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German Pages 334 Year 1998
DIETER HÜNING / BURKHARD TUSCHLING (Hrsg.)
Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant
Schriften zur Rechtstheorie Heft 186
Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant Marburger Tagung zu Kants 'Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre'
Mit Beiträgen von Olaf Asbach · Jeffrey Edwards Hans-Friedrich Fulda · Paul Guyer · Franz Hespe Otfried Höffe · Dieter Hüning · Hans-Dieter Klein · Hans-Christian Lucas t Davor Rodin · Philip J. Rossi S. J. · Burkhard Tuschling Kenneth R. Westphal · Allen Wood
herausgegeben v o n D i e t e r H ü n i n g u n d Burkhard Tuschling
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Recht, Staat und Volkerrecht bei Immanuel Kant / Marburger
Tagung zu Kants ,Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre4. Mit Beitr. von Olaf Asbach ... Hrsg. von Dieter Hüning und Burkhard Tuschling. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zur Rechtstheorie ; H. 186) ISBN 3-428-09602-9
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berün Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-09602-9
Vorwort Die nachfolgenden Beiträge sind aus einer Marburger Arbeitstagung mit dem Titel "Kants Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre" hervorgegangen. Die zu Beginn unseres Jahrhunderts im Neukantianismus verbreitete Auffassung, Kant sei in seinem Spätwerk von 1797 seiner kritischen Methode untreu geworden und unglücklicherweise in einen vorkritischen Rationalismus zurückgefallen, darf angesichts der neueren Forschungen zur Rechtslehre als widerlegt gelten. Auch die hier gesammelten Aufsätze belegen eindrucksvoll den gedanklichen Reichtum sowie die Fruchtbarkeit des rechtsphilosophischen Ansatzes der Kantischen Rechtslehre. Die Marburger Aibeitstagung diente u. a. dazu, den wissenschaftlichen Austausch zwischen Teilnehmern aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion einerseits, amerikanischen und deutschen Kollegen andererseits wiederherzustellen bzw. zu intensivieren. Sie gab außerdem den Anstoß für eine Partnerschaft zwischen der Philipps-Universität Marburg mit der Universität Kaliningrad. Am Rande der Tagung wurden mit den anwesenden Experten schließlich auch die Editionsprinzipien der ersten zweisprachigen - nämlich deutsch-russischen - Ausgabe von Kants Werken erörtert. Der erste Band dieser Ausgabe, der Kants kleinere Abhandlungen von 1784-1796 enthält, wurde 1994 in Moskau, 1995 im Rahmen der 450-Jahrfeier der Albertina in Kaliningrad und 1996 auf dem achten internationalen Kant-Kongreß in Memphis/Tennessee öffentlich vorgestellt. Ein zweiter Band, der die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten sowie die Kritik der praktischen Vernunft enthält, ist
im Frühjahr 1997 in Moskau erschienen. Die Ausgabe wird von der Deutschen Kant-Gesellschaft, der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz, der Alexander von Humboldt-Stiftung und der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau unterstützt. Die Maiburger Tagung wurde durch die großzügige Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Präsidenten der Philipps-Universität, Prof. Dr. D. Simon, und des Ursula-KuhlmannFonds des Universitätsbundes Maiburg ermöglicht, denen die Herausgeber hiermit danken. Unser Dank gilt außerdem Olaf Asbach für seine Beratung und Unterstützung bei der Vorbereitung und Fertigstellung der Druckvorlagen. Hans-Christian Lucas ist kurz nach Fertigstellung seines Beitrags zu diesem Band gestorben. Wir widmen diesen Band der Erinnerung an diesen insbesondere in der Spinoza-, Kant- und Hegel-Forschung so außerordentlich engagierten Philosophen. Dieter Hüning
Burkhard Tuschling
Inhaltsverzeichnis
L Die Grundlagen der Kantischen Rechts- und Geschichtsphilosophie Philip J. Rossi S. J.
Critical Persuasion: Argument and Coercion in Kant's Account of Politics
13
Allen Wood
Ungesellige Geselligkeit: Die anthropologischen Grundlagen der kantischen Ethik
35
Dieter Hüning
Von der Tugend der Gerechtigkeit zum Begriff der Rechtsordnung: Zur rechtsphilosophischen Bedeutung des suum cuique tribuere bei Hobbes und Kant 53 Burkhard Tuschling
Die Idee des Rechts: Hobbes und Kant
85
Π. Probleme des Kantischen Privatrechts Jeffrey
Edwards
Disjunktiv- und kollektiv-allgemeiner Besitz: Überlegungen zu Kants Theorie der ursprünglichen Erwerbung 121 Hans Friedrich Fulda
Zur Systematik des Privatrechts in Kants Metaphysik der Sitten Davor Rodin
Der Lebenssinn der Unterscheidung von possessio noumenon und possessio phaenomenon bei Kant 157
141
Inhaltsverzeichnis
8
HL Kants Theorie des Staats- und Völkerrechts Kenneth R. Westphal
Metaphysische und pragmatische Prinzipien in Kants Lehre von der Gehorsamspflicht gegen den Staat
171
Olaf Asbach
Internationaler Naturzustand und Ewiger Friede. Die Begründung einer rechtlichen Ordnung zwischen Staaten bei Rousseau und Kant
203
Otfried Höffe
Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft
233
Hans-Christian Lucas "f
"[...] eine Aufgabe, die nach und nach aufgelöst, ihrem Ziele beständig näher kommt". Geschichte, Krieg und Frieden bei Kant und Hegel 247
IV. Kant und die politische Philosophie des 20. Jahrhunderts Paul Guyer
Life, Liberty and Property: Rawls and the Reconstruction of Kant's Political Philosophy 273 Franz Hespe
Der Gesellschaftsvertrag: Rechtliches Gebot oder rationale Wahl
293
Hans-Dieter Klein
Versuch einer Theorie des Rechts im Ausgang von Kant Autorenverzeichnis
321 333
Zur Zitierweise Mit Ausnahme der Kritik
der reinen Vernunft
und der Vorlesung über Ethik werden
alle Kant-Texte in diesem Band nach der Akademie-Ausgabe von Kants Gesammelten Schriften (Berlin 1902ff.) zitiert, wobei die römischen Ziffern die jeweilige Bandzahl, die arabischen die Seitenzahl und die tiefgestellten Ziffern die Zeilenzahl bezeichnen. Die Kritik der reinen Vernunft wird nach der Paginierung der beiden Originalauflagen (A und B) in der Ausgabe von Raymund Schmidt (Hamburg ^1990) zitiert, die Vorlesung Kants über Ethik nach der von Paul Menzer besorgten Ausgabe (Berlin 1922). In den Beiträgen von Paul Guyer und Philip J. Rossi, die aus englischen Übersetzungen zitieren, sind die Belegstellen aus der Akademie-Ausgabe beigefügt.
Verzeichnis der Sigeln AP
Anthropologie in pragmatischer Hinsicht
BF
Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?
EF
Zum ewigen Frieden
GMS
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
IaG
Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht
KdU
Kritik der Urteilskraft
KpV
Kritik der praktischen Vernunft
KrV
Kritik der reinen Vernunft 1. Auflage (A); 2. Auflage (B)
MA
Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte
MAdN Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaften MdS
Metaphysik der Sitten
Op
Opus postumum
RGV
Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft
RL
Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre
SdF
Streit der Fakultäten
10
Verzeichnis der Sigeln
TL
Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre
TuP
Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorierichtigsein, taugt aber nicht für die Praxis
VE
Eine Vorlesung Kants über Ethik, hrsg. von Paul Menzer
I. Die Grundlagen der Kantischen Rechtsund Geschichtsphilosophie
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Critical Persuasion: Argument and Coercion in Kantvs Account of Politics By Philip J. Rossi S.J., Milwaukee/Wisconsin
Introduction Within the modern-nation state the human aspiration to freedom has been, for at least two centuries, a driving force in shaping "public life": the field of human interaction that affects the order and well being of a society as a whole and which is organized by a range of social, economic, cultural and political practices and institutions. One articulation of that aspiration, emerging from the complex intellectual and cultural matrix of the Enlightenment, has proved particularly influential; it takes its name, "liberalism", from a deeply rooted concern for the liberty of human beings. Although we can identify human liberty as its core concern, we may be hard pressed to construct a comprehensive definition of liberalism and its implications for public life which would gain a strong consensus among its advocates or its critics. The elusiveness of such a consensus should not be surprising: libertas, the freedom which gives liberalism its name, is itself a complex human phenomenon, a reality that has confronted acute thinkers of many generations with an opacity which never yields up clear resolutions to the perplexities it generates. This essay examines the struggle to comprehend human freedom as it enagaged the work of a thinker frequently associated with the origins of liberalism: Immanuel Kant. My hope is that such examination can prove instructive for present-day discussion about the aspiration to freedom and its role in shaping public life. Kant's struggle to elucidate humanfreedom may offer a useful lesson on how to meet, in this last decade of the twentieth centuiy, an important challenge facing the practices and institutions of public life, especially those which bear the burden of providing conditions for the expression and the satisfaction of the aspiration tofreedom. These practices and institutions face the challenge of embodying an understanding of human freedom in the activités they govern that will enable us to sustain the workings of a global society and to serve the needs of this planet and its peoples in the century ahead.
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Philip J. Rossi
I propose to examine just one side of Kant's efforts to elucidate human freedom: his attempt to mark out the limits and the effectiveness of the exercise of freedom within the public life of human society. The organization of public life into a constitutionally established state, a society governed by public and publicly established laws, was of most concern to Kant. As a result, his discussion of the role of freedom in public life centers upon the relationship between law, as the external, social governance of the exercise of freedom, and morality, as the inner self-governance by which individuals direct the exercise of their freedom. My main focus, however, will not be upon the general form of this relationship, but on a specific aspect of it: the relationship between law and morality as the two forces to which Kant attributes valid power to move or to constrain the free action of human agents. Within this relationship he draws an important distinction between law and morality as, respectively, the coercive and the non-coercive force for ordering human action. Law embodies the coercive force of legitimate public authority, a power which Kant considers necessary to order the "outer" realm of human interaction; morality is a force which rests upon the non-coercive power of rational self-governance; its noncoercive power is, ultimately, sufficient alone to order the exercise of human freedom in ways that are right. In Part I, I shall argue for the following points. First, this distinction is crucial to preserve Kant's fundamental insight into the proper nature of human freedom as the self-governance of reason - a power that stands in sharp contrast to the power of coercion. Second, though Kant holds that the primary and necessary force in public life is the coercive power of law, he also sketches a necessary role in public life for the non-coercive power of rational self-governance. He sketches this role in his discussions of "freedom of the pen" as the proper mode of recourse against injustice and of "publicity" as a criterion by which to test the moral adequacy of law. Both discussions give power in public life to the non-coercive force of rational self-governance, a power which Kant calls the "public use of reason." This power is located in self-disciplined inquiry and argument among a citizenry committed to rational discourse as the arena for settling matters of policy and action. Third, Kant's efforts to provide a necessary role in public life for the non-coercive power of rational self-governance is only partly successful. He does show a fundamental need in the public life of a well-ordered nation-state for the non-coercive power of the public use of reason, particularly for unmasking injustice done under the guise of law and for sustaining the possibility of institutional reform; he fails to provide, however, an adequate account of the social conditions and practices that would sustain the public use of reason and the institutional structures that would give it effective power in a public realm in which the primary force remains, of necessity, coercive.
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In Part II, I shall draw a lesson from both the success and the failure of Kant's efforts to make the public use of reason effective in public life. In particular, we can learn much from the source of Kant's confidence in the power of public use of reason: his belief that reason's "interest" - its dynamism towards universality and totality - gives fundamental direction to our efforts to form a public life as the commonfield for the human interaction that engages our freedom. This dynamism requires that we place our efforts to form public life into a social setting of commitment to mutual understanding that will allow us to acknowlede the non-coercive authority of reason. Such a social setting is possible under what I term "conditions of critical persuasion." The formulation of these conditions is a provisional effort to draw attention to the public and social character of Kant's account of freedom as the self-governance of reason. From this account, we can draw this lesson: The institutions of our public life face an urgent challenge to provide a more adequate setting of communicative exchange and mutual understanding that will enable us to recognize the "interest of reason" and to make the non-coercive power of rational argument and inquiry a more effective basis for decision and action.
I. For Kant, both morality and law are appropriate modes for the governance of human freedom. They are appropriate inasmuch as each arises from a requirement of reason for which Kant offers critical validation - i.e., he presents them as arising from an immanent activity of reason, freedom itself, which has authority that we, as beings of finite reason, can recognize as legitimate. On Kant's account morality is the inner self-governance by which individuals direct the exercise of their freedom in accord with the fundamental principle of practical reason. Law - i.e., civil legislation in the forms both of a political constitution and of positive enactments by a legislative body - is the externally legislated, social governance of the exercise of freedom, insofar as that exercise stands in a reciprocal relationship with the exercise of others' freedom, a relationship that reason conceives as standing under conditions of potential conflict (RL, VI232-234/36-37; 312/76).1
1 References to Kant's works are given parenthetically in the text using the abbreviations below. References before the slash (/) give the pagination of the appropriate volume of Kants Gesammelte Schriften , Ausgabe der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften (Berlin 1902 ff); the volume number is listed after each title. References after the slash are to the coresponding English translation used in my text. Citations from the Kritik der reinen Vernunft are to the A and Β pages of the 1st 2nd Editions; AP: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Anthropology from a Pragmatic
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Philip J. Rossi
Kant offers critical validation of law and morality in order to show that they are the two forces which have legitimate power to move or to constrain the exercise of human freedom. Although the contrast between morality and law as inner and outer forms of the governance of freedom is important, I shall argue that this is not the most important distinction for Kant's critical validation of their governing power overfreedom. A more important distinction lies in the kind of power each have for governing of human freedom: the force of law lies in its coercive power to govern humanfreedom; the force of morality lies in its non-coercive power for such governance. Kant makes this distinction in a number of texts. In the general introduction to Die Metaphysik der Sitten , he does so in the context of his discussion of the different incentives appropriate to law and to morality: "Ethics [Ethik] teaches only that, if the incentive that juridical legislation combines with that duty, namely external coercion, were absent, the idea of duty alone would still be sufficient as an incentive." (RL, VI 2202.5/20). Law embodies the coercive force of legitimate public authority to order human interaction in accord with justice and right: strict justice [striktes Recht] "[...] relies instead on the principle of the possibility of external coercion that is compatible with the freedom of everyone in accordance with universal laws" (RL, VI 2322i_23/3637). Kant considers this power necessary to order the "outer" realm of human interaction. Kant, moreover, sees the necessity of coercion arising a priori from reason, not from a hypothesized or putatively historical "state of nature": "The necessity of public lawful coercion does not rest on a fact, but on an a priori Idea of reason, for even if we imagine men to be ever so good natured before a public lawful state of society is established, individual men, nations, and states can never be certain that they are secure against violence from one another, because
Point of View, trans. Mary J. Gregor, The Hague 1974; BF: Beantwortung der Frage: Was ist Au fklärung? What is Enlightenment? in: On History, trans. Lewis White Beck, New York 1963; EF: Zum ewigen Frieden. Perpetual Peace, in: On History, trans. John Ladd, New York 1963; GMS: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Foundations of the Metaphysics of Morals, trans. Lewis White Beck, New York 1959; KpV: Kritik der praktischen Vernunft. Critique of Practical Reason, trans. Lewis White Beck, New York 1965; KrV: Kritik der reinen Vernunft. Critique of Pure Reason, trans. Norman Kemp Smith, New York 1965; KdU: Kritik der Urteilskraft. Critique of Judgment, trans. Werner Pluhar, Indianapolis 1987; RL: Die Metaphysik der Sitten: Rechtslehre. The Metaphysical Elements of Justice, trans. John Ladd, New York 1965; TL: Die Metaphysik der Sitten: Tugendlehre. The Doctrine of Virtue, trans. Mary J. Gregor, New York 1964; RGV: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft.
Reli-
gion within the Limits of Reason Alone, trans. Theodore M. Greene and Hoyt H. Hudson, New York 1960; SdF: Die Streit der Facultäten. The Conflict of the Faculties, trans. Mary J. Gregor, New York 1979; TuP: Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. On the Old Saw: That May Be
Right in Theory but It Won't Work in Practice, trans. Ε. B. Ashton, Philadelphia 1974.
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each will have his own right to do what seems just and good to him, entirely independently of the opinion of others" (RL, VI312442/76).
As we shall see shortly, this derivation of the necessity of coercive power from an "Idea of reason" enables Kant to show that coercion, to the extent that it exhibits the authority of law, stands in a relationship to freedom which can be critically - and thus morally - validated. He needs to show the critical validity of this relationship because we might otherwise think that coercion, precisely as a forcible constraint, stands in direct opposition to freedom and thus can only be justified on grounds of prudential (rather than moral) necessity, à la Hobbes. In order to understand Kant's critical validation of law we must place it in the context of his insight into the essential character of human freedom as the self-governance of reason, or, to use his own terminology, as "autonomous."2 Careful attention to the notion of autonomy will show how the distinction between law and morality, as powers to govern freedom, is fundamentally drawn between their respective coercive and non-coercive characters. To show this, we need first to consider the possibility that they are both corecive powers with respect to the exercise of human freedom. If morality and law are both forms of coercive power, the difference between them rests on the mode by which such coercion is imposed.3 The power of rational self-governance places human freedom under constraint, albeit selfimposed. Such rational self-governance, which is definitive of morality, thus would be coercion in an internal, self-imposed form. If this were so, then morality and law would differ in terms of the internal and external modes by which they each apply coercion. This is not the case, however. Kant understands the power of rational selfgovernance and, consequently, the force of morality to be non-coercive. Indeed, "the peculiarity of ethical legislation is that it requires actions to be performed simply because they are duties and makes the principle of duty itself, no matter whence the duty arises, into a sufficient incentive of the will." (RL, VI 220-21/21). This passage indicates that Kant's notion of an incentive {Triebfeder) - specifically the characterization that he gives a moral incentive - is crucial to making a case for the claim that the power of rational self-gov2 Onora O'Neill has recently suggested that this insight may be most fundamental to Kant's critical project: autonomy provides reason with the only adequate basis on which to claim authority for its deliverances; see "Reason and politics in the Kantian enterprise" and "Reason and autonomy in Grundlegung ΠΙ", in: Constructions of Reason. Explorations of Kant's Practical Philosophy, Cambridge 1989. 3 See, for instance, Otfried Höffe , Kant's Principle of Justice as Categorical Imperative of Law, in: Yirmiahu Yovel (ed.), Kant's Practical Philosophy Reconsidered, Dordrecht 1989, 151. 2 Hüning / Tuschling
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ernance and thus the force of morality is non-coercive. Kant's extensive discussion of the notion of an incentive in the Kritik der praktischen Vernunft (KpV, V 71-89/74-92), as well as the more abbreviated treatment he provides in Die Metaphysik der Sitten (RL, VI 218-221/18-21), indicate that this notion (and its related notions of moral interest and respect for the moral law) exhibits how the appropriate response to the imperative force of morality issues precisely from an uncoerced exercise of freedom. It is therefore important to note that despite Kant's language stressing the imperiousness of the demand of the moral law-language which suggests that morality has almost irresistible coercive powers - the respect that we owe to the moral law and the (moral) necessity under which we stand to obey its deliverances, are ultimately resistible by us, and they are resistible precisely in virtue of our freedom. 4 Though we are compelled by the feeling of respect to recognize the authority of the moral law, we are not thereby also compelled to incorporate its injunctions into our maxims for action. This distinction, which keeps the moral law non-coercive with respect to its incorporation into our maxims, constitutes a crucial element in Kant's account of freedom. It is also a rejection of the "Socratic" principle that knowledge of what is right is sufficient to move us to right action. Kant's understanding of freedom means that we can knowingly do what is morally wrong. Kant makes this most evident in Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Venunft , in his discussion of "radical evil." In particular, he notes that the adoption of maxims constitutes the crucial juncture at which a moral agent stands in the face of the power of the moral law (RGV, VI 28-32/23-27, 3639/31-34). In the adoption of maxims, a human moral agent stands truly free before the power of the moral law; though it may be true that the moral law presents itself irresistibly as a maxim for adoption by the agent it cannot also force itself to become the maxim which the agent makes his or her own (RGV, VI 36/31-32).5 At this fundamental level, the moral law is non-coercive precisely as correlative to freedom: only the non-coerced adoption of the moral law, as alone sufficient to give form to all our (freely adopted) maxims, can constitute us as morally good ("moraliter bonus", RGV, VI 3O25/25).
4
See also TL, VI 378-379/36-37 in which Kant places the notions of inner and outer compulsion (Zwang) in relation to the concept of duty. The need for inner, i. e., self-compulsion arises in consequence of the human will's capacity for determination by inclination as well as by reason. The self-compulsion that allows one to follow the moral law is needed to counter the obstacles set up by inclination; if the power of duty were irresistible to our wills, it would cease to be an imperative and our wills would become "holy" wills. 5 On this point, Kant shows himself to hold strongly to conscience being an objective norm for moral judgment.
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The proper nature of human freedom as the non-coercive power of the selfgovernance of reason thus stands in sharp contrast to the power of coercion. The distinction between morality and law therefore cannot be adequately represented by a contrast between internally and externally imposed coercion; if, however, morality is at root a non-coercive power, how is Kant then able to provide a critical validation of the force of law as the coercive power to govern human freedom? Kant's fundamental strategy is, in my judgment, based upon and bound up with his understanding of human freedom as a power that is, at once, spontaneous and law-giving. The very term that Kant uses, "autonomy" tries to capture both elements, inasmuch as it indicates that the rational agent stands as the origin of the law it gives. If Kant took our human freedom simply to be spontaneity, then any constraint upon freedom, even an internal and selfimposed one, would be coercive. He characterizes our freedom, however, not just as spontaneity but also and equally as law-giving, which he understands to be an original power of rational self-governance which has as its principle the form of law.6 This principle, as Kant proposes it, is neither arbitrary nor coercive; if it were either, that would disqualify it as an appropriate principle for the self-governance of freedom (RL, VI 214/13). Kant's principal strategy is to show that, even though the power of the moral law - i.e., the power of the selfgovernance of reason - is and must be non-coercive in relationship to freedom, the finitude of our human being places our exercise of freedom under conditions of reciprocal agency; these conditions, which are fundamental to the exercise of freedom for finite rational beings (i.e., ourselves), require the acknowledgment of coercion as having valid power to restrict the (external) exercise of freedom. Kant notes that the non-coercive power of rational self-governance would be sufficient to order freedom if each human agent were totally self-sufficient; it that case, such self-governance would constitute a "holy will" (KpV, V 8182/84). The converse of our individual moral insufficiency, however, is our placement within conditions of reciprocal agency, i.e., within social circumstances that even in the form that Kant names a "state of nature" require an acknowledgment of coercion as an appropriate constraint upon the exercise of freedom, insofar as each individual is entitled to protect the external exercise of his or her own freedom. The use of coercion thus does not receive its general validation from the moral requirement to "leave the state of nature", since reason already acknowledged its validity in that "state." The moral requirement to leave the state of nature validates coercion as a power to be ex6
See especially GMS, IV 431-433/49-51 and in KpV, V 33/33-34, passages in which Kant formally introduces the notion of autonomy in his argument. The characterization of freedom as autonomy as well as spontaneity is itself a development in Kant's account; see Lewis White Beck , A Commentary on Kant's Critique of Practical Reason, Chicago 1960, 11, 14, 196-198. 2*
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ercised by the state (community), in order to protect the exercise of freedom by individuals in accord with what Kant formuates as the "Universal Principle of Justice": "Every action is just [right] that in itself or in its maxim is such that the freedom of the will of each can coexist together with the freedom of everyone in accordance with a universal law" (RL, VI 23029_3i/35). Kant sees this principle as immediately leading to the validation of coercion; the constitution of civil society places the power of coercion in the hands of an authority which is public. He provides a brief encapsulation of this in the essay on theory and practice: "Yet the concept of external law as such derives completely from the concept of freedom in the external relations of men to one another [...]. Law is the limitation of each man's freedom to the conditions of its consistency with everyone's freedom to the extent possible in accordance with a universal law. And public law is the totality of the external laws that serve to make such thoroughgoing consistency possible. Since every limitation of freedom by another's arbitrary will is termed coercion, it follows that a civil constitution is a relationship of free men who are nonetheless subject to coercive laws, their overall freedom in relation to others notwithstanding (TuP, Vm 289 2 9 - 2908/57-58).
Thus, Kant's critical validation of law and of morality as forces for the governance of human freedom places the origin of each in the immanent activity of reason, represented in the Idea of freedom, but it distinguishes the power they each have to govern the exercise of human freedom as coercive and noncoercive. Although the non-coercive power of morality has first claim upon our freedom, this does not thereby reduce the claim of the coercive power of law to govern the external exercise of freedom. In fact, under the circumstances of finitude which require that human freedom be exercised in terms of reciprocal agency, the coercive power of law is necessary, first, to order, in accord with "the universal principal of justice," those exercises of human freedom for which an external incentive can be properly legislated (RL, VI 219/19; 230-31/34-35); and, second, to allow human agents, in the course of the development of human society and culture, to acknowledge better the non-coercive power of morality as the proper incentive for the exercise of their freedom. Kant tries very carefully to differentiate and to circumscribe the range of human actions that are the proper realms for the governance, respectively, of morality and of law. Morality encompasses the larger and more inclusive realm. Although there are exercises of human freedom that are the exclusive domain for the non-coercive governance of morality, all that falls under the coercive governance of law is also open to the governance of morality, albeit "indirectly" (RL, VI 220-221/21). Kant, however, is quite insistent that law cannot enjoin that its requirements upon the exercise of human freedom be met on any other basis than that of coercive power (RL, VI 232/36-37).
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Although law and morality both have their origin in freedom, and even though whatever law enjoins can also be enjoined by morality, Kant clearly holds that law cannot enjoin us to be moral. Law has a role to play, nonetheless, in the moral improvement of individuals and in the moral progress of the human species. Kant holds that "a good moral condition of a people can be expected only under a good constitution" (EF, VIII 366/112-113). Law can support morality by providing conditions that remove obstacles to our acknowledgment of the non-coercive power of morality to govern the exercise of our freedom. Implicit, for instance, in Kant's discussion of therightof the state "to require the wealthy to provide the means of sustenance to those who are unable to provide the most necessary needs of nature for themselves" (RL, VI 326/93) is the claim that the provision of public support for institutions to provide "the means of sustenance" would remove at least some temptations not only to violate the legal order (e. g., theft) but to do actions which would be contrary to the moral order (e. g., beggary; see TL, VI435/101). On the basis of the distinction between morality and law as the coercive and the non-coercive powers for the governance of the exercise of human freedom, we can now examine the role that Kant gives in public life to the non-coercive power of rational self-governance in his (all too brief) discussions of freedom of expression and of publicity as elements in the dynamics of civil order. Because of their brevity, Kant's discussions of these two items suggest rather than spell out clearly how, as key factors for maintaining public life in a state of good health, they exhibit the functioning of the non-coercive power of the rational self-governance of freedom. Kant, moreover, does not fully explore their implications as resources for dealing with at least one of the crucial problems that his overall discussion of justice, civic order, and politics leaves unsolved - the question of reform, the processes by which the institutions of public life and their workings can be brought into closer conformity with the ideal of civil order that reason presents to us (RL, VI 340/11-12, 354-55/129, 371-72/139-40; TuP, VIII 305-306/73-74). Although publicity is the more encompassing of these two notions, my discussion will focus on freedom of the pen. This notion has a more clearly articulated role in Kant's account of the actual dynamics of civil order, while his discussions of publicity focus upon its more abstract character as a formal norm for judging the moral adequacy of legislation and public policies (EF, VIII 381-86/129-35). His discussion of freedom of the pen in the essay on theory and practice is particularly important because he places it in explicit connection with the legitimate role of coercion in the founding and maintenance of civic order. In Kant's discussion, freedom of the pen - understood primarily in this context as a right to petition and redress in cases where citizens have reason to judge that the sovereign has done wrong - plays a peculiar, even a unique role.
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Kant holds as a general principle that aright, in its strict sense, is a claim both made in the public order and enforceable through coercion.7 Because the sovereign (the supreme legislative authority in the state) holds all coercive power, there is a sense in which citizens have no claim of right "against" the sovereign - i.e., they have no authority to use coercion the enforce such claims. Yet Kant holds that citizens do have "inalienable rights against the head of state, even though these rights cannot be coercive ." (TuP, V I I I 30324-
25/71; emphasis mine). Kant does not provide any general account of such non-coercive rights; the status he gives to freedom of the pen as "the sole shield of the rights of the people" (TuP, VIII 304i9_2o/72) suggests, indeed, that it has unique status as a non-coercive right. This unique status is underlined, moreover, by the fact that the denial of this right by the sovereign would "bring him into contradiction with himself' (TuP, Vili 30425-2ó/72), a situation that could be seen as an implicit abandonment of the sovereign's claim to exercise coercive power with legitimacy.8 Kant, in fact, does not draw out such an implication from this self contradiction. As will be noted in the next section, his reason for not so doing rests upon the peculiar moral psychology with which he endows the sovereign. The important point to be noted here, however, is a different one: this right is non-coercive, a characteristic which suggests a fundamental connection with Kant's understanding of morality as the non-coercive power of the self-governance of reason. Kant also discusses freedom of the pen in Beantwortung der Frage: Was ist Außlärung? (1784) and in the first part of Der Streit der Facultäten (1798, though most likely written in 1794).9 In contrast, there, is little that Kant writes in the Rechtslehre that refers to this notion, let alone provides elucidation of its function in the public order. The most clear and relevant reference is very brief, and it appears in the appendix that Kant wrote for the second edition. There Kant writes, in the context of a discussion about obedience to the sovereign, that with regard to the injunctions of the law "[t] hough you may indeed publicly discuss and debate this legislation, you cannot set yourselves up as opposing legislators" (RL, VI 37223-25/140; the phrase which Ladd translates as "publicly discuss and debate" is öffentlich vernünfteln). Two items are of note in these discussions of freedom of the pen. First, Kant conceives of this freedom not simply as a right of individual remonstrance in
7
See Leslie A. Mulholland , Kant's Theory of Rights, New York 1990, 5-8. This may lie behind Hannah Arendt's intriguing claim, on behalf of which she adduces no particular supporting text, that "[f]or Kant the moment to rebel is the moment when freedom of opinion is abolished", in: Lectures on Kant's Political Philosophy, Chicago 1982, 50. 9 See Mary Gregor's introduction to The Conflict of the Faculties, New York 1979, 8
χν-χνπ.
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cases such as the one he notes in the Rechtslehre : i.e., when "the organ of the sovereign [the executive power ...] procédés contrary to the laws - for example in imposing taxes [...] so as to violate the law of equality in the distribution of political burdens - the subject may lodge a complaint (gravamina ) about this injustice, but he may not actively resist" (RL, VI 319 13 . 18 /85; see TuP, VIII 297 33 ff/65n); Kant also sees such remonstrance as fit subject for discussion involving the public use of reason defended in the essay on enlightenment (BF, VIII 41/9-10). That essay claims that the public use of reason is needed not only as a post-factum remonstrance against an unequal distribution of political burdens; it is also needed as part of the prospective discussion of legislation and policy. From the perspective of the late twentieth century, particularly one situated in the context of a political tradition of representative democracy, Kant's portrayal of the actual workings of such freedom bear the clear stamp of its formation in the eighteenth-century Prussia of Frederick the Great. Two features which clearly bear this stamp - first, his stress upon the unique role of the sovereign both in the recognition and redress of injustice and in the process of constitutional reform and, second, his identification of the philosophical faculty as the body through which the public use of reason would exercise its effect on the actual workings of the civil order - may strike us a particularly glaring examples of the weakness of Kant's account. Although we may indulge Kant's idealization of Fredrick the Great contained in the first, we are also likely to have well grounded suspicions that he has placed wholly unrealistic expectations upon the ability of political leaders to discern that the law of equality in the distribution of political burdens has been violated, let alone to make effective redress for injustice when there is public remonstrance. In fact, we may even have good reasons to think that the whole point of the rule of law to which Kant is committed (RL, VI 355/128-29) is precisely to deal with the likelihood that political leaders will, in fact, fall far short of such an ideal. Similarly, Kant's identification of the philosophical faculty as the body best positioned to exercise the public use of reason so that it may have appropriate influence upon the shaping of public policy may strike us as an instance of special pleading, as well as a reflection of the function of the Prussian university of Kant's day as a training school for government service (SdF, VII 18-22/25-33).10 From our contemporary perspective, Kant seems in each instance to have conceived of a particular and contingent set of social conditions as a more universal model to exemplify the workings of freedom of the pen. Despite this weakness in Kant's account, I think it still possible to extract a valid general 10
Cf. Ernst Cassirer, Kant's Life and Thought, trans. James Haden, New Haven 1981,20-21.
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principle that, even in these features, underlies Kant's account of freedom of the pen, and to propose it as a usefid resource for dealing with the particular challenge we currently face with regard to reform of the structures and workings of institutions of public life. As I shall argue in the next section, Kant's discussion presupposes the possibility that individually and collectively we are capable both of forming and of taking a perspective that concretely represents, over against our own particular interests, the universal interest of humanity. The possibility of forming and taking such an interest is central to what Kant calls "the public use of reason." In Part II I shall argue that the public use of reason requires willingness to place ourselves under what I term "the conditions of critical persuasion." Critical persuasion and the conditions that make it possible will thus be the focus of Part II. There I shall outline a proposal for retrieving Kant's notion of the "public use of reason" in the hope that it may serve as a useful resource in our efforts to make our institutions of public life better articulate and embody an understanding of human freedom that can effectively sustain the workings of a global society and serve the needs of this planet and its peoples in the century ahead. This proposal is by no means definitive or final; it is, instead, an initial effort to bring one still valuable outcome of Kant's struggle with the opacity of human freedom to bear upon our own continuing eforts to understand and to live in accord with this central feature of our human reality.
II. Underlying Kant's notion of "the public use of reason" are three maxims which he formulates for the guidance of "common human understanding" (KdU, V 294-295/160-162); Onora O'Neill calls them "maxims of communication" or "maxims of public sense"11: 1. To think for oneself; 2. To think from the standpoint of everyone else; and 3. Always to think consistently. We do not follow these maxims automatically or easily; according to Kant the chief obstacle to their employment is a "self-incurred tutelage" (BF, VIII 35i_2/3). Since the tutelage is self-incurred, it cannot be ended simply by the action of some external force. Even so, external force still has a role: given the concrete circumstances of our human existence in society, there is and will long remain need for external force, paradigmatically found in the public and
11
"The public use of reason," in Constructions of Reason, 42-49.
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coercive power of law, to provide conditions conducive to release from selfincurred tutelage. These conditions are necessary, but not sufficient; to them must be added the exercise of a self-discipline of thought to which we do not readily submit. Against this background, the "conditions for critical persuasion" proposed here are a set of guidelines for the self-discipline necessary for "the public use of reason" to come into play as an effective, non-coercive power for ordering the life of a society. These conditions are constituted by the willingness of all to engage one another in inquiry and argument in which: a) All parties seek to make their own position understandable to all others; b) All parties seek to understand the positions of others; c) No position nor presupposition of a position which is offered to advance inquiry or argument is considered immune to examination , criticism, or revision ; and
d) The measure of the success of argument and inquiry is the extent to which it yields a common basis for action , rather than the victory for any particular position which was enunciated at the outset of the inquiry or argument. These conditions may be understood as the provision of a public, social setting for a commitment to the mutual communication for purposes of establishing common bases for decision and action. They involve elements of all three Kantian maxims. The first condition presupposes the first maxim: one's own communicative efforts rest upon effective self-appropriation of the position one is advancing in argument. The first and the second conditions together make it possible for all parties to the inquiry to follow the second maxim and to hold themselves accountable to it. The third condition seeks to make the consistent thinking required by the third maxim a common enterprise and responsibility. The fourth condition, finally, makes explicit a presupposition of all three maxims, namely, that the maxims all serve the purpose of determining action in accord with reason. No argument will be given here for one further presupposition of these conditions viz., that all members of a society are entitled to a voice (either their own or that of a representative accountable to them) on the matters of public practice or policy which constitute subject matter for the public use of reason.12 12
An argument for this can be constructed by appeal to the "three juridical attributes inseparably bound up with the nature of a citizen as such": viz. freedom, equality,and independence (RL, VI 314/78-79; see TuP, Vm 290-296/58-64); such an argument would require, however, a significant emendation of Kant's notion of independence.
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The formulation of these conditions here is quite provisional. I offer them as an initial proposal for discussion of how public argument and inquiry for purposes of common action may be conducted on the basis of a crucial presupposition embedded in Kant's maxims of common understanding and his notion of the public use of reason. This presupposition, central to Kant's "liberalism," is that we are capable, individually and collectively, both of forming and taking a perspective for making decisions and for guiding actions that concretely represents, over and against our own particular universal interest of humanity .
interests,
the
This presupposition is crucial because it differs in a important way from a presupposition apparently often now operative in the workings of the institutions of public life in political cultures with legitimate claim to represent the heritage of "liberalism" - i.e., an understanding of the political and social order whose primary intellectual roots lie in post-reformation Europe and which takes human liberty, particularly the liberty of the individual, as the primary value to be protected and promoted in the institutions and practices that give order to public life. 13 This presupposition, in contrast to Kant's, holds that human beings both are and can be driven only by particular interests which, of their very nature, are partial and not universal.14 The partiality and particularity of these interests is a consequence of their being conceived as part of an account of agency in which rationality and rational choice is simply instrumental to the fulfillment of an agent's desires and preferences. Although there have been numerous ingenious efforts (of which utilitarianism remains in practice the most influential) to show that such desires and preferences can be enlarged to include the interests of others, such accounts still take the rationality of even those enlarged interests to rest upon their relationship to the particular interests of individual selves. Such enlarged interests are, of course, morally praiseworthy and social useful, but they are genuinely rational only to the extent that agents see the fulfillment of others' desires and preferences as (ultimately) serving their own. Interests are enlarged by the joining of particular sets of interests; but there is no such thing as a universal interest15 - i.e.
13
In the political order, this understanding has shaped forms of constitutional rule and legislative enactment and enforcement accountable to the general populace through representative or democratic institutions. Although in today's world many long standing instances of this political order are found among the nations of the North Atlantic, current political struggles in various parts of the world - most recently in areas formerly under Soviet hegemony - indicate that the aspiration to claim a share in this heritage remains a potent dynamism. 14 On this point, see the analyses presented by Alasdair Maclntyre in: After Virtue, Notre Dame 1981, and Michael Sandel , Liberalism and the Limits of Justice, Cambridge 1982. 15 Or, in a different but quite relevant terminology, a "common good."
