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German Pages 374 Year 2020
Die Rezensionen zu Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre
Kantstudien-Ergänzungshefte
Im Auftrag der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Manfred Baum, Bernd Dörflinger, Heiner F. Klemme und Konstantin Pollok
Band 212
Die Rezensionen zu Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre Die zeitgenössische Rezeption von Kants Rechtsphilosophie Herausgegeben und mit Beiträgen von Diethelm Klippel, Dieter Hüning und Jens Eisfeld
ISBN 978-3-11-070280-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-070299-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-070307-8 ISSN 0340-6059 Library of Congress Control Number: 2020941963 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorwort Der Gedanke, sich mit der zeitgenössischen Rezeption von Immanuel Kants Rechtslehre zu befassen, entstand während der Arbeit an dem lange Jahre von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Forschungsprojekt „Naturrecht und Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert“ eines der Herausgeber (Diethelm Klippel). Ein Ziel des Vorhabens bestand in der Erstellung einer Bibliographie, die neben den einschlägigen naturrechtlich-rechtsphilosophischen Schriften auch deren Rezensionen enthält. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass mehr zeitgenössische Rezensionen zu Kants „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre“ erschienen waren, als in der Kant-Bibliographie von Erich Adickes verzeichnet, dass die Rezensionen nicht ediert waren und dass die ansonsten uferlose Kant-Forschung sie – abgesehen von der Rezension von Friedrich Bouterwek – kaum zur Kenntnis genommen hat. Dieser Befund führte zunächst zu dem im dritten Teil dieses Buches abgedruckten Aufsatz von Diethelm Klippel; dem Aufsatz liegt ein Vortrag während des Aufenthalts als Stipendiat am Historischen Kolleg in München zugrunde. Der Befund und die möglichen Gründe dafür waren Gegenstand zahlreicher Gespräche und Diskussionen unter den Herausgebern. Daraus entstand die Idee, alle Rezensionen zu Kants Rechtslehre zu edieren und mit erläuternden Beiträgen der Herausgeber zu begleiten, nämlich mit dem im Wesentlichen unverändert abgedruckten Aufsatz von Diethelm Klippel aus dem Jahre 2002 und mit eigens für diesen Band verfassten Beiträgen von Dieter Hüning und Jens Eisfeld. Uns ist bewusst, dass es sich – zusammen mit der Edition der Rezensionen und mit den bibliographischen Hinweisen auf zeitgenössische Kantkommentare – angesichts der Forschungslage zur Kantrezeption lediglich um den Versuch handelt, einige inhaltliche und methodische Forschungsprobleme anzusprechen und vor allem das Bewusstsein für das Vorhandensein vernachlässigter Quellen zu wecken. Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren an der bibliographischen Arbeit, der Transkription der Texte, der Erstellung des Manuskripts und dessen Korrektur beteiligt. Ihnen vor allem gilt unser Dank. Stellvertretend für sie seien Marlene Ertz und Franziska Herrmann genannt, denen letzte Korrekturen zu verdanken sind. Dem Verlag und den Herausgebern der Kantstudien-Ergänzungshefte, Manfred Baum, Bernd Dörflinger und Heiner F. Klemme, danken wir für die Aufnahme des Bandes in die Reihe, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags für die angenehme und konstruktive Zusammenarbeit. Bayreuth und Trier, im Frühjahr 2020 https://doi.org/10.1515/9783110702996-001
Die Herausgeber
Inhalt Teil I: Einleitung Diethelm Klippel: Die Rezensionen zu Kants Rechtslehre als Quelle
3
Teil II: Rezensionen zur ersten Auflage der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre (1797) 17
Allgemeine juristische Bibliothek
[Gottlieb Hufeland, in:] Allgemeine Literatur-Zeitung
Annalen der neuesten Theologischen Litteratur und Kirchengeschichte 48
[Ludwig Heinrich Jakob, in:] Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes von einer Gesellschaft gelehrter Männer 50
[Karl Ludwig Wilhelm von Grolman, in:] Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde 77
[Friedrich Bouterwek, in:] Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen unter der Aufsicht der königl. Gesellschaft der 87 Wissenschaften
Göttingische Bibliothek der neuesten theologischen Literatur
Gothaische gelehrte Zeitungen
Katechetisches Journal
[Dietrich Tiedemann, in:] Neue allgemeine deutsche 133 Bibliothek
107
120
34
94
VIII
Inhalt
Neue Leipziger gelehrte Anzeigen [=Litterarische Denkwürdigkeiten] 153
Neue nürnbergische gelehrte Zeitung
[Johann Ernst Daniel Parow, in:] Neueste critische 162 Nachrichten
Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung
169
Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung
191
[Tübingische] Gelehrte Anzeigen
155
200
Teil III: Rezensionen zu den Erläuternden Anmerkungen zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre (1798)
[Friedrich Bouterwek, in:] Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen unter der Aufsicht der königl. Gesellschaft der 209 Wissenschaften
Gothaische gelehrte Zeitungen
Juristische Literatur-Zeitung
[Johann Ernst Daniel Parow, in:] Neueste critische Nachrichten 218
Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung
212 214
220
Teil IV: Rezensionen zur zweiten Auflage der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre (1798)
[Christian Gottfried Schütz, in:] Allgemeine Literatur-Zeitung
[Johann Christoph Schwab, in:] Jenaische Allgemeine LiteraturZeitung 230
223
Inhalt
Juristische Literatur-Zeitung
[Dietrich Tiedemann, in:] Neue allgemeine deutsche Bibliothek 241
Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung
IX
240
247
Teil V: Rezension der lateinischen Übersetzung der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre (1799)
[Johann Gottlieb Buhle, in:] Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen unter der Aufsicht der königl. Gesellschaft der Wissenschaften 251
Teil VI: Kantkommentare und weitere zeitgenössische Quellen Bibliographie
255
Teil VII: Beiträge Diethelm Klippel: Kant im Kontext. Der naturrechtliche Diskurs um 263 1800 Dieter Hüning: Kants Rechtslehre und ihre Rezeption in den zeitgenössischen Rezensionen 297 Jens Eisfeld: Methodische Überlegungen zur Philosophiegeschichte am Beispiel der Kant-Rezeption 317 Personenregister Sachregister
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Teil I: Einleitung
Diethelm Klippel: Die Rezensionen zu Kants Rechtslehre als Quelle Die vorliegende Edition enthält insgesamt 27 Rezensionen der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre von Immanuel Kant. 16 Rezensionen betreffen die erste Auflage der Rechtslehre aus dem Jahre 1797 (unten II, Rez. Nr. 1– 16), fünf Rezensionen beziehen sich auf die Erläuternden Anmerkungen zu den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre (unten III, Rez. Nr. 17– 21), mit denen Kant insbesondere auf die Buchbesprechung von Friedrich Bouterwek in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen (Rez. Nr. 6) reagierte. Fünf weitere Rezensionen gelten der zweiten Auflage der Rechtslehre von 1798 (unten IV, Rez. Nr. 22– 26). Den Abschluss bildet eine Rezension der lateinischen Übersetzung der Rechtslehre von 1799 (unten V, Rez. Nr. 27). Statt von insgesamt 27 Rezensionen lässt sich freilich auch auch von 25 sprechen: Die zweite Besprechung in der Oberdeutschen allgemeinen Litteraturzeitung aus dem Jahre 1800¹ betrifft sowohl die erste Auflage der Rechtslehre als auch die Erläuternden Anmerkungen und die zweite Auflage; unter Rez. Nr. 21 und Rez. Nr. 26 findet sich daher jeweils lediglich ein Verweis auf Rez. Nr. 15. Die kurze Einleitung zu einer Edition ist nicht der geeignete Ort, die Rezensionen inhaltlich zu analysieren und zu interpretieren. Daher beschränken sich die folgenden Ausführungen auf Bemerkungen zum Zweck der Edition (I), zu Zahl, Länge und Form der edierten Rezensionen (II), zur Bedeutung von Buchrezensionen in der Zeit um 1800 (III), zum Inhalt der drei in Teil VI. dieses Bandes enthaltenen Aufsätze der Herausgeber (IV) und zum Verfahren bei der Edition (V).
I Zweck der Edition Warum ist es sinnvoll, die zeitgenössischen Rezensionen zu Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre zu edieren? Darauf lassen sich zwei Antworten geben. Erstens hat die Kant-Forschung der letzten zwei Jahrhunderte die zeitgenössischen Rezensionen – mit Ausnahme derjenigen von Friedrich Bouterwek (Rez. Nr. 6) – nicht, zumindest nicht adäquat zur Kenntnis genommen.² Einerseits verwundert dies, jedenfalls auf den ersten Blick, da es an Veröffentlichungen über Rez. Nr. 15. Dazu der Beitrag von Diethelm Klippel in diesem Band mit Fn. 24. Als Ausnahme siehe Dieter Hüning, Kants Strafrechtstheorie und das jus talionis, in: Dieter Hüning u. a. (Hrsg.), Aufklärung durch Kritik. Festschrift für Manfred Baum zum 65. Geburtstag, Berlin 2004, S. 333 – 360. https://doi.org/10.1515/9783110702996-002
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Diethelm Klippel: Die Rezensionen zu Kants Rechtslehre als Quelle
Kants Rechtslehre gewiss nicht fehlt. Andererseits hält sich das Erstaunen in Grenzen, da es der philosophischen und rechtsphilosophischen Kant-Forschung vorwiegend um die aktualisierende Interpretation der Auffassungen Kants ging und geht,³ weniger um deren Rezeption⁴ und schon gar nicht um deren Kontextualisierung, also der genuin historischen Interpretation im Kontext der zeitgenössischen Ideen und Lebenswelt. Das mögliche Argument, dass die Zeitgenossen Kant eben nicht richtig verstanden haben und entsprechende Quellen – darunter die Rezensionen – deshalb ignoriert oder vernachlässigt werden können, führt an der ideengeschichtlichen Forschungsfrage vorbei. Es setzt voraus, dass es ein „richtiges“ Verständnis von Kant gibt, an dem sich das Verständnis der Zeitgenossen zu messen habe, während die Frage doch gerade ist, wie sie ihn verstanden haben und warum dies so war – ganz abgesehen davon, dass es mehrere philosophische Kant-Verständnisse gibt. Das Stichwort „Kontextualisierung“ führt zur zweiten Antwort auf die eingangs gestellte Frage: Forschungen zur Rezeption und zum historischen Kontext von Kants Rechtslehre können kaum sinnvoll ohne Berücksichtigung der Grundsätze und Methoden der sog. Neuen Ideengeschichte erfolgen.⁵ Dann reicht es nicht, nur die „großen Autoren“ wie Fichte und Hegel heranzuziehen; vielmehr sind „kleine“ und „mittlere“ zeitgenössische Autoren bzw. Quellen unverzichtbar, um die Fragen zu beantworten, die sich bei dem Vorhaben einer Kontextualisierung stellen. Deshalb lohnt ein Blick gerade in die zeitgenössischen Rezensionen – zumal, da es eine außergewöhnlich große Zahl davon gibt und die Autoren sich meist sehr ausführlich mit Kants Auffassungen auseinandersetzten. Das Gesagte gilt im Übrigen auch für die in Teil VI dieses Bandes bibliographisch erfassten Kantkommentare, für deren ebenfalls dort aufgeführten Rezensionen und für die weiteren dort erfassten zeitgenössischen Schriften mit unmittelbarem Bezug zu Kants Rechtslehre – ganz zu schweigen von den vielen zeitgenössischen Lehrbüchern des Naturrechts oder der philosophischen Rechtslehre, die sich direkt oder indirekt mit Kants Auffassungen beschäftigen.
II Zahl, Länge und Form der Rezensionen Die ausführliche inhaltliche Analyse der Rezensionen, der Kantkommentare und weiterer zeitgenössischer Quellen zu Kants Rechtslehre muss, wie gesagt, der
Dazu und zu den Gründen dafür siehe den Beitrag von Jens Eisfeld in diesem Band, S. 317– 354. Dazu siehe den Beitrag von Diethelm Klippel in diesem Band, S. 265 mit Fn. 10. Dazu ebd., S. 266 f. mit Fn. 13.
II Zahl, Länge und Form der Rezensionen
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ideengeschichtlichen Kant-Forschung überlassen bleiben. Allerdings sind in dieser Einleitung einige Beobachtungen zu Zahl, Länge und Form der Rezensionen möglich und angebracht. Zunächst stellt sich die Frage, ob die Zahl (27 bzw. 25) der zeitgenössischen Rezensionen von Kants Rechtslehre außergewöhnlich groß ist. Sie ist uneingeschränkt zu bejahen. Als Vergleich kann die Zahl der Rezensionen zu einigen anderen zeitgenössischen Lehrbüchern des Naturrechts bzw. der philosophischen Rechtslehre herangezogen werden.⁶ Johann Gottlieb Fichtes Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796/1797) kommt immerhin auf 12 Rezensionen. Alle anderen entsprechenden Lehrbücher, auch die bekannteren, erhalten höchstens sechs bis neun Rezensionen, so z. B. Lazarus Bendavids Versuch einer Rechtslehre (1802) acht, Karl Heinrich Heydenreichs System des Naturrechts nach kritischen Prinzipien (1794/1795) acht, Ludwig Heinrich Jakobs Philosophische Rechtslehre oder Naturrecht (1795) sieben, Ernst Ferdinand Kleins Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft (1797) acht, Johann Christian Gottlieb Schaumanns Versuch eines neuen Systems des natürlichen Rechts (1796) sieben, Karl Christian Erhard Schmids Grundriß des Naturrechts (1795) neun und Heinrich Stephanis Grundlinien der Rechtswissenschaft oder des sogenannten Naturrechts (1797) sechs Rezensionen – um nur einige der überaus zahlreichen Lehrbücher⁷ zu nennen. Die 27 bzw. 25 Rezensionen zu Kants Rechtslehre wurden in 18 verschiedenen Zeitschriften publiziert. Schaut man sich die Zeitschriftengattungen an, in denen die Rezensionen erschienen, so überwiegen die allgemeinen Rezensionszeitschriften bei weitem: In ihnen finden sich 19 bzw. 17 Rezensionen, drei in theologischen, vier in juristischen Zeitschriften und eine Rezension in einer philosophischen Zeitschrift. Nur drei der 18 Zeitschriften enthalten neben Rezensionen auch Aufsätze, nämlich die Annalen der Philosophie, die Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und das Katechetische Journal. ⁸ Aus der Verteilung der 18 Zeitschriften auf die Fächer und aus den Berufen der Autoren lässt sich lediglich der wenig aussagekräftige Schluss ziehen, dass Kants Werk für Philosophen und Juristen gleichermaßen von Interesse war. Das entspricht dem Befund, dass Naturrecht bzw. Rechtsphilosophie sowohl in den Juristischen als auch in den Philosophischen Fakultäten gelehrt wurde und die zahlreichen zeitgenössischen Lehrbücher von entsprechenden Autoren stammen. Zahlen nach: Diethelm Klippel, Naturrecht und Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert. Eine Bibliographie. 1780 bis 1850, Tübingen 2012. Zur Zahl der Lehrbücher des Naturrechts bzw. der philosophischen Rechtslehre um 1800 siehe den Beitrag von Klippel in diesem Band, S. 269 mit Fn. 19 f. Die Zeitschriften, in denen die Rez. Nr. 4, 5 und 9 erschienen.
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Diethelm Klippel: Die Rezensionen zu Kants Rechtslehre als Quelle
Dass sich nur eine Rezension in einer philosophischen Zeitschrift befindet, darf nicht zu dem irreführenden Schluss führen, dass Philosophen Kants Rechtslehre weniger Aufmerksamkeit schenkten als Juristen: Erstens gab es um 1800 vergleichsweise weniger philosophische als juristische Zeitschriften, und zweitens stammen zahlreiche Rezensionen in den allgemeinen Rezensionszeitschriften gerade von Philosophen. Erstaunlicher und daher erklärungsbedürftig mag es sein, warum sich drei theologische Zeitschriften für Kants Rechtslehre interessierten. Außer der großen Zahl von Rezensionen weist deren Länge auf die Bedeutung hin, welche die Zeitgenossen Kants Rechtslehre beimaßen. Die Hälfte der Rezensionen zur ersten Auflage – nämlich acht – fällt, verglichen mit den Rezensionen zu anderen zeitgenössischen Naturrechtslehrbüchern,⁹ außergewöhnlich lang aus:¹⁰ Sie umfassen zwölf und mehr Seiten, allen voran die Rezension von Ludwig Heinrich Jakob mit 26 Seiten.¹¹ Sechs weitere Rezensionen zählen immerhin sechs bis zehn Seiten.¹² Die Ausnahme bilden zwei kurze, weitgehend nichtssagende Buchanzeigen.¹³ Die Erläuternden Anmerkungen werden mit eher kurzen Besprechungen von einer Seite bis vier Seiten bedacht.¹⁴ Die Länge der Rezensionen zur zweiten Auflage schwankt zwischen einer Seite und immerhin zehn Seiten,¹⁵ und die Besprechung der lateinischen Übersetzung umfasst zwei Seiten.¹⁶ Während Zahl und Länge der Rezensionen lediglich belegen, welche Aufmerksamkeit das Erscheinen der Rechtslehre Kants fand, ist die „Machart“ der Rezensionen aufschlussreicher.¹⁷ Sieht man von kurzen Buchanzeigen ab (die
Siehe dazu die bibliographischen Angaben bei Klippel (wie Fn. 6). Die im Folgenden genannten Seitenzahlen beziehen sich auf den Umfang der Rezensionen in diesem Band, da die Seiten- bzw. Spaltenzahl in den Originalen keinen zuverlässigen Vergleich ermöglicht. Rez. Nr. 1 (17 Seiten), Nr. 2 (14 Seiten), Nr. 4 (26 Seiten), Nr. 7 (13 Seiten), Nr. 8 (13 Seiten), Nr. 10 (19 Seiten) und Nr. 14 (21 Seiten). Rez. Nr. 5 (10 Seiten), Nr. 6 (7 Seiten), Nr. 12 (7 Seiten), Nr. 13 (7 Seiten), Nr. 15 (9 Seiten) und Nr. 16 (6 Seiten). Rez. Nr. 3 und 11 (je eine Seite). Rez. Nr. 17 (2 Seiten), Nr. 18 (1 Seite), Nr. 19 (4 Seiten) und Nr. 20 (1 Seite). Rez. Nr. 22 (7 Seiten), Nr. 23 (10 Seiten), Nr. 24 (1 Seite) und Nr. 25 (5 Seiten). Rez. Nr. 27. Zur Anlage von Rezensionen im 18. Jahrhundert siehe Thomas Habel, Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts, Bremen 2007. Habel weist darauf hin, dass die Frage diskutiert wurde, ob Rezensionen lediglich berichten, ggf. mit wörtlichen Auszügen, oder auch kritisieren sollten (S. 223 – 225); die Technik, Auszüge aus dem besprochenen Werk zu präsentieren, sei am Ende des 18. Jahrhunderts zurückgegangen (S. 225).
III Buchrezensionen um 1800
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aber auch, obwohl knappe, inhaltliche Aussagen enthalten),¹⁸ so lassen sich drei Kategorien unterscheiden. (1) Wenig aussagekräftig und nur im weitesten Sinne als Rezensionen zu bezeichnen sind diejenigen Veröffentlichungen, die – wie um 1800 durchaus verbreitet – lediglich einen Auszug aus dem Werk bieten,¹⁹ die „Hauptideen“ wiedergeben²⁰ oder nach einer Einleitung einen Überblick über den Inhalt enthalten.²¹ Immerhin sagen sie etwas darüber aus, was die Autoren für mitteilenswert hielten, und sie bringen häufig in der Einleitung zusammenfassende Wertungen. (2) Um 1800 verbreitet sind auch Rezensionen, die zwar einen ausführlichen Überblick über die Gedankengänge des Autors des rezensierten Buches geben – z.T. mit längeren wörtlichen Zitaten –, aber eingeschoben in Klammern²² oder am Schluss²³ Zweifel und Kritik äußern. Wird diese Methode angewandt, so fällt es manchmal schwer, die referierten Auffassungen Kants von denjenigen des Autors zu unterscheiden. (3) Die weitaus meisten Rezensionen entsprechen unseren Erwartungen an eine „richtige“ Buchbesprechung, da die Autoren ausgewählte Inhalte von Kants Rechtslehre vorstellen und würdigen, teils zustimmend zur Kenntnis nehmen, vor allem aber mit eigenen Argumenten kritisieren; zu dieser Kategorie gehören auch die Rezensionen der Erläuternden Anmerkungen und der zweiten Auflage.²⁴ Ludwig Heinrich Jakob, der Autor einer der ausführlichsten kritischen Rezensionen, betont, dass seine Kritik nicht auf einer unterschiedlichen Auffassung der zugrundeliegenden Prinzipien beruhe, sondern auf abweichender Anwendung der Prinzipien.²⁵
III Buchrezensionen um 1800 Obwohl die Beobachtungen im vorhergehenden Abschnitt nur am Rande auch den Inhalt der Rezensionen betreffen, lassen sie bereits deren Wert als Quelle für Forschungen zur Verortung von Kant in seiner Zeit erkennen. Es fällt auf, dass die meisten Buchbesprechungen in allgemeinen Rezensionszeitschriften erschienen, die gelegentlich, aber nicht ganz treffend, als „allgemeine kritische Zeitschrif-
Rez. Nr. 3 und 11. Rez. Nr. 7. Rez. Nr. 16. Rez. Nr. 2, 12, 14 und 15. Rez. Nr. 6 und 8. Rez. Nr. 1, Rez. Nr. 4, 5, 9, 10, 17, 18, 19, 20, 22, 23 und 25; die Rez. Nr. 24 verweist auf die Rez. Nr. 19. Rez. Nr. 4, S. 13.
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Diethelm Klippel: Die Rezensionen zu Kants Rechtslehre als Quelle
ten“²⁶ oder als „gelehrte Zeitschriften“²⁷ bezeichnet werden. Schon ihre große Zahl²⁸ weist darauf hin, dass sie im gelehrten Diskurs um 1800 eine wichtige Rolle spielten. Es liegt auf der Hand, dass sie eine Fundgrube der Ideengeschichte sind, weil ihre Auswertung Aufschlüsse darüber geben kann, welche Themen die Zeitgenossen beschäftigten, wo die Schwerpunkte des Diskurses lagen, welche Themen kontrovers diskutiert wurden, wo die Meinungsfronten verliefen und welche Hintergründe die Kontroversen hatten – um nur einige Beispiele für ideengeschichtliche Fragestellungen zu geben.²⁹ Das gilt umso mehr, als die Autoren sich häufig in mehreren Spalten oder auf mehreren Seiten ausführlich und bis in Einzelfragen hinein mit der jeweiligen Schrift auseinandersetzten, ganz zu schweigen davon, dass sich gelegentlich umfangreiche Sammelrezensionen finden. Dass die weitaus meisten Besprechungen anonym oder unter einem Sigle erschienen und bis heute nur wenige davon mit Sicherheit einem Autor zugeordnet werden können, spricht nicht gegen die Verwertung bei der Behandlung der erwähnten und anderer Fragestellungen. Sucht man allerdings nach entsprechenden Forschungen, so wird man nur bedingt fündig. Abgesehen von den übergreifenden Darstellungen von Sibylle Obenaus³⁰, die jedoch nur einen Bruchteil der Rezensionszeitschriften erfasst, und von Thomas Habel³¹ liegen kaum neuere,³² sondern zumeist ältere Untersu-
Sibylle Obenaus, Die deutschen allgemeinen kritischen Zeitschriften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Entwurf einer Gesamtdarstellung, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 14 (1974), Sp. 1– 122. So z. B. von Marlies Prüsener, Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Lesergeschichte, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 13 (1972), Sp. 369 – 594, 427. Bibliographische Hinweise dazu bei Diethelm Klippel, Die juristischen Zeitschriften im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, in: Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.– 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Michael Stolleis, Frankfurt a. M. 1999, S. 15‒39, 24– 29; die Liste der für die Bibliographie von Diethelm Klippel (wie Fn. 6) durchgesehenen Zeitschriften (S. XXI–XXXII) enthält 66 allgemeine und 17 spezifisch juristische Rezensionszeitschriften, die für ein oder mehrere Jahre zwischen 1780 und 1850 erschienen. Zu Recht spricht Joachim Rückert davon, dass Rezensionen „die feinsten Seismographen zur Wissenschaft ihrer Zeit“ sind; ders., Jurisprudenz und „wissenschaftliche Kritik“ in den „Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik“ (1827– 1846), in: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“. Hegels Berliner Gegenakademie, hrsg. v. Christoph Jamme, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, S. 449 – 488. Wie Fn. 26. Wie Fn. 17. Vor allem ist hinzuweisen auf die Beiträge in: Organisation der Kritik. Die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ in Jena 1785 – 1803, hrsg. v. Stefan Matuschek, Heidelberg 2007. Zu nennen sind ferner: Ute Schneider, Friedrich Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek als Integrationsmedium
IV Zu den Beiträgen der Herausgeber
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chungen zu einzelnen Zeitschriften vor,³³ die jedoch z.T. weiterhin wertvoll sind, vor allem wenn sie Zuordnungen von anonym erschienenen Rezensionen zu bestimmten Autoren vornehmen. Insbesondere fehlt es an Forschungen, welche die Rezensionszeitschriften, zusammen mit anderen Quellen, umfassend hinsichtlich einer bestimmten Wissenschaftsdisziplin, der Rezeption eines bestimmten Autors oder eines bestimmten Werkes auswerten. Nicht zuletzt als Anregung dazu sind die vorliegende Edition und die Beiträge der Herausgeber gedacht.
IV Zu den Beiträgen der Herausgeber Die Aufsätze der Herausgeber in diesem Band befassen sich inhaltlich (Klippel und Hüning) und methodisch (Eisfeld) mit Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Vorhaben der Kontextualisierung von Kants Rechtslehre stellen, und sollen insbesondere einen ersten Beitrag zur Würdigung der zeitgenössischen Rezensionen leisten. Der Aufsatz von Diethelm Klippel unternimmt es, Kants Rechtsphilosophie in den Naturrechtsdiskurs am Ende des 18. Jahrhunderts einzuordnen und behandelt in diesem Zusammenhang auch die Rezensionen. Der Beitrag ist bereits 2002 erschienen.³⁴ Die Herausgeber haben sich entschlossen, ihn im Wesentlichen unverändert in diesem Band abzudrucken, weil er versucht, die Methoden der sog.
der Gelehrtenrepublik, Wiesbaden 1995; Mark Napierala, Archive der Kritik. Die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ und das „Athenaeum“, Heidelberg 2007. Insbesondere Gustav C. F. Parthey, Die Mitarbeiter an Friedrich Nicolai’s Allgemeiner Bibliothek nach ihren Namen und Zeichen in zwei Registern geordnet. Ein Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte, Berlin 1842; Gustav Roethe, Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen, in: Festschrift zur Feier des hundertfünfzigjährigen Bestehens der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Beiträge zur Gelehrtengeschichte Göttingens, Berlin 1901, S. 567– 688; Karl O. Wagner, Die „Oberdeutsche Allgemeine Litteratur-Zeitung“, Salzburg 1908; Walther Schönfuß, Das erste Jahrzehnt der Allgemeinen Literatur-Zeitung, phil. Diss. Leipzig 1914; Günther Ost, Friedrich Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek, Berlin 1928; Oscar Fambach, Zur „Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung“ (JALZ), in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 38 (1964), S. 576 – 590; Karl Bulling, Die Rezensenten der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung im ersten [zweiten, dritten] Jahrzehnt ihres Bestehens 1804 – 1813 [1814 – 1823, 1824 – 1833], 3 Bde., Weimar 1962, 1963 und 1965; Oscar Fambach, Die Mitarbeiter der Göttingischen gelehrten Anzeigen 1769 – 1836. Nach dem mit den Beischriften des Jeremias David Reuß versehenen Exemplar der Universitätsbibliothek Tübingen, Tübingen 1976; Otto Pöggeler, Die Heidelberger Jahrbücher im wissenschaftlichen Streitgespräch, in: Heidelberg im säkularen Umbruch. Traditionsbewusstsein und Kulturpolitik um 1800, hrsg. v. Friedrich Strack, Stuttgart 1987, S. 154– 181. Diethelm Klippel, Kant im Kontext. Der naturrechtliche Diskurs um 1800, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2001, München 2002, S. 77– 107 (in diesem Band S. 263 – 296).
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Diethelm Klippel: Die Rezensionen zu Kants Rechtslehre als Quelle
Neuen Ideengeschichte auf Kants rechtsphilosophische Lehren anzuwenden. Es wird nachgewiesen, dass Kants Schriften in die Zeit eines ausgedehnten Naturrechtsdiskurses fielen und von den Zeitgenossen dementsprechend als Beiträge dazu verstanden wurden:³⁵ Bereits vor Kants Rechtslehre waren, als Antwort auf die seit ca. 1780 festgestellte Krise des Naturrechts, auf der Grundlage der kritischen Philosophie Kants seit Beginn der 1790er Jahre zahlreiche Naturrechtslehrbücher erschienen. Die in ihnen vertretenen Auffassungen u. a. zum Allgemeinen Staatsrecht und zum Strafrecht widersprachen denjenigen, die Kant in seiner Rechtslehre vertrat. Eine Auswertung der Rezensionen ergebe, dass zahlreiche Lehren Kants deshalb auf Ablehnung stießen, zumal, da Kant die Sprache des zeitgenössischen Naturrechtsdiskurses nicht mehr beherrscht und sich mit abweichenden Ansichten nicht auseinandergesetzt habe. Dieter Hüning behandelt, zum besseren Verständnis des Inhalts von Kants Rechtslehre, zunächst deren Entstehungsprozess, insbesondere die Aspekte des angeborenen Rechts, der erworbenen Rechte und der Pflichten gegen sich selbst. Die Entwicklung der Theorie des äußeren Mein und Dein wird im zeitgenössischen Diskurs verortet, in dem die Auseinandersetzung mit Einwänden von Friedrich Gentz und August Wilhelm Rehberg eine Rolle spielt. Charakteristisch für die Rezensionen sei die Diskrepanz zwischen den Erwartungen, welche die Zeitgenossen mit dem Erscheinen der Rechtslehre verbanden und die von den unter dem Einfluss der Philosophie Kants bereits entstandenen Naturrechtslehrbüchern geprägt waren, und dem Inhalt des Werkes, der die Erwartungen enttäuschte. Insbesondere bestimmte rechtsphilosophische Innovationen Kants, so vor allem die „Formalisierung des Rechtsbegriffs“, seien kaum zur Kenntnis genommen und die Auffassungen zum Strafrecht seien heftig kritisiert worden. Hüning sieht zwei Gründe für die enttäuschte Erwartungshaltung, nämlich erstens das Vorhandensein von zahlreichen auf Kants früheren Werken aufbauenden, aber abweichenden Naturrechtslehren und zweitens die mangelnde Stellungnahme Kants zu diesen Werken. Jens Eisfeld geht den methodischen Gründen nach, weshalb die herkömmliche Rechtsphilosophiegeschichte die zeitgenössischen Rezensionen von Kants Rechtslehre kaum zur Kenntnis genommen hat. Sie verstehe sich nämlich nicht als historisch-analytische Disziplin mit dem Ziel der Kontextualisierung historischer Quellen und der Historisierung Kants, sondern verknüpfe aufgrund ihrer hermeneutisch-geisteswissenschaftlichen Darstellungsart die Untersuchung histori-
Die Rezensenten verstanden Kants Rechtslehre als „Naturrecht“, so die Rez. Nr. 1 (S. 147 u. ö.), 2 (Sp. 529), 4 (Sp. 37 u.ö.), 6 (S. 265 u. ö.), 7 (S. 159 u. ö.), 8 (S. 421), 10 (S. 29 u. ö.), 23 (Sp. 301) und 25 (S. 93); bei anderen ergibt sich dies aus dem Zusammenhang.
V Editorische Hinweise
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scher Quellen untrennbar mit deren kritischer Überprüfung aus gegenwärtiger Perspektive, ohne die damit einhergehenden Veränderungen hinreichend offenzulegen. Eisfeld exemplifiziert dies insbesondere anhand zweier Eingriffe in den kantischen Systembau, die entgegen ausdrücklicher Aussagen von Kant selbst im Zuge der Kant-Rezeption vorgenommen wurden und werden: Zum einen wandele das einschlägige Schrifttum den Grundsatz von der empirischen Unerkennbarkeit der Dinge an sich in deren empirische Erkennbarkeit um, zum anderen ignoriere es den naturrechtlichen Charakter von Kants Rechtslehre. Insgesamt habe dies zu dem Missverständnis geführt, Kant habe der wissenschaftlichen Erkennbarkeit des Naturrechts den Boden entzogen und eine Theorie des positiven Rechts begründet.
V Editorische Hinweise Um die Rezensionen zu Kants Rechtslehre der Forschung zugänglich zu machen, hätte die Möglichkeit des Nachdrucks bestanden, d. h. die einzelnen Rezensionen hätten faksimiliert werden können. Davon wurde vor allem deshalb abgesehen, weil die Formate der Vorlagen sehr unterschiedlich sind, vom Kleinoktavformat einiger Zeitschriften bis hin zum Quartformat vor allem einiger allgemeiner Rezensionszeitschriften, mit zwei Spalten auf einer Seite. Stattdessen wurden die Rezensionen neu gesetzt, die Bezüge zum Original aber so weit wie möglich gewahrt: Seiten- bzw. Spaltenwechsel im Original werden durch die Seiten- bzw. Spaltenzahl in Schrägstrichen (z. B. /1043/) gekennzeichnet, und Orthographie und Zeichensetzung sind weitgehend beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden teils stillschweigend verbessert, teils in eckigen Klammern richtiggestellt, fehlende Satzzeichen, wenn die Verständlichkeit leiden würde, in eckigen Klammern ergänzt. Hervorhebungen erfolgen durchgehend kursiv, unabhängig davon, ob sie im Originaltext ebenfalls kursiv oder halbfett oder in einer anderen Schriftgröße gekennzeichnet werden. Angesichts des Zwecks der Edition und angesichts mangelnder Forschungen zum Inhalt der Rezensionen wird die Zahl der editorischen Anmerkungen (in Fußnoten in eckigen Klammern) gering gehalten. Sie beziehen sich vorwiegend auf die Verfasser, soweit diese benannt werden können. Damit ist freilich das generelle Problem der Entschlüsselung der Verfasserschaft der Buchbesprechungen in den Rezensionszeitschriften angesprochen.³⁶ Die Erforschung der Zuordnung der riesigen Zahl von Rezensionen darin, die in der Regel anonym oder
Zur Möglichkeit der Ermittlung der Rezensenten siehe Habel (wie Fn. 17), S. 135– 148.
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Diethelm Klippel: Die Rezensionen zu Kants Rechtslehre als Quelle
unter einem Sigle erschienen, zu einzelnen Verfassern ist aus unterschiedlichen Gründen nicht weit gediehen. Vor allem mangels aussagekräftiger Quellen wird sich daran aller Voraussicht nach kaum etwas ändern. Wenn Aussagen zu den Verfassern der Rezensionen zu Kants Rechtslehre aufgrund der zur Verfügung stehenden Quellen oder der Forschungsliteratur möglich waren, wird der Verfasser angegeben, gelegentlich allerdings mit dem einschränkenden Hinweis darauf, dass die Zuordnung wahrscheinlich, aber nicht gesichert ist.
VI Literatur Bulling, Karl: Die Rezensenten der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung im ersten [zweiten, dritten] Jahrzehnt ihres Bestehens 1804 – 1813 [1814 – 1823, 1824 – 1833], 3 Bde., Weimar 1962, 1963 und 1965. Fambach, Oscar: Zur „Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung“ (JALZ), in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 38 (1964), S. 576 – 590. Fambach, Oscar: Die Mitarbeiter der Göttingischen gelehrten Anzeigen 1769 – 1836. Nach dem mit den Beischriften des Jeremias David Reuß versehenen Exemplar der Universitätsbibliothek Tübingen, Tübingen 1976. Habel, Thomas: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts, Bremen 2007. Hüning, Dieter: Kants Strafrechtstheorie und das jus talionis, in: Dieter Hüning u. a. (Hrsg.), Aufklärung durch Kritik. Festschrift für Manfred Baum zum 65. Geburtstag, Berlin 2004, S. 333 – 360. Klippel, Diethelm: Die juristischen Zeitschriften im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, in: Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, hrsg. v. Michael Stolleis, Frankfurt a. M. 1999, S. 15‒39 Klippel, Diethelm: Kant im Kontext. Der naturrechtliche Diskurs um 1800, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2001, München 2001, S. 77 – 107 [in diesem Band S. 263 – 296]. Klippel, Diethelm: Naturrecht und Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert. Eine Bibliographie. 1780 bis 1850, Tübingen 2012. Napierala, Mark: Archive der Kritik. Die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ und das „Athenaeum“, Heidelberg 2007. Obenaus, Sibylle: Die deutschen allgemeinen kritischen Zeitschriften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Entwurf einer Gesamtdarstellung, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 14 (1974), Sp. 1 – 122. Organisation der Kritik. Die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ in Jena 1785 – 1803, hrsg. v. Stefan Matuschek, Heidelberg 2007. Ost, Günther: Friedrich Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek, Berlin 1928. Parthey, Gustav C. F.: Die Mitarbeiter an Friedrich Nicolai’s Allgemeiner Bibliothek nach ihren Namen und Zeichen in zwei Registern geordnet. Ein Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte, Berlin 1842.
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Pöggeler, Otto: Die Heidelberger Jahrbücher im wissenschaftlichen Streitgespräch, in: Heidelberg im säkularen Umbruch. Traditionsbewusstsein und Kulturpolitik um 1800, hrsg. v. Friedrich Strack, Stuttgart 1987, S. 154 – 181. Prüsener, Marlies: Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Lesergeschichte, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 13 (1972), Sp. 369 – 594, 427. Roethe, Gustav: Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen, in: Festschrift zur Feier des hundertfünfzigjährigen Bestehens der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Beiträge zur Gelehrtengeschichte Göttingens, Berlin 1901, S. 567 – 688. Rückert, Joachim: Jurisprudenz und „wissenschaftliche Kritik“ in den „Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik“ (1827 – 1846), in: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“. Hegels Berliner Gegenakademie, hrsg. v. Christoph Jamme, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, S. 449 – 488. Schneider, Ute: Friedrich Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik, Wiesbaden 1995. Schönfuß, Walther: Das erste Jahrzehnt der Allgemeinen Literatur-Zeitung, phil. Diss. Leipzig 1914. Wagner, Karl O.: Die „Oberdeutsche Allgemeine Litteratur-Zeitung“, Salzburg 1908.
Teil II: Rezensionen zur ersten Auflage der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre (1797) Die Metaphysik der Sitten. Erster Theil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. XII + 235 + [1] S. ‒ Königsberg: Nicolovius 1797.
1 Allgemeine juristische Bibliothek [Verf.: -r.]. Hrsg. von einer Gesellschaft Tübinger Rechtsgelehrter. 1797, Bd. 3, S. 145‒168. /145/ […] Der ehrwürdige Greis arbeitet noch immer mit der ganzen Stärke seines männlichen Geistes an der Vollendung des grossen Werks, das menschliche Erkenntnisvermögen in seinen ächten Wirkungskreis zu versetzen, und eine Wissenschaft der Philosophie zu begründen, die das Unerkennbare zum Erkennbaren und das Denkbare zum Wirklichen zu erheben sich nicht anmast; sondern, reine und empirische Vernunfterkenntnis absondernd, das Unbefriedi-/146/gende der theoretischen Erkenntnis durch die Aussprüche und nothwendigen Forderungen der practischen Vernunft ergänzt. Es ist hier wohl nicht der Ort, den Ruhm eines Mannes durch Recensentenlob zu vergrössern, den selbst die Gegner seiner Philosophie mit Ehrfurcht nennen. Noch weniger begnügt sich Rec. mit dem blossen Nachsprechen einiger Formeln oder mit Heraushebung einzelner Sätze des Verf. Er versucht es vielmehr, die Gedankenreyhe desselben, die, wie in allen seinen Schriften, theils durch die Natur einer alles in seine Elemente auflösenden Untersuchung, theils aber auch nach einer ohne Zweifel wohlgemeinten Disciplin für den Leser mit Mühe erhoben werden mus, in den wesentlichsten Momenten aufzufassen, und in eine, wo möglich, einfache Uebersicht zu übertragen. Am Ende wird er freymüthig seine Zweifel gegen einzelne Behauptungen äussern. Denn daß, einen einzigen Zweifel ausgenommen, den sich Rec. bis jezo nicht lösen konnte, gegen die Deduction und eigentliche Begründung der Rechtslehre selbst wohl schwerlich viel Erhebliches zu erinnern seyn dürfte, davon hat ihn sein angestrengtestes Nachdenken und selbst auch die Schwäche des Tadels überzeugt, den er von seynwollenden Richtern in diesem Fache gehört und auch leider! schon gelesen hat. Alles hängt in diesen metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre mit den ersten Grundprincipien der kritischen Philosophie zusammen, die auch diesem Gebäude im Ganzen seine Haltung geben, ja sogar einzelne Rechtssäze, die der Menschenverstand bisher als nothwendig angesehen und so aufgestellt hatte, auf die bestimmteste Weise zu Vernunftwahrheiten erheben. Auch diese Schrift wird dem schiefesten Misbrauch ausgesetzt seyn. Es wird Civilisten geben, die aus der kritischen Philosophie Sätze ableiten werden, welche aus einer ganz andern Quelle flossen. Und Jünglinge wird es geben, die, zu diesem Studium von der Natur berufen oder nicht berufen, alles positive gelehrte Studium des Statutarischen in unserer Jurisprudenz, als vermeintliche Rechtshttps://doi.org/10.1515/9783110702996-003
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philosophen, verwerfen werden. Aber es wird auch Männer geben, die[,] ohne das positive System aus seinem eigenen Zusammenhang reissen zu wollen, sich dennoch zu höheren Gesichtspuncten erheben, und die Quelle der wichtigsten /147/ Bestimmungen desselben in der blossen Vernunft suchen werden. Diesen wird, ohne den Gebrauch des Empirischen, und ohne die historische Kenntnis des Statutarischen verwerfen zu wollen, an einer blos empirischen Rechtslehre nicht mehr genügen. Ihre Rechtswissenschaft wird von Vernunftprincipien ausgehen, das Naturrecht wird ihnen nicht blos eine Art von leichterer Voreinleitung ins positive Recht seyn. Es wird zu seiner eigenthümlichen Würde erhoben werden, die philosophische Grundlage zu seyn, an welche sich die gesammte Rechtslehre anschliest. Nothwendiger Weise aber schliest sich diese philosophische Grundlage der gesammten Rechtslehre an die höheren Untersuchungen und Resultate der Kritik der Vernunft an. Und zwar folgt auf die Kritik der practischen Vernunft unmittelbar die Metaphysik der Sitten. Ein Gegenstük der metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft, soll sie die metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre, so wie der Tugendlehre, enthalten. (Dieser leztere Theil wird nach der Zusage des Verf. in kurzem nachfolgen). Da der Rechtsbegriff ein reiner, jedoch auf die Anwendung in der Erfahrung gestellter Begriff ist, für die Mannigfaltigkeit der Fälle in der Erfahrung aber Vollständigkeit der Eintheilung niemals möglich ist, so kann einzig ein reines, a priori entworfenes Rechtssystem in metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre zur Grundlage gesetzt werden. Die besonderen Erfahrungsfälle, worauf dasselbe bezogen wird, können nur in Anmerkungen erwähnt werden. In Ansehung ihrer ist kein System, sondern nur Annäherung zum System möglich. Dis vorausgesezt wird in der vorangehenden Einleitung vor allen Dingen das Verhältnis der Vermögen des menschlichen Gemüths zu den Sittengesetzen entwickelt. Zuerst wird der Begriff des Begehrungsvermögens bestimmt. Es ist das Vermögen, durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu seyn. Liegt der Bestimmungsgrund zum Handeln in dem Begehrungsvermögen selbst, nicht in dem Object desselben, ist es also ein Begehrungsvermögen nach Begrif-/148/fen, so heißt es ein Vermögen, nach Belieben zu thun und zu lassen. Ist es mit dem Bewußtseyn des Vermögens seiner Handlung zu Hervorbringung des Objects verbunden, so heißt es Willkühr. Ohne dieses Bewußtseyn ist der Act desselben ein Wunsch. Das Begehrungsvermögen endlich, dessen innerer Bestimmungsgrund in der Vernunft des Subjects angetroffen wird, ist der Wille. Er unterscheidet sich von der Willkühr darinn: diese ist mit Bewußtseyn verbundenes Begehrungsvermögen in Beziehung auf die Handlung betrachtet; der Wille ist es in Beziehung auf den Bestimmungsgrund der Willkühr zur
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Handlung. Er hat vor sich eigentlich keinen Bestimmungsgrund, sondern ist, sofern sie die Willkühr bestimmen kann, die practische Vernunft selbst. Die menschliche Willkühr wird durch Antriebe afficirt, nicht bestimmt. Sie ist für sich nicht rein; sie kann aber aus reinem Willen bestimmt werden. Nur von ihr kann gesagt werden, daß sie frey sey. Denn der Wille eines vernünftigen Wesens, oder die practische Vernunft, ist immer mit sich selbst übereinstimmend und nothwendig. „Handle nach einer Maxime, die zugleich als allgemeines Gesez gelten kann“, ist der oberste Grundsaz seiner Gesezgebung. Selbst die Freyheit der Willkühr kann nicht durch das Vermögen der Wahl, für oder wider das Gesez zu handeln, definirt werden. Was beym Menschen als Phänomen geschieht, erklärt den theoretisch gar nicht darstellbaren Begriff der Freyheit des Menschen als intelligiblen Wesens keineswegs. Nur im practischen Gebrauch beweist der transcendente Begriff der Freyheit seine Realität durch practische Grundsäze, die als Geseze eine Causalität der reinen Vernunft, und einen reinen, von allen empirischen Bedingungen unabhängigen Willen in uns darthun, in welchem die sittlichen Begriffe und Geseze ihren Ursprung haben. So bestimmt sich nun der Begriff der Freyheit der Willkühr negativ: als die Unabhängigkeit ihrer Bestimmung durch sinnliche Antriebe, positiv: als das Vermögen der reinen Vernunft, für sich selbst practisch zu seyn. /149/ Die Geseze der Freyheit sind moralisch. Gehen sie blos auf äussere Handlungen und deren Gesezmäsigkeit, so sind sie juridisch; fordern sie, daß sie sie selbst die Bestimmungsgründe des Willens seyn sollen, so sind sie ethisch. Jene Geseze beziehen sich blos auf die Freyheit im äussern, diese auf die Freyheit im äussern und innern Gebrauch. Immer aber ist die Gesezgebung der Vernunft für die Freyheit von aller Erfahrung unabhängig, geht einzig aus ihr selbst hervor. Macht sie eine Handlung zur Pflicht, und die Pflicht zur Triebfeder der Handlung, so ist sie ethisch; schließt sie die Pflicht nicht mit als Triebfeder ein, läßt sie noch eine andere Triebfeder, als die Idee der Pflicht selbst zu, so ist sie juridisch. Uebereinstimmung einer Handlung mit dem Gesez aus der Triebfeder der Pflicht ist Moralität – ohne Rüksicht auf die Triebfeder Legalität. Rechtslehre und Tugendlehre unterscheiden sich also nicht sowohl durch ihre verschiedenen Pflichten, als vielmehr durch die Verschiedenheit der Gesezgebung, welche die eine oder die andere Triebfeder mit dem Gesez verbindet. Die Ethick hat neben ihren besonderen Pflichten (z. B. denen gegen sich selbst) auch mit dem Rechte Pflichten gemein, aber nur die Art der Verpflichtung nicht. Nur auf äussere Handlungen (d. h. ohne Hinsicht auf ihre Triebfeder) beschränkt sich die juridische Gesezgebung. Sie sezt fest, was ist Recht und Unrecht; und der oberste eingetheilte Begriff bey dieser Unterscheidung ist der Act der Willkühr. Was ist denn nun aber Recht? diese Frage sezt bey Rechtsgelehrten in gleiche Verlegenheit, wie die: was ist Wahrheit? den Logiker. Er mus alle empirische
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Principien verlassen, und die allgemeinen Criterien dieses Begriffs in der blossen Vernunft aufsuchen. Der Begriff des Rechts, sofern es sich auf eine ihm correspondirende Verbindlichkeit bezieht, betrifft 1) nur das äussere practische Verhältnis einer Person gegen eine andere, deren Handlungen als Facta mittelbar oder unmittelbar Einfluß aufeinander haben können; 2) bedeutet er nicht das Verhältnis der Willkühr auf den Wunsch /150/ oder auf das blosse Bedürfnis des Andern, wie etwa in den Handlungen der Wohltätigkeit oder Hartherzigkeit, sondern lediglich auf die Willkühr des Andern; 3) kommt in diesem Verhältnis der Willkühr nicht die Materie der Willkühr, der Zweck, den ein Jeder mit dem Object, das er will, sich vorsezt, sondern blos die Form desselben in Betrachtung. Es fragt sich einzig: ist die Willkühr frey? und läßt sie sich bey der Handlung des Einen mit der Freyheit des Andern nach einem allgemeinen Gesez vereinigen? So bildet sich der Begriff von Recht. Im objectiven Sinn ist dasselbe „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkühr des Einen mit der Willkühr des Andern nach einem allgemeinen Gesez der Freyheit zusammenvereiniget werden kann.“ (S. XXXIII.) Das allgemeine Princip des Rechts ist: „eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freyheit der Willkühr eines Jeden mit Jedermanns Freyheit nach einem allgemeinen Geseze zusammen bestehen kann.“ Und so ist also Recht im subjectiven Sinn „jede Bestimmung meines Zustandes, der mit der Freyheit von Jedermann bestehen kann.“ Besteht meine Handlung, mein Zustand nach dieser Probe, so thut der mir Unrecht, der mich darinn stört, denn dieses Hindernis kann mit der Freyheit nach allgemeinen Gesezen nicht bestehen. Aber nach allgemeinen Gesezen kann Zwang, als Widerstand gegen Hindernisse des nach den nemlichen Gesezen mir zukommenden Gebrauchs der Freyheit gedacht werden. Und so wird also der angegebene subjective Begriff des Rechts gleichbedeutend mit der Definition seyn, daß dasselbe das Vermögen sey, Andere zu ver[p]flichten. Aber diesen Begriff des Rechts leiten wir einzig und nothwendig aus dem moralischen Imperativ her. Nur durch diesen kennen wir unsere eigene Freyheit; von dieser gehen alle moralische Geseze, alle Rechte und Pflichten aus; und ohne jenen pflichtgebietenden Saz können wir das Vermögen, Andere zu verpflichten, d. i. den Begriff des Rechts nirgends herleiten. (S. XLVIII.) /151/ Von diesem Rechtsbegriff, der auf ein Verhältnis freyer wesen gegen einander sich bezieht, von dem Recht der Menschen ist das Recht der Menschheit in unserer eigenen Person verschieden, das Recht, nie blosses Mittel zum Zweck Anderer, sondern immer zugleich Zweck für sie zu seyn; dessen Gebrauch ich zwar, ohne die rechtmäßige Freyheit Anderer zu stören, aufgeben kann, zu dessen Entsagung ich aber nach allgemeinen Gesezen so wenig gezwungen werden kann,
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als zur Fortsezung eines diesem Recht der Menschheit in mir zuwiderlaufenden Verhältnisses (S. XLIII.). Aus dem categorischen Imperativ aber, der mir gebietet, die Menschheit in meiner sowohl als in der Person jedes Andern jederzeit zugleich als Zweck, nie blos als Mittel zu behandeln, entspringt die gedoppelte Nothwendigkeit: die Zwecke Anderer so wie meinen Selbstzweck nicht zu zerstören, jene so wie diesen, thätig zu befördern. Das Leztere ist unvollkommene, ist Tugendpflicht; das erstere zu thun ist vollkommene, ist Rechtspflicht. Die besonderen Geseze, wodurch die Rechtspflichten bestimmt werden, theilen sich unter der Leitung folgender Grundsäze ein: „1) Sey ein rechtlicher Mensch, (honeste vive) behaupte deinen Werth als Mensch gegen Andere. (Lex justi.) 2) thue Niemanden Unrecht (neminem laede) und solltest du auch darüber aus aller Verbindung mit Andern herausgehen, und alle Gesellschaft meiden müssen (Lex juridica.) 3) tritt, wenn du das Leztere nicht vermeiden kannst, in eine Gesellschaft mit Andern, worinn Jedem das Seine gegen jeden Andern gesichert seyn kann (suum cuique tribue. Lex justitiae.)“ (S. XLIII.) Sofern nun aber lediglich vom Verhältnis freyer Wesen zu einander, von eingentlichen Rechten der Menschen die Rede ist, so können dieselbe eingetheilt werden: 1) als systematische Lehren: in das Naturrecht, das auf lauter Principien a priori beruht, und in das /152/ positive (statutarische), was aus dem Willen eines Gesezgebers hervorgeht; 2) als (moralische) Vermögen Andere zu verpflichten: in das angebohrne, und das erworbene Recht. Jenes kommt ohne allen rechtlichen Act jedem von Natur zu; zu diesem wird ein rechtlicher Act erfordert. Das angebohrne ist nur ein einziges. Freyheit Unabhängigkeit von eines Andern nöthigender Willkühr, sofern sie mit jedes Andern Freyheit nach einem allgemeinen Gesez bestehen kann, ist dieses Recht. Alle andere sogenannte angebohrne Rechte sind in diesem höheren Rechtsbegriff als Glieder der Eintheilung enthalten. Soll aber das Naturrecht selbst in dem so eben angegebenen Sinne wiederum eingetheilt werden, so kann die oberste Eintheilung desselben in das natürliche und gesellschaftliche, keineswegs als richtig angenommen werden. Im Naturstande gibt es selbst Gesellschaften, als die elterliche, die ehliche; folglich ist der gesellschaftliche Zustand dem Naturzustande nicht entgegengesezt. Richtiger wird das Naturrecht in das natürliche und in das bürgerliche, oder in das Privatund öffentliche Recht eingetheilt.
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Diese Eintheilung legt nun auch Herr Kant zum Grunde, und handelt in der allgemeinen Rechtslehre erstem Theil das Privatrecht, oder die Lehre vom äusseren Mein und Dein überhaupt ab. Im ersten Hauptstück: von der Art, etwas Aeusseres als das Seine zu haben, wird der Begriff des Rechtlich-Meinen (meum juris) also vorangesezt: „es ist dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein Anderer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädiren würde.“ (S. 55.) Wie ist nun aber dieses Rechtlich-Meine möglich? Diese Möglichkeit beruht auf dem Postulat der practischen Vernunft, wodurch sie sich a priori erweitert, daß es nothwendig sey, einen jeden Gegenstand meiner Willkühr als objectiv-mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln. Eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesez würde, /153/ ein Gegenstand der Willkühr an sich herrenlos werden müßte, ist widersprechend. Es würde Aufhebung der Willkühr durch die Freyheit seyn, wenn ich das, was ich zu gebrauchen physisch die Macht habe, was also Gegenstand meiner Willkühr ist, rechtlich nicht gebrauchen dürfte; wenn also brauchbare Gegenstände ausser aller Möglichkeit des Gebrauchs versezt würden. Durch dieses Postulat gibt die practische Vernunft uns die Befugnis, (die wir aus blossen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten,) allen Andern eine Verbindlichkeit aufzuerlegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkühr zu enthalten, weil wir sie zuerst in Besiz genommen haben. Dieser ist die subjective Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs. Er kann ein sinnlicher, (possessio phænomenon), und kann ein blos intelligibler Besiz ohne Inhabung (possessio noumenon) seyn. Immer muß jedoch zu dem äussern Mein und Dein ein intelligibler Besiz als möglich vorausgesezt werden. Wie ist denn nun aber dieser blos rechtliche Besiz möglich? diese Frage ist noch nicht aufgelöst, und beruht auf der höheren allgemeinen Frage: wie ist ein synthetischer Rechtssaz a priori möglich? Der Saz, daß derjenige, welcher mich in meinem empirischen Besiz, in meiner Inhabung stört, meine Freyheit nach einer Maxime einschränke, die mit dem allgemeinen Axiom des Rechts nicht bestehen kann, ist blos analytisch; er geht nicht über das Recht einer Person in Ansehung ihrer selbst hinaus. Dagegen geht der Saz von der Möglichkeit des Besizes einer Sache ausser mir, nach Absonderung aller Bedingungen des empirischen Besizes im Raume und in der Zeit über jene einschränkende Bedingungen hinaus. Er gründet sich auf das obige Postulat der practischen Vernunft, jeden Gegenstand meiner Willkühr als objectiv-mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln. Wenn es nun also nothwendig und Rechtspflicht ist, gegen Andere so zu handeln, daß das Aeussere (Brauchbare) auch das Seine von irgend Jemand werden könne, dieses aber ohne einen nicht phy-/154/sischen Besiz nicht gedacht werden kann, so mus auch die intelligible Bedingung eines blos rechtlichen Besizes möglich seyn; wenn gleich diese
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Möglichkeit für sich selbst nicht bewiesen oder eingesehen werden kann, weil dieser Besiz ein Vernunftbegriff ist, dem seine Anschauung correspondirend gegeben werden kann, sondern nur als nothwendige Folge aus jenem Postulat unmittelbar entspringt. So kann nun also erst zu der oben gegebenen Nominaldefinition des äussern Mein und Dein die Realerklärung hinzugesezt werden, daß es dasjenige sey, in dessen Gebrauch mich zu stören Läsion seyn würde, ob ich gleich nicht im Besiz desselben (nicht Inhaber des Gegenstandes) bin. Hier aber, wo vom Besiz von Gegenständen der Willkühr die Rede ist, werden sie in practischer Rüksicht als Dinge an sich, nicht blos als Erscheinung, betrachtet, und sind so zu betrachten, weil es nicht um theoretische Erkenntnis der Natur der Dinge an sich, sondern nur um Bestimmung der Willkühr in Hinsicht auf ihre Gegenstände zu thun ist. Auf diese Gegenstände der Erfahrung mus der Vernunftbegriff eines intelligiblen Besizes angewandt werden. Diß geschieht durch den Uebergang auf den reinen (von allen Raums- und Zeitbestimmungen abgezogenen) Verstandesbegriff eines Besizes überhaupt, eines Habens; nicht der Inhabung. Der äussere Gegenstand, als von mir unterschieden, mus als in meiner Gewalt gedacht werden. Er ist mein, weil mein Wille sich zu dem Gebrauch desselben dem Gesez der äusseren Feyheit gemäs bestimmt, ist mein durch die blos rechtliche Verbindung meines Willens mit ihm, unabhängig von meinem Verhältnis zu dem Gegenstand im Raume und in der Zeit. Durch den Act meines Willens, als einer allgemeingeltenden Gesezgebung, die in dem Ausdruck enthalten ist: „dieser Gegenstand ist mein“, lege ich allen Andern die Verbindlichkeit auf, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs derselben zu enthalten. Die äusseren Gegenstände meiner Willkühr können nur drey seyn: 1) eine körperliche Sache ausser mir; 2) /155/ die Willkühr eines Andern zu einer bestimmten That (præstatio); 3) der Zustand eines Andern im Verhältnis auf mich. Davon, daß ich eine Sache im Raume und in der Zeit definire oder nicht, hängt schlechterdings das Mein in derselben nicht ab. Eben so verhält es sich mit dem acceptirten Versprechen. Der Act des übereinstimmenden Willens ist an keine Zeitbestimmung, an keine Zwischenzeit zwischen Zusage und Annahme geknüpft. Eben dis gilt auch von dem rechtlichen Besiz einer Person, weil ein rechtliches Verhältnis, das sie verknüpft, durch örtliche Trennung nicht gehoben wird. Indem ich nun aber erkläre, daß Etwas mein seyn soll, so lege ich jedem Andern die Verbindlichkeit auf, sich des Gegenstandes meiner Willkühr zu enthalten; aber ich bekenne mich auch dadurch gegen jeden Andern zu gleicher Enthaltsamkeit verbunden. Allein diese wechselsweise Sicherheit, die aus der allgemeinen Regel des äussern Rechtsverhältnisses hervorgeht, kann einzig durch einen gemeinsamen und Machthabenden Willen festgestellt werden. Dieser Zu-
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stand unter einer allgemeinen äussern (d. i. öffentlichen) mit Macht begleiteten Gesezgebung ist der bürgerliche. Und nur in diesem ist ein äusseres Mein und Dein in der That möglich. Mus es aber rechtlich möglich seyn, ein äusseres Sein zu haben, so mus es auch erlaubt seyn, jeden, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über ein Object kommt, zu nöthigen, mit ihm zusammen in eine bürgerliche Verfassung zu treten. Diese sichert jedoch nur Jedem das Seine; sie gibts ihm nicht. Vor derselben ist der Besiz ein rechtlich-provisorischer. In einer wirklichen bürgerlichen Verfassung ist er peremtorisch. Im zweyten Hauptstück von der Art, etwas Aeusseres zu erwerben, werden zuförderst die Erfordernisse hiezu entwickelt. Zum Erwerb eines äusseren Gegenstandes gehört 1) Besiznehmung in der Erscheinung (apprehensio); 2) Bezeichnung des Besizes dieses Gegenstandes und des Acts meiner Willkühr (declaratio); 3) die Zueignung (appropriatio) als Act meines äusserlich allgemein gesezgebenden Willens (in der Idee), durch welchen Jedermann zur Einstimmung mit /156/ meiner Willkühr verbunden wird, und wodurch der Saz: dis ist mein, vom sensiblen auf den intelligiblen Besiz richtig zurükgeführt wird. Beym Erwerb des äussern Mein und Dein erwerbe ich 1) der Materie nach entweder eine körperliche Sache (Substanz), oder die Leistung eines Andern (Causalität), oder diese andere Person selbst, d. i. den Zustand derselben, über welchen zu disponiren ich ein Recht erlange. 2) der Form nach ists entweder ein persönliches, ein dingliches, oder ein dinglich-persönliches Recht. 3) nach dem Rechtsgrund (titulus) ist ein Recht entweder durch den Act ein-[,] doppel- oder allseitiger Willkühr (facto, pacto, lege) erworben. Ein Act der ersten Art ist die ursprüngliche Erwerbung durch Occupation. Das Sachenrecht, das Recht in einer Sache ist ein Recht des Privatgebrauchs einer Sache, in deren (ursprünglichen oder gestifteten) Gesammtbesize ich mit allen andern bin. Persönliches Recht ist der Besiz der Willkühr eines Andern, als Vermögen, die durch die meine nach Freyheitsgesezen zu einer gewissen That zu bestimmen. Nur durch Vertrag kann dieses Recht begründet oder erworben werden. Er ist „der Act der vereinigten Willkühr, wodurch überhaupt das Seine des Einen auf den Andern übergeht.“ Er begründet ein persönliches Recht; ein dingliches wird nur durch Tradition erworben. Das persönlich-dingliche Recht ist das des Besizes eines äusseren Gegenstandes als einer Sache, und des Gebrauchs desselben als einer Person.
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Durchs Gesez (lege) geschieht die Erwerbart dieses (im Hauswesen Statt findenden) über alles persönliche und Sachenrecht hinausliegenden Rechts (S. 108.) Das Recht der Menschheit in unserer eigenen Person hat ein natürliches Erlaubnisgesez zur Folge, durch dessen Gunst uns eine solche Erwerbung möglich ist. Dieses häusliche Recht /157/ ist entweder das Ehe-[,] Eltern- oder Hausherrnrecht. Ehe ist Verbindung zweyer Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besiz ihrer Geschlechtseigenschaften. Dem Recht der Menschheit ist der Gebrauch meiner Person als einer Sache zuwider; aber durch den gleichmäsigen Erwerb des Andern als einer Sache stelle ich meine Persönlichkeit wieder her. Doch ist dis nur in der Ehe, nicht im Concubinate, möglich. Die erwerblichen Rechte aus Verträgen trägt der Verf. (S. 120.) nach der bekannten Eintheilung der Leztern in pacta gratuita, onerosa und Zusicherungsverträge kürzlich vor. Sodann folgt aber (S. 130 ff.) ein episodischer Abschnitt von der idealen Erwerbung eines äusseren Gegenstandes der Willkühr. Ideal ist diejenige Erwerbung, die keine Causalität in der Zeit enthält, deren Erwerbact nicht empirisch ist. Nichts desto weniger ist sie, obgleich nur auf einer Idee der reinen Vernunft beruhend, eine wahre, nicht blos eingebildete Erwerbung. Das Subject erwirbt dadurch von einem Andern, der entweder noch nicht ist, (von dem man blos die Möglichkeit annimmt, daß er sey;) oder indem dieser eben aufhört zu seyn, oder wenn er nicht mehr ist. Der zuerst genannte Fall einer solchen Erwerbart ist durch Ersizung (unschicklich Verjährung): Sie gründet sich auf das Princip: wer nicht einen beständigen Besizact (actus possessorius) einer äussern Sache als der seinen ausübt, wird mit Recht als einer, der (als Besizer) gar nicht existirt, angesehen. Die andere Erwerbart ist durch Beerbung. Durch das Versprechen eines Menschen, das der Andere (ohne davon zu wissen) erhält, daß dessen Habe nach seinem Tode auf ihn übergehen soll, bekömmt dieser stillschweigend ein Recht an der Verlassenschaft als ein Sachenrecht, sie zu acceptiren. (jus in hereditate jacente). Denn Jeder acceptirt nothwendiger Weise (weil er dadurch wohl gewinnen, aber nie verlieren kann) ein solches Recht, und acceptirt es auch stillschweigend, und bekommt das Recht der Wahl, ob er die Erbschaft zur seinigen machen will. Also sind Testamente auch nach dem blossen Naturrecht gültig. (sunt ju-/158/ris naturae) „welche Behauptung so zu verstehen ist, daß sie fähig und würdig seyen im bürgerlichen Zustande, (wenn dieser dereinst eintritt) eingeführt und sanctionirt zu werden. (S. 136.)“ Die dritte ideale Erwerbart ist der Nachlaß eines guten Namens nach dem Tode. Jeder hat das Recht, den guten Namen eines Verstorbenen zu vertheidigen. Im
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dritten Hauptstück von der subjectiv bedingten Erwerbung durch den Ausspruch einer öffentlichen Gerichtsbarkeit werden die Vernunftsprincipien entwickelt, nach welchen in einem rechtlich-öffentlichen Zustande öfters ein anderer Maasstab bey Aussprüchen, was über das Mein und Dein Rechtens sey, angenommen werden müsse, als der, welcher im blossen Privatverhältnis jedes Einzelnen gegen den Einzelnen gilt, und das, was recht ist, bestimmt. Der Schenkende z. B. will sich gewiß nie zu Erfüllung einer Schenkung zwingen lassen, er wird sich immer die Möglichkeit der Reue offen behalten. Im Privatzustande wird es also recht seyn, daß kein Zwang gegen ihn Statt finde. Im öffentlichen Zustande mus der Richter eine Gewisheit haben, die ihn für alle Fälle leitet. Hat sich der Schenkende die Reue nicht ausdrüklich vorbehalten, so sieht das Gericht einzig auf das, was gewis geschehen ist, auf Versprechen und Annahme. Er zwingt aus dem Vertrag zur Erfüllung. Im Privatrechtszustande ist derjenige, welcher den Besiz einer Sache rechtmäsig, also z. B. durch Kauf, erworben hat, Eigenthümer, weil der vorherige Eigenthümer seinen Besizact nicht fortgesezt hat, ihn nicht documentiren kann. Im öffentlichen rechtlichen Zustande mus der Gesezgeber die Bedingungen der Rechtmäsigkeit der Erwerbart so stellen, daß der Richter das Seine einem jeden am leichtesten und unbedenklichsten zuerkennen könne. Der Grundsaz der Beurtheilung wird also aufgestellt werden müssen. Ich kann von dem Seinen eines Andern nicht mehr auf mich ableiten, als er selbst gehabt hat. War also der, von dem ich eine Sache erlange, nicht Eigenthümer, so konnte auch ich nicht Eigenthümer, sondern nur redlicher Besizer werden. Dem wahren Eigenthümer blieb sein Recht der Wie-/159/dererlangung (jus rem suam vindicandi). Diese Gerechtigkeit, die nun nicht entscheidet, was in jedem einzelnen Fall für jeden Einzelnen Recht an sich ist, sondern was vor dem Gerichtshof im bürgerlichen Zustande Rechtens sey, (justitia distributiva im Gegensaz gegen die commutativa:) erfordert selbst in Fällen, wo’s um (juristische) Wahrheit zu thun ist, um hinter diese zu kommen, das Nothmittel des Eydes. Zum Behuf des rechtlichen Verfahrens vor einem Gerichtshof gebraucht man diesen Geisteszwang als ein besonderes dem aberglaubischen Hange des Menschen angemessenes Mittel der Aufdeckung des Verborgenen. „Im Grunde aber (S. 158.) handelt die gesezgebende Gewalt unrecht, diese Befugnis der richterlichen zu ertheilen, weil selbst im bürgerlichen Zustande ein Zwang zu Eydesleistungen der unverlierbaren menschlichen Freyheit zuwider ist.“ Aus dem Privatrecht im natürlichen Zustande geht das Postulat des öffentlichen Rechts hervor: du sollst im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseyns mit allen Andern, aus jenem heraus in einen rechtlichen Zustand, d. i. den einer austheilenden Gerechtigkeit, übergehen. Ich bin zum Zwang gegen den
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befugt, der mir schon seiner Natur nach damit droht. Jeder ist im nichtrechtlichen Zustande dem Andern gefährlich. Jenes Recht der Nöthigung zu einem öffentlichen rechtlichen Zustand entspringt daher analytisch aus dem Begriffe des Rechts im äusseren Verhältnis im Gegensaz der Gewalt. (violentia). In dieser Verbindung folgt der Rechtslehre zweyter Theil das öffentliche Recht. (S. 159.) Dieses ist der Inbegriff der Geseze, die einer allgemeinen Bekanntmachung bedürfen, um einen rechtlichen Zustand hervorzubringen. I. Abschnitt. Das Staatsrecht. Ein Staat ist die Vereinigung einer Menge Menschen unter Rechtsgeseze. Sofern diese als Geseze a priori nothwendig sind, d. h. aus Begriffen des äussern /160/ Rechts überhaut von selbst folgen, ist seine Form die Form eines Staates überhaupt, d. i. der Staat in der Idee, wie er nach reinen Rechtsprincipien seyn soll. Ein jeder Staat enthält drey Gewalten in sich: d. i. den allgemeinen vereinigten Willen in dreyfacher Person (trias politica): die Herrschergewalt (Souveränetät) in der des Gesezgebers; die vollziehende Gewalt in der des Regierers (zu Folge dem Gesez) und die rechtsprechende Gewalt in der Person des Richters. Alle diese drey Gewalten im Staate sind Würden, und, als wesentlich aus der Idee eines Staates überhaupt zur Gründung desselben (Constitution) nothwendig hervorgehend, Staatswürden. Sie enthalten das Verhältnis eines allgemeinen Oberhaupts (der, nach Freyheitsgesezen, kein Anderer, als das vereinigte Volk selbst seyn kann) zu der vereinzelten Menge ebendesselben als dem gehorsamenden Theil. Der Beherrscher des Volks (Gesezgeber) kann also nicht zugleich der Regent seyn. Denn dieser steht unter dem Gesez, und wird durch dasselbe, folglich von einem Andern, dem Souveräne, verpflichtet. „Jener kann diesem auch seine Gewalt nehmen, ihn absezen, oder seine Verwaltung reformiren, aber ihn nicht strafen; denn das wäre wiederum ein Act der ausübenden Gewalt, der zuoberst das Vermögen dem Geseze gemäs zu zwingen zusteht, die aber doch selbst einem Zwange unterworfen wäre; welches sich widerspricht.“ (S. 171.) Jene drey verschiedene Gewalten aber sind es immer, wodurch der Staat (civitas) seine Autonomie hat, d. i. sich selbst nach Freyheitsgesezen bildet und erhält. „In ihrer Vereinigung besteht das Heil des Staates (salus reipublicæ suprema lex est); worunter man nicht das Wohl der Staatsbürger und ihre Glückseligkeit verstehen mus; denn die kann vielleicht (wie auch Rousseau behauptet) im Naturzustande, oder auch unter einer despotischen Regierung viel behaglicher und erwünschter ausfallen: sondern den Zustand der grösten Uebereinstimmung
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der Verfassung mit Rechtsprincipien versteht, als nach welchem zu streben uns die Vernunft durch /161/ einen categorischen Imperativ verbindlich macht.“ (S. 172. f.) Der Ursprung der obersten Gewalt ist für das Volk, das unter derselben steht, in practischer Absicht unerforschlich: d. i. der Unterthan soll nicht über diesen Ursprung, als ein in Ansehung des ihr schuldigen Gehorsams noch zu bezweifelndes Recht (jus controversum) vernünfteln. Denn da das Volk, um rechtskräftig über die oberste Staatsgewalt (summum imperium) zu urtheilen, schon als unter einem allgemeinen gesezgebenden Willen vereint angesehen werden mus, so kann und darf es nicht anders urtheilen, als das gegenwärtige Staatsoberhaupt (summus imperans) es will. Der Saz: „alle Obrigkeit ist von Gott“, enthält nicht einen Geschichtsgrund der bürgerlichen Verfassung, sondern das practische Vernunftprincip: der jezt bestehenden gesezgebenden Gewalt gehorche, ihr Ursprung mag seyn, welcher er will. Das Obereigenthum ist nur eine Idee des bürgerlichen Vereins, um die nothwendige Vereinigung des Privateigenthums Aller im Volk unter einem öffentlichen allgemeinen Besizer, zu Bestimmung des besonderen Eigenthums Aller nicht nach Grundsäzen der Aggregation (die von den Theilen zum Ganzen empirisch fortschreitet), sondern dem nothwendigen formalen Princip der Eintheilung (Division des Bodens) nach Rechtsbegriffen vorstellig zu machen. (S. 183.) Auf demselben beruht das Recht des Oberbefehlshabers, als Obereigenthümers (des Landesherrn) die Privateigenthümer des Bodens zu beschazen. „Hierauf beruht das Recht der Staatswirthschaft, des Finanzwesens und der Policey, welche leztere die öffentliche Sicherheit, Gemächlichkeit und Anständigkeit besorgt, (denn daß das Gefühl für diese (sensus decori) als negativer Geschmack, durch Betteley, Lärmen auf den Strassen, Gestank, öffentliche Wollust (venus volgivaga), als Verlezungen des moralischen Sinnes, nicht abgestumpft werde), erleichtert der Regierung gar sehr ihr Geschäfte, das Volk durch Geseze zu lenken.“ (S. 186.) Als Rechte, die dem obersten Befehlshaber im Staate zustehen, werden das Recht der /162/ Aufsicht, das Recht der Ertheilung der Aemter und Würden u.s.w. und das Strafrecht aufgezählt. Richterliche Strafe kann niemals blos als Mittel, ein anderes Gute zu befördern, für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern mus jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat. Er mus vorher strafbar befunden seyn, ehe noch daran gedacht wird, aus dieser Strafe einigen Nuzen für ihn selbst oder seine Mitbürger zu ziehen. Das Strafgesez ist ein categorischer Imperativ, unabhängig von allen Glückseligkeitszwecken gebietend. „Welche Art aber und welcher Grad der Bestrafung ist es, welche die öffentliche Gerechtigkeit sich zum Princip und Richtmaße macht? Kein anderes, als das
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Princip der Gleichheit (im Stande des Züngleins an der Waage der Gerechtigkeit) sich nicht mehr auf die eine, als auf die andere Seite hinzuneigen. Also: was für unverschuldetes Uebel du einem Anderen im Volk zufügst, das thust du dir selbst an. Beschimpfst du ihn, so beschimpfst du dich selbst; bestiehlst du ihn, so bestiehlst du dich selbst; schlägst du ihn, so schlägst du dich selbst, tödtest du ihn, so tödtest du dich selbst. Nur das Wiedervergeltungsrecht (jus talionis) aber, wohl zu verstehen, vor den Schranken des Gerichts (nicht in deinem Privaturtheil) kann die Qualität und Quantität der Strafe bestimmt angeben.“ (S. 197.) Staaten gegen Staaten sind auch in Verhältnissen des Rechts; davon handelt des öffentlichen Rechts zweyter Abschnitt: das Völkerrecht. Es sollte vielmehr das Staatenrecht (jus publicum civitatum) heissen. Da der Naturzustand der Völker eben sowohl als einzelner Menschen, ein Zustand ist, aus dem man herausgehen soll, um in einen gesezlichen zu treten: so ist vor diesem Ereignis aller Recht der Völker und alles durch den Krieg erwerbliche oder erhaltbare äussere Mein und Dein der Staaten, blos provisorisch, und kann nur in einem allgemeinen Staatenverein (analogisch mit dem, wodurch ein Volk Staat wird) peremtorisch geltend und ein wahrer Friedenszustand werden. Und wenn gleich /163/ der ewige Friede, dieses lezte Ziel des ganzen Völkerrechts, eine unausführbare Idee ist, so sind doch die Grundsäze, die darauf abzwecken, eine auf die Pflicht und das Recht der Menschen und Staaten gegründete Aufgabe. Endlich wird noch aus allen den bisherigen Prämissen in des öffentlichen Rechts drittem Abschnitt: dem Weltbürgerrecht der Grundsaz aufgestellt, daß die Vernunftidee einer friedlichen, wenn gleich noch nicht freundschaftlichen, durchgängigen Gemeinschaft aller Völker auf Erden, die unter einander in wirksame Verhältnisse kommen können, nicht blos ein ethisch-philantropisches, sondern ein rechtliches Princip sey. Alle Völker stehen ursprünglich in einer Gemeinschaft des Bodens, nicht aber der rechtlichen Gemeinschaft des Besizes (communio); sie befinden sich in der physisch möglichen Wechselwirkung (commercium), d. i. in einem durchgängigen Verhältnisse eines zu allen Anderen, sich zum Verkehr untereinander anzubieten, und haben Jedes ein Recht, den Versuch mit dem Andern zu machen, ohne daß der Auswärtige ihm darum als einen Feind zu begegnen berechtiget wäre. Dieses Recht, sofern es auf die mögliche Vereinigung aller Völker, in Absicht auf gewisse allgemeine Geseze ihres möglichen Verkehrs, geht, kann das weltbürgerliche (jus cosmopoliticum) genannt werden. (S. 229. f.)
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Dieser Auszug ist absichtlich in einer so grossen Ausdehnung gegeben worden, um wo möglich, die Hauptprincipien des Verf. auch in ihrer Beziehung auf den inneren Zusammenhang der einzelnen besonderen Säze darzustellen; und um zu gleicher Zeit zu zeigen, wie der Vf. auf dem Wege, den ihm die Kritik der Vernunft zu diesen Untersuchungen vorzeichnete, die wichtigsten Momente entwickelt habe, auf welchen das Seyn oder Nichtseyn der Wissenschaft des Naturrechts beruht. Sichtbar hat derselbe die neuere so die ältere Litteratur vor Augen gehabt, und, obgleich er sie niemals anführt, zur Entscheidung eines manchen in derselben vorkommenden Streitpuncts die Principien angegeben. Man erinnere sich nur an die Fragen: ob der Begriff des Rechts auf theoretischem oder practischem Wege der Untersuchung zu entwi-/164/keln sey? welche freylich Keiner, der die Principien der critischen Philosophie zugibt, wenn er sie versteht, für die erstere Art der Deduction entscheiden kann; (Vergl. S. XLVIII.) an die Frage: ob das Sittengesez in dem Rechthabenden oder in dem Pflichtträger die Rechtsbefugnis ertheile? u.s.w. Als dem Vf. eigenthümlich zeichnet sich besonders aus: die nähere Bestimmung des Begriffs der Freyheit (nicht des Willens, sondern der Willkühr); die Deduction des Rechtsbegriffs aus dem Begriffe der Freyheit, unter der Voraussezung des categorischen Imperativs, die Bezeichnung der Verschiedenheit der Rechtslehre und der Tugendlehre in der Art der Gesezgebung, wodurch die practische Vernunft die Grundsäze für diese und jene festsezt; die Lehre von der practischen Nothwendigkeit eines nicht blos empirischen, sondern auch intelligiblen Besizes zu dem äussern Mein und Dein, von der blos provisorischen Existenz des leztern im natürlichen Zustande, und von dem peremtorischen Daseyn desselben in einem rechtlich-bürgerlichen Zustande, zu welchem jeden Andern zu nöthigen die Befugnis analytisch aus dem Begriffe des Rechts hervorgehe. Neu ist die Bemerkung nicht, (aber sie gewinnt durch das Ansehen dieses Verf., und wird hoffentlich nun bald nachgeschrieben werden); daß das Naturrecht keineswegs in das aussergesellschaftliche und gesellschaftliche, sondern in Privat- und öffentliches Recht einzutheilen sey; und eben so die Eintheilung der Privatrechte in Sachenrechte, persönliche und persönlich-dingliche Rechte, wobey blos die Benennung, abweichender von dem Sprachgebrauch des positiven Rechts, verändert worden ist; eine Eintheilung der Privatrechte, von welcher Rec. längst die Ueberzeugung hatte, daß sie a priori gegründet sey. In ihre Rechte ist die Aristotelische Eintheilung der justitia commutativa und distributiva mit vielem Scharfsinn wieder eingesezt worden. Neu sind die Principien des allgemeinen Staatsrechts nicht; sie stimmen häufig mit Rousseau’s Vorstellungsarten überein; aber ihre Begründung auf höheren Principien von der practischen Nothwendigkeit eines öffentlich-rechtlichen Zustandes, von der Vernunftidee des Staates selbst hängen mit den höchsten eigenthümlichen Grundsäzen dieses Systems der natürlichen Rechts-/165/lehre zusammen. Ob aber gerade diese
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obersten Principien, auf welchen das ganze Gebäude ruht, den Grad von deutlicher Darstellung erhalten haben, den man unbeschadet der Tiefe der Untersuchungen zu erwarten befugt seyn dürfte? daran möchte doch nicht ohne Grund gezweifelt werden können. In den Begriffen der Rechtspflicht, des Rechts der Menschheit und des Rechts der Menschen, welche der Verf. dem Auge des Lesers nicht so nahe zusammengestellt hat, als sie wohl wirklich beyeinander stehen, scheint er seine ganze Theorie der Rechtslehre niedergelegt zu haben. Die Menschheit in mir und in Andern soll nie blosses Mittel, immer zugleich Zweck seyn. Diesen nicht zu stören, ist Rechtspflicht. Ob ich meinen Selbstzweck zerstöre, meine Persönlichkeit aufgebe, oder nicht, dis berührt alle Andere nicht, weil auch im erstern Falle die Freyheit aller Andern bestehen kann; er ist folglich dem Recht der Menschen im Verhältnis zu mir nicht zuwider. Ich kann mich also auch mit Freyheit in ein solches Verhältnis meiner aufgegebenen Persönlichkeit versetzen; aber darinn zu bleiben (wie z. B. im Concubinate S. 109.) kann ich nicht gezwungen werden. Es liegt nicht in dem Recht der Menschen, mich zu einem Verhältnis zu zwingen, das dem Recht der Menschheit in mir zuwider ist, das nach einem allgemeinen Gesez der Freyheit nicht bestehen kann. Obwohl nun das, was Rechtspflicht gegen mich selbst ist, nicht ins Naturrecht gehört, weil dieses nur den Rechtsbegriff als ein Regulativ des Verhältnisses eines Menschen zu andern in Absicht auf den Gebrauch seiner Freyheit zum Grunde legt, so recurrirt dennoch diese Rechtspflicht und dieses Recht der Menschheit in dieser Ausführung der Rechtslehre, welche doch einzig auf den Begriff des Rechts der Menschen, und auf das Axiom der Uebereinstimmung des Gebrauchs der Freyheit eines Jeden mit der Freyheit Aller gegründet wird, nicht selten. Dis geschieht z. B. besonders auch bey dem aufgestellten Grundsaze, daß es Rechtspflicht sey, die Gegenstände der Willkühr als mögliches Mein und Dein anzusehen und zu behandeln (S. 67.), worüber Hr. Kant selbst sich also ausdrükt: „man kann dieses Postulat ein Erlaubnisgesez der practischen Vernunft nennen, was uns die Befugnis gibt, die wir aus /166/ blossen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten; nemlich allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkühr zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besiz genommen haben. Die Vernunft will, daß dieses als Grundsaz gelte, und das zwar als practische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert.“ (S. 58.) So sind also einzelne Grundsäze in dieser Rechtslehre, die aus dem obersten Begriff und Princip des Rechts nicht hervorgehen, und folglich scheint die Unabhängigkeit eines ganz vor sich bestehenden Naturrechts auch in diesem System noch nicht ausser allem Zweifel gesezt zu seyn. Rec. bescheidet sich gerne, daß die Ursache der Scheinbarkeit dieses Einwurfs für ihn selbst in seiner Fassungskraft liege. Aber um so sehnlicher wünscht er, daß auch dieser Zweifel, der ihm wenigstens der wesentlichste zu seyn schien,
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von dem Verf. in der zu erwartenden Tugendlehre gehoben werden möchte. Andere Zweifel gegen einzelne Bestimmungen unterdrükt er ganz, und erlaubt sich nur noch folgende wenige Bemerkungen. Den Grund des Strafrechts sezt der Verf. in einen categorischen Imperativ, und den Maasstab der Strafe in Rücksicht auf Quantität und Qualität derselben in das Wiedervergeltungsrecht (jus talionis). Ausgedrückt ist jener Imperativ in seiner Allgemeinheit nicht; doch liegt in den angezogenen Beyspielen: wer tödtet, der mus sterben, wer den andern beschimpft, beschimpft sich selbst, der allgemeine Saz: wer ein Verbrechen begeht, mus gestraft werden, und die Strafe mus mit dem Verbrechen gleich seyn. Hier ist doch wohl der Grund des Strafrechts, das ein Gerichtshof im Staate haben soll, noch nicht erwiesen. Es ist zwar an deme, daß einer nur deswegen gestraft werden kann, weil er strafbar ist; aber in dieser ersten Bedingung der Denkbarkeit der Strafe liegt noch kein Grund der Nothwendigkeit, wenns nicht der ist: Genugthuung ist derjenige schuldig, der die allgemeine Ordnung verlezt hat; das Object der Genugthuung, das von dem Strafbaren gefordert wird, ist die Strafe an ihm, als Abhaltungsmittel für Andere von künftigen Verbrechen. Aber wie soll nun die Wiedervergeltung der Maastab seyn? Soll der Ehebre-/167/cher dis nemliche Uebel wieder an sich erfahren? Soll, wenn der Saz geboten ist: wer getödtet hat, der sterbe! derjenige nun, welcher aus Nachlässigkeit tödtet, dennoch sterben, weil er getödtet hat, wie der boshafte Mörder. Hier liegt wenigstens noch manches der Anwendbarkeit dieses Grundsazes für das Strafrecht im Wege. Hr. Kant bemerkt selbst, daß gegen das Ende des Buchs manche Abschnitte mit minderer Ausführlichkeit behandelt seyen. Dis bedaurt Rec. vorzüglich bey dem Staatsrechte am meisten. Vorzüglich hat ihn das befremdet, daß die Idee der drey Gewalten, (der potestas legislatoria, rectoria und judiciaria) auf welchen der Staat beruht, von dem Verf. nicht als der dogmatische Eintheilungsgrund aller einzelnen Rechte der Staatsgewalt in der Ausführung zum Grund gelegt worden ist. Statt dessen werden die einzelnen Rechte, als das der Strafe, der Aufsicht, der Policey u.s.w., der Reyhe nach unter den rechtlichen Wirkungen aus der Natur des bürgerlichen Vereins aufgeführt, ohne zu bemerken, welcher der drey Gewalten diese einzelnen Rechte besonders angehören, oder im Gegentheil, daß bey den wenigsten dieser einzelnen Rechte eine solche Unterordnung Statt finde. Endlich dürfte wohl Mancher fragen: wenn der Staat weiter nichts ist als die Vereinigung einer Menge Menschen unter Rechtsgesezen; wenn sein leztes Ziel kein anderes ist, als die Begründung eines Zustandes der grösten Uebereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprincipien; warum soll denn da die Policey nicht nur für Sicherheit gegen Unrecht, sondern auch für Sicherheit gegen Gefahren aus dem Reich der Natur, für Gemächlichkeit und Anständigkeit sorgen und Anordnungen machen dürfen? Und durch die Antwort: weil es der Regierung gar sehr ihr Geschäfte, das Volk durch Geseze zu lenken, erleichtere, wenn das Gefühl für Anständigkeit (sensus
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decori) nicht abgestumpft werde, dürfte wohl der Zweifel nicht ganz gehoben seyn, daß der Staat durch solche policeyliche Verfügungen seinen, durch die reine Vernunft in der Idee des Staates gesezten Zweck überschreite. Oder sollte nicht vielmehr auch im Staatsrechte das nemliche gelten, was im Privatrechte bey Rechtsbegriffen, welche in der blossen Vernunft liegen, geschieht und geschehen mus: Anwendung /168/ des Vernunftbegriffs Staat auf einen Verstandesbegriff, der für die Erfahrung paßt. Und sollte sodann unter der Voraussezung des physischen Beisammenseyns einer Menge Menschen (aber immer unter Rechtsgesezen) nicht manches als nothwendig für einen wirklichen Staat sich ergeben, was nach reiner Vernunft in die Idee des Staates nicht hineingedacht werden kann, und dennoch nothwendiger Gegenstand der Fürsorge der höchsten Staatsgewalt seyn mus? – r.
2 [Gottlieb Hufeland, in:] Allgemeine Literatur-Zeitung. Hrsg. v. Christian Gottlieb Schütz u. a., Jena u. Leipzig: Churfürstl. Sächs. Zeitungsexpedition. 1797, Bd. 2, Sp. 529‒536 u. 537‒544.¹ /529/ […] Unsre kritische Anzeige der zahlreichen Schriften über die philosophische Rechtslehre, welche seit einigen Jahren verfaßt und herausgegeben, aber in der A. L. Z. aus zufälligen Ursachen noch nicht recensiert worden sind, könnte keinen fröhlichern Anfang nehmen, als mit der Bekanntmachung des Einen Meisterwerks, das nach so vielen Versuchen einer kritisch seyn sollenden Bearbeitung dieser Wissenschaft endlich erschienen ist. − Keime zu diesem System lagen zwar schon in den meisten frühern Büchern und Abhandlungen seines Urhebers; selbst in der Kritik der reinen Vernunft (in der Lehre von den Ideen der reinen Vernunft S. 358. 373. der zweyten Ausg.) war schon die Grundidee aller äußern Gesetzgebung beyläufig angedeutet, und wie natürlich sich das große, regelmäßige Ganze aus diesen unscheinbaren Keimen entwickeln und ausbilden ließ − das liegt nun jedem, der sehen und urtheilen kann, vor Augen. Aber gleichwohl waren diese vorläufig hingeworfenen Ideen bis auf den heutigen Tag so gut wie verloren. Kaum einer und noch einer hat es auch nur wirklich versucht, diesen edeln Keim eines formalen Rechtsbegriffes für sich rein zu entwickeln und zu einer reinen Metaphysik des Rechts auszubilden; manche der Besten (in Vergleichung mit andern, für die es gar keine Kritik der Vernunft giebt) haben ihn zwar nicht ganz umkommen lassen, aber doch nur in einem wilden Stamm des bisherigen eudämonistischen, allenfalls auch empirisch cosmopolitischen und daher in Bezug auf den Staat revolutionären, Naturrechts gleichsam eingeimpft, ohne durch ihn die ganz rohe, materiale Natur dieses Grundstammes umbilden und veredeln zu können, und so darf es uns nicht befremden, daß durch eine solche unzureichende Künsteley nichts als unselige Mitteldinge von Gewächsen, meist unedler, theils aber doch etwas veredelter Art und Natur zum Vorschein gekommen sind, vor welchen die ältern, unkritischen Rechtslehren doch wenigstens den Vorzug
[Zur Autorschaft vgl. Horst Schröpfer, Kants Weg in die Öffentlichkeit, S. 378: „Die sachliche, konzise und mit Anteilnahme geschriebene Darstellung läßt die Vermutung aufkommen, Gottlieb Hufeland als den Verfasser der Rezension anzusehen“.] https://doi.org/10.1515/9783110702996-004
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der Gleichartigkeit ihres Bestandstoffes und einer gewissen Harmonie ihrer Theilorgane unter sich selbst behaupten dürften. /530/ Da bey einem solchen Werke die Bekanntmachung und Empfehlung schon zu spät, die ausführliche kritische Prüfung aber leicht zu früh kommen möchte: (beyläufige Fragen und kurze Erinnerungen des Rec. pflegen nicht sowohl Prüfungen zu veranlassen als den Leser zu benachrichtigen, daß der Rec. anderer Meynung sey, woran dem denkenden Leser wenig gelegen seyn kann) *) so glaubt der Rec. durch eine gedrängte Darstellung der Gedankenkette des Vf. in ihren wesentlichen Gliedern, mit Uebergehung aller übrigen noch so trefflichen und fruchtbaren Nebengedanken, sich sowohl die bisherigen als die künftigen Leser der Kantischen Rechtslehre einzig und allein zu verpflichten, und er unterzieht sich dem angenehmen Geschäfte, von dieser Epoche machenden Begebenheit in der Philosophie des Rechts eine kunstlose und einfache Geschichtserzählung in diesen Jahrbüchern der Literatur niederzulegen. In der Metaphysik der Natur stellt die Vernunft die Naturgesetze, in der Metaphysik der Sitten Gesetze der Freyheit oder moralische Gesetze auf. Beziehen wir diese moralischen Gesetze auf die Freyheit sowohl im äußern als innern Gebrauch der Willkühr, so heißen dieselben ethisch, und die Uebereinstimmung der freyen Handlungen mit denselben, als ihren Bestimmungsgründen − Moralität; auf den bloß äußern Freyheitsgebrauch bezogen, nennen wir sie juridisch, und die Uebereinstimmung mit denselben, Legalität. Die Gesetzgebung selbst, sie mag sich auf innere, oder äußere Handlungen beziehen, ist eine innere, welche die Handlung als praktisch nothwendig vorstellt, durch die Idee des Gesetzes selbst; eine äußere, welche auch eine andere Triebfeder, als die Idee der Pflicht selbst zuläßt, nämlich eine pathologische Bestimmung der Willkühr der Neigungen und insbesondere der Abneigung. Ein ethisches Gesetz als solches, kann kein äußeres seyn (selbst nicht die eines göttlichen Willens); denn die äußere Gesetzgebung nöthigt zu gewissen Leistungen durch Zwang, es wäre aber widersprechend jemanden zu zwingen (d. h. von außen zu bestimmen), daß das Gesetz der innere Bestimmungsgrund der Handlungen seiner Willkühr seyn solle. Juridische Gesetze dagegen können äußere seyn, obgleich die dadurch bestimmte Pflicht, welche Rechtspflicht heißt im Gegensatze der Tugendpflicht, als Pflicht betrachtet und abgesehen von dem Zwange, als dem vom Rechtsgesetze herrührenden Bestimmungsgrunde, auch ein Object der innern Ge-/531/setzgebung ist und in sofern zu den indirect ethischen Pflichten gehört. − Die Metaphysik der Sitten hat
* Dieser Auszug soll indessen, unsrer Absicht nach, eine künftig zu liefernde, prüfende und vergleichende Beurtheilung des angezeigten Werks nicht ganz verdrängen. Die Herausgeber d. A. L. Z.
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also zwey wesentlich verschiedene Theile, die Tugendlehre oder Ethik und die Rechtslehre. Die Ethik ist die Wissenschaft der innern und ethischen; die Rechtslehre das System der äußern und juridischen Gesetze der praktischen Vernunft. Die Sphäre der juridischen Gesetzgebung liegt zum Theil innerhalb der Sphäre der ethischen; allein die Triebfeder ist wesentlich verschieden; bey jener Zwang, bey dieser aber einzig und allein die Pflicht. Die gegenwärtige Schrift handelt die Rechtslehre ab; die metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre hofft der Vf. in Kurzem liefern zu können. − Die Rechtsgesetze sind theils natürliche, zu denen die Verbindlichkeit auch ohne wirkliche äußere Gesetzgebung durch die Vernunft a priori erkannt werden kann, theils positive, die ohne wirkliche äußere Gesetzgebung gar nicht Gesetze seyn und verbinden würden. Die Rechtslehre ist der Inbegriff der Gesetze, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist. Der Begriff des Rechts ist nicht empirisch, sondern rein. Das Recht ist der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkühr (nicht der Wunsch, oder das bloße Bedürfniß) des einen mit der Willkühr des andern (ihrer Form, nicht der Materie nach) nach einem allgemeinen Gesetze der Freyheit zusammen vereiniget werden kann. Meine Handlung ist recht, die oder deren Maxime diesen Charakter an sich trägt, eben so auch mein Zustand. Wer mich also daran hindert, der thut mir Unrecht, denn dieses Hinderniß kann mit der Freyheit nach allgemeinen Gesetzen nicht bestehen. − Der Zwang ist ein Widerstand, der der Freyheit geschieht. Der Zwang, welcher einem Hindernisse der Freyheit nach allgemeinen Gesetzen entgegen gestellt wird, ist als Verhinderung eines Hindernisses der Freyheit mit der Freyheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmend, d. i. rechtmäßig. Das Recht ist mit der Befugniß, zu zwingen, analytisch verbunden. Denkt man sich nun das Recht, als strictes oder enges Recht, d. h. sondert man alles Ethische davon ab, so ist die Triebfeder der Rechtspflicht, als solcher, nicht das Bewußtseyn einer moralischen Verbindlichkeit, sondern das Princip der Möglichkeit eines äußern Zwanges, der mit der Freyheit von jedermann nach allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann. Hierin ist also der Begriff des Rechts selbst, als stricten Rechts, unmittelbar zu setzen. − Nach diesem stricten Begriffe ist die Billigkeit kein Recht; denn sie wäre ein Recht ohne Zwang (jus latum), weil sich hier nicht bestimmt angeben ließe, wie viel oder auf welche Weise dem Anspruche dessen, welcher aus diesem Grunde etwas fodert, genug gethan werden könne. Eine solche Foderung gehört lediglich für das Gewissensgericht; jede Frage Rechtens muß aber vor einen bürgerlichen Gerichtshof gezogen werden können; ein Gerichtshof der Billigkeit schließt aber einen Widerspruch in sich. − Ein sogenanntes Nothrecht, d. i. /532/ eine gewaltthätige Selbsterhaltung wäre ein Zwang ohne Recht. Diese ist zwar in subjectivem Sinne unstrafbar, weil ein Strafgesetz für einen solchen Fall die beabsichtigte Wirkung
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gar nicht haben könnte, aber darum nicht objectiv gesetzmäßig und unsträflich. Die entgegengesetzte Behauptung würde einen Widerspruch der Rechtslehre mit sich selbst enthalten. Nach Absonderung dieser beiden uneigentlich sogenannten Rechte (jus aequivocum), läßt sich nun die natürliche Rechtslehre selbst systematisch eintheilen. Sie beschäftigt sich entweder mit dem angebornen, oder mit dem erworbenen Rechte. Das angeborne Recht kommt jedermann zu, unabhängig von allem rechtlichen Act, von Natur; zu dem erworbenen wird ein solcher Act erfodert. Das angeborne Mein und Dein heißt auch das innere, und ist wesentlich nur ein einziges, nämlich − Freyheit, Unabhängigkeit von eines Andern nöthigender Willkühr, so fern sie mit jedes Andern Freyheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann. Alle andere innere Befugnisse, als der rechtlichen Gleichheit, daß jeder von Natur sein eigener Herr und ein unbescholtener Mensch ist, endlich auch die Befugniß, das gegen andre zu thun, was an sich ihnen das Ihre nicht schmählert, wenn sie sich dessen nur nicht annehmen wollen − liegen schon im Princip der angebornen Freyheit und sind wirklich von ihr nicht (als Glieder der Eintheilung unter einem höhern Rechtsbegriffe) unterschieden. Alle übrigen Rechte sind äußere und erworbene, und mit diesen hat es (da das angeborne ein einziges ist) die Rechtslehre vornehmlich zu thun. In Ansehung dieser ist das Recht theils ein Privatrecht im Naturzustande, d. h. ein Inbegriff derjenigen Gesetze, die keiner äußern Bekanntmachung bedürfen, theils ein öffentliches Recht im bürgerlichen (durch öffentliche Gesetze das Mein und Dein sichernden Zustande,) d. i. ein Inbegriff derjenigen Gesetze, die einer öffentlichen Bekanntmachung bedürfen, um einen rechtlichen Zustand hervorzubringen. Von dem innern Rechte handelt Hr. K. der Kürze halber bloß in den Prolegomenen; von dem äußern Privatrechte im ersten, von dem öffentlichen Rechte im zweyten Theile seiner allgemeinen Rechtslehre. Das Privatrecht vom äußern Mein und Dein überhaupt. Zuerst wird die Art und Weise bestimmt, etwas Aeußeres als das Seine zu haben; dann die Art etwas Aeußeres zu erwerben und endlich die drey verschiedenen Arten des äußern Privatrechtes. Juridisch mein ist dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein Anderer, ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädiren würde. Die subjective Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs überhaupt ist der Besitz. Denkt man sich diesen Besitz als sinnlich (physisch, empirisch) d. h. mit Inhabung, (detentio,) Raum- und Zeitverbindung; z. B. wenn ich einen Apfel in der Hand; das Versprochene schon empfangen, ein Gesinde in meinem Hause habe; so würde mich der, welcher die Sache ohne meine Willen gebrauchen /533/ wollte, in Ansehung des innern Meinen, der Freyheit; lädiren, aber dadurch würde nichts Aeußeres, als das Meinige, bestimmt. Soll es ein Aeußeres Mein in stricten Ver-
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stande geben, so setzt dies einen intelligiblen, bloß rechtlichen Besitz (possessio noumenon) voraus, da ich einen äußern Gegenstand, abgesehen von allen Raumund Zeitbedingungen, ohne Inhabung, habe, der Gegenstand in meiner Gewalt ist (in potestate mea positus), weil mein zu desselben beliebigen Gebrauche sich bestimmender Act der Willkühr dem Gesetze der äußern Freyheit nicht widerstreitet. Denn ohne allen Besitz könnte ich nicht durch den eigenmächtigen Gebrauch, den der Andre von einer Sache macht, afficirt und lädirt werden. Die Rechtmäßigkeit eines physischen Besitzes des innern Mein ist aus dem Grundgesetze des Rechts analytisch erweislich, und die Behauptung desselben geht nicht über das Recht einer Person in Ansehung ihrer selbst hinaus. Die Behauptung eines äußeren, bloß rechtlichen, intelligiblen Besitzes ist aber synthetisch, und sie bedarf also einer Deduction. Diese beruht auf einem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft: Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkühr als das Meine zu haben d. i. eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand der Willkühr an sich (objectiv) herrenlos (res nullius) werden müßte, ist rechtswidrig. Ich denke mir etwas, als Gegenstand meiner Willkühr, wenn ich das Bewußtsein habe, von der physischen Möglichkeit, dasselbe zu gebrauchen. Die Untersagung des wirklichen Gebrauches von etwas Brauchbarem wäre eine praktische Vernichtung desselben; die Freyheit würde sich selbst des Gebrauches ihrer Willkühr in Ansehung eines Gegenstandes berauben, obgleich dieser Gebrauch formaliter mit jedermanns äußerer Freyheit übereinstimmte; − d. h. die Freyheit würde sich durch ein solches Verbot selbst widerstreiten. So entsteht ein Erlaubnißgesetz (lex permissiva) der praktischen Vernunft, welches uns die Befugniß giebt, allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkühr zu enthalten, weil wir zuerst sie in unsern Besitz genommen haben. Durch dieses Postulat „der Rechtspflicht, gegen andere so zu handeln, daß das Aeußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne“ erhält auch der Begriff eines bloß rechtlichen (nicht physischen) Besitzes objectiv praktischer Realität; denn dieser ist die intelligible Bedingung der Möglichkeit, nach jenem nothwendigen Rechtsgrundsatze zu handlen. − Wie ist nun aber dieser reine praktische Begriff anwendbar auf Gegenstände der Erfahrung, deren Erkenntnis von Raum- und Zeitbedingungen abhängig ist? Unter Rechtsbegriffe, als Vernunftbegriffe, kann nicht der empirische Begriff des Innehabens, sondern nur der reine Verstandesbegriff des Habens subsumirt werden. Ein Gegenstand ist mein, heißt nun: mein, zu desselben beliebigen Gebrauche sich bestimmender, Wille widerstreitet nicht dem Gesetze der äußern Freyheit; /534/ mein Wille ist also rechtlich mit ihm verbunden. − Die Rechtsregel, wodurch das Mein und Dein bestimmt wird, muß als ein Vernunftgesetz, den Charakter der Allgemeinheit, mithin auch der Reciprocität der Verbindlichkeit haben. Die Willenserklärung,
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wodurch ich bestimme, daß etwas das Meine seyn soll, und wodurch ich jeden andern verbinde, sich des Gegenstandes meiner Willkühr zu enthalten, erhält ihre gesetzliche Kraft nur durch eine allgemeine Regel des äußern rechtlichen Verhältnisses, wodurch ich mich zugleich jedem andern in Ansehung des äußern Seinen zu einer gleichmäßigen Enthaltung verbunden erkläre. Soll demnach der Zwang zu Behauptung des Meinen der Freyheit nach allgemeinen Gesetzen (dem Rechte) keinen Abbruch thun: so muß ich auch den andern sicher stellen, daß ich mich in Ansehung des Seinigen nach ebendemselben Princip verhalten werde. Da nun dazu jeder a priori verpflichtet ist, ohne daß es eines besondern rechtlichen Acts bedürfte: so darf ich auch vor dem Entstehen einer bürgerlichen Verfassung, d. h. vor dem Zustande einer wirklichen allgemeinen äußern, mit Macht begleiteten, Gesetzgebung, mein Besitzthum gegen jeden vertheidigen, indem keiner einen gesetzlichen Willen hat zum Widersprechen; mein Besitz ist aber gleichwohl nur provisorisch-rechtlich. Eben dasselbe Postulat aber, wornach es rechtlich möglich seyn soll, etwas Aeußeres als das Seine zu haben, berechtigt auch das Subject, jeden andern, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über ein äußeres Object kommt, zu nöthigen, mit ihm in eine bürgerliche Verfassung zu treten, um jeden provisorischen Besitz allgemein zu sichern und in einen peremtorischen zu verwandeln. Das Princip der äußern Erwerbung ist: Was ich (nach dem Gesetz der äußern Freyheit) in meine Gewalt bringe, und wovon, als Object meiner Willkühr, Gebrauch zu machen ich (nach dem Postulat der praktischen Vernunft) das Vermögen habe; endlich, was ich (gemäß der Idee eines möglichen vereinigten Willens) will, es solle mein seyn, das ist mein. Die Apprehension bestimmt nämlich den empirischen Besitz. Die Bezeichnung erklärt ihn in der Erscheinung. Die Zueignung erhebt ihn zu einem bloß rechtlichen Besitz. Das äußere Recht ist seiner Form (Erwerbungsart) nach entweder ein Sachenrecht, oder ein persönliches Recht, oder ein dinglich-persönliches Recht. Auch das Objeckt und der Rechtsgrund ist hier verschieden. Das Sachenrecht, Recht in einer Sache (jus reale in re) wird gewöhnlich als ein Recht gegen jeden Besitzer derselben erklärt. Da diesem Rechte keine Verbindlichkeit der Sache selbst entsprechen kann, so ist die Realdefinition des Sachenrechts: ein Recht des Privatgebrauchs einer Sache, in deren (ursprünglichen oder gestifteten) Gesammtbesitze ich mit allen andern bin. Denn durch einseitige Willkühr kann ich keinen andern verbinden, sich des Gebrauchs einer Sache zu enthalten, wozu er sonst keine Verbindlichkeit /535/ haben würde; also nur durch vereinigte Willkühr Aller in einem Gesammtbesitze. Die erste Erwerbung einer Sache kann keine andere, als die des Bodens seyn; denn sonst könnte jeder eine solche Sache ohne Rechtsverletzung aus ihrem Platze stoßen. Ein jeder Boden kann aber ursprünglich erworben werden (zufolge des Postulats der praktischen
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Vernunft) und der Grund der Möglichkeit dieser Erwerbung ist die ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens überhaupt, (communio possessionis originaria) deren Begriff nicht empirisch und von Zeitbedingungen abhängig ist, wie etwa der gedichtete, aber nie erweißliche eines uranfänglichen Gesammtbesitzes (communio primaeva), sondern ein praktischer Vernunftbegriff, der a priori das Princip enthält, nach welchem allein die Menschen den Platz auf Erden nach Rechtsgesetzen gebrauchen können. Der rechtliche Act dieser Erwerbung ist Bemächtigung (occupatio), d. h. eine Erwerbung eines äußern Gegenstandes der Willkühr durch einseitigen Willen, welcher aber an und für sich für andere nicht verbindlich und für jemand berechtigend ist, sondern zu diesem Behufe als ein, in einem a priori vereinigten d. i. durch die Vereinigung der Willkühr Aller, die in ein praktisches Verhältniß gegen einander kommen können; absolut gebietenden Willen, enthaltener, und darum allein gesetzgebender, also verpflichtender und berechtigender, Wille betrachtet werden muß. Die physische Besitznehmung ist also nur der empirische Titel der Erwerbung; der Vernunfttitel der Erwerbung ist eben diese Idee eines a priori nothwendig zu vereinigenden Willens Aller, d. i. der bürgerliche, Zustand. − Im Naturzustande kann also nur provisorisch erworben werden; nur in einer bürgerlichen Verfassung peremtorisch. Nach dem Postulat der rechtlich praktischen Vernunft ist aber ein Zwangsrecht vorhanden, diesen bürgerlichen Zustand hervorzubringen und der Idee desselben gemäß etwas wirklich zu erwerben. − Die Befugniß der Besitznehmung eines Bodens erstreckt sich so weit, als das Vermögen, ihn in seiner Gewalt zu haben. Die Bearbeitung ist nur ein Zeichen der Besitznehmung, welche durch viele andere minder mühsame Zeichen ersetzt werden kann. Die erste Bearbeitung oder Formgebung des Bodens giebt auch gar keinen Titel der Erwerbung; vielmehr muß das Recht dazu erst aus dem Eigenthume der Substanz gefolgert werden. Ein solcher äußerer Gegenstand, welcher der Substanz nach das Seine von jemand ist, ist dessen Eigenthum, dominium. Dies kann nur eine körperliche Sache seyn. Der Mensch ist zwar sein eigner Herr (sui juris), aber nicht Eigenthümer von sich selbst. Ein persönliches Recht ist der Besitz der Willkühr eines Andern, als Vermögen sie, durch die meine, nach Freyheitsgesetzen zu einer gewissen That zu bestimmen. Die Erwerbung desselben kann weder ursprünglich und eigenmächtig seyn, noch durch eine /536/ rechtswidrige That eines Andern, noch durch dessen bloße Verlassung oder Verzichtthuung, sondern allein durch eine Uebertragung (translatio) hervorgebracht werden, welche nur durch einen gemeinschaftlichen Willen möglich ist, vermittelt dessen der Gegenstand immer in die Gewalt des einen oder des andern kommt, alsdann einer seinem Antheile an dieser Gemeinschaft entsagt, und so das Object durch Annahme desselben (mithin einen positiven Act der Willkühr) das Seine wird. Der Act der vereinigten Willkühr zweyer Personen, wodurch überhaupt das Seine des Einen auf den Andern
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übergeht, ist der Vertrag. Es wird also zu einem Vertrag erfodert der vereinigte Wille beider, welcher also zugleich declarirt werden müßte. Die empirischen Actus der Declaration sind aber niemals zugleich, sondern folgen einander nothwendig in der Zeit. Allein von dieser sinnlichen Bedingung der Apprehension muß bey einem rechtlichen, folglich rein intellectuellen Verhältnisse abstrahirt, beide Acte müssen als aus einem einzigen gemeinsamen Willen hervorgehend und der Gegenstand (promissum) durch Weglassung der empirischen Bedingungen nach dem Gesetz der reinen praktischen Vernunft als erworben vorgestellt werden. Durch den Vertrag erwerbe ich aber (wofern es nicht pactum re initum ist) nicht unmittelbar eine äußere Sache, sondern nur das Versprechen eines Andern, folglich nur ein persönliches Recht, nämlich gegen eine bestimmte physische Person und zwar auf ihre Willkühr zu würken, mir etwas zu leisten, nicht ein Sachenrecht. Die Uebertragung geschieht nach dem Gesetze der Stetigkeit, die Sache ist keinen Augenblick res vacua. Durch die Uebergabe entsteht erst ein dingliches Recht. Ohne einen besondern Besitzact braucht der Veräußerer einer Sache auch nicht alle Gefahr, die die Sache treffen möchte, während er sie noch in seiner Gewahrsam hat, zu tragen. (Der Beschluß folgt.) […] /537/ […] (Beschluß der im vorigen Stück abgebrochenen Recension.) Das auf dingliche Art persönliche Recht ist das Recht des Besitzes eines äußern Gegenstandes, als einer Sache und des Gebrauches desselben als einer Person. Das Mein und Dein nach diesem Rechte ist das Häusliche und das Verhältniß in diesem Zustande ist das der Gemeinschaft freyer Wesen, die durch den wechselseitigen Einfluß nach dem Princip der äußern Freyheit eine Gesellschaft von Gliedern eines Ganzen ausmachen, welches das Hauswesen heißt. Das Recht der häuslichen Gesellschaft ist 1) das Eherecht. Durch den Geschlechtsgenuß macht sich ein Mensch selbst zur Sache; dies widerstreitet dem Rechte der Menschheit in seiner eigenen Person, wofern die eine Person nicht die andere gegenseitig wieder erwirbt. Dies geschieht lediglich in der Ehe, d. i. in der Verbindung zweyer Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften. Der eheliche Vertrag ist demnach nicht beliebig, sondern durch das Gesetz der Menschheit nothwendig. Das Verhältniß der Verehlichten ist ein Verhältniß der Gleichheit, sowohl der Personen als auch der Glücksgüter, womit doch die Herrschaft des Mannes über das Weib besteht. Vollzogen wird der Ehevertrag nur durch eheliche Beywohnung. 2) Das Aelternrecht. Die Erzeugung ist praktisch nicht als Act zu betrachten, wodurch ein freyes Wesen hervorgebracht und dadurch, wie ein anderes Gemächsel, das Eigenthum
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der Aeltern, sondern als ein solcher, wodurch eine Person ohne ihre Einwilligung eigenmächtig auf die Welt gesetzt worden. Für diese That haftet auf den Aeltern die Verbindlichkeit, sie, soviel in ihren Kräften steht, mit diesem ihren Zustande zufrieden zu machen. Kinder haben ein angebornes Recht auf ihre Versorgung durch die Aeltern, auf nöthige Pflege, pragmatische und moralische Erziehung. Sie sind das Besitzthum, aber nicht das Eigenthum der Aeltern. Nach der Entlassung hört alle Rechtspflicht zwischen ihnen auf. 3) Das Hausherrenrecht. Der Form nach ist der Hausherr im Besitz des Gesindes (wozu auch ex pacto die mündig gewordenen Kinder gehören können); der Materie aber oder dem Gebrauche nach ist er nicht Eigenthümer; denn durch ein solches Pactum hörte die Person auf, Person zu seyn. Der Gebrauch ist da-/538/her rechtlich kein Verbrauch, die Dienerschaft nie lebenslänglich und unauflöslich, der Dienst nicht unbestimmt, und die Kinder sind jederzeit frey. – Angehängt ist noch eine dogmatische Eintheilung der erwerblichen Rechte aus Verträgen, eine transcendentale Erörterung des Begriffes vom Gelde, und ein Beweiß von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdruckes (aus dem Begriffe eines mandatum). – Von der realen, empirischen unterscheidet sich die ideale Erwerbung, die keine Causalität in der Zeit enthält, mithin eine bloße Idee der reinen Vernunft zum Grunde hat, indem das Subject von einem Andern erwirbt, der entweder noch nicht ist (von dem man bloß die Möglichkeit annimmt, daß er sey.) – wie bey der Ersitzung (usucapio): oder indem dieser eben aufhört zu seyn, wie bey der Beerbung – per pactum successorium oder testamentum: oder endlich, wenn er nicht mehr ist, wie bey dem unsterblichen Verdienst, oder dem Anspruche auf den guten Namen nach dem Tode. Diese drey Erwerbungsarten lassen sich zwar nur in einem öffentlichen rechtlichen Zustande zum Effect bringen, gründen sich aber schon a priori in Naturzustande, als nothwendig und sind also juris naturae. Die Ersitzung stützt sich auf dem Postulate der rechtlich praktischen Vernunft, weil außerdem, wenn ein bisher unbekannter Besitzer eine Sache von dem redlichen Inhaber jederzeit vindiciren könnte, ganz und gar kein sicherer Besitz möglich wäre. Durch ein Vermächtniß erhält der Erbnehmer ausschließlich das Recht der Wahl, ob er die hinterlassene Habe zu der seinigen machen wolle oder nicht; bis dahin ist die Sache nach dem Tode des Erblassers zwar res vacua, aber nicht res nullius. Der gute Name selbst nach dem Tode gehört zum Mein und Dein des Subjects, welches in rechtlicher Hinsicht als Noumenon betrachtet, mithin von dessen Ende als Phänomen abstrahirt wird. – Das Naturrecht muß aber nicht bloß lehren, was an sich recht ist, wie nämlich hierüber ein jeder Mensch für sich zu urtheilen habe, sondern auch was vor einem Gerichtshof recht d. h. Rechtens ist. Ein Gerichtshof muß in subjectiver Absicht zu seinem eigenen Behuf ein solches, von dem objectiven Rechtsprincip verschiedenes, Princip annehmen, wornach ihm eine sichere Rechtsentscheidung (justitia distributiva) möglich ist. Bey dem Schen-
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kungsvertrage bleibt es objectiv unbestimmt, ob der Schenkende sich dem Zwange zur Leistung unterworfen habe; vor einem Gerichtshof wird dem Beschenkten das Recht zum Zwange zugesprochen, wofern der Schenkende sich die Freyheit, von seinem Versprechen abzugehen, nicht ausdrücklich vorbehalten /539/ hat. Bey dem Leihvertrage nach dem Urtheile im Naturzustande casum sentit commodatarius, vor einem Gerichtshofe casum sentit dominus. Im Naturzustande würde durch eine ehrliche Erwerbung z. B. Kauf einer Sache von einem Nichteigenthümer, nur ein persönliches Recht in Ansehung einer Sache (jus ad rem), nicht aber ein wahres Eigenthumsrecht entstehen; der erste Besitzer dürfte sich die Sache vindiciren. Vor einem Gerichtshofe aber müßte dieses Recht als ein Sachenrecht angenommen und behandelt werden, weil es sich so am leichtesten und sichersten aburtheilen ließe. Die Sicherheit durch Eidesablegung gilt im Naturzustande nichts; vor einem Gerichtshofe muß sie anerkannt werden, wiewohl auch im bürgerlichen Zustande ein Zwang zu Eidesleistungen der unverlierbaren menschlichen Freyheit zuwider ist. – Aus dem Privatrecht im natürlichen Zustande geht nun das Postulat des öffentlichen Rechtes hervor: du sollst, im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseyns, mit allen andern, aus jenem heraus, in einen rechtlichen Zustand übergehen d. h. in einen solchen, welcher die Bedingungen enthält, unter denen allein jeder seines Rechts theilhaftig werden kann, wo also eine austheilende Gerechtigkeit ist. Dieses bahnt den Uebergang zum zweyten Theile. Das öffentliche Recht d. h. der Inbegriff der Gesetze, die einer allgemeinen Bekanntmachung bedürfen, um einen rechtlichen Zustand hervorzubringen, begreift 1) das Staatsrecht d. h. die Rechtsgesetze für das Verhältniß der einzelnen Menschen, welche sich zu einem rechtlichen Zustande vereiniget haben; 2) das Völkerrecht d. h. das Recht der Staaten im Verhältniß zu einander; 3) das Weltbürgerrecht d. h. das Recht, sofern es auf die mögliche Vereinigung aller Völker geht. Diese drey Formen des rechtlichen Zustandes beziehen sich nothwendig auf einander. Staatsrecht. Ein Staat ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen. Jeder Staat enthält drey Gewalten in sich (gleich den drey Sätzen in einem praktischen Vernunftsschluß): die gesetzgebende, die vollziehende und die rechtsprechende. Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen, damit sie niemand unrecht thun könne. Die gesetzgebenden Glieder (nicht bloß passive Theile) des Staats sind Staatsbürger, denen gesetzliche Freyheit, bürgerliche Gleichheit und Selbständigkeit zukommen muß. Wer seine Existenz nicht unabhängig von andern erhält z. B. ein Dienstbote, der ist nur Staatsgenosse, ob er gleich nach Principien der Freyheit und Gleichheit behandelt werden und das rechtliche Vermögen haben muß, sich zu einem activen Bürger empor zu arbeiten. Die Idee, wornach die Rechtmäßigkeit des Acts, durch
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welchen sich das Volk zu einem Staate constituiert, allein gedacht werden kann, ist der ursprüngliche Contract, wodurch alle und jede ihre gesetzlose Freyheit (selbst Richter zu seyn) gänzlich auf-/540/geben, um ihre Freyheit in einem rechtlichen Zustande unvermindert wieder zu finden. Die drey Gewalten im Staate sind einander bey- und untergeordnet; keine darf die Function der andern usurpiren. Der Wille des Gesetzgebers ist irreprehensibel, das Ausführungsvermögen irresistibel, der richterliche Ausspruch inappellabel. Der Regent besitzt die ausübende Gewalt; wäre er zugleich Gesetzgeber, so würde er Despot seyn. Der Regent steht unter dem Gesetz und wird durch dasselbe, folglich von einem Andern, dem Souverain, verpflichtet; er kann von diesem abgesetzt, seine Verwaltung reformirt, aber nicht bestraft werden, weil dies letztere ein Act der ausübenden Gewalt seyn würde. Weder der Staatsherrscher, noch der Regierer kann richten, sondern nur Richter, als Magistrate, einsetzten; das Volk richtet sich selbst. In der Vereinigung dieser drey Gewalten besteht das Heil des Staats, d. h. der Zustand der größten Uebereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprincipien, wornach zu streben die Vernunft uns kategorisch verpflichtet, wenn auch die Glückseligkeit des Menschen vielleicht im Naturzustande oder unter dem Despotismus besser bestehen sollte. Die praktische Vernunft gebietet: der jetzt bestehenden gesetzgebenden Gewalt zu gehorchen, ihr Ursprung mag seyn, welcher er wolle. Dieser Ursprung der obersten Gewalt ist für das Volk, das unter derselben steht, in praktischer Absicht unerforschlich. Da es nicht rechtmäßig darüber urtheilen kann, so würde es für jede Widersetzlichkeit mit allem Rechte bestraft werden. Der Herrscher im Staate hat gegen die Unterthanen lauter Rechte und keine Zwangspflichten. Wenn das Organ des Herrschers, der Regent, auch den Gesetzen zuwider verführe, z. B. mit Auflagen, Recrutirungen wider das Gesetz der Gleichheit in Vertheilung der Staatslasten; so darf der Unterthan dieser Ungerechtigkeit zwar Beschwerden, aber keinen Widerstand entgegensetzen. Auch in der Constitution kann kein Artikel enthalten seyn, der es einer Gewalt im Staate (z. B. sogenannten Ephoren) möglich machte, sich im Falle der Uebertretung der Constitutionalgesetze durch den obersten Befehlshaber, ihm zu widersetzen, mithin ihn einzuschränken. Eine solche Constitution stände mit sich selbst in Widerspruch und führte zum Despotismus. Es giebt also schlechterdings kein Recht des Aufstandes, noch weniger des Aufruhrs, am allerwenigsten zur Vergreifung an der Person und an dem Leben des Staatsoberhaupts. Jeder Versuch dieser Art ist nicht nur gesetzwidrig, sondern auch die ganze gesetzwidrige Verfassung vernichtend. Eine Veränderung der fehlerhaften Staatsverfassung kann also nur vom Souverain selbst durch Reform, aber nicht vom Volke, mithin durch Revolution verrichtet werden, und wenn sie geschieht, so kann jene nur die ausübende Gewalt, nicht die gesetzgebende, treffen. − Ist aber einmal eine Revolution gelungen, so müssen sich die Unter-
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thanen der neuen Ordnung der Dinge fügen. Der entthronte Monarch kann nicht rechtlich bestraft werden, er kann gemei-/541/ner Staatsbürger werden, kann aber auch sein altes Recht geltend zu machen suchen. − Der Souverain ist nicht Eigenthümer, sondern Oberbefehlshaber der Unterthanen, aber Obereigenthümer des Bodens, in sofern die Bestimmung alles Privateigenthums von ihm abhängt. Daher kann er jede Corporation im Staate, die ein auf Nachfolger übertragbares Eigenthumsrecht behauptet, z. B. Ritterorden, Orden der Geistlichkeit u. dgl. aufheben, doch muß er die Ueberlebenden entschädigen. Aus eben diesem Grunde kann er die Privateigenthümer des Bodens beschatzen. Hierauf beruht auch das Recht der Staatswirtschaft, des Finanzwesens und der Polizey, welche letztere die öffentliche Sicherheit, Gemächlichkeit und Anständigkeit besorgt. Endlich drittens gehört auch zur Erhaltung des Staats noch das Recht der Aufsicht, daß ihm nämlich keine Verbindung, die aufs öffentliche Wohl der Gesellschaft Einfluß haben kann, verheimlicht werde. Indirect, d. i. sofern der Oberbefehlshaber als Uebernehmer der Pflicht des Volks betrachtet wird, kommt ihm das Recht zu, dieses mit Abgaben zu seiner eigenen Erhaltung zu belasten. Dahin gehört das Armenwesen, Findelhäuser und das Kirchenwesen. Der Souverain kann Aemter ertheilen, aber nicht nach seinem Gutbefinden wieder nehmen; denn das letztere könnte der vereinigte Wille des Volks über seine bürgerliche Beamte nie beschließen. Eben so wenig kann derselbe einen Erbadel oder erbliche Staatsämter und Würden einführen, aus dem nämlichen Grunde. Nur durch ein eigenes Verbrechen kann jemand die Würde als Staatsbürger verlieren und Leibeigener werden; dann kann der Herr (dominus) über seine Kräfte, wenn gleich nicht über sein Leben und seine Gliedmaßen disponiren. Durch einen Vertrag kann sich niemand dazu verpflichten, folglich auch nicht zu der Qualität und Quantität nach unbestimmten Arbeiten verdingen. − Das Strafrecht ist das Recht des Befehlshabers gegen den Unterwürfigen, ihn wegen seines Verbrechens mit einem Schmerz zu belegen. Der Souverain kann folglich nicht bestraft werden. Die richterliche Strafe muß jederzeit nur darum über einen Verbrecher verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn das Strafrecht ist ein kategorischer Imperativ, der keinem Vortheil untergeordnet werden darf. Das Princip und Richtmaaß für die Art und den Grad der Bestrafung ist: Was für unverschuldete Uebel du einem Andern im Volk zufügst, das thust du dir selber an. Der Dieb kommt in den Sklavenstand. Der Mörder muß sterben. Nur wenn der Staat darüber zu Grunde ginge, kommt dem Souverain, als Majestätsrecht, die Befugniß zu, eine andere Strafe, z. B. Deportation zu verhängen. Bey Kindermörderinnen und duellirenden Officiers kommt zwar die unersetzliche Geschlechtsehre und Kriegesehre in Collision; der kategorische Imperativ der Todesstrafe bleibt aber, obgleich nach den subjectiven Verhältnissen eine Ungerechtigkeit daraus entspringt. − Begnadigen kann der Souverain keinen, der gegen einen Unterthan etwas verbrochen hat,
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sondern höchstens nur den Majestäts-/542/verbrecher. − Der Unterthan kann auswandern, ohne jedoch seine liegende Habe aus dem Staate herauszunehmen. − Die Staatsform ist entweder autokratisch, oder aristokratisch, oder demokratisch. Die einfachste ist freylich für die Handhabung des Rechts, die beste, aber für das Recht des Volkes selbst die gefährlichste. Aenderung der Staatsform durch Gewalt des Volks ist Vernichtung aller bürgerlich rechtlichen Verhältnisse, mithin alles Rechtes selbst. Aber auch der Souverain selbst kann nicht eigenmächtig das Volk einer andern, z. B. der demokratischen Verfassung unterwerfen. Die Staatsformen sind der Buchstabe der ursprünglichen Gesetzgebung im bürgerlichen Zustande; aber der Geist des ursprünglichen Vertrages enthält die Verbindlichkeit der constituirenden Gewalt, die Regierungsart jener Idee angemessen zu machen und allmählich zur einzig rechtmäßigen Verfassung, nämlich der einer reinen Republik, d. h. einem repräsentativen System des Volks auszubilden, wo das Gesetz selbst herrschend ist und an keiner besondern Person hängt. Dies ist der absolut rechtliche Zustand, worin jedem das Seine peremtorisch zugetheilt werden kann. Völkerrecht. Die Staaten existiren im äußern Verhältniß gegen einander betrachtet, in einem nichtrechtlichen Zustande. Dieser ist ein Zustand des Kriegs, aus welchem diejenigen, welche einander benachbart sind, herauszugehen verbunden sind. Es ist daher ein Völkerbund nothwendig zum Schutz gegen äußere Angriffe, womit jedoch keine souveraine Gewalt verbunden seyn darf. Der Staat darf seine Unterthanen zum Kriege gegen andere Staaten gebrauchen nicht aus dem Princip des Eigenthumes; denn der Staatsbürger ist frey; sondern aus dem Princip der Pflicht des Souverains gegen das Volk. Die Läsion eines Staats, die Bedrohung oder auch nur die fürchterlich anwachsende Macht berechtigt den gefährdeten Staat zum Kriege. Dieser muß aber nach solchen Grundsätzen geführt werden, nach welchen es immer noch möglich bleibt, aus jenem Naturzustande der Staaten herauszutreten und in einen rechtlichen über zu gehen. Kein Krieg unabhängiger Staaten gegen einander kann daher ein Strafkrieg, Ausrottungsoder Unterjochungskrieg seyn. Solche Vertheidigungsmittel, deren Gebrauch die Unterthanen unfähig machen würden, Staatsbürger zu seyn, z. B. Giftmischer, Scharfschützen u. dgl., wie auch Plünderungen des Volkes sind unerlaubt. Nach dem Kriege macht der Sieger die Friedensbedingungen und zwar sich stützend auf seine Gewalt. Der überwundene Staat verliert nicht seine staatsbürgerliche Freyheit. Das überwältigte Volk wird nicht leibeigen. Zum Recht des Friedens gehört das der Neutralität, der Garantie und einer Defensivallianz. Vor einem allgemeinen Staatenverein ist alles Recht der Völker und alles durch den Krieg erwerbliche oder erhaltbare äußere Mein und Dein bloß provisorisch. Der ewige Friede − das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts − ist aber eine unausführbare Idee. Ausführ-/543/bar sind aber allerdings solche politische Grundsätze, die
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darauf abzwecken und die Idee von solchen Verbindungen der Staaten, die zur continuirlichen Annäherung zum ewigen Frieden dienen, nämlich ein permanenter Staatencongreß, ohne welchen das Völkerrecht bloß in Büchern existirt. Das Weltbürgerrecht. Die materiale Bedingung der Möglichkeit einer rechtlichen Gemeinschaft aller Völker des Erdbodens ist die Kugelgestalt ihres Aufenthalts, als globus terraqueus. Die Vernunftidee einer friedlichen, wenn gleich noch nicht freundschaftlichen, durchgängigen Gemeinschaft aller Völker auf Erden, die unter einander in wirkliche Verhältnisse kommen können, ist nicht etwa philanthropisch (ethisch), sondern ein rechtliches Princip. Jeder Erdbürger hat das Recht, die Gemeinschaft mit allen zu versuchen, und zu diesem Zweck alle Gegenden der Erde zu besuchen. Er hat aber kein Recht der Ansiedelung auf dem Boden eines andern Volks, sondern dazu wird ein besonderer Vertrag erfodert. In neu entdeckten Ländern darf ein Volk nur in solcher Entlegenheit vom Sitze desjenigen Volks, das in einem solchen Landstriche schon Platz genommen hat, sich anbauen, daß keines derselben im Gebrauch seines Bodens dem andern Abbruch thut. Gewaltthätigkeit oder Betrug gegen die alten Einwohner bleibt Unrecht, wenn auch die Cultur dieser Völker, das Weltbeste und die Gründung eines gesetzlichen Zustandes dabey beabsichtigt würden. Wer das Gegentheil behauptet, der muß auch die Maxime der Staatsrevolutionisten gut heißen: daß es, wenn Verfassungen verunartet sind, dem Volke zustehe, sie mit Gewalt umzuformen, und überhaupt einmal für allemal ungerecht zu seyn, um nachher die Gerechtigkeit desto sicherer zu gründen und aufblühen zu machen. − Der kategorische Imperativ: Es soll kein Krieg seyn, kann durch keine theoretische Demonstration der Unmöglichkeit eines allgemeinen Friedens wankend gemacht werden. Die Idee eines Republicanimus aller Staaten sammt und sonders, als der dazu tauglichsten Constitution, soll durch allmählige Reform realisiert werden. Diese allgemeine und fortdauernde Friedensstiftung erschöpft den ganzen Endzweck der Rechtslehre innerhalb der Gränzen der bloßen Vernunft. Der ewige Friede ist das höchste politische Gut, dem wir uns continuirlich annähern, oder − das moralische Gesetz für betrügerisch erklären und unser Daseyn, als vernünftige Wesen, verwünschen müssen. Diese Idee ist nun einmal gründlich entwickelt, und sie wird hoffentlich nie wieder vergessen oder verdrängt werden. Und wenn dann durch die Wirkung nach Jahrtausenden die Menschheit ihrem Ziele näher gerückt ist, so gebührt der /544/ erste Dank dafür, dem Verdienste des eben so menschenfreundlichen als tiefen Denkers, wenn auch sein Name alsdann vielleicht nicht mehr genannt werden sollte.
