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German Pages 100 [149] Year 2007
Kant-Forschungen 18
KANT-FORSCHUNGEN Begründet von Reinhard Brandt und Werner Stark Band 18
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Kants vergessener Rezensent: Die Kritik der theoretischen und praktischen Philosophie Kants in fünf Rezensionen von Hermann Andreas Pistorius Herausgegeben und eingeleitet von Bernward Gesang
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
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Inhalt Einleitung ...........................................................................................
VII
I. Die Bedeutung von Pistorius und seine Stellung in seiner Zeit ......
VII
II. Leben und Wirken von Pistorius .................................................
XI
III. Pistorius über die kantische Affektionstheorie .............................
XIII
IV. Die Analyse der Affektionstheorie bei Pistorius, Jacobi und Schulze im Vergleich ..................................................................
XVIII
V. Die Pistoriussche Lücke ..............................................................
XXII
VI. Pistorius als Kritiker der praktischen Philosophie Kants ...............
XXV
VII. Der Vorrang des Guten ...............................................................
XXVI
VIII. Der Formalismus-Vorwurf ...........................................................
XXIX
IX. Ein kategorischer Imperativ ist unmöglich ...................................
XXXI
X. Kants Anthropologie ist eindimensional ......................................
XXXIV
XI. Kants Ethik ist rigoros und unsensibel gegenüber Handlungsfolgen
XXXVII
XII. Aporien in Kants Freiheitslehre ................................................... XXXVIII XIII. Pistorius verteidigt die stoische Ethik gegen Kant .........................
XL
XIV. Zu den Texten ............................................................................
LII
Literatur .............................................................................................
XLIII
H ER MANN A NDREAS P ISTORIUS 1. Rezension von J. Schulzes Erläuterungen zur Kritik der reinen Vernunft .............................................................
3
2. Rezension der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten .....................
26
3. Rezension zu L. H. Jacobs Prüfung der Mendelssohnschen Morgenstunden ............................................................................
39
4. Rezension der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft ...........
72
5. Rezension der Kritik der praktischen Vernunft .................................
78
Sachregister ........................................................................................
99
Personenregister .................................................................................
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Einleitung I. Die Bedeutung von Pistorius und seine Stellung in seiner Zeit Der Name Hermann Andreas Pistorius ist heute nahezu unbekannt. Allerdings zu Unrecht, denn Pistorius war unter den Kritikern Kants, die zu Lebzeiten des Königsberger Philosophen publizierten, einer der scharfsinnigsten. Pistorius war Pfarrer auf Rügen, lebte von 1730–1798 und war unter anderem ein Übersetzer einiger Werke D. Humes. Zudem war er Rezensent für die »Allgemeine deutsche Bibliothek« und für das Nachfolgewerk, die »Neue allgemeine deutsche Bibliothek«, zwei Zeitschriften, in denen die Literatur der Zeit systematisch besprochen wurde. In dieser Funktion hat Pistorius die großen Werke Kants rezensiert. Kant selbst lobt ihn in hohen Tönen und nennt ihn einen wahrheitsliebenden, scharfsinnigen und stets achtungswürdigen Rezensenten (KdpV A 15 f., AA 8 f.). Der berühmte KantKommentator Hans Vaihinger hebt Pistorius als einen Kritiker Kants hervor, der »meisterhafte Besprechungen« lieferte.1 In diesem Band sollen fünf der wichtigsten Texte dieses lang vergessenen Autors erstmals gemeinsam veröffentlicht und damit einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Es handelt sich um: 1) »Erläuterungen über des Herrn Professor Kant Critik der reinen Vernunft von Joh. Schultze, Königl. Preußischem Hofprediger. Königsberg 1784.«, in: »Allgemeine deutsche Bibliothek« (AdB) 1786, Bd. 66, 1. Stück, S. 92–123. 2) »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten von Immanuel Kant. Riga 1785.«, in: AdB 1786, Bd. 66, 2. Stück, S. 447–463. 3) »Prüfung der Mendelssohnschen Morgenstunden, oder aller spekulativen Beweise für das Daseyn Gottes in Vorlesungen von Ludwig Heinrich Jakob, Doctor der Philosophie in Halle. Nebst einer Abhandlung vom Herrn Professor Kant. Leipzig 1786.«, in: AdB 1788, Bd. 82, 2. Stück, S. 427–470. 4) »Critic der reinen Vernunft von Immanuel Kant, Prof. in Königsberg, der Königl. Akademie der Wissenschaften in Berlin Mitglied. Zweyte hin und wieder verbesserte Auflage, Riga 1787.«, in: AdB 1788, Bd. 81, 2. Stück, S. 343–354.
Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 143. Gleichwohl behandelt Vaihinger die Kritik der kantischen Affektionstheorie von Pistorius nur als »untergeordnete Äußerung« (vgl. S. 38). B. Sassen spricht von Pistorius als dem »most reflective and moderate empiricist critic« Kants. Es sei ein Unglück gewesen, daß Pistorius ohne akademische Funktion in der Isolation Rügens gelebt habe und so nicht den Einfluß hatte, den er hätte haben sollen. Sassen 2000, 39,16. 1
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5) »Kritik der praktischen Vernunft, von Immanuel Kant. Riga 1788.«, in: AdB 1794, Bd. 117, 1. Stück, S. 78–105.2 Es wurden Rezensionen ausgewählt, die Kants theoretische und praktische Philosophie betreffen, auch wenn diese Rezensionen in zwei Fällen nicht direkt von Werken Kants handeln, sondern auf Publikationen von J. Schulze und L. H. Jacob bezogen sind. Pistorius behandelt diese Autoren so, daß er direkt auf die Substanz der auch von ihnen vertretenen Theorie Kants eingeht. Durch diese Auswahl kommt die ganze Breite der Kantkritik von Pistorius zum Ausdruck, wenngleich nicht alle seiner wichtigen Rezensionen hier abgedruckt werden konnten. In dieser Einleitung sollen die einzelnen Rezensionen nicht vollständig zusammengefaßt und kommentiert werden, denn diese Texte sollen für sich selbst sprechen und den Leser zu Entdeckungsreisen einladen. Daher werde ich nur Schlaglichter auf die hier abgedruckten Texte werfen und einige besonders interessante Argumente von Pistorius daraufhin untersuchen, in welchem Licht sie heute erscheinen bzw. wie sie sich im Vergleich zu denen anderer Zeitgenossen Kants ausnehmen. Ziel ist es nicht zu belegen, daß die Einwände von Pistorius zutreffen, sondern nur, daß sie auch heute noch bestehen und sich daher als »tief« im Sinne von »nicht einfach zu beseitigen« erwiesen haben. Pistorius wurde kaum rezipiert, aber es spricht für die Qualität seiner Einwände, daß diese später auch von anderen Autoren gesehen wurden, so daß wir prüfen können, welche Rolle die von Pistorius erörterten Punkte der Sache nach in der Kantrezeption gespielt haben und noch spielen. Es wird sich herausstellen, daß Pistorius häufig als erster den Finger in tiefe Wunden des kantischen Systems gelegt hat. So hat er noch vor Jacobi und sachlich angemessener als dieser die Probleme der kantischen Affektionstheorie erkannt. Ebenso war eigentlich Pistorius der Entdecker der berühmten »Trendelenburgschen Lücke« in Kants Philosophie, die also »Pistoriussche Lücke« heißen müßte.3 Pistorius formulierte als erster den durch Hegel berühmt gewordenen Formalismus-Einwand gegen Kants Moralphilosophie und bezweifelte die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs mit ähnlichen Gründen, wie dies aktuell immer noch Kantkritiker wie E. Tugendhat und P. Foot tun. Pistorius hat kein größeres systematisches Werk verfaßt. Gleichwohl hatte er durchaus eigenständige Gegenpositionen zu Kant, die er in seinen Rezensionen äußerte, wenngleich nicht ausführlicher entfaltet. Diese Positionen greifen in der
In dieser Einleitung werde ich diese Texte mit direkter Angabe der Seitenzahlen zitieren, wobei ich erst die Seitenzahl in dieser Ausgabe und dann die des Originals angebe. Dazu werde ich die gerade vorgestellte chronologisch nach Erscheinungsdatum geordnete Numerierung der Rezensionen beibehalten und den Seitenangaben voranstellen. Beispiel: (4: 74, 349) bedeutet: Die Rezension zur zweiten Auflage der KdrV, in diesem Band Seite 74, im Original Seite 349. 3 Es gibt vor Pistorius lediglich eine Randbemerkung von J. Lambert aus dem Jahr 1773, die schon in diese Richtung weist, sie aber nicht entfaltet. Vgl. Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 142. 2
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theoretischen Philosophie auf Hume und Leibniz und in der praktischen Philosophie auf Hume und die Stoa zurück. Daher ist es nicht einfach, Pistorius in die verschiedenen Strömungen der frühen Kantkritik einzuordnen. B. Sassen rechnet Pistorius etwa der Gruppe der empiristischen Kantkritiker seiner Zeit zu, die sie insbesondere durch Autoren wie Johann Georg Heinrich Feder, Christian Garve, Christian Gottlieb Selle, Dietrich Tiedemann, Gottlob August Tittel und Adam Weishaupt repräsentiert sieht.4 Das halte ich für problematisch, denn Pistorius vertritt wie gesagt in der theoretischen Philosophie oft Thesen von Leibniz, und in der Ethik macht er die Stoa stark. Das Bild bleibt heterogen. Gleichwohl ist Sassens Beobachtung hilfreich, daß man die frühe Kantkritik in drei Strömungen einteilen kann. Zum einen gab es die Empiristen, die sich durch Hume inspirieren ließen und primär in den Jahren 1782 bis 1788 publizierten. Dann setzte sich etwa in den Jahren 1788 bis 1793 eine an Leibniz und Wolff orientierte Kantkritik durch, die Autoren wie Johann August Eberhard, Johann Gebhard Ehrenreich Maass5 und Johann Christoph Schwab vertraten. Die dritte Phase der frühen Kantkritik begann in etwa gleichzeitig mit der zweiten und bereitet den Weg zum Deutschen Idealismus. Dabei sind Jakob Sigismund Beck, Karl Leonhard Reinhold, Salomon Maimon und Johann Gottlieb Fichte besonders hervorgetreten. Zudem gibt es eine Gruppe von Kritikern, die diesen Richtungen nicht zuzuordnen sind, so etwa Johann Georg Hamann, Friedrich Heinrich Jacobi und Johann Gottfried Herder.6 Hier würde ich auch Pistorius verorten, über den es in seinem Nachruf hieß, er sei zwar von »der Leibniz-Wolfischen Schule ausgegangen; eigentlich aber hatte er zu keiner Fahne geschworen: so daß es von ihm heißen konnte: Amicus Plato, amicus Aristoteles, amicior veritas.«7 Das Verhältnis von Pistorius und Kant ist wenig beleuchtet worden. Pistorius war sich jedenfalls der Bedeutung der kantischen Kritik der reinen Vernunft bewußt, denn er bezeichnet sie als das wichtigste Buch, das seit Aristoteles zur Metaphysik geschrieben wurde (1: 3, 92). Pistorius tritt daher in seiner Rezension von Schulzes »Erläuterungen« als ein Bittsteller auf, der den großen Weltweisen um Belehrung bittet: »Es mag immer Verwegenheit scheinen, daß der Rec. ein blosser Liebhaber speculativischer Untersuchungen, dem Ersten unserer speculativen Denker in seinem System der Frucht des Nachdenkens vieler Jahre, Fehler zeigen will, wenn es aber nur den Nutzen hat, theils Hrn. K. zu einer nähern Erklärung und Wegräumung der wahren oder eingebildeten Schwierigkeiten und Anstöße in seinem Vgl. Sassen 2000, 2. Zu diesem ebenfalls sehr interessanten und heute übersehenen Kantkritiker: vgl. Gesang 2000. 6 Sassen 2000, 2 f. 7 So sein Nachruf im Intelligenzblatt der »Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek«, 1799, 31, 252. 4 5
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System zu veranlassen, oder geschicktere und schärfere Prüfer desselben zu erwecken, oder überhaupt nur Gelegenheit zu geben, die für Denker so äusserst wichtigen Gegenstände, die Hr. K. auf eine so originale Weise behandelt hat, aus der todten Stille, worin sie begraben liegen, hervorzuziehen, und zur Untersuchung zu bringen, so würde es schon nicht umsonst seyn, diesen etwanigen Versuch einer Prüfung gewagt zu haben. Und wenn auch Nichts von dem, was ich wider die Kritik und das System derselben vorgebracht habe, sich bey einer Gegenprüfung erhalten sollte, so würde ich doch nicht Ursache haben, meine Bemühungen zu bereuen, wenn sie mir über wichtige und interessante Punkte Belehrung verschafften8. Immer aber bleibt mir das in magnis voluisse sat est zur Entschuldigung und dem eben so Wahrheitliebenden als tiefdenkenden Weltweisen, von dem ich Belehrung über meine Zweifel erwarte, muß jeder auch noch so unvollkommener Versuch, sein Meisterstück zu beurtheilen, immer angenehmer und willkommener seyn, als die stille Gleichgültigkeit (und selbst als bewundernder, durchgängig, aber uncritischer Beyfall) womit es so viele, die es prüfen sollten und konnten, bisher aufgenommen haben.« (1: 25, 122 f.) Diesen Aufruf zur »Belehrung« hat Kant jedoch weitgehend9 verhallen lassen. Explizit hat er nur auf die Kritik seiner praktischen Philosophie durch Pistorius reagiert. Am bekanntesten ist die Erwähnung von Pistorius in der Kritik der praktischen Vernunft (KdpV A 15, AA 8 f.). Eine weitere und ähnlich lautende Äußerung aus dem Opus postumum wird ebenfalls auf Pistorius bezogen.10 Pistorius hat nicht verstanden, weshalb Kant seine und andere Kritik an der KdrV nicht in größerem Ausmaß beachtet hat. Daher ist sein Ton gegenüber Kant in der ein Jahr später erschienenen Rezension zur zweiten Auflage der KdrV gänzlich verändert: »Rec. gesteht, daß er mit großer Begierde an die Durchsicht der neuen Auflage dieses berühmten Werks gieng. Die Einwürfe, welche seit einiger Zeit sowohl von mehrern berühmten Gelehrten, einem Feder, Reimarus und andern, als auch in unsrer Bibliothek gegen dieselbe gemacht worden sind, schienen ihm zu bedeutend zu seyn, und die Grundpfeiler des ganzen Kantischen Systems zu sehr anzugreifen, als daß er es nicht gewiß vermuthet hätte, hier eine Beantwortung derselben zu finden. Allein er sahe sich in dieser seiner Erwartung gänzlich getäuscht. Denn er fand nicht allein keine Widerlegung der gemachten Einwürfe, keine Auflösung der vorgelegten Zweifel, sondern auch einen gewissen, der Rec. möchte nicht gern sagen, arroganten Ton wieder, den man mit Bedauern bey Hrn. Kant und einigen seiner Schüler bemerkt, da sie sich auf die Evidenz ihrer Behauptungen und die apodiktische Gewißheit der vorgetragenen Beweise allein verlassen, und allen Angriffen ihrer Gegner Hohn sprechen.« (4: 72, 344 f.) Im Original: »verschaffte«. Erdmann vermutet, daß Kant implizit in der KdrV B 428–430 auf Pistorius reagiert hat, vgl. Erdmann 1973 (1878), 106 ff., dazu Mohr 2004, Bd. 3, S. 482. 10 Akademieausgabe Bd. XXI, 416, vgl. auch Sassen 2000, 285. 8 9
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II. Leben und Wirken von Pistorius Im »Intelligenzblatt der Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek« erscheint in der Nummer 31 aus dem Jahre 1799 ein Nachruf auf Pistorius. Dieser zeichnet seine Biographie nach. Pistorius wurde am 08.04.1730 in Bergen auf Rügen geboren. Er besuchte das Gymnasium in Stralsund, später das Carolinum in Braunschweig und die Akademie in Greifswald. Danach führte ihn sein Weg nach Göttingen, wo er seine akademischen Studien abschloß. Im Anschluß war er zwei Jahre als Privatlehrer und zudem als Übersetzer einiger Werke Humes tätig, bevor er nach Rügen zurückkehrte. 1756 erhielt er den Magistergrad der Universität Greifswald, und ein Jahr später wurde er zum Pastor in Schaprode auf Rügen berufen. 1764 lernte er Friedrich Nicolai, den Herausgeber der »Allgemeinen deutschen Bibliothek« (AdB), kennen. Pistorius wurde Mitarbeiter der Zeitschrift und publizierte in großem Umfang für sie: in 33 Jahren über tausend Rezensionen. Sie betreffen philosophische und theologische Neuerscheinungen, darunter fast alle Werke Kants. 1781 verfaßte er eine Übersetzung von J. Priestleys »Liturgie und Gebetsformeln zum öffentlichen Gottesdienst« und fügte eine Vorrede über die Möglichkeit eines allgemein-christlichen Gottesdienstes hinzu. Daraufhin verlieh ihm die theologische Fakultät der Universität Greifswald 1790 den Doktorgrad der Theologie. Er starb am 10.11.1798 zu Bergen auf Rügen an einer Lungenentzündung. Pistorius übersetzte nicht nur einige Werke David Humes, er verfügte auch über »eine gründliche und umfassende Kenntniß der englischen Philosophie«11, was sich daran zeigte, daß er auch Anmerkungen zu Humes »Philosophischen Versuchen über die menschliche Erkenntnis« verfaßt hat.12 Pistorius war, wie gesagt, insbesondere als Autor für die AdB tätig. Die Aufgabe dieser Zeitschrift erläutert ihr Herausgeber F. Nicolai wie folgt: »Dieses Werk soll seiner Absicht nach, eine allgemeine Nachricht, von der ganz neuen deutschen Literatur vom Jahre 1764 an, in sich enthalten. […] Schriften von einiger Wichtigkeit […] wird man ausführlich recensiren, so daß sich der Leser von dem ganzen Werke selbst aus der Recension einen richtigen Begriff machen kann.«13 Dahinter stand die aufklärerische Absicht, die deutsche Literatur den Literaturliebhabern auch in der Provinz, wo nicht einmal Buchläden zu finden waren, zugänglich zu machen. Dabei hatte wohl die britische »Monthly Review« (1749–1845) das
Allgemeine Deutsche Biographie 1970 (1888), Bd. 26, 195. Unter dem Titel erschienen: »Philosophische Versuche über die menschliche Erkenntniß von David Hume, Ritter. Als dessen vermischter Schriften Zweyter Theil. Nach der zweyten vermehrten Ausgabe aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen des Herausgebers begleitet.« Hamburg/Leipzig 1755. 13 AdB 1766, 1. Stück, 1. Band, 1 f. 11
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Vorbild geliefert.14 Inhaltlich bestand die Bedeutung der AdB und später der »Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek« (NadB) darin, eine »Vorkämpferin der volkstümlichen Aufklärungsphilosophie« zu sein, die gegen »theologische Bevormundung, gegen Schwärmerei und Aberglauben«15 auftrat. Die Zeitung drückte deutlich die Skepsis ihres Herausgebers Nicolai gegenüber der Philosophie Kants aus, so daß sie zu einem Forum der Kantkritik wurde. Seit 1785 bekam die AdB Konkurrenz durch die »Allgemeine deutsche Literaturzeitung« (ALZ), die sich bald als Hort von Rezensionen etablierte, in denen Kant verteidigt wurde. Die Rezensionen der AdB erschienen anonym unter Angabe von Chiffren. Die Rezensenten benutzen mehrere Chiffren und wechselten diese im Laufe ihrer Tätigkeit. Grund dürfte wohl die Angst vor der Zensur und vor Repression gewesen sein. Briefe der Mitarbeiter der AdB bringen diese Angst zum Ausdruck,16 allerdings war die Identität der Rezensenten ein schlecht gehütetes Geheimnis.17 Die Rätsel um die Chiffrierung wurden erst 1842 durch einen Enkel Nicolais, Gustav C. F. Parthey, vollends aufgelöst.18 Demnach benutzte Pistorius folgende Chiffren: AdB Bd. 7–12; 1768–1770: Dr Bd. 13–18; 1770–1772: Kl; Dm Bd. 19–36; 1773–1778: Bs; Bm Bd. 37–86; 1779–1787: Rr; St; Rk; Sg Bd. 87– Ende; 1787–1792: Ow; Hz; Wo; Zk.; Cdl NadB Bd. 1–28; 1793–1797: L; Pa;Ob;Pz19 Pistorius avancierte zum bedeutendsten Philosophen der AdB20. Dabei prägte er die kritische Linie, welche die AdB zu Werken von Kant und Reinhold einschlug, insbesondere als diese ihr zu despotisch geworden zu sein schienen.21
Sassen 2000, 43. 15 Philips 1925, 183. 16 Arner 1912, 95. 17 Sassen 2000, 45. 18 Parthey 1973 (1842). 19 Parthey 1973 (1842), 20 f. 20 Ost 1967 (1928), 50. 21 Ost 1967 (1928), 94. In diesem Abschnitt konnte ich auf unveröffentlichte Arbeiten von Judith Schwerdt zurückgreifen. 14
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III. Pistorius über die kantische Affektionstheorie Nun also zu einigen Schlaglichtern auf zentrale Argumente von Pistorius. Zuerst zum Affektionsproblem: Kants Theorie der Affektion 22 ist ein Kernstück seiner theoretischen Philosophie. Was bedeutet das Prädikat »affizieren« (lat. hinzutun, einwirken, erregen, reizen) in Kants Schriften? Kant führt den Begriff wie folgt ein: »Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis auf Gegenstände beziehen mag, so ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzweckt, die Anschauung. Diese findet aber nur statt, so fern uns der Gegenstand gegeben wird; dieses aber ist wiederum, uns Menschen wenigstens, nur dadurch möglich, daß er das Gemüt auf gewisse Weise affiziere. Die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit.« (KdrV B 33) Kant geht in diesem Zitat davon aus, daß im »Gemüt«, also im Subjekt, durch eine »Reizung« Vorstellungen entstehen (KdrV B 33). Das Subjekt hat die Fähigkeit (= Sinnlichkeit), Reizungen zu rezipieren. Wir haben also dem Zitat folgend Gegenstände vorliegen, die uns durch den Vorgang der Affizierung »gegeben« (= anschaubar) werden. Welche Gegenstände meint Kant aber, wenn er von einer Affizierung durch Gegenstände spricht? Und: Welches Subjekt wird von ihnen affiziert? »Affizieren« ist ein zweistelliges Prädikat (A(x,y)) und die an Kant zu richtenden Fragen lauten: 1) Welche Termini sind für x und y einzusetzen? 2) Welche Konsequenzen hat die Einsetzung bestimmter Begriffe für Kants Gesamtsystem? Pistorius behauptet, jede Einsetzung in die »Formel« (A(x,y)) führe zu Konflikten mit Teilen Diese Theorie birgt übrigens ein elementares Problem für die heute sehr populäre Interpretation des kantischen Idealismus im Rahmen einer »Zwei-Aspekte-Interpretation«. Diese besagt: Dinge an sich und Erscheinungen sind nicht zwei unterschiedliche Arten von Gegenständen, deren erstere subjektunabhängig, aber unerkennbar, letztere hingegen erkennbar, aber subjektabhängig ist. Vielmehr handelt es sich bei den Dingen an sich um die Erfahrungsgegenstände selbst, bei denen wir jedoch gerade von der (subjektabhängigen) Art und Weise absehen, auf die sie unseren Sinnen erscheinen. (Allison 1983). Zu dem sich für diese Interpretation ergebenden Problem bemerkt etwa M. Willaschek: »Kant zufolge sind Erscheinungen das Produkt der Verarbeitung eines sinnlich gegebenen Materials durch das Subjekt; dieses Material geht darauf zurück, daß ein (von Kant wiederholt als »transzendentaler Gegenstand« bezeichnetes) Etwas unsere Sinnlichkeit affiziert. Da es sich bei Ursache und Wirkung dieser Affektion nicht um denselben Gegenstand handeln kann, läßt sich dieses für Kants transzendentalen Idealismus charakteristische Lehrstück nicht ohne weiteres mit einer Zwei-Aspekte-Interpretation vereinbaren.« Willascheck argumentiert, daß die Zwei-AspekteInterpretation an diesem Problem trotz einiger Verteidigungsmöglichkeiten letztlich scheitert. Willaschek 2001. 22
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der kantischen Theorie. Für x könnte man einsetzen a) »Ding an sich« und b) »Erscheinung«, für y a) »transzendentales Subjekt« und b) »empirisches Subjekt«. (Oft bezeichnet man eine Kombination vom Typus a-a als transzendente oder reale Affektion, b-b als empirische Affektion23 und a-b oder b-a als Mischaffektion.) Pistorius meint, daß alle vorgeschlagenen Einsetzungen für x und y verwendbar sind und von Kant verwendet werden, aber alle zu Folgerungen führen, die mit anderen Ansprüchen der kantischen Theorie konfligieren. So etwa mit der These, man könne von Dingen an sich oder auch vom transzendentalen Subjekt keinerlei Erkenntnis haben. Diese These könnte man heute als »kantischen Agnostizismus« bezeichnen (so auch Allison).24 Ebenso drohen Konflikte mit einigen Ergebnissen der transzendentalen Deduktion oder mit dem Anspruch Kants, in seiner Erkenntnistheorie etwas anderes als bloße Täuschungen zu beschreiben. Pistorius diskutiert die Relata der Affektionsrelation getrennt. Beim zweiten Relatum, dem Subjekt, problematisiert er dessen ontologischen Status. Er fragt: Wie ist Schein möglich, wenn das dem Schein vorausgesetzte, nämlich die Vorstellungen und das Denken, selbst nur Schein sind? Welches sind die Bedingungen der Möglichkeit des Scheins?25 (1: 3 f., 93). Die Konsequenz, daß das Denken selbst nur Erscheinung ist, kann Kant nach Pistorius schwer vermeiden, denn das Denken findet »in der Zeit« statt, welche die transzendentale Ästhetik als Anschauungsform des Subjekts ausgewiesen hat. Alles »nach Zeitbestimmungen« Gedachte ist deshalb im kantischen System nur eine Erscheinung, weil die Zeit selbst keine subjektunabhängige Existenz aufweist (ebd.). Eben die These, daß das Denken selbst bloßer Schein ist, benötigt Kant Pistorius zufolge, um eine zentrale Position seiner Philosophie zu fundieren, nämlich den auf das Subjekt bezogenen Agnostizismus (1: 4, 94). Wüßte man nämlich um die Realität des Denkens, so wäre vom Subjekt bekannt, daß es eine Gedankenquelle und eine Vorstellungskraft sei, was als positive Kenntnis des Ichs dem Dekret des Agnostizismus widersprechen würde. Die so festgelegte kantische Position führt nach Pistorius dazu, den Schein auf restlos alles auszudehnen: das »Fundament« des Scheins, das all diesen ins Dasein setzt, ist nicht erkennbar. Das kantische Subjekt ist für Pistorius kurzum oft nicht als »reelles«, sondern als bloße Erscheinung gemeint. Alles andere widerspräche Kants agnostischem Verdikt und erforderte die Annahme »realer Vorstellungen« etc., was der transzendentalen Ästhetik widerspräche. Wenn Kants »Subjektivität
Vaihinger, 1970 (1922), Bd. 2, 52. Allison 1983, 241. 25 Die Begriffe Schein und Erscheinung werden von Pistorius als Synonyme gebraucht, denn er belegt die These, daß das Denken bloßer Schein sein soll, durch den Hinweis darauf, daß alles in der Zeit Empfundene nichts als Erscheinung ist. Dabei ist sich Pistorius durchaus des Unterschieds, den Kantianer zwischen diesen beiden Dingen machen, bewußt (3: 46 f., 438), erachtet diese Differenzierung jedoch nicht für hinlänglich. Zur Kritik dieser Gleichsetzung vgl: Kant KdrV B 69–71. Das ist einer der Abschnitte der KdrV, in denen Kant versucht hat, auf die Kritik an seiner Theorie seit 1781 einzugehen, vgl. Mohr 2004, 137. 23
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als Erscheinung« auf nichts weiter als auf ein »Ich, das alle Vorstellungen muß begleiten können« führt, bleibt unklar, woher der begleitete Strom der Vorstellungen kommt und wohin er für wen fließt: »Was wir nach gemeinem Sprachgebrauche unsere Seele nennen, ist nach diesem Systeme nur ein logisches, d. i. scheinbares Subject, nicht eine wahre für sich bestehende Substanz, eigentlich blos eine Reihe fließender Vorstellungen, die durch das Selbstbewußtseyn […] zu Gedanken verbunden […] werden.« (1: 4 f., 94) Pistorius hält Kant vor, daß die These, alles Denken und auch das denkende Subjekt seien bloß Erscheinungen, absurd sei. Wenn nämlich etwas zum »Schein« wird, so wird es für ein denkendes Subjekt zum Schein, so Pistorius. Wenn auch dieses Subjekt wieder Schein sein soll, kann es das nur für ein weiteres Subjekt sein, welches aber nach Kant auch wieder nur Schein sein darf usw. Ein Regress ad infinitum droht hier also, denn Schein ist nur möglich, wenn er auf etwas fußt, das selbst nicht Schein ist. Da dieses reelle Etwas aber ohne weiteres nicht zugänglich sei, müsse man die Suche nach den Bedingungen der Möglichkeit des Scheins ad infinitum fortsetzen (1: 5, 95). Kants Versuch, mit seinem Subjektivitätsbegriff eine bloße Erkenntnisfunktion zu beschreiben, kann ontologisch zu der Konsequenz führen, jenes, was vor Kant als »reelle Seele« bekannt war, zur bloßen Erscheinung zu erklären. Allerdings ist Pistorius der Meinung, dies sei nur manchmal von Kant so gemeint, da es auch Möglichkeiten gebe, das kantische Subjekt als reelles zu deuten. Kants Subjektivitätstheorie sei »ontologisch offen«, also zweideutig interpretierbar. Die einzige Möglichkeit, der Absurdität permanenten Scheins zu entkommen, bestehe darin, das kantische System auf »reelle« Subjektivität festzulegen: »Wollen wir uns nun hier nicht in eine Unendlichkeit von Schein und Erscheinungen verlieren, so müssen wir wohl annehmen, daß dies denkende individuelle Wesen […] wirklich ein Ding an sich selbst ist, und daß Vorstellung und Gedanken wirklich wahre, d. i. gleichartige Wirkungen desselben sind.« (1: 5, 95) Dabei meint Pistorius, Kant selbst müsse diese Konsequenz ziehen, denn er versteht sie als »Folgerung aus den Grundsätzen des Verfassers (Kants, B. G.)« (ebd.), gestützt auf Stellen der kantischen Kritiken, in welchen die Annahme einer »objektiven Welt« (1: 7, 98) nicht problematisch ist. Das impliziere auch die Akzeptanz eines reellen Subjekts in Kants Theorie. Damit wäre die kantische Theorie der Subjektivität ambivalent, teils in Richtung einer bloß phänomenalen, teils in Richtung einer reellen Subjektivität zu deuten. Und beide Deutungen sollen Spannungen mit anderen Teilen von Kants Theorie erzeugen (s. u.). Dieser Konflikt zweier Deutungen tritt für Pistorius besonders deutlich zwischen der Auflösung der dritten Antinomie, wo von der Seele als »Ding an sich« gesprochen werde, und der Paralogismenkritik zutage, in der jedwede erkennbare Realität des Subjekts abgestritten werde (1: 17, 112). Das Problem der Subjektivitätstheorie wird von Pistorius als Spezialfall eines allgemeineren Problems verstanden, denn die ermittelten Paradoxien beherrschen
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für ihn das gesamte Verhältnis von Ding an sich und Erscheinung bei Kant. Die Undurchsichtigkeit erstrecke sich nicht nur auf den Status des Subjekts, sondern auch auf den Status der »äußeren Dinge« (1: 4, 94). Damit wird ein Übergang zum ersten Relatum der Affektionsrelation vollzogen. Heißt dieses Relatum »Erscheinung« oder »Ding an sich«? Im letzteren Fall führt nach Pistorius der kantische Agnostizismus zu Widersprüchen. Dieser Agnostizismus zwingt Kant manchmal dazu, so zu reden, daß die Dinge an sich keine Rolle bei der Erkenntnis spielen. Jede Rollenzuweisung käme einem Bruch des Agnostizismus gleich, da man ja im Falle einer solchen Zuweisung Wissen vom Ding an sich hätte, nämlich von seiner Rolle: »Will der Satz: die Sinnenwelt und der Mensch selbst, […] ist nichts als bloße Erscheinung, so viel sagen: es giebt […] weder ein Subjekt, das diese Vorstellungen hat, […] noch Objekte, von denen es Eindrücke […] wären – oder wenigstens wissen wir weder von einem solchen Subjekt noch Objekt, können die reale Möglichkeit und Wirklichkeit weder des einen noch des andern erkennen […]. Bisweilen scheint es in der That, als ob Hr. Kant diese Sätze in diesem äußerst skeptischen Sinne nehme. Nimmt man sie aber in diesem Sinn, so bleibt […] nichts als ein Scheinen übrig […]« (3: 40 f., 430) Der Agnostizismus und die transzendentale Ästhetik legen es für Pistorius nahe, die Relata als Erscheinungen zu deuten. Genau das führt aber zu absurden Folgen, zum bloßen Schein. Die Dinge an sich sind dann eigentlich redundant, denn sie haben keinen Anteil am Erkenntnisgewinn. Es sei der größte Fehler Kants, »daß nach demselben eine objective intelligible Welt ganz umsonst, und Dinge an sich […] für nichts und wieder nichts angenommen werden« (1: 19, 114). Dieser Fehler führe zu absurden Konsequenzen, die Pistorius auch bezüglich der Theologie (1: 6, 96 f.) und Moralphilosophie (1: 14, 108) entfaltet. In der Theologie führe er in die Nähe des spinozistischen Atheismus (1: 6 f., 97). In der Ethik hätte er die Folge, daß auch die moralischen Ideen nur eine Täuschung sind (1: 14, 108). Symmetrisch für die Erkenntnis »innerer« und »äußerer« Gegenstände wird also behauptet, daß die Gegenstände nicht bloße Erscheinungen sein können. Daß die Relata der Affektionsrelation Erscheinungen seien, ist von Kant nach Pistorius aber nur an einigen Stellen behauptet worden. Kant habe auch eine Affektion des Subjekts an sich durch Dinge an sich vertreten: »Denn nicht zu gedenken, daß nach derselben [Theorie Kants, B. G.] das Daseyn der Dinge an sich selbst bald als blos problematisch, bald als gewiß angegeben wird, und zwar das erstere, weil wir doch schlechterdings gar nichts von ihnen wissen und erkennen können, und das letztere, weil doch allen Erscheinungen Dinge an sich selbst zum Grunde liegen müssen […]« (1: 14, 107 f.) Doch jede, auch die »realistische« Deutung, die Kant zuläßt, sei problematisch. Hat das Ding an sich keine Bedeutung für die Erkenntnis, dann drohen all die genannten Absurditäten des bloßen Scheins. Trägt es aber etwas zur Erkenntnis
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bei (eben durch Affektion), widerspricht das dem Agnostizismus (1: 4, 94) und einigen Konsequenzen der transzendentalen Logik. Pistorius argumentiert wie folgt: »Oder sollen diese Sätze [vgl. obiges Zitat 3: 40, 430, B. G.] so viel heißen: […] alles was wir anschauen, […] ist bloß subjectiv, allein diese Vorstellungen sind Prädikate […] irgend eines wirklichen […] Subjects, auch liegt wirklich ein Objekt an sich, unsern Anschauungen zum Grunde, aber sowohl jenes Subjekt, als dieses Objekt sind uns völlig unbekannt […], so daß wir keine unsrer Verstandesbegriffe darauf anwenden, folglich nicht sagen können, ob sie möglich, wirklich, nothwendig […] sind. Bisweilen scheint dies der wahre Sinn zu seyn, aber dann widerspricht er dem ersten darin, daß nach diesem ersten das Daseyn eines wirklichen Subjekts und Objekts nur als problematisch, hier aber als gewiß angenommen wird, und auch sich selbst widerspricht dieser Sinn darin, daß nun wenigstens die Categorie der Modalität auf Dinge an sich angewandt wird.« (3: 41, 430 f.) Hier wird eine erste, »schwächere« Interpretation der auf eine reale Affektion verweisenden Passagen bei Kant erstellt.26 Weil der Agnostizismus gilt, kann man nicht »positiv« hinsichtlich der Existenz der Dinge an sich urteilen. Das kann man bei der Annahme einer realen Affektion aber nicht vermeiden, womit man den Agnostizismus durch das bloße Fällen eines Existenzurteils (Anwendung der Kategorie der Modalität) über Dinge an sich bricht. Akzeptiert man diese zweite Lesart der kantischen Theorie, der zufolge die Argumente der Affektionsrelation »Dinge an sich« sind, dann vermeidet man zwar die beschriebene »Scheinfalle«, handelt sich aber einen Bruch des Agnostizismus ein. Dieser Vorwurf wird um einen weiteren sehr eng mit ihm verbundenen Einwand gegen die reale Affektion ergänzt, daß Kant nämlich explizit von einer kausalen Affektion des Subjekts durch Dinge an sich spricht. Wie ist das mit dem Ergebnis der transzendentalen Logik Kants zu vereinbaren, daß Kategorien nicht auf »unanschauliche« Dinge an sich angewendet werden können? (3: 51, 444 f.) Eine transzendente Affektion erfordert aber gerade diese die Erfahrung überschreitende Applikation, weil sie ohne ein positives Existenzurteil und ohne eine echte Einwirkung der Dinge an sich auf das Subjekt, also ohne die Kategorien der Modalität und Kausalität nicht denkbar ist. Pistorius hingegen ist der Auffassung, daß Kant Kategorien in keiner Weise in einen sinnvollen Bezug zu Dingen an sich bringen kann. Er geht offensichtlich davon aus, daß Kants Kategorien in der gleichen Weise subjektiv seien wie die Anschauungsformen. Auch praktische und theoretische Vernunft geraten daher für Pistorius bei Kant in Widersprüche, weil Kant bei der praktischen Vernunft eine gewisse Applikation auf Dinge an sich zulasse, was die theoretische Vernunft völlig untersage (3: 66, 464).
Pistorius spricht hier von »zum Grunde liegen«, was für ihn aber »affizieren« bedeutet, vgl. (3: 51, 444). 26
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Pistorius gibt noch eine dritte Interpretation der Bedeutung des schon zitierten Satzes »die Sinnenwelt ist eine bloße Erscheinung …« Diese Interpretation, die noch ausstehende »stärkere« Variante der transzendenten Affektion, wird allerdings noch schärfer von den Einwänden getroffen, die schon gegen die zweite Interpretation erhoben wurden. »Oder endlich sollen diese Sätze diesen Sinn haben: den Erscheinungen in der Sinnenwelt liegen wirklich Dinge an sich in der Verstandeswelt zum Grunde, worauf jene Anzeige thun, wir mögen übrigens von diesen Dingen an sich etwas wissen oder nicht, genug sie afficiren unsre sinnlichen Werkzeuge und sind die Ursache unsrer Anschauungen und Wahrnehmungen […] es wird so nach ein wirkliches Verhältniß und eine wahre reelle Verbindung zwischen beyden angenommen […]« (3: 41, 431) Diese Variante, Kant von Pistorius als am häufigsten verwendete zugeschrieben, betont den Agnostizismus noch weniger als die zweite Variante und legt den Schluß nahe, daß Dinge an sich tatsächlich irgendwelche Aspekte von Anschauungen zur Erkenntnis beisteuern. Während in der ersten Interpretation gilt: »alles was wir anschauen, ist bloß subjectiv« (3: 41, 430), wird nun eine »reelle Verbindung« angenommen, die »Anzeige auf Dinge an sich thut« und »Ursache der Anschauungen« ist. Das wäre nicht nur ein diffuser Impuls, durch den die Dinge an sich affizieren, sondern ein direkter materialer Input, den sie leisten. Die Einwände gegen diese Interpretation sind dieselben, die Pistorius auch gegen die zweite Deutung mobilisiert hat. Die starke und die schwache Interpretation der transzendenten Affektion gehören derselben Klasse an. Der Haupteinwand von Pistorius ist, daß Kants Theorie zwischen der transzendenten und einer idealistischen Deutung schwankt und daß keine Deutung unproblematisch ist.
IV. Die Analyse der Affektionstheorie bei Pistorius, Jacobi und Schulze im Vergleich Diese Analyse der Affektionstheorie durch Pistorius ist in der Literatur kaum beachtet worden. Jacobi und Schulze gelten als diejenigen, die hier Meilensteine gesetzt haben. So schreibt Vaihinger: »Das Beste was nun hierüber überhaupt gesagt worden ist – vielleicht das Beste und Wichtigste, was überhaupt über Kant geäußert worden ist – verdankt die Geschichte der Philosophie Jacobis. Wir meinen natürlich den Anhang zu seinem ›David Hume über den Glauben; oder Realismus und Idealismus. Ein Gespräch …« 27 Worin unterscheiden sich die drei Analysen der Affektionstheorie?
Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 36. Auch Allison sieht Jacobi als Urheber der Kritik von Kants Affektionstheorie: Allison 1973, 5. 27
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Jacobi macht in der von Vaihinger erwähnten, 1787 erschienenen Schrift den Idealismus als »Geist des kantischen Systems« aus, im Hinblick auf den der »kantische Philosoph« nun einen Widerspruch begehe, wenn er davon spreche, daß irgendwelche Gegenstände die Sinne affizieren.28 Kant selbst vertritt demnach überhaupt keine Affektionstheorie. Die empirische Affektion (eine Kant von Jacobi nicht zugeschriebene »Denkmöglichkeit« 29) ist unsinnig, denn von »äußeren affizierenden Dingen« zu reden, wenn diese doch nur Erscheinungen sind, ist Augenwischerei. Sie sind ja nicht außerhalb des Subjekts anzusiedeln, sondern heißen lediglich »äußerlich«, weil sie Gegenstand des äußeren Sinnes sind. Eine transzendente Affektion werde von manchen Formulierungen Kants nahegelegt, würde aber dem Agnostizismus Kants widersprechen.30 Daher müsse man einen Weg ins kantische System finden, bei dem man die unbrauchbare Affektionstheorie »fahren lassen kann«31. Das sei auch möglich, wenn man die häufig auf eine transzendente Affektion hinauslaufende unklare Wortwahl Kants korrigiere und den Mut habe, »den kräftigsten Idealismus, der je gelehrt worden ist, zu behaupten.«32 Jacobi vertritt also nicht, daß Kant eine Affektionstheorie lehrt oder daß dessen Theorie inkonsistent sei, er bemerkt nur eine Abweichung zahlreicher Formulierungen Kants vom »Geist« der kantischen Philosophie.33 Das ist ein deutlicher Unterschied zur Analyse von Pistorius. Auch Schulze kommt in seinem 1792 veröffentlichten Buch »Aenesidemus« zu anderen Ergebnissen als Pistorius. Er bezieht die Affektionstypen nicht beide auf Kants Theorie, sondern spaltet sie auf, indem er Kant primär die transzendente und Reinhold primär die empirische Affektion zuschreibt.34 Schulzes Darstellung von Kant als Verteidiger einer transzendenten Affektion dominiert im »Aenesidemus« (mit wenigen Ausnahmen): »Alle unsere Erkenntnis fängt nämlich nach ihr (der Vernunftkritik B. G.) mit der Erfahrung an, und es sind Gegenstände außer uns wirklich da, welche unsere Sinne afficieren, und theils von selbst Vorstellungen hervorbringen, theils unsern Verstand in Thätigkeit bringen, um den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu bearbeiten.«35 Reinhold hingegen hat nach Schulze dieses Affektionsmodell in seiner »ElementarPhilosophie« verändert, so daß die Affizierung nicht mehr als »reale«, sondern als »logische« gedacht wird. Reinhold argumentiert Schulze folgend, daß die Thesen
28 29 30 31 32 33 34 35
Jacobi 2004, 108. Jacobi 2004, 109. Jacobi 2004, 112. Jacobi 2004, 111; vgl. auch: Baum 1969, 52. Jacobi 2004, 112. Zum Status der Dinge an sich dabei vgl. Gesang 1998, 106. Zu einzelnen Abweichungen von dieser Strategie vgl. Gesang 2006. Schulze 1911, 196.
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der »Kritiken« konsistent sind, weil sie keinen realen Erkenntnisprozeß beschreiben, sondern nur angeben, wie wir uns einen solchen Prozeß denken müssen. Reinhold vertritt eine empirische Affektionstheorie, wogegen Schulze Kant klar abgrenzt: »Bisher hat man nämlich […] immer nach reeller Einsicht gestrebt, und diese auf die Erkenntnis eines wirklichen Zusammenhanges unserer Vorstellungen mit dem obiektiv und außer den Vorstellungen Vorhandenen gegründet; […] Herr Reinhold aber bahnt sich […] einen ganz neuen Weg […]. Er lässt es völlig dahingestellt seyn, ob etwas realiter vorhanden sey.«36 Das Unterscheidungskriterium der Systeme Kants und Reinholds wird von Schulze in den verschiedenen Affektionstypen gesehen. Welcher der drei Interpreten Kants hat Recht? Diese Frage kann hier nur andiskutiert werden, denn letztendliche systematische Stellungnahmen fallen aus dem Rahmen dieser Einleitung heraus. Aber gleichwohl will ich auch erkunden, wie sich die Punkte, die Pistorius als erster angesprochen hat, bis in die heutigen Debatten hinein behauptet haben. Daher also ein kurzer Blick auf die systematische Situation. Orientieren wir uns zuerst an Vaihinger. Der bezieht eindeutig Stellung: »Kant lehrte also eine doppelte Affection, eine transscendente und eine empirische.« 37 Adickes widmet dieser doppelten Affektion ein ganzes Buch mit dem Titel »Kants Lehre von der doppelten Affektion unseres Ich«.38 Selbst Interpreten mit einem ganz anderen Grundansatz wie etwa G. Prauss können die doppelte Affektion nicht bestreiten. Allerdings gibt Prauss lediglich zu, daß sich beide Affektionstypen in Kants Schriften finden lassen, die jedoch Kants System nicht adäquat wiedergeben würden.39 Hier ist Prauss ein echter Nachfolger Jacobis, der den »Geist der Kantischen Philosophie« von ihrem Wortlaut abkoppelt. Daß in Kants Text wirklich beide Affekionstypen vorkommen, läßt sich an vielen Stellen nachweisen. Eine Stelle, an der Kant die empirische Affektion vertritt, ist KdrV A 28 f. Stellen, an denen er recht eindeutig die transzendente Affektion vertritt, sind etwa A 372 f., A 358 und B 235 f. Nimmt man all dies zusammen, läßt sich mit guten, wenn auch gewiß weiter diskutierbaren Gründen sagen, daß Pistorius mit seiner Interpretation Recht zu geben ist. Das zeichnet Pistorius deutlich vor Jacobi und Schulze aus. Wenn Pistorius rezipiert worden wäre, müßte man ihn vielleicht als Begründer einer Schule der Kantinterpretation einstufen, die über Vaihinger, Adickes bis hin zu P. Strawson führt.40 Was nun die weiteren Kritikpunkte angeht, die Pistorius gegen Kant vorbringt, so übersieht oder unterschätzt er sicher zahlreiche Differenzierungen, die der Kantforschung heute geläufig sind. Die Gleichsetzung von Schein und Erscheinung 36 37 38 39 40
Schulze 1911, 150 f. Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 52. Adickes 1929. Prauss 1989 (1974), 198 f. Strawson 1969.
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wurde bereits erwähnt, über die sicher noch gründlicher nachzudenken wäre. Allerdings vertieft Pistorius seine diesbezüglichen Überlegungen in seiner Rezension der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, in der die kantische Widerlegung des Idealismus kritisiert wird. Hier will ich auf eine andere Schwachstelle hinweisen: Die »Unanschaulichkeit« der Dinge an sich macht es nicht per se unmöglich, Kategorien auf sie zu applizieren. Kant behauptet stets, man könne Dinge an sich nicht mit bloßem Verstand erkennen, jedoch könne man sie mit ihm denken. Der Unterschied zwischen diesen Verben ist hier entscheidend. Gleich in der Einleitung der Kritiken wird eine Definition versucht: »Einen Gegenstand erkennen, dazu wird erfordert, daß ich seine Möglichkeit […] beweisen könne. Aber denken kann ich, was ich will, wenn ich mir nur nicht selbst widerspreche, d. i. wenn mein Begriff nur ein möglicher Gedanke ist […]« (KdrV B XXVII) »Erkennen« impliziert einen Anspruch auf Wahrheit, und Erkenntnis ist durch ein assertorisches Urteil zu formulieren. »Denken« erhebt nur den Anspruch einer Hypothese, zielt auf Möglichkeit und ist in einem problematischen Urteil auszudrücken (KdrV B 100). Zudem expliziert Kant, daß im »Denken« der Dinge an sich nicht einmal deren »reale Möglichkeit«, sondern nur ihre logische postulierbar ist. Ob also Dinge an sich als tatsächlich autonom existierende möglich sind, ist nicht durch das bloße Denken zu beantworten. Zwar kann man feststellen, daß der Begriff solcher Dinge sich nicht widerspricht, um aber über wirkliche Möglichkeit zu handeln, benötigt ein Mensch Anschauung. Der Begriff der realen Möglichkeit ist nur auf mögliche Erfahrung anzuwenden, bei transzendenten Dingen wird der Begriff sinnlos: »Eben um deswillen sind auch die Grundsätze der Modalität nichts weiter, als Erklärungen der Begriffe der Möglichkeit […] in ihrem empirischen Gebrauche, ohne den transzendentalen zuzulassen […] Denn, wenn diese nicht eine bloß logische Bedeutung haben, […] sondern Dinge und deren Möglichkeit […] betreffen sollen, so müssen sie auf die mögliche Erfahrung […] gehen […].« (KdrV B 266 f.) Gegen Pistorius, aber auch gegen Schulze, Vaihinger u. a. ließe sich somit behaupten, Kant erlaube doch eine Anwendung von Kategorien auf Dinge an sich, nämlich eine im Modus des Denkens.41 Was Kant meint, erfährt man wohl in B 187: »In der Tat bleibt den reinen Verstandesbegriffen allerdings, auch nach Absonderung aller sinnlichen Bedingung, eine, aber nur logische Bedeutung der bloßen Einheit der Vorstellungen, denen aber kein Gegenstand, mithin auch keine Bedeutung gegeben wird, die einen Begriff vom Objekt abgeben könnte.« Es gibt also zwei Arten von »Bedeutung«, deren eine reine Verstandesbegriffe haben, deren andere nicht. Sie können sich rein logisch (d. h. »im Denken«) auf Dinge an sich beziehen, aber nicht über deren realen Status Aufschluß geben. Zwar 41
Vgl. bereits Riehl 1876, Bd. 1, 569; dazu Herring 1953, 13 f., 31, Allison 1983, 254.
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wird dieser Deutung in B 308 f. scheinbar widersprochen, wo Kant den Kategorien jenseits des Erfahrungsbezugs jeden Gebrauch und jede Bedeutung aberkennt. (So auch in B 149, B179 etc.) Allerdings macht es Sinn, Kant so zu interpretieren, daß er sich an diesen Stellen auf die reale Bedeutung bezieht, sonst hätte man hier erneut unauflösliche Widersprüche zu vermuten. Die Differenz zwischen den verschiedenen Bedeutungen, die Kategorien in Bezug auf Dinge an sich haben, ist also nach meiner Interpretation eine der modalen Geltungsansprüche (logisch versus real): »Ein reiner Gebrauch der Kategorie ist zwar möglich, d. i. ohne Widerspruch, aber hat gar keine objektive Gültigkeit.« (KdrV A 253) Das Denken der Dinge an sich führt zu einer (rein logischen) Hypothese. Diese kann nicht einmal ausreichen zu sagen, daß Dinge an sich real möglich sind. Pistorius und Schulze haben Kant kritisiert, unter Anwendung von Kategorien assertorische Aussagen über reale Eigenschaften von Dingen an sich zu machen. Diese Kritik kann Kant mit seinen Äußerungen über das Denken von Dingen an sich nicht umgehen, die ihm ja nicht einmal die Rede von einer realen Möglichkeit von Dingen an sich gestatten.42 Allerdings: Pistorius und Schulze haben sich im Detail geirrt, wenn sie behaupten, die »Unanschaulichkeit« der Dinge an sich mache es per se unmöglich, Kategorien in irgendeiner Form auf sie anzuwenden (3: 51 f., 65 f., 445, 464).43 Reine Verstandesbegriffe haben aber sehr wohl eine Bedeutung jenseits der Erfahrung, wie gerade belegt wurde. Allerdings sind die daraus resultierenden Urteile bloß »problematisch« bzw. »hypothetisch«. Die Anwendung von Kategorien auf Unanschauliches ist somit kein Problem, der assertorische Charakter von Kants daraus resultierenden Prädizierungen ist eins. Die transzendente Affektion widerspricht also dem kantischen Agnostizismus, aber nicht in jeder Form der transzendentalen Logik. F. H. Jacobi ist der einzige der frühen Kritiker der kantischen Affektionstheorie, der den besagten Fehler vermeidet und meint, Kants »Begriff (der des transzendentalen Gegenstands, B. G.) ist höchstens ein problematischer Begriff.« 44 Aber dafür verkennt Jacobi den Charakter der Affektionstheorie bei Kant insgesamt, er bestreitet, daß es eine solche Theorie wirklich gibt, und das ist der bei weitem gravierendere Fehler.
V. Die Pistoriussche Lücke Kant behauptet die Subjektivität von Raum und Zeit. Sie seien bloße Formen der Anschauung: die Dinge an sich sind nicht raum-zeitlich geordnet. Pistorius hält diese kantische These für einen zentralen Baustein von Kants Theorie, ohne den das gesamte System seinen Anspruch, apodiktisch erwiesen zu sein, in einen bloß Daß dies letztlich auch dann zutrifft, wenn man eine »Zwei-Aspekte-Interpretation« vertritt, zeigt Willaschek 2001. 43 Vgl. Schulze 1911, 97. 44 Jacobi 2004, 108. 42
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hypothetischen Geltungsanspruch umwandeln muß (3: 42, 432). Pistorius überlegt, während er diese kantische Subjektivitätsthese prüft, welche Möglichkeiten es bezüglich des Status von Raum und Zeit überhaupt gibt. Sie können rein subjektiv, rein objektiv oder beides zugleich sein45 (3: 42 f., 432 f.). Diese dritte Möglichkeit erläutert Pistorius so, daß die menschliche Vorstellungskraft die Dinge in Raum und Zeit vorstellen müsse (subjektive Komponente), was aber auf den Grund zurückgehe, daß die Gegenstände selbst hierzu Veranlassung böten (objektive Komponente) (1: 8 f., 100; 3: 43 f., 434). »So geneigt also auch der menschliche Geist immer seyn mag, sich die Objekte in R[aum] und Z[eit] vorzustellen, und sie gleichsam in diese Form zu gießen, so würde doch nichts von dem allen geschehen, wenn die Objekte nichts dazu beytrügen, und zu diesen Totalvorstellungen von R[aum] und Z[eit] nicht auch das Ihrige hergäben.« (3: 43 f., 434) Pistorius ergänzt, daß er Raum und Zeit nicht als »für sich bestehende Dinge oder wesentliche Eigenschaften von Dingen an sich« auffaßt, sondern bloß die Hypothese vertritt, daß in den Dingen an sich ein objektiver Grund liegt, aus dem die menschlichen Vorstellungen von Raum und Zeit resultieren würden (3: 45, 436). »So würde ungefähr der Leibnizsche Begriff von beyden sich ergeben.« (1: 8, 100) Seine eigenen Vorstellungen von Raum und Zeit entfaltet Pistorius im Anschluß an diese Bemerkung (1: 8–14, 100–107). Er argumentiert dafür, daß diese leibnizsche Hypothese nicht nur logisch, sondern reell möglich sei, insbesondere weil sie unserer Erfahrung entspreche: »Wenn z. B. die Erscheinung des süßen oder bittern Geschmacks statt findet, so ist die Empfindung desselben ordentlicherweise nie bloß Subjektiv, d. i. sie liegt nicht so in der Bildung der menschlichen Zunge, daß sich der süße oder bittre Geschmack ohne Rücksicht auf die Beschaffenheit der Objekts des einen oder des anderen (des Zuckers und des Pfeffers) hinlänglich erklären lasse.« (3: 44, 434) So werde gesichert, daß den Erscheinungsweisen nicht nur Erscheinungen zu Grunde lägen: »Ist diese Hypothese aber möglich, so wird sie uns auch bald die wahrscheinlichste unter den Dryen werden, weil sie nicht nur die Analogie für sich hat [gemeint ist die Analogie mit der sinnlichen Erfahrung, B. G.], sondern auch derjenige, der sie annimmt, durch alle die Gründe, welche sich die Anhänger der beyden anderen entgegensetzen, gar nicht in Verlegenheit gesetzt wird.« (3: 44, 434) Es ist ein glatter Widerspruch, von etwas zu sagen, es sei x und nicht x gleichzeitig. Diesen Widerspruch kreidet Vaihinger Trendelenburg an. Aber Pistorius meint, der Raum sei teils real, teils nicht, und das ist nicht widersprüchlich. Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 136, 141 ff. 45
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Man könne als Vertreter der »Mittelhypothese« eben alles zugeben, was die Vertreter der anderen beiden Hypothesen (Raum und Zeit sind nur subjektiv oder nur objektiv) an Argumenten vorbringen, weil man beide Argumentationen mit der eigenen vereinbaren könne. Weiterhin wirft Pistorius den Kantianern vor, diese »Mittelhypothese« nicht ernsthaft zu diskutieren (3: 44, 435), die Pistorius übrigens ausdehnt, indem er annimmt, daß auch Naturgesetze, Ideen und Kategorien in derselben Weise wie Raum und Zeit in objektiven Bestimmungen der Dinge an sich gründen würden (3: 48 f., 440 ff.).46 Nun entspricht die Pistoriussche »Mittelhypothese« nicht der These Trendelenburgs, worauf Vaihinger hingewiesen hat. Trendelenburg war der Meinung, der Raum sei real und seine Vorstellung sei eine apriorische.47 Pistorius vertritt hingegen mit Leibniz, daß in den Dingen an sich ein »Grund zur Veranlassung« für das menschliche Vorstellen läge. Vaihinger spricht von einer »partiellen Correspondenz« von subjektivem Vorstellen und Dingen an sich bei Pistorius.48 Die eigentliche »Lücke bei Kant besteht nun nicht in diesen beiden Hypothesen, welche die Lücke nur verschiedenartig auffüllen sollen. Kants Verfahren von »dem apriorischen Ursprung der Raumvorstellung ohne Weiteres auf die Idealität des Raumes zu schliessen« 49, das hat Lücken verschiedener Art, und auf solche weisen sowohl Pistorius wie Trendelenburg hin. Überhaupt eine Lücke in diesem Verfahren gefunden zu haben, ist Pistorius als erstem gelungen, weshalb ich von der »Pistoriusschen Lücke« spreche. Vaihinger betont übrigens, daß Pistorius seinen Einwand »nicht nur zeitlich früher erhoben, sondern auch logisch consequenter dargestellt« habe als Eberhard und seine Freunde, welche mal die Pistoriussche und mal die Trendelenburgsche Hypothese vertraten.50 Wenn man nun einen kurzen aktuellen Blick auf das hier beschriebene Problem werfen will, so sind heute noch unterschiedliche Positionen existent. Vaihinger, der hier immer noch einschlägig ist, bekennt offen: »Also sachlich hat […] Trendelenburg (und auch Pistorius B. G.) Recht. […] Daß Kant jene beiden Möglichkeiten, sowohl die Trendelenburg’sche als die Pistorius’sche übersehen hat, ist kein Zweifel.«51 Kant habe lediglich später auf diese Kritik reagiert und den Mittelweg »gelegentlich erwähnt«.52 Aber es gibt auch Möglichkeiten, Kant zu verteidigen. Wenn man ihn im Rahmen des erkenntnistheoretischen Externalismus53 deutet, kann man etwa mit M. Willaschek zu anderen Konsequenzen als Pistorius kommen:
Vgl. Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 144. Trendelenburg 1867, 223–228. Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 139. 48 Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 145. 49 Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 137. 50 Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 146. 51 Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 140, 150. 52 Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 308. Kant hat an einigen Stellen den Mittelweg zumindest erwogen, aber nicht ernst genommen. Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 310. 53 Eine Einführung gibt: Birke 2001. 46 47
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»Selbst wenn es unabhängig von unserem ›Gemüt‹ … etwas geben sollte, auf das alle allgemeinen Merkmale des Raumes zutreffen […], es wäre nicht der Raum, sofern wir darunter den Gegenstand unserer Raumvorstellung verstehen. Damit es sich bei einem Gegenstand […] tatsächlich um den Raum handelt, muß er dem externalistischen Anschauungsbegriff zufolge die Ursache unserer Raumvorstellung sein. Wenn diese also eine Anschauung a priori ist, kann ihre Ursache kein von uns unabhängiger Gegenstand […] sein.«54 Ob Kant aber den (recht artifiziellen) Externalismus wirklich vertreten hat, müßte man breit diskutieren. Problematisch wird die Mittelhypothese von Pistorius jedenfalls, wenn man zu ihrer Plausibilisierung eine prästabilierte Harmonie voraussetzen muß. Daß Pistorius eine solche Harmonie in Anlehnung an Leibniz unterstellt, dafür gibt es gute Anhaltspunkte.55 Aus systematischer Sicht ist man aber auf eine derart metaphysisch aufgeladene Konzeption zur Verteidigung der These, daß unserem räumlichen und zeitlichen Wahrnehmen objektive Strukturen der Dinge zugrunde liegen, nicht angewiesen. So gibt etwa die Evolutionäre Erkenntnistheorie gute Erklärungen für diese »Passung« von Subjekt und Objekt an die Hand.56 Das weiter zu vertiefen, ist hier nicht der Ort.
