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German Pages 382 [384] Year 1993
Werner Stark Nachforschungen zu Briefen und Handschriften Immanuel Kants
Werner Stark
Nachforschungen zu Briefen und Handschriften Immanuel Kants
Akademie Verlag
In memoriam Erich Adickes (1866-1928) und Arthur Warda (1871-1929)
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Stark, Werner: Nachforschungen zu Briefen und Handschriften Immanuel Kants / Werner Stark. - Berlin : Akad. Verl., 1993 ISBN 3-05-002316-3
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1993 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - d u r c h Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Druck: GAM Media GmbH, Berlin Bindung: Verlagsbuchbinderei D. Mikolai, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
Inhalt
Α. Vorbemerkung
1
Β. Einleitung 1) Intentionen 2) methodische Gründe 3) sachlich-philosophisches Moment 4) Durchführung
4 4 7 8 9
C. Die wichtigsten Quellen der Darstellung
10
Teil I: Bemerkungen zur Edition der Briefe Kants in der Akademie-Ausgabe und Provenienzrecherchen Daten und Informationen zum Hintergrund der Ausgabe Systematischer Neuansatz Fundortverschiebungen, öffentlicher Besitz Erneute Provenienzrecherchen 1) Ehregott Andreas Christoph Wasianski (1755-1831) 2) Johann Gottfried Hasse (1759-1806) 3) Ludwig Ernst Borowski (1740-1831) Das Datum der Übergabe 4) Friedrich Theodor Rink (1770-1811) 5) Gottlob Benjamin Jäsche ( 1762-1842) 6) Johann Friedrich Gensichen (1759-1807) Kants Verlagspost 7) Friedrich Nicolovius (1768-1836) Kurze Beobachtungen zur erhaltenen Kantischen Korrespondenz
12 16 17 20 20 21 22 22 23 27 29 30 32 36
Teil II: Nachforschungen zu Kants handschriftlichem Nachlaß A. Grundzüge der Überlieferung bis 1945 Kants eigenes Interesse Kultur und Wissenschaft Tabellarische Übersicht des Zerfalls von Kants handschriftlichem Nachlaß . . .
38 39 40 43
VI
Inhalt Drei ausgewählte Sammlungen außerhalb Königsbergs Die Hagen Papiere (SB München) Rostock Die Sammlung Kuffner Familienpapiere
B. Zur Editionsgeschichte bis in die Zeit der Akademie-Ausgabe Beck als Vorhut (1794) Jüsche/Rink: Versuche der Werkgewinnung (1799-1804) Rosenkranz/Schubert: Die erste Gesamtausgabe (1838-1842) Baumann/Modes: Die Leipziger Konkurrenzausgabe (1838-1839) Benno Erdmann: Das Interesse an einer wissenschaftlich fundierten Entwicklungsgeschichte der Philosophie Kants (1876-1884) Königsberger Lokaltradition I: Reicke/Arnoldt (1858-1905) Die Phase der Planung von Abtlg. III der Akademie-Ausgabe Königsberger Lokaltradition II: Warda (1898-1929) Andere Bemühungen Kritische Nachbemerkung Reflexion auf die Zielsetzung C. Die Abteilung III von „Kant's gesammelten Schriften" a. 1. Phase (Adickes I) b. Der zweite Streit um das sogenannte „Opus postumum" c. Die finanzielle Beziehung zwischen Erich Adickes als Herausgeber der Abtlg. III und der Akademie d. Wiederaufnahme der Arbeiten am handschriftlichen Nachlaß und Adickes'Arbeiten nach 1923 - 2. Phase der Edition von Abtlg. III
44 44 48 52 53 60 60 61 64 65 67 71 76 81 82 84 87 90 90 100 119 123
D. Das wissenschaftliche Vermächtnis von Erich Adickes 130 e. Informationen über den wissenschaftlichen Nachlaß von Erich Adickes . . 1 3 0 Provenienz 131 Art und Umfang 134 f. Skizze der leitenden Grundsätze der Edition des handschriftlichen Nachlasses 140 E. Adickes' Nachfolger g. 3. Phase der Edition von Abteilung III: Friedrich Berger (1928-1933) . . . h. 4. Phase Buchenau/Lehmann (1930-1945) 1) Die Bände XXI & XXII 2) Der dritte Streit um das Opus postumum: Schlußfinanzierung durch das Preußische Ministerium 3) Die Organisation der Bände XX und XXIII Band XX: Die Sache 4) Planung und Leistung für Bd. XXIII vor 1945
152 152 158 158 165 169 179 181
Inhalt
VII
i. Der realisierte Band XXIII: 1955 k. Das ursprüngliche Konzept für Band XX/XXI
184 187
F. Resumée 1. Das Versagen einer Institution m. Grundsätzliche Überlegungen und Beobachtungen
189 189 196
G. Das erneute Verschwinden des Nachlasses 1944/45 1) Dorpat (Tartu) 2) Königsberg (Kaliningrad)
206 205 211
Teil III: Recherchen zu Quellen über Kants Amtstätigkeit A. Das Manko in der Akademie-Ausgabe
216
B. Das Archiv der Albertus-Universität: Ein Bericht
219
Teil IV: Editionen A. Aus der Korrespondenz 1) Amtliches 2) Textverbesserungen 3) Weitere Brieftexte
223 223 227 231
B. Aus dem Nachlaß 1) Reflexionen Loses Blatt Leipzig 2 Loses Blatt Wien 2) Vorarbeiten a. Texte der Königsberger Konvolute mit Vorarbeiten Kants, die in AA-Kant 23 fehlen, ergänzt um Fragmente aus Schubert 1842 und Adickes 1920 b. Andere Hagen 23 Bibel
241 241 241 243 244
244 252 252 255
C. Materialien zum Lehrbetrieb und über Kants Verhältnis zu Studenten 1) Zeugnisse 2) Quittungen 3) Weitere Dokumente zum Studienbetrieb Ein weiteres Stammbuch
260 260 262 262 263
Teil V: Beilagen A. Die Leipziger Versteigerung des Verlages von Friedrich Nicolovius (1832) . . 265 B. Chronologische Übersicht zu den nachgewiesenen Druckvorlagen Reinschriften der Werke
und 268
C. Die Mitglieder und Vorsitzenden der Kantkommission der Berliner A d W . . . . 273
VIII
Inhalt
Teil VI: Tabellen, Listen, Übersichten A. Zum Briefwechsel 1) Liste der mit veränderten Fundorten aufgefundenen Originale (Einzelstücke) 2) Liste der verschollenen nicht-amtlichen Briefe Kants mit Königsberger Besitz vor 1945 3) Liste der verschollenen Sücke der Berliner Staatsbibliothek 4) Liste noch nicht aufgefundener Originale (Einzelstücke)
275 275 276 277 278
B. Handschriftlicher Nachlaß Allgemeine Vorbemerkung 1) Verzeichnis der „Vorarbeiten und Nachträge" 2) Übersicht der Doubletten innerhalb der Abtlg. III, ergänzt um Doubletten in Bd. XXIII zu Abtlg. I 3) Tabelle der Losen Blätter 4) Hinweise zu weiteren Teilen des handschriftlichen Nachlasses a) Kants eigene Schriften b) Die zu Vorlesungszwecken gebrauchten Handbücher anderer Autoren
279 279 281
C. Schluß
330
292 293 320 320 321
Teil VII: Verzeichnisse A. Literatur
332
B. Personen
365
Abkürzungen und Auszeichnungen
Verzeichnis der nicht Duden-üblichen AA-Kant Abtlg AdW Bd(e) EA GS GStAPK Hg Hs ΚΑΤ KK KS
Abkürzungen1
Kant's gesammelte Schriften, Akademie-Ausgabe Abteilung Akademie der Wissenschaften Band (Bände) Erich Adickes Gesammelte Schriften Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Herausgeber/In, herausgegeben Handschrift gedruckter Katalog Kant-Kommission Kant-Studien, Zeitschrift der Kant-Gesellschaft
LB Ms NB NL R/Sch SB SBPK Slg StB StUB UB ZKA
Landesbibliothek Manuskript Nationalbibliothek Nachlaß Kants Werke, (Hg) Rosenkranz/Schubert 1838-1842 Staatsbibliothek Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz 2 Sammlung Stadtbibliothek Staats- und Universitätsbibliothek Universitätsbibliothek Zentralkartei der Autographen in der SBPK
Das Wort „Matrikel" verweist auf die Publikation durch Erler. Hinweis zum Gebrauch dieser Arbeit
von Auszeichnungen
in den nicht editorischen
Teilen
Hervorhebungen erfolgen durch Kursivdruck. Zitate aus handschriftlichen oder gedruckten Quellen sind sämtlich in Anführungszeichen „ " gestellt, längere Passagen zusätzlich enger gesetzt. Auszeichnungen in Zitaten bleiben nach technischer Möglichkeit erhalten. Zitate in Zitaten werden mit einfachen Hochkommata ' ' markiert. Auslassungen und Einschaltungen in Zitaten sind stets geradestehend eckig umklammert: [ ]. Titel von Publikationen sind in » « gestellt.
1 2
Zu weiteren Abkürzungen vgl. die Zusammenstellung am Beginn des Literaturverzeichnisses. Seit Anfang 1993 „Haus 2" der einen neuen-alten Berliner Staatsbibliothek, die im Text auch als „Deutsche Staatsbibliothek" bezeichnet wird.
Einleitung
Α. Vorbemerkung Der Anlaß zu dem nachfolgenden Protokoll von Nachforschungen wurde durch den Umstand gegeben, daß es mir zu Beginn des Jahres 1982 gelang, mit einem in Ingelheim lebenden Enkel von Erich Adickes Verbindung aufzunehmen und wenig später den bis dahin der Wissenschaft unbekannten Rest-Nachlaß des Großvaters teils als Schenkung teils zum Kauf an das Institut für Philosophie der Marburger PhilippsUniversität zu vermitteln. 1 Auf diese Weise wurde ich - 25 Jahre nach dem Tod des früheren Herausgebers des handschriftlichen Nachlasses von Kant geboren - direkt mit einigen peripheren Auswirkungen des Zusammenbruchs des Wilhelminischen Kaiserreiches konfrontiert. Ich mußte erkennen, daß die mir als Abteilung III der Akademie-Ausgabe von »Kant's gesammelten Schriften« bekannten 10 Bände ζ. T. unter Besorgnis erregenden Umständen zustande gebracht worden sind. Bei einigen geriet deren wissenschaftliche Brauchbarkeit, d. h. Zitierfähigkeit, in Zweifel. Deswegen habe ich seit Frühjahr 1982 zusätzliche Informationen über die Intentionen, die Vorarbeiten und das tatsächlich realisierte 'Konzept' der Edition des handschriftlichen Nachlasses von Immanuel Kant zusammengetragen, um zunächst mir selbst ein Urteil bilden zu können. Hinzu kam ein Zweites: Weil Kants eigener handschriftlicher Nachlaß durch Zufälle der Überlieferung, Umstände der Benutzung und kriegsbedingte Verlagerungen in dem bis dato allein Erich Adickes und Arthur Warda bekannten Umfang seit 1945 nicht verfügbar ist, schien es unausweichlich, das Werk dieser Personen zum Leitfaden und Ausgangspunkt einer erneuten Nachforschung zu nehmen. Drittens ergab sich die Notwendigkeit einer zusammenfassenden Darstellung der Recherchen und Überlegungen aus der Beobachtung, daß bis heute dem Diltheyschen „Konzept der Akademie-Ausgabe von Kants Gesammelten Schriften" eine „Modellfunktion" zugesprochen wird, 2 ohne daß deren Verfahrensweisen und Irrungen je einer historischen Untersuchung unterworfen worden wären. Im besonderen Maß gilt dies für das Kernstück der Ausgabe, den handschriftlichen Nachlaß. Eine kompetente Kri1
2
Vgl. meinen Bericht in den »Kant-Studien« 75 (Berlin 1984) 346-9. Im folgenden werden die bibliographischen Nachweise in Text und Fußnoten meist unter Verwendung von Abkürzungen vorgenommen, vgl. dazu das Literaturverzeichnis. Henckmann 1987, 85.
2
Einleitung
tik durch die wissenschaftliche Öffentlichkeit hat hier faktisch nicht mehr stattgefunden, seitdem die herausgebende Körperschaft, die Preußische Akademie der Wissenschaften, das Attribut „Königlich" aus ihrem Namen strich.1 Einen 1983 geschriebenen Text, 2 der etwa ein Viertel des jetzigen Umfangs von Teil II hatte, habe ich aus verschiedenen Gründen 3 nicht veröffentlichen wollen. Unterdessen ist mir bewußt geworden, daß zwar die Geschichte der Abteilung III der Akademie-Ausgabe - bei Licht betrachtet - gar nicht so kompliziert ist, wie man glauben mußte; daß jedoch die tatsächliche Änderung der überkommenen Sachlage nicht die Aufgabe eines Einzelnen sein sollte. Sicher war ich mir, daß die Aussagen des einzigen, zu Beginn der Recherchen noch lebenden Zeugen keineswegs unmittelbar als Darstellung der wahren Verhältnisse gelten konnten: Er war als Beteiligter und Nutznießer zu eng mit der Ausgabe verbunden. In der Überzeugung, daß die Zuverlässigkeit von Bänden der akademischen KantAusgabe für die historisch orientierte Kantforschung insgesamt von essentieller Bedeutung 4 ist, habe ich beginnend im Winter 1989/90 meinen Text mit dem Ziel der Publikation überarbeitet. Einige stilistische Unsauberkeiten sind darauf zurückzuführen, daß meine Arbeitskraft seit Mai 1987 überwiegend von der Akademie-Ausgabe „Abtlg. IV Vorlesungen: Anthropologie" aufgesogen wird. Ich hoffe, jetzt das Meine getan zu haben, um eine öffentliche Diskussion über die Sachlage und die daraus zu ziehenden Konsequenzen in Gang zu setzen. Schließlich und viertens hat sich Teil /, der die Briefe von Kant zum Gegenstand hat, entwickelt aus dem Versuch, Ordnung in die bis Sommer 5 1989 eher sporadisch denn systematisch erworbenen Kenntnisse über die Grundlagen der Abtlg. II der AkademieAusgabe zu bringen.
1
Kompetent besprochen wurden nur die ersten drei, vor August 1914 publizierten Bände der Abteilung, also die N u m m e r n XIV, XV, XVI; vgl. Schöndörffer 1917a und 1919. Das Erscheinen von Adickes' weiteren Bänden XVII und XVIII wurde bloß zur Kenntnis genommen und Band XIX mit starker Skepsis empfangen; vgl. Reich 1937. Die ' L e h m a n n - B ä n d e ' XX-XXIII (erschienen zwischen 1936 und 1955) wurden schließlich mehr angezeigt (vgl. dazu Beiküfner 1991) oder angepriesen (vgl. Heimsoeth 1957-58), denn mit kritischem Blick auf die editorischen Leistungen gelesen.
2 3
Vgl. meinen Hinweis in Stark 1984a, 347 Anm. 8. Einer lag in der zu erwartenden, unsachlichen Polemik, die ich nach Möglichkeit vermeiden wollte. Vgl. dazu die Art der Reaktion G. Lehmanns auf eine Faksimile-Ausgabe in den 1960er Jahren: Kant, Hinske et. al. (Hg) 1965 und Lehmann 1967b. - Nachträgliche Bestätigungen sind dafür zu sehen in: Lehmann 1985 und einem nachgelassenen, zur Veröffentlichung vorbereiteten Manuskript, das sich gegen Bayerer 1986b richtet. Es liegt den Materialien bei, die ich im April 1988 für die Fortführung der Abtlg. IV »Vorlesungen« aus dem Nachlaß von Gerhard Lehmann im Auftrag der A d W Göttingen von seiner Witwe aus Berlin nach Marburg brachte.
4
Einen spezifischen Grund möchte ich explizit nennen. Der Text der Akademie-Ausgabe wurde in den 1960er Jahren auf elektronische Datenträger aufgenommen. Teile dieser Datensätze gelangen (Frühjahr 1990) in den Handel; vgl. den Prospekt des Institut für angewandte Kommunikations- und Sprachforschung e.V., Bonn, der auf dem VII. Internationalen Kant-Kongress in Mainz verteilt wurde, und KS 81/1990/2613. Bei der zunehmenden Verwendung von MicroComputern auch auf dem Gebiet der Geistes- und Kulturwissenschaften entsteht leicht die Gefahr, daß der Perfektionsgrad des Mediums mit der Zuverläßigkeit der gebotenen Texte verwechselt wird. Anlaß war hier eine Anregung von Prof. Rudolf Malter, Mainz.
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3
Vorbemerkung
Eine wesentliche Beschränkung des Gegenstandsbereiches der gegenwärtigen Untersuchungen liegt darin, daß weder die studentischen Manuskripte nach Kants Vorlesungen noch die Schicksale der Abtlg. IV der Akademie-Ausgabe zum Thema gemacht werden; dies mag auf Kritik stoßen, zumal bei der Darlegung des geschichtlichen Verlaufs der Abtlg. III auch die sachlichen Beziehungen zwischen „Vorlesung e n " und „handschriftlichem N a c h l a ß " deutlich werden sollen. Dennoch wurde die Abtlg. IV so weit wie möglich ausgeblendet. Aus drei Gründen: Einmal wäre der Umfang um etwa ein Drittel des gegenwärtigen gewachsen und die Dauer der Fertigstellung unvertretbar lange hinausgeschoben worden. Zum anderen ist eine sachgerechte Behandlung der Prinzipien und Verfahrensweisen der Abtlg. IV abhängig von einer weiter ins 18. Jahrhundert zurückgreifenden Untersuchung von Kants Vorlesungen selber. Die Recherchen dazu sind zwar weit gediehen, doch nicht abgeschlossen. Die gegenwärtigen politischen Umwälzungen im östlichen Teil von Europa eröffnen nun drittens so konkrete Perspektiven für eine Ausdehnung oder Intensivierung der Nachforschungen, daß es geradezu geboten ist, den erreichten Informationsstand allgemein verfügbar zu machen. Im Text selbst habe ich verzichtet auf eine intensive Berücksichtigung der gelehrten Memoirenliteratur oder zeitgeschichtlicher Spezialuntersuchungen, anhand deren sich (nach meinem Eindruck) eine Fülle von weiterführenden Analysen durchführen ließe. Auch von dem naheliegenden Gedanken, die trockene Sachabhandlung mit Seitenblikken auf die Charaktere der beteiligten Personen farbiger zu gestalten, habe ich bewußt Abstand genommen. *
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*
Im Zeitalter der maschinengestützten Informationstechnologien wurden Anlage von Datenbanken und Benutzung von Textverarbeitungsprogrammen zu ebenso selbstverständlichen wie unentbehrlichen Hilfsmitteln bei Erhebung, Auswertung und Darlegung. Deswegen möchte ich hier nicht nur allen Bibliothekaren und Archivaren, die mir die Materialien zur Benutzung anvertrauten, meinen Dank sagen, sondern auch den unbekannten Technikern und Programmierern, die mir die Abfassung und Gestaltung des Buches ermöglichten. Die hier veröffentlichte Abhandlung stellt die nur hin und wieder gekürzte und ergänzte 1 Fassung meiner Dissertation dar, die vom »Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie« der Marburger Philipps-Universität angenommen worden ist. Durchführung und Abschluß der Arbeit wären nicht möglich gewesen ohne die fortdauernde Unterstützung durch meinen akademischen Lehrer Reinhard Brandt; den zahllosen Diskussionen und Gesprächen mit ihm verdanke ich mehr, als im Text sichtbar werden kann. Goßfelden, im Februar 1993
1
Abgeschlossen wurde die Arbeit im August 1991. Tag der Disputation 7. Februar 1992. - Das Ergebnis einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bezuschußten einwöchigen Reise nach Tartu / Estland (Oktober 1991) ist hier zusätzlich festgehalten in Teil II, G 1).