3 Annalen der neuesten Theologischen Litteratur und Kirchengeschichte. Hrsg. v. Johann Matthäus Hassencamp. Rinteln: In der Expedition der theol. Annalen; Leipzig: In Commiss. bey Joh. Ambros. Barth; Frankfurt: In Commiss. bey Joh. Chr. Hermann. 9. Jg., 1797, S. 363‒364. /363/ […] Auf die Kritik der practischen Vernunft, saget der berühmte Verfasser in der Vorrede, sollte das System, die Metaphysik der Sitten, folgen, welches in metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre und in metaph. Anfangsgr. der Tugendlehre zerfällt. Den ersteren dieser beiden Theile enthält das gegenwärtige Werk, und den zweiten verspricht der Verfasser in Kurzem zu liefern. Diese Schrift enthält ausser der für die Sittenlehre sehr wichtigen 52 Seiten starke Einleitung I. Das Privatrecht in Ansehung äusserer Gegenstände: 1) von der Art etwas Aeusseres zu haben; 2) von der Art etwas äusseres zu erwerben; a) vom Sachenrechte; b) vom persönlichen Rechte; c) von dem auf dingliche Art persönlichen Rechte; episodischer Abschnitt von der idealen Erwerbung; 3) von der subjectivbedingten Erwerbung vor einer Gerichtbarkeit. II. Das öffentliche Recht; 1) das Staatsrecht; 2) das Völkerrecht; 3) das Weltbürgerrecht. Ueber die dem vortreflichen Manne häufig gemachten Vorwürfe der Dunkelheit, der Anmassung u. d. gl. erkläret er sich in der Vorrede auf eine sehr lesensund beherzigenswerthe und seiner vollkommen würdigen Art. Auch misbilliget er nachdrücklich die Thorheit mancher Pedanten, die sich anmassen, zum Publikum, auf Kanzeln und in Volksschriften, mit Kunstwörtern zu reden, die ganz für die Schule geeignet sind; er tadelt überhaupt den Unfug, welchen einige Nachäffer der kritischen Philosophie mit den Wörtern treiben, die in /364/ der Krit. d. r.V. selbst nicht wohl durch andere gangbare zu ersetzen, ausserhalb derselben aber zum öffentlichen Gedankenverkehr nicht zu gebrauchen sind; ein Unfug, welcher, wie der Verfasser saget, allerdings gezüchtiget zu werden verdienet. „Indessen läßt sich, fährt er fort, über den unpopulären Pedanten freilich viel lustiger lachen als über den unkritischen Ignoranten: denn in der That kann der Metaphysiker, welcher seinem Systeme steif anhängt, ohne sich an alle Kritik zu kehren, zur letzteren Klasse gezählet werden, ob er zwar nur willkührlich ignohttps://doi.org/10.1515/9783110702996-005
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riret, was er nicht aufkommen lassen will, weil es zu seiner älteren Schule nicht gehöret.Wenn aber, nach Schaftsbury’s Behauptung, es ein nicht zu verachtender Probirstein für die Wahrheit einer vornehmlich practischen Lehre ist, wenn sie das Belachen aushält; so müßte wohl an den kritischen Philosophen mit der Zeit die Reihe kommen zuletzt, und so auch am besten, zu lachen, wenn er die papiernen Systeme derer, die eine lange Zeit das grosse Wort führten, nach einander einstürzen und alle Anhänger derselben sich verlaufen sieht: ein Schicksal, welches jenen unvermeidlich bevorsteht.“
4 [Ludwig Heinrich Jakob, in:] Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes von einer Gesellschaft gelehrter Männer. Hrsg. von Ludwig Heinrich Jakob. Leipzig: Kleefeld. 3. Jg., 1797, Sp. 13‒58.¹ /13/ […] Da wir voraussetzen können, daß dieses Werk schon in den Händen eines jeden ist, der an den wichtigen Gegenständen, die es behandelt, Antheil nimmt; so halten wir es für überflüssig, einen Auszug daraus mitzutheilen, oder es unsern Lesern durch Lobsprüche zu empfehlen, da der Name des weltberühmten Verfassers die letzteren gänzlich überflüssig macht. Dagegen wird es dienlicher seyn, das Besondere und Eigenthümliche des originellen Werkes auszuheben, dem möglichen Mißverstande unterworfene Stellen zu kommentiren, einige vom gemeinen Urtheile abweichende Behauptungen nach Kräften zu prüfen, und die aufstoßenden Bedenklichkeiten dagegen vorzubringen. Rec. macht indessen gleich anfänglich die Bemerkung, dass man seine Einwürfe nicht als einen Zwiespalt in den Principien, sondern nur als eine Abweichung in der Anwendung derselben anzusehen hat. Denn es ist leicht möglich, dass Männer in Principien vollkommen einig sind, und dennoch theils in Anwendung derselben auf einzelne Fälle, theils in Bestimmung einiger zum System gehörigen Begriffe von einander abweichen, woraus oft sehr ent-/14/gegengesetzte Behauptungen hervorgehen, und wo es also sehr wichtig ist, den Grund des Zwiespalts aufzusuchen, der freilich in der irrigen Subsumtion des einen oder des andern, oder auch in den verschiedenen Begriffen liegen muss, die sie sich von den Gegenständen machen. Die Einleitung in die Metaphysik der Sitten S. I. – LII. wird allen sehr willkommen seyn, welche ihre Begriffe von der eigenthümlichen systematischen Form des Hrn.Verf. mehr aufs reine zu bringen oder auch mehr bestätiget zu sehen wünschen. Man bemerkt mit Vergnügen, wie der denkende Mann bemühet ist, in
[Die Akademie-Ausgabe vermutet Jakob als Verfasser der Rezension, vgl. Brief von Jakob an Kant vom 8. September 1797 (AA XII, S. 196 – 198 sowie AA XIII, S. 459): „Die Bedenklichkeiten des Rec. Ihres Naturrechts in den Annalen vertragen sich vollkommen mit der Hochachtung, die derselbe gegen Sie hegt, u. werden vielleicht Anlaß geben die dort berührten Punkte mehr ins Licht zu setzen“ (AA XII, S. 197).] https://doi.org/10.1515/9783110702996-006
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den beiden ersten Nummern seinen Begriff des ursprünglich-praktischen, der so oft mißverstanden ist, noch mehr ins Licht zu stellen, und den Einwendungen durch Erklärungen zuvorzukommen. So räumt er S. IV. ein, wie auch schon mehrere seiner Schüler längst erklärt haben, daß allerdings auch eine Neigung zu der moralischen Handlungsweise selbst entstehen könne, und nennt dieselbe eine sinnenfreie Neigung, weil die Lust, welche diese Neigung hervorbringt, nicht aus einer Einwirkung irgend eines Objekts auf das Subjekt entspringt, sondern aus der moralischen Handlungsweise selbst, die dann allerdings auch Objekt einer Neigung werden kann, die aber von allen sinnlichen Neigungen wesentlich verschieden ist. Die /15/ moralische Denkart beruhet also auf einem ursprünglichen Princip und kann zwar Lust und Neigung erzeugen, aber nicht von den letztern erzeugt werden. Zwischen einer ethischen und juridischen Gesetzgebung wird der Unterschied S. XIV. etc. so angegeben, daß die erstere eine Handlung zur Pflicht und diese Pflicht zugleich zur Triebfeder macht, die letztere aber auch eine andere Triebfeder, als die Idee der Pflicht selbst zuläßt. Es wird hinzugesetzt, daß diese Triebfeder sich auf Abneigung (Furcht) gründen müsse, weil es eine Gesetzgebung und keine Anlockung seyn soll. Die erstere ist nöthigend, die letztere einladend. Die christliche² Gesetzgebung geht auf alles, was Pflicht ist, überhaupt, und es gehören daher alle Pflichten blos darum, weil sie Pflichten sind, mit zur Ethik, aber ihre Gesetzgebung ist darum nicht allemal in der Ethik enthalten, sondern von vielen derselben ausserhalb derselben. Rechtslehre und Tugendlehre unterschieden sich nicht so wohl durch ihre verschiedenen Pflichten, als vielmehr durch die Verschiedenheit der Gesetzgebung, welche die eine oder die andere Triebfeder mit dem Gesetze verbindet. Eine andere merkwürdige Erklärung ist folgende: „Das Begehrungsvermögen (S. IV.) nach Begriffen, so fern der Bestimmungsgrund desselben zur Handlung in ihm selbst, nicht in dem Objekte an getroffen wird, heißt: ein Vermögen nach Belieben zu thun oder zu lassen. So fern es mit dem Bewußtseyn des Vermögens seiner Handlung zur Hervorbringung des Objekts verbunden ist, heißt es Willkühr; ist es aber damit nicht verbunden; so heißt der Actus derselben ein Wunsch. Das Begehrungsvermögen, dessen innerer Bestimmungsgrund, folglich das Belieben in der Vernunft des Subjekts angetroffen wird, heißt der Wille. Der Wille ist also das /16/ Begehrungsvermögen, nicht so wohl (wie die Willkühr) in Beziehung auf die Handlung, als vielmehr auf den Bestimmungsgrund der Willkühr zur Handlung, betrachtet, und hat selber vor sich keinen Bestimmungsgrund, sondern ist, so fern sie die Willkühr bestimmen kann, die praktische Vernunft selbst.“ Hiermit
[So im Originaltext; muß heißen: die ethische Gesetzgebung.]
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muß man folgendes vergleichen S. XXVII: „Die Willkühr ist in dem Menschen eine freie Willkühr; der Wille, der auf nichts anders, als blos aufs Gesetz geht, kann weder frei noch unfrei genannt werden, weil er nicht auf Handlungen, sondern unmittelbar auf die Gesetzgebung für die Maxime der Handlungen (also die praktische Vernunft selbst) geht, daher auch schlechterdings nothwendig und selbst keiner Nöthigung fähig ist. Nur die Willkühr also kann frei genannt werden.“ Diese etwas schwere Stelle kommentirt sich Rec. so: Das moralische Gesetz ist von aller Willkühr unabhängig: Der Wille, als das Princip desselben, giebt es, wie es ist, und keine Macht, auch der Wille selbst nicht, kann es ändern. Der Wille ist also in dieser Beziehung weder frei noch unfrei. Das Gesetz geht aus seiner Natur selbst hervor. Das Vermögen aber dieses Gesetz des Willens oder der praktischen Vernunft zu befolgen, d. i. die Willkühr ist frei. Man sieht wohl, daß es hier auf Ausdrücke nicht ankömmt. Der Sachunterschied ist indessen klar. Will man beides den Willen nennen, wie oft geschieht; so muß man doch erwägen, daß einmal das gesetzgebende Vermögen, und das andere mal das seine Gesetze befolgende Vermögen darunter verstehen muß. Nur das letztere ist frei; auf das erstere paßt dieser Begriff gar nicht. Der Begriff des Rechts wird S. XXXIII. so bestimmt, wie ihn auch schon einige, /17/ welche nach Hrn. Kants Systeme die Rechtslehre bearbeitet haben, der Sache nach bestimmten: „als der Inbegriff der Bedingungen unter denen die Willkühr des einen mit der Willkühr des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereiniget werden kann;“ und das allgemeine Princip des Rechts ist: „Eine jede Handlung ist Recht, die, oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkühr eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“ Die Befugniß zu zwingen, wird auch hier (§. D.) als in dem Begriffe des Rechts enthalten vorgestellt, und man kann daher das strikte Recht, als die Möglichkeit eines mit jedermanns Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden, durchgängigen, wechselseitigen Zwanges vorstellen. Das angeborne und ursprüngliche Recht ist nach Hr. Kant nur ein einziges (S.XLV.) nämlich: Freiheit, d. i. Unabhängigkeit von eines andern Willkühr, so fern sie mit jedes Andern Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann. Das, was andere als das Recht der Persönlichkeit und Gleichheit, ingleichen auf das innere angeborne Eigenthum, als besondere Rechte dargestellt haben, ist nach ihm in dem Rechte der Freiheit enthalten. Es scheint indessen doch, daß das, was zum innern ursprünglichen Eigenthume des Menschen gehört, aufgezählt werden müsse, wenn das Recht näher bestimmt werden soll, welches jedoch auch der Behauptung des Hr. Verf. keinesweges widerspricht. Dieses ursprüngliche Recht auf das innere Mein zieht der Hr. Verf. noch zu dem Prologomenis, und theilt nun die ganze Rechtslehre in das Privatrecht, Vom
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äusseren Mein und Dein überhaupt und /18/ in das öffentliche – (Staats-[,] Völkerund Weltbürger-Recht) Recht. Der Begriff des Mein und Dein wird im ersten Abschnitte auf eine sehr interessante Art entwickelt und die praktische Realität desselben auf eine ganz neue Weise sehr scharfsinnig gezeigt. Ein Satz, welcher auf das Staatsrecht des Verf. einen sehr großen Einfluß hat, und viele Sätze desselben bestimmen hilft, scheint indessen der genauesten Prüfung zu bedürfen. Es ist die Behauptung: daß Etwas Aeusseres als das Seine zu haben, nur in einem bürgerlichen Zustande möglich sey. (S. 72. etc.) Dieser Satz wird hier nicht etwa als blos empirisch, d. i. also vorgestellt, daß uns Erfahrung lehre, daß bei der unter den Menschen gewöhnlichen Habsucht und Neigung, andere für sich arbeiten zu lassen, keine Sicherheit des Eigenthums, ohne eine bürgerliche Verfassung, zu erwarten sey; daß also die Vernunft unter solchen Umständen rathe, eine bürgerliche Verfassung, als das einzige Mittel, sich gegen den Eigennutz anderer zu schützen, zu errichten; sondern so, als ob durch die bürgerliche Verfassung erst wahres, rechtliches Eigenthum äußerer Dinge möglich werde, und alles Recht auf äußere Dinge vor demselben, höchstens nur provisorisch sey. Wir wollen den Beweis dieses Satzes mit des Verf. eignen Worten anführen. Es ist folgender (S. 72): „Wenn ich wörtlich, oder durch die That erkläre, ich will, daß etwas Aeußeres das Meine seyn solle; so erkläre ich jeden andern für verbindlich, sich des Gegenstandes meiner Willkühr zu enthalten: eine Verbindlichkeit, die Niemand, ohne diesen meinen rechtlichen Akt haben würde. In dieser Anmaßung aber liegt zugleich das Bekenntniß: jedem andern in Ansehung des äußeren Seinen, wechselseitig zu einer gleichmäßigen, Enthaltung verbun-/19/den zu seyn; denn die Verbindlichkeit geht hier aus einer allgemeinen Regel des äußeren rechtlichen Verhältnisses hervor. Ich bin also nicht verbunden, das äußere Sein des andern unangetastet zu lassen, wenn sich nicht jeder andere dagegen auch sicherstellt, er werde in Ansehung des Meinigen, sich nach eben denselben Principien verhalten; welche Sicherstellung gar nicht eines besonderen rechtlichen Akts bedarf, sondern schon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung, wegen der Allgemeinheit, mithin auch der Reciprocität der Verbindlichkeit aus einer allgemeinen Regel, enthalten ist. – Nun kann der einseitige Wille in Ansehung eines äußern, mithin zufälligen Besitzes, nicht zum Zwangsgesetze für jedermann dienen, weil das der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen, Abbruch thun würde. Also ist nur ein jeden andern verbindender, mithin collectiv-allgemeiner (gemeinsamer) und machthabender Wille, derjenige, welcher jedermann jene Sicherheit leisten kann. – Der Zustand aber unter einer allgemeinen äußeren (d. i. öffentlichen) mit Macht begleitenden Gesetzgebung, ist der Bürgerliche. Also kann es nur im bürgerlichen Zustande ein äußeres Mein und Dein geben.“
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Diese angegebenen Gründe scheinen dem Rec. nicht hinreichend zu seyn, den Satz zu beweisen, und der Satz selbst gar keines Beweises fähig zu seyn, da vielmehr nach den eignen Rechtsgrundsätzen des Hr. Verfassers sich darthun läßt, daß ein äußeres Mein und Dein anerkannt werden müsse, wenn auch alle Macht, dasselbe zu behaupten, fehlen sollte; woraus denn fließt, das die Macht, das Eigenthum gegen Angriffe zu schützen, unmöglich erst dasselbe rechtlich begründen könne. Im Allgemeinen und aus dem Begriffe von Sachen überhaupt, welche im Verhält-/20/nisse zu Personen gedacht werden, läßt sich wohl nichts weiter herausbringen, als daß Personen ein Recht haben müssen, Sachen als Mittel zu ihren Zwecken zu gebrauchen, daß also jeder den andern wechselseitig zwingen dürfe, ihm diesen Gebrauch nicht zu verwehren. Das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft scheint mir daher nicht so wohl das Eigenthum, d. i. ein Recht, alle anderen von dem Gebrauche gewisser Sachen auszuschließen, als vielmehr den Gebrauch der Sachen überhaupt zu fordern, und müßte, nach des Rec. Meinung, also ausgedruckt werden: Jedes freie Wesen hat ein Recht, die äußeren Sachen zu beliebigen Zwecken zu gebrauchen; oder: eine Maxime, nach welchen, wenn sie Gesetz würde, aller Gebrauch der Sachen unmöglich würde, ist rechtswidrig. Es ist aber a priori nicht ausgemacht, ob die Sachen sämtlich so beschaffen sind, daß sie jedermann gebrauchen kann, ohne durch seinen Gebrauch, der Freiheit des andern, sie ebenfalls zu gebrauchen, Abbruch zu thun oder nicht. Im ersteren Falle würde gar kein Eigenthum rechtlicher Weise möglich seyn, und alles äußere Mein und Dein wäre unrecht, wie wenn z. E. alle Dinge einen so gemeinschaftlichen Gebrauch zuließen, als das Sonnenlicht, das jeder an jeder Stelle gebrauchen kann, wie er will, ohne den andern in seinem Gebrauche zu stören. Sobald man aber annimmt, daß es Sachen gebe, die jemand nicht willkührlich gebrauchen kann, wenn nicht andere auf den Gebrauch derselben Verzicht thun; so macht diese Beschaffenheit der Sachen, welche allein die Erfahrung lehren kann, daß in Beziehung auf sie, ein Eigenthum statt finden muß, weil unter dieser Bedingung allein sie von vernünftigen Wesen als Mittel zu ihren beliebigen Zwecken gebraucht werden können. Der Begriff des Eigenthums /21/ scheint mir also blos dadurch praktische Realität zu erhalten, weil der Begriff des rechtlichen Gebrauchs der Sachen zu beliebigen Zwecken, sich nicht anders auf gewisse Gegenstände anwenden läßt, als wenn sie ein vernünftiges Wesen ausschließlich gebraucht, und also daraus, daß das Eigenthum in Beziehung auf diese Dinge nicht zugestanden werden sollte, der rechtliche Gebrauch dieser Gegenstände gänzlich untersagt werden würde, welches dem Postulate der praktischen Vernunft gänzlich entgegen ist. Zur völligen Verdeutlichung der Begriffe des Recensenten wird folgendes dienen: Daß z. B. ein Pferd, oder jede andere Sache, wovon ein Eigenthum als
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möglich gedacht werden kann, nicht zum beliebigen Gebrauche aller, oder auch nur zweier dienen könne, ist offenbar, weil das Belieben des einen, dem Belieben des andern in jedem Augenblicke widerstreiten kann. Da nun aber doch jede Person der andern das Recht zugestehen muß, Sachen nach ihrem Belieben zu gebrauchen; so muß sie ihr auch die einzige mögliche Art zugestehen, nach welcher dieses möglich ist. Diese besteht aber darin, daß jeder andere auf den Gebrauch derer Sachen Verzicht leistet, welche der andere schon rechtlich gebraucht, d. h. daß jedermann der Person, welche einmal Sachen mit sich auf eine rechtliche Art in Verbindung gebracht hat, die er nicht seinem Belieben unterwerfen kann, ohne den beliebigen Gebrauch des andern dadurch zu hindern, ein Eigenthum darauf einräume, weil sonst aller rechtliche Gebrauch dieser Sachen unmöglich würde, folglich diese Sachen den vernünftigen Wesen rechtlicher Weise gar nicht als Mittel dienen könnten. Denn man setze, Cajus wollte einen Stamm Holz gebrauchen; alle andere Menschen hätten aber auch das Recht, ihn zu ge-/22/brauchen; so würde Cajus in jedem Augenblicke, wo er ihn gebrauchte, die Rechte aller übrigen verletzen. Er und jeder andere müßte ihn also nach Rechtsprincipien gänzlich ungebraucht liegen lassen. Denn es wäre gar kein rechtlicher Gebrauch desselben möglich, welches absurd ist. Wenn nun hieraus klar ist, daß durch das Recht auf Eigenthum, das Recht auf den Gebrauch der Sachen überhaupt in der wirklichen Welt erst möglich gemacht wird, und dieses durch ein rechtliches Postulat feststeht, wie ich hier mit dem Hr. Verf. annehme: so ist auch klar, daß das Eigenthum unmittelbar durch dieses Postulat bestimmt wird, und folglich das Recht darauf von aller bürgerlichen Gesellschaft unabhängig bestehet. Muß aber jeder dem andern wechselsweise ein Recht auf den ausschließlichen Gebrauch der Dinge zugestehen, die derselbe gebrauchen will, wenn er diesen seinen Willen erklärt, und dieser Wille Niemandes Recht verletzt; so folgt, weil mit dem Rechte das Recht zu zwingen verbunden ist, daß auch ein jeder schon vor aller bürgerlichen Gesellschaft berechtiget ist, jeden zu zwingen, daß er ihn im Gebrauche seines Eigenthumes nicht störe, und die Gewalt, welche jeder nach einer Maxime anwendet, die sich als Gesetz denken läßt, um jede Verletzung seines Eigenthums abzutreiben, scheint schon vor allem bürgerlichen Verein vollkommen rechtmäßig zu seyn, und wieder rechtmäßig zu werden, wenn dieser Verein aufhört. Mein Raisonnement stimmt mit der ersten Hälfte der in dem Kantischen Beweise vorkommenden Sätze vollkommen überein. Aber mit der letzteren kann ich nicht einig werden. Besonders nicht mit dem Satze, wo es heißt: „Ich bin also nicht verbunden, das äußere Seine des /23/ andern unangetastet zu lassen, wenn mich nicht jeder andere dagegen auch sicher stellt, er werde in Ansehung des Meinigen sich nach eben demselben Princip verhalten.“ Hier sehe ich nicht ab, warum meine Verbindlichkeit[,] das Seine des andern nicht zu verletzen, von der
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wirklichen Verletzung des Meinigen abhängen soll.Von der innern Verbindlichkeit ist es für sich evident, daß die meinige nicht aufgehoben wird, wenn auch alle andern die ihrige übertreten. Der Hr. Verf. kann also nur die äußere meinen. Aber auch in Ansehung der äußeren scheint es doch vollkommen einzuleuchten, daß wenn nur die allgemeine äußere Verbindlichkeit klar ist, dieses schon vollkommen hinreiche, jedermann zu verbinden, sie zu beobachten, ohne daß er erst das Betragen des andern abwarten soll. Wenn nun das Recht auf den beliebigen Gebrauch der Sachen mit jedem moralischen Wesen gesetzt wird, und unter Menschen die Bedingung dieses Rechts das Eigenthum ist; so muß ich jedermann ein Recht darauf einräumen, dieser mag selbst das Eigenthum anderer respektiren oder nicht. Es ist genug, daß er das meinige ebenfalls anerkennen muß, und sich nicht über Unrecht beschweren kann, wenn ich ihn dazu zwinge. Wenn die Erfahrung lehrt, daß die Menschen von Natur einen Hang haben, oder durch besondere Verhältnisse die Begierde erlangen, fremdes Eigenthum zu verletzen; so folgt hieraus, meines Erachtens, weiter nichts, als daß es der Klugheit und dem Rechte gemäß sey, sich mit hinlänglicher Macht zu versehen, um ihre Begierde einzuschränken. Daß aber ein Recht da sey, andere selbst zu zwingen, sich mit mir zur Abtreibung des Unrechts zu vereinigen, oder sich mit mir in eine bürgerliche Gesellschaft zu vereinigen, kann ich nicht einsehen. Denn die Hülfe, /24/ welche einer dem andern leistet, um seine Rechte beschützen zu helfen, ist doch immer ein positiver Beistand, also eine wirkliche Wohlthat. Dadurch aber, daß ich dem andern meine Wohlthat verweigere, verletzte ich sein Recht nicht. Die Verweigerung also, mich in eine bürgerliche Gesellschaft einzulassen, ist keine Verletzung der Freiheit des andern. Jeder hat ein Recht, sein Recht sicher zu stellen; aber diese Sicherstellung kann er nicht von andern erwarten, sondern er muß selbst dafür sorgen. Es kann aber, meines Erachtens, nicht erwiesen werden, daß ein Mensch schon dadurch, daß er kein Mitglied eines Staats ist, und sich mit mir in keinen Staat vereinigen will, mein Recht absolut unsicher mache. Denn 1) wäre es möglich, daß der andere einen guten Willen und selbst Achtung gegen die Rechte anderer hätte, ohne daß er deshalb eben Lust hätte, sich mit mir in einen Staat einzulassen. In diesem Falle würde mir sein guter Charakter ein besserer Bürge für die Sicherheit meines Rechts in Ansehung seiner seyn, als selbst der Staat; 2) kann ich auf tausend andere Arten mich in den Besitz überlegner Kräfte setzen, die mich durch die Furcht, welche sie andern beibringen, gegen diejenigen schützen, welche einen bösen Willen haben; sie mögen im Staate leben oder nicht. Denn ihre äußere Verbindlichkeit, mich nicht zu beleidigen, bleibt außer dem Staate so gut, als in demselben. „Die Sicherstellung,“ sagt Hr. Kant S. 73. „bedarf keines besondern rechtlichen Akts, sondern ist schon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung, wegen der Allgemeinheit – der Verbindlichkeit – enthalten.“ Hiermit ist Rec. ganz
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einig. Aber diese Sicherstellung besteht in weiter nichts, als darin, daß jedermann die äußere Verbindlichkeit aner-/25/kennen muß, und sich nicht über Unrecht beschweren darf, wenn er im Uebertretungsfalle mit Gewalt dazu angehalten wird. Diese Gewalt, welche zum Zwecke hat, jeden auf den Gebrauch seiner eignen rechtmäßigen Freiheit einzuschränken und jeden zu zwingen, daß er andere nicht beleidige, muß von jedermann für rechtmäßig erkannt werden. Aber wenn jemand anstünde, für sich selbst von einer solchen Gewalt Gebrauch zu machen; so würde man ihm doch offenbar Unrecht thun, wenn man ihn zwingen wollte, andern diesen Zweck ausführen zu helfen, welches offenbar dadurch geschehen würde, daß man ihn zwänge, in eine bürgerliche Gesellschaft zu treten. Es lassen sich viele Fälle denken, wo jemand zu einem solchen Verein keine Lust hätte, ohne deshalb irgend eine Begierde zu empfinden, anderer Rechte unsicher zu machen.Wäre es nicht Unrecht, einen ruhigen Einsiedler zum bürgerlichen Verein zu zwingen, der selbst unabhängig von allem fremden Beistande von rohen Naturprodukten lebt, und der in dem Umstande, daß er überall nichts, was andere Menschen begehren könnten, um sich hat, einen triftigeren Grund seiner Sicherheit vor fremden Anfällen findet, als in den Wachen eines Staats? Soll ein Mensch, der den Staat entbehren kann, doch gezwungen werden dürfen, wider seinen Willen hineinzutreten? „Der einseitige Wille,“ sagt Hr. Kant, „in Ansehung eines äußern, mithin zufälligen Besitzes, kann nicht zum Zwangsgesetze für jedermann dienen, weil das der Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze Abbruch thun würde. Also ist nur ein jeden andern verbindender, mithin collektiv-allgemeiner und machthabender Wille, derjenige, welcher jedermann jene Sicherheit leisten kann.“ Ich erwiedere /26/ hierauf: 1) Es scheint mir in dem Ausdrucke: der „einseitige Wille“ eine Zweideutigkeit zu liegen. Der einseitige Wille nämlich, in wie weit er beliebig ist, kann freilich andern kein Zwangsgesetz auflegen. Wenn es aber schon ursprünglich allgemeiner Wille (objektive) ist und seyn muß vermöge des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft, daß der einseitige Wille (die Willenserklärung eines Individuums) daß eine äußere Sache ausschließlich von ihm gebraucht werden solle, für alle übrigen Zwangsgesetz sey; so scheint es mir allerdings, daß der einseitige Wille allen übrigen ein Zwangsgesetz auflege. Jener ursprünglich allgemeiner Wille ist aber doch noch keine bürgerliche Gesellschaft; es ist noch keine Zwangsverpflichtung da, daß jedermann, dessen Vernunft diesen Willen hat, auch denselben in Ausübung bringen, und so die Rechte anderer mit Gewalt beschützen helfe. Es ist nur eine Zwangspflicht, Niemandes Eigenthum zu verletzen, allgemein anerkannt. Für die Gewalt, andere zur Beobachtung ihrer Pflicht zu zwingen, muß jeder selbst sorgen, so gut er kann, und wenn mehrere finden, daß die bürgerliche Gesellschaft das beste und zweckmäßigste Mittel hierzu ist, so steht es ihnen frei, für sich eine solche zu erreichen, aber sie
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würden die Freiheit anderer verletzten, wenn sie dieselben zwingen wollten, ihr beizutreten. 2) In der That, wenn es Recht wäre, einen andern zu zwingen, mit uns in eine bürgerliche Verfassung zu treten, unter dem Vorwande, daß er sonst mein Recht lädiren möchte; so müßte es auch Recht seyn, daß jeder Staat den andern zwänge, mit ihm in eine weltbürgerliche Verfassung zu treten. Denn so unsicher das Eigenthum des einen, vor den Angriffen des andern im Naturstande ist; so un-/27/ sicher ist das Mein des einen Staats vor dem andern, weil Staaten gegen einander nicht minder habsüchtig sind, als Privatpersonen, und das Elend des Krieges ganzer Nationen noch fürchterlicher ist, als das Unglück, in welches Menschen sich durch ihre Zänkereien über ein Paar Fische oder Ochsen stürzen. So nothwendig für die Sicherheit des Eigenthums der einzelnen der Staat ist; so nothwendig ist für den Frieden ganzer Staaten ein Staatensystem. Dennoch scheint es nicht, als ob Hr. Kant den Staaten ein Recht einräumen wollte, sich zu einem kosmopolitischen Verein zu zwingen, und Rec. sieht daher nicht ein, wie gleiche Gründe in Ansehung einzelner Menschen etwas anders hervorbringen sollten. Wie es Rec. vorkömmt, hat jeder Mensch ursprünglich eine Zwangspflicht, das was ein anderer auf eine ursprüngliche oder abgeleitete Art als sein Eigenthum erworben hat, nicht zu verletzen, und jeder Zwang, welcher nach einer Regel angewandt wird, die durch die Vernunft als allgemeines Gesetz gedacht werden kann, um sich in seinem Rechte gegen wirkliche Angriffe zu schützen, ist rechtmäßig. Da nun die Erfahrung lehrt, daß die bürgerliche Gesellschaft das beste Mittel ist, den Zwang regelmäßig auszuüben, und die Rechte mit Gewalt zu schützen; so rathet die Vernunft zwar an, dieselbe zu errichten; und macht es jedem zur Gewissenspflicht, zur Errichtung derselben das Seinige beizutragen. Aber da die Nichterrichtung derselben doch weder eine Rechtsverletzung anderer ist; noch eine Beleidigung nothwendig aus derselben fließt; so würde die natürliche Freiheit des Menschen dadurch verletzt werden, wenn man ihn zwingen wollte, Theil an der bürgerlichen Gesellschaft zu nehmen. /28/ Um die Möglichkeit des Rechts in einer Sache zu erklären, nimmt der Hr. Verf. einen ursprünglichen Gesamtbesitz des Bodens an, der ein praktischer Vernunftbegriff ist, und a priori das Princip enthält, nach welchem allein die Menschen den Platz auf Erden nach Rechtsgesetzen gebrauchen können. Es ist dieses keine communio primaeva, sondern communio possessionis originaria. Die Unterscheidungen werden hier, wie es bei dergleichen Materien ganz natürlich ist, etwas fein, und daher können die Begriffe leicht dunkel werden, und zu Mißverständnissen Anlaß geben. Rec. hat sich dieses immer so vorgestellt: Alle Sachen, welche mit den Menschen in einer möglichen dynamischen Verknüpfung stehen, d. h. einer solchen, daß sie auf einander wirken können, stehen ursprünglich in einem solchen Verhältnisse zu denselben, daß sie ein Recht haben,
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dieselben nach Belieben zu gebrauchen. Von diesen Sachen ist nun entweder ein gemeinschaftlicher Gebrauch möglich, ohne daß durch denselben, dem beliebigen Gebrauche irgend eines andern Abbruch geschieht oder nicht. Im letztern Falle wird der beliebige Gebrauch durch den gemeinschaftlichen vernichtet, und nur unter der Voraussetzung eines ausschließlichen Gebrauchs (Eigenthums) ist der beliebige Gebrauch möglich. Auf Dinge ersterer Art kann nie ein Eigenthumsrecht entstehen, und in Beziehung auf sie, bleibt also stets eine communio possessionis originaria. In Ansehung der letzteren gründet die erste Bemächtigung das Eigenthumsrecht.Was das Recht auf Grund und Boden betrifft; so dünkt mich, muß man den Boden, als die Bedingung der Existenz der Menschen, und ihn als eine Substanz, welche allerlei zufällige Vortheile gewähren kann, wohl unterschei-/29/den. Der Boden, als die nothwendige Bedingung der Existenz der Menschen kann nie ein Eigenthum werden, sondern bleibt auf ewig im Gesamtbesitze aller Menschen, sie mögen schon vorher gewesen seyn, oder jetzt erst zu seyn anfangen, oder: Niemand hat das Recht, einen Menschen unter dem Vorwande, daß der Boden ausschließlich sein wäre, in die Luft zu verweisen, und jeder hat von Natur oder ursprünglich ein Recht auf den Boden, welchen er zu seiner Existenz braucht, und Niemand kann sich denselben etwa schon vorher zugeeignet haben. Wenn also alles Land auf der Erde wirklich schon okkupirt wäre, so hätten die Besitzer doch kein Recht, den neu ankommenden Menschen einen Platz auf ihrem Boden zu versagen, weil sich ihr Recht nie bis zur Verweigerung derjenigen natürlichen Dinge erstrecken kann, welche die nothwendigen Bedingungen der Existenz eines Menschen ausmachen, welche, in wie ferne sie Erzeugnisse der Natur (nicht der Kunst) sind, stets zum gemeinschaftlichen Gebrauche bleiben müssen. Es kann sich daher ein Mensch ein Stück Land nur in so weit zueignen, als andern Menschen dadurch die nothwendige Bedingung ihrer Existenz nicht entzogen wird. Da aber der Boden eine Theilung zuläßt, und zur Existenz eines Menschen eben nicht nothwendig ist, daß er gerade diesen und nicht einen andern Platz einnimmt; so kann allerdings der, welcher schon einen Platz eingenommen hat, fodern, daß der andere seinen Sitz an einer anderen Stelle nehme, die noch niemandes andern Sitz ist. Dieses theilende Princip geht, dünkt dem Rec., eben so unmittelbar aus der Vergleichung des ursprünglichen Rechts mit der allgemeinen empirischen Beschaffenheit des Bodens hervor, als der ursprüngliche gemeinsame Besitz des Bodens überhaupt, und es /30/ scheint also, um dieses rechtlich zu begründen, so wenig eine bürgerliche Gesellschaft nöthig, als zur Begründung des Gesammtbesitzes des Bodens. Die bürgerliche Gesellschaft bleibt immer blos ein in der Erfahrung als zweckmäßig erkanntes Mittel, die Streitigkeiten zu enden, und anerkannte Rechte zu schützen. Aber a priori folgt weder, daß sie das einzige, noch daß sie das beste Mittel sey. Der gute Wille Aller würde ein weit besseres Mittel seyn; und wo die Menschen weit genug
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auseinander (in Horden) leben können, haben sie ebenfalls keinen bürgerlichen Verein nöthig, um sich in ihren Rechten zu schützen. Es lassen sich also mehrere Zustände denken, wo Eigenthum erhalten und beschützt werden kann, ohne daß eine bürgerliche Gesellschaft dazu nöthig ist. Diese kömmt doch immer erst dadurch zu Stande, daß der collektive Wille, daß jeder sein Recht behalten soll, einer Person (Souverain) übertragen wird, die ihn ausübt, und wodurch er Macht erhält, gegen alle Hindernisse, ihn durchzusetzen. Denn der Wille selbst ist schon vorher da, (in der Vernunft eines jeden) und wer daher ihm gemäß handeln kann, darf es auch thun. Rec. sieht daher nicht ein, warum vor dem bürgerlichen Zustande nur ein provisorischer Erwerb möglich seyn sollte, wie der Hr. Verf. behauptet, und weshalb die peremtorische Erwerbung nur im bürgerlichen Zustande statt finden könne; da die Unsicherheit des Besitzes, welche aus den Leidenschaften und aus zufälligen Hindernissen entspringt, doch nimmer mehr, das durch Vernunft gegründete Recht vernichten kann. Rec. würde alles zugeben, wenn hier von der wirklichen, nicht von der blos rechtlichen Ruhe des Besitzes die Rede wäre. Denn jene wird freilich im Naturstande oft genug angefochten, aber das Recht geht ja durch die /31/ widerrechtliche Gewalt vor der Vernunft nicht unter. Die Frage, wie weit sich die Befugniß der Besitznehmung eines Bodens erstrecke? beantwortet der Hr. Verf. S. 87 u. s. w. „So weit als das Vermögen ihn in seiner Gewalt zu haben geht, d. i. als der, so ihn sich zueignen will, ihn vertheidigen kann.“ Allein es scheint doch, als ob dieses Kriterium etwas willkührlich wäre. Denn da die Kräfte des Okkupanten steigend und fallend sind; so würde sich sein rechtmäßiges Gebiet fast in jedem Augenblicke ändern, und z. B. in seinem gefundenen Zustande größer seyn, als in kranken; es würde der Umfang seines rechtmäßigen Besitzes von der Güte des Pulvers und der Kanonen gewissermaßen abhängen. (S. 88.) Die physische Macht des Okkupanten scheint dem Rec. daher kein Mittel, die Grenze des Besitzungsrechts zu bestimmen. Sollte nicht der reelle, beliebige Gebrauch, in wie fern der Gebrauch mehrerer denselben unmöglich machen würde, ein besseres Kriterium des Umfanges einer rechtmäßigen Besitznehmung seyn, so daß es hieße „Jedermann kann von einer herrenlosen Sache, auf welche ein Eigenthum möglich ist, so viel in rechtlichen Besitz nehmen, als er möglicher Weise (nach seinen Kräften zu urtheilen) seinem Belieben unterwerfen kann, und welches nicht mehrere zugleich beliebig gebrauchen können, ohne dem rechtlich möglichen beliebigen Gebrauche Abbruch zu thun. Daß ein Volk Flüsse in seinem Lande, Seen und Küstenwasser sich zueignen könne, ist hieraus klar. Den freien offnen Ocean aber sich zueignen[,] würde nach obigem Merkmahle gar nicht als rechtlich möglich gedacht werden können, wenn auch gleich eine Nation Waffen erfände, womit das ganze Weltmeer bestritten werden könnte. Denn es läßt /32/ sich kein rechtlicher Gebrach denken, den ein Volk nicht auch von dem Ocean machen könnte, wenn es auch allen Völkern
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einen gleichen Gebrauch verstattet. Ein Mensch oder ein Volk, das eine wüste Insel mit Kreuzen besteckt, oder Besitznehmungspatente an die Bäume schlüge, indeß die Aussteller selbst mehrere hundert Meilen davon ruhig lebten, bis es ihnen etwa einfiele, Kolonien dahin zu senden, würde doch durch dergleichen Handlungen gar kein Eigenthumsrecht begründen. Denn eine so vage Willenserklärung, da sie den Gegenstand in gar keine reelle Verbindung mit dem Besitznehmer setzt, ist ohne alle rechtliche Folgen. Die Lehre von dem persönlichen Rechte oder dem Rechte durch Verträge ist, sehr lichtvoll abgehandelt, und nach des Rec. Urtheil für die Vernunft vollkommen befriedigend. Zu dem dinglichen und persönlichen Rechte kömmt bei dem Hr. Verf. noch ein drittes, nämlich das auf dingliche Art persönliche Recht, worunter er „das Recht des Besitzes eines äußeren Gegenstandes als einer Sache, und des Gebrauchs desselben als einer Person“ versteht, und nach welchem Begriffe das sogenannte Familienrecht auf eine ganz neue und originelle Art abgehandelt wird. „Das Mein und Dein nach diesem Recht (S. 105) ist das Häusliche, und das Verhältniß in diesem Zustande ist das der Gemeinschaft freier Wesen, die – eine Gesellschaft ausmachen – welche das Hauswesen heißt. Die Erwerbungsart dieses Zustandes und in demselben geschieht weder durch eigenmächtige That (facto) noch durch bloßen Vertrag (pacto) sondern durchs Gesetz (lege), welches, weil es kein Recht in einer Sache, auch nicht ein bloßes Recht gegen eine Person, sondern auch ein Besitz derselben zugleich ist, ein über alles Sachen- /33/ und persönliche hinausliegendes Recht, nämlich das Recht der Menschheit in unsere eigene Person seyn muß, welches ein natürliches Erlaubnißgesetz zur Folge hat, durch dessen Gunst uns eine solche Erwerbung möglich ist. Die Erwerbung nach diesem Gesetz ist dem Gegenstande nach dreierlei: der Mann erwirbt ein Weib, das Paar erwirbt Kinder und die Familie Gesinde. – Alles dieses Erwerbliche ist zugleich unveräußerlich, und das Recht des Besitzes dieser Gegenstände das allerpersönlichste.“ Nach diesen Principien wird nun das Eherecht, Elternrecht und Hausherrenrecht abgehandelt. Die natürliche Geschlechtsgemeinschaft nach dem Gesetz nennt der Verf. die Ehe, und definirt sie (S. 107.) als die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften. Aber sind hier nicht willkührliche Merkmahle in den Begriff der Ehe aufgenommen worden, und muß es nicht erst bewiesen werden, daß das Gesetz nur zwei Personen diese Vereinigung verstattet, und daß es die lebenslängliche Vereinigung schlechterdings fodert? Da nun beide Bedingungen blos auf empirischen und zufälligen Beschaffenheiten der menschlichen Natur beruhen, die bei verschiedenen Geschlechtern und Nationen anders seyn können; so scheint es nicht, als ob diese Merkmahle wesentlich zum Begriffe der Ehe gehörten, sondern nur comparativ allgemein, d. h. so weit uns die Menschen bekannt sind, aufge-
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nommen werden müssen. Wenn wir uns aber z. B. vorstellen, daß es wirklich möglich wäre, den Geschlechtstrieb und die damit verbundenen Neigungen mehr der Willkühr zu unterwerfen, als wir es in uns erfahren, und also bei der Geschlechtervereinigung blos auf Gesundheit und Schönheit der Nachkommenschaft Rück-/34/sicht zu nehmen; so ist nicht abzusehen, warum unter solchen Umständen eine Gemeinschaft der Weiber, wo allenfalls ein Arzt oder der Magistrat die Beischläfe jedesmal anordnete, woraus die beste Nachkommenschaft zu vermuthen wäre, nicht unter das Gesetz passen sollte. Setzt man ferner voraus, daß in einer platonischen Republik, die nur Eine Familie ausmacht, der Unterhalt des Weibes von dem, der ihr beiwohnet, ganz unabhängig ist, und daß die Erziehung das gemeine Wesen denen überträgt, die in dieser Kunst am geschicktesten sind; so scheint eine lebenslängliche Vereinigung ganz unnöthig. Hier leben alle Männer und alle Weiber in Einer Ehe, und zwar nach dem Gesetz, ohne alle Unsittlichkeit – Rec. will hierdurch nichts darthun, als daß blos, die besondere empirische Erkenntniß der menschlichen Natur, macht, daß wir die Ehe, so wie sie der Verf. bestimmt hat, bestimmen, daß aber, da es doch immer möglich bleibt, daß gewisse Menschen oder gewisse Völker diese comparativ allgemeinen Eigenschaften nicht haben, immer ein Platz für Ausnahmen offen bleiben müsse, und sich hier keine absolute Allgemeinheit erweisen lasse. In dem Elternrechte wird (S. 111) behauptet, daß die Kinder ein angebornes Recht auf ihre Versorgung durch die Eltern hätten, und zwar durchs Gesetz unmittelbar. Allein des Verf. Rechtsprincip S. XXXIII. erklärt alle Handlungen für recht, welche mit der Freiheit anderer bestehen können. Nun aber wird die Freiheit eines Kindes gar nicht verletzt, wenn sich die Eltern seiner nicht annehmen. Rec. sieht also nicht ein, wie nach diesem Princip, welches er auch für richtig annimmt, ohne Vertrag, irgend ein Recht auf den positiven Beistand eines andern statt finden könne. Das Gesetz legt zwar Pflichten auf, aber diese Pflichten sind frei, (nicht /35/ Zwangspflichten) so lange durch Uebertretung derselben nicht nur die Freiheit verletzt wird. Zwar sagt der V. (S. 113.) der Act der Zeugung sey als ein solcher anzusehen, wodurch wir eine Person ohne ihre Einwilligung auf die Welt gesetzt, und eigenmächtig in sie herüber gebracht haben, und für diese That hafte auf den Eltern eine Verbindlichkeit, sie, so viel in ihren Kräften ist, mit diesem ihrem Zustande zufrieden zu machen. Aber Rec. erkennt hierin doch nur den Grund einer Tugendpflicht, keine Rechtspflicht. Denn im Grunde ist doch die Natur an der Einrichtung Schuld, daß durch die Geschlechtsvereinigung ein Mensch erzeugt wird, und ich bin es nicht, der dieses Wesen zur Weltexistenz nöthiget, (welches in der That eine Verletzung seiner Freiheit seyn würde) sondern die Natur thut ihm diesen Zwang an. Ich habe also vor dem Foro des Rechts die Folgen nicht zu verantworten, welche aus dieser natürlichen Einrichtung für die freien Wesen fließen, und das freie Wesen, welches aus einer Befriedigung meines Triebes nach Naturgesetzen seiner Existenz
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erhält, kann deshalb keine positive Rechtsanfoderung an mich machen. Sein Recht gegen mich ist, so wie gegen alle andere, ursprünglich blos negativ. Aber gegeneinander müssen sich die Eltern zur Erziehung der aus ihrer Vereinigung entspringenden Kinder verpflichten, weil ein Vertrag nur unter sittlichen Schranken möglich ist, und das Sittengesetz allerdings die Sorge für die Erzeugten zur Pflicht macht. Die Eltern können also die Erziehung der Kinder von sich wechselseitig als Rechtspflichten fodern; die Kinder aber haben ihre Erziehung immer als bloße Wohlthat ihrer Eltern, nicht als rechtliche Schuldigkeit, wofür sie nicht zu danken brauchen, anzusehen. Die Art, wie Hr. K. das Unrecht des Büchernachdrucks erweiset, ist schon aus /36/ einem früheren Aufsatze desselben in der Berlinischen Monatsschrift bekannt. Das Buch wird als eine Rede vorgestellt, die jemand ans Publikum hält, diese Rede behauptet Hr. K., dürfe Niemand nachhalten, als wem es der Urheber der Rede aufträgt, und wer ohne Auftrag, die Rede eines andern nachhalte, begehe ein Unrecht, und bei dem Buche ein furtum usus. Allein dieser Grund scheint dem Rec. doch noch nicht evident zu seyn. Der Hr. Verf. hat sehr richtig den Unterschied des Buchs als opus mechanicum und als öffentliche Rede aufgedeckt. Aber ist der Grundsatz gewiß: daß es Unrecht sey, eines andern Rede, ohne Vollmacht von ihm dazu zu haben, nachzusprechen? Sind die Gedanken nicht ein gemeines Gut, mit denen jeder machen kann, was er will? Wenn ich an öffentlichen Oertern, in Wirthshäusern, auf der Straße, im Parlamente, auf der Kanzel, Theater, Katheder u. s. w. rede, und meine Worte dem großen Haufen, ohne Bedingung und Vertrag mittheile, auch wohl mich, für mein Reden bezahlten lasse; verletzt der mein Recht, der meine Worte ausbringt und meine Rede nachhält? Darf er aber meine Rede andern erzählen, sie aufschreiben, warum nicht auch das, was ich ihm durch mein Buch mittheile? Darf man Collegienhefte drucken lassen, wie der Hr. V. selbst, nach einer Erklärung im Intelligenzblatte der A. L. Z. zugiebt; warum soll ich nicht auch Bücher nachdrucken lassen dürfen? Daß es also ein persönliches Recht sey andern zu verwehren, die Worte, die man öffentlich hingiebt, nicht als Worte des Redens nachzusprechen, oder nachzudrucken: (Denn das ist in dieser Beziehung einerley, da letzteres nur ein symbolisches Nachsprechen ist.) Das ist es eben, was nicht klar zu seyn scheint, und weshalb man bei keinem öffentlichen Gerichte, wo keine besondern /37/ positiven Verordnungen dagegen vorhanden sind, mit einer Klage gegen den Nachdruck durchkommen wird. In einem episodischen Abschnitte (S. 130) handelt Hr. V. Von der idealen Erwerbung eines äußeren Gegenstandes der Willkühr, worunter er eine solche versteht, die eine bloße Idee der reinen Vernunft zum Grunde hat, und er rechnet dahin die Erwerbungsart: 1) durch Ersetzung (sonst Verjährung) 2) durch Beerbung; 3) durch unsterbliches Verdienst. Der Grund, daß ein langer Besitz eine
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Erwerbungsart sey, wird darin gesetzt, daß jemand sich nur durch einen rechtlichen und zwar sich continuirlich erhaltenen dokumentirten Besitzact das Seine sichern könne, weil sonst gar keine Erwerbung sicher seyn würde, indem in jedem Augenblicke jemand mit ältern Ansprüchen kommen könnte: Wenn hierdurch blos die Erwerbungsart eines möglichen Rechts im bürgerlichen Zustande angedeutet werden sollte; so ließe sich wohl nichts dagegen sagen, und da der Verf. die Möglichkeit des Rechts erst von dem bürgerlichen Zustande abhängen läßt; so sieht man wohl, daß es in sein System paßt. Aber wenn man sich genau an das Rechtsprincip der Freiheit, als allgemeines Gesetz gedacht hält; so müssen alle diese idealen Erwerbungsarten aus dem Naturrechte verschwinden, und erst in einer positiven Verfassung ihre Realität finden, welche sich um die besten Mittel bemüht, sichere Kriterien festzustetzen, wodurch die Anwendung ihres Schutzes bestimmt werden kann. A priori aber läßt sich nach des Rec. Ermessen der lange Besitz des Gutes eines andern nicht als ein Erwerbungsgrund rechtfertigen. Denn was den Grund des Hrn. V. anbetrifft, daß nämlich sonst gar keine Erwerbung gesichert, sondern nur /38/ einstweilig seyn würde; so fällt er dadurch weg, daß der Besitz so lange für ein hinreichender und voller Grund des rechtmäßigen Eigenthums gelten muß, bis der andere sein früheres Recht auf dasselbe beweiset. Es giebt aber unendlich viele Fälle, wo die Unmöglichkeit dieses Beweises erkannt werden kann, und in allen diesen Fällen ist das Eigenthum vollkommen peremtorisch. Was von der Gültigkeit der Testamente im Naturrechte (S. 135.) gesagt wird, kann eher eingeräumt werden, da sie blos so viel bedeuten soll, daß ihre Würdigkeit im bürgerlichen Leben eingeführt zu werden, a priori erkannt werden könne. Aber ein wirkliches Recht im Naturstande lässt sich schwerlich durch sie begründen. Die Verletzung des guten Namens eines andern nach seinem Tode, scheint nicht sowohl eine Beleidigung der verstorbenen Person, als vielmehr der Menschheit in einer nicht mehr vorhandenen Person zu seyn, und das Recht eines jeden, eine solche Beleidigung, die ihn unmittelbar nichts angeht, zu ahnden, scheint sich blos drauf zu gründen, daß jeder das Recht hat, eben so gut die Wahrheit zu sagen, als jener das Recht, falsche Gerüchte zu verbreiten. Aber das Recht der Lebendigen, den Verleumder eines Verstorbenen zum Widerrufe zu zwingen, oder ihn wegen der ausgebreiteten Verleumdung zu strafen, kann schwerlich aus Principien des N R [Naturrechts] erwiesen werden. Das dritte Hauptstück (S. 139.) handelt: Von der subjektiv bedingten Erwerbung durch den Ausspruch einer öffentlichen Gerichtsbarkeit, worin untersucht wird, was vor einem Gerichtshofe recht sey und wie also das Recht nach allgemeinen Principien öffentlich entschieden oder bestimmt werden müsse. Der Hr. V. macht auf den /39/ Unterschied aufmerksam, was an sich betrachtet, nach dem Privaturtheile des Einzelnen, und vor einem Gerichtshofe für Recht erklärt werden
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könne. Was hierüber gesagt wird, ist eben so schön, als gründlich. Rec. bemerkt nur, daß es ihm scheine, als ob das Privaturtheil in Rechtssachen, überall keine Gültigkeit habe, als unter der Bedingung, daß es sich vor einem öffentlichen Gerichtshofe rechtfertigen, d. h. ein objektiver Beweis dafür führen lässt. Das bloße Privaturtheil ist daher, auch im bloßen Naturstande nicht gültig, sondern es gilt hier das Gesetz: Niemand darf seinem Privaturtheile eher folgen, als bis er sicher seyn kann, es müsse auch das Urtheil eines Gerichtshofes seyn; weil dieses die einzige Bedingung ist, unter welcher andere sein Recht anerkennen können und die Anerkennung der einzige Grund ist, weshalb er Anspruch an andere machen kann, daß sie sein Recht achten. Einig mit dem Hrn.Verf. darüber, daß die Principien der subjektiven Beurtheilung von denen der objektiven, verschieden sind, und daß man bei letzterer auf Principien bedacht seyn müsse, welche die Rechtsbeurtheilung theils möglich machen, theils erleichtern, scheint es doch als ob die Principien der objektiven Beurtheilung vor dem Gericht, hie und da anders bestimmt werden könnten oder müßten, als es von ihm geschehen ist, und als ob der subjektiven Beurtheilung des Rechts mehr Gültigkeit eingeräumt würde, als ihr zukömmt. Dem Rec. kommt es nämlich so vor, als ob die blos subjektive Beurtheilung des Rechts gar keine Gültigkeit habe, sondern eitler Schein sey, und daß jede subjektive Beurtheilung des Rechts, welche nicht als eine objektive gedacht werden kann, d. i. eine solche, nach welcher auch jedes öffentliche Gericht urtheilen muß, gar /40/ keine Rechtsbeurtheilung sey, folglich, daß nur die erstere im Naturstande in so weit gelten könne, als auch jeder Gerichtshof darnach sprechen muß. Hiernach aber ist z. B. ein Schenkungsvertrag mit dem heimlichen Vorbehalt des Schenkenden, das Versprochne auch nicht zu schenken, überall nichts, und kann unter keiner Bedingung als ein rechtlicher Vertrag gedacht werden, weil er ein Vertrag seyn würde, wodurch ich ihm etwas gebe und auch nichts gebe. Der Satz: nemo suum jactare praesumitur, gielt nur so lange kein Beweis da ist, daß jemand etwas umsonst weggegeben habe. So bald aber der Beweis, daß jemand wirklich etwas umsonst weggegeben und der andere angenommen hat, da ist, wird es nicht mehr willkührlich angenommen, (praesumitur) sondern es ist gewiss, daß er etwas umsonst weggegeben habe, und in diesem Falle ist das Recht, was er einmal weggegeben hat, verloren, es sey nun eine Sache, oder eine künftige Leistung. Hr. Kant redet (S. 143.) blos von Schenkungen durch Versprechen. Wahrscheinlich nimmt er also nicht an, daß der, wer dem andern eine Sache (ein Stück Geld etc.) geschenkt hat, ein Recht behalte, solche dem Beschenkten wieder zu nehmen, wenn es ihm einfällt. Gilt dieses aber von einer Sache, die in seinen reellen Besitz genommen ist; warum soll es nicht auch von einer Leistung gelten, die in einem idealen Besitz des andern durch die Schenkung übergeht? Ich bin so wenig mehr Herr über die Handlung, welche ich einem andern zu thun versprochen habe, und deren Versprechungen er ange-
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nommen hat, als über den Dukaten, den ich ihm geschenkt habe, und den er in seinen Beutel gesteckt hat. Die Schwierigkeit, die Geschenke durch Ver-/41/ sprechungen, zu erzwingen, liege nur in der Schwierigkeit, den Beweis zu führen, daß mir wirklich etwas geschenkt sey. Ist dieser da; so ist das Recht, das Geschenkte zu erzwingen, subjektiv und objektiv klar. In Ansehung des Leihvertrags, scheint es, als ob die Privatvernunft ebenfalls gar nicht anders urtheilen dürfe, als das Gericht, wenn sie anders ein Recht auf ihr Urtheil gründen will. Der Satz: casum sentit dominus, gilt so gut im Privat- als im öffentlichen Urtheil objektiv; nur daß es oft schwer ist, zu bestimmen, was der Zufall allein gewirkt hat. Wenn das gemiethete Pferd vom Blitze erschlagen wird: so wird Niemand dem Miether zum Ersatz verdammen können. Denn hier ist der casus evident. Stirbt aber das Pferd auf eine andere Art, so ist schwerlich zu entscheiden, ob der Miether Schuld, oder der Zufall allein die Ursache war; und in solchen Fällen, die gar keine Entscheidung zulassen, muß sich die Privatvernunft sowohl, als die öffentliche es gefallen lassen, den Nachtheil so lange dem Zufalle beizumessen, bis ein Beweis vom Gegentheile geführt ist. Eben dieses ist der Fall, wenn ich einen geliehenen Mantel mir stehlen oder verderben lasse. In dem Leihvertrage liegt das Versprechen des Leihenden, das Geliehene in dem bestmöglichsten Stande zu erhalten; folglich auch, daß er an jeden Regreß nehmen wolle, der der Sache Schaden zufügt, um ihm zum Ersatz anzuhalten, ohne dem Ausleiher dieses zuzumuthen. So scheinen also Rechtsbeurtheilungen, die blose Privaturtheile sind, und sich nicht an allgemeinen Urtheilen qualificiren, gar keine rechtliche Gültigkeit zu haben. Nur möchte Rec. diese allgemeine Gültigkeit nicht erst von dem bürgerlichen Zustande abhängig machen. Wer nach einem Gesetze verfährt, das nach objektiven Vernunftprincipen für /42/ Recht anerkannt werden muss, handelt recht, er mag im natürlichen oder im bürgerlichen Zustande leben. Doch hiervon gleich ein mehreres. Der Hr. Verf. unterschiedet den rechtlichen und nicht rechtlichen Zustand, und nennt den letztern den natürlichen, und jenen den bürgerlichen. Aber wenn der Streit nicht in einen bloßen Wortstreit verwandelt werden soll; so sieht man bald, daß die beiden letzten Merkmahle nicht in den erstern analytisch gedacht werden, sondern erschlossen sind. Die Sätze: der rechtliche Zustand ist der bürgerliche, und jeder nicht bürgerliche Zustand ist nicht rechtlich, sind synthetische Sätze, welche eines Beweises bedürfen, welcher außer diesen Begriffen selbst gesucht werden muß. Dieser Beweis kann aber nicht anders, als empirisch seyn. Denn da die Rechtssätze selbst in der Vernunft a priori gegründet sind; so muß ihre Bestimmung selbst von allen Verhältnissen, in welchen sich Menschen gegen einander befinden, unabhängig seyn, und was Recht sey, muß durch Vernunft ausgemacht werden können, und darf nicht erst auf die Willkühr eine fremden Richters warten. Es muß also blos bewiesen werden, daß im natürlichen Zustande
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schlechterdings niemand zu seinem Rechte gelangen, oder dasselbe ausüben könne, und daß in demselben lauter Unrecht begangen werde. Daß nun die Menschen von Natur eine unwiderstehliche Neigung haben, einander Unrecht zu thun, und sie nichts vermögen könne, sich den Rechtsgesetzen zu unterwerfen, als die Gewalt, welche im bürgerlichen Zustande gebildet wird, ist a priori gar nicht einzusehen, und muß also aus der Erfahrung erwiesen werden. Wenn aber das letztere seine Richtigkeit hat; so scheint es dem Rec. als ob keine allgemein gültige Theorie darauf gegründet /43/ werden könne. Es würde nur folgender Satz heraus kommen: „Die Erfahrung hat bisher gelehrt, daß die Rechte außer dem bürgerlichen Zustande in großen Völkermassen nicht sicher sind, und daß der natürliche Zustand leicht in einen Zustand der Ungerechtigkeit ausartet.“ Aber ob die Ungerechtigkeit mit dem natürlichen Zustande nothwendig verknüpft sey, und ob es nicht so fromme Völker geben könne, die, wie gute Familien, sich vertragen, und ihre Rechte untereinander ohne bürgerlichen Zwang aufs heiligste achten, läßt sich nicht mit vollkommner Gewißheit bestimmen. Solche würden aber offenbar auch im natürlichen Zustande in einem rechtlichen Zustande, d. h. nach des H. V. eignen Erklärung (155.) in einem solchen Verhältnisse gegen einander leben, welches die Bedingungen enthielte, unter denen jeder seines Rechts theilhaftig werden kann. Denn die Bedingungen, welche einem jeden, sein Recht vor den Angriffen des andern sichern würden, wäre der gute Wille aller oder doch der mehresten Glieder der Gesellschaft, oder irgend ein anderes Mittel (denn wer weiß, wie viele deren der menschliche Scharfsinn oder die fruchtbare Natur noch ans Licht bringen kann!) das nur uns nicht bekannt ist, weil wir uns immer an die bürgerliche Gewalt gehalten haben. Es läßt sich also offenbar eine austheilende Gerechtigkeit ohne Staat, oder ohne bürgerliche Gesellschaft denken, und wenn die Menschen nur nicht allzu schlecht sind, so mag der natürliche Zustand, was die Sicherheit des Rechts betrifft, leicht besser seyn, als mancher Staat, wo sich die Ungerechten gerade am Hofe zusammengedrängt haben, und nun die Unterthanen mit ihren eigenen Kräften bezwingen, deren Rechte höchst wahrscheinlich weit weniger Gefahr ausgesetzt seyn würden, wenn die Hofschranzen ihnen blos /44/ mit ihrer Privatmacht Unrecht thun sollten. Und so wäre es wohl möglich, daß in manchem Lande der rechtliche Zustand gerade dadurch hergestellt würde, wenn man nur denjenigen die Macht aus den Händen winden könnte, die ihn aufrecht erhalten sollen, aber es nicht thun. Zwar meint der Hr. V. (S. 163.) es sey a priori klar, daß ein ausserbürgerlicher Zustand, selbst bei Voraussetzung von lauter rechtsliebenden Menschen, ein rechtloser Zustand seyn müsse, weil in zweideutigen Rechtsfällen, doch jeder nur seiner Meinung würde folgen wollen, und hier kein gültiges Entscheidungsprincip möglich seyn würde. Allein ich erwiedere: 1) daß unter der angenommenen Voraussetzung Rechtsstreitigkeiten nicht nothwendig sind, weil sie nur größtentheils aus der subjekti-
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ven Leidenschaft fließen, mit welcher der Eigennützige seinen Vortheil will; 2) daß rechtliebende Menschen diese subjektive Beschaffenheit ihrer Natur kennen, und wegen der natürlichen Regel, daß Niemand in streitigen Fällen sein eigner Richter seyn könne, sich freiwillig einem Schiedsrichter unterwerfen werden. Denn der Streit gilt nicht das Rechtsgesetz, dessen Promulgation die Vernunft eines jeden ist, sondern nur dessen Anwendung auf einen besonderen Fall. „Aus dem Privatrecht,“ sagt der Hr. V. (S. 157) „im natürlichen Zustande, geht nun das Postulat des öffentlichen Rechts hervor: du sollst im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseyns mit allen aus jenem heraus, in einem rechtlichen Zustand d. i. den einer austheilenden Gerechtigkeit übergehen.“ Diese Pflicht ist einleuchtend; aber es scheint mir, es bedürfe hierzu keines Ueberganges, sondern der Zustand konstituire sich durch das Nebeneinanderseyn mehrerer Menschen von selbst, und das Postulat des öffentli-/45/chen Rechts scheint mir vielmehr folgendes zu seyn: „So bald du in das Verhältniß mit irgend einem andern Menschen kommst, so befindest du dich in einem rechtlichen Verhältnisse mit ihm, und jeder muß in demselben bei allen seinen Handlungen dahin sehen, daß er die Rechte des andern nicht verletzte.“ Niemand ist verbunden heißt es S. 157. sich des Eingriffs in den Besitz des andern zu enthalten, wenn dieser ihm nicht gleichmäßig auch Sicherheit giebt, er werde eben dieselbe Enthaltsamkeit auch gegen ihn beobachten. Aber gegen diesen Satz ist schon oben eine Anmerkung gemacht worden. Die Verbindlichkeit, anderer Rechte nicht zu verletze, ist an sich evident. In Ansehung der Seinigen darf jeder für ihre Sicherheit sorgen, aber doch nur durch gerechte Mittel. Nimmermehr kann aber die Verletzung der Rechte anderer, ein gerechtes Mittel seyn, mein Recht zu sichern. Sie muß also nach aller Rechtsbeurtheilung verworfen werden. Der Argwohn, daß andere uns angreifen möchten, kann uns zu nichts berechtigen, also unsre Macht zu verstärken, und ihm dadurch Furcht einzuflösen, nie aber die Feindseligkeit zuerst anzufangen, wie der Verf. will. – Daß der Mensch seiner Natur nach, dem andern schon mit seinem Zwange drohte, ist ein empirischer Satz, der unendliche Ausnahmen zuläßt, und wenn dieses auch wäre; so würde doch nichts folgen, als daß jeder sich Mühe geben müsse, sich gutwillig Hülfe gegen dergleichen feindselige Wesen zu verschaffen; das Gebot aber, anderer Freiheit nicht zu verletzen, wenn die seinige nicht erst verletzt ist, dürfe er doch niemals übertreten. Es ist 1) an sich möglich, meine Rechte gegen feindselige Angriffe durch gutwillige Vereinigung mit mehreren, die ein Interesse bei dieser Vereinigung finden, zu sichern. Der Grund /46/ also, als ob das bloße Daseyn anderer Menschen neben mir, schon als ein wenigstens höchst wahrscheinlicher Angriff auf mein Recht anzusehen wäre, ist falsch. Er verschwindet, wenn ich nur die Vorstellung in feindseligen Wesen erregen kann, daß ich stärker bin, als sie. Dieses ist aber möglich, ohne daß ich sie zwinge, sich mit mir in einen bürgerlichen Zustand einzulassen. Es ist also zur
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Sicherheit des Rechts gar nicht nöthig, daß jedermann im bürgerlichen Zustande lebe. 2) Gesetzt ich könnte mein Recht auch nicht sichern; so ist es doch besser, daß ich meine Güter Preis gebe, als daß ich eines andern Freiheit verletze, d. i. Unrecht thue. Muß ich mir das letztere oft im Staate aus Pflicht gefallen lassen; warum nicht auch außer dem Staate? Den Satz also, welcher ein Hauptfundament des ganzen Kantischen Naturrechts ausmacht, und mit welchem so viele andere Sätze, unter andern auch der, des unbedingten bürgerlichen Gehorsams zusammenhängen, ist nämlich, daß alles eigentliche Recht erst durch den Staat möglich werde, oder daß der bürgerliche Zustand der einzig denkbare sey, in welchem jeder seines Rechts theilhaftig werden könne, hält Rec. für unerwiesen, mithin auch dessen vielen und mannigfaltigen Folgen. Aus diesen Gründen kann Rec. mit der gegebenen Erklärung eines Staats nicht übereinstimmen. „Ein Staat (civitas)“ heißt es §. 45. „ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen[“]. Nach des Rec. Ermessen ist der Staat die Vereinigung einer Menge Menschen unter einer moralischen Person, welcher die nähere Bestimmung und Ausübung der Rechtsgesetze übertragen ist. Die Vereinigung unter die Rechtsgesetze selbst bedarf keines besondern Acts, sondern ist von Natur /47/ schon da. Jeder soll des Menschen Rechte achten. Folglich ist jedes Zusammenkommen der Menschen, schon an sich ursprünglich so bestimmt, daß unter ihnen die Rechtsgesetze gelten müssen; und die Menschen befinden sich in jedem Zustande in einem solchen Verhältnisse, wo sie ihre Rechte wechselseitig gelten lassen müssen. Weil sie aber Erfahrung lehrt, daß sie ihre Rechte nicht gehörig behaupten können, ohne daß sie den Schutz der Rechte einer Person gemeinschaftlich übertragen; so rathet die Klugheit den Staat, als das kleinere Uebel vor dem größeren (der immerwährenden Uneinigkeit) zu wählen. Des Verf. Erklärung des Staats ist also keine Definition. Denn sie läßt sich nicht umkehren. Umgekehrt bedarf der Satz eines Beweises a priori, der nicht befriedigend gegeben ist, und selbst unmöglich zu seyn scheint. Des Hr. Verf. Gedanken über das öffentliche Recht, sind schon aus einigen früheren Aufsätzen desselben so ziemlich bekannt. Hier erscheinen sie mehr im Zusammenhang des Systems, und sind also vorzüglich zur näheren Prüfung geeignet. Es zerfällt in das Staatsrecht,Völkerrecht und weltbürgerliche Recht. Nach einigen sehr schön und gründlich entwickelten hierhergehörenden Begriffen redet der V. S. 157. von den rechtlichen Wirkungen aus der Natur des bürgerlichen Vereins, wo A. vorzüglich die Frage wegen des möglichen Widerstandes gegen einen ungerechten Regenten abgehandelt und völlig verneinend entschieden wird. Ein Unterthan heißt es S. 173 soll nicht über den Ursprung der obersten Gewalt werkthätig vernünfteln, d. h. wie ich es aus dem Zusammenhange erkläre, in der Absicht, um darauf ein Unternehmen gegen den Besitzer der Souverainität
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zu gründen, im Falle er entdeckt, daß er, oder seine Vor-/48/fahren auf ungerechtem Wege zum Besitze der Regentschaft gelanget sind. Sollte es aber nicht besser und selbst dem Sinne des Hr. V. gemäßer seyn, wenn es hieße: der Unterthan mag auch noch so deutlich beweisen können, daß die Besitzer der höchsten Gewalt unrechtmäßiger Weise dazu gelangt sind; so giebt ihm dieses doch kein Recht, sich gegen ihn aufzulehnen, ihn abzusetzen etc. Denn es würde hieraus mehr hervorgehen, daß keine Vernünftelei über den Ursprung der Staaten, weder dem Staate selbst, noch ihren Verwaltern gefährlich werden könnte, und bei der vollkommnen Untersuchungsfreiheit und der Entdeckung des Schlimmsten, würde der Herrscher doch nichts von Rechtswegen zu fürchten haben. Mich dünkt auch, daß der Verf. nur das werkthätige Vernünfteln als pflichtwidrig vorstellt; vor dem spekulativen aber, welches in der bloßen Erforschung der Wahrheit besteht, wird er den Ursprung der Staaten nicht verbergen wollen. Denn dieses wird die Freiheit der Untersuchung hemmen. Der Staat kann unmöglich verlangen, daß wir über seinen Ursprung, gleichsam als ob er sich dessen zu schämen hätte, ein Auge zudrücken, oder gar nicht darüber nachdenken sollen, ob gleich der Umstand, daß er etwas Schändliches darin entdeckt, den Unterthanen so wenig von seiner Pflicht gegen den Staat befreien kann, als einen Sohn von der Pflicht gegen seine Eltern, die ihn durch einen schändlichen Umgang erzeugt haben. Ueberhaupt scheint es mir, als ob diejenigen, welche die Frage, ob das Volk je ein Recht haben könne, sich seinem Beherrscher zu widersetzen? anders entscheiden und unter gewissen Bedingungen einen Widerstand einräumen, und der Hr. V. mehr in den Worten, als der Sache nach verschieden sind. Wenn man den Begriff /49/ einer obersten Gewalt zum Grunde legt: so ist es freilich eine Contradictio in Adjecto, eine andere Gewalt festsetzen zu wollen, welche dieser Gewalt Widerstand leisten solle, weil sie eben dadurch aufhören würde, die oberste zu seyn. Allein wenn man erwägt, daß doch die oberste Staatsgewalt ein Abstractum ist, in welcher ein gewisser Zweck, als ihr einziges Kriterium gedacht wird, und dabei bedenkt, daß man eine bestimmte Person nicht anders unter den Begriff des Beherrschers bringen kann, als in wie weit sie dieses Kriterium der höchsten Staatsgewalt an sich trägt: so könnte es gar wohl seyn, daß eine Person, auf welche vorher der Begriff der Souverainität gepaßt hätte, sich so veränderte, daß dieses Prädikat gar nicht mehr mit ihr verbunden werden könnte, wo denn die Widersetzlichkeit gegen eine, auf solche Weise des Charakters des Souverains verlustig gewordenen Person, nicht mehr Widersetzlichkeit gegen die höchste Staatsgewalt (die nie unrecht thun kann) sondern gegen den ungerechten Gewaltigen, der eben deshalb nicht Oberherr seyn kann, weil er unrecht ist, gerichtet seyn würde. Auf jeden Fall muß doch das Volk beurtheilen, wer sein Oberhaupt ist. Denn sonst könnte es ja gar nicht wissen, wem es gehorchen sollte. Es muß also auch Kennzeichen haben, nach welchen es eine Person unter den Begriff des
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Souverains subsumiren soll. Nun können diese Kennzeichen doch nicht blos äußere, Krone, Stern, Ordensband Siegel etc. seyn, sondern es muß das innere wesentliche, wenigstens noch hinzukommen. Dieses besteht aber darin, daß die Person, welche die höchste Macht in Händen hat, so verfährt, daß ihr Verfahren, wenigstens als das mögliche Verfahren eines Souverains, d. i. eines Wesens, das Schutz der Rechte zum Zweck hat, gedacht werden kann. Wollte man dieses nicht /50/ zugeben; so würde folgen, daß das Volk auch nicht einmal beurtheilen dürfte, ob sein König wahnsinnig geworden wäre; und daß es sich unterwerfen müßte, wenn es ihm einfiele, alle Morgen zehn Unterthanen zu seiner Lust zu verbrennen. Also das Recht der Beurtheilung, ob eine Person noch ein Oberhaupt sey, und noch als solcher gedacht werden könne, kann dem Volke nicht genommen werden, und dieses ist vollkommen hinreichend zu dem Rechte, die Neronen, Christianen und Philippe die zweiten vom Throne zu jagen. Denn diese Ungeheuer zeigten sich sämtlich durch Handlungen, deren Ursprung von einer obersten Staatsgewalt gar nicht als möglich gedacht werden konnte. Man kann also den Satz (174): der Herrscher im Statte hat gegen den Unterthan nur Rechte, keine Zwangs(Pflichten) gelten lassen, jedoch unter der Einschränkung, in wie weit er Herrscher ist. Hat der Herrscher selbst Eigenthum (Domainen) oder steht er mit andern in Verhältnissen, die keine Herrscherverhältnisse sind, als das Verhältniß eines Geliebten zur Geliebten, eines Herrn zum Bedienten, eines Vaters zum Sohne etc. so kann er in allen diesen Verhältnissen nicht als Herrscher beurtheilt werden, und jeder Widerstand, der in solchen Verhältnissen geleistet wird, geschieht ihm nicht als Herrscher, sondern als einem Privatmanne. Entlediget er sich also selbst seines Herrschercharakters durch evidente Ungerechtigkeit; so trifft der Widerstand, der gegen ihn geschieht, nicht ihn als Herrscher, sondern als Bösewicht, welches ein Herrscher in abstracto nie seyn kann. Man sieht wohl, daß durch den Widerstand der Unterthanen gegen den Souverain oder dessen Agenten, das bürgerliche Verhältnis, das zwischen ihnen ist, aufgelößt wird, und da der Hr.V. dieses /51/ Verhältniß für etwas nothwendiges erklärt, das jeder Mensch unbedingt wollen soll; so scheint dieses der Grund zu seyn, weshalb er eine solche Auflösung für unbedingt unrecht erklärt. Allein es ist zu bedenken, 1) daß durch den Widerstand den ein Unterthan gegen den ungerechten Angriff eines Person leistet, die dem Souverain vorstellt, die Souverainität selbst nicht angegriffen wird.Wenn ein König seinen Unterthan im Zorn erstechen will, und dieser wehrt sich und tödtet ihn; so tödtet er nicht den Souverain, sondern einen Mörder. Die Souverainität haftet nicht an dem Leben dieses oder jenes Menschen. Stirbt er, oder wird er, weil er sich an dem Leben eines andern vergehen wollte, umgebracht; so geht die Souverainität nach der Regel des Staats, auf eine andere Person über, und der Staat wird durch einen solchen Widerstand gar nicht vernichtet: 2) daß ein außerbürgerlicher Zustand doch besser ist als ein
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solcher, wo die Ungerechtigkeit Princip ist, und die Stelle des Souverains vertritt, denn jene ist doch ein Uebergang in den Zustand der Gerechtigkeit, weil jeder Staat nur aufgelößt wird, um in einen bessern überzugehen: dieser aber ist ein Zustand der Ungerechtigkeit selbst, ein Zustand, in welchem die Menschen verbunden wären, alle ihre Rechte der Willkühr eines einzigen Preis zu geben, und sich von ihm, als seine unbedingten Sklaven, behandeln zu lassen; welches unmöglich recht seyn kann. Wenn der Hr. V. S. 177. zum Kriterio der Richtigkeit des Satzes, daß ein Widerstand der Unterthanen gegen Unrecht des Beherrschers, nie recht seyn könne, den Umstand angiebt, daß in einem solchen Streite die eine Partei (das Volk) ihr eigner Richter seyn würde; so erwiedere ich, daß es nicht an sich unrecht ist, /52/ sein Richter zu seyn. Es ist allemal unter folgenden zwei Bedingungen zusammengenommen Recht: 1) im Nothfalle, wenn kein dritter da ist, dem die Sache vorgetragen werden konnte; 2) wenn die Maxime, wornach ich in der Not verfahren bin, als allgemeines Vernunftprincip bestehen kann. Aber, sagt der Hr.Verf. Wer soll denn Richter seyn, ob das Verfahren dem Rechtsgesetze gemäß und nicht blos willkührlich ist? Kann unter dem Vorwande der ungerechten Behandlung, nicht jeder in jedem Augenblicke rebelliren? Ich frage dagegen: warum hat diese Bedenklichkeit der Statt selbst nicht, wenn er einem Menschen, der im Walde von Räubern angefallen wird, verstattet, sich selbst zu vertheidigen. Das Urtheil, ob er wirklich angefallen worden, überläßt er ihm auf seine Gefahr, jedoch nur provisorisch, d. h. also zu fällen, daß er es vor jedem Gerichtshofe als wahr rechtfertigen, und ihm wenigstens Niemand das Gegentheil beweisen kann. Wenn es also Rechtsprincip wäre; Jedermann kann sich dem Agenten des Souverains widersetzen, wenn dieser eine Handlung gegen ihn begeht, die gar nicht als eine Handlung einer obersten Staatsgewalt gedacht werden kann, welche Schutz der Rechte schlechterdings nicht zum Zweck haben konnte; so ist nicht abzusehen, wie ein solches Gesetz den Staat selbst zerstören könnte. Vielmehr ist offenbar, daß es diente, ihn aufrecht zu erhalten, indem ein Regent, der sich bewußt wäre, er dürfe Niemanden, der sich nach diesem Princip ihm widersetzt, bestrafen, in einem solchen Princip nichts finden kann, als ein Hinderniß, willkührlich den Zweck des Staats zu vernichten, welches er, wenn er anders die Gerechtigkeit liebt, von Herzen billigen muß. Ob der Fall da ist, in welchem der Regent allen Staatszweck vernichtet, muß freilich der beurtheilen, wel-/53/cher die Widersetzung wagt. Sie mag ihm aber gelingen oder nicht; so wird er sich immer der Beurtheilung der objektiven Vernunft unterwerfen, und darnach gerichtet werden müssen; es richte ihn nun das Publikum oder das Gericht seines Landes. Beide würden aber doch nur urtheilen müssen, ob er dem Princip gemäß, oder ihm zuwider gehandelt habe; im ersteren Falle werden sie ihm Recht, im letzteren Unrecht geben. Die Schwierigkeit, einen gerechten Urtheilsspruch von dem Gericht zu erhalten, kann
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auch niemals ein Grund seyn, eine Handlung selbst schlechthin für unrecht zu erklären. Denn das würde den Knoten auf eine sehr barbarische Art zerhauen heißen. Daß aber der Richter gegen den Agenten des Souverains entscheidet, ist gar kein Widerspruch, weil ersterer nicht den Privatwillen des letzteren, sondern das Gesetz zum Princip seines Richtens erwählen muß, das sehr wohl eine Sentenz bestimmen kann, die dem Privatwillen des Souverains widerstreitet; einen Unterschied, den sich sogar die despotischsten Regenten gefallen lassen, wenn sie vor ihren Gerichten in Civilsachen Recht nehmen. Ueberhaupt genommen giebt es keine einzige Handlung in der Welt, von der man schlechthin sagen könnte, sie sey allemal und in allen Fällen Recht oder Unrecht, weil jede Handlung, die der Materie nach einerlei ist, der Form oder den Maximen nach, verschieden seyn kann, und Rec. begreift daher nicht wohl, wie der Hr. V. a priori behaupten könne, daß einzelne bestimmte Handlungen z. B. die unnatürliche Befriedigung des Geschlechtstriebes unbedingt wider das Sittengesetz und der Widerstand gegen einen Regenten unbedingt gegen das Rechtsgesetz sey. Er wünscht, daß es dem tiefdenkenden Verfasser gefallen möchte, hierüber, so wie über die meh-/54/reren berühr[t]en Punkte, Aufschlüsse zu geben, und die Mißverständnisse zu heben. Denn dem Rec., der die tiefste Verehrung gegen Hr. K. von jeher empfunden und bezeugt hat, ist es um nichts, als um Wahrheit bei allen seinen Bemerkungen zu thun. Um über den bisher abgehandelten Punkt noch bestimmter seine Meinung zu äußern, will Rec. die Hauptstelle des V. hierhersetzen, und noch einige Bemerkungen darüber machen: „Der Grund der Pflicht des Volks,“ heißt es S. 126. etc. „einen, selbst den für unerträglich ausgegebenen Mißbrauch der obersten Gewalt dennoch zu ertragen, liegt darin: daß sein Widerstand wider die höchste Gesetzgebung selbst niemals anders, als gesetzwidrig, ja als die ganze gesetzliche Verfassung zernichtend gedacht werden muß. Denn um zu demselben befugt zu seyn, müßte ein öffentliches Gesetz vorhanden seyn, welches diesen Widerstand des Volks erlaubte, d. i. die oberste Gesetzgebung enthielte eine Bestimmung in sich, nicht die oberste zu seyn, und das Volk, als Unterthan, in einem und demselben Urtheile zum Souverain über den zu machen, dem es unterthänig ist, welches sich widerspricht, und wovon der Widerspruch durch die Frage alsbald in die Augen fällt: wer denn in diesem Streit zwischen Volk und Souverain richten sollte – wo sich denn zeigt, daß das erstere es in seiner eignen Sache seyn will“. Daß in dem letzteren Umstande kein Widerspruch liege, ist schon gezeigt worden. Der Widerspruch in dem ersteren scheint aber blos scheinbar zu seyn, weil dem Ausdrucke, oberste Gesetzgebung, ein doppelter Sinn beigelegt ist, nämlich 1) heißt die oberste Gesetzgebung ein Princip, wodurch der Zweck des Staats als möglich gedacht werden kann; 2) eine /55/ konkrete Person, welche a) solche Gesetze geben kann, die dem Begriffe N. 1. gemäß sind, und dann ist freilich kein
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Widerstand rechtlich denkbar; aber b) es ist auch möglich, daß sie solche Gesetze giebt, wodurch aller Zweck des Staats zerstört und vernichtet werden müßte. In diesem Falle würde sie den Charakter von N. 1. verlieren, und die Widersetzlichkeit gegen ein solches Ungeheuer würde dem Begriffe von N. 1. gar nicht widersprechen. Daß die Beurtheilung, in welchem Falle ein Gesetz so beschaffen sey, daß es gar nicht mit dem Staatszwecke als vereinbar gedacht werden könne, in vielen Fällen Schwierigkeiten hat, daraus würde nichts weiter folgen, als die Pflicht, daß in zweideutigen und in nicht ganz evidenten Fällen, angenommen werden müsse, das Recht sey auf der Seite des Souverains. Es giebt aber Gesetze, bei denen es so evident ist, daß durch dieselben aller Zweck des Staats vernichtet würde, daß man in der That die Menschheit auf eine grausame Art höhnen würde, wenn man daran zweifeln wollte, ob der Mensch auch richtig urtheile, wenn er annähme, daß durch deren Befolgung der ganze Staatszweck aufgehoben würde.Wir wollen setzen, ein Tyrann wolle alles Eigenthum seiner Unterthanen durch ein Gesetz für sein Domainengut erklären, oder er wolle durch ein Gesetz alle erstgebornen Kinder seiner Unterthanen zu seinen Sklaven machen, und sie in die Bergwerke nach Peru schicken, so könnte doch in der That kein Mensch daran zweifeln, daß in diesen Gesetzen eine offenbare Vernichtung des Staatszwecks liegt; und wenn nun das Volk den Regenten zwänge, dieses Gesetze zu widerrufen, oder kein Mensch sich dazu verstünde, ihnen zu gehorchen; so scheint es doch aller gesunden Urtheilskraft zuwider zu seyn, wenn man einen /56/ solchen Zwang und eine solche Widersetzlichkeit für Hochverrath erklären wollte, und eine Philosophie, welche ein dem gesunden Menschenverstande so widerstreitendes Urtheil durchtreiben wollte, würde ganz sicher die Falschheit ihrer Principien dadurch verrathen. Eben so muß Rec. aufrichtig bekennen, daß er den Schauder vor einer formellen Hinrichtung eines Regenten, weder selbst empfindet, noch diese Empfindung bei andern bemerkt hat, die doch sonst mit sehr feinem moralischen Gefühl versehen sind. Der Abscheu vor der Hinrichtung Ludwigs des Sechzehnten, rührt wohl vielmehr daher, daß dessen Verurtheilung tumultuarisch und ohne Rechtsprincipien geschah. Aber wenn man sich z. B. vorstellt, es wäre erwiesen, daß ein Regent viele tausende seiner Unterthanen als Sklaven verkauft, mehrere im Zorn, oder weil er seine Lust daran gehabt, erschossen, skalpirt, oder andere Verbrechen begangen hätte, die den Tod verdienen, und das Volk risse sich von diesem Ungeheuer los, gäbe sich eine neue Verfassung, und ließe den Bösewicht, ohne alle Leidenschaft, nach den Gesetzen, wie jeden andern Verbrecher, der ein gleiches gethan hätte, bestrafen; so kann ich nicht begreifen, wo hierin das Unrecht liegen soll, dessen sich das Volk schuldig macht, und es kömmt mir daher immer so vor, als ob ich in alle dem, den würdigen Verf. mißverstanden hätte. Denn nimmermehr kann er einen moralischen Horreur gegen die Bestrafung eines
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solchen angenommenen moralischen Ungeheuers bezeugen, er heiße nun König oder Highwayman. Wenn der Herrscher so beschaffen ist, wie der Verf. den Begriff von ihm entworfen hat; so ist gar kein Zweifel, daß jeder Widerstand gegen ihn Hochverrath sey. Denn nach demselben darf er nach /57/ B. gar kein Privateigenthum, keine Domainen haben; er darf gar nichts zu eigen besitzen, außer sich selbst, hat nach C. kein Recht, Glaubensvorschriften zu machen, darf nach D. seine Beamten nicht willkührlich absetzen etc. Kurz die Rechte des Souverains werden so genau bestimmt und beschränkt, daß jedermann willig ihm dieselbe einräumen wird, und es ist hiernach um so mehr zu verwundern, weshalb der Hr. V. dem Volke schlechterdings kein Recht einräumen will, zu beurtheilen, ob eine Person X. wirklich sich als Souverain gerire oder nicht, da die Kriterien so einleuchtend sind, daß der, welcher sich anmaßen wollte, ihm seine Würde beliebig streitig zu machen, augenblicklich seines Muthwillens oder seiner Bosheit auf eine augenscheinliche Art vor aller Welt überführt werden könnte. „Das Strafrecht, sagt der Hr.Verf. S. 195. ist das Recht des Befehlshabers gegen den Unterwürfigen, ihn wegen seines Verbrechens mit einem Schmerze zu belegen.“ Diese Erklärung setzt voraus, dass zwischen Personen, die auf dem Fuße der Gleichheit mit einander stehen, kein Strafrecht statt finde. Aber wenn dieses auch wahr wäre; so bedürfte es doch eines Beweises, welchen Rec. ungern vermißt hat. Denn das[s] im Naturstande kein Strafrecht statt finden kann, liegt weder im Begriffe dieses Rechts, noch ist es der gemeinen Vernunft zuwider. Denn wenn ein muthwilliger Bube z. B. im Naturstande einen Mann kontinuirlich neckt, und dieser giebt ihm eine Tracht Schläge dafür; so erkennt jeder dieses für eine ganz gerechte Strafe, ob der Strafende gleich dem Beleidiger sonst nichts zu befehlen hat. Der Satz also S. 195. der oberste im Staate kann nicht bestraft werden, scheint 1) eine /58/ Folge einer willkührlichen Definition des Strafrechts zu seyn; und 2) müßte wenigstens hinzugesetzt werden; so lange er den Charakter des Obersten wirklich an sich hat, und durch ein Betragen, das dem Begriffe eines Obersten im Staate widerspricht, sich nicht selbst seiner Würde entkleidet. Was das Völkerrecht und Weltbürgerrechtliche Recht betrifft; so ist es dasselbe, was der Hr. Verf. in der Schrift: Zum Ewigen Frieden vorgetragen hat – ein Inbegriff vortrefflicher Ideen, welche sämtlich praktisch sind, und deren vollständige Erhellung und Berichtigung alles Nachdenkens werth ist. Welchen Begriffen Rec. nicht beitreten kann, wird aus dem vorhergehenden leicht abzunehmen seyn. Es sind alle diejenigen, welche aus der Voraussetzung des Hr. Verf. fließen, als ob ein ausserbürgerlicher Zustand kein rechtlicher seyn könne. In dieser Idee liegt aber auch ganz allein die Quelle aller Verschiedenheit zwischen ihm und dem Recensenten. – Es bedarf übrigens wohl keiner Erklärung, daß die Gegenbemerkungen des Rec. mehr die Achtung gegen die Verdienste des tief-
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denkenden Verf. bezeugen, als sie verleugnen sollen, und daß Rec. gern, überwiegenden Gründen nachzugeben bereit sey.
5 [Karl Ludwig Wilhelm von Grolman, in:] Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde. Hrsg. v. Karl Grolmann. Herborn u. Hadamar: Neue Gelehrtenbuchhandlung. 1797, S. 123‒141. /123/ […] Noch nie war wol das philosophische Publikum auf ein versprochenes Buch begieriger, als auf dieses, welches schon vor einigen Jahren unsre Wünsche, den Besitz desselben zu erlangen, gerade in dem Augenblicke getäuscht hatte, als wir der Realisirung derselben völlig gewiß zu seyn glaubten. Es ist zu erwarten, daß dieses Buch, da es nun endlich erschienen ist, sowohl von den Freunden, als auch den Gegnern der Kantischen Philosophie werde verschlungen werden, und es mag allerdings sehr interessant seyn, die Sensation zu beobachten, die es nothwendig bey beiden, vorzüglich aber bey den letztern, verursachen /124/ muß. Ich enthalte mich hierüber aller Muthmaßungen, so sehr sich auch manche meiner Feder aufdringen wollen, und gehe, um die Grenzen nicht zu überschreiten, welche mir der Zweck dieser Zeitschrift setzt, gleich dazu über, meine Leser mit dem Inhalte der Blätter dieses Buchs bekannt zu machen, welche ihm in der Bibliothek für das peinliche Recht eine Stelle verschaffen. Das, was vorzüglich davon hierher gehört, ist in dem ersten Abschnitt des zweyten Theils, welcher dem Staatsrecht gewidmet ist, unter Litt. E enthalten, wo von S. 195 an, bis S. 207 von dem Straf- und Begnadigungsrechte gehandelt wird. Freylich, nur wenige Blätter! in welchen Kant uns mehr nur Winke geben, als seine Gedanken ganz entwickelt darzulegen im Stande war. Vielleicht liegt hierin ein Grund, warum so manches in denselben mir noch undeutlich ist, einiges selbst ungegründet und eben deswegen falsch scheint; ein andrer Grund davon ist in der unverzeihlichen Nachlässigkeit des Buchdruckers und Correctors zu suchen, wodurch wir sogar zum Theil um die Worte Kants sind betrogen worden.Von diesem letzteren findet sich der Beweis gleich im Anfange, wo der Begriff eines Verbrechens angegeben werden soll. Diese Stelle, deren Integrität doch von so großer Wichtigkeit gewesen wäre, weil sie uns zu dem Gesichtspunkte, von welchem K. die Sache betrachtete, hätte führen können, ist leider! so erstaunlich unter der Hand des Druckers verderbt worden, daß wir vergebens einen vernünftigen Sinn darin suchen, und deswegen gleich /125/ zu dem unsichern Mittel
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der bloßen Muthmaßungen unsre Zuflucht nehmen müssen. Die Stelle ist, so wie sie uns der Drucker geliefert hat, folgende: „Diejenige Uebertretung des öffentlichen Gesetzes, die den, welcher sie begeht, unfähig macht, Staatsbürger zu seyn, heißt Verbrechen schlechthin (crimen), aber auch ein öffentliches Verbrechen (crimen publicum); daher das erstere (das Privatverbrechen) vor die Civil-, das andere vor die Criminalgerechtigkeit gezogen wird.“ Selbst ein Ödipus würde nicht vermögen den Sinn dieser Worte, so wie sie da liegen, zu enträthseln, wie sollten wir uns anders helfen können, als durch Muthmaßungen aus dem Zusammenhange derselben mit andern? Und ein Glück für uns, daß wir, wenigstens mit großer Wahrscheinlichkeit zu muthmaßen im Stande sind! – Kant führt nämlich gleich darauf die Veruntreuung und den Betrug im Kauf und Verkauf, bey sehenden Augen des Anderen, als Beyspiele von Privatverbrechen; falsches Geld münzen, Diebstahl und Raub im Gegentheil, als Beyspiele von öffentlichen Verbrechen an, weil durch diese letztere das gemeine Wesen, und nicht blos eine einzelne Person, gefährdet werde. Wenn man diesen Grund, welcher Kanten zu der Wahl seiner Beyspiele bestimmte, erwägt und dann bedenkt, daß er, wie die Folge zeigen wird, Vertheidiger des Wiedervergeltungsrechts ist, nach welchem der Verbrecher dadurch, daß er das gemeine Wesen fährdet, der Vortheile verlustig werden muß, die er von /126/ diesem hatte, so wird es wol höchst wahrscheinlich, daß K. in jener Stelle habe sagen wollen: „Diejenige Uebertretung des öffentlichen Gesetzes, welche den, der sie begeht, gerade noch nicht unfähig macht, Staatsbürger zu seyn, heißt Privatverbrechen; diejenige Uebertretung hingegen, welche den, der sie begeht, unfähig macht, Staatsbürger zu seyn, ist öffentliches Verbrechen etc.[“] Ich würde von der Richtigkeit dieser Muthmaßungen mich überzeugt halten, wenn es mir nicht sehr auffallend wäre, daß Kant alsdann da, wo er den Begriff von einem Verbrechen angeben wollen, blos die Folgen desselben angeführt hätte; denn würklich ist doch das, daß einer durch die Uebertretung eines Gesetzes unfähig gemacht wird, Staatsbürger zu seyn, (wenn man auch das Wiedervergeltungsrecht annimmt) nichts anders, als die Folge davon, daß der ein öffentliches Verbrechen begangen, d. h. das gemeine Wesen, und nicht blos eine Privatperson, gefährdet hat. – Die öffentlichen Verbrechen theilt K. in die der niederträchtigen Gemüthsart (indolis abjectæ) und in die der gewaltthätigen (indolis violentæ). Wir gewinnen aber durch diese Eintheilung nichts, wenigstens ist sie nicht hinreichend, um nach ihr die einzelnen Verbrechen in zwey Klassen würklich abtheilen zu können; denn wie oft ist nicht Niederträchtigkeit und Gewaltthätigkeit bey demselben Verbrechen vereint!
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Alle richterliche Strafe, fährt K. fort, kann nie blos als Mittel, ein andres Gut zu befördern, für /127/ den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jedesmal nur darum verhängt werden, weil er verbrochen hat. Ehe noch daran gedacht werden kann, aus der Strafe einigen Nutzen für ihn selbst, oder seine Mitbürger zu ziehen, muß der Verbrecher erst strafbar befunden werden. Aber ist er strafbar befunden, dann vergesse man nicht, daß das Strafgesetz ein kategorischer Imperativ ist. Schön und mit Würde zieht K. die Folge aus diesem Satze: „Wehe dem, sagt er, welcher die Schlangenwindungen der Glückseligkeitslehre durchkriecht, um etwas aufzufinden, was durch den Vortheil, den es verspricht, den Verbrecher von der Strafe, oder auch nur von einem Grade derselben entbinde, nach dem pharisäischen Wahlspruch: „es ist besser, daß ein Mensch sterbe, als daß das ganze Volk verderbe“; denn (wie herrlich K. das alte: fiat justitia & pereat mundus auszudrücken weiß!) wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Werth mehr, daß Menschen auf Erden leben.“ Natürlich konnte also K. den Vorschlag, einem Verbrecher auf den Tod das Leben zu erhalten, wenn er sich dazu verstände, Experimente an sich machen zu lassen, um den Aerzten zu einer, dem gemeinen Wesen ersprießlichen Belehrung zu helfen, nicht anders als höchst verwerflich erscheinen; aber man höre, mit welcher Energie er den Grund angiebt, warum der Gerichtshof einen solchen Vorschlag mit Verachtung abweisen soll; [„]denn die Gerechtigkeit, sagt er, hört auf eine zu seyn, wenn sie sich für irgend einen Preis weggiebt.“ Gerne wird /128/ jeder die Wahrheit dieser Sätze zugestehen, wenn er auch nicht, wie Kant, das Strafrecht als Wiedervergeltungsrecht annimmt, sondern es, wovon Rec. vollkommen überzeugt ist, nur in der Eigenschaft eines Präventionsrechtes zuläßt; denn da, dieses letztere angenommen, in jedem einzelnen Falle die Strafe, um gerecht zu seyn, in dem Grade angewendet werden müßte, der zu Erreichung des gerechten Zwecks der Sicherstellung der allein hinlängliche ist; so würde, wenn der Verbrecher von der Strafe, oder auch nur von einem Grade derselben entbunden würde, diese Sicherstellung nicht erreicht, mithin dem Zwecke des Staats entgegen gehandelt werden. Merkwürdig ist es, daß bey dem strengen Wiedervergeltungsrechte die Rechte des Souveräns, zur Begnadigung oder Milderung der Strafe, schlechterdings nicht zu rechtfertigen sind. Kant sagt daher selbst S. 206: „das Begnadigungsrecht ist wol unter allen Rechten des Souveräns das Schlüpfrigste, um den Glanz seiner Hoheit zu beweisen, und dadurch doch in hohem Grade unrecht zu thun.“ Ich hätte überhaupt, und besonders nach diesem vorausgeschickten Satze, nichts weniger erwartet, als daß K. dennoch dem Souverän erlauben würde, von diesem Rechte Gebrauch zu machen; aber demohngeachtet thut er es, und zwar aus Gründen, die ich, nach K. ganzem Gedankensystem, gar nicht verstehen kann. K. unterscheidet nämlich Verbrechen der Unterthanen gegen einander und Läsionen, welche dem Souverän selbst widerfahren (crim. læsæ majestatis). In Ansehung
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der Ersteren läugnet er, daß dem Souverän /129/ dieses Recht zustehe, weil hier Straflosigkeit das größte Unrecht gegen die beleidigten Unterthanen seyn würde; in Ansehung der letzteren aber verstattet er ihm, davon Gebrauch zu machen, doch auch hier nicht einmal, wenn durch Ungestraftheit dem Volke selbst in Ansehung seiner Sicherheit Gefahr erwachsen könnte. Wie kommt K. dazu, seine Sätze auf Gründe zu stützen, die nur dann allenfalls einigen Schein haben können, wenn man Sicherstellung als den einzigen Zweck der Strafe annimmt? Wie kommt Kant, der Vertheidiger des strengen Wiedervergeltungsrechtes, zu diesem Unterschiede, da doch offenbar, wenn das Wiedervergeltungsrecht gegründet ist, in beiden Fällen der Gerechtigkeit, als der Idee der richterlichen Gewalt, nach a priori begründeten Gesetzen, eine gleiche Wunde geschlagen wird? – Ich vermag es nicht, diese Frage zu beantworten. – Kant hält, wie ich schon einigemal angeführt habe, das Wiedervergeltungsrecht (jus talionis) für das einzige, welches die Qualität und Quantität der Strafe bestimmt angeben könne; aber doch nur vor den Schranken des Gerichts, nicht in dem Privaturtheile (wahrscheinlich soll dieses nur so viel heißen: wenn gleich die Gerechtigkeit will, daß der Gerichtshof den Ausspruch thue: beschimpfst du ihn, so beschimpfst du dich selbst; schlägst du ihn, so schlägst du dich selbst; bestiehlst du ihn, so bestiehlst du dich selbst; so darf doch der Privatmann nicht glauben, daß er berechtigt sey, den Dieb wieder zu bestehlen etc.). Nur dieses Wiedervergeltungsrecht /130/ kann, nach Kant, gerechtfertigt werden, weil es Folge aus dem Princip der Gleichheit (im Stande des Züngleins an der Waage der Gerechtigkeit¹) ist, sich nicht mehr auf die eine, als auf die andre Seite hinzuneigen; alles andre Princip, zur Bestimmung des Grades der Bestrafung, ist hin und her schwankend und kann, andrer sich einmischender Rücksichten wegen, keine Angemessenheit mit dem Spruche der reinen und strengen Gerechtigkeit enthalten. Davon bin ich freilich überzeugt, daß nur ein Princip der reinen Gerechtigkeit angemessen sey; – wer wird auch dieses bezweifeln! – aber daß dieses allein angemessene Princip das alttestamentliche der Wiedervergeltung sey, davon bin ich im geringsten nicht im Stande, den Grund anzugeben. Kant muß freilich seine guten Gründe gehabt haben, warum er jedes andre Princip verwerflich fand; allein er hat diese uns leider! nicht mitgetheilt, hat uns nicht die andern sich einmischenden Rücksichten angegeben, aus welchen ihre Unangemessenheit mit der reinen Gerechtigkeit erhellte, ja, er hat es sogar vergessen, sein Princip der Wiedervergeltung zu deduciren, so daß also jeder, der nicht schon vorher Kants Meynung war, keinen andern Grund finden kann, seine vorige
[Im Original fälschlich: „im Stande des Jünglings an der Waage“, s. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Königsberg 1797, S. 197, AA Bd. VI, S. 332.]
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Ueberzeugung aufzugeben, als Kants Auctorität. – Auffallend ist es mir aber besonders, daß eben dieses Princip, seiner sonstigen Natur entgegen, in den Folgen, welche Kant daraus zieht, schwankend wird, wovon seine Erklärung des Satzes: „bestiehlst du ihn, so bestiehlst du dich selbst“[,] einen deutlichen Beweis giebt. „Wer da stiehlt, sagt K. S. 199, macht /131/ aller Anderer Eigenthum unsicher; er beraubt sich also (nach dem Rechte der Wiedervergeltung) der Sicherheit alles möglichen Eigenthums; er hat nichts und kann auch nichts erwerben, will aber doch leben; welches nun nicht anders möglich ist, als daß ihn Andere ernähren. Weil dieses aber der Staat nicht umsonst thun wird, so muß er diesem seine Kräfte zu ihm beliebigen Arbeiten (Karren- oder Zuchthausarbeit) überlassen, und kommt auf gewisse Zeit, oder, nach Befinden, auch auf immer, in den Sklavenstand. – Es ist richtig, daß, nach dem Rechte der Wiedervergeltung, der Dieb sich selbst die Sicherheit alles Eigenthums raubt, aber doch die Todesstrafe nicht verdient; richtig, daß der Staat, der ihn nicht tödten darf, ihn ernähren muß, und dafür Arbeiten von ihm verlangen kann; gewiß aber auch daß, da er nichts erwerben kann, der Staat ihn nicht seiner Sklaverey entbinden kann, ohne ihn dem Hungertode zu überliefern; wie kömmt nun Kant zu den Worten: auf gewisse Zeit? Aus dem Wiedervergeltungsrecht könnte der Maaßstab der Dauer seines Sklavenstandes unmöglich hergenommen werden, – und welchen andern Maaßstab soll denn hier, nach Kant, der Richter annehmen? Ich muß gestehen, daß ich diese Stelle mir nicht erklären kann, ich müßte denn annehmen, daß Kanten sein Gefühl irre geleitet habe, nach welchem ihm freilich der größere Dieb strafbarer als der kleinere vorgekommen seyn mag. – Nach dem Geiste des Wiedervergeltungsrechts ist es von selbst zu erwarten, daß K. die Rechtmäßigkeit /132/ der Todesstrafen anerkennen mußte. Das Mosaische Gesetz: wer Menschenblut vergießt, muß des Todes sterben, ist ihm der Ausspruch der strengen Gerechtigkeit, von welchem keine Abweichung Statt findet; aber mit Würde erklärt er sich gegen alle qualificirte Todesstrafen, und stellt diese in einigen Worten verwerflicher dar, als Manche in Büchern gethan haben. „Der Mörder soll den Tod leiden, sagt er, doch einen, von aller Mißhandlung, welche die Menschheit in der leidenden Person zum Scheusal machen könnte, befreieten Tod.“ – Wer das Wiedervergeltungsrecht als das allein gegründete annimmt, kann, ohne seiner Vernunft zu entsagen, wol keinen Zweifel gegen die Gerechtigkeit jenes Mosaischen Gesetzes haben; indessen mögen wol die vielen Streitigkeiten, welche über die Todesstrafen bisher die Federn der Gelehrten beschäftigt haben, eine Ursache seyn, warum K. auch noch andre Gründe für seinen Satz aufgestellt und sogar einiges gegen Beccaria, den ersten, welcher gegen die Todesstrafen zu Felde zog, der aber Kanten hier als Sophist und Rechtsverdreher, aus theilnehmender Empfindeley einer affectirten Humanität erscheint, gesagt hat. Die beiden
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Gründe, welche K. für die Todesstrafen aufstellt, sind eigentlich nur Beruhigungsgründe für den Vertheidiger des Wiedervergeltungsrechts, dessen Gefühl sich gegen seine Ueberzeugung empört, und sie können daher ganz zugegeben werden, ohne daß das mindeste daraus für die Gerechtigkeit der Todesstrafen folget. Der erstere ist aus einer interessanten psychologischen Bemerkung ge-/133/ nommen. Wenn, sagt K., als bey der letzten Schottischen Rebellion, Balmerino und andre nur ihrer Pflicht gegen die Stuarte gemäß zu handeln glaubten, andre hingegen Privatabsichten hegten, der Gerichtshof das Urtheil gesprochen hätte: jeder solle die Freiheit der Wahl zwischen dem Tode und der Karrenstrafe haben; so würde der ehrliche Mann, der das: animam præferre pudori nicht kannte, den Tod, der Schelm die Karre gewählt haben, also nur durch den Tod jener minder Strafbare, seiner Empfindungsart gemäß, gelinde, dieser, nach der seinigen, hart, – beide mit ihrer innern Bösartigkeit proportionirlich gestraft worden seyn. Sey’s, daß für Balmerino der Tod eine gelindere Strafe, als die Karre, war, für die Schurken, welche auf seiner Seite würkten, die Karre eine Wohlthat gewesen wäre, darum ist Todesstrafe noch nicht gerecht. – Den andern Grund findet K. darin, daß kein, wegen Mordes zum Tode Verurtheilter sich beschweren würde, daß ihm zu viel geschähe, und man doch nicht annehmen könne, daß, wenn gleich dem Verbrecher nach dem Gesetze (?) nicht Unrecht geschähe, doch die gesetzgebende Gewalt im Staate diese Art von Strafe zu verhängen nicht befugt sey. – Ich will es zugeben, daß nie ein Beispiel gefunden worden sey, wo der, wegen Mordes zum Tode Verurtheilte sich über Ungerechtigkeit beschwert habe; allein daraus folgt mir nur, daß dem Menschen die Idee von einer völligen Harmonie zwischen Schicksal und Würdigkeit beiwohne, aber daß der Staat diese in der sensiblen Welt gewaltsam /134/ realisiren dürfe, das kann hieraus wahrlich nicht bewiesen werden. Kant selbst will nicht, daß der Privatmann im Staate sich berechtigt halten könne, den Dieb wieder zu bestehlen, den, der ihn schlägt, wieder zu schlagen etc. und dennoch würde der, welcher einen Bürger geschlagen hat, wenn dieser ihn wieder schlägt, sich nicht darüber beschweren, daß ihm zu viel geschehen sey. – Beccaria gründete sich bekanntlich, um die Ungerechtigkeit der Todesstrafen zu beweisen, darauf, daß sie in dem Socialkontrakt nicht enthalten sey, weil niemand über sein Leben disponiren, mithin auch nicht hätte einwilligen können, es wegen eines Verbrechens zu verlieren. Kanten mußte es leicht werden, das Sophism aufzudecken, dessen Beccaria sich schuldig gemacht hat; denn freilich verwechselt Becc. das eigene Urtheil des Verbrechers, des Lebens verlustig werden zu müssen, mit dem Beschluß seines Willens, es sich selbst zu nehmen, und vergißt, daß, wenn der Bürger ein Strafgesetz gegen sich, als einen Verbrecher, abfaßt, es blos die reine, rechtlich-gesetzgebende Vernunft (homo noumenon) in ihm sey, welche ihn als einen, des Verbrechens fähigen, folglich als eine andre
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Person (homo phænomenon), sammt allen übrigen in einem Bürgerverein dem Strafgesetze unterwirft. – Aber die, welche das Strafrecht nur als Präventionsrecht zulassen, haben nie auf Beccaria’s Gründe gebaut, sondern die Frage: darf der Mörder mit dem Tode bestraft werden? als abhängig von der Beantwortung der Frage betrachtet: Ist der Tod das ein-/135/zige Mittel, welches der Staat in Händen hat, um die Rechtssphäre der, in ihm vereinigten freien Wesen gegen die gewaltsamen Befehdungen des Mörders sicher zu stellen? Muß diese Frage mit nein beantwortet werden, so kann die Rechtmäßigkeit der Todesstrafe gegen den Mörder nur dadurch gerettet werden, daß man beweist, das Strafrecht sey, in der Eigenschaft eines Präventionsrechtes, nicht zuläßig. – Wie strenge Kant, ganz im Geiste des Mosaischen Rechts, aus seinem aufgestellten Princip der Gleichheit folgert, beweiset die auffallende Stelle auf der S. 199: „Selbst, – dies sind seine Worte – wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflösete (z. B. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse auseinander zu gehen, und sich in aller Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Gefängnisse befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Thaten werth sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat, weil es als Theilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.“ Eben so consequent sagt K. S. 201: „So viele also der Mörder sind, die den Mord verübt, oder auch befohlen, oder dazu mitgewürkt haben, so viele müssen auch den Tod leiden.“ Aber nun höre man, was er diesen Worten beisetzt! „Wenn aber doch die Zahl der Complicen (correi) zu einer solchen That so groß ist, daß der Staat, um keine solche Verbrecher zu haben, bald dahin kommen könnte, keine Unterthanen mehr zu haben, und sich doch /136/ nicht auflösen, d. i. in den noch viel ärgern, aller äußern Gerechtigkeit entbehrenden Naturzustand übergehen, vornehmlich nicht durch das Spektakel einer Schlachtbank das Gefühl des Volks abstumpfen will, (also auch ein politischer Grund, wo vom Rechte die Rede ist!!) so muß es auch der Souverän in seiner Macht haben, in diesem Nothfalle (casus necessitatis) selbst den Richter zu machen (vorzustellen) und ein Urtheil zu sprechen, welches, statt der Lebensstrafe, eine andre den Verbrechern zuerkennt, bey der die Volksmenge noch erhalten wird; dergleichen die Deportation ist.“ Ich halte einen Augenblick ein, um den Betrachtungen meiner Leser, die sich ihnen hier nothwendig aufdrängen müssen, freien Lauf zu lassen. Kant, der kurz vorher der bürgerlichen Gesellschaft, welche sich auflösen wollte, gebot, vorher noch den letzten Mörder in dem Gefängnisse zu tödten, damit keine Blutschuld auf dem Volke hafte; Kant, der einige Blätter vorher nachdrucksvoll den pharisäischen Wahlspruch mit den Worten niederschlug: wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Werth mehr, daß Menschen auf Erden leben, erlaubt hier, damit der Staat sich nicht auflöse, von dem Ausspruche der Gerechtigkeit abzuweichen?
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Kant erlaubt hier dem Souverän den Richter (das redende Gesetz) vorzustellen, aber er will ihm die Macht geben, sich von den Pflichten des Richters zu dispensiren, und, über das Gesetz erhaben, nicht aus diesem, sondern aus seiner Willkühr – denn welche andre Quelle kann er haben, wenn das Gesetz aus dem Wege geräumt /137/ ist – das Urtheil zu fällen; er will, daß der Souverän Despot werde, um das Leben von Verbrechern zu erhalten; will also den Zustand der höchsten Ungerechtigkeit einführen, um zu verhindern, daß die bürgerliche Gesellschaft nicht in einen, der äußern Gerechtigkeit entbehrenden Zustand übergehe? Kant, der eben dem Souverän keine andre Entschuldigungsquelle, als seine Willkühr, übrig ließ, will denn doch auf Deportation erkannt wissen; will die verbrecherischen Unterthanen aus dem Staate*) deportiren lassen, um den Staat nicht in die Verlegenheit zu setzen, keine Unterthanen mehr zu haben? Wer ist’s, der aus diesem Chaos uns hilft? Dem Drucker kann hier keine Schuld gegeben werden; denn man sieht ja deutlich, wie gut Kant selbst die Stricke gefühlt habe, in die er sich verwickelt hat; drum fährt er fort: „Dieses selbst kann er aber nicht, als nach einem öffentlichen Gesetze, sondern durch einen Machtspruch, d. i. einen Akt des Majestätsrechts, der, als Begnadigung, nur immer in einzelnen Fällen ausgeübt werden kann.“ Aber, welch ein neuer Widerspruch! Der Souverän, der, nach S. 206, in den Verbrechen der Unterthanen gegen einander (wohin doch der Mord wol gehört) von dem Begnadigungsrechte schlechterdings keinen Gebrauch machen kann, soll hier es können, soll hier durch einen Machtspruch das Recht zu Boden drücken? Ja! er /138/ kann es freilich, aber hier ist nicht vom Können, sondern vom Dürfen die Rede. Ich würde mich freuen, wenn man mir zeigen könnte, daß ich in der Stelle, welche mir inconsequent scheint, Kanten blos mißverstehe; denn es ist gewiß keine angenehme Empfindung, einen Mann würklich auf einem Irrwege zu finden, zu dem man sonst nur mit dem Gefühle der tiefsten Ehrfurcht und Bewunderung hinaufblickt. Das letzte, was Kanten beschäftigt, ist eine Untersuchung, ob von dem strengen Gesetze, welches dem Mörder den Tod bestimmt, nicht wenigstens in Ansehung zweier Verbrechen eine Ausnahme möglich sey, nämlich in Ansehung dessen, zu dem das Gefühl der Geschlechtsehre verleitet, des Kindesmords (infanticidium maternale) und dessen, das die Kriegsehre zur Pflicht macht, des Kriegsgesellenmords (commilitonicidium) des Duells? Hier kömmt, sagt Kant, die Strafgerechtigkeit ins Gedränge: entweder den Ehrbegriff (der hier kein Wahn ist) durchs Gesetz für nichtig zu erklären, und so mit dem Tode zu strafen, oder von dem Verbrechen die angemessene Todesstrafe wegzunehmen, und so entweder
*) Daß Kant dieses unter Deportation verstehe, beweiset seine eigene Definition von der Deportation, welche er S. 208. giebt.
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grausam oder nachsichtig zu seyn. Indessen (entscheidet er seinen angenommenen Grundsätzen gemäß), muß hier der kategorische Imperativ der Strafgerechtigkeit bleiben, die Gesetzgebung selber aber (und mithin auch die bürgerliche Verfassung) ist, als so lange noch barbarisch und unausgebildet, daran Schuld, daß die Triebfedern der Ehre im Volke nicht mit den Maaßregeln zu-/139/ sammentreffen wollen, die ihrer Absicht gemäß sind. – Die Entscheidung ist, besonders in Ansehung des Duells, gewiß sehr treffend, weniger die Beschuldigung der Gesetzgebung in Ansehung des Kindermords, weil keine Gesetzgebung die Schande der Mutter heben kann, die sie sich selbst zuzieht, kein Gesetz die Ehre ihr erhalten kann, um die sie sich selbst muthwillig, durch Uebertretung des Gesetzes, bringt. Höchst auffallend mögen indessen dem Leser folgende Worte Kants seyn: „das uneheliche auf die Welt gekommene Kind ist außer dem Gesetz (denn das heißt Ehe), mithin auch außer dem Schutze desselben, geboren. Es ist in das gemeine Wesen gleichsam eingeschlichen (wie verbotene Waare), so daß dieses seine Existenz (weil es billig auf diese Weise nicht hätte existiren sollen), mithin auch seine Vernichtung ignoriren kann.“ Wie konnte Kant das Gesetz: nur in der Ehe sollen Kinder gezeugt werden – und das Gesetz: du sollst nicht tödten, welches auch dem Fremden im Staate, sey er auch nur in denselben verdrängt worden, seinen Schutz nicht versagt, mithin auch dem unehelichen Kinde, wenn es auch nicht, als geborner Bürger, sondern als Fremdling betrachtet werden muß, das Leben sichert, so sehr mit einander verwechseln? Wie konnte er, der menschenfreundliche Weise, die Sünde der Eltern dem unschuldigen Säugling vorrücken, und der positiven Staatseinrichtung das heiligste Urgesetz opfern? Diese und ähnliche Fragen werden hier den Leser bestürmen; aber sie werden sich beantworten und alles Auffallende der Stelle wird schwinden, wenn der ganze Zusammen-/140/hang ihn lehrt, daß höchst wahrscheinlich Kant hier seine Worte nicht ernstlich nahm, sondern nur die Scheingründe angeben wollte, welche sich erdenken ließen, um die Strafgerechtigkeit in Ansehung des Kindesmords ins Gedränge zu bringen. Daß das Volk, so wie es nie rechtmäßigen Widerstand gegen den Oberherrn des Staats gebrauchen dürfe, schlechterdings kein Recht habe, den entthronten Monarchen zur Rechenschaft zu fordern, oder gar zu strafen; daß die formale Hinrichtung eines Monarchen, wie bey Karl I. und Ludwig XVI., ein crimen immortale & inexpiabile und der Sünde ähnlich sey, welche die Theologen die Sünde gegen den heiligen Geist nennen, die weder in dieser, noch in jener Welt vergeben werden könnte (S. 177 und 178.) sind Sätze, welche Kant aus dem Begriff vom Herrscher aufstellt, welchen ich hier nicht zu prüfen habe. Dagegen muß ich aber meinen Lesern noch mittheilen, daß K. in dieser Schrift abermals die Unrecht-
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mäßigkeit*) des Büchernachdrucks dargethan hat. Die Stelle ist so kurz, und doch dabey so klar und faßlich, daß ich kein Bedenken trage, sie zum Schluß noch herzusetzen. S. 128 sagt K.: „Schrift ist nicht unmittelbar Bezeichnung eines Begriffs (wie etwa ein Kupferstich, /141/ der als Porträt, oder ein Gypsabguß, der als die Büste eine bestimmte Person vorstellte); sondern eine Rede ans Publikum, d. i. der Schriftsteller spricht durch den Verleger öffentlich. – Dieser aber, nämlich der Verleger, spricht (durch seinen Werkmeister, operarius, den Drucker) nicht in seinem eignen Namen (denn sonst würde er sich für den Auctor ausgeben) sondern im Namen des Schriftstellers, wozu er also nur durch eine, ihm von dem letzteren ertheilte Vollmacht (mandatum) berechtigt ist. – Nun spricht der Nachdrucker durch seinen eigenmächtigen Verlag zwar auch im Namen des Schriftstellers, aber ohne dazu Vollmacht von demselben zu haben (gerit se mandatarium absque mandato); folglich begeht er an dem von dem Autor bestellten (mithin einzig rechtmäßigen) Verleger ein Verbrechen der Entwendung des Vortheils, den der Letztere aus dem Gebrauch seines Rechts ziehen konnte und wollte (furtum usus); also ist der Büchernachdruck von Rechtswegen verboten.
*) Es ist bekannt, daß K. schon vor einiger Zeit einen Aufsatz über den Büchernachdruck in die Berl. Monatsschrift einrücken ließ, wovon kürzlich noch Herr Danz einen Auszug in dem zweyten Theile seines Commentars zu Runde geliefert hat. [Wilhelm August Friedrich Danz, Handbuch des heutigen deutschen Privatrechts. Nach dem Systeme des Herrn Hofrath Runde, Stuttgart 1797.]
6 [Friedrich Bouterwek, in:] Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen unter der Aufsicht der königl. Gesellschaft der Wissenschaften. Göttingen: Johann Christian Dieterich. 1797, S. 265 – 276. /265/ […] Der Zweck dieser Blätter, unter den Merkwürdigkeiten der gelehrten Welt vorzüglich diejenigen auszuzeichnen, wodurch die Wissenschaften an Umfange, Entdeckungen und neuen Aussichten gewinnen, macht es dem Rec. zur angenehmen Pflicht, ein Buch, wie das vor ihm liegende, mit der Vollständigkeit anzuzeigen, die zugleich dem Vorwurfe einer parteyischen Zerstückelung des Inhalts am besten widerspricht. Merkwürdig wäre dieses Buch, auch wenn sein Inhalt minder wichtig wäre, schon durch die Periode, in die es fällt. Die philosophischen und philosophirenden Denker, die unsere Bibliotheken seit einigen Jahren mit keiner kleinen Zahl von Compendien des Naturrechts nach Kantischen Ideen bereicherten, scheinen nun, was die /266/ Berichtigung der Principien betrifft, das Ihre gethan zu haben. – Doch, ohne historische Einleitung, zu dem Buche selbst! In der voran geschickten Einleitung zur Metaphysik der Sitten werden zuerst noch ein Mahl die Grundideen angegeben, die den Lesern der Kantischen Schriften schon bekannt sind. (Schwerlich möchte unter diesen die Definition des Begehrungsvermögens: „Das Begehrungsvermögen ist das Vermögen, durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu seyn,“ die Probe halten; denn sie wird zu nichts, so bald man von äußeren Bedingungen der Folge des Begehrens abstrahirt. Das Begehrungsvermögen ist aber auch dem Idealisten Etwas, obgleich diesem die Außenwelt Nichts ist.) Nach diesen Grundideen wird S. XXXI bestimmt, was (juristisch) Recht ist. Der juristische Begriff des Rechtes bezieht sich nicht auf den Wunsch (das Motiv der Handlungen), sondern bloß auf die Willkühr (die Beschränkung derselben überhaupt). Das Recht (S. XXXII) ist also der Inbegriff de Bedingungen, unter welchen die Willkühr des Einen mit der Willkühr des Andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freyheit bestehen kann. Daraus folgt das allgemeine Princip des Rechts: Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freyheit der Willkühr eines Jeden mit Jedermanns Freyheit nach einem allgemeinen Gesetze bestehen kann. (Nach Rec. Ueberzeugung ist es genau dieser Grundsatz, den die gemeine practische Vernunft immer stillschweigend angenommen hat; und gerade deßwegen der Grundsatz https://doi.org/10.1515/9783110702996-008
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bey dem die Philosophie des Rechts wird stehen bleiben müssen. Es kommt nur darauf an, den Begriff der Freyheit durch den Begriff des moralisch Erlaubten gehörig zu bestimmen, und die ganze Theorie der Naturrechtsprinci-/267/pien kömmt ins Klare. Dann versteht es sich auch von selbst, daß ich der Idee der allgemeinen (nur durch das moralische Gesetz beschränkten) Freyheit gemäß nicht eine Person als Sache behandeln kann; denn das hieße, von der Idee der allgemeinen Freyheit ein Wesen ausschließen, das doch unter dieser Idee begriffen ist. Daraus ergibt sich weiter die Nützlichkeit des längst von Hrn. Kant vorgeschlagenen Grundsatzes: „Behandle die Menschheit nicht als Mittel, sondern als Zweck an sich selbst,“ wenn der Unterschied zwischen Sachen und Personen festgesetzt werden soll. Daß aber Hr. Kant auf diesen Grundsatz nicht, wie es in den Naturrechtssystemen nach kantischen Ideen geschehen ist, das Naturrecht in seinem ganzen Umfange gründen würde, hat Rec. fast zuversichtlich erwartet, und noch neuerlich in der Anzeige der neuen Ausgabe des Höpfnerischen Lehrbuchs sich darüber geäußert. Geht man nicht von der Idee der allgemeinen Freyheit aus, so ist nichts leichter, als Fälle anzugeben, wie ich einen Menschen als Mittel gebrauchen kann, ohne ihm im Geringsten Unrecht zu thun, und wie ich ihn als Zweck behandeln, und doch gegen alles Recht beeinträchtigen kann. Ueberdem sind die Begriffe von Mittel und Zweck Producte der empirisch reflectirenden Urtheilskraft, also dem moralischen Gesetze ursprünglich gar nicht zugehörig.) Diese Maxime gilt aber (S. XXXIV) bloß für äußere Handlungen, und man kann sie näher bestimmt auch ausdrücken: „Handle äußerlich so[“] u. s. w. (Zu wünschen wäre nun, daß Hr. Kant die Idee der Freyheit in Beziehung auf äußere Gerechtigkeit genauer erörtert hätte.) Das Recht ist mit der Befugniß, zu zwingen, verbunden. S. XXXV. Denn Zwang ist nichts anders, als Verhinderung eines Hindernisses der Freyheit. (Wie sinnreich /268/ und wie treffend! Warum moralische Pflichten, als solche, nicht erzwungen werden können, erklärt sich von selbst. Denn der juristische Begriff des Rechts beschränkt nur die Freyheit des Andern, in so fern diese mit der Freyheit Aller nicht bestehen kann; aber er schreibt ihr kein Gesetz vor, wodurch der Andere Etwas zu thun verbunden wäre, außer wenn er selbst mich durch den unerzwungenen Vertrag in gewisser Beziehung zum Herrn seiner Freyheit gemacht hat.) Das stricte Recht (dem nichts Ethisches beygemischt ist) kann also auch als die Möglichkeit eines mit Jedermanns Freyheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmenden, durchgängig wechselseitigen, Zwanges vorgestellt werden. – Nur zwey Fälle (S. XXXVIII) gibt es, die auf Rechtsentscheidung Anspruch machen, für die aber keiner, der sie entscheide, aufgefunden werden kann. Sie begründen das zweydeutige Recht (Jus aequivocum). Dahin gehört zuerst der Fall der Billigkeit. Wer Etwas aus Gründen der Billigkeit fordert, z. B. weil er in einer auf gleiche Vortheile eingegangenen Mascopey mehr, als die Anderen, gethan hat, fußt sich nicht bloß auf die mora-
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lische Verbindlichkeit des Andern, sondern auf ein Recht, nur daß es ihm an den nöthigen Bedingungen mangelt, nach denen der Richter ein Urtheil fällen könnte. (Aber wie, wenn nun das Mitglied der Mascopey z. B. genau berechnen kann, wie viel es wenigstens an barem Gelde zugesetzt hat?) Dahin gehört zweytens der Fall der Noth (nicht der Nothwehr), z. B. wenn ich im Schiffbruch einen, der sich nicht mit mir retten kann, wegstoße, um mich selbst zu retten. (Bedarf nicht diese ganz neue Ansicht zweyer so oft bestrittenen Fälle noch einer sehr genauen Prüfung?) − Nun folgt S. XLIII die Eintheilung der Rechts-/269/lehre. Es gibt nur Ein angebornes Recht, das Recht der Freyheit (Unabhängigkeit von eines Andern nöthigender Willkühr). Alle übrigen Rechte müssen erworben werden. – Alles Naturrecht ist Privatrecht oder öffentliches Recht, S. LII. Das Gesellschaftsrecht macht keine besondere Classe aus. Das Privatrecht enthält die Gründe des Mein und Dein, das öffentliche oder bürgerliche Recht die Möglichkeit der Zusicherung desselben. – Von der Art, Etwas als das Seine zu haben. Rechtlich mein ist dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein Anderer ohne meine Einwilligung davon macht, mich lädiren würde. (Aber was heißt lädiren? Setzt der Begriff der juristischen Läsion nicht den Begriff des Mein und Dein voraus?) S. 56. Die subjective Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs ist der Besitz. Der juristische Besitz ist intelligibel, nicht physisch. Nun ist es ein rechtliches Postulat der Vernunft, jeden äußeren Gegenstand meiner Willkühr als das Meine haben zu können, und keine Sache als an sich herrenlos zu denken; denn brauchbare Gegenstände außer aller Möglichkeit des Gebrauchs zu setzen, widerspricht der practischen Vernunft. (Dieser wichtige Satz: Es gibt a priori kein Adespoton, sondern ursprünglich gehört Allen Alles, ist auch nach des Rec. Ueberzeugung der Schlüssel zur Theorie des Eigenthumsrechtes. Von einer Communio primaeva ist hier nicht die Rede. Nicht vermöge besonderer Verabredung gehört Einem Etwas, sondern weil nur dadurch, daß Einem Etwas gehört, das Recht Aller auf Alles geltend gemacht, und so das Räthsel des Universal-Eigenthums practisch gelöst werden kann.) Im Besitz muß derjenige seyn, der Etwas als das Seine behaupten will. (Denn worauf wollte er /270/ sonst sein Privatrecht gegen das Universalrecht gründen?) Durch den Besitz (die intelligible Detention cum animo sibi habendi) wird also (wenn Rec. Hrn. K. recht versteht) das PrivatEigenthum erworben. (Und was man gewöhnlich Besitzergreifung nennt, wären dann nur sinnliche Zeichen der intelligiblen Besitzergreifung. Auch diese Ideen werfen ein ganz neues Licht auf eine der schwierigsten Fragen des Naturrechtes.) Man sollte deßwegen, nach S. 62, nie sagen: ein Recht auf diesen oder jenen Gegenstand haben, sondern: ihn bloß rechtlich besitzen. Diese bloß rechtliche Besitzergreifung muß aber, wenn sie von einem Andern anerkannt werden soll, sinnlich (durch einen physischen Act) bewiesen werden; und weil dieser Beweis sich nie ganz genugthuend führen läßt, ist im Naturstande keine vollkommene
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Behauptung des Eigenthums möglich. Daraus folgt (S. 73), daß ich a priori das Recht habe, Jeden, mit dem es über das Mein und Dein zur Sprache kommt, zur Eintretung in eine bürgerliche Verfassung zu nöthigen. Gleichwohl ist (S. 74) das provisorische Mein und Dein im Naturstande ein wirkliches Mein und Dein. – Nun folgt S. 79 u. ff. die Eintheilung des Rechts in Sachenrecht, persönliches Recht und – noch ein Drittes? Unsere Juristen und Philosophen werden sich wundern, aber Hr. K. behauptet wirklich noch ein drittes, nähmlich ein persönlich-dingliches Recht.Was das ist, oder seyn soll, wird Manchen noch mehr wundern, als die neue Idee an sich. Zuerst vom Sachenrechte. S. 80 ff. Das Recht an (oder, wie es hier heißt, in) einer Sache ist ein Recht des Privat-Gebrauches einer Sache, in deren Gesammtbesitze ich mit Anderen bin. (Gesammtbesitze? Sollte es nicht heißen /271/ müssen: Auf welche das Gesammtrecht, aber ohne Besitz, Allen zusteht? Ist nicht, eben nach Hrn. Kant‘s Ideen, der alleinige Besitz dasjenige, was den PrivatGebrauch begründet?) Ohne einen solchen Gesammtbesitz voraus zu setzen, läßt sich nicht denken, wie ich, der ich doch nicht im Besitz der Sache bin, von einem Andern lädirt werden könnte. (Der ich nicht im Besitz der Sache bin? So lange ich nicht im (intelligiblen) Besitze bin, findet auch keine Läsion Statt. Nicht vom Gesammtbesitze, der unmöglich Statt finden kann, sondern vom Universal-Eigenthum, das immer Statt findet, sollte wohl hier die Rede seyn. So erklärt sich Rec. auch die Erläuterungen, die Hr. Kant seiner Behauptung angehängt hat.) – Die erste Erwerbung einer Sache ist nothwendig die Erwerbung des Bodens. (Auch bey der Erklärung dieses unbezweifelbaren Satzes scheint Hr. K. Gesammtbesitz und Gesammteigenthum zu verwechseln.) Der Vernunfttitel der Erwerbung kann nur in der Idee eines a priori vereinigten Willens Aller liegen. Der Besitz des Bodens erstreckt sich so weit, als man ihn vertheidigen kann. Das Meer gehört dem Herrn der Küste, so weit von da die Kanonen reichen. Das offene Meer ist frey. (Aber wenn man nun vom Lande aus zu Schiffe steigt, und das offene Meer mit schwimmenden Festungen occupirt und mit Kanonen dominirt, wem gehört es dann?) Daß man eine bewegliche Sache auf dem Boden des Andern haben kann, ist möglich, aber nur durch Vertrag. (Wie? Auch eine vorher von mir erworbene und auf den Boden des Andern, etwa durch einen Sturm, geworfene Sache gehörte ohne vorher gegangenen Vertrag dem Andern?) – Vom persönlichen Rechte. S. 96 ff. Es gründet sich /272/ auf intelligibeln Besitz der Willkühr eines Andern in einer gewissen Beziehung. Dazu gehört Uebertragung durch einen intelligiblen Act der Vereinigung des beiderseitigen Willens, d. h. durch einen Vertrag. Um die Möglichkeit eines Vertrags zu begreifen, muß ich von allen Zeitverhältnissen abstrahiren. Denn sonst könnte ich in eben dem Moment, wo der Acceptant sich entschließt, meinen Entschluß zurück nehmen. (Rec. zählt diesen Gedanken zu den vorzüglichsten, von Hrn. Kant gefundenen, Schätzen der practischen Wahrheit.) – Von dem auf persönliche Art dinglichen Rechte. S. 105. Dieß ist denn das
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neue Phänomen am juristischen Himmel. Hr. Kant hat dabey die von ihm so genannte Kategorie der Wechselwirkung vor Augen gehabt. Hier finden mir ganz unerwartet das Eherecht, das elterliche Recht und das Hausrecht (Verhältniß des Hausherrn zu seinem Gesinde). Der Mann erwirbt ein Weib, das Paar erwirbt Kinder, und die Familie (die Kinder mitgerechnet?) erwirbt Gesinde. Dieses wohlerworbene Recht, sagt Hr. K., ist nicht bloß ein persönliches Recht; denn − − − der Mann kann sein entlaufenes Weib, der Vater sein Kind, der Herr sein Gesinde als sein vindiciren. (Ist es möglich, daß ein Denker vom ersten Range den Zirkel dieser Argumentation nicht sieht? Wenn es wahr ist, daß der Mann seine Frau u. s. w. gewisser Maßen vindiciren kann, dann ist das Verhältniß der Ehegatten zu einander u. s. w. gewiß mehr als persönlich. Nun läugnet aber der größte Theil der juristischen Welt, und unter andern auch der Rec., die hypothetische Prämisse, folglich auch den Kantischen Schluß.) Bey Geschlechtsverbindungen ergibt sich ein Theil dem andern zum Genuß als Sache. (Rec. sollte meinen, zur wech-/273/selseitigen Dienstleistung. Das moralische Selbst kann nie Sache werden, und nie genossen werden. Körperliche Dienstleistungen aber, gleichviel von welcher Art sie sind, gehören zum persönlichen Rechte.) Monogamie allein ist rechtmäßige Ehe, weil – keiner den Andern als Sache besitzen kann, als in so fern er sich ihm selbst als Sache ergibt. (Aber wie, wenn nun keiner von beiden Theilen mehr als persönliche Dienstleistung in Anspruch nimmt? Wenn ein Lastträger mir erlaubt, auf seine Schultern zu treten, damit ich über eine Mauer (die Mauer des Bedürfnisses) steigen kann, ist der Lastträger dadurch zur Sache geworden?) Ehe zur linken Hand oder Concubinat ist deßwegen auch nach dem Naturrechte keine wahre Ehe. (Freylich nach Kantischen Ideen nicht.) Deßwegen ist auch die Ehe vor der ehelichen Beywohnung nicht für geschlossen anzusehen. Deßwegen annullirt auch von Naturrechts wegen Impotenz vor der Ehe den Ehevertrag, aber nicht Impotenz, die nach der ehelichen Beywohnung erfolgt. (Also gerade, wie es das ehrwürdige Jus Canonicum will.) Wir übergehen, um nicht zu weitläufig zu werden, die Art, wie aus eben dieser Theorie nun auch das elterliche und HausherrenRecht, wenigstens sinnreich genug, entwickelt wird. – Auf festerem Grunde möchte wohl die S. 118 ff. folgende Eintheilung der Vertragsarten ruhen. Alle Verträge, so weit sie sich nach reinen Vernunft- Principien übersehen lassen, sind entweder wohlthätige Verträge, wie Schenkung, Verleihung, Depositum; oder belästigte Verträge, wie Tausch, Kauf, Anleihe u. s. w. und Sicherungsverträge, wie Pfandvertrag, Bürgschaft und Geisselschaft. (Die Anleihe (das Mutuum) ohne Zinsen wäre also ein belästigter Vertrag, da es die Verleihung /274/ (das Commodatum) nicht ist? Hat man denn das unentgeltlich geborgte Geld nicht civiliter auch gebraucht?) – In zwey episodischen Zugaben werden die Fragen: Was ist Geld? Und was ist ein Buch? genauer beantwortet, und der Büchernachdruck durch ein neues Argument für rechtswidrig erklärt. – Hier ist ungefähr die Grenze,
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bis zu welcher Rec. dem Hrn. Verf. mit der Ueberzeugung gefolgt ist, daß die aufgestellten Wahrheiten die eingemischten Behauptungen von zweydeutiger Art weit überwiegen. Aber von S. 129 an, fast durchgängig bis zu Ende des Buchs, folgt Paradoxon auf Paradoxon. Auch nach dem Naturrechte soll Kauf Miethe brechen. Denn sonst hätte durch eine Belästigung, die auf der Sache liegt, der Miether sich ein Jus in re erworben. (Hat er denn das nicht wirklich gethan? Ist denn das Recht des Gebrauchs nicht auch ein Jus in re?) – Das Recht der Ersitzung (Usucapion) soll nach S. 131 ff. durch das Naturrecht begründet werden. Denn nähme man nicht an, daß durch den ehrlichen Besitz eine ideale Erwerbung, wie sie hier genannt wird, begründet werde, so wäre gar keine Erwerbung peremtorisch gesichert. (Aber Hr. K. nimmt ja selbst im Naturstande nur eine provisorische Erwerbung an, und dringt deßwegen auf die juristische Nothwendigkeit der bürgerlichen Verfassung. Was die Römischen Juristen wollten, ut dominia rerum sint certa, das will auch das Naturrecht; aber daraus folgt kein natürliches Usucapions-Recht. Ich behaupte mich als ehrlicher Besitzer, aber nur gegen den, der nicht beweisen kann, daß er eher, als ich, ehrlicher Besitzer derselben Sache war, und mit seinem Willen nie zu seyn aufgehört hat.) – Als ideale Erwerbung /275/ soll auch das testamentarische Erbrecht a priori begründet werden. Freylich, sagt Hr. K., kann durch einseitigen Willen nichts auf den Andern übergehen, und so lange der Testirer lebt, kann der eingesetzte Erbe nicht erwerben; aber dieser erwirbt doch stillschweigend ein Recht an der Verlassenschaft, weil jeder Mensch nothwendiger Weise Alles acceptirt, wobey er nichts verliren kann. (Und wo wäre das Ding, bey dessen Erwerbung ich nicht möglicher Weise einen andern Vortheil, an dem mir mehr gelegen ist, z. B. Verdrießlichkeiten auszuweichen, verlieren könnte?) – Endlich nimmt Hr. K. noch ein ideales Recht des ehrlichen Mannes auf einen ewig währenden guten Nahmen an, wodurch jeder Ueberlebende berechtigt wird, denjenigen zur Verantwortung zu fordern, der den guten Nahmen eines Verstorbenen schmäht. – Sehr sinnreich ist die Unterscheidung eines doppelten Ausspruchs des Naturrechts; je nachdem man annimmt, daß schon eine Obrigkeit da ist, oder daß noch keine da ist. Aber werde ich deßwegen im letzteren Falle nicht gezwungen werden können, einen Schenkungsvertrag zu halten, quia nemo suum iactare praesumitur, wie S. 141 behauptet wird? Werde ich nach S. 142 den Schaden tragen müssen, der ohne meine Schuld eine Sache trifft, die ich geliehen habe? Werde ich nach S. 146 eine gestohlene Sache durch ehrlichen Kauf gegen den Eigenthümer wirklich erwerben? – So viel vom Privatrechte. Die unter der Rubrik öffentliches Recht folgenden Ideen des Hrn. Verf. über das Staatsrecht, Völkerrecht und das von ihm so genannte Weltbürgerrecht sind größten Theils schon aus seiner Abhandlung über Theorie und Praxis und aus der Schrift zum ewigen Frieden bekannt. Der Raum erlaubt dem Rec. nicht, sich darüber zu äußern. Doch hat unseres Wissens /276/ noch kein Philosoph – denn von den mit-
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philosophirenden Individuen, deren ganze Philosophie darauf hinaus läuft, dem αύτος έφα eine für sie verständliche Formel zu geben, ist hier nicht die Rede – den paradoxesten aller paradoxen Kantischen Sätze anerkannt, den Satz, daß die bloße Idee der Oberherrschaft mich nöthigen soll, Jedem, der sich zu meinem Herrn auswirft, als meinem Herrn zu gehorchen, ohne zu fragen, wer ihm das Recht gegeben habe, mir zu befehlen. Daß man Oberherrschaft und Oberhaupt anerkennen, und man Diesen oder Jenen, dessen Daseyn nicht einmahl a priori gegeben ist, a priori für seinen Herrn halten soll, das soll Einerley seyn? – Nur durch solche Behauptungen vorbereitet, wundert man sich nicht mehr, wenn man das natürliche Strafrecht, das hier erst im natürlichen Staatsrecht seine Stelle findet, S. 195 ff. auf ein strenges Jus talionis zurück geführt sieht. – Doch die ewige Wahrheit wird hier, wie in allen Dingen, nach und nach auch ihr Recht geltend machen; und sollte dann auch mancher Gedanke des Reformators der Philosophie nur als Gedanke sich im Andenken erhalten, so werden doch seine metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre im Ganzen ein Gewinn für die Wissenschaft bleiben, den ihr kein subalterner Denker und kein Anderer, als der Alles durchdringende Prüfer des menschlichen Erkenntnißvermögens, verschaffen konnte.