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one that bears upon all humanity both individually and collectively - that is more than the sum total of sets of interests instrumental to the desires and preferences of particular agents and that is capable of generating a concrete basis for determining actions. This presupposition has the wisdom of some experience behind it; we have learned very well to discern and unmask how partial and particular our interests can be with respect to class and gender and race and all the elements of social location; we have learned how destructive exercises of human power arise when such partial and particular interests don the mask of universality. Kant would most likely agree with much of this. He has no doubt about the power of partial and particular interests to fuel our action; he even holds that, as unpromising as they seem in the light of moral considerations, these partial and particular interests constitute the basic materials out of which we must construct our socio-cultural world (AP, VII 327-30/188-90). But I think that he would also claim that this does not give us the whole picture. The very possibility of using the material of our particular interests to construct a shared field for any human activity - our desires for accquisition, for power, for recognition, etc. - presupposes that we can take a more inclusive interest: reason's own interest in action. What, precisely, is this interest? What does Kant mean, moreover, by the claim that we can and must take such an interest? Finally, what bearing does this claim have upon the questions that face us today about the practices and the institutions that seek to give effective expression to the human aspiration to freedom? Answers to all of these questions start, I believe, from Kant's understanding of our fundamental human situation. He considers us constrained by a "peculiar fate" (KrV, A VII) which comes from the unique situation which faces us in the exercise of our human reason - we stand as unique beings constituting the juncture of nature and freedom. Onora O'Neill has characterized Kant's assessment of this situation in her description of the deep connection, at the very heart of the critical project, between the problems of the cognitive order and the political order: "In either case [cognitive or political] we have a plurality of agents or voices (perhaps potential agents or voices) and no transcendent preestablished authority. Authority in either case has to be constructed. The problem is to discover whether there are any constraints on the mode of order (cognitive or political) that can be constituted. Such constraints (if they can be discovered) constitute respectively the principles of reason and of justice. Reason and justice are two aspects of the solution of the problems which arise when an uncoordinated plurality of agents is to share a possible world " (Emphasis added).16
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The fundamental issue in the critical project is thus the authority of reason. This is an urgent isssue for Kant - and for us - because it is also the issue of the basis for the social ordering of human existence. In Kant's account, the
establishment of the authority of reason makes it possible for the social ordering of human life to have a fundamental basis in the non-coercive power of reason itself. Kant does not deny, as we have shown in Part I, that the conditions under which human beings live require that the non-coercive power of reason also validate a coercive order - the realm governed by law. Yet the establishment of that realm also involves public recognition of a prior, more inclusive realm in which the non-coercive power of reason has sole authority to govern - the realm of morality. In the order governed by law, even though reason retains the moral authority of its non-coercive power, coercion is its primary mode of public governance: coercion is exercised in the name of public authority to enforce claims we legitimately make on one another in pursuit of our particular and partial interests. In this context, the meaning of reason's "interest" is bound up with the question of reason's authority and the means by which such authority is enforced. Kant's claims that there is such an interest and that we can and must take such an interest are thus claims about our readiness to accept the authority of reason in the field of human interaction constituted by the exercise of
our freedom. More specifically, they are claims about our readiness to accept the authority of reason as the basis for "sharing a world" - i.e., for determining the terms of our arrangements for living with one another. On Kant's account then, over and against our particular interests (in virtue of which we seek for ourselves such tilings as property, power, and recognition), there is an interest we take - or which the circumstances of our human existence force us to take - in making and having a shared world, i.e., a common field of activity in which we can each and all pursue our particular interests. Although this interest in having a shared world may be "forced" on us by "nature" (the circumstances of our human existence as finite, needy beings on a planet of finite resources), Kant also sees it as a matter of a free, non-coerced recognition of a basis for action that has its roots in reason, not in the service of any of our particular interests (KdU, V 431-34/319-321; AP, VII 328/188). In the course of history and in the development of culture, this need leads us to pose questions, issuing from the dynamisms of reason to universality and totality, about our construction of that shared world: how extensive are we to make this world and with whom are we prepared to it? Reason's interest, in
16 Onora O'Neill , Reason and politics in the Kantian enterprise, in: Constructions of Reason, 16.
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each case, is to make the answers ever more inclusive. In view of the fact, moreover, that the authority of reason is non-coercive, the basis on which the world, as a field for human interaction constituted by the exercise of our freedom, is to become more universal and more inclusive must be non-coercive. Thus the issue of the enlargement of the world of freedom and the issue of the authority on which such a world is based intersect; in this intersection, we can discern better how the interest of reason contrasts with our partial and particular interests. For Kant, the dynamism of reason is inclusive and its authority is non-coercive; in contrast, the dynamism of our partial and particular interests is exclusive and their authority to sway others is coercive. As a result, a field for common human interaction constructed on the basis of our partial and particular interests can be inclusive only to the extent that we can coerce into it others who do not share those interests with us; on the other hand, to the extent that recognition of these interests as partial and particular restrains us from coercing others onto the field of our interests, we have constructed a tribal circle, not a world. In contrast, the interest of reason consists in a commitment to engage other human beings in an ever enlarging circle of inquiry and argument to find and/or to construct an enduring, non-coercive basis for interaction with one another in freedom. Such an enduring, non-coercive basis for interaction with one another and freedom is reason's interest, an interest which is not simply a particular interest of any one of us, nor merely the aggregate of all of those interests, but an inclusive and universal interest
in the freedom of each of us and of all of us, the freedom that most fundamentally constitutes us as members of the human species. An index of a significant cultural gap between Kant's world and our own is the fact that he does not see a need to provide a fully articulated vindication of this presupposition of reason's interest and its role in concrete processes of constructing the field of human interaction. He does not do so because he considers reason's ordering to what is universal and inclusive to be fundamental to its very character. To deny the possibility of forming and taking such a universally oriented interest would thus be a denial of reason itself. All the same, there are elements in his discussion of freedom of the pen, as a mode of exercising the public use of reason, which suggest certain features of this interest that, in my judgment, are instructive for our own situation. These elements can be best noted, curiously enough, in two features of his account that bear the particular stamp of his own historical situation. A specific function that Kant assigns freedom of expression is to alert the sovereign to injustice. Kant's description of the workings of freedom of expression in this case has a feature that seems curiously at variance with his normal account of moral epistemology and psychology. In contrast to a tradition that can claim lineage back to Socrates, Kant does not hold that knowledge is virtue - i.e., that a sufficient condition for motivating us to do what is
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good or right is the knowledge that this is the right action to do. On this account one cannot knowingly do wrong, so the way to address wrong-doing is to correct the knowledge of the wrong-doer. This, however, is not Kant's account. Whatever other shifts there are that take place in Kant's critical ethics, one element that remains constant is the location of the grounds for human wrong-doing in the will. Whatever particular formulation the categorical imperative takes, each presupposes that persons who are bound by duty know what it is they are to do; the difficulty a person may have in following the deliverances of the categorical imperative does not arise from a defect in knowledge, it arises from a defect in will. The problem of moral evil is not that we do not know what isright;the problem is that, even though we know what is right, we will not to do it. The remedy for wrong-doing is not to provide correct knowledge; it is to redirect the will. Against this background, consider what Kant writes in the theory and practice essay: "The non-recalcitrant subject must be able to assume that the sovereign does not want (wolle) to wrong him. On this assumption, since every man has inalienable rights which he cannot give up even if he would, and concerning which he is himself entitled to judge, the wrong that a citizen believes himself to have suffered can be due only to an error, or to the ignorance of certain consequences that follow from laws made by the supreme power. Accordingly the citizen must be free to inform the public of his views on whatever in the sovereign decrees appears to him as a wrong against the community, and he must have this freedom with the sovereign's own approval. For to assume that the head might never be in error, never in ignorance of anything, would be to imagine him graced with divine intuitions and exalted above all men." (TuP, Vm 304 3 . 15 /72)
It looks as if Kant, for purposes of ensuring the external conditions of a just civil order, has exempted an individual from the workings of his ordinary moral epistemology and psychology: the sovereign does not have the will to do wrong to his subjects, so if there is injustice, its source must be ignorance or error and its remedy consists in providing knowledge. The "public use of reason" ensures that such knowledge will reach the sovereign. Why would Kant make a claim that, on the face of it, goes counter to his clearly enunciated position that the workings of the human will are the source of wrong-doing? A resolution of this paradox is possible if we take into account the presupposition about the sovereign's interest which he has embedded in this case: the sovereign is being called upon to act not as an individual moral agent but as the agent who embodies the general will - i.e. the constitutional order founded on reason. That order and, thus, the general will is, by its very character, expressive of reason's universal interest; as a result, the sovereign already has the universal interest of reason as the formative basis for his action as sovereign. Kant is thus not making a claim that the sovereign has to be an exemplar of personal moral rectitude; he has to be, rather, an
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exemplar of proper constitutional order, founded upon the universal and universalizing interest of reason. Before considering whether there is anything valuable to be learned from this, let me turn to a second element in Kant's account that also has a curious feature that may yet prove instructive. Kant claims a notable position for philosophers and the philosophical faculty in the workings of the state (EF, VIII 368-69/115-16; SdF, VII 19-20/26-29, 28-29/44-47). Here, too, a contrast with a position prominent in classical Greek philosophy is instructive. Kant explicitly rejects the Platonic position espoused in the Republic about the desirability of philosopher-kings: "That kings should be philosophers or philosophers become kings is not to be expected. Nor is it to be wished since the possession of power inevitably corrupts the untrammelled judgment of reason." (EF, VIII 36928-30/116)· Yet Kant does want the voice of philosophers to be heard in the counsels of the state. His claims could be read as an effort on Kant's part "to defend his own" and, on that basis, might be quickly dismissed as an uncharacteristic bit of special pleading. On the other hand, there is one point that Kant makes in advancing these claims which deserves attention in a discussion of Kant's account of the public use of reason and the dynamics of public life. Kant argues that the voice of philosophers should be heard in the counsels of the state not because they are the special caste entrusted with the guardianship of reason; they should be heard because their position is one to which no coercive power of authority is attached. Kant is clearly indicating here that essential to the proper functioning of the public use of reason is that it be exercised in a context in which the process of inquiry and argument provides an appropriate separation from the use of coercive power as the basis for action.
In his own set of historical circumstances, Kant took it as given that we were capable of an inner recognition of the dynamism of reason toward universality and totality; such inner recognition, moreover, would eventually lead us closer to the formation of an "ethical commonwealth" in which the interest of reason and the non-coercive authority of reason which it exhibits would serve more and more as the explicit basis for the determination of our action in the public realm (RGV, VI 95-102/87-93). The two instances of freedom of expression we have just considered, moreover, provide two very modest examples of his belief that such an interest could be exemplified in the actual dynamics of public life. In our own set of historical circumstances, however, it is much more difficult to take the interest of reason as given, at least as a starting point for efforts to construct a common world; Kant's examples, moreover, do not provide a particularly helpful model for giving it a role in the quite different set of social dynamics of our own world. Yet there still may be reason to take Kant's claim about this interest seriously. The most basic reason is the increasing evidence that the circum-
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stances of our human existence as needy, limited beings on a planet of finite resources are currently pressing upon us more and more urgent questions about our willingness and our ability to share this particular world - in the literal sense as a global space for living - with of fellow human beings and, indeed, with our fellow living beings. One the one hand, there is growing awareness that a sustainable basis for our sharing of this world merely as a place of survival, let alone as a possiblefield for human interaction on the basis of freedom, cannot be founded on the social dynamisms by which those currently dominant wittingly or unwittingly force others to share the world on terms dictated by the interests of the dominant. On the other hand, that dynamism remains, in tragic fact, the most powerful force affecting the lives of people across the globe. Hand in hand with the operation of that dynamism goes the enforcement by coercion of the partial and particular interests of the dominant. I think that Kant would not be entirely surprised by either of these two features of our contemporary life - first, an increasing awareness, that accords well with the interest of reason, of global interdependence and of the need to sustain it on a non-coercive basis; second, the continuing fierce and often fatal struggle for domination among particular interests in which those best able to marshal the power of coercion win - for a time. Kant, indeed, couples a quite bleak portrayal of the struggle for domination by means of coercion with an almost serene expectation of its eventual resolution through acknowledgement of global interdependence. He expected that we would eventually weary of the destruction we inflict upon each other and, in our exhaustion, see the wisdom of setting out on our own in the direction toward which the interest of reason has been pointing us. He insisted, moreover, that even in circumstances in which the struggle for domination seems to provide no room for reason's interest to enter into the course of human interaction, we stand under an obligation to make its interest our own. He affirmed that "there shall be no war" is an imperative that comes from the "irresistible" voice of "moral-practical reason" and that we should work with "unrelenting perseverance" to follow it (RL, VI 354-55/128). A quick overview of the misery and death that has ensured from the conflict of particular interests in the latest years of this century suggests that Kant sadly overestimated the possibility of our wearying of war. That, however, need not require us to belittle his confidence that we can make the interest of reason our own; in fact, it makes all the more urgent the need to commit ourselves to search with one another for those bases, sanctioned by the non-coercive authority of reason, on which we can share this world with one another. We live in circumstances of global peril that make it urgent for us to acknowledge the interest of reason - i.e., for us to make, with one another and for one another, a world in which the non-coercive authority of reason is given some power to counteract and even to constrain the dynamism of coercion that
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serves particular interests. In spite of that urgency, our capacity for such acknowledgment is ironically constrained by the fact that the institutions of our public life seem to be losing confidence in the very activity in which that interest can be both constructed and acknowledged: the public use of reason. Public debate and argument is taken to be itself an extension of the coercive dynamism that serves particular interests. It is not seen as a place to articulate, save in an abstract and formal mode, any universal human interest with true power to move us to action. Kant's effort to open a place in public life for the non-coercive power of reason can be instructive for us because it challenges the assumption, contrary to his own liberalism, that has entrenched itself in the workings of many of our institutions: coercion is not merely the primary force that has power to move human agents in the "outer" realm of human interaction, it is the sole force with such power. The formulation of the conditions of critical persuasion is a small effort to challenge that presumption and to suggest a way for us together to open space in public for the non-coercive authority of reason to move us to actions that serve the freedom of each and all. 17
17 I am grateful to the Institute for Advanced Studies in The Humanities, University of Edinburgh, for a research fellowhip to do work on this essay. 3 Hüning / Tuschling
Ungesellige Geselligkeit: Die anthropologischen Grundlagen der Kantischen Ethik Von Allen Wood, Ithaca/New York
Jeder praktischen Wissenschaft liegt eine Erkenntnis ihrer Materialien zu Grunde: bei der Heilkunde die menschliche Physiologie, bei der Baukunst und Technik die Kenntnis der Natur von Stahl, Zement und anderen Baustoffen. Nun aber strebt die Ethik danach, eine praktische Wissenschaft des menschlichen Verhaltens zu sein. Daher leuchtet ein: Die Grundlagen der Ethik müssen eine Erkenntnis der menschlichen Natur, eine Psychologie im weiten Sinne oder dasjenige, was Kant eine "Anthropologie" nennt, einschließen, und im Allgemeinen hängt die intellektuelle Kraft einer ethischen Theorie hauptsächlich davon ab, welche anthropologischen Einsichten sie enthält. Kants Ethik scheint jedoch eine Ausnahme oder sogar ein beabsichtigtes Gegenbeispiel zu dem zu sein, was ich eben jetzt gesagt habe.1 In jeder Wissenschaft unterscheidet Kant einen "reinen" Teil von einem "empirischen"; in der Ethik wird die "Metaphysik der Sitten" von der "praktischen Anthropologie" unterschieden (GMS, IV 388i2-i4). "Alle Moralphilosophie", sagt Kant, "beruht gänzlich auf ihrem reinen Teil, und auf den Menschen angewandt, entlehnt sie nicht das mindeste von der Kenntnis desselben (Anthropologie), sondern giebt ihm als vernünftigem Wesen, Gesetze a priori" (GMS, IV 38926-29). Vielleicht wurde die "Anthropologiefreiheit der Moral", wie Ludwig Siep schon bemerkt hat, stärker von Kant in der Grundlegung als in der späteren Metaphysik der Sitten betont.2 Nach 1785 aber war es immer die Kan-
1 Vgl. hierzu Immanuel Kant's Logik Ein Handbuch zu seinen Vorlesungen , IX 25 io: "Das Feld der Philosophie in dieser weltbürgerlichen Bedeutung läßt sich auf folgende Fragen bringen: 1) Was kann ich wissen? 2) Was soll ich thun? 3) Was darf ich hoffen? 4) Was ist der Mensch? Die erste Frage beantwortet die Metaphysik, die zweite die Moral, die dritte die Religion und die vierte die Anthropologie. Im Grunde könnte man aber alles dieses zur Anthropologie rechnen, weil sich die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen"; und Moralphilosophie Collins , XXVII/1 244: "Die Moral kann ohne die Anthropologie nicht bestehen, denn man muß das Subject erst kennen, ob es auch im Stande ist, das zu leisten, was man ihm fordert, das es thun soll." 2 Ludwig Siep, Wozu Metaphysik der Sitten? in: Otfried Höffe (Hrsg.), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: ein kooperativer Kommentar, Frankfurt/M. 1989, S. 31-44.
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tische Position: "Eine Metaphysik der Sitten kann nicht auf Anthropologie gegründet, aber doch auf sie angewandt werden" (RL, VI 2177 f). Nach Kant muß das Moralprinzip a priori begründet werden; unsere Idee der Moralität darf weder auf dem wirklichen Verhalten der Menschen (GMS, IV 405-410), noch auf der Erfahrung von dem, was zum menschlichen Glück nützlich ist (KpV, V 21-26), beruhen. Irgend etwas Empirisches in der Grundlegung der Moral einzuräumen, würde das Motiv der Pflicht, die der einzige Grund allen moralischen Werts des Charakters ist, verderben (GMS, IV 397). Ohne Zweifel lautet die Kantische Lehre, daß es eine Metaphysik der Sitten geben muß, und daß das oberste Moralprinzip ein apriorisches und daher von der zufälligen Natur des Menschen unabhängiges zu sein hat. Daraus folgt aber nicht, daß Kants Moraltheorie nicht auf die Anthropologie gegründet ist. Denn in den Grundlagen einer Moraltheorie ist mehr als bloß ihr oberstes Prinzip enthalten, und die Grundlagen der Kantischen Theorie insbesondere sind nicht auf eine bloße Metaphysik der Sitten reduzierbar. Im weiteren Sinne enthalten die Grundlagen einer Moraltheorie auch das Was und das Wozu der Moral, eine Erklärung ihrer Natur und ihrer Bestimmung im menschlichen Leben. Selbst eine Theorie, die auf einem rein apriorischen Grundsatz aufbaut, muß sich auf eine bestimmte Vorstellung der menschlichen Natur gründen. Daß es sich mit der Kantischen Ethik wirklich so verhält, wird deutlich, wenn wir näher diejenigen Behauptungen Kants betrachten, mit denen er seine These verteidigt, daß das Moralgesetz von der Anthropologie unabhängig sein müsse. Kant behauptet nämlich, es sei "von der größten praktischen Wichtigkeit", das Grundgesetz der Moral ohne anthropologische Beimischung darzustellen (GMS, IV 411). "Die Sitten selber", betont er, bleiben "allerlei Verderbniß unterworfen", so lange wir nicht "das moralische Gesetz in seiner Reinigkeit und Ächtheit" gefaßt haben (GMS, IV 3902 ff). Philosophische Tugendlehren könnten viel Gutes in der Welt bewirken, aber nur, wenn sie das reine Moralgesetz von allem Empirischen absondern (GMS, IV 410). Der Grund dieser Behauptung liegt in Kants Auffassung, daß die reine Achtung für das moralische Gesetz das einzige Motiv ist, das zur Unterwerfung unseres Handelns unter die Vernunft befähige (GMS, IV 410). Nun handelt es sich aber bei den obigen Ansichten offensichtlich um solche über die Ursachen des menschlichen Verhaltens und die relative Empfänglichkeit wirklicher Menschen für verschiedene Reize. Für solche Aussagen gibt es jedoch keine mögliche Basis außer der empirischen Anthropologie. Kants Behauptung, daß die Grundsätze der Moral nicht aus Beispielen abgeleitet werden dürfen, besagt nicht (was trivial wäre), daß das, was Menschen wirklich tun, sich manchmal von dem unterscheidet, was sie tun sollten. Vielmehr verweist er selbst auf die "Gebrechlichkeit und Unlauterkeit der menschlichen Natur" (GMS, IV 40619 f ). Man braucht, so sagt er, "nur ein kaltblütiger Beobachter zu sein [...], um [...] zweifelhaft zu werden, ob auch
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wirklich in der Welt irgend wahre Tugend angetroffen werde" (GMS, IV 4 0 7 2 8 ff.). Kurz gesagt, Kant ist der Auffassung, wir müßten uns eben deswegen in der Moralität eines apriorischen Grundsatzes bedienen und dürften uns nicht auf Beispiele der Tugend verlassen, weil es zu wenige Beispiele der Nachahmung gebe. Dies ist allerdings eine empirische Behauptung über das Verhalten wirklicher Menschen. Kant behauptet außerdem, wir müßten die moralischen Grundsätze von allem, was zur empirischen Anthropologie gehört, trennen, weil nur das apriorische Motiv der Pflicht pflichtmäßige Handlungen zuverlässig hervorbringe (GMS, IV 390, 411). Hierbei handelt es sich nicht um die Tautologie, daß nur die von dem Moralgesetz gebotenen Handlungen notwendig demselben gemäß sind, sondern es ist die Behauptung, daß kein tatsächliches Begehren der Menschen von Natur aus mit den Erfordernissen der Moral übereinstimmt, und daß darüberhinaus weder die Erziehung noch die Gewohnheit eine zuverlässige Harmonie zwischen der Vernunft und der Neigung zu schaffen vermag. Um zu sehen, wie kontrovers das ist, brauchen wir uns nur daran zu erinnern, daß bei Aristoteles die Tugend eben darin besteht, daß es eine regelmäßige, durch Erziehung und Gewohnheit hervorgebrachte Übereinstimmung gibt zwischen dem vernünftigen Teil der Seele und dem unvernünftigen, aber für die Vernunft empfanglichen Teil, der die Zustände des Begehrens sowie der Lust und Unlust enthält. Die Kantische These besteht demgegenüber darin, daß der menschlichen Natur, wie sie tatsächlich ist, überhaupt keine Tugend (im aristotelischen Sinne) zukommen kann. Kants Kritiker haben oft auf seine Gegenüberstellung von Vernunft und Neigung und auf sein tiefes Mißtrauen gegen unsere natürlichen Triebe hingewiesen. Sie offenbaren aber ihre Kurzsichtigkeit, wenn sie diese Kantischen Lehren durch die sonderbaren Charakterzüge oder durch die pietistische Erziehung des Philosophen glauben erklären zu können. Denn diese Positionen der Kantischen Lehre gehören zu einer durchdachten Theorie der menschlichen Natur und ihrer Geschichte, die überhaupt eher optimistisch als pessimistisch ist und sogar radikale gesellschaftliche Folgen impliziert. Nach Kant bedürfen alle Erkenntnisansprüche einer kritischen Überprüfung; in Fragen der Anthropologie ist er besonders vorsichtig, weil er der Auffassung ist, die Menschen hätten von Natur aus die Neigung, die Wahrheit über sich vor sich selbst sowie vor anderen zu verbergen, was die Beobachtung des Menschen, und sogar die Selbstbeobachtung, schwierig mache. Weil die Menschen frei und deshalb fähig sind, ihren eigenen Charakter zu entwickeln und sogar zu schaffen, ist für Kant die Frage nach der menschlichen Natur nicht von den Fragen nach der Richtung und dem Endzweck der menschlichen Geschichte abtrennbar. Kant behauptet aber, daß wir solche Fragen nie aufgrund der Erfahrung beantworten können.
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Als vernünftige Wesen haben wir jedoch ein praktisches Interesse an der menschlichen Geschichte, das notwendig zu einer philosophischen Betrachtung der Weltgeschichte fuhrt. Da wir versuchen müssen, die menschliche Gattung im Laufe unseres Lebens zu verbessern, ist es unvermeidlich, die Richtung, in der sich die Menschheit entwickeln soll, als eine fortschreitende anzusehen. Um solche praktischen Voraussetzungen philosophisch auszudrücken, formuliert Kant "eine Idee, wie der Weltlauf gehen müßte, wenn er gewissen vernünftigen Zwecken angemessen sein sollte" (IaG, VIII 29η f). Diese Idee zu einer allgemeinen Geschichte soll als Leitfaden für die Untersuchung der empirischen Tatsachen der Geschichte dienen, damit wir diese systematisieren und ihre philosophische Bedeutung entdecken können. Wie in der Betrachtung der Natur, so wird der Zweckbegrifif auch hier von Kant regulativ bzw. heuristisch gebraucht, um unseren Erkenntnissen eine systematische Organisation zu geben: "[...] so dürfte diese Idée uns doch zum Leitfaden dienen, ein sonst planloses Aggregat menschlicher Handlungen wenigstens im Großen als ein System darzustellen" (IaG, Vm29 1 4 _i 6 ).
Diese Idee einer philosophischen Geschichte versuchte Kant im Jahre 1784 in dem Aufsatz "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" auszuarbeiten. Kurz darauf behandelte er erneut die Frage der menschlichen Natur und Geschichte in dem Aufsatz "Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte" (1786). Währenddessen hatte er seine reife Theorie der Ethik erstmals in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten dargestellt. Ich möchte hier die These vertreten, daß wir die Grundlegung besser verstehen, wenn wir sie als Teil eines umfassenden Projekts lesen, zu dem auch die geschichtsphilosophischen Aufsätze gehören. Kants philosophische Geschichte der Menschheit gründet auf die Vorstellung eines (natürlichen oder unbewußten) Zwecks, der den gesamten menschlichen Handlungen zugeschrieben werden kann. Um diesen Zweck zu entdecken, macht Kant von der heuristischen Voraussetzung Gebrauch, daß die Natur alles so eingerichtet hat, daß sich letztlich die Naturvermögen jeglicher Naturwesen vollständig entwickeln. In den meisten Gattungen ist diese Entwicklung normalerweise innerhalb des Lebens des einzelnen Tieres zu erwarten. Die menschlichen Vermögen können sich aber nur durch den Gebrauch der Vernunft entwickeln, d.h. durch den Erwerb neuer Fertigkeiten und deren Weitergabe von einer Generation an die nächste. Daraus schließt Kant, daß die natürlichen Zwecke der Menschheit kollektive Zwecke sein müssen, die den einzelnen Menschen unbewußt bleiben, zumindest solange, bis sie von der Philosophie formuliert worden sind. Tatsächlich ist für Kant die Ablehnung des methodologischen Individualismus eine notwendige heuristische Bedingung für jede vernünftige Betrachtung der Menschengeschichte:
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"Da die Menschen in ihren Bestrebungen nicht bloß instinctmäßig wie Thiere und doch auch nicht wie vernünftige Weltbürger nach einem verabredeten Plane im Ganzen verfahren; so [...] ist hier keine Auskunft für den Philosophen, als daß [...] er versuche, ob er nicht eine Naturabsicht in diesem widersinnigen Gange menschlicher Dinge entdecken kann; aus welcher von Geschöpfen, die ohne eigenen Plan verfahren, dennoch eine Geschichte nach einem bestimmten Plane der Natur möglich sei" (IaG, Vm 17 2 7 - 18n).
Das Menschengeschlecht ist für Kant aber eben dadurch bestimmt, daß es das Vermögen besitzt, seine eigenen Zwecke zu setzen. Der unbewußte und kollektive Naturzweck der Menschengattung ist deshalb nur als ein formaler oder unvollendeter zu begreifen. Man darf also nicht annehmen, daß in der Menschengeschichte die Natur die Menschengattung auf einen vorbestimmten Zweck ausgerichtet habe, sondern man sollte die Natur so verstehen, als würde sie das Vermögen der Menschheit entwickeln, sich eigene selbstbestimmte Zwecke zu setzen und dann zu realisieren. Kant versucht den Beginn dieses Prozesses in seinem "Muthmaßlichen Anfang der Menschengeschichte" zu schildern. In einer etwas spielerischen Exegese der biblischen Geschichte stellt er die Urmenschen als ursprünglich von ihren Empfindungen bestimmte und ausschließlich von ihren tierischen Instinkten geleitete Wesen dar. Anschließend entwickelt er eine Vorstellung, wie solche Wesen allmählich lernen, ihre Vernunft zu gebrauchen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Kant zählt vier Schritte auf, die sie in der Entwicklung zur wahren Menschheit genommen haben könnten. Zuerst führte ihre Einbildungskraft zu neuen und künstlichen Bedürfnisse (ζ. B. zu dem Bedürfnis nach neuen Lebensmitteln), die der Stimme des Instinkts entgegengesetzt sind. Auf Grund ihrer widerstreitenden Wünschen wurden sie zweitens gewahr, was es heißt, wählen zu können. Obwohl diese neue Fähigkeit zunächst ein gewisses Vergnügen verursachte, führte sie trotzdem bald zu "Angst und Bangigkeit", was wiederum den dritten Schritt einleitete: das Bedürfnis, Prognosen über die Zukunft aufzustellen, was zwei weitere Quellen des Elends erzeugt: die Erfahrung der Arbeit (die gegenwärtige Mühe um der zukünftigen Befriedigung willen) und die Angst vor Tod. (Dazu muß man bemerken, daß bei Kant der sogenannte Sündenfall des Menschen nicht der Ursprung der Sünde oder der sittlichen Bosheit ist, sondern der Ursprung des Vernunfthasses (der sog. Misologie), die erste Anerkennung, daß die Entwicklung der Vernunft am Anfang eher zum Leid als zum Glück fuhrt.) Und endlich begriff der Mensch, "(wiewohl nur dunkel) [...], er sei eigentlich der Zweck der Natur", und wie kein anderes Naturwesen, ein Zweck an sich selbst (MA, VIII 114). Mit der Entwicklung der Vernunft wurde der Mensch also rastlos, unbefriedigt und voller Sorge um die Zukunft, er erlangte aber auch ein Bewußtsein von sich selbst und darüber hinaus ein starkes Selbstwertgefühl. Jetzt betrachtete der Mensch alle nichtmenschlichen Wesen "nicht mehr als seine Mitgenossen an der Schöpfung, sondern als seinem Willen überlas-
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sene Mittel und Werkzeuge zu Erreichung seiner beliebigen Absichten" (MA, VIII 114„. 13 ): "Daß der Mensch in seiner Vorstellung das Ich haben kann, erhebt ihn unendlich über alle andere auf Erden lebende Wesen. Dadurch ist er eine Person [...], d. i. ein von Sachen, dergleichen die vernunftlosen Thiere sind, mit denen man nach Belieben schalten und walten kann, durch Rang und Würde ganz unterschiedenes Wesen" (AP, VÏÏ 127mg).
Im "Muthmaßlichen Anfang" wird die moralische Tendenz im menschlichen Selbstbewußtsein und in der Selbstachtung betont. Wenn Kant aber diese Tendenz in ihrer gesellschaftlichen oder kulturellen Bedeutung betrachtet, dann tritt vielmehr das Rousseausche Element seiner Geschichtsphilosophie in Erscheinung. Wo immer die Menschen sich in einer Gesellschaft zusammenfinden, ergeben sich die Ungleichheiten, die "von der Cultur nicht abzusondern [sind], so lange sie gleichsam planlos fortgeht" (MA, Vili II826 f.)· Ursprünglich, sagt Kant, führt die menschliche Selbstachtung nicht zu einem Sinn für die gleiche Würde des Menschen, sondern zu einer Sucht, eine Überlegenheit gegenüber anderen Menschen zu schaffen und sie zu beherrschen; das ist nämlich ein Kunstgriff der Natur, die menschlichen Fähigkeiten durch Konkurrenz und Antagonismus zu entwickeln: "Ich verstehe hier unter dem Antagonism die ungesellige Geselligkeit der Menschen, d. i. den Hang derselben in Gesellschaft zu treten, der doch mit einem durchgängigen Widerstande, welcher diese Gesellschaft beständig zu trennen droht, verbunden ist. [...] Der Mensch hat eine Neigung sich zu vergesellschaften: weil er in einem solchen Zustande sich mehr als Mensch, d. i. die Entwickelung seiner Naturanlagen, fühlt. Er hat aber auch einen großen Hang sich zu vereinzelnen (isoliren): weil er in sich zugleich die ungesellige Eigenschaft antrifft, alles bloß nach seinem Sinne richten zu wollen, [... und] er seinerseits zum Widerstand gegen andere geneigt ist. Dieser Widerstand ist es nun, welcher alle Kräfte des Menschen erweckt [...] und, getrieben durch Ehrsucht, Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen, die er nicht wohl leiden, von denen er aber auch nicht lassen kann" (IaG, VIE 2O30 - 2110).
Rousseau und Kant stellen den unschuldigen Trieb, sich selbst Gutes zu tun (die Eigenliebe, die amour de soi oder philautia heißt), der unheilvollen Ten-
denz gegenüber, an sich selbst Vergnügen zu finden und eine hohe Meinung von sich selbst zu haben (der sog. Eigendünkel, amour-propre oder arrogati -
tia)? Unter dem Einfluß der letzteren ist es unvermeidlich, daß wir jeweils unser Gut im Vergleich und in Konkurrenz mit dem Gut der anderen betrachten; wir sind erst dann befriedigt, wenn wir, in ihren Augen sowie in unseren, die Überlegenheit über sie erreicht haben. Bei Kant ist dies die einzige Bedeu-
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Vgl. KpV, V 7313 f
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tung des Begriffs der Menschheit als Zweck an sich selbst, solange die Menschen ihre natürlichen Neigungen nicht dem Vernunftgesetz unterworfen haben. Diese Auffassung der menschlichen Natur und Geschichte bestimmt die Kantische Vorstellung des menschlichen Begehrungsvermögens und folglich der menschlichen Neigungen.4 Der Eigendünkel dient jedoch auch dem Naturzweck fur die gesamte Menschengattung, indem er ihre Vernunftvermögen entwickelt - einschließlich eben deijenigen Vermögen, die wir brauchen, um sittlich zu sein. So ist der gesellschaftliche Antagonismus und die daraus folgende menschliche Ungleichheit "diese reiche Quelle so vieles Bösen, aber auch alles Guten" (MA, VIII 11934). Kant verwendet die traditionelle Bezeichnung "Leidenschaft", um die besonders starken und nur schwer zu kontrollierenden Neigungen zu charakterisieren (AP, VII 251χ5 f). Er unterscheidet zwischen den Leidenschaften, die aus der Natur entspringen, und denjenigen, die von der Gesellschaft hervorgebracht werden (AP, VII 267), betrachtet aber alle Leidenschaften als gesellschaftliche in dem Sinne, daß sie nur auf andere Menschen gerichtet sind und nur von anderen Menschen befriedigt werden können (AP, VII 268, 270). Wir haben nach Kant nur zwei natürliche Leidenschaften: nach sexueller Befriedigung und nach Freiheit. Kant versteht unter sexueller Begierde nur das Verlangen, den Körper eines anderen Menschen als Mittel zur Befriedigung der tierischen Triebe zu gebrauchen (AP, VII 136; VE 205). In rohen Gesellschaften tritt diese Leidenschaft nur als totale und gewaltsame Unterwerfung des weiblichen Geschlechts unter das männliche hervor (MA, VIII 113; AP, VII 309). Mit fortschreitender Kultur, so glaubt Kant, wird diese Gewalt dadurch etwas relativiert, daß die Frau lernt, sich die auf sie gerichtete Begierde des Mannes zu Nutze zu machen; so daß der Kampf der Geschlechter seinen einseitigen Charakter verliert (AP, VII 306 f.). Die Leidenschaft der Freiheit ist für Kant die stärkste aller menschlichen Neigungen. Er interpretiert den Schrei des neugeborenen Kindes als Ausbruch der Wut, die durch das Unvermögen, seine Glieder zu benutzen, veranlaßt wird, - ein Unvermögen, welches das Kind als äußerlichen Zwang empfindet (AP, VII 26826 ff). Wir haben ein ausgeprägtes Naturbedürfnis, uns von allen Beschränkungen, 4
Vgl. RGV, VI 274.15: "Die Anlagen für die Menschheit können auf den allgemeinen Titel der zwar physischen, aber doch vergleichenden Selbstliebe (wozu Vernunft erfordert wird) gebracht werden: sich nämlich nur in Vergleichung mit Anderen als glücklich oder unglücklich zu beurtheilen. Von ihr rührt die Neigung her, sich in der Meinung Anderer einen Werth zu verschaffen; und zwar ursprünglich bloß den der Gleichheit: keinem über sich Überlegenheit zu verstatten, mit einer beständigen Besorgniß verbunden, daß Andere darnach streben möchten; woraus nachgerade eine ungerechte Begierde entspringt, sie sich über Andere zu erwerben. - Hierauf, nämlich auf Eifersucht und Nebenbuhlerei, können die größten Laster geheimer und offenbarer Feindseligkeit gegen Alle, die wir als fur uns fremde ansehen, gepropft werden."
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die das Dasein der anderen uns auferlegt, frei zu machen; dieses Bedürfnis entwickelt sich unvermeidlich zu dem Ehrgeiz, andere ihrer Freiheit zu berauben: "Der eigene Wille ist immer in Bereitschaft, in Widerwillen gegen seinen Nebenmenschen auszubrechen, und strebt jederzeit, seinen Anspruch auf unbedingte Freiheit, nicht blos unabhängig, sondern selbst über andere ihm von Natur gleiche Wesen Gebieter zu sein" (AP, VII 327i 7 _ 20 ).
Es gibt drei Leidenschaften, welche die Kultur mit sich bringt: Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht (IAG, VIII 20 f.; AP, VII 271-274). Alle sind eng mit der "Klugheit" verknüpft, welche als die Geschicklichkeit gilt, andere zu manipulieren.5 Das einzige Ziel aller Leidenschaften ist die Herrschaft über die anderen. Ehrsucht z. B. ist eigentlich das Verlangen, daß andere sich selbst verachten, wenn sie sich mit uns vergleichen (AP, VII 273 g f.); die Habsucht entspringt daraus, daß das Geld nur dazu dient, uns in der Gesellschaft direkt oder indirekt die Macht über die Arbeit der anderen zu verleihen (AP, VII 274; cf. VE 223). Durch die Leidenschaft werden Menschen dem Wahn unterworfen, indem ihnen "Gegenstände der Einbildung nach als wirkliche Zwecke (Erwerbungsarten von Ehre, Gewalt und Geld) vorgespiegelt" werden (AP, VII 27426 f.). Jede der gesellschaftlichen Leidenschaften erscheint dem Menschen als Trieb der Befreiung vom Willen der anderen; jede sei jedoch ironischerweise "ein Sklavensinn, durch den, wenn sich ein Anderer desselben bemächtigt, er das Vermögen hat, ihn durch seine eigenen Neigungen zu seinen Absichten zu gebrauchen" (AP, VII 272g -11). Kurz gesagt: Alle menschlichen Verhältnisse, die aus natürlichen Trieben entspringen, bestehen eben darin, daß ein Mensch danach strebt, einen anderen irgendwie zu beherrschen. Die Herrschaft wirkt hauptsächlich dadurch, daß der Beherrschte die trügerische Hoffnung hat, entweder gegen den Willen anderer frei zu werden oder selbst die Herrschaft über andere zu erlangen. So beruhen die meisten aus Naturtrieben entspringenden menschlichen Verhältnisse auf Betrug, der entweder absichtlich ausgeführt wird oder (noch hinterlistiger) in die Sozialverhältnisse selbst und die damit verbundenen Naturgefühle eingebettet ist. In dieser Einsicht dürfen wir Kants Behandlung der gesellschaftlichen Neigungen : Liebe, Mitleid und Humanität, nicht übersehen; sonst würden wir seine ebenso scharfsinnige wie trostlose Ansicht aller menschlichen Verhältnisse, die auf natürliche menschliche Gefühle aufgebaut sind, unterschätzen. 5
AP, VE 27117-21: "Diese Neigung [sc. zum Vermögen, Einfluß überhaupt auf andere Menschen zu haben] nähert sich am meisten der technisch-praktischen Vernunft, d.i. der Klugheitsmaxime. - Denn anderer Menschen Neigungen in seine Gewalt zu bekommen, um sie nach seinen Absichten lenken und bestimmen zu können, [ist] beinahe eben so viel als im Besitz anderer, als bloßer Werkzeuge seines Willens, zu sein."
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Zwar könnten wir ohne die gesellschaftlichen Neigungen vielleicht den Antagonismus, durch den die Natur die Entwicklung unserer Vermögen bewirkt, vermeiden. Aber die Natur hat es so eingerichtet, daß wir "das friedliche Beisammensein nicht entbehren und dabei dennoch einander beständig widerwärtig zu sein nicht vermeiden können" (AP, VII 33119-21). In diesem Zusammenhang äußert sich Kant folgendermaßen über die Freundschaft: "Pie Freundschaft ist also] nur in der Welt eine Zuflucht, seine Gesinnung dem anderen zu eröffnen, und sich ihm zu communiciren, indem man hier im Mistrauen gegen einander steht [...]. Die Vertraulichkeit betrifft [aber] nur die Gesinnung und die Sentiments, aber nicht den Anstand, den muß man doch beobachten und seine Schwäche hierin zurückhalten, damit nicht die Menschheit dadurch verletzt werde. Man muß sich seinem besten Freunde nicht so entdecken, als man natürlich ist und sich kennt, denn sonst werde das ekelhaft seyn" (Moralphilosophie Collins, XXVII/ 1 427-428).