4
Einleitung
Β. Einleitung Gelesen als eine primär philosophischen Interessen verpflichtete Untersuchung sind die nachfolgenden Seiten zweifelsfrei zu ungewöhnlich, um sie ohne Einleitung einfach beginnen zu lassen. Der billigen Erwartung des Lesers, sich vorab nicht nur über das Inhaltsverzeichnis eine bestimmte Erwartung von den verhandelten Gegenständen bilden zu können, sondern mit einigen erklärenden Bemerkungen über Ziele und Absichten der Darlegungen informiert zu werden, möchte ich mit den vier folgenden Abschnitten entsprechen. 1 ) Intentionen Die »Nachforschungen« folgen mehreren, nicht notwendig miteinander verbundenen Leitideen. Grundsätzliche Fragen nach den Methoden, die in 'der' fachphilosophischen Forschung angewendet oder mißachtet werden, nach den Standards, an denen Wissenschaft sich von Dilettantismus scheidet, stehen neben dem schlichten Wunsch, über diese oder jene, zunächst bloß handschriftlich hinterlassene, Bemerkungen von Immanuel Kant eine kurze historische Auskunft erhalten zu können. Beiden Fragerichtungen ist gemeinsam, daß sie den sachlichen Kern bilden für die in der Interpretationsliteratur um und über die Schriften von Kant immer wieder begegnende Problematik der Datierung von dieser oder jener Nummer aus dem Nachlaß. Wenn man sich, aus welchen Gründen auch immer, mit der Person und/oder dem Werk Immanuel Kants auseinandersetzen will, ist damit die Notwendigkeit verbunden, sich in irgendeiner Weise zu den Bänden XIV-XXIII der Akademie-Ausgabe von »Kant's gesammelten Schriften« zu verhalten. Spätestens bei einer vergleichenden Lektüre von programmatischer Einleitung (geschrieben 1911) und abschließendem Rückblick im letzten Band der Abteilung (erschienen 1955) wird die Aufmerksamkeit eines interessierten Benutzers auf die komplizierte, in vielfältiger Weise mit den politischen Entwicklungen des deutschen Staates verknüpfte Entstehungsgeschichte dieser Gesamtausgabe gelenkt. Ankündigung und Schluß bilden einen merkwürdigen Kontrast: Erich Adickes nüchterne Sprache in der Orthographie der Jahrhundertwende Gerhard Lehmanns forsch dozierender Ton mit spärlichem Sachgehalt. Mit dem Werkzeugcharakter, den man der Akademie-Ausgabe als dem Instrument der Forschung zubilligen muß, sind technisch-praktische Fragen verbunden, die beantwortet sein sollten, ehe in einer Sacherörterung Gewicht auf Reflexionen des Nachlasses gelegt werden kann. Man muß die Gründe wenigstens zur Kenntnis nehmen können, die zu einer bestimmten Datierung geführt haben, wenn man selbst von dieser wie von einer Tatsache Gebrauch macht. Will man ζ. B. den Überlegungen nachspüren, die Kant Mitte der 1780er Jahre zur Bestimmung und Publikation einer allgemeinen Formel für kategorische Imperative geführt haben, und dazu eine Darstellung der Entwicklung der Problemlage in der Kantischen Moralphilosophie seit der Mitte der 1770er Jahre heranziehen, dann muß die Nachlaß-Abteilung der Akademie-Ausgabe zitiert werden. Es wäre für ein solches Unternehmen fatal, falls sich post fest heraus-
Einleitung
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stellte, daß Überlegungen der 1790er Jahre benutzt wurden, um den Stand der Reflexion in einer Phase um 1780 zu charakterisieren. Ein zweites Beispiel: Will man historisch überprüfbar nachvollziehen, durch welche Etappen der Weg Kants bis zum Paralogismenkapitel der »Kritik der reinen Vernunft« führte, dann ist es essentiell, den gesamten verfügbaren Umfang und Inhalt des handschriftlichen Nachlasses zu kennen. Schließlich ein Drittes: Zum festen Bestand der philosophischen Literatur zählen Überlegungen, Einfalle und Erörterungen über das Verhältnis verschiedener Philosophen zueinander. Viele Dissertationen, Aufsätze und Habilitationen suchen explizit Fragen zu beantworten, die markante Wendungen oder Drehpunkte zwischen verschiedenen Positionen eines Philosophen in Verbindung bringen möchten mit seiner Lektüre. Bei Autoren des 18. Jahrhunderts - einer Zeit ohne Zitatzwang - kann dies häufig nur durch extensive Benutzung eines etwa vorhandenen Briefwechsels oder handschriftlichen Nachlasses ein sinnvolles Unternehmen darstellen. Kurz: Nachlaß und Korrespondenz bilden eine notwendige Voraussetzung der philosophischen Spezialliteratur. Unter methodischen Gesichtspunkten folgt daraus, daß an die Editionen dieser Quellen hohe Maßstäbe angelegt werden müssen. Es sollte Gewähr bestehen, daß sie vollständig, korrekt und überschaubar zur Verfügung stehen. Ein Zweck, der mit den »Nachforschungen« erreicht werden sollte, besteht in dem Nachweis, daß den soeben explizierten Kriterien in den Abteilungen II und III von »Kant's gesammelten Schriften« nicht in der ursprünglich angestrebten Weise Genüge getan worden ist. Der unmittelbar nächste Zweck mußte also sein, nicht bloß das Manko vorzurechnen, sondern erste Schritte in Richtung auf eine Kompensation zu tun. Teil VI der vorliegenden Arbeit ist primär in dieser Absicht verfaßt. Er soll einen methodisch gesicherten Zugriff auf sämtliche derzeit im Text verfügbaren Quellen des Nachlasses und der Korrespondenz erleichtern und zugleich auf Lücken in Überlieferung und Edition hinweisen. Eine zweite Linie, die sich durch die »Nachforschungen« zieht, reagiert auf die Umstände und das institutionelle Umfeld der Akademie-Ausgabe. Ein geisteswissenschaftliches Unternehmen von dieser Größenordnung, seiner aktuellen Relevanz und geschichtlichen Entwicklung stellt auch für sich genommen einen lohnenden Forschungsgegenstand dar. Bedenkt man die gegenwärtige Lage vergleichbarer Vorhaben und Projekte, dann darf man erwarten, beim Studium des ersten deutschen Projektes dieser Art auf organisatorische Schwierigkeiten, Fehler und Unzulänglichkeiten aufmerksam zu werden, die - nach Möglichkeit - bei zukünftigen Entscheidungen vermieden werden sollten. Eine dritte Reflexion hat die »Nachforschungen« besonders im Hinblick auf die zwölf Jahre 1933 ff. begleitet: Wie war das möglich? - Im Verlauf der Arbeit ist es zur Gewißheit geworden, daß die in dem angesprochenen Zeitraum fertiggestellten Bände der Ausgabe deutliche Spuren desjenigen politischen Systems an sich tragen, unter dessen Herrschaft sie entstanden. Es scheint undenkbar, daß eine Gelehrtenkultur, in der Menschen wie Erich Adickes, Arthur Warda oder Ernst Cassirer feste Größen wa-
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Einleitung
ren, Erzeugnisse wie die Bände X X - X X I I I ohne Widerspruch hätte passieren lassen. Das erste Erschrecken bei der Lektüre der seit Jahrzehnten zugänglichen, freilich fast unbenutzten, Akten der Berliner Kant-Kommission hat tiefe Wurzeln geschlagen. Die sich nur allmählich erweiternde Kenntnis der hochschul- und forschungspolitischen Tendenzen nach 1933 und der brutalen Außerkraftsetzung von elementaren Regeln des bürgerlichen Verkehrs lenkte schließlich den Blick auf den vermeintlichen Neubeginn nach 1945. Die eigentlich kulturtragende Schicht war in Deutschland durch Krieg, gezielte Vernichtung oder gewaltsame Vertreibung zu klein geworden für eine unmittelbare Fortsetzung des im Wilhelminischen Kaiserreich geschaffenen Leistungsstandes. In der Kant-Ausgabe, die schließlich mehr als Prestigeobjekt behandelt wurde, denn ein taugliches Instrument der Forschung und Ausdruck historischer Kultur darzustellen, verdichtete sich die persönliche Begegnung mit einem unbewältigten Stück deutscher Geschichte. Erst im Nachhinein begann ich zu begreifen, daß hier Kategorien individuell-persönlicher Schuldzuweisung nicht unmittelbar anwendbar sind. So gesehen sind die A n w ü r f e gegen bestimmte Personen nicht als Invektiven zu verstehen, sondern als Hinweise auf tieferliegende Ursachen. Mehr als 50 Jahre nach den Geschehnissen wird der Leser mit Recht fragen, welches Ziel mit der Offenlegung finanzieller Regelungen und organisatorischer Planungen verfolgt wird. Zudem - der Autor ist sich dessen bewußt - werden manche der Details den Eindruck entstehen lassen, daß dem Grundsatz „de mortuis nihil nisi b e n e ! " mit böser Absicht zuwider gehandelt wird. Demgegenüber ist zu bedenken: 1) Das Ren o m m é e einer Akademie-Ausgabe ist bis in die Gegenwart 1 von nicht zu übersehendem praktischen Gewicht: Auf ihrer Grundlage wurden und werden in der Bundesrepublik zum Teil erhebliche Finanzmittel für Forschungen über Kants Philosophie vergeben und in vielen Ländern Übersetzungen in fremde Sprachen angefertigt. 2) Die Vorgänge sind aktenkundig, damit im Prinzip der Öffentlichkeit zugänglich und es wäre nicht aufrichtig, wenn sie bloß als Interna in politischer Absicht verwendet würden. 3) Zielpunkt der Recherchen war und ist zu begründen, a) warum bestimmte Teile der Abteilung III der Akademie-Ausgabe einer grundsätzlichen Revision bedürfen, b) daß die Überlieferungslage kein unüberwindliches Hindernis gegen eine Realisierung darstellt. Vor einer Neubearbeitung, die allein die Mängel tatsächlich aufzeigen und im Detail beseitigen kann, kann dies nur auf dem Weg der Historie erfolgen. Es soll der Sachgrund für die Notwendigkeit einer Neuedition aufgezeigt werden: Prinzipien und Durchführung der Bde. XX-XXIII der Abtlg. III der AA-Kant sind weder von einem wissenschaftlich aus gewiesenen noch institutionell autorisierten Gremium diskutiert und festgelegt worden. Es herrschte zur Zeit der Nazidiktatur auch in Institutionen der Wissenschaft die pure Willkür. Und der Philosophie stünde es als einer ethischen
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Vgl. dazu auch die einleitende Bemerkung in Hinske 1991, 230: „Diese Akademie-Ausgabe ist seit Jahrzehnten die maßgebliche Ausgabe, fast schon der Stephanus der Kantforschung, und zumindest in der dritten und vierten Abteilung auch durch keine andere Ausgabe zu ersetzen."
Einleitung
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Grundsätzen besonders verpflichteten Wissenschaft gut an, ihre Geschäfte selbst ins Reine zu bringen. 2) methodische Gründe Für jeden der historisch-genetischen Methodik verpflichteten Versuch, eine philosophische Aussage und ihre Begründung nachzuvollziehen oder sich zu ihr interpretativ oder stellungnehmend zu verhalten, ist nach über 100 Jahren der Sekundärliteratur ein Rekurs auf die verfügbaren, nicht vom Autor selbst publizierten Schriften unverzichtbar geworden. Demzufolge besteht der sachliche Kern der Arbeit, wie gesagt, darin, einen methodisch gesicherten Zugriff auf alle bisher bekannt gewordenen Handschriften des Königsberger Philosophen herzustellen. In dieser Bestimmung steckt, wenn man denn glaubt, etwas Neues sagen zu können, die Aussage, daß dies bislang nicht der Fall gewesen ist - also die These, daß das gemeinhin von der Forschung zugrunde gelegte Instrumentarium (die Abteilungen II und III der Akademie-Ausgabe von »Kant's gesammelten Schriften«) eben keinen methodisch gesicherten Zugriff erlaubt. Diese These negiert keineswegs die immense Leistung, die mit der Publikation dieser vierzehn Bände im Verlauf von rund 60 Jahren (1896-1955) erarbeitet worden ist, sie behauptet vielmehr im Rekurs auf die ursprüngliche, 1896 fixierte, Intention des Unternehmens, daß eines ihrer wesentlichen methodischen Anliegen nicht erreicht ist: Die der Ausgabe verfügbaren Texte des Nachlasses sind weder sämtlich, noch nach einheitlichen Prinzipien publiziert worden. Unabhängig von der Art der Überlieferung (ob Marginalie, loses Blatt, Ms-Convolut) sollten die (sogenannten) Reflexionen gemäß den Disziplinen, über die Kant Kolleg gehalten hat, sachlich geordnet und chronologisch bestimmt werden. Wurden jedoch Texte als Vorarbeiten oder Nachträge zu Publikationen identifiziert, dann sollten sie im zweiten Abschnitt der Abteilung als solche in chronologischer Reihung ediert werden. Unverzichtbarer Bestandteil dieses Plans war die Absicht, die Edition der Texte mit einer genauen Beschreibung der Überlieferungsträger und einer Rechtfertigung der chronologischen Bestimmungen zu beschließen. Erst mit dem Schlußband der Abteilung wäre das methodische Ziel, die Gesamtheit der nachgelassenen Reflexionen und Vorarbeiten zu erschließen, erreicht worden. Jedem interessierten Benutzer der Ausgabe wird deutlich, daß sich die letzten vier Bände, d. h. der gesamte 2. Abschnitt der III. Abteilung, nicht mehr den in der 1911 veröffentlichten Einleitung dargelegten Prinzipien und Verfahrensweisen fügen: Die Ausgabe der Berliner AdW hat sich seit den 1930er Jahren nicht mehr an ihre eigenen Richtlinien gehalten. Ziel der Recherchen war es: 1) das ursprüngliche Konzept der Ausgabe und seine Begründung deutlich herauszuarbeiten, 2) die Umstände aufzuklären, die die Abweichung nach sich zogen, und 3) einen ersten Schritt in Richtung auf eine Kompensation der konstatierten Lücken und Mängel zu tun. In dieser Absicht galt es vor allem, einen Überblick über die Schicksale des Kantischen Nachlasses zu gewinnen, die Geschichte seiner Editionen nachzuvollziehen, und die Fundorte der Handschriften festzustellen bzw. die Umstände ihres Verschwindens
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Einleitung
in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges möglichst detailliert zu eruieren. Für den positiven Teil der Arbeit sollten die Arbeitsmittel des elektronischen Zeitalters genutzt werden. Zur Verwaltung der Textzeugen und ihrer Edition ist auf ein Datenbankprogramm aus dem bibliographischen Bereich zurückgegriffen worden. 3) sachlich-philosophisches Moment Die Akademie-Ausgabe hatte in ihrem Anfang ein von Wilhelm Dilthey, dem spiritus rector des Unternehmens, klar formuliertes Erkenntnisinteresse: Die Entwicklungsgeschichte des Philosophen Immanuel Kant sollte auch anhand seines Nachlasses studiert und nachvollzogen werden können, denn: „Die Entwicklungsgeschichte der großen Denker erleuchtet ihre Systeme, und sie ist die unentbehrliche Grundlage für das Verständnis der Geschichte des menschlichen Geistes. Überall, bei Künstlern und Dichtern, bei wissenschaftlichen Denkern und Philosophen stellt sich die heutige Forschung dies entwicklungsgeschichtliche Problem."1 Offenbar meinen wir, eine Sache oder ein menschliches Produkt dann verstanden zu haben, wenn wir seinen Entstehungskontext kennen. Mit dieser Annahme stehen wir in großen Teilbereichen menschlichen Wissens und Könnens der sprachtheoretischen Einsicht sehr nahe, daß wir die Bedeutung eines Wortes erfaßt haben, wenn wir die Regel(n) seiner Verwendung kennen. Doch besteht zwischen beiden ein gravierender Unterschied. Bei einer logischen Erforschung nicht bloß menschlicher Sprachen, sind wir auf allgemeine Regeln aus. Bei den historisch orientierten Kulturwissenschaften hingegen wenden wir uns individuellen, je einmaligen Ereignissen oder Zeugnissen zu. So, meine ich, kann man einen mehr stillschweigend getroffenen denn explizit formulierten methodischen Konsens feststellen und begreifen: In zahlreichen, wenn nicht allen Wissenschaften, die sich mit den Zeugnissen der menschlichen Kulturgeschichte befassen, ist ein permanenter Rekurs auf genetische Verfahren Usus: Zeit, Ort, Umstände und Anlaß, die zu einem bestimmten Produkt geführt haben, halten wir für unmittelbar einschlägig, wenn wir die in ihm zum Ausdruck gebrachten Gedanken, Überlegungen oder Thesen erfassen oder verstehen wollen. Und es wundert nicht, daß auch bei der Interpretation philosophischer Werke auf ihre Genese reflektiert wird. Gilt es, die Aussage eines Autors und seine Begründung zu ermitteln oder nachzuvollziehen, dann messen wir quasi die Wissenschaftlichkeit eines Sekundärautors an der Größe „entwicklungsgeschichtlicher Gehalt". Sekundärliteratur, die nicht wenigstens implizit zu Fragen der Werkgenese Stellung bezieht, ist keine. Die eben zitierte methodische Grundannahme der Diltheyschen Hermeneutik ging darüber hinaus. Sie enthält einen unnötigen, metaphysischen Überhang: Sie operiert mit einer Größe, die prinzipiell nicht zugänglich zu sein scheint. Dilthey fährt nämlich fort mit dem Satz:
1
AA-Kant I, S. VIII.