7 Göttingische Bibliothek der neuesten theologischen Literatur. Hrsg. von Carl Friedrich Stäudlin. Göttingen: Vandenhoek u. Ruprecht. 4. Jg., 1798/1799, S. 159‒189.¹ /159/ […] Je größer die Anzahl der Versuche im Fach des Naturrechts seit Erscheinung der kritischen Philosophie gewesen ist, desto verwirrter ward dadurch alles im Gebiete dieser Wissenschaft. Es war daher sehr erwünscht, daß der große Urheber der krit. Philosophie sich endlich selbst entschloß, uns eine Bearbeitung der Rechtslehre zu liefern. Für den Theologen ist die philosophische Rechtslehre von jeher wegen der engen Verbindung, in welcher sie immer mit der Moral gestanden hat, sehr wichtig gewesen und durch diese Bearbeitung gewissermaßen noch wichtiger geworden, indem Kant das Band zwischen Rechtslehre und Moral darin noch enger geknüpft hat, als es zuvor war. Es sey also ein Beweis unsrer Dankbarkeit für diese neuen Verdienste des großen Phi-/160/losophen um die Berichtigung von Begriffen, welche für die Menschheit von ungemeiner Wichtigkeit sind, wenn wir hier einen kurzen aber treuen Auszug aus diesem Werke liefern, um den Leser vorläufig damit bekannt zu machen und ihm die Uebersicht desselben zu erleichtern. Der Vorrede zufolge schließt sich die Metaphysik der Sitten zunächst an die Kritik der praktischen Vernunft an. Sie zerfällt in die metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre und der Tugendlehre. Da ein vollständiges System der Rechtslehre zugleich alle die Fälle umfassen müßte, in welchen der Rechtsbegriff auf die Erfahrung angewendet wird, Vollständigkeit der Eintheilung des Empirischen aber unmöglich ist, so kann der erste Theil der Metaphysik der Sitten nur den Titel metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre führen. Vorzüglich wichtig ist in diesem Werke die allgemeine Einleitung in die Metaphysik der Sitten, welche ihr vorausgeht. Der erste Abschnitt derselben handelt:
[Möglicherweise ist der Herausgeber Karl Friedrich Stäudlin, der mit Kant im Briefwechsel stand, auch der Verfasser der Rezension; vgl. Stäudlins Brief an Kant vom 6. März 1796: „Es kommt izt die Göttingische Bibliothek der theologischen Literatur heraus, welche bisher Aufsätze und Recensionen zugleich enthielt. In einiger Zeit aber wird diese Bibliothek bloß Recensionen enthalten, und neben ihr eine bloß für Aufsäze und Geschichtsurkunden bestimmte Göttingische Monatsschrift für die Philosophie der Religion und Moral, und die Geschichte der verschiedenen Glaubensarten erscheinen“, AA XII, S. 61.] https://doi.org/10.1515/9783110702996-009
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Von dem Verhältniß der Vermögen des menschlichen Gemüths zu den Sittengesezen. Er geht von einer Definition des Begehrungsvermögens aus, die sich schon in der Vorrede zur Kritik d. pr. Vernunft Vorrede S. 16 findet: Begehrungsvermögen ist das Vermö-/161/gen durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu seyn. Das Vermögen eines Wesens seinen Vorstellungen gemäß zu handeln heißt das Leben. Mit dem Begehren oder Verabscheuen ist 1) jederzeit Lust oder Unlust verbunden, aber nicht umgekehrt, weil es eine Lust an einer bloßen Vorstellung geben kann, ohne daß man ihren Gegenstand begehrt. 2) Lust und Unlust kann eben so wohl als Wirkung als auch als Ursache des Begehrens angesehen werden. Die Fähigkeit, Lust oder Unlust bei einer Vorstellung zu haben, heißt Gefühl, weil sie bloß subjektiv ist. Die Lust, welche mit dem Begehren eines Gegenstandes nothwendig verbunden ist, heißt praktische Lust, die, welche es nicht ist, haftet an der bloßen Vorstellung und heißt bloß contemplative Lust, unthätiges Wohlgefallen, und das Gefühl derselben Geschmak. Die praktische Lust verursacht eine Bestimmung des Begehrungsvermögens, welche Begierde heißt, die, wenn sie habituell wird, Neigung zu nennen ist. In diesem Falle heißt die praktische Lust Interesse der Neigung. Wenn im Gegentheil eine Bestimmung des Begehrungsvermögens die Lust verursacht, so heißt sie intelectuelle Lust und das Interesse an ihrem Gegenstande Vernunftinteresse. Ein habituelles Begehren aus reinem Ver-/ 162/nunftinteresse kann sinnenfreie Neigung heißen. Der bloße Anreiz zur Bestimmung des Begehrungsvermögens ist jederzeit sinnlich und heißt die Concupiscenz oder das Gelüsten. So fern der Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens in ihm selbst, nicht im Objekte liegt, heißt es das Vermögen, nach Belieben zu thun oder zu lassen. Weiß man dabei, daß man das Vermögen zu Hervorbringung des Objekts habe, so heißt es Willkühr, ist dies aber nicht, Wunsch. Das Begehrungsvermögen, dessen innrer Bestimmungsgrund in der Vernunft liegt, heißt der Wille, dieser kann eben so wohl Willkühr als Wunsch seyn. Die durch reine Vernunft bestimmte Willkühr heißt die freie, die durch Neigung bestimmte, die thierische Willkühr. Freiheit ist negativ Unabhängkeit der Willkühr von sinnlichen Antrieben, positiv das Vermögen der reinen Vernunft für sich selbst praktisch zu seyn. Dieses Vermögen kann nur statt finden, wenn nach allgemeinen Gesezen gehandelt wird. Durch diese Unterscheidung des Beliebens, der Freiheit und der Willkühr, wird der Streit über die Freiheit, ob sie bloß unter der Bedingung der Erfüllung des Sittengesezes statt finde oder ob auch Unabhängigkeit, vom Sittengeseze darunter verstanden werden müsse, auf eine ein-/163/fache aber sehr befriedigende und mit den Aeußerungen des Verf. in der Grundlegung zur Metaph. d. S. übereinstimmende Art beigelegt.
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Die Geseze der Freiheit heißen zum Unterschiede von Naturgesezen moralisch. So fern sie nur auf die Gesezmäßigkeit unsrer Handlungen gehn, heißen sie juridisch, und die Uebereinstimmung mit ihnen ist Legalität, so fern sie selbst die Bestimmungsgründe der Handlungen seyn sollen, sind sie ethisch und beziehen sich auf Moralität. Die Frage also, welche dieser Abschnitt eigentlich abhandelt: Wie verhalten sich die Sittengeseze zu dem Vermögen des menschlichen Gemüths? wird vermittelst der gegebnen Erklärungen so beantwortet: Die Sittengeseze beziehen sich zunächst auf die Freiheit, Freiheit aber ist diejenige Eigenschaft der Willkühr, vermöge welcher sie unabhängig von sinnlichen Bewegungsgründen handeln und sich durch reine Vernunft bestimmen lassen kann. Die Willkühr aber ist wieder eine Eigenschaft des Begehrungsvermögens, durch welche dasselbe fähig ist, nach Belieben zu thun oder zu lassen. Mithin beziehen sich die Sittengeseze vermittelst der Freiheit der Willkühr auf das Begehrungsvermögen. Das Begehrungsvermögen aber bezieht sich so auf das Gefühl, daß es entweder /164/ durch dasselbe in Thätigkeit gesezt wird, oder es selbst hervorbringt. Das erstre findet statt bei sinnlichen Begierden, das leztre bei Bestimmungen des Begehrungsvermögens durch Vernunft, oder durch die sittlichen Geseze. Mithin stehen die Sittengeseze mit dem Gefühlsvermögen entweder in einem solchen Verhältnisse, daß sie demselben entgegengesezt sind, oder in einem solchen, daß sie dasselbe hervorbringen. Im lezten Falle entsteht eine intellectuelle Lust, die durch Vernunftinteresse mit dem Begehrungsvermögen in Verbindung steht. Durch eine solche analytische Auseinandersezung scheinen die Gedanken des Verf., die er streng synthetisch vorträgt, etwas deutlicher zu werden. II. Von der Idee und der Nothwendigkeit einer Metaphysik der Sitten. Die Physik kann zuweilen ihre Principien aus der Erfahrung entlehnen, die Glükseligkeitslehre schöpft bloß aus Erfahrung, die Sittenlehre aber nicht. Denn die Vernunft gebietet a priori. Die Idee einer Metaphysik der Sitten ist also ein System der Erkenntniß a priori aus bloßen Begriffen, welches eine praktische Philosophie voraussezen muß. Es ist Pflicht, sie zu haben und jeder Mensch hat sie auch, obgleich dunkel, weil in jedem Menschen eine allgemeine Gesezgebung statt findet. Neben /165/ ihr findet die moralische Anthropologie statt und macht den zweiten Theil der praktischen Phil. aus. Auf Anthropologie kann die Metaphysik der Sitten zwar nicht gegründet aber doch angewandt werden. Diese gründet sich auf Erfahrung. III. Von der Eintheilung einer Metaphysik der Sitten. Die moralische Gesezgebung kann verschieden seyn in Ansehung der Triebfedern. Sie ist daher entweder eine ethische, welche die Pflicht selbst zur Triebfeder macht, und geht auf Moralität, oder eine juridische, welche äußere Triebfedern zuläßt, und geht auf Legalität. Rechtslehre und Tugendlehre sind daher nicht sowohl durch ihre ver-
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schiednen Pflichten, als vielmehr durch die Verschiedenheit der Gesezgebung, welche die eine oder die andre Triebfeder mit dem Geseze verbindet, zu unterscheiden. Denn was in der Rechtslehre als Pflicht erwiesen wird, wird in die Ethik darum, weil es Pflicht ist, aufgenommen. Die Ethik hat zwar ihre besondern Pflichten, aber doch auch mit dem Rechte Pflichten, aber nur nicht die Art der Verpflichtung gemein. IV. Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten. Hier werden die Begriffe von Freiheit, kategorischem Imperativ, Verbindlichkeit, Erlaubt und Unerlaubt, Pflicht, That, Person, Recht und Unrecht,Verbrechen, Gesez, Zurechnung,Ver-/166/dienst und Schuld, Belohnung und Strafe, größtentheils auf die schon bekannte Weise des Verf. erklärt. Ein Widerstreit der Pflichten ist nicht möglich, wohl aber der Gründe der Verbindlichkeit. Die moralischen Geseze sind unerweislich und doch apodiktisch gleich mathematischen Postulaten. Die Freiheit kann nicht durch das Vermögen der Wahl, für oder wider das Gesez zu handeln, definirt werden, weil die Freiheit ein Vermögen des Menschen als Intelligenz ist, das wir nur negativ kennen, nehmlich als Unabhängigkeit von sinnlichen Bewegungsgründen. Daß der Mensch der Erfahrung nach den moralischen Gesezen entgegen handeln kann, hat auf seine Freiheit als Noumen keinen Einfluß. Es folgt hierauf S. XXXI die besondre Einleitung in die Rechtslehre. Sie wird erklärt, als der Inbegriff der Geseze, für welche eine äußere Gesezgebung möglich ist. Recht ist der Inbegriff der Verbindungen, unter denen die Willkühr des einen mit der Willkühr des andern nach einem allgemeinen Gesez der Freiheit vereinigt werden kann. Hierbei wird bemerkt, daß es sich 1) nur auf das äußere praktische Verhältniß einer Person auf die andre bezieht, so fern ihre Handlungen als Fakta auf einander Einfluß haben können. 2) bedeutet Recht nicht das Verhältniß /167/ der Willkühr auf den Wunsch, sondern lediglich auf die Willkühr des andern (M. s. die obigen Erklärungen). 3) kommt es dabei bloß auf die Form der Willkühr, in so fern sie als frei betrachtet wird, an. Hieraus ergiebt sich das allgemeine Princip des Rechts: Eine jede Handlung ist recht, nach deren Maxime die Freiheit der Willkühr eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Geseze bestehen kann. Wer mich an einer solchen Handlung hindert, thut mir Unrecht. Die Rechtslehre fordert nur diese Maxime in unsern Handlungen zu beobachten, die Ethik fordert, daß ich ihr auch im Herzen beistimme. Da durch Zwang Unrecht verhindert werden kann, so ist das Recht mit der Befugniß zu zwingen verbunden. Das strikte Recht ist ein solches, dem nichts ethisches beigemischt ist. Es gründet sich bloß auf die äußere Triebfeder des Zwanges. Ein solcher Zwang muß aber so eingerichtet seyn, daß er mit der Freiheit eines jeden nach allgemeinen Gesezen zusammenstimme. Auf die Möglichkeit eines solchen Zwanges gründet sich also das Recht und die Rechtslehre. Die Aufgabe, welche die Rechtslehre zu beantworten hat, wäre also sehr bestimmt in dieser Einleitung vorgelegt: nehmlich, die
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Geseze aufzufinden, welche unter der Bedingung eines Zwanges, welcher /168/ mit der Freiheit eines jeden bestehen kann, gegeben werden können. In einem Anhange zur Einleitung in die Rechtslehre handelt der Verf. hierauf: Vom zweideutigen Recht. Man denkt sich außer dem Recht in enger Bedeutung, mit welchem die Befugniß zu zwingen verbunden ist, auch noch ein Recht in weiterm Sinne, wo die Befugniß zu zwingen durch kein Gesez bestimmt werden kann. Dies findet bei der Billigkeit und dem Nothrecht statt. Billigkeit ist ein Recht ohne Zwang und Nothwehr ein Zwang ohne Recht. Ueber beide kann die Rechtslehre nicht entscheiden, weil kein objektiver Grund der Rechtsausübung dabei statt findet, sondern blos subjektive. Hierauf läßt der Verf. eine Eintheilung der Rechtslehre folgen: Er theilt A) die Rechtspflichten ein in innere, welche auf dem Grundsaze beruhen: Sey ein rechtlicher Mensch, oder: behaupte deinen Werth als Mensch im Verhältniß zu Andern, oder: mache dich andern nicht zum bloßen Mittel, sondern sey für sie zugleich Zwek; in äußere nach dem Princip: Thue niemanden Unrecht; und in solche, wodurch beide vereinigt werden: nach dem Gesez: Tritt in eine Gesellschaft mit Andern, in welcher Jedem das Seine erhalten werden kann. B) die Rechte /169/ werden 1) als systematische Lehren in das Naturrecht und positive Recht eingetheilt; 2) als Vermögen Andre zu verpflichten in das angebohrne Recht, welches unabhängig von allem rechtlichen Akt, jedermann von Natur zukommt, und das erworbne, dasjenige, wozu ein solcher Akt erfordert wird. Das angebohrne Recht ist nur ein einziges: Freiheit, so fern sie mit jedes Andern Freiheit nach einem allgemeinen Gesez zusammen bestehen kann. Sie wird hier als Unabhängigkeit von eines Andern nöthigender Willkühr erklärt. Gleichheit, oder das Recht, andern nicht mehr schuldig zu seyn, als wozu wir sie wechselseitig verbinden können, und die Befugniß, alles zu thun, was die Rechte Andrer nicht schmälert, liegen schon im Princip der Freiheit. Die Freiheit ist das innere Mein und Dein, in Ansehung dessen es nur Ein Recht gibt. Diesem steht das äußere Mein und Dein entgegen, welches jederzeit erworben werden muß. Mit diesem beschäftigt sich die Rechtslehre, weil alles, was das innere oder die Freiheit betrifft, schon hierdurch abgethan ist. Mit einer Eintheilung der Metaphysik der Sitten überhaupt beschließt der Verf. diese merkwürdige Einleitung, welche man mit der größten Sorgfalt studiren muß, um durch sie einen Schlüs-/170/sel über das ganze Moralsystem des Verf. zu erhalten. Diese Eintheilung wird aus verschiednen Gesichtspunkten gemacht. I. Alle Pflichten werden in Rechtspflichten, für welche eine äußere Gesezgebung, und in Tugendpflichten eingetheilt, für welche keine möglich ist. II. nach dem objektiven Verhältnisse des Gesezes zur Pflicht werden die Pflichten wieder eingetheilt in vollkommne oder Rechtspflichten, welche entweder das Recht der Menschheit in unsrer eignen Person, oder das Recht der Menschen betreffen, und
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in unvollkommne oder Tugendpflichten, die entweder den Zwek der Menschheit in unsrer eignen Person oder den Zwek der Menschen betreffen. Dabei findet nun noch die Nebeneintheilung in Pflichten gegen sich selbst und Pflichten gegen Andre statt. III. In Ansehung der Subjekte, auf welche sich Rechte und Pflichten beziehen, lassen sich noch verschiedne Verhältnisse denken, von welchen jedoch nur das rechtliche Verhältniß des Menschen zu Wesen, die sowohl Rechte als Pflichten haben, also zu andern Menschen ein reales Verhältniß ist. Es finden also keine rechtliche Verhältnisse zu Gott, zu vernunftlosen Wesen und zu Menschen ohne Persönlichkeit, die lauter Pflichten und kein Recht haben (Sklaven), statt. /171/ Als System wird nun noch die Moral in Rüksicht auf ihre architektonische Form eingetheilt in Elementarlehre und Methodenlehre. Die Elementarlehre beschäftigt sich entweder mit Rechtspflichten oder Tugendpflichten. Die Rechtspflichten enthalten 1) das Privatrecht, 2) das öffentliche. Nach dieser Eintheilung handelt also der erste Theil der allgemeinen Rechtslehre das Privatrecht vom äußern Mein und Dein überhaupt ab. Hievon handelt das erste Hauptstük vom Besiz oder von der Art, etwas Aeußeres als das Seine zu haben. Das Rechtlich Meine ist dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein Andrer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädiren würde. Der Gebrauch ist nur möglich unter Bedingung des Besizes. Etwas Aeußeres ist allemal eine Sache, in deren physischem Besiz ich nicht bin, denn es ist von meinem Subjekte unterschieden. Mithin muß der sinnliche oder physische und der intellectuelle oder bloß rechtliche Besiz unterschieden werden, wenn ausgemacht werden soll, ob etwas äußeres Mein seyn könne. Der leztre ist ein Besiz ohne Inhabung. Z. B. eine Sache kann mein seyn, die ein Andrer in der Hand hat, und nicht mein, wenn ich sie gleich in der Hand habe. Es ist eine Voraussezung a prio-/172/ri der praktischen Vernunft, einen jeden Gegenstand meiner Willkühr als objektiv mögliches Mein oder Dein anzusehn und zu behandeln. Gegenstände meiner Willkühr können seyn 1) eine Sache außer mir; 2) die Willkühr eines andern zu einer bestimmten That (praestatio); 3) der Zustand eines Andern im Verhältniß auf mich (Weib, Kind). Die Sacherklärung des äußern Mein wäre also: Es ist dasjenige, in dessen Gebrauch mich zu stören Läsion seyn würde, ob ich gleich nicht im (physischen) Besiz desselben bin. Also muß ein intellegibler Besiz als möglich vorausgesezt werden, wenn es ein äußeres Mein oder Dein geben soll. Nun fragt sichs also: Wie ist ein bloß rechtlicher oder intelligibler Besiz möglich? Diese Möglichkeit gründet sich auf ein rechtliches Postulat der praktischen Vernunft, welches diese deshalb zu machen genöthigt ist, weil ein Gesez, nach welchem irgend eine Sache an sich herrenlos res nullius würde, rechtswidrig ist. Herrenlos ist dem Verf. nicht, was niemand besizt, sondern was niemand zu besizen berechtigt ist. Wenn Gegenstände der Willkühr von dieser Art seyn könnten, so würde dadurch die Freiheit der vernünftigen Wesen
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eingeschränkt werden, indem ihnen der Gebrauch derselben verboten würde. Mithin ist es ein rechtliches Postulat der /173/ praktischen Vernunft, daß ich jeden äußern Gegenstand meiner Willkühr als das Meine haben könne. Auf dieses gründet sich nun eben der intelligible Besiz, und dadurch werden synthetische Rechtssäze a priori möglich, durch welche nehmlich ausgesagt wird, daß etwas äußeres als Mein und Dein zu betrachten sey. Auf die Erfahrung wird der Begriff eines bloß rechtlichen oder intelligiblen Besizes dadurch angewendet, daß etwas Mein seyn kann, ob ich gleich durch den Raum davon getrennt bin, wobei also keine Inhabung, kein empirischer Besiz statt findet. Ein rechtlicher Besiz findet aber nur in einem bürgerlichen Zustande statt. Denn eben dadurch, daß ich etwas als Mein erkläre, verpflichte ich mich gegen jeden Andern, das, was er für das Seine erklärt, als solches zu betrachten. Daraus entsteht ein rechtlicher Zustand. In diesem muß aber ein gemeinsamer machthabender Wille jedermann Sicherheit für das Seine leisten. Dies ist der bürgerliche Zustand. Da das Postulat der praktischen Vernunft ist, daß jeder etwas äußeres als das Seine besizen könne, so muß es auch jedem erlaubt seyn, einen andern, mit welchem er in Streit über Mein und Dein gerathen könnte, zu nöthigen, mit ihm in eine bürgerliche Verfassung zu treten. Im Naturzustande kann auch ein /174/ wirkliches Mein und Dein statt finden, aber nur ein solches, welches mit Rüksicht auf einen bürgerlichen Zustand, in den man zu treten Willens ist, erworben wird. Dies kann aber in diesem Zustande nicht durch einen allgemeinen machthabenden Willen gesichert werden, sondern es kann bloß durch physischen Besiz geschüzt werden. Das zweite Hauptstük handelt: Von der Art, etwas Aeußeres zu erwerben. Das Princip der äußern Erwerbung ist: Was ich in meine Gewalt bringe und wovon als Objekt meiner Willkühr Gebrauch zu machen ich das Vermögen habe, endlich, was ich will, es soll mein seyn, das ist mein. Es finden also drei Momente der äußern Erwerbung statt, die Apprehension, die Bezeichnung und die Zueignung. Die Erwerbung des äußern Mein und Dein wird eingetheilt, der Materie nach in die Erwerbung einer körperlichen Substanz, einer Leistung, oder einer Person und der Form nach entweder in ein Sachenrecht oder persönliches Recht oder dinglich-persönliches Recht des Besizes einer andern Person als einer Sache. Das Sachenrecht ist ein Recht des Privatgebrauchs einer Sache, in deren Gesamtbesize ich mit allen andern bin. Die erste Erwerbung einer Sache kann keine andre als die des Bodens seyn, /175/ weil der Boden als Substanz, alles Bewegliche auf demselben aber als Accidens zu betrachten ist. Der Grund der Möglichkeit der ursprünglichen Erwerbung des Bodens ist die ursprüngliche Gemeinschaft desselben. Diese muß als ein praktischer Vernunftbegriff vorausgesezt werden und ist von der uranfänglichen wohl zu unterscheiden, welche historisch erwiesen werden müßte, aber unerweislich ist. Der rechtliche Akt dieser Erwerbung ist Bemächtigung, welche durch einseitigen Willen geschieht, aber sich auf
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Priorität der Zeit gründet und also die erste Besiznehmung seyn muß. Die Möglichkeit einer solchen Erwerbung gründet sich auf das Postulat der praktischen Vernunft. Nur in einer bürgerlichen Verfassung kann etwas peremtorisch, dagegen im Naturzustande zwar auch, aber nur provisorisch, mit Hinsicht auf die Idee eines zu errichtenden bürgerlichen Zustandes erworben werden. Das persönliche Recht oder das äußere Mein und Dein in Ansehung der Causalität eines Andern ist der Besiz der Willkühr eines Andern, als Vermögen, sie durch die Meine nach Freiheitsgesezen zu einer gewissen That zu bestimmen. Dies kann allein durch Vertrag erworben werden. Ein solcher Vertrag bezieht sich mithin auf die Uebertragung des Eigenthums des einen auf einen /176/ andern. Er darf nicht durch einseitigen Willen, sondern durch den vereinigten Willen des Promissors und Promittenten zu Stande gebracht werden. Ich erwerbe dadurch nicht unmittelbar eine Sache, sondern eine That eines Andern, wodurch ich eine Sache in meine Gewalt bekomme. Das dinglich-persönliche Recht ist das des Besizes eines äußern Gegenstandes als einer Sache und des Gebrauchs desselben als einer Person. Das Mein und Dein nach diesem Recht ist das häusliche. Die Erwerbungsart desselben geschieht durchs Gesez. Die Erwerbung nach diesem Besiz ist dem Gegenstande nach dreierlei: Der Mann erwirbt ein Weib, das Paar erwirbt Kinder und die Familie Gesinde. Alles dieses Erwerbliche ist unveräußerlich. Hieraus entspringt überhaupt das Recht der häuslichen Gesellschaft, welches drei Titel hat, das Eherecht, das Elternrecht und das Hausherrnrecht. Die Ehe ist die Verbindung zweier Personen verschiednen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besiz ihrer Geschlechtseigenschaften. Der Zwek, Kinder zu erzeugen, wird zur Rechtmäßigkeit dieser Verbindung nicht erfordert; denn sonst würde, wenn das Kinderzeugen aufhört, die Ehe sich zugleich von selbst auflösen. Der Geschlechtsgebrauch ist ein Genuß, wobei sich der Mensch zur Sache /177/ macht. Er kann nur dadurch rechtmäßig werden, daß, indem die eine Person von der Andern gleich als Sache erworben wird, diese gegenseitig wiederum jene erwerbe. Hierauf gründet sich Gleichheit des Besizes sowohl der Personen als der Glüksgüter, folglich Monogamie. Kinder haben als Personen ein ursprünglich angebohrnes Recht auf ihre Versorgung durch die Eltern; denn da dieselben durch die Zeugung eine Person ohne ihre Einwilligung auf die Welt gesezt haben, so müssen sie dieselbe auch, so viel in ihren Kräften steht, mit ihrem Zustande zufrieden machen. Daher haben auch die Eltern das Recht, über das Kind alles zu verfügen, was zu seiner Erziehung erforderlich ist. Dankbarkeit der Kinder ist keine Rechts- sondern bloße Tugendpflicht. Das Hausherrenrecht beruht auf einem Vertrage, wodurch eine ungleiche Gesellschaft des Gebietenden und Gehorchenden gestiftet wird. Ein solcher Ver-
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trag kann nur auf gewisse Zeit geschlossen werden, weil der, welcher auf seine ganze Freiheit Verzicht thäte, aufhören würde, eine Person zu seyn, folglich auch keine Pflicht hätte, einen Vertrag zu halten. Es folgt hierauf eine dogmatische Eintheilung aller erwerblichen Rechte aus Verträgen, die nach /178/ Maaßgabe der drei Personen, welche bei jedem Vertrage statt finden müssen, des Promittenten, Acceptanten und Caventen drei einfache und reine Vertragsarten begründet, den wohlthätigen, welcher einseitigen, den befestigten, welcher doppelseitigen Erwerb, und einen dritten Vertrag, welcher Sicherheit des Seinen zum Zwek hat. Von jedem derselben werden noch mehrere Unterabtheilungen angegeben. Die empirischen Vertragsarten lassen sich nicht aufzählen. In dieser Eintheilung von Verträgen kommen noch einige Begriffe vor, welche erörtert werden mußten. Z. B. Geld ist das allgemeine Mittel, den Fleiß der Menschen unter einander zu verkehren. Es repräsentirt den Nationalreichthum, welcher die Summe des Fleißes ist, mit dem Menschen sich unter einander lohnen. In einem episodischen Abschnitte wird S. 130 Von der idealen Erwerbung eines äußern Gegenstandes der Willkühr gehandelt. Eine ideale Erwerbung ist eine solche, die keine Causalität in der Zeit enthält, mithin eine bloße Idee der reinen Vernunft zum Grunde hat. Es sind drei: 1) die Erwerbungsart durch Ersizung oder Verjährung (per praescriptionem). Ihre Rechtmäßigkeit gründet sich darauf, weil, wenn nicht ein andrer in den Besiz desjenigen treten könnte, dessen Be-/179/sizer den Akt des Besizes versäumt hat, gar keine Erwerbung peremtorisch gesichert, sondern alle nur provisorisch seyn würde, indem die Geschichtskunde ihre Nachforschung bis zum ersten Besizer und dessen Erwerbakt hinaufzuführen nicht vermag. 2) Die Beerbung. Testamente sind auch nach dem bloßen Naturrecht gültig. 3) Die Erwerbungsart durch unsterbliches Verdienst oder der Nachlaß eines guten Nahmens nach dem Tode. Die Ueberlebenden sind befugt, den guten Nahmen eines Verstorbenen zu vertheidigen, weil unerwiesene Anklage sie insgesammt wegen ähnlicher Begegnung auf ihren Sterbefall in Gefahr bringt. Das dritte Hauptstük des Privatrechts handelt: Von der subjektiv bedingten Erwerbung durch den Ausspruch einer öffentlichen Gerichtsbarkeit. In das Naturrecht gehört nicht allein die zwischen Personen in ihrem wechselseitigen Verkehr geltende Gerechtigkeit justitia commutativa, sondern auch die austheilende distributiva. Die moralische Person, welche ihr vorsteht, ist der Gerichtshof. Es ist also nicht bloß zu fragen, was ist an sich recht, sondern auch, was ist vor einem Gerichtshofe recht? d. i. was ist Rechtens? Und da giebt es 4 Fälle; wo beiderlei Urtheile verschieden ausfallen. 1) Beim Schen-/180/kungsvertrag kann sich der Verschenkende nach dem Privatrecht vorbehalten, sein Versprechen zurükzunehmen, wenn es ihm gereuen sollte. Vor einem Gerichtshofe aber kann dieser Vorbehalt nicht gelten, weil ihm sonst das Rechtsprechen unendlich er-
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schwert, oder gar unmöglich gemacht würde. 2) Beim Leihvertrage fragt es sich: wer für den zufälligen Schaden des Darlehns stehen soll? Hier spricht das Urtheil im Naturzustande casum sentit commodatarius, der Gerichtshof aber casum sentit dominus, weil ein öffentlicher Richter sich nicht auf Präsumtionen von dem, was der eine oder andre Theil gedacht haben mag, einlassen kann, sondern der, welcher sich nicht die Freiheit von allen Schaden an der geliehenen Sache durch einen besondern angehängten Vertrag ausbedungen hat, diesen selbst tragen muß. (Sollte der Verf. hier nicht etwas zu gefällig gegen die gewöhnlichen Rechtsregeln gewesen seyn?) 3) Bei der Wiedererlangung des Verlohrnen vindicatio wird um der Leichtigkeit des Urtheils willen für den Grundsaz entschieden, daß ich das Meine, wo ich es finde, nehmen darf, ohne mich auf die Art, wie der Besizer dazu gekommen ist, einzulassen. 4) Bei der Erwerbung der Sicherheit durch Eidesablegung fragt es sich: ob jemand gezwungen werden könne, zu schwören? und den /181/ Eid als Sicherheitsleistung von dem andern anzunehmen? Die Frage wird im Naturzustande verneint; aber im bürgerlichen Zustande vor einem Gerichtshofe ist sie zu bejahen; weil es kein andres Mittel giebt, in gewissen Fällen hinter die Wahrheit zu kommen, als den Eid. Aus dem Privatrecht im natürlichen Zustande geht das Postulat des öffentlichen Rechts hervor: du sollst, im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseyns, mit allen andern aus dem natürlichen Zustande in den rechtlichen treten. Dieser ist dasjenige Verhältniß der Menschen unter einander, welches die Bedingungen enthält, unter denen allein jeder seines Rechts theilhaftig werden kann. Dies geschieht durch die öffentliche Gerechtigkeit, welche in die beschüzende, die wechselseitig erwerbende, und die austheilende Gerechtigkeit eingetheilt werden kann. Der zweite Theil der Rechtslehre handelt vom öffentlichen Recht. Dessen erster Abschnitt vom Staatsrecht. Der Inbegriff der Geseze, die einer allgemeinen Bekanntmachung bedürfen, um einen rechtlichen Zustand hervorzubringen, ist das öffentliche Recht. Es theilt sich in das Staats-, Völker- und Weltbürgerrecht. Ein Staat ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesezen. Er enthält drei /182/ Gewalten in sich: die Herrschergewalt, Souveränität in der Person des Gesezgebers, die vollziehende in der des Regierers und die rechtsprechende Gewalt in der des Richters. Die Gesezgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volks zukommen. Die drei Gewalten im Staate sind Würden; sie sind einander als moralische Personen beigeordnet aber auch untergeordnet. Der Wille des Gesezgebers im Staate ist untadelich, das Ausführungsvermögen des Oberbefehlshabers unwiderstehlich und der Rechtsspruch des obersten Richters unabänderlich. Der Regent des Staats ist diejenige Person, welcher die ausübende Gewalt zukommt: der Agent des Staats, der die Magisträte einsezt und die Regeln vor-
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schreibt, nach denen jeder im Staate etwas erwerben, oder das Seine erhalten kann. Als moralische Person betrachtet heißt er das Direktorium, die Regierung. Die Regierung muß nicht väterlich seyn, so daß die Bürger als Kinder behandelt würden, welches die despotisch[s]te unter allen ist, sondern vaterländisch, wo die Staatsbürger nach Gesezen ihrer eignen Selbstständigkeit behandelt werden. Der Gesezgeber kann nicht zugleich Regent seyn. Er kann den Regenten absezen aber nicht strafen, weil dies durch exekutive Gewalt geschehen muß, die dem /183/ Regenten allein, aber nicht dem Gesezgeber, zukömmt. Keiner von beiden kann richten, sondern nur Richter, als Magisträte einsezen. Das Heil des Staats ist der Zustand der größten Uebereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprincipien. Einige S. 173 beigefügte allgemeine Anmerkungen betreffen die rechtlichen Wirkungen aus der Natur des bürgerlichen Vereins. Das Volk darf nicht fragen, wie die oberste Gewalt im Staate enstanden sey. Es muß sie betrachten, als ob sie von irgend einem höchsten tadelfreien Gesezgeber herkomme. (Alle Obrigkeit ist von Gott.) Der Herrscher im Staat hat gegen den Unterthan lauter Rechte und keine Zwangspflichten. Ueber den Regenten darf sich das Volk beschweren, aber sich ihm nicht widersezen. Es kann neben dem Regenten keine einschränkende Gewalt im Staate statt finden. Eine gemäßigte Staatsverfassung ist daher ein Unding: Wider das gesezgebende Oberhaupt giebt es also keinen rechtmäßigen Widerstand des Volks. Vergreifung an seiner Person ist daher Hochverrath und als ein Versuch, sein Vaterland umzubringen, mit dem Tode zu bestrafen. In einer sehr merkwürdigen Note hierbei giebt der Verf. zu, daß das Verbrechen des Volks, wodurch es einen Monarchen zur Niederlegung seiner Krone zwingt, den Vorwand /184/ des Nothrechts vor sich haben könne. Niemals aber hat es das mindeste Recht, das Oberhaupt wegen der vorigen Verwaltung zu strafen. Die formale gerichtliche Hinrichtung eines Monarchen ist das schauderhafteste Verbrechen und als ein vom Staate an ihm verübter Selbstmord, keiner Entsündigung fähig. Eine Veränderung der fehlerhaften Staatsverfassung, kann also nur vom Souverän selbst durch Reform, aber nicht vom Volk durch Revolution verrichtet werden und kann nur die ausübende Gewalt nicht die gesezgebende treffen. Ist aber eine Revolution einmal gelungen, so sind die Unterthanen verbunden, derjenigen Obrigkeit zu gehorchen, die jezt Gewalt hat. Der Beherrscher ist Obereigenthümer des Bodens, und Oberbefehlshaber des Volks. Dies Obereigenthum ist aber nur eine Idee zu Bestimmung des besondern Eigenthums. Der Oberbefehlshaber kann kein Privateigenthum, also keine Domänen haben, weil, da er sie nach Gutbefinden ausbreiten könnte, der Staat Gefahr laufen würde, alles Eigenthum in den Händen der Regierung, und alle Unterthanen als grundunterthänig (glebae adscripti) zu sehen. Es kann daher auch keine Corporation im Staate, keinen Stand oder Orden geben, der als Eigenthümer den Bo-/185/den zur alleinigen Benuzung den folgenden Generatio-
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nen überliefern könnte. Ritter und geistliche Orden können daher nach Gutbefinden des Staats aufgehoben werden. Auf dem Grundeigenthume des Oberbefehlshabers beruht das Recht, die Privateigenthümer zu beschäzen, d. i. Abgaben zu fordern. Hierauf beruht auch das Recht der Staatswirtschaft, das Finanzwesen und der Policei. Der Oberbefehlshaber hat auch das Recht, Abgaben zu der eignen Erhaltung des Volks, mithin für das Armenwesen, die Findelhäuser und das Kirchenwesen anzuordnen. Lotterien sollten hierbei nicht erlaubt seyn. In Ansehung des Kirchenwesens ist es unter der Würde der Obrigkeit, sich auf Glaubensstreitigkeiten einzulassen. Der Oberbefehlshaber hat das Recht, Aemter zu ertheilen, aber nicht sie nach Gutbefinden wieder zu nehmen. Würden darf er dem Verdienste zutheilen, aber keinen Erbadel gründen, beides nach dem Princip: „Was das Volk nicht über sich selbst und seine Genossen beschließen kann, das kann auch der Souverän nicht über das Volk beschließen.“ Auch hat der Befehlshaber das Strafrecht, den Unterthanen wegen seines Verbrechens mit Schmerz zu belegen. Richterliche Strafe kann /186/ nicht über jemand verhängt werden als Mittel, ein andres Gute zu befördern, sondern blos darum, weil er etwas verbrochen hat, weil der Mensch nie blos Mittel seyn darf. Das Strafgesez ist ein kategorischer Imperativ. Das Princip der Strafgerechtigkeit ist völlige Gleichheit des Verbrechens und der Strafe, oder: Was für unverschuldetes Uebel du einem Andern im Volke zufügst, das thust du dir selbsten. Bei dem Unterschied der Stände ist auf die Empfindungsart des Vornehmern zu sehen.Wer stiehlt, macht alles Eigenthum unsicher, und beraubt sich dadurch alles Eigenthums. Mithin müssen ihn andre ernähren, und er muß seine Kräfte vom Staat zu beliebigen Arbeiten (Zuchthausarbeit) brauchen lassen. Wer gemordet hat, muß sterben. Die Todesstrafen sind also rechtmäßig. Nur beim Kindermord und Duell ist ihre Anwendung zweifelhaft. Das Begnadigungsrecht darf der Oberbefehlshaber nur bei einer Läsion anwenden, die ihm selbst widerfahren ist. Von § 50 S. 206 an handelt der Vf.: Von dem rechtlichen Verhältnisse des Bürgers zum Vaterlande und zum Auslande. Der Unterthan hat das Recht der Auswanderung. Er darf aber nur seine fahrende, nicht seine liegende Habe mitnehmen, auch nicht so, daß er seinen bisher besesse-/187/nen Boden verkauft. Der Landesherr hat das Recht, die Einwanderung zu begünstigen, Verbrecher zu verbannen und Landes zu verweisen. Die monarchische Staatsverfassung, welche der Verf. die autokratische genannt wissen will, ist die einfachste und als solche zur Handhabung des Rechts im Staate die beste, aber auch die gefährlichste, weil sie leicht zum Despotismus führt. Die Staatsformen sind nur der Buchstabe der ursprünglichen Gesezgebung im bürgerlichen Zustande und sie mögen also bleiben, so lange sie für noth-
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wendig gehalten werden. Ihr Geist ist, daß sie mit der einzig rechtmäßigen Verfassung, nähmlich der einer reinen Republik, ihrer Wirkung nach zusammenstimme[n]. Alle wahre Republik aber ist und kann nichts anders seyn, als ein repräsentatives System des Volks, wo vermittelst Abgeordneter die Rechte desselben besorgt werden. Der zweite Abschnitt: das Völkerrecht. Die Völker stehen, als moralische Personen betrachtet, ursprünglich unter einander im Naturzustande, mithin im Zustande des Kriegs, sollen aber in einen Völkerbund treten, um einen beharrlichen Frieden zu gründen, welcher indessen keine souveräne Gewalt, sondern eine Genossenschaft enthält. Im natürlichen Zustande der Staaten ist das Recht zum Kriege die erlaubte Art, wodurch ein Staat sein Recht ge-/188/gen einen andern verfolgt. Das Recht im Kriege besteht darinn, daß der Krieg nach solchen Grundsäzen geführt werden muß, nach welchen es den Staaten immer noch möglich bleibt, aus dem Naturzustande herauszugehen und in einen bürgerlichen zu treten. Straf- und Ausrottungskriege sind daher unter unabhängigen Staaten unrechtmäßig. Das Recht nach dem Kriege gründet sich auf die Gewalt des Siegers, die Friedensbedingungen zu bestimmen. Das Recht des Friedens ist 1) das der Neutralität, 2) das der Guarantie, wodurch die Fortdauer des Friedens zugesichert wird, 3) das Recht, Defensivallianzen zu schließen. Das Recht eines Staats gegen einen ungerechten Feind hat keine Grenzen, d. i. gegen einen solchen, welcher öffentlich eine Maxime verräth, nach welcher kein Friedensstand unter den Völkern möglich würde. Ein allgemeines Völkerbündniß ist, weil bei gar zu großer Ausdehnung eines solchen Völkerstaats über weite Landstriche, die Regierung desselben, mithin auch die Beschützung eines jeden Gliedes endlich unmöglich werden muß, so wie der ewige Friede, welchen es herbeiführen müßte, eine unausführbare Idee, der sich jedoch die politischen Grundsäze continuirlich zu nähern suchen müssen. /189/ Dritter Abschnitt: das Weltbürgerrecht. Dies ist das Recht, welches alle Völker haben, sich zum Verkehr unter einander anzubieten. Es darf jedoch in neuentdekten Ländern eine Anwohnung nicht ohne Vertrag mit den Landeseinwohnern unternommen werden. Den Beschluß macht eine Rechtfertigung der Idee vom ewigen Frieden, auf dessen Begründung alle Staatsverfassungen hinwirken sollen. Er macht den Endzwek der ganzen Rechtslehre aus, und ist das höchste politische Gut. Recensent hat, um den Zusammenhang dieses wichtigen Werks zu verfolgen und nicht blos einzelne Partien auszuheben, diese Recension etwas weitläuftig abfassen, dabei aber doch sehr viele merkwürdige, scharfsinnige, und zum Theil höchst unterhaltende Bemerkungen übergehen müssen. Er wünscht daher, daß seine Leser diese Rec. als ein Mittel zur Erleichterung des Studiums der Kantischen Rechtslehre, nicht aber zur Ueberhebung desselben, betrachten mögen.
8 Gothaische gelehrte Zeitungen. Gotha: Carl Wilhelm Ettinger. 1797, S. 420‒423, 425‒432 u. 437‒439. /420/ […] Mit dem gegenwärtigen Werke, und den wie wir hören, auch schon unter der Presse befindlichen metaphys. Anfangsgründen der Tugendlehre, hat der ehrwürdige philosophische Greiß die ganze Arbeit im Felde der praktischen Philosophie beschlossen. So wie ihre Vorgänger, wird auch diese Rechtslehre dazu beytragen, manche Begriffe zu berichtigen, und manche Fragen zu lösen, die bis jetzt noch Räthsel geblieben sind, weshalb sie denn und da sie, nebst den ersten Grundsätzen und Thesen des Privat- und öffentlichen Rechts, auch die Anwendung derselben auf besondere Erfahrungsfälle in zum Theil weitläuftigen Anmerkungen vorträgt, nicht blos von akademischen Lehrern, sondern auch von praktischen Rechtsgelehrten beyderley Art, studirt zu werden verdient. Den Anfang des Werks macht eine doppelte Einleitung, erstlich in die Metaphysik der Sitten, und dann in die Rechtslehre selbst. In der ersten ist besonders der so schwierige Unterschied zwischen Begehrungsvermögen, Willen, Willkühr, Wunsch, so wie mehrere damit zusammenhängende Begriffe, befriedigend festgesetzt, und auch die Bestimmung des Unterschiedes zwischen Rechtslehre und Tugendlehre, als den beyden Theilen der Sittenlehre, merkwürdig. Zu aller Gesetzgebung, heißt es nemlich, gehört erstlich ein Gesetz, welches die Handlung, die geschehen soll, objektiv als nothwendig vorstellt; zweytens eine Triebfeder, welche die Subjekte bestimmt, so zu handeln, wie es das Gesetz gebietet. Diese Triebfeder ist nun entweder die im Gesetz gebotene Pflicht selbst; das Subjekt soll so handeln, weil es Pflicht ist; oder es ist eine andere von der Idee der Pflicht verschiedene, und aus den pathologischen Bestimmungsgründen der Willkühr, den Neigungen und Abneigungen, und unter diesen von denen der letzten Art hergenommene Triebfeder, weil es eine nicht einladende, sondern nöthigende Gesetzgebung seyn soll. Im ersten Falle ist die Gesetzgebung ethisch, im andern juridisch oder rechtlich. Da diese letztere Gesetzgebung nicht verlangt, daß die Idee der Pflicht, welche innerlich ist, für sich selbst Bestimmungsgrund der Willkühr des Handelnden sey, und, da sie doch einer, für Gesetze schicklichen Triebfeder bedarf, nur äußere mit dem Gesetze verbinden kann, so können auch die Pflichten nach der rechtlichen Gesetzgebung, nur äußere Pflichten seyn. Die ethische Gesetzgebung hingegen macht zwar auch innere Handlungen zu Pflichten, aber nicht etwa mit Ausschließung der äußern, sondern geht auf alles, https://doi.org/10.1515/9783110702996-010
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was Pflicht ist, überhaupt. Rechtslehre und Tugendlehre unterscheiden sich also nicht sowohl durch ihre verschiedenen Pflichten, als vielmehr /421/ durch die Verschiedenheit der Gesetzgebung, welche die eine oder die andere Triebfeder mit dem Gesetze verbindet. Der Inbegriff der Gesetze, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist, heißt die Rechtslehre. Das Recht ist der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkühr des einen mit der Willkühr des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereiniget werden kann. Das allgemeine Princip des Rechts ist: Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkühr eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann. Strictes (enges) Recht, d. i. dem nichts Ethisches beygemischt ist, das nur äußere Bestimmungsgründe der Willkühr erfordert, kann nur das völlig äußere genannt werden, und gründet sich, als solches, zwar auch auf das Bewußtseyn der Verbindlichkeit eines jeden nach dem Gesetze, aber es kann und darf sich, um die Willkühr zu bestimmen, nicht auf dieses Bewußtseyn, als Triebfeder, berufen, sondern fußet sich deshalb blos auf dem Princip der Möglichkeit eines äußern Zwanges, der mit der Freiheit von jedermann nach allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann. Recht und Befugnis zu zwingen, bedeutet also einerley. Wenn man die Rechte, als (moralische) Vermögen andere zu verpflichten, d. i. als einen gesetzlichen Grund zur Verpflichtung betrachtet, so werden sie eingetheilt in das angebohrne und erworbene Recht; von welchen das erstere dasjenige Recht ist, welches unabhängig von allem rechtlichen Akt, jedermann von Natur zukommt; und das letztere das, wozu ein solcher Akt erfordert wird. Das angebohrne Recht ist nur ein einziges, und dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, Kraft seiner Menschheit zustehende Recht ist, das der Freiheit (Unabhängigkeit von eines Andern nöthigender Willkühr,) so fern sie mit jedes Andern Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann. Die angebohrne Gleichheit, d. i. die Unabhängigkeit, nicht zu mehreren von Andern verbunden zu werden, als wozu man sie wechselseitig auch verbinden kann; mithin die Qualität des Menschen, sein eigner Herr zu seyn, (sui juris) ingleichen die eines unbescholtenen Menschen (justi) weil er, vor allem rechtlichen Akt, keinem Unrecht gethan hat; endlich auch die Befugniß, das gegen Andere zu thun, was an sich ihnen das Ihrige nicht schmälert, wenn sie sich dessen nur nicht annehmen wollen; alle diese Befugniße liegen schon im Princip der angebohrnen Freiheit, und sind würklich von ihr nicht (als Glieder der Eintheilung unter einem höhern Rechtsbegriff) unterschieden. Diese Eintheilung hat man nur darum in das System des Naturrechts (so fern es das Angebohrne angeht) eingeführt, damit, wenn über ein erworbenes Recht ein Streit entsteht, und die Frage eintritt, wem die Beweisführung entweder von einer bezweifelten That, oder, wenn /422/ diese ausgemittelt ist, von einem bezweifelten Recht, obliege, derjenige, welcher diese Verbindlichkeit von sich ablehnt, sich auf sein
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angebohrnes Recht der Freiheit, (welches nun nach seinen verschiedenen Verhältnissen specificirt wird) methodisch und gleichfalls nach verschiedenen Rechtstiteln berufen könne. Da es nun in Ansehung des angebohrnen, mithin inneren Mein und Dein keine Rechte, sondern nur Ein Recht gibt, so wird diese Obereintheilung als aus zwey dem Inhalte nach äußerst ungleichen Gliedern bestehend, in die Prolegomenen geworfen, und die Eintheilung der Rechtslehre bloß auf das äußere Mein und Dein bezogen werden können. – Als systematische Lehren betrachtet, werden die Rechte eingetheilt in das Naturrecht, das auf lauter Principien a priori beruht, und in das positive (statutarische) Recht, was aus dem Willen eines Gesetzgebers hervorgeht. Die oberste Eintheilung des Naturrechts kann nicht die in das natürliche und gesellschaftliche, sondern muß die ins natürliche und bürgerliche Recht seyn: deren das erstere das Privatrecht, das zweite das öffentliche Recht genannt wird. Denn dem Naturzustande ist nicht der gesellschaftliche, sondern der bürgerliche entgegen gesetzt; weil es in jenem zwar gar wohl Gesellschaften geben kann, aber nur keine bürgerliche, (durch öffentliche Gesetze das Mein und Dein sichernde) daher das Recht in dem erstern das Privatrecht heißt. Privatrecht hat das äussere Mein und Dein zum Gegenstande, und handelt 1) von der Art etwas Aeußeres als das Seine zu haben; 2) von der Art etwas Aeußeres zu erwerben, und 3) von der subjektiv-bedingten Erwerbung durch den Ausspruch einer öffentlichen Gerichtsbarkeit. Das Rechtlich-Meine (meum juris) ist dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein Anderer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädiren würde. Die subjektive Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs überhaupt, ist der Besitz. Es gibt aber einen sinnlichen oder physischen, und einen intelligiblen oder bloß-rechtlichen Besitz. Das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft in Ansehung des Besitzes von etwas Aeußern ist: Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkühr als das Meine zu haben; d. i. eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand der Willkühr an sich (objektiv) herrenlos (res nullius) werden müßte, ist rechtswidrig. Wer eine Sache als das Seine zu haben behaupten will, muß im Besitze der Sache seyn, denn sonst könnte er nicht durch den Gebrauch, den der Andere ohne seine Einwilligung davon macht, lädirt werden. Aeußere Gegenstände meiner Willkühr können nach den Kategorien der Substanz, Causalität und Gemeinschaft zwischen mir und äußern Gegenständen nach Freiheitsgesetzen, nur drey seyn: eine (körperliche) Sache außer mir; die Willkühr /423/ eines Andern zu einer bestimmten That (præstatio); und der Zustand eines Andern im Verhältniß auf mich. Der Sacherklärung nach ist das äußere Mein und Dein dasjenige, in dessen Gebrauch mich zu stören, Läsion seyn würde, ob ich gleich nicht im Besitze desselben (nicht Inhaber des Gegenstandes) bin. Es muß also ein intelligibler, oder bloß-rechtlicher Besitz als möglich vorausgesetzt werden, wenn es ein äußeres Mein oder Dein
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geben soll. Man sollte darum billig nicht sagen, ein Recht auf diesen oder jenen Gegenstand besitzen, sondern vielmehr, einen Gegenstand bloß-rechtlich besitzen; denn das Recht ist schon ein intellektueller Besitz eines Gegenstandes; einen Besitz aber zu besitzen, würde ein Ausdruck ohne Sinn seyn. Die Möglichkeit eines nicht empirischen oder bloß-rechtlichen Besitzes, gründet sich auf den angebohrnen Gemeinbesitz des Erdbodens, und den diesem entsprechenden allgemeinen Willen eines erlaubten Privatbesitzes auf demselben, (weil ledige Sachen sonst an sich und nach einem Gesetze zu herrenlosen Dingen gemacht werden würden.) Diese ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens, und hiemit auch der Sachen auf demselben, (communio fundi originaria) ist eine Idee, welche objektive (rechtlich-praktische) Realität hat, und von der uranfänglichen (communio primæva) gänzlich unterschieden, welche eine Erdichtung ist. Wenn der Begriff eines bloß-rechtlichen Besitzes, da er kein empirischer, von Raum und Zeit abhängiger, sondern ein Vernunftbegriff ist, gleichwohl auf Gegenstände der Erfahrung, deren Erkenntniß von jenen Bedingungen des Raums und der Zeit abhängt, angewendet werden soll, so kann er nicht unmittelbar auf Erfahrungsobjekte und auf den Begriff eines empirischen Besitzes, sondern muß zunächst auf den reinen Verstandesbegriff eines Besitzes überhaupt angewandt; statt der Inhabung (detentio) als einer empirischen Vorstellung des Besitzes, muß der von allen Raum- und Zeitbedingungen abstrahirende Begriff des Habens, und nur, daß der Gegenstand als in meiner Gewalt, (in potestate mea) nicht aber, daß er auch in meiner Macht (potentia) sey, gedacht werden; so, daß ich also sagen kann: ich besitze einen Acker, ob er zwar ein ganz anderer Platz ist, als worauf ich mich wirklich befinde. Die Art also, etwas außer mir als das Meine zu haben, ist die bloß rechtliche Verbindung des Willens des Subjekts mit dem Gegenstande, unabhängig von dem Verhältniße zu demselben im Raum und in der Zeit, nach dem Begriff eines intelligiblen Besitzes. (Die Fortsetzung folgt.) /425/ […] (Fortsetzung des im vor. Stück abgebrochenen Artikels.) Obgleich etwas Aeußeres als das Seine zu haben, nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich gesetzgebenden Gewalt, d. i. im bürgerlichen Zustande, möglich ist, so kann doch gleichwohl ein würkliches, obgleich nur provisorisches Mein und Dein im Naturzustande statt haben. Denn bürgerliche Verfassung ist allein der rechtliche Zustand, durch welchen jedem das Seine nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bestimmt wird. Alle Guarantie setzt also das Seine von jemanden, dem es zugesichert wird, schon voraus. Mithin muß vor aller bür-
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gerlichen Verfassung (oder von ihr abgesehen) ein äußeres Mein und Dein als möglich angenommen werden, und zugleich ein Recht, jedermann, mit dem wir auf irgend eine Art in Verkehr kommen könnten, zu nöthigen, mit uns in eine Verfassung zu treten, worin jenes gesichert werden kann. Ein Besitz in Erwartung und Vorbereitung eines solchen Zustandes, der allein auf ein Gesetz des gemeinsamen Willens gegründet werden kann, der also zu der Möglichkeit dieses Zustandes zusammen stimmt, ist ein provisorisch-rechtlicher Besitz, wogegen derjenige, der in einem solchen wirklichen Zustande angetroffen wird, ein peremtorischer Besitz seyn würde. (Die Behauptung, daß der bürgerliche Zustand allein der rechtliche sey, daß das Mein und Dein nur in diesem Zustand gesichert, und jeder mit uns in einen solchen Zustand zu treten genöthiget werden könne, will uns doch nicht so ganz einleuchten. Wenn es im Naturstande schon Rechte gibt, so muß auch in demselben Rechtlichkeit statt finden können, besonders in dem blos gesellschaftlichen, der nach dem Hrn. Verf. selbst zu dem Naturzustande gehört, und zwischen Familien zur Sicherung des Besitzes ihres /426/ Bodens und ihrer Habe gestiftet werden kann; das Recht zur Nöthigung anderer, mit uns in einen Staat zu treten, würde also von selbst wegfallen. Soll dieser Grundsatz allgemein und für alle Fälle seiner Anwendbarkeit gelten, so würde folgen, daß, so wie jeder Mensch im Naturzustande andere seines Gleichen, also auch jeder Statt andere mit ihm coexistirende, aber noch nicht rechtlich verbundene Staaten, zur Stiftung eines rechtlichen Zustandes unter öffentlichen Zwangsgesetzen zu zwingen berechtiget seyn müste. Da aber bey wechselseitiger Unabhängigkeit der Staaten, einer gegen den andern solche Maximen gar wohl befolgen kann, nach welchen die Freyheit aller nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so scheint auch ein solches Zwangsrecht unter Staaten sowohl als unter Individuen im Naturzustande ohne Grund zu seyn.) – Das Princip der äußern Erwerbung ist: Was ich (nach dem Gesetz der äußern Freiheit) in meine Gewalt bringe, und wovon, als Objekte meiner Willkühr, Gebrauch zu machen, ich (nach dem Postulate der prakt. Vernunft) das Vermögen habe; endlich, was ich, (gemäß der Idee eines möglichen vereinigten Willens) will, es soll meine seyn, das ist mein. Die Momente der ursprünglichen Erwerbung sind also: 1) die Apprehension eines Gegenstandes, der Keinem angehört, widrigenfalls sie der Freiheit Anderer nach allgemeinen Gesetzen widerstreitenden würde; 2) die Bezeichnung, (declaratio) des Besitzes dieses Gegenstandes und des Akts meiner Willkühr, jeden Andern davon abzuhalten; 3) die Zueignung, als Akt eines äußerlich allgemein gesetzgebenden Willens (in der Idee) durch welchen jedermann zur Einstimmung mit meiner Willkühr verbunden wird. Von der Erwerbung des äußern Mein u. Dein wird folgende trefliche Eintheilung gegeben. Der Materie (dem Objekte) nach erwerbe ich entweder eine körperliche Sache (Substanz) oder die Leistung (Causalität) eines Andern, oder diese andere
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Person selbst, d. i. den Zustand derselben, so fern ich ein Recht erlange, über denselben zu verfügen (das Commercium mit derselben.) Der Form (Erwerbungsart) nach ist es entweder ein Sachenrecht (jus reale) oder ein persönliches Recht (jus personale) oder ein dinglich persönliches Recht (jus realiter personale) des Besitzes (ob zwar nicht des Gebrauchs) einer andern Person als einer Sache. Nach dem Rechtsgrunde (titulus) der Erwerbung; welches eigentlich kein besonderes Glied der Eintheilung der Rechte, aber doch ein Moment der Art ihrer Ausübung ist: entweder durch den Akt einer einseitigen, oder doppeltseitigen, oder allseitigen Willkühr, wodurch etwas Aeußeres (facto, pacto, lege) erworben wird – Eigentlich und buchstäblich gibt es kein (direktes) Recht in einer Sache (jus reale, jus in re) weil es zwischen Personen und Sachen gar kein Verhältniß der Verbindlichkeit gibt; sondern nur das Recht wird so /427/ genannt, was jemanden gegen eine Person zukommt, die mit allen andern (im bürgerlichen Zustande) im gemeinsamen (ursprünglichen oder gestifteten) Besitz ist. Denn dieser Gesammtbesitz ist die einzige Bedingung, unter der es allein möglich ist, daß ich jeden andern Besitzer vom Privatgebrauch der Sache ausschließe; weil ohne einen solchen Gesammtbesitz voraus zu setzen, sich gar nicht denken läßt, wie ich, der ich doch nicht im Besitze der Sache bin, von Andern, die es sind, und die sie brauchen, lädirt werden könne. Der Boden (d. i. alles bewohnbare Land) ist in Ansehung alles Beweglichen auf demselben, als Substanz, die Existenz des letztern aber nur als Inhärenz zu betrachten; und so, wie im theoretischen Sinne die Accidenzen nicht außerhalb der Substanz existiren können; so kann im praktischen das Bewegliche auf dem Boden nicht das Seine von jemanden seyn, wenn dieser nicht vorher als im rechtlichen Besitz desselben befindlich, (als das Seine desselben,) angenommen wird. Der Grund der Möglichkeit der Erwerbung des Bodens, ist die ursprüngliche Gemeinschaft desselben überhaupt, und die rechtliche Art dieser Erwerbung ist Bemächtigung (occupatio.) Nur in einer bürgerlichen Verfassung kann etwas peremtorisch, im Naturzustande aber nur provisorisch erworben werden; doch ist diese letztere eine wahre Erwerbung; denn, nach dem Postulate der rechtlich praktischen Vernunft, ist die Möglichkeit derselben, in welchem Zustande die Menschen neben einander seyn mögen, also auch im Naturzustande, ein Princip des Privatrechts, nach welchem jeder zu demjenigen Zwange berechtigt ist, durch welchen es allein möglich wird, aus jenem Naturzustande herauszugehn, und in den bürgerlichen, der allein alle Erwerbung peremtorisch machen kann, zu treten. (Das was wir oben bey Gelegenheit des Besitzes eines äußern Gegenstandes erinnert haben, kann auch hier wieder angewendet werden.) Ein persönliches Recht ist das des Besitzes der Willkühr eines Andern, als Vermögen, diese Willkühr durch meine eigene, nach Freiheitsgesetzen, zu einer gewissen That zu bestimmen. Die Erwerbung eines persönlichen Rechts kann niemals ursprünglich und eigenmächtig seyn, son-
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dern jederzeit von dem Seinen des Andern abgeleitet; und diese Ableitung, als rechtlicher Akt, kann nicht durch diesen als negativen Akt, nemlich der Verlassung, geschehen, denn dadurch wird nur das Seine eines oder des andern aufgehoben, aber nichts erworben, sondern allein durch Uebertragung (translatio) welche nur durch einen gemeinschaftlichen Willen möglich ist. Die Uebertragung seines Eigenthums an einen andern, ist die Veräußerung. Der Akt der vereinigten Willkühr zweyer Personen, wodurch überhaupt das Seine des Einen auf den Andern übergeht, ist der Vertrag. In jedem Vertrage sind zwey vorbereitende rechtliche Akte, das Angebot und die Billi-/428/gung, und zwey constituirende, das Versprechen und die Annehmung. Nur durch den vereinigten Willen des Promittenten und des Promissars (als Acceptanten) mithin so fern beyder Wille zugleich deklariret wird, geht das Seine des erstern zu dem letztern über. Da aber dieses durch empirische Aktus der Declaration unmöglich ist, weil sich diese Aktus nothwendig in der Zeit folgen müssen; so kann die Gleichzeitigkeit der Deklarationen beyder sich nur auf das rechtliche Verhältniß derselben, nemlich die Besitznehmung des Einen von der Willkühr des Andern, (und so wechselseitig) als Bestimmungsgrund desselben zu einer That, gründen; weil jenes Verhältniß, als ein rechtliches, rein intellektuell ist, und durch den Willen, als ein gesetzgebendes Vernunftvermögen, jener Besitz als ein intelligibler nach Freiheitsbegriffen, mit Abstraktion von jenen empirischen Bedingungen, als das Mein oder Dein vorgestellt wird. Durch den Vertrag erwerbe ich unmittelbar nicht eine äußere Sache, sondern eine That des Andern, dadurch jene Sache in meine Gewalt gebracht wird, damit ich sie zu der meinen mache. Dieses mein Recht ist aber nur ein persönliches, nemlich gegen eine bestimmte physische Person, und zwar auf ihre Causalität (ihre Willkühr) zu wirken, mir etwas zu leisten. Eine Sache wird in einem Vertrage nicht durch Annehmung des Versprechens, sondern durch Uebergabe des Versprochenen erworben; nur durch Tradition wird ein persönliches Recht ein dingliches. Unter einem auf dingliche Art persönlichem Rechte, versteht Hr. Prof. Kant das Recht des Besitzes eines äußern Gegenstandes als einer Sache, und des Gebrauchs desselben als einer Person. Das Mein und Dein nach diesem Recht, ist das häusliche und das durch dasselbe gestiftete Verhältniß zwischen den Personen, heißt das Hauswesen. Das Recht der häußlichen Gesellschaft begreift in sich: das Eherecht, das Elternrecht und das Hausherrnrecht. Die Ehe ist eine natürliche (zum Unterschiede von der unnatürlichen) Geschlechtsgemeinschaft, die (nicht nach der blos thierischen Natur, sondern) nach dem Gesetz eingegangen wird; oder, die Verbindung zweyer Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften. Kinder zu erzeugen und zu erziehen, mag ein Zweck der Natur seyn, aber, daß der Mensch, der sich verehlicht, diesen Zweck sich vorsetzen müsse, wird zur Rechtmäßigkeit seiner Verbindung nicht erfodert.
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Der Ehevertrag ist kein beliebiger, sondern durchs Gesetz der Menschheit nothwendiger Vertrag, er gründet sich auf die Pflicht des Menschen gegen sich selbst, d. i. gegen die Menschheit in seiner eigenen Person, welche Pflicht beyden Geschlechtern ein Recht (jus personale) gibt, als Personen, wechselseitig einander, auf dingliche Art, durch Ehe zu erwerben. Wollen Mann und Weib wechsel-/429/ seitig ihrer Geschlechtseigenschaften genießen, so müssen sie sich nothwendig verehlichen. Der Genuß, den der Eine von den Geschlechtsorganen des andern macht, ist nur unter der einzigen Bedingung möglich, daß, indem die eine Person von der andern, gleich als Sache, erworben wird, diese gegenseitig wiederum jene erwerbe; denn so gewinnt sie wieder sich selbst, und stellt ihre Persönlichkeit wieder her. So wie aus der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, ein Recht beyder Geschlechter entsprang, sich, als Personen, durch Ehe zu erwerben; so folgt, aus der Zeugung in dieser Gemeinschaft, eine Pflicht der Erhaltung und Versorgung der Kinder; und diese haben, als Personen, hiermit zugleich ein ursprünglich-angebohrnes (nicht angeerbtes) Recht auf ihre Versorgung durch die Eltern, bis sie vermögend sind, sich selbst zu erhalten; und zwar durchs Gesetz unmittelbar, d. i. ohne daß ein besonderer Akt dazu erforderlich ist. Aus jener Pflicht der Eltern entspringt auch nothwendig das Recht derselben zur Handhabung und Bildung des Kindes, so lange es des eigenen Gebrauchs seiner Gliedmaßen, ingleichen des Verstandesgebrauchs, noch nicht mächtig ist, außer der Ernährung und Pflege es zu erziehen, und sowohl pragmatisch, damit es künftig sich selbst erhalten und fortbringen könne, als auch moralisch, weil sonst die Schuld ihrer Verwahrlosung auf die Eltern fallen würde, es zu bilden. Sobald die Kinder, die mit den Eltern zusammen eine Familie ausmachten, durch die Gelangung zu dem Vermögen ihrer Selbsterhaltung mündig, d. i. ihre eigenen Herren werden, welches Recht sie ohne besonderen rechtlichen Akt, mithin blos durchs Gesetz erwerben; sobald ist auch die häusliche Gesellschaft aufgelöst. Beyde Theile können aber diese häusliche Gesellschaft, wiewohl in einer andern Form der Verpflichtung, als Verknüpfung des Hausherrn mit dem Gesinde, (den Dienern oder Dienerinnen des Hauses) folglich als hausherrliche (societas herilis) fortsetzen, durch einen Vertrag, den der Hausherr mit den mündig gewordenen Kindern, oder mit andern freien Personen (der Hausgenossenschaft) schließt; welche Gesellschaft eine ungleiche, des Gebietenden, oder der Herrschaft, und der Gehorchenden, oder der Dienerschaft, seyn würde. Das Gesinde gehört zu dem Seinen des Hausherrn, und zwar was die Form (der Besitzstand) betrift, gleich als nach einem Sachenrecht; denn er kann es, wenn es ihm entläuft, durch einseitige Willkühr wieder in seine Gewalt bringen; was aber die Materie betrift, d. i. welchen Gebrauch er von diesen seinen Hausgenossen machen kann, so kann er sich nie als Eigenthümer derselben betragen; weil sie nur durch Vertrag unter seine Gewalt gebracht sind; ein Vertrag aber, durch den ein
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Theil zum Vortheil des andern auf seine ganze Freiheit Verzicht thut, mithin aufhört, eine Person zu seyn, folglich auch keine Pflicht hat, /430/ einen Vertrag zu halten, sondern nur Gewalt anerkennt, in sich selbst widersprechend, d. i. null und nichtig ist. Von dem erwerblichen Rechte aus Verträgen, wird folgende Eintheilung gegeben. Alle Verträge haben entweder einseitigen Erwerb, oder wechselseitigen Erwerb, oder gar keinen Erwerb, sondern nur Sicherheit des Seinen zur Absicht. Die Verträge der erstern Art heißen wohlthätige, die der zweyten belästigte, und die der dritten, Zusicherungsverträge. Wohlthätige Verträge sind, die Aufbewahrung des anvertrauten Gutes (depositum), das Verleihen einer Sache (commodatum) die Beschenkung (donatio). Zu den belästigten Verträgen gehören, als Veräußerungsverträge (permutatio late sic dicta) der Tausch (permutatio stricte sie dicta) Kauf und Verkauf, (emtio venditio) und die Anleihe (mutuum); als Verdingungsverträge (localis conductio), die Verdingung meiner Sache an einen andern zum Gebrauch derselben (locatio rei), der Lohnvertrag (locatio operæ) und der Bevollmächtigungsvertrag (mandatum.) Zu den Zusicherungsverträgen (cautio) werden gerechnet, die Verpfändung und Pfandnehmung zusammen (pignus), die Gutsagung für das Versprechen eines andern (fidejussio) und die persönliche Verbürgung (præstatio obsidis.) Da in dieser Tafel aller Arten der Uebertragung des Seinen auf einen Andern, einige Begriffe von Objekten oder Werkzeugen dieser Uebertragung vorkommen, welche ganz empirisch zu seyn scheinen, und also in einer metaphysischen Rechtslehre eigentlich nicht Platz haben, dergleichen z. B. die Begriffe des Geldes und eines Buches, als den größten und brauchbarsten Mitteln des Verkehrs mit Sachen und Gedanken, so hat der Verf. diese zwey Begriffe auf ihre intellektuellen Verhältnisse sehr glücklich zurückgeführt, und in Ansehung des letztern auch die Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks, auf die schon aus einer in der Berliner Monatsschrift befindlichen Abhandlung bekannte Art zu beweisen gesucht; welchen dann noch eine Anmerkung über das rechtliche Brokardikon, Kauf bricht Miethe, beygefügt wird. Den Beschluß des zweyten Hauptstücks macht endlich noch ein episodischer Abschnitt, von der idealen Erwerbung eines äußern Gegenstandes der Willkühr. Ideal heißt die Erwerbung, die keine Causalität in der Zeit enthält, mithin eine bloße Idee der reinen Vernunft zum Grunde hat. Sie heißt nur darum nicht real, weil der Erwerbakt nicht empirisch ist, indem das Subjekt von einem andern, der entweder noch nicht ist, (von dem man blos die Möglichkeit annimmt, daß er sey), oder, indem dieser eben aufhört zu seyn, oder, wenn er nicht mehr ist, erwirbt. Solcher Erwerbungsarten gibt es drey: durch Ersitzung, langen Besitz (usucapio) durch Beerbung (acquisitio hæreditatis) und durch unsterbliches Verdienst, oder Nachlaß eines guten Namens nach /431/ dem Tode, (bona fama defuncti.) (Wir zweifeln doch, ob nach dem Naturrecht die Gültigkeit oder rechtliche Möglichkeit der Erwerbung durch langen Besitz, oder
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Verjährung, wie man es gewöhnlich nennt, sich bestimmen lasse; da es hier doch auf eine Zeitbestimmung ankommt, die blos willkührlich ist, und das Recht des wahren Eigenthümers dadurch, daß ein Anderer die Sache, wenn auch ehrlich, mehrere Jahre hindurch besessen hätte, nie ohne den Willen des erstern verloren gehen kann. Aber gerade deswegen, weil das Naturrecht über den langen Besitz und das daraus entspringende Recht nichts entscheiden kann, gleichwohl aber dem gemeinen Wesen sehr daran liegt, daß in Ansehung der Erwerbungsarten nichts unbestimmt bleibe, so muß und kann auch nur die positive Gesetzgebung über diesen Fall entscheiden und festsetzen, daß und nach welcher Zeit eine solche justo titulo geschehene Erwerbung rechtsgültig seyn soll. – Auch können wir nicht mit dem Hrn.Verfasser einstimmen, daß Beerbung ohne Vermächtniß im Naturzustande nicht gedacht werden könne. Sobald in diesem Zustande ein Eigenthum, gesetzt auch nur provisorisch, statt findet, und zwischen Mann und Frau, und Eltern und Kindern, ein Miteigenthum denkbar ist, sobald muß auch, sollten wir denken, in demselben eine Beerbung ab intestato angenommen werden.) Nach dem dritten Hauptstück, von der subjektiv bedingten Erwerbung durch den Ausspruch einer öffentlichen Gerichtsbarkeit, oder vor einem Gerichtshof, gibt es vier Fälle, in welchen die Urtheile, so wie sie ein jeder Mensch objektiv nach dem, was an sich recht ist, und wie er sie nach dem Privatrecht zu fällen hat, von denen, die ein Gerichtshof (forum) subjektiv, nach der Idee des öffentlichen Rechts spricht, zwar verschieden und entgegen gesetzt seyn, aber gleichwohl neben einander bestehen können. Dieses findet statt 1) bey dem Schenkungsvertrag (pactum donationis), 2) dem Leihevertrag (commodatum), 3) der Wiedererlangung (vindicatio), und 4) der Vereidigung (juramentum.) Um von der Sache eine deutlichere Vorstellung zu geben, brauchen wir nur einen dieser Fälle zu betrachten. Nach dem Privatrecht ist bey einem Schenkungsvertrag nicht zu präsumiren, daß ich zu Haltung meines Versprechens gezwungen seyn, wohl aber, daß, wenn mich mein Versprechen noch vor der Erfüllung desselben gereuen würde, ich mich daran nicht binden wolle. Kömmt aber die Sache vor Gericht, so nimmt dieses doch an, daß ich nur dieses ausdrücklich hätte vorbehalten müssen, und ich, wenn ich es nicht gethan habe, zur Erfüllung des Versprechens gezwungen werden könne: und dieses Princip nimmt der Gerichtshof darum an, weil ihm sonst das Rechtsprechen unendlich erschwert, oder wohl gar unmöglich gemacht werden würde. In der Lehre von der Vereidigung, wird das Juramentum de credulitate aus triftigen Gründen für unzu-/432/lässig erklärt, und in Ansehung der Diener- oder Amtseide, die gewöhnlich promissorisch sind, vorgeschlagen, sie in assertorische zu verwandeln, so, daß der Beamte etwa zu Ende eines Jahres, (oder mehrerer) verbunden wäre, die Treue seiner Amtsführung während desselben zu beschwören. (Der Beschluß folgt.)
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/437/ […] (Beschluß des im vorigen Stück abgebrochenen Artikels.) Wir kommen nunmehr zum zweiten Theil dieser Rechtslehre oder dem öffentlichen Recht. Dieses ist ein System von Gesetzen für ein Volk, d. i. eine Menge von Menschen, oder für eine Menge von Völkern, die, im wechselseitigen Einflusse gegen einander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinigenden Willen, einer Verfassung (constitutio) bedürfen, um dessen, was Rechtens ist, theilhaftig zu werden. Es zerfällt, wie schon bekannt ist, in das Staatsrecht, das Völkerrecht, und das Weltbürgerrecht. Da das Wesentliche dieser Lehre vom öffentlichen Recht, aus der Schrift des Hrn. Verf. vom ewigen Frieden, in welcher er dieselbe angewendet hat, schon bekannt ist, so können wir uns hier kürzer fassen, und schränken uns nur auf einige Anmerkungen ein. §. 44. heißt es: Es sey nicht etwa die Erfahrung, die uns von der Bösartigkeit der Menschen belehre, sich, ehe eine äußere machthabende Gesetzgebung erscheint, einander zu befehden, sondern, sie möchten auch so gutartig und rechtliebend gedacht werden, wie sie wollten, so liege es doch a priori in der Vernunftidee eines nichtrechtlichen Zustandes, daß, bevor ein öffentlich gesetzlicher Zustand errichtet worden, vereinzelte Menschen, Völker und Staaten, niemals vor Gewaltthätigkeit gegen einander sicher seyn könnten. (Wir sollten meinen, daß, wenn die Menschen würklich so gutartig und rechtliebend wären, wie sie hier doch als möglich vorgestellt werden, dieses schon auf einen rechtl. Zustand unter ihnen hinweise, und die Vorstellung eines nichtrechtlichen Zustandes entferne und ausschließe. Da der Idee eines nichtrechtlichen Zustandes die Idee eines rechtlichen zur Seite geht, so folgt zwar aus dem Vorhandenseyn des erstern, daß ein rechtlicher Zustand gestiftet werden müsse, aber wo dieser schon vorhanden ist, bedarf es auch so wenig einer Stiftung desselben selbst überhaupt, als einer bürgerlichen Verfassung insbesondere, zumal da sich auch im Naturzustande eine blos gesellschaftliche rechtliche Verbindung /438/ denken läßt. Obwohl wir also zwar nicht leugnen wollen, daß die Gründung einer bürgerlichen Verfassung rathsam sey, so können wir uns doch nicht überzeugen, daß sie unbedingt nothwendig sey.) Unter die Attribute der Staatsbürgerschaft, welche die Glieder zur Stimmgebung bey der Gesetzgebung qualificiren, rechnet der Hr. Verf. auch die bürgerliche Selbstständigkeit, seine Existenz und Erhaltung nicht der Willkühr eines Andern im Volke, sondern seinen eigenen Rechten und Kräften, als Glied des gemeinen Wesens, verdanken zu können, folglich die bürgerliche Persönlichkeit in Rechtsangelegenheiten durch keinen andern vorgestellt zu werden. Dieser bürgerlichen Persönlichkeit ermangeln nach dem Verf. die Gesellen bey Kaufleuten oder Handwerkern, die Dienstboten, die Unmündigen, das Frauenzimmer, weil sie von andern Individuen befehliget oder beschützt werden, und also nicht unmittelbar von dem Staate abhängen. Unter diese Klasse aber scheinen uns die, welche noch in der Folge dazu gerechnet werden, der Holzhacker, der Schmidt, der mit seinem Hammer, Ambos und Bla-
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sebalg in die Häuser geht, um da in Eisen zu arbeiten, der Hauslehrer und der Zinsbauer nicht mit zugehören, da diese sämmtlich unmittelbar für sich selbst und für ihren eigenen Nutzen arbeiten, und produktive Geschäfte treiben, und keines andern, als des Schutzes des Staats selbst und unmittelbar bedürfen. Den Satz S. 173. der Unterthan soll nicht über den Ursprung der obersten Gewalt, als ein noch in Ansehung des ihr schuldigen Gehorsams zu bezweifelndes Recht werkthätig vernünfteln, so wie den S. 174. der Herrscher im Staate (der Inhaber der gesetzgebenden Gewalt) hat gegen den Unterthan lauter Rechte und keine Zwangspflichten; nehmen wir in so fern als richtig an, als in beyden eine würklich rechtliche repräsentative Verfassung, und eine derselben gemäße Verwaltung des Staats vorausgesetzt wird. Eben diese Rücksicht muß bey der Stelle S. 178. genommen werden: „Eine Veränderung der fehlerhaften Staatsverfassung, die wohl bisweilen nöthig seyn mag, kann also nur vom Souverän selbst durch Reform, aber nicht vom Volk, mithin (nicht) durch Revolution verrichtet werden, und wenn sie geschieht, so kann jene (die Reform) nur die ausübende Gewalt, nicht die gesetzgebende, treffen. – Richterliche Strafe muß jederzeit nur darum wider den Verbrecher verhängt werden, weil er verbrochen hat. Die Qualität und Quantität der Strafe, kann nur das Wiedervergeltungsrecht vor den Schranken des Gerichts, nach dem Princip der Gleichheit, bestimmt angeben. Wer also einen Mord (homicidium dolosum) begangen hat, muß sterben. Es gibt hier kein Surrogat zur Befriedigung der Gerechtigkeit. Es ist keine Gleichartigkeit zwischen einem noch so kummervollen Leben und dem Tode, also auch keine Gleichheit des Verbrechens und der Wiedervergeltung, als /439/ durch den an dem Thäter gerichtlich vollzogenen Tod.Von dem mütterlichen Kindesmord und dem Duell, wird indessen gesagt, daß es in Ansehung dieser Verbrechen noch zweifelhaft bleibe, obwohl die Gesetzgebung auch die Befugniß habe, sie mit der Todesstrafe zu belegen. Zu jenem verleite die Geschlechtsehre, zu diesem die Kriegsehre, die jeder dieser zwei Menschenklassen als Pflicht obliege. Da die Gesetzgebung die Schmach einer unehlichen Geburt nicht wegnehmen, und eben so wenig den Fleck, welcher aus dem Verdacht der Feigheit, der auf einen untergeordneten Kriegsbefehlshaber fällt, welcher einer verächtlichen Begegnung, nicht eine über die Todesfurcht erhobene eigene Gewalt entgegen setzt, wegwischen könne; so scheine es, daß Menschen in diesen Fällen sich im Naturzustande befänden, und Tödung (homicidium)[,] die alsdann nicht einmal Mord heissen müsse, in beyden zwar strafbar sey, aber von der obersten Macht nicht mit dem Tode bestraft werden könne. In diesem Räsonnement ist unverkenntlich Wahrheit, weniger aber in folgendem Zusatz, der uns auch etwas Zurückstoßendes an sich zu haben scheint. „Das uneheliche Kind ist außer dem Gesetz, (denn das heißt Ehe) mithin auch außer dem Schutz desselben, gebohren. Es ist in das gemeine Wesen gleichsam eingeschlichen, wie verbotene Waare, so, daß dieses seine Existenz, weil es billig
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auf diese Art nicht hätte existiren sollen, mithin auch seine Vernichtung ignoriren kann, und die Schande der Mutter, wenn ihre uneheliche Geburt bekannt wird, kann keine Verordnung heben.“ Daraus, daß die Wörter Gesetz und Ehe ehemals gleichbedeutend waren, folgt doch noch nicht, daß das uneheliche Kind außer dem Gesetz, in dem ganzen Umfange des Sinnes dieses nun von dem, was nach dem jetzigen Sprachgebrauch Ehe heißt, ganz verschiedenen Wortes, gebohren werde; und wenn die bürgerliche Verfassung ein gesetzlicher Zustand seyn soll, so muß er es auch für alle in demselben befindlichen und entstehenden menschlichen Wesen seyn, das Gesetz muß sich über sie alle erstrecken, und kein Recht irgend eines vernünftigen Wesens unbestimmt, so wie keines der letztern gänzlich ohne Recht lassen. Man kann also nicht sagen, das uneheliche Kind werde außer dem Gesetz gebohren, sondern es wird nur dem Gesetz zuwider gezeugt, sobald es gebohren ist, und schon als Embryo schützt es das Gesetz.
9 Katechetisches Journal. Hrsg. v. Johann Friedrich Christoph Gräffe. 5. Jg. [= Neues Journal der Katechetik und Pädagogik, 3. Jg.], Heft 1, Celle: bei G. E. F. Schulze dem Jüngeren, 1798, S. 1‒36. [Zugleich Rezension von: Metaphysik der Sitten. Zweiter Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. 188 S. – Königsberg: Friedrich Nicolovius 1797.] /1/ […] Die kantische Rechtslehre und Tugendlehre (denn so will Recens. diese beiden Schriften der Kürze wegen hier immer nennen) gehören von /2/ mehrern Seiten betrachtet in dies Journal: Man mag nun auf das Materiale sehen, welches die Katechisationen voraus setzen, oder man mag die Natur des katechetischen Vortrags in Erwägung ziehen, so ist in diesen beiden Schriften manches enthalten, was eine nähere Anzeige verdient. Weil dieses Journal mehrere geschickte und lernbegierige Schullehrer zu Lesern hat, so findet es Rec. zuerst für nothwendig, die Erinnerung vorauszuschicken, daß diese beiden Theile einer Metaphysik der Sitten nur für solche Leser geschrieben sind, welche mit den Vorerkenntnissen des philosophischen Studiums vertraut im Stande sind, dem Verfasser in die tiefern Untersuchungen über die letzten Gründe der Rechte und Pflichten nachzufolgen. Unstudierte Leser thun also wohl, diese beiden Kantischen Schriften ganz ungelesen zu lassen, weil ihre angewandte Mühe, in den Sinn der vorgetragenen Sätze einzudringen, ganz vergeblich seyn würde. Desto nützlicher aber kann diese Rechts- und Tugendlehre für diejenigen werden, welche für philosophische, und besonders für metaphysische Untersuchungen Sinn und Beruf haben. /3/ Was nun den Inhalt beider Schriften betrift, so finden die Leser darin eine Mannichfaltigkeit, und einen Reichthum von Bemerkungen, Erörterungen, und neuen Ansichten, daß sie sich gedrungen fühlen werden, diese Producte des Königsbergischen Philosophen nicht sowohl zu lesen, als vielmehr zu studieren. Der gelehrtere Katechet, der darauf ausgehet, seinem Unterrichte außer der Popularität auch den höchsten Grad der Gründlichkeit zu ertheilen, stehet doch offenbar unter der Verbindlichkeit, die Lehren und Wahrheiten, die er vortragen will, nach ihren Gründen, nach ihren Zwecken, nach ihrer Verkettung und nach ihrem Zusammenhange auf das genaueste zu erforschen. Zu der Erfüllung dieser Verbindlichkeit können die beiden genannten Schriften dem Katecheten die https://doi.org/10.1515/9783110702996-011
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wichtigsten Dienste leisten. Es würde ein grober Misverstand seyn, wenn man des Recens. Worte so verstehen wollte, als wenn er behauptete, daß die Sätze der Kantischen Rechts- und Tugendlehre, so wie sie hier aufgeführt werden, im öffentlichen Vortrage der Predigten und Katechisationen gelehrt werden müßten. Dies würde ganz zweckwidrig seyn. /4/ Dazu sind auch diese metaphysischen Anfangsgründe gar nicht geschrieben. Allein den Nutzen können und müssen sie dem Forscher, der tiefer eindringen will, in seinem ernstlichen Studium leisten, daß er durch ihre Hülfe unterstützt gründlichere und genauere Einsichten sich erwirbt, und so seinem eigenen Wissen und Beurtheilen mehr Licht, mehr Festigkeit und philosophischere Schärfe verleihet. Die Rechtslehre handelt im ersten Theile das Privatrecht ab, wohin das Recht der Eltern, die Lehre vom Eigenthume u. s. f. gehört. Im zweiten Theile wird das öffentliche Recht vorgetragen. In die genauere Beurtheilung dieser abgehandelten Materien kann sich Rec. wegen der Bestimmung dieses Journals nicht einlassen. Die Einleitung, welche der Rechtslehre vorgesetzt ist, wird dem Katecheten dadurch wichtig, weil sie die Erklärung derjenigen Begriffe enthält, welche der Rechts- und Tugendlehre gemeinschaftlich sind. Aus dieser Einleitung will Rec. einige Punkte ausheben, um sein voriges Urtheil zu bestätigen, daß nehmlich das Studium dieser /5/ beiden Schriften dem Katecheten, der genauer nachdenken will, außerordentlich nützlich sey. Seite I. „Begehrungsvermögen ist das Vermögen, durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu seyn. Das Vermögen eines Wesens, seinen Vorstellungen gemäß zu handeln, heist das Leben.“ „Mit dem Begehren oder Verabscheuen ist erstlich jederzeit Lust oder Unlust, deren Empfänglichkeit man Gefühl nennt, verbunden, aber nicht immer umgekehrt.“ – Seite II. Heist das Gefühl, die Fähigkeit, Lust oder Unlust bei einer Vorstellung zu haben. Rec. will hierbei etwas verweilen. Der D. Gräffe hat in seinem Grundrisse der allgemeinen Katechetik sowohl, als auch in seinem vollständigen Lehrbuche der allg. Katech. Theil 2. Buch 2.[¹] gezeigt, wie wichtig es für den Katecheten sey, auf die Bildung des Gefühlvermögens eine sorgfältige Rücksicht zu nehmen. In dieser Hinsicht wird es also dem Katecheten nothwendig, sich selbst zu unterrichten, was es mit dem Gefühlvermögen für eine Bewandniß habe. Aus dieser Ursache ist es von großem Interesse, zu bemerken, auf welche /6/ Weise ein so geübter Denker, wie Kant ist, das Gefühl definire. Ist nun das Gefühl nach Kant
[Johann Friedrich Christoph Gräffe, Grundriß der allgemeinen Katechetik nach Kantischen Grundsätzen, Göttingen 1796; Vollständiges Lehrbuch der allgemeinen Katechetik nach Kantischen Grundsätzen, 3 Bde., Göttingen 1795/97/99.]
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eine Empfänglichkeit der Lust und Unlust, oder eine Fähigkeit, Lust und Unlust bei einer Vorstellung zu haben, so wird fürs erste so viel zugegeben werden müssen, daß das Gefühl von Lust und Unlust unterschieden werden müsse. Denn wenn ich sage, das Gemüth ist die Empfänglichkeit der Neigungen und Affecten, oder das Vermögen, Affecten zu haben, so will ich ja offenbahr Affecten und Gemüth von einander unterscheiden, wo diese beiden Gemüth und Affecten nicht einerlei seyn können. Das Gefühl, oder noch richtiger das Gefühlvermögen würde dem zu folge, dasjenige seyn, in welchem Lust und Unlust sich regen kann. Hiermit wollen wir gleich eine Stelle aus der Tugendlehre Seite 35 und 36 verbinden. „Das moralische Gefühl ist die Empfänglichkeit für Lust oder Unlust, blos aus dem Bewustseyn der Uebereinstimmung oder des Widerstreits unserer Handlung mit dem Pflichtgesetze. Die Bestimmung der Willkühr aber geht von der Vorstellung der möglichen Handlung durch das Gefühl der Lust oder Unlust, an ihr oder ihrer /7/ Würkung ein Interesse zu nehmen, zur That, wo der ästhetische Zustand (der Afficirung, des innern Sinnes) nun entweder ein pathologisches oder ein moralisches Gefühl ist. – Das erstere ist dasjenige Gefühl, welches vor der Vorstellung des Gesetzes vorhergeht, das letztere das, was nur auf diese folgen kann.“ „Nun kann es keine Pflicht geben, ein moralisches Gefühl zu haben, oder sich ein solches zu erwerben: denn alles Bewustseyn der Verbindlichkeit legt dieses Gefühl zum Grunde, um sich der Nöthigung, die im Pflichtbegriffe liegt, bewust zu werden: sondern ein jeder Mensch (als ein moralisches Wesen) hat es ursprünglich in sich, die Verbindlichkeit aber kann nur darauf gehen, es zu cultiviren.“ Um den lehrreichen Inhalt dieser Stelle genauer aufzufassen, wollen wir uns ihren Sinn auf folgende Weise übersetzen. Wenn mein Begehrungsvermögen zur That bestimmt wird, so habe ich erstlich eine Vorstellung davon, daß meine Handlung das Object hervor bringen kann. Alsdann vereinigt sich mit dieser Vorstellung das Gefühl der Lust, /8/ ich nehme ein Interesse an der Existenz des vorgestellten Objects, es ist mir alles, oder doch außerordentlich viel daran gelegen, daß die Handlung vollendet und das Object würklich werde. Hierauf erfolgt die That. Dies sind die 3 Punkte, welche bei der Bestimmung der Willkühr statt finden. Wenn ich nun meinen ästhetischen Zustand, das heist, wie mein innerer Sinn in Ansehung der Lust und Unlust afficirt wurde, genauer untersuche, so finde ich folgenden wichtigen Unterschied. Ich hatte entweder deswegen Lust zu dem Objecte, weil ich mir von der Existenz desselben angenehme Empfindungen versprach, (dieß ist das pathologische Gefühl, z. B. wenn ich in ein Concert gehe, damit das reitzende Gemisch der Töne mich vergnüge. Hier handle ich nicht um des Gesetzes willen, sondern um angenehmer Empfindungen willen. Das Gefühl der Lust geht also vor dem Gesetze vorher): oder ich befinde mich in dem Zustande, daß die Vorstellung des Gesetzes mich bestimmt, ein Interesse an der Existenz des Objects zu nehmen.
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Dies ist das moralische Gefühl. Wenn ich zum Beispiele deswegen in ein Concert gehe, /9/ damit ich durch diese Erhohlung desto mehr Kräfte sammele, um zum Nutzen der Welt würksahm seyn zu können, so geht die Vorstellung des Gesetzes vorher, und bestimmt mich, den Besuch des Concerts zu wählen. Die Lust am Concerte folgt hier auf die Vorstellung des Gesetzes, und hängt also von dem Eindrucke ab, den diese Vorstellung auf mich macht. – Bei dem moralischen Gefühle ist es aus dem angezeigten Grunde nothwendig, daß die Vernunftvorstellung des praktischen Gesetzes vorhergegangen sey, und daß ich also die Handlungsweise der praktischen Vernunft aufgefasset habe. Ich muß es erst inne geworden seyn, was die praktische Vernunft sagt, und wie sie mir kategorisch gebiethet, was ich schlechterdings thun soll: ich muß mir erst der Nöthigung, die im Pflichtbegriffe liegt, bewust geworden seyn. Wenn alsdann diese Vernunftvorstellung des Gesetzes den innern Sinn so afficirt, daß ich an der angemessenen Handlung oder ihrer Würkung ein Interesse nehme, wenn ich also die gute Harmonie zwischen meiner praktischen Vernunft und meiner gehorchenden Sinnlichkeit gewahrnehme, so entstehet in meinem /10/ Gemüthe Lust. Es möchte also wohl diejenige Definition des Gefühls als richtig sich behaupten, welche in Gräffe‘s vollst. Lehrbuche der Katechetik Band II. Buch 2. Abschnitt § 3. so abgefasset wird; das Gefühl ist die im Bewustseyn vorgehende Auffassung des Verhältnisses, in welchem die verschiedenen Seelenkräfte zu einander stehen. Diese Definition wird durch eine Stelle der Tugendlehre Seite 15 auf das vortheilhafteste unterstützt. Kant sagt daselbst. „Es ist dem Menschen zweitens Pflicht, die Cultur seines Willens bis zur reinsten Tugendgesinnung, da nehmlich das Gesetz zugleich die Triebfeder seiner pflichtgemäßigen Handlungen wird, zu erheben, und ihm aus Pflicht zu gehorchen, welches innere moralisch-praktische Vollkommenheit ist, die, weil es ein Gefühl der Würkung ist, welche der in ihm selbst gesetzgebende Wille auf das Vermögen ausübt darnach zu handeln, das moralische Gefühl ist.“ Nach diesen Worten bestehet das moralische Gefühl in der Auffassung des Einflusses, den die praktische Vernunft auf das Vermögen zu /11/ handeln ausübt. Und so wäre denn auch das Gefühl überhaupt nichts anders, als die Auffassung des Verhältnisses, in welchem die verschiedenen Seelenkräfte und ihre Handlungsweisen zu einander stehen. Durch diese auf uns (als das Subject) allein bezogene Bemerkung der Uebereinstimmung oder des Widerstreits unserer Kräfte werden wir erst der Lust oder der Unlust fähig. Bei dem moralischen Gefühle sind die in der Einwürkung auf einander begriffene Seelenkräfte die praktische Vernunft, und die Sinnlichkeit. Wenn nun beide in Uebereinstimmung stehen, so entspringt aus dieser Auffassung die Lust, die eine unzertrennliche Gefährtin dieses Gefühls der zwischen den beiden genannten Seelenvermögen statt findenden Harmonie ist. Nach diesen Bestimmungen kann ich nun mit Kant sagen, das moralische Gefühl ist eine Empfänglichkeit für Lust oder Unlust blos
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aus dem Bewustseyn der Uebereinstimmung oder des Widerstreits unserer Handlung mit dem Pflichtgesetze. Ein fernerer Beweis, daß in der Rechtslehre die Bestimmung der wichtigsten Begriffe vorkomme, durch welche der Katechet in seinem /12/ eigenen Nachdenken zu den fruchtbahrsten Belehrungen geleitet werden kann, sey die Erklärung von der Willkühr und von dem Willen. Seite IV. V. „Das Begehrungsvermögen nach Begriffen, sofern der Bestimmungsgrund desselben zur Handlung in ihm selbst, nicht in dem Objecte angetroffen wird, heist ein Vermögen nach Belieben zu thun, oder zu lassen. Sofern es mit dem Bewustseyn des Vermögens seiner Handlung zur Hervorbringung des Objects verbunden ist, heist es Willkühr: ist es aber damit nicht verbunden, so heist der Actus desselben ein Wunsch. Das Begehrungsvermögen, dessen innerer Bestimmungsgrund, folglich selbst das Belieben in der Vernunft des Subjects angetroffen wird, heist der Wille. Der Wille ist also das Begehrungsvermögen, nicht sowohl (wie die Willkühr) in Beziehung auf die Handlung, als vielmehr auf den Bestimmungsgrund der Willkühr zur Handlung, betrachtet, und hat selber vor sich eigentlich keinen Bestimmungsgrund, sondern ist, sofern sie die Willkühr bestimmen kann, die praktische Vernunft selbst.“ Damit verbinde man Seite XXVI. und XXVII. /13/ „Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkühr die Maximen. Die letztere ist im Menschen eine freie Willkühr: Der Wille, der auf nichts anderes, als blos aufs Gesetz geht, kann weder frei noch unfrei genannt werden, weil er nicht auf Handlungen, sondern unmittelbahr auf die Gesetzgebung für die Maxime der Handlungen (als die praktische Vernunft selbst) geht, daher auch schlechterdings nothwendig, und selbst keiner Nöthigung fähig ist. Nur die Willkühr also kann frei genannt werden.“ Man kann diese Kantischen Definitionen für sich selbst lehrreich machen, wenn man sie mit den Erklärungen anderer Schriftsteller vergleicht, und dann bei sich entscheidet, warum man die eine oder die andere vorziehen zu müssen glaubt: Reinhold z. B. giebt in seinen Briefen andere Definitionen. Bei ihm bestehet das Begehrungsvermögen aus 2 Trieben, (dem eigennützigen, und dem uneigennützigen), und aus dem Willen. Der eigennützige Trieb ist auf die Sinnlichkeit gegründet und hat das Vergnügen überhaupt zum Gegenstand. Der uneigennützige Trieb, der durch sich ein nothwendiges Gesetz aufstellt, ist /14/ die praktische Vernunft. Wille heist ihm alsdann das Vermögen der Person, sich selbst zur würklichen Befriedigung oder Nichtbefriedigung einer Forderung des eigennützigen Triebes zu bestimmen. Was Reinhold den Willen nennt, heist bei Kant Willkühr, und was bei dem letzteren Wille heist, wird bei Reinhold praktische Vernunft genannt. Wenn bei Kant der Wille nicht genug von der praktischen Vernunft unterschieden zu werden scheint, so tritt hingegen bei Reinhold die Bedenklichkeit ein, daß Wille und Willkühr und Freiheit des Willens, die doch unterschieden werden müsten, mehr in Eins zusammen fallen. Bei Kant ist die Unterscheidung subtiler, aber die Art, wie Reinhold die Sache vorträgt, hat
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den Vortheil für sich, daß sie sich leichter auffassen, und mit größerer Popularität deutlich machen lässet. Durch diese kurze Vergleichung hoft Rec. doch so viel zu erhalten, daß man es auf eine etwas nähere Art einsieht, welchen reichlichen Stof zum fernern Nachdenken man in der Kantischen Rechtslehre (und so auch in der Tugendlehre) finden könne. So finden die Leser die wichtigsten Begriffe, z. B. Verbind-/15/lichkeit, Erlaubt, Pflicht, That, Person, Sache, Recht, Collision der Pflichten, Zurechung, u. s. f. auf eine Art erklärt, und bestimmt, die man nicht übersehen darf. Die Erklärungen sind oft neu, und haben ein eigenthümliches Gepräge, aber allemahl sind sie so beschaffen, daß sie für das eigene Nachdenken in einem hohen Grade fruchtbahr werden. Zum Beispiele diene Seite XXXIII. das angegebene allgemeine Princip des Rechts. „Eine jede Handlung ist recht, die, oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkühr eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze bestehen kann.“ Eben dasselbe muß nun auch von der Tugendlehre gerühmt werden. Das Reichhaltige, Interessante, und Lehrreiche dieser Schrift kann Recens. hier nur im Allgemeinen bemerklich machen, indem er die nähere Prüfung des Inhalts denjenigen Blättern überlassen muß, welche der theologischen und philosophischen Moral insbesondere gewiedmet sind. Aber desto mehr gehört die ethische Methodenlehre, welche auf die ethische Elementarlehre folgt, hieher für unsere nähere Betrachtung. Kant theilt die ethische Methoden-/16/lehre in die ethische Didaktik, und in die ethische Ascetik. „Diese letztere enthält die Regeln der Uebung in der Tugend, welche auf die zwei Gemüthsbestimmungen hinausgehen, wackern und fröhlichen Gemüths (animus strenuus et hilaris) in der Befolgung der Pflichten zu seyn.“ Dies ist von Kant mehr angedeutet, als ausgeführt, indem die ethische Ascetik nur drei Seiten einnimmt. – Was nun die ethische Didaktik anbetrift, so sagt Kant Seite 163. § 49. „Daß die Tugend könne und müsse gelehret werden, folgt schon daraus, daß sie nicht angebohren ist: Die Tugendlehre ist also eine Doctrin.“ Seite 164. § 50. „Was nun die doctrinale Methode betrift: (denn methodisch muß eine jede wissenschaftliche Lehre seyn: sonst wäre der Vortrag tumultuarisch) so kann sie auch nicht fragmentarisch, sondern muß systematisch seyn, wenn die Tugendlehre eine Wissenschaft vorstellen soll. – Der Vortrag aber kann entweder acroamatisch, da alle Andere, welchen er geschieht, bloße Zuhörer sind, oder erotematisch seyn, wo der Lehrer das, was er seine Jünger lehren will, /17/ ihnen abfrägt, und diese erotematische Methode ist wiederum entweder die, da er es ihrer Vernunft – die dialogische Lehrart, oder blos ihrem Gedächtnisse abfrägt, die katechetische Lehrart, denn wenn jemand der Vernunft des Andern etwas abfragen will, so kann es nicht anders als dialogisch, d. i. dadurch geschehen, daß Lehrer und Schüler einander wechselseitig fragen und antworten. Der Lehrer leitet durch Fragen den Gedankengang seines Lehrjüngers dadurch, daß er die Anlage zu gewissen Begriffen in demselben durch vorgelegte Fälle blos entwickelt (er ist die Hebamme
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seiner Gedanken); der Lehrling, welcher hiebei inne wird, daß er selbst zu denken vermöge, veranlast durch seine Gegenfragen (über Dunkelheit oder den eingeräumten Sätzen entgegenstehende Zweifel) daß der Lehrer nach dem docendo discimus selbst lernt, wie er fragen müsse.“ Bei diesen Worten müssen wir uns einige Zeit verweilen. Wen freut es nicht, den Königsbergischen Weltweisen von dem blinden Vorurtheile derjenigen entfernt zu sehen, die noch immer in ihrem thörichten Wahne meinen, als /18/ wenn der Unterricht der Tugend eine Sache sey[,] die sich leicht von selbst finde. Rec. kennet mehrere Männer, die in andern Fächern Gelehrsamkeit besitzen, aber, was diesen Punkt betrift, so weit zurück sind, daß sie den Unterricht der Schul-Jugend für eine leichte Sache halten, die keiner mühsahmern Vorbereitung bedürfe. Diejenigen, die so urtheilen können, ersucht Rec. das zu bedenken, was Kant von der doctrinalen Methode sagt, daß sie nicht fragmentarisch, sondern systematisch seyn müsse. Dazu gehört denn doch wohl diese Forderung, daß der Lehrer der Jugend die Materialien seines Unterrichts erst gründlich durch studiere, und dann nach festen Principien, die nicht fragmentarisch sondern systematisch sind, die Leitung seines Unterrichts ordne. Hieher gehört eine Stelle in der Vorrede zur Tugendlehre Seite VI. „Allein kein moralisches Princip gründet sich in der That, wie man wohl wähnt, auf irgend einem Gefühl, sondern ist würklich nichts anders, als dunkel gedachte Metaphysik, die jedem Menschen in seiner Vernunftanlage beiwohnt; wie der Lehrer es leicht gewahr wird, der seinen Lehrling über den Pflichtimperativ, /19/ und dessen Anwendung auf moralische Beurtheilung seiner Handlungen, sokratisch zu katechisiren versucht. – Der Vortrag desselben (die Technik) darf eben nicht allemahl metaphysisch und die Sprache scholastisch seyn, wenn jener den Lehrling nicht etwa zum Philosophen bilden will. Aber der Gedanke muß bis auf die Elemente der Metaphysik zurückgehen, ohne die keine Sicherheit und Reinigkeit, ja selbst nicht einmahl bewegende Kraft in der Tugendlehre zu erwarten ist.“ Rec. ist eben dieser Meinung, daß der Lehrer der Schuljugend über dasjenige, was er vortragen will, die gründlichsten Einsichten sich erworben haben müsse. Aber sobald sein katechetischer Vortrag an die Jugend gerichtet wird, muß Popularität und Fasslichkeit in demselben herrschend seyn, so daß die gelehrte Sprache ganz vermieden wird. Auf diese Weise hat der Herausgeber dieses Journals in seinen katechetischen Lehrbüchern immer zu handeln gestrebt. Die Regeln, nach welchen katechisirt werden muß, sind systematisch nach einem Princip geordnet, und weil jeder Unterricht sich nach den Seelenvermögen richten muß, so sind /20/ diese Regeln aus der Natur der Seelenvermögen abgeleitet. Ein solches Geschäft kann, wenn es nur einiger maßen mit Gründlichkeit geschehen soll, schlechterdings nicht ohne philosophische Untersuchungen ausgeführet werden. Sobald aber in jenen Gräffischen Lehrbüchern die Anwendung der Regeln in Katechisationen gezeigt wird, so wird man in jenen Katechisationen, welche um der tech-
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nisch-praktischen Anwendung willen, zu jeder Regel hinzugefügt wurden, keinen einzigen Terminus technicus, keinen einzigen philosophischen Ausdruck der Gelehrtensprache finden, sondern die Unterredung ist so fortgeführt, daß man sie eben so mit jedem Bauernkinde halten könnte. Und so, dünkt Rec. muß es seyn. Der Prediger, und der Katechet stehen unter der Verbindlichkeit, die Gründe dessen, was sie lehren; und die Principien der Regeln, nach welchen sie ihren Unterricht anordnen, mit der grösten philosophischen Schärfe, die ihnen nur möglich ist, zu ihrer eigenen Ueberzeugung zu durchdenken. Aber sobald sie vor dem Volke auftreten, müssen sie sich aller gelehrten Ausdrücke enthalten, und daß sie gründliche Denker sind, oder zu seyn /21/ streben, muß man nicht sowohl an den eingemischten Ausdrücken der Compendien, als vielmehr an dem Lichte, an der Klarheit, und an der Ueberzeugungskraft merken, mit welchen ihr Vortrag in die Gemüther der Zuhörer einbringt. Gesetzt, daß jemand, welcher der Kantischen Philosophie zugethan ist, in seinen Predigten oder in seinen Katechisationen von den Kategorien, von dem kategorischen Imperativ u. s. w. reden wollte, so wäre dies der gröbste Misbrauch, der von der Kantischen Philosophie gemacht werden könnte. Außer vielen andern Männern hat der D. Gräffe an mehrern Stellen seiner Lehrbücher davor ernstlich gewarnt. Als die Wolfische Philosophie noch herrschend war, begiengen die Prediger und Candidaten, welche katechisiren musten, fast immer den Fehler, daß sie in der Schulsprache der Wolfischen Philosophie fragten, z. B. Was hatte Gott für einen zureichenden Grund, als er die Welt schuf? Von einem Candidaten, der sich der Philologie gewiedmet hatte, ist mir zuverlässig erzählet worden, daß er, um die Mosaische Schöpfungsgeschichte zu erklären, die Katechumenen gefragt habe, Kinder, /22/ wie ist Moses zu diesen Nachrichten gekommen? Als sie schwiegen, fuhr er fort, Kinder, ich will es euch sagen, die Muse hat es ihm eingegeben! Wisset ihr wohl, wie viel Musen sind? U. s. w. Kann wohl etwas thörichter und abgeschmakter seyn, als dasjenige, was dieser Philologe vorbrachte? Folgt aber daraus, daß die Philologie zu diesem Misbrauche verleite? Und doch haben einige über die Kantische Philosophie so geredet, als wenn sie diejenigen, die sich ihr wiedmeten, zum populären Vortrage unfähig mache, und als wenn daher alle Freunde der kritischen Philosophie der Satyre Preis gegeben werden müsten. Sicherlich hat kein Freund der kritischen Philosophie so thöricht und abgeschmakt in einer Katechisation geredet, als der vorhin erwähnte Beflissene der Philologie. Spräche nun Jemand in einer Katechisation oder in einer Predigt mit den Kunstausdrücken seines Studiums, so ist das nicht Schuld seiner Wissenschaft, sondern Folge seiner unrechten Anwendung. In Ansehung ähnlicher Vorwürfe, die man der kritischen Philosophie gemacht hat, wollen wir Kant selbst hören. Er sagt in der Vorrede zur /23/ Rechtslehre Seite IX. X. „Von der allermindesten Bedeutung aber in Ansehung des Geistes dieser Philosophie ist wohl der Unfug, den einige Nachäffer derselben mit den Wörtern,
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die in der Critik d. r.V. selbst nicht wohl durch andere gangbahre zu ersetzen sind, treiben, sie auch außerhalb zum öffentlichen Gedankenverkehr zu brauchen, und welcher allerdings gezüchtigt zu werden verdient, wie Hr. Nicolai thut, wiewohl er über die gänzliche Entbehrung derselben in ihrem eigenthümlichen Felde, gleich als einer überall bloß verstekten Armseligkeit an Gedanken, kein Urtheil zu haben sich selbst bescheiden wird. – Indessen läst sich über den unpopulären Pedanten freilich viel lustiger lachen, als über den uncritischen Ignoranten. – Wenn aber, nach Schaftsbury’s Behauptung, es ein nicht zu verachtender Probierstein für die Wahrheit einer (vornehmlich praktischen) Lehre ist, wenn sie das Belachen aushält, so müste wohl an den critischen Philosophen mit der Zeit die Reihe kommen, zuletzt, und so auch am besten, zu lachen; wenn er die papiernen Systeme derer, die eine /24/ lange Zeit das große Wort führen, nach einander einstürzen, und alle Anhänger derselben sich verlaufen sieht; ein Schicksal, was jenen unvermeidlich bevorsteht.“ Diese aus den Kantischen Vorreden entlehnten Worte sind uns deswegen wichtig, weil sie uns den eigentlichen Sinn und die Meinung Kants über die Beschaffenheit des Vortrags noch mehr eröfnen. Es ist gegen Kants Meinung, wenn man seine Sprache dahin überträgt, wo sie nicht hingehört, zum Beispiele, wenn jemand in einer Predigt, oder in einer Katechisation den Schematismus der Begriffe erklären, oder die Wörter transscendental, a priori, sittlicher Imperativ und dergleichen gebrauchen wollte. Diesen Misbrauch, gegen welchen in Gräffe’s vollst. Lehrbuche, im ersten Bande § 75. Seite 352‒360. nachdrüklich gewarnt wird, verwirft und tadelt Kant, nach dessen Meinung die philosophische Sprache nicht außer ihrem eigenthümlichen Felde gebraucht werden darf. Wer das demohngeachtet thut, der heist bei Kant ein unpopulärer Pedant. Ein solcher Unfug verdiene gezüchtigt zu werden. Nicolai, ein Buchhändler in Berlin, /25/ der die Kantische Philosophie gern lächerlich machen wollte, und deswegen in dem 11ten Bande seiner Reisebeschreibung alle Freunde der kritischen Philosophie in einen lächerlichen Gesichtspunkt zu stellen suchte, versah es darin, daß er ohne Unterschied alle Freunde der Kantischen Philosophie beleidigte, und die Sache so vorstellte, als wenn diese Philosophie jeden, der ihr anhange, zum Pedanten mache, und die Fähigkeit, populäre Vorträge zu halten, raube. Wegen dieser Verwirrung der Begriffe nennet Kant den Berlinischen Buchhändler einen uncritischen Ignoranten, der sich darüber, was kritische Philosophie sey, und was für eine Sprache sich für sie gezieme, gar kein Urtheil anmaaßen dürfe. Der kritische Philosoph werde mit der Zeit zuletzt, und so auch am besten über solche Ignoranten, wie nehmlich Nicolai der Buchhändler sey, lachen. Daß gedachter Buchhändler von der kritischen Philosophie nichts verstehe, hat der Verfasser einer kleinen Schrift zu zeigen gesucht, die den Titel führt: Briefe über die aller-
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neueste prophetische Gukkastenphilosophie des ewigen /26/ Juden* von Eusebius Hieronymus Augustinus 1797.[²] Daß Nicolai würklich über viele Dinge rede, von welchen er nichts versteht, erhellet unter andern aus einer Stelle die, wenn Rec. sich nicht irrt, im eilften Bande seiner Reisebeschreibung steht. Hierin spottet der Buchhändler Nicolai über das so vortrefliche Schulmeister-Seminarium zu Hannover. Denn als Nicolai das Seminarium besuchte, sind die Seminaristen gerade in der wörten Zergliederung geübt worden, z. B. Joh. III. 16. Wer hat die Welt geliebt? Wen hat Gott geliebt? u. s. w. Dies findet Nicolai im höchsten Grade tadelhaft. Allein wer die Bauernkinder genauer kennt, wer überhaupt die ungeübte Denkkraft des grösten Haufens aus der Erfahrung kennen gelernt hat, der weiß, daß bei der Jugend schon überaus viel gewonnen ist, wenn sie nur erst bis dahin gebracht wird, die einzelnen Bestandtheile eines /27/ Satzes und eines Spruches zu unterscheiden. Und um diese Reflexion der Kinder zu befördern, ist die wörtliche Zergliederung bei der ungeübten, zerstreueten, und oft unfähigen Jugend unentbehrlich. Nicolai tadelte also das Hannöverische Seminarium gerade in einer Einrichtung, die völlig recht war. Und eben dies voreilige Urtheilen in Gegenständen, worin Nicolai ein gänzlicher Fremdling ist, wird im 12ten Bande der Reisebeschr. in Ansehung der kritischen Philosophie wiederholt. Besser und richtiger ist das Urtheil des Königsbergischen Weltweisen, welches hierauf hinaus kömmt: Der Gelehrte hat, wenn er über philosophische Gegenstände, noch dazu für Studierende und für Gelehrte schreibt, allerdings das Recht, der wissenschaftlichen Sprache, die seine Begriffe und Ideen am präcisesten ausdrückt, sich zu bedienen. Alsdann aber, wenn er aus diesem eigenthümlichen Gebiethe herausgeht, wenn er öffentliche Vorträge für den größern Haufen, z. B. in Predigten und Katechisationen, hält, muß er seine Kunstsprache ablegen, und den Vortheil seines philosophischen Studiums darin zeigen, daß die Gedanken durch Gründlichkeit sich /28/ auszeichnen, und durch die Art, wie sie in einer verständlichen Sprache an einander gereihet werden, am tiefsten in das Gemüth der Zuhörer eindringen. So sehr wie nun Rec. mit diesem Urtheile einverstanden ist, so wenig ist er im Stande, Kants Eintheilung des Vortrags ganz zu billigen. Die erotematische Lehrart, sagt Kant, sey entweder dialogisch, oder katechetisch. Die letztere Methode bestehe nur darin, wenn der Lehrer blos dem Gedächtnisse seiner
* Unter dem ewigen Juden wird Nicolai gemeint. Die Gukkastenphilosophie wird deswegen dem Nicoali beigelegt, weil er das Geschäft und die Natur der Seele durch einen Gukkasten treffend zu erklären glaubte!!! [Briefe über die allerneuste prophetische Guckkastenphilosophie des ewigen Juden. Nebst einem Anhange über die von dem Geheimrath Schwab in seiner neusten Preisschrift gemachten Einwürfe gegen die kritische Philosophie, von Hieronymus Eusebius Augustinus [i. e. Johann Gottfried Immanuel Berger], [Leipzig] 1797.]
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Schüler abfrage. Dies letztere, blos dem Gedächtnisse abzufragen, die katechetische Methode nennen, hält Rec. für ganz unrichtig.Wo würden wir hingerathen, wenn wir die Katechisationen in ein bloßes Gedächtnißwerk verwandeln wollten? Dies war eben der Fehler, der in allen Jahrhunderten von den ersten Zeiten der christl. Kirche bis auf unser Säculum begangen wurde, daß man den katechetischen Unterricht so betrieb, als wenn er bloße Gedächtnißsache wäre. Dies war ein schädlicher verderblicher Irrthum, der viel Böses in der Welt gestiftet hat. Man könnte sagen, daß es aber ja doch Fälle gäbe, wo die Katechumenen geprüft werden müsten, wo es /29/ also darauf ankäme, ihrem Gedächtnisse etwas abzufragen! So werden in unserem Lande die Katechumenen von den Superintendenten examinirt, ob sie die gehörige Tüchtigkeit haben, zum Genusse des Abendmahls hinzugelassen zu werden. Allein selbst bei diesen Fragen, die blos um des Examinirens willen gethan werden, würde der Examinator fehlerhaft handeln, wenn er bloß prüfen wollte, ob die Kinder, und was sie im Gedächtnisse behalten hätten? Der Examinator muß ja offenbahr auch die Untersuchung anstellen, ob der Verstand der Kinder, und so auch alle ihre übrigen Seelenkräfte die gehörige Bildung und Entwickelung erhalten haben. Also selbst in diesem Falle, wo es doch am ersten scheinen könnte, daß es blos auf das Gedächtniß abgesehen sey, ist es ganz unrichtig, die Beschäftigung des Gedächtnisses zur Hauptsache zu machen. Jeder katechetische Unterricht soll dahin streben, den Verstand zu schärfen, das Gefühlvermögen zu cultiviren, und das Herz zu bilden, das ist Zweck jeder Katechisation, darum gehört dasjenige, was Kant zur dialogischen Lehrart rechnet, ebenfalls in den Bezirk der katechetischen Methode. /30/ Daß diese Art, die katechetische Methode anzusehen, Kanten selbst, zu der Zeit, als er die Vorrede zur Tugendlehre schrieb, nahe vor Augen schwebte, erhellet daraus, weil er Vorrede Seite VI. von dem Lehrer dies fordert, daß er es verstehe, über den Pflichtimperativ und dessen Anwendung auf die Handlungen sokratisch zu katechisiren. Die Eintheilung, die in der Tugendlehre Seite 164. 165. gemacht ist, müste also auf diese Weise berichtigt werden der Vortrag des Lehrers, ist entweder I acroamatisch, da alle Andere, welchen er geschieht, bloße Zuhörer sind. 1) scientivisch, bei den Vorträgen in den akademischen Hörsählen 2) populär, bei öffentlichen Vorträgen in Predigten, Homilien und Beichtreden oder II erotematisch, wenn der Lehrer sich der Fragen bedient 1) eristisch oder dialektisch bei erwachsenen, und gebildeten Personen, bei welchen eine freiere Unterredung, die durch Zweifel, Einwürfe und Argumentationen fortgehet, statt findet. Von dieser Art sind die /31/ Gespräche in Moses Mendelssohns vermischten Schriften, mehrere Gespräche in Engels Philosoph für die Welt, besonders das witzige Gespräch der Habicht, im
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zweiten Theile Seite 24– 47; Giordano Bruno Nolano de l‘ infinito universo et Mondi. In Venetia 1584; und andere 2) katechetisch, wenn der Lehrer es mit Unfähigen, mit ungeübten und mit Anfängern zu thun hat, wo jeder Begrif erst sorgfältig vorbereitet werden muß. a) Katechisationen in der Schule b) Katechisationen bei dem Pfarrunterrichte der Confirmanden c) Katechisationen in der Kirche d) Katechisationen eines Hauslehrers mit seinen Eleven e)–g) Katechisationen mit Kranken, mit Missethätern, und mit Personen, die beeidiget werden sollen. Alle diese Katechisationen haben den Zweck, den ganzen Menschen zu bessern, und folglich alle Seelenkräfte in dem gehörigen Verhältnisse zu cultiviren. /32/ Aus dieser Classification wird hinlänglich erhellen, warum Recens., der übrigens die kritische Philosophie für die allein wahre anerkennt, die Kantische Bestimmung der katechetischen Lehrart als unrichtig ganz verwerfen muß. – Im 51ten Paragraphen handelt Kant von dem moralischen Katechism als dem ersten und nothwendigsten doctrinalen Instrumente der Tugendlehre für den noch rohen Zögling. Er liefert Seite 168. folg. ein Bruchstück eines solchen moralischen Katechisms, dessen Anfang wir hieher setzen müssen. „Der Lehrer – L. frägt der Vernunft seines Schülers – S. dasjenige ab, was er ihn lehren will, und wenn dieser etwa nicht die Frage zu beantworten wüste = 0, so legt er sie ihm (seine Vernunft leitend) in den Mund.“ „L.Was ist dein gröstes, ja dein ganzes Verlangen im Leben? S = 0. – L. Daß es dir Alles und immer nach Wunsch und Willen gehe. L. Wie nennt man einen solchen Zustand? S = 0. /33/ L. Man nennt ihn Glückseligkeit (das beständige Wohlergehen, vergnügtes Leben, völlige Zufriedenheit mit seinem Zustande.) L.Wenn du nun alle Glückseligkeit (die in der Welt möglich ist) in deiner Hand hättest, würdest du sie alle für dich behalten, oder sie auch deinen Nebenmenschen mittheilen? – S. Ich würde sie mittheilen; Andere auch glücklich und zufrieden machen. L. Das beweist nun wohl, daß du noch so ziemlich ein gutes Herz hast; laß aber sehen ob du dabei auch guten Verstand zeigst. – Würdest du wohl dem Faullenzer weiche Polster verschaffen, damit er im süßen Nichtsthun sein Leben dahin bringe, oder dem Trunkenbolde es an Wein, und was sonst zur Berauschung gehört, nicht ermangeln lassen, dem Betrüger eine einnehmende Gestalt und Manieren geben, von Andere zu überlisten, oder dem Gewaltthätigen Kühnheit und starke Faust, um Andere überwältigen zu können? Das sind ja so viel Mittel,
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die ein jeder sich wünscht, um nach seiner Art glücklich zu seyn. – S. Nein das nicht. /34/ L. Du siehst also, daß, wenn du auch alle Glückseligkeit in deiner Hand hättest, du jene doch nicht ohne Bedenken jedem, der zugreift, Preis geben, sondern erst untersuchen würdest, wie fern ein jeder der Glückseligkeit würdig wäre. – L. Für dich selbst aber würdest du doch wohl kein Bedenken haben, dich mit Allem, was du zu deiner Glückseligkeit rechnest, zuerst zu versorgen? S. Ja. – L. Aber kommt dir da nicht auch die Frage in Gedanken, ob du wohl selbst auch der Glückseligkeit würdig seyn mögest? S. Allerdings. L. Das nun in dir, was nur nach Glückseligkeit strebt, ist die Neigung; dasjenige aber, was deine Neigung auf die Bedingung einschränkt, dieser Glückseligkeit zuvor würdig zu seyn, ist deine Vernunft, und daß du durch deine Vernunft deine Neigung einschränken und überwältigen kannst, das ist die Freiheit deines Willens.“ U. s. f. Wenn man den Gang und die Richtung der Gedanken betrachtet, durch welche Kant auf das Resultat zueilt, daß die Neigung von der Vernunft eingeschränkt werde; so wird man dem /35/ achtungswürdigsten Greise seinen Beifall nicht versagen. Aber so viel wird auch ohne des Rec. Erinnerung klar seyn, daß der Vortrag nach Construction und Einkleidung betrachtet für den größern Haufen nicht genug Faßlichkeit habe. Sollte ein Katechismus, der so wie dieses Bruchstück abgefasset ist, mit der Schuljugend vorgenommen werden, so müste sie schon so weit seyn, daß sie mit der grösten Fertigkeit läse, und mehrere Sätze und Perioden zu übersehen im Stande wäre, eine Forderung, die man eben nicht von dem größern Haufen erfüllt zu sehen erwarten darf. Doch dies gereicht der von Kant gelieferten Probe eines moralischen Katechismus zu keinem Vorwurfe, da Kant nur den Inhalt, und die Gedanken eines solchen Katechismus angeben will. Denn er erinnert selbst Seite 166, daß ein solcher Katechismus „den didactischen Regeln der ersten Unterweisung (der Form nach) angemessen werden müste.“ § 51. erinnert Kant noch ausdrücklich, daß der moralische Katechismus vor dem Religionskatechismus hergehen müste, denn nur durch rein /36/ moralische Grundsätze könne der Ueberschritt von der Tugendlehre zur Religion gethan werden.