Von einem anderen Standpunkt läßt sich der soziale Antagonismus als ein Konflikt zwischen der Natur und den Kulturgesinnungen der Menschengattung betrachten.6 Die Natur hat gewisse Triebe in uns angelegt, um unsere Vermögen zu entwickeln, die Menschen fingen aber auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung an, sich eigene Zwecke zu setzen, die den Naturtrieben entgegengesetzt waren. In der Geschichte erscheint dieser Konflikt als Tendenz einer sich steigernden sozialen Ungleichheit, die im Kampf der älteren, natürlicheren Lebensweisen gegen die neueren, zivilisierteren wurzelt. Kant antizipiert die marxistische Geschichtsauffassung, indem er den Geschichtsprozeß als Kampf zwischen Gruppen betrachtet, die antagonistische ökonomische Interessen verfolgen und verschiedenen Stufen der ökonomischen Entwicklung angehören. Nach einer langen und friedlichen Epoche des Hirtentum - so Kant - habe die Zeit des Ackerbaus begonnen, in der das Leben der Hirten und der Jäger nach langem Kampf von der stabileren und produktiveren Lebensweise der Bauern abgelöst worden ist. Die Lebensform des Ackerbaus habe wiederum die Entstehung dauerhafter Siedlungen, Dörfer und Städte gefordert, was wiederum unvermeidlich zu einem scharfen Konflikt zwischen Stadt und Land geführt habe. Städte hätten das Lebenselement geschaffen, in dem die Kultur und die gesetzmäßige bürgerliche Gesellschaft wachsen konnte, ihr "glänzendes Elend" habe aber auch die Unterschiede zwischen den Menschen vertieft und die damit verknüpften Übel des Despotismus und des Krieges verursacht (MA, VIII118-120). Zugleich aber hat die Kultur auch eine andere, anfangs kaum spürbare Kraft hervorgebracht, die schließlich diesen Übeln entgegenwirkt. Mit der Zivilisation entwickelte sich nämlich auch die Vernunft als diejenige mensch6
MA, Vm 11620 f; Aus der Widerstreit zwischen Natur und Kultur entspringen "alle wahre Übel [...], die das menschliche Leben drücken, und alle Laster, die es verunehren."
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liehe Fähigkeit, die es ermöglicht, über den "Egoismus" der Wahrnehmungen, Begehrungen und des Geschmacks des Einzelnen hinauszugehen und die "pluralistische" Denkungsart einzunehmen (AP, VII 130). Wenngleich die Kultur Ursache aller Konflikte zwischen den Menschen ist, so bildet sie zugleich auch die einzige Quelle ihrer beständigen Tendenz zu Friede und Eintracht.7 Durch die zivilisierenden Wirkungen der Kultur wird die "bloß thierische Begierde allmählig zur Liebe", und das "Gefühl des bloß Angenehmen zum Geschmack", und aus der Sittsamkeit, "eine Neigung durch guten Anstand (Verhehlung dessen, was Geringschätzung erregen konnte) Anderen Achtung gegen uns einzuflößen" (MA, Vili II39 ff), erwächst ein echt moralischer Sinn. So sei die Kultur auch die Quelle jeder menschlichen Hoffnung auf ein gesellschaftliches Leben in Eintracht und wechselseitiger Achtung.8 Im Vergleich zu allen früheren Konzeptionen betrachtet Kant seine Moraltheorie als diejenige, welche die Autonomie der Vernunft zum Prinzip erhebt. Er behauptet aber nicht, daß die älteren eudämonistischen Theorien (nicht einmal die epikureische Theorie) nichtmoralische Grundsätze an die Stelle des echten Moralprinzips eingesetzt hätten, sondern nur, daß sie die beiden Grundsätze nicht genau unterschieden hätten. Dies läßt sich auf Grund der Kantischen Lehre der Kulturentwicklung leicht verstehen. Das Vermögen, sittliche Unterscheidungen zu treffen und sich davon motivieren zu lassen, entwickelt sich im Zusammenhang mit der Ausbildung der Sittlichkeit. Sobald die Menschen reif genug geworden sind, für sich selbst zu denken, löst sich der Zusammenhang auf und der reine Beweggrund der Moral kann ganz für sich hervortreten. Die Fähigkeit des Selbstdenkens bedeutet bei Kant das Ende der Unmündigkeit oder die Aufklärung. Folglich betrachtet Kant seine Moraltheorie der Autonomie im Vergleich mit den früheren als diejenige, die zu einer aufgeklärten Kultur führt. Keineswegs ist die Kantische Ethik unhisto-
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AP, VII 32928-34: "Denn es sind Menschen, [...] welche die Übel, die sich unter einander selbstsüchtig anthun, bei Zunahme der Kultur nur immer desto stärker fühlen und, indem sie kein anderes Mittel dagegen für sich sehen, als Privatsinn (Einzelner) dem Gemeinsinn (Aller vereinigt) obzwar ungern, einer Disziplin (des bürgerlichen Zwanges) zu unterwerfen." 8 Vgl. hierzu IaG, VIII 2110-17: "Da geschehen nun die ersten wahren Schritte aus der Rohigkeit zur Cultur, die eigentlich in dem gesellschaftlichen Werth des Menschen besteht; da werden alle Talente nach und nach entwickelt, der Geschmack gebildet und selbst durch fortgesetzte Aufklärung der Anfang zur Gründung einer Denkungsart gemacht, welche die grobe Naturanlage zur sittlichen Unterscheidung mit der Zeit in bestimmte praktische Principien und so eine pathologisch-abgedrungenQ Zusammenstimmung zu einer Gesellschaft endlich in ein moralisches Ganze verwandeln kann." AP, VE 32435.37: "Der Mensch ist durch seine Vernunft bestimmt, in einer Gesellschaft mit Menschen zu sein und in ihr sich durch Kunst und Wissenschaften zu culti viren, zu civilisiren und zu moralisiren."
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risch, sondern sie hat ein ganz historisches Selbstbewußtsein undrichtetsich absichtlich nach ihrem eigenen Zeitalter, dessen geschichtlichen Bedürfnissen sie entspricht. In der Grundlegung behauptet Kant, daß sich das Moralgesetz nicht von der empirischen Anthropologie ableiten lasse, sondern auf sie angewendet werden müsse. Wir haben bereits gesehen, daß diese Position selbst schon auf die Kantische Anthropologie gegründet ist. Ebenso sind die spezifischen Formeln des kategorischen Imperativs in der Grundlegung schon angewandte Formeln des reinen Gesetzes, d.h. Formeln, die im Hinblick auf die Natur des Menschen und die aktuelle geschichtliche Situation gedacht sind. Obwohl Kant in der Grundlegung behauptet, daß eine Metaphysik der Sitten "zuerst unabhängig von dieser [sc. der praktischen Anthropologie] als reine Philosophie, d. i. als Metaphysik vollständig" entwickelt werden müsse (GMS, IV 4125 f.), geschieht dies in seinem ethischen Schriften trotzdem nirgends. In den Metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre hat er später selbst eingeräumt, daß der Tugendbegriff anthropologische Kenntnisse - ζ. B. die Einsicht, daß Tugend erworben und Hindernisse des Pflichtvollzugs in uns bekämpft werden müssen - einschließe (TL, VI 380, 477.) Das reine Gefühl der Achtung vor dem Gesetz ist bei Kant für die Moral eben darum entscheidend, weil nur dieses Gefühl aus dem reinen Denken stammt und daher allein fähig ist, den natürlichen Eigendünkel des gesellschaftlichen Menschen zu bekämpfen. Ebenso fühlen wir Achtung und Ehrfurcht vor dem Gesetz der Vernunft nur deshalb, weil nach Kants empirischer Anthropologie die Anerkennung der Gleichheit anderer Menschen für uns ein schmerzliches und sogar demütigendes Erlebnis ist (KpV, V 73). Schon bei der Kennzeichnung des Moralprinzips als Imperativ setzt Kant die zufallige, empirische anthropologische These voraus, daß die Menschen nur dann vernünftig handeln können, wenn sie ihre Neigungen durch ihre eigene Vernunft bezwungen haben (GMS, IV 413-414). In seiner vollständigen Reinheit betrachtet, bedeutet Kants Moralprinzip bloß dies, daß man so handeln solle, daß allgemeingültige Gründe für die Handlung angegeben werden können (GMS, IV 414, 438). Es ist nicht überraschend, daß Hegel und andere Kritiker ein solches Prinzip fur leer und inhaltslos erklärt haben. Tatsächlich aber hat eigentlich jede der Kantischen Formulierungen des Prinzips einen bestimmten Inhalt, den sie aus der Kantischen Anthropologie zieht, auf die das Prinzip schon angewandt worden ist. Die erste Formel der Grundlegung hebt nämlich die Allgemeinheit des Gesetzes hervor; dies hat seinen Grund in der Kantischen Anthropologie. Denn als aufgeklärte vernünftige Wesen müssen wir beständig uns an unsere tief verwurzelte menschliche Neigung erinnern, uns als bevorzugte Ausnahmen von einer Regel zu betrachten, von der wir ansonsten wollen, daß alle sie befolgen. Die zweite Formel des kategorischen Imperativs betont die Würde jedes ver-
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nünftigen Wesens als Zweck an sich selbst; man muß dies betonen, solange die Menschen den Hang haben, diese Würde als ihr Sonderrecht zu beanspruchen und andere als bloße Mittel zu ihren Zwecken anzusehen (GMS, IV 429). Und solange die menschliche Zivilisation hauptsächlich ein Schauplatz des Kampfes und der Herrschaft ist, bleibt es wichtig (wie bei der dritten Kantischen Formel), das vernünftige Bild eines Reichs der Zwecke darzustellen, in dem alle solche Maximen befolgen, durch welche die notwendige Übereinstimmung ihrer Zwecke bewirkt werden kann (GMS, IV 433). Die anthropologischen Implikationen der verschiedenen Formeln des kategorischen Imperativs beruhen offensichtlich auf der Voraussetzung, daß die Form des Imperativs dieser Formeln bei solchen Vernunftwesen, die nur selten in eine Lage geraten, in der sie anderen helfen könnten oder selbst der Hilfe bedürften, oder deren Zwecke von Natur aus übereinstimmten oder die bei Konflikten keine starke Neigung hätten, einander zu übervorteilen, überflüssig wären. Stellen wir uns vernünftige Wesen vor, die den Rousseauschen hommes naturels gleichen, bei denen der amour de soi noch nicht in den amour propre umgeschlagen ist: solche Wesen hätten keinen Hang, einander auszubeuten oder miteinander zu konkurrieren; Konflikte zwischen ihren Interessen wären nur zufallig und beiläufig. Es hätte wenig Sinn, solchen Wesen streng zu gebieten, einander nicht als bloße Mittel zu behandeln; vielleicht wäre es auch nicht empfehlenswert, daß sie ein ganzes System von Maximen befolgen sollten, bloß um ihre Zwecke in notwendige Übereinstimmung zu bringen. Wenn wir trotzdem die dezidierten Kantischen Formeln oft als die einzig möglichen Ausdrucksweisen eines Prinzips annehmen, dessen Inhalt nur die Idee der Allgemeingültigkeit ist, so zeigt dies nur, daß wir Kants pessimistischen Ansichten über die menschliche Natur größeren Glaube schenken, als wir vielleicht zugeben möchten. Das Auffälligste an der Kantischen Anthropologie ist die Lehre vom radikalen Hang zum Bösen. Diese Lehre muß m. E. im Zusammenhang mit der Kantischen Geschichtsphilosophie und der Kantischen Lehre des staatlichen Zustandes verstanden werden.9 Zunächst scheint die Kantische Lehre, daß der
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RGV, VI 9321 - 94^: "Nicht durch die Anreize [der bloßen Natur] werden die eigentlich so zu benennende Leidenschaften in ihm [sc. dem Mensch] rege, welche so große Verheerungen in seiner ursprünglich guten Anlage einrichten. Seine Bedürfnisse sind nur klein und sein Gemüthzustand in Besorgung derselben gemäßigt und ruhig. Er ist nur arm (oder hält sich dafür), sofern er besorgt, daß ihn andere Menschen dafür halten und darüber verachten möchten. Der Neid, die Herrschsucht, die Habsucht und die damit verbundenen feindseligen Neigungen bestürmen alsbald seine an sich genügsame Natur, wenn er unter Menschen ist, und es ist nicht einmal nöthig, daß diese schon als im Bösen versunken und als verleitende Beispiele vorausgesetzt werden; es ist genug, daß sie da sind, daß sie ihn umgeben, und daß sie Menschen sind, um ein-
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Mensch von Natur aus einen radikalen Hang zum Bösen habe, der Rousseauschen Lehre, daß der Mensch von Natur aus gut sei, entgegengesetzt zu sein. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, daß beide Lehren nicht nur miteinander vereinbar sind, sondern vielmehr ein und dieselbe Lehre darstellen. Denn sowohl Rousseau als auch Kant behaupten eben dies, daß die Menschen unschuldig seien, solange sie im Naturzustand (d.h. in einem vorgesellschaftlichen Zustand) blieben, jedoch böse wurden, sobald sie in den Gesellschaftszustand eintraten. Nach der Kantischen Interpretation ist es Rousseaus Ziel, uns zu belehren, daß die "Erziehung zum Menschen und Bürger zugleich vielleicht noch nicht recht angefangen, viel weniger vollendet ist" (MA, Vili II618-20)· Rousseau wollte nach Kant außerdem die Ironie unseres Schicksals betonen: die Vermögen der zivilisierten Menschheit seien eben den Tendenzen in der menschlichen Natur, die notwendig gewesen seien, um dieselben erst zu entwickeln, entgegengesetzt (AP, VII 326): "[die Natur-]Anlagen aber, da sie auf den Naturzustand gestellt waren, durch die fortgehende Cultur Abbruch leiden, und dieser dagegen Abbruch thun, bis vollkommene Kunst wieder Natur wird: als welches das letzte Ziel der sittlichen Bestimmung der Menschengattung ist" (MA, VIE 1172 -118 2 ). "Die Natur in ihm [sc. dem Menschen] von der Cultur zur Moralität, nicht (wie es doch die Vernunft vorschreibt) von der Moralität und Ihrem Gesetze anhebend, zu einer darauf angelegten zweckmäßigen Cultur hinzuleiten strebt; welches unvermeidlich eine verkehrte zweckwidrige Tendenz abgiebt" (AP, VE 327 2 i - 3284).
Die Kantische Moraltheorie ist darauf gerichtet, den Endzweck der Menschheit in der Geschichte zu einem entscheidenden Zeitpunkt in dieser Geschichte zu formulieren. In der Idee zu einer allgemeinen Geschichte sagt
Kant: "Das größte Problem für die Menschengattung, zu dessen Auflösung die Natur ihn zwingt, ist die Erreichung einer allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft" (IaG, VIII 22$.%). Nach Kant ist die Bestimmung des Staates der Schutz der individuellen Rechte, er behauptet aber auch, daß es in einzelnen Staaten keine wahre Gerechtigkeit ohne beständigen Friedenszustand zwischen den Staaten geben könne (IaG, VIII 24). Daher macht bei Kant der Frieden durch Recht einen einzigen komplexen, die ganze Menschengattung betreffenden Zweck aus. In der Idee zu einer allgemeinen Geschichte erklärt Kant sogar dessen Erreichung als "das schwerste Problem" und "das, welches von der Menschengattung am spätesten aufgelöst wird" (IaG, VIII231 f). Wir könnten daraus fälschlicherweise schließen, daß für Kant der durch das Recht bewirkte Frieden der Endzweck der Menschheit und der Moral sei. Denn selbst in der Idee zu einer allgemeinen Geschichte sagt Kant, daß die
ander wechselseitig in ihrer moralischen Anlage zu verderben und sich einander böse zumachen."
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gerechte und friedliche Staatenverbindung nur die "Hälfte ihrer Ausbildung" fasse (IaG, VIII 26 14ff.)· In der Kritik der Urteilskraft unterscheidet Kant den "letzten Zweck" der Natur von dem "Endzweck" der Menschheit (welcher auch als der Endzweck der Welt gelten könne). Dieser müsse nämlich unbedingt sein, er fordere keinen anderen Zweck als Bedingung seiner Möglichkeit und müsse daher jenseits der Natur liegen (KdU, V 426, 433). Nach Kant hat die Natur uns in den Zustand der ungeselligen Geselligkeit versetzt, um unsere Vermögen durch den sozialen Antagonismus zu entwickeln. Sobald wir den zivilisierten Zustand erreichen, würde die weitere Entwicklung unserer Kräfte wiederum durch eben diesen natürlichen Antagonismus gefährdet. Von diesem Punkt an hängt die Erreichung des Naturzwecks selbst davon ab, inwiefern die Menschengattung schon zum Zustand des durch das Recht bewirkten Friedens gelangt ist.10 Folglich dient der Rechtsfrieden nur als Mittel zu dem ursprünglichen Zweck der Natur, unsere Vermögen durch den Antagonismus zu entwickeln, so daß der Frieden als solcher nicht der menschliche Endzweck sein kann. Dieser Endzweck besteht vielmehr in der Kultur, nicht jedoch in der "Kultur der Geschicklichkeit", sondern in der "Kultur der Zucht", d.h. in der Entwicklung der menschlichen Fähigkeit, Zwecke ganz nach der selbstgedachten Vernunftordnung zu setzen und zu verwirklichen (KdU, V 431 f.). Das Dasein der Menschen ist nur dann Endzweck, wenn sie als moralische Subjekte betrachtet werden, die ihre eigenen Zwecke ausschließlich durch die reine Vernunft bestimmen (KdU, V 435436). Den Endzweck bezeichnet Kant auch als das "höchste Gut", als die vollkommene Tugend, die mit Glückseligkeit in Proportion zur Sittlichkeit verbunden ist (KpV, V 110-113; KdU, V 450). Das Glück gehört bedingungsweise zu diesem Zweck, sein erster oder unbedingter Teil aber ist die sittliche Tugend. Daß Kant die Tugend das oberste Gut nennt, wird niemanden verwundern. Dagegen mag es vielleicht überraschen, daß er die Tugend als kollektiven oder sogar gesellschaftlichen Zweck ansieht. Da das Böse seinem Ursprung nach gesellschaftlicher Natur ist, sei seine Bekämpfung nur dadurch möglich, daß man sich einer bestimmten menschlichen Gemeinschaft anschließt, einem "ethischen gemeinen Wesen" oder dem "Volk Gottes", das der Verstärkung der Sittlichkeit und dem Widerstand gegen das moralisch Böse dient.11 Mit
10 KdU, V 43228-32: "Die formale Bedingung, unter welcher die Natur diese ihre Endabsicht allein erreichen kann, ist diejenige Verfassung im Verhältnisse der Menschen untereinander, wo dem Abbruche der einander wechselseitig widerstreitenden Freiheit gesetzmäßige Gewalt in einem Ganzen, welches bürgerliche Gesellschaft heißt, entgegengesetzt wird [...]." 11 RGV, VI 97 2 i - 98g: "Weil aber das höchste sittliche Gut durch die Bestrebung der einzelnen Person zu ihrer eigenen moralischen Vollkommenheit allein nicht be-
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anderen Worten: die Kantische Ethik ist nicht individualistisch, sondern kommunitarisch; die ethische Gemeinschaft ist aber als religiöse, nicht als politische, und als Idee der Vernunft, nicht als empirisches Produkt der Natur oder des Klugheitskalküls zu begreifen. Diese Idee des ethischen Gemeinwesens wird sogar in der bekannten anschaulichsten Formulierung des Moralgesetzes, die sich auf das Reich der Zwecke bezieht, gebraucht. Die Grundlegung behauptet nämlich, daß jeder Mensch sein Leben nach solche Grundsätzen führen solle, nach der eine solche Gemeinschaft sich regiert werden könne; die Religionsschrift spricht von einer menschlichen Pflicht, "der Art und dem Princip nach von allen anderen unterschieden", eine solche Gemeinschaft zu verwirklichen.12 Nach der Kantischen Geschichtsauffassung hat die menschliche Geschichte zwei ineinandergreifende Phasen, die man "die Epoche der Natur" bzw. "die Epoche der Freiheit" nennen könnte. In der Epoche der Natur dient der Antagonismus zwischen den Menschen als Mittel zur Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten. Diese Epoche wird mit dem Erreichen des Rechtsfriedens in einer weltbürgerlichen Gesellschaft republikanischer Staaten abschließen. Lange vorher aber hat sich bereits das menschliche Vermögen, sich autonome Zwecke zu setzen, entwickelt; zu diesem Zeitpunkt hat somit die Epoche der Freiheit bereits begonnen. Der Antagonismus und die Ungleichheit gehören immer zur Kultur, solange sie "planlos fortgeht" (MA, VIII 11826 f.). In der Epoche der Freiheit ist es die menschliche Bestimmung, einen solchen bewußten kollektiven Plan, durch den die natürliche Zwietracht zwischen Menschen von der Eintracht der Vernunft überwunden wird, erstens zu formulieren und dann zu verwirklichen.13 Die Epoche der Freiheit fangt erst mit der Aufklärung an. Solange die Menschen in der Unmündigkeit der Natur bzw. der Sittsamkeit blieben, waren die Wirkungen der Kultur ambivalent; die Vernunft entwickelte sich zwar, aber die Konflikte vertieften sich. Wir können die "Übel der Kultur" nur dadurch korrigieren, daß wir das Gesetz der Vernunft auf die wirkt, sondern eine Vereinigung derselben in ein Ganzes zu eben demselben Zwecke zu einem System wohlgesinnter Menschen erfordert, in welchem und durch dessen Einheit es allein zu Stande kommen kann, die Idee aber von einem solchen Ganzen, als einer allgemeinen Republik nach Tugendgesetzen, eine von allen moralischen Gesetzen (die das betreffen, wovon wir wissen, daß es in unserer Gewalt stehe) ganz unterschiedene Idee ist, nämlich auf ein Ganzes hinzuwirken, wovon wir nicht wissen können, ob es als ein solches auch in unserer Gewalt stehe: so ist die Pflicht der Art und dem Princip nach von allen anderen unterschieden." 12 Vgl. nochmals RGV, VI 97 f. 13 AP, VE 3223.8: "Das Charakteristische der Menschengattung in Vergleichung mit der Idee möglicher vernünftiger Wesen auf Erden überhaupt [ist] dieses [...]: daß die Natur den Keim der Zwietracht in sie gelegt und gewollt hat, daß ihre eigene Vernunft aus dieser diejenige Eintracht, wenigstens die beständige Annäherung zu derselben herausbringe." 4 Hüning / Tuschling
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Kultur selbst und auf die damit verbundenen ungleichen und antagonistischen sozialen Verhältnisse anwenden. Dieses a priori aus dem vernünftigen Denken stammende Gesetz wird von uns erkannt, sobald wir anfangen, selbständig zu denken. Folglich ist der von der Kantische Theorie vorgetragene Anspruch zugleich eine Werbung für die geschichtliche Macht der Aufklärung. An sich betrachtet ist Kants politische Philosophie bloß eine Version des klassischen Liberalismus. Sie wird auf zwei wohlbekannte liberale Lehrsätze gegründet: 1. Die Konkurrenz ist das natürliche Mittel, die menschliche Fähigkeiten zu entwickeln. 2. Die Bestimmung des Staates ist es, die Konkurrenz durch den Schutz des Eigentums und die zwangsbewährte Durchsetzung von Rechtsprinzipien zu regulieren. Obzwar der Staat nach dem Erreichen des Friedenszustandes mit Recht fortdauern wird, gehört seine Bestimmung eigentlich nur zur ersten Phase der Geschichte, der Epoche der Natur; demgegenüber gehört die Moral zur Epoche der Freiheit. Denn ihre Aufgabe ist es, die Natur durch die Vernunft zu ersetzen und eine systematische vernünftige Gemeinschaft aller menschlichen Zwecke hervorzubringen. Das Recht hat nur das liberale Ziel, den sozialen Konflikt um des Naturzwecks willen zu beschränken, die Moral aber das radikalere, ihn um des menschlichen Endzwecks willen abzuschaffen. Nach Kant wie auch nach Marx ist die Gesellschaft der Vergangenheit nur naturwüchsig und auf einem sozialen Antagonismus gegründet, die zukünftige aber soll auf Freiheit beruhen.14 Kants radikale Vorstellung der Kirche könnte man also als rationalistische Version der apokalyptischen egalitären Ansichten des Pietismus ansehen, aber auch (wie es einige der neukantianischen Sozialisten des frühen zwanzigsten Jahrhunderts getan haben) als radikalen Sozialismus, der im Kern der Kantischen Moral verborgen liegt und hauptsächlich in der Kantischen Religionsphilosophie hervortritt. Worum geht es eigentlich in der Kantischen praktischen Philosophie? Manche würden diese Frage dadurch beantworten, daß sie von ethischer Transzendentalphilosophie oder von noumenaler Freiheit oder von der Beschaffenheit der praktischen Vernunft oder von der Würde der vernünftigen Natur oder von 14
AP, VE 3333.10: "[.·.] die Menschengattung [ist] nicht als böse, sondern als eine aus dem Bösen zum Guten in beständigem Fortschreiten unter Hindernissen emporstrebende Gattung vernünftiger Wesen darzustellen; wobei dann ihr Wollen im Allgemeinen gut, das Vollbringen aber dadurch erschwert ist, daß die Erreichung des Zwecks nicht von der freien Zusammenstimmung der Einzelnen, sondern nur durch fortschreitende Organisation der Erdbürger in und zu der Gattung als einem System, das kosmopolitisch verbunden ist, erwartet werden kann."
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der Priorität der Rechte vor den möglichen Konsequenzen sprechen. Demgegenüber vertrete ich die Auffassung, daß es im Grunde in der Kantischen Ethik um den gesellschaftlichen Antagonismus der Menschen geht. Die Kantische Rechtsphilosophie behandelt die äußeren Mittel, durch die der soziale Konflikt um der natürlichen Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten willen beschränkt werden soll. Die Kantische Ethik ist ein Versuch, den gemeinsamen vernünftigen Plan, durch den die Menschheit eine endgültige vernünftige Eintracht finden möchte, zu artikulieren. Wenn man die Kantische Ethik in dieser Weise versteht, tauchen andere Streitfragen auf als diejenigen, mit denen sich die Interpreten der Kantischen Moralphilosophen bisher meistens beschäftigt haben. Die transzendentale Freiheit und die apriorischen Grundsätze werden nicht abgelehnt - im Gegenteil wird die Aprioritäts des moralischen Gesetzes als durch anthropologische Voraussetzungen motiviert erklärt - , aber sie treten in den Hintergrund. Gleichzeitig erlangt die Kantische Ethik eine unmittelbare soziale Bedeutung und eine geschichtliche Relevanz. Aber gerade wenn man die anthropologischen Grundlagen der Kantischen Ethik berücksichtigt, wird es schwieriger, die Kantische Position zu verteidigen. Denn einige der bekanntesten Einwände gegen die Kantische Ethik beziehen sich auf ihre anthropologische Basis; diese Einwände gewinnen in dem Maße an Gewicht, wie das anthropologische Fundament der Kantischen Ethik stärker hervorgehoben wird. Vielleicht ist das Auffalligste an der Kantischen Ethik die schwere Last, die sie dem Einzelnen um des menschlichen Fortschritts willen auferlegt. Die Kantische Moraltheorie drückt nämlich ein begeisterndes Vertrauen in den Einzelnen aus und in seine Kraft, gegen seine innere Natur für die Menschengattung und ihre geschichtliche Bestimmung zu kämpfen. Wir dürfen aber fragen, ob diese Theorie die psychische Beschaffenheit des Individuums nicht etwa unbarmherzig und donquichottisch belastet. Sigmund Freud, der in vielerlei Hinsicht mit der Kantischen Einschätzung des menschlichen Zustands übereinstimmt, mahnt demgegenüber, daß die Ethik dem beschränkten Vermögen des Ich, das Es zu regieren, vielleicht zuviel zumutet, und daß eine derartige ethische Überforderung entweder zu Neurosen und zum Unglücksein des einzelnen führt oder das Ich zum Aufstand gegen die übermäßigen Forderungen der Ethik provoziert. Deswegen ist Freud im Vergleich zu Kant bezüglich der langfristigen Aussichten der Menschheit in ihrem Streben nach einer vernünftigen Gesellschaft und nach der Abschaffung des menschlichen Konflikts grundsätzlich eher pessimistisch. Andere nachkantische Denker (wie Schiller, Hegel und Marx) teilen die Hoffnung Kants auf ein Reich der Zwecke in der menschlichen Gesellschaft; sie sehen aber die innere menschliche Natur nicht als Feind, sondern als Genossen im Kampf und nicht das Individuum, sondern die Gesellschaftsordnung gilt als den Hauptkampfplatz der Menschengeschichte. Kant scheint sich 4*
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nie zu fragen, ob seine liberale Vorstellung des Rechts (welches nur die menschliche Konkurrenz innerhalb der Epoche der Natur regulieren soll) und seine radikale Idee der Moralität (die auf die Verwirklichung des Reichs der Zwecke und die Abschaffung des menschlichen Antagonismus während der Epoche der Freiheit gerichtet ist) überhaupt vereinbar sind. Wir könnten auch die fortschreitende (sogar 'chiliastische'15) Rolle, welche die Moralität bei Kant in der Geschichte spielt, in Zweifel ziehen. Kant meint, eine aufgeklärte Moral entspringe der Sitte durch kritisches Nachdenken; er erwartet deshalb, daß die Moral die Haupttriebfeder der gesellschaftlichen und geschichtlichen Befreiung des Menschen sein wird. Es ist keine konzeptuelle oder logische, sondern eine empirische, psychologische, soziale oder geschichtliche Frage, ob die Moral eher auf der Seite der Vernunft und des Fortschritts oder vielmehr auf der Seite des unvernünftigen Konservatismus steht. Und leider scheinen die Moral und die aufgeklärte Vernunft leichter in den Theorien der Philosophen als in der Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen zu sein. Wenn Nietzsche mit seiner Behauptung Recht hat, daß "Moral" und "autonom" einander wechselseitig ausschließende Begriffe sind, so liegt vielleicht die freie Gesellschaft am Ende eines anderen Weges als des moralischen. Der Zweck meiner Überlegungen besteht allerdings nicht darin, die obigen Fragen zu entscheiden, sondern sie nur aufzuwerfen und ihre Berechtigung zu zeigen. Es sind dies Fragen im Hinblick auf die menschliche Natur und ihr geschichtliches Schicksal, die von der Kantischen Metaphysik der Sitten gar nicht behandelt werden, da sie zu den anthropologischen Grundlagen der Kantischen Ethik gehören, durch die der ganze apriorische oder metaphysische Standpunkt Kants in der Ethik überhaupt erst motiviert worden ist. Diese Grundlagen können wir aber nur dannrichtigeinschätzen, nachdem wir zuerst ihre Existenz zugegeben haben; dazu wiederum ist es erforderlich, daß wir die traditionelle Betrachtungsweise der Kantischen Ethik überwinden.
15
Vgl. A IaG, Vm 27 8
f
Von der Tugend der Gerechtigkeit zum Begriff der Rechtsordnung: Zur rechtsphilosophischen Bedeutung des suum cuique tribuere bei Hobbes und Kant Von Dieter Hüning, Marburg
I. Wer einen Vergleich zwischen dem neuzeitlichen Vernunftrecht, als dessen wichtigste Vertreter Hobbes, Rousseau und Kant anzusehen sind, und der klassisch-aristotelischen Politiktheorie und dem stoisch-scholastischen Naturrecht, wie es sich insbesondere in den Schriften von Cicero und Thomas von Aquin findet, vornimmt, wird feststellen, daß der Begriff der Gerechtigkeit in den neuzeitlichen Rechts- und Staatstheorien nur eine geringe Rolle spielt. Was Kants praktische Philosophie angeht, so hat Reinhard Brandt auf das auffällige Phänomen hingewiesen, "daß sich weder die Ethik noch die Rechtslehre in die Tradition der Gerechtigkeitstheorien fügen oder zu fügen scheinen". Er hat jedoch zugleich davor gewarnt, sich durch die "geringe deklarative Präsenz der Gerechtigkeit in Kants Schriften" täuschen zu lassen, denn in Wahrheit bilde "die Gerechtigkeit ein zentrales Element wenigstens der Rechtslehre".1 In der politischen Philosophie der Neuzeit wird der Begriff der Gerechtigkeit seit der epochemachenden Kritik des Thomas Hobbes an den systematischen Voraussetzungen des politischen Aristotelismus einerseits und des stoisch-scholastischen Naturrechts andererseits zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Die großen staatsphilosophischen Entwürfe von Hobbes, Rousseau, Kant und Hegel sind in erster Linie philosophische Begründungen des positiven Rechts und des Staates als der notwendigen Garantiemacht der Rechtsordnung. Die Marginalisierung des Gerechtigkeitsbegriffs nicht nur bei Kant, sondern auch schon in den rechts- und staatsphilosophischen Überlegungen von Hobbes und Rousseau, hat ihren Grund in erster Linie in der Veränderung der systematischen rechtsphilosophischen Ausgangspunktes. Tat-
1 Reinhard Brandt, Gerechtigkeit und Strafgerechtigkeit bei Kant, in: Gerhard Schönrich/Yasushi Kato (Hrsg.): Kant in der Diskussion der Moderne, Frankfurt/M. 1996, S. 425 ff.
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sächlich stehen die antiken Gerechtigkeitslehren und das neuzeitliche Naturbzw. Vernunftrechtstheorie vor unterschiedlichen Begründungsaufgaben, wobei dieser Wandel der rechtsphilosophischen Problemstellung oftmals als Übergang von einer Theorie materialer Gerechtigkeit hin zu einer Konzeption des formalen Rechtsstaates beschrieben worden ist.2 Die nachfolgenden Ausführungen beabsichtigen, am Beispiel der systematischen Umdeutung der klassischen Gerechtigkeitsdefinition - "iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuens"3 - durch Hobbes und Kant die Motive und Absichten der neuzeitlichen Rechtsphilosophie zu präzisieren und zu zeigen, wie Kant und Hobbes durch diese Umdeutung das suum cuique tribue in das Konstitutionsprinzip der staatlichen Rechtsordnung verwandeln. Es wird sich zeigen, daß - trotz großer Differenzen in anderen Fragen - in diesem Punkte zwischen den Rechtsphilosophien von Hobbes und Kant Einigkeit besteht, eine Einigkeit, die ihrerseits Ausdruck eines spezifisch modernen Selbstverständnisses und eines von der stoisch-scholastischen Tradition des Naturrechts unterschiedenen Problembewußtseins ist, in dessen Mittelpunkt die Legitimation der staatlichen Zwangsgewalt steht. Darüber hinaus wird die v. a. von Julius Ebbinghaus und Georg Geismann verfochtene These einer 'Hobbesschen Erbschaft' in der Kantischen Rechtslehre in dieser Hinsicht eine partielle Bestätigung erfahren. 4 Zunächst (II) wird die Rolle der Gerechtigkeit in der antiken Naturrechtslehre, wie sie uns in Ciceros Schriften überliefert ist, skizziert werden. Anschließend (III) wird die Art und Weise, wie sich für Hobbes das rechtsphilosophische Problem der Gerechtigkeit stellt, unter besonderer Berücksichtigung seiner Umdeutung des suum cuique tribuere analysiert werden. Schließlich (IV) werden die Bedeutung des Gerechtigkeitsprinzips bei Kant untersucht und (V) die zentralen rechtsphilosphischen Erörterungen, mit denen Kant über seinen Vorgänger hinausgeht, skizziert.
2
Vgl. Hans Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, Göttingen 41962. Zur Herkunft und Wirkung dieser Definition s. Abschnitt Π. 4 Die Tragfähigkeit dieser These von der 'Hobbesschen Erbschaft' ist neuerdings von Karlfriedrich Herb und Bernd Ludwig mit gewichtigen und scharfsinnigen Argumenten relativiert worden, s. Karlfriedrich Herb/Bernd Ludwig, Naturzustand, Eigentum und Staat. Immanuel Kants Relativierung des Ideal des hobbes', in: Kant-Studien 83 (1993), S. 283-316. Die von Herb/Ludwig konstatierte Relativierung der Bedeutung der Hobbesschen Erbschaft' innerhalb der Kantischen Rechtslehre betrifft v. a. die begründungstheoretische Funktion der Naturzustandskonzeption. An die Stelle einer im wesentlichen an Hobbes' Argumenten orientierten Begründung des Eintritts in den status civilis tritt nach ihrer Auffassung in der Rechtslehre von 1797 eine spezifisch "eigentumstheoretische Deduktion des status civilis" (S. 285), welche nunmehr die Hauptlast der Begründung trägt. 3
Zur Bedeutung des suum cuique tribuere bei Hobbes und Kant
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II. In der politischen Theorie der Antike bildet der Begriff der Gerechtigkeit sowohl im Hinblick auf die politischen Institutionen wie auch als Inbegriff der individuellen Tugend geradezu das Leitthema. Die zentrale Bedeutung des Gerechtigkeitsbegriffs findet ihren Niederschlag in ausfuhrlichen Erörterungen des Problems des gerechten Gesetzes, der gerechten Herrschaft (bzw. des gerechten Herrschers) und der Rolle der Gerechtigkeit als sozialer Tugend.5 Den Kristallisationspunkt der antiken wie der mittelalterlichen Gerechtigkeitstheorien bildet gewissermaßen die suum cuique tribue-Formel. Die Geschichte dieser Gerechtigkeitsformel reicht dabei bis weit in die Antike zurück. Für Piaton ist die Maxime, 'das Seine zu tun', d.h. die jedem nach seinem Stande zukommenden Pflichten erfüllen, Inbegriff der Tugend des gerechten Staatsbürgers.6 In der Nikomachischen Ethik nimmt Aristoteles demgegenüber eine Präzisierung der Gerechtigkeitsformel vor: nach seiner Auffassung ist die Gerechtigkeit die vollkommene Tugend, so daß "jedermann mit dem Wort Gerechtigkeit einen Habitus bezeichnen will, vermöge dessen man fähig und geneigt ist, gerecht zu handeln, und vermöge dessen man gerecht handelt und das Gerechte will". Ihre Vollkommenheit gründet gerade darin, daß sie "auf andere Bezug hat", also einen spezifisch sozialen Charakter besitzt, insofern "ihr Inhaber die Tugend auch gegen andere ausüben kann und nicht bloß für sich selbst."7 Aus diesem Grunde verwandelt sich das Platonische "das Seine tun" bei Aristoteles in die Forderung, jedem das Seinige zu gewähren.8 In ihrer allgemeinsten Bedeutung ist die Gerechtigkeit für Aristoteles die Bereitschaft, die Gesetze zu erfüllen. 9 Von der allgemeinen Gerechtigkeit unterscheidet Aristoteles die beiden Formen der partikularen Gerechtigkeit, nämlich die distributive und die kommutative Gerechtigkeit: die eine Art ist diejenige, "die sich bezieht auf die Zuerteilung von Ehre oder Geld oder anderen Güter, die unter die Staats-
5
Der Begriff der Gerechtigkeit wird von Anfang an in mindestens zwei verschiedenen Bedeutungen diskutiert: einmal als Problem der gerechten, am Gemeinwohl orientierten staatlichen Ordnung, zum anderen als soziale Tugend bzw. als individuelle Bereitschaft, das objektiv Gerechte zu tun, vgl. hierzu Heinrich Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, München 21977, S. 391 ff. 6 Piaton, Der Staat IV, 432-434,443. 7 Aristoteles, Nikomachische Ethik (hrsg. von Günther Bien, Hamburg 41985) V, 3, 1129 b 27 ff., V, 1, 1129 a 7 ff; vgl. auch Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 34. 8 Aristoteles, Politik (hrsg. von Günther Bien, Hamburg 41981) ΙΠ, 12; 1282 b 17 ff ; Rhetorik I, 9; 1366 b 9 ff. 9 So bezeichnet Aristoteles in seiner Rhetorik (hrsg. von Franz G. Sieveke, München 41993) I, 9; 1366 b 9 ff. die Gerechtigkeit als eine "Tugend, durch die jeder das Seine erhält und so, wie es das Gesetz [vorsieht]."