Einleitung
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„Insbesondere kann die Geschichte des philosophischen Denkens nur durch diese Methode den Zusammenhang erfassen, in welchem ihre einzelnen Gestalten unter sich und mit den letzten Tiefen unseres Wesens verknüpft sind." Ziel der Bemühung sei also, die Entwicklungsgeschichte von so etwas wie „Kants Denken" zu erfassen. Formelhafte Ausdrücke wie dieser werden bis in die Gegenwart von vielen Sekundär-Autoren verwendet, ohne daß Rechenschaft darüber abgelegt wird, ob und wie dieses Etwas zu erfassen sei. Die Problemstellung ist jedoch wesentlich konkreter und nachvollziehbarer: Ein Autor verfaßt und publiziert Schriften, diese haben häufig auch eine in schriftlicher Überlieferung zugängliche Genese. Eine entwicklungsgeschichtliche Forschung, die den Anspruch auf Nachvollziehbarkeit erhebt, sollte sich genau darauf beschränken und auf Kategorien wie „Kants D e n k e n " verzichten. Denn als letzte und meist auch einzige Instanz können faktisch nur überlieferte Texte herangezogen werden. Wenn die Überlieferung schweigt, muß auch die wissenschaftliche Forschung schweigen. Bezieht man diesen Satz auf Kant, den Nachlaß und die vorliegenden Bände der Akademie-Ausgabe, dann hat die Historie ein paradoxes Resultat: Derjenige Teil des Nachlasses, der unmittelbar für die Werkgenese einschlägig ist, liegt bis heute in nur unzureichender editorischer Bearbeitung vor. Und noch nicht einmal diese spärlichen Ergebnisse standen den Editoren der »Werke« (Abtlg. I der Gesamtausgabe) zur Verfügung. Die konkrete Genese zahlreicher Werke der letzten Jahre Kants, ist nicht in dem durch die Überlieferungslage beschränkten Maß erforscht. Gerade in dem Teil der „Vorarbeiten", der von Seiten der Überlieferung gut bestellt war, zeigt die Abtlg. III der Ausgabe ihre gravierendsten Schwächen. 4) Durchführung Zuletzt einige Bemerkungen zum eigenen Verfahren bei Gewinnung und Präsentation der Ergebnisse. - Der Leser darf erwarten, über sämtliche, öffentlich zugängliche Quellen, aus denen sich Hinweise auf den Verbleib des handschriftlichen Nachlasses selbst und die Geschichte seiner Edition ableiten lassen, umfassend informiert zu werden. Auch dann, wenn sie hier nicht in extenso abgedruckt sind. Deswegen sind auch die negativen Resultate - meist in Fußnoten - präsent. Oberste Maxime war eine Aufklärung der Tatsachen. Daraus ergibt sich der über weite Strecken dokumentarische Stil der »Nachforschungen«. Dies betrifft auch die editorischen Teile: Um der Gefahr des Dilettantismus zu entgehen, wurde auf jede inhaltlich-interpretatorische Kommentierung der in Teil ¡V abgedruckten „Vorarbeiten" verzichtet. Auch eine historisch-kritische Edition ist hier nicht beabsichtigt; demgemäß fehlen Ausführungen zur näheren Datierung und Überlegungen zur Abfolge der verschiedenen Vorarbeiten zu einer Schrift Kants. Gerade weil nicht alle überlieferten Texte in der Akademie-Ausgabe enthalten sind, bleibt die Forschung aufgefordert, sich einer angemessenen Kommentierung der verfügbaren „Vorarbeiten" zuzuwenden.
Einleitung
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C. Die wichtigsten Quellen der Darstellung A.
gedruckte
1. AA-Kant 2. Sitzungsberichte der herausgebenden Akademien in Berlin und Göttingen 3. die Publikationen von Erich Adickes 1 4. —
Arthur Warda 2
5. —
Gerhard Lehmann 3
B.
ungedruckte
1. Akten der Kant-Kommission im Archiv der A d W in Berlin 4 2. Akten des Archivs der U B Tübingen 5 3. Nachlaß Erich Adickes im Archiv der A d W in Berlin und im Institut für Philosophie der Marburger Philipps-Universität (Ingelheimer
Papiere)
4. Nachlaß Wilhelm Dilthey im Archiv der A d W in Berlin 5. Nachlaßteile Gerhard Lehmann 6 6. Nachlaß Hans Vaihinger in der U B Bremen 7 Nicht erreichbar war mir der Nachlaß v o n Paul Menzer.
A u s g e h e n d v o n der B e -
merkung Gottfried Martins „Der Nachlaß v o n Professor Menzer ist uns bereits zur Verfügung gestellt worden und wird zur Zeit in die Universitätsbibliothek
Bonn
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Vgl. dazu meine Bibliographie in KS 75/1984/365-374. Vgl. dazu das Literaturverzeichnis. Abweichend von meinem sonstigen Vorgehen sind dort s. v. Warda nicht nur die Kant betreffenden Titel aufgeführt, sondern sämtliche, die ich nachweisen konnte.
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Die in Lehmann 1980, 277-284 zusammengestellte Bibliographie enthält etliche Fehler und Mängel; insbesondere sind nicht aufgeführt die Titel Lehmann 1938c und Lehmann 1940. Es handelt sich hierbei um 12 Faszikel der historischen Abtlg. des Archivs mit den Signaturen II-VIII, 153164, wobei die letzte Zahl den Band bezeichnet. Im wesentlichen sind die Vorgänge chronologisch abgelegt worden. Nur die beiden letzten (Nr. 163 „Versendungslisten" und Nr. 164 „ A b r e c h n u n g e n " ) erstrecken sich über den gesamten Zeitraum 1894-1946. Im folgenden verweise ich öfters allein durch Angabe des Datums des Schreibens oder Vorgangs auf diese Bestände mit dem abkürzenden Nachweis „Akten der K K " . - Von einer Benutzung dieser Akten habe ich in Publikationen nur eine Spur finden können: Grau et al. 1975-1979. Es handelt sich dabei ausschließlich um Xerokopien aus dem Bestand „ 1 6 7 / 2 8 3 " , die mir auf Anfrage dankenswerter Weise von Herrn Dr. Gemeinhard im Oktober 1982 zur Verfügung gestellt worden sind. A. in der SBPK, B. zur Zeit in der Marburger Arbeitsstelle der A d W Göttingen. Zu einem, von mir nicht herangezogenen dritten Teil vgl. Ritzel 1988a. - Hervorzuheben ist aus Teil Β ein acht Blatt umfassendes titelloses Ms (Maschinendurchschlag mit handschriftlichen Korrekturen), beginnend „Die nachfolgenden Notizen beziehen sich" und schließend „weil es eben für alles Ausnahmen gibt (Paton).", das eine autobiographische Skizze Lehmanns über sein Verhältnis zur Kant-Ausgabe darstellt. Der Vermerk auf dem Umschlag „op. post - Belege / Η [?] Prof. H e i d e m a n n " deutet an, daß Lehmann das Manuskript für Frau Prof. Ingeborg Heidemann ca. 1979 angefertigt und gelegentlich der Vorbereitung seiner Festschrift übermittelt hat; vgl. Heidemann/Ritzel (Hg) 1981. - Auf dieses Ms verweise ich im Folgenden mit dem Stichwort „Skizze".
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Wie bei Nr. 2 kenne ich diesen Bestand nur durch Xerokopien der Briefe von Adickes, Erdmann, Dilthey und Menzer. Herrn Dr. Hetzer (UB-Bremen) danke ich für die Übermittlung der Kopien.
Quellen
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überführt." 1 mußte ich zunächst feststellen, daß die Papiere keineswegs in die UB Bonn gelangt sind. 2 Auch vom Ort der langjährigen Wirkungsstätte Menzers, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, kam eine negative Rückmeldung. 3 Weil auch von Seiten der in Süddeutschland lebenden Nachfahren Paul Menzers keine ermutigenden Informationen zu erhalten waren, 4 stellte ich die Nachforschungen ein. Anscheinend waren die gesuchten Unterlagen nach Paul Menzers Tod (1960) in der DDR geblieben, oder zuvor von Gerhard Lehmann bei seinem letzten Besuch bei Menzer (18. Dezember 1956) übernommen worden. 5 In dessen Nachlaß in der SBPK freilich sind keinerlei Korrespondenzstücke vorhanden, die aus Menzers Nachlaß herrühren. 6 Eher zufällig 7 erfuhr ich auf der Mitgliederversammlung der Kant-Gesellschaft am 20. Oktober 1990 in Bonn durch einen Vortrag von Herrn Dr. Thomas Conrad (Halle), daß im Zuge der jüngsten politischen Umwälzungen im östlichen Teil Deutschlands Materialien zugänglich geworden seien, die auf die ursprünglich in Halle begründete Kant-Gesellschaft zurückgehen. Unter diesen befänden sich auch solche von Menzer. Ich habe im Blick auf den bevorstehenden Abschluß der »Nachforschungen« und die Tatsache, daß Menzer in den Akten der KK präsent ist, nicht versucht zu klären, ob sich daraus weitere, für die Abtlg.III der Kant-Ausgabe der Berliner Akademie einschlägige Erkenntnisse gewinnen lassen.
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Brief vom 5. Juni 1962 an Franz Adickes, Ingelheimer Papiere. Mitteilung der UB-Bonn vom 17. Mai 1982. Schreiben der Handschriften-Abtlg. der UB mit Zusatzinformation über das Archiv der Universität und die Sektion Philosophie vom 29. Juni 1982. Schreiben von Prof. em. Georg Menzer vom 17. September 1982, von Herrn Eugen Forster vom September und Oktober 1982. Vgl. AA-Kant XXIV 966 Anm. 38. Bei den erhaltenen Briefen von Gerhard Lehmann an Menzer handelt es sich ausnahmslos um Durchschläge oder Konzepte, nicht um gelaufene Stücke. Mitglied der Kant-Gesellschaft bin ich seit Oktober 1990.
Teil I:
Bemerkungen zur Edition der Briefe Kants in der Akademie-Ausgabe und Provenienzrecherchen
Daten und Informationen zum Hintergrund der Ausgabe Der erste Band der Abteilung II »Briefwechsel« eröffnete im ersten Jahr des 20. Jahrhunderts die Akademie-Ausgabe von »Kant's gesammelten Schriften«. Die Vorbemerkung dieses 10. Bandes des Gesamtwerkes hat der Königsberger Bibliothekar Rudolf Reicke (1825-1905) am 5. Februar 1900, seinem 75. Geburtstag, als Herausgeber unterzeichnet. 1 Reicke ist im Oktober 1905 gestorben, ohne die vollständige Ausführung seiner lange gehegten Absicht, Kants Korrespondenz zu veröffentlichen, erlebt zu haben. Schon während der Drucklegung der weiteren zwei Briefbände und noch zu Reickes Lebzeiten war deutlich geworden, daß wesentlich mehr Briefe von und an Kant erhalten und zugänglich waren, als ihr Herausgeber ahnte. In einer öffentlichen Sitzung der Berliner Akademie, 24. Januar 1901, berichtete Wilhelm Dilthey (1833-1911): „Das Material wurde dankenswerth bereichert durch einen Brief Kant's an Seiler [= Nr. 675 der AA-Kant], welchen Hr. Verlagsbuchhändler H. Minden (Dresden) freundlichst iiberliess, und einen, Briefentwürfe und Concepte Kant's sowie Briefe an ihn enthaltenden Manuscriptband der Dorpater Universitätsbibliothek. Dieser ist von Hrn. Bibliothekar Schlüter, welcher wiederholt der Kant-Ausgabe sein Interesse thätig bewiesen hat, aufgefunden und von der Kaiserlich Russischen Regierung mit gewohnter Liberalität der Ausgabe zur Benutzung überlassen worden. Der Briefwechsel erfährt auf diese Weise eine nicht unwesentliche Bereicherung." 2 Tatsächlich enthält der schmale, dritte Dorpater Band (Dorp. III) auf seinen 65 foliierten Blättern fast nur in die Abteilung II einschlagende Stücke. 3 Vor allem die nach-
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Vgl. A A - K a n t X; Vorwort. Rechtliche Grundlage für R e i c k e s Tätigkeit ist ein Vertrag z w i s c h e n ihm und der Preußischen A d W v o m 9.Juni 1897, Akten der KK, II-VIII, 153, fol. 47-48.
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Sitzungsbericht 1901, S.76. Vgl. schon den Sitzungsbericht 1900. In der ersten Auflage ist „ 8 6 4 " die höchste Zahl, in der zweiten lautet sie „ 9 0 3 " ; vgl. AA-Kant XIII 535. Schlüters Nachricht an die Preußische A d W datiert v o m 1/14 April 1900. Darin heißt es u.a.: „Vor einigen Tagen entdeckte ich unter beiseite gelegten Bänden der Bibliothek des früheren Professors Morgenstern, in dessen reicher Briefsammlung auch die übrigen Kantiana stecken, einen Band in 4°, der von Morgensterns Hand bezeichnet ist: Autographa Kants u. einiges Vermischte aus seinen Papieren. Da der Band zwar eine N° der Morgensternschen Zählung trägt, aber w e d e r gestempelt n o c h im Bibl.Kataloge verzeichnet war, s o vermute ich, dass der Inhalt so gut w i e unbekannt ist; auch Herr Oberlehrer Sintenis kannte den Band nicht." - D i e A u s l e i h e nach Berlin erfolgte mit Begleitschreiben Schlüters am 28. Okt. / 8 .Nov. 1900. (Akten der KK, II-VIII, 155, fol. 9 - 1 0 und 30).
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N a c h einer mir v o r l i e g e n d e n Serie von Photographien und der weiter unten erwähnten Datenbank. N i c h t
Briefwechsel und Provenienz
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trägliche Einfügung dieser Funde machte 1922 in der zweiten Auflage des Briefwechsels eine vollständig neue Zählung der Korrespondenzstücke erforderlich. Diese formale, noch heute gelegentlich für Verwirrung sorgende Änderung wird aus heutiger Perspektive, wo einer Akademie-Ausgabe erhebliche Vorlaufzeiten wie selbstverständlich zugebilligt sind - verwundern, denn hervorgegangen ist die Abtlg. II auf wenigstens bis 1875 zurückreichende, konkrete Pläne von Rudolf Reicke. Seine ursprüngliche Absicht, gestützt auf die Königsberger Bestände zunächst nur die Briefe an Kant1 zu edieren, ist bald erweitert worden um die Briefe von Kant. Den ersten sichtbaren Schritt tat Reicke jedoch erst 10 Jahre später. Er veröffentlichte als Beigabe zu einer »Bohnenrede«, die er als Mitglied der Königsberger Kantischen Geburtstagsgesellschaft am 22. April 1885 gehalten hatte, die ihm damals bekannten Stücke der Korrespondenz zwischen Kant und seinem ehemaligen Schüler Jacob Sigismund Beck. 2 Interessant und für die Vorgeschichte der Abtlg. II der AA-Kant wichtig ist an dieser Publikation, daß sie - allerdings nur auf dem rückwärtigen Umschlag eines Separatabdrucks - folgende „Bitte!" enthält:
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dazu gehören: a) fol. 02, ein kurzer eigenhändiger Auszug Kants aus einem französischen Schreiben von Francechini an Toussaint 24. Nov. 1795, ungedruckt, b) fol. 12-13, eine Vorarbeit Kants zu »de igne« [von Adickes für den Band X X reserviert. Eine kommentierte Edition (Waschkies / Stark) ist vorgesehen für Bd. V der »Kant-Forschungen«], c) fol. 18-20, ein „Pro Memoria [...] Riga den 23. August 1763 Cornelius A g r i p p a " , ungedruckt, d) fol. 54-55, ein unidentifizierter, undatierter moralisch religiöser Text von unbekannter Hand, ungedruckt, e) fol. 56-59, eine französischsprachige Ausarbeitung/Abschrift aus einer Zeitschrift zu Rousseaus »Nouvelle Heloise« (1761), ungedruckt. In seinem Brief an den Dorpater Professor Gustav Teichmüller (1832-1888) vom 13. Juni 1875 schrieb Reicke: „Hochverehrter Herr Professor! Sie haben in dem letzten Heft [...]. Jeder Brief von und an Kant hat für mich besonderen Werth, weil ich selbst mit einer Ausgabe zunächst der Briefe an Kant beschäftigt bin, die vielleicht schon im nächsten Jahre in der von mir redigirten Altpr. Monatsschrift erscheinen werden. Das meiste u. belangreichste Material hierzu liefert mir die Königl. Bibliothek hierselbst, fast nur inedita; gedruckte Briefe von Kant sind aber auch in verschiedenen Briefwechseln zerstreut, die bisher so gut wie unbeachtet u. unbekannt geblieben sind. Diese Briefsammlung so viel als möglich zu vervollständigen, ist nun schon seit Jahren mein Bemühen, das sich mancher fremden Unterstützung zu erfreuen gehabt. Wenn Sie mir dabei behülflich sein könnten u. wollten, Sie würden mich zu grösstem Danke verpflichten. In Dorpat sind ja auch kürzlich, Briefe von Goethe, Schiller, Wieland, Kant etc. an Karl Morgenstern, hrsg. von F. Sintenis erschienen, die ich seit mindestens 3 Monaten bestellt, aber bis jetzt noch nicht erhalten habe. Sollten in Dorpat. Riga, Mitau nicht noch manche interessante Briefe von Kant aufzufinden sein? [...] ergebenst Dr. R. Reicke Redacteur der Altpr. Monatsschrift." Quelle: UB Basel, Nachlaß Teichmüller, Brief-Nr. 2482. - Reicke bezieht sich auf Teichmüller 1875. Reicke, Rudolf: Aus Kant's Briefwechsel. Vortrag, gehalten an Kant's Geburtstag den 22. April 1885 in der Kant-Gesellschaft zu Königsberg. Mit einem Anhang enthaltend Briefe von Jac. Sigism. Beck an Kant und von Kant an Beck. [Separatdruck] (Königsberg: Beyer 1885), auch in: A M 22/1885/377-449. Ein weiterer Druck soll danach in den Nrn. 237 u. 238 der Frankfurter Zeitung (1885) enthalten sein. Auch die »Nationalzeitung« berichtete am 4.0ktober 1885 über Reickes Publikation. [Zeitungsausschnitt in der Slg Kestner in der UB Leipzig, bei „Kant I I " ] Reickes Aufsatz enthält die 15 Briefe von Beck an Kant [= Nrn. 371, 465, 473, 489, 499, 515, 527, 545, 571, 585, 630, 639, 666, 754, 756], die zum l.Dorpater Briefband gehören und die zwei [= Nr. 775, 781] zum Konvolut Ν der Königsberger StUB gehörigen, jedoch nur einen Brief von Kant an Beck [= Nr. 722 der AA-Kant], der damals im Besitz von Eduard Erdmann war. Reicke wußte also noch nichts von den in der UB Rostock liegenden 8 weiteren Briefen Kants [= Nrn. 469, 488, 496, 500, 520, 537, 549, 584 der AAKant] an seinen ehemaligen Schüler. Ebenfalls unbekannt war ihm ein weiterer Brief von Kant an Beck [= Nr. 634 der AA-Kant]; dieser ist erst 1890 von der damaligen Berliner Königlichen Bibliothek angekauft worden. Die in Rostock liegenden Stücke sind von Wilhelm Dilthey erstmals 1889 veröffentlicht worden.
