, also seine Einwilligung erteilen. Der rechtfertigende Notstand dient daher letztlich dazu, diese aus der Pflicht zur Solidarität zu erwartende Einwilligung des Eingriffsopfers zu ersetzen und dem Eingriffstäter eine entsprechende Eingriffsbefugnis zuzusprechen. Der Gedanke der Solidarität kann seine Wirkung nur bei zwischenmenschlichen Verhältnissen entfalten. Niemand kann sich selbst gegenüber zu einem solidarischen Handeln verpflichtet sein. Daher entspricht es dem Zweck des rechtfertigenden Notstands nur interpersonale Interessenkonflikte zu regeln. Interne Interessenkollisionen sind demgegenüber somit ausschließlich nach den Grundsätzen der ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einwilligung abschließend zu beurteilen; § 34 StGB ist auf sie nicht anwendbar. In Fällen mangelnder Einwilligungsfähigkeit ist danach grundsätzlich auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen abzustellen. Liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor, um diesen zu bestimmen, sind stattdessen objektive Kriterien heranzuziehen. War die Person auch niemals zuvor in der Lage einen autonomen Willen zu bilden, so ist der erklärte oder mutmaßliche Wille des gesetzlichen Vertreters ausschlaggebend. Fehlt es an einem solchen Vertreter oder verweigert er seine Zustimmung pflichtwidrig, ist die tatsächliche oder zu erwartende gerichtliche Entscheidung heranzuziehen. Verweigert der Betroffene eine Einwilligung, obwohl der Eingriff objektiv betrachtet zu seinem Nutzen wäre, so ist dieser Entschluss zu respektieren. Insbe-

G. Ergebnisse der Arbeit

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sondere die Verhinderung eines freiverantwortlichen Suizids oder eine ärztliche Zwangsbehandlung sind somit, wenn sie einen Straftatbestand verwirklichen, strafrechtlich missbilligt. Nur wenn die zu Grunde liegende Entscheidung nicht autonom gefällt wurde, bleibt Raum für die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung. In Suizidfällen kommt dadurch vermehrt auch die Bejahung eines Erlaubnistatbestandsirrtums in Betracht. Auch einer Zustimmung zur Fremdtötung kann über § 34 StGB keine Geltung verliehen werden. Im Rahmen der Sterbehilfe ist jedoch eine teleologische Reduktion der Einwilligungssperre des § 216 StGB, der den Todeswilligen vor übereilten Entscheidungen schützen will, möglich, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, sich selbst zu töten. Einwilligungen in Lebensgefahren werden von letzterer Norm bereits grundsätzlich nicht ausgeschlossen.

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Sachwortverzeichnis Abstraktes Recht 170 Abwehrrecht 138 Aggressivnotstand 37 Allgemeinrechtsgüter – Beeinträchtigung 44 – Notstandsfähigkeit 39 – Schutz 41 Altruismus 163 Analogie 180 Analogieverbot 111, 191 Angemessenheitsklausel 2, 36, 114, 134, 144, 149, 154, 162 Apallisches Syndrom 88 Appellsuizid 27, 185 Autonomie, siehe Selbstbestimmungsrecht 26 Autonomieprinzip 2, 178, 184 Basismodell 76 Behandlungsabbruch 29, 192 Bestimmtheitsgebot 117 Billigkeitsklausel 148 Blankettbegriff 163 Bluttransfusion 27 Brett des Karneades 140 Dammbruch 45 Differenzierungstheorie 35 Differenzthese 16 Dispositionsbefugnis 128, 130 Duldungspflicht 83, 97, 128, 174 Eigenhändigkeit 190 Eigeninteresse 160 Eigenverantwortlichkeit 138 Eingriffsgut 17 Einheit der Rechtsordnung 115 Einstandspflicht 155 Einverständnis 72 Einwilligung 19, 71, 125, 193 – aufgezwungene 175 – rechtliche Unmöglichkeit 28