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angehörigen zur Verteilung gelangen können [...]; eine andere ist die, die den Verkehr der einzelnen untereinander regelt."10 Obwohl Aristoteles diese für die Theorie der Gerechtigkeit wichtigen Unterscheidungen eingeführt hat, haben erst die Stoiker der Gerechtigkeit eine systematische naturrechtliche Grundlegung verschafft, indem sie dieselbe in eine universelle, die gesamte Menschheit betreffende Rechtslehre integrierten. Anders als in den politischen und ethischen Lehren Piatos und Aristoteles', denen es in erster Linie um eine Theorie des guten und gerechten Lebens der Bürger in der polis ging, ist das suum cuique tribuere in den Naturrechtslehren der Stoa eingebettet in eine kosmopolitische Theorie der Einheit von Natur und Gesetz. Die stoische Lehre geht dabei von der Voraussetzung des koinos logos , der allgemeinen Weltvernunft aus, die ein universelles, Götter wie Menschen aufgrund der Vernunft zu einer Gemeinschaft zusammenschließendes Weltgesetz (koinos nomos) darstellt und als solches die Quelle aller Normen des Rechts und der Sittlichkeit bildet. So macht Cicero, dessen Ausführungen man "als klassische Formulierungen des naturrechtlichen Bekenntnisses ansehen kann"11, diese stoische Konzeption des natürliche Gesetzes zur Grundlage seiner Lehre. 12 Die als zweckmäßiges Ganzes verstandene Natur ist - wie Cicero sich ausdrückt - die Quelle dieses Gesetzes. Sie lehrt den Menschen, daß alle Dinge der Natur für die zweckmäßige Befriedigung menschlicher Bedürfnisse geschaffen sind. Weil die Menschen also schon von Natur aus eine besondere Neigung für die verschiedenen Formen der Geselligkeit besitzen, sind sie wie Cicero sagt - für die Gerechtigkeit geschaffen, d.h. für ein Zusammenle-
10
Aristoteles, Nikomachische Ethik V, 5, 1130 b 30 ff. Karl Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtswissenschaft, Leipzig 1892, S. 154; ebenso Felix Flückiger, Geschichte des Naturrechts, Bd. 1, Zollikon-Zürich 1954, S. 221. 12 Cicero, De legibus I, 18 f.: "Igitur doctissimis viris proficisci placuit a lege, haud scio an recte, si modo ut idem defmiunt lex est ratio summa, insita in natura, quae iubet ea quae facienda sunt, prohibetque contraria, eadem ration cum est in hominis mente confirmata et perfecta, lex est." Vgl. auch die einschlägige Passage aus De re publica ΙΠ, 33: "est quidem vera lex recta ratio, [...] quae vocet ad officium iubendo, vetando a fraude detereat, quae tarnen neque probos frustra iubet aut vetat, nec improbos iubendo aut vetando movet. huic legi nec obrogari fas est, neque derogali aliquid ex hac licet, neque tota abrogali potest, nec vero aut per senatum aut per populum solvi hac lege possumus, neque est quaerendus explenator aut interpres Sextus Aelius, nec erit alia ex Romae, alia Athenis, alia posthac, sed et omnes gentes et omni tempore una lex et sempiterna et immutabilis continebit, unusque erit communis quasi magister et imperator omnium deus: ille legis huius inventor, disceptator, lator; cui non parebit, ipse se fugiet, ac naturam hominis aspernatus hoc ipso luet maximas, poenas, etiamsi cetera supplicia quae putantur effugerit." 11
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ben, in welchem jeder sein Handeln am bonum commune ausrichtet.13 Der Beweis für die Existenz des natürlichen Gesetzes wird aus der Natur des Gemeinschaftslebens der Menschen geführt: sowohl der Fortpflanzungsvorgang als auch die Sorge um die Nachkommenschaft verweisen auf jene innere "vox naturae", welche die Menschen dazu aufruft, sich in den Dienst des bonum commune zu stellen.14 Die Gesellschaft, die in der wesensmäßigen Verfaßtheit der Menschen selbst ihren Grund hat, wird demnach verstanden als eine Gemeinschaft von Menschen, die der Realisierung der aus der vernünftigen Natur der Menschen entspringenden Zwecke dient, soweit diese Zwecke mit der Möglichkeit der "utilitas uniuscuiusque et universorum"15 übereinstimmen. Der Natur zu folgen bzw. gemäß der natürlichen Bestimmung der Menschen zu leben16, heißt daher nichts anderes, als daß der natürliche Zweck der Menschen ihre Vereinigung zur wechselseitigen Beförderung des gemeinsamen Nutzens, also eine Vereinigung in Gerechtigkeit und Nächstenliebe ist. 17 In diesem Sinne erklären die Stoiker und der ihnen in dieser Hinsicht folgende Cicero, daß das Recht nicht in der Meinung der Menschen, sondern in der von ihrem Willen unabhängigen (zweckmäßig eingerichteten) Natur begründet sei.18 Was die Gerechtigkeit betrifft, so ist sie für Cicero diejenige Tugend, die eigenen Zwecke gemäß den Bedingungen des bonum commune einzuschränken. Wer diesen Grundsatz, gegen jedermann nach den Gesichtspunkten des Gemeinwohls zu handeln und ihm das Seinige zuzuweisen, mißachtet, der handelt "contra naturam" und hebt die unter Menschen mögliche Gemeinschaft auf. 19 Da nun durch die Gegenseitigkeit der Leistungen, das wechsel13
Cicero, De finibus ΙΠ, 70; De officiis 1,20 . Cicero, De finibus ΙΠ, 62 ff 15 Cicero, De officiis, ΠΙ, 26. 16 Vgl. zu dieser - im wesentlichen von der stoischen Philosophie vertretenen Lehre Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, hrsg. von Klaus Reich, Hamburg 21967, VE, 87 f.; Cicero, De officiis I, 22, 100, 110; ΙΠ, 13, 23; De finibus Π, 34; m, 31; IV, 14; V, 26. 17 Cicero, De officiis I, 22: "Sed quoniam, ut praeclare scriptum est a Platone, non nobis solum nati sumus ortusque nostri partem patria vindicat, partem amicim atque, ut placet Stoicis, quae in terris gignantur, ad usum hominum omnia creari, homines autem hominum causa esse generatos, ut ipsi inter se aliis alii prodesse possent, in hoc naturam debemus ducem sequi, communes utilitates in medium adferre, mutatione officiorum, dando accipiendo, tum artibus, tum opera, tum facultatibus devincere hominum inter homines societatem." 18 Diogenes Laertius , Leben und Meinungen berühmter Philosophen, VE, 128; Cicero, De legibus 1,28; Π, 8. 19 Cicero, De legibus I, 43: "ita fit ut nulla sit omnino iustitia, si neque natura est, ea quae propter utilitatem constituitur utilitate illa convellitur, utque si natura confirmatura ius non erit, tollantur. ubi enim liberalitas, ubi patriae Caritas, ubi pietas, ubi aut bene merendi de altero aut referendae gratiae voluntas potent existere? nam haec nascuntur ex eo quod natura propensi sumus ad dilligendos 14
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seitige Geben und Nehmen, das Band der menschlichen Gemeinschaft gefestigt wird, so ist das "fundamentum iustitiae" die "fides", d.h. die Verläßlichkeit in Verträgen und Vereinbarungen. Daß jemand ein subjektives Recht zu einer Handlung haben könnte, die nur auf seinen eigenen Vorteil abzielt, daß also das rechtliche Erlaubtsein einer Handlung ganz unabhängig von der Frage der moralischen Qualität der ihr zugrunde liegenden Zwecksetzung ist, war eine Überlegung, für die in der Naturrechtslehre des Cicero oder des Thomas von Aquin kein Platz ist. Gegenüber den Beweisabsichten der neuzeitlichen Rechtsphilosophie, der es um die philosophische Begründung des Rechtszwangs geht, ist das Naturrecht bei Cicero oder bei Thomas eine solche Pflichtenlehre, die am ethischen Ideal einer Gemeinschaft von Menschen orientiert ist, die das gemeinsame Glück in Gerechtigkeit und Nächstenliebe realisieren wollen. Das natürliche Gesetz fordert daher nicht bloß die Anerkennung der vernünftigen Zwecke anderer (wie es die neminem laede-Formel ausdrückt), sondern verpflichtet darüber hinausgehend zur aktiven Teilnahme an diesen berechtigten Zwecken der anderen, also nicht nur zur Gerechtigkeit im engeren Sinne, sondern auch zur Wohltätigkeit. Die individuelle Befugnis, die sich auf dieser Grundlage der lex naturae gewinnen läßt, ist nicht diejenige eines Zwangsrechts im Sinne von Hobbes oder von Kant, zu deren Anerkennung jedermann gezwungen werden kann. Das 'ius\ zu dessen Ausübung die Menschen nach dieser Lehre durch das natürliche Gesetz selbst berechtigt sind, ist kein Recht, das einer zwangsweisen Durchsetzung gegen andere fähig wäre, sondern das "rein ethische Vermögen der Menschen, alle anderen (auf Grund der Götter und Menschen vereinenden Zweckeinheit aller Dinge) auf die eigene Zwecksetzung zu verpflichten." 20 Gemäß einem unveränderlichen Grundsatz des "ius humanae societatis" (De officiis I, 7, 21) ist zwar jedermann gegenüber allen anderen Menschen dazu verpflichtet, "communes utilitates in medium adferre", das suum cuiusque nicht anzurühren21 und niemanden zugunsten des eigenen homines, quod fundamentum iuris est." Zur Fundierung des ius in der zweckmäßigen Naturordnung vgl. außerdem De officiis ΙΠ, 21,28; 1,21. 20 Julius Ebbinghaus, Die Idee des Rechts (in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, hrsg. von Georg Geismann und Hariolf Oberer, Bonn 1988, Bd. 2), S. 147. 21 Cicero, De officiis I, 20 ff. Es liegt auf der Hand, daß weder der Rechts- noch der Pflichtbegriff hier im engeren, juridischen Sinne, d.h. als rechtliche Befugnis bzw. als ihr korrespondierende Zwangspflicht im Sinne Kants betrachtet werden, sondern daß beide auf ethischen Prinzipien beruhen. Die aus dem Recht der Natur abgeleitete Forderung, das suum von jedermann anzuerkennen, bedeutet jedoch nicht, daß Cicero das Privateigentum selbst aus dem Naturrecht ableiten würde; er geht vielmehr davon aus, daß es von Natur aus kein Privateigentum gibt (De officiis I, 21), dasselbe also nicht auf einem ursprünglichen Recht, sondern auf faktischen Aneignungs- und Eroberungsakten (prima occupatio oder victoria) beruht. Worin aber der Rechtfertigungsgrund dieser faktischen Aneignung liegt, darüber schweigt sich Cicero aus.
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Vorteils zu benachteiligen22; in diesem Verbot willkürlicher Schädigung des fremden Nutzens bzw. der rücksichtslosen Verfolgung des eigenen Vorteils besteht das "iustitia primum munus" (De officiis I, 7, 20). Das suum cuique tribue als Bezeichnung für die Gerechtigkeit "im weiteren Sinne", fordert "sowohl unser Interesse für die berechtigten Interessen der anderen [...], wie es uns auch die Verletzung der berechtigten Interessen der anderen zugunsten des eigenen Interesses verbietet".23 Die weiteren Ausführungen Ciceros machen deutlich, daß für ihn - wie schon für Aristoteles - die Forderung der Gerechtigkeit ein ethisches Verhaltensprinzip darstellt und deshalb zur Tugendlehre gehört: das suum cuique tribuere ist die subjektive Maxime des gerechten Handelns, die sich nicht in der negativen Bedeutung Einschränkung der eigenen Zwecksetzung auf das bonum commune, d.h. auf die Bedingungen eines möglichen Gemeinschaftslebens erschöpft, sondern zugleich eine Verpflichtung der "beneficentia" (De officiis I, 20) bzw. der "benevolentia (De officiis I, 47) enthält, also eine ethische Verbindlichkeit, fremde Zwecke nicht nur zu respektieren, sondern vielmehr aktiv ihre Verwirklichung zu befördern. Der Gesichtspunkt, von dem aus Cicero das Prinzip der Gerechtigkeit betrachtet, ist immer die Frage, was ich tun muß, um ein Vir bonus et justus'24 zu sein.25 Diese Verknüpfung des Rechtsbegriffs mit der ethischen Konzeption der Gerechtigkeit muß man im Auge behalten, wenn man verstehen will, was Cicero unter dem ius naturale versteht: es ist das Prinzip der Konstitution einer Tugendgemeinschaft, d.h. einer Gemeinschaft von Menschen, die durch den Willen der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe verbunden sind. Die im Hinblick auf die in der neuzeitlichen Rechtsphilosophie entwickelte Unterscheidung von Rechts- und Tugendpflichten wichtigste Konsequenz aus diesem Begriff des ius naturale besteht darin, daß es innerhalb der durch die lex naturae konstituierten "gesetzlichen Liebesgemeinschaft [...] offenbar überhaupt keinen möglichen Nutzen [geben kann], den Menschen nicht einander schulden können".26 Nicht nur solche Normen, die nach neuzeitlichem Ver22
Cicero, De officiis I, 22, vgl. auch ΙΠ, 21: "Detrahere igitur alteri aliquid et hominem hominis incommodo suum commodum augere magis est contra naturam quam mors, quam paupertas, quam dolor, quam cetera, quae possunt aut corpori accidere aut rebus externis". 23 Ebbinghaus, Der Begriff des Rechts und die naturrechtliche Tradition (in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, hrsg. von Georg Geismann und Hariolf Oberer, Bonn 1986), S. 342. 24 Cicero, De re publica ΙΠ, 18: "esse enim hoc boni viri et iusti, tribuere id cuique quod sit quoque dignum". 25 Vgl. hierzu Wolfgang Waldstein, Ist das 'Suum cuique' eine Leerformel?, in: Herbert Miehsler u. a. (Hrsg.), Ius humanitatis. Festschrift zum 90. Geburtstag von Alfred Verdross, Berlin 1980, S. 289 ff. 26 Ebbinghaus, Der Begriff des Rechts und die naturrechtliche Tradition (Gesammelte Schriften, Bd. 1), S. 345.
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ständnis zum ius strictum gehören, sondern auch Pflichten der Wohltätigkeit, der Nächstenliebe, der Freundschaft oder der Barmherzigkeit sind in der Forderung der Gerechtigkeit enthalten. Schließlich findet die Gerechtigkeitsdefintion Eingang in das Corpus Juris Civilis Justinians.27 Sie wird dort im oben zitierten Wortlaut ("Iustitia est constane et perpetua voluntas ius suum cuique tribuere") auf Ulpian zurückgeführt. Gemeinsam mit dem 'honeste vivere' und dem 'alterum non laedere' gehört das 'suum cuique tribuere' zu den "iuris praecepta". Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß die Quellen von Ulpians Definition in der stoischen Philosophie liegen, mit welcher die Römer v. a. durch die Schriften Ciceros vertraut waren. So bezeichnet Cicero (De legibus I, 45) die Tugend als "constans et perpetua ratio vitae". Besonders auflallig ist die Ähnlichkeit der Ulpianischen Definition mit deijenigen, die sich in Ciceros Jugendwerk De invertitone findet. 28Wenngleich der Stellenwert der naturrechtlichen Präliminarien des Corpus Juris Civilis umstritten ist, so läßt sich doch feststellen, daß einerseits die Berufung auf Ulpians Definition dazu dienen soll, die - nicht näher bestimmte - Abhängigkeit des positiven Rechts von der Gerechtigkeit hervorzuheben, daß aber andererseits die Gerechtigkeitsdefinition in ihrer systematischen Bedeutung nicht über die Lehre Ciceros hinausgeht. Auch die Römischen Juristen haben die iustitia als ein ethisches Verhaltensprinzip begriffen, das eine zweckmäßige Ordnung der Natur voraussetzt.29
III. Mit Thomas Hobbes beginnt eine neue Epoche in der Geschichte der europäischen Rechtsphilosophie. Hobbes selbst hat die Behauptung aufgestellt, daß die Staatsphilosophie, die nach seiner Auffassung um die beiden Pole 'Libertas' und 'Imperium', d.h. natürliche Freiheit der einzelnen einerseits und Notwendigkeit staatlicher Herrschaft andererseits, kreist, nicht älter sei als sein
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Institutiones I, I; Digesta 1,1,10 pr. Cicero , De inventione Π, 160: "Iustitia est habitus animi communi utilitate conservata suam cuique tribuens dignitatem. Eius initium est ab natura profectum; deinde quaedam in consuetudinem ex utilitatis ratione venerunt; postea res et ab natura profectas et ab consuetudine probatas legum metus et religio sanxit. Naturae ius est quod non opinio, sed quaedam in natura vis insevit, ut religionem, pietatem, gratiam, vindicationem, observantiam, veritatem". 29 Zur Nachwirkung der Ulpianischen Gerechtigkeitsdefinition vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae (ed. Biblioteca de Autores Cristianos, Madrid 31961-2), Π-Π, qu. 58, a. 1; Francisco Suàrez , De legibus, Edicion critica por Luciano Perena, Madrid 1971 ff., I, 2,5. 28
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1642 erstmals erschienenes Buch De Cive. 30 Zwar bekennt er sich wie seine Vorgänger zu dem Anspruch der Naturrechtslehre, eine "inquisitio iustitiae naturalis" (De Cive, Epistola dedicatoria) durchzufuhren bzw. eine "Science of Naturall Justice" (Leviathan XXXI, p. 254) zu liefern und in diesem Rahmen den Begriff des Gesetzes und der aus ihm hervorgehenden Verbindlichkeit aufzustellen. 31 Deshalb bezeichnet er im Widmungsschreiben von De Cive die klassische Gerechtigkeitsdefinition - Gerechtigkeit bedeute die "constans voluntas vniusque lus suum tribuendi"32 - als systematischen Ausgangspunkt seiner eigenen Überlegungen. Aber diese Anknüpfung an die Aufgabenstellung sowie an die Terminologie der Naturrechtstradition darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich für Hobbes das Problem der Gerechtigkeit in einer Weise stellt, die von den philosophischen Begründungsabsichten seiner Vorgänger fundamental verschieden ist. Es liegt nun nahe, den Grund für diese Abkehr von der traditionellen Naturrechtslehre und v. a. für den Verlust des Glaubens an die rechtsbestimmende Kraft der Natur bzw. der göttlichen Schöpfungsordnung in der vieldiskutierten 'Mechanisierung des Weltbildes' und dem damit verknüpften Wandel des Naturbegrififs zu sehen.33 Aber wichtiger als die Klärung der entsprechenden geistesgeschichtlichen Zusammenhänge scheint mir an dieser Stelle die Analyse der rechtslogischen Konsequenzen zu sein, die Hobbes aus seiner Einsicht in die Unmöglichkeit, Mein und Dein auf der Grundlage von Zweckmäßigkeitsbetrachtungen der Natur zu ent-
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Hobbes, De corpore (Ep. Ded.): "Physica ergo res novitia est. Sed philosophia civilis multo adhuc magis; ut quae antiquior non sit (dico lacessitus, utque sciant se parum profecisse obtrectatores mei) libro quem De Cive ipse scripsi." 31 Diesen - trotz aller vehemenden Kritik - mit der Naturrechtstradition übereinstimmende Begründungsanspruch formuliert Hobbes im Leviathan zu Beginn des Kapitels XXVI, das seine Theorie des positiven Rechts enthält: "my désigné being not to shew what is Law here, and there; but what is Law, as Plato , Aristotle , Cicero , and divers others have done, without taking upon them the profession of the study of the Law" (Leviathan, ed. by Richard Tuck, Cambrigde 1991, XXVI, p. 183). 32 De Cive (The Latin Version. A Critical Edition by Howard Warrender, Oxford 1983), Epistola dedicatoria, p. 75. - Während Hobbes im Leviathan (Leviathan XV, p. 101) die Definition der Gerechtigkeit ("Justice is the constant Will of giving to every man his own") als "the ordinary definition of Justice in the Schooles" bezeichnet, führt er sie in seinem Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Law of England , ed. by Joseph Cropsey, Chicago/London 1971 (p. 77) das Gebot distributiver Gerechtigkeit auf Aristoteles zurück und bezeichnet es dort als das "agreed principle in the science of common law". 33 Vgl. hierzu E. J. Dijksterhuis , Die Mechanisierung des Weltbildes, Berlin u. a. 1956; Anneliese Maier, Die Mechanisierung des Weltbildes im 17. Jahrhundert, in: Dies., Zwei Untersuchungen zur nachscholastischen Philosophie, Rom 1968, S. 13.67; vgl. auch Karl-Heinz Ilting, Hobbes und die praktische Philosophie der Neuzeit, in: Philosophisches Jahrbuch 72 (1964/65), S. 89.
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wickeln, zieht.34 Denn an der prominenten Stelle des Widmungsbriefs macht Hobbes selbst auf den systematischen rechtsphilosophischen Kontext aufmerksam, in dem sein Rückgriff auf die Gerechtigkeitsdefinition zu verstehen ist. Die Analyse des Gerechtigkeitsbegrififs - so bemerkt Hobbes - führe notwendig zu der Frage, "vnde esset quod quis rem aliquam suam potius quam alienam esse diceret" (DC, Epistola dedicatoria, p. 75), d.h. zu der Frage nach dem objektiven Grund der Notwendigkeit für die Einführung des Privateigentums.35 Wenn Gerechtigkeit also darin besteht, daß jedem das Seine zugeteilt wird, dann lautet die erste von der Rechtsphilosophie zu beantwortende Frage, worin der (Geltungs-)Grund und das Objekt dieser Zuteilung besteht. Es ist diese auf den ersten Blick einfache und harmlose Frage nach dem Geltungsgrund des Privateigentums, das für ihn die Grundform aller besonderen subjektiven Rechte bildet, durch die Hobbes die gesamte vorhergehende Naturrechtstradition aus den Angeln hebt. Worin besteht nun die für die vorhergehende Naturrechtstradition so vernichtende Pointe der Hobbesschen Verknüpfung der Gerechtigkeitsdefinition mit der Frage nach dem Rechtsgrund des Privateigentums? Sie liegt in der Hobbesschen Einsicht, daß im Rahmen der auf der stoisch inspirierten lex naturae-Konzeption eine Antwort auf die Frage nach dem Rechtsgrund des Eigentums gar nicht möglich war. Einerseits hatten die Naturrechtslehrer von Cicero bis Grotius immer betont, daß einerseits die Natur den Menschen die Dinge dieser Welt zur gemeinsamen Nutzung gegeben hat. Allen Menschen ist daher kraft des natürlichen Gesetzes eine Befugnis zum Gebrauch derjenigen Dinge, die für die Erhaltung ihres Lebens notwendig sind, verliehen worden. Aber es liegt auf der Hand, daß diese allgemeine Befugnis dem einzelnen nur eine ganz unbestimmte Befugnis, die Dinge der Natur in Übereinstimmung mit dem Gemeinwohl, d.h. dem möglichen Glück anderer, zur Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse zu benutzen, verleiht. Das aus dem natür-
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Der Rückgriff auf die klassische Gerechtigkeitsdefinition ist sicherlich auch bedingt durch die Eigenart der Hobbesschen Methode. Die Philosophie als Instanz kritischer Reflexion sieht nach Hobbes' Auffassung in der Aufstellung der richtigen Definition den angemessenen Weg der "Acquisition of Science" und zielt deshalb darauf ab, "to examine the Definitions of former Authors; and either to correct them, where they are negligently set down" (Leviathan IV, p. 28), oder sie durch neue zu ersetzen. In diesem nominalistischen Methodenverständnis liegt zugleich der Grund, warum Hobbes sich nicht sonderlich für die Vorgeschichte des Gerechtigkeitsbegriffs und seine Bedeutung in den vorhergehenden Naturrechtslehren interessiert: "For words are wise mens counters, they do but reckon by them: but they are the mony of fooles, that value them by the autority of an Aristotle, a Cicero, or a Thomas, or any other Doctor whatsoever, if but a man" (Leviathan IV, pp. 28-29). 35 "[D]ucebar inde ad quaestionem, nimirum cui bono & qua necessitate coacti, cùm omnia essent omnium, voluerint potius sua cuique esse propria" (De Cive, Epistola dedicatoria, p. 75).
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liehen Recht entspringende Nutzungsrecht kann deshalb unmöglich ein subjektives Recht im engeren Sinne sein, durch das andere von der Möglichkeit des Gebrauchs einer bestimmten Sache ausgeschlossen werden. Weil aber die Natur bzw. Gott "die zum Leben erforderlichen Mittel allen unterschiedslos zur Verfügung gestellt hat, ohne die geringste Bestimmung über irgendeinen möglichen Besitz getroffen zu haben, die diesen Gebrauch in seiner Möglichkeit für die einzelnen regeln könnte"36, gehört im Naturzustand allen alles gemeinsam. Auch die stereotype Versicherung der Naturrechtslehrer, daß das Naturrecht einer Aufteilung des ursprünglichen Gemeinbesitzes nicht entgegenstehe, hilft bei der Beantwortung der Frage nach dem Rechtsgrund des Privateigentums nicht weiter. 37 Ob aber die Menschen durch das Naturrecht selbst zur Einführung des Privateigentums legitimiert seien, darüber schweigen die genannten Naturrechtslehrer. 38 Während bei seinen Vorgängern der Grundsatz des ursprünglichen Gemeinbesitzes nur Ausdruck der Überzeugung ist, daß Gott (bzw. die Natur) allen Menschen in gleicher Weise die natürlichen Dinge als Mittel ihrer Bedürfnisbefriedigung zugewiesen hatte, entwickelt Hobbes im Rahmen seiner Naturzustandskonzeption eine radikale Kritik an der Vorstellung, "man könne das dem Menschen von Gott gegebene natürliche Recht auf die Bedingungen seines möglichen Lebensglücks zur Bestimmung derjenigen Freiheit gebrauchen, auf die Menschen ein Recht gegeneinander haben können".39 Die Lehre vom natürlichen Zustand thematisiert die 'Rechtslage1 der Menschen "extra societatem civilem". Wegen des Fehlens von Rechtsnormen, durch welche die Freiheit der Menschen objektiv bestimmt werden könnte, und wegen des Fehlens einer souveränen Zwangsgewalt, welche die Einhaltung derartiger Normen garantieren könnte, ist im Naturzustand jeder einzelne Richter in eigener Sache. Wie Hobbes in seiner scharfsinnigen Argumentation im ersten Kapitel von De Cive 40 demonstriert, folgt aus dem Umstand, daß im Naturzustand 36
Ebbinghaus, Die Idee des Rechts (Gesammelte Schriften, Bd. 2), S. 149. Cicero, De officiis I, 7; Thomas von Aquin, Summa theologiae Π-Π, qu. 66, a. 2; Sudrez, De legibus Π, XIV, 2 und 16. 38 Es ist deshalb auch kein Zufall, daß die Kritik an der durch das Naturrecht selbst nicht geforderten Einführung des Privateigentums nie ganz verstummt ist und daß der ursprünglichen Gemeinbesitz als naturrechtliches Gebot angesehen und die Aufteilung der Güter von einigen Kirchenvätern mit dem Sündenfall in Verbindung gebracht wurde; vgl. hierzu Manfred Brocker, Arbeit und Eigentum. Der Paradigmen Wechsel in der neuzeitlichen Eigentumstheorie, Darmstadt 1992, S. 35 ff. 39 Ebbinghaus, Das Kantische System der Rechte des Menschen und Bürgers in seiner geschichtlichen und aktuellen Bedeutung (in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, hrsg. von Georg Geismann und Hariolf Oberer, Bonn 1988), S. 254. 40 Vgl. hierzu besonders das Resümee der Argumentation in der Anmerkung zu De Cive I, 10: "Hoc ita intelligendum est, quod quis fecerit in statu merè naturali, id injurium homini quidem nemini esse. Non quod in tali statu peccare in Deum, aut 37
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jeder Richter in eigener Sache ist, mit Notwendigkeit ein absolutes, in keiner Weise gesetzlich beschränktes oder bestimmtes Recht, das 'ius in omnia'. Die Annahme eines ursprünglichen Gemeinbesitzes ist für Hobbes nur die Kehrseite des ius in omnia: im Naturzustand können alle Dinge von jedermann zum Zwecke seiner Selbsterhaltung angeeignet und genutzt werden. Wo aber allen alles gemeinsam ist, d.h. nichts bestimmtes ausschließlich mein oder dein ist, sind die Sätze 'allen gehört alles gemeinsam' und 'niemand hat ein besonderes Recht auf etwas' identisch.41 Dieses unbeschränkte natürliche Recht eines jeden steht als solches in jeder möglichen Hinsicht im Widerspruch zum gleichfalls unbeschränkten Recht aller anderen. Der Naturzustand ist deshalb kein Rechtszustand, kein Zustand bestimmbarer und gesicherter Rechtsansprüche, sondern er ist ein Zustand permanenten Rechtsstreites, ein hélium omnium contra omnes', der durch seine Struktur unmittelbar die Bedingungen, unter denen es bestimmte Rechte und korrespondierende Pflichten überhaupt geben kann, zerstört. Der Grund der Unvermeidlichkeit der Rechtsantinomie des Naturzustandes liegt im "privaten Modus der Rechtsbestimmung und Rechtsdurchsetzung".42 Durch Analyse der mit dem ursprünglichen Gemeinbesitz des Naturzustandes verknüpften rechtstheoretischen Implikationen vermag Hobbes zu zeigen, daß die Frage, "vnde esset quod quis rem aliquam suam potius quam alienam esse diceret" (DC, Epistola dedicatoria, p. 75), ebenso wie die weiterführende Frage nach dem objektiven Grund der Notwendigkeit der Einführung des Privateigentums43, nicht, wie die vorhergehende christliche Naturrechtslehre beLeges Naturales violare impossibile sit. Nam injustitia erga homines supponit Leges Humanas, quales in statu naturali nullce sunt. Propositionis autem sic intellects Veritas ex articulis immediate praecedentibus Lectori memori satis demonstrata est. Sed quia in quibusdam casibus conclusionis duritas, praemissarum memoriam expellit, contrahere argumentum volo, unoque intuitu oculis conspiciendum subjicere. Vnicuique jus est se conservando per Art. 7. Eidem ergo jus est omnibus uti mediis ad eum finem necessariis, per Art. 8. Media autem necessaria sunt, quae ipse talia esse judicabit, per Art. 9. Eidem ergo jus est omnia facere & possidere, quae ipse ad sui conservationem necessaria esse judicabit. Ipsius ergo facientis judicio id quod fit jure fit, vel injuria, itaque jure fit. Verum ergo est, in statu merè naturali &c." 41 Karl-Heinz Ilting, Naturrecht und Sittlichkeit, Stuttgart 1983, S. 77. 42 Georg Geismann/Karlfriedrich Herb (Hrsg.): Hobbes über die Freiheit, Würzburg 1988, Einleitung, S. 24 f., derenrichtungsweisender Hobbes-Interpretation auch die nachfolgenden Ausführungen verpflichtet sind. - Hobbes bringt diese - für das Verständnis der juridischen Funktion des Naturzustandes fundamentale - Rechtsantinomie auf folgende Formel: "alter iure inuadit, alter iure resistit" (De Cive I, 12), d.h. jeder kann sich für alle seine Handlungen in gleicher Weise auf das natürliche Recht der Selbsterhaltung berufen. 43 "ducebar inde ad quaestionem, nimirum cui bono & qua necessitate coacti, cùm omnia essent omnium, voluerint potius sua cuique esse propria" (DeCive, Epistola dedicatoria, p. 75)
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hauptete, durch Rückgriff auf den bloß formalen Grundsatz der distributiven Gerechtigkeit beantwortet werden kann, weil im Naturzustand alle Dinge unterschiedslos allen gemeinsam gehören und der Unterschied zwischen meum und tuum nicht existiert. Hobbes zieht aus dieser Erkenntnis den Schluß, daß die Frage nach dem Geltungsgrund des Privateigentums nicht, wie die vorhergehende christliche Naturrechtslehre behauptete, durch Rückgriff auf die in der lex naturalis enthaltenen natürlichen Bedingungen der menschlichen Existenz beantwortet werden kann. Soll es überhaupt ein bestimmtes Mein und Dein, ein privatrechtliches System von eindeutig gegeneinander abgrenzbaren Eigentumsansprüchen geben, so kann dessen Begründung offensichtlich nicht im Naturrecht der Tradition, sondern nur in menschlichen Vereinbarungen gefunden werden. Damit war aber die Frage aufgeworfen, in welchem Verhältnis denn die naturrechtliche Prämisse des ursprünglichen Gemeinbesitzes zu dem "consensus hominum" (DC, Epistola dedicatoria, p. 75) steht, auf dem die Verteilung der Güter beruht, wenn doch zugleich - wie Hobbes zutreffend feststellt - unter den Naturrechtslehrern weitgehend Übereinstimmung darüber herrscht, daß dieser "consensus hominum" seinerseits nicht aus dem natürlichen Recht ableitbar ist und folglich die durch das positive Recht konstituierte Eigentumsordnung des bestimmten Mein und Dein auf dem freien Willen der Menschen als eigentlicher Rechtsquelle beruht. Auf diese Weise zeigt Hobbes zum einen, daß die Natur - anders als die vorhergehende Naturrechtslehre meinte - kein Prinzip der Limitierung der Freiheit des Subjekts darstellt, somit kein einschränkendes Gesetz der freien Willkür, sondern im Gegenteil das Prinzip einer totalen Ermächtigung: von Natur aus hat jeder ein Recht auf alles, d.h. er kann alles - und zwar aus Gründen des natürlichen Rechts - zum Gegenstand seines Willens machen.44 Das zweite Element von Hobbes' geltungstheoretischer Revolution ist die Begründung des Rechts als einer die natürliche Freiheit der einzelnen einschränkenden Normordnung auf die menschliche Vernunft. Aus den destruktiven Folgen der Schrankenlosigkeit des natürlichen Rechts schließt Hobbes auf die Notwendigkeit bestimmter Prinzipien der Freiheitseinschränkung, die er als "leges naturales" bezeichnet. Obwohl sich Hobbes hier eines aus der Natur44 Auf diese, für das Verständnis der geltungstheoretischen Revolution des Thomas Hobbes zentrale Einsicht verweist mit Nachdruck Julius Ebbinghaus (Die Idee des Rechts, Gesammelte Schriften, Bd. 2, S. 162): Hobbes habe gezeigt, daß die Natur als solche, "soweit sie als den Willenshandlungen der Menschen vorhergehend gedacht wird, [...] überhaupt keine gesetzliche Begrenzung möglicher menschlicher Willkürhandlungen" enthält. - Im Kontext der Hobbesschen Rechtsphilosophie spielt die Natur deshalb nur noch eine untergeordnete Funktion: die recta ratio erkennt das Streben nach Selbsterhaltung als das "Iuris naturalis fundamentum primum" (De Cive I, 7). Aber die Natur - und das unterscheidet die Hobbessche Theorie von der gesamten Naturrechtstradition - spielt keine Rolle mehr als Kriterium der Gerechtigkeit oder als Norm für die gesetzliche Einschränkung des Handelns. 5 Hüning / Tuschling
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rechtstradition stammenden Terminus bedient, ist bei ihm die systematische Funktion des natürlichen Gesetzes von der Tradition völlig verschieden. Dort kam dem natürlichen Gesetz der begründungstheoretische Primat zu, insofern alle subjektiven Befugnisse sich auf solche Bedürfnisse und Interessen bezogen, die ihrerseits in der lex naturalis bzw. in der Forderung, ein vernunftgemäßes Leben zu führen, ihre Grundlage hatten. Bei Hobbes ist das natürliche Gesetz dem natürlichen Recht geltungstheoretisch nachgeordnet: es formuliert Bedingungen, unter denen jeder von seinem natürlichen Recht einen widerspruchsfreien Gebrauch machen kann.45 Die Einsicht in die notwendigen Bedingungen der Überwindung des Naturzustandes ist ein "opus rationis" (De Cive III, 31). Auf diese Weise wird von Hobbes "zum ersten Male der Ursprung aller möglichen Geltung des Rechtes in der menschlichen Gemeinschaft aus einer Forderung der Vernunft des Menschen, die Gesetze für seine vor dem Gesetze der Natur sich selbst widersprechende Freiheit fordert, mit präzisen Begriffen festgestellt."46 Die Vernunft fordert als erstes, daß der Naturzustand verlassen wird, und stellt in Gestalt der natürlichen Gesetze die Prinzipien des Rechtsfriedens auf: 1. Jedermann muß den Frieden suchen, 2. auf das unbeschränkte Recht auf alles muß jedermann verzichten, 3. abgeschlossene Verträge sind zu halten 4 7 Die natürlichen Gesetze legen die objektiven Bedingungen fest, unter denen eine Rechtsordnung möglich ist. Als solche markieren sie den überpositiven Kern des positiven Rechts. Weil aber die bloß theoretische Einsicht der natürlichen Gesetze niemandem eine hinreichende Sicherheit ihrer Einhaltung verschafft, müssen sich die Menschen zu einer societas civilis, zu einer staatlich verfaßten Gesellschaftsordnung zusammenschließen, indem sie auf die subjektive Ausübung ihres natürlichen Rechtes verzichten und durch einen wechselseitigen Vertrag (den sog. Gesellschaftsvertrag) eine Instanz ermächtigen, die das Recht hat, die zum friedlichen Zusammenleben notwendigen Regeln zu erlassen. Die durch den Gesellschaftsvertrag ermächtigte Instanz kann nach Hobbes1 Auffassung nur eine mit einem unbedingten Zwangsrecht und souveränen Kompetenzen ausgestattete Staatsgewalt sein, gegen deren Rechtsurteile kein rechtlicher Widerspruch und v. a. kein legitimer Widerstand möglich ist. Das Epochemachende der Hobbesschen Rechtsphilosophie besteht also, wie Julius Ebbinghaus festgestellt hat, darin, daß sie entschieden mit den Versuchen der christlichen Naturrechtslehre bricht, die allgemeingültigen "Bedingungen des Zwangsrechtes in
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Allerdings kommt diese normativ-begründende Funktion nur den ersten drei natürlichen Gesetzen - "quaerendam esse pacem", "jus in omnia non esse retinendum" und "pacta sunt servanda" - zu; vgl. hierzu Vf., Freiheit und Herrschaft in der Rechtsphilosophie des Thomas Hobbes, Berlin 1998, S. 113 ff. 46 Ebbinghaus, Das Kantische System der Rechte des Menschen und Bürgers, Gesammelte Schriften, Bd. 2, S. 254. 47 Vgl. De Cive Π, 2-3; m, 1; Leviathan XV.