VI. Pistorius als Kritiker der praktischen Philosophie Kants Nun soll die Kritik der praktischen Philosophie Kants gewürdigt werden, die Pistorius primär in seinen Rezensionen der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 1786 und der Kritik der praktischen Vernunft 1794 geleistet hat.57 Die im Mai 1786 erschienene Rezension der GMS von Pistorius ist die erste Rezension dieses Werkes, die es in relevanter Weise kritisch beleuchtet. Ihr gehen einige Rezensionen oftmals anonymer Autoren voraus, die Kant ausschließlich referieren.58 Vor Pistorius gibt es nur drei Rezensionen, die in irgendeiner Weise auch kritische Anmerkungen zu Kants GMS enthalten. Zwei sind sehr kurz, die eine sachlich völlig abwegig, und
Willaschek 1997, 555. Vaihinger 1970 (1922), Bd. 2, 145, Pistorius, 1791, 49 f.; 1787, 187; 56 Gesang 1995, 56–78. 57 Nach obiger Numerierung sind das die Rezensionen Nr. 2 und 5. 58 So in chronologischer Reihenfolge: Gothaische gelehrte Zeitungen, 66. und 67. Stück, 17/20.08.1785, S. 533–550; Denkwürdigkeiten aus der philosophischen Welt, 3. Quartal 1785, S. 433–467; Altonaischer Gelehrter Mercurius, 37. Stück, 15. 09. 1785, S. 291–295; Neueste Critische Nachrichten, 40. Stück, 01. 10. 1785; Russische Bibliothek, Stücke 1–3. Bd. 10, S. 165 f.; allesamt zugänglich in: Landau 1991. Adickes übersieht in seiner Kant-Bibliographie dieser Zeit übrigens einige dieser Rezensionen und ist hier nicht zuverlässig: Adickes 1896, 44 ff. 54 55
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die andere betrifft die von Pistorius behandelten Punkte nicht.59 Die dritte, von J. G. H. Feder stammende kurze Rezension in den »Göttinger Anzeigen von gelehrten Sachen« ist ebenfalls sachlich wenig ergiebig und referiert Kant primär.60 Somit kann Pistorius zugestanden werden, alle Einwände, die er gegen die GMS vorbringt, auch als erster erhoben zu haben. Und wie wir sehen werden, sind dies Einwände, die in den Formulierungen, die ihnen später andere Autoren gaben, bis heute in den Debatten eine wichtige Rolle spielen. Die Würdigung des historischen Verdienstes von Pistorius wird dadurch erschwert, daß seine Rezension der KdpV verspätet erschienen ist. Sie wurde, wie der Verleger in einer Fußnote zum 1794 veröffentlichten Text bemerkt, einige Jahre lang bei der AdB »verlegt« (5: 78, 78). Damit ist eine exakte Datierung des Entstehens dieser Schrift nicht mehr möglich. Ziel der folgenden Überlegungen ist es, die wichtigsten Kritikpunkte, die Pistorius gegen Kants praktische Philosophie vorbringt, darzustellen und kurz zu würdigen. Damit kann wie gesagt nicht gemeint sein, ihre systematische Tragfähigkeit zu beurteilen. Vielmehr soll nur gezeigt werden, daß die Einwände von der Sache her die zukünftigen Debatten um Kant maßgeblich geprägt haben und daß sie »tief«, im Sinne von nicht einfach zu beseitigen sind. Die Liste der Einwände von Pistorius liest sich wie ein Programm für die Kantforschung der folgenden Jahrhunderte, ohne daß die meisten Kantforscher Pistorius zur Kenntnis genommen hätten.
VII. Der Vorrang des Guten Pistorius folgend geht die GMS davon aus, daß nur der gute Wille an sich gut sei. Er fragt nun kritisch, was das eigentlich heißt. Kant gibt keine Analyse der Semantik von »gut«, doch der bedarf es nach Pistorius, um von einem guten Willen zu sprechen. Und mehr noch: »Läßt sich auch ein an und für sich […] betrachteter guter Wille gedenken?« (2: 27, 449) Das verneint Pistorius im Folgenden. Etwas als gut anzunehmen, das einfach absolut und »für nichts« gut wäre, hält er für unmöglich. Die reine Ausrichtung des Willens nach irgendeinem Gesetz kann diesen für Pistorius nicht zu einem guten Willen machen, vielmehr sei ein guter Wille ein solcher, der mit einem guten Gesetz übereinstimme. Und das zeigt für Pistorius, daß Kant die notwendige Analyse von »gut« nur um eine Ebene verschiebt, wenn er den guten Willen auf das gute Gesetz gründet (2: 27, 449). Die Frage nach dem Guten kehrt zurück, »und wenn wir sie vom Willen bis auf das Gesetz zurückgeschoben hatten, so müssen wir sie nun doch hier auf eine genugthuendere Weise beantworten.« (2: 27, 449) Die eine erschienen in: Kritische Beyträge zur neuesten Geschichte der Gelehrsamkeit, 1. Stück, 1. Band, 1. Hälfte 1786, S. 202–213; die andere in: Tübingische gelehrte Anzeigen, 14. Stück, Tübingen, 16. 02. 1786, S. 105–112. Beide zugänglich in: Landau 1991. 60 Zugänglich in: Bittner / Cramer 1975 und Landau 1991. 59
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Die Leitfrage, die Pistorius hier aufwirft, ist gewichtig. Muß nicht eine Analyse des Begriffs des Guten allen Anstrengungen in der Moralphilosophie vorausgehen? Sehr viele Vertreter der heutigen analytischen Philosophie sind dieser Meinung und gründen ihre Theorien auf semantische Analysen von »gut« oder »sollen«, und natürlich ist Pistorius hier auch Sprachrohr einer in der Antike gründenden Tradition, die er selbst unter Rückgriff auf die Ethik der Stoa häufiger explizit macht (2: 36, 461, 3: 66–70, 465–470, 5: 88, 92, 5: 92–94, 97–100). Auch Kant selbst hielt die von Pistorius aufgeworfene Frage für beachtenswert, weshalb er in der Kritik der praktischen Vernunft auf sie eingeht: »Ich habe einem gewissen, wahrheitsliebenden und scharfen, dabei also doch immer achtungswürdigen Rezensenten jener Grundlegung zur Met. D. S. auf seinen Einwurf, daß der Begriff des Guten dort nicht (wie es seiner Meinung nach nötig gewesen wäre) vor dem moralischen Prinzip festgesetzt worden, in dem zweiten Hauptstücke der Analytik, wie ich hoffe, Genüge getan.« (KdpV A 15 f., AA 8 f.) Im angesprochenen Teil der KdpV weist Kant dann das Anliegen von Pistorius zurück: »Wenn der Begriff des Guten nicht von einem vorhergehenden praktischen Gesetze abgeleitet werden, sondern diesem vielmehr zum Grunde dienen soll, so kann er nur der Begriff von etwas sein, dessen Existenz Lust verheißt. […] Weil es nun unmöglich ist, a priori einzusehen, welche Vorstellung mit Lust, welche hingegen mit Unlust werde begleitet sein, so käme es lediglich auf Erfahrung an, es auszumachen, was unmittelbar gut oder böse sei.« (KdpV A 101 f., AA 58) Der Begriff des Guten könnte nur der Begriff von einem Gegenstand der Lust sein, wenn dieses Gute unabhängig von einem moralischen Gesetz gesetzt werden sollte. Das führt dazu, daß man Moral, wenn sie sich vom Begriff des Guten herleiten ließe, nur noch empirisch, also nicht mehr allgemeingültig bestimmen könnte: »So würde geradezu die Möglichkeit praktischer Gesetze a priori ausgeschlossen« (KdpV A 111, AA 63). Das wäre eine Konsequenz, die Kants gesamter Moralphilosophie entgegenlaufen würde. Das erkennt er klar, denn er schreibt, daß ein kategorischer Imperativ auf Grundlage einer solchen Konzeption nicht möglich wäre (KdpV A 103–105, AA 58–60). Daher will Kant diese Konsequenz nicht ziehen, aber es fragt sich eben, ob ein völlig unbedingter, nicht mehr auf irgendeiner Konzeption des Guten aufgebauter kategorischer Imperativ überhaupt möglich ist. Das bezweifelt Pistorius (s. u.), weshalb er auch bezweifeln dürfte, daß Kant durch seine Antwort das Problem befriedigend lösen kann. Diese Antwort Kants hat übrigens auch einen semantischen Aspekt, den H. Köhl hervorhebt: »Der vorab als ›gut … beurteilte Handlungszweck wäre nicht im moralischen Sinne ›gut …, sondern nur im Sinne des Angenehmen. […] Sein Gegner (hier konkret Pistorius, B. G.), so könnte Kant resümieren, verwende also das Wört-
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chen ›gut … gar nie in einem moralischen Sinn. Er vertrete also in Wirklichkeit gar keine moralphilosophische Position.«61 Diesen Einwand kann man meiner Vermutung nach nicht so schnell ausräumen wie z. B. Köhl es möchte.62 Das will ich vertiefen, indem ich direkt auf die Defizite der Attacke von Pistorius zu sprechen komme. Zweifellos enthält der Vorstoß von Pistorius Fehler, und vor allen Dingen rekonstruiert er nicht das Ausgangsphänomen, auf dem Kants Theorie von der Unbedingtheit des Willens und des Gesetzes basiert. Der Fehler von Pistorius liegt darin, zu glauben, daß Kant mehrere Gesetze unterscheide, gute und schlechte, und daß es dann noch die Frage sei, mit welchem dieser Gesetze der Wille übereinstimmen müsse. Kant meint vielmehr, nur ein der Form nach gesetzmäßiger Wille sei gut, und das heißt einfach, daß Maximen des Willens notwendig und universell gelten können müssen, ohne sich zu widersprechen.63 Gravierender ist aber, daß Pistorius die Stärken des kantischen Ansatzes gar nicht herausarbeitet. Allerdings arbeitet Kant selbst diese auch nicht deutlich heraus, wenn er lapidar bemerkt: »Jedermann muß eingestehen, daß ein Gesetz, wenn es moralisch, d. i. als Grund einer Verbindlichkeit gelten soll, absolute Notwendigkeit bei sich führen müsse« (GMS BA 9, AA 389). Dennoch faßt Kant hier eine begriffliche Wahrheit und ein beobachtbares Phänomen über das allgemeine Moralbewußtsein zusammen, was etwa E. Tugendhat oder P. Foot deutlicher erklärt haben. Tugendhat schreibt: »Kant bezieht sich hier auf […] den Tatbestand, daß in moralischen Urteilen und dann auch in den entsprechenden ›Geboten‹ ein ›muß‹ zum Ausdruck kommt, das absolut erscheint.«64 Im weiteren bezeichnet Tugendhat dieses Phänomen als »grammatisch absolute Verwendungsweise« von ›muß‹, die Tugendhat sprachanalytisch rekonstruiert. P. Foot erkennt das gleiche Phänomen, das sie wie folgt ausdrückt: »Common opinion agrees with Kant in insisting that a moral man must accept a rule of duty whatever his interests or desires.« 65 Das ist das Phänomen, das Kant erkennt, wenngleich er es nicht etwa durch sprachliche Analysen herausarbeitet. Dieser
Köhl 1990, 24. 62 Köhl 1990, 24 ff. 63 Aune zeigt, daß der Wille bzw. eine Maxime strikt gesehen nicht die Form eines Gesetzes hat. Gesetze bei Kant haben zwei wesentliche Eigenschaften: Universalität und Notwendigkeit. Maximen haben Aune zufolge nicht die logische Struktur von Gesetzen, denn sie enthalten »a specific reference to the agent whose maxim it is«. Aber es gebe korrespondierende gesetzmäßige Aussagen, die diesen Bezug nicht enthalten. (Aune 1979, 24 f.) Inwiefern man bei Maximen von einem »Widerspruch« reden kann, ist ebenfalls fraglich. Wimmer spricht z. B. von »Selbstaufhebung« und »transzendentalpragmatischen Widersprüchen«, das könnte der Sache gerecht werden. Wimmer 1980, 354. 64 Tugendhat 1993, 99. 65 Foot 1978, 158. 61
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Ausgangspunkt ist natürlich insbesondere interessant, wenn er, wie von Kant beabsichtigt, begründet werden kann. Dann wird Moral von allen Relativismen befreit, die sich ergeben, wenn man sie auf kontingente Interessen aufbaut. Pistorius zeigt nicht, daß er diese Einsichten Kants in die Natur der moralischen Sprache und die Beschaffenheit des allgemeinen Moralbewußtsein erkannt hat. Gerade diesen Einsichten läuft es aber zuwider, wenn man den Begriff des Guten an den Beginn der Moralphilosophie stellt, und genau darauf weist Kant in seiner Antwort auf Pistorius hin: Folgt man der kantischen Rekonstruktion des Begriffs der Moral, wäre es nicht möglich, da von Moralität zu sprechen, wo Gebote auf kontingenten Neigungen basieren. Die Ausgangsfrage von Pistorius nach dem Guten kann nicht dazu dienen, Kants System eine interne Unstimmigkeit nachzuweisen, sondern konfrontiert es mit einer Gegenposition, ohne sich der Kants Analyse stützenden Phänomene zu vergewissern. Allerdings ist diese Gegenposition für viele Philosophen plausibel, und Kant ist in den letzten Jahrhunderten immer wieder auf diese Art kritisiert worden, wie wir noch sehen werden.
VIII. Der Formalismus-Vorwurf Um die Güte des Willens und des Gesetzes zu beurteilen, kommt man für Pistorius nicht damit aus, mit Kant nur formale Aspekte zu beachten: »[…] d. i. wir müssen nun endlich doch auf irgend ein Object oder auf den Endzweck des Gesetzes kommen, und müssen das Materielle mit zu Hülfe nehmen, weil wir, mit dem Formalen weder des Willens noch des Gesetzes auslangen.« (2: 27, 449) Das illustriert Pistorius in seiner Rezension der KdpV. Daß das »Konsequente in einer Maxime« (d. h., daß man sich nicht widerspricht, wenn man ihr folgt), nicht ausreicht, um auszumachen, ob man sie sittlich erlauben kann, das will er an einem Beispiel zeigen: Man nehme die Maxime eines Christen im Umgang mit Feinden und die eines Huronen »Verschone deinen Feind nie«.66 Nun ist zu entscheiden, welche Maxime »sich in eine allgemeine Gesetzgebung passe«: »Hier ist, dünkt mich, offenbar, daß das bloße Vernunftmäßige oder Consequente, das in der einen [Maxime, B. G.], und das Widersprechende, das in der andern liegen sollte, zum Erkenntnißgrunde nicht kann gebraucht werden, weil ich weder consequent handle, wenn ich die eine befolge, noch mir selbst widerspreche, wenn ich die andre ausübe.« (5: 87, 90 f.)
Man kann streiten, ob das wirklich Maximen im Sinne Kants sind. Wenn man in Maximen nicht nur bestimmte Handlungsregeln, sondern etwa mit Höffe »primäre Willensbestimmungen« sieht, in denen gesagt wird, was für ein Mensch man in bestimmten Typen von Lebenssituationen sein will, dann ist das Beispiel von Pistorius nicht auf Maximen bezogen. (Höffe 1977, 359 ff.) Zu einem bescheideneren Verständnis von Maximen: (Aune 1979, 16). Die Aussagekraft des Beispiels von Pistorius bleibt aber davon unbeeinflußt. 66
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Pistorius weist darauf hin, daß hier anders als bei dem kantischen Beispiel des falschen Versprechens kein Widerspruch bei Verallgemeinerung der Maxime entstehe und daß man anhand des kantischen kategorischen Imperativs zwischen der christlichen und der huronischen Maxime »immer unentschieden« bleiben müsse. Das zwinge dazu, eine nicht bloß formale Entscheidungsinstanz jenseits der reinen Vernunft aufzusuchen. Pistorius will zeigen, daß zumindest die erste Formel des kategorischen Imperativs unterdeterminiert ist. Das ist ein Vorwurf, der besonders durch G. W. F. Hegel Popularität erreicht hat, der Kant einen »leeren Formalismus« vorwirft. Hegel schreibt etwa in seiner Rechtsphilosophie: »Aus jener Bestimmung der Pflicht, als dem Mangel des Widerspruchs, der formellen Übereinstimmung mit sich […] kann nicht zur Bestimmung von besonderen Pflichten übergegangen werden, noch wenn ein solcher besonderer Inhalt für das Handeln zur Betrachtung kommt, liegt ein Kriterium in jenem Prinzip, ob er eine Pflicht sei oder nicht. – Im Gegenteil kann alle unrechtliche und unmoralische Handlungsweise auf diese Weise gerechtfertigt werden.«67 Hegel kann nun aber nicht als Ahnherr dieses Vorwurfs gelten, denn Pistorius hat ihn ein Jahr nach Erscheinen der GMS bereits klar formuliert. Dieser Vorwurf hat sich bis auf den heutigen Tag gehalten, und er wurde ausgeweitet. Pistorius argumentiert, der kategorische Imperativ sei nicht inhaltsreich genug, um die Immoralität mancher Maximen zu erweisen. D. Birnbacher veranschaulicht das für die Maximen »Wenn immer es meinen Zwecken dient, werde ich einen anderen Menschen töten.« Und: »Ich nehme mir vor, niemandem, der sich in Lebensgefahr befindet, zu Hilfe zu kommen.«68 Auch diese Maximen heben sich selbst bei Verallgemeinerung nicht auf. B. Aune meint, der kategorische Imperativ sei auch »zu stark«, denn er erweise völlig harmlose Maximen als unmoralisch.69 Und N. Hoerster sagt in Übereinstimmung mit Hegel, daß Kants Imperativ auch dazu benutzt werden könne, unmoralische Praktiken zu stützen: Die Maxime »Ich werde niemals jemanden zum Duell fordern« würde die Institution des Duells unterminieren und daher verboten sein. Das stütze die unmoralische Institution des Duells.70 Natürlich ist dieser Vorwurf des Formalismus und der Untauglichkeit des kategorischen Imperativs als Entscheidungskriterium von etablierten Kantforschern auch als völliges Mißverständnis Kants zurückgewiesen worden, so etwa von O. O’Neill und C. Korsgaard.71 Aber hier geht es nicht um die systematische Berechti-
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Hegel 1970, Bd. 7, § 135. Birnbacher 2003, 152 f. Vgl. weiterhin Wimmer 1980, 333–360. Aune 1979, 123 ff. Hoerster 1974, 468. Vgl. auch Schönecker, Wood 2001, 137–140. O’Neill 1975; Korsgaard 1985.
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gung der Kritik von Pistorius. Es soll nur gezeigt werden, daß Pistorius einige der für die Zukunft zentralen Kritiken an Kants praktischer Philosophie als erster und in bedeutsamer Weise formuliert hat.
IX. Ein kategorischer Imperativ ist unmöglich Das kantische Beispiel des Versprechen-Haltens (GMS BA 19, AA 402 f.) kritisiert Pistorius ebenfalls. Kant meint mit diesem Beispiel zu zeigen, daß die Maxime zu lügen sich selbst zerstört. Sie soll also unabhängig davon unsittlich sein, ob sie dem Lügner oder anderen Nachteile erbringt.72 Pistorius bezweifelt das: »[…] ist […] die Aufhebung alles den Menschen zum Behuf ihres Lebens, der Nothdurft und Geschäffte desselben so nöthigen wechselseitigen Vertrauens, die Unmöglichkeit, durch Versprechen weiter etwas auszurichten, nicht ein wahrer mir und andern zugezogener Nachtheil […], und ist dieser Nachtheil nicht die einzige Ursache, warum sich die Maxime sich durch lügenhafte Versprechungen zu helfen, nicht in eine allgemeine Gesetzgebung paßt?« (2: 31, 150 f.) Pistorius argumentiert über dieses Beispiel hinausgehend, daß ein kategorischer Imperativ überhaupt nicht möglich sei, sondern jeder Imperativ auf ein Interesse (im Beispielfall eines an der Vermeidung von Nachteilen) Bezug nehmen müsse und daher hypothetisch beschaffen sei. Diese These erhärtet er durch folgende Überlegung: Wieso sollte ein Individuum ein Gesetz beachten, wenn es kein Interesse an der Befolgung dieses Gesetzes hätte? Es wird eine Vorstellung gesucht, die das Subjekt »an das Gesetz bindet« und es zum gesetzmäßigen Handeln motiviert. Das kann nun nicht die Vorstellung des Gesetzes selbst sein, denn das Gesetz ist selbst lediglich eine Vorstellung, die dem Subjekt nur sagt, »daß es so und so handeln soll«, aber das allein liefert kein »Mittelband, […] wodurch ein vernünftiges Wesen überhaupt an ein Gesetz gebunden, und zur Befolgung desselben genöthigt werden könnte.« (2: 32, 456) Dieses Mittelband ist allein das Interesse des vernünftigen Wesens am Gesetz. Nach Pistorius kann man Kant fragen, »warum ich ein allgemeines Gesetz zu lügen nicht wollen könne, und da scheint es mir offenbar zu seyn, daß, wenn ein solches Gesetz gar […] keine Beziehung
Hier gibt es in der Kantforschung großen Streit, inwieweit Kants kategorischer Imperativ auch durch konsequentialistische (und / oder naturteleologische) Überlegungen gestützt wird. Jedenfalls klingt Kant im Wortlaut sehr häufig konsequentialistisch, etwa wenn er ein Lügenverbot über Schäden an der Gesellschaft begründet: »Denn sie (die Lüge, B. G.) schadet jederzeit einem anderen, wenn gleich nicht einem anderen Menschen, doch der Menschheit überhaupt, indem sie die Rechtsquelle unbrauchbar macht.« (Kant Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen, A 305.) 72
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auf ein vorausgesetztes Interesse vernünftiger Wesen hätte, oder wenn diese überhaupt kein Interesse, weder des Verstandes noch des Willens hätten, mit einem Worte, wenn sie gegen […] Wahrheit oder Falschheit, […] gegen Vergnügen oder Schmerz u.s.w. ganz gleichgültig […] wären, so müßte es ihnen auch gleichviel seyn, ob ein allgemeines Gesetz […] zu lügen, festgestellt würde.« (2: 31 f., 455) Die Widersprüchlichkeit der allgemeinen Praxis zu lügen würde ein interessenloses Individuum eben nicht interessieren. Pistorius meint, daß ein Imperativ, der »auf keinerley Weise, und in keinem Betracht hypothetisch ist« (2: 32 f., 456), also nirgends auf ein Interesse Bezug nimmt, unmöglich sei. Der absolut gute Wille sei ebenfalls »eine schöne, aber unmögliche Idee« und könne in der Erfahrung nie aufgefunden werden. Allerdings unterstellt Pistorius, daß die erste Formulierung des kategorischen Imperativs schon selbst auf eine Bedingung hinweise, also versteckt hypothetisch sei, »so wenig dies der Verfasser auch zugestehen will.« (2: 36, 461) Sicher kann man Pistorius hier kritisieren. Man könnte systematisch widersprechen und meinen, Überzeugungen könnten auch automatisch motivieren, was bestimmten Varianten einer sogenannten internalistischen Motivationstheorie entsprechen würde.73 Ob Kant ein solcher motivationaler Internalist war, ist umstritten, wenngleich nicht unwahrscheinlich.74 Jedenfalls entwickelt er eine spezifische Theorie der moralischen Motivation aus dem Gefühl der Achtung heraus. Gegen Pistorius gewendet, könnte man daher meinen, das Gefühl der Achtung vor dem Gesetz leiste vielleicht das, was Pistorius ein »Mittelband« nennt, d. h. es böte einen motivationalen Grund, dem Gesetz Folge zu leisten: »Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein desselben heißt Achtung, so daß diese als Wirkung des Gesetzes aufs Subjekt […] angesehen wird. […] Alles moralische sogenannte Interesse besteht lediglich in der Achtung fürs Gesetz.« (GMS BA 17, AA 401 f.) In diesem Sinne schreibt auch F. Kaulbach: »Die dem Stande der praktischen Vernunft angemessene vernünftige Perspektive schafft eine neue Wirklichkeit in den inneren Antriebsverhältnissen des Subjekts: es bildet sich die Achtung als moralische Triebfeder.«75 Pistorius hingegen hält Interessen allgemeiner Art dem durch das Gesetz erzeugten spezifisch kantischen Interesse der Achtung für vorgeordnet: »Wenn es mir gleich viel gilt, ob eine Sache überhaupt wahr oder falsch […] ist, so kann auch nie darum und dadurch, daß eine Sache als ein Versprechen, nur [durch] ein Gesetz in sich bestehend oder gedenkbar wird, eine Korsgaard 1986. Vgl. Köhl 1990, 115–118. Ebenso: Schönecker, Wood 2001, 81. 75 Kaulbach 1982, 244, ebenso: Aune 1979, 26 ff. Kant ist hier mehrdeutig. Mal sagt er, die Achtung sei Triebfeder zur Sittlichkeit, dann sagt er, sie sei nicht die Triebfeder, sondern die Sittlichkeit selbst, und dann sagt er auch noch, das Gesetz selbst sei die Triebfeder der Sittlichkeit. Beck klärt die Vielfalt der Formulierungen: Beck 1995, 208 ff. 73 74
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Achtung für dieses Gesetz statt finden.« (2: 32, 456) Das würde Kant bestreiten, aber es ist fraglich, ob Kants Argumente hier überzeugen können. Viele moderne Kritiker Kants überzeugt die Theorie der Motivation jedenfalls nicht, und sie bleiben bei ihrer durch Pistorius vorbereiteten Kritik des kategorischen Imperativs. Pistorius intoniert hier ein Thema der Kantkritik, das Jahrhunderte überdauert hat. So sind auch Autoren wie Hegel76, Tugendhat und Foot der Auffassung, daß kategorische Imperative unmöglich sind. Tugendhat schreibt, daß eine »absolute praktische Notwendigkeit […] keinen Sinn ergibt«,77 und begründet das wie folgt: »Darüber hinaus scheint es dem Sinn von Rationalität überhaupt zu widersprechen, bestimmte Handlungen an und für sich als rational zu bezeichnen, egal ob das dann auch noch als moralisch verstanden wird. […] Hier muß man mit Hume annehmen, daß unsere Ziele immer schon – von […] unseren Gefühlen her – vorgegeben sind und als solche die Bezugspunkte für rationales bzw. irrationales Verhalten abgeben. Was ein Handeln sein soll, das an und für sich rational ist, ist nicht zu sehen. Diese Rede erscheint sinnwidrig.«78 Pistorius hat die Humesche Rationalitätstheorie, die er als Übersetzer von Humes Texten gut kannte, als einer der ersten Denker gegen Kant in Stellung gebracht, und diese Linie der Kritik hat bis heute überdauert. Natürlich kann man meinen, die Humesche Theorie sei eben falsch, was heute viele Philosophen vertreten. Aber das ist eine weit über Pistorius hinausgehende systematische Frage. Daß das Ergebnis der Kritik von Pistorius nicht mit einem Handstreich abzuwehren ist, kann man auch subtiler verteidigen, indem man Kant nicht nur einfach die Humesche Theorie gegenüberstellt. Das leistet P. Foot, wenn sie das oben beschriebene Ausgangsphänomen der kantischen Moralphilosophie weitergehend analysiert. Die sprachliche Absolutheit des moralischen Sollens gründet für Foot darin, daß es ein Sollen ist, das auf eine Regel rekurriert, in der von privaten Interessen keine Rede ist. Diese Eigenschaft teilt das moralische Sollen aber mit anderen normativen Forderungen, etwa denen der Etikette. Solche Regeln sind oft an alle Menschen adressiert und nehmen auf deren Interessen keinen Bezug. Aber ob solche Regeln auch unabhängig von Interessen befolgt werden sollten, das ist damit für Foot nicht ausgemacht. Zudem müßte Kant nach Meinung Foots zeigen, daß nur moralische Regeln absolut gelten, solche der Etikette aber nicht, weshalb letztere doch hypothetische Imperative seien. Kant rekurriert nicht nur auf die sprachliche Unbedingtheit von Sollenssätzen, die aus ihrem Regelbezug resultiert, sondern will auch gezeigt haben, daß die moralischen Regeln absolut gültig und notwendig sind. Das ist durch das sprachliche Phänomen, auf das Kant zu Recht verweist, aber eben nicht mitgezeigt, meint Foot: »The fact is that the man who rejects morality because he sees no 76 77 78
Das rekonstruiert Wood 1989. Tugendhat 1993, 99. Tugendhat 1993, 44.
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reason to obey its rules can be convicted of villainy but not of inconsistency.«79 Hier kann es natürlich nicht darum gehen, eine systematisch erschöpfende Behandlung der Kritik an der Möglichkeit eines kategorischen Imperativs durchzuführen. Wenn es gelungen ist zu zeigen, daß die Kritik von Pistorius nicht trivial und aktuell immer noch herausfordernd ist, dann ist der Zweck dieser Ausführungen erreicht.
X. Kants Anthropologie ist eindimensional Für Pistorius versucht Kant seine Theorie zu verteidigen, indem er eine suggestive Dichotomie aufbaut: Der Wille ist entweder absolut gut oder gut zu dem Zwecke der Mehrung der je eigenen Glückseligkeit, und die wird auf Wohlergehen und die Selbsterhaltung reduziert. (Zur Stützung dieser Thesen könnte Pistorius auf viele Textstellen verweisen, etwa (GMS BA 5,6; AA 395) und (GMS BA 13; AA 399).) Pistorius widerspricht Kant hier, während er dessen Argumente dafür bespricht, daß die Natur nicht die Glückseligkeit zum Endzweck gesetzt habe (vgl. GMS BA 5,6; AA 395 f.): Glückseligkeit durch Vernunft und Glückseligkeit durch Instinkte sind für Pistorius nicht dasselbe. Es gibt für ihn eine »wahre innere Glückseligkeit« (2: 28, 451), die mit der sich vervollkommnenden Vernunft »so ziemlich parallel fortläuft« und auch »eine natürliche Abzweckung« zur Sittlichkeit und Tugend hat (3: 68, 467 f.). Kant beachte diese Dichotomie im Begriff der Glückseligkeit nicht und argumentiere daher nur, daß »tierisch-instinktive« Glückseligkeit nicht Endzweck der Natur sei (2: 28, 450 f.). Damit greift Pistorius zwar nicht Kants These an, daß der Mensch (wenn nicht durch das Gesetz bestimmt) immer nur nach seiner Glückseligkeit strebt, aber er entkoppelt das menschliche Streben vom Streben nach sinnlicher Lust, wenn er zwei Typen der Glückseligkeit unterscheidet. Eine Differenzierung der kantischen Anthropologie ist für Pistorius auch deshalb notwendig, weil Kants Moralphilosophie sonst für die Praxis wenig leisten könne. Daß sie zum Handeln motiviere, wenn ihre anthropologischen Grundannahmen stimmig wären, bezweifelt Pistorius: »Was wollen wir bey Menschen, deren beynahe einzige Triebfedern Neigung zum Vergnügen und Abscheu vorm Schmerz ist, wohl durch diese Vorstellung [des kantischen Moralprinzips, B. G.] ausrichten?« (2: 37, 463) Darin schwingt der Vorwurf mit, Kants Ethik überfordere die Menschen, denn sie löse die Sittlichkeit von der Verfolgung der eigenen (wahren) Glückseligkeit völlig ab und gebe damit kein zureichendes Motivationsprinzip mehr her. Das liegt für Pistorius letztlich darin begründet, daß Kant in seinen normativen Forderungen bloß auf den vernünftigen Teil der Natur baut, »nicht aber auf den sinnlichen und dessen Bedürfnisse und Neigungen Rücksicht genommen werde […] Der Mensch ist nicht eine reine Intelligenz. […] Sittlichkeit ist doch nichts anders, als eine gewisse Art zu wollen und zu handeln, und
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Foot 1978, 161.
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setzt voraus, daß das derselben fähige Subjekt so oder so wollen und handeln könne.« (5: 88, 92) Pistorius übt eine Kritik an der Eindimensionalität von Kants Anthropologie, und derartige Kritik ist heute noch häufig zu hören. Die kantische These, daß alle Menschen von Natur aus nach Glückseligkeit streben, greift Pistorius nicht an. Nur daß diese Glückseligkeit rein in der instinktiven Selbsterhaltung der Menschen besteht, das glaubt Pistorius nicht. Pistorius behauptet, Kant vertrete einen unhaltbaren Hedonismus, der menschliches Streben auf »tierische Instinkte« oder eben sinnliche Lust reduziere. Und daran kann Pistorius dann seinen Überforderungseinwand anschließen, denn wenn wir von Natur aus wirklich nur diesem Streben nach sinnlicher Lust unterworfen wären, dann würde die kantische Ethik uns, indem sie uns in ihrem normativen Teil nur als Vernunftwesen betrachtet, dazu zwingen, uns unsere Natur vollständig zu unterwerfen, und das ist eine maximale, vielleicht unerfüllbare Anforderung. Gegen eine solche radikale Selbstunterwerfung intoniert Pistorius das Motto aller Überforderungseinwände bis auf den heutigen Tag: »Sollen impliziert Können«. Damit kann Pistorius sicher auch als Vorläufer der Schillerschen Kritik an Kants Anthropologie gesehen werden, da Schiller auch die Vorstellung einer »über die Sinnlichkeit herrschenden Vernunft« kritisiert.80 Zudem will Pistorius Glück und Tugend im Geiste der Stoa miteinander verbinden und so den ganzen Menschen in der Moralphilosophie in Betracht gezogen wissen (5: 92,97), und das kommt der Schillerschen Vision einer ganzheitlichen Moral, in der »Vernunft und Sinnlichkeit zusammenstimmen« 81 sehr nahe. Die Vorwürfe von Pistorius haben die Jahrhunderte überdauert. So urteilt P. Foot: »Kant, in fact, was a psychological hedonist in respect of all actions except those done for the sake of the moral law, and this faulty theory of human nature was one of the things preventing him from seeing that moral virtue might be compatible with the rejection of the categorical imperative.« 82 Auch L. Beck geht von einem Hedonismus bei Kant aus83 und viele Kritiker Kants schließen sich an.84 Der Vorwurf, man dürfe Glück und Moral nicht gegeneinander ausspielen, sonst verliere man entscheidende Argumente, weshalb sich jemand
Schiller, ohne Jahr. Schiller, ohne Jahr. 82 Foot 1978, 165. 83 Beck 1995, 94. 84 Allison schreibt T. H. Green zu, diese Kritik begründet zu haben (obwohl Pistorius sie als erster vorgebracht hat). Eine Kritik, die Allison selbst übrigens zurückweist (s. u.), wenngleich er meint, sie sei »widely accepted and appears to have a good deal of textual support«, Allison 1990, 102. 80 81
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überhaupt auf den moralischen Standpunkt stellen sollte, ist ebenfalls nicht einfach von der Hand zu weisen, er beinhaltet letztlich ein Erbe der Antike.85 Kant weist die von Pistorius nahegelegte Differenzierung von Arten der Glückseligkeit in der KdpV klar zurück: »Alle materiale praktische Prinzipien sind, als solche, insgesamt von einer und derselben Art, und gehören unter das allgemeine Prinzip der Selbstliebe, oder eigenen Glückseligkeit.« (KdpV A 40, AA 22). Pistorius würde hingegen die »innere Glückseligkeit« nicht unter dem Prinzip der Selbstliebe abhandeln und hier eben eine Differenzierung einfordern wollen (vgl. 5: 92, 97 f.). Kant bleibt aber bei einem Bild von Glückseligkeit, das diese an das Angenehme und die (sinnliche) Lust bindet.86 Zwar erkennt auch Kant, daß es eine »kontemplative, interessenlose Lust«, etwa die Freude an der Schönheit gibt. »Die Lust hingegen, die das Ziel und die Belohnung eines Handelns ist, heißt ›praktische … Lust; sie ist ein ›Interesse der Neigung …«, sagt Beck.87 Und diese praktische Lust will Kant nicht weiter differenzieren: »Die Vorstellungen der Gegenstände mögen noch so ungleichartig, sie mögen Verstandes-, selbst Vernunftvorstellungen im Gegensatze der Vorstellungen der Sinne sein, so ist doch das Gefühl der Lust […] nicht allein so fern von einerlei Art, daß es jederzeit bloß empirisch erkannt werden kann, sondern auch so fern, als es eine und dieselbe Lebenskraft, die sich im Begehrungsvermögen äußert, affiziert, und in dieser Beziehung von jedem anderen Bestimmungsgrunde in nichts, als dem Grade, verschieden sein kann.« (KdpV A 42, AA 23) Beck kommentiert lakonisch: »In einem Lust-Kalkül gibt es keinen Raum für qualitative Differenzen.«88 Somit lehnt Kant den von Pistorius vorgeschlagenen Weg einer Differenzierung der Glückseligkeit explizit ab. Ob der Vorwurf wirklich zutrifft, Kant vertrete eine unangemessene hedonistische Anthropologie, ist umstritten. Man kann das Prädikat »unangemessen« kritisieren und einen auf rein sinnliche Lust abzielenden Hedonismus systematisch verteidigen. Aber etwa H. Allison bestreitet unter Berufung auf A. Reath, daß Kant überhaupt eine hedonistische Anthropologie vertreten habe: Lust und Unlust würden bei Kant zwar Neigungen verursachen, aber Lust und Unlust seien nicht das »intentionale Objekt« einer durch Neigung gesteuerten Handlung. Das heißt, man müsse nach Kant nicht »um der Lust willen« handeln, wenn man aus Neigung handelt, auch wenn Lust oder Unlust die Neigung verursachen, welche die Handlung steuert. Lust sei nicht notwendig das Ziel des Handelns.89 Diese Interpretation kann ich hier nicht wirklich diskutieren, jedoch dürfte sie mit vielen Textpassagen bei Kant zu kämpfen haben, etwa mit der Folgenden: »Sie [die Lust, B. G.] ist also nur so fern praktisch, als die Empfindung der 85 86 87 88 89
Etwa Tugendhat 1993. Beck 1995, 99 f. Beck 1995, 95. Beck 1995, 96. Allison 1990, 102 f.
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Annehmlichkeit, die das Subjekt von der Wirklichkeit des Gegenstandes erwartet, das Begehrungsvermögen bestimmt.« (KdpV A 40, AA 22) Hier wird alle praktische Lust als etwas erläutert, was das Subjekt erwartet, wenn der Gegenstand erzeugt wird, an den diese Lust gekoppelt ist. »Erwartet« drückt dabei eine bewußte Ex-anteBewertung des Handlungsgegenstands als lustvoll aus, die »das Begehrungsvermögen bestimmt«, also Grund bzw. Ziel des Begehrens dieses Gegenstands ist. Jedenfalls zeigt sich, daß der Angriff von Pistorius auf die kantische Anthropologie ein echtes Problemfeld der Kantforschung betrifft, das keiner simplen Lösung offensteht.
XI. Kants Ethik ist rigoros und unsensibel gegenüber Handlungsfolgen Pistorius kritisiert, daß Kants Ethik auch an einem anderen Punkt nicht mit dem normalen Moralverständnis übereinstimmt, das Kant doch rekonstruieren will.90 Es gibt nach Pistorius Fälle, in denen man auch eine Handlung vollziehen kann, die dem kategorischen Imperativ entgegenläuft, und dies werde von der »gesunden Menschenvernunft« für moralisch gehalten. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn der Nutzen eines solchen Zuwiderhandelns eklatant ist: »Ein Regent mag es in seiner Gewalt haben, entweder ein öffentlich und feyerlich gegebenes Versprechen zu brechen oder sein Volk auf immer, wenigstens auf unabsehbare Zeiten aus seinem Wohlstande in die verworfenste Sclaverey und in gränzenloses Elend zu stürzen. Was befiehlt ihm hier seine Pflicht, oder vielmehr, was sagt hier die gesunde Menschenvernunft?« (5: 90, 95) Jemand, der einen so großen Nutzen ausschlägt, wie der Regent im Beispielfall, ist in den Augen von Pistorius ein »übervernünftelnder Phantast« (5: 91, 96). Pistorius bemerkt, daß vor Kant noch nie ein Philosoph derart streng und allgemein behauptet hat, daß »jede Rücksicht auf das Zweckmäßige die Moral verderbe« (5: 91, 96). Handlungsfolgen werden demnach von Kant zu stark vernachlässigt. Dieser Vorwurf wird oft mit dem Etikett »Rigorismusvorwurf« kenntlich gemacht. Er wird insbesondere häufig in Verbindung mit Kants Schrift Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen von 1797 entwickelt. Kant entwirft dort eine ganz ähnliche Beispielsituation wie die von Pistorius beschriebene. Dabei plädiert Kant dafür, daß ein »Recht aus Menschenliebe zu lügen« auch dann nicht eingeräumt werden könne, wenn eine Lüge einem Unschuldigen das Leben rettet. O. Schwemmer etwa meint dazu, Kants These sei »grotesk« und reproduziere »ein rigoristisches Vorurteil gegen Lügen«.91 Allerdings ist nicht klar, ob man das von Pistorius gegebene Beispiel und die besagte Schrift von Kant überhaupt miteinander vergleichen kann, denn Kant spricht in seiner Schrift explizit von juristischen Rechten, 90 91
Diesen rekonstruktiven Anspruch unterstreicht etwa Höffe 1977, 371. Schwemmer 1973, 255 ff.
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nicht von einem ethischen Problem (A 304, Fußnote). Es gibt die u. a. von H. Wagner vertretene These, daß Kant hier nur ein allgemeines juristisches Recht zur Falschaussage bestreite, es dem Betroffenen aber durchaus erlaube, in der besagten Situation unter Inanspruchnahme eines »Notrechts« zu lügen. Das sage Kant in der besagten Schrift nicht explizit, eröffne es aber in der Metaphysik der Sitten als Möglichkeit.92 Allerdings ist B. Constants Vorlage, auf die Kant mit seiner Schrift reagiert, auf den »sittlichen Grundsatz« bezogen, daß es eine Pflicht sei, die Wahrheit zu sagen. Auch Fichte und viele andere Nachfolger Kants haben Kants Schrift so diskutiert, daß sie sich auf moralische Probleme bezieht. Und daß Kant eine sehr kompromißlose Deontologie vertreten hat, kann man auch in der Metaphysik der Sitten nachweisen, wenn er etwa im Abschnitt »Vom Straf- und Begnadigungsrecht« vertritt: Wenn die Gerechtigkeit untergeht, hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf der Erde leben. (MS B 226/227) Der Vorwurf, Kants Ethik sei im besagten Sinne rigoros, wird von Pistorius so entwickelt, daß er viele der moralischen Intuitionen auf seiner Seite haben wird. Das setzt Kants Ethik dem Verdacht aus, manchmal zu absurden Konsequenzen zu führen und nicht das allgemeine Moralbewußtsein zu rekonstruieren.
XII. Aporien in Kants Freiheitslehre Kants Freiheitslehre wird von Pistorius in mehreren seiner Rezensionen kritisiert. Den Grundstein dazu legt er in seiner Rezension von Schulzes Erläuterungen der KdrV. Dort kritisiert Pistorius Kants Auflösung der dritten Antinomie. Pistorius meint, Kant verstehe unter Freiheit »das Vermögen eines Wesens, einen Zustand anzufangen« (1: 15, 109). Wie kann Freiheit dann aber als Eigenschaft von »Dingen an sich selbst« ausgegeben werden, von denen wir nach der kritischen Regel (»nicht über das Feld der Erfahrung im Gebrauch des Verstandes und der Vernunft auszuschweifen«) nichts wissen können? (1: 16, 110) »[…] zumal, da wider diese Regel auch darin verstossen wird, daß man gleichfalls einen Verstandesbegriff, nämlich den von Ursache und Wirkung in die intelligible Welt übertragen, und auf Dinge an sich selbst anwenden muß, wenn man vorgiebt, daß die Vernunft, ein Ding an sich selbst, die in sich freyen, aber scheinbar nothwendigen Handlungen verursache und bestimme. Aber der Inhalt dieses Begriffes, stimmt er mit sich selbst überein? Er soll als in die Verstandeswelt gehörig alle Zeit und Zeitbestimmungen ausschließen, und doch soll die Freyheit ein Vermögen seyn, einen Zustand anzufangen.« (1: 16, 110) Pistorius meint, von Freiheit könne Kant in der Verstandeswelt gar nicht reden, denn ihr Begriff nehme auf den Begriff des Anfangs Bezug und dieser wiederum auf den der Zeit, die es für Kant nur in der Erscheinungswelt gebe. 92
Wagner 1978, 96.
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In seiner Rezension der KdpV kritisiert Pistorius Kants Theorie vom »Doppelten Charakter des Menschen« als das »Dunkelste und Unbegreiflichste in der ganzen kritischen Philosophie«. (5: 95, 102) Pistorius moniert Folgendes: »[…] da sehe ich nicht, wie man dadurch, daß man dem unter Naturnothwendigkeit stehenden Menschen […] auch einen intelligibeln Charakter beylegt […], sich aus dieser Verlegenheit heraushelfen könne; denn beyde Arten der Freyheit, da sie einander grade widersprechend sind und aufheben, kann doch ein und dasselbe Subjekt unmöglich zu gleicher Zeit wirklich haben […], eben so wie es unbegreiflich scheint, daß der Mensch […], zu gleicher Zeit einen doppelten sich entgegengesetzten Charakter, den sinnlichen und intelligibeln […], wirklich besitzen […] sollte.« (5: 95, 101 f.) Kann man dasselbe Individuum gleichzeitig als Wesen der Verstandes- und der Sinneswelt betrachten? Die von Pistorius in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Probleme haben die Kantforschung über Jahrhunderte beschäftigt. Der Frage, ob Kant in der praktischen Philosophie seinem Fazit der KdrV widerspricht, über Dinge an sich nichts wissen zu können, will ich nicht nachgehen. Ebenso will ich nicht diskutieren, ob der Begriff der Freiheit in der Verstandeswelt als solcher schon unanwendbar ist. Beide Fragen sind so kompliziert, daß sie in dieser kurzen Abhandlung nicht behandelt werden können. Aber daß sie tiefe und echte Probleme ansprechen, wird kaum bestritten werden. Pistorius muß man jedoch erneut kritisieren, weil er nicht erkennt, daß Kant eine Anwendung von Kategorien (hier der Kausalität) auf Dinge an sich »im Denken« zuläßt. Eine hypothetische Applikation der Kategorien auf Dinge an sich ist für Kant möglich, eine assertorische nicht. Aber Pistorius wirft auch eine konkretere Frage in Zusammenhang mit der Freiheitstheorie auf: Kant will den intelligiblen und den empirischen Charakter als zwei Beschreibungsperspektiven desselben Gegenstands auffassen. Aber wie kann etwas nur von einem Standpunkt aus als determiniert betrachtet werden? »If an event is determined, it is true of it under all descriptions that it is determined«, schreibt T. Irwin 93, ganz im Sinne von Pistorius. H. Allison meint, man könne Kant nur verteidigen, wenn man den transzendentalen Idealimus nicht ontologisch verstehe, sondern etwa Kausalität nur als epistemische Bedingung auffasse: »By treating space, time, and the categories as epistemic rather than ontological conditions, transcendental idealism also opens up a ›conceptual space‹ for the nonempirical thought (although not knowledge) of objects, including rational agents, as they may be apart from these conditions, that is, as they may be ›in themselves …‹«.94
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Irwin 1984, 38. Allison 1990, 44.
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Für Pistorius bleibt die Frage offen, ob Kant sich nur in diesem »conceptual space«95 bewegt, wenn er etwa schreibt: »Dagegen gibt das moralische Gesetz, wenn gleich keine Aussicht, dennoch ein schlechterdings aus allen Datis der Sinnenwelt und dem ganzen Umfange unseres theoretischen Vernunftgebrauchs unerklärliches Faktum an die Hand, das auf eine reine Verstandeswelt Anzeige gibt, ja diese so gar positiv bestimmt und uns etwas von ihr, nämlich ein Gesetz, erkennen läßt.« (KdpV A 74, AA 43, Kursivierung B. G.) Aber diese von Pistorius gestellte Frage will ich wie gesagt nicht vertiefen. Jedenfalls ist die Kritik der kantischen Freiheitstheorie von Pistorius, den Allison sogar als Entdecker dieser Probleme bei Kant identifiziert und anspricht 96, auch heute noch Gegenstand heftiger Kontroversen. Das erkennt auch Allison an, denn ihm zufolge kann der von Irwin reformulierte Einwand von Pistorius nur ausgeräumt werden, wenn man sich auf die oben angedeutete epistemische Interpretation des transzendentalen Idealismus insgesamt verständigen kann, und das ist eine Interpretation, die auch in den Augen von Allison viele Philosophen nicht überzeugt.97
XIII. Pistorius verteidigt die stoische Ethik gegen Kant Abschließend will ich einen kurzen Ausblick geben, wie Pistorius die Probleme Kants vermeiden möchte. Ich werde die eigenen Ansätze von Pistorius nicht ausführlich kommentieren und primär auf zugrundeliegende Mißverständnisse der kantischen Philosophie hinweisen. Für Pistorius sind die Thesen Kants, daß Wille und Gesetz rein formal bestimmt werden müssen, nicht überzeugend. Er meint, Kant wolle seine Thesen auf eine Beobachtung des herrschenden Ethos gründen 98, aber er glaubt, die kantische Theorie sei bei weitem nicht die einzige, die sich mit den Beobachtungen decke (2: 31, 454). Pistorius argumentiert für ein von ihm und anderen Moralphilosophen akzeptiertes höchstes Prinzip der Sittlichkeit, das eben auch besser zu einer Analyse des Ethos passen soll als das Kantische. Ich nenne es das P-Prinzip: »(…) thue das, was deiner, und zugleich aller vernünftigen Wesen gemeinschaftlichen Natur, und darin gegründetem gemeinschaftlichen Interesse gemäß und zustimmend ist.« (2: 33, 457) Dieses Prinzip hält Pistorius für »wenig verschieden« von Kants erster Den er selbst absteckt in GMS BA 119, AA 458 f. Vgl. auch Beck 1995, 123. Viel unkritischer hingegen: Kaulbach 1982, 248. 96 Allison 1990, 29. 97 Allison 1990, 46. 98 Daß Kant auch begriffliche Wahrheiten über die Sprache der Moral entwickeln will, ignoriert Pistorius. 95
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Formulierung des kategorischen Imperativs (2: 31, 455), wie er überhaupt darum bemüht ist, seine eigenen Thesen als kompatibel mit Kants Vorschlägen zu erweisen. Wie Pistorius zu der Meinung kommt, das P-Prinzip stimme mit der ersten Formel des kategorischen Imperativs überein, ist schwer verständlich, da er ja auch argumentiert, es könne keinen solchen Imperativ geben. Offenbar meint er, auch der kategorische Imperativ sei verdeckt hypothetisch (aus den dargelegten systematischen Zwängen, da er anders gar nicht denkbar sei?), so daß der »kategorische« Imperativ und das P-Prinzip äquivalent sein könnten (2: 36, 461 f.). Dieser Anspruch ist allerdings nicht haltbar. Der kategorische Imperativ soll a priori, also notwendig und universell gelten. Das kann vom P-Prinzip nicht behauptet werden, das auf einer einheitlichen Natur des Menschen aufbaut. Weder ist deren Existenz garantiert, noch sieht man, weshalb diese nicht kontingent sein sollte. Das P-Prinzip läßt sich nach Pistorius aus einer Analyse des Begriffs »gut« gewinnen. Bei der Untersuchung des Guten finde sich ein höchstes Gutes, das ausnahmslos für empfindende und denkende Wesen gelte, eben jenes oben zitierte P-Prinzip: »Dies Prinzip wird […] ein Gesetz für mich durch die Vorstellung, daß meines und aller vernünftiger Wesen Interesse eines und eben dasselbige ist, daß folglich nie eine wahre Collision meines wahren Vortheils und des wahren Vortheils anderer vernünftigen Wesen entstehen könne, und daß in dem Falle, wenn ich nicht einem Theil meiner Natur, z. B. einer besondern Neigung, sondern meiner ganzen Natur folge, ich zugleich nicht nur mich selbst, sondern überhaupt alle vernünftige Wesen zu meinem Zwecke mache, und ihr Interesse zugleich mit dem meinigen besorge.« (2: 33 f., 458) Bei »scheinbaren Collisionen« der Interessen soll das Eigeninteresse zurückgesetzt werden. (2: 34, 458). Mit dieser Theorie, daß die Ausrichtung an der wahren Natur des Menschen zu einem gemeinschaftlichen Interesse aller Menschen führe, meint Pistorius belegt zu haben, daß das von ihm verteidigte P-Prinzip auch der Selbstzweckformel des kategorischen Imperativs »entspreche« (2: 34, 458). Dazu gibt er keine weiteren Erklärungen ab, aber ein Zusammenhang ist vorstellbar: Wenn man die Interessen anderer Personen immer zugleich mit den eigenen verfolgt und sich ihre Interessen zum Zweck macht, dann behandelt man die Interessen dieser Personen nie bloß als Mittel (für eigene oder dritte Interessen) und somit auch die hinter den Interessen stehenden Personen immer auch als Zweck. Nachdem Pistorius festgestellt haben will, daß das P-Prinzip die Motivation des kategorischen Imperativs erfüllt, Pflicht und Klugheit zu unterscheiden 99, will er nachweisen, daß dieses Prinzip auch mit der dritten Formulierung des kategoriDabei konterkariert Pistorius sein Anliegen. Statt einfach – wie an einigen Stellen angedeutet – zu sagen, daß die Handlungsmotive kluges und sittliches Handeln hinlänglich differenzieren, sagt er letztlich, daß auch das sittliche Handeln aus Klugheitsgründen geboten 99
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schen Imperativs »einigermaßen vereinbar« sei (2: 35, 460), die sich in der These zusammenfassen ließe, daß die Autonomie des Willens das höchste Prinzip der Sittlichkeit sei. Daß diese Zusammenfassung höchst eigenwillig ist und die verschiedenen Varianten der 3. Formel nicht beachtet, ist offensichtlich.100 Autonomie gewährleisten bedeutet für Pistorius Heteronomie vermeiden. Letztere entsteht, wenn dem Willen durch Objekte statt durch sich selbst Gesetze gegeben werden (2: 35, 460). Allerdings meint Pistorius ja ebenfalls, daß der Wille durch etwas an das Gesetz gebunden werden müsse: »[…] soll dies nun nicht die besondere Beschaffenheit des Objekts seyn […] so bleibt […] nichts anders übrig, als seine eigene Natur, und das in derselben gegründete allgemeinen Interesse jedes vernünftigen Wesens, das ihn bestimmen kann und soll.« (2: 35 f., 461) Wenn das Allgemeininteresse den Willen bestimmt, dann bestimmt für Pistorius die »eigene Natur« den Willen, und das sei eine freie und autonome Gesetzgebung. Dabei beruft sich Pistorius auf die Stoa (2: 36, 461, 5: 92–94, 97–100), die den Gedanken, der Natur zu folgen, stark betont hat. Pistorius will also nicht nur eine stoische Ethik gegen Kant verteidigen, sondern vertritt auch die zweifelhafte Meinung, daß die Standpunkte von Kant und den Stoikern im wesentlichen vereinbar wären. Pistorius liefert immer relevante und interessante Kritikpunkte an Kants Philosophie. Vielleicht stärkt es das Vertrauen in die philosophische Vernunft, wenn man sieht, daß über die Jahrhunderte hinweg Philosophen unabhängig voneinander ganz ähnliche Argumente und Kritikpunkte entwickelt haben. Das zeigt, daß es in der Philosophie starke Sachzwänge gibt, die unabhängig vom historischen Hintergrund ganz ähnliche Argumentationen erzwingen.