– stellvertretende 22, 183 Einwilligungsunfähigkeit 20, 130, 183 – konstitutionelle 21, 88 – vorübergehende 23, 85 Enteignung 166 Entgegenstehender Wille 25, 184 Entschädigungsanspruch 123, 166, 171 Entscheidungsqualität 137 Entschuldigender Notstand 35 Erforderlichkeit 162 Erhaltungsgut 17 Erlaubnistatbestandsirrtum 186 Erlaubtes Risiko 22 Ernsthaftigkeit 185 Erst-recht-Schluss 178 Existenzminimum 166 Festnahmerecht 40, 100 Freiheitserweiterung 169, 173 Freiverantwortlichkeit 185 Fremdtötung 187 Fürsorge 178 Garantenpflicht 29 Garantiefunktion 113 Gemeinschaftsbezogenheit 176 Gemeinschaftskonto 150, 157 Gemutmaßte Einwilligung 86 Genehmigung 90 Gesamtnutzen 152 Geschäftsführung ohne Auftrag 79 Gesetzlicher Vertreter 21, 93 Gesetzlichkeitsprinzip 119 Gewaltmonopol 139, 172 Güterabwägungstheorie 36, 142 Güterbilanz 151, 155 Heileingriff 18 Heterogenität 105 Historie 34 Hypothetische Einwilligung 19

216

Sachwortverzeichnis

Identität 104 Individualrechtsgüter 157 – Beeinträchtigung 52 – Schutz 48 Interesse – beeinträchtigtes 10 – geschütztes 5 – objektive Betrachtung 12 Interessenabwägung 36, 49, 124 – als Rechtfertigungsprinzip 95 Interessenkollision 4 – interne 16, 39 Interessenübergewicht 13 Interferenz 105, 108 Kemptener Fall 89 Kodifizierung 147 Kodifizierungsgebot 116 Kollision 102 Konflikttypen 95 Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen 94 Kumulation 100 Leben – absoluter Schutz 13 – Abwägbarkeit 13, 186 – Allgemeinrechtsgut 41 – Pflicht zum 191 – Recht auf 188 – Rechtsgut 26 – Unantastbarkeit 187 Lebensgefährdung 32, 193 Lebensnotstand 142 Logische Verhältnisse 103 Mangelndes Interesse 84, 125 Moralische Pflicht 159 Mutmaßliche Einwilligung 23, 129, 183, 185 – Grenzen 85 – Rechtsnatur 78 Nächstenliebe 161 Normbefolgungsinteresse 169 Normgeltungsinteresse 169 Nötigungsnotstand 35 Notstand – übergesetzlicher 36 – zivilrechtlicher 123

Notstandsfähigkeit 1, 179 Notstandshilfe 3, 40, 127 Notstandslage 1 Ordnungsfunktion 147 Parallele Anwendbarkeit 98, 102 Paternalismus 189 Patientenaufklärung 24 Patientenverfügung 29, 84, 90, 185 Polizeirecht 185 Preisgegebenes Rechtsgut 1 Prozessökonomie 101 Rangverhältnis 102, 144 Recht auf einen würdigen Tod 8 Recht des Wohls 170 Rechtfertigender Notstand – Definition 16 – Voraussetzungen 1 – Wortlaut 15, 122 Rechtfertigungsprinzip 125, 137 Rechtliche Unmöglichkeit 186 Rechtsgutsbegriff 73 Rechtssicherheit 145, 192 Rückwirkungsverbot 118 Schmerzen 5 Schwangerschaftsabbruch 145 Selbstbestimmungsrecht 26, 75, 125 – innerhalb der Interessenabwägung 94 Selbsterhaltungstrieb 190 Sittliche Idee 170 Solidargemeinschaft 176 Solidarität 176 Solidaritätsprinzip 37, 158 Sozialbindung 147 Sozialstaatsprinzip 173 Sozialversicherung 160 Spezialität 99 – im funktionalen Sinne 107 Sterbehilfe 5, 44, 187 – aktive 31, 192 – indirekte 30 – passive 28 Subordination 104 Subsidiarität 109, 122, 181 Suizid 25, 41, 131, 184

Sachwortverzeichnis – Beihilfe zum 51 Surrogat 126, 172

217

Verfügungsbefugnis 73 Verrechnungsprinzip 151 Versicherungsprinzip 177 Vormundschaftsgericht 22

Teleologische Reduktion 111, 190 Theorie des überwiegenden Interesses 146 Todeswunsch 194 Tötungstabu 44 Trittbrettfahrer 167 Tugendpflicht 165

Werther-Effekt 43 Wesentlichkeitserfordernis 98, 133, 135, 149, 153, 161 Würde 7, 14, 155, 188

Unterlassen 29 Unterlassene Hilfeleistung 49, 161 Utilitarismus 36, 42, 150

Zwangsbehandlung 26, 48, 185 Zwangsfürsorge 127, 189 Zwecktheorie 36, 142