10 [Dietrich Tiedemann, in:] Neue allgemeine deutsche Bibliothek [Verf.: Bs.]. Kiel: Carl Ernst Bohn. Bd. 42, 1799, S. 28‒53. [Zugleich Rezension von: Metaphysik der Sitten. Zweiter Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. 188 S. – Königsberg: Friedrich Nicolovius 1797.] /28/ […] Daß in diesen Schriften des berühmten Königsberger Philosophen viel Neues, viel von der bisherigen Einrichtung bey der Wissenschaften Abweichendes, viel Eigenes und viel sehr subtil Gedachtes enthalten ist, weiß man schon aus andern Anzeigen zur Genüge; auch Rec. stimmt hierin mit seinen Vorgängern überein. Man kann von einem Beurtheiler der Bücher mehr nicht verlangen, als daß er aufrichtig, und ohne /29/ Leidenschaft anzeige, wie er die ihm vorliegenden Schriften gefunden hat, und daß er dieß Urtheil nach seinen ihm beywohnenden Grundsätzen und Ueberzeugungen abfasse. Wenn wir daher in das Lob nicht einstimmen, welches den Behauptungen des großen Mannes von Mehreren ertheilt worden ist, und wenn wir davon unsere Gründe angeben: so wird man uns dieß nicht verargen können. Daß es nicht ganz gern geschiehet, begreift man ohnehin leicht, weil es angenehmer und weniger beschwerlich ist, mit dem Strome, als gegen den Strom zu schwimmen. Vom Naturrechte zuerst. Daß hier davon eigentlich die Rede sey, wiefern zu gewissen Handlungen Zwang gebraucht werden dürfe, nimmt der Verf. mit Recht an. Möchte sein Ansehen es dahin bringen, daß die so oft geschehene, und noch von Freunden der kritischen Philosophie wieder aufgefrischte Vermischung von der Rechtslehre und Tugendlehre in Zukunft ganz aufhörte, und dieser Punkt wenigstens entschieden würde! Neu und eigen ist ihm hierbey, daß er die ganze Rechtslehre als eine Wissenschaft a priori angesehen haben will, so daß wenigstens der erheblichste Theil derselben in ein System a priori, aus bloßen Begriffen, gebracht werden könne; so glauben wir wenigstens das in der Einleitung (S. X.) Gesagte verstehen zu müssen. Hiergegen aber erheben sich bey uns nicht geringe Bedenklichkeiten; nicht einmal daß ich bin, weiß ich a priori; nicht, daß neben mir andere vernünftige Wesen vorhanden sind, weiß ich a priori; nicht, daß ich mit diesen in gewissen nähern Verhältnissen des Ortes und der Zeit stehe, weiß ich a priori; nicht endlich, daß ich und sie gewisser lebloser Dinge bedürfen, daß wir etwas davon besitzen und erwarten müssen, weiß ich a priori. Daraus ergiebt sich, daß ich von den Rechten in Ansehung ihrer, in Ansehung der leblosen Dinge, https://doi.org/10.1515/9783110702996-012
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in Ansehung der Verträge und wahren gesellschaftlichen Verbindungen mit ihnen, a priori nichts bestimmen, und folglich ein System der Rechtslehre, wie das gegenwärtige, aus bloßen Begriffen nicht errichten kann. Gern legten wir die Substanz dieser, von allen vorhergehenden sich entfernenden Einleitung, worin die ersten Grundlagen des Systems bekannt gemacht worden, dem Leser vor; allein sehr vieles davon zieht sich in des Verf. ganz eigene Theorie von der Freyheit hinein, die uns noch nicht ganz verständlich hat werden wollen, und wovon wir deßhalb aus-/30/ser Stande sind etwas anzuführen. Wir müssen uns daher begnügen, einige einzelne, besonderes merkwürdige, Lehren anzueignen. Ohne Zweifel gehört hieher, was von dem neuen Grundsatze des Rechts, welchen der Verf. aufstellt, hier erwähnt wird. Der oberste Grundsatz der Sittenlehre, heißt es (Einleit. S. XXVI.), ist: handle nach einer Maxime, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann. Wir verstehen das nach andern Behauptungen kritischer Philosophen so, daß aus diesem Satze der Grundsatz des Naturrechts sowohl als der Ethik hergeleitet werden soll; daß also beyde Wissenschaften ein gemeinschaftliches Fundament haben. Das allgemeine Princip des Rechts wird (S.XXXIII) folgendergestalt dargestellt. Eine jede Handlung ist recht, die, oder nach deren Maxime die Freyheit der Willkühr eines jeden mit jedermanns Freyheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann. Dieser Satz nun folgt, unsers Erachtens nicht aus dem vorhergehenden; theils weil hier von der Freyheit der Willkühr die Rede ist, die dort nicht erwähnt wird, und theils weil dieser Satz etwas aussagt, wovon dort auch nicht die Rede seyn konnte, nämlich den Gebrauch des Zwanges. Eben darum ist der Verf. genöthigt, den letzten Punkt besonders zu erweisen. Noch hieraus wäre, dünkt uns, klar, daß Naturrecht und Tugendlehre unter einem obersten Grundsatz nicht stehen können; und der Verf. würde sich um beyde Wissenschaften neues Verdienst erwerben, wenn er sein Ansehen auch zu Abstellung dieser Verwirrung verwendete. Was nun diesen Grundsatz des Naturrechts anlangt: so können wir nicht umhin, mit einigen Erinnerungen ihn zu begleiten; in Hoffnung nämlich, dadurch etwas zu seiner mehreren Bestimmung beyzutragen. Zwar hegen wir diese Hoffnung nicht in Ansehung des Vf. selbst und der kritischen Philosophen; denn daß diese einmal aufgestellten Sätze zurücknehmen oder berichtigen, davon ist uns noch kein Beyspiel vorgekommen, wenn wir eins etwa ausnehmen; aber doch in Ansehung anderer, die durch sich selbst diese Gegenstände etwa untersuchen werden. Zuerst scheint hier eine etwas zu große Weitläuftigkeit Dunkelheit hervorzubringen; sollte man nicht besser sagen können, eine jede Handlung ist recht, wodurch der Freyheit keines andern Eintrag geschieht? und sollte dies nicht um ein Beträchtliches deutlicher seyn? Zweytens mußte /31/ billig auch dies Wort recht vorher genauer bestimmt und mehr erörtert werden, damit man bestimmt und klar wisse, was eigentlich damit gemeint sey; dann würde sich, denken wir,
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ergeben, daß dieser Satz noch einer kleinen Beyfügung bedürfe, um in der ganzen Wissenschaft anwendbar zu seyn. Er mußte nämlich wohl so lauten: zu keiner Handlung darf Jemand gezwungen werden, die mit Jedermanns Freyheit der Willkühr bestehen kann, und sollte Jemand einer solchen Handlung sich entgegen setzen: so darf man ihn mit Gewalt davon abbringen. Hier wird mir bloß gesagt, in wiefern meine Handlung in Rücksicht auf andere recht ist; nicht aber, in wiefern anderer Handlungen in Beziehung auf mich recht sind. Auch hierüber muß aber ein Rechtsgrundsatz Auskunft geben; also musste auch hinzugefügt werden: eine jede Handlung ist recht, wodurch meiner Freyheit der Willkühr kein Eintrag geschieht, und von solchen andere abzuhalten, darf ich Zwang gebrauchen. Daß nun das Recht mit der Befugniß zu zwingen verbunden ist, sucht der Verf. (S. XXXV.) zu erweisen. Der Beweis lautet so: der Widerstand, der dem Hindernisse einer Wirkung entgegen gesetzt wird, ist eine Beförderung dieser Wirkung, und stimmt mit ihm zusammen. Nun ist alles, was Unrecht ist, ein Hinderniß der Freyheit nach allgemeinen Gesetzen; der Zwang aber ist ein Hinderniß oder Widerstand, der der Freyheit geschieht. Folglich, wenn ein gewisser Gebrauch der Freyheit selbst ein Hinderniß der Freyheit nach allgemeinen Gesetzen (d. i. unrecht) ist: so ist der Zwang, der diesem entgegen gesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freyheit mit der Freyheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmend, d. i. recht; mithin ist mit dem Rechte zugleich eine Befugniß, den, der ihm Abbruch thut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs, verknüpft. Sehr deutlich ist dieser Beweis bey aller seiner Neuheit nun wohl eben nicht; denn man erblickt nicht, wo eigentlich der Widerspruch liegen soll. Dem ließe sich indeß noch abhelfen; und wofern wir anders die Meinung recht verstehen, und es wagen dürfen, in Gedanken aus der kritischen Philosophie Licht zu bringen: so würden wir die Sache etwa so darstellen: ich darf alles, wodurch der Willkühr eines andern kein Eintrag geschieht; darf nun der andere in einem solchen Falle mir Zwang entgegensetzen: so darf ich das nämliche nicht; ich darf es also, und darf es auch nicht. Da nun dieß widersprechend ist: so darf ich in diesem Falle seinen Zwang durch /32/ gehörigen Gegenzwang abwehren. Hieraus erhellt, daß, diesem Grundsatze zufolge, der Zwang nur dann Statt hat, wenn ein anderer mir Zwang anthut; und daß folglich hiedurch weniger, als soll, erwiesen wird. Zwang darf auch dann gebraucht werden, wenn der Andre mir keine Gewalt anlegt, wenn er meine Ehre, das ist, meinen ehrlichen Namen schmälert; wenn er mir heimlich etwas entwendet; wenn er mir das Versprochene nicht leisten will. Auch kann hieraus nicht erwiesen werden, daß man den mit Gewalt zur Wiedererstattung anhalten darf, der durch List oder Betrug uns um das Unsrige gebracht hat; denn er hat sich keiner Gewalt gegen uns bedient. So erhellt auch zugleich, daß der Grundsatz selbst zu eng ist; er spricht nur davon, wenn die Freyheit der Willkühr von zweyen sich entgegensteht, d. i. wenn zwey entgegen-
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stehende Bestrebungen haben. Im Rechte aber muß auch davon geredet werden, wenn einer des andern Körper, oder ehrlichen Namen, oder Eigenthum auf irgend eine Art angreift. Wir werden in der Folge Gelegenheit haben zu zeigen, daß die Lehre vom Erwerb des Eigenthums eben wegen dieser zu großen Enge des Grundsatzes dem Verf. viele vergebene Mühe macht. Daß übrigens der Verf. dieses Punktes der freyen Willkühr in dem Grundsatze schon Erwähnung gethan hat, halten wir für eine sehr nöthige und heilsame Berichtigung der vormaligen Ideen über diesen Grundsatz, da wir der Meinung sind, daß er hier allerdings eines der erheblichsten Momente ausmacht. Das Nothrecht verwirft der Verf. (S. XLI) gänzlich. Es fällt in die Augen, sagt er, daß hierin ein Widerspruch der Rechtslehre mit sich selbst enthalten seyn müsse; denn es ist hier nicht von einem ungerechten Angreifen die Rede, sondern von einer erlaubten Gewaltthätigkeit gegen den, der keine gegen mich ausübt. Auch hieraus erhellt die Unzulänglichkeit seines Grundsatzes; denn um nun doch das Nothrecht, gegen allen Ausspruch des gesunden Menschenverstandes, nicht ganz zu vernichten, ist er genöthigt, es dadurch, wie durch eine Hinterthüre, einzulassen, daß über Nothfälle kein Strafgesetz Statt finden könne. Daraus aber würde folgen, daß im außergesellschaftlichen Stande, und ohne alle bürgerliche Gesetzgebung kein Nothrecht Statt fände; welches doch gegen die gesunde Menschenvernunft auch anstößt. Hätte er in seinen Grundsatz auch das aufgenommen, daß /33/ jeder berechtigt ist, sich zu erhalten, und zur Erhaltung seines Daseyns Zwang und Gewalt zu gebrauchen; daß ferner im außergesellschaftlichen Zustande einer den andern zu keinen Dienstleistungen verpflichtet, und mithin jedem sein Leben, Daseyn, und überhaupt, was ihn selbst angeht, vorzüglicher ist, als das nämliche bey andern: so würde er auch dieses Recht nicht verworfen haben. Die angebornen Rechte werden (S. XLV) alle auf ein einziges, die Freyheit, zurückgeführt; denn die angeborne Gleichheit, die Qualität des Menschen, sein eigener Herr zu seyn; imgleichen die eines unbescholtenen Menschen (iusti), weil er vor allem rechtlichen Act kein Unrecht gethan hat; endlich auch die Befugniß das gegen andere zu thun, was an sich ihnen das Ihre nicht schmälert, wenn sie sich dessen nur nicht annehmen wollten; dergleichen ist, ihnen etwas zu erzählen, oder zu versprechen, es sey wahr und aufrichtig, oder unwahr und unaufrichtig (veriloquium aut falsiloquium), weil es bloß auf ihnen beruht, ob sie ihm glauben wollen, oder nicht; alle diese Befugnisse liegen schon im Princip der angebornen Freyheit, und sind wirklich von ihr nicht (als Glieder der Eintheilung unter einem höhern Rechtsbegriff) unterschieden. Einiges hievon liegt freylich in dem Begriffe der Freyheit; aber schwerlich alles; denn daß eine Lüge (mendacium) nicht erlaubt ist, kommt nicht aus der Freyheit, sondern allein daher, weil dadurch jemand Schaden leidet, oder lädirt wird, und zwar nicht bloß an seiner Freyheit, sondern auch in Ansehung seines Körpers, seiner Gesundheit, u. s. w.
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Auch das entspringt nicht aus der Freyheit, daß man befugt ist, zur Erhaltung seines Körpers, und dessen Integrität Gewalt zu gebrauchen; wenigstens wüßten wir nicht, wie man es daraus ungezwungen herleiten wollte. In Rücksicht der innern Einrichtung des Gebäudes hat des Verf. Naturrecht eine von allen bisherigen ganz abweichende Gestalt. Es zerfällt ihm in zwey Haupttheile: das Privatrecht, oder den Inbegriff derjenigen Gesetze, die keiner öffentlichen Bekanntmachung bedürfen; und das öffentliche Recht, oder den Inbegriff derjenigen Gesetze, die einer öffentlichen Bekanntmachung bedürfen. Unter ersteren sind wieder folgende Hauptstücke enthalten: von der Art, etwas Aeußeres als das Seine zu haben; von der Art, etwas Aeußeres zu erwerben; vom Sachenrechte; vom persönlichen /34/ Rechte; von dem auf dingliche Art persönlichen Rechte; von der idealen Erwerbung; von der subjektiv bedingten Erwerbung vor einer Gerichtsbarkeit. Unter Letzterem kommt das Staatsrecht, das Völkerrecht und das Weltbürgerrecht vor. Der Abschnitt von dem Rechte eines Beleidigten fehlt gänzlich; das allgemeine Gesellschaftsrecht ist gleichfalls ausgefallen; das Eherecht hingegen, nebst dem Rechte der Aeltern und der Herren und Bedienten, wird unter das auf dingliche Art persönliche Recht, eine ganz neue Erfindung des Verf., gebracht; das Weltbürgerrecht endlich ist unsers Erachtens, obgleich es gleichfalls von des Verf. Erfindung ist, gänzlich unstatthaft. Die Lehre von der Erwerbung einer Sache (res), im juridischen Verstande, handelt der Verf. sehr weitläuftig ab; es hat uns aber nicht gelingen wollen, hierin Deutlichkeit und Bündigkeit zu entdecken. Da er in seinem Grundsatze des Naturrechts darauf keine Rücksicht nahm, daß jeder das Recht hat, sich selbst, sein Leben, seinen Körper zu erhalten und daß zu dieser Erhaltung schlechterdings Eigenthum gewisser Sachen nothwendig ist: so konnte er die Apprehension und Occupation aus den gewöhnlichen Quellen nicht herleiten; sein Scharfsinn ermangelt zwar nicht, ihm eine andere zu eröffnen; aber er verliert sich dabey in solche Subtilitäten und Abstractionen von einem sinnlichen und intelligiblen Besitze, daß wenigstens wir ihm nicht haben folgen können. Ob andere es mehr im Stande sind, mögen sie sehen. Noch mehr! er verwickelt sich in etwas, das in unsern Augen nichts Geringeres, als ein Widerspruch, ist. Er behauptet nämlich, etwas Aeußeres, als das Seine, zu haben, sey nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich gesetzgebenden Gewalt, d. i. im bürgerlichen Zustande, möglich; denn wenn ich (nach S. 72) wörtlich oder durch die That erkläre, ich will, daß etwas Aeußeres mein seyn solle: so erkläre ich jeden andern für verbindlich, sich des Gegenstandes meiner Willkühr zu enthalten; eine Verbindlichkeit, die Niemand ohne diesen meinen rechtlichen Act haben würde. In dieser Anmaßung aber liegt zugleich das Bekenntniß, jedem andern in Ansehung des äußern Seinen wechselseitig zu einer gleichen Enthaltung verbunden zu seyn; denn die Verbindlichkeit geht hier aus einer allgemeinen Regel des äußern rechtlichen Ver-
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hältnisses hervor. Ich bin also nicht verbunden, das äußere /35/ Seine des andern unangetastet zu lassen, wenn mich nicht jeder andere dagegen auch sicher stellt, er werde in Ansehung des Meinigen sich nach eben demselben Princip richten. – Nun kann der einseitige Wille in Ansehung eines äußern, mithin zufälligen, Besitzes nicht zum Zwangsgesetze für Jedermann dienen, weil das der Freyheit nach allgemeinen Gesetzen Abbruch thun würde. Also ist nur ein jeden andern verbindender, mithin collectiv-allgemeiner (gemeinsamer) und machthabender, Wille derjenige, welchen Jedermann zur Sicherheit leisten kann. Hier hat also Jedermann die Verbindlichkeit, sich dessen zu enthalten, was ich (versteht sich, auf rechtliche Art) zu dem Meinen mache. Hätte er die nicht: so wäre jener Act der Occupation gänzlich unwirksam, und weiter nichts, als eine leere Formalität. Es hat aber auch Jedermann diese Verbindlichkeit nicht, weil keiner verbunden ist, das äußere Seine des andern unangetastet zu lassen, wenn nicht jeder andere ihn sicher stellt, er werde in Ansehung dessen, was ihm gehört, sich nach eben demselben Princip verhalten. Wie diesem Widerspruche zu entgehen ist, sehen wenigstens wir nicht. Auch ist der Satz nicht zulässig, daß der einseitige Wille in Ansehung eines äußern Besitzes nicht zum Zwangsgesetze für Jedermann dienen kann, weil das der Freyheit nach allgemeinen Gesetzen Abbruch thun würde. Das kann dieser Wille allerdings, so bald man nämlich hinzufügt, daß die meisten Sachen von der Art sind, daß nur einer sie gebrauchen, und zur Erhaltung seines Daseyns anwenden kann, und daß man zu dessen Erhaltung Zwang anzuwenden befugt ist. Auch hieraus erhellt also die Unzulänglichkeit vom Grundsatze des Verf. von neuem. Wie mit dieser Theorie des Verf. Behauptung bestehen könne, daß im Naturzustande ein wirkliches, aber nur provisorisches äußeres Mein und Dein Statt haben kann, will uns wieder nicht sonderlich einleuchten. Nach dem Obigen ist in diesem Zustande keiner verbunden, das äußere Seine des andern unangetastet zu lassen; also auch keiner berechtigt, sein Eigenthum gegen gewaltsame Eingriffe des andern zu vertheidigen. Ein Eigenthum aber, daß ich nicht vertheidige; das jeder andere an sich reißen darf, ist denn doch wohl in der That und Wahrheit keins; mithin kein wirkliches. Man sieht, der Verfasser verwickelt sich in seine eignen Subtilitäten immer mehr und mehr, und sucht durch bloße Nominaldistinction sich selbst und andern Blendwerke vorzumachen. /36/ Unter dem Titel vom persönlichen Rechte wird die Lehre von den Verträgen abgehandelt. Auch hier trägt der Verf. manches Neue, und sonst nicht Erhörte vor. Die Hauptschwierigkeit bey der Lehre von den Verträgen ist, woher es komme, daß der Promissar ein Recht erlangt, den Promittenten zur Erfüllung seiner Zusage zu zwingen? Diese sucht unser Verf. zu heben; ohne jedoch sie ausdrücklich namhaft zu machen; wodurch denn die Sache in Dunkelheit gehüllt wird. Ueberhaupt hat er die Gewohnheit, die zu erklärenden Sätze nicht ganz bestimmt vorher aufzustellen, und des Lesers Augenmerk auf das zu richten,
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worauf es hauptsächlich ankommt; welches eine sehr häufige Quelle der Dunkelheit seines Vortrages ist. Die Lösung der Aufgabe ist folgende: weder durch den besondern Willen des Promittenten, noch durch den des Promissars geht das Seine des erstern zu dem letztern über; sondern nur durch den vereinigten Willen beyder: mithin in sofern beyder Wille zugleich erklärt wird. Nun ist aber dieß durch empirische Actus der Declaration, die einander nothwendig in der Zeit folgen müssen, und niemals zugleich sind, unmöglich. Denn wenn ich versprochen habe, und der andere nun acceptirt: so kann ich während der Zwischenzeit es mich gereuen lassen, weil ich vor der Acceptation noch frey bin; allein da dieß Verhältniß als ein rechtliches rein intellectuell ist: so wird von jenen empirischen Bedingungen abstrahirt (S. 98). Irren wir nicht: so soll hier der Quell von der Befugniß zum Zwange darin gesucht werden, daß im Augenblick des Versprechens und der Acceptation beyder Wille nur einer, mithin der Wille des Promittenten dem des Promissars, unterwürfig, und dessen völliger Disposition, also auch dem Zwange untergeordnet sey. Darin hat nach unserm Urtheil der Verf. recht, daß der Grund des Zwanges zur Erfüllung eines Vertrages in der Unterordnung eines Willens unter den andern gesucht werden muß. Daß aber beyder Wille vereinigt, als einer, angesehen werden müsse, ist wohl übertriebene Subtilität und mithin auch, was von dem rechtlichen Verhältnisse als einer bloß intelligiblen hinzugefügt wird. Der Promittent macht sich, indem er seine Zusage thut, zugleich anheischig, die Entschließung des andern zu erwarten; und kann also nicht auf der Stelle pointiren, sondern muß die Gegenerklärung abwarten, das ist, dem Promissar so viel Zeit lassen, als erforderlich ist, ja oder nein zu sagen. Sonst artete das Ver-/37/sprechen in eine Art eines leeren Kinderspiels aus; er erklärte etwas, und erklärte auch nichts, wie wenn Kinder manchmal scherzweise zu einander sagen, ich will dir mein Spielzeug schenken − − nicht. Das auf dingliche Art persönliche Recht, von welchem und dessen Arten S. 105 ff. gehandelt wird, ist eine ganz neue Erfindung des Verf., welcher darunter das Eherecht und das Familienrecht begreift. Seine Erklärung lautet so: es ist das Recht des Besitzers eines äußern Gegenstandes als einer Sache, und des Gebrauchs desselben als einer Person. Hierin aber liegt schon, nach unsern Begriffen, ein Widerspruch; denn wenn ich einen äußern Gegenstand als eine Sache besitze: so habe ich doch eben dadurch unläugbar auch das Recht, ihn als eine Sache zu gebrauchen. Was hieße es sonst, das Recht haben, ihn als eine Sache zu besitzen? Was ich nicht als Sache gebrauchen darf, darüber habe ich auch kein Recht, als über eine Sache; also auch kein Recht, es als Sache zu besitzen. Darf ich aber einen solchen Gegenstand als Sache gebrauchen: so ist klar, daß ich ihn nicht zugleich als Person bloß gebrauchen darf. Man setze ferner, daß es möglich sey, in gewisser Rücksicht an Personen, als an Sachen, ein Recht zu haben: so würde man sie, in sofern sie Sachen sind, gleich andern Sachen verkaufen, ver-
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schenken, zerstören dürfen; also an einigen ihrer Theile alle Eigenthumsrechte ausüben können. Hiervon ist uns aber bis jetzt noch nichts bekannt geworden.Wir wissen nicht, daß in der Ehe der Mann über gewisse Theile der Frau wahres Eigenthumsrecht ausgeübt hätte, oder hätte ausüben dürfen. Der Sonderbarkeit halber wollen wir doch das hersetzen, was der Verf. über den Grund der ehelichen Rechte sagt. Ihm zufolge ist nämlich bloß in der Ehe die Befriedigung der Geschlechtslust erlaubt; ein Satz, wovon zwar die Ethik, aber doch die Rechtslehre bis hieher nichts gewußt hat; ein Satz, der auch dazu keinen sonderlichen Sinn geben will, man mag ihn wenden, wie man will. Soll er sagen, es darf Jeder zur Verheyrathung gezwungen werden? das kann er schwerlich; soll er behaupten, daß jeder, der seinen Geschlechtstrieb befriedigen will, zur Ehe gezwungen werden kann? auch das kann er nicht wohl. Wie reimt sich das mit dem Satze, daß jeder von der Gesellschaft unumschränkter Herr über sich selbst ist? und wer wird dadurch beleidigt, wenn beyde Theile einander außer der Ehe zu Gefallen seyn wollen? /38/ Man höre den Verf.: der natürliche Gebrauch, den ein Geschlecht von den Geschlechtsorganen des andern macht, ist ein Genuß, zu dem sich ein Theil dem andern hingiebt. In diesem Act macht sich ein Mensch selbst zur Sache, welches dem Rechte des Menschen an seiner eigenen Person widerstreitet. Nur unter der einzigen Bedingung ist dieses möglich, daß, indem die eine Person von der andern gleich als Sache erworben wird, diese gegenseitig wiederum jene erwerbe; denn so gewinnt sie wiederum sich selbst, und stellt ihre Persönlichkeit wieder her. Es ist aber der Erwerb eines Gliedmaßes am Menschen zugleich Erwerbung der ganzen Person, weil diese eine absolute Einheit ist; folglich ist die Hingebung und Annehmung eines Geschlechts zum Genuß des andern nicht allein unter der Bedingung der Ehe zulässig, sondern auch allein unter derselben möglich (S. 108). Hierüber nur noch ein Paar Anmerkungen. Zuerst, wo ist erwiesen, daß Niemand sich selbst zur Sache machen darf, im rechtlichen Verstande nämlich? Wenn er es selbst will, wer darf ihn mit Gewalt davon zurückhalten? wer verliert dabey etwas? Zweytens, wenn in der Ehe beyde Eheleute ihre ganzen Personen erwerben: so ist ja einer des andern vollkommener Sclave; mithin kann keine Ehe eine gleiche Gesellschaft seyn; so hat jeder das Recht, den andern zu verkaufen, zu vertauschen, zu verschenken; mithin gewinnt keiner sich selbst wieder. Wir übergehen der Kürze halber Mehreres, um vom öffentlichen, oder Staatsrechte noch Einiges anzuführen. Dem Verf. zufolge hat jeder das Recht, den andern zur Errichtung einer bürgerlichen Gesellschaft mit ihm zu zwingen. Der Satz ist neu, man höre den Beweis: Niemand ist verbunden, sich des Eingriffs in den Besitz des andern zu enthalten, wenn dieser ihm nicht gleichmäßig auch Sicherheit giebt, er werde eben dieselbe Enthaltsamkeit gegen ihn beobachten. Er darf also nicht abwarten, bis er etwa durch eine traurige Erfahrung von der ent-
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gegengesetzten Gesinnung des andern belehrt wird; denn was sollte ihn verbinden, allererst durch Schaden klug zu werden, da er die Neigung der Menschen überhaupt, über andere den Meister zu spielen, in sich selbst hinreichend wahrnehmen kann; und es ist nicht nöthig, die wirkliche Feindseligkeit abzuwarten; er ist zu einem Zwange gegen den befugt, der ihm schon seiner Natur nach damit /39/ droht (S. 157). Auf diese Weise wären also jede Kriege gerecht; jeder Staat darf jeden bekriegen, der mit ihm sich nicht zur Einheit verbunden hat, eben weil er von ihm diese Sicherheit noch nicht hat. Auf diese Weise darf jeder Staat den andern zwingen, mit ihm unter eine Oberherrschaft zu treten, und ihn bekriegen, so lange dieß nicht geschehen ist. Auf diese Weise ist der rechtliche Zustand der Staaten gegen einander der eines belli omnium contra omnes. Man hätte erwarten sollen, daß in Gemäßheit dieses der Verf. alle Rechte im Staate aus dem Vertrage herleiten würde, auf welchem der Staat beruht; das thut er aber nicht, sondern er gründet sie, wir wenigstens wissen nicht worauf, und eben darum kommt uns dieser Theil der Rechtslehre am wenigsten gründlich vor. Den Staat erklärt er durch eine Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen. Sofern diese als Gesetze a priori nothwendig, d. i. aus Begriffen des äußern Rechts überhaupt von selbst folgend (nicht statuarisch) sind, ist seine Form die Form eines Staates überhaupt, d. i. der Staat in der Idee, wie er nach reinen Rechtsprincipien seyn soll (S. 164). Gegen die Definition ließe sich Manches erinnern. Vereinigung ist ein sehr schwankendes Wort; es hätte also genauer bestimmt werden müssen; Rechtsgesetze, wo sollen die herkommen? Soll damit gesagt seyn, daß gleich bey der Vereinigung diese Gesetze angenommen werden, oder daß sie nachher erst hinzukommen? Sind jede Gesetze hinreichend, daß eine Vereinigung von einer Menge ein Staat sey, also auch Gesetze der Räuberhorden der Piraten? Die Gesetze sollen aus Begriffen des äußern Rechts überhaupt von selbst folgen? welchen äußern Rechtes? des der einzelnen Menschen? Unmöglich! das der Gesellschaft? Auch das unmöglich, weil ein Staat eine besondere Art von Gesellschaft ist. Um nicht zu weitläuftig zu werden, begnügen wir uns, einige der besondern Sätze des Verf. herzusetzen: die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volks zukommen; der Herrscher hat gegen den Unterthan lauter Rechte, und keine Zwangspflichten; wider das gesetzgebende Oberhaupt giebt es keinen rechtmäßigen Widerstand des Volks; der Unterthan hat das Recht der Auswanderung. Das Völkerrecht betrachtet der Verf. mit Recht als das Recht der Staaten im Verhältniß gegen einander; wenn /40/ er aber meint, es sollte ius publicum civitatum heißen: so hat er sich wohl in der Benennung ein wenig vergriffen. Ius civitatum externum sollte es eigentlich benannt werden; von einem Weltbürgerrechte hingegen lässt sich unsers Erachtens nichts sagen. Die Vernunftidee von einer friedlichen, wenn gleich noch nicht freundschaftlichen, durchgängigen
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Gemeinschaft aller Völker auf Erden, die unter einander in wirkliche Verhältnisse kommen können, ist nicht etwa philanthropisch (ethisch), sondern ein rechtliches Princip. Die Natur hat sie alle zusammen (vermöge der Kugelgestalt ihres Aufenthaltes) in bestimmte Gränzen eingeschlossen; und da der Besitz des Bodens, worauf der Erdbewohner leben kann, nur als Besitz von einem Theil eines bestimmten Ganzen; folglich als ein solcher, auf den jeder derselben ursprünglich ein Recht hat, gedacht werden kann: so stehen alle Völker ursprünglich in einer Gemeinschaft des Bodens, nicht aber der rechtlichen Gemeinschaft des Besitzes, und hiermit des Gebrauches oder des Eigenthums an demselben; sondern der physischen möglichen Wechselwirkung (commercium), d. i. in einem durchgängigen Verhältnisse eines zu allen andern, sich zum Verkehr unter einander anzubieten, und haben ein Recht, den Versuch mit demselben zu machen, ohne daß der Auswärtige ihm darum als einem Feinde zu begegnen berechtigt wäre. Dieses Recht, in sofern es auf die mögliche Vereinigung aller Völker, in Absicht auf gewisse allgemeine Gesetze ihres möglichen Verkehrs geht, kann das weltbürgerliche genannt werden (S. 229). Recht heißt dem Verf. selbst Befugniß, zu zwingen; eine solche ist aber hier gar nicht von einem, noch weniger von allen Menschen, als Bewohnern der Erde, erwiesen; also ist hier gar von keinem Rechte die Rede. Alles, was erhellt, ist nicht mehr, als daß jeder Mensch, als Erdbewohner, Befugniß (facultatem moralem) hat, mit jedem andern allgemeine Gesetze des Verkehrs anzunehmen, nicht ihn zu solchen zu zwingen; sondern bloß sie ihm anzutragen. Dieß nun ist kein besonderes Recht; sondern ein allgemeines Menschenrecht; denn wodurch der andere nicht beleidigt wird, das darf man; jeder also darf jedem jede mögliche Vorschläge thun, in sofern er ihm nichts Beleidigendes zumuthet; auch folgen hieraus keine besondern Rechtsvorschriften, die nur dann erst entspringen, wenn eine solche Uebereinkunft in Ansehung des allgemeinen Verkehrs wirklich zu Stande gebracht ist. /41/ Jetzt ist es hohe Zeit, uns zum zweyten Theile dieser Metaphysik der Sittenlehre, nämlich zur Tugendlehre, zu wenden. Der Verf. theilt sie in zwey Theile, die ethische Elementarlehre, welche die Pflichten selbst darlegt, und in die Methodenlehre, welche von der Didaktik, oder der Art, wie die Tugendlehre den Menschen, besonders in ihrer frühern jugendlichen Bildung, beyzubringen, und in die Ascetik, welche von der Art handelt, wie die Tugend durch Uebung zu erwerben ist. Wir werden uns jetzt, der Kürze halber, auf den ersten, als den wesentlichen, Theil einschränken; vorher aber einen Einwurf gegen den Eudämonismus, in der Vorrede, ein wenig zu beleuchten suchen. Der Eudämonist, heißt es, dreht sich in einem Kreise herum, und seine Lehre enthält noch oben drein einen Widerspruch. Er sagt nämlich: die Wonne, seine Pflicht gethan zu haben, diese Glückseligkeit, ist der eigentliche Bewegungsgrund, warum er tugendhaft handelt; nicht der Begriff der Pflicht bestimmt unmittelbar seinen Willen. Nun ist
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aber klar, daß, weil er sich diesen Tugendlohn nur von dem Bewußtseyn, seine Pflicht gethan zu haben, versprechen kann, das letztgenannte doch voran gehen müsse, d. i. er muß sich verbunden finden, seine Pflicht zu thun, ehe er noch, und ohne daß er daran denkt, daß Glückseligkeit die Folge der Pflichtbeobachtung seyn werde. Er dreht sich mit seiner Aetiologie im Zirkel herum. Er kann nämlich nur hoffen, glücklich, oder wirklich selig zu seyn, wenn er sich seiner Pflichtbeobachtung bewusst ist; er kann aber zur Beobachtung seiner Pflicht nur bewogen werden, wenn er voraus sieht, daß er sich dadurch glücklich machen werde. Dieser Zirkel ist bey demjenigen Eudämonisten nicht vorhanden, der sein System gehörig versteht; denn dieser wird nicht sagen, daß die Glückseligkeit aus dem Bewußtseyn entspringt, seine Pflicht gethan zu haben; sondern vielmehr, daß gewisse Handlungen, ihrer Natur nach, von angenehmen inneren Gefühlen begleitet sind, und daß daraus die Verbindlichkeit folge, sie zu verrichten. Er hoffe also nicht, dadurch glücklich zu werden, daß er sich seiner Pflichtbeobachtung bewusst ist; sondern dadurch, daß er die Handlungen verrichtet, welche nach der Natur unsers Gefühlvermögens von den überwiegendsten, dauerhaftesten, und am leichtesten zu jeder Zeit zu erlangenden innern angenehmen Empfindungen begleitet werden. Eben so fällt auch der Widerspruch dahin, den der Verf. folgendergestalt darthut: einerseits soll /42/ er seine Pflicht beobachten, ohne erst zu fragen, welche Wirkung dieses auf seine Glückseligkeit haben werde; mithin aus einem moralischen Grunde; andrerseits aber kann er doch nur etwas für seine Pflicht anerkennen, wenn er auf Glückseligkeit rechnen kann, die ihm dadurch erwachsen wird; mithin nach pathologischem Princip, welches gerade das Gegentheil des vorigen ist. Den ersten Satz behauptet der Eudämonist nicht; mithin fällt er mit sich selbst in keinen Widerspruch. Auch fanden wir bisher nicht, daß er als ein unbestreitbarer, für sich klarer, Grundsatz gelten muß; noch daß die kritische Philosophie ihn durch Beweise über allen Zweifel erhoben hat. In der Rechtslehre ist von der Glückseligkeit freylich die Rede nicht; allein da ist auch die Rede nur, wenn und wiefern äußerer Zwang Statt finden darf. In der Ethik, wo die Bewegungsgründe zur Gerechtigkeit als Tugend aufgestellt werden, wird sie allerdings durch ihren Einfluß auf die Glückseligkeit zur Pflicht gemacht. Die Rechtslehre sagt nur, was wir thun können, ohne fremden Zwang besorgen zu müssen. Daß in der Tugendlehre, und besonders auch in ihrer ersten Grundlegung, viel Neues und Eigenes enthalten seyn muß, erwartet man schon nach dem, was der berühmte Verf. in der Kritik der praktischen Vernunft vorgetragen hat. Die Einleitung bezieht sich hierauf größtentheils, und wendet es auf die eigentliche Sittenlehre näher an. Da diese Anwendung in das Innere des neuen Systems tiefer zu blicken Gelegenheit giebt: so wollen wir davon einige Rechenschaft ablegen; sofern nämlich es uns hat gelingen wollen, des Verf. Gedanken zu fassen. Vor ihm
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war (wenn man einige Wenige ausnimmt, die in abstrakte Spekulationen sich zu tief verwickelt hatten) das Verfahren der Moralisten im engern Verstande folgendes gewesen: sie hatten eingesehen, daß unser Begehrungsvermögen durch gewisse Reize des Angenehmen und Unangenehmen in Bewegung gesetzt wird, und daß nachher die in Vorstellungen verwandelten Reize und Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen den Willen regieren. Sie hatten ferner bemerkt, daß die nachher hinzutretende Ueberlegung und Vernunft unter diesen Vorstellungen, und unter den aus ihnen gebildeten Urtheilen von dem, was in jedem Falle zu thun sey, eine gewisse Unterordnung einführe, weil die Erfahrung die Menschen bald belehrt, daß, /43/ wenn sie immer den bloßen isolirten Vorstellungen folgten, sie in mancherley nachtheilige Ereignisse verwickelt würden, und das Angenehme, welches sie erweckt hatten, durch den Widerstreit, der sich mit andern gleichfalls begehrten angenehmen Ereignissen hervorthat, unverhofft einbüßten. Sie glaubten daher, der Vernunft das Geschäfft übertragen zu müssen, die mancherley Reize und Vorstellungen vom Angenehmen und Unangenehmen in ein solches System zu bringen, daß die wesentlichen Bestrebungen des Menschen befriedigt, und alle Entgegensetzungen unter dem mancherley Angenehmen und Unangenehmen möglichst vermieden würden. Dieß war der Antheil, welchen sie der Vernunft an der Errichtung der Sittenlehre einräumten, wozu nachher, mehrerer Befestigung des Systems halber, noch der kam, aus Begriffen von der menschlichen Natur, in Ansehung des Begehrens, des Wollens, und der nöthigen Harmonie unter deren einzelnen Aeußerungen, so viel als möglich, die Sätze herzuleiten. Das System des Vf. geht einen ganz entgegengesetzten Weg; es nimmt an, daß die Vernunft, als praktische Vernunft, ganz allein, ohne Rücksicht auf alle Gesetze des Begehrungsvermögens, und dessen Reizungen durch Angenehmes oder Unangenehmes, Regeln unsers Verhaltens vorschreiben kann; und daß unsere transcendentale Freyheit, die gegen alle solche Reize sich ganz gleichgültig verhält, und überhaupt an keine Gesetze gebunden ist, diesen Vorschriften der praktischen Vernunft, durch ihr: sic volo, sic iubeo, allein, diejenige Kraft zu ertheilen im Stande ist, vermöge deren sie uns zur wirklichen Befolgung in Bewegung setzen. Soll dieß System gegen das vorige, welches auf sattsame Erfahrung sich gründet, sich erhalten, und wohl gar es gänzlich vertreiben: so kommt es darauf vorzüglich an, daß theils ein solches Vermögen der praktischen Vernunft, uns Vorschriften zu unsern Handlungen, abgesehen von aller Erfahrung, und allen pathologischen Triebfedern, zu urtheilen; und theils das Daseyn einer solchen Freyheit, gehörig erwiesen werde. Beydes scheint uns bisher nicht in dem zu wünschendem Maaße geschehen zu seyn; statt dessen aber hat dieß System eine Seite, von welcher es in sehr reizendem Lichte erscheint, und eben dadurch vielleicht bey Manchen die Schwäche der Grundlagen verdeckt. Diese nämlich, daß es eine so uneigennützige und reine Tugend lehrt, und das Ideal der Tugend
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so sehr erhöht, als nur immer in den Augenblicken des glühendsten Enthusiasmus gewünscht, oder vorge-/44/stellt werden mag. Und diese Seite ist es auch wohl vornehmlich, welche ihm bey jungen, von Tugendeifer glühenden, und an Idealen reichen Gemüthern, den meisten Eingang verschafft hat. Von diesen Seiten wollen wir die vorliegende Tugendlehre etwas näher betrachten. Daß es in uns eine Kraft giebt, welche unabhängig von allen pathologischen Reizen Vorschriften ertheilt, wird folgendermaßen dargethan: der Mensch findet sich als moralisches Wesen (wenn er sich objektiv, wozu er durch seine reine praktische Vernunft bestimmt ist [nach der Menschheit in seiner eignen Person] betrachtet) heilig genug, um das innere Gesetz ungern zu übertreten; denn es giebt keinen so verruchten Menschen, der bey dieser Uebertretung in sich nicht einen Widerstand fühlte, und eine Verabscheuung seiner selbst, bey der er sich selbst Zwang anthun muß. – Das Phänomen nun, daß der Mensch auf diesem Scheidewege (wo die schöne Fabel den Herkules zwischen Tugend und Wollust hinstellt) mehr Hang zeigt, der Neigung, als dem Gesetz, Gehör zu geben, zu erklären, ist unmöglich, weil wir, was geschieht, nur dadurch erklären können, daß wir es von einer Ursache nach Gesetzen der Natur ableiten; wobey wir aber die Willkühr nicht als frey denken würden. Dieser wechselseitig entgegengesetzte Selbstzwang aber und die Unvermeidlichkeit desselben geben doch die unbegreifliche Eigenschaft der Freyheit selbst zu erkennen (Einleit. S. 2, Anmerk.). Irren wir nicht: so muß es heißen: mehr Hang zeigt, dem Gesetze, als der Neigung, Gehör zu geben; welches Herkules in jener Fabel that. So weit wir die Sache einsehen, ist hierin von einem Beweise für eine solche Eigenschaft der Freyheit nichts enthalten. Wir haben nämlich zweyerley Arten von angenehmen Empfindungen: die eine aus der Sinnlichkeit und dem Körper; die andere aus dem innern Sinne und den höhern Geistesvermögen, von der vorzüglichen Stärke der Verstandes- und überhaupt der Denkkräfte; von der Harmonie unter unsern Urtheilen und Begriffen; von der Sympathie und dem Wohlwollen; u.s.w. Alle diese letztern Gefühle lassen sich, ohne Zuthun der Freyheit, aus der Natur dieser Kräfte und Vermögen hinreichend erklären, und sind großentheils von tiefsinnigen Seelenlehrern daraus schon erklärt worden. Beyde diese Arten von Empfindungen und Gefühlen nun kommen sehr oft in Widerstreit, /45/ da das nämliche, was den Sinnen angenehm ist, jenen höhern Kräften Abbruch thut; und daher entsteht ganz natürlich dieser Streit, und in solchen Subjekten, wo die innern Gefühle die Oberhand haben, wie beym Herkules, der in der Fabel, als ein noch unverdorbener Jüngling, mit hohen Gefühlen eigner Kraft, und mit glühendem Eifer für Größe und Ruhm vorgestellt wird, entsteht daraus derjenige Selbstzwang, welcher der Sinnlichkeit entgegenarbeitet. Niedere Menschen von geringen Gemüthskräften wissen daher von einem solchen Zwange und Streite nichts; sie folgen der Sinnlichkeit ohne allen Anstoß, und begehen die größesten Verbrechen ohne
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Gewissensbisse. Man lese nur im Hearne¹, wie die Eskimaux und andere Nationen im nördlichsten Amerika, einander mit dem kältesten Blute morden, berauben und bestehlen. Die reine praktische Vernunft weiß nichts von den mancherley Lagen und Verhältnissen, worin Menschen gewöhnlich in diesem Leben sich befinden können, von Lebens- und Nahrungsmitteln und ihrem Verhalten gegen sie; von Gesundheit und Krankheit, und dem Benehmen in ihrer Rücksicht, u. s. w.; man ist also natürlich nicht wenig neugrierig zu sehen, wo der Verf. die ethischen Pflichten in den mancherley Lagen des menschlichen Lebens a priori in ihr entdecken wird. Sein Scharfsinn lässt es an einem Auskunftsmittel nicht fehlen; der Pflichtbegriff, sagt er, kann keinen andern als den innern Selbstzwang enthalten. Die Antriebe der Natur enthalten also Hindernisse der Pflichtvollziehung im Gemüthe des Menschen, und (zum Theil mächtig) widerstrebende Kräfte, die also zu bekämpfen, und durch die Vernunft nicht erst künftig, sondern gleich jetzt zu besiegen, er sich vermögend urtheilen muß (S. 3). Die Ethik giebt folglich eine Materie (einen Gegenstand der freyen Willkühr), einen Zweck der reinen Vernunft, der zugleich als objektiv nothwendiger Zweck, d. i. für den Menschen als Pflicht vorgestellt wird, an die Hand; denn da die sinnlichen Neigungen zu Zwecken verleiten: so kann die gesetzgebende Vernunft ihrem Einfluß nicht anders wehren, als wiederum durch einen entgegengesetzten moralischen Zweck, der also von der Neigung unabhängig a priori gegeben seyn muß (S. 4). Bey allem Sinnreichen dieser Wendung zweifeln wir, ob sie bündig und haltbar ist. Die reine praktische Vernunft, als sol-/46/che, muß und kann nichts von der Sinnlichkeit und deren mancherley Tendenzen wissen; denn diese liegt ganz außer ihrem Gebiete und Gesichtskreise; Rec. wenigstens würde von ihr, nach seiner genauesten Selbsterforschung, zuverlässig ohne Beyhülfe der Erfahrung, nichts wissen. Der Pflichtbegriff allein würde ihn davon auch nicht belehren, und er glaubt sehr, daß die Folgerung aus ihm nicht rechtskräftig ist; denn daß in dem Sollen der Pflicht ein Zwang, ein Selbstzwang enthalten ist, scheint ihm nicht einleuchtend, weil auch heilige Wesen, ungeachtet sie ihre Pflichten von selbst erfüllen, nicht minder Pflichten haben; und was sie sollen, durch Betrachtung ihrer selbst, und ihrer Verhältnisse zu andern Dingen, sich erweisen können. Daß wir also einen solchen Zwang gegen uns selbst ausüben müssen, wissen wir nur durch Erfahrung. Gesetzt aber auch, dem wäre nicht so: so ist doch unwidersprechlich, daß wir von den mancherley Tendenzen der Sinnlichkeit a priori nichts einsehen, und daß folglich
[Tiedemann bezieht sich vermutlich auf folgende Schrift: Samuel Hearne’s Reise von dem Prinz von Wallis-Fort an der Hudsons-Bay, bis zu dem Eismeere 1769 – 1772. Tagebuch einer Reise durch die vereinigten Staaten von Nord-Amerika, im Sommer des Jahres 1794, 2 Bde., Berlin 1797.]
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die reine praktische Vernunft aus sich allein die mancherley besondern Zwecke, und somit auch die mancherley besondern Pflichten, z. B. die zur Mäßigkeit, zur Keuschheit, zur Menschenliebe, nicht hernehmen kann. Ein Zweck, der den Willen nicht in Bewegung setzt, nach seiner Erreichung zu streben, ist für die Ethik nicht brauchbar; weil es hier darauf ankommt, daß die Zwecke in Handlungen übergehen. Wenn man über die nach Naturgesetzen bestimmten Richtungen des Willens reflectirt, dadurch dessen allgemeine Tendenzen abstrahirt, und diese nun nach Ueberlegung zu Zwecken setzt, wie dann diese Zwecke den Willen zu ihrer Erreichung bestimmen, das begreift man leicht. Solche Zwecke darf der Verf. nach seinem System nicht annehmen; denn da würde er zuletzt auf Glückseligkeit hinauskommen, und alles Pathologische aus der Ethik nicht entfernen können. Er muß also zeigen, daß die Freyheit allein Zwecke setzen, und allein zu deren Befolgung den Willen bestimmen kann; ein schweres, wo nicht unmögliches Unternehmen, vor dem jeder andere zurückschaudern würde! Er versucht es auf folgende Art: Zweck ist ein Gegenstand der freyen Willkühr, dessen Vorstellung diese zur Handlung bestimmt (wodurch jener hervorgebracht wird). Eine jede Handlung hat also ihren Zweck; und da Niemand einen Zweck haben kann, ohne sich den Gegenstand seiner Will-/47/kühr selbst zum Zwecke zu machen: so ist es ein Akt der Freyheit des handelnden Subjektes, nicht eine Wirkung der Natur, irgend einen Zweck der Handlung zu haben (S. 11). Zwar begreifen wir hier nicht, wie ein solcher durch Freyheit allein gesetzter Zweck den Willen in Bewegung setzen kann; aber das thut dem Vf. nichts; er hat demonstrirt, daß die Freyheit allein Zwecke setzen kann; für das Uebrige mag sie sorgen. Aber eben dieß erregt gegen die Demonstration einigen Verdacht; wir wollen sie einmal genauer ansehen. Zweck heißt es in der Definition, ist ein Akt der freyen Willkühr; und daraus wird nachher gefolgert, daß es ein Akt der Freyheit des handelnden Subjektes ist, irgend einen Zweck der Handlung zu haben; hat dieß nicht das Ansehen einer petitio principii? Daß der Zweck ein Gegenstand der freyen Willkühr ist, wie die Definition besagt, will uns auch nicht einleuchten; in dem Sinne wenigstens nicht, worin es hier genommen wird. Manche Zwecke sind freylich Gegenstände der freyen Willkühr, z. B. ein Handwerk, oder eine Kunst zu erlernen, einen gewissen Stand im bürgerlichen Leben, und eine bestimmte Lebensart zu wählen; aber alle sind sie es doch wohl offenbar nicht; besonders die nicht, welche als die letzten Zwecke angesehen werden; ob ich Vergnügen, oder Schmerz, Selbstzufriedenheit, oder inneres Mißfallen an mir selbst haben will, steht nicht in der freyen Willkühr zu bestimmen; der Zweck ferner ist ein Gegenstand der freyen Willkühr, in sofern man unter mehreren von der Natur vorgeschriebenen Richtungen des Willens eine oder die andere auswählen, in sofern man entweder sinnliches Vergnügen, oder Ehre, oder Reichthum zum Gegenstande seines Bestrebens machen kann; nicht aber in sofern man durch Freyheit
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allein, seinem Willen eine beliebige Richtung zu geben, im Stande ist, ohne auf die natürlichen Tendenzen desselben einige Rücksicht zu nehmen. Das Letztere ist durch keine Erfahrung hinlänglich bewiesen, und also weit entfernt, so klar zu seyn, daß man es in die Definition aufnehmen dürfte. Auch dieser Grundlage des neuen Systems fehlt es also an hinlänglicher Festigkeit. Welche Zwecke soll nun die freye Willkühr sich vorsetzen? Mit andern Worten, welche Zwecke sind zugleich Pflichten? Eigene Vollkommenheit, und fremde Glückseligkeit, erwartet der Verf. Eigene Glückseligkeit hingegen ist ein Zweck, den zwar alle Menschen (vermöge des Antriebes ihrer Natur) haben; nie aber kann dieser Zweck als Pflicht angesehen wer-/48/den, ohne sich selbst zu widersprechen. Was ein jeder unvermeidlich schon von selbst will, das gehört nicht unter den Begriff von Pflicht; denn diese ist eine Nöthigung zu einem ungern genommenen Zwecke. Es widerspricht sich also, zu sagen, man sey verpflichtet, seine eigne Glückseligkeit mit allen Kräften zu befördern (S. 13). Es sey uns erlaubt, hierüber zuvörderst einiges anzumerken. Erstlich, daß die Pflicht allemal zu einem ungern genommenen Zwecke nöthigen soll, ist weder erwiesen, noch mit des Verf. eigner Theorie übereinstimmend. Eigene Vollkommenheit befördert gewiß keiner, der versteht, was sie sagen will, ungern; vielmehr sucht jeder von selbst in einem oder dem andern Stücke sich vollkommener zu machen. Aber ist es nicht ungereimt, zu etwas zu verpflichten, das man von selbst ohne alle Verpflichtung verrichtet? Zu etwas verpflichten, das absolut und physisch nothwendig ist, enthält freylich eine Ungereimtheit; aber zu etwas verpflichten, wovon in einzelnen Fällen das Gegentheil geschehen kann, und wirklich nicht selten geschieht, ist nicht ungereimt. Glückseligkeit wollen zwar alle Menschen; aber wie manche machen sich dennoch unglücklich? Glückseligkeit will der ausschweifend Ehrgeizige, und macht sich gerade durch seinen übertriebenen Ehrgeiz unglücklich. Glückseligkeit wollen alle Menschen; aber was sie eigentlich wollen, und wollen sollen, wissen sie nicht; hierüber belehrt sie die Sittenlehre. Glückseligkeit wollen alle von Natur; aber warum sie sie wollen, und warum sie nichts anders wollen sollen, wissen sie nicht; hierüber unterrichtet sie die Vernunft in der Sittenlehre. So offenbar ungereimt also wäre das nicht. Jetzt kommt es zunächst darauf an, zu sehen, ob es sattsam bewiesen ist, daß wir eigene Vollkommenheit zum Zwecke setzen sollen. Wenn von der, dem Menschen überhaupt (eigentlich der Menschheit) zugehörigen, Vollkommenheit gesagt wird, heißt es S. 15, daß, sie sich zum Zwecke zu machen, an sich selbst Pflicht sey: so muß sie in demjenigen gesetzt werden, was Wirkung von seiner That seyn kann; nicht was bloß Geschenk ist, das er der Natur verdanken muß, denn sonst wäre sie nicht Pflicht. Sie kann also nichts seyn, als Kultur seines Vermögens (oder der Naturanlage), in welchem der Verstand als Vermögen der Begriffe, mithin auch denen, die auf Pflicht gehen, das oberste ist; zugleich aber
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auch seines Willens (sittlicher Denkungsart) aller Pflicht, /49/ überhaupt ein Genüge zu thun. 1) Es ist ihm Pflicht, sich aus der Rohigkeit seiner Natur, aus der Thierheit, immer mehr zur Menschheit, durch die er allein fähig ist, sich Zwecke zu setzen, empor zu arbeiten; seine Unwissenheit durch Belehrung zu ergänzen, und seine Irrthümer zu verbessern, und dieses ist ihm nicht bloß die technischpraktische Vernunft zu seinen anderweitigen Absichten anräthig, sondern die moralisch-praktische gebietet es ihm schlechthin, und macht diesen Zweck ihm zur Pflicht, um der Menschheit, die in ihm wohnt, würdig zu seyn. 2) Die Kultur seines Willens bis zur reinsten Tugendgesinnung, da nämlich das Gesetz zugleich die Triebfeder seiner pflichtmäßigen Handlungen wird zu erheben, und ihm aus Pflicht zu gehorchen, welches innere moralisch-praktische Vollkommenheit ist, die, weil es ein Gefühl der Wirkung ist, welche der in ihm gesetzgebende Wille auf das Vermögen ausübt, darnach zu handeln, das moralische Gefühl, gleichsam ein besonderer Sinn ist, u.s.w. Warum also soll der Verstand ausgebildet werden? Um der Menschheit, die in uns wohnt, würdig zu werden, antwortet der Verf. Hier erscheint auf einmal, wie vom Himmel gefallen, etwas ganz Neues, vorher nicht Erwähntes, Würde der Menschheit. Im Vorhergehenden ist nirgends dargethan, daß es Pflicht sey, dieser Würde nachzustreben; also ist dieser Beweis so gut, als keiner. Warum soll der Wille kultivirt werden? Hierauf finden wir gar keine Antwort. Es erhellt also, daß dieser Hauptsatz gar nicht bewiesen ist. Wir wären äußerst begierig zu sehen, warum wir nach eigener Vollkommenheit trachten, und was unsern Willen bewegen soll, darnach zu streben, wenn von allem Angenehmen, welches das Bewußtseyn eigener Kraft, eigener Vollkommenheit und Würde gewährt, so wie von allem Nutzen, der aus dem Besitze und der Ausübung eigener Vollkommenheiten erwächst, gänzlich abstrahirt wird, und finden uns am Ende jämmerlich getäuscht. Wenn ich meine Vollkommenheit und meine Würde nicht genießen, und durch ihr Bewußtseyn mich nicht erfreuen; wenn ich diese Vollkommenheit nicht als brauchbar zu Erreichung und Erlangung dessen, was ich auf Erden bedarf, gebrauchen, und sie als brauchbar dazu betrachten soll, was mache ich denn damit? Doch still! weiter unten kommt erst der eigentliche Beweis; geschwind laßt uns den erst erwägen! Physische, d. i. /50/ Kultur aller Vermögen überhaupt ist Pflicht; denn das Vermögen, sich überhaupt irgend einen Zweck zu setzen, ist das Charakteristische der Menschheit (zum Unterschiede von der Thierheit). Mit dem Zwecke der Menschheit in unserer eignen Person ist also auch der Vernunftwille, mithin die Pflicht verbunden, sich um die Menschheit durch Kultur überhaupt verdient zu machen, sich das Vermögen zu Ausführung allerley möglicher Zwecke, sofern dieses im Menschen selbst anzutreffen ist, zu verschaffen, oder es zu fördern, d. i. eine Pflicht zur Kultur der rohen Anlage seiner Natur, als wodurch das Thier sich allererst zum Menschen erhebt; mithin Pflicht an sich selbst (S. 23).
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Also bloß um andrer willen sollen wir unsren physischen Kräften, auch den bloß denkenden Ausbildung zu geben suchen? Wahrscheinlich fühlte der Verf., daß dieß etwas wunderlich lautet, darum setzt er am Ende hinzu: auch darum, damit wir uns zu Menschen machen. In diesem Augenblicke dachte er wahrscheinlich nicht an seine anderweitige sonderbare Behauptung, daß eine Pflicht nur einen Beweis zuläßt. Wenn nun aber weiter gefragt wird, was soll mich denn bewegen um andrerwillen, oder auch um aus der thierischen Rohheit mich hervorzuarbeiten, meine Kräfte auszubilden? so geräth augenblicklich das System ins Stocken. Bloß andern zu leben, fühlt sich eben Niemand sonderlich gedrungen; und ob es nicht besser sey, mit einem ganz geringen Grade von Ausbildung ruhig und vergnügt zu leben; ob nicht bey einer niedrigern Kultur mehr Glückseligkeit gefunden werde, ist verschiedentlich gezweifelt worden. Und wie, wenn ich mit einem solchen geringern Grade mich begnügen, die Mühe und Sorge der höhern Ausbildung nicht übernehmen will? wird man wohl einen Hottentotten durch dieß Raisonnement zur weitern Ausbildung zu bewegen im Stande seyn? Eben so sieht es auch mit dem Beweise aus, daß wir die Moralität in uns cultiviren sollen, weil es die größeste moralische Vollkommenheit des Menschen ist, seine Pflicht zu thun; und zwar aus Pflicht, daß das Gesetz nicht bloß die Regel, sondern auch die Triebfeder der Handlungen ist (S. 24).Wir erblicken auch hier nichts von etwas, das den Willen stimmt, in Bewegung setzt, oder ihn so zu wollen nöthigt. Nehmt an, ihr sprächet zu einem gelehrten Chinesen so: du sollst deine denkenden Kräfte und deine Moralität so sehr, als möglich, ausbilden; sollst aber diese Kräfte nicht zu deinem, noch zu andrer Nutzen gebrauchen; sollst auch da-/51/von nicht das geringste Angenehme durch ihre Anwendung, und durch die Betrachtung ihres Besitzes genießen; du sollst physisch und moralisch vollkommen seyn, bloß um es zu seyn; werdet ihr da nicht froh seyn müssen, wenn er euch nicht gerade ins Gesicht lacht, oder euch als Menschen stehen lässt, die vor lauter Weisheit Narren geworden sind? Aber, sagt ihr, wir schließen den Gebrauch der Kräfte nicht aus! Das thut ihr freylich nicht; ihr wollt aber doch, man soll bey ihrer Ausbildung an diesen Gebrauch und Genuß nicht denken, nicht durch Rücksicht auf ihn sich zur Ausbildung bewegen lassen; also nehmt ihr ihn doch aus der Sittenlehre hinweg, und es ist dieß im Grunde davon nicht verschieden, daß er in der That gänzlich aufgehoben würde. So wenig man vernünftigerweise behaupten kann, daß es noch Pflicht seyn würde, unsere Kultur zu befördern, wenn die dadurch erhöhten Kräfte weder Gebrauch hätten, noch einigen Genuß verschafften: so wenig lässt sich vernünftigerweise sagen, daß ihre Kultur ohne alle Rücksicht auf diese beyden Stücke noch Pflicht seyn würde. Eine Sache, wovon ich keinen Gebrauch machen, und keinen Genuß haben kann, geht mich so wenig an, als was im Uranus oder im großen Bäre vorhanden ist; und ich kann dazu eben so wenig verpflichtet werden, in Ansehung ihrer etwas vorzunehmen, als ich verpflichtet
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werden kann, mich um das zu bekümmern, oder mit dem zu beschäftigen, was im Uranus oder im großen Bäre vorgehen mag. Nimmt also der Verf. eigene Vollkommenheit, wie sie hier bestimmt ist: so muß man zwar sein System, als neu und sehr sublimirt, rühmen; aber zugleich bedauern, daß es zur Pflichtenlehre für uns Menschen ganz untauglich ist, und seine Hauptsätze als willkührliche Behauptungen unbewiesen hinstellt. Dieß noch ein wenig mehr ins Licht zu stellen, wollen wir auch noch den Beweis erwägen, der die Pflicht, fremde Glückseligkeit zu befördern, unterstützt. Mit dem Wohlthun, vornämlich wenn es nicht aus Zuneigung (Liebe) zu andern, sondern aus Pflicht, mit Aufopferung und Kränkung mancher Concupiscenz geschehen soll, geht es schwieriger zu, als mit dem Wohlwollen. Daß diese Wohlthätigkeit Pflicht sey, ergiebt sich daraus, daß, weil unsere Selbstliebe von dem Bedürfniß, von andern auch geliebt (in Nothfällen unterstützt) zu werden, nicht getrennt werden kann, wir also uns zum Zweck für andre machen, und diese Maxime niemals /52/ anders, als bloß durch ihre Qualification zu einem allgemeinen Gesetz, folglich durch einen Willen, andere auch für uns zu Zwecken zu machen, verbinden kann, fremde Glückseligkeit ein Zweck sey, der zugleich Pflicht ist (S. 26). Hier sollen wir also andern Gutes thun, nicht damit sie uns dergleichen wieder erzeigen; sondern weil die Maxime der Wohlthätigkeit zu einem allgemeinen Gesetze sich qualificirt. Erstlich ist diese Pflicht nicht a priori, nicht aus der bloßen reinen praktischen Vernunft hergeleitet; denn diese weiß doch offenbar nichts davon, daß wir der Hülfe anderer bedürfen. Zweytens fragt sich, warum soll ich denn gerade das wollen, was allgemeines Gesetz werden kann? Etwa weil die Vernunft nach der Allgemeinheit strebt, wie sich kritische Philosophen sonst auszudrücken pflegen? Das thut freylich die Vernunft, aber nicht als Vernunft allein; sondern weil das Allgemeine die größeste Brauchbarkeit hat, etwas daraus zu schließen, und weil sie ohne das Allgemeine ihr Geschäfft des Schließens nicht verrichten kann. Ob aber in Ansehung des Handelns eine solche Allgemeinheit eben so nothwendig ist, erhellt noch nicht; mithin steht diese Folgerung auf schwachen Füßen. Ferner wornach man soll beurtheilen, ob etwas allgemeines Gesetz des Handelns werden kann? Nach dem Satze des Widerspruches allein dürfte das nicht angehen; wenigstens erscheint davon im gegenwärtigen Falle nicht das Geringste; also nach Bedürfnissen, wie auch hier geschehen ist; dann aber kommen wir am Ende zu dem nämlichen wieder zurück, welches doch vermieden werden sollte. Wir müssen unsere wesentlichen Willensrichtungen, das Angenehme und Unangenehme zu Rathe ziehen, wenn wir über Pflichten urtheilen wollen; ja wir handeln dann eigentlich aus pathologischen Antrieben, und gebrauchen dann die Allgemeinheit des Gesetzes bloß als Blendwerk, die Mängel des Systems zuzudecken. Der letzte Grund des Wohlthuns ist unläugbar das Bedürfniß fremder Hülfe, und dieser Grund reicht hin, den
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Willen zu bestimmen; die Allgemeinheit des Gesetzes hat hier nicht den mindesten Einfluß. Dieser Grund ist noch dazu schlechter und niedriger, als der in den Systemen des Eudämonismus von mehreren angeführt wird; denn diese sagen doch, man müsse wohl thun, um durch Sympathie die Freude anderer zu theilen; um sich seiner höhern Kräfte lebhafter bewusst zu seyn, sich ihres Besitzes zu erfreuen, da sie auch auf anderer Wohlseyn sich zu erstrecken Umfang genug haben. /53/ Um diese drey Angel, Menschenwürde,Vollkommenheit und gegenseitige wesentliche Bedürfnisse, dreht sich des Verf. ganzes System der Tugendlehre, als in welcher die besondern Tugenden auf eins von diesen Stücken gegründet werden. Von der Einrichtung des Gebäudes kann man also hieraus sich eine ziemlich hinlängliche Vorstellung machen; und da wir bisher schon weitläuftig genug gewesen sind: so glauben wir hier abbrechen zu müssen. Bs.
11 Neue Leipziger gelehrte Anzeigen [=Litterarische Denkwürdigkeiten]. Hrsg. von Christian Daniel Beck. Leipzig: Fleischer. 1797, S. 101 – 103. /101/ […] Bey Fried. Nicolovius sind die begierig erwarteten Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre von Immanuel Kant nun erschienen (XII. 245 Seiten gr. 8.[)]. Der Kritik der praktischen Vernunft muste das System, die Metaphysik der Sit-/102/ten, folgen, welches in metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, und in metaph. Anfangsgründe der Tugendlehre zerfällt; letztere werden bald nachfolgen; für beyde ist die Einleitung zu gegenwärtigem Werke bestimmt; sie macht die Form des Systems in beyden vorstellig. Weil der Begriff des Rechts ein reiner, jedoch auf die Praxis gestellter Begriff ist, und folglich ein metaphysisches System desselben in seiner Eintheilung auch auf die empirische Mannigfaltigkeit aller vorkommenden Fälle Rücksicht nehmen müste, um die Eintheilung vollständig zu machen, Vollständigkeit der Eintheilung des Empirischen aber nicht möglich ist, so wird dieser erste Theil der Sittenlehre nicht Metaphysik des Rechts, sondern metaphys. Anfangsgründe der Rechtslehre genannt, weil in Rücksicht auf die Fälle der Anwendung nur Annäherung zum System, nicht das System selbst, erwartet werden soll. Die allgemeine Einleitung in die Metaphysik der Sitten bestimmt erstlich das Verhältniß der Vermögen des menschl. Gemüths zu den Sittengesetzen, dann die Idee und Nothwendigkeit einer Metaphysik der Sitten, die Eintheilung einer Metaphysik der Sitten, die Vorbegriffe zu derselben (Verbindlichkeit, erlaubt, unerlaubt, Pflicht, Maxime, Gesetz u.s.f.). Hierauf folgt die besondere Einleitung in die Rechtslehre, welche die Begriffe derselben und des Rechts feststellt. Recht ist der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkühr des einen mit der Willkühr des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freyheit zusammen vereinigt werden kann. Das allgemeine Rechtsgesetz ist: handle äußerlich so, dass der freye Gebrauch deiner Willkühr mit der Freyheit von Jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne. Verbindung des Rechts mit dem Befugniß zu zwingen. Strictes Recht. Ein Anhang S. 38. handelt, noch von zweydeutigem Recht, von der Billigkeit, dem Nothrecht. Hierauf folgt /103/ die Eintheilung der Rechtslehre, und die Eintheilung der Metaphysik der Sitten überhaupt. Die Ordnung der abgehandelten Materien ist folgende: 1. Theil. Das Privatrecht in Ansehung der äußern Gegenstände (Inbegriff der Gesetze, die keiner äußeren Bekanntmachung bedürfen.) I. Hauptst. Von der https://doi.org/10.1515/9783110702996-013
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Art etwas Aeußeres als das Seine zu haben. (Im Naturzustande kann nur ein provisorisches äußeres Mein und Dein Statt haben). II. Hauptst.Von der Art etwas Aeußeres zu erwerben. Allgemeines Princip und Eintheilung dieser Erwerbung. Daher insbesondere 1. Abschn. Vom Sachenrecht, 2. Abschn. vom persönlichen Recht, 3. A. von dem auf dingliche Art persönlichen Recht. Ein episodischer Abschnitt handelt von der idealen Erwerbung eines äußern Gegenstandes der Willkühr. Dahin gehört die Erwerbungsart durch Ersitzung, oder den langen Besitz; die Beerbung; der Nachlaß eines guten Namens. III. Hauptst. von der subjectiv-bedingten Erwerbung durch den Ausspruch einer öffentlichen Gerichtsbarkeit. Der zweyte Theil, das öffentliche Recht (der Inbegriff der Gesetze, die keiner öffentlichen Bekanntmachung bedürfen) behandelt in drey Abschnitten das Staats- das Völker- und das Weltbürger-Recht. Nur die letztern Abschnitte sind minder ausführlich bearbeitet, theils weil vieles aus dem vorhergehenden leicht gefolgert werden konnte, theils weil manche Materien den öffentlichen Discussionen noch so unterworfen sind, dass der Hr. Verf. das entscheidende Urtheil aufschieben zu müssen glaubte. In der Vorr. hat er noch die Forderung der Popularität bey philosophischen Systemen in ihre gehörigen Schranken gewiesen, den Misbrauch der Sprache der kritischen Philosophie gerügt, und die Behauptung in einem bestimmten Sinne der Worte gerechtfertigt, dass es vor dem Entstehen der kritischen Philosophie noch gar keine gegeben habe.
12 Neue nürnbergische gelehrte Zeitung. Nürnberg: Grattenauer. 1797, S. 161‒168 u. 169‒173. /161/ […] Hier ist wieder ein neues Stockwerk auf das große Gebäude der kritischen Philosophie gesetzt worden. Auf die Kritik der praktischen Vernunft sollte die Metaphysik der Sitten folgen, welche in metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, und in eben solche für die Tugendlehre zerfällt. In der Vorrede zu dieser Schrift erklärt sich Herr Kant über verschiedene Gegenstände auf eine merkwürdige Art. Wenn Herr Garve mit Recht fordert, eine philosophische Lehre müsse, wenn der Lehrer nicht selbst in den Verdacht der Dunkelheit seiner Begriffe kommen soll, zur Popularität gebracht werden können; so räumt dieß Herr Kant zwar gern ein; aber nur mit Ausnahme des Systems einer Kritik des Vernunftver-/162/mögens selbst und alles dessen, was nur durch dieser ihre Bestimmung bekundet werden kann; weil es zur Unterscheidung des Sinnlichen in unserer Erkenntniß vom Uebersinnlichen, dennoch aber der Vernunft zustehenden, gehört. Und nun fragt er weiter; „wenn aber Pedanten sich anmassen, zum Publikum, auf Kanzeln und in Volksschriften, mit Kunstwörtern zu reden, die ganz für die Schule geeignet sind, so kann das eben so wenig dem kritischen Philosophen zur Last fallen, als dem Grammatiker der Unverstand des Wortklaubers. Das Belachen kann hier nur den Mann, aber nicht die Wissenschaft treffen.“ – Dann erklärt er sich auch über die arrogant klingende Behauptung: daß vor dem Entstehen der kritischen Philosophie es noch gar keine gegeben habe. Verschiedene Arten zu philosophiren, und zu den ersten Vernunftprincipien zurückzugehen, um darauf, mit mehr oder weniger Glück, ein System zu gründen, hat es nicht allein gegeben, sondern es mußte viele Versuche diese Art, deren jeder auch um die gegenwärtige sein Verdienst hat, geben; aber da es doch, objektiv betrachtet, nur Eine menschliche Natur geben kann: so kann es auch nicht viele Philosophieen geben, d. i. es ist nur Ein wahres System derselben aus Principien möglich, so mannichfaltig und oft widerstreitend man auch über einen und denselben Satz philosophirt haben mag.“ – Von der geringsten Bedeutung in Ansehung des Geistes dieser Philosophie, sagt Herr Kant ferner, ist wohl der Unfug, den einige Nachäffer derselben mit den Wörtern stiften, die in der Kritik der reinen Vernunft selbst nicht wohl durch andere gangbare zu ersetzen sind, sie auch ausserhalb derselben zum öffentlichen Gedankenverkehr zu brauchen, welcher allerdings gezüchtiget zu werden verdient. – Diese metaphysischen /163/ Anfangsgründe der https://doi.org/10.1515/9783110702996-014
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Rechtslehre zerfallen in zwey Theile. Der erste Theil enthält das Privatrecht in Ansehnung äusserer Gegenstände, und zwar wird im ersten Hauptstück gehandelt von der Art etwas Aeusseres als das Seine zu haben, im zweiten von der Art etwas Aeusseres zu erwerben, und im dritten von der subjektiv-bedingten Erwerbung vor einer Gerichtsbarkeit. Im zweiten Theile wird das öffentliche Recht, oder der Inbegriff der Gesetze, die einer öffentlichen Bekanntmachung bedürfen, abgehandelt, und zwar im ersten Abschnitt das Staatsrecht, im zweiten das Völkerrecht, und im dritten das Weltbürgerrecht. In diesem zweiten Theile findet man über wichtige Gegenstände wichtige und merkwürdige Aeusserungen. In Ansehnung des gesetzgebenden Oberhaupts eines Staats hat Herr Kant strenge Grundsätze. Z. B. S. 177. „Weil die Entthronung eines Monarchen doch auch als freywillige Ablegung der Krone und Niederlegung seiner Gewalt, mit Zurückgebung an das Volk, gedacht werden kann, oder auch als eine, ohne Vergreifung an der höchsten Person, vorgenommene Verlassung derselben, wodurch sie in den Privatstand versetzt werden würde, so hat das Verbrechen des Volks, welches sie erzwang, doch noch wenigstens den Vorwand des Nothrechts für sich, niemals aber das mindeste Recht ihn, das Oberhaupt, wegen der vorigen Verwaltung zu strafen; weil alles, was er vorher in der Qualität eines Oberhaupts that, als äusserlich rechtmäßig geschehen, angesehen werden muß, und er selbst, als Quell der Gesetze betrachtet, nicht unrecht thun kann. Unter allen Gräueln einer Staatsumwälzung durch Aufruhr, ist selbst die Ermordung des Monarchen noch nicht das ärgste; denn noch kann man sich vorstellen, Sie geschehe vom Volk aus Furcht, er /164/ könne, wenn er am Leben bleibt, sich wieder ermannen, und jenes die verdiente Strafe fühlen lassen, und soll also nicht eine Verfügung der Strafgerechtigkeit, sondern bloß der Selbsterhaltung seyn. Die Form der Hinrichtung ist es, was die mit Ideen des Menschenrechts erfüllte Seele mit einem Schaudern ergreift, das man wiederholentlich fühlt, so bald und so oft man diesen Auftritt denkt, wie das Schicksal Karls I. oder Ludwigs XVI.“ – S. 181. „Wenn eine Revolution einmal gelungen, und eine neue Verfassung gegründet ist, so kann die Unrechtmäßigkeit des Beginnens und der Vollführung derselben, die Unterthanen von der Verbindlichkeit, der neuen Ordnung der Dinge sich, als gute Staatsbürger, zu fügen, nicht befreyen, und sie können sich nicht weigern, derjenigen Obrigkeit ehrlich zu gehorchen, die jetzt die Gewalt hat. Der entthronte Monarch (der jene Umwälzung überlebt) kann wegen seiner vorigen Geschäftsführung nicht in Anspruch genommen werden, noch weniger aber gestraft werden, wenn er in den Stand des Staatsbürgers zurückgetreten, seine und des Staats Ruhe dem Wagstück vorzieht, sich von diesem zu entfernen, um als Prätendent das Abentheuer der Wiedererlangung desselben, es sey durch in geheim angestiftete Gegenrevolution, oder durch den Beystand anderer Mächte, zu bestehen. Wenn er aber das letztere vorzieht, so bleibt ihm, weil der Aufruhr, der ihn aus
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seinem Besitz vertrieb, ungerecht war, sein Recht an demselben unbenommen. Ob aber andere Mächte das Recht haben, sich diesem verunglückten Oberhaupt zum besten, in ein Staatenbündniß zu vereinigen, bloß um jenes vom Volk begangene Verbrechen nicht ungeahndet, noch als Skandal für alle Staaten bestehen zu lassen, mithin eine in jedem anderen /165/ Staat durch Revolution zu Stande gekommene Verfassung in ihre alte mit Gewalt zurückzubringen berechtigt und berufen seyn, das gehört zum Völkerrecht.“ – S. 183. „Von einem Landesherrn kann man sagen: er besitzt nichts (zu eigen), außer sich selbst; denn wenn er neben einem andern im Staat etwas zu eigen hätte, so würde mit diesem ein Streit möglich seyn, zu dessen Schlichtung kein Richter wäre. Aber man kann auch sagen: er besitzt alles, weil er das Befehlshaberrecht über das Volk hat, (jedem das Seine zu Theil kommen zu lassen) dem alle äußere Sachen (divisim) zugehören. – Hieraus folgt: daß es auch keine Korporation im Staat, keinen Stand und Orden geben könne, der als Eigentümer den Boden zur alleinigen Benutzung den folgenden Generationen (ins Unendliche) nach gewissen Statuten überliefern könne. Der Staat kann sie zu aller Zeit aufheben, nur unter der Bedingung, die Ueberlebenden zu entschädigen. Der Ritterorden (als Korporation oder auch blos Rang einzelner, vorzüglich beehrter Personen): der Orden der Geistlichkeit, die Kirche genannt, können nie durch diese Vorrechte, womit sie begünstiget werden, ein auf Nachfolger übertragbares Eigenthum am Boden, sondern nur die einstweilige Benutzung desselben erwerben. Die Komthureyen auf einer, die Kirchengüter auf der anderen Seite können, wenn die öffentliche Meinung wegen der Mittel, durch die Kriegsehre den Staat wider die Lauigkeit in Vertheidigung desselben zu schützen, oder die Menschen in demselben durch Seelmessen, Gebete und eine Menge zu bestellender Seelsorger, um sie vor dem ewigen Feuer zu bewahren, anzutreiben, aufgehört hat, ohne Bedenken (doch unter der vorgenannten Bedingung) aufgehoben werden. Die so hier in Reform fallen, können /166/ nicht klagen, daß ihnen ihr Eigenthum genommen werde; denn der Grund ihres bisherigen Besitzes lag nur in der Volksmeinung, und mußte auch so lange diese fortwährte, gelten. So bald aber diese erlosch, und zwar auch nur in dem Urtheil derjenigen, welche auf Leitung derselben durch ihr Verdienst den größten Anspruch haben, so mußte, gleichsam als durch eine Appellation desselben an den Staat (a rege male informato ad regem melius informandum) das vermeinte Eigenthum aufhören.“ – S. 189. „Daß eine Kirche einen gewissen Glauben, und welchen sie haben, oder daß sie ihn unabänderlich erhalten müsse, und sich nicht selbst reformieren dürfe, sind Einmischungen der obrigkeitlichen Gewalt, die unter ihrer Würde sind; weil sie sich dabey, als einem Schulgezänke, auf den Fuß der Gleichheit mit ihren Unterthanen einläßt (der Monarch sich zum Priester macht,) die ihr geradezu sagen können, daß sie hiervon nichts verstehe; vornämlich was das leztere, nämlich das Verbot innerer Reformen, betrift; – denn,
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was das gesamte Volk nicht über sich selbst beschliessen kann, das kann auch der Gesetzgeber nicht über das Volk beschliessen. Nun kann aber kein Volk beschliessen, in seinen den Glauben betreffenden Einsichten (der Aufklärung) niemals weiter fortzuschreiten, mithin auch sich in Anhebung des Kirchenwesens nie zu reformiren; weil dieß der Menschheit in seiner eigenen Person, mithin dem höchsten Recht desselben entgegen seyn würde. Also kann es auch keine obrigkeitliche Gewalt über das Volk beschliessen.“ – Bey der Frage: „ob der Souverain einen Adelstand, als einen erblichen Mittelstand zwischen ihm und den übrigen Staatsbürgern zu gründen berechtigt sey? kommt es nicht darauf an: ob es der Klugheit des Souverains, wegen seines oder des Volks Vortheils, /167/ sondern nur, ob es dem Rechte des Volkes gemäß sey, einen Stand von Personen über sich zu haben, die zwar selbst Unterthanen, aber doch in Ansehung des Volks, gebohrne Befehlshaber (wenigstens privilegirte) sind. – Die Beantwortung derselben geht nun hier, eben so wie vorher, aus dem Princip hervor: „was das Volk (die ganze Masse der Unterthanen) nicht über sich selbst und seine Genossen beschliessen kann, das kann auch der Souverain nicht über das Volk beschliessen.“ – Nun ist ein angeerbter Adel ein Rang, der vor dem Verdienst vorher geht, und dieses auch mit keinem Grunde hoffen läßt, ein Gedankending ohne alle Realität. Denn, wenn der Vorfahr Verdienst hatte, so konnte er dieses doch nicht auf seine Nachkommen vererben, sondern diese mußten es sich immer selbst erwerben; da die Natur es nicht so fügt, daß das Talent und der Wille, welche Verdienste um den Staat möglich machen, auch anarten. Weil nun von keinem Menschen angenommen werden kann, er werde seine Freyheit wegwerfen, so ist es unmöglich, daß der allgemeine Volkeswille zu einem solchen grundlosen Prärogativ zusammenstimme, mithin kann der Souverain es auch nicht geltend machen.Wenn indessen gleich eine solche Anomalie in das Maschinenwesen einer Regierung von alten Zeiten (des Lehnwesens, das fast gänzlich auf den Krieg angelegt war) eingeschlichen, von Unterthanen, die mehr als Staatsbürger, nemlich gebohrne Beamte (wie etwa ein Erbprofessor) seyn wollen, so kann der Staat diesen von ihm begangenen Fehler eines widerrechtlich ertheilten erblichen Vorzugs, nicht anders, als durch Eingehen und Nichtbesetzung der Stellen allmählich wiederum gut machen, und so hat er provisorisch ein Recht, diese Würde dem Titel nach fortdauern zu lassen, /168/ bis selbst in der öffentlichen Meinung die Eintheilung in Souverain, Adel und Volk, der einzigen natürlichen in Souverain und Volk Platz gemacht haben wird.“ – S. 196. „Richterliche Strafe kann niemals bloß als Mittel ein anderes Gute zu befördern, für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines Andern gehandhabt, und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn seine angebohrne Persönlichkeit schützt, ob er gleich die
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bürgerliche einzubüssen gar wohl verurtheilt werden kann. Er muß vorher strafbar befunden seyn, ehe noch daran gedacht wird, aus dieser Strafe einigen Nutzen für ihn selbst oder seine Mitbürger zu ziehen. Das Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ, und wehe dem, welcher die Schlangenwindungen der Glückseligkeitslehre durchkriecht, um etwas aufzufinden, was durch den Vortheil, den er verspricht, ihn von der Strafe, oder auch nur einem Grade derselben, entbinde nach dem pharisäischen Wahlspruch: es ist besser, daß ein Mensch sterbe, als daß das ganze Volk verderbe;“ – denn, wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Werth mehr, daß Menschen auf Erden leben.“ – S. 202. „Es hat der Marchese Beccaria, aus theilnehmender Empfindeley einer affektirten Humantität, seine Behauptung der Unrechtmäßigkeit aller Todesstrafe aufgestellt: weil sie im ursprünglichen bürgerlichen Vertrage nicht enthalten seyn könnte; denn, da hätte jeder im Volke einwilligen müssen, seyn Leben zu verlieren, wenn er etwa einen Andern im Volk ermordete; diese Einwilligung aber sey unmöglich, weil Niemand über seyn Leben disponiren könne. – Alles Sophisterey und Rechtsverdrehung!“ – (Der Beschluß folgt.) /169/ […] Beschluß der Rezension Nr. 42. [„]Strafe erleidet jemand nicht, weil er sie, sondern weil er eine strafbare Handlung gewollt hat; denn es ist keine Strafe, wenn jenem geschieht, was er will, und es ist unmöglich, gestraft werden zu wollen.“ – S. 204. „Es giebt zwey todeswürdige Verbrechen, in Ansehung deren, ob die Gesetzgebung auch die Befugniß habe, sie mit der Todesstrafe zu belegen, es noch zweifelhaft bleibt. Zu beiden verleitet das Ehrgefühl. Das eine ist das der Geschlechtsehre, das andere, der Kriegsehre, und zwar der wahren Ehre, welche jeder dieser zwey Menschenklassen als Pflicht obliegt. Das eine Verbrechen ist der mütterliche Kindermord (infanticidium maternale); das andere, der Kriegsgesellenmord (commilitonicidium), der Duell. – Da die Gesetzgebung die Schmach einer unehrlichen Geburt nicht wegnehmen, und ebenso wenig den Fleck, welcher aus dem Verdacht der Feigheit, der auf einen untergeordneten Kriegsbefehlshaber fällt, /170/ welcher einer verächtlichen Begegnung nicht eine über die Todesfurcht erhobene eigene Gewalt entgegensetzt, wegwischen kann: so scheint es, daß Menschen in diesen Fällen sich im Naturzustande befinden, und Tödtung (homicidium), die alsdann nicht einmal Mord (homicidium dolosum), heissen müsste, in beyden zwar allerdings strafbar sey, von der obersten Macht aber mit dem Tode nicht könne bestraft werden. Das unehliche Kind ist ausser dem Gesetz (denn das heißt Ehe), mithin auch ausser
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dem Schutz desselben, gebohren. Es ist in das gemeine Leben gleichsam eingeschlichen (wie verbotene Waare), so wie dieses seine Existenz (weil es billig auf diese Art nicht hätte existiren sollen), mithin auch seine Vernichtung ignoriren kann, und die Schande der Mutter, wenn ihre uneheliche Niederkunft bekannt wird, kann keine Verordnung heben. – Der zum Unterbefehlshaber eingesetzte Kriegsmann, dem ein Schimpf angethan wird, sucht sich eben so wohl durch die öffentliche Meinung der Mitgenossen seines Standes genöthigt, sich Genugthuung, und, wie im Naturstande, Bestrafung des Beleidigers, nicht durchs Gesetz, vor einem Gerichtshofe, sondern durch den Duell, darinn er sich selbst der Lebensgefahr aussetzt, zu verschaffen, um seinen Kriegsmuth zu beweisen, als worauf die Ehre seines Standes wesentlich beruht, sollte es auch mit der Tödtung seines Gegners verbunden seyn, die in diesem Kampfe, der öffentlich und mit beyderseitiger Einwilligung, doch auch ungern geschieht, eigentlich nicht Mord (homicidium dolosum) genannt werden kann. – Was ist nun in beyden (zur Criminalgerechtigkeit gehörigen) Fällen Rechtens? – Hier kommt die Strafgerechtigkeit gar sehr ins Gedränge: entweder den Ehrbegriff (der hier kein Wahn ist) durchs /171/ Gesetz für nichtig zu erklären, und so mit dem Tode zu strafen, oder von dem Verbrechen die angemessene Todesstrafe wegzunehmen, und so entweder grausam oder nachsichtig zu seyn. Die Auflösung dieses Knotens ist: daß der kategorische Imperativ der Strafgerechtigkeit (die gesetzwidrige Tödtung eines Andern müsse mit dem Tode bestraft werden) bleibt, die Gesetzgebung aber selbst (mithin auch die bürgerliche Verfassung), so lange noch als barbarisch und unausgebildet, daran Schuld ist, daß die Triebfedern der Ehre im Volk (subjectiv) nicht mit den Maaßregeln zusammentreffen wollen, die (objectiv) ihrer Absicht gemäß sind, so daß die öffentliche vom Staat ausgehende, Gerechtigkeit in Ansehung der aus dem Volke eine Ungerechtigkeit wird.“ – S. 213. „Es war ein grosser Fehltritt der Urtheilskraft eines mächtigen Beherrschers zu unserer Zeit, sich aus der Verlegenheit wegen großer Staatsschulden dadurch helfen zu wollen, daß er es dem Volke übertrug, diese Last nach dessen eigenem Gutbefinden selbst zu übernehmen und zu vertheilen; da es denn natürlicher Weise nicht allein die gesetzgebende Gewalt in Ansehung der Besteuerung der Unterthanen, sondern auch in Ansehung der Regierung in die Hände bekam: nemlich zu verhindern, daß diese nicht durch Verschwendung oder Krieg neue Schulden machte, mithin die Herrschergewalt des Monarchen gänzlich verschwand (nicht bloß suspendirt wurde) und aufs Volk übergieng, dessen gesetzgebenden Willen nun das Mein und Dein jedes Unterthans unterworfen wurde. Man kann auch nicht sagen: daß dabey ein stillschweigendes, aber doch vertragmäßiges Versprechen der Nationalversammlung, sich nicht eben zur Souveränität zu constituiren, sondern nur dieser ihr Geschäfte zu administriren, nach verrichtetem Geschäfte /172/ aber die Zügel des Regiments des Monarchen wiederum in seine Hände zu überliefern,
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angenommen werde müsse; denn ein solcher Vertrag ist an sich selbst null und nichtig. Das Recht der obersten Gesetzgebung im gemeinen Wesen ist kein veräusserliches, sondern das allerpersönlichste Recht. Wer es hat, kann nur durch den Gesammtwillen des Volks über das Volk, aber nicht über den Gesammtwillen selbst, der der Urgrund aller öffentlichen Verträge ist, disponiren. Ein Vertrag, der das Volk verpflichtete, seine Gewalt wiederum zurückzugeben, würde demselben nicht als gesetzgebender Macht zustehen, und doch das Volk verbinden, welches nach dem Satze: Niemand kann zweyen Herren dienen, ein Widerspruch ist.“ – Zu Elementen des Völkerrechts nimmt Herr Kant S. 216 folgende an: 1) daß Staaten im äussern Verhältnis gegen einander betrachtet, wie (gesetzlose Wilde) von Natur in einem nicht rechtlichen Zustande sind; 2) daß dieser Zustand ein Zustand des Kriegs (des Rechts des Stärkern), wenn gleich nicht wirklicher Krieg und immerwährende wirkliche Befehdung (Hostilität) ist, welche, (indem sie es beide nicht besser haben wollen), ob zwar dadurch keinem von dem andern Unrecht geschieht, doch an sich selbst im höchsten Grade unrecht ist, und aus welchem die Staaten, welche einander benachbart sind, auszugehen verbunden sind; 3) daß ein Völkerbund, nach der Idee eines ursprünglichen gesellschaftlichen Vertrags, nothwendig ist, sich zwar einander nicht in die einheimischen Mißhelligkeiten derselben zu mischen, aber doch gegen Angriffe der äusseren zu schützen; daß die Verbindung doch keine Souveräne Gewalt (wie in einer bürgerlichen Verfassung), sondern nur eine Genossenschaft (Föderalität) enthalten müsse; eine Verbindung, die zu /173/ aller Zeit aufgekündigt werden kann; mithin von Zeit zu Zeit erneuert werden muß, – ein Recht, in subsidium eines andern und ursprünglichen Rechts, den Verfall in dem Zustand des wirklichen Kriegs derselben unter einander von sich abzuwehren (foedus Amphyctionum.) –
13 [Johann Ernst Daniel Parow, in:] Neueste critische Nachrichten [Verf.: Pw.]. Hrsg. v. Johann Georg Peter Müller. Greifswald: Auf eigene Kosten. Bd. 23, 1797, S. 137‒141 u. 147‒150.¹ /137/ […] Der von dem philosophischen Publikum so oft geäußerte Wunsch, daß der berühmte Stifter der neuen critischen Philosophie, sich noch selbst entschließen möchte, die durch seine vorigen Schriften vorbereitete Metaphysik der Sitten zu bearbeiten, ist durch diese metaphysische Rechtslehre, wenigstens einem wichtigsten Theile nach, in Erfüllung gebracht. Dieses Werk muß nämlich als der erste Theil der sogenannten Metaphysik der Sitten betrachtet werden, und ihm sollen nächstens die metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre folgen. Das Ganze dieses ersten Theils zerfällt in 3 Abschnitte, wovon der erste eine Einleitung in die Metaphysik der Sitten, der andere das Privatrecht, und der dritte das öffentliche Recht enthält. Ueberall herrscht hier der nämliche Geist, welcher die übrigen Schriften des scharfdenkenden Verf. auszeichnet, doch so, daß dieses lezte Werk, seiner Kürze und Reichhaltigkeit wegen, die meisten der übrigen an Brauchbarkeit zu akademischen Vorlesungen übertrifft. Die Einleitung in die Metaphysik der Sitten wird, mit der aus der Critik der praktischen Vernunft bekannten Erklärung des Begehrungsvermögens eröfnet. Der Verf. beschreibt nämlich hier das Begehrungsvermögen als das Vermögen durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu seyn. Da aber dieser Erklärung so oft der Vorwurf gemacht worden, daß sie nicht auf das Begehrungsvermögen selbst, sondern nur auf gewisse Aeußerungen desselben passe; indem es Begierden giebt, deren Gegenstände nicht zur Wirklichkeit gebracht werden, welche also nicht Ursachen der Gegenstände unserer Vorstellungen sind; so werden die
[Nach einer Randnotiz in Adickes’ Handexemplar der ‚German Kantian Bibliography‘ handelt es sich bei dem Verfasser um Johann Ernst Daniel Parow, vgl. hierzu die Angabe von Bernd Ludwig, in: Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre., hrsg. v. Bernd Ludwig, Hamburg 1986, S. L, Anm. 11); vgl. auch Kants Anmerkungen zu dieser Rezension, in: Werner Stark, Anhang zur Einleitung: ‚Hagen 21‘. Ein Kant-Autograph zur Greifswalder Rezension der Rechtslehre, in: Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, hrsg. v. Bernd Ludwig, Hamburg 1986, S. XLI–XLV.] https://doi.org/10.1515/9783110702996-015
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meisten Leser gewiß ungerne eine Rechtfertigung wider diesen Einwurf vermissen. Wahrscheinlich hat aber der Hr. Verf. nur die besondere Causalität des Begehrungsvermögens (Vorstellungen realisiren oder objectiv gültig machen zu können) andeuten wollen und sich darauf verlassen, daß jeder nachdenkende Leser /138/ einsehen werde, wie bei Beschreibung eines Vermögens nur von einer blos möglichen, nicht von einer physisch wirklichen Realisirung der Vorstellungen die Rede seyn könne. Die Erklärung des Gefühls der Lust und Unlust, der Concupiscenz, des Willens und der Willkür, welche wir im Verfolge der Einleitung antreffen, verbreiten über das System des Hn. Verf. ein vorzügliches Licht. Die S. XXVII befindlichen Aeußerungen über die menschliche Freiheit sind ganz dem bekannten Reinholdischen Begriffe entgegen. „Freiheit der Willkür, heißt es daselbst, kann nicht durch das Vermögen der Wahl für oder wider das Gesetz zu handeln definirt werden. Obgleich der Mensch als Sinnenwesen ein Vermögen zeigt dem Gesetz nicht allein gemäß, sondern auch entgegen zu handeln; so wird dadurch seine Freiheit nicht als intelligibles Wesen definirt. Erscheinungen können keine übersinnlichen Objekte (dergleichen die freie Willkür ist) verständlich machen; auch kann die Freiheit eines vernünftigen Wesens unmöglich darin bestehen, daß es eine wider seine Vernunft streitende Wahl treffen kann. Die Freiheit in Beziehung auf die innere Gesetzgebung der Vernunft ist eigentlich allein ein Vermögen, die Möglichkeit von dieser abzuweichen ein Unvermögen (nämlich eines vernünftigen Wesens als solches betrachtet.) Daß aber eine solche Freiheit Realität habe, erhellet aus dem Daseyn der praktischen Grundsätze, welche nämlich eine von allen empirischen Verbindungen unabhängige Causalität voraussetzen. Die Gesetze der Freiheit, die zur Unterscheidung von den Naturgesetzen moralisch genannt werden, sind entweder juridisch oder ethisch; woraus denn eine zwiefache Gesetzgebung entspringt. Die Gesetzgebung, welche eine Handlung zur Pflicht und diese Pflicht zugleich zur Triebfeder macht, ist ethisch; diejenige aber, welche das leztere nicht im Gesetz mit einschließt, mithin auch eine andere Triebfeder als die Idee der Pflicht selbst zuläßt, ist juridisch. Rechtslehre und Tugendlehre unterscheiden sich also nicht sowohl durch ihre verschiedenen Pflichten, als vielmehr durch die Verschiedenheit der Gesetzgebung, welche die eine oder andere Triebfeder (den äußeren Zwang oder die Idee der Pflicht) mit dem Gesetz verbindet. Recht nennt der Verf. eine jede Handlung, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann. Daraus folgt das allgemeine Rechtsgesetz: Handle äußerlich so, daß der freie Gebaruch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann. Der Zwang ist nach /139/ dem Hn. Verf. für nichts anders, als für eine Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit zu halten; aus welchem Begriff auf eine ausnehmende Weise erhellet, warum mit einem jeden wirklichen
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äusseren Rechts auch zugleich die Befugniß denjenigen, der meinem Rechts Abbruch thut, zu zwingen, schon nachdem Satz des Widerspruchs verbunden ist. Das einzige angebohrne Recht des Menschen ist die Freiheit oder Unabhängigkeit von eines anderen nöthigenden Willkür. In demselben ist das Recht zur angebohrnen Gleichheit, Unbescholtenheit und zu allen Handlungen, durch welche den Rechten anderer nicht Abbruch geschieht, bereits enthalten. Das Privatrecht zerfällt nach dem Hn. Verf. in 3 Hauptstücke, wovon das erste von der Art etwas Aeußeres als das Seine zu haben; das andere von der Art etwas Aeußeres zu erwerben, und daher von dem Sachenrecht, dem persönlichen Recht, und einem auf dingliche Art persönlichen Recht, imgleichen von der idealen Erwerbung durch Ersitzung, Beerbung und unsterbliches Verdienst handelt. In dem 3ten Hauptst. endlich wird die subjectiv bedingte Erwerbung erörtert, und daher von dem Schenkungsvertrage, Leihvertrage, von dem Recht der Wiedererlangung und der Sicherheit durch Eidesablegung gehandelt. Rechtlich mein nennt der Hr. Verf. dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein anderer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädiren würde. Eine solche Läsion ist also nicht vor dem Verbundenseyn mit einer Sache möglich, und diese Verbindung soll denn auch wohl durch den physischen und intelligibeln Besitz, wovon in der Folge geredet wird, bezeichnet werden. Intelligibel heißt aber der blos rechtliche Besitz eines Gegenstandes, welcher auch ein Besitz ohne Inhabung ist. Ein solcher intelligible Besitz muß vorausgesetzt werden, wenn es überhaupt ein äußeres Mein und Dein geben soll; denn der bloß empirische Besitz oder die Inhabung einer Sache begründet noch kein Recht, welches ein reiner praktischer Vernunftbegriff ist, und daher nicht aus physischen Gesetzen, sondern aus Gesetzen der Freiheit deduzirt werden muß. Da wird es nun Aufgabe für die Vernunft, zu zeigen: Wie ein sich über den Begriff des empirischen Besitzes erweiternder Satz a priori möglich ist. Die Möglichkeit etwas Aeußeres als das Seine zu haben, ergiebt sich aber aus der ursprünglichen Gemeinschaft, in welcher sich alle Personen in Ansehung der nämlichen Sache befinden. Nach dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft darf nämlich kein Gegenstand der Willkür an sich (objectiv) herrenlos seyn, oder mit anderen Worten: Es muß mir erlaubt seyn, je-/140/den Gegenstand der Willkür als objektives Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln. Da nun jeder Mensch das Recht hat den Boden der Erde mit allen darauf befindlichen Sachen als einen Gegenstand der Willkür zu betrachten, dessen Besitz er sich nach Freiheitsgesetzen zueignet; so befinden sich alle Menschen in einer ursprünglichen Gemeinschaft des Bodens, aus welcher allein jede Privatbesitznehmung abgeleitet werden kann. Der einseitige Wille darf mithin in Ansehung eines äußeren Besitzes nicht zum Zwangsgesetz für jedermann dienen, und es ist der vereinigte Wille aller nöthig, um eine Privatbesitznehmung zugleich rechtskräftig zu machen. Da aber der Zustand eines zur Gesetzgebung
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wirklich vereinigten Willens der bürgerliche Zustand ist; so ist auch nur in der Conformität mit der Idee eines bürgerlichen Zustandes, das heißt, in Hinsicht auf ihn und seine Bewirkung eine ursprüngliche Erwerbung von etwas Aeußeren möglich. Im Naturzustande findet also keine peremtorische, sondern nur eine provisorische Erwerbung statt. Es giebt in demselben nur einen physischen Besitz der die rechtliche Präsumtion für sich hat, ihn durch Vereinigung mit dem Willen Aller in einer öffentlichen Gesetzgebung zu einem rechtlichen zu machen, und nur in der Erwartung darf er comparativ für einen rechtlichen gelten. Wenn Recens. auch dem Herrn Verf. alle diese Sätze einräumen möchte: so weiß er sich doch die auf der Seite 73 befindlichen Widersprüche (welche er gerne für scheinbar halten will) auf keine Weise zu lösen. „Ich bin also nicht verbunden,“ heißt es hier zuförderst, „das äußere Seine des Anderen unangetastet zu lassen, wenn mich nicht jeder andere dagegen auch sicher stellet, er werde in Ansehung des Meinigen sich nach eben demselben Princip verhalten.“ (Wozu ist hier denn eine Sicherstellung nöthig? Wie wenn der andere, mit welchem ich im Naturzustande zusammentreffe, mich auf keine Weise sicher stellen kann; hört denn da auch meine Verbindlichkeit auf, sein Eigenthum unangetastet zu lassen? Sollten die Gesetze der praktischen Vernunft nicht zum Voraus ihre Gültigkeit haben, bevor der bürgerliche Zustand realisirt werden konnte? Nach den hier geäußerten Principien scheint es, als ob man auch selbst in einem unvollkommenen Staat nicht verbunden sey, jedem Anderen das äußere Seine zu lassen. In einem jeden Staate befinden sich gemeiniglich Personen, mit deren Sicherstellung der eine oder andere nicht zufrieden seyn möchte. Eine bloße Zusicherung aber, oder eine unzulängliche Sicherstellung würde auch selbst im Naturzustande statt finden, aus welchem doch nach dem Verf. gerade /141/ um der Ermangelung jener Sicherstellung mitten, jedermann heraustreten soll. Doch noch größer wird die Verwirrung wenn es nun weiter heißt, daß diese Sicherstellung gar keines besonderen rechtlichen Acts bedürfe, sondern schon im Begriff einer äußeren rechtlichen Verpflichtung enthalten sey. Der Herr Verf. muß hier eine ganz besondere Art von Sicherstellung annehmen; denn wenn man gleich, auch ohne besonderen rechtlichen Act einem jeden, in so fern er ein Mensch oder vernünftiges Wesen ist, zutrauen darf, daß er das Eigenthumsrecht mit uns nach gleichen Principien beurtheilen werde; so ist hier doch noch nichts, was nach gewöhnlichen Begriffen den Namen einer Sicherstellung verdient. Indessen möchte man dem scharfsinnigen Verf. darin nachgeben, daß er diesen Begriff sich unter anderen Bestimmungen gedacht hat, wenn er nur nicht gleich in der folgenden Periode von einem collectiv-allgemeinen und machthabenden Willen redete, der allein jedermann soll diese Sicherheit leisten können. Um den allgemeinen Willen auszumachen und ihn mit einer solchen Macht zu verstehen, daß kein Einzelner seinen einseitigen Willen an dessen Stelle zu setzen, noch die Freiheit aller an-
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deren in Gefahr zu bringen wagt; dazu ist doch wohl ein besonderer rechtlicher Act nothwendig? Wie lässt sich dieser Satz denn mit dem obigen vereinigen, daß zu jener Sicherstellung gar kein besonderer rechtlicher Act erforderlich sey? Da die Nothwendigkeit des bürgerlichen Zustandes gerade etwas Wesentliches in dem System des Hn. Verf. ist: so wünschten wir, daß derselbe sich über die Sicherheitsleistung durch den collectiv-allgemeinen und machthabenden Willen etwas deutlicher und umständlicher erklärt haben möchte. Denn daß das Eigenthum der Staatsbürger in manchen Staaten nicht besser sicher gestellet sey, als es im Naturzustande geschehen könnte, lehrt die Erfahrung.) Die Fortsetzung nächstens. /147/ […] Fortsetzung des im vorigen Stück abgebrochenen Artikels. Der Lehre von den Verträgen hat Herr Kant dadurch mehr Consistenz zu geben gewußt, daß er das Verhältniß der Paciscenten als intellectuel und eben daher von Raum- und Zeitbedingungen unabhängig vorgestellt hat. Das persönliche Recht im Gegensatz des Sachenrechts erklärt derselbe für den Inbegriff derjenigen Gesetze, nach welchen ich im Besitz der Willkür eines Andern seyn kann, so wie das Recht in einer /148/ Sache in dem Recht des Privatgebrauchs einer Sache besteht, in deren (ursprünglichen oder gestifteten) Gesammtbesitz ich mit allen anderen bin. Außer dem dinglichen und persönlichen Recht nimmt Herr Kant noch ein auf dingliche Art persönliches Recht an. Dieses letztere besteht in dem Recht des Besitzes eines äußern Gegenstandes als einer Sache und des Gebrauchs desselben als einer Person. Von der Art ist das Recht, welches von den Eheleuten unter einander, von den Eltern gegen die Kinder, und in der dienstherrlichen Gesellschaft, ausgeübt wird. Die Eheleute müssen sich nämlich als solche Personen betrachten, welche nicht blos ein persönliches Recht auf einander ausüben, sondern sich auch im wechselseitigen Besitz befinden; so daß, wenn eines der Eheleute sich verlaufen oder sich in eines anderen Besitz begeben hat, das andere es jederzeit und unweigerlich, gleich als eine Sache, in seine Gewalt zurückzubringen berechtiget ist. Diese Ansicht verbreitet in der That über den Ehevertrag ein ganz vorzügliches Licht, und es wird durch dieselbe deutlich, warum weder das Conkubinat noch die Ehe zur linken Hand für wahre Ehen zu halten sind. Die Gründe aber, aus den der Herr Verf. nur allein die Monogamie und lebenswierige Ehe als rechtlich verteidigen will, hat Rec. nicht befriedigend gefunden. Warum sollten nicht mehrere Personen mit einer Person andern Geschlechts einen förmlichen Ehevertrag schließen können, ohne daß irgend jemand dabei seine Persönlichkeit aufopfert oder sich selbst zur Sache macht? Verliert doch der Diener dadurch seine Persönlichkeit nicht, daß er zugleich mit andern in die Dienste eines Herrn tritt. Die Unrechtmäßigkeit des Büchernach-
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drucks will der Verf. daraus erweisen, daß niemand ein persönliches Recht ohne einen bestimmten Vertrag mit einer Person ausüben darf; der Nachdrucker sich aber ein persönliches Recht anmaaße, (nemlich das den Verleger und Schriftsteller reden zu lassen) ohne dazu von dem Verleger die Vollmacht erhalten zu haben. Die Richtigkeit des Satzes: Kauf bricht Miethe, soll daraus erhellen, daß das volle Recht in einer Sache alles persönliche Recht überwiegt. Würde diesen Satz aber nicht der Nachdrucker für den willkürlichen Gebrauch seines gekauften Exemplars anführen können? – Auffallend ist es, in der Folge die Erwerbung eines fremden Eigenthums durch den langen Besitz, imgleichen die Gültigkeit der Testamente nach dem ersten Naturrecht, vertheidiget zu finden. In Ansehung des lezteren erklärt der Hr. Verf. sich deutlich genug, daß er nichts weiter behaupten wolle, als daß die Testamente fähig und würdig sind, im bürgerlichen Zustande /149/ eingeführt zu werden. Daß aber die Wiedererlangung einer verlornen von einem Andern in Besitz genommenen Sache dem Postulat der rechtlich praktischen Vernunft widerspreche, und daß daher die Ersitzung im Naturzustande nothwendig sey, darin können wir dem Herrn Verf. nicht beistimmen. Will derselbe im Naturzustande keinen andern als physischen Besitz gelten lassen; so folgt freilich der Satz schon aus diesem Begriffe. Aber kann denn der physische Besitz an und für sich Rechte auf ein äußeres Mein und Dein begründen? und darf nicht der frühere Eigenthümer in Hinsicht auf den bürgerlichen Zustand eben sowohl auf das Recht der Wiedererlangung Ansprüche machen, als der spätere vermeinte Besitzer. Wir vermissen hier wieder eine deutliche Erklärung von demjenigen, was der V. unter Naturzustand und bürgerlichen Zustand verstanden wissen will. Im Staatsrecht treffen wir die nämlichen Behauptungen an, welche schon aus den kleineren Schriften des Hn. Verf. bekannt sind. So lesen wir z. B. S. 174 den Satz: der Herrscher im Staat hat gegen den Unterthan lauter Rechte und keine (Zwangs‐) Pflichten. Die Richtigkeit dieses Satzes erhellet freilich schon aus den in demselben vorkommenden Begriffen; denn ein Staat, in welchem der Unterthan den Herrscher durch Zwang zur Befriedigung seiner Willkür nöthigen könnte, wäre wohl gar kein Staat zu nennen. Es ist auch aus andern Stellen sehr deutlich, daß der Verf. den Souverain oder Herrscher mit dem Regenten eines Volks keinesweges für eins und dasselbe hält, man sehe z. B. S. 171. Aber warum wird doch von jenem Satz S. 178 wieder eine Anwendung auf Carl den 1sten und Ludwig den XVI, dessen Mord der Verf. übrigens mit Recht verabscheuet, gemacht; warum werden diese als Quellen der Gesetze betrachtet, die deswegen, weil sie nicht unrecht thun konnten, auch nicht bestraft werden dürften? Scheint da nicht offenbar das auf den Regenten übertragen zu seyn, was nur allein von dem Souverain (dem vereinigten Volkswillen) gesagt werden darf? Muß der Regent sich nicht auch als dem allgemein gesetzgebenden Willen untergeordnet betrachten? Noch verdient die Lehre vom Straf- und Begnadigungsrecht vorzüg-
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lich die Aufmerksamkeit unserer Leser. „Richterliche Strafe, heißt es S. 196, kann nie blos als Mittel ein anderes Gut zu befördern, für den Verbrecher selbst oder die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat.“ Dies hat freilich in so weit seine Richtigkeit, als kein Richter über den Zweck der von ihm verhängten Strafe vernünfteln darf. Er muß die mit der Ueber-/150/tretung eines Gesetzes verbundene Strafe ohne alle weitere Rücksicht vollziehen lassen. Aber darf der Criminalgesetzgeber in keiner anderen Absicht Strafen verordnen, als um dem Uebertreter wehe zu thun, und in seinen Verordnungen kein anderes als das Princip der Wiedervergeltung (nach der Meinung des Hn. Verf.) befolgen? Ist es nicht vielmehr die Sicherheit des Ganzen und aller einzelnen Bürger, welche, so wie alle Gesetzgebung überhaupt, auch die Criminalgesetzgebung leiten muß? Wäre es nicht zweckmäßiger, Mörder und Diebe zum Beßten der durch sie beleidigten und zurückgesetzten Familien, unter Aufsicht des Staats zu harten und schweren Arbeiten zu verurtheilen, als nach dem Princip der Wiedervergeltung die ersteren ohne alle Gnade aus der Welt zu schaffen, und die anderen blos außer Stand zu setzten, sich ein ausschließliches Eigenthum zu erwerben? – Diese Erinnerungen beizufügen hielte Rec. darum für Pflicht; damit die schon so großen Verdienste des würdigen Hn. V. noch wo möglich dadurch erhöhet werden möchten, daß er entweder selbst oder durch andere gelehrte Männer dem Publikum über die noch nicht genügsam erläuterten Gegenstände seiner scharfsinnigen Rechtswissenschaft nähere Belehrungen ertheilte. Vorzüglich aber sieht Rec. der von dem Hn. Verf. versprochenen nächstzuliefernden Tugendlehre voll Verlangen entgegen, und wünscht, daß es demselben in seinem hohen Alter weder an Zeit noch Geisteskraft fehlen möge, die dunkeln Lehren derselben in ein helleres Licht zu setzen. Für die Berichtigung mancher Druckfehler in dem vorliegenden Werk wird hoffentlich der Verleger Sorge tragen. Pw.
14 Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung [Verf.: E. R.]. Salzburg: Oberdeutsches Staatszeitungs-Comtoir. 10. Jg., 1797, Bd. 1, Sp. 1041‒1056 u. 1057‒1067. /1041/ […] Gewiß ist gegenwärtiges Decennium an Revolutionen aller Art ungleich reicher, als je eines in den Jahrbüchern der Menschengeschichte. Und bey einer so allgemeinen und heftigen Gährung fehlt es denn auch nicht an Männern, die die Bewunderung ihres Zeitalters sind; fehlt es nicht an Thaten und Geistesproducten, die allgemeine Aufmerksamkeit erregen. Freude ist es für jeden Weltbürger, wenn er mit aufmerksamem Blicke auf die Geschichte des menschlichen Geistes hinsieht; wenn er der allmählig von Stufe zu Stufe fortschreitenden Ausbildung desselben nachspürt; wenn er sieht, wie immerzu große Geister sich emporschwangen, und die Menschheit ihrem Ziele näher rückte. Aber wer kann sich zugleich auch des Lächelns enthalten, wenn er oft enthusiastisch von Genie und Geistesgröße rühmen hört, und, indem er mit forschendem Auge etwas näher tritt, etwa eine Mücke findet, die ihren Glanz von der nahen Flamme borget! So ist’s einmahl! Der große Denker, der es muthig gewagt hat, irgend eine neue Bahn zum göttlichen Ziele – Wahrheit – zu brechen, hat immer ein zahlreiches Gefolge von geschäftigen Begleitern bey sich, die hinter ihm daher schwärmen. Er schreitet ruhig fort auf dem königlichen Wege, schlendert wohl oft in Nebengefihlden herum; aber immer kehrt er sicher wieder auf den Hauptpfad zurück, den er allererst betreten hatte. Beliebt es ihm je zuweilen in seinem philosophi-/1042/schen Gange halt zu machen, so schwärmen die hastigen Köpfe seines Gefolges voraus, wagen sich auf Nebenpfade, die ihr Führer noch nicht gebahnt hatte und verlieren die Hauptstrasse aus den Augen. – Dieß ist die Geschichte eines jeden Systemes, dieß ist auch die Geschichte der kritischen Philosophie; und die Bemerkung, welche sich vorzüglich dabey machen läßt, ist wohl sicher die, daß nur der Urheber eines philosophischen Systemes, dessen Gedankengebäude nothwendig ganz vom Geiste desselben bewohnt und belebt seyn muß, allein die aufgestellten Principien auf jeden einzelnen Zweig der Philosophie richtig zu übertragen weiß, und daß hingegen die Anhänger desselben, sie mögen nun zur sogenannten strengen, oder zur freyeren Partey gehören, immer auf irgend eine Weise sich wider den Geist des Systemes, für das sie sich erklären, zu versündigen pflegen, wenn sie es wagen, eine eigene Anwendung der Principien desselben auf besondere Theorien zu machen. https://doi.org/10.1515/9783110702996-016
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Auffallender als in irgend einem Zweige der Philosophie zeigt sich die Richtigkeit der angeführten Bemerkung bey der philosophischen Rechtslehre. Rec. verkennet keineswegs die Verdienste so vieler und berühmter Männer, die sich bisher um die Bearbeitung dieser für die Menschheit so vorzüglich interessanten Wissenschaft angenommen, sie mit vielem Fleiße und Scharfsinne behandelt, und die richtigsten und treffendsten Bemerkungen darüber dargelegt hatten. Auch ist er weit davon entfernt, aus leidenschaftlicher Anhänglichkeit an die Kantische Kritik die Werke derer zu verdammen, die den Weg des freyeren Selbstdenkens gewählt hatten; aber das glaubt er unwiderlegbar behaupten zu dürfen, daß bey keinem der bisher gelieferten Systeme der philosophischen Rechtslehre die rein-kritischen Principien richtig angewandt worden sind. Nun übernahm es Kant selbst, diesen Zweig der /1043/ Philosophie zu bearbeiten. Die allgemeine Sensation, welche sein Meisterwerkchen „zum ewigen Frieden etc.“ verursachte, ließ schon im Voraus die Art der Aufnahme einer Metaphysik der Rechte aus der Feder dieses Mannes vermuthen. Rec. zweifelt nicht, daß sich dieß Werk ohnehin schon in den Händen der meisten Freunde des philosophischen Studiums befinde; doch glaubt er, es werde vielen Lesern dieser Blätter nicht unangenehm seyn, wenn sie den Hauptinhalt desselben hier in einem gedrängten Auszuge finden. Er will es versuchen, ihn so viel, als möglich, mit Beybehaltung der Worte des Verfassers darzulegen. Diese metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre, welche ein Gegenstück zu den schon gelieferten metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft sind, machen den ersten Theil der Metaphysik der Sitten aus, und ihnen ist nun bereits auch der zweyte Theil derselben gefolgt, welcher die metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre enthält. Der Verfasser wählte die Benennung metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, weil von der Rechtslehre nur Annäherung zu einem System, nie aber dieses selbst erwartet werden kann; denn da der Begriff des Rechts ein reiner, jedoch auf Praxis gestellter Begriff ist, so müßte ein metaphysisches System desselben in seiner Eintheilung auch auf die Mannigfaltigkeit der in der Erfahrung vorkommenden Fälle Rücksicht nehmen, um die Eintheilung (nach der unerläßlichen Forderung der Vernunft bey Errichtung eines jeden Systemes) vollständig zu machen. Allein Vollständigkeit der Eintheilung des Empirischen ist schlechterdings unmöglich. Er verfährt also auf die Art, daß er das Recht, welches zu einem a priori entworfenen System gehört, in den Text; die Rechte aber, welche auf besondere Erfahrungsfälle bezogen werden, in zum Theile weitläufige Anmerkungen bringt, weil sonst, wie er sagt, das, was hier Metaphysik ist, von dem, was empirische Rechtspraxis ist, nicht wohl unterschieden werden könnte. Der Rechtslehre selbst schickt der Hr. Verfasser eine Einleitung voraus, worin die rein-moralischen Begriffe überhaupt, und der Begriff des Rechts ins Beson-
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dere entwickelt wird. Sie begreift daher zwey Abtheilungen in sich, nämlich die Einleitung in die Metaphysik der Sitten überhaupt, und in die Metaphysik der Rechte. Jene enthält drey Abhandlungen, von denen Recensent nur das auszeichnen will, was ihm vorzüglich interes-/1044/sant scheint, und auf die Rechtslehre helleres Licht verbreitet. I. Von dem Verhältnisse des menschlichen Gemüthes zu dem Sittengesetze. Nachdem hier die Begriffe, Begehrungsvermögen, Gefühl, Begierde, Wille, Freyheit, moralisches Gesetz u.s.w. auseinandergesetzt worden sind, erklärt sich der Verf. über den Unterschied zwischen den ethischen und juridischen Gesetzen auf folgende Weise: „Die Gesetze der Freyheit, sagt er (Einleit. S. VI.) oder die moralischen heißen, in so fern sie nur auf bloß äußere Handlungen und deren Gesetzmäßigkeit gehen, juridische; fordern sie aber auch, daß sie (die Gesetze) selbst Bestimmungsgründe der Handlungen seyn sollen, so sind sie ethisch; und alsdann sagt man: Die Uebereinstimmung mit den ersteren ist die Legalität, die mit den zweyten die Moralität der Handlung. Die Freyheit, auf die sich die ersteren Gesetze beziehen, kann nur Freyheit im äußeren Gebrauche; diejenige aber, auf die sich letztere beziehen, die Freyheit sowohl in äußerem als innerem Gebrauche der Willkühr seyn, sofern sie durch Vernunftgesetze bestimmt wird. So sagt man in der theoretischen Philosophie: Im Raume sind nur die Gegenstände der äußeren Sinne, in der Zeit aber alle, sowohl die Gegenstände äußerer, als des inneren Sinnes, weil die Vorstellungen beyder doch Vorstellungen sind, und sofern insgesammt zum inneren Sinne gehören. Eben so mag die Freyheit im äußeren oder inneren Gebrauche der Willkühr betrachtet werden, so müssen doch ihre Gesetze als reine, praktische Vernunftgesetze für die freye Willkühr überhaupt zugleich innere Bestimmungsgründe derselben seyn, obgleich sie nicht immer in dieser Beziehung betrachtet werden dürfen.“ II. Von der Idee der Nothwendigkeit einer Metaphysik der Sitten (S. VII.). Größten Theils schon aus anderen Schriften des Verfassers bekannte, aber sehr tiefgedachte Bemerkungen. III. Von der Eintheilung der Metaphysik der Sitten (S. XIII.). Zu jeder Gesetzgebung (sie mag nun innere oder äußere Handlungen, und diese entweder a priori durch bloße Vernunft oder durch Willkühr eines Anderen vorschreiben) gehören zwey Stücke: Erstlich ein Gesetz, welches die Handlung, die geschehen soll, objectiv nothwendig vorstellt, d. i. welches die Handlung zur Pflicht macht; zweytens eine Triebfeder, welche den Bestimmungsgrund der Willkühr zu dieser Handlung subjectiv mit der Vorstellung des /1045/ Gesetzes verknüpft. Die ethische Gesetzgebung macht die Handlung zur Pflicht, und diese Pflicht zugleich zur Triebfeder; die juridische hingegen schließt das Letztere nicht im Gesetze mit ein, läßt mithin auch eine andere Triebfeder, als die Pflicht selbst zu. Diese Triebfeder ist Abneigung, weil die juridische Gesetzgebung nöthigend ist.
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Die ethische Gesetzgebung schließt nur die innere Triebfeder der Handlung (die Idee der Pflicht) in ihr Gesetz mit ein, welche Bestimmung durchaus nicht in die äußere Gesetzgebung einfließen muß. Alle Pflichten also, bloß weil sie Pflichten sind, gehören mit zur Ethik; aber ihre Gesetzgebung ist darum nicht alle Mahle in der Ethik enthalten, sondern von vielen außerhalb derselben. Die Ethik lehrt nur, daß, wenn die Triebfeder, welche die juridische Gesetzgebung mit jener Pflicht verbindet, nämlich der äußere Zwang auch weggelassen wird, die Idee der Pflicht allein schon zur Triebfeder hinreichend sey. Es ist keine Tugendpflicht, sein Versprechen zu halten, sondern eine Rechtspflicht, zu deren Leistung man gezwungen werden kann. Aber es ist doch tugendhafte Handlung (Beweis der Tugend), es auch da zu thun, wo kein Zwang besorgt werden darf. Rechtslehre und Tugendlehre unterscheiden sich also nicht sowohl durch ihre verschiedenen Pflichten, als vielmehr durch die Verschiedenheit der Gesetzgebung, welche die eine oder die andere Triebfeder mit dem Gesetze verbindet. Die ethische Gesetzgebung kann nie äußerlich seyn, die juridische ist eine äußerliche. IV. Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten. Hier werden die Begriffe, die der Metaphysik der Sitten in ihren beyden Theilen gemein sind, entwickelt. Daraus nur die Stelle, wo sich der Hr. Verf. sehr scharfsinnig über den Unterschied zwischen den äußeren natürlichen und positiven Gesetzen äußert. „Für beyde, heißt es S. XXIV., muß eine äußere Gesetzgebung möglich seyn; bey jenen aber kann die Verbindlichkeit zu ihnen auch ohne äußere Gesetzgebung a priori durch die Vernunft erkannt werden; diese hingegen würden ohne wirkliche äußere Gesetzgebung gar nicht verbinden, also ohne die letztere nicht Gesetze seyn.“ Die zweyte Abtheilung der Einleitung, nämlich die Einleitung in die Rechtslehre ins Besondere, fängt der Verfasser mit der Erklärung der Rechtslehre an. Diese ist ihm (S. XXXI.) der Inbegriff der Gesetze, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist. Ist eine solche Gesetzgebung wirklich, so ist sie die Lehre des positiven Rechts. Rechtswissenschaft heißt man die systematische /1046/ Kenntnis der natürlichen Rechtslehre. Rechtsklugheit ist der Inbegriff der Kenntnisse, wie die äußeren Gesetze auf die in der Erfahrung vorkommenden Fälle angewandt werden müssen. Als Definition des Rechts stellet er (S. XXXIII.) folgenden Satz auf: „Das Recht ist der Inbegriff von den Bedingungen, unter denen die Willkühr des Einen mit der Willkühr des Anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freyheit zusammen vereiniget werden kann. Der oberste Grundsatz des Rechts heißt ihm: Eine jede Handlung ist recht, die, oder nach deren Maxime die Freyheit der Willkühr eines Jeden mit Jedermanns Freyheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“ Also aus dieser Formel sieht man hinlänglich, daß der Hr.Verfasser keineswegs das allgemeine Princip der Rechtslehre von dem Sittengesetze herleitet. Sie sind völlig heterogener Natur, und unmöglich kann also eines die Quelle
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des anderen seyn. Zwar ist das Rechtsgesetz ein Gesetz (wie jenes), welches mir Verbindlichkeit auferlegt; aber welches zugleich ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich ganz um dieser Verbindlichkeit willen meine Freyheit auf jene Bedingungen selbst einschränken soll: sondern die Vernunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sey, und von anderen auch thätlich eingeschränkt werden dürfe, und dieses sagt sie als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist. – Wenn die Absicht nicht ist, Tugend zu lehren, sondern nur was recht sey vorzutragen, so darf und soll man selbst nicht jenes Rechtsgesetz als Triebfeder der Handlung vorstellig machen. Als Folgesatz aus jenem allgemeinen Princip ergibt sich, daß das Recht mit dem Befugniß zu zwingen jederzeit verbunden ist. Es kann daher auch als die Möglichkeit eines mit Jedermanns Freyheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden durchgängigen wechselseitigen Zwanges vorgestellt werden, und alsdann ist es das strikte Recht, dem gar nichts Ethisches beygemischt ist, dasjenige, welches keine anderen Bestimmungsgründe der Willkühr, als bloß äußere fordert; denn alsdann ist es rein, und mit keinen Tugendvorschriften vermengt. Wichtig und bemerkenswerth ist, was der Hr. Verf. (S. XXXVI.) über die Construction des Rechtsbegriffes sagt. Möchten doch alle Philosophen, welche sich um die Bearbeitung der Rechtslehre angenommen haben, jene Stelle recht aufmerksam nachlesen, und bey der Behandlung dieser /1047/ Wissenschaft immer streng darauf Rücksicht nehmen, ihre Theorien würden dann gewiß eine solidere Gestalt bekommen, und so mancher Zank in entgegengesetzten Behauptungen recht lächerlich erscheinen! In einem Anhange sondert der Verf. noch zwey Arten von zweydeutigem Rechte aus der eigentlichen Rechtslehre, damit, wie er sich ausdrückt, ihre schwankenden Principien nicht auf die festen Grundsätze der ersteren Einfluß bekommen. Diese zweydeutigen Rechte sind die Billigkeit und das Nothrecht, von denen die erste ein Recht ohne Zwang, das zweyte einen Zwang ohne Recht annimmt. Ihre Doppelsinnigkeit aber beruht eigentlich darauf, daß es Fälle eines bezweifelten Rechts gibt, zu deren Entscheidung kein Richter aufgestellt werden kann. In beyden Rechtsbeurtheilungen entspringt die Doppelsinnigkeit aus der Verwechselung der objectiven mit den subjectiven Gründen der Rechtsausübung, da denn, was Jemand für sich selbst mit gutem Grunde für Recht erkennet, vor einem Gerichtshofe nicht Bestätigung finden, und, was er selbst an sich als unrecht beurtheilen muß, von eben demselben Nachsicht erlangen kann, weil der Begriff des Rechts in diesen zwey Fällen nicht in einerley Bedeutung genommen ist. Was die Eintheilung der Rechtslehre betrifft, so macht der Verf. folgende: Erstlich eine Obereintheilung in zwey Haupttheile, von denen der erste das angebohrne Recht, welches unabhängig von jedem rechtlichen Acte Jedermann von
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Natur zukommt, der zweyte das erworbene behandelt, wozu ein solcher Act erfordert wird. Das angebohrne Recht ist nur ein einziges. Es ist die Freyheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willkühr), so fern sie mit jedes Anderen Freyheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann. Das Mein und Dein aus diesem Recht heißt das innere, während das aus den erworbenen Rechten das äußere genannt wird. Weil es in Ansehung des inneren Mein und Dein keine Rechte, sondern nur Ein Recht gibt, so würde diese Obereintheilung aus zwey sehr ungleichen Gliedern bestehen: der Verf. wirft sie also in die Prolegomenen, und beschränkt die Eintheilung der Rechtslehre bloß auf das äußere Mein und Dein. Diese ist nun folgende: In das Privatrecht – das Recht im Naturzustande, außer aller bürgerlichen Verfassung und den öffentlichen Gesetzen; und in das öffentliche Recht, den Inbegriff der Gesetze, die einer allgemeinen Bekanntmachung bedürfen, um einen rechtlichen Zustand /1048/ (unter einer distributiven Gerechtigkeit) hervorzubringen. I. Das Privatrecht. Vom äußeren Mein und Dein überhaupt. Dieser Theil zerfällt in drey Hauptstücke, von welchen das erste von der Art etwas Aeußeres, als das Seine, zu haben; das zweyte von der Art, etwas Aeußeres, als das Seine, zu erwerben; das dritte von der subjectiv-bedingten Erwerbung durch den Ausspruch der öffentlichen Gerichtsbarkeit handelt. Das erste Hauptstück. Das Rechtlich-Meine ist dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein Anderer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mir schaden würde. Wenn etwas Mein seyn soll, so muß ich es besitzen; aber es gibt doch unzählige Fälle, wo ich etwas Mein nennen kann, das ich doch wirklich nicht besitze. Diesen vermeinten Widerspruch zu heben, und die Möglichkeit des äußeren Mein und Dein zu zeigen, ist der Zweck dieses Hauptstückes. Zuvörderst unterscheidet der Hr. Verf. zwey Arten des Besitzes, einen physischen (wirkliche Inhabung des Gegenstandes im Raume und in der Zeit) – Possessio phaenomenon – und einen intelligiblen (Verbindung mit dem Gegenstand durch bloßen Verstand) – possessio noumenon. Die Möglichkeit, daß das, was ich physisch besitze, Mein seyn könnte, ergibt sich analytisch aus dem angebohrnen Rechte auf Freyheit; denn das, was ich physisch besitze, gehört zu den innern Meinen, und wer es wider meinen Willen afficirt (z. B. mir den Apfel aus der Hand reißt), afficirt meine Freyheit, und seine Maxime steht folglich mit dem Axiom des Rechts in geradem Widerspruch. Aber daß das, was ich nicht inhabe, rechtlich Mein sey; daß mithin auch ein intelligibler Besitz Statt finden könne (daß ich etwas mein nennen könne, ohne daß ich es besitze), ist ein synthetischer Satz, der nach dem bloßen Satz des Widerspruchs aus dem allgemeinen Rechtsprincip nicht folgt, und auf welchem gleichwohl die Möglichkeit alles äußeren Mein und Dein beruht.