XIV. Zu den Texten Im Folgenden werden die besagten fünf Rezensionen abgedruckt. Die damals übliche Rechtschreibung wird beibehalten, lediglich offensichtliche Fehler werden korrigiert, während in Fußnoten die im Original verwendete Schreibweise wiedergege-
sei, um den eigenen (wahren) Vorteil zu finden, der mit dem allgemeinen Interesse zusammenfalle. Damit bringt er Sittlichkeit und Klugheit auf eine Linie, statt sie wie gewollt zu unterscheiden. Während Handlungsmotive eine dauerhafte Unterscheidung von Klugheit und Pflicht ermöglicht hätten, kann man über die Folgenanalyse beides nur unterscheiden, wenn eingeschränkte Informationsbedingungen vorliegen, vorausgesetzt, das P-Prinzip gilt. Ein kurzfristig orientiertes Handeln auf Basis falscher Informationen würde man aber eigentlich gerade nicht, wie von Pistorius gewollt, als klug, sondern als töricht bezeichnen. Daher zwingt die Analyse von Pistorius, kurzfristiges und kluges Handeln oder sittliches und kluges Handeln gleichzusetzen. Ersteres ist absurd, und letzteres läuft seinem Beweisziel entgegen, Sittlichkeit und Klugheit unterscheiden zu können. 100 Vgl. etwa Aune, der die dritte Formel in seinen Thesen C4 und C5 reformuliert: Aune 1979, 86, 105.
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ben wird. Die Originale sind nicht immer gut lesbar, so daß vereinzelte Fehler beim Abschreiben möglich sind. Zudem konnte oft nicht zweifelsfrei ermittelt werden, ob Worte im Original hervorgehoben (hier durch Kursivierung wiedergegeben) waren oder nicht. Ich bin zahlreichen Personen zu Dank verpflichtet, die mich bei der Herausgabe dieses Bandes unterstützt haben. So danke ich Judith Schwerdt für wichtige Recherchearbeiten, Peter Rohs, Georg Mohr, Wolfgang Freitag und Marcus Willaschek für hilfreiche kritische Kommentare. Miriam Gairing danke ich für das Abtippen der oft schwer lesbaren Originale. Meiner Frau Monika danke ich, daß sie mir mit viel Geduld beim mühsamen Korrekturlesen der Texte geholfen hat.
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1 Rezension von J. Schulzes Erläuterungen zur Kritik der reinen Vernunft Erläuterungen über des Herrn Professor Kant Critik der reinen Vernunft von Joh. Schultze1, Königl. Preußischem Hofprediger. Königsberg, bey Dengel, 1784. 8. 254 Seiten. Daß Erläuterungen über des Herrn Prof. Kant 2 Kritik der reinen Vernunft, wodurch der Inhalt dieses wichtigen, aber schwer zu fassenden Werkes solchen Lesern, denen es an Musse und an Geduld, obgleich nicht ganz an Fähigkeit mangelte, sich in das System des tiefdenkenden Weltweisen hineinzustudiren, insofern geöffnet werde, daß sie nun mit weniger Mühe den Inhalt desselben verstehen, und ihr philosophisches Nachdenken mit demselben beschäftigen können, nicht unnöthig oder überflüßig sind, dies, deucht mir, haben alle Kenner und Halbkenner, die sich darüber einigermassen geäußert haben, durch ihre Klagen über die Dunkelheit desselben zugestanden. Es hat also der Herr Hofprediger Schulze der Philosophie und ihren Liebhabern durch diese Erläuterungen einen angenehmen und wichtigen Dienst geleistet, da er uns diesen deutlichen und vom Herrn Prof. Kant selbst gebilligten Commentar über das wichtigste Buch, so seit Aristoteles Zeiten über die Metaphysik geschrieben ist, geliefert hat, und er verdient gewiß den Dank aller spekulativen Denker. | Es bestehen diese Erläuterungen aus einer kurzgefaßten Anzeige des Inhalts des Kantischen Werks, worin das System in einer gemeinverständlichern Sprache vorgetragen, aber Hrn. Kants Terminologie zugleich angebracht und erklärt worden, und dann aus einigen Winken zur nähern Prüfung dieses Systems. Ich glaube, daß es wenige Leser der Kritik und der Prolegomenen des Hrn. Kants geben wird, denen durch diese Erläuterungen nicht manche Dunkelheiten aufgehellet, und Schwierigkeiten, insofern diese den eigentlichen Sinn des Hrn. K. betrafen, gehoben worden, wenigstens erkennt der Recensent es, daß ihm manches, worin er sich in den Prolegomenen selbst nicht zu finden wußte, nun insofern deutlicher geworden, daß er nun wenigstens Hrn. K. zu verstehen glaubte. Indessen finde ich die beträchtlichste Schwierigkeit nicht aufgelöst, die mir des Hrn.3 K. Grundsätze über Zeit und Raum, und die hierin gegründete Theorie desselben von Schein und Wahrheit verursachet Die Schreibweisen des Namens variieren, mal wird Schultze, mal Schulze, mal Schulz verwendet. 2 Die im Original verwendete Hervorhebung mancher Termini wird hier durch Verwendung von Kursivschrift kenntlich gemacht. 3 Im Original: Hen. 1
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haben. Ich habe derselben schon in der Anzeige der Prolegomenen, A. D. Bibl. Band LIX. S. 345. erwähnt, und ich nahm diese Erläuterungen mit Begierde zur Hand, um darin vielleicht eine Auflösung meiner Zweifel zu finden. Allein, wie gesagt, ich traf nichts, wodurch es mir erklärt worden, wie nach dem System des Verfassers überhaupt Schein möglich sey, wenn das, wodurch alles Scheinen möglich wird, (was folglich immer vor allem Schein vorausgesetzt werden muß, und also nicht selbst Schein seyn kann) mit einem Worte, wenn Vorstellung und Denken selbst Schein seyn sollten. Und doch müssen sie es seyn, weil alles unser Denken successiv und nach Zeitbestimmung geschieht, wenn Raum und Zeit blos subjective Formen unserer Sinnlichkeit sind, und alles, was im Raum angeschauet, und nach Zeitbestimmungen empfunden und gedacht wird, nichts als Erscheinung ist. Statt durch Auszüge aus diesen Erläuterungen noch weitere Nachricht von den Grundsätzen und dem System des Hrn. K. zu geben, welches, wie mich dünkt, nach diesen Erläuterungen ziemlich entbehrlich ist, will ich es wagen, dem Wink des Hrn. Schulze zur nähern Prüfung der Kritik insofern zu folgen, als es mir meine Kräfte erlauben, und zuförderst den obgedachten Zweifel über Schein und Realität weiter zu entwickeln suchen, und mich alsdenn solchen Betrachtungen überlassen, worauf mich dieser Zweifel führt, ohne | mich an eine strenge Ordnung zu binden. Ich werde dabey zugleich auf das größere Werk des Hrn. K., und auch insonderheit auf die Prolegomenen Rücksicht nehmen. Nur in der Voraussetzung, daß Vorstellung und Denken Erscheinung ist, konnte der Verfasser behaupten, daß wir von unserm denkenden Subject gar nichts wissen, denn wären Vorstellungen und Gedanken wahre, d. i. mit dem Subject selbst gleichartige Wirkungen desselben, so wüßten wir doch dies von demselben, daß es eine Vorstellungskraft, oder eine Gedankenquelle sey. Nun aber, da die Vorstellungen nur scheinbare Wirkungen seyn sollen, d. i. wie man scheinbar sonst verstanden, das nicht an sich sind, was sie einem dritten Subjecte scheinen, oder wie dieses dritte Subject sie sich vorstellt, verlieren wir uns von einem Schein in den andern, und gerathen, was selbst unsere individuelle Existenz anbetrifft, in eine so mißliche und schwebende Lage, daß wir uns an nichts halten, und auf nichts fußen können. Es ist nun eben so ungewiß und problematisch, ob wirklich ein für sich bestehendes Subject existirt, dessen Modification unsere Vorstellungen und Gedanken sind, als es ungewiß und problematisch ist, ob unsern äußern Sensationen wirklich Objecte entsprechen. Es kann also nach diesem Systeme ganz wohl seyn, daß es nichts als Schein bis ins Unendliche giebt, daß wir nur scheinen zu existiren, aber so wenig uns durch Nachdenken von unserm reellen Daseyn, als von einem festen und sichern Fundamente alles dieses Scheinwesens versichern können. Was wir nach gemeinem Sprachgebrauche unsere Seele nennen, ist nach diesem Systeme nur ein logisches, d. i. scheinbares Subject, nicht eine wahre für sich bestehende Substanz, eigentlich blos eine Reihe fließender Vorstellungen, die durch das Selbstbewußtseyn, (gleichfalls eine Art fließender Vorstellungen) zu Gedanken verbunden, durch andere scheinbare Vorstellungen, (die Verstandesbegriffe, oder Categorien heißen) in regelmäßige Verknüpfung gebracht, und wieder durch andere Vorstellungen (die
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Vernunftideen), die aber auch blos subjectiv und täuschend sind, zu einer unendlich verknüpften Reihe ausgedehnt werden; und dieser Fluß von Vorstellungen entspringt, man weiß nicht, woher; strömt fort, man weiß nicht für wen und wozu, und fließt ab, man weiß nicht wohin. Es giebt nach diesem Systeme Anschauungen, ohne ein zuverläßiges Subject, das anschauet, und ohne ein gewisses Object, das an | geschaut wird. Es findet nach demselben keine wahre Einheit des denkenden Subjects statt, sondern alle Einheit ist nur logisch und subjective Verknüpfung, nur Zusammennehmen des Mannichfaltigen, und doch soll es kein einfaches zusammennehmendes Subject geben, und kein Trugschluß seyn, wenn man aus der Empfindung des einfachen Selbstbewußtseyns auf Ein einfaches verknüpfendes und zusammennehmendes Subject, oder aus der scheinbaren auf eine wahre Einheit schließt. Nach diesem System mußte dann auch die Vorstellung des Ich ganz leer seyn, und gar keine rechtmäßige Folgerungen hergeben. Es ist nichts, als dies selbst Bewußtseyn, eine Vorstellung, die gewisse andere Vorstellungen begleiten mußte, wenn sie in einen Gedanken zusammengefaßt werden sollten, die aber auf nichts reelles hinweiset, nichts, was uns über die Natur unsers denkenden Wesens belehren könnte, enthalten soll. Und doch, deucht mich, enthält diese Vorstellung des Ich erstlich eine Unterscheidung von allen andern Gegenständen, und zweytens ein Zusammennehmen aller der unter diesem Ich begriffenen Vorstellungen, und endlich eine Zueignung derselben auf das denkende Subject, das durch das Ich bezeichnet ist. Folglich enthält diese Vorstellung die Empfindung und den Begriff der Individualität, und dasjenige, was man Egoismus nennt. Wollen wir uns nun hier nicht in eine Unendlichkeit von Schein und Erscheinungen verlieren, so müssen wir wohl annehmen, daß dies denkende individuelle Wesen, das sich seines Unterschiedes von andern denkenden Wesen bewust ist, daß nie, seinem Selbstgefühle nach, eine Eigenschaft, oder ein Prädicat eines andern werden kann, wirklich vorhanden, wirklich ein Ding an sich selbst ist, und daß Vorstellung und Gedanken wirkliche wahre, d. i. gleichartige Wirkungen desselben sind. Denn wodurch könnten sie Schein werden? Doch wohl durch nichts anders, als durch eine neue Vorstellungskraft – und wenn diese dann wieder, um Erscheinung zu seyn, einer neuen Vorstellungskraft bedürfte, so würden wir einen wahren regressum in infinitum annehmen müssen. – Es sey das, was bisher gesagt worden, immer nur Folgerung aus den Grundsätzen des Verf., und keine eigentliche Widerlegung derselben, so scheint es mir doch eine wahre Schwierigkeit zu seyn, die erst weggeräumt werden muß, ehe man sich bey diesem Systeme beruhigen kann. Es sey mir also erlaubt, diese Folgerungen noch weiter zu treiben, | oder vielmehr, sie auf andere Theile des Kantischen Systems anzuwenden. Nach diesem Systeme fordert die Vernunft die Vollendung der Reihen von Naturbegebenheiten und Ursachen, sie sucht eine Gränze außerhalb derselben, steigt vom Bedingten zum Unbedingten hinauf, und muß, weil sie sonst nirgends die gesuchte Vollendung und Befriedigung finden kann, eine Gränze, ein unbekanntes Etwas als das Unbedingte annehmen – Irre ich nicht, so konnte und mußte die Vernunft, durch diese Theorie vom Schein und Wahrem belehrt und geleitet, diese
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Vollendung der gesammten Erfahrungen und ihrer Ursachen sonst nirgends, als in der Reihe selbst finden. Vorausgesetzt, daß der Sinnenwelt eine Verstandeswelt, und den Erscheinungen etwas Reelles zum Grunde liegt und entspricht, vorausgesetzt, daß alle successive oder sich auf Zeitbestimmungen beziehende Vorstellungen blos scheinbar und subjectiv sind, wovon in der Realität oder in der objectiven Verstandeswelt nichts ähnliches oder entsprechendes statt findet, so ist ja diese Welt das für sich bestehende Ding, ist sich selbst genug, und begränzt sich selbst; so hat sie so wenig einen Anfang als ein Ende; so ist alles das Mannichfaltige, das als zugleich seyend im Raum und als auf einander folgend in der Zeit vorgestellt wird, dies Mannichfaltige und Abwechselnde, das die Vernunft nöthigte, eine Gränze und ein Unbedingtes zu suchen, blos eine Täuschung, gleich derjenigen, vermöge der ein Mensch, der ohne es zu wissen, daß der Strom, den er hinabfährt, eine krumme, in sich selbst zurückkehrende Linie ausmacht, sich einbildet, daß er immer hinabfährt, und nie wieder hinaufsteigt, daß sein Strom einen Anfang, und eine Quelle, und ein Ende, oder einen Abfluß habe, da doch dies alles nur Schein ist. Freylich, so lange wir die Zeit für etwas Objectives halten, für eine Vorstellung, die wenigstens zum Theil in Dingen an sich gegründet ist, wie bisher Philosophen und Layen geglaubt haben, so müssen wir einen Anfang und ein Ende der Naturreihen voraussetzen, und unsere Vernunft muß die Vollendung derselben, außer diesen Reihen suchen, und zu allem Bedingten noch etwas Unbedingtes fordern; allein, wenn wir besser belehrt, alle Succession in der Zeit, und alles Mannichfaltige im Raum nur für subjectiv und scheinbar erkennen, so müßten wir auch die Vernunft an | weisen, dieses Successive und Mannichfaltige nicht in die objective Verstandeswelt hinüber zu tragen. Wir müßten ihr sagen: dieser Umstand, daß wir in Aufsuchung der Naturursachen nie zu Ende kommen, sondern vom Bedingten zum Bedingten bis ins Unendliche fortgehen, rührt daher, daß in der wirklichen objectiven Welt weder Succession noch Mannichfaltigkeit, so wenig als Anfang und Ende, oder irgend eine Begränzung, weder unendliche Theilbarkeit, noch untheilbare Theile statt finden. Alles dies findet nur in der Sinnenwelt, nicht in der Verstandeswelt statt, ist nur Schein und Täuschung sowohl als die Einbildung, daß wir uns selbst für wirkliche Substanzen halten. Es giebt vielmehr, wofern überall etwas existirt, nur eine einzige Substanz, und diese ist das einzige Ding an sich, das einzige Noumenon, nämlich die intelligible oder objective Welt. Diese begränzt sich selbst, dies ist die Sphäre, die keinen Anfang noch Ende hat. Dies ist das einzige Ideal der reinen Vernunft. Also würden und müßten dieser Theorie vom Schein und Reellen zufolge, die Ideen der reinen Vernunft ohngefähr so angegeben werden, wie sie Spinoza angegeben hat. Ihm ist, wie bekannt, die Welt die einzige Substanz, die sich selbst vollendende Reihe, oder die unbegränzte Sphäre, sie vertritt ihm die Stelle der Gottheit. Wider den wichtigen Einwurf, daß eine unendliche denkende Substanz nicht aus unzähligen endlichen denkenden Substanzen zusammengesetzt seyn könne, würde seinen Pantheismus des Verf. Theorie in Sicherheit setzen, denn wenn nach derselben unsere Substanzialität blos logisch und scheinbar ist, wenn unser Ich nichts als das Selbstbewußtseyn, und dies nur ein subjectives Requisitum
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des Zusammenhangs der Vorstellungen, eine Modification anderer Modificationen ist; was hinderts dann, daß alle diese Vorstellungen nicht Modificationen der einzigen Substanz seyn sollten? So fände also, wenn Zeitbestimmungen, und alle sich darauf beziehende Vorstellungen blos scheinbar und subjectiv sind, die Vernunft alle ihre Forderungen in Spinozens System befriediget, und sie würde nach einer solchen Befriedigung unbillig seyn, wenn sie nun noch nach einer besondern Gottheit forschen wollte, wenigstens fordert nunmehr das Interesse der Wahrheit keine Gottheit, als die Verstandeswelt. Dies sind abermals Folgerungen, wird man sagen, und dazu Folgerungen, die Hrn. Kants Theorie in einem gehässi | gen Lichte darstellen, aber zur Widerlegung derselben thut es doch an sich nichts, wenn sich auch aus derselben eine Deduktion für den Spinozismus herausbringen ließe, deren er sich, soviel bekannt ist, noch bisher nicht zu rühmen gehabt hat. Wahr ist es, es sind nur Folgerungen, und daß sie gehässig scheinen, das thut mir leid, und sie sollen insofern auch nichts wider die Kantische Theorie beweisen. Nur mußten sie ausgeführt werden, wenn gezeigt werden sollte, daß eben diese Theorie mit andern Theilen des Systems nicht zusammenzuhängen, und anderweitigen Grundsätzen und Aussprüchen des tiefsinnigen Philosophen zu widersprechen scheint. Dahin gehört dann auch die in den Prolegomenen vorgetragene Aeußerung: »Daß wir mit Humes Grundsätzen den Gebrauch der Vernunft nicht über das Feld der Erfahrung dogmatisch hinauszutreiben, einen andern von Hume gänzlich übersehenen Grundsatz verbinden müssen, diesen nämlich, das Feld möglicher Erfahrung nicht für dasjenige anzusehen, was in den Augen unserer Vernunft sich selbst begränzete.« Laßt uns sehen, wohin uns dieser neue Grundsatz führen wird. Der Sinn kann kein anderer seyn, als dieser: die Vernunft muß nicht nur Erscheinungen, sondern auch Dinge an sich selbst annehmen, auf welche sich die Erscheinungen beziehen, und die den Erscheinungen zum Grunde liegen, weil, wie der Verfasser sich bey eben dieser Gelegenheit, wo ich nicht irre, erklärt: »Erscheinungen jederzeit eine Sache an sich voraussetzen, und darauf Anzeige thun, man mag sie nun näher kennen oder nicht.« Sonach würde also auch das Daseyn einer objectiven Welt nicht mehr problematisch seyn. Die Erscheinungen in der Sinnenwelt würden auf Realitäten in der Verstandeswelt hinweisen; aber es würde nicht nur reelle Objecte geben, die erscheinen, sondern man müßte auch wohl ein Subject annehmen, dem diese Objecte erscheinen, oder das sich dieselben anders vorstellt, als sie an sich sind, und das muß ursprünglich und wesentlich ein denkendes oder vorstellendes Subject seyn, weil Denken und Vorstellen die nothwendige Bedingung ist, unter welcher Erscheinung überhaupt möglich ist. Ja die wirkliche Existenz eines denkenden Subjects ist, (was auch der Verfasser, der nach seinem kritischen Idealismus das wirkliche Daseyn des Objects, das erscheint, und des Subjects, dem es erscheint, auf einen völlig gleichen Grad der Gewißheit, oder der Ungewißheit setzet, dagegen sagen mag,) eine noch nothwendigere Bedingung zur | Möglichkeit der Erscheinungen, als das objective Reelle, denn es läßt sich wenigstens gedenken, (wie Berkeleys Idealismus beweiset) daß, ohne in etwas Reellem gegründet zu seyn, alle Vorstellungen von einer Aus-
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senwelt leere Täuschungen, oder bloße Modifikationen der subjectiven Denkkraft wären; aber dies läßt sich nicht wohl denken, daß es Modificationen gebe, ohne daß ein Subject existirte, dessen Modificationen sie sind, oder, daß Kraftäußerungen existirten, ohne subjective Kraft. Vorausgesetzt nun, daß die Erscheinungen sich auf reelle Objecte beziehen, und daß die letztern den erstern zum Grunde liegen, so muß ein gewisses Verhältniß zwischen beyden angenommen werden. Und da fragt es sich nun, ob dies Verhältniß blos subjectiv (oder scheinbar), oder subjectiv und objectiv (oder reel) zugleich sey? Ist es blos subjectiv, d. i. bringt es nur die Natur meines Denkensvermögens so mit sich, daß, wenn ich mir eine Erscheinung gedenke, ich mir auch etwas vom Schein verschiedenes außer mir gedenken muß, das mir erscheint, und wieder ein anderes in mir, dem es erscheint, ohne, daß aus diesem subjectiven Gesetze meiner Denkkraft im geringsten etwas für die wirkliche Realität und Existenz dessen, was da erscheinet, und dessen, dem es erscheinet, folgt – nun, so haben wir Erscheinungen bis ins Unendliche, so hat unser Pyrrhonismus keine Schranken, sondern wir müssen sagen, es scheint uns zu scheinen, und Cartesens cogito, ergo sum ist ein unzuverläßiger Grundsatz, denn wir müßten alsdann selbst an unserm individuellen Daseyn, selbst daran zweifeln, ob wir ein denkendes Subject sind. Wollen wir aber diesem Labyrinthe endloser Zweifel entgehen, so müssen wir das Verhältniß zwischen Erscheinungen und den Dingen an sich nicht nur für subjectiv und scheinbar, sondern auch für objectiv und reel erklären, oder annehmen, daß die Begriffe, die sich unser Verstand von einer wahren Substanz, von einer Verstandeswelt, und von einem Ideal der Vernunft, mit einem Worte von Noumenen macht, nicht nur in der Natur unserer Denkkraft, als subjective Form ihrer Thätigkeit und ihres Denkens, sondern auch in den Objecten, den Noumenen gegründet sind, daß unsere Seele diese Begriffe folglich nicht haben könnte, und nicht haben würde, wenn es nicht wahre reele Gegenstände gäbe, die diesen Begriffen entsprechen. Wenn dies so ist, so müßten wir weiter annehmen, daß die Noumena, die die Vernunft als wirklich existirend annehmen muß, auch etwas zu der Art und Weise beytragen, | wie sie sich unser Denkungsvermögen vorstellt, es sey nun, daß sich dies Denkungsvermögen als Sinnlichkeit, als Verstand, oder als Vernunft äußert. Jede dieser Erkenntnißquellen wird also in der Art und Weise, wie sie die Dinge an sich selbst vorstellt, freylich nach den jeder besonders vorgeschriebenen Gesetzen, oder nach ihrer subjectiven Form, aber auch nach der Natur der ihren Anschauungen, ihren Begriffen und Ideen zum Grunde liegenden Dinge an sich selbst sich richten müssen. Dies vorausgesetzt, würde man nun auch die dem Verfasser so wichtigen, und seinem ganzen kritischen System zur Stütze dienenden Begriffe von Raum und Zeit etwas anders ansehen und bestimmen müssen. Man würde sie nämlich auch für Verhältnißbegriffe erklären, die nicht blos in der Natur unserer Sinnlichkeit gegründet sind, nicht, wie Herr K. will, die blos subjective Form derselben ausmachen, sondern auch als in der Natur der Dinge an sich selbst, die in Raum und Zeit erscheinen, gegründet betrachten müssen, und so würde ungefähr der Leibnitzsche Begriff von beyden sich ergeben. Aber, ob sich dieser Begriff gegen des Verfassers
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Einwürfe retten lasse? Wir wollen sehen. Nur werde ich zuerst mich über die Vorstellung, die ich mir von diesen beyden in ihrer Art einzigen Gegenständen mache, näher erklären müssen. Nach meiner Vorstellung sind also die Begriffe von Raum und Zeit nicht schlechthin empirisch, sondern können auch zu den Begriffen a priori gerechnet werden. Sie machen die Gränze zwischen der intelligibeln und sensibeln Welt aus, und verbinden beyde miteinander, oder machen es möglich, daß Dinge an sich selbst Erscheinungen werden. Diese vermischte Natur der Begriffe von Raum und Zeit kann es uns einigermassen erklären, warum sie so sonderbar, so einzig in ihrer Art sind, und warum es, sie als Dinge anzusehen, unserm Verstande, und sie als Verhältnisse zu betrachten, unserer Imagination unmöglich ist. Sie haben nämlich, weil sie zwischen unserer Thätigkeit und den Gegenständen derselben als das vereinigende oder zusammenbringende Mittel (zwischen dem subjectiven und objectiven) mitten inne liegen, und beyde berühren, auch gleichsam von beyden etwas an sich, und diese ihre Mittelnatur macht es, daß man sie gewissermaßen zu beyden rechnen kann, je nachdem man sie von dieser oder jener Seite betrachtet. Insofern sie im Subjectiven, nämlich, wie | ich es mir vorstelle, in der Einschränkung der menschlichen Denkkraft gegründet sind, haben sie die Natur der Begriffe a priori, insofern sie aber in den Dingen an sich selbst, oder im Objectiven gegründet sind, nämlich der Raum in der wirklichen Mehrheit, und die Zeit zugleich in der Mehrheit und in der wirklichen Veränderlichkeit der vorgestellten Dinge an sich selbst*, müssen sie mit empirischen Vorstellungen, oder Erfahrungsbegriffen Aehnlichkeit haben. In unserer Einschränkung ist es gegründet, daß wir die Gegenstände der äußern Sinne, insonderheit des Gesichts, wofern wir sie von unserm Selbst unterscheiden sollten, außer uns setzen, oder im Raume wahrnehmen mußten; und so kann und muß es scheinen, daß der Begriff vom4 Raum ein angebohrner Begriff sey, daß er vor allen Sensationen vorhergehen, und allen Anschauungen zum Grunde liegen müsse. Aber wie wollen wir es ausmachen, daß sich gar nichts Empirisches in denselben einmische, oder woher wollen wir es beweisen, daß dies nicht geschieht? Unsere ersten Wahrnehmungen durch das Gesicht und Gefühl geschehen in einem Alter, da wir es uns nicht bewußt seyn können, ob
* Im Allgemeinen würde man sagen können: die von unserm Selbst unterschiedene (im Raum angeschauete, oder gefühlte) Mehrheit giebt, insofern und so lange sie nicht unter sich unterschieden wird, den Begriff der Ausdehnung, der stetigen Größe; (quantitatis continuae) die aber nicht nur von unserm Selbst, sondern auch unter sich unterschiedene Mehrheit giebt den Begriff der Zahl (quantitatis discretae). Da sich nun im Allgemeinen nicht mehr Abtheilungen der Mehrheit machen lassen, so sieht man hieraus, daß die allgemeine Wissenschaft der Mehrheit (reine Mathematik) keine andere und auch nicht mehrere Theile haben kann, als reine Arithmetik, oder allgemeine Wissenschaft der Zahlgrößen (quantitatis discretae), und reine Geometrie, oder allgemeine Wissenschaft der stetigen Größe (quantitatis continuae). 4
Im Original: »von«.
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der Begriff des Raums, oder der Begriff des Gegenstandes eher in der Seele gewesen, oder ob, wie es mir vorkömmt, nicht vielmehr beyde zugleich in der Seele sind; wenigstens müssen sie das letztere seyn, wenn der Raum ein Verhältnißbegriff ist; denn da müßte er sogleich mit den Dingen, die im Verhältniß stehen, nämlich dem Gegenstande und unserm Ich (das sich eben, vermittelst dieser Vorstellung vom Gegenstande unterscheiden muß) in der Seele seyn. Einiges Licht in dieser dunkeln Materie würde es uns geben, | wenn wir genau wüßten, wie Blindgebohrne sich den Raum denken, insonderheit, wenn wir wüßten, was der Blindgebohrne Saunderson, ein tiefsinniger Mathematiker, der in seiner Blindheit über Licht und Farben schrieb, sich für Begriffe vom Raum gemacht hat. Daß etwas Empirisches sich in der Vorstellung vom Raume einmischt, scheint mir auch aus dem Umstande zu erhellen, den man von einem durch den berühmten Cheselden operirten Blindgebohrnen erzählt, daß es ihm nämlich, wie ihm auf einmal das Gesicht geöffnet worden, vorgekommen, als ob alle sichtbare Gegenstände ihm unmittelbar auf dem Auge lägen, und es berührten; er wußte also nichts von Entfernung, noch weniger von einem Maas derselben, und hatte keine gleichsam angebohrne Geometrie; und lernen wir nicht alle durch die Erfahrung und nach und nach von Entfernungen, und der Größe entfernter Gegenstände urtheilen? – Wie läßt sich aber mit den bisher erklärten Begriffen vom Raume des Verfassers sogenannte reine Anschauung vereinigen? Wie stimmt damit die von aller Erfahrung unabhängige Gewißheit und Evidenz der reinen Geometrie überein? Ich denke, es läßt sich eine Vereinigung stiften. Wenn wir bedenken, daß alles, was angeschauet wird, im Raume wahrgenommen werden müsse, so ist uns ja der Raum ein allgemeiner bey jeder Anschauung und äußern Wahrnehmung, sie mag auch sonst noch so verschieden seyn, wiederkehrender Verhältnißbegriff, was hinderts dann, daß wir diesen Begriff eines Theils von den Gegenständen selbst, die uns in demselben gegeben werden, und anderntheils von den besondern Einschränkungen, so die Figuren und Lagen der Gegenstände im Raume machen, absondern, und ihn uns als ein vor sich bestehendes aneinanderhängendes einförmiges Ganzes gedenken, und so den Begriff von einem allgemeinen Raum, als einem Behältniß, worin Körper oder Gegenstände seyn können, bilden, oder vielmehr erdichten. Sind wir erst bis dahin gekommen, so können wir uns dies allgemeine Behältniß gleichsam in Fächer abtheilen, demselben allerhand Gestalten geben, oder dem Raum allerhand Einschränkungen und Modificationen zutheilen. Diese Fächer geben die Oerter, die wir den Gegenständen anweisen, die Einschränkungen und Modificationen des allgemeinen Raums geben die verschiedenen Figuren und Lagen, lauter Geschöpfe der Einbildungskraft, die wir willkürlich construiren. Von diesen Constructionen muß dann das wohl gelten, was wir ihnen selbst beylegen, sie | müssen das seyn, wozu wir sie machen. Findet es sich nun, daß ein Gegenstand eben diese Figur und Lage hat, die wir construirt haben, daß er sich in unsere Fächer paßt, so muß auch von seiner Figur und Lage, gerade in dem Maaße, als sie die von unserer Einbildungskraft construirte ist, eben das gelten und wahr seyn, was von den Geschöpfen unserer Einbildungskraft gilt und wahr ist.
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Laßt uns nun sehen, was die übrigen Gründe des Verfassers für die ausschließende Wahrheit seines Begriffes von Raum und Zeit wider die Gültigkeit des von mir angegebenen beweisen. »Raum und Zeit,« heißt es, »sind ganz nothwendige Vorstellungen, sie kleben uns ganz nothwendig an. Wir können zwar alle Gegenstände aus Raum und Zeit wegdenken; aber den Raum und die Zeit selbst können wir nicht wegdenken.« Den Begriff der Zeit können wir schon darum nicht wegdenken, weil alles unser Denken successiv, folglich in der Zeit geschieht, und eben dies successive Denken uns auf den Begriff der Zeit führt. Wenn aber der Begriff der Zeit sowohl als des Raums zum Theil subjectiv und in der Natur unsers Geistes, und zwar in unserer Einschränkung gegründet ist, so ist diese Einschränkung etwas wesentliches und beständiges, und so muß also auch der Begriff des Raumes und der Zeit als eine Folge, oder als ein unzertrennlicher Mitumstand nothwendig seyn. Die wesentliche Einschränkung unserer Denkkraft macht die Begriffe von Raum und Zeit zu nothwendigen Bedingungen unserer Sinnlichkeit, und das unausweichliche Gefühl dieser Einschränkung heißt uns immer erwarten, daß Gegenstände mit unserer Sinnlichkeit im Verhältniß des Raums und der Zeit stehen müssen. Wir können Gegenstände nicht von unserm Selbst, und nicht von einander unterscheiden, wofern wir sie nicht theils außer uns setzen, d. i. im Raum schauen, theils nach einander, d. i. in der Zeit wahrnehmen. Dies hindert aber alles nicht, daß die Begriffe von Raum und Zeit nicht auch ein objectives Fundament haben sollten. – »Alle Axiomen von Raum und Zeit führen apodictische Gewißheit mit sich, können folglich nicht aus der Erfahrung geschöpft seyn; alsdann würden wir nur sagen können: so lehrt es die gemeine Wahrnehmung; nicht aber: so muß es seyn. Sie gehen also vor aller Erfahrung vorher, und sind Sätze a priori z. E. die Grundsätze, daß verschiedene Räume nicht auf einander fol | gen, und verschiedene Zeiten nicht zugleich seyn können, daß zwischen zween Puncten nur eine gerade Linie möglich sey u.s.w.« Ich denke, grade so müsse es auch, nach meinem Begriffe von Raum und Zeit seyn, denn drücken diese Begriffe das durch die wesentliche Einschränkung unsers Geistes nothwendig gemachte Verhältniß der Dinge an sich selbst zu unserer Sinnlichkeit aus, und zwar der Begriff des Raums die Mehrheit ohne Rücksicht auf Veränderlichkeit, und der Begriff der Zeit eben diese Mehrheit in Rücksicht auf Veränderlichkeit entweder der Objecte selbst, oder ihrer Modificationen, so versteht es sich von selbst, daß diese verschiedenen Verhältnisse nicht mit einander verwechselt, und also Axiome, die diese Verschiedenheit aussagen, nicht von einem Verhältnisse auf das andere übergetragen werden, und wir nicht sagen können: verschiedene Räume folgen auf einander, oder verschiedene Zeiten sind zugleich. Was das dritte Axiom anbetrifft, so drückt es ein nothwendiges Verhältniß zweyer Objecte aus, das gar nicht von der Beschaffenheit, sondern von dem wirklichen oder angenommenen Daseyn derselben abhängt, und sagt im Grunde nichts weiter, als, zwey Objecte sind wirklich in der Lage, worin sie angenommen werden. Ihre Lage bestimmt ihre Entfernung, und diese kann nur eine einzige seyn. Die Beweisgründe des Verfassers, daß Raum und Zeit nicht discursive und allgemeine Begriffe, sondern Anschauungen sind, treffen meinen Begriff gleichfalls
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nicht, denn nicht aus Raisonnement, vermittelst einer Abstraction, sondern aus dem nothwendigen Verhältnisse der Dinge an sich selbst, zu unserer Sinnlichkeit leite ich diese Begriffe her. Raum und Zeit werden jedesmal mit den Objecten wahrgenommen und angeschauet, es ist also der Begriff von Raum insonderheit ein nothwendiger Anhang, oder mitzusetzender Umstand jeder äußern Erscheinung. Der Satz: was ist, und ein Object unserer äußern Sinne seyn soll, muß irgendwo seyn, oder einen Ort einnehmen, ist kein Satz, den wir dem Raisonnement, sondern dem unausweichlichen Gefühle unserer Einschränkung schuldig sind; aber der Satz: es giebt einen allgemeinen leeren Raum, wovon alle Räume oder Oerter nicht zusammensetzende Theile, sondern Einschränkungen sind, ist theils das Product der Phantasie, theils ein Werk des Raisonnements; aber kein angebohrner Satz, der ohne den Gebrauch des Gesichts, ohne Unterricht von andern, und ohne eigene Uebung im | Denken von Jemand würde vorgetragen werden. Ohnedem sind Raum und Zeit nach meiner Vorstellung zum Theil in den Objecten gegründet, folglich werden sie insofern empirisch, und sind Anschauungen und keine Abstractionen. Ich kann daher auch gern den Grund des Verfassers gelten lassen, daß, weil alle Grundsätze von Zeit und Raum synthetische Sätze sind, sie nicht allgemeine Begriffe, sondern Anschauungen seyn müssen. – Sie sind nämlich, insoweit sie im Objectivischen gegründet sind, Anschauungen, oder mit den Dingen, die im Verhältniß stehen, zugleich wahrgenommene Verhältnisse. Sondert man sie aber von diesen ab, so sind sie Geschöpfe der Einbildungskraft, nämlich der allgemeine leere Raum, und die unendliche leere Zeit, die auf die Weise, wie bereits gezeigt, und weiter wird gezeigt werden, gebildet sind – Auch folgendes Raisonnement des Verfassers kann ich, was die letzte Folgerung, die er daraus zieht, anbetrifft, gerne zugestehen: »weil wir uns sowohl den Raum, als die Zeit als eine unendliche Größe vorstellen, so ist mithin alle bestimmte Größe ihrer Theile nur durch Einschränkungen des unendlichen Raums und der unendlichen Zeit, keineswegs aber aus einem allgemeinen Begriffe von Raum und Zeit möglich. Wären also Raum und Zeit nicht Anschauungen, sondern allgemeine Begriffe; so wäre gar kein Begriff von der Größe und den Verhältnissen im Raum und in der Zeit möglich.« Nur was die hier angegebene Entstehung des Begriffs von der Größe und den Verhältnissen im Raum und in der Zeit betrifft, finde ich noch etwas zu erinnern. Der Verfasser behauptet, daß ein gewissermassen angebohrner Begriff von einem unermeßlichen leeren Raum und einer unendlichen leeren Zeit allen Begriffen von bestimmten Räumen und Zeiten solchergestalt zum Grunde liegen müsse, daß man die letztern nur durch das Einschränken der erstern erhalte, oder daß diese eigentlich nichts sind, als gewisse Einschnitte, die man in den unermeßlichen Raum und in die unendliche Zeit macht. Meiner Meynung nach verhält es sich umgekehrt, der Begriff von eingeschränkten Räumen oder Oertern, und von einer bestimmten Zeit ist eher in der Seele, und wird in jeder Anschauung und jeder Empfindung mit anschaulich und empfindbar. Hieraus wird allererst durch die Phantasie ein unermeßlicher Raum und eine unendliche Zeit gedichtet. Hat man aber von denselben erst einen Begriff, alsdann kann ein Philosoph diesen Begriff wieder zum Grunde legen, und so, wie der Verf.,
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alle einge | schränkte Räume und Zeiten als eben so viel Einschränkungen desselben betrachten. Der philosophische Laye wenigstens scheint nicht anders, als vermittelst des Dichtungsvermögens sich bis zum Begriff der Unermeßlichkeit des Raums und der Unendlichkeit der Zeit erheben zu können. Er muß es ohngefähr wie der Psalmist machen, der sich die Allgegenwart Gottes vorstellen will: Führe ich gen Himmel, so bist du da, bettete ich mir in der Hölle, so bist du auch da, nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am äußersten Meere* u.s.w. oder wie der Dichter, der sich zu einem etwanigen Begriff von der Ewigkeit zu verhelfen sucht: Ich häufe ungeheure Zahlen Gebürge Millionen auf, Ich wältze Zeit auf Zeit Und Welt auf Welt zu Hauf; Und wenn ich von der grausen Höhe Mit Schwindeln wieder nach dir sehe, Ist alle Macht der Zahl Vermehrt mit tausendmal Noch nicht ein Theil von dir, Ich zieh sie ab, und du liegst ganz vor mir. Weit gefehlt also, daß die Begriffe von Unermeßlichkeit und Ewigkeit allen eingeschränkten Begriffen von Größen im Raum und in der Zeit a priori zum Grunde liegen, so kommen wir erst zu jenen, wenn wir diese bis ins Unendliche, d. i. ohne Aufhören ausdehnen und zusammensetzen. Wie viel Menschen mag es auch überhaupt wohl geben, die sich die Begriffe von Unermeßlichkeit und Ewigkeit ganz genau und richtig ohne Beymischung von Schranken zu denken vermögend sind? Und wozu nun alles dieses? Nicht, eigentlich um zu beweisen, daß der von mir angegebene Begriff von Raum und Zeit der einzige wahre seyn müsse, sondern nur, daß er möglich ist, daß er bey den Einwürfen des Hrn. K. bestehen kann, daß sich die Phänomena und die richtigen Grundsätze, die er in Absicht auf Raum und Zeit vorbringt, eben so gut mit der Voraussetzung, daß diese Begriffe nicht blos subjectiv sondern auch objectiv sind, vereinigen lassen, und daß wir folglich nicht schlechterdings gezwungen sind, mit Hrn. K. anzu | nehmen, daß Raum und Zeit nichts als die subjective Form unserer Sinnlichkeit sind, und nichts Objectives haben. Denn nur aus wahrer Noth, oder weil sich die Unmöglichkeit und Unstatthaftigkeit jedes andern Begriffes von Raum und Zeit apodictisch erweisen läßt, könnten wir des Verfassers Begriff ergreifen. So wie überhaupt des Verfassers System nur auf den Trümmern aller andern erbauet werden kann, so scheint mir dieser Begriff insonderheit einem orientalischen Despoten gleich zu seyn, der nur nach Ermordung aller seiner Brüder sich auf den Thron schwingen, und darauf behaupten kann, läßt sich hingegen irgend eine andere Vorstellung, etwa, wie die hier ange* Man sehe auch Klopstocks Ode über die Allgegenwart Gottes.
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gebene, die Raum und Zeit auch zum Theil als in den Objecten gegründet annimmt, nur als möglich behaupten, so würde sie, wie es mir scheint, um folgender Vortheile willen, auf vorzüglichen Beyfall Anspruch machen. Erstlich würden wir, vermittelst derselben, aus der obgedachten äußerst mißlichen und schwebenden Lage, worin uns, was selbst unser individuelles Daseyn betrifft, des Verfassers auf seine Begriffe von Raum und Zeit erbauete Theorie vom Schein und Reellen versetzet, herausgerissen werden. Das wirkliche Daseyn einer objectiven intelligibeln Welt würde nicht mehr so problematisch, sondern zuverläßig und gewiß seyn. Und was noch wichtiger und interessanter für uns ist, auch unserer innerern Empfindung, daß wir nicht blos logisch und scheinbar, sondern wirklich individuelle denkende Subjecte, oder Substanzen sind, würden wir alsdann trauen können, wenn wir uns überzeugen dürften, daß Vorstellungen und Gedanken wahre Wirkungen einer gleichartigen, d. i. denkenden Kraft sind. Mit einem Worte, wir würden alsdann nicht mehr zweifeln dürfen, ob es wirklich Dinge an sich selbst giebt, die das Substratum unserer Anschauungen ausmachen, und die uns erscheinen, und wie mich deucht, noch weniger, ob es in der Wirklichkeit ein denkendes Subject giebt, dem die Dinge an sich selbst erscheinen, und ob das Subject, das wir durch unser Ich bezeichnen, dies denkende Subject sey. Ueberhaupt würde die Theorie vom Schein und Wahren mehrere Richtigkeit, und den Selbstbestand erhalten können, der mir der Theorie des Verfassers zu fehlen scheint. Denn nicht zu gedenken, daß nach derselben das Daseyn der Dinge an sich selbst bald als blos problematisch, bald als gewiß angegeben wird, und zwar das erstere, weil wir doch | schlechterdings gar nichts von ihnen wissen und erkennen können, und das letztere, weil doch allen Erscheinungen Dinge an sich selbst zum Grunde liegen müssen, worauf jene Anzeige thun, wir mögen etwas davon wissen, oder nicht; so wird, wie ich bald näher zeigen werde, es uns durch des Verfassers Begriffe von Raum und Zeit, wo nicht schlechterdings unmöglich, doch äußerst schwierig gemacht, uns Dinge an sich selbst, als das mögliche Fundament, oder Substratum der Erscheinungen zu gedenken. Auch scheint, nach dieser Theorie, des Verfassers bekannte Vorliebe zu den moralischen Ideen, der Vorzug der Zuverlässigkeit und Wahrheit, den er diesen vor allen speculativen, und blos auf Erkenntniß abzielenden Aeußerungen der Denkkraft einräumt, partheyisch und ungegründet zu seyn. Das größere und wichtigere Interesse, das diese moralischen Ideen vielleicht haben (wiewohl, woran kann uns mehr gelegen seyn, als an der Ueberzeugung von unserm wirklichen individuellen Daseyn, oder unserer Substanzialität, und was haben wir noch zu verlieren, wenn wir unser Ich verloren haben, und unser Selbst als einen im Ocean versunkenen und verschlungenen Tropfen betrachten müssen?) kann ihnen diesen Vorzug nicht verschaffen. Sie sind demungeachtet nichts als Wirkungen oder Modificationen der Denkkraft, und wenn die speculativen Wirkungen insgesammt von den sinnlichen Anschauungen an bis zu den Vernunftideen scheinbar und täuschend sind, und nur den logischen Nutzen haben, unsern Vorstellungen Ordnung und Zusammenhang zu geben, was haben denn die moralischen Begriffe zum voraus? Wenn Vorstellungen überhaupt täuschend und Schein
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seyn können, wo ist dann das sichere Merkmal, woran wir erkennen können, daß einige derselben es nicht sind, und nicht seyn können? – Noch einmal, das größere Interesse kann dies Merkmal nicht seyn, denn, wenn wir einmal zugestehen, daß wir Verstandesbegriffe und Vernunftideen, so leer von allem Inhalt, so täuschend sie auch immer seyn mögen, doch haben mußten, damit wir ordentlich und systematisch denken konnten, und daß sie also blos um eines logischen Behufs willen nothwendig waren, was hinderts, anzunehmen, daß wir auch die moralischen Begriffe bey aller ihrer Scheinbarkeit und Leere dennoch haben mußten, damit wir ordentlich und systematisch, oder sittlich handeln konnten, und daß sie um eines praktischen Behufs willen nothwendig waren? – Doch nichts scheint mir in des Verfassers Theorie | vom 5 Schein und Wahren mehr Verwirrung und Inconsequenz zu bringen, als seine ganz darauf gebauete Auflösung der sogenannten dritten Antinomie, oder die Hebung des Widerspruchs unter den beyden Sätzen: Der Mensch ist in seinen Handlungen an Naturnothwendigkeit gebunden, und: der Mensch handelt mit Freyheit, die, wie der Verfasser behauptet, beyde gleich erweislich seyn sollen. Der Verfasser sucht zu zeigen, daß beyde Sätze in verschiedener Rücksicht zugleich wahr sind, oder wenigstens wahr seyn können. Diese verschiedenen Rücksichten sind von einer Seite der Mensch, als Phänomen mit seinen Handlungen, als Erscheinungen, und von der andern Seite ebenderselbe Mensch als Glied der intelligibeln Welt, und eben diese seine Handlungen als Dinge an sich selbst betrachtet. In der ersten Rücksicht sind seine Handlungen (dem Schein nach) der Naturnothwendigkeit unterworfen, und geschehen, wie alle andere Erfahrungswirkungen, nach dem Satz des zureichenden Grundes; hingegen in der zweyten Rücksicht sind sie als Dinge an sich selbst, frey, d. i. sie setzen keine andere Handlungen als nothwendige Bedingungen voraus, auf welche sie nach einem Gesetze folgen müssen.* Schon in der Anzeige der Prolegomenen gestand ich mein Unvermögen, hier dem Verfasser zu folgen, und noch itzt, ob ich gleich einsehe, daß das eben gesagte wohl seine Meynung ausdrücke, ist mir diese Auflösung beynahe das Dunkelste in seinem ganzen Systeme. Was mir also darin so inconsequent und widersinnig scheint, mag immer noch auf einigem Mißverstand beruhen, aber ich wünschte doch immer, daß mir diese Dunkelheit aufgehellt, und die anscheinenden Widersprüche wegerklärt werden möchten. Zuvörderst betreffen meine Zweifel den Begriff von der Freyheit selbst, dessen Ursprung, Inhalt und objective Gültigkeit. Die Freyheit soll das Vermögen eines Wesens seyn, einen Zustand anzufangen, so, daß seine Handlung nicht | nach dem Naturgesetze wieder unter einer andern Ursache * Es ist sonderbar, daß andere Philosophen gerade das Gegentheil behaupten, nämlich, daß der Glaube an Naturnothwendigkeit sich nicht sowohl auf das Gefühl, als auf das Raisonnement gründe, hingegen die Meynung, daß wir Freyheit besitzen, mehr ein wenig aufgeklärtes Gefühl, das sie nicht ganz leugnen können, für sich habe; und sie bemühen sich daher, den Ursprung desselben und die Ursache, warum es uns täuschet, zu entdecken. 5
Im Original: »von«.
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steht, welche sie der Zeit nach bestimmete. Ich frage: woher haben wir diesen Begriff? Aus der Erfahrung, dieser einzigen Quelle, aus der nichtleere Begriffe fließen sollen, haben wir ihn nicht geschöpft, er ist also ein reiner Vernunftbegriff, oder der Vernunft wesentlich und gleichsam angeboren; aber darin hat er vor den sogenannten Ideen der reinen Vernunft, der psychologischen, cosmologischen und theologischen, nichts voraus; wodurch erlangt er also den Vorzug, nicht blos subjectiv und täuschend zu seyn, wie diese es sind? woher erhält er allein diese objective Gültigkeit, daß er sich auf die Verstandeswelt anwenden, daß das, was er bezeichnet, nämlich die transcendente Freyheit, sich als eine Eigenschaft der Dinge an sich selbst, oder der Glieder dieser uns ganz unbekannten Welt prädiciren läßt? Kann es mit einander bestehen, eines Theils zu behaupten, daß wir schlechterdings von dieser Verstandeswelt (die für uns = x ist) nichts erkennen können, und andern Theils nicht nur anzunehmen, daß sie aus Theilen und Gliedern bestehe, und die Vernunft als ein solches Glied derselben anzugeben, sondern dieser Vernunft auch eine Eigenschaft nach einem Begriff, der vielleicht ein blosses Hirngespinnst, vielleicht eine in der Sinnenwelt und zum Behuf derselben nöthige Täuschung ist, beyzulegen? Gesetzt, man thut dies auch nur hypothetisch, so ist auch dies schon Uebertretung der ersten critischen Regel, nicht über das Feld der Erfahrung im Gebrauch des Verstandes und der Vernunft auszuschweifen, zumal, da wider diese Regel auch darin verstossen wird, daß man gleichfalls einen Verstandesbegriff, nämlich den von Ursache und Wirkung in die intelligible Welt übertragen, und auf Dinge an sich selbst anwenden muß, wenn man vorgiebt, daß die Vernunft, ein Ding an sich selbst, die in sich freyen, aber scheinbar nothwendigen Handlungen verursache und bestimme. Aber der Inhalt dieses Begriffes, stimmt er mit sich selbst überein? Er soll als in die Verstandeswelt gehörig alle Zeit und Zeitbestimmungen ausschließen, und doch soll die Freyheit ein Vermögen seyn, einen Zustand anzufangen. Wie läßt sich ohne Einmischung des Begriffes der Zeit ein Anfang, und also auch das dem Anfange entgegenstehende Ende, wie entstehen, oder aufhören und vergehen gedenken? Einen Zustand anfangen, setzt voraus, daß dieser Zustand noch nicht war, folglich eine Zeit, wo er noch blos möglich war, und eine andere Zeit, wo er |wirklich wird. Folglich scheint dieser Begriff zugleich Zeitbestimmungen vorauszusetzen, die er doch ausschließen sollte. Wie läßt sich dies vereinigen?* Ich frage weiter, wenn das ganze Seelenwesen des Menschen, seine
* Mit eben dem Raisonnement, womit der Verfasser bey der ersten Antinomie den Satz darthun will, daß die Welt keinen Anfang in der Zeit haben könne, läßt sich auch darthun, daß überall kein Zustand anders, als in der Zeit anfangen könne, weil nämlich ein Anfang immer den Zeitbegriff voraussetzt. Hr. K. schließt so: »Man setze, die Welt habe einen Anfang, so muß eine Zeit vorhergegangen seyn, darin sie nicht war, nämlich eine leere Zeit. Nun aber ist in der leeren Zeit kein Entstehen irgend eines Dinges« (folglich auch nicht eines Zustandes) »möglich, weil kein Theil einer leeren Zeit vor einem andern irgend eine Bedingung des Daseyns vor der des Nichtdaseyns an sich hat, man mag annehmen, daß es von sich selbst oder durch eine andere Ursache entstehe, also kann die Welt keinen Anfang haben,«
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ganze Vorstellungskraft mit allen ihren Wirkungen für Erscheinung muß gehalten werden (wie nach meiner Voraussetzung zufolge der Grundsätze des Verfassers und seines Begriffes von Raum und Zeit geschehen muß), wie man alsdann einen Theil dieses Seelenwesens – und etwas anders ist doch die Vernunft nicht – für ein Noumenon, oder für ein Ding an sich selbst erklären könne! Woher wir bey der vorausgesetzten völligen Unbekanntschaft mit der intelligibeln Welt und den Dingen an sich selbst es wissen können, daß etwas zu des Menschen subjectiven und scheinbaren Denkkraft gehöriges, nämlich seine Vernunft, und folglich auch Er selbst, insofern er mit Vernunft versehen ist, ein Theil der Verstandeswelt, ein Ding an sich selbst sey? Um dies nur vorauszusetzen, müßten wir ja diese Welt schon insofern kennen, daß wir wüßten, sie enthalte mannichfaltige Dinge oder wirkliche Theile, und woher wollen wir dies bey der undurchdringlichen | Kluft, die der Verfasser zwischen beyden Welten setzt, hier in der Sinnenwelt erfahren? Aber gesetzt, wir wüßten es, daß der Mensch, insofern er Vernunft besitzt, ein Ding an sich selbst sey, so wüßten wir ja auch zugleich mit ebenderselben Gewißheit, daß das vernünftige Wesen nicht blos dem Scheine nach, sondern wirklich in sich ein denkendes für sich bestehendes Subject, oder eine denkende Substanz sey, denkend, weil Vernunft schlechterdings das Denken in sich schließt, und sich eine undenkende Vernunft nicht denken läßt – eine Substanz, weil dieses Ding an sich selbst unmöglich anders, als unter der Voraussetzung, daß es ein für sich bestehendes Subject sey, als eine wahre Ursache von wahren Wirkungen oder Dingen an sich selbst (den freyen Handlungen) kann gedacht werden. Und so kämen wir dann ganz unvermerkt auf die gewöhnlichen Begriffe nicht nur von Ursache und Wirkung, sondern auch von Substanz und Accidenz wieder zurück, die der Verfasser als blos logisch, und nur auf Erscheinungen anwendbar, durchgehends, insonderheit in seinem Paralogismus der Vernunft vorzustellen sucht, hier aber, wie es mir scheint, als objectiv, oder für die Verstandeswelt gültig annehmen muß. – Wenn die Handlungen des Menschen in sich frey sind, und nur nothwendig scheinen, so frage ich, wem erscheint der Mensch und seine Handlungen als blosses Phänomen und Erscheinungen? Unstreitig muß irgend ein Subject zu diesem Behuf angenommen werden, denn es würde äußerst widersinnig seyn, von Erscheinungen als Dingen zu reden, die gewissermassen für sich selbst und ohne Beziehung auf ein vorstellendes Subject bestehen, und anderswo als in einer Vorstellung, und zwar einer irrenden, eingeschränkten, und unrichtig wahrnehmenden Vorstellung existiren könnten – Also der Mensch mit seinen Handlungen ist dem Menschen selbst eine Erscheinung. – Ich frage weiter: dem Menschen insofern er Erscheinung, oder insofern er
nämlich anders, als in der Zeit, und weil sie ihn in der Zeit nicht haben kann, so kann sie folglich gar keinen Anfang haben. Mit eben dem Rechte kann man nun auch schließen, soll ein Zustand einen Anfang haben, so muß er ihn in der Zeit haben, und soll er ihn in der Zeit nicht haben, so kann er gar keinen Anfang haben. Folglich hebt sich nach dieser Schlußart der Begriff der Freyheit, insofern er den Zeitbegriff ausschliessen soll, von selbst auf.