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der natürlichen Teleologie der Dinge finden zu wollen."48 An die Stelle der von Thomas, Suarez, Grotius und vielen seiner Zeitgenossen geteilten Vorstellung, "man könne das dem Menschen von Gott gegebene natürliche Recht auf die Bedingungen seines möglichen Lebensglücks zur Bestimmung deqenigen Freiheit gebrauchen, auf die Menschen ein Recht gegeneinander haben können"49, tritt die Begründung des Rechts auf den freien Willen der Menschen selbst. Was bedeutet die im Rahmen der Naturzustandskonzeption formulierte geltungstheoretische Revolution und die damit verbundene Kritik der Naturrechtstradition für den Begriff der Gerechtigkeit bzw. für die suum cuique-Formel? Nach den bisherigen Ausführungen wird es nicht überraschen, daß mit dem Verzicht auf die naturteleologische Fundierung des Naturrechts auch die Bedeutung der Gerechtigkeitsformel selbst in Frage gestellt wird. Der Grundsatz, jedem das Seine zuzuteilen, ist - so lautet der Einwand den, Hobbes in seinem Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Law er-
hebt - offenkundig rein formal und inhaltslos. Es fordert, daß jedem das zugeteilt werden soll, was immer schon als das Seine bestimmt worden ist. Um anwendbar zu sein, setzt es begrifflich die Regel der Bestimmung über meum und tuum, d.h. eine gültige Rechtsordnung voraus. Ebenso wie das alterum non laedere ist das suum cuique tribuere ist eine bloße Leerformel, die im Hinblick auf die Begründung subjektiver Rechte und den Rechtsgrund einer möglichen Güterdistribution keine materielle Bedeutung entfaltet. 50 Für Aristoteles, Cicero oder Thomas von Aquin war der Formalismus der Gerechtigkeitsforderung nicht zum Problem geworden, weil sie keinen Zweifel an der Existenz einer dem Willen der Menschen vorhergehenden normativen Ordnung 48
Ebbinghaus, Die Idee des Rechts (Gesammelte Schriften, Bd. 2), S. 162 f. Ebbinghaus, Das Kantische System der Rechte des Menschen und Bürgers, Gesammelte Schriften, Bd. 2, S. 254. 50 Hobbes, A Dialogue between a Philosopher and a Student, p. 77: "When you say that justice gives to every man his own, what mean you by his own? How can that be given me, which is my own already? Or, if it be not my own, how can justice make is mine?" - Diese Kritik ist seitdem gängige Münze der juristischen Kritik am traditionellen Naturrecht; vgl. hierzu Hans Ryjfel, Das Problem des Naturrechts heute, in: Werner Maihofer (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus?, Bad Homburg 1962, S. 518; sowie Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, Wien 21960, S. 366 f.: "P]ie Formel des suum cuique [läuft] auf die Tautologie hinaus, daß jedem zugeteilt werden soll, was ihm zugeteilt werden soll. Die Anwendung dieser Gerechtigkeitsnorm setzt die Geltung einer normativen Ordnung voraus, die bestimmt, was jedem das 'Seine', d.h.: das ist, was ihm gebührt, worauf er ein Recht hat, weil andere, dieser Ordnung gemäß, eine korrespondierende Pflicht haben"; Georg Simmel, Einleitung in die Moralwissenschaft. Eine Kritik der ethischen Grundbegriffe, Bd. 1 [Gesamtausgabe Frankfurt/M. 1989, Bd. 3], S. 61: "Alle Prinzipien, die auf das suum cuique hinauslaufen, geben an und für sich gar keine bestimmte Norm, setzen vielmehr die Bestimmtheit des suum schon naiv voraus." 49
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hegten. Es ist sehr bezeichnend, daß der formale Charakter des Prinzips der distributiven Gerechtigkeit in dem Augenblick als problematisch reflektiert wird, wo die traditionelle, um eine Konzeption materialer Gerechtigkeit zentrierte Naturrechtslehre, einer kritischen Analyse unterzogen und schließlich verworfen wird. In dieser Kritik am Formalismus der traditionellen Gerechtigkeitsnorm reflektiert sich zugleich eine fundamentale Funktionsänderung des Naturrechts: indem Hobbes das Verhältnis von natürlichem und positivem Recht in das Zentrum seiner rechtsphilosophischen Überlegungen rückt, genauer gesagt: die Begründung des geltungstheoretischen Verhältnisses beider zu dem einzigen Gegenstand des natürlichen Rechts erklärt. Mit dieser Änderung der rechtsphilosophischen Problemstellung mußte auch die klassische Gerechtigkeitsnorm des suum cuique tribuere eine völlig andere Bedeutung gewinnen: sie hört auf, ein tugendethisches Prinzip der individuellen Gerechtigkeit zu sein, das fordert, alles Handeln an der Gemeinsamkeit des Nutzens (dem bonum commune) zu orientieren 51; sie wird nunmehr als vernunftrechtlicher Grundsatz der Bestimmung des äußeren Mein und Dein, d.h. es drückt als Prinzip möglicher Rechtsbestimmung die Forderung nach der Schaffung eines Systems gesetzlich gesicherter Ansprüche im Rahmen einer positiven Rechtsordnung aus. Für sich genommen gibt das suum cuique tribuere keinen
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Aus diesem Grunde ist es nach Hobbes notwendig, zwischen der Gerechtigkeit von Handlungen (d.h. ihrer Übereinstimmung mit den Gesetzen) und der Gerechtigkeit der Gesinnungen zu unterscheiden, vgl. De Cive ΙΠ, 5; Leviathan XV, pp. 103-104. Die Art und Weise, in welcher Hobbes von dieser Differenzierung Gebrauch macht, zeigt jedoch, daß in semer Rechtsphilosophie die Tugend des einzelnen nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. An die Stelle der Auffassung, daß insbesondere die Tugend der Gerechtigkeit auf Seiten der einzelnen eine Voraussetzung für die Konstitution des Staates sei, tritt die Einsicht in die Notwendigkeit der Institutionalisierung einer Rechtszwangsordnung, in welcher die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen nicht auf der Tugendbereitschaft der einzelnen, sondern auf ihrer staatlichen Sanktionierung beruht. Der Aspekt der staatsbürgerlichen Moralität gilt nunmehr als sekundäres Moment, das sich als Rechtschaffenheit komplementär zu den Normierungsgeboten der Gesetze verhält. Zum Begriff der Rechtschaffenheit als der staatsbürgerlichen Tugend vgl. Leviathan XV, pp. 103-104; G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (Theorie Werkausgabe Bd. 7, hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt/M. 1970), § 150 Anm. - Bei Samuel Pufendorfpe Jure Naturae et Gentium Libri octo cum integris Commentariis Virorum Clarissimorum Jo. Nicolai Hertii, atque Joannis Barbeyrac, Lib I, cap. VE, § 6, p. 116, Frankfurt/Leipzig 1744) führt diese Entwicklung der Trennung von Recht und Ethik zu einer Kritik an der Gerechtigkeitsdefinition Ulpians: "Ex quo [d.h. aus der notwendigen Unterscheidung zwischen der Gerechtigkeit von Handlungen und der Gerechtigkeit von Personen, D.H.] patet, definitionem iustitiae, Ictis Romanis familiarem, qua eam dicunt constantem & perpetuam voluntatem suum cuique tribuendi; spectare ad iustitiam personarum, non actionum. Id quod mihi satis inconueniens videtur, cum iurisprudentia maxime circa iustitiam actionum sit occupata; iustitiae personarum mihi non nisi obiter, & paucis in materiis rationem habeat."
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Aufschluß darüber, welche Zuteilung gerecht ist. Die Forderung der (distributiven) Gerechtigkeit fallt daher bei Hobbes mit der Forderung, daß zugeteilt wird, zusammen, während die Form der Zuteilung Sache der distributiven Willkür des Souveräns ist. Gerechtigkeit besteht in Akten souveräner Rechtsdistribution, d.h. in der Festsetzung der subjektiven Rechtsansprüche. Die suum-cuique-Forderung ist also identisch mit der Forderung, den Naturzustand zu verlassen, so daß die distributive Festlegung des äußeren Mein und Dein selbst zu einem auf der Forderung der Vernunft beruhenden gerechtigkeitskonstituierenden Akt wird 5 2 : "The distribution of the Materials of this Nourishment is the constitution of Mine, and Thine, and His\ that is to say, in one word, Propriety, and belonged in all kinds of Common-wealth to the Soveraign Power. For where there is no Common-wealth, there is [...] a perpetual warre of every man against his neighbour, And therefore every thing is his that getteth it, and keepeth it by force; which is neither Propriety nor Community, ; but uncertainty. [...] Seeing therefore the Introduction of Propriety is an effect of Common-wealth; which can do nothing but by the Person that Represents it, it is the act onely of the Soveraign; and consistetti in the Lawes, which none can make that have not the Soveraign Power. And this they well knew of old, who called that Νόμος \ (that is to say, Distribution ,) which we call Law, and defined Justice, by distributing to every man his own " (Leviathan XXIV, p. 171). 53 52
Siehe auch Dialogue, p. 78: "Seeing then without human law all things would be common, and this community a cause of encroachment, envy, slaughter, and continual war of one upon another, the same law of reason dictates to mankind, for their own preservation, a distribution of lands and goods, that each man may know what is proper to him, so as none other might pretend a right thereunto, or disturb him in the use of the same. This distribution is justice, and this properly is the same which we say is one's own [...]. It is also a dictate of the law of reason, that statute laws are a necessary means of the safety and well-being of man in the present world [...]." - Allerdings unterscheidet Hobbes nicht deutlich zwischen der distributiven Gerechtigkeit im Sinne der Zuteilung bestimmter Rechtsansprüche, d.h. der Aufstellung von rechtlichen Prinzipien zur Bestimmung des Privateigentums, seines Erwerbs und seiner Veräußerung, und der Verteilung von Gütern. Die Zuteilung von Rechtsansprüchen ist im Unterschied zur Zuteilung von Gütern rein formal, nämlich Sicherung der rechtlichen Bedingungen für den möglichen Erwerb von Gütern im Sinne ausschließender Verfügung über sie. 53
Mit dem letzten Satz des Zitats spielt Hobbes auf eine Behauptung Ciceros an: "Igitur doctissimis viris proficisci placuit a lege, haud scio an recte, si modo ut idem definiunt lex est ratio summa, insita in natura, quae iubet ea quae facienda sunt, prohibetque contraria, eadem ration cum est in hominis mente confirmata et perfecta, lex est. Itaque arbitrante prudentiam esse legem, cuius ea vis sit ut recte facere iubeat, vetet delinquere, eamque rem illi Graeco putant nomine suum cuique tribuendo appellatimi, ego nostro a legendo. nam ut illi aequitatis, sic nos delectus vim in lege ponimus, et proprium tarnen utrumque legis est. quod si ita recte dicitur, ut mihi quidem plerumque videri solet, a lege ducendum est iuris exordium, ea est enim naturae vis, ea mens ratioque prudentis, ea iuris atque iniuriae régula" (De legibus I, 19). Aber in subtiler Weise kehrt Hobbes die Intention Ciceros um: während für diesen die gerechte Verteilung von dem natürlichen Gesetz abhängig ist, das seinerseits als
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Der systematisch begründeten Neubestimmung des Gerechtigkeitsbegriffs trägt Hobbes auch dadurch Rechnung, daß er im Leviathan "the ordinary definition of Justice in the Schooles: [...] Justice is the constant Will of giving to
every man his own %\ einer anderen, und zwar vertragstheoretischen Definition der Gerechtigkeit unterordnet: "For where no Covenant hath preceded, there hath no Right been transferred, and every man has right to every thing; and consequently, no action can be Unjust. But when a Covenant is made, then to break it is Unjust And the definition of INJUSTICE, is no other than the not performance
of Covenant. [...] So the nature of Justice, consisteth in keeping
of valid Covenants " (Leviathan XV, pp. 100-101). Nunmehr wird die im dritten natürlichen Gesetz geforderte Vertragstreue zur eigentlichen "Fountain and Originali of JUSTICE" (Leviathan XV, p. 100), weil erst durch vertragliche Vereinbarungen dem ursprünglich "universal Right", also dem natürlichen Recht auf alles, bestimmte Grenzen gezogen und mit der Schaffung einer souveränen Zwangsgewalt unterscheidbare Rechtsansprüche begründet werden. Die vertragstheoretische Definition der Gerechtigkeit und die mit ihr verknüpfte vernunftrechtliche Vertragsdogmatik, die Hobbes im 15. Kapitel des Leviathan entfaltet, bilden ihrerseits die systematischen Voraussetzungen des staatsphilosophischen Kontraktualismus, d. h. die Rechtfertigung der souveränen Rechtszwangsgewalt durch ihre Ableitung aus dem vertragsschließenden Willen der einzelnen. Indem die einzelnen einen Dritten mit der Herrschaft über sie ermächtigen und sich wechselseitig verpflichten, seinen Befehlen Folge zu leisten,
IV. Die von Reinhard Brandt hervorgehobene geringe deklarative Präsenz des Gerechtigkeitsbegriffs in Kants Rechtsphilosophie ist zweifellos eine Folge ihrer vieldiskutierten Hobbesschen Erbschaft. 54 Trotz der verschiedentlich geäußerten vehementen Kritik an seinem Vorgänger übernimmt Kant wenigstens in einem ganz entscheidenden Punkt dessen rechtsphilosophische Grundposition: daß nämlich die Verwirklichung der Gerechtigkeit die Aufgabe des Rechts, genauer gesagt: der positiven Rechtsordnung ist, und daß die MenAusdruck des zweckmäßig eingerichteten Kosmos gedacht wird, geht für Hobbes das Gesetz der Verteilung aus dem Willen des Souveräns hervor, dessen Herrschaft seinerseits durch den Willen der Staatsbürger legitimiert ist. Die iustitia civilis ist deshalb immer die auf dem Willen der Menschen beruhende Rechtsordnung, in welcher durch Gesetzesrecht überhaupt erst über das Seine von jedermann bestimmt wird. 54 Georg Geismann, Kant als Vollender von Hobbes und Rousseau, in: Der Staat 21 (1982), S. 161-189, der die Überlegungen von Ebbinghaus weiterführt; kritisch hierzu der schon genannte Aufsatz von Karlfriedrich Herb/Bernd Ludwig, Naturzustand, Eigentum und Staat. Immanuel Kants Relativierung des Ideal des Hobbes'.
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sehen ohne eine das Recht sichernde Zwangsgewalt überhaupt nicht in Frieden miteinander leben können.55 In Übereinstimmung mit Hobbes ist Kant daher der Auffassung, daß die Gerechtigkeit nur unter der Bedingung eines von den Menschen selbst konstituierten Rechtszustandes realisiert werden kann. Auch Kants rechtsphilosophisches Spätwerk, die Metaphysischen Anfangsgründe
der Rechtslehre aus dem Jahre 1797, steht in vielen Punkten in der Tradition der Hobbesschen Revolutionierung der Rechtsphilosophie. Manifester Ausdruck dieser 'Hobbesschen Erbschaft' in der Kantischen Rechtsphilosophie ist schon die Leitfrage der Kantischen Rechtslehre. Sie lautet nicht mehr: Was ist Gerechtigkeit?, sondern: Was ist Recht? (RL § Β, VI 229), d.h. sie liefert ausschließlich eine rechtstheoretische Begründung für den "Inbegriff der Bedingungen, unter welchen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" (VI 23024-26)- Gleichfalls eine Konsequenz der Verarbeitung der Hobbesschen Erkenntnisse ist der Umstand, daß Kant die Gründe für die Notwendigkeit des Eintritts in den status civilis aus der Analyse der juridischen Widersprüche des Naturzustandes entwickelt und mit Hobbes den Naturzustand wegen des subjektiven Modus der Rechtsbeurteilung und Rechtsdurchsetzung als 'status belli'56 begreift. Schließlich verknüpft Kant den Begriff der distributiven Gerechtigkeit im Sinne der Zuordnung von Rechtsansprüchen systematisch mit der exeundum-Forderung. So heißt es schon in einer NachlaßReflexion, die nach Adickes aus den Jahren 1776-78 stammt:
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Rousseau, in vielen Punkten ein entschiedener Kritiker der Hobbesschen Staatstheorie, hat die gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen seines Vorgängers im Contrat social (Π, 6; Œuvres complètes, édition publiée sous la direction de Bernard Gagnebin et Marcel Raymond, tome ΠΙ, p. 378) übernommen. Zwar bestreitet er die Existenz der transzendenten Gerechtigkeit nicht kategorisch ("Toute justice vient de Dieu, lui seul en est la source"), aber er zeigt zugleich daß dieser Begriff für die Lösung der rechtsphilosophischen Zentralprobleme irrelevant ist: "Sans doute il est une justice universelle émanée de la raison seule; mais cette justice pour être admise entre nous doit être réciproque. A considérer humainement les choses, faute de sanction naturelle les loix de la justice sont vaines parmi les hommes; elles ne font que le bien du méchant et le mal du juste, quand celui-ci les observe avec tout le monde sans que personne les observe avec lui. Π faut donc des conventions et des loix pour unir les droits aux devoirs et ramener la justice à son objet. Dans l'état de nature, où tout est commun, je ne dois rien à ceux à qui je n'ai rien promis, je ne reconnois pour être à autrui que ce qui m'est inutile. Il n'en est pas ainsi dans l'état civil où tous les droits sont fixés par la loi". 56 Zur Charakterisierung der juridischen Widersprüchlichkeit des Naturzustandes benutzt Kant in einer Nachlaßreflexion eine Formulierung, die fast wörtlich mit der oben zitierten Passage aus De Cive I, 12 übereinstimmt: "In statu naturali ist iedes ius ein ius dubium, wo es heißt alter iure aggredito, alter iure resistit: also status belli" (XIX S. 5013 f ; ebenso XIX S. 560 30 - 5612); vgl. außerdem Refi. 7645 f., XIX, 476; Religionsschrift VI 97 2 5. 3 8 ; RL §§ 42 und 44, VI 307 f., 312.
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"Schaffe, daß ein jeder vor das Seine in ansehung deiner in Sicherheit sey (dieses ist die Pflicht zur Bürgerlichen Gesellschaft, die allgemeine Bedingung aller Rechte und Eigenthums der Menschen). Stelle einen jeden wegen seines rechts von deiner Seite in Sicherheit (suum cuiqve); denn nur alsdenn kan er sagen, daß etwas sein ist, und zwar facto, nicht blos jure, wenn er wegen dessen Besitzes gesichert ist. Dieses ist die einzige affirmative äußere natürliche Pflicht: exeundum e statu naturali" (Refi. 7075, XIX 242 2 9 - 243 5 ). 5 7 Für Kant steht das suum cuique tribuere in enger Verbindung mit dem nemimen laedere-Prinzip, mit dem es gemeinsam in die Klasse der "Principia der juridischen Verbindlichkeit" (Moralphilosophie Collins, X X V I I 281) gehört. Ulpians Unterscheidung, daß "alle Verbindlichkeiten ad actiones commissivas sub suum cuique und ad omissivas unter neminem laede" zu verstehen seien, trifft nach Kant die Bedeutung der beiden Grundsätze nicht: denn "dem Geist der Gesetze nach ist beydes einerley: niemandem das Seine vorenthalten", da auch eine Unterlassung zu einer Rechtsverletzung führen kann. 5 8 Ein pflichtentheoretischer Unterschied - darauf hat Wolfgang Kersting hingewiesen59 - ergibt sich erst dann, wenn man die spezifischen Bedingungen der Pflichterfüllung im Natur- bzw. im staatlichen Zustand in Betracht
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Ich sehe hier davon ab, daß Kant die suum cuique-Forderung im Rahmen seiner Versuche, die Rechtsregeln des Ulpian zu systematisieren, diskutiert. Zur Bedeutung des suum cuique vgl. auch Refi. 7078 (XIX 243 f. ): "Unterwirf dich den Bedingungen, dadurch jedem das Seine bestimmt werden kan. [...] Der Grund-Satz 'suum cuique tribue' [bedeutet, D.H.] die justitiam positivam, d.i.: 'schaffe jedem Sicherheit vor sein Recht' (iustitia distributiva): principium status civilis: 'trete in den Zustand eines Bürgers oder unterwirf dich den Bedingungen der bürgerlichen Verfassung'. Suum cuiqve kan nur verschaffet werden, so fern positive äußere Gesetze da sind, denen sich jeder unterwirft. Unterwirf dich der Gewalt nach Gesetzen, naturaliter habe ich niemanden etwas zu erzeigen und zu tribuiren [...]. Aber ich bin doch verbunden, demjenigen Zustande die Hand zu bieten, worin ein jeder das seine mit Sicherheit erlangen kan. Dieses ist das principium iuris publici, so wie 'neminem laede' iuris privati." 58 Ähnlich in XXVII/1 144: Man könne "den Satz suum cuique tribue auch negative nemimen laede ausdrücken". 59
Wolfgang Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, Frankfurt/M. 1993, S. 220 f. Vgl. Metaphysik der Sitten Vigilantius, XXVE/2,1 528i_ 15: "Indes läßt sich ein anderer Unteschied [zwischen den Geboten des neminem laede und suum cuique tribue, D.H.] hierunter in Rücksicht auffinden, ob der Mensch in statu naturali oder civili betrachtet wird. In statu naturali ist Jedermann im Zustand des Privatrechts; er bestimmt sein und die Rechte Anderer Menschen nach eigenem Urtheil, und sucht sie sich nach eigener Gewalt zu verschaffen; es ermangelt hier eine öffentliche Gewalt, die Jedem das Seinige zusichert, und eine öffentliche Gewalt, die es ihm verschafft. Hierher kann man das Princip: neminem laede, ziehen. Tritt dagegen Jemand in statum civilem, so ist er zugleich schuldig, sich der öffentlichen Gerechtigkeit zu unterwerfen, welche ihm, da er nicht sein eigener Richter seyn kann, statt seiner seine Rechte bestimmt, und unter öffentlicher Gewalt verschafft; - hierher kann man das suum cuique tribue ziehen; und würde dies heißen: unterwirf dich der öffentlichen Gerechtigkeit oder einem solchen Zustande, wo Jedem von einem öffentlichen Gesetz seine Rechte geschützt werden."
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zieht. Erst im Lichte dieser Unterscheidung entfaltet das Prinzip der distributiven Gerechtigkeit seinen normativen Gehalt. Denn bezogen auf den status civilis erweist es sich als Gebot der Errichtung eines Zustands öffentlicher Gerechtigkeit, d.h. eines Zustandes, in welchem ein staatliches Institutionensystem existiert, in welchem in verbindlicher Weise die Rechtsansprüche der einzelnen anerkannt werden. In einer anderen Reflexion des Nachlasses versucht Kant die Trias der Ulpianischen Formeln für die Systematik der praktischen Philosophie fruchtbar zu machen und insbesondere den Zusammenhang zwischen dem 'neminem laede' und dem 'suum cuique tribue' als den beiden juridischen Grundprinzipien aufzuzeigen: "Unterwirf dich den Bedingungen, dadurch jedem das Seine bestimmt werden kann. Dies ist der Zwang. Der Grundsatz honeste vive' ist das ethische principium und verlangt die rectitudinem actionum internam, die Rechtschaffenheit (die Gesinnung). Der Grund-Satz 'neminem laede' die rectitudinem externam und justitiam negativam. Der Grund-Satz 'suum cuique tribuere' die justitiam positivam, d.i. 'schaffe jedem Sicherheit vor sein Recht' (iustitia distributiva): principium status civilis: 'trete in den Zustand eines Bürgers oder unterwirf dich den Bedingungen der bürgerlichen Verfassung'. Suum cuiqve kan nur verschafft werden, so fern positive äußere Gesetze da sind, denen sich jeder unterwirft. Unterwirf dich der Gewalt nach Gesetzen, (naturaliter habe ich niemanden etwas zu erzeigen und zu tribuiren; denn das Seine eines jeden muß er von sich selbst erwarten. Aber ich bin doch verbunden, demjenigen Zustande die Hand zu bieten, worin ein jeder das seine mit Sicherheit erlangen kan. Dieses ist das principium iuris publici, so wie 'neminem laede' iuris privati. Ich soll also einem jeden Sicherheit vor das seinige in Ansehung meiner verschaffen" (Refi. 7078, XIX 243 ì 6 - 2447). In der Vorlesungsnachschrift zur Metaphysik der Sitten (1793/94) hat sich Kant mit Nachdruck auf Hobbes berufen und seine Entdeckimg der juridischen Widersprüchlichkeit des Naturzustandes gewürdigt: "Nun ist [im Naturzustand, D.H.] jedes einzelnen Menschen Beurtheilung anheim gestellt, was er für Recht oder Unrecht anerkennen will, er kann also auch die Freiheit des anderen ungehindert verletzen. Der Zustand der Läsion würde immerwährend seyn, solange Jeder allein Gesetzgeber und Richter wäre: Dies ist es, was man statum naturalem nennt, ein Zustand aber, der der angeborenen Freiheit ganz entgegen läuft. Es ist daher nothwendig, daß, sobald Menschen sich bis zur Ausübung ihrer wechselseitigen Freiheit nähern, sie den statum naturalem, verlassen, um ein notwendiges Gesetz, einen statum civilem, einzugehen; d.i. es ist eine allgemeine Gesetzgebung, die für Jedermann Recht und Unrecht festsetzt, eine allgemeine Gewalt, die jeden in seinem Recht schützt und eine richterliche Gewalt nöthig, die das gekränkte Recht wiederherstellt oder sogenannte justitiam distributivam eruirt (suum cuique tribuit). Dies ist es, was unter allen Naturrechtslehrern allein Hobbes als das oberste Princip des status civilis annimmt: exeundum esse ex statu naturali" (XXVn/2,1 S. 589 2 4 -590 1 0 ). Schließlich bestimmt Kant auch in den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre von 1797 in Anknüpfung an die Hobbessche Neubestimmung des Begriffs distributiver Gerechtigkeit den rechtlichen Zustand der Menschen als den Zustand "einer austheilenden Gerechtigkeit" (RL § 42, V I 307n) bzw.
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als "dasjenige Verhältniß der Menschen unter einander, welches die Bedingungen enthält, unter denen allein jeder seines Rechts theilhaftig werden kann" (RL § 41, VI 305 34 - 3060, während der natürliche, d.h. "nicht-rechtliche Zustand" deqenige ist, "in welchem keine austheilende Gerechtigkeit ist" (VI 306i7 ff). Recht im objektiven Sinne, d.h. als ein System gesetzlich bestimmter und durch Strafen gesicherter Rechtsansprüche, ist - in dieser Hinsicht wandelt Kant auf den von Hobbes vorgezeichneten Pfaden - nur möglich, wenn der Naturzustand durch den Zustand "des öffentlichen Rechts" ersetzt wird, in dem eine souveräne Instanz der Rechtssetzung, Rechtsdurchsetzung und Rechtsprechung existiert. Ohne Aufgabe der Privatwillkür, ohne Unterwerfung unter den allgemein gesetzgebenden Willen des Souveräns kann es kein objektives Recht geben.60 Für den status civilis ist nun charakteristisch, daß in ihm die distributive Gerechtigkeit als 'öffentliche Gerichtsbarkeit' institutionalisiert ist.61 Folglich interpretiert Kant auch 1797 die Ulpianische Formel noch als Prinzip der distributiven Gerechtigkeit, die ihrerseits der Forderung nach Errichtung des status civilis entspricht: "Tritt [...] in eine Gesellschaft mit Andern, in welcher Jedem das Seine erhalten werden kann (suum cuique tribue). - Die letztere Formel, wenn sie so übersetzt würde: 'Gieb Jedem das Seine', würde eine Ungereimtheit sagen; denn man kann niemanden etwas geben, was er schon hat. Wenn sie also einen Sinn haben soll, so mtlßte sie so lauten: Tritt in einen Zustand, worin Jedermann das Seine gegen jeden Anderen gesichert sein kann' (Lex iustitiae)" (RL, VI S. 237i_g).
Die Verknüpfung der Gerechtigkeitsforderung mit dem Gedanken der objektiv-praktischen Notwendigkeit des Eintritts in den status civilis hat ähnlich wie bei Hobbes die Marginalisierung der individuellen Tugend zur Folge. In dem Maße, wie sich die Rechtsphilosophie auf die Konstruktion einer Rechtsordnung konzentriert, deren Aufgabe die allseitige Sicherung und Gewährleistung privatrechtlicher Ansprüche ist, muß der Gesichtspunkt der Gerechtigkeit einzelner Handlungen wie der subjektiven Handlungsweise überhaupt in den Hintergrund treten. Der Grund hierfür liegt darin, daß die Institutionalisierung der Gerechtigkeit in Gestalt einer staatlichen Jurisdiktion den Spielraum für das Handeln nach subjektiven Gerechtigkeitsmaximen weitgehend einschränkt.62 60
Genau in diesem Sinne erklärt Kant: "Etwas Äußeres als das Seine zu haben, ist nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande, möglich" (RL § 8 Überschrift, VI 25523-25)· 61 Brandt, Gerechtigkeit und Strafgerechtigkeit bei Kant, S. 441 (mit weiteren Belegen). 62 Brandt, Gerechtigkeit und Strafgerechtigkeit bei Kant, S. 460 f. - Noch pointierter hat Hegel (Grundlinien der Philosophie des Rechts § 150 Anm.) diesen Zusammenhang zwischen der Schaffung rechtlich-sittlicher Institutionen einerseits und der Marginalisierung der individuellen Tugend ausgedrückt. Für ihn ist die Dominanz des individuellen Tugendhandelns geradezu ein Indiz für einen in rechtlicher Hinsicht un-
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Dennoch ist nicht zu übersehen, daß sich Kants Beitrag zur neuzeitlichen Rechtsphilosophie nicht in der Reproduktion des Hobbesschen Erbes erschöpft. Vielmehr nimmt Kant in seiner Rechtslehre wenigstens in zwei für das begründungstheoretische Verhältnis von Vernunftrecht und positivem Recht äußerst wichtigen Punkten eine grundlegende Revision vor. Der erste Punkt betrifft die Aufstellung eines Prinzips der rechtlichen Freiheitseinschränkung, dessen Fehlen den nach Kants Auffassung 'despotischen' bzw. 'machiavellistischen' Charakter der Hobbesschen Staatstheorie bedingt.63 Aus der prinzipiellen Unsicherheit und Unbestimmbarkeit von Rechtsansprüchen im Naturzustand hatte Hobbes auf die Notwendigkeit des Verzichts auf das Recht auf alles geschlossen. In Gestalt der natürlichen Gesetze entwickelt er zwar eine Theorie bestimmter formaler Bedingungen, die gewährleistet sein müssen, damit der Rechtsfriede überhaupt realisiert werden kann. Daher folgt aus dem grundlegenden natürlichen Gesetz, das den Frieden gebietet, die Forderung, sich zu diesem Zwecke bestimmten Einschränkungen des äußeren Freiheitsgebrauchs zu unterwerfen. Aber - und hier liegt der entscheidende Schwachpunkt der Hobbesschen Argumentation - Hobbes kennt kein allgemeines Rechtsgesetz, d.h. kein apriorisches Prinzip, das Art und Umfang der gesetzlich notwendigen Einschränkungen der Willkürfreiheit auf allgemeingültige Weise bestimmen könnte.64 Aus dem von ihm selbst in seiner Rechtstheorie zugrunde gelegten natürlichen Recht der Selbsterhaltung konnte Hobbes ein solches allgemeingültiges Rechtsgesetz unmöglich entwickeln: wenn jeder natürlicherweise ein Recht auf Leib und Leben hat, so vermag ein solches angeborenes Recht nur als Schranke der möglichen Bindewirkung staatlicher Gesetze zu fungieren; aber die Frage, in welchem Maße denn die Freiheit des einzelnen rechtlich eingeschränkt werden kann, damit sie mit der Freiheit aller anderen übereinstimmend ist, kann auf diese Weise allgemein-
terentwickelten Zustand: "Unter einem vorhandenen sittlichen Zustande, dessen Verhältnisse vollständig entwickelt und verwirklicht sind, hat die eigentliche Tugend nur in außerordentlichen Umständen und Kollisionen jener Verhältnisse ihre Stelle und Wirklichkeit [...]. Im ungebildeten Zustande der Gesellschaft und des Gemeinwesens kommt deswegen mehr die Form der Tugend als solcher vor, weil hier das Sittliche und dessen Verwirklichung mehr ein individuelles Belieben und eine eigentümliche geniale Natur des Individuums ist [...] In den alten Staaten, weil in ihnen die Sittlichkeit nicht zu diesem freien System einer selbständigen Entwicklung und Objektivität gediehen war, mußte es die eigentümliche Genialität der Individuen sein, die diesen Mangel ersetzte." 63 Vgl. Reil. 7667, XIX 483 15 . 2 o; Refi. 7975, XIX 5696 ff i; ΧΧΙΠ 133 f.; EF, Vm 303 f. 64 Vgl. hierzu Georg Geismann, Kant als Vollender von Hobbes und Rousseau, S. 170-172.
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gültig nicht beantwortet werden. Der Mangel eines apriorischen Rechtsgesetzes, durch das die Rechtmäßigkeit des äußeren Freiheitsgebrauches bzw. die Rahmenbedingungen für den staatlichen Rechtszwang bestimmt werden können, führt bei Hobbes zu der Behauptung, daß der Gesellschaftsvertrag, durch den sich die einzelnen zum unbedingten Gehorsam gegenüber dem Inhaber der Staatsgewalt verpflichten, letztlich mit der rechtlichen Selbstentmündigung der Bürger identisch ist. Der zweite, für das Verständnis des Gerechtigkeitsprinzips ungleich bedeutsamere Punkt der Abweichung von Hobbes betrifft die Theorie des äußeren Mein und Dein, d.h. die Frage nach dem Geltungsgrund der privaten Verfügung über äußere Sachen. In der Rechtslehre ist das oben skizzierte Hobbessche Erbe der Verknüpfung zwischen dem Prinzip der distributiven Gerechtigkeit einerseits und der Forderung, den Naturzustand zu verlassen und in den Zustand einer staatlich verbürgten Rechtsordnung einzutreten, in den argumentativen Kontext der Begründung des äußeren Mein und Dein eingebettet. Diese Begründung hat ihr systematisches Zentrum in dem Nachweis, daß es ein Recht des äußeren Mein und Dein gibt, dessen Geltungsgrund nicht im staatlich gesetzten Recht, sondern in der Gesetzgebung der rechtlich-praktischen Vernunft liegt. Es soll an dieser Stelle nicht im einzelnen auf die umstrittenen Implikationen dieser Begründung eingegangen werden.65 Ich möchte mich vielmehr darauf beschränken, den Fortschritt der Kantischen Position gegenüber der Hobbesschen Distributionstheorie herauszuarbeiten. Für Hobbes fallt - wie gezeigt - die Forderung nach Verwirklichung der Gerechtigkeit mit der Forderung nach Schaffung einer durch den souveränen Staat verbürgten Rechtsordnung zusammen. Da die Bestimmungen des äußeren Mein und Dein nicht aus der Vorstellung der zweckmäßigen Einrichtung der Natur abgeleitet werden können, schließt Hobbes ex negativo, daß der Staat selbst "die Ursache und der Seinsgrund jeglichen Eigentums"66 ist, so daß das Rechtsinstitut des Privateigentums gewissermaßen nur als 'Erfindung' des Souveräns in Betracht kommt: denn wenn es zutrifft, daß "before the constitution of Soveraign Power [...] all men hadrightto all things", dann ist die Schaffung des Rechtsinstituts des Privateigentums "the Act of that Power in order to the publique peace" (Leviathan XVIII, p. 125). "Therefore the Intro65
Siehe hierzu die Beiträge von Jeffrey Edwards , Disjunktiv- und kollektiv-allgemeiner Besitz, und Franz Hespe, Der Gesellschaftsvertrag: rechtliches Gebot oder rationale Wahl, in diesem Band, S. 117 ff. bzw. S. 293 ff. - Zur systematischen Stellung des von Kant in § 2 der Rechtslehre aufgestellten 'rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft' vgl. Burkhard Tuschling, Das 'rechtliche Postulat der praktischen Vernunft': seine Stellung und Bedeutung in Kants Rechtslehre', in: Hariolf Oberer/Gerhard Seel (Hrsg.), Kant. Analysen - Probleme - Kritik. Festschrift für Hans Wagner, Würzburg 1988, S. 273-292. 66 Brocker, Arbeit und Eigentum, S. 100.
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duction of Propriety is an effect of Common-wealth" (Leviathan XXIV, p. 171), genauer gesagt: sie ist das Resultat des Willens deijenigen natürlichen oder juristischen Person, die den Willen des Staates repräsentiert. Für die einzelnen bedeutet dies, daß sie in der rechtlichen Möglichkeit ihres Besitzes vollständig von der distributiven Willkür des Souveräns abhängen. Zur rechtlichen Omnipotenz des Souveräns gehört nämlich nach Hobbes auch die vollständige Verfügung über das Eigentum, somit auch die Möglichkeit der vollständigen Enteignung der Bürger. Weil es nach Hobbes' Auffassung keine überpositiven Gründe des äußeren Mein und Dein gibt, sind die "Rules of Propriety (or Meum and Tuum)" (Leviathan XVIII, p. 125) ebenso wie die
Unterschiede zwischen gut und schlecht, gesetzmäßig und gesetzwidrig nur Resultate positiv-rechtlicher Normierung.67 Kant hält diese 'rechtspositivistische' Schlußfolgerung für falsch: so richtig die Hobbessche Einsicht ist, daß alles Recht in seiner möglichen Wirksamkeit und gesetzlichen Bestimmtheit von der Existenz einer souveränen Zwangsgewalt abhängig ist, so wenig folgt daraus, daß der Wille dieses souveränen Zwangsgesetzgebers selbst der Geltungsgrund für die Rechte und Pflichten des (inneren wie äußeren) Mein und Dein ist. Ansätze zu einer Theorie, die durch eine vernunftrechtliche Fundierung das äußere Mein und Dein der distributiven Willkür des Souveräns entzieht,finden sich schon in der Metaphysik der Sitten Vigilantius.
Dort kritisiert Kant die unzulänglichen Versuche der Natur-
rechtslehrer, den status naturalis vom status civilis zu unterscheiden: "Es ist indeß hiebey darin ein Irrthum, einen verschiedenen Zustand anzunehmen, da in Rücksicht ihrer [natürlichen, D.H.] Rechte es in statu naturali et civili dieselben bleiben; nur das Recht wird insofern nur in verschiedenen respectu betrachtet, der status naturalis existiert an sich gar nicht, und hat nie existiert, es ist eine bloße Vernunft-Idee, die die Beurtheilung des Privatverhältnisses der Menschen unter einander enthält, wie sie nämlich die Freiheit des einen gegen die Freiheit des anderen nach den Gesetzen der allgemeinen Freiheit bestimmt. Diese Prüfung findet ohne Rücksicht der Verschiedenheit dieses status statt. [...] Also in der privaten oder öffentlichen (singuli vel communi) Bestimmung der Gesetzmäßigkeit der Handlung und Zusicherung dessen, was rechtliche Folge ist, besteht der Unterschied. Status naturalis ist also das Privatrecht eines Jeden, status civilis ist das öffentliche Recht eines Jeden, der mit anderen unter denselben getreten" (XXVII, 2/1 5892O-29; 590im3).
Die Funktionalisierung des Naturzustades als einer Vernunftidee zur Beurteilung der privatrechtlichen Verhältnisse der Individuen macht deutlich, daß 67
Vgl. auch De Cive ΧΠ, 7: "Ante susceptum iugum ciuile, nemini erat quicquam iuris propij, omnia omnibus communia erant. die ergo, vnde tibi proprietas haec, nisi à civitate? Vnde autem civitati, nisi quod vnusquisque ius suum in ciuitatem transtulisset?" - In der Behauptung, daß das Eigentum erst durch den Staat gestiftet wird, sehen auch Geismann/Herb (Hobbes über die Freiheit, Scholion 347, S. 182) "eine fundamentale Schwäche des Hobbesschen Privatrechts".