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Der Grund der Möglichkeit des intelligiblen Besitzes ist die Idee der ursprünglichen Gemeinschaft des Bodens und aller Sachen auf demselben. Diese Idee, welche von der uranfänglichen Gemeinschaft (communio primaeva) einer bloßen Erdichtung ganz unterschieden ist, hat objective (rechtlich-practische) Realität. Denn es ist eine Voraussetzung a priori der praktischen Vernunft, einen jeden Gegenstand meiner Willkühr als ob-/1049/jectiv-mögliches Mein und Dein zu behandeln, weil kein Gegenstand der Willkühr an sich herrenlos seyn kann; für jeden Menschen ist es also Rechtspflicht, gegen den anderen so zu handeln, daß das Aeußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend Jemanden werden könne. Das ist nun aber nichts anders, als jene Idee der ursprünglichen Gemeinschaft etc. Dadurch, daß sich jeder dem Postulate der praktischen Vernunft gemäß des Gebrauches der äußeren Gegenstände bis auf eine gewisse Gränze bescheidet, wird es zugleich allen übrigen möglich, sich in den Besitz derselben zu setzen, d. i., sie mit ihrem Willen in Verbindung zu bringen. Diese Verbindung nun, abstrahirt von allen Bedingungen des Raumes und der Zeit, ist der intelligible Besitz – ein reiner Verstandesbegriff. Dieser Begriff ist die Bedingung der Anwendung der Idee des Rechts überhaupt, welche bloß in der Vernunft liegt, auf die Objecte der Erfahrung. Hiermit ist die Möglichkeit des äußeren Mein und Dein bewiesen, und zugleich obiges Paradoxon gelöset, daß man nämlich nichts Sein nennen kann, was man nicht (intelligibel) besitzt, und daß hingegen vieles das Seine von Jemanden seyn kann, ohne daß er es (physisch) besitzt. Die Anwendung dieses Rechtes ist indeß nur in dem bürgerlichen Zustande möglich; nur da kann äußeres Mein und Dein Statt haben. Denn, wenn ich etwas Aeußeres als Mein erkläre, so erkläre ich jeden Anderen für verbindlich, sich des Gegenstandes meiner Willkühr zu enthalten; bekenne aber zugleich, zu der nämlichen Enthaltsamkeit in Rücksicht des äußeren Seinen verbunden zu seyn; und so umgekehrt. Diese Sicherheitsstellung bedarf gar keines rechtlichen Aktes; sondern ist schon in dem Begriffe einer äußeren Verpflichtung enthalten. Der einseitige Wille kann aber in Ansehung eines äußeren, mithin zufälligen Besitzes nicht zum Zwanggesetze für Jedermann dienen. Also ist nur ein jeden Anderen verbindender, mithin collectiv allgemeiner und machthabender Wille derjenige, welcher Jedermann diese Sicherheit leisten kann. Dieser ist aber nur im bürgerlichen Zustande realisirt. Also etc. Daraus folgt, daß es erlaubt seyn müsse, Jeden, mit dem es über das äußere Mein und Dein zum Streit kommt, zu nöthigen, mit in eine bürgerliche Verfassung zu treten. Obgleich aber nur in der bürgerlichen Verfassung sicherer Besitz (durch ein Gesetz des gemeinsamen Willens) möglich ist; so ist doch, ab-/1050/gesehen von dem bürgerlichen Zustande, möglich, etwas als das Seine zu haben; es ist physischer Besitz, der die rechtliche Präsumtion für sich hat, ihn durch die Vereini-
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gung mit dem Willen Aller in einer öffentlichen Gesetzgebung zum rechtlichen zu machen. Jenen nennt der Verf. peremtorischen, diesen provisorisch-rechtlichen Besitz. Das zweyte Hauptstück. Erwerben heißt machen, daß etwas Mein werde. Und das Princip der äußeren Erwerbung ist: Was ich (nach dem Gesetze der äußeren Freyheit) in meine Gewalt bringe, und wovon als Object meiner Willkühr Gebrauch zu machen ich (nach dem Postulate der praktischen Vernunft) das Vermögen habe; endlich, was ich (gemäß der Idee eines möglichen vereinigten Willens) will, es soll Mein seyn, das ist Mein. Die Eintheilung der Erwerbung trifft der Verf. (S. 79.) auf folgende Weise: 1) Der Materie (dem Objecte) nach erwerbe ich entweder eine körperliche Sache (Substanz), oder die Leistung (Causalität) eines Anderen, der diese andere Person selbst, d. i., den Zustand derselben, so fern ich ein Recht erlange, über denselben zu verfügen (das Commercium mit derselben). 2) Der Form (Erwerbungsart) nach ist es entweder ein Sachenrecht, oder ein persönliches Recht, oder ein dinglich-persönliches Recht des Besitzes (ob zwar nicht des Gebrauches) einer anderen Person als einer Sache. 3) Nach dem Rechtsgrunde der Erwerbung, welches eigentlich kein besonderes Glied der Eintheilung der Rechte, aber doch ein Moment der Art ihrer Ausübung ist, entweder durch den Act einer einseitigen, oder doppelseitigen, oder allseitigen Willkühr, wodurch etwas Aeußeres erworben wird. Nun wird von diesen dreyerley Erwerbungsarten ins Besondere in drey Hauptstücken gehandelt. I. Vom Sachenrecht. Das Recht an einer Sache (S. 81.) ist ein Recht des Privatgebrauches einer Sache, in deren (ursprünglichem oder gestiftetem) Gesammtbesitz ich mit allen Anderen bin. Ein isolirter Mensch kann also eigentlich nichts als das Seine (zum Eigenthum) erwerben. Ursprüngliche Erwerbung ist die, welche nicht von dem Seinen eines Anderen abgeleitet ist. Soll diese Statt finden, so bedarf sie zur Bedingung des empirischen Besitzes die Priorität der Zeit vor jedem Anderen, der sich dieser Sache bemächtigen will. Dann heißt sie die erste Erwerbung. Die /1051/ erste Erwerbung einer Sache kann keine andere, als die des Bodens seyn. Denn der Boden (unter welchem alles bewohnbare Land verstanden wird) ist in Ansehung alles Beweglichen darauf, als Substanz, die Existenz des letzteren aber nur als Inhärenz zu betrachten. Ein jeder Boden kann ursprünglich erworben werden (nach dem Postulate der praktischen Vernunft), und der Grund der Möglichkeit dieser Erwerbung ist die ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens überhaupt (nicht der uranfängliche Gesammtbesitz). Der rechtliche Akt dieser Erwerbung ist Bemächtigung. Denn bey der ersten Erwerbung kann der Wille nur einseitig seyn; die Erwerbung aber eines äußeren Gegenstandes der Willkühr durch einseitigen Willen ist Bemächtigung. Nur im bürgerlichen Zustande kann
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etwas peremtorisch, hingegen im Naturzustande zwar überhaupt auch, aber nur provisorisch erworben werden. II. Vom persönlichen Rechte. Der Besitz der Willkühr eines Anderen als Vermögen, sie durch die meine nach Freyheitsgesetzen zu einer gewissen That zu bestimmen, heißt ein persönliches Recht. Die Erwerbung dieser Art der Rechte kann nicht ursprünglich und eigenmächtig; sondern allein durch Uebertragung geschehen, welche nur durch gemeinschaftlichen Willen möglich ist, vermittelst dessen der Gegenstand immer in die Gewalt des Einen oder des Anderen kommt, dann einer seinem Antheile an dieser Gemeinschaft entsagt, und so das Object durch Annahme desselben (mithin einen positiven Akt der Willkühr) das Seine wird. Die Uebertragung seines Eigenthums an einen Anderen ist die Veräußerung. Der Akt der vereinigten Willkühr zweyer Personen, wodurch überhaupt das Seine des Einen auf den Anderen übergeht, ist der Vertrag. Das Wesen des Vertrags besteht in der Vereinigung des Willens der Contrahenten; nur durch sie gehen Rechte von Einem auf den Anderen über. Diese Vereinigung, als Grund der Gültigkeit der Verträge, ist aber nicht in die wechselseitige Declaration zu setzen, welche empirische Actus begreift, die einander nothwendig in der Zeit folgen müssen; sondern in das reine intellectuelle Verhältniß des Willens der Contrahenten, als eines gemeinsamen Willens, mit Weglassung aller empirischen Bedingungen, woraus denn der intelligible Besitz hervorgeht. Was das Object betrifft, das ich durch den Vertrag erwerbe, so ist das nicht unmittelbar eine Sache; sondern die bestimmte Leistung, vermittelst welcher ich erst das Recht auf /1052/ die Sache erhalten kann. Eine Sache wird also in einem Vertrage nicht durch Annehmung des Versprechens; sondern nur durch Uebergabe des Versprochenen erworben; und wenn zwischen dem Versprechen und der Uebergabe noch eine Zeit bewilligt ist, so ist die Sache während dieser Zeit noch nicht das Seine des Acceptanten; sondern es muß dazu noch ein besonderer Vertrag kommen der allein die Uebergabe betrifft. III. Von dem auf dingliche Art persönlichen Rechte. Dieses Recht ist das des Besitzes eines äußeren Gegenstandes als einer Sache, und des Gebrauches als einer Person. Das Mein und Dein nach diesem Rechte ist das Häusliche, und das Verhältnis in diesem Zustande ist das der Gemeinschaft freyer Wesen, die durch ihren wechselseitigen Einfluß nach dem Princip der äußeren Freyheit eine Gesellschaft von Gliedern eines Ganzen ausmachen, welches das Hauswesen heißt. Die Erwerbungsart dieses Zustandes und in demselben geschieht weder durch eigenmächtige That, noch durch bloßen Vertrag; sondern durchs Gesetz, welches, weil es kein Recht in einer Sache, auch nicht ein bloßes Recht gegen eine Person, sondern auch ein Besitz derselben zugleich ist, ein über alles Sachen- und persönlich-hinausliegendes Recht, nämlich das Recht der Menschheit in unsrer eigenen Person seyn muß, welches ein natürliches Erlaubungsgesetz zur Folge hat,
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durch dessen Gunst uns eine solche Erwerbung möglich ist. Die Erwerbung nach diesem Gesetz ist dem Gegenstande nach dreyerley: Der Mann erwirbt ein Weib – Eherecht, das Par erwirbt Kinder – Aelternrecht, und die Familie Gesinde – Hausherrnrecht. 1) Das Eherecht. Die Ehe ist die Verbindung zweyer Personen verschiedenen Geschlechter zum lebenswierigen wechselseitigen Besitze ihrer Geschlechtseigenschaften. Der Zweck, Kinder zu erzeugen und zu erziehen, mag immer ein Zweck der Natur seyn, zu welchem sie die Neigung der Geschlechter gegeneinander einpflanzte; aber daß der Mensch, der sich verehelicht, diesen Zweck sich vorsetzen müsse, wird zur Rechtmäßigkeit dieser seiner Verbindung nicht erfordert; denn sonst würde, wenn das Kinderzeugen aufhört, die Ehe sich zugleich von selbst auflösen. Das Verhältniß der Verehelichten ist ein Verhältniß der Gleichheit des Besitzes, sowohl der Personen, die einander wechselseitig besitzen, als auch der Glücksgüter, wenn in dieser letzteren Rücksicht nicht ein besonderer Vertrag geschlos-/1053/sen worden ist. Der Ehevertrag selbst wird nur durch die eheliche Beywohnung vollzogen. 2) Das Aelternrecht. Aus der Zeugung in der ehlichen Gesellschaft folgt eine Pflicht der Erhaltung und Versorgung in Absicht auf das Erzeugniß der Verehlichten, d. i.: die Kinder, als Personen haben hiermit zugleich ein ursprünglich-angebohrnes Recht auf ihre Versorgung durch die Aeltern, bis sie vermögend sind, sich selbst zu erhalten, und zwar durchs Gesetz unmittelbar, d. i., ohne daß ein besonderer rechtlicher Akt dazu erforderlich ist. Aus dieser Pflicht entspringt aber auch zugleich nothwendig das Recht der Aeltern zur Handhabung und Bildung des Kindes, so lange es des eigenen Gebrauches seiner Gliedmaßen, imgleichen des Verstandesgebrauches noch nicht mächtig ist etc. 3) Das Hausherrnrecht. Die Kinder des Hauses, die mit den Aeltern zusammen eine Familie ausmachten, werden mündig, d. i., ihre eigenen Herren (sui juris), und erwerben dieß Recht bloß durchs Gesetz. Die häusliche Gesellschaft aber, welche nach dem Gesetze nothwendig war, wird dadurch aufgelöst. Beyde Theile (Aeltern und Kinder) können nun wirklich eben dasselbe Hauswesen; aber in einer anderen Form der Verpflichtung, nämlich als Verknüpfung des Hausherrn mit dem Gesinde, mithin eben diese häusliche Gesellschaft, aber jetzt als hausherrliche erhalten. Dieß geschieht nun durch einen Vertrag; und die Gesellschaft, welche daraus entsteht, wird eine ungleiche, des Gebiethers nämlich und der Gehorchenden. Das Gesinde gehört zu dem Seinen des Herrn, und zwar in Ansehung des Besitzstandes als Sache, in Ansehung des Gebrauches aber, den der Eigenthümer davon machen darf, als Personen.
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S. 118. macht der Verfasser eine dogmatische Eintheilung aller erwerblichen Rechte aus Verträgen, die aber Recensent, um nicht gar zu weitläufig zu werden, übergehen muß. Vortrefflich ist (S. 122.) die Abhandlung über das Geld, so wie auch (S. 128.) der Beweis von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdruckes. In jener gibt der Verf. die Realerklärung des Geldes, entwickelt die wesentlichen Merkmahle (die intellectuellen) desselben, als allgemeinen Mittels der gegenseitigen Umtauschung, und Werthbestimmung der Produkte des Fleißes, und zeigt historisch die Entstehung desselben; in diesem sucht er die Unrechtmäßigkeit des Nachdruckes aus der Natur des /1054/ Bevollmächtigungsvertrages (zwischen dem Auctor und dem Verleger) darzuthun: beydes eben so gründlich, als kurz und deutlich. S. 130. folgt ein episodischer Abschnitt von der idealen Erwerbung eines äußeren Gegenstandes der Willkühr. Ideale Erwerbung nennt der Verf. diejenige, die keine Causalität in der Zeit enthält; mithin eine bloße Idee der reinen Vernunft zum Grunde hat. Sie ist allerdings eine wahre Erwerbung, und heißt nur deßwegen nicht real, weil der Erwerbact nicht empirisch ist, indem das Subject von einem Anderen, der entweder noch nicht ist (von dem man bloß die Möglichkeit annimmt, daß er sey), oder indem dieser eben aufhört zu seyn, oder wenn er nicht mehr ist, erwirbt, mithin die Gelangung zum Besitze eine bloß praktische Idee der Vernunft ist. Es sind die drey Erwerbungsarten: 1) durch Ersitzung, 2) durch Beerbung, 3) durch unsterbliches Verdienst, der Anspruch auf einen guten Nahmen nach dem Tode. Alle drey können zwar nur im öffentlichen Zustande ihren Effect haben, gründen sich aber nicht nur auf der Constitution desselben und auf willkührlichen Statuten; sondern sind auch a priori im Naturzustande, und zwar nothwendig zuvor denkbar, um hernach die Gesetze in der bürgerlichen Verfassung darnach einzurichten. Was den letzten Punct – Nachlaß eines guten Nahmens nach dem Tode – betrifft, so hätte Recensent zwar einiges dawider einzuwenden, besonders in Rücksicht der Stelle (S. 136. und 137.): „Der gute Nahme ist ein angebohrnes äußeres Mein oder Dein, was dem Subjecte als einer Person anhängt, von deren Natur, ob sie mit dem Tode gänzlich aufhöre zu seyn, oder immer noch als solche übrig bleibe, ich abstrahiren kann und muss, weil ich im rechtlichen Verhältniß auf Andere jede Person bloß nach ihrer Menschheit, mithin als homo noumenon wirklich betrachte etc.“ Doch weil Alles am Ende wohl dahinaus laufen möchte, daß sich der Verf. nicht bestimmt genug ausdrückte, so will sich Recensent weiter nicht dabey verweilen. Das dritte Hauptstück. Eine Abhandlung, voll der wichtigsten und bisher beynahe allgemein vernachläßigten Bemerkungen über die Anwendung der Rechtstheorie! Während die Naturrechtslehrer, in deren Theorien die Principien der kritischen Philosophie nicht einflossen, zu einseitig immer auf die Anwendung des Rechts sahen, verfielen die Anhänger der Kantischen Kritik auf den entgegengesetzten und eben so einseitigen Fehler, worauf schon Fichte in seiner
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vortrefflichen Grund-/1055/lage des Naturrechts (Einleit.) aufmerksam gemacht, und den er in seiner Rechtslehre selbst glücklich vermieden hat. Es ist doch wohl ganz etwas Anderes bey Aufstellung der Rechtssätze zugleich auf die Bedingungen der Anwendung, und nur, auf bloße Deduction aus Gründen a priori sehen. Jene Bedingungen dürfen bey einer realen Behandlung der Rechtslehre schlechterdings nicht übersehen werden, und nur, wenn man auf sie Rücksicht nimmt, lassen sich die Streitigkeiten über Eigenthum, über Verträge, wobey die Leistung nicht unmittelbar geschieht, über Beleidigungen, über den Naturstand u. s. w. befriedigend beylegen; nur durch diese Behandlungsart wird das Naturrecht von den Vorwürfen der positiven Rechtslehrer gerettet, von den Vorwürfen, daß es in der Rechtspraxis von gar keinem Gebrauche, und höchstens nur ein Zeitvertreib für müßige Speculirer sey. Schon in den vorigen Hauptstücken hat der Verf. zerstreut die deutlichsten Winke über diesen Punct gegeben; hier handelt er in einem eigenen Hauptstücke von der subjectiv-bedingten Erwerbung durch den Ausspruch einer öffentlichen Gerichtsbarkeit. Wenn unter Naturrecht, sagt er (S. 139.), nur das nicht statutarische, mithin lediglich das a priori durch jedes Menschen Vernunft erkennbare Recht verstanden wird, so wird nicht bloß die zwischen Personen in ihrem wechselseitigen Verkehr untereinander geltende Gerechtigkeit, sondern auch die austheilende, so wie sie nach ihrem Gesetze a priori erkannt werden kann, daß sie ihren Spruch fällen müsse, gleichfalls ins Naturrecht gehören. Die Frage ist also hier nicht bloß, was ist an sich recht, wie nämlich hierüber ein jeder Mensch für sich zu urtheilen habe; sondern, was ist vor einem Gerichtshofe recht, d. i., was ist Rechtens? Und da gibt es vier Fälle, wo beyderley Urtheile verschieden und entgegengesetzt ausfallen, und dennoch nebeneinander bestehen können, weil sie aus zwey verschiedenen, beyderseits wahren Gesichtspuncten gefällt werden, die Eine nach dem Privatrechte, die Andere nach der Idee des öffentlichen Rechts. Sie sind 1) der Schenkungsvertrag, 2) der Leihevertrag, 3) die Wiedererlangung, 4) die Vereidigung. Die detaillirte Behandlung dieser vier Puncte muß beym Verf. selbst nachgelesen werden; sie leidet des Raumes wegen keine Skizzirung. Nur das will Rec. unter anderen ausheben, was (S. 154.) über den Glaubenseid gesagt wird. „Was das Beschwören des Glaubens betrifft, heißt es, /1056/ so kann dieses gar nicht von einem Gerichte verlangt werden. Denn erstlich enthält es in sich selbst einen Widerspruch: dieses Mittelding zwischen Meinen und Wissen, weil es so etwas ist, worauf man wohl zu wetten; keineswegs aber darauf zu schwören sich getrauen kann. Zweytens begeht der Richter, der solchen Glaubenseid den Parteyen ansinnet, um etwas zu seiner Absicht Gehöriges, gesetzt, es sey auch das gemeine Beste auszumitteln, einen großen Verstoß an der Gewissenhaftigkeit des Eidleistenden, theils durch den Leichtsinn, zu dem er verleitet, und wodurch der
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Richter seine eigene Absicht vereitelt; theils durch Gewissensbisse, die ein Mensch fühlen muß, der heute eine Sache aus einem gewissen Gesichtspuncte sehr wahrscheinlich; morgen aber aus einem anderen ganz unwahrscheinlich finden kann, und lädirt also denjenigen, den er zu einer solchen Eidleistung nöthiget.[“] Nun macht der Verf. einen Uebergang von dem Mein und Dein im Naturstande zu dem im rechtlichen Zustande überhaupt. Der rechtliche Zustand ist (nach S. 154.) dasjenige Verhältniß der Menschen zueinander, welches die Bedingungen enthält, unter denen allein jeder seines Rechts theilhaftig werden kann. Das formale Princip der Möglichkeit desselben, nach der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens betrachtet, heißt die öffentliche Gerechtigkeit, welche in die beschützende, die wechselseitig erwerbende, und die austheilende eingetheilt werden kann. Dieser Zustand ist der des öffentlichen Rechtes im Gegensatze des natürlichen, welcher der Zustand des Privatrechtes ist. Aus dem Privatrechte im natürlichen Zustande geht das Postulat des öffentlichen Rechtes hervor: Du sollst im Verhältniß eines unvermeidlichen Nebeneinanderseyns mit allen Anderen aus jenem heraus in einen rechtlichen Zustand übergehen! II. Das öffentliche Recht. Erster Abschnitt. Das Staatsrecht. Dieser Theil ist etwas gedrängter, und mit wenigerer Ausführlichkeit behandelt, als der erste, theils weil (wie der Verf. in der Vorrede sagt) das Meiste aus dem Vorhergehenden leicht gefolgert werden kann; theils auch weil jener Theil der Rechtslehre (das öffentliche Recht) eben jetzt so vielen Discussionen unterworfen, und demnach wichtig genug ist, um den Aufschub des entscheidenden Urtheils auf einige Zeit wohl rechtfertigen zu können. (Der Beschluß folgt im nächsten Stücke.) [1057] (Beschluß der im St. LXVI. abgebrochenen Anzeige.) Das öffentliche Recht ist ein System von Gesetzen für’s Volk, d. i. eine Menge Menschen, oder für eine Menge von Völkern, die, im wechselseitigen Einfluß gegeneinander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinigenden Willen einer Verfassung bedürfen, um dessen, was recht ist, theilhaftig zu werden. Dieser Zustand der Einzelnen im Volke im Verhältniß zu einander heißt der bürgerliche, und das Ganze derselben in Beziehung auf seine eigenen Glieder der Staat, welcher seiner Form wegen, als verbunden durch das allgemeine Interesse Aller, im rechtlichen Zustande zu seyn, das gemeine Wesen genannt wird; im Verhältniß aber auf andere Völker eine Macht schlechthin heißt. Dieß gibt nun Anlaß, unter dem allgemeinen Begriffe des öffentlichen Rechtes auch ein Völkerrecht zu denken, und beydes zusammen leitet zur Idee eines Völkerstaatsrechts oder Weltbürgerrechts hin.
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Es liegt a priori in der Vernunftidee des außerbürgerlichen Zustandes, daß darin vereinzelte Menschen, Völker und Staaten niemahls vor Gewaltthätigkeit gegen einander sicher seyn können. Das erste daher, was ihnen zu beschließen obliegt, ist der Grundsatz, man müsse vor allen Dingen aus dem Naturzustande heraus- und in den bürgerlichen treten. Die Form des Staates überhaupt, als der Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen, so weit sie als Gesetze a priori nothwendig sind, ist der Staat in der Idee, wie /1058/ er nach reinen Rechtsprincipien seyn soll, und dienet jeder wirklichen Vereinigung zu einem gemeinen Wesen zur Richtschnur. Dieser allgemeinen Form gemäß enthält jeder Staat drey Gewalten in sich, d. i. den allgemein vereinigten Willen in dreyfacher Person: die Herrschergewalt in der des Gesetzgebers, die vollziehende Gewalt in der des Regierers, und die rechtssprechende Gewalt in der Person des Richters. Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen. Die Glieder des Staats, welche zur Gesetzgebung vereiniget sind, heißen Staatsbürger, und die rechtlichen, von ihrem Wesen (als solchem) unabtrennlichen Attribute derselben sind a) gesetzliche Freyheit, b) bürgerliche Gleichheit, c) bürgerliche Selbstständigkeit. Alle drey Gewalten im Staate sind Würden, und weil sie aus der Idee eines Staats überhaupt zur Gründung desselben hervorgehen, Staatswürden. Sie enthalten das Verhältniß eines allgemeinen Oberhaupts (des vereinigten Volkes selbst) zum Unterthan (der vereinzelten Menge desselben). Die Idee des Acts, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat constituirt, ist der ursprüngliche Contrakt, und nach diesem allein kann die Rechtmäßigkeit desselben gedacht werden. Die Prädikate, welche den drey Staatsgewalten, in ihrer Würde betrachtet, zukommen, sind folgende: a) Der Wille des Gesetzgebers ist untadelich, b) das Ausführungsvermögen des Oberbefehlhabers unwiderstehlich, c) und der Machtspruch des obersten Richters unabänderlich. Der Regent des Staats ist diejenige (moralische oder physische) Person, welcher die ausübende Gewalt zukommt. Als moralische Person betrachtet heißt er das Directorium, die Regierung. Der Beherrscher des Volkes kann nicht zu-/1059/ gleich der Regent seyn; denn das wäre Despotie. Daher sind auch die Befehle des Regenten keine Gesetze, sondern Verordnungen, Dekrete; sie gehen nur auf Entscheidung in einem besonderen Falle, und werden als abänderlich gegeben. Dann kann weder der Staatsherrscher noch der Regent richten; sondern nur Richter als Magistrate einsetzen. Das Volk richtet sich selbst durch diejenigen ihrer Mitbürger, welche durch freye Wahl als Repräsentanten desselben, und zwar für jeden Act besonders dazu ernannt werden. In der Vereinigung der drey Gewalten des Staats besteht das Heil desselben, worunter man den Zustand der größten Uebereinstimmung der Verfassung mit den Rechtsprincipien zu verstehen hat.
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Diesen Grundzügen des Staatsrechts ist noch eine allgemeine Anmerkung von den rechtlichen Wirkungen aus der Natur des bürgerlichen Vereins beygefügt. Nur wenige Blätter, aber so voll scharfsinniger, tiefgedachter Bemerkungen, so voll echten philosophischen Geistes und wahrer Lebensweisheit, daß man darin den energischen lauten Gang des großen Denkers unmöglich verkennen kann. Rec. will nur die Hauptresultate ausheben, um die Leser dieser Blätter nach dem Originale selbst recht lüstern zu machen. Die Anmerkung zerfällt in 4 Sectionen. A. Der Ursprung der obersten Gewalt ist für das Volk, das unter derselben steht, in praktischer Absicht unerforschlich; der jetzt bestehenden soll gehorcht werden, dieß ist ein praktisches Vernunftprincip, und in dem Auspruche enthalten; „Alle Obrigkeit ist von Gott.“ Hieraus folgt der Satz: Der Herrscher im Staate hat lauter Rechte und keine Pflichten (Zwangspflichten). Ferner, wenn das Organ des Herrschers, der Regent auch den Gesetzen zuwider verführe, z. B. mit Auflagen, Rekrutirungen u. dgl., so darf der Unterthan dieser Ungerechtigkeit zwar Beschwerden, aber keinen Widerstand entgegen setzen. Es gibt also kein Recht des Aufstandes, noch weniger des Aufruhrs, am allerwenigsten gegen das Staatsoberhaupt als einzelne Person (Monarch), unter dem Vorwande des Missbrauchs seiner Gewalt, Vergreifung an seiner Person, ja an seinem Leben. Der allergeringste Versuch hierzu ist Hochverrath, und der Verräther dieser Art kann als einer, der sein Vaterland umzubringen versucht, nicht minder als mit dem Tode betraft werden. Eine Veränderung der (fehlerhaften) Staatsverfassung, die wohl bisweilen nöthig seyn mag – /1060/ kann daher nur von dem Souverän selbst durch Reform, aber nicht vom Volke, mithin durch Revolution verrichtet werden; und wenn sie geschieht, so kann jene nur die ausübende Gewalt, nicht die gesetzgebende treffen. Wenn übrigens auch einmahl eine Revolution gelungen, und eine neue Verfassung gegründet ist, so kann die Unrechtmäßigkeit des Beginnens und der Vollführung derselben die Unterthanen von der Verbindlichkeit der neuen Ordnung der Dinge sich als gute Staatsbürger zu fügen nicht befreyen, und sie können sich nicht weigern, derjenigen Obrigkeit ehrlich zu gehorchen, die jetzt die Gewalt hat. B. Der Beherrscher ist nicht allein Oberbefehlshaber; sondern auch Obereigenthümer. Das Obereigenthum desselben ist aber nur eine Idee des bürgerlichen Vereins, und die nothwendige Vereinigung des Privateigenthums Aller im Volke unter einem öffentlichen allgemeinen Besitzer zur Bestimmung des besonderen Eigenthums nach Rechtsbegriffen vorstellig zu machen. Der Obereigenthümer kann also kein Privateigenthum an irgend einem Boden, also keine Domänen, d. i. Ländereyen zu seiner Privatbenützung (zur Unterhaltung des Hofes) haben.
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Hieraus folgt auch, daß es keine Corporation im Staate, keinen Stand und Orden geben könne, der als Eigenthümer den Boden zur alleinigen Benützung den folgenden Generationen (ins Unendliche) nach gewissen Statuten überliefern könne. Der Staat kann sie zu aller Zeit aufheben, nur unter der Bedingung, die Ueberlebenden zu entschädigen. Der Ritterorden (als Corporation, oder auch bloß Rang einzelner, vorzüglich beehrter Personen), der Orden der Geistlichkeit, die Kirche genannt, können nie durch diese Vorrechte, womit sie begünstiget worden sind, ein auf Nachfolger übertragbares Eigenthum an Boden, sondern nur die einstweilige Benützung desselben erwerben. Die Comthureyen auf einer, die Kirchengüter auf der anderen Seite können, wenn die öffentliche Meinung wegen der Mittel, durch die Kriegsehre den Staat wider die Lauigkeit in Vertheidigung desselben zu schützen, oder die Menschen in demselben durch Seelenmessen, Gebethe, und eine Menge zu bestellender Seelsorger, um sie vor dem ewigen Feuer zu bewahren, anzutreiben, aufgehört hat, ohne Bedenken aufgehoben werden. Die, welche hier in die Reform fallen, können nicht klagen, daß ihnen ihr Eigenthum genommen werde; denn der Grund ihres bis-/1061/herigen Besitzes lag in der Volksmeinung, und mußte auch, so lange diese fortdauerte, gelten. Sobald diese aber erlosch, und zwar auch nur in dem Urtheile derjenigen, welche auf Leitung desselben durch ihr Verdienst den größten Anspruch haben, so musste gleichsam als durch eine Apellation desselben an den Staat das vermeinte Eigenthum aufhören. Auf dem ursprünglich erworbenen Grundeigenthume beruht das Recht des Oberbefehlhabers als Obereigenthümers, die Privateigenthümer des Bodens zu beschatzen. Ferner das Recht der Staatswirtschaft, des Finanzwesens und der Polizey. Zur Erhaltung des Staats gehört endlich auch noch das Recht der Aufsicht, daß nämlich keine Verbindung, die auf’s öffentliche Wohl der Gesellschaft Einfluß haben kann (von Staats- und Religions-Illuminaten) verheimlicht, sondern, wenn es von der Polizey verlangt wird, die Eröffnung ihrer Verfassung nicht verweigert werde. C. Dem Oberbefehlshaber steht indirect, d. i. als Uebernehmer der Pflicht des Volkes das Recht zu, dieses mit Abgaben zu seiner eigenen Erhaltung zu belasten; daher gehören das Armenwesen, die Findelhäuser und das Kirchenwesen, sonst milde oder fromme Stiftungen genannt. Die Regierung ist von Staats wegen berechtigt, die Vermögenden zu nöthigen, die Mittel der Erhaltung derjenigen, die es selbst den nothwendigsten Naturbedürfnissen nach nicht sind, herbeyzuschaffen. Dieß kann, dem Rechte des Staats angemessen, einzig nur durch laufende Beyträge geschehen, so daß jedes Zeitalter die Seinigen ernährt. In Rücksicht der Erhaltung der aus Noth oder Scham ausgesetzten, oder wohl gar darum ermordeten Kinder hat der Staat das Recht, das Volk mit der Pflicht zu belasten, diesen, ob zwar unwill-
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kommnen Zuwachs des Staatsvermögens nicht wissentlich umkommen zu lassen. Wie dieß geschehen könne, ist eine Aufgabe, deren Lösung ohne entweder wider das Recht oder die Moralität zu verstossen, bisher noch nicht gelungen ist. Endlich was das Kirchenwesen anbelangt, welches von der Religion als innerer Gesinnung, die ganz außer dem Wirkungskreise der bürgerlichen Macht ist, sorgfältig unterschieden werden muß, so hat der Staat das Recht, nicht etwa die innere Constitutional-Gesetzgebung der Kirche nach seinem Sinne einzurichten, den Glauben und die gottesdienstlichen Formen dem Volke vorzuschreiben oder zu befehlen; sondern nur das ne-/ 1062/gative Recht, den Einfluß der öffentlichen Lehrer auf das sichtbare, politische, gemeine Wesen, der der öffentlichen Ruhe nachtheilig seyn möchte, abzuhalten. Daß eine Kirche einen gewissen Glauben, und welchen sie haben, oder daß sie ihn unabänderlich erhalten müsse, und sich nicht selbst reformiren dürfe, sind Einmischungen der obrigkeitlichen Gewalt, die unter ihrer Würde sind, weil sie sich dabey als einem Schulgezänke auf den Fuß der Gleichheit mit ihren Unterthanen einläßt (der Monarch sich zum Priester macht), die ihr geradezu sagen können, daß sie hiervon nichts verstehe, vornehmlich was das Letztere, nämlich Verboth innerer Reform betrifft. Die Kosten der Erhaltung des Kirchenwesens können übrigens nicht dem Staate, sondern müssen dem Theile des Volkes, der sich zu einem oder dem anderen Glauben bekennet, d. i. nur der Gemeinde zu Lasten kommen. D. Das Recht des Oberbefehlshabers im Staate geht auch a) auf Vertheilung der Aemter, als mit einer Besoldung verbundener Geschäfftsführung; b) der Würden, die als Standeserhöhungen ohne Sold bloß auf Ehre fundirt sind; und c) auf das Strafrecht. Was die bürgerlichen Aemter anbelangt, so hat der Souverän kein Recht, Einem, dem er ein Amt gegeben hat, es nach seinem Gutbefinden (ohne ein Verbrechen von Seite des Letzteren) wieder zu nehmen. Die Würde, nicht bloß die, welche ein Amt bey sich führen mag, sondern auch die, welche den Besitzer auch ohne besondere Bedienungen zum Gliede eines höheren Standes macht, heißt der Adel. Der Souverän ist meist berechtigt, einen Adelsstand als erblichen Mittelstand zwischen ihm und den übrigen Staatsbürgern zu gründen. Ein angeerbter Adel als ein Rang, der vor dem Verdienst vorhergeht, und dieses auch mit keinem Grunde hoffen läßt, ist ein Gedankending ohne alle Realität. Wenn aber eine solche Anomalie in das Maschinenwesen einer Regierung von alten Zeiten eingeschlichen, so kann der Staat diesen von ihm begangenen Fehler eines widerrechtlich ertheilten erblichen Vorzuges nicht anders als durch Eingehenlassen und Nichtbesetzung der Stellen allmählig wieder gut machen etc. Ohne alle Würde kann kein Mensch im
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Staate seyn; denn er hat wenigstens die des Staatsbürgers, außer wenn er sich durch sein eigenes Verbrechen darum gebracht hat. Das Strafrecht ist das Recht des Oberbe-/1063/fehlhabers gegen den Unterwürfigen, ihn wegen seines Verbrechens mit einem Schmerzen zu belegen. Der Oberste im Staate kann also nicht bestraft werden; sondern man kann sich nur seiner Herrschaft entziehen. Jedes Verbrechen ist entweder ein öffentliches oder Privatverbrechen; jenes gehört vor die Civil-, dieses vor die Criminalgesetzgebung. Richterliche Strafe kann niemahls bloß als Mittel, ein anderes Gutes zu befördern, für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat. In Rücksicht der Art und des Grades der Bestrafung kann die öffentliche Gerechtigkeit kein anderes Princip zum Richtmaße machen, als das Princip der Gleichheit. Nur das Wiedervergeltungsrecht, aber – wohl zu verstehen – vor den Schranken des Gerichts (nicht nach deinem Privaturtheile) kann die Qualität und Quantität der Strafe bestimmt angeben. Hat Jemand gemordet, so muß er sterben. Es gibt hier kein Surrogat zur Befriedigung der Gerechtigkeit. Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflösete, müßte der letzte im Gefängniß befindliche Mörder noch hingerichtet werden. Wenn aber die Zahl der Complicen zu einer Mordthat so groß ist, daß der Staat, um keine solchen Verbrecher zu haben, bald dahin kommen könnte, keine Unterthanen mehr zu haben, und sich doch nicht auflösen will, so muß es auch der Souverän in seiner Macht haben, in diesem Nothfalle selbst den Richter zu machen (vorzustellen), und ein Urtheil zu sprechen, welches anstatt der Lebensstrafe eine andere dem Verbrechen zuerkennet, bey der die Volksmenge noch erhalten wird, dergleichen die Deportation ist. (?) Es gibt indessen zwey todeswürdige Verbrechen, in Ansehung derer es noch zweifelhaft bleibt, ob die Gesetzgebung auch das Befugniß habe, sie mit der Todesstrafe zu belegen. Zu beyden verleitet das Ehrgefühl; das eine ist das der Geschlechtsehre, das andere der Kriegsehre, und zwar der wahren Ehre, welche jeder dieser zwey Menschenclassen als Pflicht obliegt. Das eine Verbrechen ist der mütterliche Kindsmord, das andere der Kriegsgesellenmord, der Duell. Hier kommt die Strafgerechtigkeit gar sehr ins Gedränge, entweder grausam oder nachsichtig zu seyn. Die Auflösung des Knotens ist, daß der kategorische Imperativ der Strafgerechtigkeit bleibt; die Gesetzgebung selbst aber so lange noch als barba-/1064/risch und unausgebildet daran Schuld ist, daß die Triebfedern der Ehre im Volke nicht mit den Maßregeln zusammentreffen wollen, die ihrer Absicht gemäß sind, so daß die öffentliche, vom Staate ausgehende Gerechtigkeit in Ansehung der aus dem Volke eine Ungerechtigkeit wird. S. 206., wo der Verf. noch etwas Weniges über das rechtliche Verhältniß des Bürgers zum Vaterlande und zum Auslande spricht, stehen folgende Sätze: a)
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Der Unterthan hat das Recht zur Auswanderung; b) der Souverän hat das Recht der Begünstigung der Einwanderung und Ansiedelung Fremder; c) ebenderselbe hat auch das Recht zur Verbannung eines Verbrechers in eine Provinz im Auslande, wo er keiner Rechte eines Bürgers theilhaftig wird, d. i. der Deportation; und endlich d) der Landesverweisung überhaupt. Die Staatsformen theilt der Verf., wie in seiner Schrift „zum ewigen Frieden“ nach dem dreyfachen Verhältniß der Staatsgewalt zum Volkswillen in die autokratische, aristokratische und demokratische. Die erste ist die einfachste, und zugleich die beste; aber was das Recht selbst betrifft, die gefährlichste für’s Volk im Betracht des Despotismus, zu dem die so sehr einladet. Zusammengesetzter ist schon die zweyte, denn sie besteht aus zwey Verhältnissen; die demokratische aber ist die zusammengesetzte aus allen. Dem Souverän muß es möglich seyn, die bestehende Staatsverfassung zu ändern, wenn sie mit der Idee des ursprünglichen Vertrages nicht wohl vereinbar ist, und hierbey doch diejenige Form bestehen zu lassen, die dazu, daß das Volk einen Staat ausmache, wesentlich gehört. Die Staatsformen sind übrigens nur der Buchstabe der ursprünglichen Gesetzgebung im bürgerlichen Zustande, und sie mögen also bleiben, so lange sie, als zum Maschinenwesen der Staatsverfassung gehörend, durch alte und lange Gewohnheit für nothwendig gehalten werden. Aber der Geist jenes ursprünglichen Vertrages enthält die Verbindlichkeit der constituirenden Gewalt, die Regierungsform jener Idee angemessen zu machen. Alle wahre Republik endlich ist und kann nichts anderes seyn, als ein repräsentatives System des Volkes, um im Rahmen desselben durch alle Staatsbürger vereinigt, vermittelst ihrer Abgeordneten (Deputirten) ihre Rechte zu besorgen. Zweyter Abschnitt. Das Völkerrecht. Das Recht der Staaten im Verhältniß zueinander ist das, was man im Deutschen Völkerrecht nennt; aber nicht ganz richtig: es würde besser Staaten-/1065/recht heißen. Die Staaten werden zueinander, wie moralische Personen im natürlichen Zustande, angesehen. Die Elemente des Völkerrechtes sind folglich: a) Die Völker, im äußeren Verhältniß betrachtet, befinden sich von Natur in einem nichtrechtlichen Zustande; b) sie sind verbunden, aus diesem Stande herauszugehen; c) es ist also ein Völkerbund zur Sicherheit gegen äußere Angriffe nothwendig; d) dieser darf aber keine souveräne Gewalt, sondern nur eine Genossenschaft enthalten, eine Verbindung, die zu aller Zeit aufgekündiget werden kann, mithin von Zeit zu Zeit erneuert werden muß. Bey Behandlung der Theorie des Völkerrechtes kommt daher vorzüglich dreyerley in Betrachtung: a) Das Recht zum Kriege, b) das Recht im Kriege und c) das Recht nach dem Kriege. a) Das Recht zum Kriege. Der Staat hat das Recht, gegen seine eigenen Unterthanen sie zum Kriege gegen andere Staaten zu gebrauchen. Dieses Recht
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läßt sich aber nur von der Pflicht des Souveräns gegen das Volk (nicht umgekehrt) ableiten, wobey dieses dafür angesehen werden muß, daß es seine Stimme dazu gegeben habe, in welcher Qualität es, obgleich passiv, doch auch selbstthätig ist, und den Souverän selbst vorstellt. Im natürlichen Zustande der Staaten ist das Recht zum Kriege (Hostilitäten) die erlaubte Art, wodurch ein Staat sein Recht gegen einen anderen Staat verfolgt, wenn von Seite dieses eine thätliche Verletzung vorgefallen, oder auch nur Bedrohung da ist (Zurüstung, fürchterlich-anwachsende Macht). Auf diese gründet sich das Recht des Zuvorkommens und des Gleichgewichts der Staaten. b) Das Recht im Kriege. Gerade das im Völkerrechte, wobey die meiste Schwierigkeit ist, um sich auch nur einen Begriff davon zu machen, und ein Gesetz in diesem gesetzlosen Zustande zu denken, ohne sich selbst zu widersprechen; es müsste denn dasjenige seyn, den Krieg nach solchen Grundsätzen zu führen, nach welchen es immer noch möglich bleibt, aus jenem Naturzustande der Staaten herauszugehen, und in einen rechtlichen zu treten. Kein Krieg unabhängiger Staaten gegeneinander darf ein Strafkrieg, noch auch ein Ausrottungs- oder Unterjochungskrieg seyn. Was die Vertheidigungsmittel betrifft, so sind alle Arten derselben dem bekriegten Staate erlaubt, nur nicht solche, deren Gebrauch die Unterthanen desselben Staatsbürger zu seyn unfähig machen würde. Dergleichen sind Spionenbestellen, Meuchelmord, /1066/ Giftmischerey u. s. w. Uebrigens ist es erlaubt, dem überwältigten Feinde Lieferungen und Contributionen aufzulegen; aber nicht das Volk zu plündern. c) Das Recht nach dem Kriege. Jeder Staat hat das Recht, den anderen kriegenden zu zwingen, aus dem Kriegszustande herauszugehen, und mit ihm in eine den beharrlichen Frieden gründende Verfassung zu treten, mithin Friedenstractate zu pflegen. Der Ueberwinder kann aber dabey nicht auf Erstattung der Kriegskosten antragen. Die Gefangenen müssen ausgewechselt werden, ohne auf Gleichheit der Zahl zu sehen. Die Bürger eines überwundenen Staates verlieren durch Eroberung des Landes ihre staatsbürgerliche Freyheit nicht, so daß jener zur Kolonie, diese zu Leibeigenen gemacht würden. Daß endlich mit dem Friedensschluße auch die Amnestie verbunden seyn müsse, lieget schon im Begriffe desselben. Das Recht des Friedens ist a) das der Neutralität, b) der Garantie, c) der Bundsgenossenschaft mehrerer Staaten zur etwaigen Vertheidigung. Im Naturzustande der Völker (dem Kriegszustande ist alles äußere Mein und Dein der Staaten bloß provisorisch; peremtorisch-geltend kann es nur in einem allgemeinen Staatenverein (dem permanenten Friedenscongreß) werden, welcher dann der wahre Friedenszustand wäre. Indeß, weil bey zu großer Ausdeh-
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nung eines daraus folgenden Völkerstaates über neue Landstriche, die Regierung desselben, mithin auch die Beschätzung eins jeden Gliedes endlich unmöglich werden muß; eine Menge solcher Corporationen aber wieder einen Kriegszustand herbeyführt: so ist der ewige Friede (das letzte Ziel des ganzen Völkerrechtes) freylich eine unausführbare Idee. Die politischen Grundsätze aber, die darauf abzwecken, nämlich solche Verbindungen der Staaten einzugehen, als zur continuirlichen Annäherung zu denselben dienen, sind es nicht; sondern, so wie diese eine auf der Pflicht, mithin auch auf dem Recht der Menschen und der Staaten gegründete Aufgabe ist, allerdings ausführbar. Dritter Abschnitt. Das Weltbürgerrecht. Alle Völker stehen ursprünglich durchgängig in einem solchen Verhältniß, daß sie das Recht haben, sich zum Verkehr untereinander anzubiethen; und dieses Recht, so fern es auf die mögliche Vereinigung aller Völker in Absicht auf gewisse allgemeine Gesetze ihres möglichen Verkehres geht, kann das weltbürgerliche genannt werden. Jeder /1067/ Erdbürger hat also das Recht, die Gemeinschaft mit Allen zu versuchen, und zu diesem Zwecke alle Gegenden der Erde zu besuchen; nicht aber das Recht der beliebigen Ansiedelung auf dem Boden eines anderen Volkes, nicht einmahl Besitznehmung eins Landes in der Nachbarschaft eines Volkes, welches dadurch Eintrag erlitte, wie z. B. bey Hirten- und Jagdvölkern der Fall wäre. Da müssen ehevor Verträge geschlossen werden. Zum Beschluße nur noch eine Stelle, wo sich der Verf. in Rücksicht auf die Vorwürfe, die man ihm über die von ihm aufgestellte Idee des ewigen Friedens machte, rechtfertiget. Es ist nicht mehr die Frage, heißt es S. 233., ob der ewige Friede ein Ding oder Unding sey, und ob wir uns nicht in unserm theoretischen Urtheile betrügen, wenn wir das Erstere annehmen; sondern wir müssen so handeln, als ob das Ding sey, was vielleicht nicht ist, auf Begründung desselben und diejenige Constitution, die uns dazu die tauglichste scheint (vielleicht den Republikanismus aller Staaten sammt und sonders) hinwirken, um ihn herbeyzuführen, und dem heillosen Kriegsführen, worauf, als den Hauptzweck, bisher alle Staaten ohne Ausnahme ihre inneren Anstalten gerichtet haben, ein Ende zu machen. Und wenn das Letztere, was die Vollendung dieser Absicht betrifft, auch immer ein frommer Wunsch bliebe, so betrügen wir uns doch gewiß nicht mit der Annahme der Maxime, dahin unabläßig zu wirken; denn diese ist Pflicht. Das moralische Gesetz aber in uns selbst für betrüglich anzunehmen, würde den Abscheu erregenden Wunsch hervorbringen, lieber aller Vernunft zu entbehren, und sich seinen Grundsätzen nach mit den übrigen Thierclassen in gleichen Mechanismus der Natur geworfen ansehen. Noch muß Rec. bemerken, daß laut einer öffentlichen Ankündigung von Hrn. Consistorialrathe Stephani in Castell Anmerkungen zu dieser philosophischen Rechtslehre unter der Presse sind, womit Rec., wenn sie ihm von Seite der
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Redaction zu Theile werden, das litterarische Publikum zu seiner Zeit bekannt machen wird. E. R.
15 Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung. München: Verlag der oberdeutschen Staatszeitung. 13. Jg., 1800, Bd. 1, Sp. 449‒458. [Zugleich Rezension von: Erläuternde Anmerkungen zu den Methaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre. 31 S. ‒ Königsberg: Nicolovius 1798; Die Metaphysik der Sitten. Erster Theil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Zweyte mit einem Anhange erläuternder Bemerkungen und Zusätze vermehrte Auflage. XII, + 266 S. ‒ Königsberg: Nicolovius 1798.] /449/ […] Der Begriff des Rechts ist zwar ein reiner, doch auf die Praxis (Anwendung auf in der Erfahrung vorkommende Fälle) gestellter Begriff. Ein metaphysisches System deselben müsste daher in seiner Eintheilung auch auf die empirische Mannigfaltigkeit jener Fälle Rücksicht nehmen, um die Eintheilung vollständig zu machen, welches zur Errichtung eines Systems der Vernunft eine unerlässliche Forderung ist. Da aber Vollständigkeit der Eintheilung des Empirischen unmöglich ist, und wo sie versucht wird, wenigstens um ihr nahe zu kommen, solche Begriffe nicht als integrirende Theile in das System, sondern nur als Beyspiele in die Anmerkungen kommen können, so hält der ehrwürdige Verf. dafür, der für den ersten Theil der Metaphysik der Sitten (deren zweyten Theil die Tugendlehre seyn wird) allein schickliche Ausdruck sey: metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, weil in Rücksicht auf jene Fälle der Anwendung nur Annäherung zum Systeme, nicht dieses selbst erwartet werden kann. Nachdem der Verf. diese Ansicht seines Werkes in der Vorrede angegeben hat, geht er auf einige Vorwürfe über, die man der kritischen Philosophie gemacht hat. Zuerst widerlegt er den Vorwurf der Dunkelheit, und geflissentlichen, den Schein tiefer Einsicht affectirenden Undeutlichkeit im philosophischen Vortrage. Er nimmt das, was Garve, „ein Philosoph in der ächten Bedeutung des Wortes“ dem philosophischen Schriftsteller zur Pflicht machte, nähmlich, dass seine Lehre zur Popularität (oder zu einer zur allgemeinen Mittheilung hinreichenden Versinnlichung) gebracht werden können müsse, als richtig an; schränkt es aber auf die Bedingung ein, ihm nur so weit Folge zu leisten, als /450/ es die Natur der Wissenschaft erlaubt, die zu berichtigen und zu erweitern ist. Es ist daher hiervon das System einer Kritik des Vernunftmögens selbst und alles dessen, was nur https://doi.org/10.1515/9783110702996-017
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durch ihre Bestimmung beurkundet werden kann, ausgenommen, weil es zur Unterscheidung des Sinnlichen in unserer Erkenntniss vom Uebersinnlichen (dennoch aber der Vernunft zustehenden) gehört, welches, so wie überhaupt keine formelle Metaphysik, nie populär werden kann; sondern mit einer scholastischen Pünctlichkeit behandelt werden muss, weil dadurch allein die voreilige Vernunft dahin gebracht werden kann, vor ihren dogmatischen Behauptungen sich erst selbst zu verstehen. Pedanten, die sich auf Kanzeln und in Volksschriften der Kunstwörter bedienen, machen nur sich, nicht aber die Wissenschaft lächerlich. Die Richtigkeit der den kritischen Philosophen als Arroganz ausgelegten Behauptung, dass es vor dem Entstehen der kritischen Philosophie noch gar keine gegeben habe, hängt¹ von Beantwortung der Frage ab: ob es wohl mehr als Eine Philosophie geben könne? Da es nun objective betrachtet nur eine menschliche Vernunft geben kann, so ist nur Ein wahres System derselben aus Principien möglich. Wenn also Jemand ein System der Philosophie als sein eigenes Fabricat ankündigt, so kann er nicht einräumen, es wäre schon zuvor eine andere (wahre) gewesen, weil er sonst behaupten müsste, es habe über diesselben Gegenstände zwey wahre Philosophien gegeben, welches sich widerspricht; folglich muss sich die kritische Philosophie als eine solche ankündigen, vor der es überall noch gar keine Philosophie gegeben hat. Ein weiterer Vorwurf ist, dass ein diese Philosophie wesentlich unterscheidendes Stück, nähmlich die Definition der Philosophie überhaupt, nicht neu und eigen, sondern von einem ältern Mathematiker (Hausen in Elem. Mathes. 20. 1734. P. I. p. 86.) erborgt sey. Gegen diesen Vorwurf ist die Rechtfertigung zwar nicht leicht, weil Hausen nicht mehr lebt, und daher nicht angeben kann, welchen Begriff er mit den Worten: Intellectualis quaedam constructio, verbunden habe. Doch sieht man aus dem ganzen Zusammenhange der Stelle, dass Hausens Ausdrücke hier nicht wohl im Kantischen Sinne verstanden werden können. Endlich gibt Kant Hrn. Nicolai Recht, den Unfug zu züchtigen, den einige Nachäffer der kritischen Philosophie mit den Wörtern stiften, die in der Kri-/451/ tik der reinen Vernunft selbst nicht wohl durch andere gangbare zu ersetzen sind; fügt aber bey, dass Nicolai sich selbst bescheiden werde, über die gänzliche Entbehrung derselben in ihrem eigenthümlichen Felde keine Stimme zu haben. Diess ist der Inhalt der sehr lesenswerthen und selbst für Layen in der kritischen Philosophie durchaus verständlichen Vorrede. Wir schreiten nun zur Inhaltsanzeige des Werkes selbst.
[Im Original „fängt“.]
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Den Anfang desselben macht eine Einleitung in die Metaphysik der Sitten, welche in 4 Abschnitten von dem Verhältnisse der Vermögen des menschlichen Gemüthes zu den Sittengesetzen, von der Idee und der Nothwendigkeit einer Metaphysik der Sitten, von der Eintheilung derselben, und endlich von ihren Vorbegriffen handelt. Hierauf folgt die Einleitung in die Rechtslehre, worin die Fragen: was Rechtslehre und Recht sey, wie das allgemeine Princip des Rechts heisse, warum das Recht mit der Befugniss zu zwingen verbunden sey, und wie das stricte Recht vorgestellt werden könne? abgehandelt werden. In einem Anhange zu dieser Einleitung ist vom zweydeutigen Rechte, nähmlich von der Billigkeit und dem Nothrechte die Rede. Sodann kommt der Verfasser auf die Eintheilung der Rechtslehre, und der Metaphysik der Sitten überhaupt, mit welcher die allgemeine Einleitung geschlossen wird. Die Rechtslehre selbst enthält zwey Haupttheile, das Privatrecht, und das öffentliche Recht. Jenes theilt sich in drey Hauptstücke. Das erste handelt von der Art, etwas Aeusseres als das Seine zu haben; das zweyte von der Art, etwas Aeusseres zu erwerben, und das dritte von der subjectivbedingten Erwerbung vor einer Gerichtsbarkeit. Das zweyte ist in 3 Abschnitte vom Sachenrechte, vom persönlichen Rechte, und von dem auf dingliche Art persönlichen Rechte abgetheilt, und noch mit einem episodischen Abschnitte von der idealen Erwerbung versehen. Das öffentliche Recht begreift in drey Abschnitten das Staatsrecht, das Völkerrecht, und das Weltbürgerrecht. Es würde die Gränzen einer litterarischen Anzeige überschreiten, wenn man hier das System, das uns der tiefe Denker in diesem Werke aufstellt, in allen seinen Theilen darzulegen versuchen wollte. Rec. begnügt sich daher, einige von den Hauptgrundsätzen des Verfassers auszuheben, und diesen verschiedene Zweifel über einige sich zu widersprechen scheinende Behauptungen desselben an die Seite zu stellen. Der Unterschied zwischen dem juridischen und dem ethischen Begriffe von Recht und Pflicht liegt darin, dass bey jenem nur auf die Uebereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetze ohne Rücksicht auf die Triebfeder derselben zu nehmen, gesehen wird; bey diesem aber die aus dem Gesetze herrührende Pflicht zugleich die Triebfeder die Handlung ist. (S. XIIII. XV.) /452/ Verbindlichkeit ist die Nothwendigkeit einer freyen Handlung unter einem cathegorischen Imperativ der Vernunft. (S. XX.) Pflicht ist die Handlung, zu welcher Jemand verbunden ist. (S. XXI.) Gesetz ist ein Satz, der einen cathegorischen Imperativ enthält. ( S. XXVIII.) Der Inbegriff der Gesetze, für welche eine äussere Gesetzgebung möglich ist, heisst die Rechtslehre. (S. XXXI.) Das Recht ist der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkühr des Einen mit der Willkühr des Andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freyheit zusammen vereinigt werden kann. (S. XXXIII.)
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Das allgemeine Princip des Rechts ist: Eine jede Handlung ist recht, die, oder nach deren Maxime die Freyheit der Willkühr eines Jeden mit Jedermanns Freyheit nach einem allgemeinen Princip zusammen besthehen kann. (Ebendaselbst) Die Rechte als systematische Lehren theilen sich in das Naturrecht, das auf lauter Principien a priori beruht, und das positive (statutarische) Recht, das aus dem Willen eines Gesetzgebers hervorgeht. (S. XXXXIIII.) Die Rechte als (moralische) Vermögen, Andere zu verpflichten, theilen sich in das angebohrne und erworbene Recht, deren ersteres dasjenige Recht ist, welches, unabhängig von allem rechtlichen Acte, Jedermann von Natur zukommt; das zweyte, das wozu ein solcher Act erfordert wird. (Ebendas.) Das angebohrne oder innere Recht ist nur ein einziges: Freyheit (S. XXXXV.). Da also die Eintheilung in angebohrnes und erworbenes Recht aus zwey dem Inhalte nach äusserst ungleichen Gliedern besteht, so wurde sie in die Prolegomenen verwiesen, und die Eintheilung der Rechtslehre bloss auf das äussere Mein und Dein bezogen. (S. XXXXVII.) Die oberste Eintheilung des Naturrechtes kann nicht die in das natürliche und gesellschaftliche, sondern muss die ins natürliche und bürgerliche Recht seyn, deren das erstere das Privatrecht, das zweyte das öffentliche Recht genannt wird. Denn dem Naturzustande ist nicht der gesellschaftliche, sondern der bürgerliche entgegengesetzt, weil es in jenem zwar gar wohl Gesellschaften geben kann, aber nur keine bürgerliche (durch öffentliche Gesetze das Mein und Dein sichernde); daher das Recht in dem erstern das Privatrecht heisst. (S. LII.) Etwas Aeusseres als das Seine zu haben, ist nur in einem rechtlichen Zustande unter einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt, d. i. im bürgerlichen Zustande möglich. (S. 72.) Im Naturzustande kann nur ein provisorisches Mein und Dein Statt haben. (S. 74.) Das äussere Mein und Dein ist nach seiner Form oder Erwerbungsart entweder ein Sachenrecht, oder persönliches Recht, oder ein dinglich-persönliches Recht des Besitzes (ob zwar nicht des Gebrauches) einer andern Person als einer Sache (S. 79.) /453/ Das Recht in einer Sache ist das Recht des Privatgebrauches einer Sache, in deren (ursprünglichen oder gestifteten) Gesammtbesitze ich mit Andern bin. (S. 81.) Das persönliche Recht ist der Inbegriff der Gesetze, nach welchen ich ein äusseres Mein und Dein in Ansehung der Caussalität (Leistung) eines Andern seyn kann. (S. 97.) Die Erwerbung des Sachen-Rechts geschieht durch Bemächtigung, (S. 84.) die des persönlichen Rechts aber durch einen Vertrag. (S. 98.) Das auf dingliche Art persönliche Recht ist das Recht des Besitzes eines äussern Gegenstandes als einer Sache, und des Gebrauchs desselben als einer Person. (S. 105.) Die Erwerbung nach diesem Gesetze ist dem Gegenstande nach
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dreyerley. Der Mann erwirbt ein Weib, das Par erwirbt Kinder, und die Familie Gesinde. Hieraus entsteht also das Ehe-Recht, (S. 106.) das Aeltern-Recht, (S. 111.) und das Hausherrn-Recht. (S. 115.) Alle Verträge haben entweder A) einseitigen, oder B) wechselseitigen, oder C) gar keinen Erwerb, sondern nur Sicherheit des Seinen zur Absicht. Zur ersten Classe gehören Depositum, Commodatum, Donatio. Zur zweyten Permutatio, Emtio, Venditio, Mutuum, Locatio Conductio, Mandatum, Negotiorum gestio. Zur dritten Pignus, Fidejussio, Praestatio Obsidis. (S. 121.) Es gibt eine Erwerbung, die man ideal nennen kann, weil sie keine Caussalität in der Zeit enthält; sondern eine blosse Idee der reinen Vernunft zum Grunde hat. Dahin gehört die Ersitzung (Usucapio), die Beerbung (Acquisitio haereditatis), und der Nachlass eines guten Nahmens nach dem Tode (bona fama defuncti.) (S. 130.) Das öffentliche Recht ist der Inbegriff der Gesetze, die einer allgemeinen Bekanntmachung bedürfen, um einen rechtlichen Zustand hervorzubringen. (S. 161. der ersten, und 191. der zweyten Auflage.) Unter diesem allgemeinen Begriffe muss man sich, weil es mehrere Völker gibt, nebst dem Staatsrechte ein Völkerrecht, und weil der Erdboden eine nicht gränzenlose, sondern sich selbst schliessende Fläche ist, auch noch ein Weltbürgerrecht nothwendig denken. (S. 162. 192.) Jeder Staat enthält drey Gewalten in sich, die Herrschergewalt (Souveränität), in der des Gesetzgebers, die vollziehende Gewalt in der des Regierers (zufolge dem Gesetze die rechtsprechende Gewalt als Zuerkennung des Seinen eines Jeden nach dem Gesetze) in der Person des Richters. (S. 165. 195.) Die Herrscher- oder gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen. (S. 165. 195.) Der Herrscher im Staate hat gegen den Unterthan lauter Rechte und keine Pflichten. (S. 174. 204) Wider das gesetzgebende Oberhaupt des Staates gibt es keinen rechtmässigen Widerstand des Volkes. (S. 176. 206.) Ist aber eine Revolution einmahl gelungen, so müssen die Unterthanen derjenigen Obrigkeit ehrlich gehorchen, die jetzt die Gewalt hat. (S. 181. 211.) Der /454/ Herrscher ist zugleich Obereigenthümer (Dominus territorii.) (S. 182. 212.) Daher kann es keine Corporation, keinen Stand und Orden im Staate geben, der als Eigenthümer den Boden zur alleinigen Benützung den folgenden Generationen nach gewissen Statuten überliefern dürfte. Daher hat der Herrscher das Recht, die Privateigenthümer des Bodens zu beschatzen. Hierauf beruht auch das Recht der Staatswirthschaft, des Finanzwesens und der Polizey. (S. 185. 215.) Dem Oberbefehlshaber steht indirect d. i. als Uebernehmer der Pflicht des Volkes das Recht zu, dieses mit Abgaben zu seiner (des Volkes) eigener Erhaltung zu belassen, als da sind das Armenwesen, die Findelhäuser, und das Kirchenwesen, sonst milde und fromme Stiftungen genannt. (S. 186. 216.) Er hat auch das Recht der Vertheilung der Aemter oder der mit einer Besoldung verbundenen
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Geschäftsführung, und der Würden oder Standeserhöhungen ohne Sold. (S. 192. 220.) Endlich hat er auch das Strafrecht; das Begnadigungsrechts hingegen nur bey einer Läsion, die ihm selbst widerfährt, aber auch da nicht einmahl, wenn durch Ungestraftheit dem Volke selbst in Ansehung seiner Sicherheit Gefahr erwachsen könnte. (S. 195. und 206. oder S. 225 und 236.) Völkerrecht, oder besser Staatenrecht, betrachtet einen Staat (als moralische Person) gegen einen andern im Zustande der natürlichen Freyheit, folglich auch des beständigen Krieges; beschäftigt sich daher mit dem Recht zum Kriege, im Kriege und nach dem Kriege. (S. 216. 246.) Das weltbürgerliche Recht endlich hat seinen Grund darin, dass die Natur alle Völker (vermöge der Kugelgestalt ihres Aufenthaltes als Globus terraqueus) in bestimmte Gränzen eingeschlossen, und daher in eine ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens eingeschlossen hat. Es bezieht sich auf die mögliche Vereinigung aller Völker in Absicht auf gewisse allgemeine Gesetze ihres möglichen Verkehrs. (S. 229. 259.) Diess ist die kurze Darstellung der Hauptideen, die dem vorliegenden Werke als Grundlage dienen, und dem Philosophen eben so wichtig seyn müssen, als dem practischen Juristen und Staatsmanne. Wie sehr insbesondere die Theorie des Civil- und Criminalrechts dadurch gewonnen habe, hat sich zum Theile schon gezeigt, und wird sich ohne Zweifel in der Folge noch mehr zeigen. Bey dieser sich immer mehr ausbreitenden Anwendung der Kantischen Rechtslehre, deren Anzeige ohnehin durch zufällige Umstände verspätet worden ist, würde es eine überflüssige Arbeit seyn, die neuen Ansichten im einzelnen anzugeben, durch welche Kant die bisherige mangelhafte Rechtstheorie beleuchtet hat. Rec. schreitet daher zum Vortrage einiger Zweifel, die sich ihm bey dem Studium der metaphysischen Anfangsgründe aufgeworfen haben. S. XXXXIIII. der Einleitung wird der Formel: Suum cuique tribue, eine ganz besondere Erklärung gegeben, /455/ und dieselbe in dem Sinne: Gib Jedem das Seine, ungereimt genannt. Sie ist [es] freylich nach dem Begriffe, den Kant hier mit dem Worte das Seine verbindet; aber nicht nach dem Begriffe Ulpians, der dadurch sagen wollte: Gib Jedem, was ihm gebührt, wozu er das Recht hat. S. 55. nennt Kant selbst das Seine nicht mehr wie in der Einleitung das, was einer hat, sondern das, womit er so verbunden ist, dass der Gebrauch, den ein Anderer ohne Jenes Einwilligung davon macht, ihn lädiren würde. Nach dieser Definition wäre die Formel: Gib Jedem das Seine, nicht ungereimt, indem sie bedeuten könnte: Gib Jedem das, wovon du ohne dessen dazu erforderliche Einwilligung Gebrauch gemacht hast. In der Tafel der Eintheilung der Rechtslehre (nach der Vorrede) und S. 161. 191, wird das Naturrecht in öffentliches und Privatrecht abgetheilt, je nachdem es einer allgemeinen Bekanntmachung bedarf, oder nicht. Dessen ungeachtet be-
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handelt der Verf. die subjectiv bedingte Erwerbung vor einem Gerichtshofe, von welcher S. 140. er selbst sagt, dass sie nach der Idee des öffentlichen Rechts zu beurtheilen sey, als ein Theil des Privatrechts (im III. Hauptstücke.) S. 118. befindet sich eine dogmatische Eintheilung aller erwerblichen Rechte aus Verträgen, die ebendaher als vollständig angegeben wird. Es gibt aber noch Arten der Uebertragung des Seinen auf einen Andern (S. 121) die hier nicht berührt worden sind, z. B. die Dienstbarkeit, Association, Spiele, Wette, u.s.w. Eben so findet man hier nichts von den Arten, die Verbindlichkeit aufzuheben. S. 156. sagt der Verf., der bürgerliche Verein könne nicht wohl eine Gesellschaft genannt werden, weil zwischen Befehlshaber und Unterthan keine Mitgenossenschaft sey. Zwischen diesen beyden Ausdrücken ist aber ein grosser Unterschied. Es gibt ja viele ungleiche Gesellschaften, z. B. die Societas Leonina[²]. Das Wort Gesellen freylich lässt sich nicht auf Befehlshaber und Unterthanen anwenden. S. 168. oder 198. wird den passiven Staatsbürgern nur das Recht zugestanden, dass die Staatsgesetze den natürlichen der Freyheit, sich aus dem passiven Zustande zu dem activen empor arbeiten zu können, nicht zuwider seyn dürfen. Allein wie lässt sich diese Einschränkung, wie lässt sich überhaupt die Passivität eines Staatsbürgers mit dem S. 165. oder 195. aufgestellten Grundsatze vereinigen, dass die gesetzgebende Gewalt nur dem vereinigten Willen des Volkes deswegen zukommen könne, weil, wenn Jemand etwas gegen einen Andern verfügt, immer möglich sey, dass er ihm dadurch Unrecht thue, also auch die activen Staatsbürger den passiven. S. 172. oder 202. wird behauptet, es sey unter der Würde des Staatsoberhauptes, selbst zu richten, und daher in den Fall einer Appellation a rege male informato ad regem melius informandum zu gerathen. Nach S. 185. oder 215. hingegen muss ein in der Volksmei-/456/nung gegründetes Eigenthum, wenn diese erlischt, gleichsam durch eine Appellation an den Staat a rege male informato ad regem melius informandum aufhören. S. 174. oder 204. heisst es: Der Herrscher im Staate hat gegen den Unterthan lauter Rechte und keine Pflichten, und doch wird S. 220. von der Pflicht des Souveräns gegen das Volk gesprochen. S. 185. oder 215. wird der Polizey im Nothfalle das Recht der Haussuchung zugestanden, wozu sie in jedem besondern Falle durch eine höhere Authorität [Eine Löwengesellschaft (societas leonina), so genannt nach der bekannten Fabel Äsops, bei welcher der ganze Gewinn einem Gesellschafter ausschließlich zufallen soll, wird als Schenkung angesehen. Vgl. Hingst, Kai-Michael: Die societas leonina in der europäischen Privatrechtsgeschichte. Der Weg vom Typenzwang zur Vertragsfreiheit am Beispiel der Geschichte der Löwengesellschaft vom römischen Recht bis in die Gegenwart, Berlin 2003.]
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berechtigt seyn muss. Was ist diess für eine höhere Authorität, da die Polizey nur dem Oberbefehlshaber selbst zusteht? Die Worte, Beherrscher, Oberbefehlshaber, Souverän, Oberhaupt, Monarch, Regent, Landesherr u.s.w. werden hier öfter zum Schaden der Deutlichkeit miteinander verwechselt. Kann der Herr über die Kräfte seines Leibeignen verfügen, (S. 194. oder 224.) so kann er diese auch erschöpfen, welches eben so unrechtmässig ist, als der Gebrauch derselben zu schandbaren Zwecken. Nach S. 176. (206.) darf man sich dem Befehlshaber nicht widersetzen; nach S. 195. (225.) aber kann man sich seiner Herrschaft entziehen. Ist diess keine Widersetzung? Die Benützung zu öffentlichen Arbeiten läuft gegen den Grundsatz, dass man die Menschen nicht als Mittel, sondern nur als Zweck betrachten soll. (S. 199. 229.) Der Grund des Rechtes der Todesstrafe wird S. 202. (232.) nicht angegeben; sondern nur der Einwurf, dass Niemand über sein Leben verfügen könne, widerlegt, andern Einwürfen aber nicht begegnet, z. B. ob der Staat einen Bürger von mehr als der bürgerlichen Gesellschaft ausschliessen könne? Wenn der Staat die Existenz eines aussergesetzlichen Wesens, wofür Kant S. 204. (234.) die heimlich gebohrnen Kinder erklärt, ignorirt, so fällt bey dem Kindermorde nicht nur die Todes- sondern alle Strafe weg. Was S. 207. und 224. (S. 237. und 254.) von Provinzen vorkommt, streitet gegen das natürliche Staatsrecht, und gegen Kant’s eigene Grundsätze. (S. 226. oder 256.) Dass S. 207. (237.) dem Unterthanen die Verkaufung seiner Güter, wenn er auswandert, untersagt seyn soll, widerspricht dem Begriffe, den Kant vom Seinen aufgestellt hat. Es wird Niemand läugnen, dass ich das Meine verkaufen, und dann auswandern kann, welches dasselbe ist. Schreibfehler, wie S. 188. (218.), wo es anstatt Erhaltung der Kinder, deren Ermordung befürchtet wird, heisst: Erhaltung der ermordeten Kinder u.s.w. wird ohnehin jeder Leser selbst verbessern. Zuletzt muss Rec. noch bemerken, dass die Zusätze, die in der zweyten Auflage von S. 159 – 187. enthalten, und auch besonders abgedruckt sind, sich auf die in den Götting. Anz. 28. St. vom 18. Febr. 1797. befindliche Recension der metaph. Anfangsgr. der Rechts-/457/lehre beziehen, und die Materien von dem auf dingliche Art persönlichen Rechte, von der idealen Erwerbung, vom Strafrechte, und von den ewigen Stiftungen erläutert. Rec. glaubt diese Anzeige nicht angemessener schliessen zu können, als indem er seine Leser aufmuntert, die Darstellung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche dort nachzulesen, und ihnen zugleich die kürzere Stelle über den Adel mittheilt, die sich S. 26. der Zusätze und S. 182 der Aufl. der met. Anfangsgr. befindet: „Der Adel eines Landes, das selbst nicht unter einer aristocratischen, sondern monarchischen Verfassung steht, mag immer ein für ein gewisses Zeitalter er-
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laubtes und den Umständen nach nothwendiges Institut seyn; aber dass dieser Stand auf Ewig könne begründet werden, und ein Staatsoberhaupt nicht soll die Befugnis haben, diesen Standesvorzug gänzlich aufzuheben, oder, wenn er es thut, man sagen könnte, er nehme seinem (adelichen) Unterthan das Seine, was ihm erb-/458/lich zukommt, kann keineswegs behauptet werden. Er ist eine temporäre, vom Staate authorisirte, Zunftgenossenschaft, die sich nach den Zeitumständen bequemen muss, und dem allgemeinen Menschenrechte, das so lang suspendirt war, nicht Abbruch thun darf. – Denn der Rang des Edelmannes im Staate ist von der Constitution selbst nicht allein abhängig; sondern ist nur ein Accidens derselben, was nur durch Inhärenz in demselben existiren kann (ein Edelmann kann ja als ein solcher nur im Staate, nicht im Stande der Natur gedacht werden). Wenn also der Staat seine Constitution abändert, so kann der, welcher hiermit jenen Titel und Vorrang einbüsst, nicht sagen, es sey ihm das Seine genommen; weil er es nur unter der Bedingung der Fortdauer dieser Staatsform das Seine nennen konnte: der Staat aber diese abzuändern (z. B. in den Republikanism umzuformen) das Recht hat. – Die Orden und der Vorzug, gewisse Zeichen desselben zu tragen, geben also kein ewiges Recht dieses Besitzes.“
16 [Tübingische] Gelehrte Anzeigen. Tübingen: Schramm 1797. S. 305‒310 u. 316‒320. /305/ […] Einen Auszug aus dieser Schrift, die, wie alle des Verf., reich an originellen Gedanken und in einem /306/ Vortrag abgefasst ist, der eine die Darstellung Schritt vor Schritt verfolgende Inhaltsanzeige, wenigstens in dem Raume unserer Blätter, nicht gestattet, gibt Rec. aus diesen Beyden Gründen nicht. Dagegen versucht er es, die Hauptideen, wodurch das Eigenthümliche dieser Rechtslehre ihm bestimmt zu werden scheint, in einer allgemeinen Uebersicht darzustellen. Daß dieselbe an die vorhergehenden critischen Untersuchungen des Verf. sich anschliessen würde, ließ sich als nothwendig voraussehen. Leider wird dis freylich die beschwerliche Folge haben, daß für die Kantischen Rechtsgelehrten, die gewöhnlicher Weise den Kant nicht einmal gelesen, geschweige studirt haben, das Herausheben einzelner Formeln zu Ausstaffirung ihrer positiven Jurisprudenz eine sehr misliche Sache werden dürfte. Aber wie wird’s erst Herrn Kant bey denjenigen ergehen, die alles Studium der critischen, oder vielmehr aller, Philosophie in Beziehung auf Jurisprudenz verwerfen, wenn er diesen so gerade in’s Angesicht hineinsagt: „eine blos empirische Rechtslehre ist (wie der hölzerne Kopf in Phädrus[’] Fabel) ein Kopf, der schön seyn mag, nur Schade! daß er kein Gehirn hat?“ (S. 32.) − An die vorhergehenden Untersuchungen schließt sich diese Rechtslehre an, und zwar zunächst an die Critik der practischen Vernunft, und an die Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Ein Gegenstük der metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft soll sie eine Metaphysik der Rechtslehre seyn, und auf diese sollen in kurzem die metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre folgen. Den Weg zu der vorliegenden Untersuchung bahnt sich der Verf. zunächst durch Bestimmung einiger Vorbegriffe und durch die Voraussezung des obersten /307/ Sittengesezes auf seine schon bekannte Weise. Die Freyheit der Willkühr ist es, für welche ein gesezmäßiges Verhältnis bestimmt werden soll. Für den Gebrauch derselben muß festgesezt werden, was Recht und Unrecht sey. Der oberste eingetheilte Begriff bey diesem Unterschied ist der Act der Willkühr. Aus dem categorischen Imperativ geht die Rechtslehre, so wie die Tugendlehre hervor. Er gebietet, die Menschheit in uns und in andern nie als blosses Mittel, sondern immer zugleich als Zwek zu behandeln. Rechtslehre und Tugendlehre sind nur in der Art der Gesezgebung der practischen Vernunft verschieden, je nachdem nemlich diese eine Triebfeder mit dem Geseze verbindet. Macht diese Gesezgebung bey einer Handlung die Pflicht zur Triebfeder, so ist sie ethisch. Ist’s ihr blos um Uebereinstimmung einer Handlung im äusseren Verhttps://doi.org/10.1515/9783110702996-018
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hältnis mit dem Gesez desselben, (um Legalität) zu thun, sie fliesse, aus welcher Triebfeder sie wolle, so ist sie juridisch. Der Grundsaz der Rechtslehre, was nach dieser juridischen Gesezgebung in Absicht auf das äusserliche Verhältnis freyer Wesen unter sich recht sey, ist dieser: „eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freyheit der Willkühr des einen mit der Willkühr des andern nach einem allgemeinen Geseze der Freyheit zusammen vereiniget werden kann.“ (S. 33.) Recht im objectiven Sinne ist der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkühr des einen mit der Willkühr des Andern nach einem allgemeinen Geseze der Freyheit zusammen vereiniget werden kann. Recht im subjectiven Sinne ist jede Bestimmung meines Zustandes, der mit der Freyheit von Jedermann bestehen kann. Die Vernunft sagt nicht, daß ich aus Pflicht meine /308/ Freyheit auf jene Bedingung einschränken solle; sie sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sey, und von andern auch thätlich eingeschränkt werden dürfe. Aber eben, indem sie dies ausspricht, so legt sie dem Rechthabenden das Vermögen bey, andere zu verpflichten. Recht ist also in diesem Sinne das Vermögen, andere zu verpflichten. Sehr consequent mit seinem System bemerkt Herr Kant den Grund, warum diese Lehre von den Rechten von der obersten Voraussezung des moralischen Imperativs nicht getrennt werden könne: „Wir kennen unsere eigene Freyheit (von der alle moralische Geseze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen) nur durch den moralischen Imperativ, welcher ein pflichtgebietender Saz ist, aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts, entwikelt werden kann.“ (S. 48.) Von diesem bisher entwikelten Begriff des Rechts, welcher es nur mit dem äusserlichen practischen Verhältnis einer Person gegen eine andere zu thun hat (S. 32.), von diesem Recht der Menschen ist das Recht der Menschheit in meiner eigenen Person zu unterscheiden, welches auf dem Grundsaze beruht: „mache Dich anderen nicht zum blossen Mittel, sondern sey für sie zu gleich Zwek.“ (S. 43.) Diesen Zwek der Menschheit in mir wie in andern nicht zu stören, ist vollkommene, ist Rechtspflicht. Ob aber meine Handlung der Rechtspflicht gegen mich, dem Recht der Menschheit in mir zuwieder sey, dis bezieht sich auf mein Verhältnis zu anderen nicht, berührt ihr Recht (der Menschen) nicht, dessen Bedingungen in ihrem gesamten Inbegriff die Rechtslehre eigentlich zum Gegenstand hat. Obgleich ich nun das Recht der Menschheit in mir, /309/ ohnbeschadet anderer, verlezen, meine Persönlichkeit auch durch Eintritt in ein Verhältnis von solchen Folgen aufgeben kann, so ist dennoch keiner befugt, mich zur Fortsezung eines solchen Verhältnisses als z. B. des Concubinats (S. 109.) zu nöthigen; ich kann, ohne Zwang des andern erwarten zu müssen, aus demselben zurüktreten. Es würde ein Gebrauch der Feyheit seyn, der nach allgemeinen Gesezen nicht Statt finden kann, einen andern zu einem Verhältnis zu zwingen, in welchem er zum blossen Mittel des Zwingenden würde. Dazu kann es kein Recht des Menschen geben.
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Dieses ist nun aber als eigentlicher Gegenstand der Rechtslehre entweder das angebohrne oder das erworbene. Bey dem Leztern geschieht nun zuerst die ausgedehntere Anwendung des Rechtsbegriffs im Privatrechte, in der Lehre vom äusseren Mein und Dein. Die Möglichkeit desselben beruht auf dem Postulat der practischen Vernunft, wodurch sie sich a priori erweitert, daß es Rechtspflicht sey, gegen andere so zu handeln, daß das Aeussere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne. (S. 67.) Es würde wiedersprechend seyn, Gegenstände des Gebrauchs ausser aller Möglichkeit des Gebrauchs versezt zu sehen. Durch dieses Postulat gibt die practische Vernunft uns die Befugnis, die wir aus blossen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten, (S. 58.) allen andern eine Verbindlichkeit aufzuerlegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkühr zu enthalten, weil wir sie zuerst in Besiz genommen haben. Dieser ist die subjective Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs. Er kann ein sinnlicher (possessio phaenomenon) eine Inhabung, und ein blos /310/ intelligibler Besiz seyn. Ohne den leztern kann das Mein und Dein nicht gedacht werden.Vom Verhältnis einer körperlichen Sache zu mir im Raume und in der Zeit kann das Recht des Mein und Dein nicht abhängen. Daß ich in meinem empirischen Besize nicht gestört werden darf, ist ein analytischer Saz, der nicht über das Recht einer Person in Ansehung ihrer selbst hinausgeht. Dagegen ist der Saz von der Möglichkeit des Besizes einer Sache ausser mir ein synthetischer Rechtssaz a priori. Er beruht auf jener Voraussezung der practischen Vernunft a priori, einen jeden Gegenstand meiner Willkühr als objectiv mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln. (S. 58.) Da nun dieses ohne einen nicht physischen Besiz nicht gedacht werden kann, so muß auch die intelligible Bedingung eines blos rechtlichen Besizes möglich seyn; wenn gleich diese Möglichkeit nicht eingesehen werden kann, weil dieser Besiz ein Vernunftbegriff ist, dem keine Anschauung correspondirend gegeben werden kann, sondern nur als nothwendige Folge aus jenem Postulate entspringt. Mein wird also ein Gegenstand durch die blos rechtliche Verbindung meines Willens mit ihm, der sich dem Gesez der äussern Freyheit gemäs zum Gebrauch derselben bestimmt. Durch diesen Act meines Willens, der natürlich geäussert werden muß, (wovon ein eigener Abschnitt handelt) als den Act einer allgemein geltenden Gesezgebung lege ich allen andern die Verbindlichkeit auf, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs derselben zu enthalten. (Das Uebrige im nächsten Stüke.)
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/316/ […] Fortsezung der angef. Anz. von Kants Schrift: Metaphys. Anfangsgr. etc. Die äusseren Gegenstände meiner Willkühr können nur drey seyn: 1) eine körperliche Sache ausser mir, 2) die Willkühr eines andern zu einer bestimmten That (praestatio), 3) der Zustand eines andern im Verhältnis auf mich. In einer Sache habe ich ein Sachenrecht. Der zweyte Fall ist der eines persönlichen Rechts. Dis wird durch Vertrag gegründet. Dieser Act der vereinigten Willkühr beyder Theile ist an keine Zeitbestimmung, an keine Zwischenzeit zwischen Zusage und Annahme geknüpft. Der dritte Fall ist der eines persönlich-dinglichen Rechts. Es ist das Recht des Besizes eines äusseren Gegenstandes als einer Sache, und des Gebrauchs desselben als einer Person. Es findet im häuslichen Rechte zwischen Ehleuten, Eltern und Kindern, Herrn und Gesinde Statt. Auch dieser rechtliche Besiz einer Person ist an keine Bedingungen im Raume gebunden, weil ein rechtliches Verhältnis, das diese Personen verknüpft, durch örtliche Trennung nicht gehoben wird. Alle diese Rechte des äussern Mein und Dein sind im Privatzustande zwar denkbar, aber ihre Existenz ist ohne einen Zustand des vereinigten allgemeinen Willens unter öffentlichen Rechtsgesezen nicht möglich. Ausser dem rechtlich-öffentlichen Zustande sind daher alle Rechte blos provisorisch, in einem solchen werden sie erst peremtorisch. Daher ist es Rechtspflicht, in eine Gesellschaft mit andern zu treten, /317/ worinn jedem das Seine gegen jeden Andern gesichert seyn kann. (S. 44.) Auch geht die Befugnis, jeden andern, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über irgend ein Object kommt, (S. 73.) zur Annahme eines rechtlichen Zustandes zu nöthigen, selbst aus dem Rechtsbegriffe hervor. Der Inbegriff der Geseze, die einer allgemeinen Bekanntmachung bedürfen, ist das öffentliche Recht. Einen Theil desselben macht das Staatsrecht aus. Ein Staat ist die Vereinigung einer Menge Menschen unter Rechtsgesezen. Der Zustand der grösten Uebereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprincipien ist das Heil des Staates (salus reipublicae), nicht das Wohl der Staatsbürger und ihre Glückseligkeit. Ein jeder Staat enthält drey Gewalten in sich, d. i. den allgemeinen vereinigten Willen in dreyfacher Person (trias politica): die Herrschergewalt (Souveränetät) in der des Gesezgebers (diese kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen; S. 165.)[,] die vollziehende Gewalt, in der des Regierers (zu Folge dem Gesez) und die rechtsprechende Gewalt. Der Ursprung der obersten Gewalt ist für das Volk unerforschlich: d. i. der Unterthan soll nicht über diesen Ursprung, und ob er derselben auch Gehorsam schuldig sey, vernünfteln. Dis ist der Sinn des Sazes: „alle Obrigkeit ist von Gott.“ Er soll nicht einen Geschichtsgrund der bürgerlichen Verfassung enthalten, sondern er sagt die Idee, als practisches Vernunftprincip, aus: der jezt bestehenden gesezgebenden Gewalt sollst du gehorchen, ihr Ursprung mag seyn, welcher er will. Auch für Staaten im Ver-
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hältnis zu einander spricht die practische Vernunft die Nothwendigkeit eines rechtlichen Zustandes aus. Im äussern Verhältnis zu ein-/318/ander sind sie an sich im Zustande des Kriegs, wenn gleich nicht immer der wirklichen Hostilität, aus welchem die Staaten, welche einander benachbart sind, auszugehen, und in einen Völkerbund zu treten verbunden sind, der aber nur eine Genossenschaft, keine souveräne Gewalt, enthält. Auf diesen Elementen beruht das Völkerrecht. Ja die Vernunftidee einer friedlichen, wenn gleich noch nicht freundschaftlichen, durchgängigen Gemeinschaft aller Völker auf Erden, die untereinander in wirksame Verhältnisse kommen können, ist nicht etwa philantropisch (ethisch), sondern ein rechtliches Princip. Alle Völker stehen ursprünglich in einer Gemeinschaft des Bodens, und in einer physischen möglichen Wechselwirkung, d. i. in einem durchgängigen Verhältnisse eines zu allen Anderen, sich zum Verkehr untereinander anzubieten. Dieses Recht, so fern es auf die mögliche Vereinigung aller Völker, in Absicht auf gewisse allgemeine Geseze ihres Verkehrs geht, kann das weltbürgerliche (ius cosmopoliticum) genannt werden. Es soll kein Krieg seyn! ist das Veto, das die moralisch-practische Vernunft unwiederstehlich in uns ausspricht. Bey der practischen Nothwendigkeit dieser Idee des ewigen Friedens fällt alles theoretische Urtheil über die Ausführbarkeit desselben hinweg. − Einen vollständigeren Auszug und eine prüfende Beurtheilung der einzelnen Säze erlauben wir uns aus den obenangeführten Gründen nicht. Nur einen Zweifel können wir nicht übergehen, der uns dem System dieser Rechtslehre hauptsächlich entgegen zu stehen scheint. Wir wollen ganz mit dem Verf. annehmen, daß der Begriff des Rechts auf theoretischem Wege nicht gefunden werden könne; daß wir unsere Freyheit theoretisch gar nicht, und /319/ practisch nur durch den moralischen Imperativ kennen, und daß ohne diesen der Begriff des Rechts, eines Vermögens andere zu verpflichten, aus dem Begriffe der Freyheit nicht entwikelt werden könne. Wir sezen ferner mit dem V. voraus, daß die Rechtslehre von der Tugendlehre nicht durch ihre Pflichten, sondern durch die Art der Gesezgebung sich unterscheide, nach welcher die practische Vernunft entweder will, daß eine Handlung aus der Triebfeder der Pflicht geschehe, oder nur, daß sie geschehe, aus welcher Triebfeder es auch sey, und daß im lezteren Fall ihre Gesezgebung juridisch sey. Aber mit allem diesem scheint dennoch die Unabhängigkeit dieser Rechtslehre, als eines vor sich bestehenden Systems, nicht gänzlich sicher gestellt zu seyn. Die Rechtslehre soll nach dem Verf. die Rechte des Menschen, nicht das Recht der Menschheit und die Rechtspflicht gegen sich selbst enthalten. Sie ist der Inbegriff der Bedingungen, unter welchen die Willkühr eines Jeden mit der Freyheit aller Andern nach einem allgemeinen Geseze zusammenstimmen kann. Auf das oberste Princip, daß jede Handlung Recht sey, welche unter diesen Maasstaab passend ist, gründet sich dieses System, aus demselben geht der Rechtsbegriff als das äussere Verhältnis eines Menschen zu Andern bestimmend
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hervor. Wenn nun aber die Möglichkeit des Besizes, als der subjectiven Bedingung des Gebrauchs der Gegenstände der Willkühr und des Mein und Dein, auf dem Postulate der practischen Vernunft beruht, daß es Rechtspflicht sey, jeden Gegenstand der Willkühr als objectiv-mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln; und wenn die practische Verunft durch dieses Postulat, wodurch sie sich a priori erweitert, nun die Befugnis gibt „die wir aus blossen Begriffen vom Rechte /320/ überhaupt nicht herausbringen könnten,“ allen andern eine Verbindlichkeit, die sie sonst nicht hätten, aufzulegen, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände zu enthalten, weil wir sie zuerst in Besiz genommen haben: so geht also diese Befugnis des ausschlieslichen Besizes, die rechtliche Möglichkeit desselben, nicht aus dem Begriffe des Rechts, nicht aus dem Axiom des Rechts hervor. Es wird erst postulirt, daß es practisch-nothwendig sey, Besiz der Dinge zu haben, um daraus zu beweisen, daß es Recht sey, andern die Verbindlichkeit, die sie sonst nicht hätten, aufzuerlegen, sich des Gebrauchs gewisser Dinge zu enthalten, die an sich eben so gut Gegenstände ihrer Willkühr als der meinigen sind. So steht also, wenn anders wir auf dem rechten Standpuncte der Beurtheilung sind, eine der wichtigsten Grundlehren des Rechts, auf einem Fundamente, das in dem obersten Princip der Rechtslehre nicht enthalten ist, auf dem Grundsaze jener Rechtspflicht, die nicht aus dem eigentlichen Recht (der Menschen) hervorgeht; denn aus blossen Begriffen vom Rechte überhaupt soll sich ja jenes Vermögen nicht herausbringen lassen, andern die Verbindlichkeit aufzuerlegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs eines Gegenstandes zu enthalten, weil ich ihn zuerst in Besiz genommen habe. Im Grunde beruht sogar die ganze Idee des Staats-[,] Völker- und weltbürgerlichen Rechts auf einem Grundsaze der Rechtspflicht, der aus jenem Postulate hervorgeht: „tritt in einen Zustand, worinn Jedermann das Seine gegen jeden Andern gesichert seyn kann,“ und so wäre also in dieser Rechtslehre der oberste Grundsaz nicht sowohl jenes angegebene Axiom des Rechts, als vielmehr dieses leztere Pflichtgebot.
Teil III: Rezensionen zu den Erläuternden Anmerkungen zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre (1798) Erläuternde Anmerkungen zu den Methaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre. 31 S. ‒ Königsberg: Nicolovius 1798.
17 [Friedrich Bouterwek, in:] Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen unter der Aufsicht der königl. Gesellschaft der Wissenschaften. Göttingen: Johann Christian Dieterich. 1799, S. 1197‒1200. /1197/ […] Diese Bogen sind zugleich mit der zweyten Auflage der metaphy. Anfangsgr. der Rechtslehre von Hrn. K. erschienen und für die Besitzer der ersten Auflage besonders abgedruckt. Ihr Inhalt fordert den Rec. zu einer ausführlichern Anzeige auf; denn diese Anmerkungen, durch die der Hr. Verf. seine Rechtslehre erläutert, sind, wie auch sogleich in der Einleitung ausdrücklich gesagt ist, größten Theils durch die Recension der Kantischen Rechtslehre in diesen Anzeigen (Jahrgang 1797 St. 28.) veranlaßt. Aber diese Anzeigen sind keine Streitschriften. Der Rec. fühlt überdem zu viel Achtung und Dankbarkeit für den Verf., als daß er sich gern mit ihm in einen öffentlichen Streit einlassen möchte, in welchem selbst den Sieg davon zu tragen, Keinem gefallen kann, der für wissenschaftlichen Respectus parentelae irgend noch Sinn hat. Daß Hr. K. die Göttingische Recension im Ganzen eine scharfsinnige und gründliche Recension nennt, ist ein Lob, durch das der Proceß zwischen dem Verf. und dem Rec. nur noch verwickelter wird. Also nur einige Anmerkungen zu diesen vor uns liegenden Anmerkungen. − Zuerst vertheidigt Hr. K. seine von dem Rec. angegriffene Definition des Begehrungsvermögens als eines Vermögens, durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu seyn. Der Rec. fand in dieser Definition eine Voraussetzung, über die man sich zuerst mit dem Idealisten abfinden muß, der die Realität der Aussenwelt in Anspruch nimmt, aber /1198/ das Begehrungsvermögen nicht bezweifelt. Jetzt gesteht der Rec. gern, daß seine Critik zu weit hergehohlt war. Mag die Vorstellung von Aussendingen kommen, woher sie will; der Unterschied zwischen Vorstellung und Gegenstand der Vorstellung bleibt auf alle Fälle psychologisch gewiß; und dabey kann es für die Rechtslehre sein Bewenden haben. Etwas anders wäre es, wenn durch eine transcendentale Definition, wie die vom Verf. gegebene, die psychologische Wahrheit, die kein Skeptiker angreift, überstiegen und an eine absolute Wahrheit angeknüpft werden sollte, um die Einheit der theoretischen und practischen Philosophie zu zeigen. Diese Einheit zu suchen, war aber freylich keine Aufgabe der Rechtslehre. − Zweytens vertheidigt Hr. K. sein dinglich-persönliches Recht: zuerst logisch, dem Begriffe nach; dann https://doi.org/10.1515/9783110702996-019
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practisch, der Wirklichkeit nach. Gegen die logische Vertheidigung hat der Rec. nichts zu erinnern. Nachdem ein persönliches Recht von einem dinglichen Rechte im Begriffe geschieden ist, bleiben ein persönlich-dingliches und ein dinglichpersönliches Recht als Begriffe allerdings für zwey logische Fächer übrig. Nun fällt, wie Hr. K. selbst sagt, ein persönlich-dingliches, d. i. auf eine persönliche Art dingliches Recht ohne weitere Umstände weg, ungeachtet der Begriff logisch seinen Platz behauptet. Es fragt sich also, ob nicht auch der Begriff eines auf dingliche Art persönlichen Rechts ein leeres Fach bleibt, wenn man die practische Realität, die in dieses Fach geschoben werden soll, genau beleuchtet. Und hier sieht der Rec. in den Sätzen, durch die der Verf. das leere Fach in der That ausfüllen will, noch immer nichts, als einen sinnreichen Gedanken, eine künstliche Erhebung der sittlichen Delicatesse /1199/ zur Würde eines Rechts-Princips. Alle Geschlechtsverbindung wird durch sittliche Delicatesse moralisirt oder, was hier dasselbe sagt, humanisirt, d. i. aus einer thierischen Empfindung durch Moralität in eine menschliche verwandelt. Die Ehrwürdigkeit der Ehe, so fern sie reines Resultat der wahren Menschlichkeit ist, hat deßwegen der Rec. nie bezweifelt. Davon ist aber nicht die Rede, wenn gefragt wird, ob Ehegatten ein dinglichpersönliches Recht auf einander haben, das heißt, ob sie, so fern sie Ehegatten sind, einander als Sachen besitzen. Dieß ist es, was Hr. Kant noch einmahl behauptet. Aber aus welchen Gründen? Weil die Ehegatten, sagt Hr. K., sich einander zum gegenseitigen Nießbrauch verpflichten. Der Begriff des Gebrauchs ist es also, um den die ganze Disputation sich dreht. Nun fragt sich: Kann man die Leistung der ehelichen Pflicht − man verzeihe dem Rec. diesen gemeinen Kunstausdruck! − einen Gebrauch in derselben Bedeutung nennen, wie man das Wort in der Rechtslehre versteht? Das ist die Frage, auf die hier Alles ankommt. Diese Frage bejaht Hr. K. ausdrücklich. Aber warum? Er geht in diesen Anmerkungen so weit, die Ehegatten, so fern sie in ihrem Geschlechtsvermögen einander verbrauchen können, wirklich Res fungibiles zu nennen. Wie die Spötter diesen Ernst aufnehmen werden, läßt sich voraussehen. Aber wer auch, wie der Rec., aus Ernst keinen Scherz zu machen Lust hat, darf doch noch immer nach den Gründen einer Behauptung fragen, die hier nur immer als Behauptung wiederhohlt wird. Noch immer sieht der Rec. in der Geschlechtsverbindung juridisch nichts weiter, als eine /1200/ eigene Art von Dienstleistung. Personen tauschen ihre Leistungen gegen einander aus. Was sie dabey beabsichtigen, geht die Rechtslehre nichts an. Denn diese Personen wollen einander ihre Persönlichkeit nicht verkümmern, und verkümmern sie einander in der That nicht. Der wechselseitige Genuß, der diese Dienstleistung begleitet, geht die Rechtslehre eben so wenig an; denn er ist nichts weiter, als der höchste Grad des Genusses, den ein Mensch dem andern durch körperliche Dienstleistungen überhaupt gewähren kann. Nur aus dem Gesichtspuncte der Humanität oder der moralischen Bildung
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der Sinnlichkeit erscheinen diese Verhältnisse anders, und zwar wieder anders von der Seite des Mannes, als von der Seite des Weibes. Die Rechtslehre ist aber keine Humanitäts-Lehre. − Weiter vertheidigt Hr. K. seine Theorie der Präscription, der Beerbung und der Strafen. Bey Gelegenheit des Erbrechts einige vortreffliche Ideen über die Rechte des Staats in Ansehung ewiger Stiftungen seiner Unterthanen. Zum Beschlusse, wo noch Einiges über das Staatsrecht gesagt wird, scheint Hr. K. zu vermuthen, daß es die gebietende Idee der Oberherrschaft sey, was in dem Kantischen Staatsrechte die Vernunft des Rec. eigentlich empört hat. Nein, nicht die Idee als Idee; aber die postulirte Rechtspflicht, den a priori = x gesetzten Begriff eines rechtmäßigen Herrschers in einem Usurpator, wie Cromwell und Robespierre, deswegen für consolidirt anzuerkennen, weil dieser Usurpator nun einmahl herrscht, ist dem Verstande des Rec. − er läugnet es nicht − unzugänglich.
18 Gothaische gelehrte Zeitungen. Gotha: Carl Wilhelm Ettinger. 1800, S. 366‒367. /366/ […] Bei der neuen Auflage der Rechtslehre machte der Hr. Verf. einige größtentheils durch die göttingische Recension veranlaßte erläuternde Zusätze, die hier für die Besitzer der ersten Auflage, wie es immer in ähnlichen Fällen geschehen sollte, besonders abgedruckt sind. Sie betreffen den Begriff des Begehrungsvermögens, der Vielen schwierig vorgekommen ist, (der Rec. ist von der Zulässigkeit der kantischen Definition überzeugt, glaubt aber nicht, daß das vom Hrn. Verf. hier gesagte für jedermann hinlänglich deutlich sey); das dinglich-persönliche Recht, vorzüglich das Eherecht (wo der Beweis, daß der Geschlechtstrieb nur in der Ehe rechtmäßig befriediget werden könne, deutlicher angegeben wird, obgleich Rec. der Meinung ist, daß noch einige Betrachtungen hinzukommen müssen, ehe er für völlig hinreichen gelten kann. Denn noch immer erhellet aus dem, was der Hr. Verf. sagt, nicht zur Genüge, warum jeder außereheliche Genuß der Geschlechtslust unrechtmäßig sey, da ja der Mensch sich auch Vergnügen vorsetzen darf und bei der wechselseitigen Hingabe jeder auch seinen eigenen Zweck befördert, also nicht bloßes Mittel zum Genusse des andern wird); dann die Behauptung: Kauf bricht Miethe, welche der Verf. mit wichtigen Gründen vertheidiget. Es folgt ein Zusatz zur Erörterung der Begriffe des Strafrechts. Ausführlicher sind die Abschnitte vom Rechte der Ersitzung und von der Beerbung, welche, nach des Rec. Einsicht, nicht wenig zur Aufklärung dieser schwierigen Materien des Naturrechts beitragen. Der längste Abschnitt behandelt einen, in der Rechtslehre des Hrn. Verf. nicht ausgeführten Gegenstand, nehmlich die Rechte des Staats in Ansehung ewiger Stiftungen für seine Unterthanen, mit vieler Klarheit und sehr befriedigend. Zuletzt vertheidigt der Hr. Verf. noch seine Ideen von der Unterwerfung unter den Willen des jedesmaligen Staatsoberhauptes. Daß das, was der Hr. Verf. behauptet, in Ansehung einzelner Mitglieder des Staates richtig sey, davon ist /367/ der Rec. hinlänglich überzeugt. Minder leuchten ihm die Anwendungen ein, die das Staatsrecht des Hrn.Verfassers davon auf das ganze Volk macht. Ist die gesetzgebende und regierende Macht Repräsentantin des gesammten Volkswillens (in der Idee), so scheint es, daß auch eine Uebereinstimmung dieses Volkswillens zur veränderten Repräsentation, also zur Staatsveränderung, sehr wohl gedacht werden kann und also nach der Metaphysik des Rechts die Unrechtmäßigkeit derselben absolut nicht behauptet werden darf. Ob aber bei der Anwendung die Bedingungen Statt haben und erfüllet werden können, die durch die Idee einer rechtmäßigen Staatsveränderung aufgegeben sind, https://doi.org/10.1515/9783110702996-020
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das wäre dann eine neue, von jener ersten noch zu unterscheidende Untersuchung. − Die Grundideen des kantischen Staatsrechts hält der Rec. für vollkommen richtig; es scheint aber noch mancher Untersuchungen und Aufklärungen zu bedürfen, um in seiner ganzen Bündigkeit zu erscheinen.
19 Juristische Literatur-Zeitung. Hrsg. v. Christoph Christian Dabelow u. Johann Christoph Hoffbauer. Halle u. Leipzig: Expedition dieser Zeitung u. Churfürstl. Sächs. Zeitungs-Expedition. 1. Jg., 1799/1800, Sp. 75 – 78. /75/ […] Die Veranlassung zu diesen Bemerkungen nahm der Verf. grössten Theils von der Recension, die sich von seiner Rechtslehre in den Göttingischen Anzeigen (1797. Stück 28.) befindet. Die Hauptabsicht des Verf. bey denselben ist, jene Einwürfe zu prüfen und sein System zu erweitern. Zuerst sucht er seine Definition des Begehrungsvermögens, nach welcher dieses das Vermögen ist, durch seine Vorstellungen Ursach der Gegenstände dieser Vorstellungen zu werden, gegen einen Einwurf seines Rec. zu rechtfertigen. So sehr wir von der Richtigkeit jener Definition überzeugt sind, und auch glauben, den K. gemachten Einwurf beantworten zu können, so wenig glauben wir, dass dieses von ihm selbst hier geschehen sey. Hierauf werden 8 Punkte meistens aus dem sogenannten Privatrechte des Verf. näher erläutert, und der Beschluss mit einer Erläuterung eines Punkts aus dem öffentlichen Rechte gemacht. Ueber jeden derselben ist Rec. bey dem Werke eines solchen Mannes eine nähere Anzeige schuldig. 1) Logische Vorbereitung zu einem neuerdings gewagten Rechtsbegriffe. „Die Rechtslehrer haben bis jetzt nur persönliche und dingliche Rechte unterschieden. Da es dem Philosophen in den metaphysischen Anfangsgrün-/76/den der Rechtslehre nicht gleichgültig seyn kann, ob die Eintheilung der Rechtsbegriffe vollständig ist, oder nicht; so ist die Frage: ob die Begriffe, die aus einer zwiefachen Verbindung dieser Begriffe entspringen würden, statthaft sind, oder nicht. Diese Begriffe sind: der Begriff eines auf persoenliche Art dinglichen, und eines auf dingliche Art persoenlichen Rechts. Der erste Begriff fällt sogleich weg, weil sich kein Recht einer Sache gegen eine Person denken lässt.Von dem letzten kann aber nicht allein gefragt werden, ob er ein an sich möglicher, sondern auch ein durch die Vernunft a priori gegebener Begriff von etwas, das zum äussern¹ Mein und Dein gehört, sey. Ein solches Recht würde das Recht seyn, Personen auf ähnliche
[Im Text: „äüssern“.] https://doi.org/10.1515/9783110702996-021
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Art, wenn gleich nicht in allen Stücken, als Sachen zu behandeln und zu besitzen.“ − So philosophisch die Absicht bey der Einführung dieses Begriffs ist, so wenig ist sie dadurch erreicht, da die von dem Verf. sogenannten auf dingliche Art persönlichen Rechte nichts weiter sind, als eine Art persönlicher Rechte. Aber gesetzt auch, sie machten eine Gattung aus, die von der einen sowohl als der andern ausgeschlossen würde, so würde hierdurch der Unvollständigkeit der gerügten Eintheilung nicht abgeholfen, da es Rechte giebt, die weder dingliche noch persönliche, noch auch auf eine dingliche Art persönlich sind. Dieses sind die Rechte eines Menschen auf eigene Handlungen als solche. Bey dem Beweise seiner Behauptung, dass es kein auf dingliche Art persönliches Recht geben könne, scheint der Verf. das gewöhnlich so genannte dingliche Recht mit einer andern Art von Rechten, die einige z. B. Nettelbladt, subjective dingliche Rechte genannt wissen wollen, verwechselt zu haben. 2) Rechtfertigung des Begriffs, eines auf dingliche Art persönlichen Rechts. Dieses wird definirt: „als das Recht des Menschen, eine Person ausser sich als das Seine zu haben.“ − Die Rechtfertigung jenes Begriffs, wenn sie anders nicht in der Definition selbst liegen soll, wird hier nicht gegeben; sondern erst in dem folgenden Abschnitte. 3) Beyspiele. Das Recht der Ehegatten, der Aeltern gegen die Kinder, mit einem Worte, alles was man sonst mit dem Namen häuslicher Gesellschaften belegt hat. Diesen Beyspielen selbst geht die Rechtfertigung des Begriffs, welche schon für den vorhergehenden Abschnitt angekündigt war, vorher. Mehrere hier beyläufig widerhohlte, aber nicht näher erläuterte Behauptungen des Verf. kann Rec. hier nicht beurtheilen. 4) Ueber die Verwechselung des dinglichen mit dem persönlichen Rechte. Der Göttingische Rec. hatte der Behauptung des Verfassers, dass Kauf Miethe breche, widersprochen. Hingegen wird von demselben, die schon vorher aufgestellte Behauptung, dass das Recht des Miethers ein persönliches sey, nur mehr ausdrücklich aufgestellt, widerhohlt und behauptet, dass die entgegengesetzte Meynung, aus einer Verwechselung des persönlichen und dinglichen Rechts entspringe. – Rec. getraut sich im Gegentheil zu behaupten, dass eben aus dieser Verwechselung die Kantische Meynung geflossen sey. Denn derjenige, der mir seine Sache auf eine gewisse Zeit vermiethet, giebt mir /77/ für diese Zeit ein Recht auf diese Sache. Er kann daher keinem andern, auf welche Art es auch seyn mag, mithin auch niemanden durch Verkauf ein Recht auf diese Sache übertragen, das mit diesem meinen Rechte nicht bestehen könnte. Des Verf. Behauptung, dass der Miether ein persönliches Recht gegen den Vermiether habe, rührt aus einer falschen Anwendung seines Begriffs von einem persönlichen Recht her. Dieses ist ihm ein Recht auf eine Leistung eines andern. Eine Leistung einer Person aber ist nichts anders, als eine Handlung wozu sie insbesondere verpflichtet ist. Der
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Vermiether ist aber dem Miether an sich zu nichts verpflichtet, als ihn in dem Gebrauche der Sache die ihm vermiethet ist, nicht zu hindern, wenn gleich zufälliger Weise für ihn auch die Verbindlichkeit zu Leistungen gegen den Vermiether entspringen kann, wie z. B. die Verbindlichkeit die vermiethete Sache in einen gewissen Zustand zu setzen. Iene erste Verbindlichkeit ist aber keineswegs eine Verbindlichkeit, die der Vermiether gegen den Miether, nach abgeschlossenem Miethskontrakt allein hatte, sondern jeder andere hat sie gleichfalls gegen ihn. Mithin ist das Recht des Miethers kein Recht auf eine Leistung, und mithin auch kein persönliches Recht. Dass übrigens nach positivem Recht das Recht des Miethers ein persönliches Recht ist, kann der Behauptung, dass es ohne Dazwischenkunft desselben, ein dingliches sey, nicht widersprechen. 5) Zusatz zur Erörterung des Begriffs des Strafrechts. K. hatte in seiner Rechtslehre das Widervergeltungsrecht, als den einzigen Grund des Strafrechts angegeben, und behauptet, dass die Strafe bloss Zweck und nicht Mittel zu irgend einem andern Zweck, mithin auch nicht zur Verhütung der Verbrechen gebraucht werden dürfe. Diese Behauptung, die hier nicht näher erläutert wird und auch hier unbewiesen bleibt, soll gegen den Einwurf geschützt werden, dass es Verbrechen gebe, die nicht durch Erwiederung bestraft werden können, entweder weil diese unmöglich, oder doch ein Verbrechen an der Menschheit überhaupt seyn würde. Dergleichen Verbrechen sind Nothzüchtigung, Päderastie und Bestialität. − Die ersten beyden sollen durch Kastration, und die letzten durch Ausschliessung von der bürgerlichen Gesellschaft auf immer, bestraft werden. − Wie die erste Strafe nach des Verf. Grundsätzen überhaupt genommen Statt finden könne, mögte schwer abzusehen seyn. 6) Von dem Rechte der Ersitzung. K. hatte für das Recht der Ersitzung, oder sonst sogenannten Erwerbung durch Präscription, den Beweis geführt, dass sonst keine Erwerbung provisorisch gesichert seyn würde. Sein Göttingischer Rec. hatte hingegen eingewendet, dass K. nur eine provisorische Erwerbung ausser dem Staat annehme. ‒ Der Verf., der entweder dieses Argument gegen sich gelten lassen, oder seine Behauptung, dass alle Erwerbung im Naturstande nur provisorisch ist, aufgeben muss, antwortete hierauf auf eine unbefriedigende Weise, „dass dieses keinen Einfluss auf die Entscheidung der obigen Frage habe.“ 7) Die Erwerbung durch Erbeinsetzung und mithin auch durch Testamente, hatte der Verf. (Rechtslehre 135) aus dem Grunde behauptet, weil jeder, /78/ der als Erbe eingesetzt ist, durch die Erbeseinsetzung an der Verlassenschaft ein Sachenrecht, nämlich das Recht sie ausschließlich zu acceptiren, erwerbe, und diesen letzten Satz wiederum dadurch bewiesen, dass jeder Mensch nothwendiger Weise dieses Recht zu acceptiren annehmen müsse, da er dadurch wohl gewinnen, nie aber verlieren kann. Hier war der Verf. von dem Göttinger Rec. falsch verstanden. Denn dieser hatte die Behauptung so ausgelegt, als ob jeder Mensch
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nothwendiger Weise eine ihm angebotene Sache acceptiren müsse. Allein so scharfsinnig jener Satz des Verf. auch ist, wenn er gleich nicht völlig richtig seyn mögte; so zweifelt Rec. seines Theils, ob hierdurch die Gültigkeit der Testamente bewiesen ist. Iener Satz ist nicht ganz richtig. Denn das Recht einen ihm geschehenen Antrag zu acceptiren, hat der Mensch schon von selbst: er beweiset genau genommen nicht, was er hier beweisen sollte, weil bey dem Testamente eigentlich gar kein Antrag vorhanden ist. Denn bey Lebzeiten des Testators soll seine Erbeseinsetzung rechtlich als nicht acceptirt betrachtet werden; mithin kann auch alsdann schon kein Recht zur Acceptation vorhanden seyn. Mit des Erblassers Tode kann dieses Recht nicht eintreten, da mit demselben jede seiner bisher nicht acceptirten Willenserklärungen ihre Wirkung verliert. 8) Von den Rechten des Staats in Ansehung ewiger Stiftungen für seine Unterthanen. Dass der Staat das Recht habe, solche ewige Stiftungen aufzuheben, wenn sie mit dem Wohl desselben streiten, wird jeder zugeben, da sie nur unter der Voraussetzung, dass sie diesem nicht zuwider sind, vom Staate genehmigt werden können. Eben so unstreitig ist es aber auch, dass der Staat sie nicht nach eigener Willkühr, und wäre es auch zu den übrigens wohlthätigsten Zwecken, abändern könne, ohne das Recht des Stifters, das im Staate, als ihn überlebend, betrachtet wird, zu verletzten. Rec. kann daher dem Verfasser, der jenes Recht dem Staate einräumen will, nicht beystimmen. Wie übrigens der Verf. den Adel in einem monarchischen Staate zu diesen Stiftungen rechnen kann, ist auch nicht klar. Zum Beschluß streitet der Verf. gegen seinen Göttingischen Rec., der der Kantischen Behauptung, dass die bloße Idee der Oberherrschaft mich nöthige, jedem der sich zu meinem Oberherrn aufwirft, zu gehorchen widersprochen hatte. So klar es ist, dass der Wille des Oberhaupts im Staate unwiderstehlich, oder dass die Idee der höchsten Oberherrschaft im Staate die Möglichkeit irgend eines Widerstandes ausschliesst; so wenig ist auch hier die Behauptung des Verf. dargethan, und so wenig mögte sie irgendwo dargethan werden können. Immer ist es zweyerley in dem Besitze der höchsten Gewalt seyn, und sie als ein Recht haben. Das erste und zweyte hat der Verfasser in seinem Beweise gegen seinen Gegner verwechselt.
20 [Johann Ernst Daniel Parow, in:] Neueste critische Nachrichten [Verf.: Pw.]. Hrsg. v. Johann Georg Peter Müller. Greifswald: Auf eigene Kosten. Bd. 25, 1799, S. 244 – 245.¹ /244/ […] Der Verf. rechtfertiget hier zuförderst den Begriff von einem auf dingliche Art persönlichen Recht in der Ehe und in einer Familie, so wie die Richtigkeit des Satzes: Kauf bricht Miethe, weil durch den Miethscontract nur ein Recht auf das, was eine gewisse Person zu leisten hat, und nicht gegen jeden nachfolgenden Besitzer der Sache erlangt wird. Auch über den Begriff des Strafrechts und über die mögliche Allgemeinheit des juris talionis hat sich der Hr. Verf. hier näher erklärt. Das von ihm auf eine befremdende Weise vertheidigte Recht der Ersetzung (usucapio) soll daraus folgen, daß der gegenwärtige Besitzer einer Sache (im Naturzustande) keinen weiteren Beweis über die Rechtmäßigkeit seines Eigenthums führen darf, dagegen der angebliche Eigenthümer, der nicht mehr im Besitz sich befindet, keinen rechtlichen Beweis führen kann. Hier, dünkt Rec., bleibt noch immer unerwiesen, daß man irgend eine Sache im Naturzustande nur allein durch einen beständigen Besitzact, und nicht eben so wohl durch Bezeichnung für sein Eigenthum erklären könne, als im bürger-/245/lichen Zustande. Muß nicht der gegenwärtige Besitzer einer Sache sein Eigenthumsrecht verlieren, wenn er von der Wahrheit des Satzes überführt werden kann, daß der ehemalige Besitzer niemals habe aufhören wollen, Eigenthümer der Sache zu seyn, aus deren Besitz er durch einen Zufall gesetzt ward? Die Gültigkeit der Testamente nach dem Naturrecht sucht der Hr. Verf. jezt dadurch zu rechtfertigen, daß mit dem Tode des Erb-Lassers das Recht zu erklären, ob er eine Sache annehmen wolle oder nicht auf den eingesetzten Erben übergeht, durch welche Erklärung sich derselbe denn auch ein rechtmäßiges Eigenthum erwirbt. Die zum Theil nicht unwichtigen Ideen über die Rechte des Staats in Ansehung ewiger
[Vgl. hierzu Bernd Ludwig, Literatur zur Rechtslehre, in: Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, hrsg. v. Bernd Ludwig, Hamburg 1986, S. L: „Gemäß einer Adickesschen Randnotiz in seinem Handexemplar der German Kantian Bibliography (im Besitz des Marburger Kant-Archivs) handelt es sich um J. E. Parow (1771– 1836), seit 1796 Magister und ab 1813 ordentlicher Professor an der Universität Greifswald, Schwiegersohn von Gottlieb Schlegel (1739 – 1810).“] https://doi.org/10.1515/9783110702996-022
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Stiftungen für seine Unterthanen, wohin theils die Hospitäler, theils die Rechte der Kirche und des Adels gehören, verdienen mit Recht erwogen zu werden. Zuletzt sucht der Verf. den in seiner Rechtslehre aufgestellten Satz durch neue Gründe zu rechtfertigen und einleuchtender zu machen: daß jeder Unterthan dem Oberherrn gehorchen müsse, ohne zu fragen, wer demselben das Recht gegeben habe, ihm zu befehlen. Eine vollkommene rechtliche Verfassung sey zwar eine bloße Idee, aber eine wirklich – vorhandene rechtliche Verfassung (so unvollkommenen sie auch immer seyn möge) müsse doch in der Erfahrung die Stelle jener Idee von einem Staat vertreten; und niemand dürfe der obersten Auctorität Gewalt entgegensetzen, weil er dadurch die alle Rechte zu oberst vorschreibende Gesetzgebung zerstören würde. Die unbedingte Unterwerfung des Volksmittlers unter einem souverainen Willen sey That, die nur durch Bemächtigung der obersten Gewalt zuerst anheben könne, und so zuerst ein öffentliches Recht begründe. Gesetzt es sollte auch kein Beispiel in der Erfahrung geben, welches der philosophischen Idee einer Staatsverfassung adäquat wäre; so dürfe doch auch derselben als Norm keine einzige widersprechen. Pw.
21 Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung. München: Verlag der oberdeutschen Staatszeitung. 13. Jg., 1800, Bd. 1, Sp. 449‒458. Abgedruckt oben unter II 15, S. 191‒199.
https://doi.org/10.1515/9783110702996-023
Teil IV: Rezensionen zur zweiten Auflage der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre (1798) Die Metaphysik der Sitten. Erster Theil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Zweyte mit einem Anhange erläuternder Bemerkungen und Zusätze vermehrte Auflage. XII + 266 S. ‒ Königsberg: Nicolovius 1798.
22 [Christian Gottfried Schütz, in:] Allgemeine Literatur-Zeitung. Jena u. Leipzig: Expedition dieser Zeitung u. Churfürstl. sächsische Zeitungs-Expedition. 1799, Bd. 3, Sp. 201‒208.¹ /201/ […] Von diesem in vielen Hinsichten interessanten Werke hat bereits, als sie zum erstenmale erschien, ein anderer Recensent (A. L. Z. 1797. Nr. 169) einen kundigen und vollständigen Auszug gegeben. Wir wollen uns also bey dieser Anzeige der neuen Auflage, theils auf Bemerkungen über einzelne Stellen, theils auf die Anzeige des in dieser zweyten Auflage hinzugekommenen Anhangs einschränken. S. II. der Einleitung ist die Note in beiden Auflagen durch einen häßlichen Druckfehler verunstaltet; und muß so gelesen werden: Man² kann Sinnlichkeit durch das Subjective unserer Vorstellungen überhaupt erklären; denn der Verstand bezieht allererst die Vorstellungen auf ein Object; d. i. er allein denkt sich etwas vermittelst derselben. Nun kann das Subjective unserer Vorstellung entweder von der Art seyn, daß es auch auf ein Object zum Erkenntniß desselben (der Form oder Materie nach, da es im ersten Falle reine Anschauung im zweyten Empfindung heißt) bezogen werden kann. In diesem Falle ist die Sinnlichkeit, als Empfänglichkeit der gedachten Vorstellung der Sinn. Oder das Subjective der Vorstellung kann gar kein Erkenntnißstück werden, weil es bloß die Beziehung derselben aufs Subject, und nichts zur Erkenntniß des Objects brauchbares enthält, und alsdann heißt die Empfänglichkeit der Vorstellung Gefühl; welches die Wirkung der Vorstellung (diese mag sinnlich oder intellectuell seyn) aufs Subject enthält und zur Sinnlichkeit gehört, obgleich die Vorstellung selbst zum Verstande oder zur Vernunft gehören mag.
In dieser Stelle steht in beiden Auflagen unrichtig: „als Empfänglichkeit der gedachten Vorstellung, der Sinn: aber das Subjective“ etc. Der Vf. sagt: S. III. „Näher können Lust und Unlust für sich − nicht erklärt werden.“ Aber war es nicht be-
[Zur Identifikation des Rezensenten: Horst Schröpfer, Kants Weg in die Öffentlichkeit. Christian Gottfried Schütz als Wegbereiter der kritischen Philosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 2003, S. 379‒ 387; vgl. dort (S. 357) auch die Übersicht über die Rezensionen von Kants Schriften in der Allgemeinen Literatur-Zeitung, sowie Kants Brief an Schütz vom 10. Juli 1797, in: Gesammelte Schriften (Akademie-Ausgabe), Bd. XII, S. 181‒183, auf den Schütz in seiner Rezension, Sp. 205, verweist.] [Im Original „Mann“.] https://doi.org/10.1515/9783110702996-024
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stimmter zu sagen: Lust ist die subjective Vorstellung, die wir zu erhalten, Unlust die subjective Vorstellung, die wir zu entfernen streben? So wie der Gegenstand der Lust und Unlust deshalb in unserer Sprache sehr richtig angenehm und unangenehm genannt wird. Ebendas.[:] „Man kann die Lust, welche mit dem Begehren (des Gegenstandes, dessen Vorstellung das Gefühl so afficirt) nothwendig verbunden ist, praktische Lust nennen, sie mag nun Ursache oder Wirkung vom /202/ Begehren seyn. Dagegen würde man die Lust, die mit dem Begehren des Gegenstandes nicht nothwendig verbunden ist, die also im Grunde nicht eine Lust an der Existenz des Objects der Vorstellung ist, sondern bloß in der Vorstellung allein haftet, bloß contemplative Lust, oder unthätiges Wohlgefallen nennen können. Das Gefühl der letzten Art von Lust, nennen wir Geschmack.“ Aber hier macht die Amphibolie des Worts Gegenstand eine Verwirrung. Die Lust z. B. an einem schönen Gemälde, an einer schönen Musik ist doch nothwendig mit der Begierde, daß der Gegenstand meiner Vorstellung sich darbiete, und erhalten werde, um mir die Vorstellung klar und lebhaft genug zu machen, verbunden. Der Ausdruck unthätiges Wohlgefallen, statt uninteressirtes ist also nicht passend. Auch besteht das uninteressirte Wohlgefallen nicht darin, daß man dabey gar nicht auf die Existenz des Objects der Vorstellungen sähe: denn soll ich mich eines schönen Gemäldes freuen; so muß ich mich doch auch seiner Existenz freuen; sondern uninteressirt ist das Wohlgefallen oder die Lust in sofern, als ich nicht andere von dem Genusse derselben auszuschließen, oder den Gegenstand allein zu besitzen strebe. Nun ist die wahre Geschmackslust uninteressirt; aber nicht jedes Vergnügen ohne Interesse ist Vergnügen des Geschmacks; denn die Wißbegierde, das Vergnügen an dem balsamischen Duft der Blüthen in einer schönen Gegend ist ebenfalls ohne ein solches Interesse; da man wünscht, es mit recht vielen Menschen theilen zu können, vorausgesetzt daß sie uns nur nicht in unserm eignen Genusse stören. S. X. Ist ein noch nicht bemerkter Schreibfehler in folgender Stelle zu verbessern: Denn ob sie (die Vernunft) zwar erlaubt unsern Vortheil, auf alle uns mögliche Art, zu suchen; überdem auch sich auf Erfahrungszeugnisse fußend, von der Befolgung ihrer Gebote, vornehmlich, wenn Klugheit dazu kommt, im Durchschnitte größere Vortheile, als von ihrer Uebertretung wahrscheinlich versprechen kann; so beruht darauf doch nicht die Autorität ihrer Vorschriften als Gebote, sondern sie bedient sich derselben (als Rathschläge) nur als eines Gegengewichts wider die Verleitungen zum Gegentheil u. s. w.
Hier sollte der Vf. geschrieben haben: sondern sie bedient sich der aus der Erfahrung gezogenen Maximen; weil das Wort derselben nach der Construction unrichtig auf Vorschriften bezogen werden müßte; S. XIX. Zeile 2. von unten muß statt: verschieden seyn kann: gelesen werden: verschieden seyn können. S. XXIII.
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In der letzten Zeile, müßten die /203/ Worte: so ist nach der entgegengesetzten zu handeln nicht allein keine Pflicht, sondern sogar pflichtwidrig: der Constructionsfolge nach, also lauten: nach der entgegengesetzten zu handeln nicht allein keine Pflicht, sondern sogar pflichtwidrig wäre. Folgende Distinction scheint uns unnöthige Abweichung vom Sprachgebrauch zu enthalten. „Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkür die Maximen. Die letztere ist im Menschen eine freye Willkür; der Wille, der auf nichts Anderes als bloß aufs Gesetz geht, kann weder frey noch unfrey genannt werden, weil er nicht auf Handlungen, sondern unmittelbar auf die Gesetzgebung für die Maxime der Handlungen − geht;“ u. s. w. Wir halten für besser und bequemer nach dem Sprachgebrauch, Willen und Willkür für Synonymen zu nehmen, und das, was hier vom Willen behauptet wird, der praktischen Vernunft beyzulegen. Ob in der Lehre vom Nothrecht, der Irrthum derjenigen, die es behaupten, lediglich aus der Verwechslung dessen was unsträflich (inculpabile) mit dem was vor einem menschlichen Richter unstrafbar (inpunibile) ist, entstanden sey, scheint uns noch gar nicht ausgemacht zu seyn. Vielmehr entstand er bey vielen Rechtslehrern aus Mißverstand der Lehre von Collision der Pflichten. Man sehe z. B. Köhler’s Jus naturae und Baumgarten’s Anmerkungen dazu. Man setzte voraus, es sey eine ganz unbedingte Pflicht sein Leben zu erhalten, da es doch nur Pflicht seyn kann, so weit keine höhere Pflicht dabey übertreten wird. So bleibt es also immer unrecht auch nur ein Groschenbrod zu stehlen, um sein Leben zu erhalten; einen andern, der sich auf einem Bote bey einem Schiffbruche rettet, herunterzustoßen, um selbst nicht zu ersaufen. Ueberdem wählte man oft die Exempel schlecht. Z. B. einen andern, der sich auf das Bret, was mehr nicht als einen trägt, hinaufschwingen wollte, davon abzuhalten, ist bloße Selbsterhaltung, und kein den Begriff des Nothrechts zu erläutern schicklicher Fall. S. 61. In der Erklärung: das äußere Meine ist dasjenige, in dessen Gebrauch mich zu stören Läsion seyn würde, ob ich gleich nicht im Besitz desselben (nicht Inhaber des Gegenstandes) bin: sollte es heißen: ob ich gleich nicht im empirischen oder physischen Besitz desselben bin. S. 77. der zweyten Ausg. Z. 4. von unten und S. 78 der ersten Z. 1 sind die Worte: „der Besitz also, in den ich mich setze, ist (possessio phaenomenon)“ also zu lesen: der Besitz also, in den ich mich setze, ist Besitz in der Erscheinung (possessio phaenomenon). Den dritten Abschnitt von dem auf dingliche Art persönlichen Recht; nämlich 1) dem Eherechte, 2) dem Aelternrechte, und 3) dem Hausherrenrechte gehen, besonders was das Eherecht betrifft, einige von den im Anhange beygebrachten Bemerkungen an, wodurch sich die zweyte Auflage von der ersten unterscheidet. Dieser Anhang ist größtentheils durch /204/ die Recension in den Götting. Anzeigen 1797. 28 St. veranlaßt worden. Wie sehr wäre zu wünschen, daß alle die
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gegen das Kantische System oder einzelne Theile desselben geschrieben, so viel Bescheidenheit und Sachkenntniß mit einander verbunden hätten, als der göttingische Recensent der Rechtslehre und der selige Garve. Neuere Beyspiele bestätigen aber leider auch hier wieder die Erfahrung, daß gerade diejenigen Polemiker die ungeschliffensten sind, die sich am wenigsten auf ihre Einsicht verlassen können, und nur desto mehr lärmen und poltern, je weniger sie im Stande sind zu überzeugen. Hr. Kant antwortet hier einem unbefangenen Wahrheitsfreunde, mit gleicher Unbefangenheit, und beide sind der Achtung werth, die sie einander erzeigen. Was nun das Eherecht betrifft, so überzeugen uns die auch hier von Hrn. Kant beygebrachten Erläuterungen noch immer nicht von der Richtigkeit seiner zwar witzig ersonnenen Paradoxie von einem auf dingliche Art persönlichem Rechte. Denn 1) ist der Satz, den er zum Grunde legt, daß ein Ehegatte den andern, der ihm entlaufen sey, als das Seine, wieder einzuholen, oder einzufangen berechtigt sey, nirgends von ihm erwiesen; sondern erscheint als eine petitio principii. Wenn ferner 2) Hr. Kant S. 164 sagt: Das Seine bedeutet zwar hier nicht, das des Eigenthums an der Person eines andern (denn Eigenthümer kann ein Mensch nicht einmal von sich selbst, viel weniger von einer andern Person seyn) sondern nur das Seine des Niesbrauchs (jus utendi fruendi) unmittelbar von dieser Person, gleich als von einer Sache, doch ohne Abbruch an ihrer Persönlichkeit, als Mittel zu meinem Zweck, Gebrauch zu machen. Dieser Zweck aber, als Bedingung der Rechtmäßigkeit des Gebrauchs muß moralisch nothwendig seyn. Der Mann kann weder das Weib begehren, um es gleich als Sache zu genießen, d. i. unmittelbares Vergnügen an der bloß thierischen Gemeinschaft mit demselben zu empfinden, noch das Weib sich ihm dazu hingeben, ohne daß beyde Theile ihre Persönlichkeit aufgeben (d. i. ohne unter der Bedingung der Ehe,) welche als wechselseitige Dahingebung seiner Person selbst in den Besitz der andern vorher geschlossen werden muß, um durch körperlichen Gebrauch, den ein Theil vom andern macht, sich nicht zu entmenschen.
so gewinnt durch diese Erläuterung der Vortrag nicht an Deutlichkeit, indem manche den offenbarsten Widerspruch zwischen den Sätzen: doch ohne Abbruch an ihrer Persönlichkeit, und nachher: ohne daß beide Theile ihre Persönlichkeit aufgeben, zu sehn glauben werden, da doch der Schein davon nur aus der nicht sorgfältig genug angestellten Wahl der Ausdrücke entspringt. Aber es gewinnt auch die Vorstellungsart selbst nichts an überzeugender Kraft. Wenn hier die Persönlichkeit ins Spiel kommt; so kann doch nur die moralische hier gemeynt seyn; und diese erklärt Hr. Kant selbst durch die Freyheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen. Womit sollte nun wohl bewiesen werden, daß durch einen ohne alle Absicht auf Ehe verabredeten Beyschlaf (fornicatio) beide Theile an ihrer Per-/205/sönlichkeit einbüßten? Sie bleiben ja deshalb immer freye vernünftige Wesen unter moralischen Gesetzen. Es ist ja nämlich in der Rechtslehre davon die Frage nicht, ob es nicht der Würde des Menschen ange-
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messen sey, auch die Befriedigung eines thierischen Triebes durch Vernunft zu modificiren, sondern ob in jenem Falle Rechte gekränkt werden; und da müssen wir unsers Theils noch immer den Lehrern des Naturrechts beytreten, die alle Eherechte bloß aus dem Recht der Verträge ableiten, folglich nach bloßen Naturrechtsprincipien Concubinat und Polygamie, für eben so erlaubt halten als Ehe und Monogamie. Hr. K. setzt 3) hinzu ohne diese Bedingung sey der fleischliche Genuß dem Grundsatz (wenn gleich nicht immer der Wirkung nach) cannibalisch. Denn ob ein Mensch den andern mit Maul und Zähnen aufzehrt, oder der weibliche Theil durch Schwängerung und daraus vielleicht erfolgende, für ihn tödliche, Niederkunft, der männliche aber, durch von öftern Ansprüchen des Weibes an das Geschlechtsvermögen des Mannes berührende Erschöpfungen aufgezehrt wird, ist bloß in der Manier zu genießen unterschieden, und ein Theil ist in Ansehung des andern bey diesem wechselseitigen Gebrauche der Geschlechtsorgane wirklich eine verbrauchbare Sache (res fungibilis). Ungefähr eben diese Erläuterung gab Hr. K. dem Recensenten, der ihn schriftlich um Auflösung seiner Zweifel darum bat, vor anderthalb Jahren, ohne daß er sich dadurch befriedigt fand.[³] Zwischen Menschenfresserey und unehelichem Beyschlafe ist und bleibt doch ein gewaltiger Unterschied. Denn 1) kein Mensch kann sagen, daß ihm ein Trieb beygelegt wäre, einen andern zu fressen, wie er einen Trieb in sich zur Geschlechtsvereinigung findet! 2) Das Menschenfressen zieht nothwendig Schmerz und Tod im leidenden Theile nach sich; niemand kann sich also dazu hingeben sich fressen zu lassen; folglich leidet der Gefressene offenbar Gewalt und Unrecht. Verbinden sich aber zwey Personen zur bloßen fleischlichen Beywohnung auch ohne Absicht auf Ehe; so willigen sie durch freyen Entschluß in eine Handlung, wodurch sie einander Vergnügen geben und es an einander nehmen; wo sollte nun hier die Verletzung eines Rechts herkommen? 3) Indem Hr. K. hier die zuweilen tödlichen Folgen der Schwangerschaft oder die vielleicht tödlichen Folgen aus der Erschöpfung des männlichen Vermögens herbeyzieht; so begegnet ihm die fallacia a dicto secundum quid ad dictum simpliciter. Krankheit und Tod ist ja nur eine sehr accidentelle Folge der Schwangerschaft, und man kann also nie sagen, eine Frauensperson sey am Beyschlafe gestorben, außer in dem schändlichen Falle, wo durch Nothzucht von mehrern Barbaren, oder durch freywillige Ueberlassung an mehrere Wüstlinge der Tod der Geschändeten erfolgte. Eine solche Behandlung nur kann mit Recht cannibalisch heißen; und der erste Fall würde wie jede Nothzucht, ja selbst das Attentat dazu eine Läsion, also widerrechtlich, seyn. Die Erschöpfung des Mannes wäre eben so wohl nie dem Bey-
[Vgl. den schon erwähnten Brief Kants an Christian Gottfried Schütz vom 10. Juli 1797 (AA XII, S. 181‒183)].
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schlafe, /206/ sondern nur dem Uebermaße, zuzuschreiben. Es ist also noch immer nicht bewiesen, daß ein Mensch durch den Gebrauch seiner Geschlechtseigenschaften (auch ohne Ehe) eine Unrechtlichkeit begehe; und gesetzt es ließe sich beweisen, so wäre nicht zu begreiffen, wie eine solche Unrechtlichkeit dadurch rechtlich werden könnte, daß zwey Personen verschiednen Geschlechts sie lebenslang mit einander zu begehen sich verbänden. Endlich ist es auch ein anderes, einen Menschen zur geniesbaren oder verbrauchbaren Sache machen, welches geschähe, wenn man ihn auffräße, zu Tode hetzte, und wieder etwas anderes, von einer Person den unmittelbaren Genuß eines Vergnügens ziehen. Ein Säugling genießt die Muttermilch; aber nicht die Mutter. Und so haben diejenigen, welche den Beyschlaf als ein mutuum adjutorium ansehen, gewiß einen richtigern Gesichtspunct gefaßt, als diejenigen, welche ihn als einen wechselseitigen Genuß der Personen selbst betrachten. Eben so wenig haben uns die Erläuterungen S. 166 überzeugt, daß das Aelternrecht ein auf dingliche Art persönliches Recht sey. Denn das Recht, was die Aeltern gegen jeden Besitz eines Kindes haben, das aus ihrer Gewalt gebracht worden, ist kein jus in re; sondern eines Theils bloß das Recht die Person des Kindes gegen jede Gewaltthätigkeit zu schützen, andern Theils das Recht den andern zu zwingen, daß er sie nicht in der Ausübung ihrer Pflicht das Kind zu erziehen hindere. Endlich ist der Unterschied zwischen einem Hausbedienten, oder Dienstmagd, und einem Taglöhner gar nicht so wesentlich als Hr. Kant es sich vorstellt. Ob man einen Menschen zu unbestimmten Diensten, auf einen, oder auf acht, oder auf 365 Tage d. i. auf ein Jahr miethet, ist, was die Form des Vertrags betrifft, wohl ganz einerley. Der Hausherr kann sich eines Bedienten oder einer Magd, die in seinem Hause als Hausgenossen sind, eben so wenig als einer Sache bemächtigen, als eines Taglöhners; er kann ebenfalls kein anderes Recht gegen sie haben, als daß er sie zur Leistung des Versprochenen anhält. Daß im natürlichen Privatrechte der Satz gelte: Kauf bricht Miethe, beweiset Hr. Kant jetzt ferner daher, weil die Bedingung: wofern der Vermiether sein Haus binnen dieser Zeit nicht verkaufen sollte, sich natürlicher Weise von selbst verstehe. Denn das Recht des letzten aus dem Miethcontract sey ein persönliches Recht auf das, was eine gewisse Person ihm zu leisten habe, nicht gegen jeden Besitzer der Sache, oder ein dingliches. Doch scheinen uns durch diese Erläuterung noch nicht alle Einwürfe gehoben seyn. Man kann immer noch sagen; es sey nicht zu erweisen, daß die besagte Bedingung von dem Abmiether im Naturstande, als eine die sich natürlich von selbst verstehe, anzunehmen sey. Und da man im Naturstande weder eine herkömmliche Zeit des Umziehens, noch auch eine Zeit, wie lange vorher ein Miethcontract aufgekündigt werden /207/ solle, als bestimmt annehmen kann; so würde sich der Miether auf jede Stunde gefaßt
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halten müssen auszuziehen, sobald dem Vermiether einfiele sein Haus zu verkaufen. Mehr hat uns befriedigt, was Hr. K. S. 170. zur Bestätigung des juris talionis, als des einzigen a priori zu bestimmenden Princips des Strafrechts sagt. Folgende Stelle ist durch Vernachlässigung der Construction dunkel: „Wie wird es aber mit den Strafen gehalten werden, die keine Erwiederung zulassen; weil diese entweder an sich unmöglich, oder selbst ein strafbares Verbrechen an der Menschheit überhaupt seyn würden; wie z. B. das der Nothzüchtigung, ingleichen das der Päderastie, oder Bestialität. Die beiden ersteren durch Castration (entweder wie eines weißen oder schwarzen Verschnittenen im Serail), das letztere durch Ausstoßung aus der bürgerlichen Gesellschaft auf immer, weil er sich selbst der menschlichen unwürdig gemacht hat.“ Hier sollte der Text so lauten: „weil diese − seyn würde; ingleichen − Bestialität. Die beiden ersten wären durch Castration zu bestrafen,“ u. s. w. Was über das Recht der Ersitzung und Beerbung gesagt wird S. b. 170, 175., beweiset den Scharfsinn des Vf., mit dem er die subtilsten Fäden der Speculation zu verfolgen weiß[,] von neuem; möchte aber doch noch nicht gegen neue Einwürfe gesichert seyn. Aber der Zusatz S. 177. über die Rechte des Staats in Ansehung ewiger Stiftungen ist uns völlig einleuchtend. /208/ Was endlich für den Satz beygebracht wird, daß jedem, der sich im Besitz der gebietenden und gesetzgebenden Gewalt befindet, müsse gehorcht werden, auch wenn es ein bloßer Usurpator oder Tyrann wäre, der sich so eben erst in Besitz gesetzt hätte, hat noch nicht die Klarheit, die man wünschen möchte, um über einen so wichtigen Satz entscheiden zu können. Die Antwort des Philosophen geht nämlich nur auf eine schon bestehende Regimentsverfassung; die Frage gieng aber auf jeden, der sich zum Herrn des Volks aufwirft. Es scheint aber, daß Hr. K. die Pflicht, einem Usurpator zu gehorchen, nur von der Zeit an rechnet, da die Revolution gelungen und eine neue Verfassung begründet ist, folglich den Widerstand gegen ihn als einen Rebellen, so lange er nur erst angefangen hat, sich in Besitz zu setzen, für erlaubt erkläre.