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ein Ding an sich selbst ist? Das erstere anzunehmen oder zu sagen, Eine Erscheinung erscheint der andern Erscheinung, dies dünkt mich wieder so äußerst widersinnig, daß man wohl das letztere, und also als eine Folge davon auch dies annehmen muß: daß dem Menschen, als einem Dinge an sich selbst, seine wirklich freyen Handlungen (die gleichfalls Dinge an sich selbst sind) als nothwendig erscheinen, d. i. anders vorkommen, als sie an sich selbst sind. Folglich sind es Dinge an sich selbst, Dinge zur objectiven Verstandeswelt gehörig, die er schauet, aber | freylich durch den Nebel der Sinnlichkeit verdunkelt, und verstellt. Und so kämen wir dann im Grunde auf den Leibnitzischen Idealismus, den der Verfasser so sehr verwirft, zurück, und der einzige Unterschied zwischen diesem und des Verfassers critischen Idealismus würde nur noch darin bestehen, daß Leibnitz den seinigen blos auf die Objecte des äußern Sinnes im Raum ziehet, der Verfasser den critischen aber auch auf die Objecte des innern Sinnes in der Zeit ausdehnet, darin aber müßten nach dieser Voraussetzung beyde Weltweisen übereinstimmen, daß aller Schein und alle Täuschung nur von den Sinnen, oder von dem eingeschränkten Vorstellungsvermögen herrühret, insonderheit insofern es sich als Sinnlichkeit äussert. Auch darin würde sich nach dieser Auflösung der Verfasser von seinem eigenen System entfernen, und sich dem Leibnitzischen nähern, daß beyde sonst so gänzlich getrennte Welten in so genaue Verbindung gesetzt würden, daß die Verstandeswelt nicht nur das eigentliche Object, und das Materiale der Sinnenwelt ausmacht, sondern daß die eine in die andere eingreift und wirkt; denn die Vernunft, ein Ding an sich selbst, ein Theil der objectiven Verstandeswelt, verursachet und bestimmt scheinbare Handlungen in der Sinnenwelt, zwar freylich zunächst nur freye Handlungen in der Verstandeswelt, aber diese werden wieder scheinbar, und Theile der Sinnenwelt, insofern sie von den Menschen nicht für das, was sie in sich sind, nämlich für frey, sondern für nothwendig gehalten werden. Es mag mit diesen Zweifeln und Schwierigkeiten gegen des Verfassers Theorie von Schein und die Anwendung derselben auf seinen Freyheitsbegriff genug seyn. Ich wiederhole es noch einmal, daß sie entweder ganz, oder zum Theile aus Mißverstande herrühren mögen; indessen wäre es doch, da sie auch andern Untersuchern des Kantischen Systems vorkommen können, wohl nöthig, daß sie weggeschafft würden, wenn dies System als lichtvoll und mit sich selbst bestehend anerkannt werden soll. Ich kehre itzt zu meinem Begriffe von Raum und Zeit zurück, und merke nur noch an, daß bey der nöthig scheinenden Berichtigung der Theorie vom Schein und Wahren, dann auch der Umstand (wofern er gegründet gefunden würde) nicht aus der Acht zu lassen seyn würde, daß der Begriff der Zeit (und folglich alle sich darauf beziehende), weil er nicht blos, wie der Begriff vom Raum, nur auf die Mehrheit, sondern auch zugleich auf die Veränderlichkeit der Objecte sich gründet, folglich mehr | objectives, als dieser hat, auch weniger scheinbares und täuschendes, und dagegen mehr wahres, objectives und reeles haben müsse. Zweytens würden nach unsern Begriffen von Raum und Zeit die Erscheinungen und die Dinge an sich, die subjective Sinnenwelt, und die objective intelligible Welt in eine wirkliche und wahre Verbindung gebracht, und so der wichtigste, und nach
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meiner Einsicht wesentliche Fehler, der in dem ganzen System des Verfassers herrscht, vermieden werden können. Es ist dieser, daß nach demselben eine objective intelligible Welt ganz umsonst, und Dinge an sich, wie wir in unserm Provinzialdialect sagen, für nichts und wieder nichts angenommen werden. Wäre es nicht darum zu thun, um dem schwebenden Ganzen eine Art von Haltung und Fundament zu geben, so würde es schlechterdings keiner, als scheinbarer Objecte, und keiner andern, als blos logischer Subjecte bedürfen.* Aber diese Haltung und dies Fundament sind doch nur scheinbar. Es giebt keinen wahren Zusammenhang zwischen der Sinnenwelt und der intelligibeln, denn alsdann müßten die Dinge an sich selbst wirklich die Gegenstände unserer Sinnlichkeit seyn, und wie wollten wir sie dann anders, als im Raume schauen? wie anders, als in der Zeit und nach Zeitbestimmungen wahrnehmen? Raum und Zeit sind also das einzige Medium zwischen den Dingen an sich selbst und unserm Vorstellungsvermögen, durch welches die Communicationsstrasse zwischen beyden Welten geht. Nun aber, da Raum und Zeit blos subjective Formen unserer Sinnlichkeit sind, nichts objectives in sich schließen, auf nichts objectivem gegründet sind, folglich sich auf Dinge an sich selbst gar nicht be | ziehen, so ist dadurch alle Communication abgeschnitten, und eine solche Kluft zwischen beyden Welten befestiget worden, daß die Dinge an sich selbst so wenig zu unserer Erkenntniß gelangen, als unser Vorstellungsvermögen bis zu ihnen herüber reichen kann. Der Verfasser macht der Leibnitzischen Philosophie den freylich nicht ungegründeten Vorwurf, daß sie den Sinnen das leidige Geschäft anweise, der Seele ein verdunkeltes und verstelltes Bild von der objectiven intelligibeln Welt darzustellen. Aber ich denke, dies Geschäft ist doch nicht so verhaßt, als wenn man die Sinne ein ganz falsches Bild darstellen läßt, und dies thut der Verfasser wirklich. Nach Leibnitz sind unsere Sinne ein angelaufenes grobgeschliffenes Sehglas, wodurch unsere Seele wirklich die Dinge an sich selbst beschauet, obgleich in dunkler dämmernder Ferne, und hin und wieder etwas verzerrt, verstellt und verschoben; aber nach unserm Verfasser sind sie ein Glas, auf dessen Außenseite gleichsam ein ganz fremdes Gemälde geklebt ist, das gar nicht die objective Welt, nicht einen Zug derselben, sondern eine von derselben ganz isolirte, übrigens schön illuminirte, in allen ihren Theilen, vermittelst des Verstandes und seiner Begriffe wohlgeordnete, und mit unsern Sehwerkzeugen vortrefflich harmonirende, und lediglich zu ihnen passende, für sie bestimmte Landschaft darstellt. Bey weitem dem größten Theile derer, die durch das Telescop der Sinne
* Das ganze Raisonnement des Verfassers, wodurch er den sogenannten Paralogismus der Vernunft in seiner Blösse darstellen will, läuft darauf hinaus, daß er zu zeigen sucht: die Einheit des Bewußtseyns führe uns nicht weiter als auf die Voraussetzung eines scheinbaren und logischen, d. i. zum Behuf des Denkens anzunehmenden Subjects, berechtige uns aber keineswegs, auf das wirkliche Daseyn Einer denkenden Substanz zu schließen. Wir müssen also annehmen, daß wir mit einem blos scheinbaren logischen Subjecte auslangen und fertig werden können. Wäre dies nicht, so würde man von dem letztern mit Recht auf das Daseyn der ersten schließen können.
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sehen, fällts gar nicht ein, daß das, was sie sehen, nicht die wirkliche wahre Außenwelt seyn, und daß sie nicht wirklich in sich so beschaffen seyn sollte, wie sie sie erblicken. Nur einige wenige werden durch die verstellten, und ihrer Meynung nach nicht recht zu einander passenden, mit ihrer geübtern, oder spitzfindigern Urtheilungskraft nicht völlig harmonirenden Züge des Gemäldes auf den Verdacht gebracht, daß sie wohl die Dinge nicht völlig in ihrer eigentlichen und wahren Gestalt erblicken, und daß jene disharmonirende Züge wohl auf die Rechnung des unvollkommenen Instruments und ihrer eingeschränkten Sehkraft zu setzen sind. Noch ein anderer wollte sein Sehrohr gleichsam umkehren, und mit demselben nicht außer sich, sondern in sich hineinsehen, weil er wähnte, daß es gar keine zu schauende äußere Dinge, keine objective Welt gäbe, noch geben könne; alles, was sich also ihm dadurch darstellte, wären nur in seiner Seele auftretende und abwechselnde Gedankenbilder, wovon einige aber mit so bewundernswürdiger Kunst vorgestellt würden, daß man glauben müsse, es | wären nicht eitle Bilder in uns, sondern wirkliche Gegenstände außer uns. Endlich kam unser Verfasser, und erklärte, nachdem er unser Sehrohr aufs genaueste untersucht hatte, daß, ob es gleich wirklich außer uns eine objective Welt und reelle Dinge gäbe und geben müsse, wir dennoch mit unserm Instrumente, und durch dasselbe, wegen seiner besondern Form nicht das geringste davon erblicken, noch etwas davon entdecken können. Was wir zu sehen glaubten, wären eitel Erscheinungen, die auf dem Instrumente selbst, vermittelst seiner künstlichen Schleifung und Construktion hervorgebracht und gebildet würden; indessen könnten uns diese Erscheinungen eben die Dienste thun, als wenn es wirkliche Realitäten wären, wenn wir nur wüßten, gehörig sie zu ordnen, einzutheilen, und zu einem regelmäßigen Ganzen zu verbinden. Doch alle Vergleichungen bey Seite gesetzt, können wir immer behaupten, daß nach des Verfassers System die intelligible objective Welt so gut als vernichtet für uns ist, denn wenn ja Dinge an sich existiren, so existiren sie doch ganz abgetrennt von der Sinnenwelt, in der alles bleibt, wie es ist, alles seinen richtigen regelmäßigen Gang fortgeht, es mag noch eine objective Welt geben oder nicht. Ja wir dürfen nicht einmal annehmen, daß die eine um der andern willen da ist, und daß die eine nach der andern harmonisch eingerichtet ist, oder daß zwischen der Sinnenwelt und der intelligibeln eine vorher bestimmte Harmonie statt finde; denn wenn auch beyde Welten nur durch diesen subtilsten Faden aneinander hiengen, so müßte auch unsere Sinnlichkeit und die Form derselben, die Begriffe von Raum und Zeit, eine Beziehung auf die vorzustellende Verstandeswelt haben, und nach derselben eingerichtet seyn, oder mit andern Worten, diese Form unserer Sinnlichkeit konnte in diesem Falle nicht mehr blos subjectiv seyn, sondern mußte auch zugleich objectiv, und im Objectiven gegründet seyn. Drittens dürften wir nun auch dies vorausgesetzt annehmen, daß, so wie die Begriffe von Raum und Zeit nicht blos subjectiv, sondern auch zugleich objectiv sind, es sich mit den Verstandesbegriffen und den Ideen der Vernunft eben so verhalte, und dies würde dann selbst in Ansehung des ganzen Resultats der Critik der reinen Vernunft, daß nämlich die an sich ganz leeren Verstandesbegriffe schlech-
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terdings keine andere Anwendung, als auf Erscheinungen gestatten, und daß sie so wenig, als die Vernunftideen über das Feld der Erfahrung | dogmatisch hinaus zu treiben sind, noch einige Einschränkung und Berichtigung nöthig machen. Sind die Begriffe von Zeit und Raum nicht blos subjectiv, so können es auch die Verstandesbegriffe schon aus dieser Ursache nicht seyn, weil sie bestimmt sind, die in Raum und Zeit gegebenen Erscheinungen zu bearbeiten, in Ordnung zu bringen, und denkbar zu machen. Denn wenn diese Erscheinungen selbst etwas objectives haben, wenn ihr Substratum und ihr eigentlicher Grundstoff Dinge an sich selbst sind, oder wenn, wie Herr K. sich in einer andern Schrift, nämlich seiner Grundlegung zu einer Metaphysik der Sitten, hierüber mit deutlichen Worten (freylich meiner Einsicht nach sehr abstimmig von den Grundsätzen der Critik) erklärt: Die Verstandeswelt den Grund der Sinnenwelt, mithin auch der Gesetze derselben enthält; so mußte auch die Natur des Verstandes, und die Beschaffenheit seiner Begriffe, um zu diesem Objectiven zu passen, um es gehörig bearbeiten zu können, um keine Gesetze hineinzutragen, die den Gesetzen der Verstandeswelt widersprechen, oder denselben nicht angemessen wären, mit dieser Verstandeswelt und ihren Gesetzen harmonisch gestimmt und eingerichtet angenommen werden. Giebt es ohnedem in der intelligibeln Welt eine wirkliche Mehrheit der Objecte, die wirklich veränderlich sind, und sich verändern, so müssen zwischen ihnen auch analogische Relationen, und zwar der Inhärenz, der Causalität, und des Wechseleinflusses angenommen werden, Relationen, von denen es nun höchst wahrscheinlich wird, daß sie den Relationen in der Sinnenwelt zum Grunde liegen und entsprechen, z. B. die Verhältnißbegriffe von Ursache und Wirkungen, vom Wechseleinflusse dürften in diesem Verhältnisse der Dinge an sich, vermöge dessen sie alle zu Einem System der Wesen gehören und es ausmachen, eins um des andern willen da ist, mit einem Worte in der allgemeinen Harmonie aller Theile der intelligibeln Welt gegründet seyn. Die allgemeinen Gesetze der Natur: Nichts geschieht von Ohngefähr, nichts geschieht durch einen Sprung; es giebt keine Lücken, es giebt kein Fatum, diese Gesetze, die Hr. K. aus der Natur unsers Denkungsvermögens a priori herleitet, und als nothwendige Gesetze des Denkens aufstellt, sind von allen andern Philosophen (wenn man diejenigen Idealisten ausnimmt, welche die Außenwelt ganz vernichteten), entweder so betrachtet worden, als ob sie aus der Betrachtung der Natur geschöpfet, und aus einer beständigen Erfahrung | abstrahirt worden, oder als Axiome, die keines Beweises bedürften, vorausgesetzt worden. Gegen die erstere Vorstellung wendet Hr. K. ein, daß sie alsdann das Gepräge, oder den Charakter der Nothwendigkeit, der sie so eigenthümlich bezeichnet, nicht haben könnten. Gegen diese Einwendung ließe sich nun freylich erinnern, daß die nie fehlende Beständigkeit dieser Naturgesetze, die sich bey allen Erfahrungen wieder finden, ja gewissermassen allen Erfahrungen zum Grunde liegen, eine unauflösliche Association der Begriffe knüpfe, vermöge der wir sie für nothwendig halten müssen, wenn wir ihre Nothwendigkeit auch nicht strenge zu erweisen, oder rechtmäßig zu deduciren wüßten. Aber es lassen sich noch auf eine andere Art beyde Meynungen vereinigen, wenn wir annehmen, daß nach eben den Gesetzen, die dem menschlichen Ver-
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stande zu seinen Operationen vorgeschrieben sind, auch die Verbindung, die Wirkungen und Gegenwirkungen der Theile der objectiven intelligibeln Welt eingerichtet sind; wenn also z. B. die Natur unsers Geistes durchaus verknüpfte Vorstellungen erheischet, so waren auch die Dinge, die seine Vorstellung beschäftigen sollten, mit diesem Gesetze übereinstimmend, gleichfalls in Verbindung gesetzt.* Ich denke, wir müssen uns die Sache also vorstellen, denn es sind doch nur überhaupt diese drey Fälle möglich, nämlich, entweder hat die Verstandeswelt schlechterdings gar keine Gesetze, oder sie hat ganz andere, und von den Gesetzen der Sinnenwelt ganz abstimmige Gesetze, oder die Gesetze beyder Welten stimmen mit einander überein, und sind im Grunde ebendieselbigen. In Ansehung des ersten Falles, will ich mir nun nicht einmal die oben aus des Verf. Grundlegung zu einer Metaphysik der Sitten angezogene merkwürdige Erklärung über die Verstandeswelt und deren Gesetze zu Nutze machen, sondern nur bemerken, daß alles, was existirt, es sey, was es wolle, eine Form der Existenz haben, oder auf eine gewisse bestimmte | Weise existiren müsse, und eben diese Form der Existenz, diese Art und Weise, wie die Verstandeswelt da ist, macht ihre Gesetze aus. Sollte sie ein vollkommenes Eins, und das nothwendige Ding seyn, nun so ist diese vollkommene Einheit, diese unbedingte Nothwendigkeit ihr Gesetz. Besteht sie aber aus Theilen, so müssen diese Theile auf eine gewisse bestimmte Weise beysammen seyn, und so macht die Art dieses Beysammenseyns ihr Gesetz aus. Nehmen wir den zweyten Fall an, so müßten wir behaupten, daß unser Verstand die Dinge an sich wider ihre Natur und nach Gesetzen, die mit den ihrigen streiten, folglich ganz verkehrt und falsch bearbeite, und so könnte dann nichts anders, als eine durchgängige Täuschung davon die Folge seyn, und unsere obigen Beschuldigungen gegen des Verfassers System, daß nach demselben die Verstandeswelt für uns so gut als vernichtet würde, wären dadurch völlig bestätiget und gerechtfertiget. Es bleibt uns also nur der dritte Fall übrig, an den wir uns um so viel mehr halten müßten, weil wir uns aus dieser vorausgesetzten Harmonie der Gesetze beyder Welten, aus dieser Uebereinkunft von beyden Seiten in dem Allgemeinen aller Erfahrung erklären können, warum diese Gesetze der Natur, die auch zugleich die Gesetze des menschlichen Denkens sind, insofern sie es zugleich sind, uns als nothwendig vorkommen müssen, und wie und warum es möglich sey, daß der Geist sie aus seiner Natur a priori schöpfen, oder gleichsam, durch eine Synthesis vorherbestimmen könne, daß sie in jeder Erfahrung vorkommen müssen; aber es macht uns auch begreiflich, wie Philosophen, die weniger die Natur und den Gang ihres Geistes in seinen Operationen, als die äußere Erfahrungswelt beobachtet, und zum Gegenstande ihres Nachdenkens * Auf diese Art hat schon der Commentator von Hartleys Betrachtungen über den Menschen versucht, für die allgemeine Gültigkeit des Satzes vom zureichenden Grunde, aus der Natur des menschlichen Geistes, der nichts als verknüpfte Vorstellungen denken kann, und aus der in dieser Rücksicht zwischen der objectiven Natur der Dinge, und der Natur unserer Denkkraft bestehenden Harmonie einen psychologischen Beweis zu geben. Hartleys Betracht. über den Menschen. 1. Theil. S. 62.
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gemacht, eben diese Gesetze, als in dieser liegend und gegeben betrachten konnten. Sonach würde des Verfassers ausnehmend scharfsinnige Deduction der Verstandesbegriffe, und die deutliche Darstellung, wie durch dieselben und durch die Ideen der reinen Vernunft für das logische Bedürfniß und Interesse des systematischen Denkens gesorgt worden, in ihrem völligen Werthe bleiben; nur würde, wenn man eben die Gesetze, die darin als6 dem menschlichen Geiste gegeben, vorgestellt werden, auch als Gesetze der objectiven Verstandeswelt annähme, eine wahre Verbindung zwischen der Sinnen- und der Verstandeswelt gestiftet, und eine bewundernswürdige Harmonie festgestellt werden, Alsdann nur bekäme unser Vorstellen und Denken | ein zuverläßiges und sicheres Fundament, das, weil es den Hirngespinnsten, Träumereyen und Visionen fehlt, das eigentliche und einzige Merkmal ausmacht, wodurch sich ächte Empfindungen von Phantasmen, und wahres natürliches Denken von falscher Philosophie und Schwärmereyen aller Art unterscheiden ließe. Ich muß zu Ende eilen, sonst würde ich mich über Unterschied der Empfindung und der herrschenden Phantasie, auf welche, wie der Recensent der Critik der reinen Vernunft, A. D. Bibl. II. Abth. des Anh. zum XXXVII–LII. Bande, S. 860. richtig bemerkt, von dem Verfasser keine Rücksicht genommen worden, noch weiter auslassen. Nur dies muß ich anmerken, daß für eine gehörige und sichere Unterscheidung beyder Seelenzustände nach dem System des Verfassers meiner Einsicht nach, nicht hinlängliche Vorsorge getragen werde. Wenn durchaus in unsern Empfindungen nichts Reelles zum Grunde liegen, sie gar nichts Objectives enthalten, und unsere Verstandesbegriffe, Grundsätze und Operationen sich blos auf Erscheinungen beziehen und damit beschäftigen, folglich alles nur subjectiv seyn sollte, so läßt sich schwerlich ein zuverläßiger Unterscheidungscharakter ächter Empfindungen von Phantasmen angeben, denn da beyde blos subjectiv sind, und mit dem Objectiven nichts zu thun und nichts gemein haben, so läßt sich nicht wohl erklären, woher es komme, daß einige dieser blos subjectiven Vorstellungen, nicht nur durchgängig mit den Vorstellungen anderer, für gescheid und vernünftig gehaltener Menschen übereinstimmen, und von ihnen als wahr und ächt anerkannt werden, sondern auch hauptsächlich, warum einige derselben mit den wirklichen Erfordernissen, Bedürfnissen und Geschäften des Lebens und der menschlichen Gesellschaft übereinstimmen und andere nicht, warum, wenn ich nach dem einen handle, ich meines Wunsches und Zweckes theilhaftig werde, und wenn ich mich durch meine Phantasmen, so überzeugt ich auch von ihrer Wirklichkeit bin, leiten lasse, ich allenthalben anstoße, und als ein Thor befunden werde. Man könnte vielleicht sagen, daß man sich diesen Unterschied daher erklären könne, daß ein gescheidter vernünftiger Mensch nach allen Gesetzen des Vorstellungs- und Denkungsvermögens ohne Ausnahme sich in seinen Empfindungen und Gedanken richtet, der Phantast und wahnsinnige Träumer hingegen in Ansehung seiner Phantasmen und Visionen nur nach einigen, oder daß diese Phantasmen und Visionen sich blos dadurch | von ächten Empfindungen und wahren natürlichen Gedanken unterschei6
Im Original fehlt das »als«.
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den ließen, daß sie nicht, wie diese, mit sämmtlichen Grundsätzen und Regeln des vernünftigen Denkens, sondern nur mit einigen derselben übereinstimmen. Allein theils würde dies doch das Objective nicht ausschließen und überflüßig machen, theils läßt sich auch dagegen einwenden, daß es wirklich Phantasten und Träumer giebt, die ihre Visionen in ein solches regelmäßiges Vernunftsystem zu bringen wissen, daß man ihnen keinen Verstandesbegriff, kein Axiom entgegensetzen kann, das sie nicht vermögend sind, mit ihrem Hirngespinnste zu vereinigen, und demselben anzupassen, und endlich, daß es überhaupt nicht unmöglich seyn könne, wenn man (wie die Erfahrung bey solchen Wahnsinnigen lehrt, deren Wahnsinn in irgend einer fixen Idee bestehet) einige der Begriffe und Grundsätze des Verstandes mit solchen Phantasmen in Harmonie bringen kann, dieses auch in Ansehung aller übrigen zu bewerkstelligen. Es kömmt mir also überwiegend wahrscheinlich vor, das man etwas Objectives als in den Empfindungen und Gedanken zum Grunde liegend, annehmen müsse, wenn man ein sicheres Unterscheidungsmerkmal zwischen ächter und falscher Empfindung, wahren natürlichen Gedanken und Schwärmereyen ausfinden will.* Insofern dies nun nur nach der bisher vorgetragenen Art über Raum und Zeit zu denken, möglich seyn dürfte, würde dies noch ein neuer mit derselben verknüpfter Vortheil seyn. Endlich würde nur alsdann die Verbindung zwischen den Dingen an sich und unserm Verstande, zwischen den Gesetzen derselben, und den Gesetzen der menschlichen Denkkraft, und die Harmonie zwischen der objectiven und der subjectiven | Welt durchgängig und ganz vollkommen seyn, wenn wir auch annehmen dürften, daß den Ideen der reinen Vernunft gleichfalls wahre Objecte zum Grunde liegen und entsprechen. Dies würde dann sowohl von der psychologischen und cosmologischen, als auch insonderheit von der theologischen, oder von dem sogenannten Ideal der reinen Vernunft gelten. Und was wäre dies anders, als eine höchste und vollkommenste Vernunft, wenn wir unter der Vernunft dasjenige verstehen, was unter den Noumenen unserer menschlichen discursiven Vernunft analogisch ist, und entspricht, damit wir allen, auch den feinsten Anthropomorphismus vermeiden. Genug, das Ideal der reinen Vernunft würde uns dann für einen wahren wirklichen Gegenstand gelten müssen, durch den alle jene vollkommene bewundernswürdige Harmonie zwischen unserm Verstande und den Objecten, zwischen der Sinnen- und der Verstandeswelt gedacht und gebildet worden. Und so würde dann Wahrheit nicht nur im Reiche der Gnaden (der Sitten), sondern auch im Reiche der Natur herrschen, dem Interesse der Wahrheit würde eben die Gerechtigkeit * Nähme man an, daß im Objectiven und im Subjectiven, in der allgemeinen Natur der Dinge, und in der Natur des menschlichen Geistes einerley Gesetze und ein harmonischer Gang statt finde, so würde daraus auch begreiflich, daß das Studium und die Beobachtung der erstern die Kenntniß und den regelmäßigen Gang des letztern berichtigen und befördern, und die genaue Kenntniß und Befolgung der Gesetze des Geistes, die Kenntniß und Beobachtung der Natur überhaupt erleichtern und berichtigen, mit einem Worte, daß sich beyde so wichtige wechselseitige Dienste leisten müssen, wie die Erfahrung zu bewähren scheint.
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geschehen, die der Verfasser nur dem Interesse der Sitten wiederfahren läßt, und so würde keine partheyische Vorliebe zu den sittlichen Ideen und Grundsätzen und keine unverdiente Zurücksetzung der blossen Erkenntnißideen und Grundsätze weiter statt finden. Ich schließe hiemit diese schon zu weitläufigen Reflexionen über das Kantische System, ohne mich in eine nähere Erörterung derjenigen Einschränkungen, Modificationen oder Berichtigungen einzulassen, die dessen Hauptsatz über den Gebrauch, oder vielmehr Nichtgebrauch des Verstandes außer dem Felde der Erfahrung bedürfen möchte. Auch sage ich nichts zur Vertheidigung von Leibnitzens bekannten Grundsätzen gegen die Einwürfe des Verfassers, ob ich gleich glaube, daß sie sich allerdings rechtfertigen lassen, und daß in den bisherigen Erinnerungen, wofern sie nicht ganz ungegründet seyn sollten, bereits einiger Stoff und einige Winke zur Vertheidigung derselben gegeben worden. Es mag immer Verwegenheit scheinen, daß der Rec. ein blosser Liebhaber speculativischer Untersuchungen, dem Ersten unserer speculativen Denker in seinem System der Frucht des Nachdenkens vieler Jahre, Fehler zeigen will, wenn es aber nur den Nutzen hat, theils Hrn. K. zu einer nähern Erklärung und Wegräumung der wahren oder eingebildeten Schwierigkeiten und Anstöße in seinem System zu veranlassen, oder | geschicktere und schärfere Prüfer desselben zu erwecken, oder überhaupt nur Gelegenheit zu geben, die für Denker so äusserst wichtigen Gegenstände, die Hr. K. auf eine so originale Weise behandelt hat, aus der todten Stille, worin sie begraben liegen, hervorzuziehen, und zur Untersuchung zu bringen, so würde es schon nicht umsonst seyn, diesen etwanigen Versuch einer Prüfung gewagt zu haben. Und wenn auch Nichts von dem, was ich wider die Kritik und das System derselben vorgebracht habe, sich bey einer Gegenprüfung erhalten sollte, so würde ich doch nicht Ursache haben, meine Bemühungen zu bereuen, wenn sie mir über wichtige und interessante Punkte Belehrung verschafften.7 Immer aber bleibt mir das in magnis voluisse sat est zur Entschuldigung und dem eben so Wahrheitliebenden als tiefdenkenden Weltweisen, von dem ich Belehrung über meine Zweifel erwarte, muß jeder auch noch so unvollkommener Versuch, sein Meisterstück zu beurtheilen, immer angenehmer und willkommener seyn, als die stille Gleichgültigkeit (und selbst als bewundernder, durchgängig, aber uncritischer Beyfall) womit es so viele, die es prüfen sollten und konnten, bisher aufgenommen haben.
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Im Original: »verschaffte«.
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2 Rezension der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Grundlegung zur Metaphysik der Sitten von Immanuel Kant. Riga, bey Hartknoch. 1785. 8. 128 S. | In dem Vorsatz, dereinst eine Metaphysik der Sitten zu liefern, die eine reine Moralphilosophie, die von allem, was nur empirisch seyn mag, völlig gesäubert sey, läßt Hr. Prof. Kant diese Grundlegung vorangehen, worin er das Subtile, das in der Metaphysik der Sitten unvermeidlich ist, vorträgt, um es nicht künftig faßlichern Lehren beyzumischen, und das oberste Prinzip der Moral aufsuchen und festsetzen will, welches er für ein in seiner Absicht ganzes und von allen andern sittlichen Untersuchungen abzusonderndes Geschäft hält. Er ist der Meynung, daß es von der äußersten Nothwendigkeit sey, einmal eine reine Moralphilosophie zu bearbeiten, denn daß es eine solche geben müsse, leuchte von selbst aus der gemeinen Idee von Pflicht und von sittlichen Gesetzen ein – und zwar nicht blos aus einem Beweggrunde der Speculation, um die Quelle der a priori in unsrer Vernunft liegenden praktischen Grundsätze zu erforschen, sondern weil die Sitten selbst allerley Verderbniß unterworfen bleiben, so lange jener Leitfaden und oberste Norm ihrer richtigen Beurtheilung fehlet. Der Verf. hat hiebey den Gang genommen, der seiner Meynung nach, der schicklichste ist, wenn man von gemeinen Kenntnissen zur Bestimmung des obersten Prinzips derselben analytisch, und wiederum zurück, von der Prüfung dieses Prinzips und der Quelle desselben zur gemeinen Erkenntniß, darin sein Gebrauch angetroffen wird, synthetisch den Weg nehmen will. Es hat also diese merkwürdige Schrift folgende drey Abschnitte erhalten. I. Uebergang von der gemeinsittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen. II. Uebergang von der populären Moralphilosophie zur Metaphysik der Sitten. III. Letzter Schritt von der Metaphysik der Sitten zur Critik der reinen praktischen Vernunft. Ich werde die Hauptsätze des Verf. ausziehen, und einige erläuternde und prüfende Anmerkungen hinzusetzen. Der Verf. bemerkt zuerst, daß ohne Einschränkung nichts für gut zu halten sey, als ein guter Wille, daß dieser Wille, nicht durch das, was er bewirkt und ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung8 irgend eines vorgesetzten Endzwecks, sondern allein durch das Wollen d. i. an sich gut sey, und für sich betrachtet, ohne Vergleichung weit höher zu schätzen sey, als alles, was durch ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja, wenn man will, der Summe aller Neigungen, nur immer | zu Stande gebracht werden könnte. Der Verf. gesteht, daß in diesem Grundsatz zur Schätzung des Werths des Willens etwas Befremdliches liege, ob er gleich die Beystimmung auch der gemeinen Vernunft haben soll; er hält es also für nöthig 8
Im Original: »Erreichtung«.
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ihn noch näher zu prüfen. Hiebey wünschte ich nun, daß es dem V. beliebt hätte, vor allen Dingen den allgemeinen Begriff von dem, was gut ist, zu erörtern, und was er darunter versteht, näher zu bestimmen, denn offenbar müßten wir uns erst hierüber einverstehen, ehe wir über den absoluten Werth eines guten Willens etwas ausmachen können. Ich bin also berechtigt zuerst zu fragen, was ist überhaupt gut, und was ist insonderheit ein guter Wille? Läßt sich auch ein an und für sich, und ohne Beziehung auf irgend ein Object betrachteter guter Wille gedenken? Sagt man: das ist gut, was allgemein gebilligt und geschätzt wird, so darf ich weiter fragen, warum wird es gebilligt und geschätzt, geschiehts mit Recht und mit Grunde oder nicht? Eine allgemein übereinstimmende Billigung, wenn sie auch in irgend einem Stücke statt fände und möglich wäre, würde doch einem philosophischen Forscher nie für den letzten Entscheidungsgrund gelten können. Hier sehe ich nun nicht, wie man überhaupt irgend etwas als schlechterdings und ganz absolut gut annehmen, oder etwas gut nennen könne, das in der That zu nichts gut wäre, und eben so wenig, wie man einen absolut und blos in sich betrachtet, guten Willen annehmen könne. Allein der Wille soll nur in Beziehung auf irgend ein Object desselben absolut gut seyn, nicht in Beziehung auf sein Prinzip oder ein Gesetz, um dessentwillen er handelt. Es sey so; dann frag ich weiter: ist es hinlänglich einen Willen zum Guten zu machen, daß er nur nach irgend einem Prinzip oder aus Achtung gegen irgend ein Gesetz handle, sey es wie es wolle, gut oder böse? – unmöglich, also muß es ein gutes Prinzip, ein gutes Gesetz seyn, dessen Befolgung einen Willen gut macht, und die Frage, was ist gut? kehrt also wieder zurück, und wenn wir sie vom Willen bis auf das Gesetz zurückgeschoben hatten, so müssen wir sie nun doch hier auf eine genugthuendere Weise beantworten; d. i. wir müssen nun endlich doch auf irgend ein Object oder auf den Endzweck des Gesetzes kommen, und müssen das Materielle mit zu Hülfe nehmen, weil wir, mit dem Formalen 9 weder des Willens noch des Gesetzes auslangen. Was hieraus für das ganze Moralsystem folge, werden wir hernach sehen. Nun fahre ich fort eine Bemerkung des Verf. mitzu | theilen, wodurch er seinen obigen Grundsatz vom Werth eines absolut guten Willen bestätigen will. Es ist diese: daß falls an einem Wesen, das Vernunft und Willen hat, seine Erhaltung, sein Wohlergehen, mit einem Worte, seine Glückseligkeit der eigentliche Endzweck der Natur wäre, sie ihre Veranstaltungen dazu sehr schlecht (ganz dem Grundsatz entgegen; daß in den Naturanlagen eines organisirten Wesens kein Werkzeug zu irgend einem Zwecke gefunden werde, als was auch zu demselben das schicklichste und ihm angemessenste sey,) getroffen habe, sich die Vernunft des Geschöpfs zur Ausrichterin dieser ihrer Absicht zu ersehen. Denn alle Handlungen, die es in dieser Absicht auszuüben hat, würden ihm weit genauer durch Instinct vorgezeichnet, und jener Zweck weit sicherer dadurch haben erhalten werden können, als es jemals durch Vernunft geschehen kann, die allenfalls ihm nur dazu hätte dienen können, um10 über die glückliche Anlage seiner Natur 9 10
Im Original: »Formale«. Im Original: »und«.
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Betrachtungen11 anzustellen, sie zu bewundern und der wohlthätigen Ursache danckbar zu seyn; nicht aber um sein Begehrungsvermögen jener schwachen und trüglichen Leitung zu unterwerfen, und in die Naturabsicht zu pfuschen. Mit einem Worte, sie würde verhütet haben, daß Vernunft nicht in praktischen Gebrauch ausschlüge u.s.w. Bey diesem Raisonnement ist, wie es mir scheint, weder auf die Frage, ob auch eine ganz unpraktische Vernunft möglich wäre, noch auf die Natur der sich nur allmählig entwickelnden Vernunft, und gleichfalls nur progressiven Glückseligkeit des Menschen gehörige Rücksicht genommen. Die Natur, sagt der V. hätte, wenn Glückseeligkeit ihr Zweck war, uns weit sicherer und ohnfehlbarer durch Instincte dazu geführet; ja, antworte ich, wenn Glückseeligkeit durch Vernunft, und Glückseeligkeit durch Instincte einerley ist, und zwischen beyden kein anderer Unterschied ist, als daß die erstere schwächer, geringer und mißlicher ist, als die letztere, und wenn wir auf den Umstand, daß wir sie unsern Bemühungen verdanken, auf den köstlichen Zusatz uns bewußt zu seyn, daß sie größtentheils das Werk unsrer Selbstthätigkeit ist, gar nicht rechnen dürfen – nun dann war es weit sicherer und zweckmäßiger den Menschen durch den Instinct zur Glückseligkeit zu treiben, oder welches einerley, eine thierische oder instinctmäßige Glückseligkeit zu geben. Aber wozu sollte ihm dann die Vernunft, die Einsicht und Erkenntniß von dem, was ihn glückselig macht, dienen? Sollte sie mit den Instincten, die uns zur Glückseligkeit treiben, völ | lig übereinstimmen, und dies müßte wohl seyn, wenn sie das ihr vom V. angewiesene Geschäft verrichten sollte, so würden sich ihre Maximen von den Leitungen unsrer Triebe nicht unterscheiden lassen, und wir würden es nie ausmachen können, wie viel Antheil an unsrer Beseligung der Zwang des Instincts oder die Wahl der Vernunft habe – oder sie sollte, mit dem Instinct uneinig die Zwangsgesetze desselben mißbilligen, und die Sclaverey der Sinnlichkeit verwerfen; alsdann würde sie nicht nur ein müßiger, sondern auch schädlicher Zusatz zu unserer mit sich selbst im Widerspruch stehenden Natur seyn, und alle Freuden der Triebe würden uns durch diese zwar vernünftige aber ganz unnütze Tadlerin gestöret und vergällt werden. Es scheinet also, wenn wir überall Vernunft haben sollten, so müßte es eine praktische Vernunft seyn, und wir sind nicht berechtigt aus dem Umstande, daß uns unsre nicht auf einmal vollkommne, sondern nur allmählig sich ausbildende Vernunft auch nur zu einer progressiven Glückseligkeit führet, die nemlich gleichfalls nicht auf einmal, nicht in irgend einem bestimmten Augenblick unsers Daseyns vollkommen ist, sondern mit unsrer sich vervollkommenden Vernunft so ziemlich parallel fortläuft; (es versteht sich wahre innere Glückseligkeit,) hieraus, sage ich, sind wir nicht berechtigt, zu schließen, weder daß unsre Glückseligkeit nicht ein Zweck der Natur sey, noch daß uns die Vernunft nicht gegeben sey, uns glückselig zu machen. Daß sie diesen Zweck aber so selten, so unvollständig erreicht, kann eben so wenig einen Grund abgeben, es zu leugnen, daß sie bestimmt sey, uns der Glückseligkeit theilhaftig zu machen, als ihre Unhinlänglichkeit und ihr Unvermögen, die Menschen auf irgend eine 11
Im Original: »Naturbetrachtungen«.
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beträchtliche Weise tugendhaft oder der Glückseligkeit würdig zu machen, etwas wider die Voraussetzung, daß uns die Vernunft als eine Führerin zur Tugend gegeben worden, beweisen kann. – Mit diesem ersten Satz hängt nun folgender zusammen: »eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Werth nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, und er hängt also nicht von der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung ab, sondern blos von dem Prinzip des Wollens, nach welchem die Handlung, unangesehen aller Gegenstände des Begehrungsvermögens geschehen ist.«12 – »Worin kann also,« setzt der V. hinzu, »der moralische Werth der Handlung liegen, wenn er nicht im Willen, in Beziehung auf deren verhoffte Wirkung liegen soll? er kann nirgends anders liegen, als im Prinzip | des Willens – denn der Wille ist mitten inne zwischen seinem Prinzip a priori, welches formell ist, und zwischen seiner Triebfeder, welche materiell ist, gleichsam auf einem Scheidewege; und da er doch durch irgend etwas muß bestimmt werden, so wird er durch das formelle Prinzip des Wollens überhaupt bestimmt werden müssen, wenn eine Handlung aus Pflicht geschieht, da ihm alles materielle Prinzip entzogen ist.« Dies formelle Prinzip drückt nun der dritte Satz so aus: »Pflicht ist die Nothwendigkeit der Handlung aus Achtung für das Gesetz,« es bleibt nemlich für den Willen nichts anders übrig, was ihn bestimmen, oder zu einem guten Willen machen kann, als objectiv das Gesetz, und subjectiv reine Achtung für dieses praktische Gesetz, mithin die Maxime, einem solchen Gesetze, selbst mit Abbruche aller meiner Neigungen Folge zu leisten. Zur weiteren Erläuterung dient folgendes: »13Alle Wirkungen, z. B. Annehmlichkeit des Zustandes, Beförderung des Glücks anderer konnten auch durch andere Ursachen zu Stande gebracht werden, (doch wohl nicht auf gleiche Art und in gleichem Maaße) und es brauchte also dazu nicht des Willens eines vernünftigen Wesens, worin gleichwohl das höchste und unbedingte Gut allein kann angetroffen werden; es kann also nichts anders als die Vorstellung des Gesetzes an sich selbst, die freylich nur in vernünftigen Wesen statt findet, so fern sie, nicht die verhoffte Wirkung der Bestimmungsgrund des menschlichen Willens ist, das so vorzügliche Gute, das wir sittlich nennen, ausmachen, welches in der Person, die darnach handelt, selbst schon gegenwärtig ist, nicht aber allererst aus der Wirkung erwartet werden darf.« Der Verf. fährt weiter fort: »was kann das aber für ein Gesetz seyn, dessen Vorstellung auch ohne auf die daraus erwartete Wirkung Rücksicht zu nehmen, den Willen bestimmen muß, damit dieser ohne Einschränkung gut heißen könne? Die bloße Gesetzmäßigkeit der Handlung ist überhaupt übrig, welche allein dem Willen zum Kennzeichen dienen soll: d. i. Ich soll niemals anders verfahren als so, daß ich auch wollen könne; meine Maxime soll ein allgemeines Gesetz werden. Hier ist nun die bloße Gesetzmäßigkeit überhaupt, (ohne irgend ein auf gewisse Handlungen bestimmtes Gesetz zum Grunde zu legen) das was dem Willen zum Prinzip dienet, und ihm auch dazu dienen muß, wenn Pflicht nicht überall ein leerer Wahn und chimärischer Begriff seyn soll, hie12 13
Anführungsstriche fehlen im Original. Anführungsstriche fehlen im Original.
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mit aber stimmt die gemeine Menschenvernunft in ihren praktischen | Beurtheilungen auch vollkommen überein, und hat das gedachte Prinzip jederzeit vor Augen.« Dies alles macht der V. durch folgendes Beyspiel deutlich, das ich abgekürzt hersetzen will. Es sey die Frage, ob ich, wenn ich im Gedränge bin, nicht ein Versprechen thun darf, in der Absicht es nicht zu halten. Ich mache hier leicht den Unterschied, den die Bedeutung der Frage haben kann, ob es klüglich, oder ob es pflichtmäßig sey, ein falsches Versprechen zu thun. Zwar sehe ich wohl, daß es nicht genug sey, mich vermittelst dieser Ausflucht aus einer gegenwärtigen Verlegenheit zu ziehen, sondern daß wohl überlegt werden müsse, ob mir aus dieser Lüge nicht hinterher viel größere Ungelegenheit entspringen könne, und da die Folgen bey aller meiner vermeinten Schlauigkeit, nicht so leicht vorauszusehen sind, daß nicht ein einmal verlornes Zutrauen mir weit nachtheiliger werden könnte, als alles Uebel, das ich jetzt zu vermeiden gedenke, ob es nicht klüglicher gehandelt sey, hiebey14 nach einer allgemeinen Maxime zu verfahren, und es sich zur Gewohnheit zu machen, nichts zu versprechen, als in der Absicht, es zu halten. Allein es leuchtet mir hier sehr bald ein, daß eine solche Maxime doch nur die besorglichen Folgen zum Grunde habe. Nun ist es doch ganz etwas anders aus Pflicht wahrhaftig zu seyn, als aus Besorgniß der nachtheiligen Folgen; indem im ersten Fall der Begriff der Handlung an sich selbst schon ein Gesetz für mich enthält, im zweyten ich mich allererst anderwärts her umsehen muß, welche Wirkungen wohl damit für mich verbunden seyn möchten. Denn wenn ich von dem Prinzip der Pflicht abweiche, so ist es ganz gewiß böse, werde ich aber nur meiner Maxime der Klugheit abtrünnig, so kann das mir doch manchmal sehr vortheilhaft seyn, wiewohl es freylich sicherer ist, bey ihr zu bleiben. Um indessen mich in Beantwortung dieser Aufgabe, ob ein lügendhaftes Versprechen pflichtmäßig sey, auf die allerkürzeste und doch untrüglichste Weise zu belehren, so frage ich mich selbst: würde ich wohl damit zufrieden seyn, daß meine Maxime (mich durch ein unwahres Versprechen aus Verlegenheit zu ziehen) als ein allgemeines Gesetz, sowohl für mich als für andre gelten solle, und würde ich wohl zu mir sagen können: es mag Jedermann ein unwahres Versprechen thun, wenn er sich in Verlegenheit findet, daraus er sich auf andere Art nicht ziehen kann; so werde ich bald inne, daß ich zwar die Lüge, aber ein allgemeines Gesetz zu lügen gar nicht wollen könne: | denn nach einem solchen würde es eigentlich gar kein Versprechen geben, weil es vergeblich wäre, meinen Willen, in Ansehung meiner künftigen Handlungen gegen andre vorzugeben, die diesem Vorgeben doch nicht glauben würden, oder wenn sie es übereilter Weise thäten, mich doch mit gleicher Münze bezahlen würden, mithin meine Maxime, so bald sie zu einem allgemeinen Gesetze gemacht würde, sich selbst zerstören müßte. Hieraus zieht nun der Verf. diese Folgerung: »was ich also zu thun habe, damit mein Wollen sittlich gut sey, dazu gebrauche ich gar keine weit aushohlende Scharfsinnigkeit, unerfahren in Ansehung des Weltlaufs, unfähig auf alle sich ereignende Vorfälle desselben gefaßt zu seyn, frage ich mich nur: kannst du 14
Im Original: »...sey. Hiebey ...«.
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auch wollen, daß deine Maxime ein allgemeines Gesetz werde? wo nicht, so ist sie verwerflich, und das zwar nicht um eines dir oder auch andern daraus bevorstehenden Nachtheils willen« (und ist dann die Aufhebung alles den Menschen zum Behuf ihres Lebens, der Nothdurft und Geschäffte desselben so nöthigen wechselseitigen Vertrauens, die Unmöglichkeit durch Versprechen weiter etwas auszurichten, nicht ein wahrer mir und andern zugezogener15 Nachtheil, der mir hauptsächlich erst durch Erfahrung bekannt werden muß, und ist dieser Nachtheil nicht die einzige Ursache, warum sich die Maxime sich durch lügenhafte16 Versprechungen zu helfen, nicht in eine allgemeine Gesetzgebung paßt?) »17 sondern weil sie nicht als Prinzip in eine allgemeine Gesetzgebung passen kann. Für diese aber zwingt mir die Vernunft unmittelbare Achtung ab, von der ich zwar jetzt noch nicht einsehe, worauf sie sich gründet, wenigstens aber doch soviel verstehe: daß es eine Schätzung des Werths sey, welche allen Werth dessen, was durch Neigung angepriesen wird, weit überwiegt, und daß die Nothwendigkeit meiner Handlung aus reiner Achtung fürs praktische Gesetz dasjenige sey, was die Pflicht ausmacht, der jeder andre Bewegungsgrund weichen muß, weil sie die Bedingung eines an sich guten Willens ist, dessen Werth über alles gehet.« Dies ist nun das Resultat, das dem Verf. die Beobachtung über die sittlichen Empfindungen und Erkenntnisse der Menschen hergeben soll, indessen läßt sich noch zweifeln, theils ob seine Vorstellungsart von einem guten Willen, von dem Werthe desselben und von der Pflicht die einzig mögliche mit diesen Beobachtungen zu vereinigende seyn, theils ob das von ihm | aufgestellte Gesetz und höchste Prinzip der Sittlichkeit blos wie er will, formell sey, und alles Materielle ausschließe. Weil es hier auf die Hauptsache dieses neuen Moralsystems ankömmt, so werde ich es wagen, einige Anmerkungen darüber herzusetzen, und zwar will ich vom letztern anfangen. Hier scheint es mir nun, daß das vom Verf. festgestellte Prinzip der Sittlichkeit: handle so, daß du wollen kannst, daß deine Maxime des Wollens ein allgemeines Gesetz werde, wenig verschieden sey von der Behauptung anderer Moralisten, daß dasjenige18 Recht sey, dessen allgemeine Ausübung gemeinnützig, oder dem Interesse vernünftiger Wesen gemäß ist, und das Unrecht sey, dessen allgemeine Ausübung gemeinschädlich, oder dem Interesse vernünftiger Wesen entgegen ist; welches man dann auch so ausdrücken könnte: handle so, daß deine Maxime, nach der du handelst, dem gemeinschaftlichen Interesse aller vernünftigen Wesen nicht entgegen, sondern gemäß sey – Denn nun bey dem obigen Beyspiele zu bleiben, so kann man fragen: warum ich ein allgemeines Gesetz zu lügen nicht wollen könne, und da scheint es mir offenbar zu seyn, daß, wenn ein solches Gesetz gar keinen Einfluß, gar keine Beziehung auf ein vorausgesetztes Interesse vernünftiger Wesen hätte, oder wenn diese überhaupt gar kein Interesse, weder des 15 16 17 18
Im Original: »zugezognen«. Im Original: »tugendhafte«. Anführungsstriche fehlen im Original. Im Original: »das«.
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Verstandes noch des Willens hätten, mit einem Worte, wenn sie gegen Einstimmung oder Widerspruch, gegen Wahrheit oder Falschheit, gegen Vollkommenheit oder Unvollkommenheit, gegen Vergnügen oder Schmerz u.s.w. ganz gleichgültig, und völlig unempfindlich wären, so müßte es ihnen auch gleichviel seyn, ob ein allgemeines Gesetz, die Wahrheit zu sagen, oder ein allgemeines Gesetz, zu lügen, festgestellt würde. Die Betrachtung, daß im letzten Falle gar kein Versprechen mehr möglich wäre, würde ein solches Wesen, dem nichts daran läge, ob es wahre oder falsche, oder überall gar kein Versprechen gebe, nicht bestimmen, und seine Maxime, wenn es anders überall Maximen haben könnte, würde sich durch gar nichts zu einer allgemeinen Gesetzgebung qualificiren können. Ja es scheint mir ganz ungedenkbar zu seyn, daß einem solchen völlig uninteressirten Wesen überall ein Gesetz gegeben, und daß es zu dessen Beobachtung moralisch, d. i. durch Vorstellungen genöthigt werden könne. Was kann dies aber für eine Vorstellung seyn, die ein vernünftiges Wesen an ein Gesetz bindet, oder demselben die reine Achtung für das Gesetz giebt? Unmöglich kann man sagen: | die Vorstellung des Gesetzes selbst, denn dies wäre idem per idem, da das Gesetz selbst für ein vernünftiges Wesen nichts anders als eine gewisse Vorstellung ist, daß es so und so handeln soll; aber wir suchen hier eine dritte Vorstellung, die den nothwendigen Zusammenhang zwischen dem Gesetze und dem Willen des vernünftigen Wesens ausmache, und eine solche muß es geben, wofern das Gesetz moralisch und nicht physisch seyn soll. Eine solche Vorstellung könnte nun entweder die Wahrheit oder der Nutzen des Gesetzes, dessen Harmonie mit der Denkkraft, oder dessen Uebereinstimmung mit dem Begehrungsvermögen19 seyn. In beyden Fällen würde das Gesetz ein vernünftiges Wesen interessiren, insofern es seiner Natur gemäß wäre; und die Vorstellung hiervon würde nur das Mittelband, und zwar das einzige mögliche seyn, wodurch ein vernünftiges Wesen überhaupt an ein Gesetz gebunden, und zur Befolgung desselben genöthigt werden könnte. Wäre dies Wesen gegen Nutzen und Schaden gleichgültig, so bliebe uns das Interesse der Wahrheit oder des speculativen Denkens übrig; aber auch da gründete sich die Verbindlichkeit oder das Ansehen des Gesetzes noch immer auf ein Interesse. Fände aber auch dies nicht statt, so könnte die Betrachtung, daß durch ein allgemeines Gesetz, betriegliche Versprechen thun zu dürfen, alle Versprechen wegfallen, und sich selbst vernichten würden, nie etwas über mich vermögen. Denn wie schon gesagt, wenn es mir gleich viel gilt, ob eine Sache überhaupt wahr oder falsch, gedenkbar oder nicht gedenkbar ist, so kann auch nie darum und dadurch, daß eine Sache als ein Versprechen, nur dadurch als20 ein Gesetz in sich bestehend oder gedenkbar wird, eine Achtung für dies Gesetz statt finden. Aber wenn sich die Sache so verhält, so werden wir das nie auffinden, was der Verf. nöthig hält, um Sittlichkeit von Klugheit, oder recht und pflichtmäßig handeln, vom blossen klug und schlau handeln zu unterscheiden, nämlich einen sogenannten categorischen Imperativ, oder ein solches höchstes Gebot der Sittlichkeit, 19 20
Im Original: »Begehungsvermögen«. Fehlt im Original.