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Teil I „Eine Ausgabe von Immanuel Kant's Briefwechsel wird seit langem von dem Bibliothekar der Königsberger Königl. und Universitäts-Bibliothek Herrn Dr. R. Reicke in Gemeinschaft mit Oberlehrer Fr. Sintenis in Dorpat vorbereitet. Um aber eine wirklich möglichst vollständige Sammlung herausgeben zu können, ist eine theilweise Mithülfe weiterer Kreise durchaus erforderlich. Es ergeht daher an alle Besitzer von Briefen von oder an Kant die dringende Bitte, dieselben zur Kenntnissnahme an Herrn Dr. R. Reicke in Königsberg direct oder durch Vermittlung der unterzeichneten Verlagsbuchhandlung einzusenden. [...] Hamburg, im September 1885. Leopold Voss Verlagsbuchhandlung Hamburg und Leipzig."1
Die beabsichtigte Kooperation mit dem Dorpater Franz Sintenis (1836-1911) brachte einen erheblichen Erkenntnisfortschritt mit sich, denn bei diesem war - im Gegensatz zu Reicke 2 - eine unmittelbare Fortsetzung der Kenntnis um zwei der drei seit Jahrzehnten in der UB-Dorpat verwahrten Manuskriptbände mit Briefen an Kant gegeben. 3 Damit schien die Verbindung Sintenis/Dorpat - Reicke/Königsberg eine sichere Bank, als Wilhelm Dilthey ab 1889 mit den ersten Planungen für die Akademie-Ausgabe einsetzte. 4 Wenig später mündeten Reickes Vorbereitungen in seine Tätigkeit als Herausgeber des Kantischen Briefwechsels im Rahmen der Akademie-Ausgabe. Rudolf Reickes Tod veranlaßte, daß nach längeren Verhandlungen der Sekretär der Ausgabe, Paul Menzer (1873-1960), mit der Fertigstellung des Anmerkungsbandes beauftragt wurde. Damit verbunden war die Aufgabe, Korrekturen und Ergänzungen zu den bereits erschienenen Bänden zu erarbeiten. Unter Mitwirkung einer Nichte von Reicke, Rose Burger, die ihren Onkel seit Jahren bei seiner Arbeit unterstützt hatte, gelang es Menzer 5 erst im Jahr 1922, zugleich die zweite, vollständig revidierte Auf-
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Exemplar im Marburger Kant-Archiv. Reicke wußte 1875 offenbar weder um die Existenz der Dorpater Briefbände noch von den Publikationen daraus durch Morgenstern. Vgl. den Text seines eben zitierten Briefes an Teichmüller und das anhängende Literaturverzeichnis, s. v. Morgenstern bzw. Sintenis. Vgl. Literaturverzeichnis s.v. Sintenis und Morgenstern 1868. Jedoch war auch bei Sintenis keine vollständige Kenntnis um die vorherigen Publikationen durch Morgenstern gegeben. So fehlen bei ihm Hinweise auf zwei Artikel in den »Berliner Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen«. Darin hat Morgenstern, nach Jäsches Tod (1842), im August 1846 zwei Stücke aus dem dritten Dorpater Brießand publiziert: Den Entwurf eines Briefs von Kant an Lavater [= Nr. 100] und einen ebenfalls als Entwurf zu wertenden Brief an Herz [= Nr. 166]. Vgl. die beiden richtungweisenden Aufsätze von Dilthey 1889a; 1889c und Reickes Brief an Dilthey vom 12. Januar 1889, auf den zahlreiche Einzelheiten der Angaben Diltheys zurückgehen. Über das Königsberger Konvolut Ν informierte Reicke: „LXIII Briefe an Kant, (auf der BUcherauction des Prof. Gensichen gekauft) Dazu noch 6 andere Briefe. [...] das Convolut Ν (Briefe an Kant enthaltend) aber wird in der von mir in Verbindung mit Sintenis in Dorpat geplanten Ausgabe des Briefwechsels Kant's Aufnahme finden." Quelle: Zentrales Archiv der Berliner AdW, Nachlaß Dilthey. Über Menzers Anteil an Band XIII informieren am besten die Briefe von ihm an Benno Erdmann in den Akten der KK. Im ersten (vom 3. Dez. 1911) heißt es: „Frl. Reicke [d.i. Rose Burger] hat nun mit Hilfe der Manuskripte ihres Onkels, die übrigens weniger enthielten, als wir annahmen, das Manuskript der Anmerkungen zu den 3. Bänden hergestellt und an mich geschickt. Es muss vielfach umredigiert werden und vor allem fehlt noch ganz der philosophische Kommentar. Diese Aufgabe habe ich aufgrund einer persönlichen Abmachung mit Herrn Geh. Dilthey übernommen." (Akten der KK, II-VIII, 155, fol. 211-216; vgl. II-VIII, 157, fol. 227 (vom 23. Dez. 1918); fol. 231-232 (vom 23. März 1919) und fol. 268 (Auszug des Protokolls einer Sitzung der philosophisch-historischen Klasse der AdW vom 23. Oktober 1919). - Die von Menzer
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läge 1 der drei Textbände und die erste Auflage der wichtigen Anmerkungen der Öffentlichkeit zu übergeben. Die Leistung, die Menzer - unter Mithilfe weiterer Personen - tatsächlich an Recherchen zur Kommentierung und Verbesserungen der Drucktexte der Briefe von und an Kant erbracht hat, ist angesichts der rund 700 Druckseiten sehr hoch zu veranschlagen. Dieser Umstand kann leicht darüber hinwegtäuschen, daß die Ausgabe selbst einige konzeptionelle Schwächen aufweist. Zunächst ist daran zu erinnern, daß die Grundlagen der Edition gerade bei den Briefen von Kant, die ihrer Natur gemäß über eine größere Zahl von Fundorten verstreut lagen, sehr heterogen waren. Nicht immer lag den Herausgebern der Autograph vor; vielfach mußten sie auf Abschriften, Durchpausen oder frühere Drucke zurückgreifen; nur ausnahmsweise stand eine heute zur Selbstverständlichkeit gewordene technische Reproduktion 2 zur Verfügung. Zweitens ist darauf aufmerksam zu machen, daß die Ausgabe gegen den Widerstand des verantwortlichen Leiters der Abteilung nur eine Auswahl aus Kants amtlicher Korrespondenz enthält. 3 Dies obwohl sich eine - bis heute fehlende - wissenschaftliche Biographie Kants 4 gerade auch mit den Quellen über seine universitären Ämter, acht Mal Dekan, zwei Mal Rektor und ab 1780 ständiges Mitglied des Senats, auseinanderzusetzen hätte. Denn die Person Immanuel Kant kann nur in ihrem tatsächlichen Wir-
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genannte Abmachung findet man in einem von Wilhelm Dilthey am 23. März 1911 unterschriebenen, an die philos.-hist. Klasse der A d W gerichteten Schriftsatz über die „Kompetenzen des Herrn Professor M e n z e r " , der als Versuch Diltheys zu werten ist, seine eigene Nachfolge als Leiter der Ausgabe zu regeln. Die betr. Passage lautet: „Die Ausgabe des letzten Bandes des Briefwechsels, welcher die Anmerkungen und den Index enthält, und der dem jüngeren Reicke übertragen ist, ist schon bisher durch Professor Menzers Rat und Mitarbeit wesentlich unterstützt worden. Und nun erhält derselbe auch hier die oberste Leitung. Ist das Manuskript fertiggestellt, dann muss allerdings die Prüfung desselben an die Commisson oder den neu gewählten Leiter der Ausgabe gelangen." (Akten der KK, II-VIII, 155, fol. 145) Dies wird oft übersehen; vgl. jedoch AA-Kant XIII; S. XVII-XVIII. Der einzige bekannt gewordene Brief von Kant an Lindner [= Nr. 13] aus dem Jahr 1759 stand laut Sitzungsbericht des Jahrganges 1906 als „ P h o t o g r a p h i e " des in Paris verwahrten Originals zur Verfügung; Groethuysen 1906, 160 Anm. Vgl dazu hier Teil III. - Anmerkungsweise möchte ich jedoch hier noch erwähnen, daß auch manche anderen Briefe ungedruckt blieben, in Bd. XIII stößt man bei Nr. 645 (Begleitschreiben des Berliner Sekretärs der Oberschulkommission zur vierteljährlichen Auszahlung der jährlichen Gehaltszulage Kants in Höhe von 220 Talern) auf die Bemerkung: „Es werden von den zahlreichen Schreiben dieser Art nur drei als Proben gegeben [...]." - Obwohl der Text dieser Briefe wenig Interesse verdient, wäre wenigstens die Mitteilung ihrer Daten zu wünschen gewesen, um so möglichst viele sichere Indizien zur Datierung des handschriftlichen Nachlasses verfügbar zu machen. Die bekannten Arbeiten von Karl Vorländer (1860-1928) wollten und konnten eine solche nicht leisten; vgl. Vorländer 1924b, 237: „Das neue Werk war in der Handschrift im März 1917 abgeschlossen und dem Verleger übersandt; doch wagte dieser dasselbe, zuerst wegen des Papiermangels in der Kriegszeit, später wegen der sich von Jahr zu Jahr verschlechternden Geldverhältnisse nicht herauszubringen. Es wird jetzt, voraussichtlich im Laufe des Winters, bei meinem langjährigen Verleger Felix Meiner (Leipzig), etwa 60 Bogen stark, erscheinen und sowohl Leben, wie Lehre des Philosophen einem größeren Publikum zu schildern versuchen. Eine sogenannte 'wissenschaftliche' Biographie mit dem üblichen gelehrten Beiwerk wäre leichter gewesen, ich habe jedoch absichtlich darauf verzichtet und nur eine kritische Studie dieser Art, Die ältesten Kantbiographien (Ergänzungsheft 41 der Kantstudien, Berlin 1918, 48 Seiten), vorangeschickt." Vorländer mußte also mit der ersten Auflage des »Briefwechsels« und ohne den erst 1922 erschienenen Apparat-Band auskommen.
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Teil I
kungskreis erforscht werden, und dieser war hauptsächlich der eines akademischen Lehrers. 1 Drittens bieten auch die im engeren Sinn editorischen Grundsätze 2 der Ausgabe Anlaß zur Kritik. Es ist zwar mit der drucktechnischen Gestaltung der Texte eine Pionierleistung erbracht worden, indem ζ. B. zwischen Fraktur für die deutsche Kurrentschrift und Antiqua für die heute auch im Deutschen übliche lateinische Handschrift unterschieden und auch Interpunktion wie Schreibweise ungeändert beibehalten worden sind. Doch sind - anders als in der von Erich Adickes (1866-1928) bearbeiteten Abteilung des handschriftlichen Nachlasses 3 - die Streichungen, Verweise und Überschreibungen der Originale nicht wiedergegeben oder im Apparat verzeichnet. 4 Auch hat man ohne Begründung auf den Abdruck der häufig erhaltenen Adreßseiten 5 völlig verzichtet. Viertens gilt es zu bedenken, daß Menzer - wie den anderen Editoren der Akademie-Ausgabe - die damals in Hamburg lagernden Manuskripte der Familie Krause, die als »opus postumum« erst 1936-38 ediert worden sind, nicht zugänglich waren. 6 Darin sind vielfach Notizen Kants überliefert, die seinen ankommenden und abgehenden Briefwechsel betreffen. 7 Diese Informationen sind für die Abtlg. II der Ausgabe nicht (auch nicht in Band XXIII) ausgewertet bzw. zusammengestellt worden. Dies geschieht auch hier nicht, weil dazu eine primär aus anderen Gründen notwendige Revision der entsprechenden Bände des handschriftlichen Nachlasses die unabdingbare Voraussetzung ist. 8 Systematischer Neuansatz Im Zusammenhang mit den 1982 in Marburg einsetzenden Recherchen nach dem Verbleib von studentischen Nachschriften Kantischer Vorlesungen lag es nahe, zugleich Auskünfte über etwaige weitere handschriftliche Kantiana von den angeschriebenen oder besuchten Bibliotheken und Archiven des In- und Auslandes einzuholen. So formte sich naturwüchsig im Lauf der Jahre ein zunächst unsystematischer Überblick, 1
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Vgl. dazu meinen, neue Ansätze suchenden, Ende 1985 gehaltenen Bad Homburger Vortrag »Kant als akademischer Lehrer« [im Erscheinen]. - Das Manko einer eingehenden Geschichte der Universität von Königsberg, ist zu bedauern; die 1944 erstmals publizierte Arbeit von Seile behandelt Kant nur kursorisch und vermittelt gar keinen Einblick in die damals vorhandenen bzw. benutzten Quellen. Vgl. AA-Kant XIII; S. XVII-XX „Art des Abdrucks". Vgl. AA-Kant XIV; S. LIV-LXII. Wie ich bei meinen Vergleichen zwischen Abdruck und Handschrift des öfteren feststellen mußte, sind die Angaben über die Funktion der eckigen Klammern (vgl. AA-Kant XIII; S. XIX) nicht korrekt: Auch Konjekturen und Verbesserungen der Herausgeber sind so gekennzeichnet. Anders als das Verfahren von z.B. R. Reicke 1885. Kennt man wenigstens einige der Adreßseiten, dann wird unmittelbar sichtbar, daß Kant sich wenigstens in den früheren Jahren auch einer Gesellschaft der „hommes des lettres" verbunden fühlte: Die frühen Adressen sind Französisch abgefaßt. - Eine Wurzel für die heutige internationale Postsprache? So konnte nur in wenigen Fällen auf die Teil- und Auszugsedition von R. Reicke zurückgegriffen werden; vgl. AA-Kant XIII zu Nrn. 815, 818, 841, 882, 894a. Vgl. Adickes 1920, passim. Und z.B. AA-Kant XXI: 475, 477, 478, 479, 481, 483. Und schon die deutlichen Hinweise in Pflug-Harttung 1889, 41-44. Vgl. dazu das Plädoyer von Brandt 1991.