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die rechtsphilosophische Begründungsfunktion des Naturzustandes nicht mehr bloß in dem Aufweis der juridischen Widersprüche des Naturzustandes besteht. Statt dessen verwandelt er sich in den "Inbegriff der Rechte und Verbindlichkeiten des Privatrechts" (AA XXVII, 2/1 590i 7 ), d.h. in ein Konzept apriorischer Rechtserkenntnis. Welches aber diese Rechte und Verbindlichkeiten des natürlichen Privatrechts sind, darüber sagt Kant - wenn man der Vorlesungsnachschrift glauben darf - allerdings nichts. In der Metaphysik der Sitten von 1797 greift Kant diesen Gedanken der vernunftrechtlichen Differenz zwischen den apriorischen Geltungsgründen des Privatrechts einerseits und der staatlichen (bzw. öffentlich-rechtlichen) Form seiner Realisierung andererseits wieder auf. Im § 41 der Rechtslehre, der systematisch den "Übergang von dem Mein und Dein im Naturzustande zu dem im rechtlichen Zustande überhaupt" (AA VI f.) einleitet, betont Kant, daß sich der Naturzustand als "Zustand [...] des Privatrechts", in welchem schon bestimmte "Pflichten der Menschen unter sich [...] gedacht werden können" (AA VI 3Ο629.31), und der status civilis als Zustand des öffentlichen Rechts nicht hinsichtlich ihrer privatrechtlichen Materie unterscheiden. Denn diese ist sowohl im Naturzustand als auch in der bürgerlichen Verfassung dieselbe: "die Gesetze der letzteren betreffen also nur die rechtliche Form ihres [sc. der Menschen, D.H.] Beisammenseins (Verfassung), in Ansehung deren diese Gesetze nothwendig als öffentliche gedacht werden müssen" (RL § 41, AA VI 3Ο632ff.)· Der Unterschied beider Zustände betrifft nur den jeweiligen Modus der Realisierung des Privatrechts. Während im Naturzustand ein ausschließlich privater Modus der Rechtsbestimmung gilt, gemäß welchem jeder das Recht hat, "zu thun, was ihm recht und gut dünkt, und hierin von der Meinung des Anderen nicht abzuhängen" (AA VI 312n f), herrscht im status civilis ein öffentlicher (bzw. institutioneller) Modus, durch welchen der Rechtsstreit der Parteien durch eine staatliche Gerichtsbarkeit entschieden wird. Da nun die bürgerliche Verfassung ihrerseits auf den apriorischen Geltungsgründen des Privatrechts beruht, ist sie für Kant allein derjenige "rechtliche Zustand, durch welchen jedem das Seine nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bestimmt wird" (AA VI 25028 f.)· Angesichts der vernunftrechtlichen Fundierung des Privatrechts im Naturzustand ist es nur konsequent, wenn Kant in diesem Zusammenhang die Funktion des status civilis auf die Sicherung von an sich geltendes Privatrechts des Naturzustandes einschränkt. Dementsprechend wird die vom Souverän ausgeübte distributive Gerechtigkeit auf die rechtssicherenden Funktionen der "öfifentliche[n] Gerechtigkeit" (AA VI 3O63), die durch die Institutionen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung das provisorische Eigentum des Naturzustandes in ein peremtorisches verwandelt. Indem die Rechtslehre viel deutlicher, als dies bei Hobbes der Fall war, zwischen Geltung und Genesis des Rechts bzw. zwischen dem überpositiven, vernunftrechtlichen Geltungsgrund des Eigentums auf der einen und dem
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staatlichen Akt, der das Rechtsinstitut des Eigentums stiftet, auf der anderen Seite unterscheidet, kann Kant das Verhältnis von status naturalis und status civilis unter dem Gesichtspunkt der Differenz von Privat- und Staatsrecht bzw. der Differenzierung zwischen den Funktionen der Rechtsbestimmung und der Rechtssicherung diskutieren.68 Während für Hobbes der Naturzustand diejenige Situation darstellt, in welcher sich das Recht eines jeden begrififsnotwendig zu einem 'jus in omnia' erweitert und dadurch die Bestimmung subjektiver Ansprüche unmöglich gemacht wird, ist der Naturzustand für Kant eine vernunftrechtliche Hypothese zur Grundlegung des Privatrechts, durch die Rechte und Verbindlichkeiten auch im Naturzustand - wenngleich nur in provisorischer Weise - bestimmbar sind. Der Naturzustand erscheint deshalb nicht nur und nicht in erster Linie als ein "Zustand der Rechtlosigkeit (status iustitia vacuus), wo, wenn das Recht streitig (ius controversum) war, sich kein competenter Richter fand, rechtskräftig den Ausspruch zu thun" (AA VI 31224-27), sondern zugleich als ein "Zustand [...] des Privatrechts" (AA VI 3O629), in dem jeder aufgrund des Postulats der rechtlich-praktischen Vernunft gegen andere bestimmte Rechtsansprüche geltend machen kann. Gegenüber der Lehre seines Vorgängers, daß das Eigentum den Grund seiner Geltung im Willen des Souveräns habe, betont Kant den überpositiven, vernunftrechtlichen Geltungsgrund des Privateigentums: der Grund der rechtlichen Möglichkeit des äußeren Mein und Dein liegt nicht bloß darin begründet, daß der Souverän entsprechende Gesetze erläßt, durch welche Mein und Dein überhaupt erst konstituiert werden, sondern er beruht auf einem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft, das Kant im § 2 der Rechtslehre formuliert. Die Vernunft bestimmt durch das im Postulat enthaltene "Erlaubnißgesetz (lex permissiva)" (VI 247χ f), daß es rechtlich möglich ist, ohne Zustimmung anderer "einen jeden äußeren Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben" (VI 2465 f ), und zwar auch dann, wenn ich nicht im physischen Besitz dieses Gegenstandes bin. Würde man die rechtliche Möglichkeit eines solchen von der empirischen Innehabung verschiedenen intelligiblen Besitzes bestreiten, dann würde sich die Freiheit "selbst des Gebrauchs ihrer Willkür in Ansehung eines Gegenstandes derselben berauben, dadurch daß sie brauchbare Gegenstände außer aller Möglichkeit des Gebrauchs setzte" (Rechtslehre § 2, AA VI 246 13ff ). Aufgrund seiner Ableitung aus dem Postulat der rechtlich-praktischen Vernunft gehört das äußere Mein und Dein in die Klasse deijenigen Rechten, deren Geltung "aus Principien a priori abgeleitet werden" und die deshalb durch die "statutarischen Gesetze" der bürgerlichen Verfassung "nicht Abbruch leiden" können (AA VI 2 5 6 2 3 f f ) . Das äußere Mein und Dein ist ein vernunftrechtliches Prinzip der Begründung und Bestimmung subjektiver
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Vgl. Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant, Stuttgart-Bad Cannstatt 1974, S. 193.
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Rechte, das "vor der bürgerlichen Verfassung (oder von ihr abgesehen69) [...] als möglich angenommen werden" muß (AA VI 2563 i_ 33 ). Status naturalis und status civilis verhalten sich in dieser Hinsicht zueinander wie Verhältnisse des provisorischen bzw. peremptorischen Rechts.70 Diese Rolle der Naturzustandskonzeption als Entwurf eines a priori geltenden Systems des Privatrechts wirkt ihrerseits auf die exeundum-Forderung zurück. Das Spezifikum der privatrechtlichen Ansprüche im Naturzustand besteht nämlich in ihrer notwendigen Beziehung auf die "Idee eines bürgerlichen Zustandes, d.i. im Hinblick auf ihn und seine Bewirkung" (AA VI 26424 f.). Denn der erklärte Wille des Individuums, daß ein Gegenstand der äußeren Willkür das Seine sein solle, impliziert nach Kant auf der einen Seite die Verbindlichkeit anderer, diesen Akt der Besitznahme zu respektieren. Aber aus einem solchen Akt individueller Willkür kann überhaupt nur dann eine allgemeine Verbindlichkeit für andere hervorgehen, wenn in ihm zugleich das "Bekenntnis" liegt, "jedem Anderen in Ansehung des äußeren Seinen wechselseitig zu einer gleichmäßigen Enthaltung verbunden zu sein" (AA VI 255). Da eine solche wechselseitige "Sicherstellung" (AA VI 2562) nur unter der Voraussetzung der Unterwerfung des Willens aller unter eine allgemeine Rechtssicherungsgewalt möglich ist, so folgt aus der Willenserklärung, etwas äußeres als das Seine haben zu wollen, die Verpflichtung zum Eintritt in den status civilis als des Zustandes "unter einer allgemeinen äußeren (d.i. öffentlichen) mit Macht begleiteten Gesetzgebung" (AA VI 256u f). Der für sich genommen einseitige Akt der Willkür, durch den eine Sache als Eigentum deklariert wird, findet seine Rechtfertigung also ausschließlich in der Perspektive, daß mit dem Willen zur ausschließenden Verfügung über eine Sache notwendig die Bereitschaft (und die Verpflichtung) verbunden ist, einen solchen ausschließenden Besitz unter öffentlich-rechtlichen Bedingungen haben zu wollen, unter denen er überhaupt als rechtlich anerkannter, somit peremtorischer Besitz möglich ist. Die systematische Verknüpfung des exeundum mit der Theorie des äußeren Mein und Dein fuhrt Kant schließlich zu der Behauptung, daß der bürgerliche Zustand "selbst unmöglich sein" würde, wollte man vor dem Eintritt in denselben "gar keine Erwerbung, auch nicht einmal proviso-
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Kant macht durch die Parenthese deutlich, daß es ihm an dieser Stelle nicht um die zeitliche, sondern geltungslogische Priorität geht. 70 Wolfgang Kersting, Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie, Frankfurt/M. 1993, S. 338: "P]er Modalitätssprung von den provisorischen zu den peremtorischen Rechtsverhältnissen [entdeckt sich] als Wandel in den Ausübungsbedingungen der natürlichen Gesetze des Mein und Dein: werden diese im Naturzustand durch subjektive Rechtsbegriffe festgelegt, so werden sie im status civilis durch objektive Gesetze bestimmt [...]. Der Weg vom Naturzustand zum Rechtszustand ist der Weg von der subjektiv-beliebigen Ausübung des natürlichen Privatrechts zu seiner gesetzlich geregelten und institutionell gesicherten Ausübung."
Zur Bedeutung des suum cuique tribuere bei Hobbes und Kant
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risch für rechtlich erkennen", weil es, "wenn es im Naturzustande auch nicht provisorisch ein äußeres Mein und Dein gäbe, auch keine Rechtspflichten in Ansehung desselben, mithin auch kein Gebot geben [würde, D.H.], aus jenem Zustande herauszugehen" (AA V I 312 f.). Die exeundum-Forderung wird also nicht mehr ausschließlich aus dem juridischen Widerspruch der Unbestimmbarkeit von Rechten und Pflichten im Naturzustand, sondern vielmehr das Postulat des öffentlichen Rechts - "du sollst im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseins mit allen anderen aus jenem [Naturzustand, D.H.] heraus in einen rechtlichen Zustand, d.i. den einer austheilenden Gerechtigkeit, übergehen" - geht erklärtermaßen "aus dem Privatrecht im natürlichen Zustande hervor" (AA V I 307g ff). 7 1 Angesichts dieses Funktionswandels der Naturzustandskonzeption hat Reinhard Brandt mit Recht hervorgehoben, daß die Kantische Begründung des äußeren Mein und Dein als Versuch einer vernunftrechtlichen bzw. vorpositiven Einschränkung der staatlichen Gesetzgebungskompetenz in die Rubrik der kritischen Einwände an Hobbes' Staatsrechtskonzeption gehöre. Mit der Konzeption eines provisorischen Rechts des status naturalis sei "eine Entmachtung des Leviathan" verbunden, der das Privatrecht nicht mehr selbst schaffe, sondern nur bereits schon vorhandenes Recht gesetzlich bestimme und dadurch sichere. 72 Das natürliche Privatrecht
71 Auffallig ist jedoch, daß Kant, trotz dieser Behauptung, das Postulat des öffentlichen Rechts gehe aus dem "Privatrecht im natürlichen Zustande" hervor, in der anschließenden Erläuterung erklärt, daß sich der Grund des Postulats "ausschließlich aus dem Begriffe des Rechts im äußeren Verhältniß im Gegensatz der Gewalt" (RL § 42, AA VI 307g ff ) entwickeln ließe - er also in dieser Hinsicht gerade nicht von den Voraussetzungen der Theorie des äußeren Mein und Dein Gebrauch macht. Auch Herb/Ludwig (Naturzustand, Eigentum und Staat, S. 316) konzedieren eine 'gewisse Konkurrenz' zwischen der privatrechtlichen Deduktion des Staates, die auf der unveränderten Geltung des Privatrechts sowohl im Naturzustand als auch im Staat beruht, und der eher an Hobbes orientierten Vorstellung, daß sich Naturzustand und Staat sich wie Verhältnisse der Gesetzlosigkeit und der Rechtssicherheit verhalten. In der Tat wird die Hobbessche Konzeption des Naturzustandes in der Rechtslehre durch die eigentumstheoretische Konzeption als Zustand des Privatrechts in den Hintergrund gedrängt bzw. überlagert. Die Konkurrenz der Begründungsmodelle scheint mir jedoch ein Indiz dafür zu sein, daß sich in der Rechtslehre ältere und neuere Schichten der Argumentation finden, ohne daß es Kant überall gelungen wäre, beide zu einer geschlossenen Konzeption zu vereinigen. 72 Reinhard Brandt, Das Erlaubnisgesetz, oder: Vernunft und Geschichte in Kants Rechtslehre (in: Ders., Rechtsphilosophie der Aufklärung. Symposium Wolfenbüttel 1981, Berlin/New York 1982), S. 249: "P]ie Konzeption eines Provisoriums im Naturzustand [...] gehört in die Rubrik 'Gegen Hobbes' (VIE 289). [...] Das provisorische Recht des status naturalis ermöglicht Kant eine Entmachtung des Leviathan, er schöpft nicht, sondern bestimmt das vorhandene Recht und sichert es. Das Naturrecht ist nicht nur idealiter vor dem Staat denkbar, sondern hat eine - wenn auch nur dynamisch-provisorische - Wirksamkeit im status naturalis. Es ist dies eine Beobachtung, die für die Beurteilung der Entwicklung der Kantischen Rechtsphilosophie wichtig ist: Die
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und die schon im Naturzustand erworbenen provisorischen Ansprüche des Besitzes äußerer Gegenstände dienen nach Brandts Auffassung der Limitierung der leviathanischen Staatsmacht. Zwar bleiben die im Naturzustand erworbenen Rechtsansprüche bloß provisorischer Art, da sie erst durch die Sicherstellung des status civilis zu peremtorischen werden. Aber nichtsdestoweniger sind es Rechte, die in ihrer Geltung der staatlichen Gesetzgebung vorhergehen. Allerdings kann man sich bei unbefangener Lektüre der Rechtslehre nicht des Eindrucks erwehren, als ob das Problem der systematischen Begründung des äußeren Mein und Dein zur Zeit der Abfassung dieser Schrift im Kantischen Denken eine derart beherrschende Stellung eingenommen hat, daß die Rechtslehre ein architektonisch eher unausgewogenes Werk geblieben ist. Diese Unausgewogenheit, die nicht nur auf kompositorische Schwierigkeiten des Autors verweist, sondern vielmehr ungelöste Fragen indiziert, wird zum einen in der stiefmütterlichen Behandlung des inneren Mein und Dein offenkundig. Das Recht des inneren Mein und Dein, d.h. das ursprüngliche und angeborene Freiheitsrecht eines jeden Menschen bildet zwar einen Gesichtspunkt der "Eintheilung der Rechtslehre" (VI 236 ff.), aber von ihm wird im weiteren Fortgang der Argumentation kein systematischer Gebrauch mehr gemacht, so daß - wie bereits Wilhelm Metzger festgestellt hat - in der Rechtslehre keine systematische Entfaltung des Begriffs des Rechtssubjekts und der Persönlichkeitsrechte (wie z.B. Unverletztlichkeit des Körpers) zufinden ist.73 Auch das Rechtskraft des Naturrechts wächst, die Macht des mortal God schwindet. So heißt es in einer Reflexion, die Adickes 'um 1776-8' datiert: T)as Ganze Recht der Natur ist ohne bürgerliche Ordnung bloß eine Tugendlehre und hat den Namen eines Rechts bloß als ein Plan zu äußeren möglichen Zwangsgesetzen, mithin der bürgerlichen Ordnung' (7084; XIX 245) - dies leugnet die Rechtslehre von 1796/97 entschieden; nicht erst die societas civilis schafft Recht, sondern dieses ist schon in provisorischer Form im Naturzustand wirksam und kann nur so die bürgerliche Gesellschaft zustande bringen. [...] Das provisorische Rechts schafft die prinzipielle Möglichkeit, den Staat aus seiner Rechtsschöpfungsrolle zu drängen und ihn mit einem Vor-Recht der Menschen zu konfrontieren." Vgl. auch Kristian Kühl, Naturrecht und positives Recht in Kants Rechtsphilosophie, Freiburg/München 1984, S. 85, und Otfried Höffe, Immanuel Kant, München 31992, S. 218, der Brandts Formulierung, daß die Rechtskraft des Naturrechts in der Rechtslehre wächst, aufgreift. 73 Wilhelm Metzger, Gesellschaft, Recht und Staat in der Ethik des Deutschen Idealismus, Heidelberg 1917, S. 88. - Dies bedeutet allerdings nicht, daß Kant diese Rechte nicht kennen würde. Vielmehr leitet er das Recht des Menschen, nicht "blos als Mittel zu den Absichten eines Anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt" zu werden, ganz folgerichtig aus dem Recht der 'angeborenen Persönlichkeit' (RL § 49 Ε, VI 33126-28) a b, das seinerseits im "Princip der angeborenen Freiheit" (RL, VI 238ç f ) wurzelt; vgl. hierzu auch Metaphysik der Sitten Vigilantius XXVn/2,1 58824 ff/, dort wird das angeborene Recht mit dem "Besitz einer eigenen Person" identifiziert. Was jedoch in der Rechtslehre fehlt ist vielmehr die systematische Begründung und Entfaltung des Persönlichkeitsrechts; vgl. hierzu den Rekon-
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Verhältnis der exeundum-Forderung zur vernunftrechtlichen Begründung des äußeren Mein und Dein wirft einige Fragen auf. Im § 44 der Rechtslehre wird die Behauptung aufgestellt, ohne die Annahme einer wenigstens provisorischen Erwerbung des äußeren Mein und Dein "vor Eintretung in den bürgerlichen Zustand" würde dieser "selbst unmöglich sein", weil sonst keine Rechtspflicht, aus dem Naturzustand herauszugehen, begründet werden können. Der durch das natürliche Privatrecht fundierte Staat erscheint auf diese Weise als eine Instanz, die den Grund ihrer Notwendigkeit darin hat, daß er durch die Form der öffentlichen Gesetzgebung die an sich im Naturzustand schon enthaltenen Bestimmungen des äußeren Mein und Dein realisiert. So fuhrt die Rechtslehre zu einem systematisch letztlich auf die Sicherung des Eigentums reduzierten Staatsbegriff. Nun ist nicht zu bestreiten, daß die Unsicherheit des äußeren Mein und Dein im Naturzustande nicht nur ein gewichtiges (subjektives) Motiv zum Eintritt in den status civilis, sondern in erster Linie den Grund einer entsprechenden Pflicht darstellen. Aber es ist keineswegs einzusehen, warum ausschließlich aus der durch den Naturzustand "vereitelte[n] Realisierung von Rechtsbeziehungen [des äußeren Mein und Dein, D.H.], die ihrerseits Pflichtcharakter haben"74, die Notwendigkeit der Schaffung einer souveränen Zwangsgewalt abgeleitet werden soll. Denn schon die bloße Unsicherheit des inneren Mein und Dein, d.h. die potentielle Gefährdung des angeborenen Freiheitsrechtes und der Rechtspersönlichkeit durch den subjektiven Modus der Rechtsbestimmung im Naturzustand liefert den hinreichenden Grund einer Rechtspflicht für das exeundum. Die aus dem naturzuständlichen Widerspruch des äußeren Mein und Dein hervorgehende Rechtspflicht stellt bestenfalls eine Ergänzung dar. Daß Kant in der Rechtslehre die Notwendigkeit des Staates ausschließlich aus dem Begriff des äußeren Mein und Dein und nicht in gleicher Weise aus dem Recht der Person ableitet, gehört zu den systematischen Merkwürdigkeiten dieser Schrift.
VL
Die neuzeitliche Rechts- und Staatsphilosophie - so läßt sich das Ergebnis der vorstehenden Überlegungen zusammenfassen - setzt an die Stelle der Frage nach der Gerechtigkeit die Frage nach dem Geltungsgrund der staatlichen Zwangsbefugnis und nach den institutionellen Bedingungen der Rechtsordnung. Im Kontext der Rechtsbegründung gilt das "Recht als formale Bedin-
struktionsversuch von Gau-Jeng Ju, Kants Lehre vom Menschenrecht und von den staatsbürgerlichen Grundrechten, Würzburg 1990.. 7 4 Herb/Ludwig, Naturzustand, Eigentum und Staat, S. 305. 6*
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gung der Gerechtigkeit"75: letztere ist das Ergebnis der Verwirklichung des Rechts, nicht dessen Voraussetzung. Die Verwandlung des suum cuique aus einem ethischen Verhaltensprinzip, aus einer Maxime des tugendhaften Handelns in einen Grundsatz der Konstitution einer souveränen Rechtszwangsgewalt macht nicht nur deutlich, daß die Begründungsaufgaben des antiken und des neuzeitlichen Naturrechts fundamental verschieden sind, sondern auch, daß beide einen unterschiedlichen Begriff vom Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit und vom (ge-)rechten Zusammenleben der Menschen haben.
75 So der Titel eines Aufsatzes von Franz Hespe, Recht als formale Bedingung der Gerechtigkeit. Überlegungen zur Theorie der Gerechtigkeit im Anschluß an Thomas Hobbes, in: Peter Koller/Klaus Puhl (Hrsg.), Aktuelle Probleme der politischen Philosophie. Gerechtigkeit und Wohlfahrt in Gesellschaft und Weltordnung. Beiträge des 19. Internationalen Wittgenstein Symposiums 1996, Kirchberg am Wechsel 1996, S. 159-166.
Die Idee des Rechts: Hobbes und Kant Von Burkhard Tuschling, Marburg
1.
Die Frage "Was ist Recht?" versetzt nach Kant den Juristen in prinzipiell dieselbe Verlegenheit, wie die Frage M Was ist Wahrheit?" den Logiker. Von Berufs wegen auf ein historisch-empirisches Verfahren der Auffindung und Interpretation des faktisch existierenden und für den gegebenen Fall einschlägigen positiven Rechts verpflichtet, kann der Jurist zwar sagen, was an einem gegebenen Ort zu einer bestimmten Zeit recht sei - z.B. im Jahre 63 v. Chr. in Rom, als Marcus Tuliius Cicero Konsul war; oder im Jahre 1642 n. Chr. in London oder in Paris, als Thomas Hobbes, Mathematiklehrer des Prince of Wales im Exil, De Cive veröffentlichte. Ob aber dieses positive Recht des Jahres 690 a.u.c. oder des Jahres 1642 n. Chr. - dem 33. Jahr der Regierung von Ludwig XIII. - Recht oder gerecht ist oder nicht, kann er nicht sagen, weil "das allgemeine Kriterium, woran man überhaupt recht sowohl als unrecht (justum et injustum) erkennen könne, [...] ihm wohl verborgen" bleibt (RL, VI 22925 - 230i). Die Frage ' Was istRechtT ist also nach kantischem Verständnis nur beantwortbar, wenn es ein solches allgemeines, objektiv und allgemein gültiges Kriterium dafür gibt, was Recht (jus) bzw. recht (justum) und Unrecht (injuria) bzw. ungerecht (injustum) ist. Objektiv gültig heißt hier: an allen Orten, zu allen Zeiten, unabhängig von den Meinungen der Menschen gültig und, darüber hinaus, gültig für alle rechtlich zu regelnden Sachverhalte oder Konflikte. Die entscheidende Frage ist also: Gibt es ein solches Kriterium? Hat der Philosoph, hat Kant die Frage 'Was ist Recht?' beantwortet? Haben die Philosophen, anders als die Juristen, überhaupt eine Antwort auf diese Frage zu geben?
2. Auf diese Frage hat ein Philosoph mit einem klaren Nein geantwortet. Sein Name: Karneades, Leiter der Akademie, der philosophischen Schule Piatons in Athen, im 2. Jahrhundert v. Chr. Es gibt, so Karneades, kein Recht von Natur. Denn die Natur hat dem Menschen nicht das Gib jedem das Seine als
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Gesetz seines Handelns gegeben, sondern im Gegenteil: von Natur strebt jeder Mensch nur nach dem, was für ihn selbst gut ist. Jedem anderen das Seine zu geben, wäre vielleicht gerecht, aber nicht vernünftig, nicht Weisheit, sondern die größte Dummheit.1 Konsequenz: Recht ist nicht von Natur. Das Recht oder das Gesetz ist nur von Menschen geschaffen, es ist nicht φύσει, sondern νόμω. Recht ist also, modern ausgedrückt, nur positives Recht. Ob das im Jahre 63 oder 46 v. Chr. in Rom geltende Jus Civile gerecht, d.h. der Idee des Rechts angemessen ist,
auf diese Frage ist die Antwort unmöglich. Recht ist zwar klug und vernünftig, aber nicht gerecht. Denn es ist nichts anderes als ein Mittel, seinen eigenen Vorteil - gegebenenfalls zu Lasten eines anderen - durchzusetzen. Die Frage also, ob das im Jahre 63 oder 46 v. Chr. in der Res Publica Romana geltende Recht gerecht, d.h. der Idee des Rechts angemessen ist, ist damit durchaus, und zwar negativ, beantwortet. Die Funktion des Rechts ist nach Karneades im Gegenteil, sich mit Rechtsmitteln den größtmöglichen Vorteil zu verschaffen, anderen das Ihre gegebenenfalls zu nehmen. Mit dieser Funktion, jedem de jure die Möglichkeit zu eröffnen, anderen das Ihre zu nehmen, ist das positive Recht unrecht. Das Suum cuique tribuere ist jedenfalls nicht die Maxime des Gesetzgebers oder der Handelnden: es ist nicht das Grundgesetz des positiven Rechts. Der fundamentale Angriff des Karneadesrichtetesich allerdings nicht gegen den Gedanken der Gerechtigkeit oder das 'Gib jedem das Seine' als solches2, sondern galt nur dem Zweck, die Philosophen, insbesondere Piaton und Aristoteles, als Anwälte der Gerechtigkeit zu widerlegen3; die Gerechtigkeit, der das sichere Fundament fehlte, umzustürzen und zu zeigen, daß jene Anwälte der Gerechtigkeit nichts Gewisses und nichts Unerschütterliches zu
1
Vgl. dazu die weiter unten zitierte Passage aus Ciceros De re publica IH 31 und den gesamten Kontext. 2 "nec inmerito extitit Carneades, homo summo ingenio et acumine qui refelleret istorum [sc. "plurimi quidem philosophorum, sed maxime Plato et Aristoteles", B. T.] orationem, et iustitiam quae fündamentum stabile non habebat everteret, non quia vituperandam esse iustitiam sentiebat, sed ut illos defensores eius ostenderet nihil cert nihil firmi de iustitia disputare " (Lact. epit. 50, 5-8, in: Cicero, De re publica ΠΙ 7 § 11; Hervorhebung nicht im Original, B. T.). 3 "is [sc. Carneades, B. T.] cum legatus ab Atheniensibus Romam missus esset, disputavi de iustitia copiose, audiente Galba et Catone Censorio, maximis tunc oratoribus. sed idem disputationem suam postridie contraria disputatione subvertit, et iustitiam quam pridie laudaverat sustulit, non quidem philosophi gravitate, cuius firma et stabilis debet esse sententia, sed quasi oratorio exercitii genere in utramque partem disserendi [...]. Carneades autem ut Aristotelen refelleret ac Platonem iustitiae patronos, prima illa disputatione collegit ea omnia quae pro iustitia dicebantur, ut posset ilia, sicut fecit, evertere" (De re publica ΠΙ 6 § 9, aus: Lact. inst. 5, 14, 3-5).
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sagen hätten.4 Ergebnis dieses Fundamentalangriffes: Karneades unterscheidet zwei Grundformen des Rechts, sc. Naturrecht und positives Recht, und stürzt beide um, indem er zeigt: positives Recht und darauf basierende Rechtmäßigkeit oder Legalität sei zwar Weisheit, aber keine Gerechtigkeit; Naturrecht und darauf basierende Rechtmäßigkeit sei zwar Gerechtigkeit, aber Torheit. Seine Argumente waren "so scharfsinnig und so giftig", daß, wie uns Laktanz überliefert, nicht einmal Cicero, der Karneades in seinem in Dialogform abgefaßten Werk De re publica auftreten läßt, ihn widerlegen konnte.5 Damit waren die Versuche der Philosophen - insbesondere, aber nicht allein, die Versuche von Piaton und Aristoteles - , ein fundamentum stabile für Recht und Gerechtigkeit zu finden, zunächst einmal und für lange Zeit, mindestens für eineinhalb Jahrtausende, gescheitert.
3· Thomas Hobbes ist wohl der erste, der das Argument des Karneades und die Auseinandersetzung mit ihm wieder aufnimmt, d.h. nach einer neuen Antwort auf die Frage 'Was ist Recht?' und einem neuen - nunmehr sicheren und unerschütterlichen - Fundament der Gerechtigkeit sucht. Hobbes übernimmt die zentrale Prämisse des Karneades: Recht ist nicht φύσει, sondern νόμω . Von Natur strebt der Mensch nur nach dem bonum sibi, dem, was für ihn selbst gut ist6, und handelt nicht nach einem vermeintlichen Gesetz der Natur, jedem das Seine zu lassen. Das Mein und Dein für einen jeden und eine Ordnung, in der und durch die jedem das Seine als ein Recht bestimmt und gesichert wird, ist nicht von Natur. Es ist allein die Schöpfung oder das Produkt des Menschen. Ja, Hobbes radikalisiert diese These des Karneades nochmals: Recht und Gesetz sind Produkte der Freiheit, des freien Willens, des Menschen. Alle Menschen sind - oder, noch kategorischer: der Mensch ist - frei.
4
"sed ut illos defensores eius ostenderet nihil certi, nihil firmi de iustitia disputare" [ebd. § 11, Kontext: s. vorletzte Anmerkung]. 5 "ita ergo iustitiam cum in duas partes divisisset, alteram civilem esse dicens, alteram naturalem, utramque subvertit, quod illa civilis sapientia sit quidem, sed iustitia non sit, naturalis autem illa iustitia sit quidem, sed non sit sapientia. arguta haec plane ac venenata sunt, et quae M. Tullius non potuerit refellere [...]" (ebd. ΠΙ 20 § 31). 6 Thomas Hobbes, De Cive (The Latin Version. A Critical Edition by Howard Warrender, Oxford 1983) I, 7: "Fertur enim unusquisque ad appetitionem eius quod sibi Bonum, & ad Fugam eius quod sibi malum est, maximè autem maximi malorum naturalium, quae est mors; idque necessitate quadam naturae, non minore quam quâ fertur lapis deorsum."
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Mit diesem Gedanken revolutioniert Hobbes die praktische Philosophie: Freiheit allein kann das von Karneades auch bei Piaton und Aristoteles vermißte fundamentum stabile des Rechts sein: die Unterscheidung von gut und böse, recht und unrecht ist freies Urteil, freie Tat, Produkt der Freiheit des Menschen. Entgegen dem, was man in unzähligen Büchern und Aufsätzen über Hobbes lesen kann, bedeutet dies: der Mensch ist nach Hobbes von Natur aus nicht böse, kein Wolf. Hobbes hat im Gegenteil durchgängig Front gemacht gegen die christliche Lehre der Erbsünde. Nach Hobbes ist beides wahr: nicht nur homo homini lupus - das wird in der Literatur immer zitiert - , sondern auch: Homo homini Deus: das wird in der Literatur ignoriert, obwohl es Hobbes sogar dem Homo homini Lupus voranstellt7, um das Fundament, das systematische Zentrum, aber das auch das Telos seiner praktischen Philosophie zu markieren: es ist die Freiheit des Menschen, sich gegenüber seinesgleichen wie ein Gott oder wie ein Wolf zu verhalten - ersteres, indem er und insofern er mit ihm in den status civilis, einen öffentlich-rechtlichen Zustand, wie Kant übersetzen wird, eintritt; letzteres, indem und insofern er in einem status extra societatem civilem verbleibt, in dem allen alles erlaubt, nichts unrecht und deshalb auch nichts recht ist, weil ein Recht auf alles das Gesetz des Handelns aller ist, das eo ipso ein Recht auf Nichts ist. Denn jeder darf de jure - von Rechts wegen - alles haben und tun, eben deshalb aber ist auch niemand von dem, was der eine hat und will, ausgeschlossen; oder: jeder hat und will mit demselben Recht dasselbe, darf dasselbe tun oder unterlassen. Und dies ist nach Hobbes, wie zitiert8, zuallererst konstitutiv für die Beziehungen zwischen Staaten, für die internationalen Beziehungen oder das sog. Völkerrecht. Konsequenz: Recht steht gegen Recht, alter jure invadit, alter jure resistit
9
- eine Antinomie des Rechts, ein Widerspruch des Rechts mit sich selbst, eine durchgängige Dialektik. Und die weitere, nicht minder wichtige Konsequenz: Es gibt für niemanden ein bestimmtes Mein oder Sein, was ihm allein zusteht und gemäß der Idee der Gerechtigkeit - des Suum cuique tribuere - gesichert wird oder überhaupt werden könnte, weil jeder andere ein Recht auf dasselbe hat: Mein und Dein sind nicht unterschieden, nicht unterscheidbar.
Es gibt deshalb kein bestimmtes Jus, kein Recht irgendeines Menschen, alle anderen vom Gebrauch einer Sache oder eines Mein auszuschließen. Es gibt daher auch keinen Grund, andere zu verpflichten, das nicht anzutasten, was
7 De Cive, Epistola Dedicatoria p. 73: "Profecto vtrumque verè dictum est, Homo homini Deus, & Homo homini Lupus. Illud si conclues inter se; Hoc, si ciuitates comparemus. Illic iustitia & charitate, virtutibus pacis, ad similitudinem Dei acceditur; Hic propter malorum prauitatem, recurrendum etiam bonis est, si se tueri volunt, ad virtutes Bellicas, vim & dolum, id est, ad ferinam rapacitatem." 8 Vgl. die vorhergehende Anmerkung. 9 De Cive I, 12: "ius omnium in omnia, quo alter iure inuadit, alter iure resistit".
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einem selbst de jure zusteht. Das ursprüngliche Recht des Menschen ist es allein, sich selbst zu bestimmen, ein freies Selbst zu sein.10 Dieses Selbst, das freie vernünftige Subjekt, gelangt damit kraft seiner Vernunft zu folgender Einsicht: Das Recht auf Alles ist ein Recht auf Nichts. Denn es ist nicht ein Recht, andere dazu zu verpflichten, den Anspruch des Einen als sein unverletztliches Recht zu achten, d.h. wissentlich und willentlich anzuerkennen. Auch das Suum cuique tribuere - d.h. Gerechtigkeit - ist also unter der Voraussetzung dieses ius in omnia - d.h. unter Verhältnissen, in denen dieses ius in omnia herrscht - , dieses ius, das ein - Recht auf alles, aber auch - die absolute Freiheit des Handelnden ist, allein zu beurteilen und zu entscheiden, was in einem Konfliktfall gut, gerecht oder böse und ungerecht ist, nicht möglich. Das bedeutet: Recht, Gerechtigkeit zu denken ist nicht möglich, deshalb auch nicht zu verwirklichen: Recht ist nicht wirklich.
4. Wie aber ist dann ein bestimmtes Mein und Dein, Gerechtigkeit also, überhaupt möglich? Wie kann Recht bestimmt und gesichert werden? Wie kann zwischen Recht und Unrecht unterschieden und nach einem allgemeinen Kriterium entschieden werden, was Recht ist? Die Hobbessche Antwort lautet bekanntlich: Recht, bestimmtes Mein und Dein, dessen Bestimmung und Sicherung, damit Gerechtigkeit sind nur in einem status civilis, einer staatlich verfaßten Gesellschaft, einem Commonwealth oder einer civitas, also unter der Bedingung der Existenz einer Rechtszwangsgewalt möglich. "before the names of Just and Unjust can have place, there must be some coercive Power [...]. Justice is the constant will of giving to every man his own. And, therefore, where there is no Own, that is, no Propriety there is no Justice; and where there is no coercive power erected, that is where there is no Commonwealth, there is no Propriety; all men having Right to all things: therefore where there is no Commonwealth there nothing is unjust." 11
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De Cive I, 7: "Neque enim Iuris nomine aliud significata, quam libertas quam quisque habet facultatibus naturalibus secundum rectam rationem vtendi. Itaque Iuris naturalis fundamentum primum est, vt quisque vitam & mebra sua quantum potest tueatur". 11 Leviathan XV, 3 - nicht ganz genau dem Text folgend zitiert.
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Mit dieser Doktrin ist Hobbes von Anfang an und bis heute als Rechtspositivist verstanden und verschrieen worden: Recht ist nur das, was von der dafür bestimmten, mit entsprechender Macht oder dem Monopol legitimer Gewaltanwendung ausgestatteten gesellschaftlichen Institution, dem Souverän, dem Staat als Norm gesetzt und durch Anwendung jener Zwangsgewalt durchgesetzt wird. Nach dieser Interpretation scheint es so, als habe Hobbes auch die zweite Konsequenz des Karneades ohne jede Modifikation oder Revision übernommen: Recht ist nicht von Natur, Recht ist nur das Produkt der Setzung von Menschen. Das würde bedeuten: Recht wäre nach Hobbes wie nach Karneades nichts als der Ausdruck und das Instrument gesellschaftlicher Macht, Recht wäre allein positiv. Nur der letzte Satz ist falsch: Recht ist Ausdruck und Instrument gesellschaftlicher Macht; aber es ist nicht allein positiv. Es gibt allgemeingültige und insofern überpositive - Kriterien des Rechts, auch des positiven. Denn obwohl Hobbes die Position des Karneades - Recht ist nicht von Natur, sondern Produkt des Menschen - übernimmt; und obwohl er selbst diese These durch die Idee der libertas - alle Menschen sind frei, der freie Wille oder die Freiheit ist das Wesen des Menschen - , noch radikalisiert und als erster den Gedanken entwickelt: der freie Wille des Menschen - d.h. aller Menschen allein ist es, der Recht und Gesetz schafft, folgt daraus dennoch nicht - weder nach Hobbes noch der Sache nach - , daß dieses Produkt des Menschen, das Recht, ausschließlich positiv ist. Denn Hobbes übernimmt nicht nur das Argument des Karneades, er nimmt auch die Auseinandersetzung mit ihm wieder auf, indem er einen weiteren radikal neuen Gedanken entwickelt: Der Mensch ist nicht nur von Natur, seinem Wesen nach frei; es gibt auch eine unveräußerliche Natur dieser Freiheit, eine Substanz, ein Wesen der Freiheit. Das Produkt des Menschen - Recht als Schöpfung seiner Freiheit - ist nicht Produkt absoluter Willkür, bloßer Einfalle oder subjektiven Meinens.12 Recht als Produkt und Organisationsform menschlicher Freiheit, freier Vergesellschaftung, unterliegt selbst einer bestimmten Notwendigkeit, Gesetzmäßigkeit: der Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit seines Begriffs - ihres Begriffs. Die Substanz oder der Begriff der Freiheit und des freien Willens ist also das allgemeine Gesetz der Freiheit, das allein durch Vernunft als eine Notwendigkeit der Vernunft, ein dictamen rectae rationis, erkannt werden kann: Die Substanz der Freiheit ist es, Freiheit unter Gesetzen zu sein - unter Gesetzen, die das freie Subjekt als Vernunftsubjekt und vernünftiger Wille sich selbst gibt. Die Substanz - das Gesetz - der Freiheit ist also Autonomie, Selbst-Bestimmung.
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Diese - absolute - Subjektivität als Quelle des Rechts wird von Hobbes (De Cive Π, 1) in aller Schärfe abgelehnt: "Naturae autem leges, ab eorum consensu recipere, qui eas violant saepiùs quàm obseruant, sanè iniquum est."