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das schlechterdings an und für sich gilt, und auf keinerley Weise, und in keinem Betracht hypothetisch ist. Ich frage: warum müssen wir dann einen solchen categorischen Imperativ ausfinden. Etwa, um einen absolut guten Willen annehmen zu können? Hier frage ich weiter: warum müssen wir dann einen absolut guten Willen annehmen; und was liegt in unsern moralischen Empfindungen und gemeinen Kenntnissen von Sittlichkeit, das uns auf die Voraus | setzung eines solchen absolut guten Willens nothwendig führet? In der Erfahrung, dies gesteht der Verf. selbst, kann er nie als wirklich gegeben werden. Es ist aber noch die Frage: ob ein solcher guter Wille etwas mehr als eine schöne, aber unmögliche Idee sey, und ob das, was ihn allein zu einem absolut guten Willen machen soll, das blosse Formelle nämlich, oder der einzige Umstand der Gesetzmäßigkeit hierzu hinreichend sey? Mir deucht es nicht, wie ich schon oben erinnerte, weil ich doch immer die Gültigkeit oder verbindende Kraft des Gesetzes voraus setzen muß, wofern ein in Gemäßheit desselben handelnder Wille gut seyn soll. Und diese Gültigkeit muß doch irgend worin gegründet, muß doch irgend woraus erkannt werden, sonst müßte es ein angebohrnes physisches durch Zwang des Instincts, nicht ein moralisches durch Vorstellungen wirkendes Gesetz seyn. Nun macht eben das, worauf sich die Gültigkeit desselben gründet, oder woraus sie erkannt wird, die Bedingung seiner Gültigkeit aus, mithin giebt es kein anderes sittliches Gesetz, als ein hypothetisches, und kein blos formelles Gesetz läßt sich als gültig denken, so wenig ich einen Willen blos darum, weil er gesetzmäßig, oder weil das Gesetz blos die Maxime seines Willens ist, für schlechterdings gut erkennen kann, sondern es kömmt immer erst darauf an, ob sein Gesetz auch gut sey. Dies führt uns dann darauf, was ich im Anfang erinnerte, daß die sittliche Untersuchung mit dem Begriff von gut anfangen, und die Frage zuerst untersucht werden müsse, ob sich in Beziehung auf das Verhalten des Menschen irgend etwas anders, als gut angeben lasse, als was wirklich für den Menschen, als ein empfindendes und denkendes Wesen gut ist. Wenn sich nun bey dieser Untersuchung etwas findet, was ganz allgemein für empfindende und denkende Wesen ohne Ausnahme, unter allen Umstände gut ist, so muß dies das höchste und absolute Gute genannt werden. Giebt es ein solches höchstes Gut, so muß es eine gemeinschaftliche Natur, und ein hierin gegründetes allgemeines Interesse aller vernünftigen Wesen geben, denn nur durch die Uebereinstimmung mit jener, und der Conformität mit diesem, kann etwas überhaupt für ein solches Wesen gut seyn. Diesem zufolge würde nun der gute Wille derjenige seyn, dessen Maxime es ist: thue das, was deiner, und zugleich aller vernünftigen Wesen gemeinschaftlichen Natur, und darin gegründetem gemeinschaftlichen Interesse gemäß und zustimmend ist. Dies ist das höchste Prinzip der Sittlichkeit, und wenn | dies keinen categorischen Imperativ giebt, so ist keiner möglich. Denn höher oder tiefer als in der gemeinschaftlichen Natur aller vernünftigen Wesen kann die Regel ihres Willens und ihres Verhaltens nicht aufgesucht werden. Dies Prinzip wird verbindend, und ein Gesetz für mich durch die Vorstellung, daß meines und aller vernünftiger Wesen Interesse eines und eben dasselbige ist, daß folglich nie eine wahre Collision meines wahren Vortheils, und des wahren Vortheils anderer vernünftigen Wesen entstehen
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könne, und daß in dem Falle, wenn ich nicht einem Theil meiner Natur, z. B. einer besondern Neigung, sondern meiner ganzen Natur folge, ich zugleich nicht nur mich selbst, sondern überhaupt alle vernünftige Wesen zu meinem Zwecke mache, und ihr Interesse zugleich mit dem meinigen besorge. Folglich entspricht dies so angegebene Prinzip der Sittlichkeit auch der zwoten Formel, worin der Verf. sein Prinzip ausdrückt, dieser nämlich: handle so, daß du vernünftige Wesen niemals blos als Mittel gebrauchst, sondern immer auch als Zwecke betrachtest. Nun läßt sich auch leicht zeigen, daß mit dieser Vorstellungsart von dem höchsten Prinzip der Sittlichkeit weder aller Unterschied zwischen Sittlichkeit und Klugheit aufgehoben, noch Pflicht in einen leeren chimärischen Begriff verwandelt werde, wir also, um diesen Unterschied und Pflicht als einen reellen Begriff zu erhalten, eines categorischen Imperativs nicht schlechterdings bedürfen. Sittlich oder recht und pflichtmäßig handeln heißt das oben angeführte höchste Prinzip der Sittlichkeit zur Maxime seines Willens machen, und wenn scheinbare Collisionen des eigenen und des allgemeinen Interesse vorkommen, jenes diesem nachsetzen; dies heißt aber auch zugleich weise handeln, wenn es anders wahr ist, daß es eine allgemeine Harmonie im Reiche der Geister, oder wie es der Verfasser ausdrückt, der Zwecke giebt, und daß ich mein eignes wahres Beste alsdann ohnfehlbar befördere, wenn ich dem allgemeinen Interesse gemäß zu handeln, zur Maxime meines Willens mache. Das Gegentheil hievon heißt böse, unsittlich, pflichtwidrig handeln, wenn ich nämlich meinen besondern Vortheil dem allgemeinen Interesse vorziehe, oder wie man es auch vorstellen könnte, wenn ich nicht meiner ganzen Natur, insofern sie mit der Natur aller vernünftigen Wesen eine und eben dieselbige ist, sondern nur einem Theile derselben | z. B. einer Neigung folge; aber alsdann handle ich auch unweise, wie dann überhaupt Weisheit und Tugend nur verschiedene Benennungen eben derselbigen Sache sind, und zwar wird jene in Rücksicht auf den Verstand, und diese in Beziehung auf den Willen gebraucht. Allein mit dieser Weisheit ist, nach dem Sprachgebrauch, Klugheit und Schlauigkeit nicht einerley, und darum kann ich zugleich unweise und unpflichtmäßig und doch klug handeln, d. i. ich kann auf die nächsten von mir zu übersehenden Folgen meiner Handlung Rücksicht nehmen, und nach dieser meiner Voraussicht mein Bestes besorgen. Ich kann aber auch blos aus Klugheit meine Pflicht thun, wenn nicht jenes gemeinschaftliche Interesse der Geisterwelt, nicht die Vorstellung von der Uebereinstimmung dieses allgemeinen Interesse mit dem meinigen, sondern die vorausgesehenen und vorausberechneten Vortheile, die mir mein Rechtthun einbringen wird, meinen Willen bestimmt, und ein gewisser kaufmännischer Rechnungsgeist die Maxime desselben ausmacht. Freylich wäre meine Voraussicht und Berechnung immer ohnfehlbar und richtig, und fänden sich in mir keine Hindernisse, das zu wollen, was mein wahrer von mir immer richtig erkannter Vortheil fordert, so wäre diese Klugheit mit Weisheit und Tugend einerley; aber alsdann fände auch keine eigentliche Pflicht oder Nöthigung durch Achtung für ein Gesetz zu demjenigen statt, was meine Weisheit oder Klugheit mir untrieglich und unwiderstehlich vorgeschrieben, so wenig als bey Gott eine Pflicht kann angenommen
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werden. Aber nun, da meine Voraussicht und Berechnung sehr eingeschränkt und trieglich ist, und alle Schlauigkeit nicht zureicht, mir mein wahres Beste zuverläßig zu entdecken, nun da ich besondere mit meinem wahren Interesse streitende Absichten und Neigungen habe, kann Klugheit meine Maxime der Sittlichkeit nicht seyn, sondern ich muß mich, wenn ich für mein wahres Bestes sorgen will, an eine sicherere Maxime halten, d. i. ich muß recht zu thun zu meiner Maxime machen. Wenn ich mich nun hieran halte, so handle ich pflichtmäßig, und dies ist offenbar vom klug handeln, oder vom Berechnen und Beobachten meines eigenen Vortheils oder Schadens in jedem Fall weit unterschieden. Der Mensch also handelt pflichtmäßig und recht, der in dem obigen Beyspiele sich darum nicht durch ein betriegliches Versprechen aus der Verlegenheit ziehen will, weil er überzeugt ist, daß dies jener Maxime, nichts zu thun, was dem Interesse aller vernünfti | gen Wesen, und also eingeschlossen, seinem eignem wahren Interesse entgegen ist, widerstreitet; der handelt klüglich, der ohne auf das Interesse des Ganzen Rücksicht zu nehmen, das betriegliche Versprechen blos darum unterläßt, weil er befürchtet, daß es ihn um seinen Credit bringen, oder sonstige Nachtheile zuziehen würde. Vergleichen wir endlich die dritte Formel, worin der Verf. sein Prinzip der Sittlichkeit, oder seinen categorischen Imperativ ausdrückt, so möchte sich auch mit dieser unser hypothetischer Imperativ einigermassen vereinbaren lassen. Diese dritte Formel ist: die Autonomie des Willens ist das höchste Prinzip der Sittlichkeit. »Diese Autonomie des Willens ist die Beschaffenheit desselben, dadurch er ihm selbst (unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist. Das Prinzip der Autonomie ist also: nichts anders zu wählen, als so, daß die Maxime seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen sey.« Dies ist etwas undeutlich, aber ich verstehe es so, daß die Maxime nichts anders, als das Gesetz selbst sey, wird es nämlich objective genommen, so heißt es das Gesetz, dem der Wille gemäß ist; nimmt man es subjective, so ist es die Maxime, nach welcher der Wille handelt. Noch deutlicher wird dies werden, wenn man das, was der Verf. Heteronomie des Willens nennt, dagegen hält. Diese Heteronomie soll alsdann statt finden, wenn der Wille irgends worin anders, als in der Tauglichkeit seine Maxime zu seiner eigenen allgemeinen Gesetzgebung seiner Bestimmung sucht, mithin wenn er über sich selbst hinausgehet, und in der Beschaffenheit irgend eines seiner Objecte, das Gesetz sucht, das ihn bestimmen soll. Der Wille giebt alsdann nicht ihm selbst, sondern das Object, durch sein Verhältniß zum Willen, giebt diesem das Gesetz. Dies Verhältniß gestattet nur hypothetische Imperativen: ich soll darum etwas thun, weil ich etwas anders will; dagegen sagt der categorische Imperativ: ich soll so oder so handeln; ob ich gleich nichts anders wollte, z. E. jener sagt: »ich soll nicht lügen, wenn ich bey Ehren bleiben will; dieser aber: ich soll nicht lügen, wenn es mir auch nicht die mindeste Schande zuzöge.« Der Wille, sagt der Verf., soll nicht über sich hinausgehen, nicht in der Beschaffenheit irgend eines seiner Objecte, das Gesetz suchen, das ihn bestimmen soll. Indessen muß ihn doch etwas bestimmen, etwas | an das Gesetz binden; soll dies nun nicht die besondere Beschaffenheit des Objects seyn (dahin dann auch die
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Folgen seiner Wahl dieses Objects gehören), so bleibt schlechterdings nichts anders übrig, als seine eigene Natur, und das in derselben gegründete allgemeine Interesse jedes vernünftigen Wesens, das ihn bestimmen kann und soll. Ein betriegliches Versprechen zu thun, ist diesem Interesse entgegen, dieser Umstand allein, (nicht die etwannigen guten oder schlimmen Folgen, die sein lügenhaftes Versprechen für ihn haben könnten) soll ihn bestimmen, dergleichen Versprechen nicht zu thun. Einen andern Sinn, als daß das in der gemeinschaftlichen Natur der vernünftigen Wesen gegründete doppelte Interesse der Wahrheit und des Nutzens, oder das aus der Harmonie eines Satzes mit den wesentlichen Gesetzen unserer Denkkraft, und das aus der Uebereinstimmung desselben mit unserm ganzen Begehrungsvermögen oder der Summe desselben 21 resultirende Interesse aller vernünftigen Wesen den Willen als Gesetz, und als Maxime bestimmen soll, einen andern Sinn, sage ich, kann ich dieser Autonomie nicht beylegen; ich kann mir auch keine freyere Gesetzgebung gedenken oder wünschen, als die gleichsam meine eigene Natur ausübt, und die die Stoiker durch diese Formeln ausdrückten: naturam, optimam ducem, tanquam Deum sequi, naturae convenienter vivere u.s.w. Und alsdann stimmt dies mit dem von mir vorgeschlagenen hypothetischen Prinzip der Sittlichkeit überein. Versteht der Verf. aber dies darunter, der Wille giebt sich ein Gesetz, ohne darauf zu sehen, ob dies Gesetz irgend wozu gut sey, und auf irgend ein Interesse Beziehung habe, oder insofern durch diese Formel der Autonomie eine Lossagung von allem Interesse beym Wollen aus Pflicht soll angedeutet werden, so scheint mir diese ganze eigenmächtige Gesetzgebung ein blindes Verfahren, und von dem, was man sonst Eigensinn nennt, wo es heißt: stat pro ratione voluntas, wenig unterschieden zu seyn. Es würde sich aber diese dritte Formel der Autonomie des Willens in diesem Sinn genommen, mit der ersten: handle so, daß du wollen kannst, daß die Maxime deines Willens ein allgemeines Gesetz werde, aus den oben angeführten Gründen nicht wohl vereinigen lassen, denn diese Formel weiset doch, so wenig dies der Verfasser auch zugestehen will, auf eine Bedingung hin, die meine Maxime haben muß, um in einer allgemeinen Gesetzgebung zu passen. Wenn man daher diese erste Formel mit unserm hypothetischen Prinzip vergleicht, so | wird man finden, daß beyde mit gleichem Rechte entweder categorisch oder hypothetisch genannt werden können. Nun scheint das Prinzip: ich soll etwas thun, weil es meiner und aller vernünftigen Wesen Natur und Interesse gemäß ist, noch mehr gerade zu ausgedrückt zu seyn, als des Verf. categorisch seyn sollender Imperativ, von der allgemeinen Gesetzgebung, denn, wie gesagt, ich muß doch auf das erstere, als einzig mögliche Bedingung, zurückkommen, wenn ich einen Erkenntnißgrund suche, was, und warum es sich in die allgemeine Gesetzgebung paßt? Nachdem ich nun dem Verf. bis hieher, da er den Hauptsatz seiner Schrift ausgeführt, daß der sittliche Imperativ categorisch seyn müsse, und wie derselbe in drey verschiedenen Formeln ausgedrückt werden könne, gefolgt bin, und einige meiner Gegengründe, warum ich einen categorischen Imperativ der Sittlichkeit we21
Im Original: »derselben«.
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der für nöthig noch für möglich halte, angeführt habe, so wird es nun um so weniger nöthig seyn, ihm in den übrigen Theil, der die abstruseste Metaphysik enthält, und zeigen soll, wie ein solcher, ganz unbedingter Imperativ, möglich sey, und warum er nothwendig sey, noch weiter nachzugehen, oder vielmehr in die tiefste Grube der Speculation nachzuklettern, um doch nur statt aller Ausbeute, dies in der That wenig befriedigende Resultat heraufzubringen, »daß wir zwar nicht die praktische unbedingte Nothwendigkeit des moralischen Imperativs begreifen, aber doch seine Unbegreiflichkeit begreifen, wenn dies auch alles seyn sollte, was man billigermassen von einer Philosophie, die bis zur Grenze der menschlichen Vernunft in Prinzipien strebt, fordern könne.« Es mag genug seyn, noch folgendes beyzufügen. Der Verf. gesteht, daß, obgleich uns kein Interesse irgend einer Art zur Unterwerfung unter dem Prinzip der Sittlichkeit treiben könne, (weil dies nur immer einen bedingten Imperativ geben müßte) wir doch hieran nothwendig ein Interesse nehmen, und sehen müssen, wie das zugehet. Hier mußte nun der Weltweise allen seinen Scharfsinn aufbieten, nicht nur zu zeigen, wie dies nöthige Interesse nehmen, an einem Prinzip der Sittlichkeit, das alles Interesse ausschließt, von dem, durch Interesse zur Unterwerfung unter demselben, getrieben werden, unterschieden sey, sondern auch begreiflich zu machen, wie dies Interesse nehmen überhaupt möglich sey. Er bedient sich dazu seines problematischen Freyheitsbegriffes, | versetzt uns aus der Sinnen- in die Verstandeswelt, und holt aus dieser uns seinen sonstigen Prinzipien nach, völlig unbekannten Welt, die Gründe zur Möglichkeit und Nothwendigkeit seines categorischen Imperativs herüber. Da ich schon über diesen Freyheitsbegriff, worauf zuletzt das ganze Moralsystem des Verf. ruhet, mich in der Anzeige der Schulzischen Erläuterungen über die Critik der reinen Vernunft erklärt habe, so sage ich davon weiter nichts, und begnüge mich nur noch dies anzumerken: wenn auch alle die Vorwürfe, die der Verf. den von dem 22 seinigen abweichenden Moralsystemen macht, daß sie nämlich durch Angebung unächter (hypothetischer) Prinzipien der Sittlichkeit die Moral auf mannigfaltige Weise verderben 23, und der Sittlichkeit der Menschen schädlich gewesen, gegründet wären, das seinige doch diese Gebrechen, höchstens nur in der Theorie, oder der blossen Speculation nach, heilen würde, für die Praxis aber gar keine Dienste leisten könne, weil sein Prinzip schlechterdings weder dem Verstande gemeiner und gewöhnlicher Menschen, und überhaupt denen, die nicht im speculativen Denken geübt sind, als verbindendes Gesetz einleuchtend zu machen ist, noch auf den Willen derer Einfluß haben kann, für die selbst der Begriff von Glückseligkeit noch zu hoch, zu abstract, und zu unwirksam zu sein scheinet. Was wollen wir bey Menschen, deren beynahe einzige Triebfedern Neigung zum Vergnügen, und Abscheu vom Schmerz ist, wohl durch diese Vorstellung ausrichten? Du mußt Recht thun, wenn du auch alle deine Neigungen verleugnen, ja, wenn du auch selbst den Trieb nach Glückseligkeit unterdrücken solltest, denn nicht um glücklich zu werden, sondern um der Glückse22 23
Im Original: »den«. Im Original: »verdirbt«.
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ligkeit würdig zu seyn, mußt du Recht thun. Zwar ist es wahrscheinlich, daß, wenn du dich hier der Glückseligkeit durch Rechtthun würdig machst, du derselben dereinst theilhaftig werden wirst, aber diese Hoffnung muß bey dir kein Bewegungsgrund seyn, deine Pflicht zu erfüllen, wofern du nicht deine Sittlichkeit verderben, und deine Tugend verfälschen willst, du würdest alsdann, so rechtmäßig auch deine Handlungen seyn möchten, doch immer nur klug, nicht aber sittlich handeln.
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3 Rezension zu L.H. Jacobs Prüfung der Mendelssohnschen Morgenstunden Prüfung der Mendelssohnschen Morgenstunden, oder aller spekulativen Beweise für das Daseyn Gottes in Vorlesungen von Ludwig Heinrich Jakob, Doctor der Philosophie in Halle. Nebst einer Abhandlung vom Herrn Professor Kant. Leipzig, bey Heinsius. 1786. 334 S. 8. Diese Prüfung der Mendelssohnschen Morgenstunden oder aller spekulativen Beweise für das Daseyn Gottes wird ganz nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie vorgenommen, deren apodiktisch erwiesene Richtigkeit der Verf. durchgehends voraussetzt. Er thut also fast nichts anders, als | daß er die Kantischen Hauptsätze, die er zu dieser Absicht in einem verständlichem Auszuge voranschickt, nur auf die Beweise des jüdischen Weltweisen anwendet; und nach diesem seinem Maasstabe gemessen, findet er sie unhinlänglich und ungenugthuend. Dadurch wird aber diese Prüfung ganz einseitig und nur für diejenigen einleuchtend und brauchbar, die so wie er das System der Vernunftkritik mit uneingeschränktem Beyfall annehmen. Diejenigen, die dies nicht thun, sind berechtigt, diese Prüfung einer neuen Prüfung zu unterwerfen, worin sie eigentlich zu untersuchen haben, ob denn die Hauptsätze der Kantischen Philosophie wirklich so apodiktisch erwiesen sind, als Hr. J. voraussetzt, denn mit dem andern Puncte der neuen Prüfung, ob diese Hauptsätze auch richtig auf die Mendelssohnschen Beweise angewandt worden, möchte es weniger auf sich haben, wie wohl auch in dieser Absicht sich gegen des Verf. Prüfung noch manches erinnern ließe. – Ich begnüge mich, gegen das erste, nämlich die vorgegebene apodiktisch erwiesene Gewißheit des Kantischen Systems einige Zweifel zur Gegenprüfung vorzubringen. – Nachdem Hr. J. den Mendelssohnschen Beweis für das Daseyn Gottes a posteriori oder a contingentia mundi zuerst, mehrentheils mit Mendelssohns eignen Worten, und hiernächst in syllogistischer Form vorgelegt hatte, schreitet er zur eigentlichen Prüfung desselben, und bringt zuerst eine allgemeine Einwendung dagegen vor, die er allein schon für hinlänglich hält, diesen Beweiß völlig zu entkräften. Er ist aus dem innern Heiligthum der Kantischen Philosophie hergenommen, und lautet folgendermaßen: »Es ist in dieser ganzen Schlußfolge vorausgesetzt, daß die Sinnenwelt nicht Erscheinung, sondern ein Ding an sich selbst sey, und daß alle meine Veränderungen mir als einem Objekte an sich, zukommen.« Beydes aber ist falsch, »denn, setzt er hinzu, daß die Sinnenwelt eine bloße Erscheinung sey, und daß unser Verstand von dem, was sie an sich selbst seyn mag, oder was diesen Erscheinungen zum Grunde liegen mag, nicht das Geringste entdecken kann, ist in dem vorhergehenden hinlänglich gezeigt worden. Und eben so sind auch alle Ver-
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änderungen, die mit mir selbst vorgehen, gar keine Prädikate eines Subjekts, in sofern es ein νοωµενον Noumenon) ist; sondern ich erkenne mich bloß als Erscheinung. Man kann daher immer zugeben, daß die ganze | Sinnenwelt zufällig sey, denn diese Zufälligkeit selbst ist Phänomen, indem das Denken sogar selbst Erscheinung ist. Es ist aber auch gar kein Widerspruch darin, daß dem Objekte an sich, unter mehrern Prädikaten, die wir nicht kennen, auch das Prädikat des absolut nothwendigen zukomme. Denn da wir nicht ein einziges Prädikat dieser Objekte wissen, so können wir auch nicht sagen, ob sie nothwendig oder zufällig sind.«* Wenn Hr. J. hier behauptet, im vorhergehenden die Richtigkeit und Gewißheit aller dieser Kantischen Behauptungen gezeigt zu haben, so muß ich ihm widersprechen und das Gegentheil behaupten, daß er mir wenigstens die Hauptsätze der Philosophie, die er angenommen hat, in keiner Absicht bestimmter, schärfer bewiesen, von Inconsequenzen und Widersinnigkeiten gereinigter vorgetragen zu haben scheint, sondern daß sich bey ihm, in Ansehung jener Hauptsätze, völlig noch eben die schwankende Vieldeutigkeit eben die Lücken in der Beweißführung, eben die Widersinnigkeiten finden, die ich in den Schriften seines berühmten Lehrers anzutreffen glaube. Doch die Hauptsache ist diese, ob das System der Kritik apodiktisch erwiesen sey oder nicht? Und hier denke ich muß, um es als apodiktisch erwiesen annehmen zu können, zuförderst in Ansehung seiner Hauptsätze keine Unbestimmtheit, keine Vieldeutigkeit statt finden. Laßt uns also sehen, ob man diese Hrn. Kant mit Recht vorwerfen könne. – Obige Sätze: »die Sinnenwelt ist eine bloße Erscheinung – auch alle Veränderungen die mit mir vorgehen, sind gar keine Prädikate eines Dings an sich – unser Verstand kann von demjenigen was diesen Erscheinungen zum Grunde liegen mag, nicht das geringste entdecken« 24 u.s.w. | Diese Sätze, wofern wir sie als erwiesen annehmen sollten, müßten wohl vor allen Dingen einen festen und bestimmten Sinn haben, aber diesen haben sie weder in den Schriften des Lehrers noch des Schülers. Will der Satz: die Sinnenwelt und der Mensch selbst, in sofern er sich als ein empfindendes und denkendes Subjekt betrachtet, ist nichts als bloße Erscheinung, so viel sagen: es giebt durchaus nichts als Vorstellungen, weder ein Subjekt, das diese Vorstellungen hat, sich ihrer bewußt ist, sich von denselben unterscheidet, noch Objekte, von denen es Eindrücke oder Abdrücke wären – oder wenigstens wissen wir weder von einem solchen Subjekt noch Objekt, können die reale Möglichkeit und Wirklichkeit weder des einen noch * Hieraus erhellt also die Richtigkeit der Behauptung des Recensenten (im 66. Bd. der A. d. B. S. 97.) daß das System der Vernunftkritik den Spinozismus vorzüglich begünstigt. Kann die Verstandeswelt das absolut nothwendige Wesen, d. i. die Gottheit selber seyn, wie hier zugestanden wird, was brauchen wir demnach anderwärts eine Gottheit zu suchen? vielmehr ist der Spinozismus bey dieser Voraussetzung jeder andern Hypothese, als die natürlichste und einfachste schon aus dieser Ursache vorzuziehen, daß man die Wesen nicht ohne Noth vervielfachen muß. Auch gesteht der Verf. an einem andern Orte deutlich, daß der Spinozismus durch speculative Gründe nicht zu widerlegen sey. 24
Anführungsstriche fehlen im Original.
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des andern erkennen, und nichts nöthigt uns, ein solches Subjekt und Objekt anzunehmen. – Bisweilen scheint es in der That, als ob Hr. Kant diese Sätze in diesem äußerst skeptischen Sinne nehme. Nimmt man sie aber in diesem Sinn, so bleibt uns für unsre Anschauungen sowohl als für unsre Raisonnements nichts als ein Scheinen übrig, und so ist es in der That lächerlich, von Demonstration und apodiktischen Beweisen reden zu wollen; alles ist so nach blos subjektiv, kommt uns nur nach unserer besondern Bildung und Einrichtung so und so vor, unser Denken mit allen seinen Grundbegriffen und Grundsätzen selbst der 25 Satz des Widerspruchs, alles dies gilt nur für solche denkende Wesen, als wir sind. Es mag andre geben, die ohne alle diese Grundsätze denken können, oder vielmehr es mag eine noch viel herrlichere Grundeigenschaft geben, die ganz vom Denken verschieden ist, und nach der das alles Träumerey und Unsinn seyn mag, was wir für die evidentesten 26 Wahrheiten halten. Mit einem Wort, Träumerey und Muthmaßungen ohne Grund und Ende. Dies ist alles, was uns nach diesem Sinne der obigen Sätze übrigbleibt. – Oder sollen diese Sätze so viel heißen: Wir leben zwar in einer Welt von Vorstellungen, und alles was wir anschauen, wahrnehmen, was und worüber wir denken, ist bloß subjectiv, allein diese Vorstellungen sind Prädikate oder Modifikationen irgend eines wirklichen, (nicht bloß nur so zum Behuf des Denkens einstweilen angenommenen) Subjects, auch liegt wirklich ein Objekt an sich, unsern Anschauungen zum Grunde, aber sowohl jenes Subjekt, als dieses Objekt sind uns völlig unbekannt, haben für uns durchaus keine Prädikate, so daß wir keine unsrer Verstandesbe-griffe | darauf anwenden, folglich nicht sagen können, ob sie möglich, wirklich, nothwendig, ob sie ein Eins, mehrere oder ein Ganzes, ob sie reel oder negativ, ob sie Ursache oder Wirkung, Accidens oder Substanz sind. – Bisweilen scheint dies der wahre Sinn zu seyn, aber dann widerspricht er dem ersten darin, daß nach diesem ersten das Daseyn eines wirklichen Subjekts und Objekts nur als problematisch, hier aber als gewiß angenommen wird, und auch sich selbst widerspricht dieser Sinn darin, daß nun wenigstens die Categorie der Modalität auf Dinge an sich angewandt wird. – Oder endlich sollen diese Sätze diesen Sinn haben: den Erscheinungen in der Sinnenwelt liegen wirklich Dinge an sich in der Verstandeswelt zum Grunde, worauf jene Anzeige thun, wir mögen übrigens von diesen Dingen an sich etwas wissen oder nicht, genug sie afficiren unsre sinnlichen Werkzeuge und sind die Ursache unsrer Anschauungen und Wahrnehmungen. – Dieß ist die gewöhnlichste Aeußerung, insonderheit in den Schriften des Lehrers, über Erscheinungen und Dinge an sich; es wird so nach ein wirkliches Verhältniß und eine wahre reelle Verbindung zwischen beyden angenommen, und wie sehr dieser Sinn mit den beyden obigen kontrastire, fällt von selbst auf. Nur sucht man diesen Contrast so viel als möglich zu verbergen, indem man das Verhältniß, worin die Dinge an sich mit den Erscheinungen stehen sollen, ins Dunkle stellt, wenigstens bleibt es bey den Redensarten, die davon gebraucht werden: die Dinge an sich 25 26
Im Original: »den«. Im Original fehlt das »n«.
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liegen bey den Erscheinungen zum Grunde, sie afficiren unsre Sinne, wir schauen sie so wie sie unsre Sinne afficiren, noch abermals zweydeutig und unbestimmt, ob es denn wirklich die Dinge an sich selbst sind, die wir als unser Objekt, freylich nach unsrer Manier und unsrer Perspekiv anschauen, oder ob sie unserer 27 Wahrnehmung, wegen der Art und Weise, wie sie unsre Sinne afficiren, ganz verborgen bleiben, oder wie man es auch ausdrücken könnte, ob sie sich hinter dem Sinnenspiel, das sie erregen, so völlig verstecken, daß wir von ihnen selbst nicht das geringste wahrnehmen können. Da es wichtig ist, diese Zweydeutigkeit merkbar zu machen, um wo möglich die Kantische Schule zu einer bestimmten und festen Erklärung zu bringen, so wollen wir uns diesen Unterschied durch Gleichnisse deutlicher zu machen suchen. Ich frage also: verhält es sich mit unsern Anschauungen und Erscheinungen, wie mit der Erscheinung der weißen Farbe, die aus | der Vermischung der sieben Hauptfarben resultirt, oder wie mit der vom Verf. angeführten Erscheinung eines feurigen Kohlreifs, wo wir die Sache, worin die Erscheinung gegründet ist, wirklich schauen, obgleich nicht so wie wir sie unter andern Umständen erblicken würden – mit einem Wort: verhält es sich mit den Kantischen Erscheinungen, wie mit dem, was wir sonst in der Erfahrung Erscheinung zu nennen pflegen? – Oder müssen wir diese Erscheinungen mit der Musik einer Drehorgel oder einer musicalischen Uhr vergleichen, wo das Instrument nur herumgedrehet, oder aufgezogen wird, und alsdann für sich selbst ihr Stück abspielt, ohne daß dies Musiciren übrigens mit dem äußern Gegenstande, wodurch die Maschine gedrehet oder wovon sie aufgezogen wird, in irgend einem nähern Verhältnisse stehet, oder daß das abgespielte Stück auf den Beweger der Maschine im geringsten Anzeige thue!* Man siehet, daß dies alles sehr verschieden sey, und daß, ehe man einen eigentlichen Beweis über diesen Hauptsatz führen kann, irgend etwas Bestimmtes hierüber festgesetzt seyn müsse. Aber laßt uns nun sehen, wie es mit dem apodiktischem Beweise für die obern Hauptsätze selbst stehe. Dieser ganze Beweis beruhet auf dem Kantischen Begriff von Raum und Zeit. Ist dieser Begriff, daß nämlich Raum und Zeit blos subjektive Formen unsrer Sinnlichkeit sind, nicht apodiktisch erwiesen und erweislich, so stürzt das ganze System als apodiktisch erwiesen um, und sinkt zu einer bloßen Hypothese herab. Daß dieser Begriff nur hypothetisch sey, läßt sich leicht zeigen. Raum und Zeit können, ehe man über ihre Natur irgend etwas ausmacht, vorläufig als Vorstellungen in der menschlichen Seele betrachtet werden, von denen es gleichfalls vorläufig kann angenommen werden, daß sie entweder bloß subjektiv, * Wenn wir annehmen, daß die Seele in Ansehung ihres Sinnenspiels, einer musikalischen Uhr ähnlich sey, so haben wir eigentlich gar nicht nöthig, äußere Objekte, wodurch sie afficirt, oder angestoßen werde, anzunehmen, weil es sich sehr wohl gedenken läßt, daß in diesem Falle die Seele auch darin einer Spieluhr gleich sey, daß sie bloß durch innern Mechanismus in Bewegung gesetzt werde, und wie die Uhr das Triebrad ihres Spiels in sich selber habe. 27
Im Original: »unsere«.
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oder bloß objektiv, oder endlich beydes | subjektiv und objektiv zugleich sind. Dies sind die drey Hypothesen, die über die Begriffe von R. und Z. möglich sind. Von keiner derselben läßt es sich behaupten, daß sie strenge erwiesen sey, wofern nicht die absolute Unmöglichkeit der beyden andern erwiesen oder gezeigt worden, daß alles was sonst von Raum und Zeit erkannt und prädicirt werden kann, mit keiner als dieser einzigen Hypothese bestehen könne, und sich zusammen gedenken lasse. Ehe aber dieser Beweis angetreten werden kann, muß man abermals den wahren Sinn jeder von den drey möglichen Hypothesen darstellen und von der sich auch hier einmischenden Vieldeutigkeit befreyen. Von der ersten kann man annehmen, daß sie von Hrn. Kant unzweydeutig, unter dem Ausdruck bloße Formen der Sinnlichkeit so vorgestellt worden, daß schlechthin alles Objektive ausgeschlossen sey, das heißt mit andern Worten: daß wir die Objekte im Raum anschauen, und in der Zeit wahrnehmen, dies rührt lediglich von der besondern Bildung und Einrichtung unsers Geistes her, ist lediglich hierin, und keinesweges in den Objekten, oder in irgend eines Beschaffenheit und in ihnen zugehörigem Prädikat gegründet, die andre Hypothese will entweder sagen, Raum und Zeit sind für sich auch außer unsrer Vorstellungskraft und gänzlich von derselben unabhängige für sich bestehende Dinge, etwa das Convolut, worin die Dinge existiren, oder es sind wenigstens beständige und inhärirende Eigenschaften der Dinge an sich, oder endlich wenn sie dies nicht seyn sollten, so sind sie doch in andern den Dingen selbst wesentlich zukommenden Beschaffenheiten auf eine solche Weise gegründet, daß sie sich ein jeder Geist, selbst der vollkommenste, (wiewohl vielleicht mit einigen veränderten Modificationen) im Raum und in der Zeit gedenken muß. Wenn es wahr ist, daß sich Newton den unendlichen Raum gewissermaßen als den Leib der Gottheit gedacht hat, so muß wohl das erste sein Begriff vom Raum gewesen seyn. Wenn aber auch nach der zweyten, als der erträglichsten Vorstellungsart dieser zweyten Hypothese die Gottheit die Objekte im Raum und in der Zeit gedenken müßte, so würde diese Vorstellung in Gott nichts an sich unvollkommnes setzen, wenn die Objekte schlechterdings entweder gar nicht gedacht, oder in R. und Z. müßten gedacht werden. Endlich, wie ist die dritte Hypothese, daß die Vorstellungen von R. und Z. beydes zugleich subjektiv und objektiv sind, zu verstehen? Ohne Zweifel so, daß man zugeste | het, daß irgend eine Eigenheit in der Natur der menschlichen Vorstellungskraft den Grund enthalte, warum wir uns die Objekte im R. und Z. vorstellen müssen, eine solche Eigenheit, vermöge der es möglich seyn mag, daß höhere Geister entweder überall nicht solche Raum- und Zeitvorstellungen haben als wir, oder wenigstens in manchem Betracht verschieden; aber da diese Vorstellungen auch objektiv seyn sollen, so wird obiges so eingeschränkt, daß jener Eigenheit des menschlichen Geistes ohnerachtet, doch nie eine Vorstellung von R. und Z. in demselben entstehen würde, wenn nicht in den Gegenständen selbst auch ein Grund und eine Veranlassung dazu läge. So geneigt also auch der menschliche Geist immer seyn mag, sich die Objekte in R. und Z. vorzustellen, und sie gleichsam in diese Form zu gießen, so würde doch nichts von dem allen geschehen, wenn die Objekte nichts dazu beytrügen, und zu diesen Totalvorstellungen von R. und Z.
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nicht auch das Ihrige hergäben. Dieß ist nun eine sehr verständliche und denkbare Hypothese, die mehr als bloße logische Möglichkeit hat, nämlich auch reelle Möglichkeit, denn gerade so finden wir es bey allen sogenannten subjektiven Vorstellungen oder Erscheinungen innerhalb der Erfahrung. Wenn z. B. die Erscheinung des süßen oder bittern Geschmacks statt findet, so ist die Empfindung desselben ordentlicherweise nie bloß Subjektiv, d. i. sie liegt nicht so in der Bildung der menschlichen Zunge, daß sich der süße oder bittre Geschmack ohne Rücksicht auf die Beschaffenheit des Objekts des einen oder des andern (des Zuckers und des Pfeffers) hinlänglich erklären lasse. Was also von den partialen, relativen, oder gleichsam untergeordneten Erscheinungen in der Natur gilt, daß sie nämlich nicht bloß im Subjekt, sondern auch zugleich im Objekt gegründet sind, dies sollte nun auch von der totalen absoluten Erscheinung oder beym Uebergang aus der Sinnenwelt zu den Dingen an sich gleichfalls gelten, wo nicht müssen doch können, wofern anders der totalen und absoluten Erscheinung auch etwas, das nicht mehr Erscheinung ist, zum Grunde liegt. Ist diese Hypothese aber möglich, so wird sie uns auch bald die wahrscheinlichste unter den Dreyen werden, weil sie nicht nur die Analogie für sich hat, sondern auch derjenige, der sie annimmt, durch alle die Gründe, welche sich die Anhänger der beyden andern entgegensetzen, gar nicht in Verlegenheit gesetzt wird, sondern alles, was beyde Partheyen, an deren Spitze Newton und Kant stehen, | für sich anführen, sehr gut erklären, und mit seiner Mittelhypothese vereinbaren kann. Der Kürze halber beziehe ich mich auf dasjenige, was hierüber bey der Anzeige der Schulzischen Erläuterungen (A. d. B. 66. B.) weitläuftiger gezeigt worden. Doch diese Anführung möchte mir wohl in Ansehung derjenigen Philosophen, von denen ich Beantwortung und Aufklärung meiner Einwendungen und Zweifelsgründe erwarten konnte, wenig helfen. Diese Herren, so laut und dringend sie Anfangs um Prüfung des neuen Systems angehalten haben, scheinen dergleichen jetzt gar nicht zu lesen, oder zu beachten, sie sind sich im voraus bewußt, ihre Sätze apodiktisch erwiesen zu haben, was kann es also anders als Misverstand und schwache Muthmaßung seyn, was ihren Demonstrationen entgegengesetzt wird? – Einen Beleg zu dieser selbstgenügsamen Denkungsart giebt uns der Verf. wenn er in seinem Auszug aus der Critik der reinen Vernunft zwar dieser Mittelhypothese zu erwähnen scheint, aber kaum so, als wenn er das gelesen und beherzigt hätte, was zum Behuf derselben in ebengedachter Recension ausgeführt ist; und doch konnte er dies sehr gut thun, da sie wenigstens ein halb Jahr vor dem Abdruck seines Buchs erschienen ist. Die Art indessen, wie er dieser Hypothese erwähnt, kann uns auch ein Beyspiel von der überaus seichten Abfertigung der seinem angenommenen System entgegenstehenden Gründe oder Zweifel abgeben. Er läßt nämlich zur Nachahmung der Mendelssohnschen Morgenstunden, in seinen Vorlesungen seine Zuhörer zuweilen dazwischen reden, und da bringt einer derselben folgenden Einwurf vor: »Das sehe ich wohl ein, da wir alles nothwendig in der Zeit und im Raum denken müssen, daß diese Vorstellungen in der Natur unsrer Seele selbst gegründet, und mithin allen Erfahrungsvorstellungen vorhergehen; aber konnte nicht demunerachtet die Natur der Dinge so eingerichtet seyn,
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daß diese Prädikate ihnen auch an sich zukämen, und daß unsre Seele nur deswegen diese Einrichtung erhalten hätte, damit keine Irrung in der Erkenntniß entstünde, und unsre Vorstellungen den Dingen selbst jedesmal korrespondirten? – Denn es scheint doch, daß den Dingen an sich, oder den Objekten, die unsre Vorstellungen verursachen, auch eine objektive Form, in der sie existiren, zugeschrieben werden müsse, und ich sehe keinen Grund, warum man Raum und Zeit nicht dafür gelten lassen wollte. So könnten also, wie mich dünkt, die | Dinge an sich auch im Raum und in der Zeit seyn, und diese Vorstellungen lägen auch in unserer Seele, um die Harmonie der Wahrheit zu bewirken.« Man sieht, daß dieser Einfall, worüber Herr J. dem Scharfsinn seines Zuhörers ein flüchtiges Kompliment macht, mit der oben kurz berührten und im 66. Bande d. a. d. B. weiter ausgeführten Mittelhypothese einige Aehnlichkeit hat, in so fern nach beyden Raum und Zeit nicht bloß subjektiv, sondern auch zugleich objektiv angenommen werden; aber sonst ist zwischen beyden doch noch ein großer Unterschied. Des Hrn. J. Zuhörer meynt, auch außer der Seele existire Raum und Zeit, als für sich bestehende Dinge oder als wesentliche Eigenschaften der Dinge an sich, und nach meiner Hypothese findet sich bloß in den Dingen an sich ein objektiver Grund, woraus in so gebildeten und eingeschränkten Denkkräften, als die menschlichen, die Vorstellungen von Raum und Zeit resultirt. Daher wird es nun Hrn. J. auch sehr leicht, den Einfall seines Zuhörers von der Hand zu weisen. Zwar wenn er ihm sagt, daß er schon darum keine Rücksicht darauf nehmen könne, weil es eine Hypothese sey, so kommt es mir sehr sonderbar vor, wie er sich überreden können, daß seines Lehrers Gedanken über Raum und Zeit etwas mehr, als Hypothese seyn. Wenn über einen Gegenstand mehrere Vorstellungsarten statt finden, alle an sich möglich und gedenkbar, wie dieß hier in Absicht auf Raum und Zeit unleugbar der Fall ist, so kann wohl unmöglich eine derselben im Voraus die Benennung einer Hypothese von sich ablehnen. Nur dadurch kann sie sich über diesen Rang erheben, daß sie sich als die einzige beweiset, die unter allen möglichen zur Erklärung aller zu erklärenden Umstände hinreicht; aber auch zugleich von ihren Nebenbuhlerinnen zeigt, daß sie dies nicht leisten können, sondern daß ihnen vielmehr einige Punkte gerade entgegenstehen, und sie ausschließen. So lange aber irgend eine mögliche Hypothese übergangen worden, so behält sie noch immer das Recht zu fordern, daß auch auf sie Rücksicht genommen, und sie mit ihrem Anbringen gehört werde. Bevor dieses geschehen, darf sie nicht präkludirt werden, indem eine vorläufige Präklusiverkenntniß zu gunsten einer verschieden vorgeblich erwiesenen Hypothese nicht eher möglich ist, als bis die übergangne Hypothese mit ihren Ansprüchen und Rechtsgründen auch gehört und abgewiesen worden. Indessen ist dieß nicht der einzige Fall, wo sich das Kantische System dieser logikalischen Ungerechtigkeit zu Schulden | kommen läßt; wir werden sogleich noch ein ähnliches Beyspiel aufstellen, wenn wir noch das Uebrige, was Hr. J. einwendet, beleuchtet haben. »Ueberdem so sprechen,« fährt er fort, »alle Philosophen den Dingen an sich alle Prädikate des Raums und der Zeit ab. Sie werden sich erinnern, daß die Monaden keinen Raum einnehmen. Gott kann nicht ausgedehnt seyn, und in seinen Kenntnissen und Vor-
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stellungen darf keine Zeit gedacht werden. Der Fehler Ihrer Hypothese liegt darin, daß sie sich die Sinnenwelt als einen Gegenstand an sich zu denken scheinen; allein sie ist nichts, als Phänomen für uns, und da alle unsere Prädikate nur von Phänomenen gelten, so können wir kein einziges auffinden, welches auf die Objekte selbst paßte, Ordnung, Harmonie und alles, was Sie hervorbringen mögen, ist völlig ohne Bedeutung, wenn Sie es nicht von Erscheinungen in der Sinnenwelt verstehen, wenn unsre äußere Sinnen anders gebauet wären, würden auch unsere Vorstellungen von den Dingen ganz anders seyn, und wenn nun die Bedingungen unserer Sinnlichkeit nicht dieselbigen, und unsere Vorstellungen nicht an Zeit und Raum gebunden wären, so folgt daraus noch nicht, daß überall keine Vorstellungen statt finden könnten, sondern nur, daß sie nicht so seyn könnten, wie sie jetzt sind, ob wir gleich außer dieser Verneinung nicht das geringste Positive von einer solchen Vorstellung angeben könnten, u.s.w.« Alle diese Gegengründe treffen die Mittelhypothese, wie sie von mir vorgestellt ist, im geringsten nicht. Ich bin völlig mit den Philosophen einig, die den Dingen an sich selbst die Prädikate des Raums (nämlich völlig so genommen, wie sie als Vorstellungen in unsrer Seele existiren,) absprechen; nehme aber mit diesen Philosophen allerdings einen objektiven Grund in den Dingen an sich an, woraus in der menschlichen Seele diese Vorstellungen entstehen. Ich kann auch gern zugeben, daß dieß Objektive, was es auch immer seyn mag, bey anders gebildeten Geistern anders modificirte Vorstellungen hervorbringen könne. Auch liegt der Fehler meiner Hypothese keinesweges darin, daß ich mir die Sinnenwelt als einen Gegenstand an sich denke. Ich denke über die Anschauungen des äußern Sinnes, über Ausdehnung, Figur und Bewegung wie Leibnitz, halte sie für Erscheinungen, die in etwas das an sich weder Ausdehnung, noch Figur, noch Bewegung, wie sie sich die menschliche Seele denkt, seyn mag; wohl aber darin so ge | gründet ist, daß dieß unbekannte Etwas in unserer Seele die Vorstellung von Ausdehnung, Figur und Bewegung gleichsam als eine Art von Wiederschein veranlaßt, wie die durch die Wassertropfen einer Wolke verschiedentlich gebrochenen Sonnenstralen die Erscheinung der Farben des Regenbogens veranlassen. Aber was die Wahrnehmungen des innern Sinnes und des Selbstbewußtseyns anbetrifft, so glaube ich hier mit Leibnitz eine Ausnahme machen zu müssen, und wenn ich gern zugebe, daß in unsern Vorstellungen nicht nur von Außendingen, sondern von unserm Ich, unserm denkenden Subjekte, noch mancher Schein und Täuschung quoad materiam liegen mag, so kann ich mich doch nie überzeugen, daß das Vorstellen und Denken selbst, seinem Wesentlichen nach, Erscheinung oder Schein seyn könne, nie den Herrn J. die widersinnigste von allen seinen Behauptungen, daß wir uns lediglich als Erscheinungen kennen, und daß das Denken selbst Erscheinung sey, zugestehen. Ja, glaubte ich nicht, daß hier abermals eine Zweydeutigkeit in dem Worte Schein und Erkenntnis steckte, so würde es mir ganz undenkbar seyn, wie ein Philosoph je den Satz, daß das Denken eine Erscheinung sey, behaupten könne. Ich weiß, daß die Kantische Schule einen Unterschied zwischen Schein und Erscheinung annimmt. Wie dieser auch immer seyn mag, so ist doch beydes das Gegentheil von Ding oder Sache an sich selbst, etwa mit diesem
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Unterschiede, daß Schein in zufälliger; Erscheinung aber in wesentlicher Beschaffenheit oder Einschränkung des menschlichen Geistes gegründet, jene daher etwas Zufälliges, Vorübergehendes und gleichsam verbesserliches; diese aber etwas Wesentliches, Beständiges, nie für uns zu Berichtigendes sey. Ist nun beydes (Schein und Erscheinung) dem Dinge an sich entgegengesetzt, und ist jedes Ding an sich das, was es ist, so kann dieß Ding nie ein von sich verschiedenes Ding werden, als wenn es wirklich in ein ganz verschiedenes Ding umgeändert oder umgeschaffen würde; geschieht dieß nicht, so bleibt es an und für sich selbst dasselbe Ding; kann aber von irgend einem denkenden Subjekt, für das, was es in sich ist, verkannt, und für etwas anders, als es an sich ist, gehalten werden. Geschieht dieß vermöge der wesentlichen Einschränkung eines solchen Subjekts, so nennt man das, was anders erscheint, und in so fern es anders erscheint, als es ist, oder vielmehr die subjektive Vorstellung, die sich irgend ein eingeschränkter Geist von demselben macht, eine Er | scheinung. Folglich setzt nicht nur jede Erscheinung ein denkendes Subjekt zum Voraus, wodurch es möglich und wirklich ist, sondern kann auch nirgends anders, als in demselben, und zwar als Vorstellung existiren, und wird ein Nichts oder Unding, sobald die Vorstellungskraft durch die, und in der es existirt, wegfällt. Wie kann nun das Denken selbst eine Erscheinung in diesem Sinne seyn, wie das selbst seyn, was erst durch Denken möglich wird, und immer ein denkendes Wesen voraussetzt? Es ist dieß eben dieselbe Art zu schließen, deren sich der V. bedient, um zu beweisen, daß die Kategorieen nicht aus der Erfahrung entstehen, oder keine Erfahrungssätze sind. S. 184 heißt es: »Ohne Kategorie ist keine Erfahrung möglich, sie (die Kathegorieen) können also nicht aus Erfahrung entstehen.« Doch wozu alle diese Weitläuftigkeit, da der Verf. selbst dieß merkwürdige Geständniß thut. (S. 167) »Ich kann wohl mit der strengsten Gewißheit behaupten, daß jede Erscheinung muß gedacht werden können, weil sie sonst gar keine Erscheinung wäre, denn sie fällt ohne das denkende Wesen ganz weg, weil sie keine eigene Subsistenz hat, sondern sie bloß von dem denkenden Wesen erhält.« – Dieß ist nun gerade das, was ich behaupte; aber wer hätte nun folgenden Nachsatz erwarten sollen? »Ob aber Dinge an sich je durch das, was wir Denkkraft nennen, zu erreichen sind, oder ob nicht vielmehr durch jene das Denken selbst erst möglich sey, und also selbst nichts weiter, als Erscheinung sey, darüber können wir nicht urtheilen.« Ob durch das, was wir Denkkraft nennen, die Dinge an sich zu erreichen sind! was will dieß sagen? etwa nur eins derselben auffinden, oder völlig begreifen und ausmessen? Soll es das Letztere seyn, so kann dieß mit Recht bezweifelt werden; aber unmöglich das Erstere, denn ist Denken nicht Erscheinung, kann es keine Erscheinung seyn, weil die Erscheinung sonst das seyn müßte, wodurch sie erst möglich wird, und sind sich Erscheinung und Dinge an sich so gerade entgegengesetzt, daß das, was das Eine ist, das Andere nicht seyn kann, und das, was das Eine nicht ist, das Andere seyn muß, so haben wir ja ein Ding an sich, nämlich das denkende Wesen, und eine Sache an sich, nämlich das Denken, aufgefunden. Noch sonderbarer wird der Widerspruch: »Oder ob nicht vielmehr durch jene (Dinge an sich) das Denken selbst erst möglich, und also selbst nichts weiter, als Erscheinung sey, darüber
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können wir nicht urtheilen.« Zwar zieht sich der Verf. in Anse | hung des letzten Satzes, den er sonst sehr positiv behauptet, in ein bescheidenes Zweifeln zurück, und scheint dadurch das Paradoxon mildern zu wollen; aber auch dieß sein non liquet ist sehr widersinnig und unlogikalisch. Wie, in einem Othem zu gestehen, daß jede Erscheinung müsse gedacht werden, daß sie keine eigene Subsistenz hat, sondern sie bloß von dem denkenden Wesen erhält, und es dennoch für etwas Unauszumachendes zu erklären, ob das Denken nun wirklich Sache an sich sey, oder ob nicht vielmehr das Denken durch ein Ding an sich (das folglich vom Denken etwas verschieden seyn muß, denn wäre es denkend, so wäre es ja das Ding an sich, das wir suchen) erst möglich sey, und also selbst nichts weiter, als Erscheinung sey – das heißt ja in der That behaupten, daß das Denken aus dem, was nicht Denken ist, durch Denken entstehen könne. O Logik und alle Musen! möchte man hier mit Lessing ausrufen. Doch genug von diesem Satze, dessen Behauptung der Kantischen Schule ihre transcendentale Aesthetik nothwendig macht; der aber, da er offenbar widersinnig oder vielmehr ganz verstandlos ist, schon allein zeigt, wieviel noch daran fehle, daß diese Aesthetik und alles, was darauf gebauet wird, und unzertrennlich damit zusammenhängt, apodiktisch erwiesen sey. Ich hatte mich oben anheischig gemacht, noch eine Instanz von einem gleich ungerechten Präklusivurtheile, als über die Mittelhypothese von Raum und Zeit ausgesprochen worden, anzuführen. Dieß wird freylich einige Weitläuftigkeit erfordern, da es aber zur Gegenprüfung der Jakobschen Prüfung gehört, und zeigt, wie wenig der Verf. berechtigt war, einseitig, und bloß nach Kantischen Grundsätzen, die Mendelssohnsche Beweisführung zu verwerfen, so werden sie mir meine Leser verzeihen. Es betrifft einen ganz ähnlichen; zur Sache aber näher gehörigen Fall, worauf mich eine Anmerkung des Hrn. J. unter dem Text bringet. (S. 26.) Sie bezieht sich auf die Worte im Text: »könnte nicht dem unerachtet die Natur der Dinge so eingerichtet seyn, daß diese Prädikate (Raum und Zeit) ihnen auch an sich zukämen 28, und daß unsre Seele nur deswegen diese Einrichtung erhalten hätte, damit keine Irrung in der Erkenntniß entstünde:« – und lautet folgendermaßen: »Eben sehe ich, daß Krusius auch einen ähnlichen Weg einschlug, um die Gesetze des Verstandes zu erklären. Ich muß gestehen, daß | mir die Auflösung des Herrn Kant nicht ganz befriedigend zu seyn scheint, denn Krusius selbst erkannte doch bloß diejenigen Grundsätze für wahre Grundsätze, worinnen alle Menschen mit ihm übereinstimmten, und konnte die Privatgrundsätze nicht für nothwendig ausgeben. – Der Grund aber, warum diese Meynung nicht als Lehrsatz angenommen werden kann, scheint mir zu seyn, weil es eine bloße Hypothese ist, und also mehrere Fälle möglich sind, also keine Gewißheit, noch weniger apodiktische Gewißheit statt findet, die hier allein gesucht wird.« Um dieß zu verstehen, müssen wir uns einer Stelle aus des Hrn. K. Prolegomenen (S. 112) erinnern. Hier hatte Herr K., gerade so, wie er es in Absicht auf die Begriffe von Raum und Zeit gemacht, auch in Ansehung der allgemeinen und nothwendigen Naturgesetze bloß diese beyden Fälle 28
Im Original: »zu erklären«.
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als möglich angenommen, entweder sie sind bloß subjektiv oder bloß objektiv. Sind sie nämlich subjektiv, so sind es bloße Gesetze unsers Verstandes, der nach ihnen die Anschauungen und Erscheinungen bearbeitet, und sich dadurch eine Natur, wovon außer ihm nichts vorhanden ist, selbst schafft oder erdichtet. Dieß ist bekanntlich die vom Hn. K. angenommene Hypothese; sind sie objektiv, wie bisher fast durchgängig alle Philosophen behauptet haben, so sind es wahre Gesetze der Natur oder der Dinge, deren System das, was man sonst Natur nennt, ausmacht, vorgeschrieben, die Dinge sind daran gebunden, und wir lernen sie nur aus der Natur, vermöge der Erfahrung, kennen – Hier war nun offenbar auch ein Mittelweg, nämlich die Hypothese, übrig: daß diese Gesetze quaestionis beydes Gesetze unsers Verstandes sind, wornach er sich in seinen Operationen richten muß, und zugleich Gesetze der Dinge an sich und ihres Systems, nämlich der sogenannten Verstandeswelt, sind. Es ist in der That zu verwundern, wie einem so scharfsinnigen und tiefdenkenden Weltweisen, als Herr Kant unstreitig ist, diese Mittelhypothese so ganz entwischen können, daß er schreiben konnte: (loc. cit.) »Eine solche, und zwar nothwendige Uebereinstimmung der Prinzipien möglicher Erfahrung mit den Gesetzen der Natur, kann nur aus zweyerley Ursachen statt finden: entweder diese Gesetze werden von der Natur vermittelst der Erfahrung entlehnt, oder umgekehrt, die Natur wird von den Gesetzen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt abgeleitet, und ist mit der bloßen allgemeinen Gesetzmäßigkeit der letztern völlig einerley. Das Er | stere widerspricht sich selbst, denn die allgemeinen Naturgesetze können und müssen a priori (d. i.29 unabhängig von aller Erfahrung) erkannt, und allem empirischen Gebrauche des Verstandes zum Grunde gelegt werden; also bleibt nur das Zweyte übrig.« – Wiewohl ganz ist sie ihm nicht entwischt, wie wir aus seiner diesen eben angeführten Worten untergesetzten Anmerkung sehen, worin es heißt: »Krusius nur wußte einen Mittelweg, daß nämlich ein Geist, der nicht irren, noch betrügen kann, uns diese Naturgesetze ursprünglich eingepflanzt habe. Allein da sich doch oft auch trügliche Grundsätze einmischen, wovon das System dieses Mannes selbst nicht wenig Beyspiele giebt, so sieht es bey dem Mangel sicherer Kriterien den ächten Ursprung von dem unächten zu unterscheiden, mit dem Gebrauch eines solchen Grundsatzes sehr mißlich aus, indem man niemals sicher wissen kann, was der Geist der Wahrheit oder der Vater der Lügen uns eingeflößt habe möge.« Wahrscheinlich ist es diese Aeußerung seines Lehrers, worauf Herr J. in der oben angeführten Note zielt, denn ich besinne mich sonst keiner Stelle in den Kantischen Schriften, wo Krusius und sein Mittelweg erwähnt wird, und die sich zu dem, was Hr. J. sagt, passen könnte. Und hier ist bey der sonst weit getriebenen Anhänglichkeit an seinen Lehrer und dessen System die Freymüthigkeit zu loben, womit der Verf. es bekennet, daß Kants Auflösung ihm nicht ganz befriedigend sey, und zwar aus der Ursache, weil Krusius doch nur diejenigen Grundsätze, worin alle Menschen mit ihm übereinstimmten, für wahre Grundsätze erkannte, und man ihm folglich wirklich zu viel that, wenn man auch zweifelhafte 29
Im Original: »die«.
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oder nicht evidente Grundsätze zu solchen rechnete, von denen er soll behauptet haben, daß sie uns von einem untrüglichen Geiste ursprünglich eingepflanzet worden. Da ich Krusius Schriften hierüber nicht nachschlagen kann, so kann ich auch nicht sagen, ob er unsern Mittelweg wirklich auf eine so unschickliche und fast schwärmerische Weise vorgestellt habe, wie es ihm hier Schuld gegeben wird; aber das sehe ich doch leicht ein, daß es dabey auf Wahrheit oder Falschheit von Eingebung nicht ankommen könne, und daß ihn hierüber anzugreifen, (wenn er auch durch seyne Art sich auszudrücken dazu Anlaß gegeben hätte,) nicht sowohl gründliche Widerlegung, als vielmehr eine Art von Persiflage sey, die ich wirklich von einem Kant nicht erwartet hätte; zumal in einem Falle, wo es gerade die Hauptsache seines ganzen | Systems betraf. Die Frage ist: sind diese selbstevidente nothwendigen Grundsätze, diese allgemeinen Naturgesetze der menschlichen Seele ursprünglich eingepflanzt oder nicht? Ist das erste, so haben wir uns der Kantischen Philosophie zufolge, gar nicht um denjenigen, der sie ursprünglich eingepflanzt hat, ob es überall ein Geist sey, der dies thun müssen, und ob es ein Geist der Wahrheit, oder ein Vater der Lügen sey, zu bekümmern. Das war eine dem guten Crusius zu verzeihende Schwachheit, daß er dazu überhaupt einen höchsten Geist für nöthig hielt, und diese Schwachheit hätte ihm die darüber weit erhabne Kantische Philosophie übersehen und als zur Hauptsache nicht gehörig bey Seite setzen sollen. Weit mehr würde die Wahrheit dabey gewonnen haben, wenn Hr. K. den Crusiusschen Mittelweg in seinem stärksten Licht dargestellt, d. i. so vorgestellt hätte, als ob dadurch behauptet würde, daß eben dieselbigen Gesetze dem 30 menschlichen Geist bey seinen Operationen vorgeschrieben sind, woran die Natur in ihrem Gange und in ihren Wirkungen gebunden ist – und ihn alsdann gehörig widerlegt hätte. Da dies nun aber von Hrn. Kant nicht geleistet worden, so hätte Hr. J. der das Unbefriedigende in seines Lehrers Auflösung erkannte, billig diese Lücke ausfüllen sollen; aber auch er bringt nichts Befriedigenderes hervor, sondern sucht sich, (so wie bey Raum und Zeit) mit der schwachen Ausflucht durchzuhelfen, daß dieser Mittelweg nur eine Hypothese sey, und also mehrere Fälle möglich seyn, daß also keine Gewißheit, am wenigsten apodiktische Gewißheit, die hier allein gesucht werde, statt finde – daß man sie suche, stehet keinem zu verdenken, aber daß man sie da wo sie nicht ist, und auch nicht wohl seyn kann, nämlich in den Kantischen Gedanken über die allgemeinen Naturgesetze gefunden zu haben glaubt, ist sehr zu verwundern, da hier gerade das Hauptrequisitum, nur vermittelst eines disjunctiven Vernunftschlusses zur Gewißheit zu kommen, fehlt, daß nämlich unsre Eintheilung die Möglichkeit erschöpfe, daß wir keinen gedenkbaren Fall ausgelassen, oder wofern wir ihn berührt haben, ihn in seiner Stärke vorgetragen und völlig widerlegt haben. Letzteres ist hier gar nicht geschehen, denn sehr verstellt und in dem nachtheilichsten Lichte wird der Mittelweg vorgestellt, und statt gründlicher Argumente wird er mit einem witzigen oder spöttischen Einfall abgefertigt. Warum ich übrigens diese Mittelhypothese zwar nicht für apodiktisch erwiesen oder erweislich, aber | 30
Im Original: »den«.