23 [Johann Christoph Schwab, in:] Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung. Jena u. Leipzig: Literaturzeitung u. Kurfürstl. Sächs. Zeitungs-Expedition. 1804, Bd. 4, Sp. 297–304 u. 305–308. /297/ […] Rec. muß vor allen Dingen bemerken, daß er den Titel dieses Werkes abgekürzt hat. Nach der vorstehenden Rubrik hätte es nur zwey, höchstens drey Titel. Es hat aber wirklich deren fünf.Vor der Rechtslehre stehen nämlich folgende drey Titel: 1) Metaphysik der Sitten, in zwey Theilen, abgefaßt von I. Kant; 2) Metaphysik der Sitten, erster Theil: metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre; 3) Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Vor der Tugendlehre stehen zwey Titel: 4) Metaphysik der Sitten, zweyter Theil: metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre; 5) Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. Der Leser wird fragen: wozu so viele Titel? Sind nicht No. 3 und 5 ganz überflüssig? Und warum kommt die Metaphysik der Sitten dreymal vor? – Ferner: warum heißt es bald Metaphysik, bald metaphysische Anfangsgründe? – Diese Fragen führen den Rec. auf eine andere Frage, über welche in neuern Zeiten gestritten worden ist: ob nämlich Kant auch wirklich eine Metaphysik der Sitten geschrieben habe? Denn die Kantische Philosophie hat unter vielen seltsamen Schicksalen auch dieses gehabt, daß man noch zu Lebzeiten ihres Stifters darüber stritt, ob ein Buch, das unstreitig von ihm herrührt, einen ächten Titel habe? – Die Frage: ob Kant eine Metaphysik der Sitten geschrieben, hängt mit einer andern: ob Kant eine Metaphysik der Natur geschrieben, so genau zusammen, daß Rec. die letztere zuerst, jedoch nur kurz, erörtern will. Daß Kant sich vorgenommen hatte, eine Metaphysik der Natur und der Sitten zu schreiben, beweiset eine Menge Stellen in seinen Schriften, wo er solches ausdrücklich sagt. Rec. begnügt sich, nur zwey derselben anzuführen, da sie entscheidend find. In der Vorrede zur 2. Aufl. der Vernunftkritik (S. XLIII) sagt er, „daß, wenn er seinen Plan, die Metaphysik der Natur sowohl als der Sitten zu liefern, ausführen wolle, er mit seiner Zeit sparsam umgehen müsse. Und eben so sagt er am Ende der Vorrede zu seiner Kritik der Urtheilskraft: „Hiemit endi-/298/ ge ich mein ganzes kritisches Geschäft: ich werde ungesäumt zum Doctrinalen schreiten. – Nach der Eintheilung der Philosophie in die theoretische und praktische, und der reinen in eben solche Theile, werden die Metaphysik der Natur und https://doi.org/10.1515/9783110702996-025
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die der Sitten jenes Geschäft ausmachen.“ – Aus dieser Stelle erhellt ganz deutlich, was Kants Plan bey seiner Philosophie war. Die Kritik der theoretischen und praktischen Vernunft sollte vorangehen, und das System sollte folgen. Kant sah wohl ein, daß weder seine Vernunftkritik noch seine Kritik der praktischen Vernunft ein ordentliches System der theoretischen und praktischen Philosophie wären: er glaubte aber, sich dadurch den Weg zu einem System gebahnt zu haben, und sein Plan war, ein solches System zu liefern. Seine Kritik sollte, wie er an mehreren Orten sagt, die Propädeutik, oder die vorläufige Anstalt zu einer Metaphysik, d. i. zu einem System der reinen Philosophie seyn. Die zwey angeführten Stellen beweisen zugleich, daß die metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft nicht die von Kant versprochene Metaphysik der Natur sind: denn die Vorrede zur 2. Aufl. der Vernunftkritik ist vom J. 1787; und die Kritik der Urtheilskraft vom J. 1790. Nun waren aber die metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft schon im J. 1786 erschienen. − Die Sache ist so klar, daß es unbegreiflich ist, wie man in einer bekannten Zeitschrift gleichwohl hat behaupten können, die Metaphysik der Natur sey nichts anders, als die metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft, und Kant habe durch das letzte Werk sein literarisches Versprechen erfüllt. Zu diesem Ende mußte man die erste Stelle aus der Vorrede zur 2ten A[usgabe] der Vernunftkritik auf die willkührlichste und gezwungenste Art erklären: bey der zweyten aus der Vorrede zur Urtheilskraft findet aber, da sie gar zu klar und deutlich ist, auch nicht einmal eine gezwungene Erklärung Statt. Ein solches Benehmen ist eine wahre Beleidigung des literarischen Publicums, dem man nur ein wenig Staub in die Augen streuen zu dürfen glaubt, um es gegen die evidentesten Beweise blind zu machen. Wenn diese Handlungsart allgemein würde: so müßte man die Gelehrten verachten; und diese Verachtung würde sich bald auf die ganze Gelehrsamkeit erstrecken. − Was sodann die Metaphysik der Sitten betrifft: so muß es zuvörderst jedem, dem die Bedeutung des Worts: Metaphysik, nicht ganz unbekannt ist, auffallen, wenn er in einem Werke, das den Titel: Metaphysik der Sitten führt, das Eherecht, das Staatsrecht, das Auswanderungsrecht, das Völ-/299/kerrecht u. s. w. sodann den Selbstmord, die Unmäßigkeit, die wollüstige Selbstschändung u. s. w. abgehandelt findet. Diese Materien gehören offenbar so wenig in eine Metaphysik der Sitten, als z. B. die Lehre vom Hebel, von der Schwerkraft, von dem Planetensystem u. s. w. in die reine Geometrie gehört. Dergleichen Sachen sollten auch, nach dem Begriff, den Kant in seinen frühern Werken von der Metaphysik der Sitten aufgestellt hatte, keineswegs Gegenstände dieser Wissenschaft seyn. Kant verstand nämlich unter Metaphysik der Sitten ein System der reinen praktischen Philosophie, insofern sie lauter Principien a priori, ohne Rücksicht auf die Eigenthümlichkeiten der menschlichen Natur, enthält. Daß Kant wirklich diesen Begriff von der Metaphysik der Sitten hatte, erhellt aus einer Menge Stellen in
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seinen Schriften, von welchen Rec. nur folgende aus der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten anführt. „Die reine Philosophie, oder die Metaphysik der Sitten, heißt es daselbst (S. 32*), unterscheidet sich von der (auf die menschliche Natur) angewandten, wie die reine Mathematik, oder die reine Logik von der angewandten. Und S. 35 sagt er: „Die Principien der reinen praktischen Vernunft müssen nicht von der besondern Natur der menschlichen Vernunft abhängig gemacht, sondern darum, weil moralische Gesetze für jedes vernünftige Wesen überhaupt gelten sollen, aus dem allgemeinen Begriffe eines vernünftigen Wesens überhaupt abgeleitet, und auf solche Art alle Moral, die zu ihrer Anwendung auf Menschen der Anthropologie bedarf, zuerst unabhängig von dieser, als reine Philosophie, d. i. als Metaphysik, vollständig vorgetragen werden.“ Hieraus ist klar, daß die Kantische Rechts- und Tugendlehre nicht die Metaphysik der Sitten, oder die reine praktische Philosophie, sondern Anwendungen derselben sind; denn es wird bey denselben auf die besondere menschliche und übrige Natur, z. B. daß der Mensch Geschlechtsorgane hat, daß er im Verkehr mit andern Menschen lebt, daß die Erde rund ist u. s. w. Rücksicht genommen, von welchem allen die reine praktische Philosophie nichts weiß. − Daß aber weder die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, noch die Kritik der praktischen Vernunft für die Metaphysik der Sitten selbst gelten können, erhellet wiederum daraus, daß Kant im J. 1790, mithin zu einer Zeit, da jene zwey Werke bereits erschienen waren, sagte, er wolle noch eine Metaphysik der Sitten schreiben. Aber, wird man einwenden, der Titel: Metaphysik der Sitten, steht doch dreymal vor der Kantischen Rechts- und Tugendlehre. Rec. antwortet, daß gerade diese dreymalige Wiederholung des Titels denselben verdächtig macht. Wozu einen Titel dreymal setzen, da es an Einer oder zweymaliger Setzung desselben genug gewesen wäre? Es waltet aber bey diesem Titel der Umstand vor, daß er anfangs vor der Kantischen Rechtslehre (die einige Zeit vor der Kantischen Tugendlehre erschien) gar nicht stand. Der Titel derselben war bloß: metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Erst als die metaphysischen /300/ Anfangsgründe der Tugendlehre erschienen, kam die Metaphysik der Sitten, und zwar in drey Titeln zum Vorschein, wovon einer zu der Rechtslehre, der andere zu der Tugendlehre, der dritte zu dem ganzen Werke gehörte. Diese drey Titel sind wahrscheinlich zur ersten Ausgabe erst einige Zeit nach dem der Tugendlehre gedruckt worden, denn sie unterscheiden sich von dem letzteren durch Druck und Papier; ein Umstand, der freylich allein nichts beweisen würde, aber mit andern innern Gründen verbunden, keineswegs unbedeutend ist. Kant hat zwar seiner Rechtslehre eine sogenannte Einleitung in die Metaphysik der Sitten vorangeschickt: allein so hätten wir zwar eine Einleitung in diese Metaphysik, nicht die Metaphysik der Sitten selbst. Diese Einleitung ist größtentheils die sogenannte allgemeine praktische Philosophie (philosophia practica universalis), von der Kant in der
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Vorrede zu seiner Grundlegung der Metaphysik der Sitten (S. IX) gesagt hatte, „daß sie keineswegs die Metaphysik der Sitten, und daß hier ein ganz neues Feld einzuschlagen sey. Die allgemeine praktische Philosophie unterscheide sich von einer Metaphysik der Sitten eben so, wie die allgemeine Logik von der Transscendentalphilosophie.“ Diese Stelle allein wäre schon ein Beweis, daß die Kantische Rechts- und Tugendlehre nicht die Metaphysik der Sitten sind, denn diese zwey Werke wird man hoffentlich nicht als eine praktische TransscendentalPhilosophie qualificiren wollen. Rec. fügt diesen Beweisen noch die Bemerkungen bey, daß die ersten und vorzüglichsten Anhänger der Kantischen Philosophie die Metaphysik der Sitten als eine besondere Wissenschaft abhandelten, und sie keineswegs mit der Rechtsund Tugendlehre vermengten. So sagt Hr. Schmid in seinem Versuch einer Moralphilosophie (S. 262): „Die Metaphysik der Sitten ist ein System reiner praktischen Vernunfterkenntnisse, welche die Bestimmungsgründe unserer freyen Handlungen betreffen. Ihr Gegenstand ist die bloße praktische Vernunft, ihrem reinen Begriffe nach, mit Absonderung alles dessen, was bey einzelnen endlichen vernünftigen Wesen, z. B. dem Menschen, zu den reinen Merkmalen der Vernunft hinzukommt.“ Er widmet sodann der Metaphysik der Sitten einen besondern Haupttheil, und handelt erst alsdann die angewandte Moral ab. Dieß ist offenbar Kants erstem Plane gemäß; und die Kantianer würden ihm ohne Zweifel getreu geblieben seyn, wenn nicht die Kantische Vorrede zu den Anfangsgründen der Rechtslehre, und der dreyfache Titel: Metaphysik der Sitten, ihnen die Köpfe verwirrt hätte. Soll denn aber, wird vielleicht einer oder der andere fragen, Kant vergessen haben, was er ehemals Metaphysik der Sitten nannte, und was er zu schreiben sich vorgenommen hatte? − Das muß Rec. dahingestellt seyn lassen: nur findet er nichts außerordentliches daran, daß einem siebenzigjährigen Greise hierin etwas menschliches begegnet ist. Kant hat ja auch gegen Fichte behauptet, daß es ihm unbegreiflich sey, wie man ihm habe die Absicht unter-/301/schieben können, daß er bloß eine Propädeutik der Transscendentalphilosophie, und nicht das System dieser Philosophie selbst habe liefern wollen: und doch hatte er so oft und deutlich gesagt, daß seine Vernunftkritik nur die vorläufige Anstalt oder die Propädeutik zu einem System der Transscendentalphilosophie sey. Warum soll denn ein großer Metaphysiker, in seinem hohen Alter, den Schwachheiten der menschlichen Natur nicht unterworfen gewesen seyn? Nur ein blinder Verehrer eines großen Mannes kann so etwas unmöglich finden. Was nun die zwey vorliegenden Kantischen Werke selbst betrifft, von welchen die metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre in manchem kritischen Blatte ganz verabsäumt worden sind: so will Rec. über beide Werke hier einige Bemerkungen mittheilen.
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Die Kantische Rechtslehre ist, nach unserem Urtheil, ein ungleich vorzüglicheres Werk als die Kantische Tugendlehre. Es fehlt ihr zwar eben so, wie dieser, die strenge systematische Form einer Wissenschaft: und sie enthält vielleicht noch mehr unrichtige, unerwiesene, inconsequente, und ungereimte Behauptungen als jene. Aber die Kantische Rechtslehre giebt doch ungleich mehr Stoff zum Nachdenken, als die Tugendlehre; und sie hat besonders das Anziehende, daß darin viele Lehren des positiven Rechts a priori bewiesen zu seyn scheinen. Dieß ist ohne Zweifel der Grund, warum die Kantische Rechtsehre auch bey manchen Juristen anfangs vielen Beyfall fand. Kants dialektische Kunst verbarg dem gemeinen Juristen, der es mit dem Beweisen nicht so genau nimmt, die Schwäche der Beweise: wie wäre es sonst möglich gewesen, Kants Behauptungen, daß die unehelichen Beyschläfer sich zur Sache machen; „daß sie wahre Menschenfresser seyen; daß das Concubinat ein pactum turpe, und die Monogamie die einzige rechtmäßige Art der Ehe sey; daß der Unterthan, der auswandern will, nicht das Recht habe, den Erlös aus seiner liegenden Habe mit sich zu nehmen u. s. w. für a priori erwiesen zu halten? Die Lehre von dem Mein und Dein ist ohne Zweifel die wichtigste, aber auch die schwerste in dem Naturrecht. Daß Kant vielen Scharfsinn angewandt hat, um sie auf eine neue Art zu begründen, sieht man wohl. Rec. ist aber bey allem guten Willen, und bey mehrmaliger Lesung der in diese Materie einschlagenden Stellen in der Kantischen Rechtslehre, nicht im Stande gewesen, die Bündigkeit seiner Beweise einzusehen. Das Postulat der praktischen Vernunft (S. 56), worauf die ganze Lehre von dem Mein und Dein beruht, betrifft, genau betrachtet, doch nur diejenigen Gegenstände, die in meiner Macht sind, und worüber ich disponiren kann. Das Postulat lautet nämlich so: „es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkühr als das Meine zu haben.“ Nun ist, wie Kant ausdrücklich sagt, ein Gegenstand meiner Willkühr Etwas, was zu gebrauchen ich physisch in meiner Macht habe: folglich kann ich nur solche Sachen mein nennen, die ich physisch in meiner Macht habe. Aber wie? wenn der /302/ Stärkere dem Schwächern den Apfel, den dieser von einem herrenlosen Baum gepflückt hat, aus der Hand reißt; ist der Apfel noch ein Gegenstand der Willkühr des Schwächern, d. i. ist er noch physisch in seiner Gewalt? Und doch hat der Apfel, nach unsern gewöhnlichen Rechtsbegriffen, nicht aufgehört, dem Schwächern anzugehören, und er kann ihn noch Sein nennen, wenn gleich der Stärkere ihm solchen aus der Hand gerissen hat. Kant sagt S. 59: „ich kann einen Gegenstand nicht mein nennen, außer wenn, obgleich ich nicht im physischen Besitz desselben bin, ich dennoch in einem andern wirklichen (also nicht physischen) Besitz desselben zu seyn behaupten darf. So werde ich einen Apfel nicht darum mein nennen, weil ich ihn in meiner Hand habe, (physisch) besitze, sondern nur, wenn ich sagen kann: ich besitze ihn, ob ich ihn gleich aus meiner Hand, wohin es auch sey, gelegt habe.
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Ingleichen werde ich von dem Boden, auf den ich mich gelagert habe, nicht sagen können, er sey darum mein; sondern nur, wenn ich behaupten darf, er sey immer noch in meinem Besitz, ob ich gleich diesen Platz verlassen habe. Denn der, welcher mir im erstern Falle (des empirischen Besitzes) den Apfel aus der Hand winden, oder mich von meiner Lagerstätte wegschleppen wollte, würde mich zwar in Ansehung des innern Meinen (der Freyheit), aber nicht des äußern Meinen lädiren, wenn ich nicht, auch ohne Inhabung, mich im Besitz des Gegenstandes behaupten könnte.“ Diese Beyspiele sind sehr gut gewählt, um den Unterschied zwischen dem empirischen und intelligibeln Besitz (possessio phaenomenon und possessio noumenon) anschaulich zu machen; auch sind die Ausdrücke ganz passend: nur wird der Grund des intelligibeln Besitzes dadurch eben so wenig angegeben, als z. B. die Theologen durch die Kunstwörter: unio mystica, unio sacramentalis, beweisen, daß es eine solche Vereinigung giebt: sie suchen daher die Gründe, warum sie diese zwey Vereinigungen von einander unterscheiden, und jede als reell sich denken, in der heil. Schrift auf. − Am Ende läuft alles, was Kant zu Begründung seines intelligibeln Besitzes sagt, darauf hinaus, daß ich von dem empirischen Besitz die Bestimmungen von Raum und Zeit wegnehmen kann. Allerdings kann ich auf solche Art den abstracten Begriff eines intelligibeln Besitzes formiren: aber damit ist noch nicht bewiesen, daß, wenn ich z. B. den Apfel, den ich in meiner Hand hielt, mit der Erklärung bey Seite lege, daß ich ihn wieder zur Hand nehmen wolle, ich noch im Besitze desselben sey. Eben so ist das Postulat (S. 56), daß eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand der Willkühr herrenlos werden müßte, rechtswidrig sey, entweder ein bloß analytischer Satz (was er doch nicht seyn soll), oder er enthält eine ganz willkührliche und grundlose Voraussetzung.Wenn nämlich, wie wir bereits bemerkt haben, ein Gegenstand der Willkühr ein solcher ist, den ich zu gebrauchen physisch in meiner Macht habe: so sagt das erwähnte Postulat weiter nichts, als daß ich einen Ge-/303/genstand, den ich physisch in meiner Macht habe, nicht für herrenlos halten darf: welches jedermann zugeben wird, woraus sich aber schwerlich die Lehre von dem Mein und Dein, und von dem intelligibeln Besitz wird herleiten lassen. Sagt aber das Postulat so viel, daß es keine herrenlose Sachen auf dem Erdboden gebe oder geben dürfe: so ist dieses eine ganz willkührliche Behauptung. Wirklich scheint Kant (S. 84) durch die ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens, und der Sachen auf demselben, solches zu behaupten. Dieß ist aber eine petitio principii: denn annehmen, daß alle Menschen im rechtmäßigen Besitze des Erdbodens seyen, oder daß der Erdboden als ihr Eigenthum anzusehen sey, heißt voraussetzen, was bewiesen und erklärt werden soll; denn gerade den Ursprung und den Grund des Eigenthums möchte man erklärt wissen. Wenn Kant diesen ursprünglichen Gesammtbesitz aus der runden Figur der Erde herleitet, und behauptet, daß wenn die Erde eine unendliche Ebne
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wäre, die Menschen sich darauf so zerstreuen könnten, daß sie in gar keine Gemeinschaft kämen: so ist dieß erstlich eine empirische Voraussetzung, die einer seynsollenden Metaphysik der Sitten, oder einer reinen praktischen Philosophie, nicht wohl ansteht. Sodann würde die Zerstreuung der Menschen keineswegs eine nothwendige Folge von der ebnen und unendlichen Figur der Erde seyn, denn der den Menschen angebohrne Hang zur Gesellschaft würde sie hindern, sich ins Unendliche zu zerstreuen, so wie die Kugelfläche der Erde gewiß nicht der Grund ihrer gegenwärtigen Verbindung ist. Endlich ist die Nichtzerstreuung der Menschen zwar die nothwendige Bedingung, daß sie in Gemeinschaft und Verkehr mit einander treten; wie aber solche der Grund eines ursprünglichen Gesammtbesitzes seyn soll, ist nicht einzusehen. Die Bemächtigung (occupatio) gründet Kant, wie andere Rechtslehrer, auf die Priorität der Zeit, und diese soll, nach S. 84. 85 die einzige Bedingung seyn, unter der die Besitznehmung mit dem Gesetz der äußern Freyheit von jedermann (mithin a priori) zusammenstimme. Rec. sieht aber das letztere nicht /304/ ein; und es dünkt ihm, daß die Besitznehmung einer Sache mit der Freyheit von jedermann weit besser zusammenstimmt, wenn solches mit Einstimmung Aller geschieht. Kant sagt auch gleich darauf, daß der einseitige Wille nicht jedermann eine Verbindlichkeit auflegen, und eine äußere Erwerbung nicht anders berechtigen könne, als nur insofern er in einem a priori vereinten, d. i. durch die Vereinigung der Willkühr aller, die in ein praktisches Verhältniß gegen einander kommen können, absolut gebietenden Willen enthalten sey. Wenn dem so ist: so ist ja nicht die Priorität der Zeit, und noch weniger sie allein dasjenige, wodurch die äußere Erwerbung begründet und berechtiget wird. Der Widerspruch wird noch auffallender, wenn Kant am Ende dieses § sagt, daß nur nach dem Princip eines nothwendig vereinigten und gesetzgebenden Willens, Übereinstimmung der freyen Willkühr eines jeden mit der Freyheit von jedermann, mithin ein Recht überhaupt, und also auch ein äußeres Mein und Dein möglich sey. Man sieht zwar wohl, daß Kant auf den Satz zu kommen sucht, [„]daß nun in einer bürgerlichen Verfassung etwas peremtorisch, dagegen im Naturzustande zwar auch, aber nur provisorisch, erworben werden könne“; welches ganz richtig seyn mag: allein auf wahre Sätze soll man durch keine Widersprüche kommen. Bey der Kantischen Tugendlehre will Rec. nicht lange verweilen, noch sich mit Widerlegung gewisser Begriffe und Sätze aufhalten, z. B. daß die Pflicht Nöthigung zu einem ungern genommenen Zweck sey (S. 13), daß die Antriebe der Natur Hindernisse der Pflicht-Erfüllung (S. 3), und die von der Glückseligkeit hergenommenen Triebfedern der moralischen Gesinnung nachtheilig seyn; daß es zwar Pflicht sey, fremde, aber nicht seine eigene Glückseligkeit zu befördern u. s. w. Daß diese Sätze in ihrer Allgemeinheit theils unrichtig sind, theils den anderwärtigen Behauptungen Kants widersprechen, sehen nun endlich auch die Kantianer ein,
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und suchen ihren Meister durch die willkührlichste Erklärung seiner Worte zu vertheidigen. − (Der Beschluß folgt.) /305/ […] (Beschluß der im vorigen Stücke abgebrochenen Recension.) Die Kantische Lehre von den ethischen Pflichten verdient einer besondern Kritik unterworfen zu werden, weil sie leicht mißverstanden, und der Moralität nachtheilig werden könnte. Kant unterscheidet die ethischen Pflichten von den rechtlichen dadurch, daß jene von weiter, diese von enger Verbindlichkeit seyen (S. 20); welches in einem gewissen Sinne ganz richtig ist; nach der Erklärung Kants aber dem Rec. nicht richtig zu seyn scheint. Kant sagt nämlich (S. 20), daß das Sittengesetz nur die Maxime der Handlungen, nicht die Handlungen selbst gebiete, und es der freyen Willkühr überlasse, wie und wie viel zu dem Zwecke, der zugleich Pflicht ist, gewirkt werden soll. Ein jeder Mensch, z. B. sey zwar zur Cultur seines Verstandes und seiner übrigen Seelenvermögen streng verbunden, wie weit er aber darin gehen wolle, schreibe kein Vernunftprincip bestimmt vor, sondern das hänge von seiner Lage, von den Umständen, und von seiner Wahl ab (S. 24. 27). Eben das behauptet Kant von der Cultur der Leibeskräfte, wobey er sogar die Luft, d. i. die Neigung zu einer gewissen Lebensart mit in Anschlag bringt (S. 112); und am Ende sagt er, daß die Pflicht, seine körperlichen Anlagen zu cultiviren, nur eine weite und unvollkommene Pflicht sey. Rec. bemerkt hierüber: 1) Daß Kant hier zwey Sachen trennt, die bey jeder Handlung nothwendig beysamen seyn müssen: die Maxime, und die Anwendung derselben. Das Sittengesetz hält mit nicht nur die Maxime vor, die ich beym Handeln befolgen soll, sondern es befiehlt mir auch, meine Maxime so anzuwenden, daß meine Handlung pflichtmäßig ist. Was nützt die Maxime, wenn sie unrichtig angewandt wird? Das letztere mag immerhin das Geschäft der Urtheilskraft seyn: Rec. hat nichts dagegen; nur glaubt er, daß die Urtheilskraft verbunden ist, die Handlung jedesmal richtig unter die Maxime zu subsumiren, und sich wenigstens hiebey keine Nachlässigkeit und keine Übereilung zu Schulden kommen zu lassen. Güte der Maxime, und Richtigkeit der Anwendung derselben, müssen mit einander verbunden seyn, wenn pflichtmäßig gehandelt werden soll. 2) Daß bey der Anwendung der Maxime ein gewisser Spielraum ist; daß z. B. bey Ergreifung einer Lebensart, die /306/ Naturanlagen und Fähigkeiten des Menschen, seine Neigung, sein Vermögen, die äußern Umstände, in denen er sich befindet u. s. w. in Anschlag kommen, hat allerdings seine Richtigkeit: aber eben deßwegen ist die Art, wie die Maxime angewandt wird, keineswegs gleichgültig, oder eine res aleae, sondern es wird dazu eine vernünftige Überlegung erfodert, um in jedem Fall das Beste zu wählen: welches freylich in vielen Fällen nicht
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leicht ist. 3) Hat aber der Mensch einmal nach reifer Überlegung geurtheilt, daß eine gewisse Handlungsart die beste sey: dann ist es nicht mehr unvollkommene, sondern vollkommene (ethische) Pflicht für ihn, diese Handlungsart einer andern vorzuziehen, und seine Willkühr hat alsdann keinen Spielraum mehr. Man nimmt es freylich mit dergleichen Handlungen in dem menschlichen Leben nicht so genau; allein das beweiset bloß, daß die Menschen sich nicht immer die Mühe nehmen mögen, über alle ihre Handlungen eine vernünftige Überlegung anzustellen. Sehr oft ist auch solches nicht wohl möglich, weil die Lage, in der wir uns befinden, eine schnelle Entschließung erfodert. In dergleichen Fällen hätten wir vielleicht besser handeln können; aber wir haben deswegen nicht schlecht gehandelt: wir können sogar noch moralisch gut gehandelt haben. Die casuistischen Fragen, die Kant hie und da aufwirft, sind größtentheils interssant, und hätten wohl verdient, von ihm beantwortet zu werden: er hätte daran die Brauchbarkeit seines Moralprincips, oder (da er mehr als Eines hat,) seiner Moralprincipien zeigen können. So aber hat er den Leser, das wenigste zu sagen, zweifelhaft gelassen, ob er selbst im Stande gewesen wäre, diese Fragen aus seinem Moralsystem zu beantworten. Rec. möchte sich wenigstens nicht dazu anheischig machen. Wie will man z. B. die S. 78 aufgeworfene Frage: ob es dem Manne zur Zeit der Schwangerschaft, oder bey der Unfruchtbarkeit seines Weibes, (zwey Fälle, die sehr verschieden sind;) erlaubt sey, derselben ehlich beyzuwohnen, durch die Untersuchung beantworten, ob die Maxime, wonach man in diesem Falle handelt, ein allgemeines Gesetz werden könne? Das von Kant so sehr herabgewürdigte, oder vielmehr verworfene Princip der Glückseligkeit wird hier gewiß bessere Dienste thun, als der kategorische Imperativ. Das Schlimmste aber ist, daß Kant in dergleichen Fällen „ein Erlaubnißgesetz der moralisch praktischen Vernunft anzunehmen scheint, welches in der Collision ihrer Bestimmungsgründe, etwas an sich zwar unerlaubtes, doch zur Verhütung einer noch größern Übertretung /307/ (gleichsam nachsichtlich) erlaubt macht“. Ist ein Erlaubnisgesetz nicht ein Widerspruch? und wie kann die moralisch-praktische Vernunft etwas an sich unerlaubtes erlauben? Wie kann sie etwas aus Nachsicht, und um der schlimmen Folgen willen erlauben, da sie doch sonst auf die Folgen der Handlungen gar keine Rücksicht nimmt? − Wahrlich, die praktische Vernunft hat selbst alle Nachsicht nöthig, wenn man ihr dergleichen Inconsequenz verzeihen soll. − Kant setzt bey dieser casuistischen Frage die drey Fälle: 1) die Schwangerschaft des Weibes, 2) ihre Unfruchtbarkeit, 3) den Mangel des Anreitzes zum Beyschlaf, in Eine Classe; und fragt, ob der Beyschlaf in diesen Fällen nicht eben so dem Naturzwecke, mithin auch der Pflicht gegen sich selbst entgegen sey, wie die unnatürliche Wollust. Ein Philosoph, der bey einem so großen Scharfsinne, so verschiedenen Sachen ein gleiches moralisches Moment beylegt, muß entweder ein unrichtiges oder doch unbrauchbares Moralprincip haben. Es stimmt auch
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das, was Kant hier sagt, nicht mit seinen anderwärtigen Grundsätzen überein: denn das Wesentliche der Ehe besteht, nach seiner Rechtslehre, in dem wechselseitigen Gebrauch, den ein Mensch von eines andern Geschlechtsorganen macht, wobey der Zweck, Kinder zu erzeugen, zwar ein Zweck der Natur seyn mag, den sich aber der Mensch, der sich verehlicht, nicht gerade vorsetzen muß (Rechtsl. §. 24). Was hier rechtlich erlaubt ist, von dem sieht man nicht ein, warum es moralisch-unerlaubt seyn soll. Auch kann man von demjenigen, der seinem unfruchtbaren Weibe ehelich beywohnt, nicht sagen, daß er (wie bey der unnatürlichen Wollust geschieht,) dem Zweck der Natur zuwider handele; vielmehr handelt er diesem Zwecke gemäß, erreicht ihn aber ohne seine Schuld nicht. − Was den Mangel des Anreitzes zum ehelichen Beyschlafe betrifft: so sollte Kant den Beyschlaf in diesem Fall um so weniger für pflichtwidrig erklären, oder seine Pflichtmäßigkeit in Zweifel ziehen, da nach seinen Begriffen, die Pflicht ein ungern genommener Zweck ist, und man nur in so fern seine Pflicht erfüllt, als man gegen seine Neigung handelt. Überhaupt bedarf die Kantische Lehre von dem Verhältnis der Neigungen zur Pflicht noch einer Revision. Die Kantianer haben bisher ihrem Meister hierin entweder bloß nachgesprochen, oder, wenn sie ins Gedräng kamen, durch Sophistereyen die Sache noch mehr verwirrt. Übrigens wird der Leser bemerkt haben, daß Kant in der angeführten Stelle, von einer Collision der Bestimmungsgründe spricht, wodurch er dasjenige versteht, was man sonst Collision der Pflichten nennt. Er erwähnt auch sonst dieser Collision der Bestimmungsgründe, handelt sie aber nirgends besonders ab; welches einer der Hauptmängel seiner Ethik ist, da bey den meisten unserer Handlungen eine solche Collision eintritt, und die größte Schwierigkeit eben darin besteht, den stärkern d. i. überwiegend-bessern Beweggrund zu finden, um durch denselben zum Handeln bestimmt zu werden. Rec. glaubt aber, daß /308/ eine solche Untersuchung die Klippe gewesen wäre, an der die ganze Kantische Moral gescheitert hätte. Rr.
24 Juristische Literatur-Zeitung. Hrsg. v. Christoph Christian Dabelow u. Johann Christoph Hoffbauer. Halle u. Leipzig: Expedition dieser Zeitung u. Churfürstl. Sächs. Zeitungs-Expedition. 1. Jg., 1799/1800, Sp. 78 – 80. /78/ […] /79/ […] Da diese neue Ausgabe der Kantischen Rechtslehre erst in der letzten Ostermesse und nicht, wie der Titel sagt, schon im Iahre 1798 erschienen ist; so würde sie hier angezeigt werden müssen, wenn sie, die erläutern-/80/den Bemerkungen abgerechnet, nicht ein bloßer, wiewohl korrekterer Abdruck der ersten Ausgabe wäre. In Ansehung jener Bemerkungen, die hier nicht eigentlich als ein Anhang zu dem ganzen Buche, sondern vielmehr als ein Anhang zu dem ersten Theile von S. 159 – 189. abgedruckt sind, verweiset Rec. auf die davon in der vorhergehenden Recension gegebene Anzeige.
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25 [Dietrich Tiedemann, in:] Neue allgemeine deutsche Bibliothek [Verf.: Qg.]. Kiel: Carl Ernst Bohn. Bd. 49, 1800, S. 93‒99. /93/ […] Der Anhang ist S. 159. hinter dem Privatrechte eingeschaltet; aber auch auf zwey Bogen mit einem eignen Titel noch besonders gedruckt; außerdem aber nichts Erhebliches verändert worden, wie die mit der ersten Ausgabe in allen übrigen genau zusammentreffende Seitenzahl beweist. Ueber einige Punkte dieses Anhanges, die theils dem kantischen Naturrecht eigen, theils von der Meinung der meisten Naturrechts-Lehrer abweichend sind, müssen wir einige Bemerkungen anfügen. Die Veranlassung zu diesen Erläuterungen, sagt der Verf., nehme ich größtentheils von der Recension dieses Buches in den Göttingischen Anzeigen, welche mit Einsicht und Schärfe der Prüfung, dabey aber doch auch mit Theilnahme und der Hoffnung, daß jene Anfangs-Gründe Gewinn für die Wissenschaft bleiben werden, abgefaßt, ich hier zum Leitfaden der Beurtheilung, überdem auch einiger Erweiterung des Systems gebrauchen werde. Es wäre zu wünschen gewesen, daß er auch auf andere Beurtheilungen Rücksicht genommen hätte, die mehr die ersten Gründe der Wissenschaft betreffen, ohne sich daran zu kehren, ob deren Verfasser Theilnahme und Hoffnung geäußert habe, daß seine AnfangsGründe Gewinn für die Wissenschaft bleiben werden, welches doch am Ende von der Stimme eines oder mehrerer Recensenten nicht abhängt; hierdurch wäre für die Wissenschaft selbst mehr gewonnen worden, als durch Erörterung einiger Nebensachen, mit welchen doch das ganze Gebäude weder steht, noch fällt. Ueber solche Kleinigkeiten, die bloß die Eigenliebe interessiren, sollte ein Mann, wie Kant, und der so hohe Grundsätze der Sittlichkeit aufstellt, billig weit hinweg seyn. /94/ Der erste Punkt betrifft die Kantische Definition des Begehrungsvermögens, in welcher es uns nicht gelingen will, die Rechtfertigung gegen des Recensenten Bedenken deutlich zu erblicken, und den wir deßwegen an seinem Orte ruhen lassen. Der zweyte gehört eigentlicher in die Rechtslehre, und soll den neuen Begriff eines auf dingliche Art persönlichen Rechtes, über den alle eigentliche Rechtsgelehrte eben so sehr, als die Philosophen sich gewundert haben, bey seinem Ansehen erhalten. Dieß geschieht auf zwiefache Art, indem gezeigt wird, daß die Vollständigkeit der Division einen solchen Begriff fordert, und daß er überdem auch in sich selbst sehr reell ist. Ueber dem bisherigen dinglichen und persönlichen Rechte nämlich lasse sich noch zweyerley Arten, das auf persönlihttps://doi.org/10.1515/9783110702996-027
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che Art dingliche, und das auf dingliche Art persönliche, denken. Der erstere Begriff ist in sich selbst widersprechend, weil sich kein Rechte einer Sache gegen eine Person denken läßt; der letztere hingegen ist vom Widerspruche frey, und wird im Naturrechte wirklich gebraucht; denn daß einer den Nießbrauch von einer Person hat gleich als von einer Sache, sie als Mittel zu seinem Zwecke zu gebrauchen, das findet in der ehelichen Verbindung und in dem Vertrage, wodurch einer den andern zum Dienstboten annimmt, wirklich Statt. So angesehen, scheint die Sache ein sehr gefälliges Ansehen zu haben, allein, genauer betrachtet, fällt sie doch in ihr voriges Nichts wieder zurück. Die ältern Rechtslehrer, sowohl die des positiven, als auch die des natürlichen Rechtes, die diese Eintheilung von jenen entlehnt haben, sehen hierbey auf die Art, wie ein Recht gegen eine Sache ausgeübt werden darf. Dieß hat zwey Verschiedenheiten: entweder ich darf mein Recht gegen eine Sache ausüben, ohne um irgend eine Person mich zu bekümmern; oder ich muß, um über die Sache zu disponiren, vorher mich an eine Person wenden; im erstern Falle habe ich ein dingliches, im letzten ein persönliches Recht. Hier ist also diese Abtheilung nicht eine Eintheilung des Rechtes überhaupt, sondern des Rechtes an Sachen; und mithin paßt hierin des Verf. neue Gattung keinesweges. Ihm zufolge sind beyde alte Gattungen, nebst den von ihm hinzugethanen neuen Gattungen des Rechts überhaupt. In einem andern Sinne versteht man unter einem dinglichen Rechte dasjenige, welches an eine Sache geknüpft ist; so daß jeder Eigenthümer, oder rechtliche Besitzer dieser Sache dieses Recht ausüben darf; unter einem persönlichen aber, /95/ welches nur einer Person anklebt, wie wenn man von realen und persönlichen Dienstbarkeiten redet. Auch hierzu paßt die neue Eintheilung auf keine Weise. Die Rechtslehrer hatten also nicht Unrecht, diese neue Erscheinung als eine stella mirabilis, wie sich der Verf. ausdrückt, anzustaunen. Dennoch könnte sein neuer Begriff in der weiter ausgedehnten Bedeutung allerdings statthaft seyn. Auch dieß wollen wir noch ein wenig in Untersuchung nehmen. Um seine Eintheilung zu rechtfertigen, hätte billig der berühmte Philosoph das fundamentum diuisionis, und den gemeinschaftlichen Geschlechtsbegriff deutlich vorlegen müssen, damit man sähe, ob die Glieder zum Ganzen gehörig passen. Da das nicht geschehen ist, und da er, wenn wir es zu ergänzen suchen wollten, nach bisher eingeführter Art über Mißverstand sich beschweren könnte: so müssen wir die Sache an einem andern Ende anzufassen suchen. Ihm zufolge ist das auf dingliche Art persönliche Recht das Recht des Menschen, eine Person außer sich (wohl zu merken, während sie noch Person ist) als das Seine zu haben. Ich sage mit Fleiß, eine Person, denn einen andern Menschen, der durch Verbrechen seine Persönlichkeit eingebüßt hat (zum Leibeignen geworden ist), könnte man wohl als das Seine haben; von diesem Sachenrechte aber ist hier die Rede nicht. Hierüber merken wir an, daß ein solches Recht gegen Menschen nicht Statt hat, und daß selbst ein Sklav nicht als
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Sache darf behandelt, das ist, nach bloßer Willkühr seines Herrn verstümmelt, verschlechtert und zu Grunde gerichtet, oder ums Leben gebracht werden. Daß jene alte Behandlung der Sklaven nicht bloß barbarisch und unmenschlich, sondern auch ungerecht sey, hat man in unsern Tagen hoffentlich so klar eingesehen, daß hierüber kein Wort weiter zu verlieren nöthig ist. Hieraus folgern wir, da selbst ein Sklav nicht völlig als Sache behandelt werden darf: so darf es noch weniger eine Person, deren Rechte von weit größerem Umfange sind. Auch hat der Verf. gefühlt, daß so etwas sich widerspricht; deßwegen schränkt er den Begriff seiner neuen Rechtsart in der Folge dahin ein, daß das Seine hier nicht ein Eigenthum an der Person eines andern, sondern nur das Recht des Nießbrauchs unmittelbar von dieser Person gleich als von einer Sache, doch ohne Abbruch an ihrer Persönlichkeit, als Mittel zu meinem Zwecke Gebrauch zu machen, bedeuten soll. Aber auch so ist noch der alte Widerspruch vorhanden, ob er gleich durch Einschränkung auf /96/ wenigere Fälle etwas gemildert ist. Rec. glaubt nämlich behaupten zu können, daß ein solcher Nießbrauch bey Personen nicht auf die Art Statt hat als bey Sachen, und daß folglich auch so noch zwischen PersonenRechten und Sachen-Rechten ein hinlänglicher Unterschied bleibt, um beyde nicht in eine neue Gattung vermischen zu dürfen. Den Nießbrauch von einer Sache darf der, welcher das Recht dazu hat, nach seiner alleinigen Willkühr machen. Bey Personen hingegen darf er das nicht; sondern es wird dazu Einwilligung der Person, zwar nicht zu dem Allgemeinen, aber doch zu den einzelnen Handlungen, erfordert. Seiner Theorie gemäß muß der Verf. behaupten, daß jeder Theil in der Ehe befugt ist, den andern zur Leistung der ehelichen Pflicht zu zwingen, so oft es ihm gelüstet, diese Leistung zu verlangen; und daß es zu jeder einzelnen Leistung gar keiner Einwilligung des andern bedarf, ja daß dieser gar nicht befugt ist, je eine abschlägige Antwort zu ertheilen. Denn dieser Nießbrauch ist das Seine, und dieser Nießbrauch gehört ihm, gerade wie der Nießbrauch einer Sache. Das zweyte Beyspiel, mit welchem der Vf. Seine Behauptung belegt, ist das Recht der Eltern über ihre Kinder. Diese haben, sagt er, ein Recht gegen jeden Besitzer eines Kindes, das aus ihrer Gewalt gebracht worden (jus in re); und zugleich ein Recht, es zu allen Leistungen und aller Befolgung ihrer Befehle zu nöthigen, die einer möglichen gesetzlichen Freyheit nicht zuwider sind (jus ad rem). Auch hier sind wesentliche Unterschiede übersehen worden. Bey einem jure in re entspringt das Recht, die Sache aus den Händen jedes Besitzers zurück zu fordern, aus dem ausschließenden Rechte, die Sache zu besitzen, und ihren Nießbrauch zu erlangen; bey den Kindern hingegen entspringt dieß Recht aus dem ausschließenden Rechte, ihnen zu befehlen, worin kein andrer Eingriff thun darf; also nicht aus einer Beschaffenheit der Sache, sondern der Person. Dieß ausschließende Recht, sie zu Befolgung der Befehle zu nöthigen, ist von dem
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Rechte, Thiere zu beherrschen, gleichfalls wesentlich verschieden, wie der Verf. durch die angehängte Einschränkung selbst anerkennt, also auch hier kein eigentliches jus ad rem. Das dritte und letzte Bestätigungs-Beyspiel nimmt der Verf. von den Rechten der Herren über ihre Bedienten her, welche aus der Vermiethung entspringen. Dieser Contract nämlich ist von dem /97/ der Verdingung darin unterschieden, daß er eine Hingebung seiner Person in den Besitz des Hausherrn enthält, vermöge deren das Gesinde sich zu jedem Erlaubten versteht, was das Wohl des Hauswesens betrifft, und ihm nicht als bestellte, und specifisch bestimmte Arbeit aufgetragen wird. Irren wir nicht: so wird hier darauf gefußt, daß ein Bedienter alles Erlaubte thun muß, was die Herrschaft ihm auferlegt, wozu der Taglöhner nicht verpflichtet ist. Gerade dieß aber müssen wir als unrichtig in Anspruch nehmen; jeder Bedienter ist nur das schuldig zu thun, wozu er gleich anfangs gemiethet wurde; ein Koch, nur zu kochen; ein Stallknecht, nur das Vieh zu besorgen; ein Kutscher, nur zu fahren und die Pferde zu warten; verlangt die Herrschaft ein mehreres, und der Bediente hat nicht Lust, es aus Gefälligkeit zu verrichten: so beruft er sich darauf, daß er dazu nicht gemiethet sey. Hierin liegt also der Unterschied zwischen einem Taglöhner und einem Bedienten nicht, und hiermit fällt dahin, daß der letztere seine Person in den Besitz des Hausherrn hingiebt, und folglich dieser über ihn eine Art eines dinglichen Rechtes erlangt. Eine andere sonderbare und auffallende Behauptung unsers Verf. war die, daß der Kauf die Miethe bricht. Diese sucht er dadurch zu rechtfertigen, daß er annimmt, es sey eine stillschweigende Bedingung jedes Mieth-Contracts, ihn aufzuheben, wofern der Vermiether sein Haus binnen der Mieth-Zeit verkaufen sollte.Wäre das nicht: so hätte der Miether sich in seinem contracte gesichert, und sich ein dingliches Recht am Hause verschafft, indem er ihn nur auf das Haus des Vermiethers hätte einschreiben lassen. Wenn er dieß nicht that, weil er etwa frey seyn wollte, anderweitig eine Miethe auf bessere Bedingungen zu schließen, oder der Eigenthümer sein Haus nicht mit einem solchen onus belegt wissen wollte: so ist daraus zu schließen, daß ein jeder von Beyden, in Ansehung der Zeit der Aufkündigung (die bürgerlich bestimmte Frist zu derselben ausgenommen) einen stillschweigend bedingten Contract gemacht zu haben sich bewußt war, ihn, ihrer Convenienz nach, wieder aufzulösen. Allein, einmal ist der Verf. mit sich selbst hier nicht ganz einstimmig; vorher heißt es, der Contract sey stillschweigend an die Bedingung von Seiten des Vermiethers gebunden, wenn er sein Haus nicht verkaufte; nachher aber, der Contract könne von beyden Theilen, ihrer Convenienz nach, vermöge der stillschweigen-/98/den Bedingung wieder aufgehoben werden. Beydes ist sehr weit von einander unterschieden. Zweytens ist beydes offenbar unstatthaft; denn eine stillschweigende Bedingung kann der ausdrücklichen nicht widersprechen, sonst würde kein Vertrag Gültigkeit haben können, weil es nicht leicht am Anlaß fehlen kann, eine stillschweigende Bedingung
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vorauszusetzen. In diesem Contracte aber lautet die ausdrückliche Bedingung, kraft der Voraussetzung, auf eine bestimmte Zeit, und an diese sind beyde Theile gebunden. Wie die Ingrossirung auf das Haus lauten würde, ohne daß dadurch dem Mieths-Manne ein Eigenthum auf dasselbe, ganz gegen die Natur des MiethContracts, gegeben würde, möchten wir gern wissen. Wir übergehen ein Paar, uns nicht hinlänglich deutliche Punkte, um auf denjenigen zu kommen, worin die Gültigkeit der Testamente vertheidigt wird. In seinem Naturrechte gründet sie der Verf. darauf, daß der im Testamente genannte Erbe stillschweigend ein eigenthümliches Recht an der Verlassenschaft als ein Sachenrecht erwirbt, nämlich ausschließlich sie zu acceptiren (jus in re jacente); daher diese in dem gedachten Zeit-Punkte haereditas jacens heißt. Da nun jeder Mensch nothwendigerweise (weil er dadurch wohl gewinnen, nie aber verlieren kann) ein solches Recht, mithin auch stillschweigend, acceptiren, und Titius nach dem Tode des Cajus in diesem Falle ist: so kann er die Erbschaft durch Annehmung des Versprechens erwerben, und sie ist nicht mittlerweile ganz herrenlos, sondern nur erledigt gewesen, weil er ausschließlich das Recht der Wahl hatte, ob er die hinterlassene Haabe zu der seinigen machen wollte. Hierbey ist einmal zu erinnern, daß eine stillschweigende Acceptation des Rechtes zu acceptiren etwas sehr sonderbar lautet: nach dieser Analogie könnte man auch eine Acceptation dieser Acceptation sich vorstellen, und so das Acceptiren ins Unendliche hinein laufen lassen. Wem etwas versprochen wird, der bekommt die Befugniß, zu acceptiren; aber nicht die Befugniß, das Recht der Acceptation zu acceptiren; er soll nein, oder ja sagen, und mithin ist in diesem neuen hier aufgestellten Rechte, unsers Erachtens, nicht sonderlich viel gesunder Menschensinn. Zweytens hat auch diese stillschweigende Acceptation keinen festen Grund; es können uns Erbschaften vermacht werden, die mit übermäßigen Schulden behaftet, /99/ oder sonst mit Beschwerlichkeiten verknüpft sind, welche wir zu übernehmen nicht Lust haben; und mithin ist nicht allemal voraus zu setzen, daß Jeder an jede Erbschaft ein Recht zu erlangen wünschen werde. Drittens, wäre auch dieß alles nichts: so hat doch eine solche Acceptation des Rechts, zu acceptiren, hier keine Wirkung. Es wird mir das Recht dazu von dem Eigenthümer der Erbschaft allein gegeben, dieser allein hat sich anheischig gemacht, mir das Eigenthumsrecht zu übertragen, wenn ich acceptire; ihm allein steht dieses Eigenthumsrecht zu; von ihm allein habe ich die Erfüllung der Zusage zu fordern. Nun aber kann er nichts mehr erfüllen, sobald er gestorben ist, und ich kann von ihm nichts mehr rechtlich fordern; er, der selbst kein Recht mehr hat, kann mir keines mehr geben. Bey seinen Lebzeiten habe ich nicht acceptirt, weil ich von der Erbschaft nichts wußte, und nichts wissen sollte. Von dem Rechte, zu acceptiren, habe ich auch aus dem nämlichen Grunde keinen Gebrauch gemacht. Stillschweigend sollte ich, nach dem Willen des Erblassers, nicht einmal acceptiren; denn er verhehlte mir sorg-
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fältig seinen letzten Willen, damit in mir vorher kein Wunsch nach der Erbschaft, kein Gedanke an sie entstehen könnte. Auch stillschweigend kann ich doch nicht eher acceptiren, als mir von dem gethanen Versprechen etwas bekannt wird; dieß geschieht erst nach dem Tode des Erblassers, wo er mir kein Recht mehr zu ertheilen im Stande ist. Soll die stillschweigende Acceptation schon vor aller Kenntniß der Sache Statt haben, und rechtskräftig seyn: so muß auch das gelten, wenn mir jemand verspricht, 1000 Rthlr. zu schenken, dieß auf einen Zettel schreibt, den Zettel in seinem Pulte verschließt, und er mir durch irgend einen Zufall in die Hände fällt; denn auch hier habe ich stillschweigend acceptirt; 1000 Rthlr. wird nicht leicht ein Mensch als Geschenk ausschlagen. Qg.
26 Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung. München: Verlag der oberdeutschen Staatszeitung. 13. Jg., 1800, Bd. 1, Sp. 449‒458. Abgedruckt oben unter II 15, S. 191‒199.
https://doi.org/10.1515/9783110702996-028
Teil V: Rezension der lateinischen Übersetzung der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre (1799) Immanuel Kant: Elementa metaphysica iuris doctrinae. Latine vertitit G[eorg] L[udwig] Koenig. XX + 235 S. ‒ Amsterdam: den Hengst 1799.
27 [Johann Gottlieb Buhle, in:] Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen unter der Aufsicht der königl. Gesellschaft der Wissenschaften. Göttingen: Johann Christian Dieterich. 1799, S. 1484‒1486. /1484/ […] Mit Vergnügen zeigt Rec. einen gelungenen Versuch an, eine kantische Schrift mit allen ihren Eigenthümlichkeiten in Materie und Form so in’s Lateinische zu übertragen, daß das Original dem Ausländer entbehrlich würde. Die vorliegende Übersetzung der metaphysischen Rechtslehre läßt ähnliche Versuche weit hinter sich zurück, etwa die Probe ausgenommen, die Hr. Kunhardt vor einiger Zeit von einer Lateinischen Übersetzung der /1485/ Prolegomenen herausgab, und die jener an die Seite gesetzt werden mag. Der Verf., unser ehemahliger gelehrter Mitbürger, ist der Sachen, wie der Sprachen, gleich mächtig. Schon die Vorrede charakterisirt ihn als vertrauten Kenner der Erfordernisse seines Unternehmens. Er urtheilt darin über die Mängel der Lateinischen Sprache, so fern die neuere Philosophie in ihr dargestellt werden soll; über die von Kant gebrauchte wissenschaftliche Terminologie; über das Schwerfällige und Verwickelte der Schreibart dieses Philosophen insbesondere, eben so wahr und billig, als freymüthig und unbefangen. Die Bescheidenheit, mit der er dabey von seiner eigenen Arbeit spricht, gereicht ihm zu desto größerer Ehre, je auffallender man hernach an ihr selbst bemerkt, wie glücklich die Schwierigkeiten überwunden sind. Wem es Bedürfniß ist, über die Kantische Philosophie Lateinisch zu reden oder zu schreiben, oder wer sich selbst mit einer Lateinischen Übersetzung anderer Kantischer Werke beschäftigt, mag die gegenwärtige unsers Verf. studiren. Sie kann ihm Muster seyn. Rec. hat mehr Abschnitte gelesen, ohne das Original zur Hand zu nehmen; er hat nicht nur dieses in Ansehung der Verständlichkeit nicht vermißt; er ist kaum daran erinnert worden, so gut hat es Hr. K. zu latinisiren gewußt. Den ersten Abschnitt, bekanntlich den dunkelsten in der metaphysischen Rechtslehre, hat Rec. genau mit dem Originale verglichen, und die Übersetzung nach seiner Einsicht immer treffend gefunden. S. 24 gib Hr. K. vorsätzliche und unvorsätzliche Verschuldung durch reatum prudentem et imprudentem. Angemessener wäre wohl reatus ex proposito und non ex proposito. Doch das ist eine Kleinigkeit, die hier nur zum Beweise der Auf-/1486/merksamkeit stehen mag. Der Verf. ist übrigens so gewissenhaft gewesen, sogar die Form des Kantischen Periodenbaues beyzubehalhttps://doi.org/10.1515/9783110702996-029
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27 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen [Johann Gottlieb Buhle]
ten. Equidem, sagt er, statui satius esse simulque tutius, philosophorum principem suis indutum vestimentis exteris nationibus tradere, ut vel nativo suo culto cognoscatur, quam novis et adscititiis eum exornare, quae utrum bene sedeant, nec ne, exploratum esse nequit. Totidem fere verbis auctorem plurimis locis expressi etc. Inzwischen hätte er unstreitig doch noch besser für die Deutlichkeit gesorgt, wenn er die oft so complicirten Perioden Kant’s in mehr einfache zertheilt hätte, ohne den Sinn und die Schlußreihe zu ändern. Ein achtungswerther Gelehrter äusserte einmahl dem Rec. den Wunsch, daß wir eine Ausgabe der sämmtlichen kantischen Werke im Deutschen erhielten, wo ein sachkundiger Mann sich die Freyheit nähme, durchgängig eine bessere Interpunction und eine leichtere und richtigere grammatische Anordnung der Sätze und Perioden einzuführen. Dieß würde nun Rec. bey den Original-Werken für ungebührliche Anmaßung halten. Hingegen ein solcher Uebersetzer derselben, wie der Verf., hätte das immer wagen können, und wahrscheinlich würde Kant selbst, der seine grammatischen Untugenden nicht verkennt, ihm dafür gedankt haben. Die Kunstausdrücke hat der Verf., der guten Latinität wegen, häufig umschrieben, und schon dadurch dem Ganzen ein gefälligeres und mehr Lateinisches Colorit gegeben. Sie ganz zu vermeiden, war unthunlich, und auch unzweckmäßig. Sollte es dem Verf. gefallen, auch noch andere Werke Kant’s in gleichartigen Latein. Übersetzungen zu liefern: so würde er dadurch gewiß zur Beförderung eines Denkmahls der National-Ehre auch im Auslande beytragen.
Teil VI: Kantkommentare und weitere zeitgenössische Quellen
Bibliographie Abhandlung über die neueste Bearbeitung des Criminalrechts und der Strafgesetzgebung. In: Neue Leipziger Literaturzeitung, 1805, Sp. 1 – 30 u. 177 – 198.
Beck, Jakob Sigismund: Commentar über Kants Metaphysik der Sitten. Erster Teil [alles], welcher die metaphysischen Principien des Naturrechts enthält. XVI + 518 S. – Halle: Renger 1798. Reprint Brüssel: Culture et Civilisation 1970. Rezensionen Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde [Verf.:—n.], 1799, S. 105‒107. Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, welche Religion, Sitten und Besserung des Menschengeschlechts betreffen, 1798, Bd. 3, S. 524‒525. [Friedrich Bouterwek], in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1798, S. 1777‒1782. [Dietrich Tiedemann], in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek [Verf.: Bs.], 1799, Bd. 43, S. 352‒357. Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung [Verf.: R. G.], 1798, Bd. 2, Sp. 101 – 109. Revision der Literatur für die Jahre 1785 – 1800 in Ergänzungsblättern zur Allgemeinen LiteraturZeitung, 1. Jg., 1801, Bd. 1, Sp. 505‒508. Tübingische gelehrte Anzeigen, 1798, S. 521‒527.
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[Bouterwek, Friedrich:] Morriston oder Wer hat zu befehlen? Ein Dialog. In: Göttingisches Philosophisches Museum, 1798, Bd. 1, 1. Stück, S. 92‒144 Mit Namensnennung auch in: Friedrich Bouterwek, Dialogen. Erste Sammlung, Halle: Renger 1798, S. 81 – 133. – Auseinandersetzung mit Grundfragen der Staatstheorie Kants.
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Ehestands-Codex der Neu-Franken, nebst Im. Kants Gedanken über die Ehe und einem Anhange über die Ehescheidung, mit einer Einleitung des Herausgebers; ein Beitrag zur Philosophie über die Ehe. 62 S.– Leipzig: F. A. Leupold 1798. Rezensionen Litterarische Annalen der Rechtswissenschaften, 1799, Bd. 1, S. 280 – 281 Oberdeutsche allgemeine Literatur-Zeitung, 1798, Bd. 1, S. 1046 – 1048.
Hoffbauer, Johann Christoph: Allgemeines Staatsrecht. Erster Teil [alles], nebst beyläufigen Bemerkungen über Kants metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, besonders dessen Privatrecht, erläuternden und prüfenden Inhalts. XXX + 318 S. – Halle: Carl August Kümmel 1797. Rezensionen [Paul Johann Anselm von Feuerbach], in: Allgemeine Literatur-Zeitung, 1798, Bd. 4, Sp. 289‒ 299 u. S. 299‒301. Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes, 3. Jg., 1797, Sp. 517‒538 (Stellungnahme von Hoffbauer dazu u.d.T. RecensentenFlüchtigkeit, in: Allgemeiner Litterarischer Anzeiger. Beilage, 1798, Sp. 57‒61). [Friedrich Bouterwek], in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1798, S. 1114‒1117. [? von Rohr], in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek [Verf.: Fm.], 1801, Bd. 57, S. 314‒315. Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, welche Religion, Sitten und Besserung menschlichen Geschlechts betreffen, 1797, Bd. 4, S. 733‒736.
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Reiner, G[regor] L[eonhard]: Allgemeine Rechtslehre nach Kant. Zu Vorlesungen. [4] + 230 S.– Landshut u. Augsburg: Joseph Attenkofer, Ignaz Veith u. Michael Krieger 1801. Reprint Brüssel: Culture et Civilisation 1973. – Weitere Ausgabe: Landshut 1802. Rezensionen Allgemeine Literatur-Zeitung, 1805, Bd. 2, Sp. 468 – 469. Critisches Archiv der neuesten juridischen Literatur, 1802, Bd. 2, S. 587 – 592. Gothaische gelehrte Zeitungen, 1802, S. 351. Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung, 1801, Bd. 2, Sp. 209 – 216.
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[Schwab, Johann Christoph:] Bemerkungen über den Kantischen Begriff von dem gerichtlichen Eyd in der Metaphysischen Rechtslehre. 29 S.– Frankfurt u. Leipzig: o.V. 1797. Reprint Brüssel: Culture et Civilisation 1968.
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Rezensionen Allgemeine Literatur-Zeitung, 1800, Bd. 2, Sp. 423 – 424. Gothaische gelehrte Zeitungen, 1799, S. 489 – 491. Tübingische gelehrte Anzeigen, 1797, S. 553 – 556.
[Schwab, Johann Christoph:] Noch etwas über den Kantischen Begriff vom gerichtlichen Eide. 29 S.– Frankfurt u. Leipzig: o.V. 1797. Antwort auf die Rezension in den Tübingischen gelehrten Anzeigen. – Reprint Brüssel: Culture et Civilisation 1968. Rezensionen Allgemeine Literatur-Zeitung, 1800, Bd. 2, Sp. 423 – 424. Oberdeutsche allgemeine Literatur-Zeitung [Verf.: A. Z.], 1798, Bd. 1, Sp. 1222 – 1224.
[Schwab, Johann Christoph:] Sendschreiben an einen Recensenten in der Gothaischen gelehrten Zeitung über den gerichtlichen Eyd. 34 S.– Frankfurt u. Leipzig: o.V. 1800. Rezensionen Gothaische gelehrte Zeitungen, 1800, S. 345 – 351 u. 353 – 356. Juristische Literatur-Zeitung, 1. Jg., 1799/1800, Bd. 1, Sp. 215 – 216 u. 223 – 224. [Dietrich (?) Tiedemann], in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek [Verf.: Bs.], 1801, Bd. 62, S. 187 – 190.
[Schwab, Johann Christoph:] Zweytes und kurzes Sendschreiben an einen Recensenten in den Gothaischen gelehrten Zeitungen über den gerichtlichen Eid. 16 S.– o.O.: o.V. 1800. Rezensionen Gothaische gelehrte Zeitungen, 1800, S. 718 – 720. [Dietrich (?) Tiedemann], in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek [Verf.: Bs.], 1801, Bd. 62, S. 187 – 190.
[Schwab, Johann Christoph:] Neun Gespräche zwischen Christian Wolff und einem Kantianer über Kants metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre und der Tugendlehre. Mit einer Vorrede von Friedrich Nicolai. 196 + [2] S. – Berlin u. Stettin: [Nicolai] 1798. Reprint Brüssel: Culture et Civilisation 1968. Rezensionen Der Genius der Zeit, 1798, S. 95‒98. [Abraham Gotthelf Kästner], in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1798, S. 917‒ 918. Gothaische gelehrte Zeitungen, 1799, S. 491‒504. Neue allgemeine deutsche Bibliothek [Verf.: Kz.], 1799, Bd. 47, S. 3‒17. Neueste critische Nachrichten, 1798, S. 292‒295. Neue Würzburger gelehrte Anzeigen, 2. Jg., 1800, Bd. 2, S. 586‒590. Tübingische gelehrte Anzeigen, 1798, S. 385‒389.
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Stang, Konrad: Darstellung der reinen Rechtslehre von Kant zur Berichtigung der vorzüglichsten Misverständnisse derselben. 150 + [1] S. – Frankfurt u. Leipzig: J. J. Stahel Witwe u. Sohn 1798. Rezensionen [Friedrich Bouterwek], in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1799, S. 1001‒1004. Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung [Verf.: R. G.], 1799, Bd. 1, Sp. 81‒90.
Stephani, Heinrich: Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre. [1] + 125 S. – Erlangen: Johann Jakob Palm 1797. Reprint Brüssel: Culture et Civilisation 1968. Rezensionen Paul Johann Anselm Feuerbach, in: Allgemeine Literatur-Zeitung 1798, Bd. 3, Sp. 347‒352 u. 353‒360. Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes, 3. Jg., 1797, Sp. 561‒568. Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde, 1797, Bd. 1, S. 141‒145. [Johann Anton Ludwig Seidensticker], in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek [Verf.: Qg.], 1799, Bd. 42, S. 91‒98.
Tieftrunk, Johann Heinrich: Philosophische Untersuchungen über das Privat und öffentliche Recht zur Erläuterung und Beurtheilung der metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre vom Herrn Prof. Imm. Kant. Erster Theil: XX + 519 S.; Zweiter Theil: XX + 658 S. – Halle: Renger 1797 u. 1798. Reprint Brüssel: Culture et Civilisation 1969. Rezensionen Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes, 3. Jg., 1797, Sp. 298‒314. Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzeskunde, 1799, S. 107‒116. [Friedrich Bouterwek], in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1797, S. 1707‒1717; 1799, S. 838‒840. [Wilhelm Gottlieb] Tennemann, in: Nachrichten von gelehrten Sachen, 1798, S. 41‒43; 1799, S. 377‒381. [Dietrich Tiedemann], in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek [Verf.: Fl.], 1799, Bd. 43, S. 357‒363. Neue Nürnbergische gelehrte Zeitung, 1797, S. 533‒536. Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung [Verf.: E. G.], 1797, Bd. 2, Sp. 935‒940; [Verf.: R. G.], 1798, Bd. 2, p. 101‒109. Revision der Literatur für die Jahre 1785‒1800 in Ergänzungsblättern zur Allgemeinen LiteraturZeitung, 1. Jg., 801, Bd. 1, Sp. 529‒531. Tübingische gelehrte Anzeigen, 1797, S. 617‒622; 1798, S. 612‒615 u. 618‒624.
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Teil VII: Beiträge
Diethelm Klippel: Kant im Kontext. Der naturrechtliche Diskurs um 1800* I Einführung Im Jahre 1797 erschien bei Nicolovius in Königsberg das Buch Metaphysik der Sitten. Erster Theil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre des 73jährigen Königsberger Philosophieprofessors Immanuel Kant¹. Er war schon seit langem als einer der Großen seines Faches anerkannt. Zum Naturrecht hatte er zwar vorher bereits Vorlesungen gehalten²; schriftstellerisch hatte er sich aber, außer allerdings in dem 1795 publizierten Buch Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf ³, noch nicht ausführlich damit beschäftigt⁴. Immerhin meinte ein an-
* Leicht veränderter und in den Fußnoten ergänzter Abdruck des gleichnamigen Aufsatzes in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2001, München 2002, S. 77‒107. Die ausführlichen bibliographischen Angaben zu den Rezensionen von Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre werden beibehalten; in Klammern jeweils hinzugefügt ist die Nummer der Rezension in der vorliegenden Edition. Vor allem mit der Rezension von Friedrich Bouterwek in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen (Rez. Nr. 6) setzte sich Kant in seinen Erläuternden Anmerkungen zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre (Königsberg 1798) auseinander; die zunächst selbstständig erschienenen Erläuternden Anmerkungen wurden in die zweite Auflage aufgenommen: Die Metaphysik der Sitten. Erster Theil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Zweyte mit einem Anhange erläuternder Bemerkungen und Zusätze vermehrte Auflage, Königsberg 1798. Die erste lateinische Ausgabe erschien 1799: Elementa metaphysica iuris doctrina. Latine vertit G[eorg] L[udwig] Koenig, Amsterdam 1799; eine 1800 in Gotha erschienene lateinische Ausgabe ist nachgewiesen bei Erich Adickes, Bibliography of Writings by and on Kant which have appeared in Germany up to the end of 1887, in: The Philosophical Review. Supplements, 1893 (Nachdruck New York 1964), Nr. 100. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Universität Königsberg (1720‒1804), Bd. 1, hrsg. v. Michael Oberhausen u. Riccardo Pozzo, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999: zum ersten Mal im Wintersemester 1770/1771, zum letzten Mal im Wintersemester 1789/1790; mit wenigen Ausnahmen angekündigt als „Ius naturae nach Achenwall“, d. h. nach dem Naturrechtslehrbuch von Gottfried Achenwall. Dieses Lehrbuch wurde zunächst von den Göttinger Professoren Achenwall und Johann Stephan Pütter gemeinsam publiziert (Elementa iuris naturae in usum auditorum adornata, Göttingen 1750; Neudruck mit deutscher Übersetzung und aufschlußreichem Nachwort von Jan Schröder: Frankfurt a. M. u. Leipzig 1995) und ab 1758 (aufgeteilt in Prolegomena Iuris naturalis, 5. Aufl., Göttingen 1781, und Ius naturae, 2 Bde., 7. bzw. 8. Aufl., Göttingen 1781) von Achenwall allein fortgeführt. Gute Edition von Heiner F. Klemme, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Hamburg 1992; dort Hinweise auf weitere Editionen. Zur heutigen Exegese vgl. Frieden durch Recht. Kants Friehttps://doi.org/10.1515/9783110702996-031
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Diethelm Klippel: Kant im Kontext
derer großer deutscher Philosoph der Zeit, Johann Gottlieb Fichte, in seiner Rezension von Kants Friedensschrift, sie enthalte, „wenn auch nicht durchgängig die Gründe, doch zum wenigsten die Resultate der Kantischen Rechtsphilosophie vollständig“⁵. Erst mit den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre legte Kant seine rechtsphilosophischen Ansichten im Zusammenhang dar. Das Buch gilt als eines der wichtigsten Werke in der Geschichte der Rechtsphilosophie; es wurde und wird in unzähligen gelehrten Abhandlungen kommentiert, interpretiert und aktualisiert⁶. Angesichts der Bedeutung dieser Schrift kommt es uns ebenso wie 1797 einem der Kommentatoren Kants, Johann Adam Bergk, als selbstverständlich vor, „daß man den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre mit der größten Begierde und mit der gespanntesten Erwartung entgegen sah“. Bergk fuhr fort: „Aber wie sehr wunderte man sich, als man dieses Buch nicht durchgelesen, sondern verschlungen hatte, daß es fast allenthalben das Gegentheil von dem enthielte, was man bis jezt sich unter der Rechtswissenschaft gedacht hatte!“⁷ In dem Satz
densidee und das Problem einer neuen Weltordnung, hrsg. v. Matthias Lutz-Bachmann u. James Bohmann, Frankfurt a. M. 1996; Immanuel Kant. Zum ewigen Frieden, hrsg. v. Otfried Höffe (Klassiker Auslegen 1), Berlin 1995; Volker Gerhardt, Immanuel Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“, Darmstadt 1995. Vgl. aber Immanuel Kant, Ueber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: Berlinische Monatsschrift 22 (1793), 201‒284; ebenfalls ediert von Klemme (wie Fn. 3); ferner Kants Rezension von: Gottlieb Hufeland, Versuch über den Grundsatz des Naturrechts nebst einem Anhange (Leipzig 1785), in: Allgemeine Literatur-Zeitung, 1786, Bd. 2, 113‒116; auch in: Kant, Werke, Bd. 6, hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1964, 809‒812. Johann Gottlieb Fichte, in: Philosophisches Journal, 1796, Bd. 4, 81‒92, 82; auch in: ders., Werke, Bd. 8, hrsg. v. Immanuel Hermann Fichte, Nachdr. Berlin 1971, 427‒436, 428. Zum Stand der Exegese vgl. (jeweils mit weiteren Nachweisen) u. a. Immanuel Kant. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, hrsg. v. Otfried Höffe (Klassiker Auslegen 19), Berlin 1999; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ein kooperativer Kommentar, hrsg. v. Otfried Höffe, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 2000; Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant. Marburger Tagung zu Kants „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre“, hrsg. v. Dieter Hüning u. Burkhard Tuschling, Berlin 1998; ferner u. a. Karlfriedrich Herb u. Bernd Ludwig, Kants kritisches Staatsrecht, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 2 (1994), 431‒478; unter irreführendem Titel den älteren Stand der Kantforschung enthält der Sammelband: Materialien zu Kants Rechtsphilosophie, hrsg. v. Zwi Batscha, Frankfurt a. M. 1976. Johann Adam Bergk, Briefe über Immanuel Kants methaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, enthaltend Erläuterungen, Prüfung, Einwürfe, Leipzig 1797, VII; weitere Nachweise zu dieser verbreiteten Auffassung unten Fn. 76. – Zu Bergk vgl. Jörn Garber, Liberaler und demokratischer Republikanismus. Kants Metaphysik der Sitten und ihre radikaldemokratische Kritik durch J.A. Bergk, in: Die demokratische Bewegung in Europa im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert. Ein Tagungsbericht, hrsg. v. Otto Büsch u. Walter Grab, Berlin 1980, 251‒289, auch in: ders.,
I Einführung
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irritiert zunächst der Begriff „Rechtswissenschaft“: Bergk meinte damit nicht die Wissenschaft des geltenden Rechts, sondern gebrauchte ihn gleichbedeutend mit „Rechtsphilosophie“, „philosophische Rechtslehre“ und vor allem „Naturrecht“. Das heißt also: Bergk sah, wie alle Autoren um 1800, die Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre im Zusammenhang mit dem Naturrecht der Zeit; deshalb sprach z. B. der Breslauer Juraprofessor Johann Christian Friedrich Meister 1809 in seinem Naturrechtslehrbuch ausdrücklich von einem System des Naturrechts, das Kant geschrieben habe⁸. Der naturrechtlich-rechtsphilosophische Diskurs der Zeit steht – unter Einschluß des rechtsphilosophischen Hauptwerks Kants – im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen. Das erscheint unter zwei Aspekten als reizvoll: Zum einen wird der Beitrag gerade des Naturrechts um 1800 und im Vormärz insbesondere zur Rechts- und zur politischen Theoriegeschichte immer noch unterschätzt⁹. Zum anderen hat Joachim Rückert in einem 1991 erschienenen Aufsatz zur Kant-Rezeption in juristischer und politischer Theorie des 19. Jahrhunderts zu Recht darauf hingewiesen, dass Rezeptionsfragen in der Kant-Forschung kaum eine Rolle spielen; daran hat sich bis heute wenig geändert¹⁰. An beiden Defiziten
Spätabsolutismus und bürgerliche Gesellschaft. Studien zur deutschen Staats- und Gesellschaftstheorie im Übergang zur Moderne, Frankfurt a. M. 1992, 243‒281. Johann Christian Friedrich Meister, Lehrbuch des Natur-Rechtes, Frankfurt a. d.O. 1809, 107. Das beruht auf der ebenso verbreiteten wie unzutreffenden Auffassung, um 1800 sei die Bedeutung des Naturrechts erheblich zurückgedrängt worden, dazu unten bei Fn. 18 – 20. Joachim Rückert, Kant-Rezeption in juristischer und politischer Theorie (Naturrecht, Rechtsphilosophie, Staatslehre, Politik) des 19. Jahrhunderts, in: John Locke und/and Immanuel Kant. Historische Rezeption und gegenwärtige Relevanz/Historical Reception and Contemporary Relevance, hrsg. v. Martyn P. Thompson, Berlin 1991, 144‒215 (dort auch sehr guter Überblick über die Forschung). – Die Feststellung Rückerts, dass Rezeptionsfragen in der gerade in den letzten Jahren beachtlich angeschwollenen Literatur zu Kants Rechtsphilosophie zugunsten „aktuellsystematischer Anliegen“ zurücktreten, trifft noch immer zu, vgl. die oben in Fn. 3 und 6 genannte exegetische Literatur. Selbst wenn der zeitgenössische Diskurs in den Blick kommt, wird selten eine historische Kontextualisierung beabsichtigt, vgl. etwa Lu DeVos, Kants „Zum ewigen Frieden“ und Fichtes Rezension, in: Proceedings of the Eighth International Kant Congress, Memphis, 1995, Vol. 2, Part 1, hrsg. v. Hoke Robinson, Milwaukee 1995, 883‒892. – Bemerkenswerte Ansätze zur Kontextualisierung, Historisierung und Rezeptionsforschung finden sich vor allem in der Forschungsliteratur zur Friedensschrift, vgl. z. B. Anita Dietze u. Walter Dietze, Nachwort: Verlauf, Höhepunkte und Ergebnisse der deutschen Friedensdiskussion um 1800, in: Ewiger Friede? Dokumente einer deutschen Diskussion um 1800, München 1989; Thomas Kater, Forschungsbericht. Der Krieg, die Republik und der Friede: Zur Rezeption von Immanuel Kants ‚Zum ewigen Frieden‘, in: Militarismus in Deutschland 1871 bis 1945. Zeitgenössische Analysen und Kritik, hrsg. v. Wolfram Wette, Münster 1999, 327‒345. – Zu Kants Rechtsphilosophie siehe (aus marxistischer Sicht) Hermann Klenner, Kants Rechtsphilosophie in der Zeit, in: Immanuel Kant: Rechtslehre. Schriften zur Rechtsphilosophie, hrsg. u. m. einem Anhang versehen v. Hermann Klenner, Berlin 1988, 566 –
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Diethelm Klippel: Kant im Kontext
mögen ältere Urteile über die Kantianer des 18. und 19. Jahrhunderts mitgewirkt haben. So schrieb Johann Caspar Bluntschli 1881, es sei „eine genauere Darstellung dieser Werke im einzelnen eher verwirrend und ermüdend als fruchtbar. Wenn wir die Plane des Heerführers [d. h. Kants] kennen und die Mittel, über die er verfügen kann, so interessiert es uns nur wenig, wie seine Offiziere sich in die Aufgabe weiter teilen“¹¹. Kurt Wolzendorff berücksichtigte in seinem wichtigen Werk zur Geschichte des Widerstandsrechts 1916 zwar einen Teil der Naturrechtslehrbücher, gab jedoch seine Abneigung dagegen deutlich zu erkennen, indem er die Autoren „im Schlafrock daher schlürfende Revolutionslehrer“ nannte, die eine „epigonenhafte Schulmeisterei“ kennzeichne¹². Die folgenden Ausführungen zielen darauf, einige Aspekte des Naturrechtsdiskurses in der Zeit Kants ins Bewusstsein zu rufen und eine Vorarbeit zur Erforschung der Kant-Rezeption zu liefern. Aus methodischen und inhaltlichen Gründen wäre ein umfassenderer Anspruch im Rahmen eines kurzen, auf einem Vortrag beruhenden Aufsatzes nicht einlösbar. Denn methodisch sollen, ohne dass hier ausführliche Überlegungen dazu angestellt werden können, einige Grundsätze der „Neuen Ideengeschichte“ umgesetzt werden¹³. Daraus folgt ers-
587 (unzutreffend ist allerdings die Behauptung, dass Kants Erläuternde Anmerkungen „erstmals in der zweiten Auflage seiner ‚Rechtslehre‘ von 1798 veröffentlicht“ wurden, 481 f.). – Zu Kants politischer Theorie vgl. Otto Dann, Kants Republikanismus und seine Folgen, in: Denken und Umsetzung des Konstitutionalismus in Deutschland und anderen europäischen Ländern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hrsg. v. Martin Kirsch u. Pierangelo Schiera, Berlin 1999, 125‒ 143; Jean-Christophe Merle, Notrecht und Eigentumstheorie im Naturrecht, bei Kant und bei Fichte, in: Materiale Disziplinen der Wissenschaftslehre. Zur Theorie der Gefühle, hrsg. v. Wolfgang H. Schrader, Amsterdam u. Atlanta 1997, 41‒61; neuerdings Reidar Maliks, Kant’s Politics in Context, Oxford 2014. Johann Caspar Bluntschli, Geschichte der neueren Staatswissenschaft, 3. Aufl., München 1881, 393 f. Kurt Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt, Breslau 1916, 426. Grundlegend dazu Günther Lottes, Neue Ideengeschichte, in: Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch, hrsg. v. Joachim Eibach u. Günther Lottes, Göttingen 2002, 261‒269; Luise Schorn-Schütte, Neue Geistesgeschichte, in: ebd., 270‒280; Reingard Eßer, Historische Semantik, in: ebd., 281‒292; Iain Hampsher-Monk, Neuere angloamerikanische Ideengeschichte, in: ebd., 293‒306; Robert Jütte, Diskursanalyse in Frankreich, in: ebd., 307‒317; Eckhart Hellmuth u. Christoph von Ehrenstein, Intellectual History Made in Britain: Die Cambridge School und ihre Kritiker, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), 149‒172; Günther Lottes, „The State of the Art“. Stand und Perspektiven der „intellectual history“, in: Neue Wege der Ideengeschichte. Festschrift für Kurt Kluxen, Paderborn 1996, 27‒45; Hartmut Rosa, Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie. Der Beitrag der ‚Cambridge School’‘ zur Metatheorie, in: Politische Vierteljahrsschrift 35 (1994), 197‒223; zum Zusammenhang zwischen Rechts- und Ideengeschichte Diethelm Klippel, Ideen –
I Einführung
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tens eine konsequente Ausweitung der Quellenbasis, vor allem auf die Schriften mehr oder weniger unbekannter Autoren bis hin zu der Masse anonymer Rezensionen. Zweitens werden auch „große Autoren“, hier also vor allem Kant, kontextualisiert, d. h. ebenfalls als Teilnehmer des Diskurses gesehen, deren bestimmender Einfluß nicht von vornherein unterstellt werden kann, sondern erst bewiesen werden muß. Worüber aber diskutierte man im Naturrecht um 1800? Einen ersten Eindruck davon vermittelt eine Einladungsschrift zu den Vorlesungen von Karl Ignaz Wedekind, Professor für Natur- und Völkerrecht in Heidelberg¹⁴. Darin listete er 22 Ereignisse und Probleme auf, die er als naturrechtlich einschlägig begriff, u. a. die Abschaffung der Leibeigenschaft, der Folter und der Todesstrafe, Rede- und Schreibfreiheit, den Büchernachdruck, das preußische Allgemeine Landrecht, die Revolution in Frankreich, die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte und die Aufhebung des Adels. Obwohl ein Rezensent den Hauptmangel des Buches darin sah, „daß es ein ungeheurer Haufen von Fragen ohne Antworten“ sei, stimmte er Wedekind in der naturrechtlichen Relevanz der aufgeführten Rechtsfragen zu¹⁵. Die Liste läßt sich sogar noch verlängern: Die Naturrechtsautoren am Ende des 18. Jahrhunderts diskutierten darüber hinaus über Staatsvertrag, Staatszweck, Gewaltenteilung, Grundfragen des Strafrechts, die Grundlagen des Eigentums – nicht zuletzt des Geistigen Eigentums – die naturrechtliche Gültigkeit von Testamenten und über die Rechtmäßigkeit des Eides – um nur einige weitere Themen zu nennen. Aus der Fülle der möglichen Themen ergibt sich die Notwendigkeit einer Beschränkung. Da viele Themen um 1800 höchst aktuelle und zudem politisch brisante Aspekte der Staatslehre betreffen, sollen vorwiegend sie im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Ein zweiter sinnvoller Schwerpunkt ergibt sich ohne weiteres, wenn man die große Zahl von Rezensionen zu Naturrechtslehrbüchern überblickt. Der Autor einer Sammelrezension von ca. 40 naturrechtlichen Werken in der Juristischen Literatur-Zeitung schrieb nämlich 1801 ganz zu Recht: „Der Geist, welcher die Bearbeiter des Naturrechts in der neuesten Periode belebt hat, ist größtentheils nicht sowol darauf ausgegangen, das Gebäude dieser Wissenschaft vollständiger zu machen, oder die einzelnen Theile desselben zum Gebrauche bequemer und nützlicher einzurichten; als vielmehr darauf, erst den Ort
Normen – Lebenswelt. Exegese und Kontexterschließung in der Rechtsgeschichte, in: Scientia Poetica 4 (2000), 179‒191. Karl Ignaz Wedekind, Von dem besonderen Interesse des Natur- und allgemeinen StaatsRechtes durch die Vorfälle der neueren Zeiten. Eine Einladungsschrift zu den Vorlesungen über diese Wissenschaften […], Heidelberg 1793. Allgemeine Literatur-Zeitung, 1794, Bd. 1, 521‒524, 522.
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auszumitteln, wo dieses Gebäude stehen muß, und den Grund dazu zu legen und zu befestigen“¹⁶. Folglich erscheint es als sinnvoll, als zweiten inhaltlichen Schwerpunkt Grundlagenfragen des Naturrechts auszuwählen. Im Einzelnen wird das Thema aus fünf verschiedenen Perspektiven behandelt. Zunächst geht es um die Charakterisierung der Quellen: Denn will man „Kontext“ und „Diskurs“ untersuchen, so stellt sich mit besonderem Nachdruck die Frage nach Umfang und Aussagekraft der Quellengrundlage (II). Da sich die Zahl der Naturrechtspublikationen um 1800 als erstaunlich hoch erweist, ist sodann nach der Vorgeschichte dieser Blütezeit des Naturrechts zu fragen, und zwar anhand der beiden genannten Schwerpunkte (III). Mit der Frage nach der Theorie der Grundlagen des Naturrechts, des Standes der Natur und des Verhältnisses zwischen Individuum und Staat um 1800 beschäftigt sich der vierte Abschnitt (IV). In das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts fällt die Veröffentlichung der rechtsphilosophischen Hauptwerke von Kant; daher stellt sich die Frage, wie sie von den Zeitgenossen beurteilt wurden (V). Die Ergebnisse sind nicht zuletzt unter dem Blickwinkel zu sehen, dass das Naturrecht der Zeit sich nicht nur als politische Theorie, sondern auch als Rechtsquelle verstand (VI).
II Die Quellen Zunächst also zu den Quellen. Würde man zumindest der älteren Forschung glauben, so wäre der Versuch, eine Untersuchung zum Naturrecht um 1800 auf breiter Quellenbasis durchzuführen, problematisch, wenn nicht hoffnungslos. Denn die Forschungsliteratur hat lange die Auffassung vertreten, das Zeitalter des Naturrechts sei um 1800 in Deutschland zu Ende gegangen; u. a. Kant habe ihm den Todesstoß versetzt¹⁷. Wir wissen heute, dass dies nicht zutrifft. Vielmehr erlebte das Naturrecht gerade ab 1790 bis weit in das 19. Jahrhundert hinein eine neue Blütezeit. Freilich geht es nicht mehr um das ältere Naturrecht der deutschen Aufklärung in der Tradition zunächst von Samuel Pufendorf, Christian Thomasius und dann vor allem von Christian Wolff, sondern um ein Naturrecht auf neuen Grundlagen und mit neuen Inhalten; darauf deutet schon der bereits erwähnte
Uebersicht der deutschen Literatur des Naturrechts in der neuesten Periode, in: Juristische Literatur-Zeitung. Intelligenzblatt, 1801, 17‒21, 33‒36, 41‒43, 49‒52, 57‒62, 65‒67, 81‒87, 89‒96, hier: 17. Nachweise bei Diethelm Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, Paderborn 1976, 13.
II Die Quellen
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synonyme Gebrauch von Begriffen wie „Rechtsphilosophie“, „philosophische Rechtslehre“ und „Naturrecht“ hin¹⁸. Allerdings ist damit noch nichts zu der Quantität der Quellen gesagt. Einen ersten Eindruck vom Umfang des naturrechtlichen Diskurses um 1800 vermittelt ein Überblick über die Zahl der zwischen 1790 und 1810 erschienenen naturrechtlich-rechtsphilosophischen Lehrbücher, Grundrisse und Aufsatzsammlungen¹⁹: Es handelt sich um rund 105 Neuerscheinungen und zusätzlich ca. 20 weitere Auflagen. Davon wurden rund 75 von 1790 bis 1799 publiziert. Zum Vergleich: Zwischen 1780 und 1789 erschienen ca. 25 neue Werke plus 10 weitere Auflagen; das ist weniger als die Hälfte der in der folgenden Dekade zu verzeichnenden Publikationen. Die genannten Zahlen zeigen allerdings nur sozusagen die Spitze des Eisbergs; es kommen noch zahlreiche Einzelschriften und Aufsätze hinzu, ferner Schriften – darunter auch Lehrbücher – zu den Teilgebieten des Naturrechts, also etwa zum philosophischen Strafrecht, zum philosophischen Privatrecht, zum Völkerrecht und vor allem zum Allgemeinen Staatsrecht. Stellt man für das zuletzt genannte Gebiet des Naturrechts, also für das Allgemeine Staatsrecht, die Zahl der Lehrbücher und übergreifenden Schriften zusammen, so zeichnet sich die Entwicklung noch deutlicher ab: ca. 15 Publikationen von 1780 bis 1789 stehen 70, also mehr als das Vierfache, von 1790 bis 1799 gegenüber. Mit gutem Grund meinte also 1798 der Kameralist Johann Christian Christoph Rüdiger, Professor in Halle, dass „jetzt fast mit jeder Messe gleich den Rechen- und Kochbüchern wenigstens etliche Lehrgebände des Naturrechts erscheinen“²⁰. Die Sorge um genügend Quellen endet endgültig, wenn wir unseren Blick auf die Rezensionen richten. Wir befinden uns in der Zeit des umfassenden gelehrten Diskurses. Charakteristisch dafür sind zahlreiche allgemeine Rezensionszeit-
Dazu Diethelm Klippel, Naturrecht und Rechtsphilosophie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Naturrecht – Spätaufklärung – Revolution, hrsg. v. Otto Dann u. Diethelm Klippel, Hamburg 1995, 270‒292, 273 – 275. Die folgenden Zahlen beruhen auf: Diethelm Klippel, Naturrecht und Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert. Eine Bibliographie. 1780 bis 1850, Tübingen 2012. Johann Christian Christoph Rüdiger, Lehrbegriff des Vernunftrechts und der Gesetzgebung, Halle 1798, 45; ähnlich bereits bei Jean Paul, Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs [1796], in: ders., Werke, Bd. 2, hrsg. v. Norbert Miller, 3. Aufl., Darmstadt 1971. 21; auch bei Gustav Hugo, Lehrbuch des Naturrechts als einer Philosophie des positiven Rechts. Lehrbuch eines civilistischen Cursus, Bd. 2, 2. Aufl., Berlin 1799, 23; vgl. auch die Rezension zu: Johann Christoph Hoffbauer, Naturrecht aus dem Begriffe des Rechts entwickelt (Halle 1793), in: Gothaische gelehrte Zeitungen, 1794, 260‒261, 260: „Darf man die Fortschritte einer Wissenschaft nach der Geschwindigkeit messen, mit welcher die Lehrbücher derselben einander folgen; so steht es vor allen andern Disciplinen um das Naturrecht gut“.
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schriften, die mit zum Teil enzyklopädischem Anspruch Bücher aus allen Wissens- und Wissenschaftsgebieten besprachen²¹. Zu den bekannteren davon gehören die Allgemeine deutsche Bibliothek des Berliner Buchhändlers Friedrich Nicolai, 1793 bis 1806 fortgesetzt in der Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek, die Allgemeine Literatur-Zeitung und die Göttingischen gelehrten Anzeigen. Daneben erschienen jedoch, meist an Universitätsorten, zahlreiche weitere Rezensionszeitschriften, u. a. die Erlangischen gelehrten Anmerkungen und Nachrichten, die Erfurtische gelehrte Zeitung, die Gothaischen gelehrten Zeitungen, die Nürnbergische gelehrte Zeitung, die Greifswalder Neuesten critischen Nachrichten, die Oberdeutsche allgemeine Literaturzeitung, die Tübingischen gelehrten Anzeigen und die Würzburger gelehrten Anzeigen – um nur einige zu erwähnen. Dazu kommen noch juristische und philosophische Periodika, ein Teil davon ebenfalls ausschließlich Buchbesprechungen gewidmet. Sie alle rezensierten auch naturrechtliche Veröffentlichungen, darunter die Lehrbücher. Zu jedem Naturrechtslehrbuch erschienen durchschnittlich etwa acht Rezensionen, zu Fichtes Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre 12, zur ersten Auflage von Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre 16 Rezensionen²². Abgesehen von wenigen Rezensionen von Kant und Fichte²³ und noch wenigeren zu diesen Autoren²⁴ hat die Forschung sie bisher noch nicht ausgewertet.
Vgl. dazu Diethelm Klippel, Die juristischen Zeitschriften im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, in: Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, hrsg. v. Michael Stolleis. Frankfurt a. M. 1999, 15‒39, 24– 29 (dort auch bibliographische Hinweise). Im ursprünglichen Text des Aufsatzes (2002) ist von 13 Rezensionen die Rede. Diese Zahl und die anderen oben genannten Zahlen beruhen wiederum auf der in Fn. 19 genannten Bibliographie. Die vorhandenen Bibliographien und Editionen erfassen, soweit ersichtlich, die Rezensionen zum Naturrecht Fichtes und zu Kants rechtsphilosophischen Werken nicht vollständig: So z. B. listet Adickes (wie Fn. 1) zur Erstausgabe von Kants Rechtslehre 12 Rezensionen auf (in der in Fn. 19 genannten Bibliographie ermittelt: 13; in der vorliegenden Edition: 16), zu den Erläuternden Anmerkungen 3 (5 bzw. 5) und zur 2. Auflage 7 (6 bzw. 5). Die Diskrepanzen zu der vorliegenden Edition beruhen vor allem darauf, dass die beiden genannten Bibliographien einige Rezensionen nicht berücksichtigen oder unzutreffend zuordnen; so erscheint in der Bibliographie von Klippel die Rezension im Katechetischen Journal (Rez. Nr. 9) unzutreffend unter den Rezensionen zur zweiten Auflage. – Klemme (wie Fn. 3) führt 18 Rezensionen und 10 zeitgenössische Schriften und Aufsätze zu Kants Friedensschrift auf (in der Bibliographie von Klippel, Fn. 19: 21 nebst 14 zeitgenössischen Schriften und Aufsätzen). Eine Edition von Rezensionen zu Fichte druckt lediglich 8 Besprechungen seines Naturrechts ab (in der in Fn. 19 genannten Bibliographie erwähnt: 12): J. G. Fichte in zeitgenössischen Rezensionen, Bd. 2, hrsg. v. Erich Fuchs, Wilhelm G. Jacobs u. Walter Schieche, Specula 2/2, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995. Insbesondere oben Fn. 4 u. 5. Z. B. Lu DeVos (wie Fn. 10); ferner spielt gelegentlich die Rezension Bouterweks (wie Fn. 1) eine Rolle. Siehe auch Winfried Heizmann, Kants Kritik spekulativer Theologie und Begriff mo-
III Die Krise des Naturrechts um 1780
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Wie aufschlußreich aber sind solche Rezensionen? Abgesehen von nichtssagenden Buchanzeigen oder teils umfangreichen Inhaltsangaben mit wenigen wertenden Hinweisen fällt auf, dass die Autoren häufig nicht mit drastischen Formulierungen sparen. Dazu zwei Beispiele. So schrieb der junge, 1775 geborene Paul Johann Anselm Feuerbach in der Allgemeinen Literatur-Zeitung, der 1796 erschienene Versuch eines neuen Systems des natürlichen Rechts des Gießener Philosophieprofessors Johann Christian Gottlieb Schaumann sei „scholastisch, […] abstrus und […] so ganz leer an allem Gehalt“, „daß es uns physisch unmöglich war, bey diesem Producte bis ans Ende auszuhalten“²⁵. Die Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde bezeichnete die 1797 erschienenen Briefe über Immanuel Kants metaphysische Anfangssprüche der Rechtslehre von Johann Adam Bergk ebenfalls als „Product“ und meinte, dass es „in dem Kopfe des Vf. nicht so ganz geordnet seyn muß“²⁶. Derartige Ausfälle ändern nichts daran, dass sich die Autoren meist auf mehreren Spalten oder Seiten ausführlich und bis in Einzelfragen hinein mit der jeweiligen Schrift auseinandersetzten. Es liegt auf der Hand, dass die Rezensionen dadurch zu einer Fundgrube der Ideengeschichte werden, da sie sich dazu eignen, Schwerpunkte des Diskurses, den Verlauf der Meinungsfronten und Hintergründe von Kontroversen im Bewusstsein der Zeitgenossen festzustellen. Dass die weitaus meisten Besprechungen anonym erschienen und bis heute nur wenige davon mit Sicherheit einem Autor zugeordnet werden können, steht dem nicht entgegen.
III Die Krise des Naturrechts um 1780 Halten wir fest: Vor allem im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts erschien also eine wahre Flut von naturrechtlich-rechtsphilosophischen Schriften, pro und contra diskutiert in ausführlichen Rezensionen. Zwei Schwerpunkte der Diskussion betrafen bestimmte Grundsatzfragen naturrechtlichen Denkens und Probleme des Allgemeinen Staatsrechts. Worin aber bestehen die Gründe dafür? Auf welche Herausforderungen reagierten die Autoren?
ralischen Vernunftglaubens im katholischen Denken der späten Aufklärung. Ein religionsphilosophischer Vergleich, Göttingen 1976: Heizmann geht auch auf Rezensionen der Werke Kants in katholischen Zeitschriften (u. a. Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung, Würzburger gelehrte Anzeigen) ein, aber verständlicherweise auf sein Thema bezogen. Paul Johann Anselm Feuerbach, in: Allgemeine Literatur-Zeitung, 1798, Bd. 3, 341‒347, 346. Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde, 1798, 83‒92, 83 u. 86.
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Für die Zeitgenossen lag die Antwort auf der Hand: Man war sich einig, dass die kritische Philosophie Kants und politische Ereignisse, insbesondere die Französische Revolution, für den erneuten Aufstieg des Naturrechts in Deutschland ausschlaggebend gewesen seien. Ein anonymer Rezensent von Johann Adam Bergks Untersuchungen aus dem Natur-, Staats- und Völkerrechte mit einer Kritik der neuesten Constitution der französischen Republik ²⁷ brachte es 1796 auf den Punkt: „Bey dem Zusammentreffen von zwey so wichtigen Begebenheiten […] mußte das Studium des Natur- und allgemeinen Staatsrechtes mehr Bedürfniß werden, als je, und zugleich ein ganz eigenes Interesse gewinnen“²⁸. Die Erklärung der publizistischen Erfolge des Naturrechts in den 1790er Jahren mit einer Kombination von Kant und Französischer Revolution erscheint auf den ersten Blick als plausibel. In der Tat beriefen sich fast alle Autoren ab etwa 1790 auf Kant, und sie standen unter dem Einfluß seiner Philosophie, insbesondere einzelner Passagen in der 1785 erschienenen Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und in der 1788 publizierten Kritik der praktischen Vernunft ²⁹. Zudem beschäftigte sich die deutsche Öffentlichkeit bekanntlich intensiv mit den Ereignissen der Französischen Revolution. Doch deuten schon einige Hinweise in den Quellen an, dass Kant und die Französische Revolution als Erklärung nicht völlig ausreichen. Zum einen lassen viele Zeitgenossen die neueste Periode in der Geschichte des Naturrechts mit dem 1785 erschienenen Buch Versuch über den Grundsatz des Naturrechts des damals 25jährigen Juristen und Philosophen Gottlieb Hufeland beginnen³⁰. Zum andern verwiesen einige Autoren nicht nur auf
Leipzig 1796. Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung, 1796, Bd. 2, 97‒109, 98. Diese Auffassung war weit verbreitet; stellvertretend für eine Vielzahl möglicher weiterer Nachweise: Theodor Anton Heinrich von Schmalz, Das reine Naturrecht, Königsberg 1792, 5; Johann Christian Gottlieb Schaumann, Kritische Abhandlungen zur philosophischen Rechtslehre, Halle 1795, 118 – 119; Ferdinand Christoph Weise, Die Grundwissenschaft des Rechts. Nebst einer Darstellung und Prüfung aller durch die kritische Philosophie veranlaßten Philosopheme über den Ursprung und das Wesen des Rechts, Tübingen 1797, 2 f.; Anton Bauer, Elementarsystem der Rechtswissenschaft, oder Lehrbuch eines propädeutischen Cursus für Rechtsgelehrte. Erster Theil: Lehrbuch des Naturrechts, Marburg 1808, 26. Zu diesen Zusammenhängen im Einzelnen Diethelm Klippel, Die Theorie der Freiheitsrechte am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland, in: Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988 – 1990). Beispiele, Parallelen, Positionen, hrsg. v. Heinz Mohnhaupt, Frankfurt a. M. 1991, 348‒386, 367 f.: Entscheidenden Einfluß gewann Kants „praktischer Imperativ“, der auf der „Achtung erweckende[n] Idee der Persönlichkeit“ und auf der Aussage beruht, der Mensch existiere „als Zweck an sich selbst“, s. auch unten bei Fn. 44 u. 65. Z. B. Ueber den Gewinn des Natur-, Staats- und Völkerrechts, aus der Litteratur vom Jahre 1794, mit Rücksicht auf den vorherigen Zustand dieser Wissenschaft, in: Staatswissenschaftliche und Juristische Litteratur, 1795, Bd. 1, L‒LIV, LI; Ernst Ferdinand Klein, Grundsätze der natürlichen
III Die Krise des Naturrechts um 1780
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die Französische Revolution als Auslöser für das gesteigerte Interesse an naturrechtlichen Fragen, sondern auch auf die Politik Kaiser Josephs II. und auf das preußische Religionsedikt von 1788³¹. Die neuerliche Blütezeit des Naturrechts hat also offensichtlich eine Vorgeschichte. In den 1780er Jahren befand sich das Naturrecht in einer Krise. Johann Gottlieb Hufeland beschrieb dies mit einem anschaulichen Bild. Auf den Trümmern des scholastischen Naturrechts habe man prächtige Paläste errichtet, aber nicht auf ausreichende Fundamente geachtet; infolgedessen sei das ganze System des Naturrechts baufällig geworden³². Hufeland stellte dementsprechend die herkömmlichen Naturrechtsvorstellungen in Frage und bemühte sich um eine philosophische, methodisch-systematische und politische Neubegründung des Faches. Hufeland war kein Einzelfall; um 1785 häuften sich derartige Schriften³³. Im Mittelpunkt ihrer Bemühungen standen vor allem drei Themen: erstens die Abgrenzung von Naturrecht und Moral durch ein geeignetes Prinzip, zweitens die (Neu‐)Konzeption eines der grundlegenden Denkmodelle des Naturrechts, nämlich des Standes der Natur, und drittens das Verhältnis von Staat und Individuum. Eine der Grundfragen des Naturrechts der Neuzeit war die genaue Abgrenzung von Naturrecht und Moral. Sie sollte durch die Unterscheidung zwischen vollkommenen und unvollkommenen Rechten und Pflichten, zwischen Zwangsund Gewissenspflichten bzw. -rechten und zwischen äußeren und inneren Rechten und Pflichten erreicht werden. Die Frage stand in Verbindung mit der Festsetzung des obersten Grundsatzes des Naturrechts, und ihre Beantwortung war durchaus nicht folgenlos: Sie entschied über wesentliche Inhalte des Naturrechts und spielte eine Rolle u. a. bei der Frage, ob und in welchem Umfang der Staat auch moralische Pflichten zu Rechtspflichten machen durfte. Um 1780 verbannte man zwar andere als Zwangsrechte und -pflichten aus dem Naturrecht
Rechtswissenschaft nebst einer Geschichte derselben, Halle 1797, 362: „Niemals […] hat wohl eine Schrift auf das Schicksal einer Wissenschaft kräftiger gewirkt, als Hufelands Versuch über den Grundsatz des Naturrecht“; Uebersicht (wie Fn. 16), 33: Man könne „die neueste Periode [des Naturrechts] anfangen“ mit Hufeland, der „zuerst die Mängel und Fehler der Principien, worauf man vorher das Naturrecht bauete, vollständig aufgedeckt, und zuerst den […] Geist mit Erfolg angefacht“ habe, „der sich nachher über das Gebiet des Naturrechts verbreitete“; Meister (wie Fn. 8), 123. Uebersicht (wie Fn. 16), 17; vgl. auch Wedekind (wie Fn. 14); Ueber den Gewinn (wie Fn. 30), LI: „die großen Weltbegebenheiten unsrer Zeit“. Johann Gottlieb Hufeland, Versuch über den Grundsatz des Naturrechts nebst einem Anhange, Leipzig 1785, 1– 4. Dazu und zum Folgenden Diethelm Klippel, Ideen zur Revision des Naturrechts. Die Diskussion zur Neubegründung des deutschen Naturrechts um 1780, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 8 (2000), 73‒90.
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und lehnte daher Naturrechtssysteme, die weiterhin der älteren Einteilung in Pflichten gegen Gott, gegen sich selbst und gegen andere folgten, vehement als veraltet ab. So z. B. meinte ein Rezensent des 1789 erschienenen ersten Bandes der Grundsätze des Naturrechts des Juraprofessors Ludwig Gottfried Madihn, Madihn habe das Werk wohl geschrieben, um dem Mangel an älteren, überholten Lehrbüchern abzuhelfen: „Denn, mögen gleich vor dreyßig oder vierzig Jahren Lehrbücher über das Naturrecht, die diesem an Erbärmlichkeit gleich kommen, existirt haben, so ist doch sicherlich keines mehr in hinlänglicher Anzahl im Bücherhandel; und Hr. Madihn […] war in die traurige Notwendigkeit versetzt, […] ein ähnliches Gerippe selbst hervorzubringen“³⁴. Aber ein die Zeitgenossen überzeugendes Kriterium zur näheren Bestimmung und Abgrenzung von Zwangsrechten konnte nicht entwickelt werden. Ähnlich verhielt es sich mit dem Stand der Natur, ebenfalls ein Denkmodell, das im herkömmlichen Naturrecht eine methodisch-systematische und eine politische Schlüsselrolle einnahm. Bevor man Aussagen über den status civilis, den Staat, treffen konnte, mußten – so glaubte man – die Rechte und Pflichten des Menschen im status naturalis, im Naturstand analysiert werden. Zudem diente der Naturstand der Begründung der Entstehung des Staates, da er meist als negativ, zumindest als Zustand der Unsicherheit der vorhandenen Rechte, dargestellt wurde. Auch für das Völkerrecht spielte die Vorstellung eines Naturstandes eine entscheidende Rolle: Denn die souveränen Staaten und Herrscher, so meinte man, befänden sich anders als die Menschen im Staat weiterhin im Naturstand, so dass dessen Regeln für sie galten – eben als Völkerrecht³⁵. Um 1780 stellte das Naturrecht die herkömmlichen Lehren über den Naturzustand in Frage, da man meinte, sie seien für den Mißerfolg bei der Lösung grundlegender Probleme mitverantwortlich. Entgegen der immer noch verbreiteten Auffassung, der Stand der Natur sei „ein wirklicher Stand“ und „kein erdichteter Stand“³⁶, setzte sich immer mehr die Überzeugung durch, es handele sich um eine bloße Fiktion, eine Hypothese³⁷. Als philosophisches Konstrukt aber wurde der Naturstandsbegriff fungibel: Er konnte z. B. als gänzlich ungeeignet aus dem Naturrecht verbannt, oder er konnte nunmehr als Ideal betrachtet wer-
Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung, 1790, Bd. 1, 529‒534, 529. Dazu Klippel (wie Fn. 17), 94 f. (mit Nachweisen). Gottlob August Tittel, Erläuterungen der theoretischen und praktischen Philosophie nach Herrn Feders Ordnung, Bd. 5, Natur- und Völkerrecht, Frankfurt a. M. 1786, 55; ähnlich Johann August Heinrich Ulrich, Initia philosophiae iusti seu iuris naturae socialis et gentium, Jena 1783, 8. Z. B. [Michael Hißmann], Untersuchungen über den Stand der Natur, Berlin 1780, 34; Hufeland (wie Fn. 32), 190 – 195. – In der Folgezeit setzte sich im Naturrecht die Auffassung durch, es gebe keinen Stand der Natur im älteren Sinne; dazu Klippel (wie Fn. 17), 115; siehe unten bei Fn. 55 – 64.
III Die Krise des Naturrechts um 1780
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den. Beides aber warf die Frage auf, welches Modell oder welche Begriffe die bisher vom Naturstand erfüllten Funktionen übernehmen sollten. Wies man dem Stand der Natur im Naturrecht nur noch eine Nebenrolle zu oder verbannte ihn ganz aus dem Naturrecht, so hatte dies u. a. zur Folge, dass derjenige Teil des Naturrechts ins Rampenlicht trat, der sich mit den Pflichten und Rechten der Menschen im Staat befaßte: das ius publicum universale oder Allgemeine Staatsrecht. Die genaue Bestimmung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger wurde also zunehmend als eine der Hauptaufgaben des Naturrechts verstanden. So z. B. sah Hufeland durch die von ihm vorgenommene Neukonzeption des Standes der Natur neue Aufgaben auf das Naturrecht zukommen, die er in dem Anhang zu seinem Buch skizzierte. Insbesondere ging es für ihn um die Frage, „was der Staat am Naturrecht ändern darf und nicht ändern darf“, genauer: „Die Beantwortung dieser drey Fragen: 1. Was ändert der Eintritt in den Staat an den natürlichen Rechten der einzelnen Bürger? 2. Was darf der Staat an denselben ändern? 3. Was muß der Staat an denselben ändern? macht nun den Gegenstand und Stoff der Wissenschaft aus, die ich hier einzuschieben vorschlage, und durch welche, wie ich glaube, die Lücke zwischen dem Naturrecht und dem positiven Recht sichtbar ausgefüllt, und das Naturrecht dem Staate so nahe gebracht und für denselben so verarbeitet wird, als es aus reinvernünftigen Gründen, ohne Rücksicht auf experimentirende Erfahrung, gebracht werden kann“³⁸. Die Kodifikationsvorhaben zahlreicher deutscher Staaten, insbesondere Preußens, hatten den damit verbundenen Fragen erhebliche Aktualität verschafft. Hufeland selbst stellte diesen aktuellen Bezug durch den Hinweis her, dass insbesondere der Gesetzgeber ein Interesse an der Beantwortung habe³⁹. Dass all dies in der naturrechtlichen Literatur des Untersuchungszeitraums als Aufgabe deutlich und häufig formuliert wurde und aktuell war, bedeutet freilich noch nicht, dass die Zeitgenossen überzeugende Antworten fanden. Die meisten Antworten um 1780 fielen vielmehr weiterhin im Sinne des Absolutismus aus: Der Staat sollte mittels „guter Policey“ die Glückseligkeit sowohl des ganzen Gemeinwesens als auch der einzelnen Untertanen notfalls durch Zwang herstellen⁴⁰. Allerdings entstanden in Deutschland um 1780 die ersten Schriften, die unter dem Einfluß englischer und politischer Theorien das Verhältnis zwischen Individuum und Staat auf neue Grundlagen stellten. In seinem 1784 erschienenen Naturrechtslehrbuch entwarf Johann August Schlettwein, ein deutscher Anhän Hufeland (wie Fn. 32), 10, 289 f. Hufeland (wie Fn. 32), 8 – 11. Zum Zusammenhang zwischen Naturrecht und Absolutismus vgl. Klippel (wie Fn. 17), 105 – 107.
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Diethelm Klippel: Kant im Kontext
ger der physiokratischen Wirtschaftstheorie, wie bereits in seinen früheren Schriften ein neues Modell der Kompetenzverteilung zwischen Individuum und Staat. Ausgangspunkt dafür ist seine Überzeugung, dass die natürliche Ordnung auch im Staat nicht modifiziert werden darf; folglich sei die Freiheit des Menschen im Staat keinesfalls geringer als im Stand der Natur. Vielmehr bestehe der Zweck des Staates gerade in der uneingeschränkten Garantie der Menschenrechte und deren Ausübung: „So wenig also in der Gesellschaft überhaupt, wenn sie der Natur gemäs seyn soll eine Aufopferung der Menschenrechte statt findet […], und so wenig das wahre gemeine Beste in einer Gesellschaft überhaupt dem PrivatBesten der einzelnen Glieder Eintrag thun kann […]: So wenig und noch weit weniger ist eine Aufopferung der besondern Menschenrechte, und Einschränkung des PrivatBesten der Bürger zu einer bürgerlichen Gesellschaft nothwendig. Dies soll nach dem gesunden MenschenSinne in der bürgerlichen Gesellschaft die HauptAbsicht seyn, daß ein jeder die vollkommenste Garantie aller seiner MenschenRechte, und deas Genusses derselbigen darinne findet“⁴¹. Bezeichnenderweise setzten sich die Thesen Schlettweins zunächst nicht durch; die herkömmliche Staatslehre kritisierte sie vielmehr heftig⁴².
IV Die Revision des Naturrechts In die Situation der Krise und des Umbruchs in den 1780er Jahren fiel die Entdeckung der kritischen Philosophie Kants für das Naturrecht. Sobald sich die Überzeugung durchgesetzt hatte, dass sich einige Überlegungen Kants auch für das Naturrecht fruchtbar machen ließen, entstanden zahlreiche Naturrechtsschriften, die auf Kants Gedanken beruhten. Da man sich aber vorerst nur auf wenige und zudem relativ knappe Aussagen Kants stützen konnte, zog man daraus weitreichende Folgerungen, um überhaupt zu mehr oder weniger vollständigen Naturrechtssystemen gelangen zu können. Insgesamt versuchte man nicht ohne Erfolg, die in den 1780er Jahren aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Das soll an den drei schon bekannten Beispielen gezeigt werden, also den Grundlagen des Naturrechts, dem Stand der Natur und dem Verhältnis zwischen Individuum und Staat.
Johann August Schlettwein, Die Rechte der Menschheit oder der einzige wahre Grund aller Gesetze, Ordnungen und Verfassungen, Gießen 1784, 451. So u. a. Johann Friedrich von Pfeiffer, Der Antiphysiocrat, Frankfurt a. M. 1780, 14 f.; ferner viele der insgesamt 15 Rezensionen zu Schlettweins Naturrechtslehrbuch, so z. B. Allgemeine juristische Bibliothek 5 (1785), 146‒159.
IV Die Revision des Naturrechts
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1. Die naturrechtlichen Schriften ab ca. 1790 führten die Bemühungen um die Grundlagen des Faches intensiv fort. Man glaubte, nunmehr die Möglichkeit zu haben, ein für allemal das Prinzip des Naturrechts und damit des Rechts überhaupt feststellen zu können. Ein Rezensent der Lehrsätze des Naturrechts und der damit verbundenen Wissenschaften von Gottlieb Hufeland aus dem Jahre 1790 schrieb 1792 in der Allgemeinen Literatur-Zeitung, es sei der kritischen Philosophie „gelungen […], das so lange gesuchte wahre Princip aller Pflichten und Rechte in seiner vollkommenen Reinigkeit und Würde aufzustellen“⁴³. Der Autor bezog sich, wie viele andere, auf den in der Grundlegung der Metaphysik der Sitten formulierten „praktischen Imperativ“: „Handle so, daß Du die Menschheit, sowohl in Deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck niemals bloß als Mittel brauchest“⁴⁴. Doch der Optimismus war unbegründet. Der Streit über die Grundlagen des Naturrechts ging weiter. Ein Rezensent des Naturrechtslehrbuchs von Johann Christoph Hoffbauer bemerkte 1794: „Selten, daß ein Schriftsteller seinen Vorgängern nur folge, ihre Grundsätze berichtige, näher bestimme, entwickele, durch Anwendung und Folgerung aus ihnen die Wissenschaft erweitre: fast immer vielmehr neue Wege und wiederholte Versuche einer neuen Darstellung der ersten Grundsätze“⁴⁵. Die zahlreichen Auffassungen wurden denn auch bald nach ihrer jeweiligen Ableitung systematisiert. So z. B. unterschied der Autor der schon erwähnten „Uebersicht der deutschen Literatur des Naturrechts in der neuesten Periode“ 1801 zwischen ethischen Rechtsdeduktionen, aus dem Sittengesetz, und juridischen Deduktionen, aus einem davon unabhängigen Rechtsgesetz; bei den ethischen wiederum seien absolute Deduktionen, bei denen die Rechte aus eigenen Pflichten entwickelt wurden, von relativen zu unterscheiden, bei denen die Rechte aus den Pflichten anderer gefolgert wurden⁴⁶. Doch auf die Einzelheiten kommt es hier nicht an. Überblickt man die verschiedenen Auffassungen, so kristallisiert sich eine schon bekannte Kontroverse als besonders aufschlußreich heraus, nämlich die Abgrenzung von Naturrecht und Moral⁴⁷. Sie wurde besonders intensiv und erbittert geführt. So etwa rügten einige Rezensenten der ersten Auflage des Naturrechtslehrbuchs von Hufeland, dass dieser die Beförderung der Vollkommenheit bzw.
Allgemeine Literatur-Zeitung, 1792, Bd. 3, 513‒523, 513. Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: ders., Werke (wie Fn. 4), Bd. 4, 61. Rezension zu Johann Christoph Hoffbauer, Naturrecht aus dem Begriffe des Rechts entwickelt (Halle 1793), in: Litterarische Denkwürdigkeiten […], 1794, 81‒84, 81. Uebersicht (wie Fn. 16), 19. Vgl. oben bei Fn. 33 f.
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Glückseligkeit des Menschen bzw. die Verhinderung von deren Beeinträchtigung als Naturrechtsmaxime aufgestellt hatte⁴⁸. Dementsprechend wurde gelobt, dass Hufeland in der zweiten Auflage (1795) von dem Grundsatz der Vollkommenheit abgerückt war⁴⁹. Die Rezensenten auch anderer Naturrechtslehrbücher monierten immer wieder, dass Moral und Naturrecht nicht genügend unterschieden und moralische Vorschriften zum Gegenstand des Naturrechts gemacht würden⁵⁰. Die Frage liegt nahe, warum so erbittert und ausführlich um solche Grundsatzfragen gestritten wurde. Die Suche nach der rechtsphilosophischen Wahrheit mag eine Rolle gespielt haben. Aber der Streit hatte einen politischen Hintergrund. Das Glückseligkeitsprinzip betraf nämlich auch den Zweck aller Gesetze und damit vor allem den Zweck des Staates. Es ging also um den typischen Staatszweck des aufgeklärten Absolutismus, die Glückseligkeit. Bestand nämlich der Zweck des Staates in der Herstellung der „Glückseligkeit sowol des ganzen Staats als seiner Theile“⁵¹, so folgte daraus eine geradezu uferlos erscheinende Fülle von Aufgaben des Staates, für die insbesondere der Begriff der „guten Policey“ charakteristisch war. Sie erstreckten sich prinzipiell auf alle Lebensbereiche des Einzelnen, bis hin zur Moral und anderen Gebieten, die wir heute der Privatsphäre des Individuums zurechnen würden⁵².
So [Abraham Gotthelf Kästner], Rez. zu Gottlieb Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts und der damit verbundenen Wissenschaften (Jena 1790), in: Allgemeine deutsche Bibliothek 117 (1794), 312‒ 323, 319 – 321; Allgemeine Literatur-Zeitung, 1792, Bd. 3, 513‒523, 516. Allgemeine juristische Bibliothek, 1796, Bd. 1, 1‒13, 2 f.; Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes 1 (1795), 922‒931, 923; [Dietrich Tiedemann], in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek, Anhang zu Bd. 1‒28, 1797, 2. Abt., 178‒181; Staatswissenschaftliche und juristische Literatur, 1795, Bd. 2, 77‒92, 79. So z. B. zwei Rezensionen zu Johann Heinrich Abicht, Neues System eines aus der Menschheit entwikelten Naturrechts (Bayreuth 1792), in: Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung, 1792, Bd. 2, 1023‒1033, 1025; Tübingische gelehrte Anzeigen, 1793, 395‒399, 396 f.; Paul Johann Anselm Feuerbach, Rez. zu Hoffbauer (wie Fn. 45), in: Allgemeine Literatur-Zeitung, 1798, Bd. 4, 289‒301, 289 – 291; Rez. zu Karl Heinrich Heydenreich, System des Naturrechts nach kritischen Prinzipien, 2 Bde. (Leipzig 1794 u. 1795), in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek, Anhang zu Bd. 1‒28, 1797, 2. Abt., 181‒187, 184– 186; Rez. zu Karl Theodor Gutjahr, Entwurf des Naturrechts (Leipzig 1799), in: Juristische Literatur-Zeitung 1 (1799/1800), 89‒94 u. 97‒104, 91. So z. B. Johann Friedrich von Pfeiffer, Grundriß der wahren und falschen Staatskunst, Bd. 1, Berlin 1778, 51. – Grundlegend dazu jetzt (mit zahlreichen weiteren Nachweisen) Klaus Wohlrab, Armut und Staatszweck. Die politische Theorie der Armut im deutschen Naturrecht des 18. und 19. Jahrhunderts, Goldbach 1997, 14– 17. Dazu Diethelm Klippel, Der liberale Interventionsstaat. Staatszweck und Staatstätigkeit in der deutschen politischen Theorie des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Recht und Rechtswissenschaft im mitteldeutschen Raum. Symposion für Rolf Lieberwirth, hrsg. v. Heiner Lück, Köln usw. 1998, 77‒103, 82– 89.
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Diesem Staatszweck und den damit verbundenen Eingriffsmöglichkeiten des Staats also sagte das Naturrecht der Zeit den Kampf an. Theodor Anton Heinrich von Schmalz gab 1794 polemisch zu bedenken, dass die Staaten zum Erreichen des Staatszwecks der Glückseligkeit höchst unzweckmäßig organisiert seien. Es müßten nämlich Glückseligkeitsbehörden eingerichtet werden, um die Wünsche eines jeden Einzelnen zu erfragen: „Für eine Gesellschaft zu Glückseligkeit, wäre doch nichts zweckmäßiger, als die Errichtung eigener Prosperitäts Collegien und Bureau’s, welche jeden einzelnen vernehmen könnten, worin er seine Glückseligkeit setze, und die dann den Weibern Putz und Männer, dem Jüngling seine Geliebte, dem Mann Ehre, und dem Greis Gold verschafften“⁵³. Johann Christian Gottlieb Schaumann meinte, zwar dürfe kein Staat einen Menschen unglücklich machen; aber Glückseligkeit könne nicht Staatszweck sein, da niemand die Bedürfnisse des Einzelnen kenne, jeder für sein eigenes Glück verantwortlich sei und der Staat unter Berufung auf die Glückseligkeit seine Befugnisse bis hin zum Mißbrauch ausdehnen müsse⁵⁴. 2. Auch der Streit um das Modell des Standes der Natur wurde fortgesetzt. Hufeland vertrat in seinem Naturrechtslehrbuch von 1790 weiterhin die Auffassung, es handele sich um eine „bloße Hypothese“⁵⁵. Allerdings entstand deshalb die Befürchtung, damit sei das gesamte Naturrecht hinfällig; insbesondere fehle die Grundlage zur Ableitung der Menschenrechte. So schrieb der Arzt und Schriftsteller Johann Benjamin Erhard in seiner Rezension des 1792 erschienenen Wissenschaftlichen Naturrechts von Schaumann in den Würzburger gelehrten Anzeigen: „Ohne Bestimmung des Naturstandes ist das Naturrecht nichts, als eine Sammlung vernünftiger Vorschriften, auf die bey der Gesetzgebung Rücksicht genommen werden muß.“ Es sei vielmehr mithilfe des Naturstandsmodells zu beweisen, daß der Inhalt des Naturrechts die Menschenrechte betreffe⁵⁶. Erhard hatte die politischen Intentionen Schaumanns missverstanden. In der Tat meinte Schaumann, es sei am „rathsamsten […], diesen Begriff ganz aus unsrer Wissenschaft zu verbannen“⁵⁷, denn, so Johann Heinrich Abicht 1795: „Das Naturrecht […] von dem Naturzustande eines Naturmenschen […] ableiten zu
Theodor Anton Heinrich von Schmalz, Das natürliche Staatsrecht, Königsberg 1794, 38; ähnlich Johann Christian Gottlieb Schaumann, Kritische Abhandlungen zur philosophischen Rechtslehre, Halle 1795, 223. Schaumann (wie Fn. 53), 222 f. Hufeland (wie Fn. 48), 6. Johann Benjamin Erhard, Rez. zu Johann Christian Gottlieb Schaumann, Wissenschaftliches Naturrecht (Halle 1792), in: Würzburger gelehrte Anzeigen, 1793, Bd. 2, 743‒750, 744. Schaumann (wie Fn. 56), 148.
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wollen, ist ein zweckloses und gefährliches Unternehmen“⁵⁸. In dieser Gestalt, so Schaumann, „beschönigte und begründete das Naturrecht […] den Despotismus“⁵⁹. Folglich war für Schaumann und zahlreiche andere Autoren „der wahre Naturstand, d. h. der der Natur des Menschen […] angemeßne Stand, kein andrer als der Staat“⁶⁰. Dahinter verbarg sich die Absicht, die Rechte und Pflichten des Menschen gerade im Staat festzusetzen und damit konkrete Menschenrechte zu entwickeln, die im Staat eine größere Wirkung entfalten sollten als die für den Naturstand entwickelten Rechte im älteren Naturrecht. Schränke man nämlich die Rechte des Menschen auf den Naturstand ein, so der Rezensent der zweiten Auflage von Hufelands Naturrechtslehrbuch, lehre man „chimärische Rechte, d. h. solche, welche der Mensch in einem Stande hat, in welchem er nie leben soll“⁶¹. Auch der Theologe und Philosoph Heinrich Stephani wandte sich 1797 gegen die Auffassung, die Rechte des Menschen im herkömmlichen Stand der Natur seien Gegenstand der Wissenschaft des Naturrechts; vielmehr sei „der Menschheit Noth […] zu wissen, […] was für sie zu allen Zeiten, an allen Orten und unter allen vorkommenden Modificationen ihres Zustandes auf dieser Erde recht sey“⁶². Das Wesen des Menschen, seine „Menschheit“, sei der Naturstand, auf den das Naturrecht zu beziehen sei⁶³. Gründe man das Naturrecht darauf, „so erlangt man, was man will und noch mehr, nämlich natürliche und erwiesene Rechte, die keiner Veränderung und keinem Widerspruche unterworfen sind und welche sowohl eine gültige Norm für alle Gerichtshöfe seyn können und seyn müssen als auch ein sichrer Prüfstein für alle vorgeblichen Rechte und Ansprüche“⁶⁴. Die Umformulierung des Naturstandes diente also dem Ziel, absolut geltende Rechte des Menschen auch im Staat zu formulieren. 3. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich bereits, dass die meisten Naturrechtsautoren politische Auffassungen bekämpften, die wir heute mit einem wie auch immer aufgeklärten Absolutismus in Verbindung bringen. Zu diesem Zweck entwarfen sie, wenn auch innerhalb einer gewissen Bandbreite der Meinungen,
Johann Heinrich Abicht, Kurze Darstellung des Natur- und Völkerrechts, Bayreuth 1795, 52. Johann Christian Gottlieb Schaumann, Versuch eines neuen Systems des natürlichen Rechts, Halle 1796, 168 f. Schaumann (wie Fn. 56), 149; ähnlich Karl Ludwig Pörschke, Vorbereitungen zu einem populären Naturrechte, Königsberg 1795, 17; Heinrich Stephani, Grundlinien der Rechtswissenschaft oder des sogenannten Naturrechts, Bd. 2, Frankfurt u. Leipzig 1797, 5. Staatswissenschaftliche und juristische Literatur (wie Fn. 49), 83. Stephani (wie Fn. 60), Bd. 1, Erlangen 1797, 10. So z. B. Abicht (wie Fn. 50), 188 f. Abicht (wie Fn. 50), 189.
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ein bestimmtes Gegenmodell der Kompetenzverteilung zwischen Individuum und Staat, das wir, bei allen Unterschieden im Einzelnen, als liberale Staatslehre bezeichnen können. Das Modell beruhte auf der Vorstellung, jeder Mensch habe von Natur aus bestimmte Menschenrechte. Als Ausgangspunkt dieser Konzeption dienten Kants Hinweise auf die Heiligkeit der Person und deren Selbstzweck⁶⁵. Daraus wurden zunächst einzelne Urrechte entwickelt, u. a. das „Urrecht der Persönlichkeit“ oder „Selbständigkeit“, „Freiheit“ und „Gleichheit“⁶⁶. Um deren Formulierung im Einzelnen stritt man, desgleichen um die Bestandteile der Kataloge von weiteren Freiheitsrechten, die daraus abgeleitet wurden. Obwohl die Aufzählungen an Zahl und Inhalt stark variierten, lassen sich einige Schwerpunkte feststellen. Erstens forderten zahlreiche Autoren die Herstellung und Sicherung persönlicher Freiheit. Ist der Mensch sich selbst Zweck und hat er ein Recht auf seine Persönlichkeit, so waren Sklaverei und Leibeigenschaft nicht mehr zu rechtfertigen. Zweitens wurden Freiheitsrechte entwickelt, die dem Schutz einer Sphäre des Privaten vor Eingriffen des Staates dienen sollten, so z. B. die Freiheit der Kindererziehung. Drittens ging es um Religions- und Gewissensfreiheit. Viertens sollte ein Bereich bürgerlicher Öffentlichkeit sichergestellt werden, so u. a. durch die Forderung nach Rede- und Pressefreiheit. Fünftens sollte ein dem Individuum überlassener Bereich des Ökonomischen abgesteckt werden, u. a. durch Eigentums-, Berufs-, Handels-, und Gewerbefreiheit. Sechstens zielte die Forderung nach Gleichheit auf die gleiche Ausstattung der Bürger mit Menschenrechten im Staat und damit gegen bestimmte ständische Ungleichheiten des Ancien régime. Natürlich beschränkte sich das im Naturrecht der Zeit entworfene liberale Staatsmodell nicht auf die Aufzählung derartiger Menschen- und Bürgerrechte. Sie wurden vielmehr durch weitere Überlegungen abgesichert; darin besteht im Übrigen der Hauptunterschied zu dem Konzept von iura connata, angeborenen Rechten, im älteren deutschen Naturrecht, etwa bei Christian Wolff. Diese konnten ohne weiteres veräußert werden; so z. B. erschien es als naturrechtlich möglich, seine persönliche Freiheit durch einen entsprechenden Vertrag zugunsten von Sklaverei oder Leibeigenschaft aufzugeben. Vor allem der Staatsvertrag führte dazu, dass die angeborenen Rechte des Naturzustandes, u. a. die natürliche Freiheit und Gleichheit, prinzipiell aufgegeben wurden; die iura connata dienten offensichtlich nicht dazu, Freiheitsrechte des Untertanen im Staat zu umschreiben.
Oben Fn. 29 u. 44. Dazu und zum Folgenden Klippel (wie Fn. 17), 121– 123; ders. (wie Fn. 29), 368 – 371.
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Diese Einfalltore von Unfreiheit beseitigte das Naturrecht am Ende des 18. Jahrhunderts. Entfiel, wie wir gesehen haben, die Konzeption eines Naturstandes, so galten alle Rechte von vornherein gerade im Staat. Darüber hinaus revidierte man die Auffassung, Menschenrechte seien ohne weiteres vertraglich veräußerlich. Zwar wurde die Frage kontrovers diskutiert. Aber es ging lediglich darum, ob alle Menschenrechte unveräußerlich waren oder nur einige, und, wenn ja, ob nicht auch diese einen unveräußerlichen Kern besaßen. Darüber hinaus meinten zahlreiche Naturrechtsautoren, ein Vertrag über ein unveräußerliches Recht sei nichtig. Das sollte insbesondere für den Staatsvertrag gelten. Abgesehen von der Konzeption der Freiheitsrechte zeigt sich das liberale Staatsmodell besonders deutlich an der Formulierung des Staatszwecks. Glückseligkeit kam, wie gezeigt, als Staatszweck nicht mehr in Betracht. Stattdessen wurden Sicherung und Garantie der Freiheit, der Menschenrechte und des Eigentums als Zweck des Staates formuliert, also derjenige Staatszweck, den – wenn auch mit Modifikationen – die liberale Staatslehre des Vormärz vertrat⁶⁷.
V Die Auseinandersetzung mit Kant Während der naturrechtliche Diskurs über diese Fragen in vollem Gang war, erschienen 1795 Kants Schrift Zum ewigen Frieden und 1797 Kants Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Zwangsläufig behandelten sie auch Themen, die im Naturrecht bereits ausführlich diskutiert worden waren. Selbstverständlich nahmen die Zeitgenossen ihrerseits Stellung zu den Auffassungen Kants, teils zustimmend, vorwiegend aber äußerst kritisch. 1. Was zunächst Kants Abhandlung Zum ewigen Frieden betrifft, so wiesen mehrere Rezensenten, einschließlich Fichte, darauf hin, dass das politische Ziel eines ewigen Friedens unerreichbar, das Werk also ein schöner Traum ohne Aussicht auf Verwirklichung sei. So schrieb Ludwig Heinrich Jakob, Philosophieprofessor in Halle, 1796 in den von ihm herangegebenen Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes: „Das ganze Buch enthält lauter pia desideria mit denen sich kein vernünftiger Mann abgeben muß. Nur was ausführbar ist, darf ein kluger Mann vorschlagen. Das ist die allgemeine Stimme solcher, die sich auf den Namen praktischer Weltleute etwas zu gute thun“⁶⁸. Vor allem aber
Dazu eingehend Wohlrab (wie Fn. 51), 72– 76, 109, 146 – 157. Ludwig Heinrich Jakob, in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes 2 (1796), 436‒443, 437 f.; ähnlich Fichte (wie Fn. 5), 82; Tübingische gelehrte Anzeigen, 1796, 625‒648, 626 f., 642, 644.