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Was aber bedeutet Selbst-Bestimmung als allgemeines Gesetz nun konkret? Es bedeutet, schon nach Hobbes, u. a.: - frei sein zu wollen und ein bestimmtes Mein und Dein zu wollen, das jedem freien Subjekt als ein unverletzliches Recht bestimmt werden kann; d.h. Recht und Gerechtigkeit zu wollen impliziert wiederum als praktische Notwendigkeit und Gesetz des freien Handelns: freies Wollen, Handeln und Leben muß so organisiert werden, daß nicht jeder das ius in omnia, die absolute Freiheit hat, zu tun und zu lassen was er will; und: allein zu urteilen und zu entscheiden, was gut oder das Gute - was Recht - ist. Denn dieses sog. natürliche Recht hebt sich durch die ihm immanente Antinomie auf. Unter dieser Voraussetzung können Freiheit und Recht der Menschen nicht wirklich werden, nicht allgemein sein. - Recht und Freiheit sind also nur möglich, wenn das ius in omnia, das diesem ius immanente ipse-iudex-Prinzip und die daraus resultierende Antinomie des Rechts negiert, d.h. aufgehoben wird. Wie aber soll bestimmt und organisiert werden, wer oder wie jedem das Seine bestimmt wird? Was heißt und bedeutet praktisch (im und für das Handeln der freien Menschen), das Recht auf alles aufzuheben, so daß jedem das Seine bestimmt werden kann? - Es bedeutet: Freiheit als ein solches Wollen, das das Recht für einen jeden freien Menschen, jedes freie Subjekt als ein Menschenrecht verwirklichen will, impliziert als allgemeines Gesetz der Freiheit: -
die Individuen verzichten auf das Recht auf alles - alles haben, tun oder
lassen zu können; allein zu entscheiden, was gut und gerecht ist; - sie vereinigen sich mit allen anderen freien Subjekten - mit allen Menschen - in einer Verfassung,
in der ein einziger Wille
das Gesetz ist:
jedermanns Freiheit anzuerkennen, jedem ein bestimmtes Mein, das jeden anderen davon ausschließt, zu bestimmen und zu sichern: dies ist das Recht der Menschen - Menschenrecht. 13 - Recht für alle Menschen zu wollen, schließt - logisch und praktisch - aus, das Recht auf alles zu wollen, sondern verlangt vielmehr, gerade dieses sogenannte Recht oder die Freiheit, alles tun und haben zu dürfen, zu negieren. Recht und Freiheit für jeden Menschen, die ihn als der Rechte fähige und teilhaftige Person und Subjekt verwirklicht - und damit für jeden ein bestimmtes Mein und Dein schafft, bestimmt und sichert - , ist Freiheit un-
13 Vgl. TuP, vm 289ig_26: "Verbindung [...], die an sich selbst Zweck [...], unbedingte und erste Pflicht [...] an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht ist, ist das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen
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ter Gesetzen Eines Willens, der der Wille aller und - was nicht ohne weiteres dasselbe ist - allgemein ist. Und dieser allgemeine Wille will auch den Zwang oder das Monopol legitimer Gewalt, die alle anderen, aber auch ihn selbst - sich selbst - zwingt, frei zu sein. 14 Das heißt: dieser Wille will - ob er das weiß und will oder nicht, sondern aus welchen - ideologischen oder anderen - Gründen auch immer dies leugnet - notwendigerweise den Staat, eine staatlich verfaßte Gesellschaft mit einem collectiv allgemeinen und machthabenden Willen. Denn nur ein solcher "jeden anderen verbindender, mithin collectiv allgemeiner (gemeinsamer) und machthabender Wille" macht Eigentum möglich: "Der Zustand aber unter einer allgemeinen äußeren (d. i. öffentlichen) Gesetzgebung ist der bürgerliche. Also kann es nur im bürgerlichen Zustande ein äußeres Mein und Dein geben" (VI 25610. 13)· 1 5
- Dieser Eine Wille, in dem sich alle Menschen vereinigen, ist nicht nur mit Macht begabt, er ist ihr eigener allgemeiner Wille, durch den sie sich selbst das Gesetz geben. Diese Vereinigung in einem einzigen allgemeinen Willen, der der Wille aller, aber auch allgemein, vernünftig und gesetzgebend ist: dieses allgemeine Gesetz der Freiheit, das ein dictamen rectae rationis oder kategorischer Impera14 Jean-Jacques Rousseau, Contrat social I, 7 (Œuvres complètes, édition publiée sous la direction de Bernard Gagnebin et Marcel Raymond, tome ΙΠ, p. 364): "Afin donc que le pacte social ne soit pas un vain formulaire, il renferme tacitement cet engagement qui seul peut donner de la force aux autres, que quiconque refusera d'obéir à la volonté générale y sera contraint par tout le corps: ce qui ne signifie autre chose sinon qu'on le forcera d'être libre; car telle est la condition qui donnant chaque Citoyen à la Patrie le garantit de toute dépendance personelle ; condition qui fait l'artifice et le jeu de la machine politique, et qui seule rend légitimes les engagemens civils, lesquels sans cela seroient absurdes, tyranniques, et sujets aux plus énormes abus" (Hervorhebung nicht im Original). 15 Und dies, die Staatsverfassung eines bürgerlichen Zustands zu wollen, ist in dem bloßen Akt des "ich will, daß etwas Äußeres das Meine sein solle" (VI 25526 f.), als Bedingung der Möglichkeit des intelligiblen Besitzes oder Eigentums als Rechtsverhältnis enthalten. Deutlicher als hier, in Titel und Inhalt des § 8 der Rechtslehre (VI 25523 - 25613), kann man nicht ausdrücken, daß Eigentum und Recht dem Staat nicht vorhergehen, sondern daß jeder Akt der Aneignung - auch der ursprünglichen oder prima occupatio - ein Akt der Nötigung zur Stiftung des Staates ist als Grund seiner eigenen Geltung als ein Rechtsakt eine staatliche Gesetzgebung des öffentlichen Rechts voraussetzt und impliziert: dem Willen zur privaten Aneignung, der Freiheit überhaupt, ist das Wollen zur staatlichen Vergesellschaftung als unbedingte SelbstVerpflichtung immanent - auch wenn die Ideologen des Liberalismus dies verteufeln und als Ausdruck des Totalitarismus und Etatismus denunzieren. Sie wissen nicht, daß die staatlich verfaßte bürgerliche Gesellschaft und ihre Gesetzgebung ihr eigenes Wollen, ihr Wille, ist; sie wissen also nicht, daß sie, die den Staat bekämpfen oder auf ein Minimum reduzieren, indem sie die Freiheit wollen, ihr staatlich Verfaßtsein wollen müssen: den Staat.
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tiv, eben eine Gesetzgebung der Vernunft ist, den Willen aller als ihren eigenen allgemeinen Willen anzuerkennen und in den Willen Eines Subjekts16 einzubringen, das als ein künstliches, gesamtgesellschaftliches Subjekt von ihnen geschaffen, ihr eigenes Werk, die von ihnen als Assoziierten selbst geschaffene Institution ist und die Aufgabe hat, ihren eigenen Willen als allgemeinen Willen, Freiheit in der Form des Rechts zur Geltung zu bringen: dies ist die Idee des Rechts,
wie sie zum ersten Mal - und sicherlich nicht frei von Zweideutigkeiten, Widersprüchen und Problemen, von Hobbes entwickelt worden ist. Und es ist diese Idee, die nach mannigfaltiger Modifikation, vor allem bei Rousseau, auch Kants Idee des Rechts ist.
5. An diesen Begriff des Rechts und diese Konzeption des Rechtszustands sind viele Fragen zurichten,nicht zuletzt die Frage: Was ist oder heißt hier "Idee"! Unabhängig davon, wie diese Frage beantwortet wird, und unabhängig davon auch, daß weder Hobbes noch Rousseau von Idee überhaupt oder von Idee des Rechts sprechen, ist vorab festzuhalten: Hobbes teilt die Position des Karneades. Nochmals: Recht ist nicht von Natur. Hobbes entwickelt aber über Karneades hinaus: Recht ist ein Erzeugnis der Freiheit des Menschen, denn alle
Menschen sind von Natur aus frei. Hobbes entwickelt daraus auch: - Recht ist zwar nicht von Natur. Aber dennoch ist nicht alles Recht positiv.
- Es existiert ein überpositives - an allen Orten, zu allen Zeiten gültiges Recht als ein System der Bedingungen, unter denen allein zwischen Recht 16
1
Persona und und *una omnium voluntas ' sind die termini technici und definientia, die den Schlüssel zum Verständnis der Idee des Rechts und des Staates bei Hobbes ausmachen; vgl. De Cive V, 6: "Quoniam igitur conspiratio plurium voluntatum ad eundem finem non sufficit ad conseruationem pacis, & defensionem stabilem, requiritur vt circa ea quae ad pacem & defensionem sunt necessaria, vna omnium sit voluntas. Hoc autem fieri non potest, nisi vnusquisque voluntatem suam, alterius vnius, nimirum vnius Hominis , vel vnius Concilij, voluntatis ita subiiciat, vt pro voluntate omnium & singulorum, habendum sit, quicquid de iis rebus quae necessariae sunt ad pacem communem, ille voluerif. De Cive V, 9: " Vnio autem sic facta, apellatur ciuitas , si ve societas ciuilis·, nam cum vna sit omnium voluntas , pro vnâ personâ habenda est; & nomine vno ab omnibus hominibus particularibus distinguenda & dignoscenda, habens iura sua, & res sibi proprias. Ita vt neque ciuis aliquis, neque omnes simul (si excipiamus eum cuius voluntas sit pro voluntate omnium) pro ciuitate censenda sit. CIVITATIS ergo (vt earn definiamus) est persona vna , cuius voluntas , ex pactis plurium hominum, pro voluntate habenda est ipsorum omnium; vt singulorum viribus & facultatibus vti possit, ad pacem & defensionem communem."
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und Unrecht, iustum et iniustum theoretisch und praktisch, objektiv und deshalb auch allgemeingültig unterschieden werden kann. Dadurch ist dieses überpositive Recht nichts anderes als die Gesamtheit der Bedingungen der Möglichkeit des Rechts überhaupt und seiner Positivierung - überpositives Recht als ein überpositives System der Bedingungen der Möglichkeit von Recht - der Positivierung und der Positivität des Rechts - überhaupt.
- Dieses System der Bedingungen und objektiv allgemeingültigen Kriterien der Unterscheidung von Recht und Unrecht ist die Konsequenz aus dem allgemeinen Begriff, d.h. der Natur, der Freiheit. Freiheit impliziert also als ihr eigenes allgemeines Gesetz: - Freiheit eines jeden, - das Recht eines jeden, aus dem die Verpflichtung aller anderen freien Subjekte resultiert, das Recht dieses einen - und damit jedes einzelnen zu achten, anzuerkennen, zu schützen und zu verteidigen, - Gerechtigkeit - das Suum cuique tribuere als gesellschaftliche Ordnung der Distribution eines Mein und Dein für jedermann17 - , all dies ist nur möglich, wenn der freie Wille des einzelnen und der Wille aller anderen Eins sind. Dies wiederum bedeutet: dieser freie Wille ist - ein einziger Wille, der zugleich einzelner und allgemeiner Wille ist, - ein vernünftiger Wille: denn er ist ein Wissen, daß jeder frei sein, ein Recht und ein bestimmtes Mein nur dann haben kann, wenn alle anderen eben dies als obersten und letzten Zweck - als Zweck der Freiheit an sich selbst - anerkennen, d.h. wissen und wollen; wenn der Wille aller Individuen dieser Eine Wille ist: Recht, Freiheit und Gleichheit, ein Mein und Dein für jeden als ihren obersten und letzten Zweck zu wollen. Dies ist der Grund und das Telos ihrer Vereinigung: Selbstbestimmung als Substanz, allgemeines Gesetz und Zweck der Freiheit an sich selbst. Dieses Telos ist also ein vernünftiger Wille, der weiß: sich so zu vereinigen ist die Bedingung dafür, daß Recht wirklich werden kann - 'Recht', das heißt: die Freiheit, die ich will, und die dadurch gesetzte Verpflichtung, d. i. Nötigung, aller anderen, diese meine Freiheit, mein Recht, zu achten, nicht zu verletzen. Und dieser Wille ist allgemein - jeder hat ihn, muß ihn haben, ob er das empirisch weiß und will oder nicht: sich in einer solchen Verfassung des freien Lebens und Handelns zu vereinigen ist unbedingt geboten, der Wille eines je-
17
Vgl. TuP, v m 289i 6 _2 8 ; VI 2 6 7 1 M 7 , 30534 - 306g und 30620-22·
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den als der allein gesetzgebende allgemeine Wille 18 , den jeder deshalb haben muß, weil dies die Vernunft oder die Logik, das Gesetz seiner Freiheit ist: die Logik von Recht und Pflichten, oberste Bedingung der Möglichkeit jeder äußeren Pflicht, allseitiger Verpflichtung und damit von Recht und Pflicht überhaupt.19 Die Logik der Idee des Rechts bedeutet also: Wer Recht will, will damit eo ipso die Verpflichtung - die Nötigung - aller anderen und seine eigene: die Freiheit und das Recht aller anderen Menschen anzuerkennen, praktisch zu achten, nicht zu verletzen, zu schützen, und zwar ggf. so, daß er selbst zu dieser Anerkennung von Freiheit und Recht eines jeden gezwungen werden kann - weil dies sein eigener Wille ist. Diese Vereinigung ist also die vernünftige
Einsicht in die zwingenden Kon-
sequenzen des Gesetzes der Freiheit als Grund der Freiheit und des Rechts eines jeden Menschen: die Konstitution einer allgemeinen, vernünftigen Subjektvität, von der alle wissen und wollen, daß es ihr eigener freier Wille ist, der sich hier das Gesetz gibt und damit Recht schafft. Dies - und nicht die absolute Subjektivität oder Absolutheit der Monarchie oder der Absolutismus des Nationalstaates - ist die Substanz von Hobbes' 'una voluntas', 'unio', 'persona una', die der Staat ist. Allerdings ist die absolute Subjektivität - also die absolute Macht, das legibus solutus des princeps, kurz: die Souveränität - die Implikation der Natur oder des Begriffs dieses einen allgemeinen vernünftigen freien Willens. Diese Absolutheit - d.h. Souveränität - des allgemeinen Willens ist deshalb auch, wie schon Rousseau weiterentwickeln wird, inaliénable, indivisible etc.20 Absolute Souveränität ist damit der überpositive, nichteliminierbare, wesentliche und konstitutive Bestandteil der Rechtsordnung der Freiheit, des allgemeinen Gesetzes der Freiheit selbst. Aber diese Absolutheit ist die logisch-ontologische Konsequenz der Freiheit, ihr immanent - mit ihr, wie Hegel sagen wird, ein und dasselbe, absolut identisch. Und es ist dieselbe Absolutheit der Freiheit, die - mit der Majestät des Ganzen des Rechtszustands identisch - auch der Naturzustand ist 21 , eine Identität, die dialektisch und deshalb Identität der 18 Vgl. VI 25327 ff.: "der Grund der Gültigkeit eines solchen Begriffs vom Besitze (possessio noumenon) als einer allgemein-geltenden Gesetzgebung", ferner VI 256g_i3 und: "die Idee eines a priori vereinigten (nothwendig zu vereinigenden) Willens aller", der als "der Zustand [...] eines zur Gesetzgebung allgemein wirklich vereinigten Willens [...] der bürgerliche Zustand" (VI 26417.23) ist und allein der Grund der Verbindlichkeit und des Rechts sein kann. 19 V m 28923-26· 20 Vgl. dazu die Titel und Texte des Contrat social Π, 1 und Π, 2 ff. 21 G.W.F. Hegel, Ueber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, in Gesammelte Werke, hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften (im folgenden abgekürzt GW), Bd. 4: Jenaer kritische Schriften, S. 427g_28: "Der Naturzustand und die den Individuen fremde und darum selbst einzelne und be-
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Identität und Nichtidentität ist. Und weil sie dies ist, deshalb ist diese Dialektik der Freiheit auch so schwer zu begreifen und am Anfang, von Hobbes, gar nicht artikuliert, von Rousseau erstmals und ansatzweise entwickelt worden. Begriffen wird sie dann von Kant, aber letzten Endes doch nicht aufgehoben. Diese Probleme vorzustellen, vor allem was die Idee des Rechts anbetrifft, zu der Kant diese Konzeption weiterentwickelt hat, ist der Zweck der folgenden Abschnitte meines Essays.
6. Das von Kant selbst bereits gesehene, ja sogar artikulierte - in der KantInterpretation sich in mannigfaltigen Formen reproduzierende - Problem ist: Ist Kant Hobbesianer oder Überwinder des Hobbes? Ist die oben als Idee des Rechts skizzierte Konzeption tatsächlich Hobbes oder ist sie nicht vielmehr ein kantianisierter Hobbes oder ein hobbesianisierter Kant? Nun hat Kant selbst ja schon die Notwendigkeit gesehen, sich "gegen Hobbes" abzugrenzen.22 Aber das, was dann unter diesem Titel folgt, ist in zentralen Punkten mit Hobbes nicht nur verträglich, sondern Hobbes verpflichtet: - Recht ist eine "Verbindung [...], die an sich selbst Zweck [...] unbedingte und erste Pflicht ist" und "eine solche ist nur in einer Gesellschaft, so fern
sie sich im bürgerlichen Zustand befindet, d. i. ein gemeines Wesen ausmacht, anzutreffen" (TuP, VIII 289 18 . 23 ). Recht wird deshalb definiert als "das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes anderen Eingriff gesichert werden kann" (VIII 289 25 _ 28 ), und wird dadurch mit dem "öffentlichen Recht" identifiziert. 23
sondere Majestät und Göttlichkeit des Ganzen des Rechtszustandes, so wie das Verhältniß der absoluten Unterwürfigkeit der Subjecte unter jene höchste Gewalt sind die Formen, in welchen die zersplitterten Momente der organischen Sittlichkeit [...] als besondere Wesenheiten fixirt, und eben dadurch, so wie die Idee verkehrt sind. Die absolute Idee der Sittlichkeit enthält dagegen den Naturzustand und die Majestät als schlechthin identisch, indem die letztere selbst nichts anders als die absolute sittliche Natur ist, und an keinen Verlust der absoluten Freyheit [...] oder ein Aufgeben der sittlichen Natur, durch das reellseyn der Majestät gedacht werden kann; [...] in der Idee ist die Unendlichkeit wahrhaftig, die Einzelnheit als solche nichts, und schlechthin Eins mit der absoluten sittlichen Majestät, welches wahrhaft lebendige nicht unterwürfige Einsseyn allein die wahrhafte Sittlichkeit des Einzelnen ist." 22 TuP, Vm 289 ff. 23 "Recht ist die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, in so fern diese nach einem allgemeinen Gesetze möglich ist; und das öffentliche Recht ist der Inbegriff der äußeren
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- Nur der status civilis (Hobbes) oder das öffentliche Recht (Kant) ist also der Zustand, in dem Recht möglich und wirklich ist, eine Bestimmtheit des Mein und Dein stattfindet und das Recht eines jeden von allen anderen anerkannt wird. Insofern müßten Hobbes und Kant auch Hegels Ausdruck für diesen Sachverhalt zustimmen: "Ein Naturzustand ist [...] ein Zustand der Gewalttätigkeit und des Unrechts, von welchem nichts Wahreres gesagt werden kann, als dass aus ihm herauszugehen ist. Die Gesellschaft ist dagegen der Zustand, in welchem allein das Recht seine Wirklichkeit hat; was zu beschränken und aufzuopfern ist, ist eben die Willkür und Gewalttätigkeit des Naturzustandes."24
Ebenso gilt: Schon nach Hobbes ist der Naturzustand kein historisches Faktum, sondern eine bewußte und gewollte Abstraktion von den Bedingungen des status civilis, des öffentlichen Rechts, d.h. des Rechtszustandes überhaupt. Insofern gilt schon nach Hobbes, was Kant für den Gesellschaftsvertrag pointiert herausstellt: er ist "ein ursprünglicher Kontrakt, auf den allein eine bürgerliche, mithin durchgängig rechtliche Verfassung unter Menschen gegründet und ein gemeines Wesen errichtet werden kann"; allein er "ist keineswegs als ein Faktum vorauszusetzen nötig (ja als ein solches gar nicht möglich)" (TuP, VIII2972-8). Unabhängig davon also, ob der Naturzustand als ein historisch-empirisches Faktum angenommen wird oder nicht - was nach Hobbes wie nach Kant nicht möglich, aber auch, für die philosophische Theorie der Begründung des Rechts, nicht nötig ist; unabhängig davon auch, ob man den hobbesianischen Dreischritt Naturzustand (libertas) - Vertrag - Staat (Imperium, Souveränität) als von Kant überwunden ansieht oder nicht, gilt für Hobbes wie für Kant: Es ist nur "das öffentliche Recht" (TuP, VIII 2902 f.), "der bürgerliche Zustand also, bloß als ein rechtlicher betrachtet" (TuP, VIII 290 16 ), der "Zustand eines öffentlichen Rechts" (EF, VIII 3 8627 f.), also der "transzendentale Begriff des öffentlichen Rechts" (EF, VIII 3812 f.), unter dem Recht als "die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann [...] nach einem allgemeinen Gesetze möglich" ist (TuP, V I I I 28935 - 290 2 ).
Ein Zustand des "Privatrechts", als ein besonderer - für sich und unabhängig von der Staatsverfassung einer societas civilis bestehender - Rechtszustand ist danach ausgeschlossen. Denn allein "das öffentliche Recht ist der Inbegriff der äußeren Gesetze, welche eine solche Zusammenstimmung möglich machen" (TuP, Vili 29O2-5). Wenn Recht also - wie zitiert - "die Einschränkung Gesetze, welche eine solche durchgängige Zusammenstimmung möglich machen" (VHI 289 35 -29O4). 24 Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817) § 415 A = Enz2/3 § 502 A.
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der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann [...] nach einem allgemeinen Gesetze" ist, dann gibt es Recht in einem Zustand nicht, in dem die Freiheit eines jeden nicht auf diese Bedingung eingeschränkt ist. Mit der gelegentlich von Hobbes, aber auch von Kant übersehenen Konsequenz: Rechtsakte als Rechte des einen und Pflichten aller anderen begründende Akte - z.B. die prima occupatio oder die ursprüngliche Erwerbung eines Mein und Dein - sind in dem irreführenderweise gelegentlich sogar von Kant selbst so genannten Zustand des bloßen Privatrechts (RL, VI 306 19 ff), in dem von einem allgemeinen gesetzgebenden und machthabenden Willen abstrahiert wird und der, wie Hobbes es korrekt ausdrückt, der Zustand extra societatem civilem ist, nicht möglich. Recht und insbesondere Property - in der Lockeschen Bedeutung als Life, Liberty and Estate sind nach Hobbes wie nach Kant als 'antecedent to government' unmöglich, weil es an einer justitia distributiva fehlt 25. Es ist zwar möglich, daß der einzelne oder auch viele einzelne der lex iusti folgen, d.h. sich rechtmäßig verhalten und daß andere einzelne sich auch über Materien der Willkür, d.h. in Beziehung auf etwas, "dessen Besitzstand rechtlich ist" (RL, VI 3O69 f ), einigen können. "Möglichkeit oder Wirklichkeit [...] des Besitzes der Gegenstände (als der Materie der Willkür)" sind also gegeben, nicht aber die "Nothwendigkeit des Besitzes der Gegenstände", nicht also Besitz als Rechtsverhältnis, intelligibler Besitz, d.h. nicht als Eigentum (RL, VI 3063_g). Nur als Vorbereitung auf oder als 'Einleitung' in Rechtsverhältnisse26 sind Rechtsakte möglich, als Akte provisorischer Erwerbung, woraus "ein wirkliches, aber nur provisorisches äußeres Mein und Dein" (RL § 9 Titel, VI 2562o f ) resultiert. Solche Rechtsakte - und mit ihnen ein provisorisches Mein und Dein im nichtrechtlichen Zustand - sind nach Kants Überzeugung konzeptionell jedoch notwendigerweise anzunehmen, weil nur so der "Übergang von dem Mein und Dein im Naturzustande zu dem im rechtlichen Zustande überhaupt" (RL, § 41 Titel) erklärt und als unbedingt gebotene Pflicht deduziert werden kann.27 Dem widersprechen jedoch andere Äußerungen Kants, wonach es für diesen Übergang keines besonderen rechtlichen Aktes mehr be-
25 "[...] austheilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva) [...] Der nicht-rechtliche Zustand, d. i. derjenige, in welchem keine austheilende Gerechtigkeit ist, heißt der natürliche Zustand (status naturalis)" (VI 3067.1g). 26 Vgl. RL§ 16, VI 267 2 6 ff. 27 "Alle Garantie setzt also das Seine von jemandem (dem es gesichert wird) voraus. Mithin muß vor der bürgerlichen Verfassung (oder von ihr abgesehen) ein äußeres Mein und Dein angenommen werden und zugleich ein Recht, jedermann [...] zu nöthigen, mit uns in eine Verfassung zusammen zu treten, worin jenes gesichert werden kann" (VI 25630-35)· - Aus dieser Überlegung resultiert auch das "bürgerliche Verfassung ist allein der rechtliche Zustand, durch welchen jedem das Seine nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bestimmt wird" (VI 25627.29)·
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darf. 28 Denn: dieser Übergang - das exeundum (VI 26732) - oder die Stiftung eines bürgerlichen Zustands, Vereinigung, die "unbedingte und erste Pflicht" (VIII 289 2 i) ist oder schließlich "die bürgerliche Verfassung" selbst, "obzwar ihre Wirklichkeit subjectiv zufällig ist, ist gleichwohl objectiv, d. i. als Pflicht, nothwendig [...] und ihre Stiftung ein wirkliches Rechtsgesetz der Natur" (VI 2645_8). Dieser Übergang vom Naturzustand in den Rechtszustand, der Staatszustand oder öffentliches Recht ist, bedarf nach Kant "gar nicht eines besonderen rechtlichen Actes", weil diese Notwendigkeit "schon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung wegen der Allgemeinheit, mithin auch der Reciprocität der Verbindlichkeit enthalten ist" (RL, VI 2562_5). Die Pflicht oder Verbindlichkeit eines jeden, das Recht eines jeden anderen zu achten, resultiert aus "der Idee eines a priori vereinigten (nothwendig zu vereinigenden) Willens aller", ein Wille, der "der Zustand eines zur Gesetzgebung allgemein wirklich vereinigten Willens [...] der bürgerliche Zustand" ist (VI 264i6_23)· Weil es also keine iustitia distributiva gibt, kann im nichtrechtlichen Zustand zwar "ein wirkliches, aber nur provisorisches äußeres Mein und Dein statt haben" (RL § 9 Titel, VI 25620 f.)· Streng genommen ist also ein solches ursprünglich erworbenes Recht kein Recht, kein Eigentum. Und nur deshalb seinen Prinzipien treu bleibend - kann Kant, der von ihm im eben zitierten Titel des § 9 ebenfalls vertretenen These, daß ein Privatrecht auch unabhängig vom Staat und vor dem öffentlichen Recht möglich und wirklich ist, im Titel des vorhergehenden § 8 widersprechen und sagen: "Etwas Äußeres als das Seine zu haben, ist nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlichgesetzgebenden Gewalt, d. i. im bürgerlichen Zustande möglich" (RL, VI 255 23 .25).
Deshalb ist der Naturzustand "nicht-rechtlich" und der bürgerliche Zustand des Rechts der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, der Staatszustand also, allein der Rechtszustand. Und nur ein Rechtszustand bestimmt das Mein und Dein für einen jeden. Daß aber das ursprünglich Erworbene nur provisorisch und daher kein Recht ist, sondern nur eine provisorische "Gunst" sc. ein mögliches Rechtsverhältnis zu sein oder werden zu können - für sich hat, erklärt Kant in dem Begriff einer ursprünglichen Erwerbung gewidmeten § 16 wie folgt: "weil sie vor dem rechtlichen Zustande vorhergeht und, als bloß dazu einleitend, noch nicht peremtorisch ist, welche Gunst sich aber nicht weiter erstreckt, als bis zur Einwilligung Anderer (Theilnehmender) zu Errichtung des Letzteren [sc. des rechtlichen oder bürgerlichen Zustands, B. T.], bei dem Widerstande derselben aber in diesen (den bürgerlichen) zu treten, und so lange derselbe währt, allen Effect einer rechtmäßigen Erwerbung bei sich führt, weil dieser Ausgang [sc. aus dem
28 Vgl. dazu den weiter unten im Kontext zitierten Zusatz zu "einem ursprünglich und a priori vereinigten Willen": "der zu dieser Vereinigung keinen rechtlichen Act voraussetzt" (VI 26713_i5).
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nichtrechtlichen in den rechtlichen Zustand, das exeundum also, B. T.] auf Pflicht gegründet ist" (RL, VI 267 26 _ 32 ).
Kant in dieser Weise in die Nähe von Hobbes zu rücken, wenn nicht gar seine Idee des Rechts mit der Konzeption von Hobbes substantiell zu identifizieren bedeutet nicht, Kant herabzusetzen, im Gegenteil: es bedeutet, die außerordentlichen, konzeptionell-philosophischen Leistungen, aber auch die daraus resultierenden Probleme der Philosophie des Rechts bei Kant herauszuarbeiten. Diese Leistungen können in aller Kürze und schlagwortartig wie folgt bezeichnet werden: - Das Recht wird Idee. - Die Idealität des Rechts ist transzendental. - Das öffentliche Recht ist "transzendental".29 - Die Notwendigkeit des Rechts und der dictamina rectae rationis wird konsequent apriorisiert. Sie ist daher auch nicht mehr hypothetisch, nämlich von irgendeinem Willensakt abhängig, sondern - und zwar nur deshalb kategorisch. Deshalb ist auch der Gesellschaftsvertrag als apriorisierter contractus originarius als historisch-empirisches Faktum weder möglich noch wirklich noch notwendig, also entbehrlich: denn die Notwendigkeit des Rechts und der Pflichten eines jeden ist empirisch nicht zu begründen. - Die Notwendigkeit, in den Rechtszustand zu treten, d.h. den Naturzustand aufzuheben, wird unbedingt: sie wird also unabhängig von jeder historischempirischen Bedingung als notwendig behauptet und erwiesen, d.h. absolut begründet - Dementsprechend ist die Vereinigung mit anderen - mit allen anderen Menschen - zu einem Rechtszustand "Verbindung, die an sich selbst Zweck ist" - "unbedingte und erste Pflicht [...] an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht [...] das Recht der Menschen unter öffentlichen
Zwangsgesetzen,
durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes anderen Eingriff gesichert werden kann" (TuP, VIII 289i6_ 28). Diese "Pflicht an sich selbst", die unbedingt geboten und deshalb Zweck an sich selbst ist, ist die Vereinigung "in einer Gesellschaft, so fern sie sich im bürgerlichen Zustand befindet, d. i. ein gemeines Wesen ausmacht" (TuP, VIII 28922 f.): das Recht = das öffentliche Recht (VIII 2903) = das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen (VIII 28926). Recht ist Pflicht, der Staat - Stiftung einer staatlich verfaßten Gesellschaft - ist Pflicht. Das Recht der Menschheit - also eines die ganze Menschheit umfassenden Rechtszu29
Vgl. dazu vor allem EF, Vm 3812, 3826, 3 8 2 n .
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stands - , d. i. der Ewige Friede ist Pflicht: der "ganze[n] Endzweck der Rechtslehre innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" (RL, VI 355g f.), das "Ideal einer rechtlichen Verbindung der Menschen unter öffentlichen Gesetzen [...] diese Idee, welche [...] in continuirlicher Annäherung zum höchsten politischen Gut, zum ewigen Frieden, hinleiten kann" (RL, VI 35522-3o)· In diesem Sinne also wird und ist bei Kant das Recht "Idee", Recht aus reiner Vernunft, transzendentale Idealität der Vereinigung der Freiheit eines jeden mit der Freiheit anderer Menschen oder des Menschen schlechthin. Nur unter dieser Voraussetzung kann Recht überhaupt bestimmt werden, und erst dann kann es auch gesichert werden. Die Funktion des Staates ist deshalb auch nach Kant nicht allein, Recht - das schon unabhängig vom Staat bestünde zu sichern. Auch nach Kant existiert Recht unabhängig vom Staat überhaupt nicht.30 Denn: Recht ist eben nur und allein "Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, durch welche jedem das Seine bestimmt [...] werden" kann - eben jener Zweck, der "an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht ist (TuP, VIII 28923-28)· Aus diesem Grunde vereinigt Kant auch das "bestimmt und gesichert" in der Definition des Rechts (TuP, VIII 289 27 ). Öffentliches Recht, Staatsverfassung und staatlicher Zustand sind also bei Kant nicht wie bei Locke bloß sekundäre Funktionen der Sicherung des an sich auch unabhängig vom Staat existierenden Rechts. Öffentliches Recht und Staat sind das Definiens des Rechts, im Begriff, in der Idee des Rechts enthalten. Kant ist nicht Lockeaner, kein Empirist der praktischen Philosophie. Seine Rechtsphilosophie ist eine Metaphysik der Sitten. Das Recht bedarf einer solchen Metaphysik, um "diese Idee" und ihre "bewährteste objective Realität" (RL, VI 35522 f ) zu begründen: "das Ideal einer rechtlichen Verbindung der Menschen unter öffentlichen Gesetzen" (RL, VI 355 15 f). Deshalb ist der Staat nicht nur Rechtssicherungsinstanz oder Hilfsmittel und kann es nicht sein. Der Staat und sein allgemeiner, gesetzgebender und machthabender Wille allein schafft Recht als ein System der Rechte und durchgängigen Verbindlichkeit31 - das System des Rechts und der Freiheit der Menschen, aller Menschen überhaupt: öffentliches Recht, Staatsverfassung, Positivität sind für das Recht überhaupt konstitutiv.
30
obwohl er das, sich selbst widersprechend, auch behauptet: in RL § 9, VI 25631 ff , oben zitiert, und: "Irgend eine ursprüngliche Erwerbung des Äußeren aber muß es geben, denn abgeleitet kann nicht alle sein" (VI 26631.33). 31 und, als durchgängige Verpflichtung, muß sich das Recht als "das Recht der Menschen" (TuP VIII28926) a u f die Menschheit insgesamt beziehen, und wird, wenn der ursprüngliche Vertrag "sich nicht aufs ganze menschliche Geschlecht erstreckt", wie "die Erwerbung doch immer nur provisorisch bleiben" (RL, VI 2 6 6 3 5 . 3 7 ) .
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Aber genau in dieser transzendentalen Idealität sind alle in letzter Konsequenz ungelösten Probleme enthalten bzw. resultieren aus ihr: - die Analytizität ohne Synthetizität: die "Sicherstellung", jeder andere werde sich "in Ansehung des Meinen nach demselben Princip verhalten (sc. das Seine eines jeden unangetastet zu lassen) bedarf "nicht eines besonderen rechtlichen Acts", weil sie "schon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung wegen der Allgemeinheit, mithin auch der Reciprocität der Verbindlichkeit aus einer allgemeinen Regel enthalten ist" (RL, VI 2562-5). Und: sie (sc. diese Sicherstellung) bedarf dessen doch!32 - die absolute Aposteriorität, mit der Konsequenz: Zufälligkeit der Bestimmung des Mein und Dein; - Kants Schwanken: mal wird das Mein und Dein a priori bestimmt, mal bloß empirisch; - bald ist die Vereinigung oder das öffentliche Recht, damit das Recht überhaupt, bloße Idee, als historisches Faktum nicht einmal möglich; bald muß es - sc. das Recht, der Staat etc. - historisch-empirisch genommen werden, sonst taugt die transzendentale Idealität nicht für die Praxis. Dieses systematische Verhältnis zwischen Theorie und Praxis, Theorie und Empirie, Apriorität und Empirizität ist der Grund des Scheiterns der Rechtsphilosophie bei Hobbes und bei Kant. Es ist dieses Verhältnis, das Herb und Ludwig als die beiden argumentativen Wege ansprechen33, aber nicht als Konsequenz der transzendentalen Idealität, ihrer Dialektik, und damit der Idee des Rechts selbst begreifen. Die kategorische Notwendigkeit des überpositiven Rechts, die Notwendigkeit der dictamina rectae rationis und dieser ratio Kants praktischer Vernunft - selbst ist nichts anderes als die Notwendigkeit der Freiheit, die Natur des freien Willens selbst34: wenn dieser freie Wille als Wille eines jeden Menschen - Wirklichkeit werden können soll, dann nur, wenn er weiß, daß seine Freiheit nicht die absolute Freiheit des ius in omnia35, sondern Freiheit unter Rechtsgesetzen ist. Freiheit zu begreifen bedeutet also:
32
Vgl. dazu RL § 44, insbesondere. VI 312I4_2I, aber auch 25535 F Karlfriedrich Herb/Bernd Ludwig, Naturzustand, Eigentum und Staat. Immanuel Kants Relativierung des "Ideal des hobbes", in: Kant-Studien 83 (1993), S. 283-316. 34 So Kant wörtlich: RL, VI 21322-2635 Vgl. RL § 44, insbesondere die "Vernunftidee eines nicht-rechtlichen Zustandes" 33
( V I 3127.12).
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- Freiheit des Willens ist essentiell die Freiheit unter dem selbstgegebenen kategorisch und "unbedingt" gebietenden36 - Gesetz, sich mit anderen mit allen anderen Menschen - in einem öffentlich-rechtlichen Zustand, einem bürgerlichen Zustand, d. i. dem Zustand des Rechts der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, zu vereinigen. - Ein freies Subjekt - ein freier Mensch zu sein, Recht unter Menschen zu besitzen, heißt: seine individuelle Freiheit dem ihr immanenten allgemeinen Gesetz zu unterwerfen, auf das ius in omnia und das ipse-iudex-Prinzip zu verzichten und sich Einem freien Willen zu unterwerfen, der allgemeiner und machthabender Wille und deshalb auch der eigene Wille eines jeden freien Individuums ist, weil nur unter dieser Bedingung - der Identität des individuellen und des allgemeinen-machthabenden37 gesellschaftlichen Willens der Rechtsgemeinschaft - Freiheit des Willens von Subjekten möglich ist, die der Rechte und Pflichten fähig sind. - Der Rechte fähig zu sein, eine Person zu sein, heißt: zu wissen, daß man nur dann ein Recht hat, wenn alle anderen dies wissen, es nicht verletzen, also achten und dies Wissen auch wollen, d.h. tätig umsetzen und sich dafür einsetzen. - Dies wiederum ist identisch damit, daß auch der Berechtigte selbst weiß, daß sein in seinem Recht Anerkanntsein nur dann allgemeingültig ist, wenn er selbst eben dasselbe weiß und will. Das bedeutet: wenn er sich selbst verpflichtet weiß, diese seine Rechtsfähigkeit in der tätigen Anerkennung der Rechte aller anderen durch sein eigenes Handeln zu verwirklichen. Der Rechte fähig zu sein und allen anderen rechtsfähigen Subjekten, d.h. allen Personen gegenüber zur Anerkennung derselben Rechte verpflichtet zu sein, ist ein und dasselbe, ist identisch: nämlich das Rechtsverhältnis zwischen Menschen. Recht und Pflicht sind deshalb ein und dasselbe Verhältnis zwischen Menschen als freien Subjekten, die dies nur dann sind, wenn dies ihr eigener freier, individueller und allgemeiner Wille ist. Dies ist der Grund - diese analytische Notwendigkeit, die aus der Idee oder dem allgemeinen Begriff des Rechts resultiert38 - weshalb Kant wiederholt sagt, daß die Notwendigkeit, sich dem Rechtszwang, die eigene Freiheit auf
36
Vgl. TuP Vm 28922 und Kontext. Vgl. dazu nochmals RL §§ 7 und 8. 38 Vgl. dazu RL § 8, VI 2563 und die in § 7 thematisierte Selbstverpflichtung zu einer allgemeinen Gesetzgebung: sie ist in dem "Dieser äußere Gegenstand ist mein" (VI 25334) analytisch enthalten, und eben darum werden aus diesem Begriff eines intelligiblen Besitzes als allgemeiner Gesetzgebung (VI 25332 f.) analytisch die universale Allgemeinheit von Rechten und Pflichten und des staatlichen Zustands als zwingende, unbedingt gebotene Konsequenz der Idee des Rechts entwickelt. 37
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die Bedingung ihrer Verträglichkeit mit der Freiheit von jedermann zu unterwerfen, aus dem bloßen Begriffe des Rechts folgt: deshalb sind Recht und Zwang einerlei (RL §§ D, E), deshalb enthält jede freie Handlung als ein Rechtsakt - sogar die prima occupatio als ein Rechtsakt, das bloße Wollen eines Mein und Dein, als intelligibler Besitz und Eigentum, d.h. als ein alle anderen Rechtssubjekte verpflichtender Anspruch oder Recht - schon kraft seiner bloßen Rechtsform eine aus dem bloßen Begriff des Rechts folgende notwendige Beziehung auf einen allgemeinen machthabenden Willen (RL § 8) oder auf den eigenen Willen als einen gesetzgebenden Willen (VI 25327_36), der sich nur im bürgerlichen oder öffentlich-rechtlichen Zustand verwirklichen kann. Dies ist eo ipso auch der Grund dafür, daß die "Sicherstellung", "das äußere Seine des Anderen unangetastet zu lassen [...] gar nicht eines besondern rechtlichen Acts bedarf, sondern schon im Begriff einer äußern rechtlichen Verpflichtung wegen der Allgemeinheit, mithin auch der Reciprocität der Verbindlichkeit aus einer allgemeinen Regel enthalten ist" (RL, VI 25533 - 2565). Nötigung der Willkür durch Unterwerfung unter staatlich organisierten Rechtszwang zur Realisierung des allgemeinen und machthabenden Willens ist also a priori in der Idee des Rechts enthalten: kraft dieser Idee des Rechts bedarf es "eines besondern rechtlichen Acts" der Sicherstellung, der Unterwerfung, des Gesellschaftsvertrags als eines historisch-empirisch zu vollziehenden Aktes der Vergesellschaftung und Stiftung der bürgerlichen Verfassung - des Staates - nicht. Ja, diese Idee ist einer solchen historisch-empirischen Begründung gar nicht fähig. Der Vertrag kann deshalb ein besonderer Akt der Begründung des Rechts nicht sein. Er muß selbst Idee sein, und das bedeutet: der sog. ursprüngliche Vertrag ist als Idee in der Idee des Rechts selbst enthalten. Und nur deshalb oder dadurch entfaltet das Recht seine unbedingte Geltung. 7.7. Aber genau diese bloß analytisch aus dem allgemeinen Rechtsbegriff folgende Notwendigkeit ist das Problem: denn eine synthetische Notwendigkeit ist sie nicht. Sie kann es auch nicht sein, weil es gerade die transzendentale Idealität oder der Begriff des Rechts als Vernunftbegriff oder Idee ist, der die Notwendigkeit impliziert, von jeder Beziehung auf irgendeine Materie des Wollens - auf Zwecke oder ein Objekt des freien Willens - zu abstrahieren. Dies ist auch der Grund, weshalb sich diese praktische Vernunft für sich genommen nicht "erweitern" und dieser freie Wille sich nicht schon kraft seines Begriffs oder kraft des allgemeinen Gesetzes der Freiheit allein auf Objekte als Materie der Willkür und als ein durch diesen freien Willen bestimmtes und als Recht anerkanntes Mein oder Eigentum beziehen kann: Die Begründung des
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Eigentums als eines ursprünglichen, a priori aus reiner Vernunft konstituierten Rechts folgt deshalb, wie Kant ausdrücklich sagt (RL, VI 247!_8), nicht aus dem allgemeinen Begriff des Rechts, sondern muß postuliert werden. Nur dank diesem oder durch dieses Postulat "erweitert" sich die praktische Vernunft, bezieht sich auf Objekte in der Rechtsform des Eigentums, der rechtlichen Aneignung oder ursprünglichen Erwerbung und begründet damit zugleich die Verpflichtung aller anderen, die einseitige Handlung des primus occupans als Rechtsakt anzuerkennen. Nur durch die postulierte synthetische Erweiterung der rechtlich-praktischen Vernunft wird aus dem empirischen Besitz Eigentum. Zur Begründung des Eigentums aus reiner Vernunft a priori reicht also das Recht als Vernunftbegriff oder die Idee und damit auch die kategorische Gesetzgebung der rechtlich-praktischen Vernunft nicht hin. Dies ist das erste systematische Versagen der Konzeption einer transzendentalen Idealität des Rechts und der von aller Materie des Willens abstrahierenden Gesetzgebung der praktischen Vernunft: reine Vernunft und ihre Idee des Rechts der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen bestimmt das Mein und Dein eines jeden, und sie bestimmt es nicht. Der öffentlich-rechtliche Zustand der societas civilis bestimmt das Mein und Dein, schafft also Eigentum, und er bestimmt es nicht, schafft Eigentum nicht, sondern setzt es als historisch-empirisches Faktum voraus - ein Versagen, das Hegel zurecht als Konsequenz des transzendental-formalen Apriorismus kritisiert. Und wenn Hegel in diesem Punkt Kant die Reduktion der Gesetzgebung der praktischen Vernunft auf die Produktion von Tautologien und den Satz des Widerspruchs vorhält39, so ist dies nicht Konsequenz der falschen - von Hegel auch nicht erhobenen - Forderung einer materialen Rechtsethik, sondern Konsequenz der kantischen Prämissen40: Die Abstraktion von aller Materie der Willkür und damit des freien Willens überhaupt, die einerseits den Apriorismus und die Unabhängigkeit der Gesetzgebung der praktischen Vernunft von aller Empirie, allen sinnlichen Antrieben und allen Inhalten des Wollens möglich macht, schließt es andererseits aus, wie Kant selbst anerkennt41, Eigentum a priori aus dem bloßen Begriff des Rechts und der Gesetzgebung der praktischen Vernunft zu deduzieren. Dieser allgemeine Begriff des Rechts, dieser formale, von aller Materie abstrahierende Apriorismus, diese praktische Vernunft macht es unmöglich, irgendeine Materie a priori durch Vernunft - z.B. als Eigentum und als Rechtsverhältnis - zu bestimmen.