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doch für weit wahrscheinlicher als die Kantische Hypothese halte, darüber beziehe ich mich der Kürze halber auf die mehrmals angeführte Recension der Schulzischen Erläuterungen im 66. Bande der A. d. B. und merke nur an, um nach dieser langen Abschweifung wieder zur Prüfung der Mendelssohnschen Beweise einzulenken, daß alles das, was Hr. J. nun weiter gegen Mendelssohn einwendet, daß er das Gesetz der Caussalität in einer solchen Bedeutung anwendet, als ob es sich nicht nur auf Erscheinungen, sondern auch auf Dinge an sich erstrecke, bey mir und jedem uneingenommenen Prüfer für nichts mehr als eine Petitio Principii und höchstens für nichts weiter gelten kann, als wenn Hume in seiner skeptischen Laune, gegen die Anwendung dieses Gesetzes auf die Entstehung der Welt, einwirft, es sey zwar ein rechtmäßiger Schluß, wenn man von den auf einer wüsten Insel wahrgenommenen Fußstapfen eines Menschen schließe, daß Menschen dort müßten gewesen seyn, denn dieser Schluß stütze sich auf Erfahrung, aus der, nach seiner Voraussetzung, allein der Begriff von Causalverbindung geschöpft sey, und der dieser Begriff seine ganze Gültigkeit verdanke; aber da wir von der Bildung oder Entstehung einer Welt nie eine Erfahrung gehabt, so wären wir auch nicht berechtigt, von der Bildung irgend eines Kunstwerks durch einen Verstand auf die Bildung einer Welt durch einen Verstand zu schließen. Beydes was Hr. J. und was Hume einwendet, stützet sich auf einer einseitigen, unerwiesenen, und ich darf hinzusetzen, unerweislichen Hypothese. Ja was Hr. J. einwendet, ist gewissermaßen noch unwichtiger, weil er aus einem Gesetze argumentiert, das derjenige, der es gegeben hat, selbst übertreten hat, bey dem ersten Schritte im Vorhofe seines Lehrgebäudes übertreten muß. Will Hr. Kant nämlich nicht Erscheinungen ohne Dinge an sich annehmen, nicht die Verstandes- und Sinnenwelt gänzlich trennen, oder jene nur für die Langeweile behaupten, nicht sich einem ufer- und grundlosen Meer von Zweifeln überlassen; will er vielmehr, wie er sich hin und wieder deutlich erklärt, daß Dinge an sich den Erscheinungen, eine Verstandeswelt mit ihren Gesetzen sogar, der Sinnenwelt und ihren Gesetzen zum Grunde liegen, daß Dinge an sich unsre Sinnlichkeit afficiren sollen, so haben wir ja die über die Erfahrung hinaus bis auf die Dinge an sich, sich erstreckende Causalverbindung. Denn was kann dies zum Grunde liegen, dieß afficiren unsrer Sinnlichkeit | anders bedeuten, als daß die Dinge an sich die Ursache der Erscheinungen sind; sind sie aber Ursachen von etwas, so können sie auch wieder Wirkungen von etwas anders seyn, und so mußte Hr. K. das selbst zugeben, was Hr. J. hier Mendelssohn streitig machen will. Nun ist auch nicht nöthig sich noch bey den besondern Argumenten des Verf. aufzuhalten, wodurch er die Anwendung des Causalgesetzes außerhalb der Sinnenwelt bestreitet, z. B. daß wofern einem Begriffe nicht durch Anschauung ein Gegenstand gegeben werde, diese Begriffe keine objektive Gültigkeit haben, daß der Causalbegriff den Zeitbegriff voraussetze und einschließe, folglich nur auf Erscheinungen passe – denn alles dieß sind bloße Folgerungen aus Kantischen Begriffen von Raum und Zeit, von den Naturgesetzen, und stehen und fallen mit dieser Theorie. Uebrigens können wir, die wir diese Theorie für eine anerwiesene Hypothese halten, es dem Verf. allenfalls zugestehen, daß der Zeitbegriff in den Causalbegriff einge-
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schlossen sey, denn auch den Zeitbegriff halten wir nicht bloß für subjektiv, sondern auch zum Theil in den Dingen an sich, und zwar in ihrer Veränderlichkeit gegründet; daß aber auch die sinnliche Bedingung der Zeit allenfalls weggenommen werden könne, und doch der Begriff der Abhängigkeit bleibe, ließe sich noch wohl erweisen, würde mich aber hier zu weit führen. Nur folgendes hieher gehöriges muß noch besonders bemerkt werden. – »Das wirkliche Daseyn ist niemals ein Prädikat, welches aus den bloßen Begriffen eines Dinges folgt, indem das Daseyn niemals durch Begriffe, sondern ganz allein durch Wahrnehmung erkannt werden kann. Ich kann daher das Daseyn eines Dinges nie aus dem Begriffe erkennen, und der Grundsatz der Kaussalität auf bloße Begriffe angewandt, hat keine objektive Gültigkeit, und ich kann vermittelst dieses Satzes nie auf ein Objekt kommen, welches keiner möglichen Erfahrung oder Anschauung unterworfen, sondern das ein bloßes Objekt des Verstandes, ein Ding an sich wäre.« Ich brauche aber auch hierauf nichts weiter zu antworten, als daß es einmal nichts als unerwiesene Anwendung jener Hauptregel der Vernunftcritik ist, und auch so nach gar keine Dinge an sich als wirklich vorhanden und den Erscheinungen zum Grunde liegend dürfen angenommen werden. Das Raisonnement hat also den großen Fehler, daß es mehr beweiset, als es beweisen sollte. Doch auch diese Behauptung, daß die Sinnenwelt in Dingen | an sich gegründet sey, wird bey Gelegenheit vom Verf. zurückgenommen, und dagegen behauptet: »die Sinnenwelt ist uns nicht als ein absolutes Ganze gegeben, welches seyn mußte, (wenn sie ein Ding an sich selber wäre) sondern succesive in einer Reihe von Vorstellungen, und der Satz der Caussalität ist nur in der Sinnenwelt von Bedeutung, kann uns aber nicht dazu dienen, einen Grund von der Sinnenwelt überhaupt zu finden. Denn da würde ich die Frage beantworten müssen, wie Erscheinung in Raum und Zeit überhaupt möglich sey, welche Beantwortung aber ganz außerhalb der menschlichen Erkenntnißsphäre liegt.« Da haben wir nun die oben gezeigte Zweydeutigkeit der Kantischen Sätze von Erscheinung und Dingen an sich wieder. In der That wird es dieser sonderbaren Theorie dadurch möglich ihren Bestreitern, wenn sie sie zu packen glauben, wie ein Aal zu entschlüpfen. Was will doch der Satz sagen: die Sinnenwelt ist uns nie als ein Ganzes gegeben? will er mehr sagen, als wir können sie nicht auf einmal überschauen, nehmen sie nur succesive wahr, und können unsre Erkenntniß nie bis zum Ueberschauen des Ganzen erweitern? Ist dieß die Meynung, so ist dies freylich sehr wahr, aber sollte daraus folgen: also ist sie nicht ein Ganzes, also besteht sie gar nicht aus Dingen an sich, (die wir nach unsrer Manier, worin sehr viel Perspektive ist, anschaun,) also müßten wir gar nichts von unsern Vorstellungen verschiednes und unabhängiges annehmen, also giebt es lauter Copeyen ohne Originale, Erscheinungen ohne Dinge die erscheinen, und ohne Subjekte, denen sie erscheinen? Gut, so sind wir auf lauter Träumereyen und Täuschungen zurückgebracht? und wir können nichts anders als im strengsten Verstande Egoisten seyn. Liegt die Beantwortung der Frage, wie überhaupt Erscheinungen in Raum und Zeit möglich sind, ganz außer der menschlichen Erkenntnißsphäre, so ist es ein unverantwortliches Spielwerk mit Wörtern uns überall von Erscheinungen und Dingen an sich unterhalten,
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und auf diese Unterscheidung, (die, falls wir überhaupt nicht wissen, wie Erscheinungen möglich sind, für uns ganz verstandlos ist,) ein ganzes System bauen zu wollen. Wenn ich Erscheinung nenne, und will, daß dieses Wort überhaupt einen Sinn haben soll, so muß ich anzugeben wissen, wie und wodurch Erscheinungen von Dingen an sich zu unterscheiden sind, muß wenigstens eine Nominaldefinition davon geben und mehr brauchts | denn auch überall nicht, um einzusehen, daß Erscheinungen und Dinge an sich gerade entgegengesetzt sind, daß Dinge an sich (entweder absolut oder relative genommen) nur durch eine Vorstellungskraft und nur in derselben Erscheinungen werden, daß aber eine Erscheinung, ohne etwas das erscheint, eine leere Träumerey und Täuschung sey u.s.w. Dies alles ist begreiflich und deutlich, und mehr brauchts auch nicht, um sich die Erscheinungen in Raum und Zeit überhaupt zu erklären. Wenn ich aber gerne alles zu Erscheinungen machen, die lästigen Dinge an sich gerne ganz wegschaffen, und nebenher meinen Erscheinungen gerne unvermerkt eine Art von eigner Subsistenz unterschieben möchte – ja dann muß ich sagen, daß nichts in der Welt unerklärlicher und unbegreiflicher ist, als eine solche Erscheinung. – Laßt uns nun dem Prüfer in seinen einzelnen Erinnerungen gegen die Mendelssohnischen Beweise, wie er sie in syllogistischer Form aufstellt, nachgehen. Durch das Vorhergehende haben wir uns die Gegenprüfung etwas erleichtert und abgekürzt. Der erste Syllogismus heißt: Alles was ist, hat notwendig seinen zureichenden Grund. Nun ist eine Sinnenwelt, oder wenigstens ich selbst; also haben die Sinnenwelt und ich einen zureichenden Grund. – Dieser Syllogismus soll lauter bedeutungslose und falsche Sätze enthalten. Der Obersatz soll in der Ausdehnung, in welcher er hier genommen wird, völlig unbrauchbar seyn, und müßte eigentlich so heißen: »jede Erscheinung in der Sinnenwelt setzt eine andere Erscheinung zum voraus, worauf jene nach einer Regel gefolgt ist.« Der Untersatz soll darum falsch seyn, weil er das ist objektiv nimmt, so daß Sinnenwelt und meine Person oder Ich als Dinge an sich angesehen werden. Es müßte so heißen: »Es giebt eine Folge von Erscheinungen, und ich nehme selbst mich in der Zeit und im Raum wahr.« Und nun müsste auch der Schlußsatz so eingeschränkt werden: »folglich müssen sowohl vor jeder Erscheinung, als vor mir selbst Erscheinungen vorhergegangen seyn, auf welchen das Daseyn anderer und mein eignes gefolgt ist – denn das Wort zureichend, welches sich im Ober- und Schlußsatz findet, kann bloß stehen bleiben, in sofern es uns zum Aufsuchen der vollständigen Reihe der Ursachen auffordert, ohne daß dadurch bestimmt wird, daß diese Reihe auch schon nothwendig objektiv gegeben sey.« – Man | sieht auch hier, daß alles, was eingewandt wird, sich auf die vorgeblich erwiesene Richtigkeit der Kantischen Theorie so stützet, daß wenn diese wegfallen sollte, auch die Einwürfe alle Kraft verlieren. Nur nach der bekannten Hypothese von R. und Z. und der Kantischen Lehre von Erscheinung und Dingen an sich können die verschiedenen Sätze des Syllogismus als falsch und bedeutungslos angesehen werden, sonst sind sie es gewiß nicht. Nur nach dieser Hypothese ist es möglich, nicht etwa bloß die Sinnenwelt, (denn deren wirkliches und für sich bestehendes Daseyn konnte Mendelssohn allenfalls dem Skepticismus preis geben)
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sondern uns Selbst, in sofern wir denkende Wesen sind, für bloße Erscheinungen d. i. für solche Objekte zu halten, die kein vom Denken unabhängiges Daseyn haben, nur in Vorstellungen und nur durch Vorstellungen existiren. Für jeden andern Philosophen ist dies, worauf sich alle Einwürfe stützen, und wovon sie alle ihre Kraft hernehmen, ein ganz verstandloser, widersinniger und unverdaulicher Satz. Ja, wollte der Schüler dem Lehrer nicht widersprechen und consequent seyn, so mußte er die hier gegebene Einschränkung des Mendelssohnschen Ober- und Untersatzes billig ferner so berichtigen: Jede Erscheinung in der Sinnenwelt setzt nicht nur eine andere Erscheinung zum voraus, auf welche jene nach einer Regel gefolgt ist, sondern alles dies Scheinwesen setzt etwas zum voraus, was nicht mehr Schein oder Erfahrung ist, (denn die Sinnenwelt muß nach einem von Kant festgestellten Grundsatze, nicht so angesehen werden, als begränze sie sich selbst, d. i. als sey sie sich selbst genug, als gäbe es bis ins Unendliche nichts als Sinnenspiel und Scheinwesen) nicht mehr bloß in Vorstellungen und durch Vorstellungen existirt, sondern ein von allen Vorstellungen unabhängiges für sich bestehendes Daseyn hat, worin eben alle jene Erscheinungen gegründet seyn, oder ihre Ursache finden müssen. Und jener Philosoph, der nicht wie Kant Raum und Zeit für bloß subjektive Formen der menschlichen Sinnlichkeit hält, und eine Außenwelt als wirklich außer uns vorhanden glaubt, wird in der Berichtigung noch weiter gehen, und es auch höchst wahrscheinlich finden, daß jeder wahrgenommenen Veränderung in der Sinnenwelt, jeder Verschiedenheit der Erscheinungen eine angemessene Veränderung und Verschiedenheit in der Verstandeswelt, oder den zum Grunde liegenden Dingen an sich entspreche. – Und so bliebe dann Mendelssohns Schluß in seiner völligen | Bedeutung und Kraft stehen, und bedürfte jener Kantischen Einschränkung gar nicht. Mendelssohns zweyter Schluß ist dieser: Wenn irgend etwas wirklich ist: so ist auch etwas nothwendigerweise. Nun aber bin ich oder die Sinnenwelt wirklich; folglich ist auch etwas nothwendigerweise. Hierüber merkt nun Hr. J. an: »auf diesem zweytem Schlusse beruhet eigentlich das ganze Argument, denn vermittelst desselben will man sich den Weg aus der Sinnenwelt zu Etwas bahnen, das nicht mit zur Sinnenwelt gehören kann, weil in derselben nichts angetroffen wird, dessen Nichtseyn sich nicht denken ließe, und welches also dem Begriffe vom Absolutnothwendigen entspreche. Man wandert also in das Reich der Begriffe hinüber, und findet keinen, der für das nothwendige Daseyn paßte, als den Begriff des allerreellsten Wesens, und da man nun schon als ausgemacht annimmt, daß Etwas nothwendigerweise existiren müsse; so steht man nicht an, diesem Begriffe objektive Realität zuzuschreiben, und zu glauben, daß ein Wesen wirklich vorhanden seyn müsse, welches diesem Begriffe korrespondirt.« Und warum, frage ich, sollte man hiezu nicht berechtigt seyn? Schon Locke setzte bey seinem Beweise für das Daseyn Gottes dies als einen unleugbaren Grundsatz voraus: Wofern etwas ist, so ist auch etwas von Ewigkeit oder immer gewesen, und man sieht, daß dieß von Ewigkeit seyn nur ein andrer Ausdruck für absolut nothwendig seyn ist. Ja unser Verf. gesteht selbst: »wir können nun zwar nicht leugnen, daß wenn man, wie im Obersatz des zweyten Schlusses geschehen ist, voraussetzt, daß etwas wirklich sey,
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man nothwendig zu der Folgerung gezwungen werde, daß auch irgend etwas nothwendig existire; aber gleich nach diesem Geständnisse sucht er den Vortheil, den sein Gegner daraus ziehen konnte, ihm wieder durch folgende Anmerkung zu entreißen: »Nun mag ich aber den Begriff von einem existirenden Dinge annehmen, welchen ich will, so finde ich niemals, das ich mir dessen Daseyn als nothwendig vorstellen müsse, sondern ich kann mir auch das Nichtseyn desselben denken. Ich muß also zwar zu dem Existirenden überhaupt etwas Nothwendiges annehmen, kann aber kein einziges Ding in der möglichen Erfahrung als an sich nothwendig denken, kann niemals sagen: hier ist das nothwendige Ding.« – Hr. J. muß es, wie es scheint, wider seinen Willen gestehen: wofern etwas wirklich | ist, muß auch etwas nothwendig, d. i. zu aller Zeit (nach Hrn. K. eignen Definitionen vom Nothwendigen) wirklich seyn, und freylich, wenn man nicht das Gegentheil, daß Etwas von Nichts durch Nichts nur aus Nichts entsprungen aber wirklich geworden, annehmen will, muß man es wohl zugeben, aber er kann sich doch das Daseyn irgend eines Dinges in der Erfahrung ohne Nothwendigkeit gedenken, ja er kann das Prädikat nothwendig nicht in dem Begriff des Daseyns finden. – Dies, sage ich, ist nun auch gar nicht nöthig, auch nicht möglich, denn da wir auch ein zufälliges Daseyn kennen, so konnte der Begriff des Daseyns, zu dem sich beydes das Prädikat des Nothwendigen und des Zufälligen paßet, unmöglich Nothwendigkeit, als bereits in sich eingeschlossen enthalten. Vom Daseyn also schlechthin betrachtet, läßt sich beydes prädiciren. Nur vom Daseyn als nothwendig angenommen, läßt sich nicht mehr das Gegentheil gedenken, denn die Möglichkeit des Nichtseyns ist durch das Prädikat nothwendig ausgeschlossen. Was wollen wir aber auch überhaupt durch Analyse aus dem Begriffe Daseyn herausbringen, da wir gestehen müssen, daß es für uns ein schlechthin einfacher und unauflöslicher Begriff ist? Wenn wir also nur durch anderweitige Gründe genöthigt sind, ein nothwendiges Daseyn anzunehmen, so würde es thöricht seyn, über den für uns unauflöslichen Begriff vom Daseyn zu grübeln, um irgend ein Prädikat oder sein Gegentheil darin zu entdecken; genug, weder nothwendig noch zufällig stehet mit demselben in Widerspruch, denn ein Daseyn zu aller Zeit läßt sich völlig so gut denken, als ein Daseyn zu irgend einer bestimmten Zeit, ein Daseyn das nie angefangen hat, und nie endigen wird, völlig so gut, als ein Daseyn, das einen Anfang und ein Ende hat. Ich muß, meynt Hr. J. zwar zu allem Existirendem überhaupt etwas Nothwendiges annehmen, kann aber kein einziges Ding in der möglichen Erfahrung als an sich nothwendig gedenken, kann niemals sagen: hier ist das nothwendige Ding. – Also weil das nothwendig existirende Ding nicht in einer möglichen Erfahrung gegeben ist, noch gegeben werden kann, weil ich es nie sehen und betasten und so sagen kann: sehet, hier ist das nothwendig existirende Ding; also giebt es auch kein solches Ding – wofern dies überall etwas beweisen soll, so setzt es den Kantischen Lehrsatz: nichts ist wirklich vorhanden, als was in einer möglichen Erfahrung, oder als Erscheinung in Raum und Zeit | kann gegeben werden, voraus, und so läuft das, was Hr. J. wider den Satz: wenn irgend etwas wirklich ist, so ist auch etwas nothwendigerweise – vorbringt, auf eine handgreifliche Petitionem Principii hinaus.
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Aber diese Einwendung enthält auch einen Widerspruch mit sich selbst. Denn es wird zugleich zugegeben, daß man zu allem existirenden etwas Nothwendiges annehmen müsse, aber auch zugleich geleugnet, weil sich ein solches nicht finden lasse. – wie hebt denn Hr. J. diesen Widerspruch? Er findet dazu kein ander Mittel als dieses, die Begriffe vom Zufälligen und Nothwendigen für ganz leere, auf gar keine wahre und reelle Gegenstände sich beziehende Vorstellungen zu erklären. »Dieses Räthsel«, sagt er, »31 kann nicht anders aufgelößt werden, als wenn man annimmt, was unvermeidlich daraus folgt« (nämlich wenn man Kantische Hypothesen für apodiktisch erwiesene Wahrheiten hält) »daß Nothwendigkeit und Zufälligkeit nicht die Dinge selbst angehn und treffen müssen, weil sonst ein Widerspruch« (nach Kantischen Principien) »32 vorgehen würde, sondern daß es bloße Verstandesregeln sind, die in der Sinnenwelt unsre Erkenntniß leiten sollen – das absolutnothwendige Ding kann also eine bloße Idee seyn, deren objektive Realität zu erweisen uns ganz unmöglich ist, ob es gleich eben so vergeblich seyn würde, darzuthun, daß diesem Begriffe gar kein Objekt entsprechen könnte. Nur langt unser Begriff nicht zu, um aus ihm die objektive Realität mit Gewißheit schließen zu können.« Man sieht es, dies Mittel den Widerspruch zu heben, und zugleich die Ungereimtheit, daß aus Nichts von Nichts und durch Nichts etwas wirklich werde, wegzuschaffen oder verschwinden zu machen, ist heroisch, und der Knoten wird sehr gewaltsam zerhauen. Indessen, wenn es wirkliches Daseyn giebt, so muß von Zweyen gerade entgegengesetzten, sich ausschließenden Prädikaten, (davon keines dem Objekt, dem es zugeschrieben wird, widerstreitet) eins von beyden der Nutzen beygelegt werden können, nothwendig oder zufällig, und alle Künsteley ist vergebens uns zu verbieten, auf Dinge, sie existiren nun als Erscheinung oder an sich selbst, diese auf Daseyn sich beziehende Prädikate anzuwenden. Dabey bleibt alles was von dem anderweitigen Nutzen dieser Begriffe, als Regeln des Verstandes betrachtet, gesagt wird, in seinem Werthe, solche Regulative können sie immer seyn und bleiben, sie mögen übrigens objektiv gültig seyn oder nicht, nur daß man in dem ersten Falle, wenn | sie sich nämlich auf reelle Objekte beziehen, noch den Vortheil hat, daß man nicht eine Täuschung durch ganz leere Begriffe annehmen darf, und nicht nöthig hat, diese Begriffe den Begriffen vom Stein der Weisen, von einer Universalarzney und vom Pulver der Unsterblichkeit gleich zu schätzen. (Wir setzen nun noch die üblichen Syllogismen her, worin Hr. J. den Mendelssohnschen Beweiß a contingentia mundi darstellt, um noch einige seiner Einwendungen dagegen zu beleuchten.) Der dritte Schluß: Alles was zufälliger Weise ist, ist nicht nothwendiger Weise. Nun bin ich und die Sinnenwelt zufällig (denn das Nichtseyn von beyden ist denkbar) folglich ist das Daseyn keines von beyden nothwendig. Der vierte: Alles Zufällige muß aber einen nothwendigen hinreichenden Grund haben. (Der nicht in dem Zufälligen liegt, indem man sonst nie absolute Totalität, folglich
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Diese und die vorangegangenen Anführungsstriche fehlen im Original. Diese und die vorangegangenen Anführungsstriche fehlen im Original.
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keinen hinreichenden Grund erkennen könnte.) Nun ist sowohl die Welt als mein Ich zufällig, also haben sie ihren nothwendigen hinreichenden Grund des Daseyns außer sich. – Der fünfte Schluß: kein Grund kann der hinreichende seyn, als das absolut nothwendige Wesen. Nun ist die Sinnenwelt nicht das absolut nothwendige Wesen, folglich ist sie nicht der hinreichende Grund ihres Daseyns. Der Sechste: Das absolut nothwendige Wesen kann kein anders seyn, als das allerreellste Wesen. Nun ist das absolut nothwendige Wesen nothwendig da, also auch das allerreellste Wesen, oder: Gott ist das absolut nothwendige Wesen. – In Absicht auf den dritten und vierten Schluß findet Hr. J. noch folgende versteckte Fehler: 1) »werden die Begriffe von nothwendig und zufällig so gebraucht, als ob sie auf das reelle Daseyn der Dinge gehen, sondern welches doch nach Obigen nicht statt findet.« Dieß muß allerdings statt finden, denn wenn es existirende Dinge giebt, müssen sie eins von beyden zufällig oder nothwendig existiren. – 2) »herrscht allenthalben die alte Voraussetzung, als ob Ich und Sinnenwelt gegebne ganze Dinge an sich wären, welches wiederum falsch ist.« Nicht falsch, wenn die Sinnenwelt aus mehr als aus farbleeren und bodenlosen Vorstellungen bestehet, und das Denken und denkende Wesen, Sache oder Ding an sich seyn müssen. – 3) »Ist das Gesetz der Caussalität wieder konstitutiv gebraucht, da es doch nur regulativ ist.« – Es muß als konstitutiv | gebraucht werden, sonst besteht die Sinnenwelt in leeren Vorstellungen, die sich auf nichts beziehen, und an nichts haften. – In Absicht auf den fünften und sechsten Syllogismus merkt der V. noch an, daß er sie bey Gelegenheit des Beweises a priori aus bloßen Begriffen noch einmal beleuchten werde. Hier aber erinnert er, »daß da das absolut Nothwendige bloß eine regulative Idee im Verstande sey, und ihr überall kein Objekt gegeben seyn könne, es auch eine ganz verlorne Mühe sey, ein Objekt dazu aufzusuchen, wie vermittelst des fünften und sechsten Schlusses geschehn.« – Ich bewundere hier nur den ganz unvorbereiteten Uebergang aus der bescheidenen Skepsis zu dem dreisten Dogmatismus. Vorher hieß es: das absolut nothwendige Wesen kann eine bloß regulative Idee seyn, deren objektive Realität zu erweisen uns ganz unmöglich ist; ob es gleich eben so vergeblich seyn würde, darzuthun, daß diese Begriffe dem Objekt entsprechen können – Hier heißt es: es ist eine bloß regulative Idee, zu der man vergeblich ein Objekt sucht, weil sich ein solches gar nicht finden läßt. – Wie diese dreiste Verneinung einer möglich aufzufindenden 33 Gottheit nach spekulativen Gründen mit der nachmaligen Auffindung derselben nach moralischer Rücksicht zu vereinbaren sey, davon noch am Ende ein paar Worte. – Hierauf schreitet nun Herr J. zu der Prüfung des neuen von Mendelssohn gegebenen Beweises für das Daseyn Gottes, den er zur bessern Uebersicht gleichfalls in syllogistischer Form vorträgt. 1) Alles Mögliche muß als möglich, und alles Wirkliche als wirklich gedacht werden; nun aber kann nur der vollkommenste Verstand alles Mögliche und alles Wirkliche denken, folglich giebt es einen vollkommensten
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Im Original: »eine möglich aufzufindende...«
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Verstand. Den Untersatz giebt Hr. J. zu – die erste Hälfte des Obersatzes wird durch folgende zwey Vernunftschlüsse erwiesen: 2) a. Möglich ist alles dasjenige, was einmal objektiv unter gewissen Umständen wirklich werden kann; nun aber ist dasjenige, was wirklich werden kann, noch nicht wirklich, folglich ist das Mögliche nicht wirklich, d. i. es findet sich nicht als objektive Eigenschaft an den Dingen. 3) b. Was nicht objektiv wirklich ist, das hat bloß ein idealisches Daseyn: nun sind Möglichkeiten nicht objektive Wirklichkeiten, folglich haben sie ein bloß idealisches Daseyn, oder sie sind bloß im Verstande, und sonst nichts. Alle Möglichkeiten müssen also gedacht wer | den, oder sie sind sonst nichts. – Dieß war die erste Hälfte des Obersatzes von R. 1.34 Daß nun das Wirkliche auch gedacht werden müsse, beruht auf folgenden Schluß: 4) a. Alles, was wirklich ist, muß zu gleicher Zeit denkbar seyn, oder (welches einerley ist,) möglich; nun aber muß alles Mögliche auch wirklich gedacht werden, vermöge N. 335, folglich alles wirklich. 5) b. Wäre das Wirkliche nicht denkbar oder nicht möglich, so hätte es widersprechende Prädikate. Was widersprechende Prädikate hat, ist nichts, folglich wäre das Wirkliche nichts, welches absurd ist. Das Gegentheil muß also wahr seyn, und das Wirkliche muß so gut, wie das Denkbare, gedacht werden. – Es muß, wie Hr. J. vorläufig anmerkt, in dem Gebrauch der Wörter möglich und wirklich ein Fehler verborgen liegen. Mendelssohn habe ganz richtig gezeigt, daß möglich kein Prädikat sey, das sich objektiv in den Dingen fände; er hätte eben dieses auch von dem Begriffe wirklich sagen können. Wirklichkeit und Möglichkeit seyen nämlich Prädikate, welche den Begriff, in so fern er das Objekt bestimmen soll, nicht im mindesten vermehren, sondern es wird dadurch bloß ein Verhältniß der zu erkennenden Objekte zu unserm Erkenntnißvermögen ausgedrückt; hieraus erhelle aber auch zugleich, daß diese Begriffe bloß aus Erfahrung bezogen werden können, und daß sie außerhalb derselben gar keine reale Bedeutung haben. Möglich heiße daher alles, was irgend einmal von uns unter gewissen Bedingungen entweder unmittelbar, oder durch Erfahrungsregeln im Raum und in der Zeit erkannt werden kann; wirklich sey alles das, was unsrer Empfindung korrespondirt, entweder selbst unmittelbar wahrgenommen wird, oder nach den Gesetzen der Erfahrung mit ihr zusammenhängt. Nach diesen vorläufigen Bemerkungen des Hrn. J. über Möglichkeit und Wirklichkeit sollte man vermuthen, daß er das obige Argument nicht mit Vortheil angreifen könne. Es setzt gewissermaßen die nämlichen idealischen Principien voraus, die er selbst zum Grunde legt, und scheint in der That vielmehr ein argumentum ad hominem für die transcendentalen Idealisten als ein allgemein brauchbarer Beweis zu seyn. Auch merkt man dem Prüfer bey Bestreitung desselben einige Verlegenheit an, die ihn dahin bringt, daß er seine bisher so fleißig angewandten Lieblingssätze von Erscheinung und Dingen an sich u.s.w. hier nicht nur ganz bey Seite legt, sondern | sogar das Gegentheil davon anzunehmen scheint. Das HauptIm Original nicht klar lesbar, es wird offenbar Bezug auf den Obersatz von Syllogismus 1) genommen. 35 Erneut nicht klar lesbar, gemeint sein dürfte die Konklusion des Syllogismus 3). 34
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sächlichste nämlich, was er dem neuen Mendelssohnschen Argument entgegensetzt, läuft hierauf hinaus. Er nimmt eine bloß subjektive und eine objektive Möglichkeit an. Versteht man die erstere, so giebt er zu, daß alles Mögliche müsse gedacht werden, weil es in bloßen Gedanken bestehet, (aber darin bestehen auch überhaupt alle Kantische Erscheinungen, sie sind bloße Vorstellungen,) und diese nicht außerhalb denkender Wesen herumschweben können. – (Nach diesem Bekenntniß müßte es also auch merklich vorhandene, von Vorstellungen verschiedne, unabhängige, für sich bestehende, denkende Wesen geben, sonst kommen wir nie auf einen festen Grund, sondern Vorstellungen stecken oder schweben in Vorstellungen, und diese wieder in Vorstellungen, und so bis ins Unendliche herum, und auch hieraus folgt, daß das denkende Wesen eine eigne Subsistenz habe, und die Vorstellungskraft eine ursprüngliche Kraft sey, folglich das Denken nicht Erscheinung seyn könne.) Versteht man aber unter möglich das objektive Mögliche, d. h. diejenigen Gesetze, nach welchen die Dinge zusammengesetzt werden, und ihre Wirklichkeit erlangen – (Hier kann ich nicht sehen, in welchem Sinne und mit welchem Rechte Hr. J. diese Gesetze objektiv nennen kann, sie sind ja nach seinem idealischen System bloß subjektiv, bloß Gesetze unsers Verstandes, und die Dinge selbst sind nichts anders, als unsere Vorstellungen nach Raum und Zeit, die unser Verstand nach seinen Gesetzen ordnet und zusammensetzet, und dadurch erst Erfahrung möglich macht, und sich wirklich sogenannte Objekte erst schaffet,) oder auch nur die Objekte, welche einmal zur Wirklichkeit kommen können, so ist gar nicht abzusehen, warum diese gedacht werden müßten. – Noch einmal, wie sich diese sonst ganz gegründete Unterscheidung und Bemerkung zu dem transcendentalen Idealismus paßt, ist nicht wohl einzusehen, dieß System kennt eigentlich keine andere (reale) Möglichkeit und Wirklichkeit, als die bloß von Anschauung und sinnlicher Wahrnehmung abhängt, und lediglich darin besteht, die folglich anschaubar und gedenkbar seyn muß. Denn auf Dinge an sich können die Begriffe Möglichkeit und Wirklichkeit, die außerhalb der Erfahrung gar keine reale Bedeutung haben sollen, gar nicht bezogen werden, folglich kennt dieß System keine andere reale Möglichkeit und Wirklichkeit, als gerade eine solche, wie sie Mendelssohn in seinem Argument voraussetzt, eine solche, | die im Anschauen und Denken besteht. Es scheint also, wie gesagt, als ob Mendelssohn gegen diese Idealisten ex concessis habe disputiren wollen; aber er bedachte nicht, daß weil sie nicht nur die Aussen- und Körperwelt aufheben, sondern auch die Sinnen- und Geisterwelt zerstören, und der menschlichen Denkkraft keine eigne individuelle Subsistenz zugestehen, sondern unser Seelenwesen bloß auf eine Reihe fließender Vorstellungen ohne Subjekt und Objekt reduciren, mit aller dieser Herablassung doch nichts gegen sie auszurichten seyn würde, so lange er sie nicht von der Ursprünglichkeit der Denkkraft und der individuellen Subsistenz ihres Geistes überzeugt hätte. Denn nur, nachdem es dem jüdischen Weltweisen hierin gelungen wäre, könnte er seine Gegner zu dem Geständniß bringen, daß, so, wie der menschliche Geist eine für sich bestehende denkende Substanz sey, der auf eine gewisse Anzahl von Vorstellungen eingeschränkt sey, so sey es wenigstens höchst wahrscheinlich, daß es im-
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mer höhere Denkkräfte und endlich eine höchste und vollkommenste, die alles Mögliche und Wirkliche mit ihren Vorstellungen umfasse36, geben werde – Doch dieß nur beyläufig; ich merke weiter an, daß es sich mit uns andern Philosophen ganz anders, als mit den transc. Idealisten verhalte, wir nämlich dürfen obige Unterscheidung unter einer subjektiven und objektiven Möglichkeit und Wirklichkeit allerdings annehmen. Wir haben Dinge, die für sich bestehen, unabhängig von allen Vorstellungen, die man sich von ihnen macht, existiren. Warum diese, um wirklich zu seyn, erst von irgend einem Geiste müßten gedacht werden, davon ist kein Grund anzugeben. Auch selbst ihre Möglichkeit läßt sich als objektiv und von Gedanken unabhängig betrachten, und diese ihre objektive Möglichkeit besteht darin, daß in den Dingen selbst irgend ein Grund d. h. eine Fähigkeit, Anlage und Geschicklichkeit liegt, vermöge der unter günstigen Umständen und durch das Zusammentreffen mehrerer Ursachen irgend etwas wirklich werden kann, was kein Geist, wenigstens kein menschlicher Geist, für möglich gehalten hätte. Man kann hievon kein deutlicheres und überzeugenderes Beyspiel geben, als die neuerlich erfundene Luftschifffahrt. Alle bekannt gewordene Hypothesen, wodurch man sich diese Erfindung bisher als möglich erklären wollen, waren, so, wie alle desfalls gemachte Versuche, als ganz grundlos und unthunlich von Kennern erklärt worden; man hatte sogar die physische Unmöglichkeit der Sache zu beweisen ge | glaubt, (man sehe unter andern Eberts Naturlehre,) und siehe, die Luftschifffahrt muß so undenkbar d. i. so wenig mit physischen und mechanischen Kenntnissen und Erfahrungen vertragbar sie auch bisher den Naturkundigern geschienen hatte, doch an sich möglich gewesen seyn, denn wäre sie es nicht gewesen, so würde sie nie wirklich geworden seyn. Und wodurch war denn diese Erfindung möglich, oder worin bestand ihre objektive Möglichkeit? Ohne Zweifel darin, daß es eine oder mehrere Luftarten gab, die specifisch leichter, als die atmosphärische Luft sind, daß der menschliche Geist die Fähigkeit hatte, diese specifische Leichtigkeit gewisser Luftarten zu bemerken, sie mit der atmosphärischen Luft zu vergleichen, und aus dieser Vergleichung Resultate zu ziehen, die ihn endlich zu dieser Erfindung der Luftschifffahrt führen mußten. Wollte man mir hier einwenden: es würde doch aber immer zur Möglichkeit dieser Erfindung erforderlich seyn, daß sie von irgend einem Geiste vorläufig als möglich gedacht worden, oder daß das Denken und Vorstellen als wesentlich zur Möglichkeit derselben müsse gerechnet werden, so antworte ich hierauf: freylich war das Denken zur Luftschifffahrt, insofern sie eine menschliche Erfindung seyn sollte, nothwendig; aber durch alles dieses Denken würde doch nichts ausgerichtet seyn, wenn nicht von allem Denken unabhängig und vorläufig vor demselben eine specifisch leichtere Luftart existirt, und den Grund und Stoff zu allem Denken hergegeben hätte. Ohnedem kann man sich auch die Erfindung ganz zufällig denken, etwa so, wie die Montgolfiers darauf sollen verfallen seyn, oder daß etwa ein Ballon in ganz anderer Absicht, mit leichterer Luft angefüllt, den Händen desjenigen, der ihn anfüllte, entwischt, und sich von selbst in die Luft 36
Im Original: »umfassen«.
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gehoben hätte. Da würde also die Luftschifffahrt beynahe schon als wirklich gegeben seyn, ehe noch ein menschlicher Geist sie einmal als möglich gedacht hätte. Wollte man weiter einwenden, daß wenigstens ein höherer Geist sich die Möglichkeit dieser Erfindung hätte denken müssen, so gebe ich dieß in so fern zu, als dieser höhere Geist alle mögliche Luftarten und ihre verschiedene Schwere gekannt, selbige mit einander verglichen, und alle mögliche Resultate aus dieser Vergleichung gezogen hätte; allein alsdann wäre sein für möglich halten nicht der Grund und die erste Ursache der objektiven Möglichkeit oder der Verschiedenheit der Schwere verschiedner Luftarten, sondern vielmehr die Folge dieser Verschiedenheit und seiner | Erkenntniß derselben gewesen. Wollen wir endlich auf einen höchsten und vollkommensten Geist uns berufen, durch dessen Denken diese Erfindung erst hätte möglich werden müssen, so würde dieß in der That eine Petitio Principii seyn, es würde nämlich schon vorausgesetzt, was doch erst bewiesen werden sollte, daß eine Sache, wie diese Erfindung, nicht innere Gründe der Möglichkeit habe, sondern sie erst durch das Denken eines höchsten Geistes erhalte. Kurz, wir müßten endlich zu dem äußerst widersinnigen Satze der Kartesischen Schule, daß das Denken Gottes erst die Möglichkeiten oder das Wesen der Dinge schaffe, unsre Zuflucht nehmen. – Dieß sind meine mir nicht unerheblich scheinende Einwendungen gegen diesen neuen Mendelssohnschen Beweis für das Daseyn eines vollkommensten Geistes. Es sind im Grunde ebendieselben, die Herr J. diesem Beweise entgegensetzt; aber, wie mich dünkt, ganz und gar nicht seinem System gemäs, sondern demselben vielmehr entgegen. Indessen bemühet er sich, in der Folge diese Beweisart näher mit seinem System zu vergleichen, und findet, wie er es denn auch nicht wohl anders konnte, viel Wahrheit in den Hauptsätzen desselben, so, daß man immer das Resultat desselben als eine bloße Hypothese könne stehen lassen. Aber durch alles, was er hier vorbringt, benimmt er mir meinen Zweifel nicht, daß es ihm nach seinem Idealismus, vermöge dessen er keine wirklich vorhandene und realmögliche Dinge an sich, in so fern diese das Gegentheil von Erscheinungen seyn sollen, mit Gewißheit annehmen darf, nicht gebührt hätte, die obigen Einwendungen gegen Mendelssohn zu machen, zumal da er den Satz: alles Wirkliche muß als wirklich gedacht werden, mit diesen Worten zugiebt: »die Beziehungen können nicht eher Beziehungen seyn, als bis ein denkendes Wesen, als das nothwendige Correlatum, dazu da ist, und alle Beziehungen und Erscheinungen fallen gänzlich weg, wenn sie nicht von einem denkenden Wesen erkannt werden. Alle Gesetze für Erscheinungen befinden sich bloß in dem Menschen oder seiner Erkenntnißart, und mit ihm würde die ganze Sinnenwelt verloren gehen.« Erinnert man sich nun zugleich des Kantischen Satzes, daß durch den zur Kategorie der Modalität 37 gehörigen Begriff von Wirklichkeit in dem Subjekt desselben oder dem Dinge, dem das Prädikat beygelegt wird, nichts Neues und Hinzukommendes, nichts, was nicht schon in dem Dinge, als bloß möglich betrachtet, gelegen, gesetzt | werde, sondern daß es bloß dadurch und in sofern aus der Möglichkeit zur Wirklichkeit übergehet, 37
Im Original steht: »Moralität«.
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daß es von einem denkenden Wesen als wirklich oder existirend da ist, anders angesehen wird, als damals, wie es bloß für möglich gehalten ward, so findet man, daß alles Existiren bloß in einer gewissen Art, sich einen Gegenstand vorzustellen, nach dieser Theorie, bestehen könne, daß sie folglich alles das, was Mendelssohn bey seinem neuen Beweise vom Wirklichen und Möglichen annimmt, voraussetze und bestätige. Wenn nun gleich Hr. J. zu dem Obigen hinzusetzt: »dessen unerachtet können die Dinge selbst noch immer fortdauern, und ihre Existenz bliebe ganz unangetastet, wenn schon das Denken wegfiele, welches wir selbst bloß als Erscheinung kennen;« so kann dieß doch nur von Dingen an sich, ihrer Möglichkeit und Wirklichkeit gelten; da es aber mit diesen nach dem Tranc. Idealismus so äußerst mißlich aussieht, daß wir ihnen weder eine reale Möglichkeit noch Wirklichkeit beylegen dürfen, die Voraussetzung ihrer Existenz, folglich für bloß denkbar und für eine bloße Hypothese zu halten ist, so ist das, was Hr. J. die Kantische Philosophie dem bisher untersuchten Mendelssohnschen Beweise entgegen setzen läßt, von keinem solidern Grunde, und von nicht mehrerer Bedeutung als die Hypothese, daß es Dinge an sich und eine Verstandeswelt giebt. Wir wenden uns nun zu der Prüfung des letzten Beweises für das Daseyn Gottes, jenes berühmten Beweises a priori, welchen der Bischof Anselmus zuerst vorgebracht, den Cartes wieder hervorgesucht, Leibnitz ausgebessert, und der in der Leibnitzschen Schule bisher als ein Hauptbeweis vorgetragen worden. Wenn Hr. J. nach seinem Lehrer erinnerte, daß dieser Beweis mit dem ersten a contingentia mundi gewissermaßen zusammenfalle, so ist diese Bemerkung ganz richtig, aber auch bereits von andern gemacht worden. In der That, so bald ich den Begriff eines absolut nothwendigen Wesens gedenke, so fällt in Ansehung eines solchen Wesens Möglichkeit und Wirklichkeit in eins. Die Möglichkeit setzt hier die Wirklichkeit voraus, oder fordert sie unumgänglich; denn wäre dies nicht, so müßte ein solches Wesen einen andern Grund seiner Möglichkeit und wieder einen andern Grund seiner Wirklichkeit haben, d. i. es müßte abhängig bedingt, und nicht absolut nothwendig seyn. Da dies aber wider die | Voraussetzung ist, so kann ein solches Wesen keinen andern Grund seiner Wirklichkeit haben, als seine Möglichkeit, daher wenn es möglich ist, muß es auch eben darum wirklich seyn. Um dieser Folgerung auszuweichen, müßte man den Begriff eines absolut nothwendig existirenden Wesens, ob er sich gleich ganz wohl gedenken läßt, für bloß willkürlich, für ganz leer und für ein Hirngespinst erklären. Allein, wenn man nun doch in diesem Fall gezwungen wäre, das Gegentheil dieses Begriffs, nämlich den Satz zuzugestehen: es existirt etwas von Nichts, aus Nichts und durch Nichts, und dieser Satz offenbar ungereimt und undenkbar ist; so müßte man, da man nur zwischen beyden, jenem 38 freylich unbegreiflichen Begriffe von einem absolut nothwendig existirenden Wesen, und dem ungereimten Satze, daß Nichts Etwas geworden – zu wählen hat, entweder sich einer Unbegreiflichkeit unterwerfen, oder eine Ungereimtheit ver-
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Im Original: »jenen«.
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schlucken, wir müssen uns also wohl zu dem ersten entschließen,* und dann müssen wir freylich gestehen, daß der sogenannte Schluß a priori zwar mit dem a posteriori in der Hauptsache zuletzt zusammenfällt, aber dennoch bey weitem nicht eine so leichte und vortheilhafte Wendung habe, als die letztere. Wir halten uns übrigens nicht dabey auf, die Einwürfe, die Hr. J. gegen diese Beweisart vorbringt, in sofern sie schon bey Untersuchung der ersten vorgekommen waren, zu wiederholen. Ich kann auch nicht finden, daß er gegen den Beweis a priori irgend etwas vorbringt, was nicht schon bey dem a posteriori vorgebracht worden. Die Hauptsache läuft darauf hinaus: »das Seyn müsse und könne nie aus dem Begriffe selbst, sondern müsse anders woher erhellen,« – zugegeben bey allen andern Dingen, nur das absolut nothwendige ausgenommen – »man | lege schon in den Begriff Gott das Daseyn mit hinein, und wickele es alsdann blos wieder hieraus. Der Begriff eines Dinges sey niemals das Ding selbst, sondern man müsse sagen können: hier ist das Ding, es müsse gegeben seyn. Von dem realsten Wesen aber habe man nichts, als den Begriff, und ihm sey überall kein Objekt gegeben, und doch solle aus ihm auf ein Objekt, noch dazu a priori geschlossen werden. – Zwar wenn man die Existenz aus dem Begriff weglassen wolle, so entstehe ein Widerspruch, aber dieser Widerspruch betreffe blos den Begriff. Wenn ich aber den ganzen Begriff aufhebe, und erst einen Beweis von der realen Möglichkeit und von der realen Wirklichkeit des Objekts verlange, so begehe ich keinen Widerspruch.« – Doch ich halte mich bey diesen Raisonnementen nicht auf, wobey offenbar der Kantische Satz, daß jeder Begriff, so unwiderstehlich auch derselbe sich unserm Verstande aufdringt, schlechterdings für leer und unbedeutend zu halten sey, wofern ihm nicht in der Erfahrung ein Gegenstand gegeben werden könne, vorausgesetzt wird, auf den sich Hr. J. auch hier namentlich bezieht. Es mag mit demjenigen genug seyn, was oben erinnert worden. Endlich kommen wir auf das letzte Resultat der Untersuchungen des Verf. über das Daseyn Gottes. Nachdem er von der Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit, und dem großen Werth der Erkenntniß Gottes etwas, und zwar eher zu viel als zu wenig gesagt hatte, wirft er die Frage auf: »Wenn nun überall keine gewisse Ueberzeugung von dem Daseyn eines zu unsrer Beruhigung so unentbehrlichen Wesens zu erlangen ist, werden wir nicht dann ganz und gar in dem Meer des Zweifels versinken, und werden wir uns je von festen Grundsätzen können leiten lassen, wenn selbst die festesten auf einem so schwachen Grunde, als Einbildung ist, beruhen?« Diese
* Vor einer Unbegreiflichkeit mehr oder weniger sollte sich billig die Kantische Schule nicht so ängstlich scheuen, sie, die uns zu der unbedingten Nothwendigkeit ihres moralischen Imperativs eine Unbegreiflichkeit von der nämlichen Art aufbringt. Ihr Kathegorischer Imperativ kann gleichfalls nie in einer Erfahrung gegeben werden, so wenig als unser absolut nothwendiges Daseyn; von jenem läßt sich nichts weiter als seine Unbegreiflichkeit begreifen, und gerade dieß können wir auch nur von dem nothwendig existirenden Wesen begreifen, nämlich wir können einsehen, daß es so seyn muß und nicht anders seyn kann, wenn wir nicht ein Entstehen aus Nichts zugeben wollen.
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Frage beantwortet er völlig dem Kantischen System gemäß, daß unser Glaube an das Daseyn Gottes gar nicht von speculativen Beweisen abhänge, und nichts verliere, wenn diese auch alle wegfallen sollten. Unser Fürwahrhalten des Daseyns Gottes sey vielmehr beydes, ein doctrinaler und ein pragmatischer Glaube (doctrinal insofern er uns nicht zur Handlung bestimmt, sondern blos unsre Vernunft in Untersuchung der Natur leitet, pragmatisch der uns zur Handlung bestimmt), aber da jener, nämlich der doctrinale Glau | be, durch manche Zweifelsgründe angefochten werden könne, so sey es ein Glück für uns, daß es ein pragmatischer Glaube ist; und dieses gründet sich auf folgende Sätze: »39 Man kann ohne Gefahr widerlegt zu werden, annehmen, daß jeder Mensch, oder auch jedes vernünftige Wesen, ein natürliches Interesse an der Moralität habe, indem es ausgemacht ist, daß er um desto freyer und vernünftiger ist, je mehr er sich durch Vernunft gegen alle sinnliche Antriebe entschließen kann, seine Handlungen den moralischen Maximen gemäß einzurichten, und daß eigentlich Jedermann den sittlichen Gesetzen gehorchen sollte. Der oberste Zweck der Sittlichkeit stehet also fest, den moralischen Gesetzen nämlich in allen Stücken Folge zu leisten.« – (Scheint dies nicht, beyläufig gesagt, idem per idem zu seyn? Der höchste Zweck der Sittlichkeit ist, daß man sittlich seyn soll, denn den sittlichen Gesetzen durchgängig zu gehorchen, heißt sittlich seyn.) »Dieser Zweck ist nicht willkürlich, sondern hängt der Natur jedes Menschen an, so daß er ihn selbst als den größten und der Würde des Menschen angemessensten Zweck vorschreibt; und eben durch diese Einsicht erst zum Interesse und zur Achtung gegen die Sittlichkeit bestimmt wird.« (Auch dieses scheint mir idem per idem zu seyn, die Sittlichkeit hängt meiner Natur so an, daß ich die Sittlichkeit mir als höchsten Zweck vorschreiben muß, daher muß ich Achtung für sie haben – diese drey Redensarten scheinen mir mit verschiedenen Worten gerade einerley zu sagen.) »Nun ist aber nur eine einzige Bedingung möglich, unter welcher dieser Zweck für mich und überhaupt für die Menschen gültig werden kann, und wodurch er mit allen Zwecken zusammenhängt, und diese ist: daß ein Gott sey, und ein künftiges Leben. Ich weiß auch ganz gewiß, daß Niemand eine andre Bedingung angeben kann, unter der eine solche systematische Verbindung aller vernünftigen Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze möglich sey, als die ein gesetzgebendes Oberhaupt anzunehmen. Da nun meine Vernunft mir gebietet, daß auch ich die sittlichen Gesetze als für mich gültig annehmen müsse, und die Voraussetzung des Daseyns Gottes die einzige Bedingung ihrer Gültigkeit ist, so werde ich unausbleiblich ein Daseyn Gottes glauben, und bin sicher, daß diesen Glauben nichts wankend machen könne, weil dadurch meine sittliche Grundsätze selbst umgestürzt werden würden, denen ich aber gar nicht entsagen kann, ohne die Würde der Menschheit über | haupt zu verleugnen, und in meinen eignen Augen verabscheuungswürdig zu werden.« – Dies ist nun die Moraltheologie, die uns statt der entrissenen speculativen wiedergegeben wird. Das Geschenk wäre allerdings mit Dank zu erkennen, und würde ganz unschätzbar seyn, wenn wir nur nicht 39
Die Anführungszeichen fehlen im Original.
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eines theils befürchten müßten, daß sich Hr. Kant durch die Zerstörung, die er im Felde der Speculation angerichtet, den Anbau auf dem Grunde der Moral wo nicht ganz unmöglich, doch ausnehmend schwer gemacht; nicht befürchten müßten, daß er durch die Art und Weise, wie er uns die speculativen Beweise für unsre wichtigsten Lehrsätze entrissen, gleichsam die Glaubenshand gelähmt hätte, womit wir dies neue Geschenk, das er uns darbietet, ergreifen sollen; und wenn sich anderntheils gegen diese neue Moraltheologie selbst nicht noch so manches einwenden ließe. – Da ich mich einmal auf eine Gegenprüfung eingelassen habe, so will ich in Absicht auf beyde Punkte einige meiner hauptsächlichsten Bedenklichkeiten hersetzen, mit dem Wunsche, daß man sie mir benehmen möge. Was nun das erste, nämlich die Möglichkeit und Schicklichkeit einer Wiederaufbaute, nach den angerichteten Verwüstungen anbetrift, so merke ich an, daß der dreiste dogmatische Ton, den Hr. Kant und seine Schüler beym Bestreiten der bisherigen speculativen Philosophie so oft statt des bescheidenern Zweifels annehmen, und wie es scheint, vermöge ihrer Prämissen annehmen müssen, dieser Wiederaufbaute keinesweges beförderlich seyn könne. Wenn es der Kantischen Philosophie gelingt, mich von der unumstößlichen Gewißheit ihrer transcendentalen Aesthetik, und dieser zufolge auch davon zu überzeugen, daß alle Verstandesbegriffe sich nur auf Erscheinungen beziehen und bezogen werden müssen, alle Vernunftideen, insofern ihnen in Raum40 und Zeit kein41 Gegenstand angewiesen werden kann, blos Verstandesregeln sind, auf kein reales Objekt gehen, und es ein Mißbrauch ist, sie als objektiv gültig annehmen zu wollen; was wird dann die praktische Vernunft bey mir ausrichten,* wenn sie nur gerade thut, was das kritische Gesetz | verbietet, wenn sie mir das allerrealste Wesen, als den objectiv gültigen Gegenstand eines leer seyn sollenden Begriffs aufstellt? Entweder das Principium: die Verstandesbegriffe dürfen nicht über das Feld der Erfahrung hinausgedehnt werden, und sobald dies geschieht, sind sie für leer zu achten – ist nicht allgemein, und als allgemeingültig nicht zu erweisen, oder ist es als allgemeingültig auch apodiktisch erwiesen; so ist das Vorgeben der praktischen Vernunft, daß es dennoch außerhalb der Erfahrung ein reales Objekt dieser Begriffe, und zwar das allerrealste nothwendig existirende Wesen giebt und geben müsse, als völlig grundlos zu verwerfen. Soll also die Kantische Philosophie sich in ihrer Zerstörung und Wiederaufbaute nicht selbst wider* Gesetzt, daß man den Ideen und Grundsätzen der praktischen Vernunft auch den Vorzug vor den Ideen der speculativen Vernunft einräumen wollte, nicht wie diese blos regulativ, sondern auch constitutiv und objektiv gültig zu seyn, ein Vorzug, der indessen in nichts als in dem größern Interesse, das wir an dieser objektiven Gültigkeit nehmen, gegründet seyn kann. Dies aber kann kein gültiger Grund seyn, wofern nicht überhaupt das Interesse eines Satzes, oder seine Beziehung auf unsre Glückseligkeit ein Criterium der Wahrheit desselben seyn soll. Man sehe den 66. Bd. d. Bibl. und die oft angeführten Recensionen. 40 41
Im Original steht: »Wahn«, ein offensichtlicher Irrtum. Im Original steht: »keit«.
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sprechen; so muß gezeigt werden, daß sie blos skeptisch, nicht dogmatisch wider die objektive Gültigkeit der Vernunftideen außerhalb der Erfahrung, und die gültige Anwendung der Verstandesbegriffe auf Dinge an sich – sich erkläre; und so müßten die Einwendungen der Critik gegen die speculative Theologie ohngefähr so lauten: Wir können es nicht apodiktisch erweisen, daß die Verstandesbegriffe und die Vernunftideen überhaupt, und die von Caussalität und einem absolut nothwendigen allerrealsten Wesen insonderheit, außerhalb der Erfahrung auf reale Objekte sich beziehen, und als objektiv gültig anzunehmen sind; vielleicht gehen die Verstandesbegriffe blos auf Erscheinungen, und sind nur im Gebiete der Erfahrung brauchbar und gültig; und die Ideen sind vielleicht blos regulativ, nicht aber constitutiv – zwar läßt sich diese Vermuthung ebenfalls nicht apodiktisch erweisen, es bleibt aber immer ein möglicher Fall, und darum kann die blosse Speculation das Daseyn Gottes nicht mit mathematischer Gewißheit darthun, sondern sie hat nur Wahrscheinlichkeiten anzuführen, die aber, wenn ihnen das praktische Interesse ein neues Gewicht giebt, und die moralische Vernunft sie unterstützt, zu einer hinlänglichen Gewißheit sich erheben, indem wir nun sehen, daß wir jener Zweifel und entgegenstehenden Möglichkeit nicht zu achten haben – Wie aber, wenn uns die praktische Vernunft an eine Gott | heit, ein allerrealstes absolut nothwendiges Wesen, als an die zureichende Ursache beydes der Sinnen- und der Verstandeswelt glauben heißt, nachdem uns die speculative erwiesen hat, nicht blos, daß sie mit Gewißheit kein solches Wesen anzugeben wisse, sondern daß auch alle ihre Begriffe von Caussalität, und alle ihre sich auf die Gottheit beziehende Ideen, ihrem Grundgesetz zufolge, nicht außerhalb der Erfahrung ohne sich zu verirren, anzuwenden sind, daß sie also entweder auf Erscheinung bezogen und angewendet werden müsse, oder wenn dieses nicht geschieht, ganz leer sind, weil man vergebens außerhalb der Erfahrung reale Objekte suche; mit einem Worte, wenn die speculative Vernunft von der Critik geregelt, erweiset: es giebt schlechterdings keine andre Realiten, als die uns in der Erfahrung gegeben werden, hingegen die praktische Vernunft glaubt, daß gerade das allerrealste Wesen außerhalb der Erfahrung liegt, und liegen müsse, so werden, wie mich dünkt, beyde, die speculative und die praktische Vernunft mit einander in Widerspruch gesetzt, und der menschliche Geist, in welchem sich beyde zu Einem denkenden Wesen vereinigen, wird gegen sich selbst in ein widerlegendes Verhältniß, und dadurch in die verwirrendste und peinlichste Verlegenheit gesetzt, aus der er sich schwerlich herausfinden kann. Dies scheint mir der wahre Fall mit der Kantischen Zerstörung und Wiederaufbaute zu seyn. Irre ich darin, so wünsche ich eines Besseren belehrt zu werden. Bey dem, was sich gegen diese Moraltheologie selbst noch einwenden ließe, will ich mich nur mit folgenden Gegenerinnerungen begnügen. Es wird, wie man aus den obenangeführten Worten siehet, bey diesem aus der Moral hergenommenen Beweise für das Daseyn Gottes als ausgemacht angenommen, daß Sittlichkeit der höchste Zweck (Zweck an sich selbst) des Menschen sey. Hier will ich nun nicht einmal darauf bestehen, daß Glückseligkeit (als das unstreitig mächtigere und gebieterischere und allgemeinere Principium) auf diesen Rang des höchsten Zwecks
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mit wenigstens gleichem Rechte Anspruch machen könne, einem Rechte, das durch alles, was Hr. Kant für den Vorzug der Sittlichkeit vorgebracht hat, mir noch bey weitem nicht widerlegt zu seyn scheintet. Ich will es vielmehr einstweilen mit ihm annehmen, daß wirklich Sittlichkeit der höchste, und Glückseligkeit nur ein untergeordneter Zweck sey. Aber wichtiger ist hier die Frage: ob | diese zween Endzwecke wesentlich, oder nur dem Schein nach, verschieden sind, wenn wir mit möglicher Kenntniß und Einsicht hier in diesem Leben die Glückseligkeit verfolgen, wir sie nur auf dem Wege der Tugend suchen müssen, und nur auf diesem Wege finden können, oder ob wir durch einen andern Weg, etwa der Unsittlichkeit und des Lasters, zu derselben gelangen, wo nicht müssen, doch können, mit einem Worte, ob wir einer Naturanlage zufolge, schlechterdings weise, rechtschaffene und sittlich gute Menschen werden müssen, wenn wir glückselig seyn wollen, oder ob Tugend mit Glückseligkeit nichts zu thun hat, wir wenigstens beym Laster und der Unsittlichkeit zur Glückseligkeit eben so geschickt sind, als beym Gegentheil. – Eins von beyden muß wohl angenommen werden, entweder hat die Sittlichkeit eine natürliche Beziehung auf Glückseligkeit, sie nämlich nicht nur zu verdienen, sondern auch wirklich hervorzubringen, oder nicht. – Ist das letztere, so hat offenbar der Urheber unsers Seyns und der Regierer unsrer Schicksale (wofern es überall einen solchen giebt) sehr schlecht für das Interesse der Sittlichkeit gesorgt, indem er die beyden wichtigsten Endzwecke des Menschen nicht in Harmonie gesetzt, nicht einen dem andern so untergeordnet, daß wer den einen auf eine gründliche und gehörige Weise erreichen wollte, auch den andern verfolgen müsse. Nimmt man in diesem Falle nun noch überhaupt eine Gottheit an, deren Daseyn doch alle speculative Beweise völlig unentschieden lassen sollen, so scheint wenigstens die Sorge die zur Beförderung und Begünstigung der Sittlichkeit durch die Einrichtung unsrer Natur und unsrer Schicksale angewandt und bewiesen worden, uns keineswegs zu der Erwartung zu berechtigen, daß durch eine künftige willkürliche Veranstaltung, zu Gunsten der Sittlichkeit, das werde ersetzt, und gleichsam wieder gut gemacht werden, was bey der ursprünglichen Einrichtung unsrer, beydes der Sittlichkeit und der Glückseligkeit fähigen Natur übersehen und versäumt worden, da das menschliche Gemüth durch diese Einrichtung, wo nicht mit sich selbst in Widerspruch gesetzt, doch auf zwey ganz verschiedne Wege hingerissen, und gleichsam hin und her gezerret wird. Was kann nun in diesem Fall eine solche Erwartung überhaupt für einen Grund haben? oder vielmehr warum sollen wir uns ein so übertriebnes Ideal von Sittlichkeit, als das Kantische ist, aufstellen, dem wir unsre liebsten Neigungen, und selbst die Summe derselben, (Trieb und Zweck glückselig zu seyn) aufopfern müßten? eine Tugend, | die so gar42 nichts ihren Verehrern zur Belohnung oder zur Schadloshaltung anzubieten hat, als die so ganz in keiner Naturanlage gegründete Hoffnung, daß sie doch zuletzt zur Glückseligkeit gelangen werde, sollte es auch durch ein willkürliche Veranstaltung eines Wesens seyn, von dessen Daseyn ich vorläufig nicht das geringste mit Zuverläßigkeit erkenne, son42
Im Original: »sogar«.