Briefwechsel und Provenienz
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der im Sommer 1989 in eine eigens angelegte Datenbank eingegeben und so verfügbar gemacht wurde. Im unmittelbaren Anschluß konnte ohne weitere organisatorische Vorbereitungen die vorhandene Hard- und Software zu weiteren standardisierten schriftlichen Anfragen eingesetzt werden. 1 In derselben Absicht sind die freundlicherweise von der „Zentralkartei der Autograp h e n " in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zur Verfügung gestellten Informationen aufbereitet worden. Desgleichen wurden die Einträge im »Jahrbuch der Auktionspreise« 2 durchforstet, um die nach 1949 im Bereich des deutschsprachigen Autographenhandels nachzuweisenden Stücke aufzuspüren. Das Ziel der im Marburger Kant-Archiv 3 vorhandenen, mit LIDOS 4 angelegten Datenbank BRIEFWECHSEL besteht primär darin, die Überlieferung des Kantischen Briefcorpus zu klären und die Texte der neu bzw. wieder aufgefundenen Briefe bereitzuhalten. Sie bietet derzeit (Januar 1993) Informationen zu über 370 Briefen oder Erklärungen von Kant und zu 18 an Kant. Sie enthält ζ. B. auch Einträge über Datum, Adressat, Fundort und etwaige Adreßseiten der Autographen. 5 Auf die vollständige Registrierung der Briefe an Kant, die zum weitaus überwiegenden Teil in den Königsberger Konvoluten 6 M und Ν sowie den drei Dorpater Bänden 7 enthalten sind, wurde nicht nur aus Gründen der Zeitersparnis verzichtet. Denn erstens bietet deren Provenienz keine besonderen Schwierigkeiten und zweitens sind diese schon in einer weiteren Datenbank REFLEXIONEN 8 enthalten. Nicht aufgenommen sind Stammbuchblätter und andere, hauptsächlich für Kants Verhältnis zu Studenten einschlägige Materialien, die in einer dritten, zum Themenbereich der Marburger Arbeitsstelle der Göttinger Akademie der Wissenschaften gehörenden Datenbank STUDENTEN verwaltet werden. Fundortverschiebungen, öffentlicher Besitz Ohne hier auf die vielfältigen Fragen, die mit der Überlieferung der Kantischen Korrespondenz zusammenhängen, 9 eingehen zu wollen, scheint es doch angebracht und von
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Es wurde um Überprüfung der Angaben und Übermittlung von technischen Reproduktionen der Kantischen Handschriften gebeten. Allen so angeschriebenen Bibliotheken und Archiven möchte ich an dieser Stelle meinen Dank sagen für ihre freundlich gewährte Unterstützung. Vgl. Literaturliste: JA. Vgl. Brandt/Stark 1988. Copyright Doris Land. Die Datenbank soll fortlaufend auf dem Stand der Forschung gehalten werden. Ihre Informationen sollen ferner jedermann zur Verfügung stehen. Derzeit sind noch viele organisatorische Probleme ungelöst, deswegen bitte ich, etwaige Anfragen oder Korrekturen zu den in Teil VI folgenden Angaben zu richten an: Werner Stark, Kant-Archiv, Institut für Philosophie, Wilhelm Röpkestr. 6, D-3550 Marburg/L. Vgl. dazu unten den Abschnitt über Nicolovius. Vgl. dazu unten den Abschnitt über die Fundortverschiebungen. Vgl. dazu Teil VI. Auf zwei ungelöste Fragen möchte ich hier aufmerksam machen: a) Jürgen Zehbe schrieb - leider ohne seine Quelle (Kulimann 1914, 10) anzugeben - 1970 in seiner Auswahl der Briefe von Kant: „Noch zu Beginn der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurden Kants
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Teil I
Interesse zu sein, die derzeit verfügbaren Informationen über die durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Verschiebungen der in öffentlichem Besitz befindlichen umfänglicheren Provenienzen kurz darzulegen. Aus der älteren Kant-Literatur läßt sich rasch eine Übersicht zu den bis ca. 1944 in Königsberg vorhandenen handschriftlichen Kantiana gewinnen. In Privatbesitz befanden sich nur wenige Stücke. 1 Den größten Teil besaß2 die Staats- und Universitätsbibliothek, deren Schicksal bis heute weitgehend ungeklärt ist. 3 Der 1909 gedruckte Katalog der Stadtbibliothek4 verzeichnet unter der Signatur „S 176. fol." nur zwei eigenhändige Briefe von Kant (Nrn. 522, 834 der AA-Kant) und es besteht kein Grund zur Annahme, daß deren Kantbestände in den nächsten Jahren eine wesentliche Vermehrung erfahren haben. 5 Es scheint mehr als eine Laune des Zufalls zu sein, daß just diese beiden einzigen Stücke sich heute in der ehemaligen Leninbibliothek in Moskau befinden. 6 Sie sind ein deutliches Indiz dafür, daß weitere Bestände des Kantzimmers im stadtgeschichtlichen Museum 7 den 2. Weltkrieg und die ersten chaotischen Jahre danach 8 überdauert haben. Schließlich sind die Archivalien zu nennen. Das ehemalige Königsberger Staatsarchiv bildet heute 9 - nahezu komplett 10 - die XX. Hauptabteilung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem, der Verbleib des früheren Universitätsarchivs11 konnte während der laufenden Recherchen
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Briefe an Fürstenau zusammen mit dessen Bibliothek einer Papiermühle verkauft und eingestampft." (Zehbe 1970, 8) - Offenbar gemeint ist der in Rinteln an der Weser lehrende Carl Gottfried Fürstenau (17341803), der in der Marburger Debatte des 18. Jhds. um die Kantische Philosophie eine nicht unwichtige Rolle gespielt hat; vgl. dazu W. Stark »Untersuchungen zu Kants Vorlesungen« [in Vorbereitung], b) In der Vorbemerkung zur Erstpublikation von Br. 439 der AA-Kant (an Kästner) schrieb Joh. Erichson: „Nachstehender Brief ist in dem Nachlasse des verstorbenen Probstes Pistorius auf Rügen, eines schätzenswerthen Denkers, der an mehreren Zeitschriften arbeitete und mit Kant im Briefwechsel stand, aufgefunden w o r d e n . " (Erichson 1822, 848) - Briefe Kants an Herrmann Andreas Pistorius (1730-1798) oder dessen Sohn Christian Bradanus Herrmann Pistorius (1763-1823) sind bisher nicht bekannt. Der Lehrer Otto Schöndörffer (1860-1926) besaß Brief Nr. 400. Der Brief und seine Sammlung von frühen Kantdrucken hat den zweiten Weltkrieg überdauert; sie wurde 1961 bei Tenner in Heidelberg verkauft (vgl. »Jahrbuch der Auktionspreise« 1961 und Tenner ΚΑΤ 25). Die Kanthandschriften waren jedoch noch zu einem erheblichen Teil nach Berlin an die A d W zu Zwecken der Edition ausgeliehen, unter anderem die Konvolute A-N komplett. Vgl. dazu auch Teil II. G. Vgl. Komorowski 1980. - Auch die Handschriftenbestände der Altertumsgesellschaft Prussia sind dort deponiert worden; vgl. Berichte über die Verwaltung der StUB Königsberg 1904-1906. Seraphim 1909. Vgl. Herrmann 1936. - Nicht unerhebliche Teile der Bestände der ehemaligen Stadtbibliothek tragen dazu bei, daß heute trotz der mutwilligen Zerstörungen durch die Naziokkupation zwei große polnische, Bibliotheken (Nationalbibliothek in Warszawa, Universitätsbibliothek in Torun) für historische Recherchen zu Kant oder Königsberg als erste Adresse zu gelten haben. Vgl. Tondel 1987; eigene Erfahrungen.
Vor mir liegen Photos, die ich als Antwort auf eine allgemeine Anfrage im Dezember 1986 erhalten habe. Das Photo von Nr. 522 läßt klar erkennen, daß das Original unter der Verlagerung gelitten hat. - Verschiedene Bemühungen, den Weg dieser beiden Stücke zurückzuverfolgen, erbrachten kein Resultat. 7 Vgl. den Katalog von Anderson 1936. 8 Vgl. dazu das sehr lesenswerte Zeugnis von Michael Wieck (1988). 9 Zur Überlieferung vgl. Forstreuter 1955. 10 Geringe Teile fehlen, u.a. der Bestand „Nachlaß Scheffner", der einige Kant-Autographen enthielt. 11 Die Albertus-Universität gab Ihre Archivalien zu Begin der 1920er Jahre in zwei Lieferungen als Deposita an das Königsberger Staatsarchiv ab; vgl. die handschriftlichen Notizen des Archivars Hein in den Findbü-
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aufgeklärt werden: Zumindest erhebliche Teile befinden sich im staatlichen Archiv (ehemals Wojewodschaftsarchiv) in Olsztyn (Allenstein). 1 Ähnliches gilt für Berlin. Von den Beständen der Staatsbibliothek2 sind u.a. verschollen Teile der Autographensammlung 3 und die Lessing-Sammlung; 4 erhalten sind die Sammlung-Varnhagen in der Jagiellonen-Bibliothek in Krakow 5 und die Sammlung-Darmstaedter 6 überwiegend 7 in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Tiergarten. Die für Kant relevanten Archivalien der alten Berliner Ministerien befinden sich im GStAPK Abtlg. Merseburg (ehemals: Deutsches Zentralarchiv). Überraschend einfach 8 zu beschreiben ist die Überlieferung der Dorpater Briefbände: Sie befinden sich seit der Ausleihe (1895 bzw. 1900) durch die damalige Königlich Preußische Akademie in ihrer Obhut. 9 Die vier weiteren Einzelstücke dieser Provenienz, deren Überlieferung nicht mit Jäsche oder Rink in Zusammenhang steht, sind in der Universitätsbibliothek Tartu (Dorpat) erhalten. 10 In privater Hand befanden sich zur Zeit der Herausgabe des Briefwechsels durch die Berliner Akademie zwei umfänglichere Sammlungen mit Briefen von oder an Kant: Die Hagen-Sammlung wurde 1923 aus dem Nachlaß von Karl Ernst Hagen (18561923) von der Bayerischen Staatsbibliothek in München angekauft; 11 die Gothaer Bernoulliana des Schlosses Friedenstein wurden in den Jahren 1935-38 von der Universitätsbibliothek Basel erworben. 12
ehern Nr. 480 und 480a im GStAPK. Einschlägig sind ferner die Akten des Kuratoriums der Universität (Findbuch Nr. 406). 1 Vgl. Teil III. 2 Vgl. Schmidt 1961. Zu Kant vgl. unten Teil VI A. - Anmerkungsweise möchte ich einen - trotz mehrfacher Bemühungen von Herrn Dr. Miroslaw Zelazny (Torun) leider ohne Folgen gebliebenen - Hinweis mitteilen. Im Frühjahr 1984 ist mir von einem verläßlichen Zeugen in Polen berichtet worden, er selbst habe in seiner Jugend ca. 1947/48 in Kolobrzeg (Kolberg) Kant-Handschriften mit dem Stempel der Berliner Staatsbibliothek in Händen gehabt. Die Manuskripte befanden sich damals bei einem Herrn Frankowski. 3 Die erhaltenen Teile befinden sich in der Jagiellonen-Bibliothek in Krakow. Nach einer freundlichen Mitteilung von Herrn Dr. Zwiercan (Krakow) vom 2.August 1984 sind die Kant-Autographen nicht nach Krakow gelangt. 4 Auskunft der Deutschen Staatsbibliothek Berlin/DDR vom 30.Mai 1983. Vgl. Lessing 1914-1916 und zu den Kanthandschriften hier Teil VI. A. 5 Zum Bestand vgl. Stem 1911; zur Überlieferung Henrich 1977 und Rose 1985. 6 Vgl. Darmstaedter 1909 und Deutsche Staatsbibliothek 1961; I 354. 7 Geringe Reste auch in der Deutschen Staatsbibliothek. 8 Wenn man berücksichtigt, daß noch 1974 bei der großen Kant-Ausstellung in Berlin und München das „Schicksal der großen Masse der vor 1945 in Dorpat verwahrten Originalbriefe - [...] - u n g e w i ß " zu sein schien. (Benninghoven 1976, 217) 9 Vgl. Kirsten 1960, Stolowitsch 1980, Malter 1983; eigene Kenntnis seit 1982. 10 Mitteilung der UB Tartu vom Frühjahr 1985. 11 Es ist bezeichnend für das wenig durchorganisierte Verfahren der Kant-Kommission der Preußischen AdW, daß Adickes als der verantwortliche Leiter der Abtlg. III »Handschriftlicher Nachlaß« nicht davon unterrichtet worden war, daß die Hagen-Sammlung, die der Akademie seit 1898 zur Verfügung gestanden hatte, 1919 an den Eigentümer zurückgegeben wurde. Adickes ist erst durch Zeitungsberichte auf den Erwerb von Kanthandschriften durch die Münchener Bibliothek hingewiesen worden. Vgl. den Briefwechsel zwischen Hagen und Paul Menzer aus dem Jahr 1919 und Adickes A n f r a g e vom 24. Mai 1924 in den Kantiana der Bayerischen SB München. 12 Vgl. Steinmann 1977.
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Erneute Provenienzrecherchen Auf der Basis der gesammelten Materialien und Informationen lassen sich auch begründete Vermutungen über die primäre Provenienz der Briefe an Kant anstellen. Dies ist wichtig, um Art und U m f a n g anzunehmender Verluste abschätzen zu können. In dieser Absicht gilt es zunächst festzustellen, wann genau Kant seine Papiere in jüngere Hände legte. Auch im Bereich der früheren Editoren der Akademie-Ausgabe sind darüber bestimmte Vorstellungen entwickelt worden. Adickes nannte das Jahr 1799 und Menzer dachte an den Anfang des nächsten Jahres. 1 - Im folgenden werden die Gründe, die zu diesen Angaben geführt haben, aufgezeigt und zugleich auf noch ungelöste Probleme in der Recherche des Verbleibs hingewiesen. Es ist zwar in dieser Frage auch heute keine letzte Klarheit zu erreichen, doch sind genügend einschlägige Zeugnisse ermittelt, um deutlich werden zu lassen, daß Kant selbst im hohen Alter an der Überlieferung seines literarischen Nachlasses ein Interesse g e n o m m e n hat. - Beginnend mit den Informationen, die drei der vier Königsberger Kant-Biographien 2 des Jahres 1804 zu entnehmen sind, wird dann zu den drei Bewahrern des literarischen Nachlasses von Kant übergegangen. Schließlich folgt mit einem Blick auf den Königsberger Verleger Friedrich Nicolovius das Ende der historischen Betrachtung der Überlieferung von Kants Korrespondenz. 1 ) Ehregott Andreas Christoph Wasianski (1755-1831 ) Dreh und Angelpunkt ist - auch hier 3 - eine Stelle in Wasianskis Kant-Biographie. In Kants Todesjahr schrieb er mit Blick auf den November 1801: „Die erste Zeit der Übergabe wandte ich dazu an, um mit seinen Angelegenheiten und Papieren bekannt zu werden. Von letztern war nichts mehr vorhanden, als was auf sein Vermögen Bezug hatte. [...] Seine übrigen gelehrten Arbeiten und Papiere hatten zwei jetzt abwesende Gelehrte in Empfang genommen. Von gelehrter Korrespondenz war kein Blatt vorhanden." 4 Nicht nur das; denn es steht auch fest, daß Kant seine eher private Korrespondenz
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etwa
Vgl. Adickes in AA-Kant XIV; S. XXIV; bzw. Menzer in AA-Kant XIII; S. X und 526 f. Dilthey hatte dagegen 1889 die Meinung geäußert, daß Kant schon „im Anfang des Jahres 1800 alle seine noch vorhandenen Concepte, Entwürfe, Reinschriften, Vorlesungshefte, Compendien und Briefe an Rink und Jäsche" übergeben hat. (Dilthey 1889a, 356) Die für andere Belange weitaus wichtigere Biographie von Reinhold Bernhard Jachmann (1767-1843) [Vgl. Vorländer 1918, 19ff.] ist hier nicht einschlägig, denn Jachmann lebte seit 1794 nicht mehr in Königsberg und sein »Achtzehnter Brief«, der Kants letzten Jahren gewidmet ist, hat nicht ihn selbst sondern William Motherby (1776-1847) zum Verfasser. Die von Vorländer 1918, 23 (anscheinend nach Czygan 1892, 127f.) geäußerte Vermutung, daß der von Jachmann als Verfasser nicht benannte „Freund" „höchstwahrscheinlich [mit] Professor Dr. Eisner" zu identifizieren ist, geht fehl. In einem, Vorländer unbekannten, Nekrolog zu Jachmann heißt es nämlich: „Der letzte dieser Briefe, der über die letzten Lebenstage und den Tod Kants spricht, ist aus der Feder des Dr. W. Motherby, des gemeinschaftlichen treuen Freundes beider Männer hervorgegangen." (Pädagogische Blätter 1/1842/315) - Wegen des engen Verhältnisses zwischen William Motherby und R. B. Jachmann und der in anderen Zusammenhängen deutlich erkennbaren Wohlinformiertheit des Nekrolog-Schreibers ist diese Auskunft als glaubwürdig anzusehen. Vgl. Stark 1987c. Wasianski 1980, 246f. [Hervorhebung, W. St.] - Zum Blick auf den November 1801, vgl. ebenda S. 246.
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um dieselbe Zeit Wasianski ausgehändigt hat. Und es kann, bei dem vorliegenden Forschungsstand zur Provenienz „Wasianski", keinem vernünftigen Zweifel unterworfen werden, daß Wasianski diese Papiere - wenigstens zunächst - nicht an Dritte weitergab. 1 2) Johann Gottfried Hasse
(1759-1806)
Hasse, seit 1786 als Professor der philosophischen, später (1788) auch der theologischen Fakultät in Königsberg, scheint erst 1801 mit Kant nähere Beziehungen aufgenommen zu haben. Er gehörte zu den wenigen, regelmäßigen Tischgästen Kants. 2 Von Interesse ist hier seine sehr kurz nach Kants Tod publizierte Schrift »Merkwürdige Aeusserungen Kant's von einem seiner Tischgenossen«. Denn darin berichtet Hasse über ein Gespräch, das er an Büß- und Bettag 1802 mit Kant geführt hat. Er erwähnt, daß Kant den Text einer zwar ausgearbeiteten, nicht aber gehaltenen Predigt
vergeb-
lich unter seinen Papieren gesucht habe: „Seine Papiere waren damahls schon weg, und es war nichts mehr vorhanden, als einige unbedeutende Scripturen, die wahrscheinlich Hrn. Diakonus Wasjanski, sein intimer Freund, an sich genommen hat. Er [Kant] bedauerte es bisweilen, sich so ganz entblößt zu haben. Vielleicht fände sich obige Predigt noch bey Herrn Tieftrunk, oder Rink oder Jäsche, unter den Papieren, die sie bekommen haben. Sie wäre wenigstens eben so werth, gedruckt zu werden, als manches andere."3 Und man erhält eine anders nicht überlieferte Auskunft über den Kantischen Briefwechsel der letzten Jahre: „Fast täglich erhielt er Briefe aus den entfernsten Gegenden, z. E. Holland, Frankreich, Schweitz, Italien, in Sprachen und Zungen, die er bisweilen selbst nicht verstand, sondern sich übersetzen lassen mußte (die italienischen hatte ich den Auftrag zu übersetzen) er beantwortete die wenigsten, ließ die wichtigsten durch Herrn Diak. Wasjanski beantworten, und zuletzt wurde fast auf keinen mehr gerücksichtigt [!]." 4 D e m Kern dieser Angaben wird man - cum grano salis - Vertrauen schenken dürfen; denn der Hinweis auf das fast tägliche Eintreffen wird einerseits überzogen sein, weil die Anzahl der bekannt gewordenen Briefe an Kant für die Jahre 1801-1804 kleiner als 1
Wasianski m u ß weitere unbekannt gebliebene Briefe besessen haben. In seinem Brief vom 17. Februar benennt er z.B. einen der Akademie-Ausgabe nicht zugänglichen Brief: „Ich habe zwar einen Brief gefunden, in dem Herr Inspector Stuard seine Verlobung mit ihr [einer Tochter von Kants Bruder Johann Heinrich] meldet, von der Hochzeit aber ist mir nichts bekannt; [...]." (Lehmann 1980, 196) - Dieser wird die Nr. 896a der AA-Kant gewesen sein.
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Vgl. Vorländer 1918, 30ff. Hasse 1804b, 25 Anm. Hasses Angabe, daß auch der Hallenser Prof. Tieftrunk handschriftliche Materialien Kants erhalten hat, konnte ich weder bestätigen noch widerlegen. In der von Tieftrunk 1799 herausgegebenen dreibändigen Sammlung von Kants »Vermischten Schriften« findet sich keine Spur von eigens übergebenen Handschriften. - Für Hasses Angabe scheinen mir drei Erklärungen denkbar: a) Verwechslung mit Nicolovius, den Hasse auffälligerweise nicht nennt; b) Verwechslung mit Beck, der bis 1799 ebenfalls in Halle lehrte und mit Schreiben vom 18.August 1793 von Kant das Ms. zur sogenannten »Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft« erhalten hatte; c) Hasse hat direkt oder indirekt vom Inhalt des Briefes Nr. 784 (an Tieftrunk, v. 13. Okt. 1797) erfahren, d e r e i n e Entwicklung in diese Richtung vermuten ließ. Hasse 1804b, 30.