39 40 41
Hegel, GW 4, S. 435i 8 . 2 2 und 438 3 _ 12 . Hegel, GW4, S. 4353_ig. Vgl. erneut RL, VI 247^8.
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Die Konsequenz ist verheerend: Die Objekte - alle Objektivität - , die nicht durch Vernunft bestimmt werden können, können nur durch empirisch bestimmte Willkür bestimmt werden. Nicht Autonomie oder Selbstgesetzgebung des freien Willens, sondern Heteronomie - empirisch bestimmte Willkür - ist die Konsequenz.42 Dadurch allein gerät Kant in dieselbe Situation wie der Jurist und der Logiker und reproduziert sie nur: die Absurdität des Bock-Melkens und Siebunterhaltens. Der Logiker kann die Frage 'Was ist Wahrheit?' deshalb nicht beantworten, weil er von der Materie des Denkens abstrahiert und allein die Gesetze der bloßen Form des Denkens Gegenstand seiner Analyse sind. Von ihm ein allgemeines und hinreichendes, d.h. auch materiales, die Materie des Erkennens hinreichend bestimmendes Kriterium der Wahrheit zu verlangen, ist absurd.43 Auf dieses Problem bezieht sich Kant selbst in seinem - in der Einleitung zur Rechtslehre § Β angestellten - Vergleich der Lage des Juristen angesichts der Frage 'Was ist Recht?' mit der des Logikers angesichts der Frage 'Was ist Wahrheit?'. Genau dasselbe aber, so Hegel, widerfahrt Kant selbst: er reproduziert nur, was er dem Juristen vorhält.44 Um Apriorität und Notwendigkeit der Gesetze der Freiheit und des Rechts zu begründen, führt er das Prinzip der Abstraktion von aller Materie des Wollens ein. Eben dies macht es unmöglich, irgendein Objekt durch den allgemeinen Begriff des Rechts oder durch praktische Vernunft a priori als ein Recht zu bestimmen, als durch praktische Vernunft bestimmbar überhaupt denken zu können. Die Frage 'Was ist Recht?' wird damit unbeantwortbar, nicht zufälligerweise, sondern kraft der transzendentalen Idealität des Rechtsbegriffs als Idee oder Vernunftbegriff, dem korrespondierend kein Objekt in irgendeiner empirischen Anschauung gegeben werden kann. Die Abstraktion von aller Materie der Willkür - von aller Objektivität, die durch praktische Vernunft bestimmt werden könnte - , die zwingende Konsequenz der transzendentalen Idealität des Rechts ist, ist also der Grund des Scheiterns und müßte deshalb in einer Philosophie des Rechts, die die Bestimmung von Recht und Unrecht, recht und unrecht aus reiner Vernunft, also nichtempirisch, als unbedingte Notwendigkeit begründen will, aufgehoben werden. Abstraktion ist zwar ein durchaus unentbehrliches Moment des Rechts, kann aber nicht das Vernunftrecht begründen. Wenn also die Frage 'Was ist Recht?' doch noch von der Philosophie beantwortet werden können soll, bedarf es einer Neufassung des Begriffs des Rechts, d.h. seiner Idee und
42 43 44
Vgl. Hegel, GW 4, S. 43533_35. Vgl. KrV Β 82. Hegel, GW 4, S. 43522-33·
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seiner Idealität. Létztere kann nicht mehr transzendental konzipiert werden, weil dies der Grund des Scheiterns der kantischen Rechtslehre ist.
7.2.
Obwohl schon dieser eine Fall - der ja schließlich die Konstitution eines rechtlich bestimmten Mein und Dein a priori betrifft - hinreicht, um von einem systematischen Scheitern der transzendentalen Idee des Rechts zu sprechen, ist dies noch nicht alles. Es ist der "transzendentale Begriff des öffentlichen Rechts" selbst, d.h. der Begriff des bürgerlichen oder Rechtszustands überhaupt, der Kants Schwanken zwischen strikter Apriorität und kategorischer Notwendigkeit der praktischen Vernunft einerseits sowie der Auffassung des Naturzustands und des Übergangs aus dem Naturzustand in den Rechtszustand oder Zustand des öffentlichen Rechts andererseits als eines historischempirischen Verhältnisses und Prozesses dokumentiert. Einerseits ist die ursprüngliche Vereinigung im "Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen" (TuP, VIII 28926) oder in einem a priori vereinigten, allgemeinen und gesetzgebenden Willen - der Rechtszustand oder die bürgerliche Gesellschaft also, und damit auch der sog. ursprüngliche Vertrag - an sich Selbstzweck45, kategorisch unbedingt geboten, aus praktischer Vernunft und dem allgemeinen Gesetz der Freiheit, dem kategorischen Imperativ resultierende absolute Notwendigkeit. Der Rechtszustand ist der Zustand des öffentlichen Rechts. Öffentliches Recht und Staatsverfassung der societas civilis sind als Definiens a priori im Begriff des Rechts als Idee enthalten. Andererseits ist dieser Übergang aus dem Natur- in den Rechtszustand ein bloßes "Postulat des öffentlichen Rechts" (RL § 42, VI 307g ff ), also systematisch genau in derselben Situation wie das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft des § 2, das die Verwandlung von empirischem Besitz in intelligiblen Besitz oder Eigentum und damit die Vernunftnotwendigkeit von Eigentum als synthetischpraktisches Vernunftgesetz begründen soll. Das heißt: Auch hier, bei dem systematisch entscheidenden Begriff eines Übergangs vom Naturzustand in den Zustand des öffentlichen Rechts, oder, noch strikter, beim Problem der Begründung eines Rechtszustands überhaupt, ist die Begründung nicht Konsequenz aus dem allgemeinen Begriff, der Idee des Rechts. Und die synthetische
Erweiterung des Systems der Verpflichtungen, die aus der bloß provisorischen Aneignung im Zustand des Natur- oder bloßen Privatrechts resultieren und zu einem System allseitiger Rechtspflichten in einem Zustand peremtorischer Aneignung strikten Rechts - in einem öffentlich-rechtlichen, prinzipiell das ganze Menschengeschlecht umfassenden bürgerlichen Zustand - werden soll,
45
Vgl. dazu erneut Vm 28923_28·
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kann nach dieser Konzeption des öffentlichen Rechts als eines bloßen Postulats nicht aus dem allgemeinen Begriff oder der Idee des Rechts als analytische Konsequenz deduziert werden.46 Ebenso wie der erste Fall - der des Privateigentums oder der Bestimmung eines äußeren Mein und Dein durch den Akt der prima occupatio als Rechtsverhältnis a priori - ist auch dieser zweite. Fall - die Konzipierung des Naturzustands oder Gesellschaftsvertrags als bloße Idee 47 , die historische Fakten weder sind noch sein können, einerseits und andererseits die Behandlung eben derselben Verhältnisse als historisch-empirische Realitäten und des Übergangs aus dem Naturzustand ins öffentliche Recht als nicht-analytische Konsequenz oder synthetische, eines Postulats bedürftige Erweiterung des provisorisch-rechtlichen Zustands zu einem öffentlich-rechtlichen Zustand - systematisch fundamental. Auch hier leistet die transzendentale Idealität des Rechts und insbesondere der transzendentale Begriff des öffentlichen Rechts nicht, was er verspricht. Abermals wird die Frage Was ist Recht?' nicht; wie Kant versprochen hatte, aus dem Rückgang auf die Quellen des Rechts in der praktischen Vernunft beantwortet.
7.3. Prinzipiell dieselbe Unsicherheit oder dasselbe systematische Schwanken zwischen formalem Apriorismus einerseits, unter Abstraktion von aller Materie, die bloß empirisch bestimmt wird, und Rücksichtnahme auf eben diese faktisch gegebene Empirizität und Positivität andererseits, die a priori nicht bestimmt werden kann, hat noch eine weitere, d.h. eine dritte systematisch ebenso fundamentale und fatale Konsequenz: - einerseits zieht Kant zwingend und stringent aus seinen Prämissen, daß ein Rechtszustand unter Menschen ein Zustand des öffentlichen Rechts ist, der alle Menschen einschließt - d.h. allen ein Recht einräumt, eben deshalb aber auch allen die Verpflichtung auferlegt, die Rechte der anderen zu achten und selbst ihre Freiheit auf die Bedingung ihrer Verträglichkeit mit der Freiheit aller anderen einzuschränken - die Konsequenz, daß der Rechtszustand oder die Verfassung
einer bürgerlichen Gesellschaft nur kosmopoli-
tisch sein kann, d.h. als ein weltbürgerlicher Zustand durch einen Weltstaat organisiert werden muß. - andererseits negiert Kant aus - vielleicht pragmatischer oder wie auch immer motivierter - Rücksicht auf historisch empirische Verhältnisse eben 46
obwohl genau dies, wie gezeigt, in §§ 7 und 8 der Rechtslehre, aber auch in TuP behauptet wird und geschieht. 47 Zum Naturzustand als Idee vgl. § 44: "Vernunftidee eines solchen (nicht-rechtlichen) Zustandes (VI 3127 £ ) ; zum Vertrag: VI 3 1 5 3 1 . 3 3 und Vm 2972-20·
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diese Konsequenz und hält statt dessen nicht einen Rechtszustand, sondern viele verschiedene Rechtszustände oder bürgerliche Gesellschaften, die nationalstaatlich organisiert sind, für möglich, ja für notwendig. - Bezogen auf ein solches System vieler souveräner Staaten oder bürgerlicher Gesellschaften hält Kant ganz folgerichtig auch einen den nationalen Souverän bindenden Gesellschaftsvertrag und, unter Voraussetzung und damit der Anerkennung der Unaufgebbarkeit nationaler Souveränitäten, einen Völkerbund und damit ein Völkerrecht für möglich und nötig, das sein transzendentaler Apriorismus streng genommen ausschließt: Denn die Konsequenz dieses sogenannten Völkerrechts ist nicht der eine Zustand des Rechts der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, sondern eine Vielheit solcher Zustände. Zudem sollen dann - analog zu den vielen bereits existierenden Vereinigungen von Individuen zu bürgerlichen Gesellschaften oder Staaten - auch diese vielen souveränen Rechtsstaaten in einer sie alle umfassenden und ihnen übergeordneten Rechtsgemeinschaft vereinigt werden, dies aber so, daß diese ihnen an sich a priori übergeordnete internationale Gemeinschaft ihnen deshalb nicht übergeordnet ist und sein kann, weil alle diese nationalen Rechtsstaaten, societates civiles oder Republiken Systeme des Republikanismus des Staatsrechts sind und schon deshalb ihre eigene Souveränität nicht aufgeben, nicht aufgeben können und dürfen, 48 Es entsteht also - um Höffes Ausdruck zu benutzen - ein System abgestufter Souveränität(en)49, das aber auch sich selbst, d.h. den kategorischen Prämissen des Staatsrechts, der Idee des Rechts und damit sich selbst, widerspricht. Denn einerseits sind die einzelnen Staaten Republiken und konstituieren durch ihren allgemeinen und machthabenden souveränen Willen eine Rechtsordnung des öffentlichen Rechts, des Staatsrechts, Recht überhaupt. Dann ist jede dieser Vereinigungen eine Vereinigung, die an sich Zweck ist und nicht aufgehoben werden darf. 50 Oder sie ist es nicht. Dann sind alle diese Republiken oder bürgerlichen Gesellschaften oder Rechtszustände, Rechtsstaaten, nur Vorbereitung auf das Eine Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen. Dann ist diese eine Ordnung kraft ihres Begriffs immer nur weltbürgerlich, als Weltstaat, verfaßt und organisiert.
48
Die Frage ist allerdings: ist ein solches System nach kantischen Prinzipien überhaupt möglich? Nein! 49 Otfried Höffe, Völkerbund oder Weltrepublik? - In: Oers. (Hrsg.), Immanuel Kant. Zum ewigen Frieden (Klassiker Auslegen Bd. 1), Berlin 1995, S. 109-132, bes. S. 122. 50 Nach Rousseau ist dieser allgemeine Wille und seine Souveränität unveräußerlich etc.
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Tertium non datur. Oder doch? Wenn es ein tertium geben können soll, dann müssen die Widersprüche von vernunftbestimmter Apriorität und historisch-empirischer Zufälligkeit, die oben für das Privateigentum und Privatrecht, für den sogenannten Übergang vom Privatrecht oder Naturzustand in das öffentliche Recht oder die bürgerliche Gesellschaft und schließlich /um Übergang von nationaler Souveränität zum Weltstaat oder zu einem Zustand des sogenannten Völkerrechts konstatiert worden sind, als Widersprüche des Rechts und seiner Realisierung im Rechtszustand einer societas civilis ernstgenommen werden. Und es müssen andere Organisationsformen der Aufhebung dieser Widersprüche oder dieser Dialektik des Rechts, des freien Willens oder der Idee der Freiheit - theoretisch und praktisch - gefunden und entwickelt werden. Dies zu sagen bedeutet nicht zu suggerieren, Formen einer solchen Aufhebung seien von Hegel entwickelt worden und bei ihm zu finden. Zumindest für die Aufhebung der Dialektik im Begriff eines Völkerrechts oder Rechtszustands der Menschheit in einer Weltgesellschaft insgesamt gilt dies nicht. Und ob es für das System des objektiven Geistes als individueller
Volks-
geist gilt, darf ebenfalls bezweifelt werden, hier aber auf jeden Fall dahingestellt bleiben. Hier war die Aufgabe nur, Kants Idee des Rechts und die ihr immanenten Probleme, ihre Dialektik, zu entwickeln.
Beschluß Da auch unter Fachleuten und Kennern der Kantischen Rechtslehre noch einige abenteuerliche Vorstellungen verbreitet sind - Vorstellungen, die auch durch die verdienstliche interpretatorische Arbeit von Wolfgang Kersting nicht ausgeräumt, sondern zum Teil nur noch verstärkt worden sind - sei folgendes als Summe der vorstehenden Überlegungen festgehalten. - Das Recht ist Idee. - Idee ist ein Mnotwendige[r] Vernunftbegrifif, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann."51 - d.h. der Gegenstand einer Idee kann in keiner empirischen Anschauung oder eben überhaupt nicht gegeben werden. - Der ursprüngliche Vertrag ist Idee.
51
KrV Β 383; vgl. dazu auch Prolegomena § 40: "So wie also der Verstand der Kategorien zur Erfahrung bedurfte, so enthält die Vernunft in sich den Grund zu Ideen, worunter ich nothwendige Begriffe verstehe, deren Gegenstand gleichwohl in keiner Erfahrung gegeben werden kann. Die letztern sind eben sowohl in der Natur der Vernunft als die erstere in der Natur des Verstandes gelegen" (IV 328\ 1.15).
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- Diesen Vertrag als historisch-empirisches Faktum, Vorgang oder Ereignis aufzufassen, ist weder nötig noch möglich.52 Nicht möglich: weil der Gegenstand einer Idee raumzeitlich nicht bestimmt ist noch bestimmt werden kann. Und dies ist, was insbesondere den Rechtsbegriff anbetrifft, gerade der Grund dafür, daß das Recht abstrakt sein muß, weil alle raum-zeitlichen oder sinnlichen Bedingungen - alle Materie der Willkür "weggeschafft werden muß". Weshalb auch der Vertrag als historisch-empirischer Vorgang der oberste Grund aller Verpflichtung - "Verbindung, die an sich selbst Zweck [...] unbedingte und erste Pflicht ist" (VIII 289 18 _ 21 ) - nicht ist noch sein kann. Der Zweck, der "in einer Gesellschaft von Menschen im bürgerlichen Zustande [...] an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht ist, ist das Recht der Menschen unter öffentlichen
Zwangsgesetzen, durch welche
jedem das Seine bestimmt und gegen jedes anderen Eingriff gesichert werden kann" (VIII 28922_2s): diese oberste formale Bedingung, das Recht, kann nicht historisch empirisch begründet sein. Und es ist auch nicht nötig, den sog. ursprünglichen Vertrag als historischempirisches Faktum aufzufassen, weil das Urteil eines jeden und insbesondere das Urteil des Gesetzgebers53 Vernunfturteil und kein empirischer Vorgang ist und weil die "Verbindung" (im Sinne von Verpflichtung) nur den - reinen, vernünftigen - Willen, der die reine praktische Vernunft selbst ist (RL, VI 213 26 ), nicht die Willkür 54 betrifft. Diese "Verbindung" ist also von vornherein bloß intelligibel oder noumenal, nicht empirisch. Deshalb ist auch allein der "ursprünglich und a priori vereinigte Willen" (VI 267 13 f ) - der eo ipso allgemeiner Wille ist - , nicht die daraus ggf. resultierende vereinigte Willkür der Grund von Recht und daraus resultierender allgemeiner Verbindlichkeit.55 - Der sogenannte ursprüngliche Vertrag ist, wie von Wolfgang Kersting prinzipiell durchausrichtigund konsequent herausgestellt wird 56 , kein Vertrag: denn er ist kein Rechtsakt, den zu vollziehen man tun oder lassen könnte. Er ist absolute, d.h. unbedingte und absolut erste Pflicht, Zweck an sich selbst und von der Vernunft ohne Zulassung einer Alternative geboten. Der Vertrag ist auch nicht das, was das Zivilrecht oder Privatrecht57 begründet: 52
Vgl. TuP, v m 297 8 1 Vgl. v m 29729 f und Vm 297 33 - 298 36 . 54 Vgl. dazuVI213 20 . 2 6· 55 Vgl. dazu VI 256 2 _i 3 , 2 6 7 n . 1 7 ; Vm 2 8 9 2 3 . 2 6 und schließlich VHI 294 i 3 : "der Actus eines öffentlichen Willens, von dem alles Recht ausgeht." 56 Wolfgang Kersting, Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie, Frankfurt/M. 1993, S. 37. 57 hier im juristischen, also nicht rechtsphilosophischen, Sinne zu verstehen. 53
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er ist nämlich keine Rechtsform für empirische Akte der Willkür, keine Form des Handelns. Eben deshalb ist er schließlich auch nicht im Diskurs gewonnener Konsens oder durch demokratische Abstimmung zustande gekommene Einigung. - Der Vertrag ist eben nur Idee, d.h. Vernunftbegriff der Einheit der reinen Willen aller Individuen, die Vernunftwesen sind - deren Willen ohnehin nichts anderes ist als die praktische Vernunft selbst (VI 21320-26) - die a priori vereinigt oder ein einziger Wille, eben die reine praktische Vernunft selbst, sind - der existierende vernünftige Wille, der zugleich Rechtswille ist, was bedeutet: ein Wille, der da, wo er Recht will und schafft, eo ipso weiß und will, daß alle anderen Rechtssubjekte gebunden, verpflichtet, d.h. durch praktische Vernunft genötigt sind und deshalb ggf. auch durch physische Gewalt dazu genötigt werden dürfen, dieses dem einen Berechtigten bestimmte Recht nicht zu verletzen. Als Bestimmungsgrund der Willkür ist dieser vernünftiger Wille a priori kategorisch gebietend; als Beurteilungsgrund von Akten des Gesetzgebers ist diese Idee eines vernünftigen Willens der allgemeine Wille, der der Wille aller deshalb, dadurch und insofern ist, als er ihr eigener, ihnen selbst immanenter vernünftiger Wille ist. Dieser Bestimmungsgrund der Willkür und ihrer Maximen, der die Eine Vernunft, der Eine vernünftige Wille und die Idee der Einheit des Willens aller vernünftigen Wesen in einer ursprünglichen Gemeinschaft des Rechts ist, ist die Idee des nichtempirischen, aus dem Begriff der Freiheit logisch und ontologisch zwingend resultierenden, deshalb a priori notwendigen Einsseins aller freien Individuen in Einer Rechtsordnung, einem einzigen bürgerlichen Zustande, der das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen ist: Es ist also diese Idee eines a priori kategorisch gebotenen Rechtszustands. - Eo ipso zugleich, kraft seines bloßen Begriffs, ist das Recht als Idee die Idee eines Rechtszustands, der staatlich verfaßt und organisiert ist. Die Notwendigkeit des Staats ist also nicht eine sekundäre Ex-Post-Notwendigkeit, die aus dem Privatrecht und der prima occupatio erst folgt, sondern daraus, daß das Recht kraft seines Begriffs öffentliches Recht - nicht bloßes Privatrecht, sondern staatlich verfaßte, bestimmtes und gesichertes Recht - ist und sein muß. Diese Notwendigkeit ist a priori im Begriff des freien Willens, der die praktische Vernunft selbst ist, enthalten: "Alles Recht hängt nämlich von Gesetzen ab. Ein öffentliches Gesetz aber, welches für Alle das, was ihnen rechtlich erlaubt oder unerlaubt sein soll, bestimmt, ist der Actus eines öffentlichen Willens, von dem alles Recht ausgeht" (TuP, VIII 294n. 14 ). Es gibt also kein Recht 'antecedent to government', das nicht öffentlichrechtlich organisiert, kein Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen wäre. Recht ist notwendigerweise Zwangsrecht und öffentlich. Denn dieser Zustand - der bürgerlichen Verfassung einer allgemeinen öffentlichen
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Gesetzgebung, des allgemeinen und machthabenden Willens (RL, VI 2568), der bürgerliche Zustand oder Zustand des Rechts einer staatlich verfaßten Gesellschaft, der Zustand des Rechts der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen (TuP, VIII28926) - ist es, der als Zustand der lex iustitiae distributivae "allein, was recht, was rechtlich und was Rechtens ist, bestimmt" (VI 267i6 f.). Mit der Konsequenz: "Also kann es nur im bürgerlichen Zustande ein äußeres Mein und Dein geben" (RL, VI 256i2 f.). 58 Der Staat ist also nicht sekundär, eine Veranstaltung bloß zur Sicherung, nicht zur Bestimmung des äußeren Mein und Dein. Er ist als oberste Bedingung äußerer Pflichten selbst absolut notwendig, kategorisch geboten und als Bedingung äußeren Rechts, eines äußeren Mein und Dein überhaupt, im Begriff desfreien Willens - der Idee des Rechts - selbst enthalten. Der Rechtswille ist ein a priori auf die Vereinigung des Willens aller im staatlich verfaßten Rechtszustand bezogener Wille, der ein kollektiv allgemeiner und machthabender Wille ist (RL, VI 2569).59 Denn als Rechtswille bezieht er allein aus der Idee dieser ursprünglichen Einheit des Vernunftwillens die Geltung für sein 'ich will dies soll mein sein' (RL, VI 25526 f.). Und allein kraft dieser Beziehung auf den "ursprünglich und a priori vereinigten" (VI 26713 f ) vernünftigen Willen begründet jeder einzelne Akt eines Rechtswillens der prima occupatio ein äußeres Mein und Dein als ein Recht und die darauf bezogenen Rechte und Pflichten anderer. Die prima occupatio ist also auch nur deshalb ein Rechtsakt, weil "die Zueignung als Akt eines äußerlich allgemein gesetzgebenden Willens (in der Idee)" begriffen wird, "durch welchen jedermann zur Einstimmung mit meiner Willkür verbunden wird" (VI 259i.3). Die "Verbindung" oder "Verpflichtung", i. e. die Rechtspflicht von jedermann, resultiert allein daraus, daß ursprüngliche Appropriation eo ipso ein Akt des Einen vernünftigen Willens ist, der der Wille aller und allgemein ist, weil er die praktische Vernunft selbst ist und ein äußeres Mein und Dein für jedermann, für alle freien Subjekte nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit will und dadurch begründet. Der empirische Wille, die Willkür, ist nicht der Grund der ursprünglichen Aneignung als Rechtsverhältnis, auch nicht als ein Akt der Begründung des provisorischen Rechts oder der "Einleitung" in einen rechtlichen Zustand (RL § 16, VI 267 24 .28).
Allerdings - und genau an dieser konzeptionell fundamentalen Stelle fangen alle Zweideutigkeiten und gelegentlichen Widersprüche an - kann die Idee eines a priori vereinigten Willens, der vernünftig und allgemein ist, ein
58 59
Vgl. erneut TuP, Vm 28923-28· Vgl. VI 2 5 5 2 6 - 2 5 6 1 3 .
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bestimmtes Mein und Dein als Recht und korrespondierende Pflichten aller anderen begründen soll, nicht bloße Idee bleiben. Er muß empirisch werden: es muß möglich sein, durch einzelne - auch einseitige - Akte des freien Willens und der Willkür Rechtsverhältnisse zu beginnen. Die Begründung des Rechts muß Begründung aus reiner Vernunft a priori - aus der Idee der Vereinigung aller in einem bürgerlichen Zustande des Rechts der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen - bleiben, aber der Beginn von Rechtsverhältnissen des Mein und Dein muß historisch-empirisch sein. Deshalb "muß vor der bürgerlichen Verfassung (oder von ihr abgesehen) ein äußeres Mein und Dein als möglich angenommen werden" (VI 25631 ff), zugleich als ein "Recht, jedermann [...] zu nötigen, mit uns in eine Verfassung zu treten, worin jenes gesichert werden kann (VI 2 5 6 3 3 . 3 5 ) . - Der bürgerliche Zustand wird - in diesem Zusammenhang, aber im Widerspruch zu VI 2 6 7 1 M 7 und 264 22 ff und zu Vili 289 60 - bezeichnet als "der rechtliche Zustand, unter welchem jedem das Seine nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bestimmt wird" (VI 256 28 f.). - Wenn aber allein "der Zustand [...] eines zur Gesetzgebung allgemein wirklich vereinigten Willens [...] der bürgerliche Zustand" ist (VI 264 18 f); wenn "nur provisorisch etwas Äußeres ursprünglich erworben werden kann" (VI 2642$ f ) und peremptorische Erwerbung nur in bürgerlichem Zustande stattfindet, dann kommt der vereinigten empirischen Willkür allenfalls die den rechtlichen Zustand "einleitende" oder vorbereitende Funktion "in Konformität mit der Idee eines bürgerlichen Zustandes, d. i. in Hinsicht auf ihn und seine Bewirkung" (VI 26424 f ) zu; aber ein jeder solche Akt ist nicht recht, auch die prima occupatio noch nicht. Staatlichkeit der Verfassung, in die zu treten der primus occupans die anderen nötigen kann (RL, VI 25634 f.), ist deshalb an sich selbst Pflicht, die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller äußeren Pflicht (TuP, VIII 28924_28), d.h. also Konstituens und Bedingung der Möglichkeit von Recht überhaupt, aller übrigen äußeren Pflicht und eines äußeren Mein und Dein 60
wo es heißt: "Aber das austheilende Gesetz des Mein und Dein eines jeden am Boden kann nach dem Axiom der äußeren Freiheit nicht anders als aus einem ursprünglich und a priori vereinigten Willen (der zu dieser Vereinigung keinen rechtlichen Act voraussetzt) mithin nur im bürgerlichen Zustande hervorgehen (lex iustitiae distributivae), der allein, was recht, was rechtlich und was Rechtens ist, bestimmt" (VI 26711-17). - "Der Zustand aber eines zur Gesetzgebung wirklich vereinigten Willens ist der bürgerliche Zustand" (VI 264 2 2 f ). Vgl. auch VI 256 8 _i 2 und die dort artikulierte Konsequenz: "Also kann es nur in einem bürgerlichen Zustande ein äußeres Mein und Dein geben." Vgl. ferner VIII 289 2 i_ 28 : "die unbedingte und erste Pflicht [...] oberste formale Bedingung aller übrigen äußeren Pflicht [...] das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, durch welchem jedem das Seine bestimmt und [...] gesichert werden kann." Vgl. schließlich VI 306i7_ 28.
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(RL, VI 26329 f.X w e i l auch der Wille des primus occupans und "die Möglichkeit auf solche Art zu erwerben [...] die unmittelbare Folge aus dem Postulat der praktischen Vernunft" ist und "derselbe Wille [...] eine äußere Erwerbung nicht anders berechtigen kann, als nur so fern er in einem a priori vereinigten [...] absolut gebietenden Willen enthalten ist." Denn "Verbindlichkeit auferlegen" kann nicht "der einseitige Wille (wozu auch der doppelseitige, aber doch besondere Wille gehört)": also auch ein doppelseitiger Vertragswille nicht. "Sondern dazu [sc. zur Auferlegung von Verbindlichkeit, B. T.] wird ein allseitiger, nicht zufalliger, sondern ursprünglich vereinigter Wille erfordert" (VI 26317.27).
Und wenn schließlich gilt: "Irgendeine ursprüngliche Erwerbung des Äußeren muß es doch geben, denn abgeleitet kann nicht alle sein. Daher kann man diese Aufgabe auch nicht als unauflöslich und an sich unmöglich aufgeben. Aber wenn sie durch den ursprünglichen Vertrag aufgelöst wird, so muß, wenn dieser sich nicht aufs ganze Menschengeschlecht erstreckt, die Erwerbung immer nur provisorisch bleiben" (VI 26631.37),
dann gibt es peremptorische Erwerbung, Eigentum und Recht so lange noch nicht, als es nicht einen Rechtszustand aller Menschen, eine kosmopolitische bürgerliche Verfassung gibt: alles Recht ist und bleibt provisorisch. In diesem Zusammenhang ist auch der ewige Frieden als "der ganze Endzweck der Rechtslehre innerhalb der Grenzen der praktischen Vernunft" (VI 3557ff.) zu sehen. Die Idee einer solchen a priori notwendigen Vereinigung des Willens aller in Einem gesetzgebenden Willen allein ist der Grund der Möglichkeit von Verbindlichkeit, Pflicht und Recht: "Denn der einseitige Wille [...] kann nicht jedermann eine Verbindlichkeit auflegen, die an sich zufallig ist, sondern dazu wird ein allseitiger, nicht zufällig, sondern a priori, mithin notwendig vereinigter und darum allein gesetzgebender Wille erfordert; denn nur nach dieses seinem Prinzip ist Übereinstimmung der freien Willkür eines jeden mit der Freiheit von jedermann, mithin ein Recht überhaupt, und also auch ein äußeres Mein und Dein möglich" (VI 26323-3o)·
Es ist also doch nicht - und zwar definitiv nicht - die Qualität der Rechtsform des Vertrags, die allseitige Pflichten und Rechte der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen begründen kann. Deshalb sagt Kant der Theorie des Gesellschaftsvertrags und der vertraglich begründeten Staatlichkeit endgültig ab 61 , auch wenn er - wie vor ihm Hobbes die Naturrechtsformeln - die 61
J. W. Gough, The Social Contract, Oxford 1936, p. 183 (zitiert nach Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 33 f.), hat aus diesem und zwar prinzipiellen Grunde Recht: "If the contract has only a pragmatic reality, and is merely a supposition to explain the obligations of citizens and rulers, who are to behave 'as if it were real, we may well wonder whether it is anything but a useless fiction. For Kant, indeed, it was *
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Burkhard Tuschling
Vertragsformel als Idee metaphorisch noch beibehält. Aber gerade dadurch, eo ipso qua Idee, hört der Vertrag auf, Vertrag zu sein: es ist nicht die vereinigte Willkür 62, es ist die Idee einer ursprünglichen Vereinigung des Willens aller in Einem gesetzgebenden, absoluten Willen, der allgemein ist: dieser Idee, daß das Recht und die Möglichkeit allseitiger Verpflichtung nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit nur aus der Idee einer ursprünglichen Vereinigung in einem staatlich verfaßten Rechtszustand resultieren kann, verleiht die Vertragsform allein Ausdruck. Man kann also nicht behaupten, daß Kant die Widersprüche - der ursprüngliche Kontrakt ist Vertrag und ist nicht Vertrag; - der ursprüngliche Kontrakt ist a priori und nicht a priori, sondern historisch-empirisch; - der ursprüngliche Kontrakt begründet äußeres Mein und Dein, Rechte und Pflichten und er begründet sie nicht; - Erwerbung eines äußeren Mein und Dein durch den ursprünglichen Vertrag ist nur provisorisch, "wenn dieser sich nicht aufs ganze menschliche Geschlecht erstreckt" (VI 26635 f); und: sie ist nicht nur provisorisch, sondern peremtorisch63, auch dann, "wenn dieser sich nicht aufs ganze menschliche Geschlecht erstreckt" gelöst bzw. aufgehoben hat: Die Idee des Rechts muß historisch-empirisch werden und sie kann es nicht. Sie muß es, weil sonst der Zweck der Freiheit und eines allgemeinen Gesetzes der Freiheit, Recht also, nicht verwirklicht werden könnte64; Freiheit, der kategorische Imperativ, muß sich in der Sinnenwelt realisieren. Und: die Idee des Rechts kann es nicht, d. i. sie kann nicht historisch und empirisch werden, weil sie ihrem Begriff nach von allen Bedingungen von Raum und Zeit, aller Zufälligkeit, aller Besonderheit, aller historisch-empirischen Bedingtheit menschlichen Wollens und Handelns abstrahiert. Das ist die konzeptionelle Aporie, in die das Vernunftrecht der freien Subjektivität geraten ist, aber aus der sie auch von Kant nicht befreit worden ist. altogether superfluous, since political obligation could quite well be founded directly, without any interpolation of a contract, on the moral obligations, which he already recognized as universally binding. Kant, in fact, brings us within sight of the end of the history of the contract theory." 62 so ist auch VI 26321-23 zu verstehen: Der absolut gebietende a priori vereinigte Wille enthält die Willkür, fällt aber nicht mit ihr zusammen. 63 Zu diesem Terminus vgl. RL § 15 Titel, VI 264 3 und 26427 f. und 26727. 6 4 Das Gesetz der Freiheit, der kategorische Imperativ, muß auch in der Sinnenwelt - so die KdU (V, 1 7 6 5 . 9 ) - verwirklicht werden.
Die Idee des Rechts: Hobbes und Kant
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Aber es ist Kants außerordentlich wertvoller Beitrag zur Entwicklung einer konsistenten Idee des Rechts, diese Aporie erzeugt, diese Widersprüche gezeigt, die der Idee des Rechts immanente Dialektik von Apriorität und Aposteriorität, Theorie und Praxis, Freiheit und Natur, Mechanismus und Freiheit, Freiheit und Notwendigkeit dadurch ans Licht gebracht und damit die Voraussetzungen für ein der Sache angemessenes Verständnis - das Begreifen oder den Begriff der Sache - geschaffen zu haben.
II. Probleme des Kantischen Privatrechts
Disjunktiv- und kollektiv-allgemeiner Besitz: Überlegungen zu Kants Theorie der ursprünglichen Erwerbung Von Jeffrey Edwards, Stony Brook/New York
Im folgenden behandele ich einige Aspekte von Kants Theorie der ursprünglichen Erwerbung, wie sie im ersten Abschnitt des zweiten Hauptstücks des Privatrechts dargestellt wird. Insbesondere möchte ich einige Aporien erläutern, die aus dem Versuch resultieren, diese Theorie im Zusammenhang mit dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft zu verstehen. Ich werde mich bemühen, den Sinn dieser Schwierigkeiten herauszuarbeiten, ohne dabei auf Detailfragen zum inneren Aufbau von Kants Theorie des Privatrechts einzugehen.1 Folgende Resultate von Kants Argumentationen zum Privatrecht werden als gegeben vorausgesetzt: - Die Vernunft - als praktische Vernunft - erweitert sich durch ihr rechtliches Postulat (RL § 2, VI 2476.8). - Dieses Postulat erweist sich als ein Erlaubnisgesetz, das uns dazu befugt, andere vom Gebrauch der Gegenstände unserer Willkür deshalb auszuschließen, weil wir als erste diese Gegenstände in unseren Besitz genommen haben (RL § 2, VI 247 - Wer behaupten will, eine Sache als das Seine zu haben, der muß im Besitze eines Gegenstandes sein (RL § 3, VI 247iof). - Das allgemeine Prinzip der äußeren Erwerbung steht mit dem genannten Postulat der praktischen Vernunft im vollen Einklang (RL § 10, VI 25822_ 25).
- Ausschließlich körperliche Substanzen können ursprünglich erworben werden (RL § 10, VI 25912_i 4). 1
Zu diesen Fragen siehe Mary Gregor, Kant's Theory of Property, in: Review of Metaphysics XLI (1988), S. 756-787; Wolfgang Kersting,, Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie, Berlin/New York 1984, S. 113-196; Bernd Ludwig, Kants Rechtslehre, Hamburg 1988, S. 102-154; Leslie A. Mulholland, Kant's System of Rights, New York 1990, S. 232-302.
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Jeffrey Edwards
- Das Grundargument des § 12 der Rechtslehre ist beweiskräftig. (Das heißt: durch die Argumentation, die dem zweiten Absatz des § 12 zugrunde liegt, läßt sich prinzipiell nachweisen, daß eine erste Erwerbung (wie Kant sie versteht) nur als Erwerbung des Bodens zu denken ist2). - Die Möglichkeit der ursprünglichen Erwerbung eines äußeren Gegenstandes der Willkür ist als unmittelbare Folge des genannten Vernunftpostulats zu begreifen (RL § 14, VI 263i2_i 9).
I. Wie haben wir nun den Begriff einer ursprünglichen Erwerbung grundsätzlich zu verstehen?3 Solche Erwerbung ist die von etwas Äußerem, das nicht ursprünglich mein ist. Diese Erwerbung kann - und muß - jedoch so ausgeführt werden, ohne daß das zu erwerbende Äußere von dem Seinen eines anderen abgeleitet wird. 4 Der Akt der Erwerbung, der dieser Definition entspricht, wird als Bemächtigung (