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dern das ich hauptsächlich nur darum als existirend annehmen, oder vielmehr wünschen müsse: damit diese meine Hoffnung nicht vergeblich sey? Sollen wir uns etwa darum ein so erhabnes Ideal von Sittlichkeit machen, weil wir uns widrigenfalls selbst verachten, und mit Abscheu ansehen müßten? In der That finde ich in den Schriften des Lehrers und seiner Schüler blos dies als den letzten Grund der so äußerst erhabnen Sittenlehre angeführt. – Ich will nicht darauf bestehen, daß als Thatsache betrachtet, diese Verachtung und Verabscheuung unsrer selbst, durch keine Erfahrung sich bestätigt, indem wir nirgends finden, daß die Philosophen, die wie Epikur die Wollust, oder vielmehr die Glückseligkeit über die Tugend erhoben, oder wie die Stoiker, die Glückseligkeit in die Tugend setzten, sich bey einem dieser ihrer verschiedenen Denkungsart gemässen Betragen, selbst verachtet und verabscheuet haben. – Dies hat, so viel wir wissen, kein Epikur, kein Atticus, kein Cicero, und unter den neuern kein Gassendi, kein St. Evremont, kein Hume, kein Helvetius gethan – und zu sagen, daß sie es eigentlich hätten thun sollen, dies würde offenbar petitio Principii seyn. – Ich will es vielmehr einstweilen einräumen; aber dann wird man mir auch wieder zugestehen müssen, daß falls diese Selbstverachtung uns für die erhabenste Sittlichkeit bestimmen soll, wir sie wohl für ein großes Uebel, für eine mit der Unsittlichkeit natürlich verknüpfte Unglückseligkeit, so wie das Gegentheil derselben, die Selbstbilligung des Tugendhaften für eine natürliche und äußerst beträchtliche Belohnung der Sittlichkeit und Tugend halten müssen. – Die obige Voraussetzung, daß Tugend und Glückseligkeit in keiner natürlichen und nothwendigen Verbindung stehen, fiel also schon bey dieser Berufung auf Selbstverachtung weg. Laßt uns also vielmehr den andern Fall setzen, daß Tugend eine natürliche Abzweckung zur Glückseligkeit, und das Laster zur Unglückseligkeit habe, oder daß der Mensch in seiner sittlichen Natur dies Gesetz finde: wenn du wahrhaftig glückselig seyn willst, so mußt du ein vernünftiger, sittlicher und tugendhafter Mensch seyn – und daß ein solches Gesetz oder eine wechselseitige Beziehung und | Harmonie zwischen sittlich handeln und wohlbefinden wirklich vorhanden ist, und dieß wird wohl niemand leugnen, der wahre, innere Glückseligkeit kennt; obgleich nicht zu leugnen ist, daß diese Harmonie zwischen beyden progressiv und wachsende Natur sey, daß, so, wie sich unsre Sittlichkeit vervollkommnet, auch unser Wohlbefinden sich verbessert. Wir wollen dieß nur ein moralisches Gesetz nennen, das für unser thätiges Vermögen eben das Ansehen hat, was für unsre Erkenntnißkräfte jenes Kantische Gesetz hat, vermöge dessen sich unsre Verstandesbegriffe und Grundsätze auf die Anschauungen in Raum und Zeit beziehen, und unsre Vernunftideen bloß zur Leitung unsers Verstandes in der Sinnenwelt dienen sollen. Und so hätte das moralische Gesetz unsers Verhaltens vor dem spekulativen Gesetze unsers Denkens und Empfindens nichts voraus. Nun weiset uns das spekulative Gesetz auf keinen Gesetzgeber so hin, daß wir es nicht anders, als unter der Voraussetzung eines solchen für gültig und verbindend erkennen könnten. Warum sollte denn nicht auch jenes moralische Gesetz für gültig und verbindend angenommen werden können, ohne desfalls einen Gesetzgeber anzunehmen? Es verhält sich vielmehr mit beyden auf gleiche Art, d. i. entweder haben
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die Verstandesgesetze, um als wirklich vorhanden und gültig angenommen zu werden, einen höchsten Gesetzgeber nöthig, oder sie haben ihn nicht nöthig. Ist das erste, so reichen auch sie schon zu, uns zu überzeugen, daß es einen höchsten vollkommensten Verstand geben müsse, der uns diese Gesetze vorgeschrieben, und so könnte der vom moralischen Gesetz hergenommene Beweis jenen von den Verstandesgesetzen allenfalls bestätigen und erläutern; aber ausschließender Weise würde das moralische Gesetz nichts für das Daseyn eines höchsten Gesetzgebers beweisen. Könnte man aber im Gegentheil ein ähnliches Beyspiel von einem allgemeinen gültigen Gesetze, das keines Gesetzgebers bedürfte, anführen, so würde diese einzige Instanz alle Beweise, die man aus dem moralischen Gesetze für das Daseyn eines Gesetzgebers führte, völlig entkräften, mit einem Worte, bedarf das Gesetz des Verstandes keines vernünftigen Gesetzgebers, so bedarf das Gesetz des Willens keines sittlichen Gesetzgebers. Wenn aber Hr. K. den natürlichen Zusammenhang des Rechthandelns mit dem Wohlbefinden, oder die natürliche Abzweckung der Sittlichkeit zur Glückseligkeit und der Unsittlichkeit zur Unglückseligkeit zu leugnen scheint, und alle Wirksamkeit der Tugend darauf einschränken will, daß sie ihre Anhänger bloß der Glückseligkeit würdig; nicht aber theilhaftig mache, so scheint er durch Glückseligkeit bloß äußeres Glück oder eine schickliche und vortheilhafte | Lage des Tugendhaften zu verstehen. Denn nur von diesem äußern Glück läßt es sich mit einigem Schein behaupten, daß es mit der Tugend nicht in einer nothwendigen Verknüpfung stehe; nicht aber von der innern Glückseligkeit oder der Ordnung, Gesundheit und richtiger Beschaffenheit des Gemüths und der damit nothwendig verknüpften Ruhe, Heiterkeit und Selbstbilligung, worin ohne Zweifel der wesentliche und wichtigste Theil der Glückseligkeit besteht. Um diese von Tugendhaften zu verschaffen, bedarf es also (nach seinen Prinzipien) keines besondern Gesetzgebers oder moralischen Regierers; aber der Tugend auch die vortheilhafteste Lage, oder das, was man äußeres Glück nennet, zu verschaffen, dazu, wird er behaupten, bleibt immer ein willkührlich vergeltender Richter nöthig. Aber auch hiezu scheint er nicht nothwendig erfordert zu werden, denn in so fern eine vortheilhafte Lage oder äußeres Glück des Tugendhaften (das doch bey weitem den geringern Theil der Glückseligkeit ausmacht) von den Gesinnungen und dem Betragen anderer Menschen gegen den Tugendhaften abhängt, hat seine Tugend unleugbar die natürliche Abzweckung sich diese vortheilhafte Lage selbst zu verschaffen, wie uns die Erfahrung lehrt. Es bliebe nur das von den leblosen und unvernünftigen Außendingen abhangende Glück des Tugendhaften übrig, das durch eine willkührliche Anordnung dürfte eingerichtet werden. Aber was hindert uns hier anzunehmen, daß, in so fern eine solche Verbesserung der äußern auf den Menschen geschehenden Einwirkungen und Einflüsse möglich und wünschenswürdig sey, derselbe auch von selbst, und vermöge einer natürlichen Anlage vor sich gehen können. Also bedarf es, dem Anscheine nach, gar keiner willkührlichen Anordnung zum Behuf und zur Aufmunterung der Sittlichkeit und Tugend, keines willkührlich belohnenden und bestrafenden Gesetzgebers und Richters. Um das nöthige Interesse an der Sittlichkeit zu nehmen, dafür wäre dann durch hierauf sich
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beziehende Naturanlagen schon hinlänglich gesorgt worden; und Naturanlagen und was ihnen zufolge geschieht, dieß soll ja nach Kantischen Prinzipien keinen zureichenden Beweis für das Daseyn eines Urhebers und Einrichters dieser Natur und ihrer Anlagen enthalten u. abgeben. Ich übergehe die oben gerügte Inkonsequenz, worein mir Hr. K. zu verfallen scheint, daß er es als den höchsten Beweis seines Prinzips der Sittlichkeit und seiner darauf gebauten Moraltheologie anführt, daß wir widrigenfalls (wenn wir nämlich nicht mit ihm hierüber einstimmig denken,) uns selbst verachten und verabscheuen müßten, denn wenn dieß irgend etwas beweisen soll, so setzt es voraus, daß das eigentliche und wichtigste Uebel der Unsittlichkeit innerlich, nämlich Mißbilligung und Verachtung seiner selbst sey, und dieß ist offenbar eine natürliche Strafe und nothwendige Folge der Unsittlichkeit, so, wie vermöge des Gegentheils die Selbstbilligung eine natürliche Belohnung, eine nothwendige Folge der Sittlichkeit seyn, und zugleich die größte und wichtigste Glückseligkeit ausmachen wird. Und wie besteht nun mit diesem allen der Satz, daß die Tugend den Menschen zwar der Glückseligkeit würdig; aber nicht theilhaftig mache? Doch dieß itzt bey Seite gesetzt, wird man mir endlich einwerfen: ein künftiger vergeltender Lebenszustand, dessen Glaube für die menschliche Tugend so unentbehrlich ist, erfordert doch eine willkührlich belohnende und bestrafende Gottheit – | Auch hievon sehe ich, nach Kantischen Grundsätzen und Schließungsart, die Nothwendigkeit nicht ein. Denn kann nicht auch dieser künftige Lebenszustand eine vor sich fortgehende Entwickelung einer Naturanlage seyn? Könnten wir (nach diesen Prinzipien) ohne eine Gottheit aus einem ehemaligen Zustande des Daseyns in den gegenwärtigen übergehen, der wahrscheinlich mit jenem, worin wir vor unsrer Geburt waren, genau zusammenhieng, warum sollten wir auch nicht durch den Tod, der vielleicht nichts anders ist, als eine analogische schmerzhafte Geburt zu einem künftigen Lebenszustande ist, (eine Vermuthung, die durch die Aehnlichkeit des Todes mit der Geburt des Embryo, der gleichfalls von allem demjenigen, woran er bisher hieng und sich nährte, losgerissen wird, und die Hülle, worin er bisher so sicher lag, gewaltsam durchbrechen muß, nicht unwahrscheinlich gemacht wird,) in dieses neue Leben übergehen könne, ohne daß es dazu einer eignen Gottheit bedürfe? dieser Gedanke wird nun noch überdem durch den Glauben so vieler wilden Völker bestätigt, die zum Theil nicht einmal eine Gottheit kennen, wie die Grönländer, und dennoch einen künftigen Lebenszustand (der auch, ihren rohen sittlichen Begriffen gemäß, vergeltend ist,) annehmen, oder wenn sie Götter glauben, sich doch den Uebergang in dieß künftige Leben oder in das Land der Seelen nicht als von besondern Rathschlüssen und Veranstaltungen ihrer Götter abhängig vorstellen. Und so scheinen auch selbst die Griechen in ihrem ersten rohen Zustande über das zukünftige Leben gedacht zu haben; nur nachdem sie die Lehre von diesem zukünftigen Leben mehr dichterisch ausgebildet und philosophisch behandelt hatten, fiengen sie an diese Lehre mit der Religion näher in Verbindung zu setzen, und wiesen auch dem Schattenreiche eigene Götter und Göttinnen, Richter und Furien an. Ursprünglich aber scheint ein künftiger Lebenszustand fast durchgehend als ganz natürlich mit dem gegenwärtigen zusammen-
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hängend betrachtet zu seyn. Ueberhaupt würde auch ein zukünftiger Lebenszustand nur ein Theil des allgemeinen Laufs der Dinge, oder wenn man will, ein Theil derjenigen Vorsehung seyn, vermöge der, wie Hr. Kant sehr gut in einer der Berlinischen Monatsschrift eingerückten Abhandlung zu erweisen sucht, die Menschenwelt sich nach und nach zu immer höhern Stufen der Aufklärung, der Sittlichkeit und Glückseligkeit hinein arbeitet. Ich würde hier immer berechtigt seyn, zu behaupten: entweder setzt diese stufenmäßige Vervollkommnung des ganzen Menschengeschlechts in seinen fortgehenden Successionen eine leitende und regierende Gottheit voraus, und erweiset uns dieselbe, oder es gehet ganz natürlich nach bloßen Naturgesetzen hiemit zu. Ist das Erstere, nun so beweiset die Moraltheologie nichts mehr, als was uns schon die Naturtheologie erweiset; ist aber das Letztere, so kann ich nicht einsehen, warum nicht die allmählige Vervollkommnung und Erhebung des einzelnen Menschen zu höherm Lebensgenuß eben so gut bloß physische Entwickelung einer Naturanlage seyn könne, als die allmählige Erhöhung, Vervollkommnung und Beseeligung des ganzen Menschengeschlechts in seinen Successionen.
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4 Rezension der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft Critik der reinen Vernunft von Immanuel Kant, Prof. in Königsberg, der Königl. Akademie der Wissenschaften in Berlin Mitglied. Zweyte hin und wieder verbesserte Auflage. Riga, bey Hartknoch. 1787. 884 Seiten. Rec. gesteht, daß er mit großer Begierde an die Durchsicht der neuen Auflage dieses berühmten Werks gieng. Die Einwürfe, welche seit einiger Zeit sowohl von mehrern berühmten Gelehrten, einem Feder, Reimarus und andern, als auch in unsrer Bibliothek gegen dieselbe gemacht worden sind, schienen ihm zu bedeutend zu seyn, und die Grundpfeiler des ganzen Kantischen Systems zu sehr anzugreifen, als daß er es nicht gewiß vermuthet hätte, hier eine Beantwortung derselben zu finden. Allein er sahe sich in dieser seiner Erwartung gänzlich getäuscht. Denn er fand nicht allein keine Widerlegung der gemachten Einwürfe, keine Auflösung der vorgelegten Zweifel, sondern auch einen gewissen, der Rec. möchte nicht gern sagen, arroganten Ton wieder, den man mit Bedauern bey Hrn. Kant und einigen seiner Schüler bemerkt, da sie sich auf die Evidenz ihrer Be | hauptungen und die apodiktische Gewißheit der vorgetragenen Beweise allein verlassen, und allen Angriffen ihrer Gegner Hohn sprechen. Nur dieses starke Zutrauen auf den innern Bestand und die unerschütterliche Festigkeit seines aufgestellten Systems war es, in welchem Hr. Kant die wirklich etwas übereilten Worte entfahren konnten: »Widerlegt zu werden ist hier keine Gefahr, wohl aber nicht verstanden zu werden.« In wie weit nun dieses Zutrauen gegründet ist, u. ob es bey dem gründlichen Untersuchungsgeiste eines so großen Denkers wie Hr. Kant wirklich ist, dem doch jede Prüfung, auch wenn er sich schon im Besitze der Wahrheit glaubte, angenehm seyn sollte, Statt finden sollte, wagen wir zwar nun nicht zu entscheiden. Indessen ist es doch unleugbar, daß die Kantische Critik selbst sehr vieles dabey würde gewonnen haben, wenn auch diese scheinbaren Einwendungen (denn scheinbar sollen sie nach des Verf. Urtheil doch nur seyn) bey dieser Gelegenheit wären gehoben, und die Männer, die sie aus Misverstand machten, einer freundschaftlichen Belehrung und Zurechtweisung gewürdiget worden. Ehe dieses geschehen ist, wird doch schwerlich die Kritik zu dem allgemeinen hohen Ansehen gelangen, zu welchem Hr. Kant sie so gerne erheben möchte, indem er, ob er gleich mit Recht die Unbilligkeit eines bekannten Verbots fühlt und rügt, doch gewiß zu hart sagt: Wenn Regierungen sich ja mit Angelegenheiten der Gelehrten zu befassen für gut finden, so würde es ihrer weisen Vorsorge für Wissenschaften und Menschen weit gemäßer seyn, die Freiheit einer solchen Kritik zu begünstigen, wodurch die Vernunftbearbeitungen allein auf einen festen Fuß gebracht werden können, als den lächerlichen
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Despotism der Schulen zu unter | stützen, welche über öffentliche Gefahr ein lautes Geschrey erheben, wenn man ihre Spinnenweben zerreißt, von denen doch das Publikum niemals Notiz genommen hat, und deren Verlust es also auch nie fühlen kann. Wenigstens wird es jenen Philosophen nicht zu verdenken seyn, wenn sie bis dahin noch die Untrüglichkeit und Unleugbarkeit der Kantischen Grundsätze bezweifeln, und dem hierauf gebauten System selbst, welches wir noch von Hrn. Kant zu erwarten haben, nicht den Namen einer demonstrirten und festgegründeten Wissenschaft zugestehen. Aus dieser Ursache wollen wir auch jetzt hier noch einige Anmerkungen theils über die Aeußerungen des Verf. in der Vorrede, theils über die ganz neue zu dieser Ausgabe hinzugesetzte Widerlegung des Idealismus machen, ob wir gleich mit unsern Erinnerungen jetzt eben so wenig als ehemals bey Hrn. Kant Gehör zu finden hoffen dürfen, besonders da er geradezu erklärt, daß er sich auf Streitigkeiten von nun an nicht einlassen könne. In der Vorrede wird unter andern die Ursache untersucht, warum der Metaphysik, einer ganz isolirten speculativen Wissenschaft, das Schicksal bisher noch nicht so günstig gewesen ist, daß sie den sichern Gang einer Wissenschaft einzuschlagen vermocht hätte, da sie doch älter als alle übrige Wissenschaften ist und bleiben würde, wenn auch die übrigen alle insgesammt in dem Schlunde einer alles vertilgenden Barbarey gänzlich verschlungen werden sollten. Diese Ursache findet der Verf. besonders darin, daß man bisher annahm, alle unsre Erkenntniß müsse sich nach den Gegenständen richten. Unter dieser Voraussetzung nämlich, giengen alle Versuche über sie a priori etwas | durch Begriffe auszumachen, zu Grunde. Man versuche es daher, heißt es, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik besser damit fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntniß richten. Es ist hiemit eben so als mit den ersten Gedanken des Copernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fortwollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe ließ. In der Metaphysik kann man, was die Anschauung der Gegenstände anbetrifft, es auf ähnliche Art versuchen, und dieser Versuch gelingt vortrefflich, und verspricht der Metaphysik den sichern Gang einer Wissenschaft. Denn man kann nach dieser Veränderung der Denkart, die Möglichkeit einer Erkenntniß a priori ganz wohl erklären, und was noch mehr ist, die Gesetze, welche a priori der Natur als dem Inbegriff der Gegenstände der Erfahrung zum Grunde liegen, mit ihren genugthuenden Beweisen versehen, welches beydes nach der bisherigen Verfahrungsart unmöglich war.43 Unstreitig hat diese Hrn. Kant ganz eigenthümliche und den Naturforschern nachgeahmte Behandlungsart der Metaphysik ihre großen und wichtigen Vorzüge. Denn sie thut nicht allein dem stolzen Dogmatismus und der schädlichen Definirsucht Einhalt, welche bisher in dieser Wissenschaft zu ihrem großen Nachtheil geherrscht hat, sondern sie zeiget uns auch, was der eigentliche und vornehmste Gegenstand aller speku43
Im Original steht hier ein vereinzeltes Anführungszeichen.
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lativen Untersuchung seyn soll, nämlich Kenntniß des menschlichen Geistes, seiner Kräfte und der Gesetze, nach denen er wirkte, und es lassen sich auch sehr viele Erschei | nungen nicht anders als durch die Voraussetzung erklären, daß die Gegenstände unsrer Anschauung sich nach unsrer Art sie uns vorzustellen, richten müssen. Allein dennoch muß man auf der andern Seite wieder gestehen, daß diese Behauptung, so wie sie hier aufgestellt und in der Kritik der reinen Vernunft selbst angewendet wird, sehr übertrieben ist, und unmöglich in ihrer ganzen Ausdehnung bestehen kann, sobald man überhaupt das reelle, von unsrer Vorstellung unabhängige, durch sich selbst subsistirende Daseyn einer wirklichen Außenwelt annimmt. Wird nämlich dieses reelle Daseyn wirklicher Objekte außer uns zugestanden, und will man die Aussenwelt noch für etwas anders als eine bloße Ideenwelt halten, so folgt auch daraus nothwendig, daß diese äußern Dinge auf eine bestimmte Art, das heißt nach gewissen Regeln und nach einer Ordnung existiren müssen, die wesentlich in den Dingen selbst und in ihren Verhältnissen unter einander gegründet ist, und die also unser Verstand ihnen nicht erst vorgeschrieben haben kann. Diese Ordnung würde unter ihnen statt finden, auch wenn sie von keinem Geiste vorgestellt würden, weil sich ohne dieselbe gar keine Existenz denken läßt, und wir können also nicht geradezu sagen, daß sich die Gegenstände nach unsrer Erkenntniß richten, oder daß der Verstand der Natur ihre Gesetze erst vorschreibt. Zwar leiden sie mancherley Abänderungen von der menschlichen Vorstellungskraft, werden von unsrer besondern Organisation und nach den bestimmten Regeln unsers Empfindens und Denkens oft in ganz andere Gestalten umgebildet, als sie wirklich außer unsrer Vorstellung hatten. Aber sie sind deswegen doch nicht so ganz träge und gleichgültig, daß sie alles aus sich machen ließen, und allen Einfällen | der vorstellenden Wesen unterworfen wären. Vielmehr müssen sich diese sehr oft nach ihnen bequemen, wenn sie mit ihnen auskommen wollen, und sind nicht so unumschränkte Herren über sie, daß sie nie einen Ungehorsam von ihnen zu befürchten hätten. Zwar muß die bewegte Luft z. B. mannichfaltige Modificationen bey ihrem Durchgange durch die Organe unsers Gehörs erleiden, ehe das daraus wird, was wir einen Ton nennen; indessen hängt es doch nicht von uns in jedem besondern Fall ab, ob wir einen tiefern oder einen höhern Ton, einen stärkern oder schwächern Schall hören wollen, sondern hiebey kömmt es allein auf die Langsamkeit oder Geschwindigkeit der Vibrationen in den Lufttheilchen an, welche unsere Gehörnerven erschüttern. Die Lichtmaterie wird zwar in unsern Sehwerkzeugen zu sehr verschiedenen Farben umgebildet; allein es steht doch nicht in unsrer Gewalt, ob wir einen Gegenstand blau oder roth oder grün sehen wollen, sondern die Farben der Gegenstände werden durch ihre Eigenschaften und durch die Art bestimmt, wie das Licht von ihnen zurückgeworfen wird. Eben so würden wir die Dinge nicht im Raum und in der Zeit anschauen können, wenn in ihnen nicht Eigenschaften und Verhältnisse lägen, wodurch diese unsre bestimmte Art der Anschauung möglich gemacht würde, wir würden ihnen nicht die allgemeinen Naturgesetze vorschreiben können, wenn sie nicht selbst nach jenen Gesetzen oder wenigstens nach Gesetzen geordnet wären, die den Regeln unsers Verstandes entsprächen. Denn
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sonst müßten sie entweder eine ganz rohe ungebildete Masse ausmachen, die sich in jede Form schmiegte, welche man ihr geben wollte, oder wir würden auch sehr oft wider sie verstoßen und nicht mit ihnen auskommen, wenn wir sie | nach den Regeln unsers vernünftigen Denkens behandelten. Das erstere ist gar nicht denkbar, und dem zweyten widerspricht die beständige Erfahrung, und man sieht also, wie wenig die Behauptung, die Gegenstände richten sich nach unsrer Erkenntniß, in dem Sinne, wie sie Hr. Kant nimmt, bestehen kann. Aus diesen Ursachen scheint nun auch die S. 275. hinzugesetzte Widerlegung des Idealismus, welche als eigentliche Vermehrung dieser neuen Ausgabe anzusehen ist, ganz und gar nicht in das Kantische System zu passen. Denn der Verf. sucht in derselben zu beweisen, daß das bloße, aber empirisch bestimmte Bewußtseyn unsers eigenen Daseyns, das Daseyn der Gegenstände im Raum außer uns voraussetze; und doch weiß jeder, der das Kantische System genau kennt, daß nach demselben das wirkliche Daseyn äusserer Dinge bloß problematisch ist, indem wir der vornehmsten Regel der Kritik gemäß, die Begriffe des Verstandes nicht auf die Dinge an sich selbst anwenden dürfen, und also auch nicht sagen können, ob sie möglich, wirklich oder nothwendig sind. Der Beweis selbst wird auf die folgende Art geführt: »Ich bin mir meines Daseyns als in der Zeit bestimmt bewußt. Alle Zeitbestimmung setzt etwas Beharrliches in der Wahrnehmung voraus. Dieses Beharrliche aber kann nicht eine Anschauung in mir seyn. Denn alle Bestimmungsgründe meines Daseyns, die in mir angetroffen werden können, sind Vorstellungen, und bedürfen als solche, selbst ein von ihnen unterschiedenes Beharrliches, worauf in Beziehung der Wechsel derselben, mithin mein Daseyn in der Zeit, darin sie wechseln, bestimmt werden könne. Also ist die Wahrnehmung dieses Be | harrlichen nur durch ein Ding außer mir, und nicht durch die bloße Vorstellung eines Dinges außer mir möglich. Folglich ist die Bestimmung meines Daseyns in der Zeit, nur durch die Existenz wirklicher Dinge, die ich außer mir wahrnehme, möglich. Nun ist das Bewußtseyn in der Zeit mit dem Bewußtseyn der Möglichkeit dieser Zeitbestimmung nothwendig verbunden; also ist es auch mit der Existenz der Dinge außer mir als Bedingung der Zeitbestimmung, nothwendig verbunden; das ist das Bewußtseyn meines eigenen Daseyns, ist zugleich ein unmittelbares Bewußtseyn des Daseyns anderer Dinge außer mir.« Ich lege Hrn. Kant hierbey nur die einzige Frage vor, die ich von ihm beantwortet zu sehen wünschte: Soll in diesem ganzen Beweise unter dem Daseyn äußerer Gegenstände ein wirkliches für sich bestehendes Daseyn der Dinge verstanden werden, oder nur ein logisches scheinbares Daseyn, daß wir nämlich zum Behuf eines ordentlichen Denkens und um innere Erscheinungen haben zu können, auch äußere Erscheinungen haben müßten? Denn vor dergleichen Zweydeutigkeiten kann man sich bey den Kantischen Schriften nicht genug in Acht nehmen. Ist das erstere, nun so fällt nicht allein die ganze Theorie von Raum und Zeit, die Hr. Kant aufgestellt hat, über den Haufen; sondern auch jenes kritische Hauptgesetz wird von ihm selbst übertreten. Denn nach dieser Widerlegung des Idealismus hat ja der Begriff der Zeit ein objectives Fundament in den wirklichen Aussendingen, das Bewußtseyn unsers eigenen Daseyns in der Zeit,
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wird nur durch Anschauung äußerer Dinge möglich, und die Idee des Beharrlichen kann in uns nur durch äußere wirklich daseyende Objekte hervorgebracht werden. Wie | stimmt aber dieses mit der Kantischen transcendentalen Aesthetik überein, wo weitläufig und mit vielen Gründen dargethan wird, daß der Begriff der Zeit eine bloß subjective Form der Sinnlichkeit ist, daß er nicht in den Eigenschaften der Dinge an sich selbst gegründet, oder von denselben abstrahiret seyn kann? Hier wird behauptet, daß es wirkliche Aussendinge geben müsse, weil wir sonst kein Bewußtseyn des Beharrlichen in uns haben könnten, und dort wird angenommen, daß alle unsere Begriffe vom Wechsel in der Zeit, von Veränderung und also auch vom Beharrlichen nur subjektiv sind, und aus der wesentlichen Einrichtung der menschlichen Vorstellungskraft entspringen, die es nothwendig macht, daß wir alles unter Zeitbestimmungen anschauen müssen, ohne daß wir deshalb im geringsten berechtigt wären, die Zeit als etwas den Dingen an sich selbst anhängendes oder ihnen entsprechendes anzusehen. Hatte überdem Hr. Kant, als er dieses schrieb, es ganz vergessen, daß er der Vernunft das Bewußtseyn vom Beharrlichen in uns selbst, von unserm eigenen individuellen Daseyn für leere Täuschung ausgiebt? Wenn dieses Täuschung ist, wenn unsre eigene Persönlichkeit nicht Gewißheit hat, so wird ja die Idee des Beharrlichen in den äußern Objekten noch vielmehr täuschend seyn, da wir von denselben doch nur eine mittelbare Erfahrung haben können. Dieser Widerspruch ist meinem Bedünken nach sehr auffallend, und kann wohl nicht aus einem bloßen Mißverstande entstehen. Doch vielleicht ist hier nur von einem logischen Daseyn der Dinge, von einem Daseyn in der Erscheinung die Rede. Aber alsdann ist die ganze Widerlegung des Idealismus ein bloßes Wortspiel, und bestätigt den | selben vielmehr als sie ihn aufhebt. Wenn Hr. Kant noch in der Anmerkung zu diesem Beweise sagt: »Man wird hieraus gewahr, daß das Spiel, welches der Idealismus trieb, ihm mit mehrerm Rechte umgekehrt vergolten wird. Dieser nahm an, daß die einzige unmittelbare Erfahrung die innere sey, und daraus auf äußere Dinge nur geschlossen werde, aber, wie allemal, wenn man aus gegebenen Wirkungen auf bestimmte Ursachen schließt, nur unzuverläßig, weil auch in uns selbst die Ursache der Vorstellungen liegen kann, die wir äußern Dingen vielleicht fälschlich zuschreiben. Allein hier wird bewiesen, daß äußere Erfahrung eigentlich unmittelbar sey, daß nur vermittelst ihrer zwar nicht das Bewußtseyn unsrer eigenen Existenz, aber doch die Bestimmung derselben in der Zeit, das ist innere Erfahrung möglich sey,« so sehe ich auch nicht ein, wie er dieses behaupten kann, da er doch nach seinem sonstigen System die Möglichkeit aller Erfahrung bloß aus den subjektiven Formen unsrer Denkkraft und den Gesetzen herleitet, nach welchen sie wirkt. Der menschliche Verstand schafft sich ja nach Hrn. Kants eigenem Ausdruck erst die Natur, macht sich selbst erst eine Erfahrung, indem er seine Begriffe und Regeln auf die Gegenstände anwendet, und wie kann ich denn aus der Beschaffenheit dieser äußeren Erfahrung irgend etwas für das wirkliche Daseyn der Gegenstände beweisen, da die ganze Art, wie wir uns dieselbe vorstellen, und wie wir sie erfahren, nicht in den Dingen selbst, sondern in der ursprünglichen Einrichtung unsers Geistes gegründet ist? Wie wenig stimmt doch mit diesen
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Aeußerungen, die ich mit vielen Stellen aus der Kritik belegen könnte, der hier | angenommene Satz überein, daß äußere Erfahrung eigentlich unmittelbar sey, und die innere Erfahrung erst möglich mache? Sie ist ja nur unser eigenes selbstgeschaffenes Werk, und wie kann also daraus etwas für die objektive Realität der äußern Dinge geschlossen werden? Weiß nun Hr. Kant nicht weit mehr von den äußern Dingen als er davon wissen könnte, wenn er consequent und seinem System getreu bleiben wollte? Er sagt sogar noch weiter: »hiemit trifft nun auch aller Erfahrungsgebrauch unsers Erkenntnißvermögens in Bestimmung der Zeit vollkommen überein. Nicht allein daß wir alle Zeitbestimmung nur durch den Wechsel in äußern Verhältnissen (in Bewegung) in Beziehung auf das Beharrliche in Raum, z. B. Sonnenbewegung in Ansehung der Gegenstände der Erde vornehmen können, so haben wir sogar nichts Beharrliches, was wir dem Begriffe einer Substanz, als Anschauung unterlegen könnten als bloß die Materie.« Dieß ist doch gewiß Inconsequenz. Alle Zeitbestimmung ist ja nach der Kantischen Theorie von Raum und Zeit nur subjektiv, und aller Wechsel in äußern Verhältnissen rührt ja nur aus der bestimmten Form unsrer Sinnlichkeit her, welche die Vorstellung der Veränderlichkeit in den angeschauten Dingen nothwendig macht. Darum dürfen sich ja aber noch gar nicht die Dinge selbst wirklich verändern, und es darf darum nichts reelles Beharrliches in ihnen seyn. Fast sollte man aber noch glauben, daß Hr. Kant selbst den Unbestand jener Theorie einzusehen anfängt, die offenbar so viele schwache Seiten verräth. Dennoch aber ist sie auch in dieser Auflage, so wie alles Uebrige, ausser einigen erläuternden Anmerkungen ganz und gar | unverändert stehen geblieben, und der Verf. hat weder in den Sätzen selbst, noch in der Beweisart etwas zu ändern für gut befunden. In manchen Stellen ist durch Abkürzungen, oder Zusätze die Deutlichkeit zwar vermehrt, und durch häufigere Ueberschriften die Uebersicht des Ganzen erleichtert. Aber im Wesentlichen ist diese Ausgabe der ersten vollkommen gleich geblieben.
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5 Rezension der Kritik der praktischen Vernunft Kritik der praktischen Vernunft, von Immanuel Kant. Riga, bey Hartknoch. 1788. 8. 292 Seiten.* In diesem Werke führt der Verf. die Ideen, wozu er in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten eine Einleitung, die zugleich als ein Abriß seiner Sittenlehre dienen kann, gegeben hatte, in sofern weiter aus, daß er hier die Fragen; ob und in wiefern reine Vernunft praktisch sey, ob sie irgend ein Verhältniß zu dem Begehrungsvermögen habe – was dies für ein Verhältniß sey, und wie wir uns dasselbe als möglich und wirklich gedenken können? ausführlich abhandelt. Der Rec. war erst willens, einen ausführlichen Auszug dieses Buchs nach den verschiedenen Titeln, worin der Verf. seine Materien abgehandelt hat, zu geben, aber er merkte bald, daß bey der Präcision und gedrungenen Kürze, womit der V. seine Gedanken vorgetragen hat, ein solcher Auszug, um recht verständlich und brauchbar zu seyn, für eine Recension viel zu weitläufig werden müßte. Er gab also diesen Vorsatz um desto mehr auf, da die gegenwärtige Schrift bey ihrem reichen und wichtigen Inhalte dennoch so kurz gefaßt ist, daß jeder Liebhaber sie selbst gern mehr als einmal durchlesen wird, und sie zugleich vor den übrigen neuern Schriften des Verf. diesen Vorzug hat, daß sie im Ganzen viel faßlicher ist, und nicht so sehr, wie seine Kritik der reinen Vernunft, um einigermaßen begriffen und übersehen zu werden, eines erläuternden Auszuges bedarf. Ich werde mich also begnügen, nach Anleitung der oben angegebenen Fragen das Wichtigste, was Hr. Kant zur Beantwortung derselben vorgetragen hat, hier kurz darzu | stellen, wodurch, wie ich hoffe, nicht nur das Eigenthümliche der Kantischen Sittenlehre einigermaßen deutlich, sondern auch die Erinnerungen, die ich dabey zu machen wage, den Lesern verständlich werden können. Man weiß es schon aus der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, daß Hr. K. eine praktische Vernunft in dem wichtigen Sinne annimmt, daß er die ganze sittliche Gesetzgebung, das sittliche Richteramt, das nöthige Ansehn und Vermögen, sich Gehorsam zu verschaffen, mit Ausschließung der Sinnlichkeit und Erfahrung, lediglich der reinen Vernunft zuerkennt. Von dieser Behauptung geht er auch hier aus, und faßt dieselbe in folgende Lehrsätze: 1) »Alle praktische Principien, die ein * Dieser Aufsatz ist schon vor verschiedenen Jahren gemacht, und zum Abdruck eingeschickt worden; allein, er wurde verlegt, und konnte nicht aufgefunden werden. Da man ihn endlich wieder bekommen, hat man ihn lieber so ungewöhnlich spät mittheilen, als zugeben wollen, daß ein so wichtiges Produkt des deutschen philosophischen Geistes in der Allgemeinen deutschen Bibliothek unangezeigt bliebe.
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Objekt (Materie) des Begehrungsvermögens als Bestimmungsgrund des Willens voraussetzen, sind insgesammt empirisch, und können keine praktische Gesetze abgeben.« 2) »Alle materielle praktische Principien sind als solche insgesammt von einer und ebenderselben Art, und gehören unter das allgemeine Gesetz der Selbstliebe oder der Glückseligkeit.« 3) »44 Wenn ein vernünftiges Wesen sich seine Maximen als praktische allgemeine Gesetze denken soll, so kann es sich dieselben nur als solche Principien gedenken, die nicht der Materie, sondern blos der Form nach den Bestimmungsgrund des Willens enthalten.« Hieraus werden nun folgende zwey Aufgaben aufgelöst; die erste: »Vorausgesetzt, daß die bloße gesetzgebende Form der Maximen allein der zureichende Bestimmungsgrund eines Willens sey, die Beschaffenheit desjenigen Willens zu finden, der dadurch allein bestimmbar ist;« und die zweyte: »Vorausgesetzt, daß ein Wille frey sey, das Gesetz zu finden, welches ihn allein zu bestimmen tauglich ist.« – Die erste Aufgabe wird so aufgelöst: Ein solcher Wille muß als gänzlich unabhängig von dem Naturgesetze der Erscheinung, nämlich dem Gesetze der Causalität, beziehungsweise auf einander gedacht werden, woraus es sich dann ergiebt, daß die zweyte nicht anders aufgelöst werden könne, als also: »Da die Materie des praktischen Gesetzes, d. i. ein Objekt der Maxime, niemals anders als empirisch gegeben werden kann, der freye Wille aber als von empirischen (d. i. zur Sinnenwelt gehörigen) Bedingungen unabhängig dennoch bestimmbar seyn muß; so muß ein freyer Wille, unabhängig von der Materie des Gesetzes, dennoch einen Bestimmungsgrund in dem Gesetze antreffen; es ist aber ausser der Materie des Gesetzes in demselben nichts | weiter als die gesetzgebende Form enthalten; also ist die gesetzgebende Form, in sofern sie in den Maximen enthalten ist, das einzige, was einen Bestimmungsgrund des Willens ausmachen kann. – Freyheit und unbedingtes praktisches Gesetz weisen also wechselweise auf einander zurück. – Hier fragt es sich nun, wo sich unsere Kenntniß des unbedingten praktischen anhebe, ob von der Freyheit, oder von dem praktischen Gesetze? Nicht von der erstern, denn deren können wir uns weder unmittelbar bewußt werden, weil der erste Begriff davon blos negativ ist, noch darauf aus der Erfahrung schließen, denn Erfahrung giebt nur das Gesetz der Erscheinungen, mithin den Mechanism der Natur, das gerade Widerspiel der Freyheit, zu erkennen. Also ist es das moralische Gesetz, dessen wir uns unmittelbar bewußt werden, (sobald wir uns Maximen des Willens entwerfen) das sich uns zuerst darbietet, und indem uns die Vernunft dieses Gesetz als einen durch keine sinnlichen Bedingungen zu überwiegenden, ja, als einen davon gänzlich unabhängigen Bestimmungsgrund darstellt, führet sie uns gerade auf den Begriff der Freyheit. Wie ist aber auch das Bewußtseyn jenes moralischen Gesetzes möglich? Wir können uns reiner praktischer Gesetze bewußt werden, eben so wie wir uns reiner theoretischer Grundsätze bewußt sind, indem wir auf die Nothwendigkeit, womit die Vernunft sie uns vorschreibt, und auf Absonderung aller empirischen Bedingungen, dazu uns jenes hinreißt, Acht haben. Das Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft lautet nun 44
Die Anführungszeichen fehlen im Original.