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zwanzig 1 ist, und andererseits die Erwähnung der eigenen Übersetzertätigkeit nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist. Hasse gibt nämlich auch richtig an, daß Kant im hohen Alter seine Korrespondenz nicht mehr eigenhändig abfaßte, sondern durch seinen ehemaligen Amanuensis und engen Vertrauten der letzten Jahre Wasianski erledigen ließ. 2 Demnach muß angenommen werden, daß wir heute über die nach dem Weggang von Rink und Jäsche in Königsberg eingetroffenen Briefe nur sehr lückenhaft informiert sind. 3 3) Ludwig Ernst Borowski (1740-1831 ) Auch bei Borowski, dessen Kant-Biographie für die Magisterzeit Kants die einzige umfängliche Quelle darstellt, ist zu erfahren, daß Kant noch zu seinen Lebzeiten „die Konzepte seiner ehedem gehaltenen Vorlesungen und andere Handschriften an Dr. Rink, Jesche u.f. - " gegeben hatte. 4 Außerdem druckt er in seiner Kant-Biographie drei Briefe an Kant aus den späteren Dorpater Bänden ab, Nrn. 478 (von Herbert), 518 (von Biester), 529 (von Bouterwek). Aus einer Anmerkung zum Brief an Maria von Herbert geht jedoch hervor, daß er zur Zeit der Abfassung bzw. Redaktion (vermutlich April bis Juli 1804) nicht in unmittelbarem Kontakt zu dem oder den Bewahrer(n) des Kantischen Briefnachlasses stand. 5 Das Datum der Übergabe Es steht also fest, daß Kant vor dem November 1801 an zwei Personen - Rink und Jäsche - einen Großteil seiner vorhandenen literarischen Papiere, einschließlich der „gelehrten Korrespondenz" ausgehändigt hat. Dieser Befund ist freilich nicht neu; denn bereits Kants Zeitgenossen hatten im Frühjahr 1800 lesen können: „Schließlich darf ich den Freunden und Verehrern der critischen Philosophie, die ihnen wahrscheinlich nicht uninteressante Nachricht ertheilen, dass Herr M. Jähsche und ich, durch die Güte des Herrn Prof. Kant, unsers verehrten Lehrers, in den Stand gesetzt sind, die allmählige Erscheinung seiner Metaphysik, - [...] - seiner Logik, natürlichen Theologie, physischen Geographie, und andrer interessanter Schriften, mit Gewissheit zu versprechen."
Dies steht S. XIXf. in einer Anmerkung der Vorrede zu der von Friedrich Theodor Rink im Königsberger Verlag von Friedrich Nicolovius herausgegebenen Schrift »Mancherley zur Geschichte der metacritischen Invasion«. 6 Ihr Vorwort ist datiert auf
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Vgl. AA-Kant XII; S. XIII-XIV und AA-Kant XXIII; S. XV. Vgl. dazu unten Teil IV A3), den neuen Brief Nr. 15. Vgl. unten S. 29. Borowski [1804] 1980, 84. Borowski 1980, 108: „Daß Kant antwortete, versteht sich; aber ungeachtet meiner mehrmaligen Erinnerungen ward die Mitteilung an mich immer verschoben. Vielleicht findet sich seine Erklärung in seinem Briefnachlasse, den, wie ich höre, Dr. Rink aufbewahrt." Der Anlaß zu dieser Schrift ist ihrem Titel zu entnehmen; er zielt auf Johann Gottfried Herders »Verstand und Erfahrung. Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft« (1799). Deshalb neige ich zu der Annahme, das Motiv für die Übergabe seiner Papiere in Kants spätester Auseinandersetzung mit seinem Schüler der
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den 9. Februar 1800. Die angekündigten Vorhaben wurden nur zu einem geringen Teil ausgeführt. 1 Gut ein halbes Jahr später ließ Gottlob 2 Benjamin Jäsche die Leser im Vorwort (datiert auf den 20. September 1800) zu seinem Buch »Immanuel Kant's Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen« wissen: „Es sind bereits anderthalb Jahre, seit mir Kant den Auftrag ertheilte, seine Logik, so wie er sie in öffentlichen Vorlesungen seinen Zuhörern vorgetragen, für den Druck zu bearbeiten, und dieselbe in der Gestalt eines compendiösen Handbuches dem Publicum zu übergeben." 3 Nicht ganz den gleichen Vorgang hat Rink in einer Passage im Vorwort seiner ersten auf der Basis Kantischer Handschriften gefertigten Veröffentlichung vor Augen. S. XV des ersten Bandes „Zur Jubilatemesse 1802" erschienenen »Physischen Geographie« liest man: „Kant hatte öffentlich gesagt, seine Hefte der physischen Geographie seien verloren gegangen. Dasselbe hatte er ehedeß gegen mich und Andere seiner Freunde geäußert. Vor etwa zwei Jahren aber übertrug er Hrn. Dr. Jäsche und mir die Revision und Anordnung seiner beträchtlich angewachsenen Papiere und Handschriften. Bei dieser Arbeit fanden sich nun, gegen Kants eigne Vermuthung, fast dreifache, zu verschiedenen Zeiten von ihm ausgearbeitete Hefte dieser physischen Geographie vor, aus denen diese Ausgabe hervorgegangen ist." 4 Auffällig ist, daß - bei aller Detailliertheit der Ankündigungen von Jäsche und Rink gar nicht auf die Kantische Korrespondenz angespielt wird. Also ist zunächst unter Berücksichtigung der anzunehmenden Zeit für die Abfassung und den Druck des »Mancherley« nur gewährleistet, daß Kant in der ersten Hälfte des Jahres 1799 Rink und Jäsche als seine eigentlichen Nachlaßbewahrer eingesetzt hat. Sodann wird man weiter - dem Rinkschen Vorwort vom Frühjahr 1802 folgend - annehmen können, daß Kant den genannten Personen einen erheblichen Teil seiner Manuskripte in vermutlich mehreren Etappen ab dem Frühjahr 1800 ausgehändigt hat. - Diesen beiden gilt das Folgende. 4) Friedrich Theodor Rink5 (1770-1811 ) Der Ursprung der engen Beziehung zwischen Kant und Rink läßt sich nicht ganz aufklären. Rink hat zwar in den ersten drei Jahren nach seiner Immatrikulation in Königs-
1760er Jahre, Herder, zu suchen. Vgl. Reicke 1881, Erdmann ( H g ) 1882, 9 - 2 5 und A d i c k e s 1920; 139, 144f. - D i e Aufklärung der in Herders Schrift überdeutlich sichtbaren Polemik g e g e n die Kantische Philosophie ist geleistet; vgl. Muthesius 1920. 1
Vgl. zu diesem Absatz Rinks Brief an den Verleger Vollmer v o m 20. Juli 1800, in AA-Kant XIII 527-9.
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Nicht „Gottlieb", wie das Register in Band XIII der AA-Kant fälschlich angiebt; vgl. Morgenstern 1843.
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Zitiert nach AA-Kant IX 3.
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Hier zitiert nach AA-Kant IX 155.
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A u c h Rinck. Ich f o l g e der Orthographie der A A - K a n t , die z.B. durch das Titelblatt der » A n s i c h t e n « v o n 1805 gestützt wird.
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berg (1. April 1786) auch bei Kant Kollegien gehört, 1 doch ist er - ausweislich seiner ersten schriftstellerischen Arbeiten - eher als Schüler des Orientalisten Johann Gottfried Hasse (1759-1806) anzusehen. 2 Nach dreijährigem Studium an der philosophischen Fakultät der Königsberger Albertina disputiert er dort „pro receptione", und verläßt die Stadt. Über die Gründe berichtet er selbst: „Meine vorzüglichste Neigung war von je her insbesondre auf das Studium der Philologie gerichtet, aber vor allen Dingen gewann die orientalische Litteratur viel Interesse bey mir. Nachdem ich mich mit ihr länger als fünf Jahre beschafftigt hatte, und ich vorzügliche Neigung zum akademischen Leben fühlte, promovirte ich, und erhielt in Königsberg, wo ich studirt hatte, die Doctor Würde in der Philosophie. Noch als ich auf der Universität war, schrieb ich eine Dissertation, De linguarum orientalium cum graeca mira convenientia, welche ich gleich der folgenden, Commentarii in Hoseae vaticinia specimen, öffentlich vertheidigte. Um meine Kenntniß der orientalischen Sprachen soviel als in meinen Kräften stand zu erweitern, glaubte ich, sey nichts nothwendiger, als ein längerer Aufenthalt in einer, mit arabischen und anderweitigen Handschriften, reichlich versehenen Bibliothek. Da ich von Berlin aus keine Unterstüzzung zu einer solchen Reise erhielt, opferte ich einen Theil meines geringen Vermögens auf, und gieng nach Leiden. Hier traf ich im October 1789 ein, und blieb daselbst bis in den September 1790. Ein Empfehlungsschreiben des Herrn Grafen von Herzberg, und die Gefälligkeit der Professoren Schultens und Ruhnken, verschafften mir den uneingeschränkten Gebrauch der orientalischen Handschriften auf meinem Zimmer." 3 Nach weiteren Reisen kehrt Rink erst im Frühjahr 1792 nach Königsberg zurück, hält dort als Privatdozent im Sommer und darauffolgenden Winter (1792/93) Vorlesungen, geht dann aus ökonomischen Gründen als Hofmeister nach Kurland. 4 Zur Jahreswende 1794/95 ist er wieder in Königsberg, wo er außerordentlicher Professor an der philosophischen Fakultät wird. 5 In den folgenden Jahren zählt er, wie schon 1792/93, (vielleicht aufgrund seiner Beziehung zu Hasse) bis zum Sommer 1801 zu den regelmäßigen Tischgästen in Kants Haus. 6 Merkwürdigerweise findet sich kein einziger Hinweis auf eine Verfolgung der Spur „ R i n k " bei den vielfältigen Recherchen zu Kants Nachlaß, die im Forschungsbereich der Akademie-Ausgabe etwa zwischen 1890 und 1930 unternommen worden sind. Dies m u ß verwundern, denn schon 1880 hatte Hans Vaihinger (1852-1933) in seiner Dokumentation »Briefe aus dem Kantkreise« vier Briefe Rinks an Charles de Villers (1765-1815) auszugsweise in der von Reicke herausgegebenen »Altpreußischen Monatsschrift« veröffentlicht. 7 Und schon Jahrzehnte zuvor war von Friedrich Wilhelm 1
Vgl. »Memoria viri [...]« 1 8 1 1 , 6 .
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Vgl. ebenda die Liste der Publikationen, S. 18-20.
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Brief von Rink an Murr v o m 26. Dezember 1791, Berlin (Humboldt U B , Autographensammlung).
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Vgl. die beiden Briefe von Rink an Murr v o m 29. Mai 1 7 9 2 und 26. Mai 1793, Bayerische S B M ü n c h e n (Murriana II). Vgl. PA 6/1795/116.
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Rink 1805, 120.
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Vaihinger 1880a. Vgl. insbesondere S. 2 9 6 A n m . 15: „Sollte sich dieser und andere ähnliche Briefe Kants nicht noch bei den N a c h k o m m e n Rink's auffinden lassen?"
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Schubert (1799-1868) als eine seiner Proben aus Kants Memorienzetteln der letzten Jahre mitgeteilt worden: „Den Sack von meinem Manuscripte aus der Schieblade zu revidiren und sortiren, Prof. Rink." 1 Zwei Umstände machen dieses aus heutiger Perspektive erhebliche Manko verständlich. Einerseits fehlt in dem Rink gewidmeten Artikel der »Allgemeinen Deutschen Biographie« 2 jeglicher Hinweis auf Kant; Rink wird nur als Orientalist geführt. Und zweitens war die Aufnahme dieser Spur erschwert, weil der Name „Rink" nicht das allein ausschlaggebende Merkmal für die Überlieferung einschlägiger Materialien ist. Rinks leibliche Kinder erhielten durch Adoption einen anderen Nachnamen. 3 Dennoch wäre es vor den Zerstörungen der beiden Weltkriege dieses Jahrhunderts leichter möglich gewesen, an die von ihm ausgehenden Fäden anzuknüpfen. Nachgewiesen sind zwei. Der erste: Es ist und war auch der Akademie-Ausgabe bekannt, daß Karl Ludwig Pölitz (1772-1838) aus Rinks Nachlaß Manuskripte erworben hatte. 4 Doch scheint kein Versuch unternommen worden zu sein, über Umstände und Umfang der Danziger Versteigerung des Jahres 1811 Weiteres in Erfahrung zu bringen. Ein Exemplar des gedruckten »Verzeichniß der hinterlassenen Bibliothek des Herrn F. T. Rink, des Danziger Gymnasii Rektors« (Danzig 1811) ist nachgewiesen im systematischen Katalog der ehemaligen Stadtbibliothek Danzig. 5 Der zweite ist zwar weniger manifest jedoch hinreichend deutlich, um erfolgversprechend aufgenommen werden zu können. Rudolf Reicke setzte 1887 an die Spitze seiner Edition von »Losen Blättern aus Kants Nachlass« 18 Stücke, die als „Duis1
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Kant, Werke 1838-42; XI/2 S.162f. - Bei der vielfach beobachteten Nachlässigkeit Schuberts in seinen Abdrucken Kantischer Autographen möchte ich der so nicht verständlichen Notiz durch drei kleine Änderungen den folgenden, präzisen Sinn geben: Den Pack von meinen Manuscripte« aus der Schieblade zu revidiren und sortiren, Prof. Rink. - Unbegründet ist der zu speziell gewendete Deutungsversuch von G. Lehmann in AA-Kant X X 482-483, denn die Memorialnotiz ist notwendig vor den Weggang Rinks aus Königsberg (August 1801) zu datieren. - G. Lehmann übernimmt ohne Zögern Schuberts falsche Jahresangabe „ 1 8 0 2 " , vgl. Schubert 1842, 155. Vgl. Band 28, Berlin 1889, S. 625-6. Rinks Todesjahr ist dort zudem fälschlich mit 1821 angegeben. Rink starb am 27. April 1811 in Danzig; vgl. »National-Zeitung der Deutschen«, 30. St., 25. 7. 1811, Sp. 547-9 und »Memoria viri summe venerabilis atque doctissimi Friderici Theodori Rinkii [...] Danzig 1811« [Exemplar: SBPK, Signatur: At 2335,5], In einem Brief von Johann August von Starck [auch: Stark] (1741-1816) an Friedrich Schlegel (1772-1829), Darmstadt den 28. April 1813, liest man nämlich: „Ich habe meinem Herzen sehr nahe Verwandte zu Königsberg und Großkinder durch Adoption in Danzig, die mir auf der Seele liegen, und von welchen der älteste Sohn, ein schöner junger Mensch von vielen Talenten und großem Fleiß, einst alle meine Handschriften, worunter wichtige Sammlungen der Pariser Bibliotheken sind, erhalten wird. Von diesen habe ich nun schon seit Mitte des Jänners gar keine Nachrichten." (Finke (Hg) 1917, 45f.) Es handelt sich bei dem so erwähnten um Karl Emst August Rinck, Freiherr von Starck, der 1796 in Königsberg geboren wurde, 1814 nach Darmstadt übersiedelte und nach juristischem Studium in Gießen und Jena 1827 zum hessischen Regierungsrath ernannt worden ist. Seine im Hessischen Staatsarchiv (Darmstadt) verwahrten Nachlaßsplitter enthalten keinerlei Kant-Materialien (Auskunft des StA vom 4. Juni 1986). Vgl. AA-Kant XXVIII 1516. Vgl. auch Stark 1987a, 146 Anm. 21 und 156f. Anm. 96. Der gedruckte Katalog (Pölitz 1839) enthält keine Informationen über Handschriften. Der Katalog ist vorhanden in der direkten Nachfolgerin, der heutigen Biblioteka PAN in Gdansk: Band IV: Od, Nr. 169; Signatur: 8° 20184. Dieses Exemplar des Verzeichnisses ist seit 1945 verloren. - 1988 in Polen, der B R D und der DDR unternommene Versuche, ein anderes Exemplar aufzufinden, blieben ohne Erfolg.
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burgscher Nachlaß" in die Kantliteratur Eingang gefunden haben. Bei fünfen davon handelte es sich um Briefe. 1 Reicke konnte die Provenienz nicht letztlich klären, d. h. ihre Überlieferung bis auf Kant selbst zurückführen. Sie waren „im Herbst 1878" bei einem „Bazar zum Besten des Johannisstifts in Ohra-Niederfeld" in Danzig unter dem Rubrum „ein Päckchen mit Papieren, Kantiana enthaltend" aufgetaucht. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts befanden sie sich im Besitz einer Familie von Duisburg. 2 Reicke nahm an, daß diese Papiere zuvor dem Danziger Arzt und Kunstsammler Karl Ludwig von Duisburg (1794-1868) gehörten, dessen Onkel Friedrich Karl Gottlieb von Duisburg (1764-1824) 1784 bis 1787 in Königsberg (vermutlich auch bei Kant) studiert hatte. 3 Mit dem Aufweis dieser Beziehung ist jedoch kein Indiz für die Überlieferung von handschriftlichen Materialien aus dem Kantischen Nachlaß gegeben. Ein solches gewinnt man erst durch die Berücksichtigung der engen Beziehungen, die zwischen dem älteren von Duisburg und dem Danziger Verleger Ferdinand Troschel (17??-18??) bestanden haben. Einerseits war Troschel nämlich Rinks Verleger, und andererseits handelte der ältere Duisburg mit nachgelassenen Bibliotheken. 4 Es ist also durchaus denkbar, daß Troschel von Rink selbst oder von den Erben seiner Bibliothek Kantische Handschriften erhalten hat, die er an den genannten älteren von Duisburg weitergab, die dann in den Besitz des Kunst- und Büchersammlers Karl Ludwig von Duisburg übergingen. Dafür gibt das Datum des Auftauchens des „Duisburgschen Nachlasses" einen deutlichen Anhaltspunkt. 5 Vermutungen beiseite! Fest steht, daß Rinks letzter Brief aus Königsberg an Villers vom 12.-15. August 1801 datiert ist. Er kündigt an, Königsberg „spätstens innerhalb 13 Tagen" in Richtung Danzig zu verlassen. Also wird Rink aus Königsberg noch vor dem Ende des August 1801 abgereist sein. 6 Und kurz zuvor wird Kant auf einem jetzt verschollenen losen Blatt der Berliner Staatsbibliothek notiert haben: „Herr Doctor Friedrich Theodor Rink, seither Prof. der Theol. u. Philos, zu Königsberg hat einen Ruf als Prof. der Theol u. erster Prediger der dreyfalt. Kirche und Vorsitzendem Mitglied des Geistl. Ministeriums zu Danzig erhalten und angenommen." 7 Gesichert ist ferner, daß Rink erst im Mai 1801 damit begonnen hat, 8 Kants Kolleghefte der Physischen Geographie zur Edition vorzubereiten: Allem Anschein nach wurde der Text seiner zweibändigen Ausgabe, die im Frühjahr 1802 erschien, erst in Danzig hergestellt. 9 1 2 3 4
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Nrn. 26 (von J. H. Kant), 47 (Entwurf zum Schreiben Kants an Suckow), 102 (von Bertram), 111 (von Rode), 115 (von Regge). Vgl. Reicke (Hg) 1889, 1-2. Vgl. »Altpreußische Biographie« und die Königsberger Matrikel. Vgl. Das Titelblatt von Rink 1803 und die Informationen zu Friedrich Karl Gottlieb von Duisburg in der »Kritischen Gesamtausgabe von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher«, Abtlg. V, Bd. 1. Briefwechsel 1774-1796. Hg. von Andreas Arndt und Wolfgang Virmond (Berlin 1985). Vgl. unten das Literaturverzeichnis s. v. Duisburg. Vaihinger 1880a, 293-5. Hirsch 1837, 57. Abschrift im Adickes-Nachlaß des Archivs der Berliner AdW. Vgl. Stark 1987c; vgl. auch AA-Kant XII 341 : „mir damals gerade übergeben". Zu Einzelheiten der Edition vgl. Adickes 1911b, 9-32.