V Die Auseinandersetzung mit Kant
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Kants politische Auffassungen wurden kritisiert; sie stimmten nicht recht mit den Auffassungen des zeitgenössischen Naturrechts überein. So wandte man sich gegen Kants Verteidigung des Adjektivs „göttlich“ für Herrscher⁶⁹; des weiteren gegen Kants Auffassung, dass die Demokratie von der Regierungsform her notwendigerweise despotisch sei, da sie nicht dem „Staatsprinzip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden“ entspreche, also nicht republikanisch sein könne⁷⁰. So z. B. kritisierte der Rezensent in den Gothaischen gelehrten Zeitungen Kants Gleichsetzung von „Demokratie“ und „Despotismus“: Es sei auch eine „repräsentative Demokratie“ denkbar, in der Gewaltenteilung herrsche⁷¹. Auch Kants Auffassung, Aufruhr und Revolution seien kein rechtmäßiges Mittel des Volkes, sich gegen Tyrannen zu wehren, stimmte man nicht zu. August Hennings rügte, dass die Formulierung der Frage und die Antwort unscharf seien, „und man sieht wohl, daß Kant sich scheute, deutlich zu reden“⁷². Der Göttinger Philosoph Johann Georg Heinrich Feder meinte, das von Kant aufgestellte Prinzip sei zur Beantwortung der Frage ungeeignet; es könne vielmehr das Recht zur Absetzung eines Tyrannen ausdrücklich in eine Verfassung aufgenommen worden, und es könne zur Ausübung dieses Rechts auch ein Repräsentativorgan vorgesehen sein⁷³. In anderer Beziehung allerdings setzten sich Kants Überlegungen durch. Mit dem Wegfall des Standes der Natur als Modell für die rechtliche Erfassung des Verhältnisses der Völker untereinander, also des Völkerrechts, war die Frage entstanden, worauf sich das Völkerrecht nunmehr gründen sollte. Kant sah den Naturzustand zwischen Staaten und Völkern nunmehr als vernunftwidrige und daher zu beseitigende Realität an; ähnlich wie zur Befriedung der Individuen der Staat zu gründen war, sollte zur Erreichung des ewigen Friedens jeder Staat mit jedem anderen in einen „Völkerbund“ treten. Die Naturrechtsautoren erkannten, dass Kant dadurch eine Lücke in ihren Systemen füllte und fügten dem Kapitel „Völkerrecht“ in ihren Lehrbüchern noch einen Abschnitt zum „ewigen Frieden“ an⁷⁴. August Hennings, in: Der Genius der Zeit 7 (1796), 128‒144, 135 f.; Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung, 1796, Bd. 2, 409‒415, 412. Allgemeine Literatur-Zeitung, 1796, Bd. 2, 57‒60, 58; Gothaische gelehrte Zeitungen, 1796, 140‒ 150, 142 f.; Fichte (wie Fn. 5), 87. Gothaische gelehrte Zeitungen (wie Fn. 70). Hennings (wie Fn. 69), 143; vgl. Gothaische gelehrte Zeitungen (wie Fn. 70), 148 f. Johann Georg Heinrich Feder, in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1796, Bd. 1, 77‒ 79, 78 f.; vgl. den anonymen Aufsatz: An den Herausgeber der Beiträge, in: Beyträge zur Geschichte der französischen Revolution 6 (1796), 385‒395, 389 – 391, 392 f. So z. B. Johann Adam Bergk, Untersuchungen aus dem Natur-, Staats- und Völkerrechte mit einer Kritik der neuesten Konstitution der französischen Republik, Leipzig 1796, 198‒208; Rüdiger
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2. Die Meinungen über Kants Metaphysische Anfangsgründen der Rechtslehre waren ebenfalls geteilt. Einerseits wurde das Buch als „Meisterwerk“ bezeichnet, das alle bisherigen Naturrechtssysteme übertreffe⁷⁵, vor allem aber ganz anders ausgefallen sei, als Kants Anhänger erwartet hätten⁷⁶. Der Rezensent in der Oberdeutschen allgemeinen Literatur-Zeitung meinte, jedem Urheber eines philosophischen Systems gehe es so, dass seine Anhänger häufig gegen dessen Sinn verstoßen, und er beschrieb die Entwicklung des kantianischen Naturrechts vor dem Buch von Kant wie folgt: Wenn der große Philosoph „zuweilen in seinem philosophischen Gange Halt macht, so schwärmen die hastigen Köpfe seines Gefolges voraus, wagen sich auf Nebenpfade, die ihr Führer noch nicht gebahnt hatte, und verlieren die Hauptstrasse aus den Augen“⁷⁷. Andererseits glaubte man zahlreiche Widersprüche zu entdecken⁷⁸ und kritisierte durchweg die Ergebnisse von einzelnen von Kant behandelten Streitfragen. Kants Argumentation wurde dabei mit den naturrechtlichen Auffassungen der Zeit konfrontiert, so z. B. die Beurteilung der naturrechtlichen Gültigkeit von Testamenten⁷⁹ und des Bücher-
(wie Fn. 20), 367 f., Wilhelm Traugott Krug, Aphorismen zur Philosophie des Rechts, Bd. 1, Leipzig 1800, 168‒170; Karl Heinrich Gros, Lehrbuch der philosophischen Rechtswissenschaft oder des Naturrechts, Tübingen 1802, 252; Anton Thomas, Lehrbuch der natürlichen Rechtswissenschaft, Frankfurt a. M. 1803, 271 f. Allgemeine Literatur-Zeitung, 1797, Bd. 2, 529‒544, 529 (Rez. Nr. 2); Jacob Sigismund Beck, Commentar über Kants Metaphysik der Sitten. Erster Theil, welcher die metaphysischen Principien des Naturrechts enthält, Halle 1798, IV. Bergk (wie Fn. 7); Stephani (wie Fn. 60), Bd. 1, Erlangen 1797, XXVIII f.; Hugo (wie Fn. 20), 50: „Kant wich so sehr von dem ab, was seine angeblichen Schüler gelehrt hatten, daß manche von diesen noch jetzt gar nicht begreifen können, was ihr Herr und Meister lehre, oder warum er es thue“; Rez. zu Georg Samuel Albert Mellin, Marginalien und Register zu Kants metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre. Zu Vorlesungen (Jena u. Leipzig 1800), in: Critisches Archiv der neuesten juridischen Literatur, 1801, Bd. 1, 407‒414, 410. Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung, 1797, Bd. 1, 1041‒1067, 1041 f. (Rez. Nr. 14). Neueste critische Nachrichten, 1797, 137‒141 u. 147‒150, 140 (Rez. Nr. 13); ähnlich [Friedrich Bouterwek], in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1797, 265‒276, 274 (Rez. Nr. 10); Heinrich Stephani, Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre, Erlangen 1797, 76 – 78; [Johann Christoph Schwab], in: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, 1804, Bd. 4, 297‒308 (Rez. Nr. 23): Kants Rechtslehre „fehlt […] die strenge systematische Form einer Wissenschaft: und sie enthält vielleicht noch mehr unrichtige, unerwiesene, inconsequente, und ungereimte Behauptungen“ als die Tugendlehre. [Ludwig Heinrich Jakob], in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes 3 (1797), 13‒58, 38 (Rez. Nr. 4); [Bouterwek] (wie Fn. 78), 274 f.; Neueste critische Nachrichten (wie Fn. 78), 148; Rez. zu Erläuternde Anmerkungen (wie Fn. 1), in: Neueste critische Nachrichten, 1799, 244‒245, 245 (Rez. Nr. 20); Juristische Literatur-Zeitung 1 (1799/1800), 75‒78, 77 f. (Rez. Nr. 19). – Zur zeitgenössischen Diskussion vgl. Diethelm Klippel, Familie versus Eigentum. Die naturrechtlich-
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nachdrucks⁸⁰, der Grundsatz „Kauf bricht Miete“⁸¹ sowie die Ausführungen zur Ehe⁸², zum Verhältnis Eltern-Kinder⁸³ und zum Verhältnis Herr-Diener⁸⁴. Bei den drei zuletzt genannten Rechtsverhältnissen führte Kant ein auf dingliche Art persönliches Recht ein, das als „ganz neue Erfindung“ ironisch gewürdigt und allgemein abgelehnt wurde⁸⁵; auch im weiteren Verlauf der Geschichte der
rechtsphilosophischen Begründungen von Testierfreiheit und Familienrecht im 18. und 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germ. Abt. 100 (1984), 117‒168. [Jakob] (wie Fn. 79), 36 f.; Neueste critische Nachrichten (wie Fn. 78), 148. – Zur Nachdruckdiskussion vgl. Diethelm Klippel, Die Idee des geistigen Eigentums in Naturrecht und Rechtsphilosophie des 19. Jahrhunderts, in: Historische Studien zum Urheberrecht in Europa. Entwicklungslinien und Grundfragen, hrsg. v. Elmar Wadle (Berlin 1993), 121‒138; jetzt ausführlich Ulrike Andersch, Die Diskussion über den Büchernachdruck in Deutschland um 1700 bis 1815, Tübingen 2018 (zu Kant 398 – 403). [Bouterwek] (wie Fn. 78), 274; Neueste critische Nachrichten (wie Fn. 78), 148; Rez. zu Erläuternde Anmerkungen (wie Fn. 1), in: Juristische Literatur-Zeitung (wie Fn. 79), 76; [Dietrich Tiedemann], Rez. zur 2. Aufl. (wie Fn. 1), in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 49 (1800), 1. Stück, 93‒ 99, 97 (Rez. Nr. 25). [Jakob] (wie Fn. 79), 33 f.; [Bouterwek] (wie Fn. 78), 272 f.; [Dietrich Tiedemann], in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 42 (1799), 28‒53, 37 f. (Rez. Nr. 10); Neueste critische Nachrichten (wie Fn. 78), 148; [Friedrich Bouterwek], Rez. zu Erläuternde Anmerkungen (wie Fn. 1), in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1799, 1197‒1200, 1199 f. (Rez Nr. 17); [Christian Gottfried Schütz], Rez. zur 2. Aufl. (wie Fn. 1), in: Allgemeine Literatur-Zeitung, 1799, Bd. 3, 201‒208, 204– 206 (Rez. Nr. 22); [Tiedemann] (wie Fn. 81), 94– 96; [Friedrich Bouterwek], Rez. zu Rüdiger (wie Fn. 20), in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1799, 2008: Kants Eherecht sei eine „spielende Künsteley“. – Zur naturrechtlichen Ehetheorie Dieter Schwab, Die Familie als Vertragsgesellschaft im Naturrecht der Aufklärung, in: ders., Geschichtliches Recht und moderne Zeiten. Ausgewählte rechtshistorische Aufsätze, Heidelberg 1995, 179‒195. [Jakob] (wie Fn. 79), 34 f.; [Bouterwek] (wie Fn. 78), 272; [Karl Ludwig Wilhelm von Grolman], in: Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde, 1797, 123‒141, 138 f. (Rez. Nr. 5); [Schütz] (wie Fn. 82), 206; [Tiedemann] (wie Fn. 81), 96. – Zur naturrechtlichen Diskussion Dietrich Berding, Elterliche Gewalt, Kindesrechte und Staat im deutschen Naturrecht um 1800, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 22 (2000), 52‒68; Diethelm Klippel, Elterliche Gewalt und Kindesrechte im deutschen Naturrecht des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für Dieter Henrich, hrsg. v. Peter Gottwald u. a., Bielefeld 2000, 371‒384; Harald Sing, Die personenrechtliche Gewalt über das eheliche Kind im 18. und 19. Jahrhundert, Konstanz 1999. [Bouterwek] (wie Fn. 78), 272; [Schütz] (wie Fn. 82), 206; [Tiedemann] (wie Fn. 81), 95 f. [Dietrich Tiedemann], in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 42 (1799), 28‒53, 37 (Rez. Nr. 10); vgl. [Bouterwek] (wie Fn. 78), 272: „das neue Phänomen am juristischen Himmel“; ders., Rez. zu Erläuternde Anmerkungen (wie Fn. 1), in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1799, 1197‒1200, 1198 f. (Rez. Nr. 17); [Schütz] (wie Fn. 82), 204: „witzig ersonnene Paradoxie“, die aber auch in den Erläuterungen Kants nicht überzeuge; [Tiedemann] (wie Fn. 81), 94– 97.
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Diethelm Klippel: Kant im Kontext
Rechtsphilosophie setzte es sich nicht durch⁸⁶. Insgesamt spiegeln die Rezensionen eine gewisse Enttäuschung der Zeitgenossen über Kants Auffassungen wider. Auf besonders heftige Ablehnung stießen Kants straf- und staatsrechtliche Theorien. Heinrich Stephani schrieb 1797 zu Kants Strafzwecklehre, die auf Wiedervergeltung abstellte: „Bei dieser Stelle war es, wo wir herzlich erschrocken sind. […] Der Irrthum eines viel geltenden Mannes […] wird viele hundert Menschen zum Tode befördern“⁸⁷. Stephani gab damit die Meinung fast aller Zeitgenossen wieder⁸⁸. Das Unbehagen an der Staatslehre Kants drückten viele Rezensenten dadurch aus, dass sie darin „mehr eine Sammlung einzelner Bemerkungen, als ein wissenschaftliches System“ sahen, so die Oberdeutsche allgemeine Literatur-Zeitung ⁸⁹. Auch die Auffassungen Kants im Einzelnen wurden kritisiert, so insbesondere seine Ausführungen zu den Rechten und Pflichten des Herrschers und der Untertanen und die Ablehnung eines Widerstandsrechts⁹⁰. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ließ die Kritik an Kant nicht etwa nach, sondern verschärfte sich noch. Eine Sammelrezension von Julius Friedrich Heinrich Abegg u. a. zum philosophischen Strafrecht polemisierte aufs Heftigste gegen Kant und dessen Rechtsphilosophie: Er zeige Scharfsinn bei den Grundprinzipien, aber bei deren Anwendung „beklagenswürdige Proben der Altersschwäche, Unkunde des status quaestionis, ja eine gedrängte Zahl von Willkührlichkeiten und klaren Inconsequenzen“. Insbesondere in seinen strafrechtlichen Grundsätzen seien „Verwirrung des Verstandes“ und „Altersschwäche“ erkennbar; es werde „die Wissenschaft unter uns wieder um 100 Jahre zurückgebracht“⁹¹. Kants Rechtslehre sei „das monströseste seiner Werke“⁹². Eine
Dazu Diethelm Klippel, Der Lohnarbeitsvertrag in Naturrecht und Rechtsphilosophie des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Geschichtliche Rechtswissenschaft. Ars tradendo innovandoque aequitatem sectandi, hrsg. v. Gerhard Köbler u. a., Gießen 1990, 161‒184, 176 f. Stephani (wie Fn. 78), 116. Allgemeine juristische Bibliothek, 1797, Bd. 3, 145‒168, 165 f. (Rez. Nr. 1); [Grolman] (wie Fn. 83), 124– 133; Neueste critische Nachrichten (wie Fn. 78), 150; [Bouterwek] (wie Fn. 78), 276. Rez. zu Gregor Leonhard Reiner, Allgemeine Rechtslehre nach Kant. Zu Vorlesungen (Landshut u. Augsburg 1801), in: Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung, 1801, Bd. 2, 209‒216, 211; ähnlich z. B. die Rez. zu Kants Rechtslehre, in: Allgemeine juristische Bibliothek (wie Fn. 88), 167. Allgemeine juristische Bibliothek (wie Fn. 88), 167; [Jakob] (wie Fn. 79), 47– 53; [Bouterwek] (wie Fn. 78), 276; Gothaische gelehrte Zeitungen, 1797, Bd. 1, 420‒423, 425‒432 u. 437‒439 (Rez. Nr. 8), 438; [Schütz] (wie Fn. 82), 208; vgl. Rez. zu Beck (wie Fn. 75), in: Tübingische gelehrte Anzeigen, 1798, 521‒527, 526 f. Julius Friedrich Heinrich Abegg, Abhandlung über die neueste Bearbeitung des Criminalrechts und der Strafgesetzgebung, in: Leipziger Literaturzeitung, 1805, 1‒30 u. 177‒198, 4 f.; vgl. auch Rez. zu Daniel Christoph Reidenitz, Naturrecht (Königsberg 1803), in: Tübingische gelehrte
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Bestandsaufnahme der philosophischen Rechtslehre aus dem Jahre 1808 meinte, Kant sei insbesondere der damalige Zustand der philosophischen und positiven Rechtslehre unbekannt gewesen⁹³. Zwar wurden die Verdienste Kants und sein Einfluß auf den Stand der Rechtsphilosophie anerkannt; aber man solle aufhören, das als vollkommen auszugeben, was mangelhaft sei; seine Anhänger „sollen mit ihrem ewigen Commentiren und Epitomiren den freyen Fortschritt der Wissenschaften nicht aufhalten; sie sollen sich nicht mit jämmerlichem Gekrächze auf diejenigen werfen, die sich einen andern Weg durch den Wald hauen, als den die Heerstrasse darbietet“⁹⁴. Dementsprechend stießen die immerhin neun Kommentare und Erläuterungswerke zu Kants Rechtslehre⁹⁵ auf wenig Zustimmung bei den Rezensenten⁹⁶. Bezeichnenderweise fand dagegen ein Werk von Heinrich
Anzeigen, 1803, 581‒584, 581 f.: Bei Kant beklage man sich „wohl nicht ohne Grund, über einen oft unnüzen Aufwand von Tiefsinn, über falschen blos schimmernden Wiz, über Dunkelheit und Schwerfälligkeit in der Verknüpfung der Gedanken“ sowie über „Sonderbarkeiten und falsche Spizfindigkeiten“. Abegg (wie Fn. 91), 4; zustimmend: Ueber den gegenwärtigen Zustand der philosophischen Rechtslehre, in: Neue Leipziger Literaturzeitung, 1808, Bd. 3, 1937‒1944, 1943. Ueber den gegenwärtigen Zustand (wie Fn. 92). Ebd. Neben Beck (wie Fn. 75), Bergk (wie Fn. 7), Mellin (wie Fn. 76) und Stephani (wie Fn. 78) sind dies: Gottlob Benjamin Jäsche, Grundlinien der Moralphilosophie oder der philosophischen Rechtsund Tugendlehre nach Kants Metaphysik der Sitten zum Gebrauch für seine Zuhörer entworfen, Dorpat 1804; Johann Georg Nehr, Kritik über die metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre des Herrn Immanuel Kant, Nürnberg 1798; [Johann Christoph Schwab], Neun Gespräche zwischen Christian Wolff und einem Kantianer über Kants metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre und der Tugendlehre. Mit einer Vorrede von Friedrich Nicolai, Berlin u. Stettin 1798; Konrad Stang, Darstellung der reinen Rechtslehre von Kant zur Berichtigung der vorzüglichsten Misverständnisse derselben, Frankfurt u. Leipzig 1798; Johann Heinrich Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen über das Privat und öffentliche Recht zur Erläuterung und Beurtheilung der metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre vom Herrn Prof. Imm. Kant, 2 Bde., Halle 1797 u. 1798. – Siehe auch die im vorliegenden Band in Teil VI abgedruckte Bibliographie. Vgl. z. B. Rez. zu Beck (wie Fn. 75), in: Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde, 1799, 105‒107: Die Kommentare seien überflüssig; [Dietrich Tiedemann], in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 43 (1799), 352‒357, 357: Es sei auf einen Kommentar zum Kommentar zu hoffen; Tübingische gelehrte Anzeigen, 1798, 521– 527: Das Original sei teils verständlicher als der Kommentar, und es fehle an einer kritischen Prüfung Kants; ähnlich: Revision der Literatur für die Jahre 1785 – 1800 in Ergänzungsblättern zur Allgemeinen Literatur-Zeitung 1 (1801), Bd. 1, 505‒508, 505 f.; Rez. zu Tieftrunk (wie Fn. 95), in: Revision der Literatur für die Jahre 1785 – 1800 in Ergänzungsblättern zur Allgemeinen Literaturzeitung 1 (1801), Bd. 1, 529‒531; Rez. zu Mellin (wie Fn. 76), in: Juristische Literatur-Zeitung 2 (1800/1801), 429‒436, 429: Das Werk habe keinen Nutzen für die Wissenschaft, da es zur Erläuterung, Bekräftigung oder Berichtigung der Gedanken Kants nichts beitrage. Vgl. auch Thomas (wie Fn. 74), 21: Thomas weist auf den „geringen Gewinn […] durch solche Wortaufhellungen vor die Wissenschaft“ hin.
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Diethelm Klippel: Kant im Kontext
Stephani, das sich als kritische Richtigstellung Kants verstand, lobende Rezensionen⁹⁷, desgleichen das Naturrechtslehrbuch des Königsberger Philosophen Daniel Christoph Reidenitz, der die auf Kant beruhende Rechtslehre für seine Vorlesungen verfaßt hatte: Die Sprache des Buches, das in vielen Teilen, besonders im Strafrecht und im Eherecht, von Kant abwich, sei „annehmlicher und brauchbarer […], als in dem Original selbst“⁹⁸. 3. Weshalb aber, so ist zu fragen, fand das Werk Kants eine derartig, um es vorsichtig auszudrücken, zurückhaltende Aufnahme? Der Schlüssel für die Antwort liegt darin, dass die Grundlagenüberlegungen Kants kaum auf Widerspruch stießen, umso mehr dagegen viele Details. Dementsprechend konnte sich Schmalz als „Lehrling“ Kants bezeichnen und trotzdem zahlreiche Auffassungen in den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre ablehnen⁹⁹. Allenthalben wußte man, dass der neuerliche Aufschwung des Naturrechts ohne die Philosophie Kants nicht möglich gewesen wäre; dennoch wandte man sich vehement gegen zahlreiche seiner Lehren im philosophischen Staats-, Straf- und Privatrecht. Man könnte daran denken, dass lediglich die Juristen unter den Naturrechtsautoren Kant ablehnten. Einige Bemerkungen in juristischen Naturrechtslehrbüchern deuten in diese Richtung. So z. B. meinte Schmalz, ein Jurist übersehe im Naturrecht vieles besser als ein Philosoph¹⁰⁰. Jedoch kritisierten auch und gerade Philosophen heftig Kants Lehren¹⁰¹. Unterschiede zwischen Juristen und Philosophen lassen sich insofern kaum erkennen. Einige Reaktionen legen es nahe, an politische Gründe für die Ablehnung bestimmter Auffassungen Kants zu denken. In der Tat spielte dies eine Rolle. Die meisten Kantianer vertraten eine liberale Staatslehre; gerade im Allgemeinen Staatsrecht teilten sie einige Auffassungen Kants nicht. Allerdings reicht diese Überlegung aus zwei Gründen nicht als Erklärung aus: Erstens unterschieden sich viele Ansichten Kants nicht von denjenigen der meisten Kantianer. Zweitens
Wie Fn. 60 u. 62; z. B. Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde, 1797, Bd. 1, 145‒153; [Dietrich Tiedemann], in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 42 (1799), 91‒98; kritisch dagegen Paul Johann Anselm Feuerbach, in: Allgemeine Literatur-Zeitung, 1798, Bd. 3, 347‒360; Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes 3 (1797), 568‒583. Rez. zu Reidenitz (wie Fn. 91), in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 86 (1804) 97‒99; vgl. Tübingische gelehrte Anzeigen, 1803, 581‒584, 581: Die Vorlage (Kants Rechtslehre) habe durch das Werk sehr gewonnen. Theodor Anton Heinrich von Schmalz, Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers. Ein Commentar über das reine Natur- und natürliche Staatsrecht, Königsberg 1798, III. Ebd., IV. So u. a. Bouterwek, Stephani und Tiedemann.
V Die Auseinandersetzung mit Kant
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umfaßt die liberale Staatslehre der Zeit ein breites Spektrum von politischen Überzeugungen, in das auch Kant eingeordnet werden kann. Entscheidend dürfte sein, dass Kant mit seiner Rechtslehre in einen hochentwickelten naturrechtlichen Diskurs sozusagen hineinplatzte. Es ist nicht zu übersehen, dass bereits vor den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre das Naturrecht erfolgreich philosophisch neubegründet und als Disziplin zur Diskussion politischer und rechtlicher Grundsatzfragen etabliert worden war; auch die Zeitgenossen waren sich, das ergibt sich aus einigen der zitierten Bemerkungen, dessen bewußt. All dies hatte sogar dazu geführt, dass sich naturrechtlich beeinflußte oder naturrechtliche Nebendisziplinen gebildet hatten, in denen sich Spezialdiskurse entwickelt hatten, so z. B. die sog. Criminalpsychologie¹⁰², die Gefängniskunde¹⁰³ und vor allem das Allgemeine Staatsrecht¹⁰⁴, das sog. natürliche oder philosophische Strafrecht¹⁰⁵ und das natürliche Privatrecht¹⁰⁶. In allen diesen Disziplinen hatten sich ebenso wie im Naturrecht allgemein ein bestimmter Diskussionsstand, ein Kanon von Problemen und Argumenten, man könnte sagen, eine bestimmte Sprache gebildet. Kant beherrschte diese Sprache nicht mehr. Deshalb wirkten seine Auffassungen antiquiert; einzelne Rezensenten meinten – nicht zu Unrecht –, er habe den im Naturrecht erreichten Meinungsstand nicht zur Kenntnis genommen¹⁰⁷. Zwar waren die gemeinsamen philosophischen Grundlagen vorhanden, und darüber ließ sich – da das Spektrum der von den Kantianern vertretenen Ansichten ohnehin breit war – ohne weiteres diskutieren. Aber Kants Argumentation und Ergebnisse in heiß umstrittenen Einzelfragen des natürlichen Staats-, Straf- und Privatrechts bewegten sich außerhalb des Erwarteten und allgemein Akzeptierten.
Dazu Ylva Greve, Naturrecht und „Criminalpsychologie“, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 22 (2000), 69‒94; dies., Verbrechen und Krankheit. Die Entdeckung der „Criminalpsychologie“ im 19. Jahrhundert, Köln u. a. 2004. Dazu Thomas Nutz, Strafanstalt als Besserungsmaschine. Reformdiskurs und Gefängniswissenschaft 1775‒1848, München 2001; ders., Strafrechtsphilosophie und Gefängniskunde. Strategien diskursiver Legitimierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 22 (2000), 95‒110. Dazu z. B. Michael Stolleis, Die Allgemeine Staatslehre im 19. Jahrhundert, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert. Kontinuität – Inhalt – Funktion – Wirkung, hrsg. v. Diethelm Klippel, Goldbach 1997, 3‒18. Dazu die Beiträge von Naucke, Seelmann, Kühl und Amelung, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert (wie Fn. 104). Dazu Diethelm Klippel, Das „natürliche Privatrecht“ im 19. Jahrhundert, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert (wie Fn. 104), 221‒250. – Diese und andere Schwerpunkte des Naturrechtsdiskurses lassen sich bibliographisch leicht nachweisen, vgl. oben Fn. 19. So vor allem Abegg (wie Fn. 91), 3 f.; ferner oben bei Fn. 93.
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All dies erklärt auch den Erfolg seiner Schrift Zum ewigen Frieden, obwohl auch hier die staatsrechtlichen Auffassungen auf Ablehnung stießen: Die theoretischen Grundlagen Kants und der zeitgenössischen Naturrechtler stimmten überein, und Kant löste ein Problem des philosophischen Völkerrechts – wie dieses nämlich ohne das herkömmliche Modell des Standes der Natur fortbestehen könne.
VI Naturrecht als politische Theorie und Rechtsquelle Die bisherigen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Am Ende des 18. Jahrhunderts fand ein ausgedehnter naturrechtlich-rechtsphilosophischer Diskurs statt. Zwei von dessen Schwerpunkten lagen auf Grundsatzfragen naturrechtlichen Denkens und Problemen des Allgemeinen Staatsrechts. 2. Der Diskurs war die Antwort auf eine Krise des Naturrechts um 1780, in der grundlegende Theoreme des Naturrechts in Frage gestellt wurden und der Versuch unternommen wurde, das Naturrecht neu zu begründen. 3. Die Neubegründung erfolgte unter Berufung auf die kritische Philosophie Kants, und zwar mehrere Jahre vor dessen rechtsphilosophischen Werken. 4. Die Neubegründung des Naturrechts am Ende des 18. Jahrhunderts enthielt daneben Antworten auf politische Fragen der Zeit. Die Begriffe „aufgeklärter Absolutismus“ und „liberale politische Theorie“ beschreiben eine Bruchlinie im politischen Denken der Zeit: Während und nach der Französischen Revolution verloren die vorwiegend auf Legitimation der politischen Ambitionen des aufgeklärten Absolutismus gerichteten Auffassungen des herkömmlichen Naturrechts an Überzeugungskraft; sie wurden durch neue, meist liberale Lehren ersetzt. 5. Kants Schrift Zum ewigen Frieden löste das Problem der Neubegründung eines philosophischen Völkerrechts und wurde trotz der Ablehnung einzelner staatsrechtlicher Auffassungen Kants daher als gelungener Beitrag zum Naturrechtsdiskurs akzeptiert. 6. Die Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre stießen auf erheblich stärkere Vorbehalte, da Kants Werk antiquiert wirkte, weil er insbesondere in den naturrechtlichen Einzeldisziplinen, vor allem im Allgemeinen Staatsrecht und im philosophischen Strafrecht, die Diskurssprache nicht mehr beherrschte. Diese Thesen erklären die Geschichte des Naturrechts am Ende des 18. Jahrhunderts im Wesentlichen aus dem Zusammenhang der politischen Theorie. In der Tat
VI Naturrecht als politische Theorie und Rechtsquelle
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spielte das Naturrecht eine erhebliche Rolle sowohl in der theoretischen Begründung als auch in der Abwehr der Reformen und der theoretischen Grundlagen des aufgeklärten Absolutismus und der Revolutionszeit, nicht zuletzt übrigens auch in der Gesetzgebung. Dennoch bleibt ein Rest von Erklärungsbedarf, warum gerade im Naturrecht so erbittert um rechtliche und politische Fragen gestritten wurde. Eine Antwort auf diese Frage verlangt, dass wir uns von der heutigen Vorstellung lösen, naturrechtliches Denken sei eine besondere, nicht von allen Juristen und Philosophen geteilte Art des rechtsphilosophischen Denkens, und das Naturrecht sei vom geltenden, positiven Recht streng zu unterscheiden. Diese Vorstellung trifft nämlich für das 18. Jahrhundert gerade nicht zu: Das Naturrecht erhob den Anspruch, Rechtsquelle zu sein, des näheren als subsidiär anwendbares Recht zu gelten; dies war zwar nicht unbestritten, wurde aber weit überwiegend anerkannt¹⁰⁸. Inzwischen ist nachgewiesen, dass naturrechtliche Quellen demzufolge selbst in der Rechtspraxis eine solche Rolle spielten, etwa in Ständestreitigkeiten in den deutschen Territorien¹⁰⁹, in Untertanenprozessen¹¹⁰ und in der Spruchtätigkeit der deutschen Juristenfakultäten¹¹¹. Daneben galt das Naturrecht auch „als Kanon alles positiven Rechts, als Probirstein jedes positiven Staatsrechts“, wie es der Göttinger Philosoph Johann Gottlieb Buhle ausdrückte, d. h. als Maßstab für die Überprüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit des positiven Rechts¹¹².
Jan Schröder, „Naturrecht bricht positives Recht“ in der Rechtstheorie des 18. Jahrhunderts? In: Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift für Paul Mikat, hrsg. v. Dieter Schwab u. a., Berlin 1989, 419 – 433, 428. Zur Verwendung von Argumenten aus dem Arsenal des ius publicum universale bzw. des Allgemeinen (also naturrechtlichen) Staatsrechts vgl. Raingard Eßer, Landstände und Landesherrschaft, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 23 (2001), 177– 194; ferner Barbara StollbergRilinger, Vormünder des Volkes? Konzepte landständischer Repräsentation in der Spätphase des Alten Reiches, Berlin 1999. Dazu Winfried Schulze, Der bäuerliche Widerstand und die „Rechte der Menschheit“, in: Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, hrsg. v. Günter Birtsch, Göttingen 1981, 41– 56, 53 – 56. Thomas Cornelius Kischkel, Das Naturrecht in der Rechtspraxis. Dargestellt am Beispiel der Spruchtätigkeit der Gießener Juristenfakultät, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 22 (2000), 124– 147; ders., Die Spruchtätigkeit der Gießener Juristenfakultät. Grundlagen – Verlauf – Inhalt, Hildesheim u. a. 2016, 335 – 397. Johann Gottlieb Buhle, Lehrbuch des Naturrechts, Göttingen 1798, 211; ähnlich Schaumann (wie Fn. 56), 51 f.; Karl Heinrich Heydenreich, Grundsätze des natürlichen Staatsrechts und seiner Anwendung, nebst einem Anhange staatsrechtlicher Abhandlungen, Bd. 1, Leipzig 1795, 9; Karl Ludwig Pörschke, Vorbereitungen zu einem populären Naturrechte, Königsberg 1795, IV; Karl
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Diethelm Klippel: Kant im Kontext
Als Rechtsquelle und als mehr oder minder wirksamer Maßstab für positive Gesetze beanspruchte das Naturrecht aber eine noch stärkere Wirkungskraft denn als politische Theorie. Gerade darin lag die juristische und politische Brisanz der im Naturrecht vertretenen Lehren, zumal, da sie zumeist liberale Auffassungen enthielten. Daraus erklärt sich auch, weshalb, mit Anfängen am Ende des 18. Jahrhunderts, die Autorität des Naturrechts zunehmend in Frage gestellt und sogar an die Abschaffung naturrechtlicher Lehrstühle gedacht wurde¹¹³. Aber dies führt bereits zu einem anderen Thema, nämlich dem Weiterleben des Naturrechts im Vormärz.
VII Literatur Adickes, Erich: Bibliography of Writings by and on Kant which have appeared in Germany up to the end of 1887, in: The Philosophical Review. Supplements, 1893 (Nachdruck New York 1964). Amelung, Knut: J. M. F. Birnbaums Lehre vom strafrechtlichen „Güter“-Schutz als Übergang vom naturrechtlichen zum positiven Rechtsdenken, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert. Kontinuität – Inhalt – Funktion – Wirkung, hrsg. v. Diethelm Klippel, Goldbach 1997, 269 – 291. Andersch, Ulrike: Die Diskussion über den Büchernachdruck in Deutschland um 1700 bis 1815, Tübingen 2018. Berding, Dietrich: Elterliche Gewalt, Kindesrechte und Staat im deutschen Naturrecht um 1800, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 22 (2000), 52‒68. Bluntschli, Johann Caspar: Geschichte der neueren Staatswissenschaft, 3. Aufl., München 1881. Dann, Otto: Kants Republikanismus und seine Folgen, in: Denken und Umsetzung des Konstitutionalismus in Deutschland und anderen europäischen Ländern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hrsg. v. Martin Kirsch u. Pierangelo Schiera, Berlin 1999, 125‒143. DeVos, Lu: Kants „Zum ewigen Frieden“ und Fichtes Rezension, in: Proceedings of the Eighth International Kant Congress, Memphis, 1995, Vol. 2, Part 1, hrsg. v. Hoke Robinson, Milwaukee 1995, 883‒892. Dietze, Anita u. Walter Dietze: Nachwort: Verlauf, Höhepunkte und Ergebnisse der deutschen Friedensdiskussion um 1800, in: Ewiger Friede? Dokumente einer deutschen Diskussion um 1800, München 1989.
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Diethelm Klippel: Kant im Kontext
Vorlesungsverzeichnisse der Universität Königsberg (1720‒1804), Bd. 1, hrsg. v. Michael Oberhausen u. Riccardo Pozzo, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999. Wohlrab, Klaus: Armut und Staatszweck. Die politische Theorie der Armut im deutschen Naturrecht des 18. und 19. Jahrhunderts, Goldbach 1997. Wolzendorff, Kurt: Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt, Breslau 1916.
Dieter Hüning: Kants Rechtslehre und ihre Rezeption in den zeitgenössischen Rezensionen I Die Vorgeschichte der Rechtslehre von 1797 Die in dem hier vorgelegten Band enthaltenen insgesamt 27 zeitgenössischen Rezensionen zu Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre verweisen − neben den kurz nach Erscheinen der Rechtslehre publizierten einschlägigen Kommentaren¹ − auf das außerordentliche Interesse des Publikums an dieser Spätschrift Kants. Die Publikation im Jahre 1797 hatte allerdings eine lange Vorgeschichte. Die ersten Ankündigungen einer ‚Metaphysik der Sitten‘ stammen aus den sechziger Jahren. In einem Brief an Herder vom 9. Mai 1768 schreibt Kant: „Ich arbeite jetzt an einer Metaphysik der Sitten wo ich mir einbilde die augenscheinlichen und fruchtbaren Grundsätze imgleichen die Methode angeben zu können wornach die zwar sehr gangbare aber mehrenteils doch fruchtlose Bemühungen in dieser Art der Erkenntnis eingerichtet werden müssen wenn sie einmal Nutzen schaffen sollen“.² Auch nach der Veröffentlichung seiner beiden moralphilosophischen Grundlegungsschriften − der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft − hatte Kant das Erscheinen seiner Metaphysik der Sitten, die das ausgeführte System seiner praktischen Philosophie umfassen sollte, mehrfach angekündigt³, aber war an ihrer Vollendung u. a. durch die Arbeiten an der dritten Kritik, der Kritik der Urteilskraft, sowie durch die Auseinandersetzungen mit den Zeitgenossen über das Verhältnis von Theorie und Praxis gehindert worden. Die von Kant im Jahre 1797 veröffentlichte Druckfassung der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre lässt nicht erkennen, wie schwierig und windungsreich für Kant der Weg zur Drucklegung seiner Naturrechtslehre war. Aufgrund unserer Kenntnis der Vorarbeiten zur Rechtslehre und der Vorlesungsnachschriften wissen wir heute vergleichsweise gut über ihren Entstehungsprozess informiert. Auf einen Aspekt dieses Entstehungsprozesses soll hier näher eingegangen werden. Er betrifft das Ungleichgewicht, das in der Rechtslehre zwischen dem einzigen angeborenen Recht der Freiheit als „Unabhängigkeit von eines an-
Siehe dazu die Bibliographie der Kantkommentare und weiterer zeitgenössischer Quellen in diesem Band (oben S. 255 – 260). Kants Schriften werden zitiert nach der Akademie-Ausgabe (im Folgenden abgekürzt als AA). Immanuel Kant, Briefwechsel, AA X: 74. Weshalb Daniel Jenisch in seinem Brief an Kant vom 14. Mai 1787 erklären konnte: „alles sieht nur mit Sehnsucht ihrer Metaphysik der Sitten entgegen“ (Kant, Briefwechsel, AA X: 486). https://doi.org/10.1515/9783110702996-032
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dern nöthigender Willkür“ (Rechtslehre, AA VI: 237) und der Theorie der erworbenen Rechte, die das natürliche Privatrecht bzw. die Lehre vom äußeren Mein und Dein behandelt, besteht. Zwar bildet die Unterscheidung „in das angeborene und erworbene Recht“ die „Obereintheilung“ der Rechtslehre, aber es handelt sich − wie Kant ausführt − um „zwei dem Inhalte nach äußerst ungleiche […] Glieder[…]“. Wegen ihres geringen Umfangs wird die Abhandlung über das angeborene Recht bzw. das innere Mein und Dein „in die Prolegomenen“ verlagert, während im ersten Teil der Rechtslehre, d. h. im Privatrecht, „bloß […] das äußere Mein und Dein“ abgehandelt wird (Rechtslehre, AA VI: 237 f.). Eine systematische Darstellung des Begriffs der Rechtsperson und der Persönlichkeitsrechte (z. B. der Unverletzlichkeit des Körpers) fehlt deshalb in der Rechtslehre ⁴, weshalb schon Dietrich Tiedemann in seiner Rezension zu der Ansicht gelangt, Kant habe eine „in Rücksicht der inneren Einrichtung des Gebäudes“ seiner Rechtslehre „eine von allen bisherigen [Versuchen] ganz abweichende Gestalt“ gegeben.⁵ Soweit wir dies den sog. Vorarbeiten bzw. den einschlägigen Vorlesungsnachschriften entnehmen können, war diese Verkürzung des Privatrechts auf die Lehre vom äußeren Mein und Dein ein Ergebnis einer Schwerpunktverlagerung, die Kant unter dem Eindruck der empiristischen Leugnung einer naturrechtlich fundierten Eigentumstheorie vollzogen hat. Denn noch zu Beginn der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts stand für Kant die Frage nach dem Stellenwert des inneren Mein und Dein als Sicherung des Rechts der Persönlichkeit gegen die Willkür ihres empirischen Trägers bzw. die Frage nach dem Verhältnis des ‚Rechts der Menschheit in unserer eigenen Person‘ und des ‚Rechts der Menschen‘ im Vordergrund seiner Überlegungen. Entsprechend hatte Kant in seiner Vorlesung über die Metaphysik der Sitten im Wintersemester 1793/94 die „prinzipielle Vorordnung“⁶ des Rechts der Menschheit in unserer eigenen Person gegenüber dem Recht der Menschen (des inneren gegenüber dem äußeren Mein und Dein) hervorgehoben. Das Recht der Menschheit bildet systematisch den ‚obersten Punkt‘ der Rechtsbegründung. Denn die „Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person, oder die Rechte und Pflichten gegen das Selbst“ lassen sich „nicht anders als die höchsten gedenken, da sie von der Menschheit selbst unmittelbar dictirt sind, davon aber nur mittelbar die Rechte der Menschen gegen andere Menschen
Vgl. hierzu schon Wilhelm Metzger, Gesellschaft, Recht und Staat in der Ethik des Deutschen Idealismus, Heidelberg 1917. Rez. Nr. 10, S. 33. Hariolf Oberer, Honeste vive. Zu Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA 06, 236, 20 – 30, in: Sabine Doyé, Marion Heinz u. Udo Rameil (Hrsg.), Metaphysik und Kritik. Festschrift für Manfred Baum zum 65. Geburtstag, Berlin u. Boston 2004, S. 203 – 213, hier S. 207.
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abhängen.“⁷ In einer Bemerkung, die im Band XXIII der Akademie-Ausgabe von Gerhard Lehmann m. E. fälschlicherweise den Vorarbeiten zur Tugendlehre zugeschlagen worden ist, macht Kant selbst auf den systematisch fundamentalen Status des Rechts der Menschheit in unserer eigenen Person aufmerksam: Das Recht der Menschheit in unserer Person gehört also noch nicht in die Tugendlehre[,] weil sie [es muß wohl heißen: weil es, D. H.] auch nicht verlangt[,] daß die Idee der Pflicht gegen sich selbst zugleich die Triebfeder der Handlungen sey: Es ist aber die oberste Bedingung aller Pflichtgesetze[,] weil das Subject sonst aufhören würde[,] ein Subject der Pflichten (Person) zu seyn und zu Sachen gezählt werden müßte. Wenn also die Befugnis über Gegenstände nach Willkühr zu verfügen das Recht überhaupt heißt[,] so wird die [Befugnis, D. H.] über seine eigene Person durch das Recht der Menschheit in uns selbst eingeschränkt seyn[,] welchem wir keine Abbruch thun dürfen und dessen Hochachtung nicht zur Tugendlehre[,] sondern zur Rechtslehre als bloße Einschränkende Bedingung gehört (Vorarbeiten zur Tugendlehre, AA XXIII: 390).
Einen entsprechenden Hinweis hat Kant seinen studentischen Zuhörern auch in der Vorlesung über die Metaphysik der Sitten bezüglich des Aufbaus der geplanten Rechtslehre gegeben, denn es heißt in der Vigilantius-Nachschrift: Der Anfang der künftigen Abhandlung wird und muß nun von den Pflichten gegen sich selbst gemacht werden, von diesen wird zu den Pflichten gegen andere übergegangen, wornach endlich dann erst von den Pflichten gegen Gott gehandelt werden kann (V-MS/ Vigil, AA XXVII: 586).⁸
Dass also das Recht der Menschheit in unserer eigenen Person bzw. die Pflichten gegen sich selbst in der Pflichtenlehre an oberster Stelle stehen, ist seit Beginn der neunziger Jahre eine ständig von Kant betonte Einsicht. Kant war sich bewusst, So die Äußerung Kants nach der Vorlesungsnachschrift Metaphysik der Sitten Vigilantius, AA XXVII: 579 f. Kant verweist an dieser Stelle auf Hutcheson und auf den „Prediger Krugot“ [recte Martin Crugot] als Autoren, welche die „Existenz der Rechte gegen uns selbst“ geleugnet hätten. Als Grund für diese Leugnung bezeichnet Kant das „von ihnen angenommene Moralprincip, nämlich eigene Glückseligkeit und Mitwirkung zum Wohl anderer“, das keine Grundlage für Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person bilden könne. Vgl. auch die Vorlesungsnachschrift Moralphilosophie Collins, AA XXVII: 340, wo Wolff als Vertreter einer derartigen Lehre genannt wird. Auch in Kants Pädagogik wird „Crugott“ als einer derjenigen genannt, welche „die Lehre von den Pflichten gegen sich selbst […], ganz übersehen oder falsch erklärt“ hätten (Kant, Pädagogik, AA IX: 489). Der Herausgeber Gerhard Lehmann (in seiner Erläuterung zu dieser Stelle, AA XXVII: 1135) sieht hierin eine Antizipation des Anfangs der geplanten Tugendlehre, was nicht zu überzeugen vermag, weil unmittelbar vor der zitierten Passage ausdrücklich von den Rechten der Menschheit die Rede ist.
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dass er mit der Aufwertung der Rolle der Pflichten gegen sich selbst rechtsphilosophisches Neuland betritt.⁹ Diese Einschätzung scheint auf den ersten Blick fragwürdig zu sein, weil im Rahmen der klassischen Einteilung der naturrechtlichen Pflichten die Pflichten gegen sich selbst neben den Pflichten gegen andere und gegen Gott immer schon Thema moralphilosophischer Reflexion waren − es genügt im Hinblick auf diese Gliederung ein Blick in Pufendorfs wirkungsmächtiges und weitverbreitetes Lehrbuch De officio hominis atque civis. Aber Pufendorf hatte wie die übrigen Naturrechtslehrer des 17. Jahrhunderts in seiner Pflichtenlehre noch nicht strikt zwischen moralischen und juridischen Pflichten (bzw. unvollkommenen und vollkommenen Pflichten) unterschieden. Dementsprechend behaupten die älteren Naturrechtslehrer zwar „zwangsmäßig durchsetzbare Rechte und suchen z.T. nach einem Prinzip der diesen Rechten korrespondierenden Pflichten, aber keiner von ihnen fragt auch nur nach dem Grund dafür, daß im Bereich dieser Rechte und Pflichten gezwungen werden kann“.¹⁰ Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts tritt die Frage, was überhaupt rechtlich erzwungen werden kann, in den Mittelpunkt des systematischen Interesses, wie die zahlreichen einschlägigen Stellungnahmen verdeutlichen.¹¹ Da diese Debatte entlang der Frage nach den Grenzen rechtlich möglichen Zwangs verlief, waren die meisten Naturrechtstheoretiker davon überzeugt, dass es zwar zwangsfähige Pflichten gegen andere gäbe, dagegen aber die Pflichten gegen sich selbst kein Objekt möglichen Zwangs sein können und daher die Rechtslehre nur die (erzwingbaren) äußeren Pflichten gegen andere zum Gegenstand habe. Auch Kant selbst war lange der Überzeugung, dass die Pflichten gegen sich selbst zur Ethik (im engeren Sinne) und nicht zum Jus gehören. Schließlich gelangte er jedoch zu der Auffassung, dass innere Rechtspflichten existierten, die bewirken, dass ein Mensch im Hinblick auf seine eigene Person keinen beliebigen Gebrauch von seiner freien Willkür machen könne, es also innere Rechtspflichten gebe, die auf dem Recht der Menschheit in unserer eigenen Person beruhen.¹² Dennoch hat
Im Brief an Johann Benjamin Erhard vom 21. Dez. 1792 spricht Kant davon, dass die „Pflichten gegen sich selbst […] in meiner unter den Händen habenden Metaphysik der Sitten […] besonders, und auf andere Weise als wohl sonst geschehen, bearbeitet werden“ sollen (Kant, Briefwechsel, AA XI: 399). Gertrud Scholz, Das Problem des Rechts in Kants Moralphilosophie, phil. Diss. Köln 1972, S. 232. Vgl. hierzu Dieter Hüning, „Diese sehr auffallende Verschiedenheit unter unsern Pflichten“. Johann Georg Sulzers Versuch, Recht und Moral zu unterscheiden, in: Frank Grunert u. Gideon Stiening (Hrsg.), Johann Georg Sulzer (1720 – 1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 285 – 307. Eine gute Übersicht über den Entwicklungsgang der Lehre Kants gibt Gau-Jeng Ju, Kants Lehre vom Menschenrecht und von den staatsbürgerlichen Grundrechten, Würzburg 1990.
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Kant dieses Thema der Rechtspflichten gegen sich selbst (bzw. des inneren Mein und Dein) in der Rechtslehre von 1797 nur ganz stiefmütterlich behandelt. Wohl thematisiert Kant in einem Abschnitt der Einleitung das angeborene Freiheitsrecht − „Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willkür)“ (Rechtslehre, AA VI: 237 f.) − und betont, dass hier der Mensch „nach seiner Menschheit, als von physischen Bestimmungen unabhängiger Persönlichkeit (homo noumenon) vorgestellt“ wird. Und auch darauf, dass der Mensch „der Menschheit in seiner eigenen Person verantwortlich ist“ und deshalb zwar „sein eigener Herr (sui iuris)“ ist, aber nicht auch „Eigenthümer von sich selbst (sui dominus)“ (Rechtslehre, AA VI: 237 f., 270) sein kann, wird von Kant mehrfach hingewiesen. Aber eine systematische Darstellung der Persönlichkeitsrechte, die aus dem inneren Mein und Dein resultieren, hat Kant − wie schon angeführt − nicht geliefert. Diese Leerstelle der Druckfassung der Rechtslehre scheint mir darin begründet zu liegen, dass sich Kants rechtsphilosophisches Interesse aufgrund der Reaktionen auf seinen Gemeinspruchaufsatz deutlich verlagerte. Wir sind durch einen Brief Friedrich Schillers an Johann Benjamin Erhard vom 26. Oktober 1794 darüber informiert, daß die Begründung des Eigentums ein Thema war, das Kant zu dieser Zeit intensiv beschäftigte: Die Ableitung des Eigentumsrechts ist jetzt ein Punkt, der sehr viele denkende Köpfe beschäftigt, und von Kanten selbst höre ich, sollen wir in seiner Metaphysik der Sitten etwas darüber zu erwarten haben. Zugleich höre ich aber, daß er mit seinen Ideen darüber nicht mehr recht zufrieden sey, und deßwegen die Herausgabe vor der Hand unterlassen habe.¹³
Der Grund für Kants Versuch einer neuartigen naturrechtlichen Begründung des Eigentums lag in der Behauptung seiner rechtsempiristischen Gegner, eine solche Begründung sei unmöglich. Insbesondere die Replik von August Wilhelm Rehberg auf den Gemeinspruchaufsatz veranlasste Kant dazu, seine bisherigen eigentumstheoretischen Auffassungen zugunsten einer Neubegründung der Lehre des äußeren Mein und Dein aufzugeben. Die im Bd. XXIII der Akademie-Ausgabe dokumentierten Vorarbeiten zum Privatrecht geben anschauliche Hinweise für die Zitiert nach Wolfgang Kersting: Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie. Mit einer Einleitung zur Taschenbuchausgabe 1993: Kant und die politische Philosophie der Gegenwart, Frankfurt a. M. 1993, S. 225. Leider verrät uns Schiller nicht, wer genau ihm diese Information übermittelt hat. Die Formulierung „von Kanten selbst höre ich“ könnte den Eindruck erwecken, Kant selbst sei die Quelle gewesen. − Im Band XXIII der Akademie-Ausgabe finden sich dementsprechend zahlreiche Entwürfe, die Lehre des äußeren Mein und Dein betreffend, die sämtlich aus der Mitte der neunziger Jahre stammen, so dass auch hierin ein Indiz für den Anstoß, den Rehbergs Kritik Kant gegeben hatte, zu sehen ist.
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intensive gedankliche Arbeit Kants. Die angesprochene Schwerpunktverlagerung − vom inneren zum äußeren Mein und Dein − verdient eine ausführlichere Darstellung. Schon vor dem Erscheinen der Rechtslehre hatte der Gemeinspruchsaufsatz Kants aus dem Jahre 1793 eine lebhafte Debatte um das Verhältnis von apriorischer Rechtstheorie und erfahrungsgestützter Rechtspraxis ausgelöst. Die prominenten Kritiker August Wilhelm Rehberg und Friedrich Gentz hatten Kants apriorischen Begründungsanspruch bzw. die Reichweite von dessen Geltung in Frage gestellt und deshalb die Relativierung der auf Prinzipien a priori beruhenden Vernunftrechtslehre durch „eine neue Theorie aus der Erfahrung“ gefordert.¹⁴ Rehberg verfasste für die Berlinische Monatsschrift eine Replik auf Kants Aufsatz Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, die zu Beginn des Jahres 1794 erschien.¹⁵ Rehberg bestritt darin insbesondere, dass eine apriorische bzw. naturrechtliche Begründung des Privateigentums überhaupt möglich sei. Rehberg weist zwar zunächst den „gewöhnliche[n] Einwurf gegen die Gültigkeit der Theorie moralischer Wissenschaften, daß sie doch nie recht in der Welt befolgt werde“, als auf einem „Mißverständnis“ beruhend, zurück und macht Kant das vordergründige Kompliment, dass er den Nachweis erbracht habe, das höchste Sittengesetz gelte „unabhängig von aller Erfahrung“.¹⁶ Aber diese Zustimmung zum kantischen Projekt ist nur der Auftakt zu den kritischen Fragen im Hinblick auf den Umfang und die „Zulänglichkeit“ von Kants Moralphilosophie, ob sich die Antwort auf diese Fragen „aus dem höchsten und evidenten Grundgesetze der Sittlichkeit ableiten läßt“.¹⁷ Rehberg behauptet, bei der „Anwendung
Die Auseinandersetzung zwischen Kant auf der einen und Gentz und Rehberg auf der anderen Seite ist dokumentiert in: Dieter Henrich (Hrsg.), Kant – Rehberg – Gentz. Über Theorie und Praxis, Frankfurt a. M. 1967. Der Band enthält neben Kants Gemeinspruchaufsatz die Rezension von Friedrich Gentz, Nachtrag zu dem Räsonnement des Herrn Professor Kant über das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis [1793], S. 89 – 111, sowie die Rezension von August Wilhelm Rehberg, Über das Verhältnis der Theorie zur Praxis, S. 113 – 130. Zu Rehbergs Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution bzw. mit Kants Ethik und Rechtsphilosophie vgl. Ursula Vogel, Konservative Kritik an der bürgerlichen Revolution. August Wilhelm Rehberg, Darmstadt u. Neuwied 1972; Eberhard Günter Schulz, Rehbergs Opposition gegen Kants Ethik. Eine Untersuchung ihrer Grundlagen, ihrer Berücksichtigung durch Kant und ihrer Wirkungen auf Reinhold, Schiller und Fichte, Köln u. Wien 1975; Vanda Fiorillo, A=B: Mannigfaltigkeit versus Gleichschaltung in der konservativen Aufklärung August Wilhelm Rehbergs, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 12 (2011), S. 155 – 194; Reidar Maliks, Kant’s Politics in Context, Oxford 2014, bes. S. 39 ff. Rehberg (wie Fn. 14), S. 117. Ebd., S. 116.
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[des Sittengesetzes, D. H.] auf die Handlungen der Menschen“ entstünden erstens „Schwierigkeiten, nicht gegen die Gültigkeit, aber über die Zulänglichkeit und Vollständigkeit jenes evidenten Prinzips in der Anwendung“. So könne das Sittengesetz zwar „als Regel zur sittlichen Beurteilung der Entschließungen der Menschen“ betrachtet werden, aber aus dieser Funktion ließe sich noch „keine objektive Bestimmung menschlicher Handlungen, auf welche ein System von einzeln bestimmten Pflichten gebaut werden könnte“, folgern. Das Sittengesetz fordere nur die „durchgängige Übereinstimmung aller Zwecke“, aber damit einzelne Pflichten bestimmt werden könnten, müsse zu diesem bloß formalen Prinzip „etwas Empirisch Erkanntes hinzukommen“.¹⁸ Ein weiterer Kritikpunkt Rehbergs betrifft zweitens Kants Auffassung von der rechtlichen Gleichheit der Menschen und die daraus resultierende Ansicht, der Mensch sei „keine Sache, mithin nicht etwas, das bloß als Mittel gebraucht werden“ könne, sondern er müsse „bei allen seinen Handlungen jederzeit als Zweck an sich selbst betrachtet werden“.¹⁹ Diese angebliche Behauptung Kants erklärt Rehberg schlichtweg für falsch: Die Vernunft allein ist, als Zweck für sich, heilig. Der Mensch aber nur, insofern er von seiner Vernunft wirklich beherrscht wird und die Anwendung seiner Kräfte sein eignes unabhängiges Eigentum bleiben muß, um seiner Vernunft (und Sittlichkeit) in dieser Selbstbeherrschung nicht zu nahe zu treten. Alle übrige Anwendung seiner Kräfte ist nur Werkzeug zu beliebigen Zwecken, und gleich der übrigen Natur, als Mittel den Absichten jedes vernünftigen Wesens unterworfen. Der Mensch ist also zugleich eine Sache, die bloß als Mittel gebraucht werden kann. Die äußere Freiheit […] kommt daher auch nur der praktischen Vernunft, dem vernünftigen Willen des Menschen zu.²⁰
Drittens bezweifelt Rehberg, ob eine − auf Prinzipien a priori beruhende – Begründung des Eigentums möglich sei. Denn „ein System äußrer vollkommener Rechte“ ließe sich „aus dem Prinzip, daß die Vernunft in der Menschheit durchaus als Zweck für sich selbst“ behandelt werden müsse, nur unter der Voraussetzung ableiten, „daß einem jeden vernünftigen und freien Wesen ein sinnlicher Stoff zugegeben sei, eine Materie, durch welche es sich andern offenbaren und mitteilen kann, so wie es will. Dieser materielle Stoff muß ursprüngliches und un-
Ebd., S. 117 f. Ebd., S. 119. Ebd., S. 122. Es war genau diese Passage, die Kant als Ausdruck von Rehbergs „schon entschiedener Wahl der zunehmenden Parthey“ deutete und deshalb eine Replik für „vergeblich“ hielt, s. Kant, Briefwechsel, AA XI: 496.
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bedingtes Eigentum jeder vernünftigen Person sein“.²¹ Rehberg hält einen derartigen Nachweis der „Möglichkeit, ein unbedingtes Eigentum zu erwerben“, für die „erste Aufgabe, auf deren Auflösung das ganze Naturrecht, in seiner Anwendung auf die wirkliche Welt, beruhet […]“. Aber er sieht hierin zugleich die Schranke des Vernunftrechts, denn „[e]in solches aus Prinzipien a priori erweisliches vollkommenes Eigentum würde ein metaphysisch vollkommenes Eigentum voraussetzen. Ein solches existiert aber in unserer Welt nirgend“. An die Stelle der metaphysischen muss nach Rehberg die empiristische Begründung des Eigentums treten: „der erste Ursprung vollkommenen Eigentums läßt sich daher nur durch freiwillige Verabredung denken“.²² Rehberg wiederholt mit diesen Kritikpunkten in der Replik auf Kants Gemeinspruch-Aufsatz nur Positionen, die er schon in seinen Untersuchungen über die Französische Revolution, in denen er seine diversen Einzelrezensionen von Schriften über die Französische Revolution zusammengefasst hatte, formuliert hatte. Auch in den Untersuchungen hatte er betont, dass zum einen die Gesetze der Vernunft „durchaus nicht hinlänglich sind, Gesetze der bürgerlichen Gesellschaft abzuleiten“, und dass zum anderen „die Rechtmäßigkeit des Eigenthums an einer Sache, welche die Natur nicht mit mir verbunden hat, […] sich auf keine Weise aus der bloßen Vernunft darthun“ ließe. An dieser theoretischen Schwierigkeit hätten sich die Naturrechtslehrer bisher vergeblich abgearbeitet, aber sie hätten sie nie vollkommen befriedigend auflösen können. Das wird auch niemals geschehen, denn es ist unmöglich, daß jemals ein solcher Beweis [für einen Rechtsanspruch, ‚daß dieser Boden auf dem beyde stehen, einem eher als dem andern gehöre‘] geführt werde. Vielmehr läßt sich diese Unmöglichkeit beweisen.²³
Rehberg verweist im Hinblick auf die Frage des ursprünglichen Erwerbs auf die verbreitete Ableitung der „Rechtmäßigkeit des Eigenthums aus dem unstreitigen und unleugbaren Eigenthume der Kräfte […], die daran verwandt worden sind“. Diese seit John Locke übliche und z. B. auch von Rousseau vertretene Eigentumsbegründung hält er allerdings für unzulänglich, weil diese von einem Individuum angewandten Kräfte Rehberg (wie Fn. 14), S. 121 f. – Vanda Fiorillo weist mit Recht darauf hin, dass sowohl die Behauptung der rechtlichen Gleichheit wie auch die Annahme eines ursprünglichen Eigentumsrechts zu den „ideologischen Grundpfeilern der französischen revolutionären Theorie“ gehören: Fiorillo (wie Fn. 15), S. 155, 173 f. Rehberg (wie Fn. 14), S. 122 f. August Wilhelm Rehberg, Untersuchungen über die Französische Revolution nebst kritischen Nachrichten von den merkwürdigsten Schriften, welche darüber in Frankreich erschienen sind, 1. Theil, Hannover u. Osnabrück 1793, S. 13.
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nie schaffen, nie etwas herbringen, sondern nur bearbeiten [können]. An der Form der Dinge läßt sich also ein Eigenthum beweisen: aber niemals an der Materie. Nun existiert nirgends Form ohne eine Materie: und die Grundsätze des Naturrechts, welche in der Abstraktion ganz evident und demonstrativ sind, können daher in dieser evidenten Reinheit auf die wirkliche Welt nicht ganz genau angewendet werden: der menschliche Verstand muß allemal zu Hilfe kommen, und durch die positive Gesetzgebung das für recht erklären, worin nach blos natürlichen Gesetzen allemal etwas fehlt.²⁴
Dies sei ein Punkt gewesen, der selbst von Rousseau erkannt worden sei, weil er es nicht gewagt habe, das „Eigenthum aus reinen Natur- und Vernunftgesetzen abzuleiten“, sondern im Contrat social seinen Ursprung ausdrücklich in die bürgerliche Gesellschaft verlegt habe. Wir wissen aus einem Antwortschreiben Kants an den Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift, Johann Erich Biester, vom 10. April 1794, dass er Rehbergs Abhandlung zur Kenntnis genommen hat. Biester hatte zuvor Kant darüber informiert, dass im „Februarstück dies. Jahrs, welches hoffentlich bald erscheint“, ein Aufsatz von Rehberg zu finden sei, der zwar „in Manchem ganz“ von Kant abweichen würde, der aber dennoch „gut u. gedacht geschrieben“ sei (Biester an Kant, 4. März 1794, Briefwechsel, AA XI: 491). Deshalb wünscht er, dass Rehbergs Einwände für Kant „eine Veranlassung würde, Sich über manches noch ausführlicher zu erklären“. Aber Kant hat Biesters „inakzeptable[r] Zumutung“,²⁵ er möge auf Rehbergs Kritik antworten, eine entschiedene Absage erteilt. Und der Ton, mit dem er Biesters Ansinnen in seinem Antwortschreiben vom 10. April 1794 zurückweist, macht seinen Unwillen deutlich: Hrn. Rehberg’s Abhandlung ist mir nur gestern zu Handen gekommen, bey deren Durchlesung ich fand: daß, für den unendlichen Abstand des Razionalismus vom Empirism (!) der Rechtsbegriffe, die Beantwortung seiner Einwürfe zu weitläufig, bey seinem Princip des auf Macht gegründeten Rechts der obersten Gesetzgebung zu gefährlich, und, bey seiner schon entschiedenen Wahl der zunehmenden Parthey […] vergeblich seyn würde […]. Hr. Rehberg will den eigentlichen Juristen (der in der Waage der Gerechtigkeit der Schaale der Vernunftgründe noch das Schwerdt zulegt) mit dem Rechtsphilosophen vereinigen, wo es dann nicht fehlen kann, daß jene so gepriesene der Theorie zur Zulänglichkeit (dem Vorgeben nach, aber eigentlich um jener ihre Stelle zu vertreten) so nothwendige Praxis nicht in Praktiken ausschlage. In der That enthält auch eine solche Schrift das Verbot, schon in sich dawieder etwas zu sagen (Briefwechsel, AA XI: 496 f.).
Ebd., S. 14. Peter Weber, Kant und die „Berlinische Monatsschrift“, in: Dina Emundts (Hrsg.), Immanuel Kant und die Berliner Aufklärung, Wiesbaden 2000, S. 77.
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Obwohl Kant seinem Kritiker Rehberg nicht direkt antworten wollte, erkannte er in dessen rechtsphilosophischem Empirismus und in dessen Leugnung der Möglichkeit, das Privateigentum rein rational zu begründen, eine zentrale Herausforderung seiner eigenen Rechtsphilosophie. Alle Überlegungen Kants zur Begründung des äußeren Mein und Dein in den Vorarbeiten stammen aus der Zeit nach 1794.
II Erwartungshorizont und Enttäuschung − Reaktionen auf die Publikation der Rechtslehre im Jahre 1797 Von diesem langwierigen Entstehungsprozess der Rechtslehre und der Schwerpunktverlagerung, die ihre Konzeption im Laufe der Jahre erfuhr, konnten weder die Zeitgenossen noch die Rezensenten etwas wissen. Ebenso wenig war ihnen deutlich, dass die Abfassung der neuen Theorie des äußeren Mein und Dein in der empiristischen Kritik einen konkreten Anlass hatte. Umso größer waren die Erwartungen, welche die Zeitgenossen mit Kants Rechtslehre verbanden, wie dies auch in den vorliegenden Rezensionen und den einschlägigen Kommentaren zur Rechtslehre zum Ausdruck kommt: Noch nie war wol das philosophische Publikum auf ein versprochenes Buch begieriger, als auf dieses, welches schon vor einigen Jahren unsre Wünsche, den Besitz desselben zu erlangen, gerade in dem Augenblick getäuscht hatte, als wir der Realisirung derselben völlig gewiß zu seyn glaubten. Es ist zu erwarten, daß dieses Buch, da es nun endlich erschienen ist, sowol von den Freunden, als auch den Gegnern der Kantischen Philosophie werde verschlungen werden, und es mag allerdings sehr interessant seyn, die Sensation zu beobachten, die es nothwendig bey beiden, vorzüglich aber bey den letztern, verursachen muß.²⁶
Auch die Rezension aus den Neuen gelehrten Anzeigen spricht von einer „begierig erwarteten“ Schrift.²⁷ Die Rezension der Neuen nürnbergischen gelehrten Zeitung redet von einem „neue[n] Stockwerk“, das „auf das große Gebäude der kritischen Philosophie gesetzt worden“ sei.²⁸ Johann Daniel Ernst Parow, der (vermutliche) Rezensent der Neuesten critischen Nachrichten, ist der Ansicht, dass mit der
Karl Ludwig Wilhelm Grolman, in: Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde [Rez. Nr. 5, S. 123 f.] – Im Folgenden wird bei den Rezensionen zu Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre jeweils auf die Nummer der Rezension in dieser Edition verwiesen; die Seiten- bzw. Spaltenzahlen beziehen sich auf die Fundstellen im Original, die aus der Edition erschlossen werden können. Rez. Nr. 11, S. 101. Rez. Nr. 12, S. 161.
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Rechtslehre „[d]er von dem philosophischen Publikum so oft geäußerte Wunsch, daß der berühmte Stifter der neuen critischen Philosophie, sich noch selbst entschließen möchte, die durch seine vorigen Schriften vorbereitete Metaphysik der Sitten zu bearbeiten, […] wenigstens einem wichtigen Theile nach, in Erfüllung“ gegangen sei.²⁹ Gottlieb Hufeland spricht in der Allgemeinen Literatur-Zeitung von „der Bekanntmachung des Einen Meisterwerks [der Rechtslehre, D. H.], das nach so vielen Versuchen einer kritisch seyn sollenden Bearbeitung dieser Wissenschaft endlich erschienen ist“.³⁰ Diese Erwartungshaltung entspringt auch aus dem Gefühl, dass sich die Naturrechtslehre in einer Krise befindet, die nach einem systematischen Neubeginn verlangt.³¹ So waren die klassischen Lehrstücke der Naturrechtslehre − die Konzeptionen des Naturzustandes bzw. des Gesellschaftsvertrags − entweder, wie im Falle der Naturzustandskonzeption, historisch umgedeutet worden oder als ahistorische Fiktionen verworfen worden. Der Rezensent der Oberdeutschen allgemeinen Literaturzeitung assoziiert Kants rechtsphilosophische Innovation mit dem Zeitalter der Revolution: Gewiß ist gegenwärtiges Decennium an Revolutionen aller Art ungleich reicher, als je eines in den Jahrbüchern der Menschengeschichte. Und bey einer so allgemeinen und heftigen Gährung fehlt es denn auch nicht an Männern, die die Bewunderung ihres Zeitalters sind; fehlt es nicht an Thaten und Geistesproducten, die allgemeine Aufmerksamkeit erregen.³²
Manfred Riedel hat mit Blick auf das „Urteil des zeitgenössischen Lesepublikums“ über Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts von einer „mißlungene[n] Rezeption“ gesprochen. Die begrifflichen Innovationen Hegels − Riedel nennt die Unterscheidung von Moralität und Sittlichkeit, von bürgerlicher Gesellschaft und Staat, wozu noch Hegels Versuch einer Synthese von (apriorischer) Rechtstheorie und (empirischer) Staatswissenschaft gezählt werden kann − stießen bei den Zeitgenossen „auf Unverständnis oder [wurden] in ihrer theoretischen Relevanz verkannt“.³³ Stattdessen dominierten die kontroversen politischen Einschätzungen des Hegelschen Werkes. Nach dem Diktum des Hegel-Schülers von Thaden sei Hegel abwechselnd verschrien „als royalistischer Philosoph und als philosophischer Royalist, − daher ist ein Teil des wackeren Buches eine philosophisch-
Rez. Nr. 13, S. 137. Rez. Nr. 2, Sp. 529. Diethelm Klippel, Kant im Kontext. Der naturrechtliche Diskurs um 1800, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2001, München 2001, S. 77– 107 [auch in diesem Band, S. 263 – 296]. Rez. Nr. 14, Sp. 1041. Manfred Riedel, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1975, S. 17, 20.
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Dieter Hüning: Kants Rechtslehre und ihre Rezeption
historische Streitschrift geworden“.³⁴ Vergleichbares ließe sich − trotz der erwähnten Erwartungshaltung − von der Rezeption der Rechtslehre Kants sagen. Denn trotz der Vielzahl der zeitgenössischen Rezensionen werden deren rechtsphilosophische Innovationen nur im geringen Umfang zur Kenntnis genommen. Einer der Gründe hierfür liegt sicherlich darin, dass Kant selbst die leitenden Intentionen seiner Rechtsphilosophie bestenfalls andeutet, aber sich ansonsten in der Rechtslehre über die Stellung seiner eigenen Schrift zu den aktuellen Debatten in Sachen Naturrecht ausschwieg und die zentralen Streitpunkte dieser Debatten − wie die Frage der Ableitbarkeit von Rechtsnormen aus dem kategorischen Imperativ − nicht thematisierte. Gerade im Hinblick auf das zuletzt genannte Problem hatte es schon vor dem Erscheinen der Metaphysik der Sitten unter den Anhängern der Kritischen Philosophie eine intensive Diskussion über das Verhältnis der Rechtslehre zu Kants Ethik und insbesondere über die Ableitbarkeit des Rechtsgesetzes aus dem Sittengesetz gegeben. Erstaunlich ist, dass bei den zeitgenössischen Rezensenten die vielleicht bedeutsamste Innovation der kantischen Rechtstheorie nur eine untergeordnete Rolle spielt − nämlich die strikte Formalisierung des Rechtsbegriffs durch Abstraktion von allen materialen Bestimmungsgründen, so dass alle geläufigen materialen Rechtsprinzipien (Glückseligkeit, bonum commune, Vollkommenheit usw.) obsolet werden. Durch das Rechtsgesetz wird der freie Gebrauch der Willkür nur der Form nach bestimmt, während die Materie der Willkür bzw. die jeweiligen Zwecke der Handlungen bloßer Gegenstand des subjektiven Beliebens sind. Der Grund dieser Beschränkung der Willkür der Form nach und bloß zu dem Zweck, diese Freiheit der Willkür zu gewährleisten, liegt nach Kants Auffassung darin, dass dies das einzige Rechtsprinzip darstellt, das von jedermann notwendigerweise gewollt werden kann und muss. Dass Kant sich durch die Formalisierung des Rechtsbegriffs auf das Entschiedenste von der Tradition des Naturrechts abwendet, hat als einer der wenigen Hufeland in seiner Rezension hervorgehoben. Nach seiner Auffassung hat kaum einer der Kantianer zuvor versucht, „diesen edeln Keim eines formalen Rechtsbegriffs für sich rein zu entwickeln und zu einer Metaphysik des Rechts auszubilden“. Wenn überhaupt, dann hätten die „Besten“ unter ihnen den besagten Keim „nur in einem wilden Stamm des bisherigen eudämonistischen, allenfalls auch empirisch cosmopolitischen und daher in Bezug auf den Staat revolutionären, Naturrechts gleichsam eingeimpft, ohne durch ihn die ganz rohe, materiale Natur dieses Grundstammes umbilden und veredeln zu
Nikolaus von Thaden, Brief an Hegel, in: Manfred Riedel, Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1975, S. 76.
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können“.³⁵ Auch die Rezension in der Oberdeutschen Allgemeinen Literaturzeitung greift diesen Aspekt der Formalisierung des Rechtsbegriffs auf. Dort heißt es: Der große Denker, der es muthig gewagt hat, irgend eine neue Bahn zum göttlichen Ziele – Wahrheit – zu brechen, hat immer ein zahlreiches Gefolge von geschäftigen Begleitern bey sich, die hinter ihm daher schwärmen. Er schreitet ruhig fort auf dem königlichen Wege, schlendert wohl oft in Nebengefihlden herum; aber immer kehrt er sicher wieder auf den Hauptpfad zurück, den er allererst betreten hatte. Beliebt es ihm je zuweilen in seinem philosophischen Gange halt zu machen, so schwärmen die hastigen Köpfe seines Gefolges voraus, wagen sich auf Nebenpfade, die ihr Führer noch nicht gebahnt hatte und verlieren die Hauptstrasse aus den Augen. – Dieß ist die Geschichte eines jeden Systemes, dieß ist auch die Geschichte der kritischen Philosophie; und die Bemerkung, welche sich vorzüglich dabey machen läßt, ist wohl sicher die, daß nur der Urheber eines philosophischen Systemes, dessen Gedankengebäude nothwendig ganz vom Geiste desselben bewohnt und belebt seyn muß, allein die aufgestellten Principien auf jeden einzelnen Zweig der Philosophie richtig zu übertragen weiß, und daß hingegen die Anhänger desselben, sie mögen nun zur sogenannten strengen, oder zur freyeren Partey gehören, immer auf irgend eine Weise sich wider den Geist des Systemes, für das sie sich erklären, zu versündigen pflegen, wenn sie es wagen, eine eigene Anwendung der Principien desselben auf besondere Theorien zu machen.³⁶
Der Rezensent kommt zu dem Ergebnis, „daß bey keinem der bisher gelieferten Systeme der philosophischen Rechtslehre die rein-kritischen Principien richtig angewandt worden sind“.³⁷ Trotz der vielen Komplimente, welche die Rezensionen überwiegend ausdrückten, waren dieselben auch im Hinblick auf Kants Verortung der Rechtslehre im System der praktischen Philosophie eher verhalten. So formuliert der Rezensent der Tübingischen Gelehrten Anzeigen einen „Zweifel […], der […] dem System dieser Rechtslehre hauptsächlich entgegen zu stehen scheint“, und der die „Unabhängigkeit dieser Rechtslehre als eines vor sich bestehenden Systems“ betrifft. Der Rezensent konstatiert mit Recht, dass „die Befugnis des ausschlieslichen Besitzes, die rechtliche Möglichkeit desselben, nicht aus dem Begriffe des Rechts, nicht aus dem Axiom des Rechts“ hervorgeht. In der Tat lässt sich die Befugnis, eine äußere Sache rechtlich als das Meine zu haben, nicht aus dem bloß formalen Rechtsbegriff ableiten, sondern beruht nach Kant auf dem „rechtliche[n] Postulat der praktischen Vernunft“ (Rechtslehre, § 2, AA VI: 246 f.). Deshalb − so fährt der
Rez. Nr. 2, Sp. 529. Rez. Nr. 14, Sp. 1041 f. Rez. Nr. 14, Sp. 1042.
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Rezensent fort − steht „eine der wichtigsten Grundlehren des Rechts, auf einem Fundamente, das in dem obersten Princip der Rechtslehre nicht enthalten ist“.³⁸ Auch Kants Ausführungen über das Strafrecht und insbesondere seine Rehabilitation des jus talionis hat unter den Rezensenten Kritik hervorgerufen.³⁹ Verschiedene Aspekte dieser Begründung, aber auch die äußerst gedrängte Form der Darstellung Kants, haben schon früh z.T. heftigen Widerspruch der zeitgenössischen Leser hervorgerufen. Manche Rezensenten sahen sogar in seiner „unerhörten Theorie des Strafrechts“ – jedenfalls bei der Anwendung der juridischen Grundprinzipien – „beklagenswerte Proben der Alterschwäche, Unkunde des status quaestionis, ja eine gedrängte Zahl von Willkührlichkeiten und klaren Inconsequenzen“.⁴⁰ Der Verfasser der Rezension der Rechtslehre in der Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzeskunde, Karl Ludwig Wilhelm von Grolman, lehnt Kants Strafrechtsprinzip als strafrechtstheoretischen Rückfall in vergangene, alttestamentarische Zeiten ab: Davon bin ich freilich überzeugt, daß nur ein Princip der reinen Gerechtigkeit angemessen sey; – wer wird auch dieses bezweifeln! – aber daß dieses allein angemessene Princip das alttestamentarische der Wiedervergeltung sey, davon bin ich im geringsten nicht im Stande, den Grund anzugeben. Kant muß freilich seine guten Gründe gehabt haben, warum er jedes andre Princip verwerflich fand; allein er hat diese uns leider! nicht mitgetheilt, hat uns nicht die andern sich einmischenden Rücksichten angegeben, aus welchen ihre Unangemessenheit mit der reinen Gerechtigkeit erhellte, ja, er hat sogar vergessen, sein Princip der Wiedervergeltung zu deduciren, so daß also jeder, der nicht schon vorher Kants Meynung war,
Rez. Nr. 16, S. 318 f. Vgl. hierzu Dieter Hüning, Kants Strafrechtstheorie und das jus talionis, in: Dieter Hüning, Karin Michel u. Andreas Thomas (Hrsg.), Aufklärung durch Kritik. Festschrift für Manfred Baum zum 65. Geburtstag, Berlin 2004, S. 333 – 360. [Julius Friedrich Heinrich Abegg], Abhandlung über die neueste Bearbeitung des Criminalrechts und der Strafgesetzgebung, in: Neue Leipziger Literaturzeitung, 1. Stück, den 2. Januar 1805, 1. Theil, Sp. 1‒15, hier Sp. 3 f.: „Noch hatte Kant selbst sich über die Philosophie des Rechts, bis auf einzelne sehr unbestimmte Winke, nicht geäussert. Die Hauptursache davon war seine völlige Unkunde in der Rechtswissenschaft und dem, was in neuern Zeiten für dieselbe gethan worden war. Da aber diese Wissenschaft auf seine Lehre von ihm selbst noch nicht accomodirt worden war; so schritt er (jeder Unbefangene muss es anerkennen) mit einer, zumal bey einem so unendlich wichtigen Geschäft, nur der Schwäche des Greisses verzeihlichen Voreiligkeit zum Werke, und vollendete nach einer Vorbereitung, die ihm höchstens zur Kenntniss des Rechtssystems aus den Zeiten der Lauterbache und Ludovicis verholfen hatte, das monströseste seiner Werke, die allgemeine Rechtslehre, welche die bewundernswürdigsten Beweise eines unvergleichbaren Scharfsinnes in Darstellung der Grundprincipien; bey deren Anwendung hingegen beklagenswürdige Proben der Altersschwäche, Unkunde des status quaestionis, ja eine gedrängte Zahl von Willkührlichkeiten und klaren Inconsequenzen enthält. Nirgends haben sich indess die letzteren unverkennbarer gezeigt, als bey seiner unerhörten Theorie des Strafrechts.“
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keinen andern Grund finden kann, seine vorige Ueberzeugung aufzugeben, als Kants Auctorität.⁴¹
Der Nachvollzug der Kantischen Argumentation war den Rezensenten aber dadurch erschwert, dass sie Kants Forderung, „Gleiches mit Gleichem“ zu vergelten (Rechtslehre, AAVI: 332), mit der Verteidigung der materiellen Talion des ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘ identifizierten.⁴² Dies trifft z. B. auf den Rezensenten der Rechtslehre in der Allgemeinen juristischen Bibliothek zu: Den Grund des Strafrechts sezt der Verf. in einen categorischen Imperativ, und den Maastab der Strafe in Rücksicht auf Quantität und Qualität derselben in das Wiedervergeltungsrecht (jus talionis). Ausgedrückt ist jener Imperativ in seiner Allgemeinheit nicht; doch liegt in den angezogenen Beyspielen: wer tödtet, der mus sterben, wer den andern beschimpft, beschimpft sich selbst, der allgemeine Saz: wer ein Verbrechen begeht, mus gestraft werden, und die Strafe mus mit dem Verbrechen gleich seyn. Hier ist doch wohl der Grund des Strafrechts, das ein Gerichtshof im Staate haben soll, noch nicht erwiesen. Es ist zwar an deme, daß einer nur deswegen gestraft werden kann, weil er strafbar ist; aber in dieser ersten Bedingung der Denkbarkeit der Strafe liegt noch kein Grund der Nothwendigkeit, wenns nicht der ist: Genugthuung ist derjenige schuldig, der die allgemeine Ordnung verlezt hat; das Object der Genugthuung, das von dem Strafbaren gefordert wird, ist die Strafe an ihm, als Abhaltungsmittel für Andere von künftigen Verbrechen. Aber wie soll nun die Wiedervergeltung der Maastab seyn? Soll der Ehebrecher dis nemliche Uebel wieder an sich erfahren? Soll, wenn der Saz geboten ist: wer getödtet hat, der sterbe! derjenige nun, welcher aus Nachlässigkeit tödtet, dennoch sterben, weil er getödtet hat, wie der boshafte Mörder. Hier liegt wenigstens noch manches der Anwendbarkeit dieses Grundsazes für das Strafrecht im Wege. Hr. Kant bemerkt selbst, daß gegen das Ende des Buchs manche Abschnitte mit minderer Ausführlichkeit behandelt seyen.⁴³
Ein anderer zeitgenössischer Rezensent der Rechtslehre, Ludwig Heinrich Jakob, kritisiert Kants Ablehnung der von Grotius, Locke und ihren Nachfolgern verfochtenen naturrechtlichen Strafbefugnis.⁴⁴ Gemäß dieser Konzeption ist das jus
Rez. Nr. 5, S. 123. Ähnliche Vorwürfe gegen Kant erhebt Heinrich Stephani, Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre, Erlangen 1797, S. 117−124. Angesichts derartiger Missverständnisse hat Kant in seinen Erläuternden Anmerkungen zu den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre eine Präzisierung vorgenommen: Seine Rehabilitierung der Talion betreffe das Prinzip der Wiedervergeltung „nicht nach dem Buchstaben“, sondern bloß „der Form nach“ (Rechtslehre, AA VI: 363), weil nur in diesem Prinzip der Strafbestimmung die eigene Tat des Verbrechers (ihrer juridischen Qualität nach) durch Anwendung des „Princip[s] der Gleichheit (im Stande des Züngleins an der Wage der Gerechtigkeit)“ den angemessenen Maßstab der Bestrafung abgibt (Rechtslehre, AA VI: 332). Rez. Nr. 1, S. 166 f. Vgl. hierzu Dieter Hüning, Die Begründung des Strafrechts in der Naturrechtslehre des 17. Jahrhunderts, in: Sylvia Kesper-Biermann u. Diethelm Klippel (Hrsg.): Kriminalität in Mittelalter
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puniendi eine Kompetenz, die ursprünglich bzw. im Naturzustand im Selbsterhaltungsrecht jedes Menschen enthalten ist und erst später von diesen Einzelnen auf den Inhaber der Staatsgewalt übertragen wird. In bezug auf Kants konträre Auffassung, das Strafrecht sei „das Recht des Befehlshabers gegen den Unterwürfigen, ihn wegen seines Verbrechens mit einem Schmerze zu belegen“ (Rechtslehre, AA VI: 331), wendet Jakob in seiner Rezension in den Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes ein: Diese Erklärung setzt voraus, daß zwischen Personen, die auf dem Fusse der Gleichheit mit einander stehen, kein Strafrecht statt finde. Aber wenn dieses auch wahr wäre; so bedürfte es doch eines Beweises, welchen Rec. ungern vermißt hat. Denn das [!] im Naturstande kein Strafrecht statt finden kann, liegt weder im Begriffe dieses Rechts, noch ist es der gemeinen Vernunft zuwider. Denn wenn ein muthwilliger Bube z. B. im Naturstande einen Mann kontinuirlich neckt, und dieser giebt ihm eine Tracht Schläge dafür; so erkennt jeder dieses für eine ganz gerechte Strafe, ob der Strafende gleich dem Beleidiger sonst nichts zu befehlen hat.⁴⁵
Während also die Publikation der Rechtslehre einerseits sehnsüchtig erwartet wurde, kam sie auf der anderen Seite trotz der vielfach dokumentierten Erwartungshaltung − wie bereits Joachim Blühdorn bemerkt − „zeitlich gesehen […] zu spät“.⁴⁶ Denn viele philosophische Zeitgenossen, die sich den Innovationen der kritischen Philosophie im Allgemeinen und Kants Moralphilosophie im Besonderen verpflichtet fühlten, hatten nicht die Geduld, auf Kants Einlösung des Versprechens, endlich seine Metaphysik der Sitten zu veröffentlichen, zu warten. Ihre aus dem skizzierten Krisenbewußtsein gespeiste Ungeduld äußerte sich in diversen Naturrechtsentwürfen, die Kants wenige Andeutungen, die sich z. B. in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten fanden, zum Ausgangspunkt ihrer eigenen Konzeptionen, die eine „Revision des Naturrechts“⁴⁷ initiieren sollten, machten. Andere wiederum gingen noch weiter, indem sie auf eigene Faust ihre Naturrechtsentwürfe konzipierten, so dass schon vor dem Erscheinen der Rechtslehre im Jahre 1797 die Anhänger der kritischen Philosophie die Bibliotheken „mit keiner kleinen Zahl von Compendien des Naturrechts nach Kantischen Ideen bereicherten“.⁴⁸ Aber schon die Zeitgenossen äußerten Zweifel, ob und Früher Neuzeit. Soziale, rechtliche, philosophische und literarische Aspekte, Wiesbaden 2007, S. 77– 114. Rez. Nr. 4, Sp. 57 f. Jürgen Blühdorn, „Kantianer“ und Kant. Die Wende von der Rechtsmetaphysik zur „Wissenschaft“ vom positiven Recht, in: Kant-Studien 64 (1973), S. 363 – 394, 365. Klippel (wie Fn. 31), S. 91. Friedrich Bouterwek (AA XX: 445), Rez. Nr. 1, S. 3. Ähnlich Gustav Hugo, Lehrbuch des Naturrechts, als einer Philosophie des positiven Rechts, besonders des PrivatRechts, Berlin 1819, § 26:
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diese kantianisierenden Versuche den Vorstellungen Kants entsprechen würden. So erklärt der Rezensent der Oberdeutschen allgemeinen Literaturzeitung einerseits, er verkenne „keineswegs die Verdienste so vieler und berühmter Männer, die bisher um die Bearbeitung dieser für die Menschheit so vorzüglich interessanten Wissenschaft angenommen, sie mit vielem Fleiße und Scharfsinne behandelt, und die richtigsten und treffendsten Bemerkungen darüber dargelegt hatten“.⁴⁹ Aber der Rezensent konstatiert andererseits, „daß bey keinem der bisher gelieferten Systeme der philosophischen Rechtslehre die rein-kritischen Principien richtig angewandt worden sind“.⁵⁰ Umso größer war die Überraschung dieser selbsternannten Kantianer, als sie Kants Rechtslehre zu Gesicht bekamen, weil diese die Erwartungshaltung der Zeitgenossen nicht befriedigte. Aus dem Chor der kritischen Stimmen sei hier Gustav Hugos Einschätzung aus dem Jahre 1799 zitiert: „Kant wich so sehr von dem ab, was seine angeblichen Schüler gelehrt hatten, daß manche von ihnen noch jetzt gar nicht begreifen können, was ihr Herr und Meister lehre und warum er es tue“.⁵¹ Ähnlich lautete die Einschätzung von Johann Adam Bergk, der in seinem Kommentar zur Rechtslehre einerseits die Erwartungshaltung, andererseits die Überraschung über die Gestalt der Rechtsphilosophie Kants zum Ausdruck bringt: Es sei „natürlich“ gewesen,
„So hatte man schon eine Menge Kantianischer NaturRechte, zu deren Vermehrung besonders die Zeitereigniſſe beytrugen, ehe Kant selbst mit einem Buche dieser Art auftrat.“ − Eine zeitgenössische Übersicht über die Entwürfe der Kantianer findet man bei Ferdinand Christoph Weise, Die Grundwissenschaft des Rechts. Nebst einer Darstellung und Prüfung aller durch die kritische Philosophie veranlaßten Philosopheme über den Ursprung und das Wesen des Rechts, Tübingen 1797. ‒ Die Kant-Rezeption im 19. Jahrhundert behandelt ausführlich Joachim Rückert, Kant-Rezeption in juristischer und politischer Theorie (Naturrecht, Rechtsphilosophie, Staatslehre, Politik des 19. Jahrhunderts, in: Martyn P. Thompson (Hrsg.), John Locke und/and Immanuel Kant. Historische Rezeption und gegenwärtige Relevanz/Historical Reception and Contemporary Relevance, 1991, S. 144– 215. Rückert spricht von einer „überraschend üppigen Quellenlage“ (S. 152), betont aber zugleich, dass „der Forschungsstand zu Wirkungen Kants in der Rechtsphilosophie […] mit Recht als äußerst bescheiden“ gelte. Siehe auch die Bibliographie der Kantkommentare und weiterer zeitgenössischer Quellen in diesem Band (oben S. 255 – 260); ferner: Diethelm Klippel, Naturrecht und Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert. Eine Bibliographie. 1780 – 1850, Tübingen 2012. Rez. Nr. 14, Sp. 1042. Ebd. Zitiert nach Blühdorn (wie Fn. 46), S. 365. Ähnlich auch Hugos Einschätzung in seinem Lehrbuch des Naturrechts (wie Fn. 45), § 27: „Seine metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre […] waren in gar vielen Stücken gerade das Gegentheil von Dem, was man bisher in seinem Nahmen gelehrt hatte“.
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daß man den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre mit der größten Begierde und mit der gespanntesten Erwartung entgegen sah. Aber wie sehr wunderte man sich, als man dieses Buch nicht durchgelesen, sondern verschlungen hatte, daß es fast allenthalben das Gegentheil von dem enthielte, was man bis jezt sich unter der Rechtswißenschaft gedacht hatte!⁵²
Ein weiterer Grund für die enttäuschte Erwartungshaltung der Zeitgenossen lag sicherlich darin, dass Kants Rechtslehre in deren Augen − von der Frage der Begründung des äußeren Mein und Dein abgesehen − „inhaltlich (zu) stark durch die Tradition bestimmt“ schien.⁵³ In der Tat hatte Kant seinen Naturrechts- und Ethik-Vorlesungen lange Jahre das Naturrechtslehrbuch Johann Gottfried Achenwalls⁵⁴ bzw. die Ethik-Kompendien Gottlieb Alexander Baumgartens zugrunde gelegt und in beständiger Auseinandersetzung mit seinen ‚Leitautoren‘ seine eigene Positionen entwickelt. Als seine Rechtslehre 1797 erschien, waren die Lehrbücher Achenwalls und Baumgartens allerdings schon längst außer Gebrauch und den Zeitgenossen nicht mehr geläufig. Die neueren rechtsphilosophischen Entwicklungen − zu nennen sind hier beispielsweise Rousseaus Contrat social und Beccarias Dei delitti e delle pene − waren bei Achenwall noch nicht thematisiert worden; insofern fehlte in seinem Lehrbuch ein entsprechendes Problembewusstsein. Auf der anderen Seite schien Kant sich durch seine Behauptung der Notwendigkeit der Todesstrafe bei Mord und durch seine BeccariaKritik in der Rechtslehre von den Reformvorschlägen der kriminalpolitischen Aufklärung distanziert zu haben. Schließlich nimmt die Rechtslehre von 1797 nicht explizit zu den Bemühungen der Kantianer, das Naturrecht im Geiste der kritischen Philosophie neu zu gestalten, Stellung. Das betrifft insbesondere die Frage nach der Ableitbarkeit des Rechtsgesetzes aus dem Sittengesetz und allgemeiner betrachtet die Debatte um das Verhältnis von Recht und Ethik (im engeren Sinne). Deshalb finden sich in den Rezensionen zu diesem zuvor intensiv diskutierten Thema nur wenige Ausführungen. Und deshalb waren sich die Rezensenten nicht einig, wie denn genau das Verhältnis der Rechtslehre zur Moralphilosophie im Allgemeinen zu fassen sei − übrigens ein Problem, das unter dem Stichwort der Unabhängigkeitsthese auch die aktuelle Diskussion von Kants Rechtstheorie be-
Johann Adam Bergk, Briefe über Immanuel Kants metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, enthaltend Erläuterungen, Prüfung, Einwürfe, Leipzig 1797, S. VII. Blühdorn (wie Fn. 46), S. 365. Der zweite Band der fünften Auflage von 1763 von Achenwalls Jus naturae (Juris naturalis pars posterior) sowie Kants handschriftliche Bemerkungen in seinem Handexemplar sind in Bd. XIX der Akademie-Ausgabe von Kants gesammelten Schriften veröffentlicht worden, AA XIX: 323 – 442.
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stimmt.⁵⁵ Während der Rezensent der Oberdeutschen allgemeinen Literaturzeitung meint, Kant habe, dies mache das allgemeine Prinzip des Rechts in § B deutlich, „keineswegs das allgemeine Princip der Rechtslehre von dem Sittengesetze“ hergeleitet. Beide seien vielmehr „völlig heterogener Natur, und unmöglich kann also eines die Quelle des anderen seyn“.⁵⁶ Demgegenüber betont Dietrich Tiedemann in seiner Rezension der zweiten Auflage der Rechtslehre in der Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek, dass aus dem „oberste[n] Grundsatz der Sittenlehre […] der Grundsatz des Naturrechts sowohl als der Ethik hergeleitet werden soll; daß also beyde Wissenschaften ein gemeinschaftliches Fundament haben“.⁵⁷ Die Rezensionen, sofern sie über die bloße Buchanzeige oder Inhaltsangabe hinausgehen, erweisen sich als Dokumente einer ambivalenten Rezeption. Sie dokumentieren einerseits die hochgeschraubte Erwartungshaltung des gebildeten Publikums, andererseits − trotz aller formellen Komplimente − eher die Enttäuschung und das Unverständnis der Rezensenten über die abschließende Gestalt, die Kant seiner Rechtstheorie verliehen hat. Sie machen insofern deutlich, wie wenig Kants Rechtslehre mit dem Zeitgeist übereinstimmte. Die Rezeption der Rechtslehre wurde erschwert, weil Kant diesem Zeitgeist keinen Tribut zollen wollte, er aber gerade dadurch in gewisser Weise für die damaligen Debatten nicht mehr ‚anschlussfähig‘ war und seine Rechtslehre sehr schnell in den Schatten der entsprechenden Entwürfe Fichtes und Hegels geriet.
III Literatur Blühdorn, Jürgen: „Kantianer“ und Kant. Die Wende von der Rechtsmetaphysik zur „Wissenschaft“ vom positiven Recht, in: Kant-Studien 64 (1973), S. 363 – 394. Fiorillo, Vanda: A=B: Mannigfaltigkeit versus Gleichschaltung in der konservativen Aufklärung August Wilhelm Rehbergs, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 12 (2011), S. 155 – 194. Henrich, Dieter (Hrsg.): Kant – Rehberg – Gentz. Über Theorie und Praxis, Frankfurt a. M. 1967. Hirsch, Philipp-Alexander: Freiheit und Staatlichkeit bei Kant. Die autonomietheoretische Begründung von Recht und Staat und das Widerstandsproblem, Berlin u. Boston 2018. Hüning, Dieter: Kants Strafrechtstheorie und das jus talionis, in: Dieter Hüning, Karin Michel u. Andreas Thomas (Hrsg.): Aufklärung durch Kritik. Festschrift für Manfred Baum zum 65. Geburtstag, Berlin 2004, S. 333 – 360.
Eine gute Übersicht über den Stand der aktuellen Debatten gibt Philipp-Alexander Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant. Die autonomietheoretische Begründung von Recht und Staat und das Widerstandsproblem, Berlin u. Boston 2018. Rez. Nr. 14, Sp. 1046. Rez. Nr. 10, S. 30.
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Dieter Hüning: Kants Rechtslehre und ihre Rezeption
Hüning, Dieter: Die Begründung des Strafrechts in der Naturrechtslehre des 17. Jahrhunderts, in: Sylvia Kesper-Biermann u. Diethelm Klippel (Hrsg.): Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit. Soziale, rechtliche, philosophische und literarische Aspekte, Wiesbaden 2007, S. 77 – 114. Hüning, Dieter: „Diese sehr auffallende Verschiedenheit unter unsern Pflichten“. Johann Georg Sulzers Versuch, Recht und Moral zu unterscheiden, in: Frank Grunert u. Gideon Stiening (Hrsg.), Johann Georg Sulzer (1720 – 1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 285 – 307. Ju, Gau-Jeng: Kants Lehre vom Menschenrecht und von den staatsbürgerlichen Grundrechten, Würzburg 1990. Kersting, Wolfgang: Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie. Mit einer Einleitung zur Taschenbuchausgabe 1993: Kant und die politische Philosophie der Gegenwart, Frankfurt a. M. 1993. Klippel, Diethelm: Kant im Kontext. Der naturrechtliche Diskurs um 1800, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2001, München 2001, S. 77 – 107 [auch in diesem Band, S. 263 – 296]. Klippel, Diethelm: Naturrecht und Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert. Eine Bibliographie. 1780 bis 1850, Tübingen 2012. Maliks, Reidar: Kant’s Politics in Context, Oxford 2014. Metzger, Wilhelm: Gesellschaft, Recht und Staat in der Ethik des Deutschen Idealismus, Heidelberg 1917. Oberer, Hariolf: Über einige Begründungsaspekte der Kantischen Strafrechtslehre, in: Reinhard Brandt (Hrsg.), Rechtsphilosophie der Aufklärung. Symposium Wolfenbüttel 1981, Berlin u. a. 1982, S. 399 – 423. Oberer, Hariolf: Honeste vive. Zu Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA 06, 236, 20 – 30, in: Sabine Doyé, Marion Heinz u. Udo Rameil (Hrsg.), Metaphysik und Kritik. Festschrift für Manfred Baum zum 65. Geburtstag, Berlin u. Boston 2004, S. 203 – 213. Riedel, Manfred: Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1975. Rückert, Joachim: Kant-Rezeption in juristischer und politischer Theorie (Naturrecht, Rechtsphilosophie, Staatslehre, Politik), in: Martyn P. Thompson (Hrsg), John Locke und/ and Immanuel Kant. Historische Rezeption und gegenwärtige Relevanz/Historical Reception and Comtemporary Relevance, Berlin 1991, S. 144 – 215. Scholz, Gertrud: Das Problem des Rechts in Kants Moralphilosophie, phil. Diss. Köln 1972, S. 232. Schulz, Eberhard Günter: Rehbergs Opposition gegen Kants Ethik. Eine Untersuchung ihrer Grundlagen, ihrer Berücksichtigung durch Kant und ihrer Wirkungen auf Reinhold, Schiller und Fichte, Köln u. Wien 1975. Vogel, Ursula: Konservative Kritik an der bürgerlichen Revolution. August Wilhelm Rehberg, Darmstadt u. Neuwied 1972. Weber, Peter: Kant und die „Berlinische Monatsschrift“, in: Dina Emundts (Hrsg.), Immanuel Kant und die Berliner Aufklärung, Wiesbaden 2000, S. 60 – 79.
Jens Eisfeld: Methodische Überlegungen zur Philosophiegeschichte am Beispiel der Kant-Rezeption I Einführung In einem Aufsatz mit dem Titel „Das Methodenproblem der Philosophiegeschichte“ weist der heute ‒ zu Unrecht ‒ in Vergessenheit geratene Philosoph und Soziologe Julius Kraft darauf hin, dass es sich bei der philosophiehistorischen Forschung an deutschen Universitäten um eine bestimmte Auffassung von Philosophiegeschichte handelt, die sich als geisteswissenschaftliche Darstellungsart kennzeichnen lässt.¹ Auch wenn hier auf die ‒ heute ebenfalls zu Unrecht in Vergessenheit geratene ‒ logisch-systematische Grundsatzkritik Krafts an der geisteswissenschaftlichen Methodologie nicht weiter eingegangen werden kann,² so ist doch, in einem ersten Schritt, auf ein methodisches Merkmal aufmerksam zu machen, das weite Bereiche auch der heutigen Philosophiegeschichte prägt und sich als geisteswissenschaftlich-hermeneutisch charakterisieren lässt. Das Merkmal besteht in dem Versuch der Philosophiegeschichte, eine historischphilologische Fragestellung stets mit der kritischen Überprüfung des gedeuteten Werkes aus gegenwärtiger Perspektive zu verknüpfen. Mit dieser ‒ aus geschichtswissenschaftlicher Sicht eigenartigen ‒ doppelten Zielrichtung geht die gängige philosophiehistorische Methode darauf aus, im Wege des Verstehens einer sich in einem kontinuierlichen Geschichtsverlauf offenbarenden Vernunftidee eine gegenwartsbezogene Theoriebildung zu betreiben, die jedoch von eigenen Entscheidungen oder Wertungen des Interpreten unabhängig sein will (II.). Die philosophische Grundhaltung des Interpreten wird sich auf die genannte kritische Überprüfung der jeweils analysierten philosophischen Lehre regelmäßig auswirken und bildet somit im Ergebnis einen zentralen Bezugspunkt der herkömmlichen philosophiehistorischen Methode. In Philosophie und Wissenschaftstheorie verbreitete Überzeugungen können demnach eine Erklärung für die mitunter tiefgreifenden Veränderungen liefern, die bei der Interpretation philosophischer Werke an deren ursprünglichem Aussagegehalt vorgenommen
Julius Kraft, Das Methodenproblem der Philosophiegeschichte (1937), in: ders., Philosophie als Wissenschaft und als Weltanschauung. Untersuchungen zu den Grundlagen von Philosophie und Soziologie, hrsg. v. Albert Menne, Hamburg 1977, S. 188 – 195, 189 f. Dazu umfassend Julius Kraft, Die Unmöglichkeit der Geisteswissenschaft, 3. Aufl., Hamburg 1977. https://doi.org/10.1515/9783110702996-033
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werden. Das gilt insbesondere für die Lehre Immanuel Kants, die sich auch in grundsätzlicher Hinsicht von vielen maßgeblichen philosophischen Strömungen des 19. und 20. Jahrhunderts unterscheidet (III.).
II Zur philosophiehistorischen Methode Die von Philosophen betriebene Philosophiegeschichte hat sich, von Ausnahmen abgesehen, seit ihrer Entstehung im Historismus des 19. Jahrhunderts bis heute niemals als eine bloß historisch-analytische Disziplin verstanden.³ So weist etwa der Neukantianer Wilhelm Windelband in seinem bis zum Jahre 1993 in 18 Auflagen erschienenen „Lehrbuch der Geschichte der Philosophie“ darauf hin, dass die Philosophiegeschichte eine Mischung aus „philologisch-historischer“ und „kritisch-philosophischer“ Wissenschaft sei; als letztere beurteile sie ihren Untersuchungsgegenstand nach „formallogischer Konsequenz“ und „intellektuelle[r] Fruchtbarkeit“.⁴ Dabei handele es sich um die Kriterien, nach denen allein entschieden werden könne, „welche unter den oft sehr verschiedenartige Dinge betreffenden Lehren der Philosophen als die eigentlich philosophischen anzusehen, und welche anderseits aus der Geschichte der Philosophie auszuscheiden sind“. Das „philosophisch Gleichgültige“ müsse „als solches erkannt und dieser Ballast über Bord geworfen werde[n]“.⁵ Als Philosophiehistoriker stellt der Philosoph seinen Gegenstand also nicht nur dar, sondern bewertet ihn auch, und zwar von demjenigen Entwicklungsstand aus, den die Philosophie in seiner Gegenwart erreicht hat; „formallogische Konsequenz“ und „intellektuelle Frucht-
Eine Ausnahme stellt etwa das philosophiehistorische Werk von Panajotis Kondylis dar; vgl. etwa dens., Die Entstehung der Dialektik. Eine Analyse der geistigen Entwicklung von Hölderlin, Schelling und Hegel bis 1802, Stuttgart 1979; ders., Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, Stuttgart 1981 (Nachdruck: Hamburg 2002). Eine dezidiert ideengeschichtliche Fragestellung verfolgt auch Klaus Christian Köhnke, Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus, Frankfurt/M. 1986, insbes. S. 9‒19. Das methodische Programm einer philosophiegeschichtlich begründeten Theoriebildung, die ‒ im Gegensatz zur geisteswissenschaftlichen Hermeneutik der herkömmlichen Philosophiegeschichte ‒ ihre philosophische Grundhaltung vorab deutlich macht und die Philosophiegeschichte anhand dieser Grundhaltung offen bewertet, wird umgesetzt von Leonard Nelson, Fortschritte und Rückschritte der Philosophie (zu Lebzeiten unveröffentlicht), in: ders., Gesammelte Schriften in neun Bänden, hrsg. v. Paul Bernays u. a., Bd. 7, Hamburg 1977; zu den geschichtsmethodischen Grundsätzen ebd., S. 21‒27. Wilhelm Windelband, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 17. Aufl., hrsg. v. Heinz Heimsoeth, Tübingen 1980, S. 13, 16. Ebd., S. 17.
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barkeit“ entscheiden darüber, welche Bestandteile eines philosophischen Systems als erhaltenswert gelten und welche nicht. Aus philosophischer Perspektive macht gerade die kritische, gegenwartsbezogene Fragestellung das Philosophische an der Philosophiegeschichte aus. Der Philosophiehistoriker erweist sich erst dadurch als Philosoph, dass er seinen Untersuchungsgegenstand aus heutiger Perspektive auf seine Stimmigkeit und Überzeugungskraft prüft und dabei aktualisiert. Er philosophiert somit auf der Grundlage historischer Quellen weiter und verknüpft dabei deren Modernisierung mit der Bestätigung der eigenen philosophischen Position.⁶ Die Philosophiegeschichte wird damit zu einem Werkzeug oder, wie Windelband es formuliert, zu einem Organon der Philosophie.⁷ Mit ihrer aktualisierenden Methode grenzt sich die Philosophiegeschichte von solchen Untersuchungen ab, die sich auf die Analyse und Kontextualisierung von Quellentexten beschränken, ohne diese Arbeiten jedoch als historische Untersuchungen anzuerkennen: Für einen Philosophen schließt die „historische“ Interpretation philosophischer Werke deren Kritik und Weiterentwicklung notwendig mit ein.⁸ Dementsprechend wirft der Philosoph Wolfgang Kersting mehreren juristischen Dissertationen zu Vertretern der neukantischen Rechtsphilosophie vor, diese nur darstellend behandelt, jedoch nicht „aus dem Blickwinkel gegenwärtiger rechtsphilosophischer Auffassungen beurteil[t]“ zu haben. Kersting bemängelt hier die fehlende systematische Überprüfung der analysierten Philosopheme, „was nur vor dem Hintergrund ei-
Der Gegenwartsbezug der Philosophiegeschichte wird etwa deutlich bei Andreas Urs Sommer, Was heißt und zu welchem Ende schreibt man Philosophiegeschichte?, in: Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur und der Wissenschaften 12 (2008), S. 267– 293, 285‒293, wo Sommer die Motive und Ziele der Philosophiegeschichte untersucht. Vgl. insbesondere ebd., S. 291: „Die erste performative Funktion, derentwegen Philosophiehistorie geschrieben wird, ist bestimmt vom Interesse, die eigene philosophische Position durch den Bezug auf vergangenes Philosophieren zu beglaubigen. Unter Rückgriff auf Personen, Theorien, Probleme oder Ansätze in der Vergangenheit soll das, was man gegenwärtig für philosophisch geboten oder wahrheitsfähig hält, abgesichert werden. Philosophiehistorie wird also geschrieben zum Zwecke der Autorisierung eigener Überzeugungen“. Dagegen zu Recht Köhnke (wie Fn. 3), S. 10: „Demgegenüber vermeidet die Perspektive der Zeitgenossenschaft durch ihre Aufmerksamkeit auf das […] vielfach durchaus Fremde die programmierte Unfruchtbarkeit aktualisierender Geschichtsbetrachtung, die letztlich auf eine bloße Bestätigung des gegenwärtigen Denkens anhand eines ihm entsprechend ausgewählten geschichtlichen Materials hinausläuft, wie dies übrigens in ganz hervorragender Weise bereits der Umgang der Neukantianer mit Kant erkennen läßt“. Windelband (wie Fn. 4), S. 13. In diesem Sinne etwa Joachim Ritter, Die Aufgabe der Geisteswissenschaften in der modernen Gesellschaft (1963), in: ders., Subjektivität, Frankfurt/M. 1980, S. 105 – 140, 132; Gerold Prauss, Kant und das Problem der Dinge an sich, 3. Aufl., Bonn 1989, S. 68 f., 194 f. Vgl. dazu auch unten Fn. 24.
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nes entsprechend informierten philosophischen Problembewusstseins möglich gewesen wäre“. Nach dieser deutlichen Aufforderung, die Philosophiegeschichte doch besser den Fachphilosophen zu überlassen, folgt dann das abschätzige Urteil: „Sie [die erwähnten Dissertationen, J.E.] paraphrasieren nur, sind daher als Inhaltsangaben fremden Denkens recht brauchbar“.⁹ Dient die Philosophiegeschichte dem Philosophen (zumindest auch) dazu, eigene Positionen im Wege der Auseinandersetzung mit früheren philosophischen Werken zu entwickeln und zu rechtfertigen, dann kann jede Auseinandersetzung mit der Frage, ob und inwiefern sich die persönliche Auffassung von der des untersuchten philosophischen Werkes unterscheidet, die Überzeugungskraft der eigenen Argumentation nur schwächen. Die für die Philosophiegeschichte typische Vermischung von historischer Analyse und aktuell-philosophischer Theoriebildung erfüllt somit eine rhetorische Funktion, die bei einer Zweiteilung der philosophiegeschichtlichen Fragestellung in eine von modernen Vorverständnissen möglichst freie geschichtswissenschaftliche Untersuchung einerseits und in eine kritisch-philosophische Aktualisierung aus gegenwärtiger Perspektive andererseits entfallen würde. Eine klare Trennung zwischen historischem Gehalt und eigener Auffassung wird daher in philosophiehistorischen Interpretationen häufig nicht angestrebt. Auch die Kant-Experten des 19. und 20. Jahrhunderts – u. a. Hermann Cohen, Ernst Cassirer, Julius Ebbinghaus, Wolfgang Kersting oder Otfried Höffe – unterscheiden sich in diesem Punkt grundsätzlich nicht voneinander.¹⁰
Wolfgang Kersting, Neukantianische Rechtsbegründung, in: Dietmar Willoweit u. a. (Hrsg.), Die Begründung des Rechts als historisches Problem, München 2000, S. 269 – 313, 271 Fn. 8. Zu den Kant-Deutungen von Cohen, Cassirer, Ebbinghaus und Kersting Jens Eisfeld, Erkenntnis, Rechtserzeugung und Staat bei Kant und Fichte, Tübingen 2015, S. 40‒93. Zu den KantInterpretationen von Kersting und Höffe außerdem ders., Zur Trennung von Recht und Moral bei Kant, in: ders. u. a. (Hrsg.), Naturrecht und Staat in der Neuzeit. Diethelm Klippel zum 70. Geburtstag, Tübingen 2013, S. 313 – 347, 336‒347. Reinhard Brandt wendet sich in seinem Werk Die Interpretation philosophischer Werke. Eine Einführung in das Studium antiker und neuzeitlicher Philosophie (Stuttgart-Bad Cannstatt 1984) zwar gegen eine „subjektive […] Hermeneutik, die die Deutung literarischer Werke im Medium des je eigenen Geschichtshorizontes expliziert“ (ebd., S. 5 [Zitat], 11‒25) und fordert stattdessen die „Einklammerung der eigenen Wahrheitsüberzeugung“ (ebd., S. 32) bei der Anwendung einer „objektiv-bestimmenden Interpretation“ (ebd., S. 25‒62; im Einzelnen S. 63‒209). Brandt will diese Interpretationsmethode aber nicht als Trennung zwischen historischer und philosophischer Analyse verstanden wissen. Ein solcher Kontrast „intendiert die qualitative Scheidung der historisch-philologischen Kärrner-Arbeit, die im Prinzip geistlos ist, von der logischen und philosophischen Behandlung eines Problems, das bei einem früheren Autor angesprochen wurde, durch die Interpretation jedoch erst seine logische Präzisierung und philosophische Erörterung erfährt“ (ebd., S. 34). „Der Fehler“ liege daher „in der qualitativen Scheidung von historisch und philosophisch“ (ebd., S. 35). Ebenso wie Brandt wendet sich auch
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Mit diesem Hinweis soll keineswegs einem philosophiehistorischen Purismus das Wort geredet werden, der eine Lehre in ihrer ursprünglichen Form bewahren möchte und jede Veränderung oder Weiterentwicklung derselben als Verfälschung brandmarkt. Auch wird man es einem Philosophiehistoriker nicht verdenken können, wenn seine eigenen philosophischen Auffassungen Auswahl und Bewertung der Quellen beeinflussen. (Ähnliches gilt übrigens für den Rechtshistoriker im Hinblick auf seine eigenen rechtstheoretischen Auffassungen.¹¹) Das Problem besteht aus ideengeschichtlicher Sicht vielmehr in der bereits hervorgehobenen Vermischung von historischer Analyse und gegenwartsbezogener Theoriebildung, die in der gängigen philosophiehistorischen Forschung nicht selten dazu führt, dass von dem ursprünglichen Aussagegehalt der Quellen diejenigen Teile marginalisiert oder gar dissimuliert werden, die dem jeweiligen Aktualisierungsziel entgegenstehen, und zwar ohne diese Veränderungen offenzulegen. Die philosophiegeschichtliche Literatur darf daher zumindest nicht ohne Weiteres als historisch verlässliche Quellenanalyse aufgefasst werden. Macht man sich als Historiker oder Rechtshistoriker die genannten Besonderheiten der philosophiehistorischen Methode nicht klar, wird man auf Grund der zahlreichen Werkinterpretationen, die zu einem und demselben Klassiker der Philosophiegeschichte erschienen sind, dem meist unzutreffenden Eindruck unterliegen, dass sich ein ursprünglicher Aussagegehalt des jeweiligen Œuvres gar nicht mit hinreichender Sicherheit ermitteln lasse, sondern immer mehr oder weniger „Interpretationssache“ sei. Und tatsächlich macht gerade die Kant-Rezeption vom nachkantischen Idealismus über den Neukantianismus bis hin zu den phänomenologischen, hermeneutischen und kommunikationstheoretischen Deutungen
Frank Kuhne gegen die „dualistische Entgegensetzung von systematischer und historisch orientierter Philosophie respektive Philosophiegeschichte“, die „einen angemessenen Begriff von Philosophie ebenso verhindert wie [sie] einen angemessenen Zugang zu den Gegenständen der Philosophie verstellt“; so ders., Selbstbewußtsein und Erfahrung bei Kant und Fichte. Über Möglichkeiten und Grenzen der Transzendentalphilosophie, Hamburg 2007, S. 4 f. Dementsprechend wendet Kuhne in seiner Untersuchung ein „Verfahren der immanenten Kritik“ an (so ebd., S. 10), mit dem er u. a. zu dem Ergebnis kommt, dass wesentliche Inhalte der kantischen Philosophie, wie der rezeptive Charakter der sinnlichen Anschauung oder die Trennung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft, widersprüchlich und inkonsistent sind (ebd., S. 10‒12; im Einzelnen S. 15‒174). Zu diesen beiden Aspekten der Lehre Kants unten III. 1. Einer der wenigen Philosophiehistoriker, die ausdrücklich die Trennung zwischen historisch-philologischer und gegenwartsbezogener Fragestellung fordern, ist Dieter Schönecker; dazu ders., Textvergessenheit in der Philosophiehistorie, in: ders. u. Thomas Zwenger (Hrsg.), Kant verstehen/Understanding Kant. Über die Interpretation philosophischer Texte, Darmstadt 2001, S. 159‒181 m. w. Nachw. Dazu die pointierten und provokanten Ausführungen von Julius Kraft, Die Methode der Rechtstheorie in der Schule von Kant und Fries, Berlin-Grunewald 1924, S. 140 f.
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von Martin Heidegger,¹² Hans-Georg Gadamer¹³ und Jürgen Habermas¹⁴ den Eindruck, als sei die Philosophie Kants in ganz unterschiedlicher Richtung interpretierbar. Das ist bei Anwendung der aktualisierenden philosophiehistorischen Methode auch zutreffend ‒ nur darf daraus nicht der voreilige Schluss gezogen werden, dass das ebenfalls für eine ideengeschichtliche Analyse gelten müsse, die dem ursprünglichen Gehalt und dem Gesamtzusammenhang der einschlägigen Quellen verpflichtet ist. Die Vereinigung von empirischer Geschichtsbetrachtung und gegenwartsbezogenen Theoriebildung ist keineswegs selbstverständlich, sondern vielmehr auf die geschichtsphilosophische Überzeugung von einer sich kontinuierlich entwickelnden Geistesgeschichte angewiesen.¹⁵ Eine Theoriebildung, die einerseits darin besteht, ein bestimmtes Philosophem weiterzudenken und dabei zu verändern, die sich andererseits aber als historisch-philologisch und damit als deskriptiv begreift, setzt eine einheitliche, sich in der Philosophiegeschichte entwickelnde Idee voraus, die in dem analysierten Werk zwar konkret geworden ist, die sich seitdem aber weiterentwickelt hat.¹⁶ Das jeweils untersuchte philosophische System erscheint dann als Ausdruck einer überzeitlichen Wahrheit in der Geschichte, als integraler Bestandteil einer vernünftigen historisch-kulturellen Kontinuität, die von der Gegenwart des Interpreten her zu rekonstruieren ist.¹⁷
Martin Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, in: ders., Gesamtausgabe, 1. Abt., Bd. 3, hrsg. v. Friedrich Wilhelm von Hermann, Frankfurt/M. 1991. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 1, 5. Aufl., Tübingen 1986, S. 36‒87. Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, 3. Aufl., Frankfurt/M. 1975, S. 235‒262. Diese Überzeugung wird deutlich etwa bei Julius Ebbinghaus, Natur, Geist und geschichtliche Objektivität (1938), in: ders., Gesammelte Schriften, hrsg. v. Hariolf Oberer u. Georg Geismann, Bd. 3, Bonn 1990, S. 463‒479. Zur verbreiteten Vorstellung von der Philosophiegeschichte als einer sich historisch entwickelnden Vernunftidee Lutz Geldsetzer, Die Philosophie der Philosophiegeschichte im 19. Jahrhundert. Zur Wissenschaftstheorie der Philosophiegeschichtsschreibung und -betrachtung, Meisenheim am Glan 1968, S. 120 f., 135 f., 212, 222. Dazu Geldsetzer (wie Fn. 16), S. 137 f., S. 191‒208, 215, 221‒223, 226. Anschaulich Friedrich Jaeger u. Jörn Rüsen, Geschichte des Historismus, München 1992, S. 49: „Entscheidend für diese Forschungskonzeption des Historismus, für ihren hermeneutischen Charakter, ist die (geschichtstheoretische) Auffassung, daß der geschichtliche Zusammenhang der Tatsachen in ihnen selber liegt, und zwar dort, wo sie von den geistigen Triebkräften des menschlichen Handelns zeugen, die der Historiker auch in sich selber, in seiner Gegenwart, wirksam weiß. Hermeneutisch heißt: daß er seine Gegenwart über das Verstehen von Handlungen der Vergangenheit in einen geistigen Zusammenhang mit der Vergangenheit bringt. Dieser verstehbare Zusammenhang ist es dann, in den der Historiker die Tatsachen so einordnet, daß sie eine Geschichte bilden, die auf seine Gegenwart und Zukunft bezogen ist“.
II Zur philosophiehistorischen Methode
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Diese philosophische Methode der Theoriebildung qua Rekonstruktion der historischen Wirklichkeit ist die geisteswissenschaftlich-hermeneutische Lehre vom „Verstehen“.¹⁸ Das Verstehen bezeichnet eine Erkenntnismethode, die nicht auf überpositiven Maßstäben oder Gesetzen beruhen will, sondern auf einer Sinnoder Gültigkeitserfahrung, die das Sollen im Sein beschreibend zu erfassen sucht.¹⁹ Die gängige philosophiehistorische Methode ist als hermeneutische Verstehenslehre bei ihrer Nachkonstruktion der Geistesgeschichte somit auf die Vorstellung einer wirklichkeitsimmanenten Vernunftidee angewiesen, die in der philosophiehistorischen Forschung mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet worden ist.²⁰ Das, was als Ausdruck dieser Idee, also der philosophischen Wahrheit, anerkannt wird, bestimmt der Interpret, dessen philosophische Grundhaltung sich bei der Rekonstruktion des bisherigen Verlaufs der Vernunftidee und der damit zusammenhängenden, selektiven Rezeption der kulturellen Tradition ungehindert auf die historische Analyse auswirken kann.²¹ Der Einfluss des Interpreten auf die Konstruktion der Philosophiegeschichte wird dabei aber, wie gesagt, meist nicht offengelegt, sondern im Wege einer vorgeblich bloß deskriptiven Rekonstruktion der Geistesgeschichte dissimuliert.²² Dieser scheinbar rein deskriptive Charakter der Philosophiegeschichte ist wiederum die Voraussetzung für deren Selbstverständnis als spezialisierte und autonomisierte Form
Zur Lehre vom Verstehen allgemein Karl-Otto Apel, Das Verstehen (eine Problemgeschichte als Begriffsgeschichte), in: Archiv für Begriffsgeschichte 1 (1955), S. 142‒199; Manfred Riedel, Verstehen oder Erklären? Zur Theorie und Geschichte der hermeneutischen Wissenschaften, Stuttgart 1978; Reiner Wimmer, Art. „Methode, hermeneutische“, in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, hrsg. v. Jürgen Mittelstraß, Bd. 2, Stuttgart u. Weimar 1995, S. 883 f. Zum Verstehen in der Philosophiegeschichte Geldsetzer (wie Fn. 16), S. 191‒208 u. passim. Erich Rothacker, Logik und Systematik der Geisteswissenschaften, Bonn 1947, S. 128 f.; kritisch Hans Albert, Geschichte und Gesetz (1979), in: Hans-Albert-Lesebuch, Tübingen 2001, S. 140 – 165, 142; ders., Traktat über kritische Vernunft, 5. Aufl., Tübingen 1991, S. 156‒160. Vgl. dazu die Aufzählung bei Kraft (wie Fn. 1), S. 189, die sich vor allem auf das 19. Jahrhundert bezieht: „philosophische Idee“, „Volksseele“, „Kulturbewusstsein“, „Grundstrukturen des philosophischen Bewusstseins“, „Ansich der reinen Probleme“, „philosophia perennis“. In diesem Sinne auch Geldsetzer (wie Fn. 16), S. 211: „Es liegt auf der Hand, daß die hier vorausgesetzte Wahrheit nicht gleichsam von selbst aus den Texten herausspringt, sondern in intensiver Arbeit des Hermeneuten von seiner jeweiligen eigenen für wahr gehaltenen Philosophie her konstruiert werden muss“. Julius Kraft hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei der „philosophia perennis“ und ähnlichen Grundbegriffen der herkömmlichen Philosophiegeschichte um „begriffsrealistische Fiktionen“ handelt, die zu „willkürliche[n] Geschichtskonstruktionen […] unter dem Schein ihrer philosophischen Neutralität“ führen; so ders. (wie Fn. 1), S. 189 f.
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der philosophischen Theoriebildung: Das bloße Beschreiben einer sich historisch entwickelnden Vernunftidee strebt nach anschaulicher Gewissheit und will damit gerade nicht auf eigenen Entscheidungen oder Wertungen des Interpreten hinsichtlich des Ob und Inwieweit der Richtigkeit oder Vorzugswürdigkeit eines historischen Theorems aus heutiger Perspektive beruhen, denn diese Entscheidungen oder Wertungen wären ja einer sozial- und kausalwissenschaftlichen Begründung bedürftig oder zumindest zugänglich. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die gängige philosophiehistorische Methode nicht zuletzt auch einem erheblichen Eigeninteresse der Philosophiegeschichte dient, nämlich einem Interesse daran, dass das Bedürfnis nach Auseinandersetzung mit einer und derselben Quelle oder mit einem und demselben philosophischen Œuvre niemals abnimmt: Die für die Philosophiegeschichte charakteristische Verquickung von historischer und gegenwartsbezogener Fragestellung liefert ja ‒ aufgrund des ständigen Wandels der philosophischen Auffassungen in der jeweiligen Gegenwart der Interpreten ‒ stets aufs Neue die Rechtfertigung für wissenschaftliche Untersuchungen zu den Klassikern der Philosophiegeschichte. Die oben angesprochene Zweiteilung der Fragestellung in eine von modernen Vorverständnissen möglichst freie ideengeschichtliche Quellenanalyse einerseits und in eine kritisch-philosophische Aktualisierung der Quelle aus gegenwärtiger Perspektive andererseits würde diese Rechtfertigung zumindest in Frage stellen und träfe deshalb aller Voraussicht nach auf den erbitterten Widerstand der Fachphilosophie.²³ Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass doch auch bei einer solchen Zweiteilung die gegenwartsbezogene Fragestellung möglich (und notwendig) wäre, sodass sich in diesem Fall die Auseinandersetzung mit den Klassikern der Philosophiegeschichte ebenfalls stets aufs Neue rechtfertigen ließe. Dieser Einwand übersieht nämlich, dass eine von der historisch-philologischen Analyse abgetrennte Frage nach der Vorzugswürdigkeit einer philosophischen Lehre ‒ etwa der Kants, Fichtes oder Hegels ‒ aus heutiger Sicht nicht mehr als philosophiehistorisch ausgegeben werden könnte, sondern vielmehr auf die Lösung gegenwärtiger Probleme zielte. Was aber noch wichtiger ist: Mit dem Verlust ihrer Eigenschaft als philosophiehistorisch verlöre diese Frage auch ihren spezifisch philosophischen Charakter. Die isolierte Frage nach der Vorzugswürdigkeit einer philosophischen Lehre aus heutiger Sicht ließe sich nur mit einer Entscheidung oder Wertung beantworten, welche ‒ will sie umfassend begründet sein ‒ die jeweils untersuchte Lehre nicht nur logisch-wissenschaftstheoretischen und damit philosophischen, sondern auch sozial- und kausalwissenschaftlichen Kriterien unterwerfen würde.
Vgl. dazu die Zitate von Brandt und Kuhne oben in Fn. 10.
II Zur philosophiehistorischen Methode
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Das aber stünde dem bereits angesprochenen Streben der Fachphilosophie nach Spezialisierung und Autonomisierung entgegen. Die isolierte Frage nach der Vorzugswürdigkeit einer philosophischen Lehre aus heutiger Sicht ließe sich jedenfalls nicht mehr ‒ oder zumindest nicht ohne Weiteres ‒ der „Kant-“, „Fichte-“ oder „Hegel-Forschung“ zuordnen und damit auch nicht mehr entsprechenden philosophischen Forschungsstellen. Dem könnte man entgegenhalten, dass doch auch bei einer Zweiteilung in die ideengeschichtliche Quellenanalyse einerseits und in die gegenwartsbezogene Frage nach der heutigen Aktualität der jeweiligen Quelle andererseits der Philosophiegeschichte doch immer noch die Quellenanalyse bliebe. Diese allein wäre aber ideengeschichtlicher und damit ebenfalls nicht spezifisch philosophischer Natur. Zudem würde sie nicht den uneingeschränkten Fortbestand der Erforschung eines und desselben Klassikers absichern können, denn es bestünde zumindest die Gefahr, dass der ursprünglich intendierte Aussagegehalt eines philosophischen Werkes in absehbarer Zeit im Wesentlichen geklärt wäre. Erst die Vermischung von historisch-philologischer und gegenwartsbezogener Fragestellung bildet die methodologische Ewigkeitsgarantie der philosophiehistorischen Klassiker-Forschung. Hervorzuheben ist ferner, dass der scheinbare Verzicht auf persönliche Entscheidungen oder Wertungen in der herkömmlichen Philosophiegeschichtsschreibung keineswegs dazu führt, dass die interpretativen Modifizierungen, die sie an den von ihr untersuchten Werken vornimmt, nur gering sind. Mit der angeblichen Notwendigkeit, das „philosophisch Gleichgültige“, von dem Windelband spricht, auszuscheiden, werden mitunter auch rigorose Eingriffe in den Systembau des analysierten Werkes gerechtfertigt. Das gilt, wie der folgende Abschnitt (III.) ausführlicher belegen wird, insbesondere für die Rezeption der Lehre Kants, und zwar im Hinblick sowohl auf dessen theoretische als auch auf dessen praktische Philosophie:²⁴ Der transzendentale Idealismus Kants wurde
So beschreibt etwa der Kant-Experte Gerold Prauss sein methodisches Vorgehen folgendermaßen: „Denn im eigentlichen Sinne ,historisch‘ ist keineswegs einfach ein solcher Text selbst, sondern gerade dasjenige, was ein solcher Text jeweils auszudrücken sucht, aber eben oft genug, so wie er faktisch vorliegt, überhaupt nicht oder nur ganz unzureichend auszudrücken vermag. Daher kann auch eine Interpretation in diesem eigentlichen Sinne ,historisch‘ nur sein, sofern sie nicht etwa bei einem solchen Text einfach stehen bleibt, sondern durch ihren Text hindurch gerade dies, was er oft vielleicht eher verdeckt als vermittelt, zu erfassen versucht, um es deutlicher als er selbst und oft vielleicht sogar gegen ihn selbst zur Sprache zu bringen. Für Kant aber gilt das noch in besonderem Maße, da er in seinen Schriften seine Philosophie nicht nur nicht ausgeführt, sondern selbst die Ansätze dazu immer wieder sinnentstellend formuliert hat. Eine ‚historische‘ Interpretation der Schriften von Kant muß daher seine Philosophie, indem sie ihre Ansätze systematisch durchführt, nicht nur allererst entwickeln; sie muß auch noch diese Ansätze selbst durch kritische Analyse aus ihren irreführenden Formulierungen allererst gewinnen.
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Jens Eisfeld: Methodische Überlegungen zur Philosophiegeschichte
und wird in eine Wirklichkeitstheorie der apriorischen Gegenstands- oder Welterzeugung umgedeutet; zugleich verwandelt sich die kantische Rechtslehre von einer Naturrechtstheorie in eine Theorie des positiven Rechts. Es ist daher keineswegs übertrieben, hinsichtlich weiter Bereiche der Kant-Rezeption vom 19. Jahrhundert bis heute von einer Verkehrung der ursprünglichen Aussagen Kants in ihr Gegenteil zu sprechen. Wohlgemerkt: Die philosophiehistorische Forschung legt die genannten inhaltlichen Eingriffe regelmäßig nicht offen, sondern gibt stattdessen – soweit diese Umgestaltungen überhaupt Erwähnung finden – vor, lediglich „Widersprüche“, „Unfertigkeiten“ oder argumentative „Erschleichungen“ der kantischen Philosophie beseitigt zu haben.²⁵ Regelmäßig wird hier der „wahre Geist“ oder der „eigentliche Gehalt“ der Werke Kants gegen deren Wortlaut ausgespielt ‒ eine Vorgehensweise übrigens, die Kant selbst noch ausdrücklich zurückgewiesen hatte.²⁶ Dabei wird Kant ganz offensichtlich durch die Brille des nachkantischen Idealismus und des Neukantianismus interpretiert, die beide sowohl Theorien der apriorischen Gegenstandserzeugung als auch Theorien des positiven Rechts vertreten.²⁷ Der Einfluss von nachkantischem Idealismus und Neukantianismus beschränkt sich aber nicht auf diese inhaltlichen Aspekte, sondern erstreckt sich Nicht einmal in ihren Ansätzen läßt sich die Kantische Philosophie etwa den Kantischen Schriften einfach entnehmen. Sie muß vielmehr, wie keine andere Philosophie, aus diesen Schriften erst rekonstruiert, ja oft genug sogar geradezu gegen diese Schriften überhaupt erst konstruiert werden“; so Prauss (wie Fn. 8), S. 195. In diesem Sinne werden etwa die Veränderungen der kantischen Philosophie im nachkantischen Idealismus gerechtfertigt; vgl. insofern Dieter Henrich, The Proof-Structure of Kant’s Transcendental Deduction, in: Review of Metaphysics 22 (1969), S. 640‒659; Manfred Frank, „Unendliche Annäherung“. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1998, S. 26‒132; Hans Friedrich Fulda, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, München 2003, S. 78, 130, 156, 165, 167, 199, 209, 236, 244, 257; Peter Rohs, Johann Gottlieb Fichte, 2. Aufl., München 2007, S. 58 f., 94 f., 133. So in der „Erklärung in der litterarischen Fehde mit Schlettwein“, in: Kants Werke. AkademieTextausgabe der von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1900 begonnenen Ausgabe von Kants gesammelten Schriften, Bd. 12, Berlin 1902, S. 362 (368), sowie in der „Erklärung in Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre“, in: ebd., S. 370 (371). Zur apriorischen Gegenstandserzeugung im Marburger Neukantianismus Köhnke (wie Fn. 3), S. 270‒301. Zur daraus resultierenden Vereinigung von Rechtsgeltung und Rechtsgültigkeit Eggert Winter, Ethik und Rechtswissenschaft. Eine historisch-systematische Untersuchung zur Ethik-Konzeption des Marburger Neukantianismus im Werke Hermann Cohens, Berlin 1980, insbes. S. 212‒ 386. Zu den Gemeinsamkeiten zwischen nachkantischem Idealismus und Neukantianismus, gerade auch im Hinblick auf den Aspekt der Gegenstandserzeugung, vgl. die Nachweise ebd., S. 204 f. Fn. 122. Die systematischen Unterschiede zwischen Kant und nachkantischem Idealismus betont Kondylis, Aufklärung (wie Fn. 3), S. 637‒647; die zwischen Kant und Neukantianismus Köhnke (wie Fn. 3), S. 179‒230, 270‒301, 345‒387.