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so: Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Maxime einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. Diese Regel sagt: man solle schlechthin auf gewisse Weise verfahren; sie ist also unbedingt, mithin als kategorisch-praktischer Satz a priori vorgestellt, wodurch der Wille schlechterdings und unmittelbar durch die praktische Regel (die also hier Gesetz ist) objektiv bestimmt wird. Man kann das Bewußtseyn dieses Grundgesetzes ein Factum der Vernunft nennen, weil man es nicht aus vorhergehenden datis der Vernunft, z. E. dem Bewußtseyn der Freyheit, herausvernünfteln kann, sondern es sich für sich selbst uns aufdringt, als synthetischer Satz a priori, der auf keiner, weder reinen noch empirischen Anschauung gegründet ist. Doch muß man, um ohne Mißdeutung dies Gesetz als gegeben anzusehen, wohl bemerken, daß es kein empirisches, sondern das einzige Factum der reinen Vernunft sey, die sich dadurch als ursprünglich | gesetzgebend (sic volo, sic iubeo) ankündigt. Aus diesem allen wird nun die Folgerung gezogen: Reine Vernunft ist für sich allein praktisch, und giebt den Menschen ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen; und nun wird dieser vierter Lehrsatz aufgestellt: »Die Autonomie des Willens ist das alleinige Princip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemäßen Pflichten; alle Heteronomie der Willkühr, (wenn nämlich der Wille anders woher, oder aus der Materie des Gesetzes, aus der Folge der Handlung seine Bestimmungsgründe hernimmt,) gründet dagegen gar keine Verbindlichkeit, sondern ist vielmehr dem Princip derselben und der Sittlichkeit entgegen.« In der Unabhängigkeit nämlich von aller Materie des Gesetzes (d. i. vom begehrten Objekte) und zugleich in der Bestimmung der Willkühr durch die bloße allgemeine gesetzgebende Form, deren eine Maxime fähig seyn muß, besteht das alleinige Princip der Sittlichkeit. Jene Unabhängigkeit aber ist Freyheit im negativen, eigne Gesetzgebung der reinen und als solcher praktischen Vernunft ist Freyheit im positiven Verstande. Also drückt das moralische Gesetz nichts anders aus als die Autonomie der reinen praktischen Vernunft, d. i. der Freyheit, und diese ist selbst die formale Bedingung aller Maximen, unter der sie allein mit dem obersten praktischen Gesetze zusammenstimmen können. Wenn daher die Materie des Wollens, welche nichts anders als das Objekt einer Begierde seyn kann, die mit dem Gesetze verbunden wird, in das praktische Gesetz als Bedingung der Möglichkeit desselben hineinkommt, so wird daraus Heteronomie der Willkühr, nämlich Abhängigkeit vom Naturgesetze, irgend einem Antriebe oder einer Neigung zu folgen, und der Wille giebt sich nicht selbst das Gesetz, sondern nur die Vorschrift zur vernünftigen Befolgung pathologischer Gesetze. Die Maxime aber, die auf solche Weise niemals die allgemein gesetzgebende Form in sich enthalten kann, stiftet auf diese Weise nicht allein keine Verbindlichkeit, sondern ist selbst dem Princip einer reinen praktischen Vernunft, hiemit also auch der sittlichen Gesinnung entgegen, wenn gleich die Handlung, die daraus entspringt, gesetzmäßig seyn sollte. – Aus der Analytik, worin der Verf. eine Deduction der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft vorlegt, und worin das eben angeführte Moralsystem nach seinen Gründen weiter ausgeführt wird, merken wir uns nur folgendes. Wenn
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der | nach der speculativen Vernunft blos mögliche oder problematische Begriff der Freyheit (in dem Sinne, worin sie bisher genommen worden) durch die reine praktische Vernunft realisiret, oder in dem Vernunftgesetze als wirklich gegeben dargestellt wird, so versteht sich dies unter der Voraussetzung, daß der Mensch nicht blos als ein Wesen in der Sinnenwelt betrachtet werde; denn als ein solches steht er unter Naturnothwendigkeit; sondern als ein Noumenon, oder Glied einer Verstandeswelt. In diesem letzten Charakter kann er nämlich als eine freyhandelnde Ursache betrachtet werden, indem es sich zeigen läßt, daß es sich nicht widerspreche, alle seine Handlungen als physisch bedingt, sofern sie Erscheinungen sind, und doch zugleich die Causalität derselben, sofern das handelnde Wesen ein Verstandeswesen ist, als physisch unbedingt anzusehen, und so den Begriff der Freyheit zum regulativen Princip der Vernunft zu machen. Unter dem Titel: Von dem Befugnisse der reinen Vernunft im praktischen Gebrauche zu einer Erweiterung, die ihr im speculativen für sich nicht möglich ist, sind folgendes die Hauptideen. Die Kategorien sind an sich anwendbar, folglich auch die Causalität; ein zwar an sich leerer, aber nicht unmöglicher und unstatthafter Begriff, kann zwar in der Theorie nicht auf Noumena angewandt werden, so daß durch diese Anwendung die Erkennniß derselben erweitert werde; wohl aber im praktischen Gebrauche, weil uns in dem moralischen Gesetze die Realität desselben bestimmt gegeben ist – es läßt sich also in sofern der Begriff der Causalität mit der Freyheit verbinden, nicht um etwas von einem solchen Wesen zu erkennen, sondern daß wir nur ein solches Wesen als durch Freyheit bestimmend betrachten dürfen – Theoretisch leer ist zwar der Begriff einer empirisch unbedingten Causalität; aber er ist doch immer möglich, und bezieht sich auf ein unbestimmtes Objekt, und dieses wird ihm nun anstatt der Anschauung, die hier nicht Statt findet, durch das Sittengesetz gegeben, und durch dieses hat es nun nichts desto weniger wirklich Anwendung, die sich in concreto in Gesinnungen und Maximen darstellen läßt, d. i. praktische Realität, die angegeben werden kann, welches denn zu seiner Berechtigung selbst in Absicht auf Noumena hinreichend ist. Hierauf geht der Verf. zur Betrachtung des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft über. Dieser Gegenstand ist | nun nichts anders als die Begriffe vom Guten und Bösen. Durch das erstere versteht man einen nothwendigen Gegenstand des Begehrungs-, und durch das andere des Verabscheuungsvermögens, beydes aber nach einem Princip der Vernunft. Hier kommt nun die Frage vor, ob sich die Begriffe des Guten und Bösen vorläufig und ohne Rücksicht auf das moralische Gesetz angeben oder bestimmen lassen, oder ob allererst, nachdem dieses moralische Gesetz festgesetzt worden, durch dasselbe diese Begriffe zu bestimmen sind. Das letztere wird hier behauptet, und gezeigt, daß im ersten Falle das Gute und Böse nicht anders als empirisch könnte bestimmt werden, und daß folglich das moralische Gesetz, dessen Gegenstand dies empirisch ausgefundene Gute und Böse wäre, nicht ein allgemeines nothwendiges Vernunftgesetz a priori seyn könne; also bleibe nur der zweyte Fall übrig, daß nämlich das Gute und Böse allererst durch das moralische Gesetz und nach demselben bestimmt werde, oder daß der Begriff von
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einem vorhergehenden praktischen Gesetze abgeleitet werden müsse, nicht aber demselben zum Grunde liegen könne. Zur Beantwortung der Frage: wie wir uns das angegebene Verhältniß der reinen Vernunft zum Begehrungsvermögen als möglich denken müssen, gehört insonderheit das dritte Hauptstück von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft. Das Wichtigste hieraus ist folgendes. Das Wesentliche alles sittlichen Werths der Handlungen kommt darauf an, daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme. Geschieht diese Bestimmung zwar dem moralischen Gesetze gemäß, aber nur vermittelst eines Gefühls, welcher Art es auch sey – mithin nicht um des Gesetzes willen; so wird die Handlung zwar Legalität, aber nicht Moralität enthalten. – Der göttliche Wille hat und braucht keine Triebfeder, oder keinen subjektiven Bestimmungsgrund des Willens. – Die Triebfeder des menschlichen Willens kann nie etwas anders seyn, als das moralische Gesetz; mithin muß der objektive Bestimmungsgrund jederzeit und ganz allein zugleich der subjektiv-hinreichende Bestimmungsgrund der Handlung seyn, wenn diese nicht blos den Buchstaben des Gesetzes, ohne den Geist desselben zu enthalten, erfüllen soll. Da hier nun zu bestimmen ist, auf welche Art das moralische Gesetz Triebfeder werde, so muß zugestanden werden, daß zu bestimmen, wie ein Gesetz für sich der unmittelbare Bestim-| mungsgrund des Willens seyn könne, ein für die menschliche Vernunft eben so unauflösbares Problem sey, als zu erklären, wie ein freyer Wille möglich sey. Alles, was geschehen kann, besteht darin, daß man a priori angebe, was in dem Falle, und in sofern das Gesetz eine solche Triebfeder oder ein Bestimmungsgrund des Willens ist, dasselbe im Gemüthe wirken müsse. Die Wirkung desselben ist nun theils nur negativ, und kann als solche a priori erkannt werden, in sofern es ein Gefühl wirkt, welches Schmerz genannt werden kann, und dies wirkt es dadurch, daß es allen Neigungen Abbruch thut, und der Selbstsucht, die aus diesen Neigungen zusammengenommen besteht, ein Stillschweigen auflegt. Aber so ist dies Gesetz dann auch ein Gegenstand der größten Achtung, mithin auch ein Grund eines positiven Gefühls, das nicht empirischen Ursprungs ist, und a priori erkannt wird – Nun schließt das moralische Gesetz, welches allein wahrhaft (nämlich in aller Absicht) objektiv ist, den Einfluß der Selbstliebe auf das oberste praktische Princip gänzlich aus, und thut dem Eigendünkel, der die subjektiven Bedingungen der erstern als Gesetze vorschreibt, unendlichen Abbruch, und demüthigt jeden Menschen. Dasjenige, dessen Vorstellung als Bestimmungsgrund unsers Willens uns in unserm Selbstbewußtseyn demüthigt, erweckt, sofern als es positiv und Bestimmungsgrund ist, für sich Achtung. Also ist das moralische Gesetz auch subjektiv ein Grund der Achtung. – Hiezu darf gar keine besondre Art von Gefühl unter dem Namen eines praktischen oder moralischen, als vor dem moralischen Gesetze vorhergehend und ihm zum Grunde liegend, angenommen werden. – Die Triebfeder der sittlichen Gesinnung muß von allen sinnlichen Bedingungen frey seyn. Auch ist Achtung fürs Gesetz nicht Triebfeder zur Sittlichkeit, sondern sie ist die Sittlichkeit selbst, subjektiv als Triebfeder betrachtet, indem die reine praktische Vernunft dadurch, daß sie der Selbstliebe im Gegensatz mit ihr alle Ansprüche abschlägt, dem Gesetze, das
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jetzt allein Einfluß hat, Ansehn verschafft. Es ist eigenthümlicher Art, daß es lediglich der Vernunft, und zwar der reinen praktischen Vernunft zu Gebote zu stehen scheint. Eine Handlung geschieht aus Pflicht, wenn sie blos aus reiner Achtung für das Gesetz oder um des Gesetzes willen geschieht. Hierin besteht auch lediglich die Moralität. – Das moralische Gesetz ist für den Willen eines vollkommensten Wesens ein Gesetz der Heiligkeit; für den Willen jedes endlichen vernünftigen Wesens aber ein Gesetz | der Pflicht, der moralischen Nöthigung und der Bestimmung desselben durch Achtung für dies Gesetz, und aus Ehrfurcht für seine Pflicht. Ein andres subjektives Princip muß zur Triebfeder nicht angenommen werden, sonst ist die Gesinnung nicht moralisch, auf die es doch in dieser Gesetzgebung eigentlich ankommt. – Handeln aus Liebe zu den Menschen, zur Ordnung u.s.w. ist schön, aber das ist noch nicht die ächte moralische Maxime unsers Verhaltens. – Wir stehen unter einer Disciplin der Vernunft. – Hiemit stimmt aber die Möglichkeit eines solchen Gebots, als: Liebe Gott über alles und deinen Nächsten als dich selbst, ganz wohl zusammen, denn es fordert doch als Gebot Achtung für ein Gesetz, das Liebe befiehlt, und überläßt es nicht der beliebigen Wahl, sich diese zum Princip zu machen. Mit diesem Gesetze macht das Princip der eignen Glückseligkeit, welches einige zum obersten Grundsatz der Sittlichkeit machen wollen, einen seltsamen Contrast. Dieses würde so lauten: Liebe dich selbst über alles; Gott aber und deinen Nächsten um deiner Selbst willen. Jenes Gesetz aller Gesetze stellt, wie alle moralische Vorschrift des Evangelii, die sittliche Gesinnung in ihrer ganzen Vollkommenheit dar, so wie sie als ein Ideal der Heiligkeit von keinem Geschöpfe erreichbar, dennoch das Urbild ist, welchem wir uns zu nähern und in einem ununterbrochenen aber unendlichen Progressus gleich zu werden streben sollen. – Die sittliche Stufe, worauf der Mensch steht, ist Achtung fürs moralische Gesetz, und sein moralischer Zustand, darin er jedes Mal seyn kann, ist Tugend, d. i. moralische Gesinnung im Kampfe, und nicht Heiligkeit im vermeinten Besitze einer völligen Reinigkeit der Gesinnungen des Willens – Die ächte Triebfeder der reinen praktischen Vernunft ist also keine andre, als das moralische Gesetz selbst, sofern es uns die Erhabenheit unsrer eignen übersinnlichen Existenz spüren läßt, und subjektiv in Menschen, die sich zugleich ihres sinnlichen Daseyns und der damit verbundenen Abhängigkeit von ihrer sofern sehr pathologisch-afficirten Natur bewußt sind, Achtung für ihre höhere Bestimmung wirkt. Aus dem zweyten Buche von der Dialektik der reinen praktischen Vernunft merken wir uns nur die interessante Untersuchung über das höchste Gut. Das wichtigste hieher gehörige besteht in Folgendem. Der Begriff höchst ist zweydeutig, in sofern er das Oberste (supremum) und das Vollendete | (consummatum) bedeutet. Daß Tugend (als die Würdigkeit glücklich zu seyn) das oberste Gut sey, ergiebt sich aus dem Vorhergehenden; darum aber ist sie noch nicht das ganze und vollendete Gut, als Gegenstand des Begehrungsvermögens vernünftiger endlicher Wesen. Denn um das zu seyn, wird auch Glückseligkeit dazu erfordert, und zwar nicht blos in den partheyischen Augen der Person, die sich selbst zum Zwecke macht, sondern selbst im Urtheil einer unpartheyischen Vernunft, die jene überhaupt in der Welt
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betrachtet. Denn der Glückseligkeit bedürftig, ihrer auch würdig, dennoch aber derselben nicht theilhaftig zu seyn, kann mit dem vollkommenen Wollen eines vernünftigen Wesens, welches zugleich alle Gewalt hätte, wenn wir uns auch nur ein solches zum Versuch denken, gar nicht zusammen bestehen. Bey dieser Gelegenheit werden nun vom Verf. Anmerkungen gemacht über die verschiedenen Versuche der Epikuräer und Stoiker, Tugend und Glückseligkeit mit einander zu vereinigen. Beyde leiteten, obgleich auf verschiedene Weise, diese Vereinigung aus einer Identität beyder Begriffe her; folglich war sie nach ihrer Lehrform analytisch, nicht synthetisch, da es sich doch umgekehrt verhält. Die Verbindung der Tugend und Glückseligkeit ist als a priori, mithin praktisch nothwenig. Es ist a priori (moralisch) nothwendig, das höchste Gut durch Freyheit des Willens hervorzubringen; es muß also auch die Bedingung der Möglichkeit desselben lediglich auf Erkenntnißgründe a priori beruhen. – Dies führt nun den Verf. auf die Antinomie der praktischen Vernunft und auf den Versuch, dieselbe kritisch aufzuheben. Wir merken uns hierüber folgendes. Die Verbindung zwischen Tugend und Glückseligkeit ist nicht analytisch, sie mußte also synthetisch seyn. Aber dies ist auch unmöglich, weil alle praktische Verknüpfung der Ursachen und der Wirkungen in der Welt als Erfolge der Willensbestimmungen sich nicht nach moralischen Gesinnungen des Willens, sondern der Kenntniß der Naturgesetze und dem physischen Vermögen, sie zu seinen Absichten zu gebrauchen, richtet, folglich keine nothwendige und zum höchsten Gut zureichende Verknüpfung der Glückseligkeit mit der Tugend in der Welt durch die pünktliche Beobachtung des moralischen Gesetzes erwartet werden kann. – Ist also das höchste Gut nach praktischen Regeln unmöglich, so muß auch das moralische | Gesetz, welches gebietet, dasselbe zu befördern, phantastisch und auf leere eingebildete Zwecke gestellt, mithin an sich falsch seyn. Diese Antinomie sucht nun der Verf. so zu heben: der erste von den zwey Sätzen (worin wir die mögliche Verbindung der Tugend mit der Glückseligkeit ausdrücken können), daß das Bestreben nach Glückseligkeit einen Grund tugendhafter Gesinnungen hervorbringe (nach Epikur) ist schlechterdings falsch; der zweyte aber, daß Tugendgesinnung nothwendig Glückseligkeit hervorbringe (nach den Stoikern), ist nicht schlechterdings, sondern nur in sofern sie als Causalität in der Sinnenwelt betrachtet wird, und mithin, wenn ich das Daseyn in derselben als die einzige Art der Existenz des vernünftigen Wesens annehme, also nur bedingter Weise falsch. Da ich nicht allein befugt bin, mein Daseyn auch als Noumenon in einer Verstandeswelt zu denken, sondern sogar am moralischen Gesetze einen reinen intellectuellen Bestimmungsgrund meiner Causalität (in der Sinnenwelt) habe: so ist es nicht unmöglich, daß die Sittlichkeit der Gesinnungen einen, wo nicht unmittelbaren, doch mittelbaren (vermittelst eines intelligibelen Urhebers der Natur) und zwar nothwendigen Zusammenhang mit der Glückseligkeit in der Sinnenwelt habe, welche Verbindung in einer Natur, die blos Objekt der Sinnen ist, niemals anders, als zufällig, Statt finden, und zum höchsten Gut nicht zulangen kann, indem Selbstzufriedenheit noch nicht Glückseligkeit ist, die in dem Zustande eines Wesens besteht, dem es im Ganzen seiner Existenz
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alles nach Wunsch und Willen geht. – Mit dieser Auflösung der Antinomie der reinen praktischen Vernunft hängen die Postulate derselben zusammen. Es sind drey: erstlich, Freyheit, wegen der nothwendigen Voraussetzung der Unabhängigkeit von der Sinnenwelt und der Naturnothwendigkeit, und des Vermögens der Bestimmung des Willens nach den Gesetzen einer intelligibelen Welt, welches selbst Freyheit ist. Zweytens, Unsterblichkeit der Seele. Die Bewirkung des höchsten Guts in der Welt ist das nothwendige Objekt eines durchs moralische Gesetz bestimmbaren Willens. In diesem aber ist die völlige Angemessenheit der Gesinnungen zum moralischen Gesetze die oberste Bedingung des höchsten Guts. Sie muß also eben sowohl möglich seyn, als ihr Objekt, weil sie in demselben Gebote, dieses zu befördern, enthalten ist. Diese völlige Angemessenheit, die praktisch nothwendig ist, kann nur in einem ins Unendliche gehenden Progressus zu jener völligen | Angemessenheit angetroffen werden; und es ist nach Principien der reinen praktischen Vernunft nothwendig, eine solche praktische Fortschreitung als das reale Objekt unsers Willens anzunehmen. Dieser unendliche Progressus ist aber nur unter der Voraussetzung einer ins Unendliche fortdauernden Existenz und Persönlichkeit desselben vernünftigen Wesens (welche man die Unsterblichkeit der Seele nennt) möglich. Drittens, die Existenz Gottes. Das moralische Gesetz muß auch zur Möglichkeit des zweyten Elements des höchsten Gutes, nämlich der jener Sittlichkeit angemessenen Glückseligkeit, eben so uneigennützig aus bloßer unpartheyischer Vernunft auf die Voraussetzung des Daseyns einer dieser Wirkung adäquaten Ursache führen, d. i. die Existenz Gottes, als zur Möglichkeit des höchsten Guts nothwendig gehörig, postuliren. Die Glückseligkeit des Menschen beruht auf der Uebereinstimmung der Natur zu seinem ganzen Zweck, ingleichen zum wesentlichen Bestimmungsgrunde seines Willens, folglich ist das Postulat der Möglichkeit des höchsten abgeleiteten Guts (der besten Welt) zugleich das Postulat eines höchsten ursprünglichen Guts, nämlich der Existenz Gottes. – Doch ist diese moralische Nothwendigkeit, einen Gott anzunehmen, nur subjektiv, d. i. Bedürfniß, und nicht objektiv, d. i. selbst Pflicht, denn es kann gar keine Pflicht geben, die Existenz eines Dinges anzunehmen (weil diese blos den theoretischen Gebrauch der Vernunft angehet), auch wird darunter nicht verstanden, daß die Annehmung des Daseyns Gottes als eines Grundes aller Verbindlichkeit nothwendig sey, denn diese beruhet lediglich auf der Autonomie der Vernunft selbst. – Dies ist eine etwanige Vorstellung von des Verf. Theorie von der Sittlichkeit, freylich nur in einigen Grundzügen, woraus aber, wie ich hoffe, sich schon eine Sittlichkeit, die, wo je eine andere rein genannt zu werden verdient, zu erkennen giebt; eine Sittlichkeit, so streng in ihren Forderungen, so edel in ihren Zügen, so uneigennützig in ihren Bewegungsgründen, und so erhaben in den Aussichten, die sie eröffnet, daß sie sich allen wahren Tugendfreuden von selbst empfehlen muß, und daß ihnen nur der Wunsch übrig bleibt, daß diese sublime Sittenlehre, befreyt von allen den Dunkelheiten, die noch darauf zu ruhen, und von allen den Schwierigkeiten, die sie noch zu drücken scheinen, als wahr, als der menschlichen Natur angemessen, als brauchbar zur Ausübung, als anwendbar | auf das Leben sich
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rechtfertigen möge. Der Rec. hat sich einiger Zweifel und Bedenklichkeiten, die sich hierauf beziehen, nicht erwehren können, die er nebst ihren Gründen hieher setzen will. Es ist die Frage, ob wir die Vernunft in sofern praktisch nennen dürfen, daß sie als höchste und einzige Gesetzgeberin des Menschen demselben das eigentliche Princip der Sittlichkeit nicht nur angeben, sondern auch zugleich ihr eingreifendes Ansehn und ihr Vermögen, sich blos durch sich selbst Achtung und Gehorsam zu verschaffen, gehörig beweisen könne. Dies alles räumt der Verf. der Vernunft ein. Da sich aber durch unmittelbares Bewußtseyn reine Vernunft gar nicht, und also auch nicht im Kantischen Sinne, als praktisch, oder als höchste und einzige Gesetzgeberin, oder als Stifterin aller Sittlichkeit zu erkennen geben kann, (weil unser Bewußtseyn selbst, so wie alles, was wir durch dasselbe wahrnehmen, nur empirisch, nur das Selbstbewußtseyn eines sinnlichvernünftigen Objekts ist,) auch sich das höchste gesetzgebende Ansehn der reinen Vernunft nicht durch irgend eine vernünftelnde Analyse unsrer Seelenkräfte, etwa die Freyheit, herausbringen läßt; so bleibt nichts anders übrig, was hier zum Beweise dienen könnte, als das, was der Verf. das Factum der reinen Vernunft nennt; dieses nämlich, daß wir einen Imperativ der Sittlichkeit von den Imperativen der Klugheit, und ein absolutes Gesetz, das nur die reine Vernunft geben kann, von allen Regeln und hypothetischen Gesetzen der Selbstliebe, der Neigungen, und überhaupt der sinnlichen Antriebe und Bedürfnisse unterscheiden, und dem zufolge einen unbedingt guten Willen, dessen Werth über alles geht, zugestehen müssen. Hierauf ruhet nun, als auf dem letzten und einzigen Grunde, das ganze Kantische Moralsystem; hierauf beruhet nämlich die Nothwendigkeit, ein blos formales Princip der Sittlichkeit im Gegensatz aller materiellen Principien anzuerkennen. Wenn es sich nun noch zeigen ließe, daß dies formale Princip der Sittlichkeit im genauesten Verstande kein kategorischer Imperativ genannt werden könne, (weil doch immer ein Erkenntnißgrund, warum grade diese oder jene besondre Maxime zur allgemeinen Gesetzgebung passe, vorhanden seyn muß,) und wenn es sich dann weiter zeigen ließe, daß dieser Erkenntnißgrund, wenn es nicht der Grundsatz des Widerspruchs selbst ist, kein andrer seyn könne, als Gemäßheit oder Uebereinstimmung der Maxime mit der Natur | des Subjekts, dessen Maxime es seyn soll; so hindert dies alles doch nicht, daß eine solche Maxime, die wir um ihrer Uebereinstimmung mit der Natur willen als in eine allgemeine Gesetzgebung passend erkennen, nicht gleichfalls formal seyn, und in sofern mit dem Kantischen Princip der Sittlichkeit übereinkommen sollte. Dies letztre ist und kann nichts anders seyn, als das Vernunftmäßige, und nach allen den Exempeln zu urtheilen, die zur Erklärung angegeben werden, ist es das Selbstbestehende, das Consequente in einer Maxime, oder der Umstand, daß ich, indem ich dieselbe befolge, mir nicht selbst widerspreche, oder daß ich nicht zugleich ebendasselbe will und nicht will. Das Gegentheil aber, oder der Umstand, warum eine Maxime zur allgemeinen Gesetzgebung nicht taugt, ist das Widersprechende, sich selbst Aufhebende und Zerstörende, das darin wahrzunehmen, und bey der Befolgung derselben unvermeidlich ist. Weiter erstreckt sich nun auch
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der Erkenntnißgrund nicht, aus dem wir nach dem Verf. urtheilen könnten, ob eine gewisse Maxime des Willens, oder ihr Gegentheil, sich in eine allgemeine Gesetzgebung passe; und wenn es Maximen giebt, wie es deren unstreitig giebt, deren Tauglichkeit oder Untauglichkeit zur allgemeinen Gesetzgebung sich nicht blos aus dem auffallenden Vernunftmäßigen oder Unvernunftmäßigen derselben erkennen und entscheiden läßt, so bedürfen wir, wie es scheint, um dies auszumachen, irgend einer Bedingung oder höhern Betrachtung, und so wäre in diesem Falle der Kantische Imperativ weder kategorisch, noch das höchste Sittengesetz. Ob es aber solche Fälle gebe? kommt darauf an, daß man Beyspiele anführe, worin sich die Gültigkeit einer Maxime oder ihres Gegentheils zur allgemeinen Gesetzgebung blos aus der Vernunftmäßigkeit und Unvernunftmäßigkeit derselben nicht beurtheilen läßt, und dergleichen auszufinden, möchte nicht schwer seyn. Man setze, daß man zwischen den beyden entgegengesetzten Maximen, die wir in Ansehung des Betragens gegen unsre Feinde beobachten können, diejenigen nämlich, welche das Christenthum vorschreibt, und derjenigen, welche der Hurone befolgt, welche letztre man auch so ausdrücken könnte: verschone deinen Feind nie, sondern verfolge ihn, bis du ihn ausser Stand gesetzt hast, dir jemals zu schaden, und wenn dies nicht anders möglich ist, bis du ihn vertilgt hast – zu entscheiden hätte, welche von beyden sich in eine allgemeine Gesetzgebung passe. Hier ist, dünkt mich, offenbar, daß das bloße Vernunftmäßige oder Consequente, das in der einen, | und das Widersprechende, das in der andern liegen sollte, zum Erkenntnißgrunde nicht kann gebraucht werden, weil ich weder consequent handle, wenn ich die eine befolge, noch mir selbst widerspreche, wenn ich die andre ausübe. Es verhält sich hier gar nicht eben so, wie bey dem von Kant angegebenen Falle, ob ich mich durch ein falsches Versprechen aus einer Verlegenheit herausziehen darf oder nicht, oder in dem Falle, ob ich stehlen soll oder nicht, denn in beyden Fällen würde ich mir selbst widersprechen; ich würde etwas wollen und zugleich nicht wollen – wollen nämlich, daß Versprechen gelten sollen, und auch nicht gelten sollen; wollen, daß es ein Eigenthum gebe, und auch nicht gebe. Aber ich mag nun christlich oder huronisch mit meinem Feinde verfahren, so handle ich in dem einen Falle nicht consequenter, und auch nicht widersprechender als in dem andern. Hier verläßt mich also der Erkenntnißgrund, den die reine Vernunft, oder ihr bloßes sic vole, sic iubeo angeben könnte, und ich muß zwischen meinen beyden Maximen entweder immer unentschieden bleiben, oder, wenn mir daran liegt, zwischen beyden zu wählen, eine höhere Betrachtung aufsuchen, aus der ich den gesetzgeberischen Werth oder Unwerth meiner Maximen entscheiden könne; und daß diese Betrachtung oder dieser Erkenntnißgrund nicht weiter in der reinen Vernunft zu suchen sei, dies, deucht mir, ist offenbar; denn wollte man etwa sagen: man müsse, um den sittlichen Werth oder Unwerth einer Handlung oder einer Maxime zu beurtheilen, sich selbst fragen, ob man wohl die Handlung als durch seinen Willen möglich ansehen könne, wenn sie nach dem Gesetz einer Natur geschehen sollte, wovon man selbst ein Theil wäre; oder ob die Maxime einer Handlung so beschaffen sey, daß sie zu einem allgemeinen Naturgesetz tauglich seyn könne – sich endlich selbst
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fragen: was würde daraus werden, wenn ein jeder so handeln wollte? – so ist es unleugbar, daß, wenn man bey diesen Fragen noch mehr wissen will, als was consequent ist, oder nicht, sondern auch wissen will, was der Natur und dem hierin gegründeten allgemeinen Interesse vernünftiger Wesen gemäß ist, man zur Beantwortung derselben Erfahrungskenntnisse zu Hülfe nehmen, und auch die Folgen der Handlungen oder vielmehr der Maximen in Betrachtung ziehen müsse, daß folglich reine Vernunft für sich allein nicht im Stande sey, sie zu beantworten. In der That werden wir auch bey dieser Anweisung, den Werth einer Maxime auszumitteln, auf das Stoische Moralprincip, als den höhern | Erkenntniß- und Entscheidungsgrund des Sittlichen, verwiesen. Eben so scheint es mir unleugbar zu seyn, daß des Verf. höchstes Sittengesetz, wenn das Obige richtig ist, in der That nicht hinreicht, in allen Fällen auszumachen, welche von entgegengesetzten Maximen des Willens wir als gültig für eine allgemeine Gesetzgebung vorzuziehen haben. Aber dies beyseite gesetzt, läßt sich auch gegen das ganze Kantische Moralsystem die Einwendung machen, daß der Mensch, blos als eine reine Intelligenz betrachtet, blos auf den vernünftigen Theil seiner Natur, nicht aber auf den sinnlichen und dessen Bedürfnisse und Neigungen Rücksicht genommen werde, da doch, wenn für den Menschen, als ein sinnlich vernünftiges Subjekt, Sittlichkeit und Gesetze der Sittlichkeit sollten angegeben werden, seine ganze Natur billig sollte in Betrachtung gezogen werden. Der Mensch ist nicht eine reine Intelligenz, er kann es auch nie werden; sondern bleibt immer ein Glied der Sinnenwelt, in sofern er ein der Sittlichkeit fähiges, folglich veränderliches Wesen seyn soll. Sittlichkeit ist doch nichts anders, als eine gewisse Art zu wollen und zu handeln, und setzt voraus, daß das derselben fähige Subjekt so oder so wollen und handeln könne – daß es sich zu seiner Beschaffenheit und zu seinem Zustande gewissermaßen selbst bestimmen könne – daß es eine Art dieser Selbstbestimmung gebe, die jeder andern Art derselben vorzuziehen sey – daß dies Wesen eine ursprüngliche vor aller Selbstbestimmung vorhergehende Grundbestimmung oder eine ursprüngliche Anlage haben müsse; denn hätte es diese nicht, so ließe sich bey ihm gar keine bessere und schicklichere, noch viel weniger beste und schicklichste Art, sich selbst zu bestimmen und zu handeln denken, so wenig sich von einer an sich unförmlichen, gegen alle Formen, die man ihr geben könnte, auf gleiche Weise sich leidendlich verhaltenden Masse sagen läßt, daß diese oder jene Form für sie die schicklichste und beste sey. Es kann also für ein solches Wesen die beste und schicklichste, d. i. die pflichtmäßige Art sich selbst zu bestimmen, keine andre seyn, als diejenige, die in seine Grundbestimmung oder in seine ursprüngliche Anlage einstimmt, und also darauf abzweckt, aus diesem Wesen grade das zu machen, was nach seiner Grundbestimmung daraus werden konnte und sollte. Ein der Sittlichkeit fähiges Wesen muß mithin auch ein solches seyn, das das, was es seyn kann und seyn soll, nicht auf einmal ist, es auch nicht | blos und lediglich vermöge seiner Grundbestimmung oder nur durch fremde Bestimmung wird, sondern das sich zum Theil wenigstens selbst bestimmen kann und soll, folglich ein zur Ausführung seiner ursprünglichen Anlage, zur Vollendung seiner Grundbestimmung, d. h. zu seiner sittlichen Ausbil-
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dung fortschreitendes, mithin veränderliches Wesen seyn und bleiben muß; denn könnte es je ganz vollendet oder vervollkommnet werden, so würde es stille stehen müssen, könnte über den erreichten Punkt der Vollkommenheit nicht hinausgehen, würde aufhören, ein sittliches Wesen zu seyn, und würde nun nach den von dem Verf. angenommenen Begriffen ein heiliges Wesen seyn. Läßt sich nun das Fortschreiten von einem Zustande zum andern ohne den Zeitbegriff schlechterdings nicht denken, und gehört der Zeitbegriff blos zur Sinnen- und Erscheinungswelt, so wird der sittliche Mensch, in sofern er sittlich bleiben soll, nie eine reine Intelligenz werden, nie aus der Welt der Erscheinungen herauskommen; und hieraus folgt, daß er auch jene transcendente Freyheit, wir mögen sie als negativ oder positiv betrachten, nie haben kann, d. i. sie nie wirklich erreicht, ob er sich gleich derselben, auf eine unbestimmbare Weise nähern kann. Alles dies scheint zu beweisen, daß alle Rücksicht auf den sinnlichen Theil der menschlichen Natur bey Bestimmung dessen, was für ihn sittlich und Sittlichkeit ist, nicht aus der Acht zu lassen sey. Eben dies wird sich nun noch weiter bestätigen, wenn wir auf unsre Frage, in wiefern unsre Vernunft als praktisch betrachtet werden könne, zurückkommen. Im Allgemeinen kann die Vernunft praktisch heißen, in sofern sie sich mit dem Begehrungsvermögen befaßt, und überhaupt einen Einfluß auf das Thun und Lassen des Menschen äussert. Dahin gehört, daß sie die Wirkungen des Begehrungsvermögens vor ihren Richterstuhl zieht, billigt und mißbilligt, und so ist es natürlich, daß sie das erstre unter andern in sofern und darum thut, in sofern sie die Handlungsmaximen und Weisen mit ihrem eignen Grundgesetz der Einstimmung und des Widerspruchs übereinkommend oder consequent, und das letztre, in sofern sie diese Maximen und Handlungsweisen diesem ihrem großen Grundgesetze widerstreitend oder inconsequent findet. Blos aus diesem Gesichtspunkte und in dieser Beziehung will der V. die Vernunft als praktisch betrachtet wissen; indessen ist es nicht zu läugnen, daß die Vernunft auch nach ihrem zweyten Grundgesetze, dem Grundsatz | des Grundes und des Gegründeten die Handlungen beurtheilt, sie billigt, wenn sie diesem Grundsatz gemäß gegründet und zweckmäßig sind, und sie mißbilligt, wenn sie demselben entgegen, ungegründet und unzweckmäßig sind. Ja, nach dem gemeinen Sprachgebrauche wird das gegründete und zweckmäßige Handeln insonderheit der Vernunft zugeschrieben; warum sollte denn, möchte man denken, dies zweyte Grundgesetz der Vernunft nicht eben so gut einen Imperativ der Sittlichkeit hergeben, als der Grundsatz der Einstimmung und des Widerspruchs einen solchen hergiebt? Vielleicht, weil sich kein solches Factum der reinen Vernunft, worauf die Gültigkeit des Kantischen Imperativs der Sittlichkeit ruhen soll, für einen Imperativ, der sich auf den Grundsatz der Causalität bezieht, und sich darauf gründet, angeben läßt? Aber wie es sich mit diesem Factum der reinen Vernunft auch verhalten mag, so gehört doch auch der Grundsatz der Causalität eben so, wie jener des Widerspruchs, zum Wesen der reinen Vernunft, und wir finden die Billigung der Vernunft in Ansehung des Consequenten durch eben dasselbe empirische Bewußtseyn, wodurch wir die Billigung derselben in Ansehung
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des Gegründeten und des Zweckmäßigen wahrnehmen. Eins so gut, wie das andere, scheint also ein Factum der reinen Vernunft zu seyn, und als ein solches zum Grunde eines Imperativs der Vernunft liegen zu können. Sowohl daß das consequente Wollen und Handeln dem inconsequenten Wollen und Handeln vorzuziehen sey, und daß dies consequente Wollen und Handeln von dem blos gegründeten und zweckmäßigen Handeln noch unterschieden sey, als auch daß das zweckmäßige oder mit Grund etwas Wollen und Handeln dem unzweckmäßigen und ohne Grund Wollen und Handeln vorzuziehen sey, ist auf gleiche Weise ein Anspruch45, ich will nicht sagen, der reinen Vernunft, denn diese läßt sich durch unser blos empirisches Bewußtseyn nicht unmittelbar vernehmen, sondern der gesunden Menschenvernunft. Wenn nun deren Ausspruch in dem einen Fall alles bey uns gelten soll; so sollten wir billig für dieselbe, wenn sie in dem andern Fall eben so laut spricht, eben die Achtung beweisen. Ein solcher Fall wäre nun dieser, wenn solche Umstände einträten, daß von den beyden Maximen: fiat iustitia et pereat mundus, und dieser: salus populi suprema lex esto, nur die Befolgung der einen möglich wäre, und also einem Volke oder dessen Regenten nur die Wahl übrig bliebe, ob die Gerechtigkeit verletzt, oder die gemeine Wohlfahrt aufgeopfert werden | solle. Ein Regent mag es in seiner Gewalt haben, entweder ein öffentlich und feyerlich gegebenes Versprechen zu brechen, oder sein Volk auf immer, wenigstens auf unabsehbare Zeiten aus seinem Wohlstande in die verworfenste Sclaverey und in gränzenloses Elend zu stürzen. Was befiehlt ihm hier seine Pflicht, oder vielmehr, was sagt hier die gesunde Menschenvernunft? Soll er lieber sein Volk untergehen lassen, und also seinem höchsten Zweck entgegen handeln, oder sein Wort brechen? Und wenn er sein Wort bricht, und dadurch sein Volk rettet, sollte er nach dem Urtheil dieser Vernunft grade nicht besser handeln, als der falsche Spieler, der sich durch Betrügereyen bereichert? Sollte er die durch den Bruch seines Worts bewirkte Erhaltung seines Staats als etwas wodurch er in seinen eignen Augen verächtlich würde, zu betrachten haben? Ich zweifle sehr daran, daß er nach dem Ausspruche des schlichten Menschenverstandes sich so strenge für die Verletzung der Gerechtigkeit bestrafen würde. Aber laßt uns den entgegengesetzten Fall annehmen: er opfert, damit der Gerechtigkeit nur ein Genüge geschehe, die gegenwärtige und künftige Glückseligkeit seines Volks auf, wird er sich nun bey den unvermeidlichen Vorwürfen, die er sich selbst, die ihm sein Volk, die ihm die Welt machen wird, blos dadurch beruhigen, und auf den Trümmern seines Vaterlandes damit rechtfertigen können: ich habe wenigstens der Maxime gefolgt, von der ich wollen kann, daß sie ein allgemeines Gesetz werde? – Wie der große Friedrich diesen Gewissensfall entschieden, kann keinem Leser seiner hinterlassenen Schriften unbekannt seyn; und wenn beynahe alle Regenten und Nichtregenten, wo hier überhaupt eine Ausnahme zu machen ist, alter und neuerer Zeiten in diese von dem Kantischen Moralsystem so weit abgehende Entscheidung einstimmen sollten, so würde dies wenigstens als Thatsache so viel beweisen, daß, wenn gleich der schlichte Menschenverstand ei45
Im Original: »Ausspruch«.
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nen Unterschied zwischen Recht und Nutzen, zwischen pflichtmäßig (consequent) und klug (zweckmäßig) handeln anerkennt, und ein Betragen, wo das letztere dem erstern vorgezogen wird, in gewöhnlichen Fällen nicht billiget, es doch aber auch Fälle geben könne, (wohin der oben angeführte gehört,) wo der Nutzen so überschwänglich groß und ausgebreitet, der entgegengesetzte Nachtheil so wichtig und unersetzlich, das Bedürfniß so dringend, so gebieterisch wird, daß nach dem Ausspruche eben dieser gesunden Menschenvernunft derjenige, der dies alles durch die bloße Achtung für das | vernunftmäßig-consequente Handeln überwiegen ließe, wo nicht in seinen eigenen Augen, doch in den Augen aller übrigen Menschen als ein übervernünftelnder Phantast erscheinen würde, und aus dieser Thatsache ließe sich dann, wie mich dünkt, wieder mit Recht folgern, daß es nicht nur in des Menschen Natur sey, darauf zu sehen, ob die Maxime, wonach er handelt, consequent sey, und als eine solche sich in eine allgemeine Gesetzgebung passe, oder nicht, sondern auch darauf, ob seine Handlung gegründet und zweckmäßig sey, oder nicht. Und hat dies nur als eine in dem gemeinen Wahrheitssinn gegründete Thatsache seine Richtigkeit, so läßt sich, meiner Einsicht nach, Rücksicht auf den letzten Zweck, oder auf die ganze Naturanlage des Menschen von der Untersuchung und Festsetzung dessen, was der Mensch zu thun und zu lassen hat, dessen, was für ihn Recht, Pflicht, oder schicklich ist, nicht ganz ausschließen; noch weniger läßt es sich behaupten, daß durch jede Rücksicht auf das Zweckmäßige die Moral verderbt, und ein Wille, bey dem das Zweckmäßige in irgend einige Betrachtung kommt, eben dadurch unsittlich gemacht werde. Dies hat meines Wissens vor Kanten noch nie ein Philosoph in dieser Strenge und Allgemeinheit behauptet, und, wenn wir die schwärmerischen Vertheidiger der reinen Liebe Gottes ausnehmen, wohl noch nie ein Sittenlehrer demjenigen Willen, der sich zu einer gesetzmäßigen Handlung auch aus Rücksicht auf den letzten und höchsten Zweck des Menschen bestimmt, um dieser Rücksicht willen allen sittlichen Werth abgesprochen. Wir kommen nun zu des Ver. Begriff vom Guten und Bösen, oder dem Gegenstand und Zweck des Moralgesetzes. Auch das, was der Verf. hierüber vorträgt, scheint einige Anmerkungen nicht unnöthig zu machen. Der Rec. der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten hatte (A. d. Bibl. B. 66. S. 449.) behauptet, daß die Untersuchung des Sittlichen von der46 Festsetzung des Begriffs vom Guten ausgehen müsse; hierauf scheint der Verf. in sofern Rücksicht genommen zu haben, daß er im Gegensatz gegen diese Behauptung zu zeigen sucht, daß, weil das höchste Princip der Moral nicht materiell, sondern formal seyn müsse, nicht der Begriff des Guten und Bösen das höchste Moralgesetz angeben oder bestimmen könne, sondern daß gerade umgekehrt, das zuerst auszufindende Moralgesetz uns allererst das absolut Gute, oder das höchste Gut in demjenigen, was dieses Gesetzes Zweck und Gegenstand sey, | ausfinden lasse. Wenn wir nun auf diese Weise ein höchstes Gut aufsuchen, und finden, daß es nichts anders sey, als die Fertigkeit, vernunftmäßig, d. i. consequent, zu wollen und zu handeln, und wir nun mit dem Verf. eben hierin 46
Fehlt im Original.
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die Tugend setzen: so leidet es keinen Zweifel, daß die Tugend für das höchste Gut zu halten sey. Auf eben dieses Resultat kam die stoische Philosophie, indem sie den Grundsatz: Handle der Natur gemäß, zum höchsten Princip der Sittlichkeit machte; ebendasselbe, das der gedachte Rec. zur Met. d. S. angenommen hatte, als welches genau betrachtet, ebenfalls formal, und nicht materiell ist. Auch in Absicht des Gegenstandes und Zwecks dieses Princips stimmt die stoische Moralphilosophie mit der Kantischen überein, daß nach beyden die Tugend das höchste Gut sey, nur in Ansehung des zweyten oder integrirenden Theils des höchsten Guts, nämlich der Glückseligkeit, die nach Kant sowohl, als nach den Stoikern, zum höchsten Gut gerechnet wird, weichen beyde von einander ab, und diese Abweichung scheint hauptsächlich von dem verschiednen Begriffe, den sie sich von Glückseligkeit machen, herzurühren. Die Stoiker setzen bekanntlich die Glückseligkeit in der Ausübung der Tugend, und suchen beyde zu identificiren, nach dem bekannten Ausspruche: ne putes alium sapiente bonoque beatum, oder dem: sola bona quae honesta; und so brauchten sie keinen besondern Beweis zu führen, daß Glückseligkeit zum höchsten Gut gehöre, oder einen Bestandtheil davon ausmache – einen Beweis, den sie nach ihrem Begriffe von Glückseligkeit, und da sie bey Festsetzung ihres Princips der Sittlichkeit und dessen, was zur Tugend gehört, auch die sinnliche Natur des Menschen mit in Betrachtung zogen, (obgleich in beständiger Unterordnung unter den vernünftigen,) auf allen Fall leicht führen konnten. Denn daß der ganzen Natur des Menschen, der sinnlichen und vernünftigen zusammengenommen, letzter Zweck auf Glückseligkeit führe, fällt von selbst auf. Aber Kant, der den stoischen Zusammenhang, oder, wie er es auch nennt, das Coalitionssystem zwischen Tugend und Glückseligkeit nicht will gelten lassen, sondern vielmehr behauptet, daß die Vernunft und Tugend den Menschen der Glückseligkeit nur würdig, nicht aber theilhaftig machen könne, müßte billig den Beweis führen, daß auch Glückseligkeit wenigstens als integrirender Theil zum höchsten Gute gehöre, in sofern auch sie eben so, wie seine Tugend, Gegenstand und Bedürfniß, und folglich auch Zweck der reinen praktischen Vernunft sey. | Wenn er einen solchen Beweis unternehmen wollte, so kann derselbe, wie es scheint, nie für eine solche Glückseligkeit gelten, wie sie sich für eine reine praktische Vernunft paßt, und dies kann keine andre seyn, als eine solche, wodurch ihr einziges Bedürfniß, ihr einziger Zweck, consequente, in eine allgemeine Gesetzgebung reiner Intelligenzen passende Maximen des Willens zu haben, befriedigt und erreicht wird. Macht nun Befriedigung des einzigen Bedürfnisses, Erreichung des einzigen Zwecks und Wunsches nach Kants eigner Definition der Glückseligkeit dieselbe aus, so kann die Vernunft an und für sich selbst nach keiner andern Glückseligkeit streben, als nach derjenigen, die sich aus der Erfüllung und Befriedigung ihres einzigen Bedürfnisses und Zwecks ergiebt. Doch diese Glückseligkeit scheint K. nicht im Sinne zu haben, sondern vielmehr eine solche, die man im populären Sinne Glückseligkeit nennt, die nämlich sinnliche Bedürfnisse, Triebe und Neigungen voraussetzt, und die wenigstens zum Theil mit aus der Befriedigung derselben entsteht. Glückseligkeit soll nämlich, wie K. sagt, der Zustand eines vernünftigen Wesens seyn, dem im Ganzen
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seiner Existenz alles nach Wunsch und Willen geht, weswegen sie auf der Uebereinstimmung der Natur zu seinem ganzen Zweck, ingleichen zum wesentlichen Bestimmungsgrunde seines Willens beruhe. Ist nun die Verknüpfung dieser Glückseligkeit mit der Tugend nicht analytisch, wie sowohl die Stoiker, als Epikuräer, (obgleich auf eine verschiedene Weise) behaupteten, sondern vielmehr, wie K. annimmt, synthetisch, so kann man noch immer fragen, was berechtigt ihn, Glückseligkeit mit Tugend im Begriff des höchsten Guts zu verbinden, oder zu fordern, daß zu dem höchsten Gute auch ein dem Grade der Tugend proportionirter Grad der Glückseligkeit hinzukommen müsse, und zwar eine Glückseligkeit, wie sie nicht nur die vernünftige, sondern auch die sinnliche Natur des Menschen heischt? Daß es aber eine solche ist, die er fordert, erhellet nicht nur aus der oben angeführten Definition derselben, sondern auch aus seiner ganzen Argumentation gegen das stoische Coalitionssystem. Und wenn es noch mehrere Beweise hievon bedürfte, so könnte man sich unter andern auch auf seine Behauptung, daß Selbstzufriedenheit und Selbstbilligung noch nicht Glückseligkeit sey, berufen,47 ferner darauf, daß Glückseligkeit beym Wollen nicht, in sofern sie Glückseligkeit, d. i. etwas angenehmes, den Neigungen schmeichelhaftes, sondern der Tugend ungebührendes ist, der Gegenstand des guten Willens | seyn soll, eben weil sie vermischter Natur ist, und etwas zum Zweck des guten Willens machen würde, was eigentlich nicht der Zweck desselben seyn soll. Dies alles zeigt denn deutlich genug, daß der Verf. unter Glückseligkeit auch hauptsächlich äusserlichen Wohlstand und sinnliches Vergnügen mit versteht. Wenn nun eine solche Glückseligkeit zum höchsten Gute, mithin auch zum Gegenstand und Zweck des Moralgesetzes (selbst unter den Einschränkungen und Modificationen, die er hiebey macht) gerechnet wird; so nimmt der Verf. offenbar bey Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut auch Rücksicht auf die gegenwärtige sinnliche Natur des Menschen, indem er das, was nur sie fordert, (äussern Wohlstand und sinnliches Vergnügen,) mit zum höchsten Gute rechnet, und hier muß es nun sehr inconsequent scheinen, daß er bey Bestimmung des Gesetzes und des demselben gemäßen Willens, der das höchste Gut hervorbringen soll, nicht gleichfalls auch auf die sinnliche Natur des Menschen Rücksicht nehmen wollte, daß er also von der Ursache mehr fordre, als sie möglicher Weise leisten konnte und sollte; mit einem Worte, daß er seine Glückseligkeitslehre und Tugendlehre nicht einander angepaßt, sondern zu einander in ein auffallendes Mißverhältniß und in eine Art von Mißhelligkeit gegen einander gesetzt hat – daß er in der Tugendlehre strenger als Zeno, und in der Glückseligkeitslehre laxer als Epikur zu seyn scheint. Die sehr richtige Bemerkung des Hrn. Garve in seinen Anmerkungen zu Fergusons Moralphilosophie, daß es widersinnig sey, der Tugend in einem künftigen Lebenszustande als eigentliche Belohnung solche Güter und Vergnügungen, und überhaupt eine solche Glückseligkeit anzuweisen, die man uns hier zur Pflicht gemacht hat, um der Tugend willen zu verachten und derselben aufzuopfern, scheint auf den gegenwärtigen Fall anwendbar zu seyn. Ohnedem je mehr wir uns 47
Im Original: »beruht« (ohne Komma).
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der reinen Sittlichkeit und der absoluten Freyheit oder Unabhängigkeit von Naturnothwendigkeit, und mithin auch von dem Eindruck äusserer Gegenstände und dem Reize sinnlicher Vergnügungen nähern, desto entbehrlicher, desto gleichgültiger und desto unschmackhafter werden uns diese Dinge und Vergnügungen werden; und sie sollten noch immer, wenn wir einen sehr hohen Grad reiner Sittlichkeit und Freyheit erreicht hätten, ein unentbehrliches Ingredienz unserer Glückseligkeit ausmachen? noch immer nicht fehlen dürfen, wofern die unpartheyische Vernunft den wahren Ausspruch thun sollte, daß unsrer so erhöhten Tugend eine ihr angemessene | Glückseligkeit, eine Glückseligkeit, deren sie würdig ist, wirklich zu Theil geworden sey? Hiebey fällt es zugleich auf, daß, wenn äusserliche und sinnliche Glückseligkeit noch immer zu derjenigen Glückseligkeit gehören soll, welche das höchste Gut erst vollendet darstellt, vorausgesetzt werden müsse, daß der Mensch immer ein Mitglied der Sinnenwelt bleibt, und auch eben daraus folge, daß bey Entwerfung eines Moralprincips und eines Sittengesetzes auf ihn, als ein sinnliches Wesen, auch hätte Rücksicht genommen werden müssen. Vor diesem Vorwurfe der Inconsequenz war die stoische Philosophie durch das richtige Verhältniß und die Harmonie zwischen ihrer Tugendlehre und Glückseligkeitslehre gesichert, auch nahmen die Stoiker in ihrer Tugendlehre Rücksicht auf die ganze Natur des Menschen, sowohl auf den vernünftigen, als auf den sinnlichen Theil derselben. Ihre Tugend bestand nicht nur in Gerechtigkeit und in dem, was darunter begriffen wird, sondern auch in Klugheit, Mäßigung und Tapferkeit. Klugheit, d. h. mögliche Kenntniß und Einsicht sowohl der Natur der Dinge überhaupt, als der menschlichen insonderheit; sie war dem Weisen nöthig, zuvörderst um das, was in des Menschen Macht steht, von dem, was nicht in seiner Macht steht, zu unterscheiden, und dann auch, um durch die Erkenntniß der Natur einsehen zu lernen, wie sich der Wille dieselbe möglichst unterwerfen und über sie herrschen könne. Ferner Mäßigung, oder Bestrebungen und Uebungen, diejenigen Neigungen und Wünsche, die er als für menschliche Kräfte unerreichbar erkannt hatte, zu schwächen und zuletzt zu unterdrücken; und endlich Tapferkeit, oder das Bestreben und die Uebung, unvermeidliche Uebel und Beschwerden zu ertragen, und sich eine Fertigkeit zu erwerben, sich dagegen immer unempfindlicher zu machen, und sich über Furcht und Schrecken zu erheben, so wie ihn die Mäßigung und die Uebung in derselben über den Reiz der Güter des Glücks und die Vergnügungen der Sinnlichkeit erheben sollte. Die Tugendlehre hatte eine offenbare Beziehung auf die Lage des vernünftigen Menschen in der Sinnenwelt, und zielte darauf ab, ihn seiner Glückseligkeit in eben dem Verhältnisse näher zu bringen, in welchem er sich der Tugend und seiner Grundbestimmung, die Vernunft zur Herrschaft über die Sinnlichkeit zu erheben, näherte, und wäre nur überhaupt diese Tugend für den Menschen erreichbar, so würde er auch der ihr proportionirten Glückseligkeit nicht verfehlen. | Zuletzt wäre über die sogenannten Postulate der reinen Vernunft noch manches anzumerken, da indessen dieser Aufsatz schon so weitläufig gerathen ist, so muß ich mich begnügen, nur über das Postulat von der Freyheit noch einige Erinnerun-
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gen beyzufügen. Zuerst merke ich an, daß das, was der Verf. über die sogenannte transcendente Freyheit lehrt, mir nicht bestimmt, sondern zweydeutig zu sein scheint, ob er nämlich die Freyheit der Gleichgültigkeit, oder eine solche verstehe, wie die Indeterministen im Gegensatz des Determinismus fordern, oder blos das, was ein Leibnitzscher Philosoph absolute Freyheit nennen würde. Nach der Beschreibung, die er von derselben giebt, da er sie theils eine Unabhängigkeit von Naturnothwendigkeit, oder von allem Einflusse äusserer Dinge auf die Bestimmung des Willens, theils ein Vermögen der praktischen Vernunft, den Willen durch ihre eignen Gesetze zu bestimmen, nennt, scheint es nicht allein nicht nöthig zu seyn, an eine indeterministische Freyheit zu denken, sondern man müßte wohl vielmehr das Gegentheil derselben annehmen, denn der Wille wird doch immer bestimmt, und muß immer bestimmt werden, wenn gleich nicht durch äussere Dinge, doch durch die Vernunft und durch das Gesetz, das sie dem Willen vorschreibt. Auf der andern Seite aber scheint es, als wenn der Verf. zu dem Begriff der sittlichen Zurechnung und zur Möglichkeit derselben indeterministische Freyheit nöthig halte, und behaupte, daß da, wo eine Art von Nothwendigkeit sey, (die immer in dem Begriff der deterministischen Freyheit eingeschlossen ist,) gar keine Zurechnung Statt finde. Doch kann es seyn, daß er nur eine Nothwendigkeit versteht, wodurch der Wille von aussen, nicht aber von innen durch sich selbst bestimmt wird, und also einen gewissen größern Vernunftfatalismus, und also nur von der erstern behauptet, daß da, wo sie zu finden ist, keine Imputation Statt haben könne. Angenommen, daß dies letzte seine Meinung sey, so würden dem Menschen, in sofern und so lange er unter Naturnothwendigkeit steht, keine seiner Handlungen zuzurechnen seyn; und da sehe ich nicht, wie man dadurch, daß man dem unter Naturnothwendigkeit stehenden Menschen, oder dem Menschen, als Glied der Sinnenwelt, auch einen intelligibeln Charakter beylegt, oder ihn zugleich als Glied einer Verstandeswelt betrachtet, folglich zu gleicher Zeit die transcendente Freyheit zutheilt, vermöge der er für seine Handlungen verantwortlich wird, sich aus dieser Verlegenheit heraushelfen könne; denn beyde | Arten der Freyheit, da sie einander grade widersprechend sind und aufheben, kann doch ein und dasselbe Subjekt unmöglich zu gleicher Zeit wirklich haben und äussern, eben so wie es unbegreiflich scheint, daß der Mensch, der doch nur eine Person ausmacht, zu gleicher Zeit einen doppelten sich entgegengesetzten Charakter, den sinnlichen und intelligibeln, als Glied zweyer verschiedner Welten, wirklich besitzen, und in der That zwey entgegengesetzte Ichs ausmachen sollte. Ich gestehe es gern, dieser doppelte Charakter des Menschen, diese zwey Ichs in dem einfachen Subjekt, sind mir bey allen den Erklärungen, die Kant selbst und seine Schüler darüber gegeben haben, bey allen den Anwendungen, die sie davon insonderheit zur Auflösung der bekannten Antinomie von der Freyheit machen, das Dunkelste und Unbegreiflichste in der ganzen kritischen Philosophie. Ich gestehe, daß, wenn ich diese Hypothese von dem doppelten Charakter und den zwey Ichs in dem Menschen auf die gewöhnliche Entgegensetzung des geistigen und sinnlichen im Menschen, auf das, was Paulus das Gesetz in unserm Gemüthe und in unsern Gliedern nennt, oder auch auf das,
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was den Araspes beym Xenophon in der Cyropädie verleitete, sich zwey Seelen, eine gute und eine böse, zuzuschreiben, zurückbringen wollte, derselbe mir bis auf die neue Terminologie etwas Bekanntes und Verständliches zu seyn scheine; aber dann kann ich mir weder die Auflösung der Antinomie, noch das, was sonst in der kritischen Philosophie darauf gebaut wird, hinlänglich erklären. Auch könnte mir die Vorstellung, daß der Mensch nach seinem sinnlichen Charakter, oder nach seinem empirischen Ich, als eine Erscheinung, nach seinem intelligibeln Charakter und Ich als ein Ding an sich selbst zu betrachten sey, zur Erklärung das nöthige Licht geben; denn ich möchte nun den Menschen, als Glied der Sinnenwelt, mit seinen Handlungen und mit seiner Naturnothwendigkeit immerhin als Erscheinung betrachten, so blieb er doch immer ein sittlich handelndes Wesen, seine der Naturnothwendigkeit unterworfenen Handlungen blieben immer imputabel, und seine Sclaverey unter der Naturnothwendigkeit war nicht scheinbar, sondern wirklich. Stellt man sich aber den doppelten Charakter des Menschen und seine zwey Ichs nicht als zu gleicher Zeit mit einander bestehend, sondern als auf einander folgend vor, so daß der Mensch in der Sinnenwelt nichts weiter als die Anlage zum intelligibeln Charakter, nichts weiter als die Bestimmung, dereinst eine reine Intelligenz zu werden, habe: | so kann man doch, wenn das, was oben erinnert worden, richtig ist, dies annehmen, daß er sich diesem intelligibeln Charakter und allen damit verbundenen Eigenschaften und Vorzügen nur in einem infinitesimal Verhältnisse nähern, nie aber denselben erreichen werde und könne. Sollte er denselben wirklichen erreichen, so würde er wirklich zu dem Range und den Vorzügen einer Gottheit erhöhet werden, weil nach den Beschreibungen der Eigenschaften und Vorzüge einer solchen Intelligenz alles sein Wollen und Handeln (da er nicht mehr, wie in der Sinnenwelt, bald so bald so handeln könnte, und keiner Veränderung unterworfen wäre) bey ihm nichts weiter als ein einziger unveränderlicher Actus seines Willens (gerade wie man es sich bey dem unendlichen unveränderlichen Wesen gedenken muß) seyn müßte, und er bey aller der Causalität des Veränderlichen, die ihm zugeschrieben wird, selbst als ganz unveränderlich müßte betrachtet werden. Bey allen diesen Schwierigkeiten, Dunkelheiten und, aufs gelindeste gesagt, Scheinwidersprüchen kann man meiner Einsicht demnach nicht mehr als einen einfachen, nämlich den sinnlichvernünftigen Charakter, nur Ein Ich, nur Eine, nämlich sehr eingeschränkte Freyheit oder vernünftige Selbstthätigkeit dem Menschen zuschreiben, von der man aber annehmen kann, daß sie immer weniger eingeschränkt sich einer absoluten Freyheit in einem unendlichen Progressus nähern werde und könne, ohne doch diese, wofern er nicht aufhören soll, ein endliches Wesen zu seyn, jemals zu erreichen. Widrigenfalls müßte man bey ihm eine Freyheit annehmen, die er zwar hätte, aber die er nicht gebrauchen kann, und die ihm in der That nichts hilft, da er noch immer der Naturnothwendigkeit unterworfen ist, wobey er noch immer zu Handlungen bestimmt wird, die ihm wirklich beygemessen werden, und wofür er auch alsdann, wenn er nach abgelegtem Scheinwesen als reine Intelligenz aus der Sinnen- in die Verstandeswelt übergehen würde,
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noch immer verantwortlich bleibt. Was hilft ihm denn diese ganze Distinction, wenn doch auf seinen doppelten Charakter, auf sein zwiefaches Ich eben die Antwort paßt, die jener Bauer seinem Regenten, einem Fürstbischofe, soll ertheilt haben? Da der Bauer diesem nämlich wegen seiner übertriebenen Neigung zur Hetzjagt die Vorstellung machte, daß es sich für ihn, als einem geistlichen Herrn, nicht gezieme, die Felder seiner Unterthanen durch das Wild verheeren zu lassen, | erwiederte er demselben auf die Gegenrede: der Bauer müsse bedenken, daß er nicht nur ein geistlicher, sondern auch ein weltlicher Herr sey: »aber, gnädiger Herr, wenn der Teufel den weltlichen Herrn holt, wo wird der geistliche bleiben?« 48 Wie sollen wir uns endlich die Vereinigung dieser beyden so verschiedenartigen Charaktere in einem und ebendemselben Subjekt als möglich denken? Ist sie wesentlich nothwendig, daß sich schlechterdings der vernünftige Charakter nicht anders, als mit dem sinnlichen verbunden, in einem endlichen Subjekt gedenken läßt? Wenn dies seyn sollte, so können sie nicht so einander entgegengesetzt seyn, daß man sie sich als zwey Personen, als zwey Ichs in dem nämlichen Subjekte denken könne, so kann der Mensch, so wie er nie eine reine Intelligenz gewesen, es auch nie werden, so ist die in ihrer Art einzige Abstraction der Vernunft von der Sinnlichkeit, oder vielmehr die gewaltsame Trennung beyder, die man der kritischen Philosophie mit Recht Schuld giebt, durchaus nicht zu rechtfertigen. Hat diese Vereinigung in einer willkührlichen Anordnung der Gottheit ihren Grund, so läßt sich auch, wenn man sich auch auf die Behauptung der kritischen Philosophie nicht berufen wollte, daß der Grund der Erscheinungswelt, wohin die Sinnlichkeit des Menschen gehört, nicht in der Gottheit, in welcher nur die Ursache des Reellen liegt, zu suchen sey, doch auch nicht wohl begreifen, daß Gott die Vernunft durch willkührliche Beygesellung der Sinnlichkeit ihrer eigenthümlichen Freyheit berauben, und sie aus der Selbstherrschaft, die ihr gebührte, zur Sclavin unter einer Tyrannin, die der usurpirten Herrschaft so unwürdig ist, dadurch erniedrigen wollen, daß er sie von Naturnothwendigkeit abhängig gemacht. Wollen wir endlich annehmen, daß sich der Mensch als reine Intelligenz freywillig mit der Sinnlichkeit vereinigt hat, so sieht diese Hypothese den Träumen gewisser morgenländischer Philosophen, die vorgaben, daß höhere Geister sich durch die Einsenkung in irdische Körper von ihrer hohen Würde herabgestürzt, sich versinnlicht und verschlechtert haben, so ähnlich, daß es nicht der Mühe lohnt, sich mit der Auseinandersetzung der Widersinnigkeiten derselben länger aufzuhalten. In der That würde die freywillige Vereinigung der Vernunft mit der Sinnlichkeit die erste und die einzige Sünde des Menschen seyn, die erste, weil alle andre Sünden daraus entsprungen, die einzige, weil sich alle andre auf diese einzige zurückbringen lassen, | indem alle andre Handlungen unter der Abhängigkeit von Naturnothwendigkeit geschahen, und in sofern nicht mehr imputabel sind. Diese erste Sünde würde dann mit dem sogenannten Sündenfalle sehr viel Aehnliches haben, nur würde sie noch unwahrscheinlicher seyn, da man sich vorstellen müßte, daß sie von jeder einzel48
Dieses Anführungszeichen fehlt im Original.
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nen Intelligenz müsse begangen werden, und nicht, wie Adams Sünde, nur von ihm allein begangen werden dürfe, um auf alle seine Nachkommen fortgeerbt, oder für sie alle geltend zu seyn. – Der Rec., indem er diese seine Zweifel und Bedenklichkeiten hersetzt, bescheidet sich gern, daß sie leicht daher rühren mögen, weil es ihm nicht glücken wollen, über diesen Punkt der kritischen Philosophie, den er ihr großes Geheimniß nennen möchte, sich Licht zu verschaffen. Indessen so sehr auch alle diese Zweifel auf Mißverstand gegründet seyn, und so wenig sie also an sich bedeuten mögen, so würden sie doch einiges Verdienst haben, wenn sie auch nur dazu dienten, die künftigen Erklärer und Vertheidiger der kritischen Philosophie auf diesen Punkt aufmerksam zu machen, und ihnen denselben als insonderheit ihrer Aufklärung bedürftig auszuzeichnen.
Sachregister
Analytik 80 analytisch 26, 84, 93 Achtung 27 f., 31, 34, 64, 82 f., 86, 90 f. Affizierung 41 f., 51, 83 Anschauung 5, 8–14, 41 f., 46, 48, 51 f., 59, 68, 73–77, 81 Antinomie erste 16 dritte 15, 95 f. der praktischen Vernunft 84 f. Ästhetik, transzendentale 48, 65, 76 Außenwelt 7 f., 20 f., 54, 59, 74 Autonomie 35 f., 80, 85 Dasein wirkliches 7, 11, 13 f., 19, 41, 52, 54, 56, 75 f. problematisches 41, 75 nothwendiges 54 ff., 63 zufälliges 55 f. Deterministen 95 Ding an sich (selbst) 5–9, 11–22, 24, 39– 49, 51–54, 56 f., 59 f., 62, 66, 76, 96 Doppelter Charakter des Menschen 10, 95 ff. Erscheinung 4–9, 12–15, 17 f., 20 f., 23, 39–44, 46–49, 51–56, 59, 61 f., 65 f., 74 ff., 79, 81, 89, 96 f. im Unterschied zum Schein 46 f. Form 27, 29, 31, 33, 42, 76 f., 79, 86, 88, 91 Freiheit 15–18, 36 f., 79–82, 84 ff., 89, 94–97 Gesetz
Naturgesetz 15, 21 f., 49 ff., 71, 74, 79 f., 87 Moralgesetz 64, 68 f., 79–85, 91, 93 praktisches Gesetz 29, 31, 79 f., 82 sittliches Gesetz 33, 64, 78, 80 f., 86, 88, 94 Glückseligkeit 27 ff., 37 f., 65–71, 79, 83 ff., 89, 91 f., 93 f. Glückseligkeit, innere (wahre) 28, 69 Glückseligkeit und Tugend 67–70, 84, 92 ff. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 21 f., 26, 78, 91 f. Gott 6 f., 13, 34, 39 f., 43, 45, 54, 61–64, 66 f., 70 f., 82 f., 85, 91, 96 f. Guter Wille (vgl.: Wille, guter) Heteronomie 35, 80 Idealismus 7, 18, 21, 58–63, 73, 75 f. Widerlegung des 73,76 Imperativ kategorischer 32–37, 63, 80, 86 f., 89 erste Formel 36, 80 zweite Formel 34 dritte Formel 35 f., hypothetischer 33, 35 f., 86 Indeterministen 95 Interesse vernüftiges (auch: wahres, gemeinschaftliches, gemeinnütziges, allgemeines) 31, 33, 34–36, 88 Kategorien 4, 15 f., 21, 23 f., 41, 47, 61, 65 f., 68, 81 unerlaubte Anwendung der (vgl.: Kritische Regel)
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Sachregister
Kausalität 21, 51 f., 57, 66, 79, 81, 84, 89, 96 Klugheit 30, 32, 34 f., 38, 91, 94 Kopernikanische Wende 73 Kritik der praktischen Vernunft 26, 78 Kritik der reinen Vernunft 3 f., 20 f., 23, 25, 37, 44, 52, 66, 72, 74 f., 77 f. Kritische Regel (auch: Kantisches Gesetz, kritisches Hauptgesetz, kritische Hauptregel) 16, 52, 68, 75 Materie 27, 29, 31, 46, 77, 79 f., 86, 91 Maxime 28–36, 64, 79f f., 83, 86 ff., 89 ff., 92 Metaphysik 3, 37, 73 Mittelhypothese 44 f., 48 ff., Moral 14 f., 26 f., 29, 31 ff., 37, 63–66, 68 f., 79 f., 82 ff., 86–89, 91–94 Moralgesetz (vgl.: Gesetz) Moraltheologie 64 ff.,70 f. Naturgesetz (vgl.: Gesetz) Naturtheologie 71 Neigung 26, 29, 31, 34 f., 37, 80, 82, 84, 86, 88, 92 f f. Noumenon 6,8,17, 24, 40, 81 Pflicht 26, 29–32, 34 ff., 38, 80, 83, 85, 88, 90 f., 93 Phänomen 13, 15, 17, 40, 46 Paralogismus der Vernunft 17 f., Postulat der Freiheit 85, 94 Postulate der reinen Vernunft 85, 94 Prolegomena 3 f., 7, 15, 48 Raum 3 f., 6, 8–14, 17–21, 23, 42–46, 48, 50–55, 58 f., 65, 68, 74 f., 77
Satz vom zureichenden Grunde 15, 22, 53 Schein 3–8, 13 ff., 17 f., 41, 46 f., 54 im Unterschied zur Erscheinung (vgl.: Erscheinung) Selbstbewußtsein 4 ff., 82, 86 Sittlichkeit 24 ff., 29 ff., 33–36, 38, 64, 66–72, 80–89, 91 f., 94 ff. Sittengesetz (vgl.: Gesetz) Subjekt logisches 4, 19 wirkliches 4, 41 Stoa 36, 84, 88, 91, 93 f. synthetisch 26, 80, 84, 93 Theologie 16, 66 Tugend 29, 34, 38, 67–70, 83 ff., 92 ff. Tugend und Glückseligkeit (vgl.: Glückseligkeit) Vernunft praktische 28, 65 f., 78, 80–83, 85 f., 89, 90 speculative 65 f., 81, 85 reine 6, 16, 24, 78, 80 ff., 86 ff., 89 f. Versprechen 30 ff., 35 f., 87 Verstandesbegriffe (vgl.: Kategorien) Vorstellungskraft 4 f.,17, 43, 53, 74, 76 Weisheit 34, 94 Wille, guter 26 f., 29, 31, 33, 93 Würde 37, 64, 97 Zeit 3 f., 6–9, 11–14, 16–21, 23, 42–46, 48, 50–55, 58 f., 65, 68, 74–77, 89
Personenregister
Anselm v. Canterburry 62 Araspes 96 Aristoteles 3 Atticus 68 Berkeley, George 7 Cicero, Markus Tullius 68 Cheselden, William 10 Copernikus, Nicolaus 73 Crusius, Christian August 48 ff.
Hume, David 7, 51, 68 Jakob, Ludwig Heinrich 39–71 Leibniz, Gottfried Wilhelm 8, 18 f., 25, 46, 62, 95 Lessing, Gotthold Ephraim 48 Locke, John 54 Mendelssohn, Moses 39, 44, 48, 51, 53 f., 56 f., 58 f., 61 f.
Descartes, René 8, 61
Newton, Isaac 43 f.
Ebert, Johann Jakob 60 Epikur 68, 84, 93
Paulus 95 Reimarus, Hermann Samuel 72
Feder, Johann Georg Heinrich 72 Ferguson, Adam 93 Friedrich der Große 90 Garve, Christian 93 Gassendi, Pierre 68
Saunderson, Nicholas 10 Schulze (Schultze), Johann 3 f., 37, 44, 51 Spinoza, Baruch de 6 f.,40 Xenophon 96
Hartley, David 22 Helvetius, Claude-Adrien 68
Zeno 93