Briefwechsel und Provenienz
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Schließlich macht er in seiner Kant-Biographie »Ansichten aus Immanuel Kants Leben« (Königsberg 1805) 1 fortlaufend Gebrauch von Briefen Kants, die rund 100 Jahre später von den Editoren der Akademie-Ausgabe in den Dorpater Bänden nachgewiesen worden sind. An zwei Stellen gibt Rink zu erkennen, daß er über die etwa gleichzeitigen Editionspläne anderer unterrichtet ist. 2 - Für die so naheliegende Annahme, daß Rink zum Zeitpunkt der Abfassung des Textes nicht mehr im Besitz der Kantischen Korrespondenz gewesen ist, spricht eine Äußerung, die er am 20. Februar 1803 in einem Schreiben an Villers einfließen läßt: „Auch die übrigen Kantischen Manuscripte habe ich Jähsche gegeben, [...]." 3 Leider ist daran weder ablesbar, wann genau dies geschah, noch welche Papiere Rink an Jäsche ausgehändigt hat. Daß es nicht sämtliche gewesen sein können, erhellt aus der Tatsache, daß er erst kurz nach Kants Tod im Frühjahr 1804 die Vorarbeiten zu der Preisfrage der Berliner Akademie „Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und W o l f s Zeiten in Deutschland gemacht h a t ? " publizierte. 4 Freilich besteht heute - nach rund 180 Jahren - kaum Grund zur Hoffnung, über Rinks Nachlaß noch unbekannte Kantische Manuskripte oder Briefe aufspüren zu können. Erstens wegen der genannten Versteigerung der Bibliothek im Jahre 1811 und zweitens wegen der Schilderung des ältesten Sohnes von Rink über das Bombardement Danzigs im Januar 1814 am Ende der knapp siebenjährigen Besetzung durch Napoleonische Truppen. 5 5) Gottlob Benjamin Jäsche (1762-1842) Jäsche ist im Februar 1799 von einer längeren Hofmeisterzeit in Kurland nach Königsberg zurückgekehrt. 6 Sein definitiv letztes Semester in Königsberg ist der Winter 1800/01; von der im Juli 1801 angetretenen Reise nach Danzig kehrt er nicht nach Königsberg zurück. Er heiratet in Danzig im April 1802, offenbar unmittelbar nachdem ihm eine Anstellung als Professor zugesichert worden ist. Denn in den Akten des früheren Königsberger Staatsarchivs findet sich eine Kopie der Benachrichtigung der Preußischen Regierung in Königsberg datierend vom 6. April 1802, wonach Jäsche anzeigte, „daß er einen Ruf als Professor bei der neu angelegten Russisch-Kaiserlichen Universitaet zu Dorpat erhalten [...], und zugleich gebeten [habe], selbigen annehmen 1 2
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Die Jahreszahl auf dem Titelblatt täuscht, der Grundtext (bis S. 121) ist offensichtlich noch im Jahr 1804 verfaßt worden; vgl. ebenda S. 121. S. 124: „Gerne ließ ich hier ein Paar dieser Briefe abdrucken. Aber ich darf dem Publikum die Hoffnung machen, daß es dergleichen interessante Stücke seines Briefwechsels, insbesondre aber des litterarischen, in einer besondern Sammlung erhalten werde." S. 145: „Vielleicht gelingt es dem Buchhändler Herrn Nicolovius zu Königsberg, einige Gelehrte, oder ihre Nachkommen dahin zu bewegen, daß sie für jene Sammlung auch Kant's eigne, in ihren Händen befindliche Briefe hergeben." Vaihinger 1880a, 296. Vgl. AA-Kant XX. Herrn Pfarrer Bernd von Kunhardt (Bonn) danke ich für die mir 1986 freundlicherweise übermittelten Passagen aus den erhaltenen, handschriftlichen Lebenserinnerungen seines dreifachen Urgroßvaters. Morgenstern 1843,30.
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zu dürfen." Im selben Aktenstück findet sich auch ein Schreiben der zuständigen Königsberger Finanzbehörde (8. Mai 1802), wonach gegen eine Ausreise keine Einwände bestünden. 1 - Jäsche trat noch im April die Reise nach Dorpat an, wo er am 17. April 1802 ankam. 2 Also wird er in Dorpat ansässig gewesen sein, als in der »Königsbergschen Hartungschen Zeitung« am 7. Dezember 1805 eine von ihm mitunterzeichnete „Aufforderung an die Correspondenten des verstorbenen Professors Immanuel Kant" erschien, die für eine geplante Edition der Kantischen Korrespondenz zu einer Aushändigung der Briefe von Kant aufrief. Die Sammlung sollte von Nicolovius in Königsberg verlegt werden. Über die anderen zur Verfügung stehenden Materialien teilte Jäsche darin mit: „Ich befinde mich im Besitz der zahlreichen Sammlung von Briefen, die von verschiedenen Gelehrten an Kant geschrieben worden; aber Copieen von Kants Briefen selbst sind nicht vorhanden." 3 Mit Blick auf die Napoleonischen Feldzüge in den Jahren 1806-1807 ist es zunächst unwahrscheinlich, daß die Aufforderung in Deutschland allgemeiner 4 bekannt oder gar befolgt worden ist: Die Anzahl der bei Jäsche in Dorpat bzw. bei Nicolovius in Königsberg vorhandenen Korrespondenzstücke wird sich kaum erhöht haben. Das Nicolovius/Jäschesche Vorhaben der Publikation kam nicht nur nicht zustande: Allem Anschein nach hat Nicolovius in Königsberg bald kein weiteres Interesse an Publikationen von Handschriften aus Kants Nachlaß mehr gezeigt, denn er gehört nicht zu den Käufern auf der Versteigerung der Bibliothek von Gensichen. 5 Und andererseits publiziert Karl Morgenstern, der zur selben Zeit wie Jäsche nach Dorpat gekommen ist, in den Jahren 1808-1816, zahlreiche Stücke aus Jäsches Sammlung, die sich heute in den beiden ersten Dorpater Bänden befinden. 6 Anscheinend hat Jäsche diese Handschriften schon zu der Zeit Morgenstern übereignet. In seiner ersten Publikation informiert Morgenstern seine Leser über die Herkunft der Papiere: „[...] zwey folgende ungedruckte Briefe Schiller's an Kant [...]. Ich gebe sie aus des Dichters Handschrift, die aus Kant's Nachlaß durch die Güte meines Freundes Jäsche sich in meinen Händen befindet." 7
Erst rund drei Jahrzehnte später wurde Morgenstern auf weitere Materialien aus Kants Nachlaß aufmerksam. In der Berliner Spenerschen Zeitung teilt er 1846 unter der Überschrift „Kant's allgemeinste Ansicht von unsern heiligen Büchern." mit: „In meiner Privatsammlung von Autographis überraschte mich unter mannigfaltigen Papieren von der Hand Immanuel Kant's, des unvergeßlichen Weisen, auch das bisher 1 2 3
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GStAPK, H A XX, EM 110g J 4. Morgenstern 1843, 32f. Die Zitate nach dem Wiederabdruck in AA-Kant XIII; S. XI. Reicke hatte die „Aufforderung" bereits in seiner schon zitierten »Bohnenrede« des Jahres 1885 wiedergegeben und dort auch - anders als die Akademie-Ausgabe - ihr Datum genannt. Vgl. jedoch unten (Teil IV. A.) meine Anm. zu Brief Nr. 393. Vgl. Warda 1922a. Vgl. unten das Literaturverzeichnis s. v. Morgenstern und den Abschnitt über Tartu, Teil II G. 2). Morgenstern 1808, Anm. 14 zur zweiten Rede. S. 87-89.
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ganz unbekannt gebliebene Concept eines Schreibens, (an wen weiß man nicht) das für nicht Wenige unsrer Zeitgenossen gerade jetzt keineswegs ohne Interesse seyn dürfte. [...] Ich fand es einst unter einem Haufen gelbbraun gewordener und bestaubter einzelner Blätter, die schon vor mehrem Jahrzehnten mir von meinem alten Freunde und Collegen, dem Professor Dr. Jäsche, überlassen waren. Gern enthalte ich übrigens mich jeder weitern Anmerkung, mit einer einfachen, diplomatisch genauen Mittheilung mich begnügend. Berlin, den 10. August 1846. Dr. Karl Morgenstern." 1 Es handelt sich hierbei um den späteren Brief 100 der AA-Kant (aus dem so genannten 'dritten Dorpater Band'). Man darf sich also die Konstitution der drei Dorpater Briefbände so vorstellen: Jäsche hat ca. 1805 aus den bei ihm verbliebenen Briefen und Konzepten diejenigen Materialien zusammengefaßt, die für die gemeinsam mit Nicolovius geplante Korrespondenzausgabe einschlägig sein sollten. Diese Papiere bilden die beiden ersten, voluminösen Ms-Bände. Weitere Handschriften Kants und Briefe anderer, die bei dieser ersten Auswahl unberücksichtigt blieben, wurden später (nach Jäsches Tod 1842) aufgefunden und zu einem dritten, schmalen Band zusammengefügt. In diese Richtung deutet, daß Morgenstern sich in seiner Jäsche-Biographie (1843, S. 57f.) auf den „in nicht geringer Unordnung aufbewahrten litterarischen Nachlass [...] des Verewigten" bezieht. 2 Die bis zur Wende zum 20. Jahrhundert stabile Lage der beiden ersten Dorpater Bände erlaubt es, die Daten der darin enthaltenen Stücke heranzuziehen. Die beiden spätesten befinden sich im zweiten Band, es sind die Nrn. 887 und 888 der AA-Kant vom 29. Juni 1801 bzw. 25. Juli 1801. Diese Daten liegen kurz vor den oben ermittelten Daten der Abreise von Rink bzw. Jäsche aus Königsberg. Und - so ergibt sich zwanglos - sie liefern damit einen deutlichen Hinweis darauf, wann Kant seine Korrespondenz diesem Zweiergespann ausgehändigt hat: Juli/August 1801. Die Tatsache, daß Rink schon vor diesem Datum in seiner Schrift »Tiberius Hemsterhuys und David Ruhnken. Biographischer Abriss ihres Lebens«, die 1801 bei Göbbels und Unzer in Königsberg (Vorrede ist unterzeichnet mit „Königsberg im Februar 1801") erschien, einen (später in den Dorpater Bänden zu findenden) Brief abdruckt, bildet keine Gegeninstanz. Denn diesen einzigen Brief von David Ruhnken (1723-1798) an seinen Königsberger Studienfreund Kant (Nr. 65 der AA-Kant) hat Rink zum Zweck eben dieser Publikation erhalten, wofür er seinem Gönner in der Vorrede ausdrücklich gedankt hat. 6) Johann Friedrich Gensichen (1759-1807) Gensichen, der Erbe von Kants kleiner Bibliothek, starb am 7. September 1807 in Königsberg. Für die Versteigerung der ihm gehörigen Bücher wurde im Februar 1808 ein Verzeichnis gedruckt, worin die von Kant ererbten Bücher separat aufgeführt wa1
Morgenstern 1846a.
2
Vgl. dazu auch die in großer zeitlicher Distanz verfaßte Darlegung zur Konstituierung der beiden ersten Bände in den Jahren 1843-1844, zitiert bei Malter 1983, 4 8 0 Anm. 4. Vgl. ferner hier S. 209.
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ren. Gemäß den von Arthur Warda ermittelten Akten in dieser Sache steht fest, daß zum Schluß der Versteigerung am 28. April 1808 die Königsberger Schloßbibliothek, eine der Vorgängerinnen der späteren Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek, einen Pack „Kantsche Correspondence" für einen Gulden erworben hat. 1 Dieser Pack bildete den Nukleus des Königsberger Kantnachlasses. Dieser, eine in 13 Konvolute gegliederte Sammlung loser Blätter (bezeichnet mit den Buchstaben Α - Ν), ist erst 30 Jahre später von Friedrich Wilhelm Schubert (1799-1868) bei den Vorbereitungen zur Königsberger Werkausgabe ( 1 8 3 8 - 1 8 4 2 , 12 Bde.) zusammengestellt worden. 2 Der 1808 ersteigerte Pack erhielt dabei die Bezeichnung „ N " und umfaßte 63 einzelne Nummern. 3 Er enthält, so weit wie die Angaben von Band XIII der AA-Kant reichen, 4 ausschließlich Briefe an Kant. Das älteste Stück ist der Brief-Nr. 688 mit Datum v o m 15. November 1795 (von Johann Benjamin Erhard, 1766-1827), das jüngste ist BriefNr. 896 mit Datum v o m 10. August 1802 (von Albert Heinrich Reimarus, 17291814). 5 Daraus folgt, daß Kant auch seinen gelehrten Briefwechsel nicht komplett an Jäsche/Rink ausgehändigt hat; ein nicht unerheblicher Teil muß entweder bis zur Testamentsvollstreckung 1804 in seinem Königsberger Haus verblieben oder zuvor schon an Gensichen gegeben worden sein. 6 - Ungeklärt ist, welche anderen Papiere Gensichen noch übernommen hat. Daß er solche außer dem „Konvolut N " auch, ζ. T. vielleicht über den Nachlaß von Johann Schultz, als dessen Schüler er eigentlich zu gelten hat, 7 erhielt, ist schon von Warda angenommen worden. 8
Kants Verlagspost Kant hat über Jahrzehnte hin mit seinen Verlegern eine Art Geschäftspost geführt, 9 die die Publikation seiner Werke betrifft. Unter der hier gewählten Perspektive 1 0 der
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Vgl. Warda 1922a, 11-14. Vgl. Schubert 1838, 530f. Anm. Das unten S. 73ff. zitierte Schreiben von Reicke an Dilthey (vom 12. Januar 1889) gibt die meines Wissens beste Inhaltsangabe. Die Angaben können nicht in allen Fällen zutreffend sein, manche Nummern treten doppelt auf andere fehlen. Die noch zu leistende Aufgabe der Identifikation und Zuordnung bildet einen Bestandteil des oben genannten Datenbankprojekts REFLEXIONEN.
Bei Kuno Fischer (1824-1907) ist zu lesen, daß die Königsberger StUB „über 60 Briefe des Magister Gensichen an K a n t " besessen habe. (Fischer 1909, 146) - Dies trifft nicht zu; es liegt dieser Angabe eine Verwechslung von Provenienz und Inhalt des Konvolutes Ν zugrunde. 6 Soweit derzeit anhand von R E F L E X I O N E N erkennbar, enthält das Konvolut M überwiegend im engeren Wortsinn private Papiere. 7 Vgl. Abegg 1977, 176 und Gensichen, Johann Friedrich: Bestätigung der Schultzischen Theorie der Parallelen und Widerlegung der Bendavidschen Abhandlung über die Parallellinien. Ein Versuch. (Königsberg: Härtung 1786). Auch Wasianski bezeugt die enge Verbindung beider; vgl. Czygan 1892, 136. 8 Vgl. die drei Briefe von Warda aus dem Jahr 1919 an Karl Ernst Hagen (1856-1923) in den Münchener Kantiana. 9 Vgl. Stark 1988, in: Ludwig 1988. 10 Nur hinweisen kann ich hier auf einen Gesichtspunkt, der bei den Arbeiten an der Akademie-Ausgabe nahezu vollständig ausgeblendet blieb. Im 18. Jahrhundert galten mehr oder weniger streng gehandhabte Zensurvorschriften und bei den nicht in Königsberg gedruckten Werken Kants ist versäumt worden, in den einschlägigen Akten der Zensurbehörden (ζ. B. den Universitäten in Halle, Leipzig und Jena) nach Spuren der von den Verlegern zu führenden Korrespondenz wegen der Zensur der zu druckenden Kantischen Schriften
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Überlieferung ist als erstes und zwar recht einfach zu erklären, daß nicht ein Stück aus einer möglichen Korrespondenz mit Johann Jakob Kanter
( 1 7 3 8 - 1 7 8 6 ) bekannt ge-
worden ist: Kant und Kanter wohnten rund 10 Jahre unter einem Dach. 1 Interessanter sind hingegen die Nachrichten, die über Kants Beziehungen mit dem in Riga (ab 1803 in Leipzig 2 ) ansässigen Hartknochschen Verlag vorliegen. Bekannt waren nur 3 Stükke: ein Briefzitat, ein im Text unbekannt gebliebener Brief und nur ein Original. 3 Die »Nachforschungen« erbrachten zusätzlich zwei Quittungen in Abschrift; vgl. dazu hier Teil IV A. 3) Weitere fehlen, obwohl viele Briefe von Johann Georg Hamann (17301788) an den ihm und Kant gemeinsamen Verleger Johann Friedrich
Hartknoch
d. Ä.