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auch auf die philosophiehistorische Methode, mit der sich die soeben skizzierten Umbaumaßnahmen als originär kantisch ausgeben lassen. Das weltanschauliche Fundament dieser Methode wurde bereits genannt: Es ist die geisteswissenschaftlich-hermeneutische Vorstellung von einer die Geistesgeschichte durchwaltenden Vernunftidee, die sich in der Lehre Kants nicht nur konkretisiert, sondern diese auch aus ihrer historischen Zeitgebundenheit herauslöst und so einer gegenwartsbezogenen Umdeutung öffnet, die zwischen dem „eigentlichen Gehalt“ der kantischen Philosophie und dem „eigentlichen Gehalt“ einer überzeitlichen philosophischen Wahrheit nicht mehr unterscheidet.²⁸ Die Überzeugung von der empirischen ‒ oder, was dasselbe bedeutet: von der historischen ‒ Erkennbarkeit einer geschichtsimmanenten Vernunftidee ist ebenfalls ein Charakteristikum der nachkantischen Philosophie des 19. Jahrhunderts, die damit auch den Ursprung der geisteswissenschaftlich-hermeneutischen Methodologie in der Philosophiegeschichte bildet.²⁹ Der spezifische Zusammenhang zwischen der nachkantischen Philosophie und der herkömmlichen philosophiehistorischen Methode besteht in der Wirklichkeitstheorie des nachkantischen Idealismus, die auf der Vorstellung von einem sich in der kulturellen Welt entwickelnden, vernünftigen Erfahrungsinbegriff beruht. Diese Vorstellung ist aber gerade nicht kantisch, denn Kant trennt ja noch zwischen Vernunftbegriff und Welt (Sollen und Sein), während erst die Nachkantianer durch die Vereinigung von Vernunft („Geist“) und Welt die erfahrungstheoretischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Wahrheit nur noch in der Geschichte eines seinsimmanenten Geistes und damit in der Geschichte der kulturellen Wirklichkeit erkennbar wird.³⁰ Kant wird somit in zweifacher Hinsicht durch die Brille der nachkantischen Philosophie beurteilt: Während die Identität von Vernunft und Welt die logisch-systematischen Grundlagen einer geisteswis-
Zur Vorstellung von der Identität zwischen „wahren“ Bestandteilen eines philosophischen Systems und der überzeitlichen Vernunftidee einer „philosophia perennis“ Geldsetzer (wie Fn. 16), S. 210 f. In diesem Sinne Lutz Geldsetzer, der einem „absoluten Idealismus“ die Absicht zuschreibt, „die ganze Philosophiegeschichte als Bewußtseinsinhalt oder Gedächtnis eines umfassenden Weltgeistes, des absoluten Geistes [zu] deduzieren, dessen Organisation der Historiker gleichsam als Glied dieses Geistes leistet“; so ders. (wie Fn. 16), S. 138. Typisch idealistisch ist daher auch die hermeneutische Erkenntnismethode des Verstehens, die auf der Rekonstruktion der historischen Wirklichkeit beruht; so ebd., S. 191. Dementsprechend wird das Geschichtsdenken des Historismus im 19. Jahrhundert, dessen Wissenschaftstheorie in der heutigen philosophiehistorischen Forschung fortlebt, auf die Geschichtsphilosophie des nachkantischen Idealismus zurückgeführt; so Jaeger u. Rüsen (wie Fn. 17), S. 30‒34. Dazu Eisfeld, Erkenntnis (wie Fn. 10), S. 146‒208, sowie ‒ am Beispiel von Johann Gottlieb Fichte ‒ S. 253‒426.
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Jens Eisfeld: Methodische Überlegungen zur Philosophiegeschichte
senschaftlich-hermeneutischen Methodologie bildet und so die Voraussetzungen dafür schafft, die Schriften Kants einer aktualisierenden Interpretation gefügig zu machen, wird seine Lehre dann auch im Sinne dieser Identität umgedeutet, nämlich in eine Theorie der apriorischen Welt- oder Gegenstandserzeugung und in eine Theorie des positiven Rechts.³¹ Die Methode der herkömmlichen Philosophiegeschichte beruht somit auf dem Wirklichkeitsbegriff des nachkantischen Idealismus und daher auf einer bestimmten Weltanschauung. Es verwundert daher nicht, dass die Lehre vom hermeneutischen Verstehen, welche dieser Methode zugrunde liegt, von solchen Philosophen abgelehnt wird, die im Gegensatz zum nachkantischen Idealismus und zum Neukantianismus an der Trennung zwischen apriorischer Erkenntnisstiftung und Wirklichkeit festhalten.³² Die aktualisierende philosophiehistorische Methode lässt sich daher keineswegs als schlechthin „philosophisch“ charakterisieren. Unzutreffend wäre es auch, die Fragestellung der Philosophiegeschichte als von der allgemeinen Ideengeschichte unabhängig zu bezeichnen, da die Philosophiegeschichte ebenfalls für sich in Anspruch nimmt, eine historische Methode anzuwenden und dabei historische Erkenntnisse zu erzielen. Sie ist sogar der festen Überzeugung, dass ihre Methode die einzige ist, die den philosophischen Quellen gerecht wird und die sich deshalb „historisch“ nennen darf.³³ Eine friedliche Koexistenz von herkömmlicher Philosophiegeschichte und allgemeiner Ideengeschichte kann es deshalb nur dann geben, wenn letztere ‒ wie bisher ‒ die Philosophiegeschichte den Philosophen überlässt.³⁴ Demgegenüber würde eine an der fachhistorischen Ideengeschichte orientierte Fragestellung nicht nur die aktualisierende philosophiehistorische Methode, sondern auch Dazu unten III. 2. u. 3. Vgl. dazu Kraft (wie Fn. 1), S. 188‒195; Hans Albert, Hermeneutik und Realwissenschaft, in: ders., Plädoyer für kritischen Rationalismus, München 1971, S. 106‒149; ders., Geschichte und Gesetz (wie Fn. 19), S. 140‒165; weitere Nachweise oben in Fn. 3. Dazu oben bei Fn. 8 und in Fn. 24. Die Geschichtswissenschaft betrachtet die Philosophiegeschichte bis heute nicht als Bestandteil der eigenen Disziplin. Dazu Geldsetzer (wie Fn. 16), S. 123; ders., Wozu Philosophiegeschichte? Und warum sich diese Frage heute besonders dringlich stellt, in: Myriam Gerhard (Hrsg.), Oldenburger Jahrbuch für Philosophie 2009, Oldenburg 2010, S. 13 – 28, 17. Selbstverständlich existieren auch zu dieser Regel Ausnahmen, also philosophiehistorische Schriften von Fachhistorikern. Verwiesen sei etwa auf Franz Rosenzweig, Hegel und der Staat, München u. Berlin 1920 (Neudruck: Aalen 1982); Hajo Holborn, Der deutsche Idealismus in sozialgeschichtlicher Beleuchtung, in: Historische Zeitschrift 174 (1952), S. 359‒384; Otto Dann, Johann Gottlieb Fichte und die Entwicklung des politischen Denkens in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts, Heidelberg 1968; Peter Burg, Der politische Gehalt der „Kritik der reinen Vernunft“, in: Gerhard Funke (Hrsg.), Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses, Teil I. 2: Sektionen VIII‒XIV, Bonn 1981, S. 898‒908.
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deren Ergebnisse in Frage stellen. Das zeigt sich bei der von dem Philosophen und Historiker Panajotis Kondylis geforderten Kontextualisierung von Ideen: Kondylis geht von der Existenz mehrerer historisch relevanter Ideen aus, während die herkömmliche Philosophiegeschichte im Prinzip nur eine einzige Idee annehmen kann, nämlich eine sich im Geschichtsverlauf konkretisierende Vernunftidee philosophischer Wahrheit.³⁵ Die Kontextualisierung hebt die Unterschiede zwischen den Ideen hervor und betont deren Bedeutung im philosophischen und politischen Meinungskampf, während die gängige philosophiehistorische Methode diese Unterschiede entweder ignoriert oder aber bestimmte Ideen als „Entdeckungen“, „Einsichten“ oder „Überwindungen“ auszeichnet und dabei den aus ideengeschichtlicher Sicht unzutreffenden Eindruck erweckt, als handele es sich hier nicht um Rationalisierungen bestimmter philosophischer und politischer Grundhaltungen, sondern um die Realisierung objektiver Wahrheit in der Geschichte.³⁶ Soweit die von Philosophen geschriebene Philosophiegeschichte mehrere philosophische Auffassungen zugleich behandelt, betont sie dementsprechend deren Gemeinsamkeiten. Dieter Henrich spricht in diesem Zusammenhang von „Konstellationen“ und meint damit einheitliche „Denkräume“, deren „Potentiale […] ein ganzes Bündel von Fragen und Aufgaben für die Selbstverständigung jeder
In diesem Sinne etwa Hermann Cohen, Logik der reinen Erkenntnis (2. Aufl. 1914), in: ders., Werke, Bd. 6, Hildesheim u. New York 1977, S. 6: „Die Idee, nicht ihre Mehrheit, charakterisiert den Idealismus“. Ähnlich Julius Ebbinghaus (wie Fn. 15), S. 469: „Alle Ideen, in denen man eine Abhängigkeit des Menschen in den Selbstbestimmungen seines Daseins von der Vernunft selber zu erkennen wähnte […], sind in Wirklichkeit nichts anderes als Ideen von Momenten möglicher Wirksamkeit der die Lebendigkeit unseres Lebens enthaltenden spezifischen Grundkraft“. Dementsprechend wendet sich Ebbinghaus dann auch aus der Perspektive der philosophiehistorischen Hermeneutik gegen einen „historischen Skeptizismus“, für den „die Geschichte des Menschen […] ein Tummelplatz einander zerstörender Kräfte [ist], von denen man schlechterdings nichts ,verstehen‘ kann, und an denen sich der Glaube, der Mensch könne in ihnen jemals als Deckung für seine Tat einen Zipfel vom wehenden Mantel der Gottheit erwischen, schlechterdings nicht verifizieren lässt. Eben derselbe historische Skeptizismus aber ist auch das wahre Resultat der Meinung derer, die im Verlaufe der Menschheitsgeschichte den Ausdruck des Willens einer Mannigfaltigkeit von ursprünglichen Kräften möglicher Selbstbestimmung des Menschen erblicken wollen“; so ders. ebd., S. 472. Kritisch gegenüber der Rede von „Entdeckungen“ und „Widerlegungen“ in der philosophiehistorischen Literatur auch Kondylis, Dialektik (wie Fn. 3), S. 13, 303. Ein typisches Beispiel für diese objektivierenden Formulierungen, die nicht nur die politische Bedeutung und die polemische Zielrichtung der analysierten Auffassung, sondern auch die persönliche Zustimmung des Philosophiehistorikers dissimulieren, ist der Aufsatz von Dieter Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht, Frankfurt/M. 1967.
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Gegenwart mit sich führen“.³⁷ Ein solcher Denkraum ist für Henrich der nachkantische Idealismus, in dem sich seiner Meinung nach die kantische Philosophie vollendet hat.³⁸ Diese ‒ im philosophischen Schrifttum nach wie vor herrschende ‒ Überzeugung von der Vollendung Kants im nachkantischen Idealismus lässt sich jedoch nur dann aufrechterhalten, wenn die rechts- und politiktheoretischen Konsequenzen der Veränderungen, welche die nachkantische Philosophie im kantischen Systembau vorgenommen hat, gar nicht erst in den Blick geraten. Letzteres wiederum setzt voraus, dass die philosophischen Systeme des nachkantischen Idealismus nicht etwa als selbstständige und gegnerbezogene Ideen mit den kantischen Schriften konfrontiert werden, sondern dass man die Lehren Kants und seiner Nachfolger vielmehr als Ausprägungen einer einheitlichen und überzeitlichen Vernunftidee auffasst.
III Zur Umdeutung der kantischen Philosophie und Rechtstheorie vom 19. Jahrhundert bis heute Die folgende Skizze der tiefgreifenden Veränderungen, denen die kantische Lehre im Zuge ihrer Rezeption seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts bis heute ausgesetzt ist, muss von bestimmten Kernaussagen der Philosophie Kants ausgehen, ohne die sich logischerweise keine Veränderungen am kantischen Systembau nachzeichnen lassen. Bei einer stichprobenhaften Durchsicht des Kant-Schrifttums stellt man jedoch alsbald fest, dass über einen als gesichert geltenden Grundbestand solcher Aussagen keine Einigkeit herrscht. Das gilt nicht zuletzt auch für das Hauptergebnis der „Kritik der reinen Vernunft“, nämlich die ‒ im Folgenden noch näher zu erläuternde ‒ positive Unerkennbarkeit der Dinge an sich, sowie für den naturrechtsphilosophischen Charakter der kantischen Rechtslehre. Historiker und Rechtshistoriker nehmen diesen Befund nicht selten achselzuckend oder gar mit insgeheimer Freude zur Kenntnis ‒ scheint er sie doch in ihrem bereits erwähnten Vorurteil zu bestärken, dass der Inhalt philosophischer und damit auch der kantischen Werke stets „Interpretationssache“ sei, weshalb eine Analyse der entsprechenden Quellen ohnehin zu keinen eindeutigen Er-
Dieter Henrich, Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789‒1795), Stuttgart 1991, S. 20 f. In diesem Sinne meint Henrich mit Blick auf den nachkantischen Idealismus: „Der alles beherrschende Impuls, der von Kant ausging, konnte nur über eine weitere Wendung in der Gesamtorientierung des philosophischen Unternehmens zu einer Wirkung kommen, in der sich seine Potentiale in ihrer ganzen Breite und Tiefe entfalteten“; so Henrich (wie Fn. 37), S. 11 f.
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gebnissen führen könne und daher aus geschichtswissenschaftlicher Sicht entbehrlich sei. Auch wenn dieses Vorurteil, soweit es das Œuvre Kants betrifft, hier aus Platzgründen nicht im Einzelnen widerlegt werden kann, so ist es doch offensichtlich ungereimt. Denn wie sollte es erklärbar sein, dass Kant einerseits ‒ zumindest im Hinblick auf den deutschsprachigen Raum ‒ zu Recht als Begründer der modernen Philosophie und Wissenschaftstheorie gefeiert wird, andererseits aber angeblich unfähig war, auch nur die Kernaussagen seiner Philosophie hinreichend deutlich zu machen? Die Antwort auf diese Frage ist klar: gar nicht. Weitaus naheliegender ist es jedenfalls, die Uneinigkeit im Kant-Schrifttum auf die herkömmliche philosophiehistorische Methode zurückzuführen, die der jeweiligen Grundhaltung des Kant-Interpreten maßgeblichen Einfluss auf dessen Forschungsergebnisse gewährt. Und tatsächlich konnte an anderer Stelle ausführlich gezeigt werden, dass sich zumindest die Kernüberzeugungen der Philosophie Kants durchaus klar herausarbeiten lassen, wenn man sich nur darum bemüht, unter möglichster Ausblendung heutiger philosophischer Grundhaltungen den ursprünglichen Aussagegehalt der Quellen zu erfassen.³⁹ Diese Beschränkung auf die historischphilologische Fragestellung führt dann, um es noch einmal zu betonen, zu dem Ergebnis, dass Kant auf dem Gebiet der theoretischen Philosophie ‒ oder, was hier dasselbe bedeutet: auf dem Gebiet der Erfahrungstheorie ‒ die positive Unerkennbarkeit der Dinge an sich feststellt und auf dem Gebiet der praktischen Philosophie den naturrechtsphilosophischen Charakter der Rechtswissenschaft. Diese Interpretation verdeutlicht das von Kant ursprünglich intendierte Zusammenspiel von theoretischer und praktischer Philosophie, das im Wesentlichen darin besteht, mit dem Nachweis der positiven Unerkennbarkeit der Dinge an sich auf erfahrungstheoretischer Ebene scharf zwischen Sein und Sollen trennen zu können, um der praktischen Vernunft so einen der theoretischen Vernunft gegenüber selbständigen, überempirischen Erkenntnisbereich zu sichern (1.). In einem zweiten Schritt sind dann die Eingriffe in die kantische Lehre vom Ding an sich näher zu analysieren (2.), bevor schließlich die Auswirkungen dieser Eingriffe auf die Umdeutung der Rechtslehre Kants in eine Theorie des positiven Rechts im Fokus stehen (3.). Unter einer Theorie des positiven Rechts wird hier die Auffassung verstanden, dass das positive Recht bereits als gültiges, verbindliches oder legitimes Recht zur Entstehung gelangt. Eine Theorie des positiven Rechts beruht also – wie sogleich zu zeigen ist: im Widerspruch zur kantischen Rechtstheorie – auf der Überzeugung, dass es sich beim positiven Recht um ein Vernunftprodukt
Eisfeld, Erkenntnis (wie Fn. 10), S. 139‒252.
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handelt. Dementsprechend bildet in einer Theorie des positiven Rechts das positive Recht den Inhalt – und nicht bloß den Gegenstand – der Rechtserkenntnis.
1 Die Lehre vom Ding an sich und das naturrechtliche Fundament der Rechtswissenschaft bei Kant Das oft als rätselhaft angesehene Ding an sich ist bei Kant durch seine Erkennbarkeit aus reiner Vernunft, also durch seine Erkennbarkeit a priori charakterisiert, die zugleich auch das Kennzeichen des Gültigen oder Verbindlichen bildet. Das Ding an sich ist somit nichts anderes als das Gültige, Verbindliche oder Legitime.⁴⁰ Die positive Unerkennbarkeit der Dinge an sich ‒ mithin deren Nichtexistenz in der Erfahrungswelt ‒ folgt für Kant daraus, dass der Mensch in seiner Eigenschaft als erkenntnisstiftendes Vernunftwesen die Erfahrungswelt nicht aus reiner Vernunft und damit als etwas Gültiges oder Verbindliches erkennen kann. Das liegt wiederum daran, dass die theoretische Philosophie Kants scharf zwischen (Erfahrungs‐)Form und (Erfahrungs‐)Inhalt trennt, eine Differenzierung, die der kantischen Trennung zwischen dem Menschen als vernünftigem bzw. erkenntnisstiftendem Subjekt einerseits und den empirischen Objekten andererseits entspricht: Für Kant ist die apriorische Erkenntnis der Erfahrungswelt auf bloße Formen, also Gesetzmäßigkeiten, beschränkt, bei denen es sich um die reinen Anschauungsformen des Raumes und der Zeit sowie die Kategorien der theoretischen Vernunft handelt. Als bloße Formen sind Raum und Zeit sowie die Kategorien vom Inhalt oder der Materie der Erfahrung getrennt. Der Erfahrungsinhalt kann daher von der sinnlichen Anschauung des Menschen nicht aktiv erzeugt, sondern nur passiv rezipiert werden, und zwar in der Form eines raumzeitlichen Kontinuums, das von den reinen Anschauungsformen vorgegeben wird.⁴¹
Zur Gültigkeit apriorischer Erkenntnis Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl., Riga 1787, S. 3 f. Zum Ding an sich als dem Objekt apriorischer Erkenntnis ebd., S. 303, 310. Dazu ausführlich Eisfeld, Erkenntnis (wie Fn. 10), S. 179‒219 m. zahlr. Nachw. Zur Eigenschaft von Raum und Zeit als reine Anschauungsformen, die dazu führen, dass alle menschliche Erfahrung nur in Raum und Zeit stattfindet: Kant (wie Fn. 40), S. 42‒72. Zu den Kategorien als apriorischen Gesetzmäßigkeiten und zu deren Funktion bei der Erfahrungserkenntnis Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1783), in: Kants Werke (wie Fn. 26), Bd. 4, Berlin 1911, S. 302‒311; ders., Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik (zu Lebzeiten unveröffentlicht), in: Kants Werke (wie Fn. 26), Bd. 20, Berlin 1942, S. 271 f. Zu Anschauung und theoretischer Vernunft als den „zwei Stämmen“ der theoretischen Erkenntnis Kant (wie Fn. 40), S. 29, 74 f. Ausführlicher zur Erfahrungslehre Kants Eisfeld, Erkenntnis (wie Fn. 10), S. 146‒164.
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Der Trennung zwischen Form und Inhalt in dem Sinne, dass das menschliche Erkenntnisvermögen nur bestimmte Gesetzmäßigkeiten (aktiv) zu erzeugen vermag, während der Erfahrungsinhalt von der sinnlichen Anschauung (passiv) rezipiert wird, entspricht es, dass der Ursprung oder Urgrund des Erfahrungsinhalts in einer selbstständigen, also vom menschlichen Vernunftsubjekt und seiner apriorischen Erkenntnis unabhängigen Objektwelt der Dinge an sich liegt.⁴² Das Ding an sich (oder, was dasselbe bedeutet: die Dinge an sich⁴³) ist in der empirischen Wirklichkeit (im Positiven) deshalb nicht erkennbar, weil die Erfahrungserkenntnis stets durch die reinen Anschauungsformen des Raumes und der Zeit vorgeprägt ist, bei denen es sich um rein subjektive Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Erkenntnisvermögens handelt, die als solche nicht Eigenschaften der Dinge an sich sein können. Kant nennt diesen Grundsatz die transzendentale Idealität von Raum und Zeit sowie seine darauf beruhende Erfahrungslehre „transzendentalen Idealismus“.⁴⁴ Bei den Gegenständen, die uns in der empirischen Wirklichkeit gegeben sind, handelt es sich aufgrund der transzendentalen Idealität von Raum und Zeit nur um Erscheinungen der Dinge an sich: Das Ding an sich wird im Zuge seiner Rezeption durch die sinnliche Anschauung in lauter Erscheinungen in Zeit und Raum aufgelöst, so dass es sinnlich nicht mehr wahrnehmbar ist. Für Kant existiert somit neben den Erscheinungen der empirischen Wirklichkeit noch eine Welt der Dinge an sich, die aufgrund ihrer Unerkennbarkeit durch die theoretische Vernunft hinter die Erscheinungswelt zurücktritt. Dieser kosmologische Grundsatz der kantischen Philosophie lässt sich als „Zweiweltenlehre“ bezeichnen.⁴⁵ Die empirische oder positive Unerkennbarkeit der Dinge an sich folgt somit aus der transzendentalen Idealität von Raum und Zeit, die wiederum auf der
Vgl. dazu Kant, Prolegomena (wie Fn. 41), S. 318: „[W]ie ist Natur in materieller Bedeutung, nämlich der Anschauung nach, als der Inbegriff der Erscheinungen; wie ist Raum, Zeit und das, was beide erfüllt, der Gegenstand der Empfindung, überhaupt möglich? Die Antwort ist: vermittelst der Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit, nach welcher sie auf die ihr eigenthümliche Art von Gegenständen, die ihr an sich selbst unbekannt und von jenen Erscheinungen ganz unterschieden sind, gerührt wird“. Zahlreiche weitere Nachweise zur Überzeugung Kants von der Existenz selbstständiger Dinge an sich bei Leonard Nelson, Über das sogenannte Erkenntnisproblem (1908), in: ders., Gesammelte Schriften in neun Bänden, hrsg. v. Paul Bernays u. a., Bd. 2, Hamburg 1973, S. 59 – 393, 206 Fn. 212. Die Frage, ob es für Kant nur ein Ding an sich gibt oder mehrere Dinge an sich, ist ungereimt, da sie die Vorstellung der Dinge an sich in Raum und Zeit voraussetzt, was nach dem Grundsatz von der transzendentalen Idealität von Raum und Zeit (dazu sogleich im Haupttext) jedoch ausgeschlossen ist. Kant (wie Fn. 40), S. 43 f., 52 f., 518‒525; ders., Prolegomena (wie Fn. 41), S. 293, 337, 375. Im Anschluss an Kondylis, Aufklärung (wie Fn. 3), S. 645.
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Zweiweltenlehre beruht, da Raum und Zeit nur dann keine Eigenschaften der Dinge an sich sein können, wenn diese eine subjektunabhängige (eine vom menschlichen Vernunftsubjekt getrennte und daher an sich selbst gesetzte) Objektwelt bilden. Die theoretische Vernunft ist mit ihren apriorischen Gesetzmäßigkeiten ‒ den bereits erwähnten Kategorien ‒ darauf beschränkt, die ihr von der sinnlichen Anschauung zur Verfügung gestellten Erscheinungen zur Erfahrungswelt zu synthetisieren. Die Erscheinungen stehen also ‒ aufgrund der reinen Anschauungsformen ‒ bereits in einem raum-zeitlichen Zusammenhang, so dass auch die Erscheinungssynthese durch die Kategorien stets in Raum und Zeit zu erfolgen hat.⁴⁶ Das erfahrungsursprüngliche Ding an sich bleibt daher der theoretischen Vernunft unerkennbar, was zur Konsequenz hat, dass sich die Erfahrungswelt nicht als das Produkt einer apriorischen Erkenntnisstiftung auffassen lässt. Der sinnlichen Welt fehlt somit die Gültigkeit oder Verbindlichkeit, die ja das Kennzeichen der Vernunfterkenntnis ist, sodass die empirische Wirklichkeit nicht gültig oder verbindlich, sondern nur kontingent (zufällig) ist.⁴⁷ Aufgrund ihrer Abhängigkeit von der sinnlichen Anschauung bleibt die reine theoretische Vernunft auf eine sog. distributive Erfahrungserkenntnis festgelegt, für die immer nur raum-zeitliche Ausschnitte aus der empirischen Wirklichkeit erkennbar werden, während ihr eine kollektive Erkenntnis des Erfahrungsganzen verwehrt ist.⁴⁸ Die reine Vernunft ist daher niemals dazu in der Lage, die Erfahrungswelt als ein in sich geschlossenes Ganzes, oder mit anderen Worten: als ein vernünftiges und daher gültiges (verbindliches) System zu erkennen. Der Grundsatz von der positiven Unerkennbarkeit der Dinge an sich bedeutet somit auch die Unerkennbarkeit von Systemen, von in sich vollständigen, lückenlosen Ordnungen im empirisch Gegebenen.⁴⁹ Was folgt nun daraus für den kantischen Rechtsbegriff und dessen Verhältnis zum positiven Recht? Das bisher erzielte Ergebnis besteht darin, dass aufgrund der positiven Unerkennbarkeit der Dinge an sich die Erfahrungswelt und damit
Wie Fn. 41. Kant (wie Fn. 40), S. 3: „Erfahrung lehrt uns zwar, daß etwas so oder so beschaffen sei, aber nicht, daß es nicht anders sein könne“; ganz ähnlich ebd., S. 762, und Kant, Prolegomena (Fn. 41), S. 294. Zur normativen Zufälligkeit der Erfahrung auch Kant (Fn. 40), S. 1‒6, 47, 218 f., 592 f., 662 f. Kant (wie Fn. 40), S. 176‒187, 219, 232‒256, 518‒545; ders., Preisschrift (wie Fn. 41), S. 271. In der „Kritik der reinen Vernunft“ (wie Fn. 40) spricht Kant auf S. 610 von der „distributive[n] Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes“ im Gegensatz zur „kollektive[n] Einheit eines Erfahrungsganzen“. Vermag die menschliche Einsichtsfähigkeit die Erfahrungswelt nicht aus reiner (theoretischer) Vernunft zu erkennen, dann sind, da systematische Erkenntnis Vernunfterkenntnis ist (Kant [wie Fn. 40], S. 860‒870), in der empirischen Wirklichkeit (im Positiven) auch keine Systeme wahrnehmbar.
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auch das positive Recht als deren Bestandteil nicht a priori erkennbar sind und daher auch nicht das Produkt einer vernünftigen (gültigen, verbindlichen) Erkenntnisstiftung sein können. Der menschlichen Vernunft ist es daher versagt, das positive Recht als ein bereits existierendes System, als eine bereits existierende Rechtsordnung zu erkennen. Die positive Unerkennbarkeit der Dinge an sich hat zur Folge, dass menschliche Vernunft und Erfahrungswelt insofern voneinander getrennt bleiben, als es der reinen Vernunft unmöglich ist, sich selbst als erfahrungsursprüngliches Ding an sich zu erkennen und in dieser Eigenschaft die empirische Wirklichkeit als eine vernünftige, systematische Totalität zu erzeugen. Der reinen Vernunft kommt somit bei Kant keine erfahrungskonstitutive Wirkung zu, weshalb die empirische Wirklichkeit auch nicht den (gültigen, verbindlichen) Inhalt der vernünftigen Erkenntnisstiftung ausmacht, sondern ihren (kontingenten) Gegenstand.⁵⁰ Dasselbe muss dann für das positive Recht gelten; dieses bildet nicht den Inhalt der Rechtserkenntnis, sondern ihren Gegenstand. Dem entspricht es, dass die reine Vernunft das positive Recht ebenso wenig wie die Erfahrungswelt ‒ erfahrungskonstitutiv ‒ zu erzeugen, sondern lediglich ‒ erfahrungsregulativ ‒ zu bestimmen vermag; die Vernunft erzeugt das positive Recht nicht als System, sondern sie kann es so bestimmen, dass das positive Recht zu einem System bzw. einer vernünftigen Rechtsordnung wird.⁵¹ Diese Trennung zwischen positivem Recht und rechtserkenntnisstiftender Vernunft ist die Trennung zwischen (faktischer) Rechtsgeltung und (epistemischer) Rechtsgültigkeit.⁵² Bildet das positive Recht nur den kontingenten Gegenstand der Rechtserkenntnis, nicht aber ihren gültigen (verbindlichen) Inhalt, dann ist die Rechtserkenntnis Aufgabe einer praktischen Vernunft, die im Unterschied zur theoreti-
Die erfahrungskonstitutive Wirkung der Vernunft wird abgelehnt von Kant (wie Fn. 40), S. 536 f., 672‒675. Zur fehlenden erfahrungskonstitutiven Wirkung der Vernunft bei Kant Eisfeld, Erkenntnis (wie Fn. 10), S. 166‒177. Zur Kontingenz der Erfahrungswelt bei Kant oben die Nachweise in Fn. 47. Kant spricht nicht ausdrücklich davon, dass die praktische Vernunft das positive Recht zu einem (gültigen) System bestimmt. Dieser Zusammenhang ergibt sich aber notwendig zum einen aus der Trennung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft (Sein und Sollen) sowie dem daraus folgenden Entscheidungscharakter der praktischen Erkenntnis (dazu Eisfeld, Erkenntnis [Fn. 10], S. 244‒249), und zum anderen daraus, dass es für Kant zwar möglich ist, aus reiner Vernunft „Anfangsgründe der Rechtslehre“ zu erkennen, nicht aber ganze Kodifikationen, die das positive Recht verdrängen würden. Zu der damit in Zusammenhang stehenden Lehre von der „Positivität des Rechts“ Jens Eisfeld, Person und juristische Person in der Rechtswissenschaftsgeschichte, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 39 (2017), S. 206 – 245, 228 f. Dazu Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, in: Kants Werke (wie Fn. 26), Bd. 6, Berlin 1907, S. 229 f.
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schen Vernunft nicht das erkennt, was in der Erfahrungswelt tatsächlich ist oder getan wird, sondern das, was sein, was getan werden soll. ⁵³ (Der Begriff des Sollens steht hier somit für den Inhalt der rechtswissenschaftlichen Erkenntnisstiftung oder Theoriebildung, für den wissenschaftlich erkennbaren Inhalt eines gültigen oder verbindlichen Rechts.) Der Rechtsbegriff als der Inbegriff eines wissenschaftlich erkennbaren Rechts kann daher nicht auf das positive Recht beschränkt sein; dieses vermag für Kant ‒ ganz im Gegensatz zur Rechtstheorie der Historischen Rechtsschule und zu heutigen Auffassungen von der systemischen Eigenrationalität des positiven Rechts ‒ kein vernünftiges, autonomes Ganzes darzustellen, das eine selbstständige praktische Vernunft des Rechtsanwenders nicht nur überflüssig machen, sondern auch delegitimieren würde. Das positive Recht ist nach Kant nicht eigenrationales System, sondern kontingente Erscheinung, da es, ebenso wenig wie die Erfahrungswelt insgesamt, nicht aus reiner Vernunft erkennbar ist, oder, was dasselbe bedeutet: nicht als ein Vernunftprodukt angesehen werden kann.⁵⁴ Dem entspricht es, dass das positive Recht eine Vielzahl von Rechtsanwendungsproblemen aufwirft, deren Lösung nicht etwa im positiven Recht bereits enthalten ist, sondern vielmehr der praktischen Vernunft des Rechtsanwenders überantwortet bleibt. Die reine Vernunft verwirklicht sich nicht im positiven Recht, wo die Probleme entstehen, sondern dort, wo die Probleme gelöst werden, nämlich in der rechtswissenschaftlichen Theoriebildung. Ist der Rechtsbegriff nicht auf das positive Recht beschränkt und liegt dementsprechend der Ursprung der Rechtserkenntnis in einer der theoretischen Vernunft gegenüber selbstständigen praktischen Erkenntnis,⁵⁵ dann muss der gültigkeits- oder verbindlichkeitstheoretische Grund der Rechtserkenntnis in einem fundamentalen, apriorischen Rechtsgesetz der praktischen Vernunft bestehen, das als naturrechtliches Kriterium für die Bewertung des positiven Rechts als gültig (verbindlich) fungiert. Kant ist somit von der Existenz einer praktischen
Zur Trennung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft bei Kant vgl. dens. (Fn. 40), S. 661, 868, insbes. S. 375: „Denn in Betracht der Natur gibt uns Erfahrung die Regel an die Hand und ist der Quell der Wahrheit; in Ansehung der sittlichen Gesetze aber ist Erfahrung (leider!) die Mutter des Scheins, und es ist höchst verwerflich, die Gesetze über das, was ich thun soll, von demjenigen herzunehmen, oder dadurch einschränken zu wollen, was gethan wird“; ders., Kritik der Urtheilskraft, in: Kants Werke (wie Fn. 26), Bd. 5, Berlin 1913, S. 174 f. Kant bezeichnet dementsprechend das positive Recht ausdrücklich als „zufällig“ und „willkürlich“; so ders. (wie Fn. 52), S. 227. Zur Kontingenz des positiven Rechts bei Kant Eisfeld, Erkenntnis (wie Fn. 10), S. 320‒322 m. w. Nachw. Der Begriff der praktischen Erkenntnis wird von Kant häufig und ganz selbstverständlich verwendet; so etwa in: Kritik der reinen Vernunft (wie Fn. 40), S. X, XXI, XXVI Anm.; Kritik der praktischen Vernunft, in: Kants Werke (wie Fn. 26), Bd. 5, Berlin 1913, S. 6, 16, 20, 31, 103.
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Erkenntnis überzeugt, die Aussagen darüber zu machen vermag, was wir sollen. Die praktische Vernunft ist dazu in der Lage, das – der theoretischen Vernunft unerkennbare – Ding an sich zu erkennen, und zwar als gültigkeitstheoretischen Grund der Rechtserkenntnis bzw. der rechtswissenschaftlichen Theoriebildung.⁵⁶ Die Verwendung des Begriffes „rechtswissenschaftlich“ in diesem Zusammenhang ist zumindest aus rechtshistorischer Perspektive unproblematisch, da Kant selbst, wie es der Titel „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“ ja schon aussagt, der festen Überzeugung war, mit seiner (Natur‐)Rechtsphilosophie den Grund der Rechtswissenschaft gelegt zu haben. Soweit zu zwei zentralen Aussagen der kantischen Philosophie, nämlich der positiven oder empirischen Unerkennbarkeit der Dinge an sich auf dem Gebiet der theoretischen Philosophie und dem naturrechtsphilosophischen Charakter der Rechtstheorie auf dem Gebiet der praktischen Philosophie.
2 Die Umdeutung des transzendentalen Idealismus Kants in eine Theorie der apriorischen Gegenstandserzeugung Bei der Deutung der Erkenntnislehre Kants lassen sich im Schrifttum im Wesentlichen zwei Vorgehensweisen unterscheiden: Zum einen werden die positive oder empirische Unerkennbarkeit der Dinge an sich, die daraus folgende Kontingenz der empirischen Wirklichkeit sowie die rechts- und politiktheoretischen Folgen dieser erfahrungstheoretischen Grundsätze der kantischen Philosophie mehr oder weniger ausgeblendet. Die „Kritik der reinen Vernunft“ erscheint dann als eine weitgehend unpolitische, von der praktischen Philosophie getrennte Lehre von der theoretischen Erkenntnis des empirisch Gegebenen, nicht aber als die erkenntnistheoretische Basis der praktischen Philosophie Kants.⁵⁷ Zum anderen wird versucht, die positive Unerkennbarkeit der Dinge an sich in eine positive Erkennbarkeit der Dinge an sich umzudeuten. Die Kontingenz der Erfahrungswelt verwandelt sich so in die Gültigkeit der historisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit. Diese Interpretation, die Kant im Ergebnis zum Begründer einer Theorie des positiven Rechts macht, dürfte ganz wesentlich für das weit ver-
Eisfeld, Erkenntnis (wie Fn. 10), S. 208 – 219; ders., Rechtserkenntnis durch begründetes Werten. Die rechtstheoretische Bedeutung der kantischen Lehre vom Ding an sich, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 102 (2016), S. 551– 598, 560 – 567. So etwa bei Ernst Cassirer, Kants Leben und Lehre, 2. Aufl., Berlin 1921 (Nachdruck: Darmstadt 1974), S. 149‒231; Karl Vorländer, Immanuel Kant. Der Mann und das Werk, Bd. 1, Leipzig 1924, S. 265‒290; Otfried Höffe, Immanuel Kant, 8. Aufl., München 2014, S. 46‒173; Walter Gölz, Kants „Kritik der reinen Vernunft“ im Klartext, 2. Aufl., Tübingen 2008.
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breitete Missverständnis verantwortlich sein, Kant habe mit seiner „Kritik der reinen Vernunft“ der wissenschaftlichen Erkennbarkeit des Naturrechts den Boden entzogen.⁵⁸ Obwohl die Auffassung von der positiven Erkennbarkeit der Dinge an sich die Grundaussage der „Kritik der reinen Vernunft“ in ihr Gegenteil verkehrt, so handelt es sich bei dieser Deutung keineswegs ‒ wie man als Historiker oder Rechtshistoriker zunächst meinen könnte ‒ um eine nur ganz vereinzelt vertretene Auffassung, sondern vielmehr um die bis heute herrschende Überzeugung im KantSchrifttum. Ein aus ideengeschichtlicher Perspektive durchaus erstaunlicher Befund, der, soweit ich sehen kann, bisher nicht zum Gegenstand einer eigenen und umfassenden Untersuchung gemacht wurde. Im Folgenden sollen die Eingriffe in die theoretische Philosophie – oder, was dasselbe bedeutet: die Erfahrungstheorie – Kants anhand der insofern typischen Schriften des Neukantianers Hermann Cohen näher untersucht werden: Das Werk Hermann Cohens enthält ‒ insoweit in Übereinstimmung mit Kant ‒ eine erfahrungstheoretische Grundlegung, auf der seine Rechtstheorie dann aufbaut.⁵⁹ („Erfahrungstheorie“ wird hier als Lehre von der Entstehung der Gegenstände aus reinem Denken aufgefasst. „Erfahrungstheorie“ meint daher die Lehre von der theoretischen Erkenntnis, also davon, was reine theoretische Vernunft aus sich selbst heraus zu erkennen bzw. zu erzeugen vermag.) Obwohl Cohen seine Erfahrungslehre unter anderem in einer Schrift mit dem Titel „Kants Theorie der Erfahrung“ entwickelt, nimmt er in der theoretischen Philosophie Kants jedoch wesentliche Umbaumaßnahmen vor, die im Ergebnis zu der Auffassung führen, dass die historisch-gesellschaftliche Wirklichkeit aus reiner Vernunft hervorgeht.⁶⁰ Die dem kantischen Systembau zugrundeliegende Zwei-
In diesem Sinne z. B. Wilhelm Hennis, Zum Problem der deutschen Staatsanschauung, in: ders., Politik als praktische Wissenschaft. Aufsätze zur politischen Theorie und Regierungslehre, München 1968, S. 11 (27); Hans Maier, Die Lehre der Politik an den älteren deutschen Universitäten, in: ders., Politische Wissenschaft in Deutschland. Aufsätze zur Lehrtradition und Bildungspraxis, München 1969, S. 15 – 52, 46 f.; Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie, 2. Aufl., München 1997, S. 26; Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie (1932), hrsg. v. Ralf Dreier u. Stanley L. Paulson, Heidelberg 1999, S. 22 f.; Gerhard Köbler, Deutsche Rechtsgeschichte, 6. Aufl., München 2005, S. 150; Hans Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S. 110, 144; Dietmar von der Pfordten, Rechtsethik, 2. Aufl., München 2011, S. 55. Das zeigt sich in seinem „System der Philosophie“. Den 1. Teil dieses Systems bildet die „Logik der reinen Erkenntnis“ (2. Aufl., Berlin 1914), an welche sich dann der 2. Teil, die „Ethik des reinen Willens“ (2. Aufl., Berlin 1907) anschließt. Zu Recht spricht Helmut Holzhey von der „gänzlichen Preisgabe des Dualismus von Anschauung und Denken“ bei Cohen; so Helmut Holzhey, Der Neukantianismus, in: ders. u. Wolf-
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weltenlehre, also die Trennung zwischen einer (kontingenten) Welt der empirischen Erscheinungen und einer (gültigen) Welt der Dinge an sich, ist damit abgeschafft.⁶¹ Diese tiefgreifenden Veränderungen sind auf den ersten Blick aber nicht als solche zu erkennen, da sich Cohen zum einen stets auf Kant beruft, zum anderen aber auch zahlreiche aus der kantischen Philosophie bekannte Begriffe verwendet, sodass der Eindruck entsteht, als würde Cohen die zentralen Positionen Kants unterstützen. Schaut man genauer hin, erweist sich dieser Eindruck jedoch als falsch,⁶² was insbesondere auch daran deutlich wird, dass die von Kant übernommenen Begriffe bei Cohen häufig ihre inhaltliche Bedeutung entscheidend verändern. Veranschaulichen lässt sich das mit dem Begriff der Transzendentallogik, der bei Kant und bei Cohen für ganz unterschiedliche Ausgestaltungen der Erfahrungstheorie steht. Für Kant beruht die „transzendentale Logik“, die er im zweiten Hauptteil seiner „Kritik der reinen Vernunft“ entwickelt, auf der Trennung zwischen sinnlicher Anschauung und reiner theoretischer Vernunft; eine Trennung, die, wie gesagt (vgl. oben 1.), die Existenz einer subjektunabhängigen Objektwelt der Dinge an sich notwendig voraussetzt. Die theoretische Vernunft ist dann darauf beschränkt, mit ihren apriorischen Gesetzen ‒ den Kategorien ‒ die von der sinnlichen Anschauung gelieferten Erscheinungen zur Erfahrungswelt zu verknüpfen, sodass die empirische Wirklichkeit stets sinnlich bedingt und damit kontingent ist. Die sinnliche Welt ist unter diesen Umständen kein reines Vernunftprodukt, oder ‒ was dasselbe bedeutet ‒ sie ist nicht Ding an sich, was
gang Röd, Die Philosophie des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts, Bd. 2 (= Geschichte der Philosophie, Bd. 12), München 2004, S. 12– 130, 49. Zur zentralen Bedeutung der Zweiweltenlehre für die Philosophie und Wissenschaftstheorie Kants Kondylis, Aufklärung, S. 638‒647; Hans Wagner, Kants affirmative Metaphysik von Dingen an sich, in: Giuseppe Micheli u. Giovanni Santinello (Hrsg.), Kant a due Secoli dalla „Critica“, Brescia 1984, S. 181‒190; Bernd Ludwig, Kants Rechtslehre, Hamburg 1988, S. 82 Fn. 1, der die Zweiweltenlehre treffend „als das Signum ‚kritischer‘ Philosophie“ bezeichnet; Eisfeld, Zur Trennung (wie Fn. 10), S. 329, 334 f. Zum Umbau der Philosophie Kants durch Cohen Leonard Nelson, Rezension von Hermann Cohen, Logik der reinen Erkenntnis (1905), in: Leonard Nelson, Gesammelte Schriften in neun Bänden, Bd. 2, hrsg. v. Paul Bernays u. a., Hamburg 1973, S. 1‒27; Ernst Marcus, Hermann Cohens „Theorie der Erfahrung“ und die Kritik der reinen Vernunft, in: Altpreußische Monatsschrift, Bd. 47 (1910), S. 309‒346 u. 363‒406; Köhnke (wie Fn. 3), S. 270‒301; Winter (Fn. 27), insbes. S. 144‒175. Winter (ebd., S. 174) bemerkt in diesem Zusammenhang treffend: „Was sich der transzendentalen Methode [damit ist hier die Cohensche Theorie der apriorischen Gegenstandserzeugung gemeint, J.E.] nicht fügte, wurde [von Cohen, J.E.] umgebogen, umgruppiert oder weggelassen. Die […] Konsequenz und Kontinuität der Cohenschen Entwicklung läßt sich in diesem Gefügigmachen des Materials und der Unterwerfung unter den Leitgedanken bis in die kleinste Verästelung und Ausführung des Gedankens verfolgen“.
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wiederum der praktischen Vernunft die Möglichkeit gibt, unabhängig vom Sein das Ding an sich (das Sollen) als Naturrechtsordnung zu erkennen.⁶³ Bei Cohen dagegen ist schon die erfahrungstheoretische Ausgangslage eine ganz andere. Cohen bestreitet ‒ mit dem nachkantischen Idealismus und den übrigen Neukantianern ‒ die Existenz einer subjektunabhängigen Objektwelt der Dinge an sich,⁶⁴ was dazu führt, dass die apriorische Erkenntnisstiftung nicht mehr, wie noch bei Kant, auf eine reine Form- oder Gesetzgebung beschränkt ist. Stattdessen übernimmt die reine Vernunft auch die apriorische Erzeugung des Erfahrungsinhalts und damit der historisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit insgesamt,⁶⁵ die jetzt nicht mehr kontingent, sondern gültig ist.⁶⁶ Die kantische Trennung zwischen theoretischer und praktischer Erkenntnis fällt nun weg und damit auch die Naturrechtstheorie Kants, die auf diese Trennung angewiesen ist. Mit der Umdeutung des Begriffes „Transzendentallogik“ in eine Lehre der apriorischen Gegenstandserzeugung beseitigt Cohen die erkenntnistheoretische Basis der Naturrechtstheorie Kants und ersetzt diese durch eine Erfahrungslehre, die eine Theorie des positiven Rechts begründet.⁶⁷ Der entscheidende Angriff auf die Naturrechtstheorie wird hier ‒ wie auch schon bei Johann Gottlieb Fichte und dem übrigen nachkantischen Idealismus ‒ auf der erfahrungstheoretischen Dazu im Einzelnen Eisfeld, Erkenntnis (wie Fn. 10), S. 208‒233. In diesem Sinne Cohen (wie Fn. 35), S. 28 f., 58 f., 81‒83 u. passim. Diese Auffassung ist für den Neukantianismus insgesamt charakteristisch, der dementsprechend davon ausgeht, dass es nur eine Welt gebe, die sich sowohl als real als auch als ideal beurteilen lasse. Diesen Beurteilungsdualismus vertritt etwa Hans Vaihinger, Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus, 7. u. 8. Aufl., Leipzig 1922, S. 109‒114, 266‒273, 722‒724. Ebd., S. 723, merkt Vaihinger an, dass diese Lehre „von einem grossen Teil der Neukantianer, insbesondere auch seitens der sog. Marburger Schule, ferner seitens Windelbands und Rickerts vertreten wird“. Zur Aufhebung der kantischen Trennung zwischen Form und Inhalt bei Cohen siehe dens., Kants Theorie der Erfahrung (3. Aufl., 1918), in: ders., Werke, Bd. 1.1, Hildesheim usw. 1987, insbes. S. 189‒208. Besonders deutlich ebd., S. 203: „Und so fragen wir getrost: Wo ist denn die Materie zu allererst gegeben? Wo ist dieses a posteriori selbst, mit dem alle unsere Erkenntnis anhebt, seinerseits entsprungen? Ist sie etwa gleich dem Marmor vorher da, ehe sie eine Form empfangen? Ist sie nicht vielmehr erst in der ganzen Erscheinung da, also innerlich in und mit der Form verbunden, aus der Wirkung auf unsere Sinnlichkeit hinterher herausanalysiert? So ist denn Beides nur in uns in allem Anfang gegeben, als Ganzes einer Erscheinung“ (Hervorhebung im Original). Zur Notwendigkeit der Erfahrungswelt Cohen (wie Fn. 65), S. 230‒237, 276‒284. In diesem Sinne auch Erich Adickes, Kant und das Ding an sich, Berlin 1924, S. 35. Den Zusammenhang zwischen der Logik Cohens und seiner Begründung des Staates als eines überindividuellen Erkenntnissubjekts, das in seinen positiven Gesetzen auch gültiges Recht schafft, analysiert ausführlich Winter (wie Fn. 27), S. 86‒386. Zum Konnex zwischen der Logik und der Ethik Cohens auch Helmut Holzhey, Cohen und Natorp, Bd. 1, Basel u. Stuttgart 1986, S. 308‒330.
III Zur Umdeutung der kantischen Philosophie und Rechtstheorie
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Ebene geführt: Cohen qualifiziert die „transzendentale Logik“ Kants, die sich auf den Nachweis der Kategorien als bloßer Formen oder Gesetze der Erfahrung beschränkt, als „Formallogik“ ab und ersetzt sie durch eine „Logik des Ursprungs“, welche die kantische Trennung zwischen sinnlicher Anschauung und theoretischer Vernunft aufhebt.⁶⁸ Cohen integriert die Anschauung in die reine Vernunft und vertritt damit ‒ in Übereinstimmung mit der südwestdeutschen Schule des Neukantianismus ‒ einen materialen Idealismus, der die Erfahrungswelt in einer konstitutiven (welt- oder gegenstandserzeugenden) Vernunftidee gründet.⁶⁹ Auch wenn die Neukantianer versichern, dass diese Hereinnahme der Anschauung in das Denken „dem Kerne nach als Selbstberichtigung in Kant bereits vorliegt“,⁷⁰ so steht dieser Auffassung ‒ abgesehen davon, dass sie im Widerspruch zur kantischen Rechtslehre steht ‒ die wiederholte und ausdrückliche Ablehnung sowohl der intellektuellen Anschauung als auch des materialen Idealismus durch Kant selbst entgegen.⁷¹
3 Die Umdeutung der kantischen Naturrechtsphilosophie in eine Theorie des positiven Rechts Die genannten Eingriffe in die kantische Erkenntnis- und Erfahrungslehre führen nicht zuletzt auch zu grundlegenden Veränderungen der Rechtstheorie Kants. Dieser Zusammenhang bleibt jedoch im einschlägigen Schrifttum meist unerwähnt, was offenbar daran liegt, dass die Naturrechtstheorie Kants dort als Zur Ablehnung der formalen Logik durch Cohen und zu dessen Forderung nach einer „Logik des Ursprungs“ ders. (wie Fn. 35), S. 13 f., 36‒38, 77, 503, 596 f. Zum Verhältnis von Ästhetik und Logik bei Cohen auch ders. (wie Fn. 65), S. 245‒254. Das gilt zumindest für die Blütezeit des Neukantianismus ab den 1880er Jahren bis zum Beginn des ersten Weltkriegs. Vgl. dazu Köhnke (wie Fn. 3), S. 404‒433. So Paul Natorp, Kant und die Marburger Schule, in: Kant-Studien 17 (1912), S. 193 – 221, 204. Ähnlich auch Wilhelm Windelband, Ueber die verschiedenen Phasen der Kantischen Lehre vom Ding-an-sich, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 1 (1877), S. 224– 266, 261: „Dieser Gedanke nun, dass ausserhalb der Vorstellung Nichts sei, worum sich die Wissenschaft zu kümmern habe, ist das Göttergeschenk Kant’s an die Menschheit“. Zur Ablehnung der „intellektuellen Anschauung“ durch Kant ders. (wie Fn. 40), S. 72, 75 f., 135, 138 f., 145, 748 f., 798 f. Zur Ablehnung des materialen Idealismus durch Kant vgl. die Nachweise bei Eisfeld, Erkenntnis (wie Fn. 10), S. 151 f. Fn. 49. Cohen wendet sich zwar ausdrücklich gegen die intellektuelle Anschauung, die er als „Widerspruch“ bezeichnet, weil die Anschauung sinnlich sei und der Sinn „nicht als intellektuale Funktion selbständig und abschliessend objektivieren“ könne; so ders. (wie Fn. 65), S. 427. Im Ergebnis führt er aber die Vereinigung von Denken und Anschauung trotzdem ein, nur nicht unter der Bezeichnung „intellektuelle Anschauung“, sondern als „produktive Einbildungskraft“ (ebd., etwa S. 397‒404, 416 f., 419).
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ebenso abwegig beurteilt wird wie seine Zweiweltenlehre. Die herkömmlichen philosophiehistorischen Geschichtskonstruktionen, deren Ausgangspunkt stets in der Grundhaltung des jeweiligen Interpreten besteht (dazu oben II.), ignorieren den naturrechtlichen Charakter der kantischen Rechtslehre deshalb meist vollständig.⁷² So deutet etwa Julius Ebbinghaus die rechts- und politiktheoretischen Folgen seiner Interpretation der kantischen Erfahrungslehre ‒ nämlich den Wegfall eines überpositiven Naturrechts ‒ nur mit der Bemerkung an, dass Kant „sich von jener Schimäre von Absolutheit, die hinter den Wolken thront und nicht ins Diesseits wirkt, nicht frei zu machen [vermochte]“.⁷³ Die Naturrechtstheorie Kants bildet demnach ein typisches Beispiel für etwas „philosophisch Gleichgültiges“, das nach Auffassung von Wilhelm Windelband von der philosophiehistorischen Forschung als „Ballast“ über Bord zu werfen ist,⁷⁴ und zwar, wie man noch ergänzen könnte, möglichst geräuschlos. Soweit daher die Rechtslehre Kants nicht rundweg als metaphysische Verirrung abqualifiziert wird, die den modernen und kritischen Charakter des übrigen Werkes nicht teile,⁷⁵ kommt es zu deren Umdeutung in eine Theorie des positiven Rechts. Dabei bleibt jedoch der Aspekt der Umdeutung, also die Tatsache, dass hier ein Theorem in seinem ursprünglichen Aussagegehalt verworfen und durch ein neues Theorem ersetzt wird, regelmäßig verborgen. Die oben (2.) analysierten Umstellungen im kantischen Systembau haben zur Folge, dass die in der Kant-Literatur herrschende Interpretation der kantischen Rechtslehre im Sinne einer Theorie des positiven Rechts als bloße Konsequenz aus der allgemeinen Erkenntnistheorie Kants erscheint, obwohl diese Interpretation tatsächlich auf den tiefgreifenden Veränderungen der kantischen Erfah Eine Ausnahme in der neueren Kant-Literatur bildet in diesem Zusammenhang Otfried Höffe, „Königliche Völker“. Zu Kants kosmopolitischer Rechts- und Friedenstheorie, Frankfurt/M. 2001. Ebd. wird insbes. auf S. 19‒23 u. 119‒132 der naturrechtliche Charakter der kantischen Rechtslehre herausgestellt. Demgegenüber macht Höffe in seiner verbreiteten Kant-Monographie (oben Fn. 57) den Versuch, die Rechtslehre Kants im Sinne einer Theorie des positiven Rechts zu interpretieren; kritisch dazu Eisfeld, Zur Trennung (wie Fn. 10), S. 338‒341. Julius Ebbinghaus, Relativer und absoluter Idealismus. Historisch-systematische Untersuchung über den Weg von Kant zu Hegel (1910), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 4, hrsg. v. Karlfriedrich Herb u. a., Bonn 1994, S. 3 – 73, 26. Wie Fn. 5. Kritische Stellungnahmen zur Rechtslehre Kants referiert Höffe (wie Fn. 57), S. 213. Ablehnend auch Hans-Georg Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants, Stuttgart-Bad Cannstatt 1983. Die Forderung, sich unter Ausblendung der Rechts- und Staatsphilosophie Kants auf die Grundlagen seiner Erkenntnislehre zu konzentrieren, die durchaus einer positivistischen und damit relativistischen Rechtstheorie als Ausgangspunkt dienen könne, erhebt Hans Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, S. 75 f.; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Berlin 1929, S. 118 f.
III Zur Umdeutung der kantischen Philosophie und Rechtstheorie
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rungslehre beruht, die aus der Transzendentalphilosophie bei Kant eine Theorie der apriorischen Gegenstandserzeugung machen. So kann sich Hermann Cohen in seiner „Ethik des reinen Willens“ bei der Begründung der epistemischen Gültigkeit des positiven Rechts deshalb auf Kant berufen, weil er zuvor in seinem erfahrungstheoretischen Werk die kantische Transzendentallogik in eine „Logik des Ursprungs“, also in eine Lehre der Weltproduktion aus reinen Vernunftbegriffen verwandelt hatte, aus der die historisch-gesellschaftliche Wirklichkeit ‒ und mit ihr auch das positive Recht als deren Bestandteil ‒ als etwas Gültiges hervorgeht.⁷⁶ Erst durch die in seiner Logik entwickelte „transzendentale Methode“ eröffnet sich für Cohen die Möglichkeit einer ethischen Auslegung der empirischen Wirklichkeit, die wiederum einem Beurteilungsdualismus entspricht, nach dem die Erfahrungswelt sowohl als real, als auch als ideal und damit als gültig aufgefasst werden kann. Ähnliches gilt für andere Neukantianer, wie etwa Karl Vorländer.⁷⁷ Derselbe Zusammenhang zwischen Erfahrungs- und Rechtstheorie besteht bei Julius Ebbinghaus, der in seinen rechtsphilosophischen Schriften ‒ unter Berufung auf Kant ‒ ebenfalls eine Theorie des positiven Rechts vertritt.⁷⁸ So findet sich bei Ebbinghaus die für eine solche Theorie charakteristische Gleichsetzung von Recht und Staat, als deren Voraussetzung Ebbinghaus die Lehre von
Wie Fn. 68. Karl Vorländer entwickelt in seiner Dissertation zunächst eine Theorie der apriorischen Gegenstandserzeugung und damit die auch von Cohen vertretene Auffassung, dass die (apriorische) Form auch den Inhalt der Erfahrung erzeuge; so ders., Der Formalismus der Kantischen Ethik in seiner Notwendigkeit und Fruchtbarkeit, Marburg 1893, S. 51‒83. Daraus zieht Vorländer dann im Ethik-Abschnitt seiner berühmten Kant-Monographie die Konsequenz des Beurteilungsdualismus: „Neben dem ehernen Gesetze von Ursache und Wirkung, dem alle Wissenschaft des Seienden ausnahmslos unterworfen bleibt, ist ein anderer Gesichtspunkt denkbar, der nicht die Erklärung der Naturgeschehnisse, sondern ihre Beurteilung als Werte betrifft. Das ist der Standpunkt der Ethik, durch den wir uns selbst in eine ganz neue, nämlich zeitlose ‚Ordnung der Dinge‘ versetzen“ (Hervorhebungen im Original); so ders. (wie Fn. 57), S. 296. Vor allem in seinem Aufsatz „Positivismus ‒ Recht der Menschheit ‒ Naturrecht ‒ Staatsbürgerrecht“ (1952), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, hrsg. v. Hariolf Oberer u. Georg Geismann, Bonn 1986, S. 349‒366. Obwohl sich Ebbinghaus hier vom Positivismus abzugrenzen sucht, nimmt er doch die für eine Theorie des positiven Rechts entscheidende Gleichsetzung von positivem Recht und gültigem Recht vor; so deutlich ebd., S. 364. Dazu sogleich noch im Haupttext. Auf Kant beruft sich Ebbinghaus mit seiner Rechtslehre etwa in dem Aufsatz „Das Kantische System der Rechte des Menschen und Bürgers in seiner geschichtlichen und aktuellen Bedeutung“ (1968), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, hrsg. v. Hariolf Oberer u. Georg Geismann, Bonn 1988, S. 249‒281.
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der „Ganzheit der gesetzgebenden Gewalt“ nennt.⁷⁹ Der Begriff der Ganzheit oder Totalität bezeichnet bei Kant eine systematische Geschlossenheit, die das Kennzeichen der apriorischen Erkenntnis und damit eines Erzeugnisses reiner Vernunft ist.⁸⁰ Wenn daher Ebbinghaus von der „Ganzheit der gesetzgebenden Gewalt“ spricht, dann betrachtet er die staatliche Gesetzgebung als eine Funktion der reinen Vernunft; in dieser Eigenschaft produziert der staatliche Gesetzgeber nicht nur faktisch geltende, sondern auch epistemisch gültige Gesetze.⁸¹ Ebbinghaus verwendet somit die Begriffe „Gesetz“ und „Gesetzgeber“ in einem ganz anderen systematischen Zusammenhang als Kant, ohne dies jedoch hinreichend deutlich zu machen: Versteht man unter „Gesetz“ nur das epistemisch gültige Recht aus reiner Vernunft, dann ist auch nur die reine Vernunft Gesetzgeber.⁸² Da aber Kant in diesem Zusammenhang die reine Vernunft mit der reinen praktischen Vernunft gleichsetzt, die von der theoretischen Erkenntnis der sinnlichen Welt getrennt ist, kann die reine Vernunft die Ganzheit oder Totalität ihrer apriorischen Erkenntnis nur jenseits der empirischen Wirklichkeit in einer intelligiblen (bloß denkbaren) sittlichen Welt stiften, die den Vorgaben des Vernunft- oder Naturrechts entspricht.⁸³ Demgegenüber geht für Ebbinghaus ‒ wie auch für Cohen ‒ die historisch-gesellschaftliche Wirklichkeit aus reiner Vernunft hervor, so dass hier der Unterschied zwischen theoretischer und praktischer Erkenntnisstiftung entfällt oder zumindest in seiner rechtstheoretischen Bedeutung stark relativiert wird. Ebbinghaus und Cohen können deshalb im Ergebnis den Staat als vernünftigen Inbegriff der historisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit und damit selbst als sittliche Welt bzw. als Subjekt der Sittlichkeit auffassen und so das „(gültige) Gesetz“ mit dem staatlich gesetzten, positiven Recht sowie die „(apriorische) Gesetzgebung“ mit der staatlichen Gesetzgebung identifizieren.⁸⁴
Julius Ebbinghaus, Kann das Volk über seine Gesetzgebung stückweise verfügen? (1953), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, hrsg. v. Hariolf Oberer u. Georg Geismann, Bonn 1986, S. 387– 406, 396. Ähnlich ders.; Positivismus (wie Fn. 78), S. 352‒365. Dazu Eisfeld, Erkenntnis (wie Fn. 10), S. 166‒177. In diesem Sinne Ebbinghaus, Positivismus (wie Fn. 78), S. 352‒365. So auch Ebbinghaus, Positivismus (wie Fn. 78), S. 357. Dazu Eisfeld, Erkenntnis (wie Fn. 10), S. 164‒233. Zu Recht kritisiert Hariolf Oberer bei Ebbinghaus und Georg Geismann den „ständig verschwommene[n], fahrlässig oder vorsätzlich unbestimmte[n] Gebrauch der Termini ‚Recht‘, ‚Rechtsgesetz‘, ‚Rechtslehre‘“, da nicht deutlich werde, ob sich diese Begriffe auf das apriorische Naturrecht Kants beziehen oder auf das positive Recht; so Hariolf Oberer, Noch einmal zu Kants Rechtsbegründung, in: Kant-Studien 101 (2010), S. 380 – 393, 387. In diesem Sinne Ebbinghaus, Positivismus (wie Fn. 78), S. 349‒366. Stillschweigend gleichgesetzt werden positives Recht und gültiges Recht auch bei dems., Die Idee des Rechtes (1958), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, hrsg. v. Hariolf Oberer u. Georg Geismann, Bonn 1988, S. 141–
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Die Aufhebung der Trennung zwischen epistemisch gültigem Recht und faktisch geltendem Recht ist das gemeinsame Kennzeichen aller Versuche, die kantische Naturrechtsphilosophie in eine Theorie des positiven Rechts umzubiegen. Diese Versuche stehen paradigmatisch für mehrere Charakteristika der modernen Kant-Deutung: Erstens wird hier ‒ unterstützt durch die aktualisierende philosophiehistorische Methode ‒ der ursprüngliche Wortsinn der Ausführungen Kants grundlegend verändert, ohne dies hinreichend deutlich zu machen. Zum Teil findet sich sogar die Versicherung, eine besonders quellentreue Interpretation vorzulegen.⁸⁵ Zweitens setzt der Umbau der kantischen Naturrechtstheorie in eine Theorie des positiven Rechts die oben (2.) untersuchten Eingriffe in die Erfahrungslehre Kants voraus: Die Abschaffung der Zweiweltenlehre Kants durch die Vereinigung von kontingenter Erscheinungswelt und gültiger Welt der Dinge an sich ermöglicht die Apriorisierung des Staates bzw. des staatlichen Gesetzgebers, der nur unter dieser Bedingung als Erzeuger oder Erkenntnisstifter gültigen Rechts aufgefasst werden kann. Die Apriorisierung des staatlichen Gesetzgebers äußert sich in der Identifizierung von faktischer Rechtsetzung und epistemischer Rechtserzeugung, die wiederum dazu führt, dass die kantische Trennung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft (Erkenntnis) in einer Theorie apriorischer Gegenstandserzeugung aufgehoben wird. Die Vereinigung von theoretischer und praktischer Erkenntnisstiftung trennt nicht mehr zwischen apriorischer Erkenntnisstiftung und empirischer Wirklichkeit und kann daher die faktische Willensvereinigung in einem demokratisch legitimierten Gesetzgebungsverfahren als Funktion reiner praktischer Vernunft deuten, die gültiges Recht erzeugt.⁸⁶ Drittens beruht diese Begründung einer Theorie des positiven Rechts nicht auf einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der kantischen Philosophie, sondern vielmehr auf deren tiefgreifender Veränderung im nachkantischen Idealismus und Neukantianismus, wo es ‒ auf der erfahrungs-
198, 167, 173, 176, 182, 192); ders., Das Kantische System (wie Fn. 78), 262, 264, 272. Zum Staat als Subjekt der Sittlichkeit bei Cohen Winter (wie Fn. 27), S. 322‒348. Zur Identifizierung von gültigem und positivem Recht bei Cohen ebd., S. 349‒360. Dieselbe Gleichsetzung findet sich etwa auch in den Kant-Interpretationen von Otfried Höffe, Wolfgang Kersting und Gerold Prauss. Zu Höffe und Kersting siehe Eisfeld, Zur Trennung (wie Fn. 10), S. 336‒347; zu Prauss vgl. dens., Moral und Recht im Staat nach Kant und Hegel, München 2008, S. 36 f., 41‒43 u. passim. So etwa bei Reinhard Brandt, Das Erlaubnisgesetz, oder: Vernunft und Geschichte in Kants Rechtslehre, in: ders. (Hrsg.), Rechtsphilosophie der Aufklärung. Symposium Wolfenbüttel 1981, Berlin u. New York 1982, S. 233 – 285, 233‒235. So etwa Regina Harzer, Über die Bedeutsamkeit des kategorischen Imperativs für die Rechtslehre Kants, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 14 (2006), S. 225‒241.
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theoretischen Basis einer apriorischen Gegenstandserzeugung ‒ ebenfalls zur Vereinigung von Faktizität und Gültigkeit im Staat kam.⁸⁷ Die stillschweigende Umdeutung der kantischen Philosophie in eine Theorie des positiven Rechts unterstützt schließlich die gerade auch unter Juristen gängige Überzeugung, dass „Rechtswissenschaft“ und „Theorie des positiven Rechts“ Synonyme sind: Wenn sich angeblich selbst Kant ‒ als der Begründer der modernen Philosophie und Wissenschaftstheorie ‒ als ein Gegner des Naturrechts und als ein Begründer oder Wegbereiter einer Theorie des positiven Rechts erweist, dann kann doch kein Zweifel darüber bestehen, dass Rechtswissenschaft im modernen Sinne nur als Theorie des positiven Rechts möglich ist! Deutlich wird jetzt, warum die Fehlvorstellung, Kant habe dem Naturrecht die wissenschaftstheoretische Grundlage entzogen, sowohl in der rechtsphilosophischen und rechtstheoretischen als auch in Teilen der rechtshistorischen Sekundärliteratur ‒ trotz ausdrücklichen Widerspruchs⁸⁸ ‒ nach wie vor so verbreitet ist. Juristen können diese Fehlvorstellung nicht aufgeben, ohne zugleich die erkenntnisund erfahrungstheoretischen Grundlagen der heute ganz herrschenden Theorie des positiven Rechts in Frage zu stellen. Indem die herkömmliche Philosophiegeschichte das methodische Instrumentarium liefert, mit dem sich die Kant-Rezeption nach Belieben auf das ausrichten lässt, was aus gegenwärtiger Sicht als vertretbar oder „anschlussfähig“ erscheint ‒ und damit eben auf eine Theorie des positiven Rechts ‒, unterdrückt sie das kritische Potential der philosophischen Ideengeschichte, das diese gerade auch in der Lehre Kants besitzt.⁸⁹
Das ist der Fall bei Johann Gottlieb Fichte; vgl. dazu Eisfeld, Erkenntnis (wie Fn. 10), S. 253‒ 426. Zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel vgl. Ernst Topitsch, Die Sozialphilosophie Hegels als Heilslehre und Herrschaftsideologie, 2. Aufl., München 1981, S. 31‒75. Zur Vereinigung von Staat und Recht bei Cohen Winter (wie Fn. 27), S. 322‒360. Zu den Gemeinsamkeiten von nachkantischem Idealismus und Neukantianismus, gerade auch im Hinblick auf den Aspekt der apriorischen Gegenstandserzeugung, vgl. die Nachweise ebd., S. 204 f. Fn. 122. Diethelm Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, Paderborn 1976, S. 13 f., 180‒182; ders., Naturrecht und Politik im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: Karl Graf Ballestrem (Hrsg.), Naturrecht und Politik, Berlin 1993, S. 27– 48, 27, 29‒33. So auch Bernd Ludwig, Politik als „ausübende Rechtslehre“. Zum Politikverständnis Immanuel Kants, in: Hans J. Lietzmann u. Peter Nitschke (Hrsg.), Klassische Politik. Politikverständnisse von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, Opladen 2000, S. 175 – 220, 183 Fn. 7, der darauf hinweist, dass die aktualisierende Kant-Interpretation die Unterschiede zwischen der ursprünglichen Aussage der kantischen Lehre und heutigen philosophischen Standpunkten nivelliert und dadurch „das kritische Potential der Philosophie- bzw. Ideengeschichte [erstickt]“.
IV Zusammenfassung
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IV Zusammenfassung 1.
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Bei der herkömmlichen philosophiehistorischen Forschung handelt es sich um eine bestimmte Auffassung von Philosophiegeschichte, die sich als hermeneutisch-geisteswissenschaftliche Darstellungsart bezeichnen lässt. Diese ist durch ihre Methode charakterisiert, in der die historisch-philologische Analyse des Quelleninhalts und dessen kritische Überprüfung aus der gegenwärtigen Perspektive des jeweiligen Interpreten eine untrennbare Verbindung eingehen. Die gängige Philosophiegeschichte philosophiert somit auf der Grundlage historischer Quellen weiter und verknüpft dabei deren Modernisierung mit der Selbstvergewisserung der eigenen philosophischen Grundhaltung. Mit dieser aktualisierenden Methode grenzt sich die philosophiehistorische Forschung von solchen Arbeiten ab, die auf die Untersuchung und Kontextualisierung philosophischer Quellen abzielen. Dient die herkömmliche Philosophiegeschichte vor allem dazu, eigene Positionen im Wege der der Auseinandersetzung mit früheren philosophischen Werken zu entwickeln und zu rechtfertigen, dann kann jede Auseinandersetzung mit der Frage, ob und inwiefern sich die persönliche Auffassung von der des untersuchten philosophischen Werkes unterscheidet, die Überzeugungskraft der eigenen Argumentation nur schwächen. Eine klare Trennung zwischen historischem Gehalt und eigener Auffassung wird daher in philosophiehistorischen Interpretationen meist nicht angestrebt. Die methodische Vereinigung von empirischer Geschichtsbetrachtung und gegenwartsbezogener Theoriebildung ist keineswegs selbstverständlich, sondern vielmehr auf die geschichtsphilosophische Auffassung von einer sich kontinuierlich entwickelnden Geistesgeschichte angewiesen. Eine Theoriebildung, die einerseits darin besteht, ein bestimmtes Philosophem weiterzudenken und dabei zu verändern, die sich andererseits aber als historisch-philologisch und damit als deskriptiv begreift, setzt die Überzeugung von der Erkennbarkeit einer einheitlichen, sich in der Philosophiegeschichte entwickelnden Idee voraus, die in dem analysierten Werk zwar konkret geworden ist, die sich seitdem aber weiterentwickelt hat. Das jeweils untersuchte philosophische System erscheint dann als Ausdruck einer überzeitlichen Wahrheit in der Geschichte, als integraler Bestandteil einer vernünftigen historisch-kulturellen Kontinuität, die von der Gegenwart des Interpreten her zu rekonstruieren ist. Dieser scheinbar rein deskriptive Charakter der gängigen Philosophiegeschichte ist wiederum die Voraussetzung für deren Selbstverständnis als spezialisierte und autonome Form der philosophischen Theoriebildung: Das
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Jens Eisfeld: Methodische Überlegungen zur Philosophiegeschichte
bloße Beschreiben einer sich historisch entwickelnden Vernunftidee strebt nach anschaulicher Gewissheit und will damit nicht auf eigenen Entscheidungen oder Wertungen des Interpreten beruhen, die ja einer sozial- und kausalwissenschaftlichen Begründung bedürftig oder zumindest zugänglich wären. Die hermeneutisch-geisteswissenschaftliche Methode dient daher nicht zuletzt auch wissenschaftspolitischen Interessen. Das gilt – neben dem soeben genannten Wunsch der Fachphilosophie nach disziplinärer Spezialisierung und Autonomie – insbesondere für das Interesse daran, dass das Bedürfnis nach Auseinandersetzung mit einer bestimmten philosophischen Quelle oder einem bestimmten philosophischen Œuvre niemals abnimmt. Die Vermischung von historischer und gegenwartsbezogener Fragestellung liefert ja ‒ aufgrund des ständigen Wandels der philosophischen Grundhaltungen in der jeweiligen Gegenwart der Interpreten ‒ stets aufs Neue die Rechtfertigung für Untersuchungen zu den Klassikern der Philosophiegeschichte. Die Verbindung von historischer Analyse und gegenwartsbezogener Theoriebildung führt in der herkömmlichen philosophiehistorischen Forschung häufig dazu, dass von dem ursprünglichen Aussagegehalt der Quellen diejenigen Teile marginalisiert oder gar dissimuliert werden, die dem jeweiligen Aktualisierungsziel entgegenstehen, und zwar ohne diese Veränderungen offenzulegen. Dieses Aktualisierungsziel bestimmt aber auch die Quellenauswahl, bei der regelmäßig keine Kontextualisierung der jeweiligen Quelle mit anderen, rivalisierenden zeitgenössischen Ideen angestrebt wird. Die hermeneutisch-geisteswissenschaftliche Philosophiegeschichte kann ja im Prinzip immer nur eine einzige Idee annehmen, nämlich die eine sich im Geschichtsverlauf konkretisierende Vernunftidee philosophischer Wahrheit. Das Aktualisierungsziel der philosophiehistorischen Analyse bestimmt der Interpret, dessen philosophische Grundhaltung im Wege einer selektiven Rezeption der kulturellen Tradition ungehindert die Ergebnisse der historischen Untersuchung beeinflussen kann. Die herkömmliche philosophiehistorische Literatur darf daher nicht – oder zumindest nicht ohne Weiteres – als historisch verlässliche Quellenanalyse aufgefasst werden. Macht man sich als Historiker oder Rechtshistoriker diese Zusammenhänge nicht bewusst, wird man aufgrund der zahlreichen Werkinterpretationen, die zu einem und demselben Klassiker der Philosophiegeschichte erschienen sind, dem meist unzutreffenden Eindruck unterliegen, dass sich ein ursprünglicher Aussagegehalt des jeweiligen Werkes oder Œuvres gar nicht mit hinreichender Sicherheit ermitteln lasse, sondern immer mehr oder weniger „Interpretationssache“ bleibe.
IV Zusammenfassung
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Der Ursprung der hermeneutisch-geisteswissenschaftlichen Philosophiegeschichte liegt in der Wirklichkeitstheorie des nachkantischen Idealismus und des Neukantianismus, die auf der Vorstellung von einer sich in der kulturellen Welt entwickelnden Vernunftidee beruht. Die gängige philosophiehistorische Methode gründet somit auf der weltanschaulichen Verflechtung von Wirklichkeit und Vernunft oder von Sein und Sollen. Daraus folgt erstens, dass die gängige Philosophiegeschichte nicht Ausdruck der philosophiehistorischen Methode schlechthin ist, sondern vielmehr, wie eingangs dieser Zusammenfassung schon festgestellt, eine bestimmte Auffassung von Philosophiegeschichte darstellt. Daraus folgt zweitens ein enger Zusammenhang zwischen der gängigen philosophiehistorischen Methode und dem Aktualisierungsziel, das mit ihr verfolgt wird: Beruht die Methode auf der Verflechtung von Sein und Sollen, so ist es konsequent, wenn dann auch die Quellendeutung dieser philosophischen Grundhaltung entspricht. Die Wirklichkeitstheorie des nachkantischen Idealismus und des Neukantianismus begründet somit nicht nur die Methode der herkömmlichen Philosophiegeschichte, sondern sie beeinflusst auch deren Ergebnisse. Daraus folgt schließlich drittens, dass die Diskrepanzen zwischen Quelleninhalt und Quellendeutung dann besonders groß sind, wenn die untersuchten Schriften der Verflechtung von Sein und Sollen widersprechen, wenn sie also die Trennung von Sein und Sollen zu begründen suchen oder auf dieser Trennung beruhen. Veranschaulichen lässt sich das anhand der Kant-Rezeption vom 19. Jahrhundert bis heute, insbesondere anhand der Interpretationen der „Kritik der reinen Vernunft“ und der Schrift „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“. In der „Kritik der reinen Vernunft“ sucht Kant die Trennung von Sein und Sollen zu begründen, und zwar durch den Nachweis, dass es der reinen Vernunft unmöglich ist, sich selbst als erfahrungsursprüngliches Ding an sich zu erkennen und in dieser Eigenschaft die empirische Wirklichkeit als eine vernünftige, systematische Totalität zu erzeugen. Er gelangt dabei zu dem Ergebnis, dass das Ding an sich – mithin das Sollen (das Gültige,Verbindliche oder Legitime) als das Produkt apriorischer Erkenntnisstiftung – empirisch unerkennbar bleibt. Die reine theoretische Vernunft kann die empirische Wirklichkeit somit nur als etwas Kontingentes (Zufälliges) wahrnehmen, nicht aber als etwas Gültiges, Verbindliches oder Legitimes. Auf dieser Trennung von Sein und Sollen beruht die kantische „Rechtslehre“: Ist die Erfahrungswelt nicht als das Produkt einer vernünftigen (gültigen, verbindlichen, legitimen) Erkenntnisstiftung wahrnehmbar, dann muss dasselbe für das positive Recht gelten, das ja einen Bestandteil der Erfahrungswelt bildet.
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Reine Vernunft vermag das positive Recht ebenso wenig wie die Erfahrungswelt erfahrungskonstitutiv zu erzeugen, sondern nur erfahrungsregulativ zu bestimmen. Der Ursprung der Rechtserkenntnis liegt dementsprechend in einer der theoretischen Vernunft gegenüber selbständigen praktischen Erkenntnis, deren apriorisches Rechtsgesetz als naturrechtliches Kriterium für die Bewertung des positiven Rechts als gültig (verbindlich, legitim) fungiert. 14. In der Kant-Rezeption kommt es – unter dem Einfluss der Wirklichkeitstheorie des nachkantischen Idealismus und des Neukantianismus – nicht nur zu einer wesentlichen Umdeutung, sondern im Ergebnis sogar zur Abschaffung der kantischen Erfahrungslehre: Die von Kant gezogene Trennlinie zwischen reiner Vernunft und Wirklichkeit wird ausradiert, und zwar zugunsten einer Wirklichkeitstheorie der apriorischen Gegenstandserzeugung. Im Widerspruch zur „Kritik der reinen Vernunft“ erkennt sich die reine Vernunft nunmehr als erfahrungsursprüngliches Ding an sich, mit der Konsequenz, dass die Dinge an sich jetzt empirisch – also im Positiven – wahrnehmbar sind. Die kulturelle Wirklichkeit lässt sich nun als etwas aus reiner Vernunft Hervorgegangenes erkennen, mithin als etwas Gültiges, Verbindliches oder Legitimes. Die noch von Kant festgestellte Kontingenz der Erfahrungswelt verwandelt sich so in die Gültigkeit der historisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit. 15. Diese Eingriffe in die kantische Wirklichkeits- oder Erfahrungstheorie führen zur Abschaffung der kantischen (Natur‐)Rechtstheorie zugunsten einer Theorie des positiven Rechts: Mit der kulturellen Wirklichkeit entsteht nunmehr auch das positive Recht als etwas Gültiges, Verbindliches oder Legitimes. Die noch für Kant zentralen Trennungen zwischen theoretischer und praktischer Vernunft (Erkenntnis) sowie zwischen faktischer Rechtsgeltung und epistemischer Rechtsgültigkeit sind jetzt aufgehoben. Dasselbe gilt für das von Kant in seiner „Rechtslehre“ begründete naturrechtliche Fundament der Rechtswissenschaft, denn wenn das positive Recht bereits als vernünftiges und damit gültiges Recht zur Entstehung gelangt, dann bedarf es keiner naturrechtlichen Prinzipien mehr, anhand derer die Gültigkeit positiven Rechts zu beurteilen ist. 16. So massiv die genannten Umstellungen im Systembau Kants auch sind – die Vermischung von historisch-philologischer und gegenwartsbezogener Fragestellung liefert der Kant-Forschung die methodische Rechtfertigung dafür, diese Eingriffe nicht als Umdeutungen offenzulegen, sondern vielmehr als Inhalte kantischer Philosophie zu präsentieren. Dass hier Theoreme in ihrem ursprünglichen Aussagegehalt verworfen und durch andere Theoreme konterkariert werden, bleibt regelmäßig verborgen. Das wiederum unterstützt
V Literatur
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eine unter Rechtsphilosophen, Rechtstheoretikern und Rechtshistorikern verbreitete Fehlvorstellung, die in Kant einen Gegner des Naturrechts und damit einen Begründer oder zumindest Wegbereiter moderner Theorien des positiven Rechts erblickt.
V Literatur Adickes, Erich: Kant und das Ding an sich, Berlin 1924. Albert, Hans: Hermeneutik und Realwissenschaft, in: ders., Plädoyer für kritischen Rationalismus, München 1971, S. 106‒149. Albert, Hans: Geschichte und Gesetz (1979), in: Hans-Albert-Lesebuch, Tübingen 2001, S. 140 – 165. Albert, Hans: Traktat über kritische Vernunft, 5. Aufl., Tübingen 1991. Apel, Karl-Otto: Das Verstehen (eine Problemgeschichte als Begriffsgeschichte), in: Archiv für Begriffsgeschichte 1 (1955), S. 142‒199. Brandt, Reinhard: Das Erlaubnisgesetz, oder: Vernunft und Geschichte in Kants Rechtslehre, in: ders. (Hrsg.), Rechtsphilosophie der Aufklärung. Symposium Wolfenbüttel 1981, Berlin u. New York 1982, S. 233 – 285. Brandt, Reinhard: Die Interpretation philosophischer Werke. Eine Einführung in das Studium antiker und neuzeitlicher Philosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 1984. Burg, Peter: Der politische Gehalt der „Kritik der reinen Vernunft“, in: Gerhard Funke (Hrsg.), Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses, Teil I. 2: Sektionen VIII‒XIV, Bonn 1981, S. 898‒908. Cassirer, Ernst: Kants Leben und Lehre, 2. Aufl., Berlin 1921 (Nachdruck Darmstadt 1974). Cohen, Hermann: Logik der reinen Erkenntnis (2. Aufl. 1914), in: ders., Werke, Bd. 6, Hildesheim u. New York 1977. Cohen, Hermann: Kants Theorie der Erfahrung (3. Aufl., 1918), in: ders., Werke, Bd. 1.1, Hildesheim usw. 1987. Dann, Otto: Johann Gottlieb Fichte und die Entwicklung des politischen Denkens in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts, Heidelberg 1968. Deggau, Hans-Georg: Die Aporien der Rechtslehre Kants, Stuttgart-Bad Cannstatt 1983. Ebbinghaus, Julius: Relativer und absoluter Idealismus. Historisch-systematische Untersuchung über den Weg von Kant zu Hegel (1910), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 4, hrsg. v. Karlfriedrich Herb u. a., Bonn 1994, S. 3 – 73. Ebbinghaus, Julius: Natur, Geist und geschichtliche Objektivität (1938), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 3, hrsg. v. Hariolf Oberer u. Georg Geismann, Bonn 1990, S. 463‒479. Ebbinghaus, Julius: Positivismus ‒ Recht der Menschheit ‒ Naturrecht ‒ Staatsbürgerrecht (1952), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, hrsg. v. Hariolf Oberer u. Georg Geismann, Bonn 1986, S. 349‒366. Ebbinghaus, Julius: Kann das Volk über seine Gesetzgebung stückweise verfügen? (1953), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, hrsg. v. Hariolf Oberer u. Georg Geismann, Bonn 1986, S. 387 – 406. Ebbinghaus, Julius: Die Idee des Rechtes (1958), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, hrsg. v. Hariolf Oberer u. Georg Geismann, Bonn 1988, S. 141 – 198.
352
Jens Eisfeld: Methodische Überlegungen zur Philosophiegeschichte
Ebbinghaus, Julius: Das Kantische System der Rechte des Menschen und Bürgers in seiner geschichtlichen und aktuellen Bedeutung“ (1968), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, hrsg. v. Hariolf Oberer u. Georg Geismann, Bonn 1988, S. 249‒281. Eisfeld, Jens: Zur Trennung von Recht und Moral bei Kant, in: ders. u. a. (Hrsg.), Naturrecht und Staat in der Neuzeit. Diethelm Klippel zum 70. Geburtstag, Tübingen 2013, S. 313 – 347. Eisfeld, Jens: Erkenntnis, Rechtserzeugung und Staat bei Kant und Fichte, Tübingen 2015. Eisfeld, Jens: Rechtserkenntnis durch begründetes Werten. Die rechtstheoretische Bedeutung der kantischen Lehre vom Ding an sich, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 102 (2016), S. 551 – 598. Eisfeld, Jens: Person und juristische Person in der Rechtswissenschaftsgeschichte, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 39 (2017), S. 206 – 245. Frank, Manfred: „Unendliche Annäherung“. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1998. Fulda, Hans Friedrich: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, München 2003. Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 1, 5. Aufl., Tübingen 1986. Geldsetzer, Lutz: Die Philosophie der Philosophiegeschichte im 19. Jahrhundert. Zur Wissenschaftstheorie der Philosophiegeschichtsschreibung und -betrachtung, Meisenheim am Glan 1968. Geldsetzer, Lutz: Wozu Philosophiegeschichte? Und warum sich diese Frage heute besonders dringlich stellt, in: Myriam Gerhard (Hrsg.), Oldenburger Jahrbuch für Philosophie 2009, Oldenburg 2010, S. 13 – 28. Gölz, Walter: Kants „Kritik der reinen Vernunft“ im Klartext, 2. Aufl., Tübingen 2008. Habermas, Jürgen: Erkenntnis und Interesse, 3. Aufl., Frankfurt/M. 1975. Harzer, Regina: Über die Bedeutsamkeit des kategorischen Imperativs für die Rechtslehre Kants, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 14 (2006), S. 225‒241. Heidegger, Martin: Kant und das Problem der Metaphysik, in: ders., Gesamtausgabe, 1. Abt., Bd. 3, hrsg. v. Friedrich Wilhelm von Hermann, Frankfurt/M. 1991. Hennis, Wilhelm: Zum Problem der deutschen Staatsanschauung, in: ders., Politik als praktische Wissenschaft. Aufsätze zur politischen Theorie und Regierungslehre, München 1968, S. 11 – 36. Henrich, Dieter: Fichtes ursprüngliche Einsicht, Frankfurt/M. 1967. Henrich, Dieter: The Proof-Structure of Kant’s Transcendental Deduction, in: Review of Metaphysics 22 (1969), S. 640‒659. Henrich, Dieter: Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789‒1795), Stuttgart 1991. Höffe, Otfried: „Königliche Völker“. Zu Kants kosmopolitischer Rechts- und Friedenstheorie, Frankfurt/M. 2001. Höffe, Otfried: Immanuel Kant, 8. Aufl., München 2014. Holborn, Hajo: Der deutsche Idealismus in sozialgeschichtlicher Beleuchtung, in: Historische Zeitschrift 174 (1952), S. 359‒384. Holzhey, Helmut: Cohen und Natorp, Bd. 1, Basel u. Stuttgart 1986. Holzhey, Helmut: Der Neukantianismus, in: ders. u. Wolfgang Röd, Die Philosophie des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts, Bd. 2 (= Geschichte der Philosophie, Bd. 12), München 2004, S. 12 – 130. Jaeger, Friedrich u. Jörn Rüsen, Geschichte des Historismus, München 1992.
V Literatur
353
Kaufmann, Arthur: Rechtsphilosophie, 2. Aufl., München 1997. Kelsen, Hans: Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928. Kelsen, Hans: Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Berlin 1929. Kersting, Wolfgang: Neukantianische Rechtsbegründung, in: Dietmar Willoweit u. a. (Hrsg.), Die Begründung des Rechts als historisches Problem, München 2000, S. 269 – 313. Klippel, Diethelm: Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, Paderborn 1976. Klippel, Diethelm: Naturrecht und Politik im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: Karl Graf Ballestrem (Hrsg.), Naturrecht und Politik, Berlin 1993, S. 27 – 48. Köbler, Gerhard: Deutsche Rechtsgeschichte, 6. Aufl., München 2005. Köhnke, Klaus Christian: Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus, Frankfurt/M. 1986. Kondylis, Panajotis: Die Entstehung der Dialektik. Eine Analyse der geistigen Entwicklung von Hölderlin, Schelling und Hegel bis 1802, Stuttgart 1979. Kondylis, Panajotis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, Stuttgart 1981 (Nachdruck Hamburg 2002). Kraft, Julius: Die Methode der Rechtstheorie in der Schule von Kant und Fries, BerlinGrunewald 1924. Kraft, Julius: Das Methodenproblem der Philosophiegeschichte (1937), in: ders., Philosophie als Wissenschaft und als Weltanschauung. Untersuchungen zu den Grundlagen von Philosophie und Soziologie, hrsg. v. Albert Menne, Hamburg 1977, S. 188 – 195. Kraft, Julius: Die Unmöglichkeit der Geisteswissenschaft, 3. Aufl., Hamburg 1977. Kuhne, Frank: Selbstbewußtsein und Erfahrung bei Kant und Fichte. Über Möglichkeiten und Grenzen der Transzendentalphilosophie, Hamburg 2007. Ludwig, Bernd: Kants Rechtslehre, Hamburg 1988. Ludwig, Bernd: Politik als „ausübende Rechtslehre“. Zum Politikverständnis Immanuel Kants, in: Hans J. Lietzmann u. Peter Nitschke (Hrsg.), Klassische Politik. Politikverständnisse von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, Opladen 2000, S. 175 – 220. Maier, Hans: Die Lehre der Politik an den älteren deutschen Universitäten, in: ders., Politische Wissenschaft in Deutschland. Aufsätze zur Lehrtradition und Bildungspraxis, München 1969, S. 15 – 52. Marcus, Ernst: Hermann Cohens „Theorie der Erfahrung“ und die Kritik der reinen Vernunft, in: Altpreußische Monatsschrift 47 (1910), S. 309‒346 u. 363‒406. Natorp, Paul: Kant und die Marburger Schule, in: Kant-Studien 17 (1912), S. 193 – 221. Nelson, Leonard: Rezension von Hermann Cohen, Logik der reinen Erkenntnis (1905), in: ders., Gesammelte Schriften in neun Bänden, Bd. 2, hrsg. v. Paul Bernays u. a., Hamburg 1973, S. 1‒27. Nelson, Leonard: Über das sogenannte Erkenntnisproblem (1908), in: ders., Gesammelte Schriften in neun Bänden, hrsg. v. Paul Bernays u. a., Bd. 2, Hamburg 1973, S. 59 – 393. Nelson, Leonard: Fortschritte und Rückschritte der Philosophie (zu Lebzeiten unveröffentlicht), in: ders., Gesammelte Schriften in neun Bänden, hrsg. v. Paul Bernays u. a., Bd. 7, Hamburg 1977. Oberer, Hariolf: Noch einmal zu Kants Rechtsbegründung, in: Kant-Studien 101 (2010), S. 380 – 393. Pfordten, Dietmar von der: Rechtsethik, 2. Aufl., München 2011. Prauss, Gerold: Kant und das Problem der Dinge an sich, 3. Aufl., Bonn 1989.
354
Jens Eisfeld: Methodische Überlegungen zur Philosophiegeschichte
Radbruch, Gustav: Rechtsphilosophie (1932), hrsg. v. Ralf Dreier u. Stanley L. Paulson, Heidelberg 1999. Riedel, Manfred: Verstehen oder Erklären? Zur Theorie und Geschichte der hermeneutischen Wissenschaften, Stuttgart 1978. Ritter, Joachim: Die Aufgabe der Geisteswissenschaften in der modernen Gesellschaft (1963), in: ders., Subjektivität, Frankfurt/M. 1980, S. 105 – 140. Rohs, Peter: Johann Gottlieb Fichte, 2. Aufl., München 2007. Rosenzweig, Franz: Hegel und der Staat, München u. Berlin 1920 (Neudruck Aalen 1982). Rothacker, Erich: Logik und Systematik der Geisteswissenschaften, Bonn 1947. Schlosser, Hans: Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005. Schönecker, Dieter: Textvergessenheit in der Philosophiehistorie, in: ders. u. Thomas Zwenger (Hrsg.), Kant verstehen/Understanding Kant. Über die Interpretation philosophischer Texte, Darmstadt 2001, S. 159‒181. Sommer, Andreas Urs: Was heißt und zu welchem Ende schreibt man Philosophiegeschichte?, in: Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur und der Wissenschaften 12 (2008), S. 267 – 293. Topitsch, Ernst: Die Sozialphilosophie Hegels als Heilslehre und Herrschaftsideologie, 2. Aufl., München 1981. Vaihinger, Hans: Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus, 7. u. 8. Aufl., Leipzig 1922. Vorländer, Karl: Der Formalismus der Kantischen Ethik in seiner Notwendigkeit und Fruchtbarkeit, Marburg 1893. Vorländer, Karl: Immanuel Kant. Der Mann und das Werk, Bd. 1, Leipzig 1924. Wagner, Hans: Kants affirmative Metaphysik von Dingen an sich, in: Giuseppe Micheli u. Giovanni Santinello (Hrsg.), Kant a due Secoli dalla „Critica“, Brescia 1984, S. 181‒190. Wimmer, Reiner: Art. „Methode, hermeneutische“, in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, hrsg. v. Jürgen Mittelstraß, Bd. 2, Stuttgart u. Weimar 1995, S. 883 f. Windelband, Wilhelm: Ueber die verschiedenen Phasen der Kantischen Lehre vom Ding-ansich, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 1 (1877), S. 224 – 266. Windelband, Wilhelm: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 17. Aufl., hrsg. v. Heinz Heimsoeth, Tübingen 1980. Winter, Eggert: Ethik und Rechtswissenschaft. Eine historisch-systematische Untersuchung zur Ethik-Konzeption des Marburger Neukantianismus im Werke Hermann Cohens, Berlin 1980.
Personenregister Nicht im Personenregister berücksichtigt werden Kant selbst, die Verleger und Herausgeber der Zeitschriften, in denen die Rezensionen der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre enthalten sind und die Verfasser der zitierten Forschungsliteratur.
Abegg, Julius Friedrich 286 f., 289, 310 Abicht, Johann Heinrich 278 – 280 Achenwall, Gottfried 263, 314
Gros, Karl Heinrich 284 Grotius, Hugo 311 Gutjahr, Karl Theodor 278
Bauer, Anton 272 Baumgarten, Alexander Gottlieb 225, 314 Beccaria, Cesare 82 f., 159, 314 Beck, Jakob Sigismund 255, 284, 286 f. Bendavid, Lazarus 5 Berger, Johann Gottfried Immanuel 129 Bergk, Johann Adam 255, 264 f., 271 f., 283 f., 287, 313 f. Biester, Johann Erich 305 Bouterwek, Friedrich 3, 87 – 93, 209 – 211, 214, 216 f., 225 f., 241, 255 f., 259, 263, 284 – 286, 288, 312 Bruno, Giordano 131 Buhle, Johann Gottlieb 251 f., 291
Hausen, Christian August 192 Hearne, Samuel 146 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 4, 307, 315, 318, 325, 328, 342, 345 f. Hennings, August 283 Herder, Johann Gottfried 297 Heydenreich, Karl Heinrich 5, 278, 291 Hißmann, Michael 274 Hölderlin, Friedrich 318 Höpfner, Ludwig Julius Friedrich 88 Hoffbauer, Johann Christoph 256, 269, 277 f. Hufeland, Gottlieb 34 – 47, 264, 272 f., 275, 277 – 280, 307 Hugo, Gustav 269 312 f. Hume, David 300
Danz, Wilhelm August Friedrich 86 Dedekind, Gustav Ernst Wilhelm 256 Erhard, Johann Benjamin
279, 300 f.
Feder, Johann Georg Heinrich 283 Feuerbach, Paul Johann Anselm von 256, 259, 271, 278, 288 Fichte, Immanuel Hermann 264 Fichte, Johann Gottlieb 4 f., 179 f., 233, 264 – 266, 270, 282, 302, 315, 320 f., 325 – 329, 340, 346 Fries, Jakob Friedrich 321 Garve, Christian 155, 191, 226 Gentz, Friedrich 10, 302 Gräffe, Johann Friedrich Christoph 120 f., 123, 126 – 128 Grolman, Karl Ludwig Wilhelm von 77 – 86, 285 f., 306, 310 f. https://doi.org/10.1515/9783110702996-034
Jäsche, Gottlob Benjamin 256, 287 Jakob, Ludwig Heinrich 5 – 7, 50 – 76, 282, 284 – 286, 311 f. Jenisch, Daniel 297 Kästner, Abraham Gotthelf 258, 278 Klein, Ernst Ferdinand 5, 272 Köhler, Heinrich 225 König, Georg Ludwig 249 – 252, 263 Krug, Wilhelm Traugott 256, 284 Kunhardt, Heinrich 251 Locke, John
265, 311, 313
Madihn, Ludwig Gottfried 274 Meister, Johann Christian Friedrich 265, 273 Mellin, Georg Samuel Albert 257, 284, 287 Mendelssohn, Moses 130
356
Personenregister
Nehr, Johann Georg 257, 287 Nettelblatt, Daniel 215 Nicolai, Friedrich 9, 128 f., 192, 258, 270, 287 Parow, Johann Ernst Daniel 162 – 168, 218 f., 306 f. Pfeiffer, Johann Friedrich von 276, 278 Pölitz, Karl Heinrich Ludwig 292 Pörschke, Karl Ludwig 280, 291 Pütter, Johann Stephan 263 Pufendorf, Samuel 278, 300 Reidenitz, Daniel Christoph 286, 288 Reiner, Gregor Leonhard 257, 286 Reinhold, Karl Leonhard 124, 163, 302 Rehberg, August Wilhelm 10, 301 – 306 Reuß, Jeremias David 9 Richter, (Jean Paul) Friedrich 269 Rohr, [?] von 256 Rousseau, Jean-Jacques 27, 304 f.,, 314 Rüdiger, Johann Christian Christoph 269, 283 – 285 Runde, Justus Friedrich 86 Schaumann, Johann Christian Gottlieb 5, 272 f., 279 f., 291 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 318 Schiller, Friedrich 301 Schlegel, Gottlieb 218
Schlettwein, Johann August 275 f., 326 Schmalz, Theodor Anton Heinrich von 272, 279, 288 Schmid, Karl Christian Erhard 5, 233 Schütz, Christian Gottfried 223 – 229, 285 f. Schwab, Johann Christoph 230 – 239, 257 f., 284, 287 Seidensticker, Johann Anton Ludwig 259 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, Earl of 49, 128 Stäudlin, Karl Friedrich 94 Stang, Konrad 258, 287 Stephani, Heinrich 5, 189, 259, 280, 284, 286 – 288, 311 Sulzer, Johann Georg 300 Tennemann, Wilhelm Gottlieb 259 Thaden, Niklas von 307 f. Thomas, Anton 284, 287 Thomasius, Christian 268 Tiedemann, Dietrich 133 – 152, 241 – 246, 255, 257 – 259, 278, 285, 287 f., 298, 315 Tieftrunk, Johann Heinrich 259, 287 Tittel, Gottlob August 274 Ulrich, Johann August Heinrich
274
Wedekind, Karl Ignaz 267, 273, 292 Weise, Ferdinand Christoph 272, 313 Wolff, Christian 258, 268, 281, 287, 299 f.
Sachregister Absolutismus 275 – aufgeklärter 278, 280, 290 f. Acceptation (s. a. Annahme; Vertrag) 139, 217, 245 f. Adel 42, 45, 63, 102, 105, 115, 158, 164, 179, 185, 198 f., 217, 219, 267 Allgemeines Landrecht, preußisches 267 Allgemeines Staatsrecht s. Staatsrecht Amt, Ämter 28, 45, 105, 185, 195 Annahme (s. a. Acceptation; Vertrag) 23, 26, 40, 138 f., 177, 203, 245 Armenwesen 45, 105, 184, 195 Aufgeklärter Absolutismus s. Absolutismus, aufgeklärter Aufklärung 268 Aufruhr (s. a. Revolution) 44, 156, 183, 283 Aufsicht, Recht der 28, 32, 45, 184 Aufstand s. Aufruhr Auswanderungsrecht 46, 105, 141, 187, 198, 231, 234 Begehrungsvermögen 18, 51, 87, 95 f., 107, 121 f., 124, 144, 162 f., 171, 209, 212, 214, 241 Begnadigung, Begnadigungsrecht 45, 77, 79, 84, 105, 167, 196 Berufsfreiheit 281 Besitz 22 – 26, 30 f., 37 – 43, 53, 56 f., 59 – 61, 63 – 65, 68, 89 f., 92, 99 – 102, 109 – 113, 115 f., 137 – 140, 142, 149 f., 152, 154, 157, 164 – 167, 174 – 179, 183 f., 194, 199, 202 f., 205, 218, 225 f., 228 f., 234 f., 242 – 244, 309 Billigkeit 36, 88, 98, 153, 173, 193 Boden (s.a. Gemeinschaft des Bodens) 28 f., 39 f., 45, 47, 58 – 60, 84, 90, 100, 104 f., 110 – 112, 142, 157, 164, 175 f., 183 f., 189, 195 f., 204, 235, 304 Büchernachdruck s. Nachdruck Bürger 43, 82, 85, 104 f., 168, 186 – 188, 198, 275 f., 281
https://doi.org/10.1515/9783110702996-035
Bürgerliche Gesellschaft s. Gesellschaft, bürgerliche; Staat Bürgschaft 91 Communio primaeva (s.a. Gemeinschaft des Bodens, ursprüngliche) 40, 58 f., 89, 110, 175 Criminalpsychologie 289 Demokratie (s. a. Regierungsform; Staatsform; Verfassung) 283, 345 Despot, Despotie, Despotismus (s. a. Regierungsform; Staatsform; Verfassung) 27, 44, 84, 104 f., 182, 187, 280, 283 Ding an sich 11, 23, 330 – 335, 337 – 341, 345, 349 f. Ehe (s. a. Eherecht; Gesellschaft, eheliche) 25, 41, 61 f., 85, 91, 101, 113 f., 118 f., 140, 159, 166, 178, 195, 210, 212, 218, 226 – 228, 234, 239, 242 f. Ehebruch 32, 311 Eherecht (s. a. Ehe; Gesellschaft, eheliche) 25, 41, 61, 91, 101, 113, 137, 139 f., 178, 210, 212, 225 – 227, 231, 239, 242 f., 285, 288 Ehre (s. a. Name, guter) 84 f., 92, 135 f., 147, 159 f., 185 f., 251 f., 279 Eid 26, 43, 103, 164, 267 Eigentum (s.a. Besitz; Geistiges Eigentum) 23 f., 26, 28, 40 – 43, 45 f., 52 – 61, 64, 71, 74 f., 81, 89 f., 92, 101, 104 f., 113 f., 116, 121, 136 – 138, 140, 142, 157, 165 – 167, 176 – 178, 180, 183 f., 195, 197, 218, 226, 235, 242 – 245, 267, 281 f., 284, 298, 301 f., 303 – 306 Einwilligung 22, 37, 42, 62, 82, 89, 99, 101, 109, 159 f., 164, 174, 196, 243 Elternrecht (s. a. Gesellschaft, elterliche) 21, 25, 41 f., 61 – 63, 70, 91, 101, 113 f., 116, 121, 137, 166, 178, 195, 203, 215, 225, 228, 243, 281, 285 f.
358
Sachregister
Empirie, empirisch (s. a. Erfahrung) 11, 17 – 20, 22, 30, 38 – 42, 59, 61 f., 68, 94, 100, 102, 110, 113, 139, 153, 163 f., 170, 176 f., 191, 200, 202, 225, 235 f., 298, 301, 305 – 307, 322, 327, 332 – 335, 337, 339, 343 – 345, 349 Erbrecht (s. a. Testament) 25, 42, 63, 92, 102, 115 f., 154, 164, 179, 195, 211 f., 216 f., 229, 245 f. Erdboden s. Boden Erfahrung (s. a. Empirie) 18 f., 23, 33, 38, 53 f., 56, 58 f., 67, 69, 94, 96 f., 100, 110, 117, 129, 144, 146, 148, 166, 170, 172, 175, 191, 219, 224, 236, 275, 302, 327, 331 – 343, 345 f., 349 f. Ersitzung 25, 42, 92, 115, 154, 164, 167, 179, 195, 212, 216, 229 Ethik, ethisch (s. a. Moral; Sittenlehre; Tugendlehre) 19, 29, 35 f., 51, 88, 96 f., 107 f., 125, 134, 140, 142 f., 146 f., 163, 171 – 173, 193, 200, 204, 237 – 239, 277, 300, 308, 314 f., 340, 343 Ewiger Friede 263 – 265, 282 f., 290 Familie 61 f., 91, 101, 111, 114, 168, 178, 195, 218 Familienrecht 61, 139 Finanzwesen 28, 45, 105, 184, 195, 303 Findelhaus 45, 105, 184, 195 Folter 267 Freiheit 19 – 23, 26, 30 f., 35 – 39, 41, 43 f., 46, 52 – 54, 56 – 58, 62, 64, 68 – 70, 82, 87 – 89, 95 – 99, 102 f., 108 f., 111, 115, 124 f., 132, 134 – 138, 144 f., 147, 153, 158, 163 – 165, 171 – 174, 176 f., 182, 188, 193 f., 196 f., 200 – 202, 204, 226, 235 f., 243, 252, 276, 281 f., 297, 301, 303, 308 Freiheitsrechte (s. a. Menschenrechte) 281 Friede, ewiger s. Ewiger Friede Gefängniskunde 289 Geistiges Eigentum 267, 284 f. Gemeinschaft des Bodens, ursprüngliche (s. a. communio primaeva) 29, 40, 100, 110, 112, 176, 196, 235 Gemeinspruchaufsatz (Kants) s. Theorie und Praxis
Gerechtigkeit 26, 28 f., 43, 47, 67 f., 72, 79 – 84, 88, 102 f., 118, 143, 159 f., 174, 180 f., 186, 305, 310 f. Gericht 26, 29, 32, 36, 42 f., 63 – 66, 72 f., 79 f., 82, 102 f., 116, 118, 137, 154, 156, 160, 173 f., 180, 186, 193, 197, 280, 311 Gerichtsbarkeit 26, 48, 64 f., 102, 109, 116, 137, 154, 156, 174, 180, 193 Gesellschaft 21, 30, 41, 45, 67, 98, 109, 111, 117, 134, 140 f., 194, 197, 203, 236, 276 – bürgerliche (s. a. Staat; Zustand, bürgerlicher) 28, 55 – 60, 67, 79, 83 f., 109, 140 f., 158, 168, 184, 186, 194, 197 f., 216, 229, 276, 279, 304 f., 307 – eheliche (s. a. Ehe; Eherecht) 21, 25, 140, 178, 215, 285 f., 288 – elterliche (s. a. Elternrecht) 21, 215, 281, 285 – häusliche, hausherrliche (s. a. Haus(herren) recht) 41, 61, 101, 113 f., 166, 177 f., 215, 285 f. Gesellschaftsvertrag, s. Staatsvertrag Gesetz, Gesetze 19 – 23, 25, 27 – 29, 31 f., 35 – 39, 41, 43 f., 46 f., 51 – 55, 57 f., 61 f., 64 – 66, 72 – 74, 80 – 82, 84 f., 87 f., 95 – 99, 101, 103 f, 107 – 111, 113 f., 117 – 119, 122 – 125, 134 f., 137 f., 141 f., 144 f., 149 – 151, 153 f., 156, 159 f., 163 – 167, 171 – 183, 188 f., 193 – 196, 200 – 204, 225 f., 232, 235 f., 238, 278, 292, 304 f., 323, 336, 339 – 341, 343 f. – moralische 20, 35, 47, 52, 88, 96 f., 171, 189, 201, 226, 232 – öffentliches 37, 53, 73, 78, 84, 109, 111, 174, 203 Gesetzesrecht s. Recht, statutarisches Gesetzgeber 21, 26 f., 44, 109, 158, 182, 194 f., 275, 344 f. Gesetzgebung 34 – 36, 39, 46, 51 – 53, 85, 107 f., 117 f., 124, 159 f., 164, 168, 182, 185 – 187, 219, 225, 275, 279, 291, 340, 344 f. – äußere 34 – 36, 108, 172, 193 – bürgerliche 136 – ethische 51, 107, 163, 171 f. – höchste, oberste 73, 117, 161, 305 – juridische 36, 51, 107, 163, 165, 171 f., 176
Sachregister
– öffentliche 24, 165, 176 – positive 116, 305 Gewalt, Gewalten (s. a. Herrschergewalt) 26 – 28, 32, 38 – 40, 43 f., 46 f., 55, 57 f., 60, 67, 70, 100 f., 103 f., 106, 110 f., 113 – 115, 118, 135 – 137, 140, 156 f., 159, 161, 166, 176 f., 182 f., 195, 203, 219, 227 f., 234, 243 – aufsehende s. Aufsicht – ausübende 27, 44, 103 f., 118, 182 f. – gesetzgebende 43 f., 82, 103, 110, 118, 137, 141, 160 f., 194 f., 197, 203, 229, 283, 344 – konstituierende 46, 187 – oberste 28, 44, 69 – 73, 104, 118, 157 – 159, 182 f., 185, 203, 217, 219 – rechtsprechende, richterliche (s. a. Richter) 26 f., 43 f., 80, 103, 182, 195, 203 – souveräne 46, 103, 106, 161, 187, 204 – vollziehende 27, 43, 103 f, 182, 195, 203 Gewaltenteilung 267, 283 Gewerbefreiheit 281 Gewissensfreiheit 281 Glaube (s. a. Religion) 75, 105, 157 f., 180, 185 Gleichheit 29, 37, 41, 43 f., 52, 75, 80, 83, 98, 101, 105, 108, 118, 136, 157, 164, 178, 182, 185 f., 188, 281, 303 f., 311 f. Glückseligkeit 27 f., 44, 79, 131 f., 142 f., 147 f., 150 f., 159, 203, 236, 238, 275, 278 f., 282, 299, 308 Handelsfreiheit 281 Haus(herren)recht (s. a. Gesellschaft, häusliche) 25, 42, 61, 91, 101, 113 f., 178, 195, 228, 244 Hauswesen 25, 41, 61, 113, 177 f., 244 Herrenlosigkeit s. Sache, herrenlose Herrscher (s.a. Regent; Souverän; Staatsoberhaupt) 28, 44, 70 f., 75, 85, 103 f., 118, 141, 156, 167, 182 f., 186, 195, 197, 211, 219, 274, 286, 305 Herrschergewalt 27, 103, 160, 182, 195, 203 Hinrichtung (s. a. Todesstrafe) 74, 83, 85, 104, 156, 186 Historisierung 265 Hospital 219
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Ideengeschichte 4, 10, 266 f., 271 Imperativ – kategorischer 21, 28, 30 – 32, 45, 47, 79, 85, 97, 105, 127, 159 f., 186, 193, 200, 238, 308, 311 – moralischer, sittlicher 20, 128, 201, 204 – praktischer 272, 277 Kantianer 266, 284, 288 f., 309, 312 f. Kantkommentare 4, 287 f., 297, 306 Kauf, Kaufvertrag 26, 43, 78, 91 f., 115, 167, 212, 215, 218, 228, 244, 285 Kauf bricht Miete 92, 115, 167, 212, 215, 218, 228, 244, 285 Kindererziehung s. Elternrecht; Gesellschaft, elterliche Kirche (s. a. Religion) 45, 105, 130 f., 157 f., 184 f., 195, 198, 219 Kodifikation 275 Konkubinat 25, 31, 91, 201, 227, 234 Konstitution (s. a. Verfassung) 27, 44, 47, 199, 272 Kontextualisierung 4, 8 – 10, 265 f., 268 Korporation 157 Krieg 29, 46 f., 58, 106, 141, 158, 160 f., 187 f., 196, 204 Legalität 19, 35, 96, 171, 201 Leibeigenschaft 45 f., 188, 267, 281 Leihe, Leihvertrag 43, 66, 91, 103, 115 f., 164, 180 Leistung 24, 35, 43, 65, 100, 111, 172, 176 f., 180, 194, 210, 215 f., 228, 243 Liberalismus 281 f., 288 – 290, 292 Lotterie 105 Mein und Dein 10, 22 – 24, 26, 29 – 31, 37 – 39, 41 f., 46, 53 f., 61, 89 f., 98 – 101, 109 – 111, 113, 138, 154, 160, 164, 167, 174 f., 177, 181, 188, 194, 202 f., 205, 214, 234 – 236, 298, 301 f., 306, 314 Meinung, öffentliche 157 f., 160, 184 Menschheit (s. a. Recht der Menschheit) 21, 31, 41, 47, 64, 74, 81, 88, 94, 99, 108, 114, 145, 148 f., 158, 169 f., 179, 200 f., 216, 229, 277, 280, 298 f., 301, 303, 313, 341
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Sachregister
Menschenrechte (s. a. Rechte der Menschen; Rechte der Menschheit) 142, 199, 267, 276, 279 – 282 Miete, Mietvertrag (s. a. Kauf bricht Miete) 66, 92, 215 f., 228, 244 Monogamie 91, 101, 166, 227, 234 Moral (s. a. Ethik; Sittenlehre; Tugendlehre) 19, 21, 28, 36, 42, 51, 74 f., 88, 91, 96, 99, 108, 122 f., 125 f., 131 f., 143, 145 f., 149 f., 163, 170 f., 194, 204, 210, 226, 232 f., 238 f., 236, 273, 277 f., 300, 302 Moralität 19, 35, 96, 150, 171, 185, 210, 237, 307 Mord, Tötung 32, 45, 61, 71, 83 f., 118, 146, 159 f., 167 f., 186, 311, 314 Nachdruck 63, 86, 167, 179, 267 f., 284 f. Name, guter (s. a. Ehre) 25, 42, 64, 92, 102, 115, 135 f., 154, 179 Naturrecht (s. a. Rechtslehre, philosophische) 4, 5, 10 f., 18, 21, 25, 30 f., 34, 36 f., 42, 50, 64, 69, 87 – 89, 91 – 94, 98, 102, 108 f., 115 f., 134, 137, 167, 172, 180, 194, 196, 198, 212, 218, 227 f., 234, 241 f., 263, 265, 267 – 292, 298, 300 – 302, 304 f., 307 f., 311 – 315, 332, 336, 338, 342, 344, 346, 350 f. – Einteilung 21 f., 89, 96, 98 f., 109, 153, 170 f., 173 f., 191, 193 f., 196 – Grundsatz (oberster) 21, 30 f., 64 f., 86 – 88, 109, 134, 137 f., 143, 170, 172 f., 179 f., 205, 231, 272 – 274, 277 f., 305, 309 f., 313 – 315 – Krise 10, 271 – 276, 290, 307, 312 – und Ethik, Moral 273, 277 f., 300, 308, 314 f. – als Rechtsquelle 268, 291 f. – revolutionäres 34, 304, 308 – Revision 276 – 282 Naturrechtslehrbücher 4 – 6, 10, 263, 265, 267, 269 f., 276, 278, 288 Natur(zu)stand 21, 26 f., 29 f., 37, 40, 42 – 44, 46, 58, 60, 64 – 68, 71 f., 75, 89 f., 92, 100 f., 103, 106, 109 – 112, 116 – 118, 136, 138, 154, 159 f., 165 – 167, 174, 177, 179, 181 f., 187 f., 194, 196, 203 f.,
216, 218, 228, 236, 268, 273 – 276, 279 – 283, 288, 290, 307, 312 Notrecht 36, 98, 104, 136, 153, 173, 193 Öffentliches Recht 21, 26 f., 29 f., 37, 42 f., 48, 53, 68 f., 89, 92, 99, 103, 107, 109, 116 f., 121, 137, 140, 154, 156, 162, 174, 180 f., 193 – 197, 203, 214, 219 Öffentlichkeit 281 Okkupation 24, 40, 59 f., 90, 112, 137 f., 236 Orden (s. a. Ritterorden) 45, 71, 104 f., 157, 184, 195, 199 Persönlichkeit 25, 31, 52, 99, 114, 117, 140, 158, 166, 201, 210, 226, 242 f., 272, 281, 298, 301 Persönlichkeitsrecht 298, 301 Person (s. a. Selbstzweck (der P.)) 4, 20 – 25, 27, 38, 40 – 42, 44, 46, 54 f., 60 – 62, 64, 69 – 71, 73, 75, 78, 81, 83, 86, 88, 97 – 104, 106, 112 – 115, 124 f., 130 f., 139 f., 145, 149, 156 – 158, 164 – 167, 176 – 180, 182 – 184, 187, 194 – 196, 201 – 203, 210, 214 f., 218, 226 – 228, 242 – 244, 277, 281, 298 – 301, 304, 312, 319, 335 – moralische 69, 102 – 104, 106, 182, 187, 196 Pfandrecht 91, 115 Physiokratie 276 Pflicht(en) 10, 19 – 21, 29, 35 f., 45 f., 51, 57, 62 f., 68 – 71, 73 f., 82, 84, 88, 96 – 99, 102, 107 f., 114 f., 118, 120, 122 f., 125, 142 f., 146 – 151, 153, 159, 163, 167 f., 171 f., 178, 183 f., 186, 188 f., 191, 193, 195, 197, 200 f., 204, 210, 225, 228 f., 236 – 239, 243, 273 – 275, 277, 280, 286, 298 – 300, 303 – gegen andere 274, 300 f. – äußere und innere 273 – gegen Gott 274, 300 – gegen sich selbst 10, 274, 300 – unvollkommene s. Recht, unvollkommenes – vollkommene s. Recht, vollkommenes Pflichtenlehre 151, 299 f. Politische Theorie 265 f., 290, 292
Sachregister
Polizei, Policey 28, 32 f., 45, 105, 184, 195, 197 f., 275, 278 Polygamie 227 Positivismus 343 Pressefreiheit 281 Privatrecht 21 f., 26, 30, 33, 37, 43, 48, 52, 68, 89, 92, 99, 102 f., 109, 112, 116, 121, 137, 153, 156, 162, 164, 174, 180 f., 193 f., 196 f., 202, 214, 228, 241, 269, 288 f., 298, 301 Privatsphäre 278, 281 Recht(e) 275, 277, 280 – äußere und innere 273 – angeborene 10, 21, 98, 101, 108 f., 114, 158, 164, 173 f., 178 f., 194, 202, 281, 297 f., 301 – der Aufsicht s. Aufsicht – dingliche (s. a. Sachenrecht) 24, 41, 61, 113, 214 – 216, 228, 242, 244 – auf dingliche Art persönliche 24 f., 30, 39, 41, 48, 61, 90, 100 f., 112 – 114, 137, 139, 154, 164, 166, 176 f., 193 f., 198, 203, 209 f., 212 – 215, 218, 225 f., 228, 241 f., 285 f. – erworbene 10, 21, 24, 37, 89 f., 98, 101, 108, 112, 174, 176 f., 194, 202, 236, 298 – und Ethik s. Naturrecht und Ethik – der Menschen (s. a. Menschenrechte) 20 f., 29, 31, 98, 189, 201, 275, 298 – der Menschheit (s. a. Menschenrechte) 20 f., 25, 31, 41, 61, 98, 177, 201, 204, 298 – 300 – oberster Grundsatz 20, 30 f., 47, 52, 87, 97, 108, 125, 134, 172 f., 193 f., 204 f., 298 f., 310 – öffentliches s. Öffentliches Recht – persönliche 24 f., 30, 39 – 41, 43, 48, 61, 63, 90 f., 100 f., 112 f., 137 f., 154, 164, 166 f., 176 f., 193 f., 203, 210, 214 – 216, 228, 241 f. – positives 11, 17 f., 21, 30, 36, 63 f., 85, 98, 109, 116, 172, 180, 194, 200, 216, 234, 242, 275, 287, 291 f., 305, 326, 328, 331 – 346, 349 – 351 – statutarisches 17 f., 21, 109, 157, 179 f., 184, 194 f. – subjektives 20, 215
361
– unvollkommenes (s. a. Tugendpflicht) 21, 237 f., 273, 300 – vollkommenes (s. a. Rechtspflicht; Zwangspflichten, -rechte) 21, 89 f., 201, 238, 273, 300, 303 – weltbürgerliches s. Weltbürgerrecht Rechtsbegriff 10, 18, 20 f., 28, 30 f., 33 f., 37 f., 94, 108, 136, 173, 183, 202 – 204, 214, 234, 305, 308 f., 334, 336 – formaler 10, 308 f. Rechtsgelehrte 17, 19, 107, 200, 241 Rechtsgeschichte 265 Rechtsgesetz 27, 32 f., 35 f., 40, 43, 58, 67 – 69, 72 f., 103, 141, 153, 163, 173, 182, 203, 277, 308, 314, 336, 344, 350 Rechtslehre, philosophische (s. a. Naturrecht) 4 f., 265, 269, 287 Rechtspflicht (s.a. Recht, vollkommenes) 21 f., 31, 35 f., 38, 42, 62 f., 98 f., 172, 175, 201 – 205, 211, 273, 300 f. Rechtsphilosophie (s. a. Naturrecht; Rechtslehre, philosophische) 6, 9 f., 45, 264 f., 268 f., 271, 278, 285 – 287, 290 f., 300 – 302, 306 – 308, 313 f., 319, 337, 343, 346 Rechtspraxis 170, 180, 291, 302 Rechtsprinzip, Rechtsprinzipien 27 f., 32, 42, 44, 55, 62, 64, 72, 74, 104, 141, 174, 182, 203 Rechtswissenschaft 18, 168, 172, 264 f., 310, 331 f., 336 f., 346 Redefreiheit 267, 281 Regent (s.a. Herrscher; Souverän; Staatsoberhaupt) 27, 44, 69, 72 – 74, 103 f., 167, 182 f., 198 Regierung 27 f., 32, 46, 104, 106, 158, 160, 182, 184 f., 187, 189, 283 Regierungsform (s. a. Staatsform; Verfassung) 46, 187, 283 Religion (s. a. Glaube; Kirche) 132 f., 184 f. Religionsedikt, preußisches 273 Religionsfreiheit 281 Republik 46, 62, 106, 187 Republikanismus 189, 199, 283 Revolution (s. a. Aufruhr) 44, 104, 118, 156 f., 169, 183, 195, 229, 267, 272 f., 283, 290 f., 304, 307
362
Sachregister
Rezensionen 5 – 7, 267, 269 – 271 – Autorschaft 8, 11 f., 271 – Wert als Quelle 7, 271 Rezensionszeitschriften 5, 8 f., 11, 269 f. Rezeption 4, 265 f., 297, 307, 315 Richter (s.a. Gewalt, rechtsprechende) 26 f., 44, 66, 68, 72 f., 81, 83 f., 89, 103 f., 157, 168, 173, 180 – 182, 186, 195, 225 Ritterorden 45, 105, 157, 184 Sache, herrenlose 22, 38, 60, 89, 99, 109 f., 164, 175, 234 f. Sachenrecht (s. a. Rechte, dingliche) 24 f., 30, 39, 41, 43, 48, 90, 100, 112, 114, 137, 154, 158, 164, 166, 176, 193 f., 203, 216, 242, 245 Schenkung, Schenkungsvertrag 26, 43, 65, 91 f., 116, 139 f., 164, 180, 197, 246 Schreibfreiheit 267 Selbstmord 104, 231 Selbstständigkeit 43, 281, 104, 117, 182, 281 Selbstzweck (der Person) 21, 31, 281 Sicherheit 23, 28, 32, 45, 53, 56 – 58, 60, 67 – 69, 80 f., 100, 102, 115, 138, 140 f., 165 f., 168, 175, 187, 195 f., 274 Sicherungsverträge 91 Sittengesetz 18, 30, 63, 73, 95 f., 153, 171 f., 193, 200, 237, 277, 302 f., 308, 314 f. Sittenlehre (s. a. Ethik; Moral) 48, 96, 107, 134, 142 – 144, 148, 150, 153, 315 Sklaverei 81, 281 Souverän (s. a. Herrscher; Regent; Staatsoberhaupt) 27, 44 – 46, 60, 70 – 75, 79 f., 83 f., 104 – 106, 118, 158, 161, 167, 183, 185 – 188, 197 f., 204, 219 Souveränität 27, 69 – 71, 103, 160, 195, 203 Spruchtätigkeit der Juristenfakultäten 291 Staat 27 – 30, 32 – 34, 43 – 47, 56 – 58, 67, 69 – 75, 79, 81 – 85, 103 – 106, 111, 117 f., 141, 156 – 158, 160 f., 165 – 168, 181 – 189, 195 – 199, 203 – 205, 211 f., 216 – 219, 229, 268, 272 – 276, 278 – 283, 285, 307 f., 311, 343 – 346 – und Individuum (s. a. Menschenrechte) 268, 273, 275 f., 281 Staatenverein 29, 46 f., 188
Staatsbürger 27, 43, 45 f., 78, 104, 156, 158, 166, 182 f., 185 – 188, 197, 203 Staatsform (s. a. Regierungsform; Verfassung) 46, 105, 187, 199 Staatsoberhaupt (s. a. Herrscher; Regent) 28, 44, 183, 197, 199, 212 Staatsrecht (einschl. Allgemeines St., natürliches St.) 10, 27, 30, 32 f., 43, 48, 53, 69, 77, 92 f., 103, 117, 137, 140, 156, 167, 181, 183, 193, 195, 198, 203, 211 – 213, 231, 267, 269, 271 f., 275 f., 286, 288 – 291 Staatsvertrag 44, 46, 82, 159, 161, 182, 187, 267, 281 f., 307 Staatswirtschaft 28, 45, 105, 184, 195 Staatszweck 267, 276, 278 f., 282 Stand, Stände 104 f., 147, 156 – 158, 160, 184 f., 195 f., 199 Ständestreitigkeiten 291 Stiftung 184, 195, 198, 211 f., 217 – 219, 229 Strafe 27 – 29, 32, 45, 64, 75, 79 f., 82, 84 f., 97, 104 f., 118, 156, 158 – 160, 168, 186, 204, 211, 216, 229, 311 f. – richterliche 28, 45, 79, 105, 118, 158, 168, 186 – Zweck s. Wiedervergeltung Strafgerechtigkeit 78, 160 Strafgesetz 28, 36, 79, 82 f., 136, 159 Strafgesetzgeber, Strafgesetzgebung 168, 186 Strafkrieg 46, 106, 188 Strafrecht 10, 28 f., 32, 45, 75, 77, 79, 83, 93, 105, 167, 185 f., 196, 212, 216, 218, 235, 267, 269, 286, 288 – 290, 310 – 312 Strafzweck s. Wiedervergeltung Tausch, Tauschvertrag 91, 115 Testament (s. a. Erbrecht) 25, 42, 64, 92, 102, 167, 216 – 218, 245, 267, 284 Theorie und Praxis, Verhältnis 297, 301 f., 304 Todesstrafe (s. a. Hinrichtung) 45, 81 – 84, 105, 118, 159 f., 186, 198, 267, 314 Tötung s. Mord Tugendlehre (s. a. Moral; Ethik; Sittenlehre) 18 f., 30, 32, 36, 48, 51, 94, 96, 107 f., 120 – 123, 125 f., 130 – 134, 142 f., 145,
Sachregister
152 f., 155, 162 f., 168, 170, 172, 191, 200, 204, 230, 232 – 234, 236, 284, 299 Tugendpflicht (s. a. Recht, unvollkommenes) 21, 35, 62, 98 f., 101, 172, 273 Untertan 28, 44 – 46, 67, 69 – 74, 79 f., 83 f., 104 f., 118, 141, 156 – 158, 160, 167, 182 f., 185 – 188, 195, 197 – 199, 203, 211 f., 217, 219, 234, 275, 281, 286 Untertanenprozesse 291 Urrecht 281 Verdienst 42, 63, 102, 105, 115, 157 f., 164, 179, 185 Verfassung (s. a. Konstitution; Regierungsform; Staatsform) 32, 44, 46 f., 64, 73 f., 104, 106, 117 f., 156 f., 181 – 184, 188, 198, 203, 219, 229, 283 – aristokratische 46, 187 – autokratische 46, 187 – bürgerliche 24, 28, 39 f., 53, 58, 85, 90, 92, 100 f., 110 – 112, 117 – 119, 160 f., 174 f., 179, 203, 236 – demokratische 46, 187 – despotische 27, 44, 73, 104, 182, 273 – weltbürgerliche 58 Vernunft 17 – 20, 22 f., 25, 28, 30 f., 33 – 36, 38 – 42, 44, 47, 51 – 54, 57 f., 60 f., 63, 66, 68, 72, 75, 81 f., 87, 89, 91, 94 – 96, 99 – 102, 109 – 112, 115, 123 – 125, 131 f., 143 – 149, 151, 155, 162 – 165, 167, 170 – 173, 175 f., 179 f., 189, 191 – 193, 195, 200 – 202, 204 f., 211, 214, 223 – 225, 227, 230 – 234, 238, 303 f., 309, 312, 321, 327, 329, 331 – 341, 344 f., 349 f. Vernunftidee, Vernunftprinzip 28 – 30, 47, 72, 117, 141, 182 f., 203 f., 237, 317, 322 – 324, 327, 329 f., 340, 348 f. Versprechen 23, 25 f., 41, 43, 65 f., 102, 113, 115 f., 136, 139, 143, 160, 172, 177, 231, 245 f. Vertrag 24 – 26, 41 f., 45, 47, 61 – 63, 65, 88, 90 f., 101 – 103, 106, 113 – 115, 134, 138, 141, 159, 161, 166 f., 177 – 180, 189, 194 f., 197, 203, 227, 242, 244, 281 f. Völkerrecht 29, 43, 46 – 48, 69, 75, 92, 103, 106, 117, 137, 141, 154, 156 f., 161, 181,
363
187 – 189, 193, 195 f., 204 f., 264, 267, 269, 274, 283, 290 Volk 27 – 29, 32, 43 – 47, 60 f., 70 – 75, 79 f., 83, 85, 103 – 106, 117 f., 127, 141, 156 – 161, 167, 181 – 189, 195 – 197, 203, 212, 229, 283 Vollkommenheit 277 f. Weltbürgerrecht 29, 43, 47 f., 69, 75, 92, 103, 106, 117, 137, 141 f., 156, 181, 189, 193, 195 f., 204 f. Widerstandsrecht 44, 69 – 75, 85, 104, 141, 183, 195, 217, 229, 266, 286 Wiedervergeltung, Wiedervergeltungsrecht 29, 32, 78 – 82, 93, 118, 168, 186, 218, 229, 286, 310 f. Wille (s. a. Willkür) 18 f., 23, 38 – 41, 44 f., 51 – 53, 55 – 57, 59, 92, 95, 100 f., 107, 113, 116 f., 123 f., 138 f., 142, 144, 147 – 152, 158, 164, 171, 174 – 177, 219, 225, 236, 245 f., 303 – allgemeiner, gemeinsamer, vereinigter 23, 27, 40 f., 43, 45, 59, 103, 110, 141, 165 f., 181 f., 195, 197, 203 – des Gesetzgebers 21, 28, 44, 100, 103, 109, 160, 167, 182, 194 Willenserklärung 38, 57, 61, 217 Willkür (s. a. Wille) 18 – 25, 30 f., 35 – 41, 51 – 54, 62 f., 66, 72, 75, 84, 87, 89 f., 95 – 100, 102, 107 – 109, 111 – 114, 116, 124 f., 134 – 137, 145, 147, 153 f., 171 – 177, 179, 193 f., 200 – 205, 217, 234, 236 – 238, 243, 299 Wunsch 18, 20 f., 36, 51, 87, 95, 107, 124, 131, 189, 246 Zustand – bürgerlicher (s. a. Gesellschaft, bürgerliche; Staat) 25 f., 30, 37 f., 40, 42 f., 46 f., 53, 60, 64, 66 – 69, 71, 100 f., 103, 105, 110 – 112, 117, 119, 137, 164 – 167, 175 f., 179, 181, 187, 194, 203, 205, 218 – gesellschaftlicher 21, 111 – natürlicher s. Natur(zu)stand – rechtlicher 26 f., 36 f., 42 – 44, 46 f., 66 – 68, 75, 84, 100, 103, 110 f., 117, 119, 137, 141, 174, 181, 194 f., 203 f.
364
Sachregister
Zwang 20, 26 f., 35 f., 39, 43, 52, 57 f., 62, 67 f., 71, 74, 88, 97 f., 108, 112, 133 – 136, 138 f., 141, 143, 145 f., 163, 167, 172 f., 201, 275, 300
Zwangsgesetz 53, 57, 111, 138, 164 Zwangspflichten, -rechte (s. a. Recht, vollkommenes) 44, 57 f., 62, 71, 104, 118, 141, 167, 183, 300