(1740-1789) erhalten waren. Die Umstände von deren Überlieferung scheinen zugleich das Fehlen Kantischer Briefe zu erklären. In einem Brief des Direktors des Königl. Historischen Museums zu Dresden, Carl Constantin Kraukling (1792-1873), an Alfred Nicolovius (1806-1890) vom 1. August 1868 erfährt man folgende für die Überlieferung der Briefe Hamanns an Hartknoch wichtige Geschichte: „Als die verstorbene Doctorin Rosenberg einst ihre alte Freundin, die Witwe des Buchhändlers Hartknoch, welche von Leipzig nach Dresden gezogen war, besuchte, fand sie diese von einer gewaltigen Menge kleiner und großer Pakete umlagert, vor ihrer Ofenthiire, im Begriff, all diese Papiere zu verbrennen; sie zog ein Paket zurück und rief: 'Nun, da kommst Du ja gerade zur rechten Zeit. Das sind die Briefe deines Vaters [J. G. Hamann], Willst du sie haben, so nimm sie hin.' Ganz glücklich über diesen Fund, übergab sie mir diese Briefe mit der Bitte, sie durchzulesen und ihr zu sagen, ob sie könnten gedruckt werden." 4 D e m steht entgegen, erstens Zeit und Ort des Bekanntwerdens von Brief Nr. 731 und zweitens
1 2 3
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die Tatsache, daß im Jahre 1961 Briefe von Johann Gottfried Herder (1744-
zu suchen. Während bei den Königsberger Drucken in den Einleitungen der Herausgeber innerhalb der Abtlg. I »Werke« ständig auf die Königsberger Akten zurückgegriffen wird, fehlt eine Benutzung der entsprechenden Quellen bei den auswärtigen Drucken. Nur beim »Streit der Fakultäten« hat Menzer nachträglich die Akten des Hallenser Universitätsarchivs herangezogen; vgl. AA-Kant XIII, 479-481 und Menzer 1919. - Ein Detail ließ sich bisher eher zufällig feststellen. Im Archiv der Universität Jena (Best. M, Nr. 720, Bl. 1) ist in den „ B ü c h e r - C e n s u r - A c t e n " unter dem Datum des 8. August 1794 festgehalten, daß „Kants Vernunft-Religion nur um 2 1/2 Bogen vermehrte A u f l a g e " bei Göpfert gedruckt worden ist. (Mitteilung des Archivs vom 11. Oktober 1990). - Also ist die ζ. B. bei Jachmann [1804] 1980, 171 zu lesende Meinung, daß Kants »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« „mit der Königsberger Universitätszensur" publiziert worden sei, falsch. Vgl. dazu auch hier S. Teil V B. Vgl. Vorländer 1924a, I 181 ff. Schmidt 1902-1908, 378. Nr. 379 vom 1789,09,05; [= Briefzitat aus Nr. 457], Nr. 417a vom 1790,04,12; [Samuel J. Davey 1893 (London)]. Nr. 738 vom 1797,01,28; in der Erstpublikation wird angegeben (Teichmüller 1875, 174); „Die beiden Briefe sind durch die Güte des Hrn. Alexander Bucholz, Studenten des Rechts an unserer Universität [Dorpat], in meinen Besitz gekommen. Und dieser hat den Fichteschen Brief unter hinterlassenen Papieren der Verwandtschaft des Adressaten gefunden. Der Kantische ist durch andere Vermittlung von ihm in Riga erworben." - Der jetzige Fundort ist die Basler UB. Nach Fechner 1990, 556; vgl. den verkürzten Hinweis bei Nadler 1978, 122 Anm. 5. Bei der genannten Elisabeth Regina Rosenberg handelte es sich um eine Tochter von J. G. Hamann, die am 5. Februar 1838 gestorben ist; vgl. Knoll 1988, 302-303. Die Witwe Hartknoch wird mit Elisabeth Hartknoch, geb. Krauß, zu identifizieren sein, Ehefrau des am 23. September 1832 gestorbenen Georg Hartknoch, eines Enkels von Johann Friedrich Hartknoch dem Älteren (1740-1789). Weil die „Witwe H a r t k n o c h " etwa im April 1834 erneut heiratete, wird man annehmen dürfen, daß die Verbrennungsszene zwischen 1832 und 1834 in Dresden stattfand, zu den Daten vgl. Rudolf Schmidt 1902-1908, 374-379.
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1803 an den Hartknochschen Verlag 1 im Historischen Staatsarchiv der damaligen lettischen SSR in Riga ermittelt worden sind. Die Briefe sind jedoch erst 1976 von Arsenji Gulyga publiziert worden. Eine Anfrage in Sachen Kant an das Archiv nach Riga wurde im Sommer 1984 von der Zentralen Archivverwaltung der UdSSR aus Moskau mit einer negativen Antwort beschieden. 2 Den, so weit bekannt, weitaus umfänglichsten Schriftwechsel mit einem Verleger erwarb die Königsberger StUB 1888. 3 Kants Briefe an den kurzlebigen Berliner Verlag von François Théodore de LaGarde (1756-18??) sind die ausführlichsten Dokumente über Art und Weise von Kants Mitwirkung an der Drucklegung seiner Schriften. 4 7) Friedrich Nicolovius (1768-1836) Die zugleich vielversprechendsten und enttäuschendsten 5 Recherchen betreffen jedoch Kants vielfältige Beziehungen zum Verleger seiner letzten Schriften: Friedrich Nicolovius. Seitdem 1837 in Königsberg mit der Herausgabe der ersten Gesamtausgabe Kantischer Schriften begonnen wurde, war bekannt, daß sich im Nachlaß von Nicolovius viele Kantische Handschriften befunden hatten. 6 Schubert ging am 12. Februar 1838 in einem Brief an den in Göttingen lehrenden, ehemals Königsberger Philosophen-Pädagogen Johann Friedrich Herbart (1776-1841) folgendermaßen auf seine Bekanntschaft mit den Kantischen Handschriften ein: „Ich besass von ihm [Kant; W.St.] vielleicht die vollständigste Sammlung der Originalausgaben seiner kleineren Schriften u. hatte viel für seine Biographie gesammelt, da die schauderhaften von Jachmann u. Wasianski mich bisweilen empörend aufregten u. auch Borowski's Abriss, wenn gleich nur auf die frühere Zeit sich beschränkend, mich selten befriedigte. So vorbereitet kam ich zu der Kenntniss mancherlei Original-Papiere u. Schnitzel von Kant's eigener Hand beschrieben, die ich im vorigen Jahre für die Königliche Bibliothek aus Nicolovius' Nachlass ankaufte. Ein genaues Studium derselben vertiefte mich so in Kants Wirken u. Werke, dass ich nun nicht mehr von dem Gedanken loskommen konnte, sein Biograph zu werden u. zur Gesamtausgabe seiner Werke eifrig anzuregen. Der Aufsatz für Brockhaus Taschenbuch über Kants Verhältnisse zu den politischen Studien ist eine weitere Ausführung eines Vortrags in der Deutschen Gesellschaft im vorigen Frühjahre." 7
1
Vgl. dazu Arthur Poelchau, Der Verlag von Johann Friedrich Hartknoch, Buchhändler und Verleger. Mitau, 1762-67. Riga, 1767-1804. Ein bibliographischer Versuch. (Riga 1918)
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G u l y g a 1976; e i g e n e r B r i e f w e c h s e l . - Konsultiert man die Bde. II-VI der »Briefe v o n Herder« (Weimar 1977 ff.), dann wird deutlich, daß von w e n i g e n Einzelstücken abgesehen, Briefe an den Hartknochschen Verlag an nur drei Orten zu finden sind: 1) Nachlaß Herder in der S B P K , 2) Sächsische LB in Dresden 3) Das Historische Staatsarchiv in Riga. Ich nehme an, daß eine Reise nach Riga das Rätsel lösen würde.
3
Vgl. A A - K a n t XIII; S.XV. Zu LaGarde auch: Ischreyt 1972. Die Quelle für die Erwerbung durch die Königsberger Bibliothek ist ungeklärt.
4
Vgl. dazu Stark 1988.
5
Vgl. Freies Deutsches Hochstift 1982. A u c h der Nachlaß von Rudolf H a y m enthält, w i e mir die U B - H a l l e mit Schreiben v o m 9. Januar 1991 freundlicherweise mitteilte, keinerlei Briefe der Familie Nicolovius.
6 7
Vgl. Kant, Werke 1838-42, Bd. I, S. VII und Schubert 1838, 530f. Zitiert nach dem Abdruck in KS 1 7 / 1 9 1 2 / 4 9 3 - 4 . - In Schubert 1838 heißt es S. 530f. in einer Anmerkung: „Sie [die Sammlung eigenhändiger Schriften Kants] befand sich im Nachlaß des zu Königsberg 1836 ver-
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Der Bericht eines zweiten Zeitgenossen informiert genauer über die Umstände des endgültigen Zerfalls des Nicolovius'schen Verlagsarchivs. Er erschien 1850 in den Königsberger »Neuen Preußischen Provinzialblättern«. Es handelt sich um eine Nachschrift zu der auf den 28. Januar 1846 datierten, kurzen biographischen Skizze »Der Banco-Cassirer Friedrich Nicolovius«, die 1846 von W. Bergius, dem jüngeren Schwiegersohn des früheren Verlegers und Buchhändlers, verfaßt wurde. In dem ungezeichneten, vielleicht vom Herausgeber der Zeitschrift und Mitbegründer der Königsberger Altertumsgesellschaft »Prussia«, August Hagen (1797-1880), angefügten Postscriptum heißt es: „Die Bücher, welche Nicolovius nach dem Verkauf der Offizin zurückbehalten hatte, wurden nach seinem Tode methodisch verschleudert und im eigentlichen Sinn verzettelt. Bei Anfertigung des Catalogs, den das Gericht besorgte, legte man die halbjährlich herausgekommenen Meßkataloge zu Grunde. Hier standen die Werke, die in Heften und Bänden nach und nach erschienen waren, in verschiedenen Katalogen und so wurden sie versteigert, also immer Halbes, das gewöhnlich ganz der Maculatur verfällt. Eine merkwürdige, für Autographensammler unschätzbare Correspondenz mit vielen Gelehrten, und Dichtem Deutschlands, in der neben buchhändlerischen Angelegenheiten auch allgemeinere zur Sprache gebracht wurden, wanderte in den Gewürzkram."1 Auf Kant zurückgehende Unterlagen werden weder von Bergius noch in den Nachschriften erwähnt. Vermutlich sind sie also nicht von den übrigen Papieren getrennt worden und haben deren Schicksal geteilt. Diese Auktion war anscheinend bloß eine Vermögensauflösung; von der Familie Nicolovius war niemand anwesend. Auch in Königsberger Gelehrtenkreisen scheint keine Notiz von der Sache genommen worden zu sein. 2 Erst nachdem die Angelegenheit weitgehend abgeschlossen war, wurde Schubert im Jahr 1837 aktiviert. Die so eingetretenen Verluste 3 sind kaum abschätzbar; um so höher zu bewerten ist die zufällige Tatsache, daß für den Sommer 1812 zwei von einander unabhängige Zeugnisse über einen von Nicolovius weder sonderlich gehüteten noch verborgenen Schatz berichten. Barthold Georg Niebuhr (17761831) wandte sich Ende 1811 an Königsberger Freunde und forderte von ihnen „Autographa von Kant und Hippel". 4 Am 8. August 1812 schrieb er an Goethe: „Ich freue mich der guten Gelegenheit Ew. Exzellenz die beyliegenden Handschriften zu übersenden. Zwar von Kant besizen Sie, wie ich höre, schon mehreres, obwohl sein
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storbenen Banco-Cassirers Nicolovius [d.i. Friedrich Nicolovius], der in seinem früheren Geschäfte als Verlagsbuchhändler fast ausschließlich die aus den letzten Jahren Kant's herrührenden Schriften verlegt hatte, und nach dem Tode desselben in den Besitz dieser Handschriften gekommen war, die zum großen Theile aus einzelnen Blättern, Zetteln, beschriebenen Brief-Couverts und Briefen bestehen. Sie sind gegenwärtig durch die geneigte Fürsorge des Curatoriums der Universität Königsberg Eigenthum der Königlichen Bibliothek daselbst geworden, welche schon früher aus dem Nachlaß des Prof. der Mathematik, Gensichen, eines vertrauten Schülers von Kant, Briefe und ähnliche Scripturen Kant's erworben hatte." An: Bergius 1850, 293. Vgl. Ludwich(Hg) 1894. Eine Ausnahme gibt es dennoch; nach Fischer 1939 (Quellenverzeichnis) waren noch in den 1930er Jahren in Rom bei einer „Frau Vielhaber" Briefe von G. H. L. Nicolovius an seinen Bruder Friedrich erhalten. Goethe Jahrbuch 8/1887/91.
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Teil I Nähme in dem Verzeichniß 1 nicht vorkommt, und so ist es vielleicht auch ungewiß ob Sie an dem interessantesten unter den übrigen Stücken etwas neues erhalten. Diese sämtlich verdanke ich meinem Freunde Nicolovius." 2
Dem Brief von Kant (Nr.423 der AA-Kant), mit dem er seinen Verleger anwies, auf der Messe in Leipzig den Druck seiner Streitschrift gegen Eberhard »Über eine Entdeckung, [...]« zu kontrollieren, liegt folgende Notiz zur Provenienz bei: „Hierin ein eigenhändiger Brief des berühmten Philosophen Kant, geschenkt am 28ten August 1827 vom Obristen vom Kampz Commandanten zu Schwerin, der im Sommer 1812 in Königsberg zu Kants Grabe wallfahrtete, sich dort alle Handschriften Kants zeigen Hess und dies Briefchen vom Buchführer Nicolovius erhielt." 3 Diese Freigebigkeit paßt sehr gut zu einer der ersten Charakteristiken, die uns von Zeitgenossen überliefert sind. In der 1856 erschienenen Biographie des Königsberger Pfarrers Ludwig August Kahler (1775-1855) findet sich folgende Stelle: „Mit verschiedenen ehrenwerthen Familien stand die seinige in näherem Umgange, den er gern auch theilte. Unter ihnen sei nur die des Buchhändlers und Bancokassirers Nicolovius genannt, welcher die hier fremd Angekommenen zuerst mit derselben unvergleichlichen Güte empfing, deren Proben von seinem Bruder in Berlin 4 vielfach schon mitgetheilt sind, worin er wie dieser mit derselben unverbrüchlichen Treue bis zum Scheiden beharrte. Der treffliche Mann kannte kaum eine andere Freude, als Andern Freude zu bereiten. Wer von bedeutenden Personen um diese Zeit und schon früher nach Königsberg kam und ihm erreichbar war, mußte im Kreise seiner zum Theil ausgezeichneten Freunde sein Gast sein. [...] Ein ächter Königsberger nach alter Art, der mit eifersüchtiger Liebe und rührender Begeisterung an seiner Vaterstadt hing, aber auch, was er konnte, mit eigener Aufopferung zu ihrem Ruhm that." 5 Es würde das hier vorgesetzte Ziel übersteigen, wenn nun die zahlreichen, vielfach vagen, kein geschlossenes Bild erlaubenden Indizien, die von Nicolovius ausgehen, oder dorthin zurückweisen, sämtlich vorgeführt und im einzelnen besprochen würden. 6 Stattdessen möchte ich mit einer kurzen Überlegung schließen. Als Verleger war Nicolovius an einer ganz bestimmten Sorte von Manuskripten interessiert - an druckreifen! Zumal dann, wenn Schuberts Angabe, daß Nicolovius „schon in den letzten Lebensjahren Kant's den Gedanken einer Gesammtausgabe der Werke Kants gefaßt h a t t e " , 7 verläßlich ist. Außerdem m u ß er, denn Rink wird man
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Vgl. Schreckenbach 1961, 17f.: Auf einem im Dezember 1811 gedruckten Verzeichnis wird Kants Name nicht genannt. Goethe hatte schon im Februar 1810 durch Vermittlung von Wilhelm Humboldt KantAutographen aus dem Vorbesitz von William Motherby erhalten; vgl. Schreckenbach 1961, 117-118. Goethe Jahrbuch 8/1887/91. Das Original liegt in der UB-Rostock; Abdruck bei Kohfeldt/Busse 1904. Der »Deutsche Biographische Index« kennt unter „Kamptz" verschiedene Militärs, deren Lebensdaten es erlauben würden, sie mit dem Genannten zu identifizieren. Auf weitere Recherchen habe ich jedoch verzichtet. D.i. Georg Heinrich Ludwig Nicolovius. Kahler 1856, 106. Vgl. dazu unten Beilage A. Schubert 1857, 54; vgl. Schubert 1858, 59.
Briefwechsel und Provenienz
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nicht als Herausgeber der Sammlung von 1807 ansehen dürfen, 1 Drucke von Kants kleineren, vor 1770 erschienenen, Schriften zur Verfügung gehabt haben; dazu sogar das Manuskript der frühesten geschlossenen Abhandlung Kants »de igne«. 2 Eine gute Stütze findet diese Überlegung in der Überlieferung der von Kopisten angefertigten Druckvorlagen oder eigenhändigen Reinschriften Kantscher Publikationen (bei einer leicht zu erklärenden Ausnahme 3 ). Nur für von Friedrich Nicolovius verlegte Werke aus der Zeit von 1790 bis 1798 sind derartige Handschriften bekannt geworden. 4 - Ich neige hier zu der Annahme, daß Kant selbst es war, der diese Papiere seinem Nachbarn und ehemaligen Schüler 5 in der zweiten Hälfte des Jahres 1800 übergeben hat. 6 Und ich möchte vermuten, daß auch das am 9. August 1802 in Königsberg erworbene „Lose Blatt Krakau" aus dieser Quelle stammt. 7 Ähnliches gilt von dem „Losen Blatt Puttlich".» Mit der dargelegten Station Nicolovius ist ein erstes, wichtiges Zwischenergebnis der gegenwärtigen Nachforschungen erreicht. Denn sie begründet die These, daß nur ein vergleichsweise geringer Teil des Kantischen Nachlasses den Weg in eine gesicherte Überlieferung gefunden hat. Man darf mit guten Gründen annehmen, daß zu dem Zeitpunkt, als Kant starb, noch wesentlich mehr seiner Manuskripte existierten, als später der Forschung verfügbar wurden. Für den Briefwechsel kann eine vergleichbare These so nicht begründet werden. Die Erfassung in einer Datenbank erlaubt es jedoch, relativ rasch einen statistischen Einblick in Kants Verhalten als Korrespondent zu gewinnen.
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Es handelt sich dabei (Vgl. Warda 1919b) um eine bloße Titelauflage. Ein Herausgeber nennt sich nicht; also gibt es keinen Grund eine vom Verleger verschiedene Instanz einzuschalten. Vgl. dazu S. 64 dieses Bandes. Die Schrift ist nicht enthalten in der Königsberger Sammlung des Jahres 1807 (Vgl. Warda 1919b). Sie wird erstmals publiziert von Gustav Hartenstein in der ersten der zwei Leipziger Werkausgaben. Anscheinend spielten bei diesem Verzicht im Königsberg des Jahres 1807 Pietätsgefühle gegenüber Kant noch eine erhebliche Rolle. Nur ein Brief (Nr. 136 der AA-Kant an den 1805 gestorbenen Hofprediger Wilhelm Crichton) ist aus dem Ms abgedruckt. Die Druckvorlage zu »Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie«. Sie wurde von Christoph Martin Wieland (1733-1813) dem Herausgeber des »Teutschen Merkur«, worin der Aufsatz 1788 erschienen ist, überliefert und gelangte ca. 1904 in den Besitz der Berliner Staatsbibliothek; vgl. Ortner 1904 und AA-Kant VIII489-90. Vgl. Stark 1988, in Ludwig 1988. Vgl. Czygan 1902. Bei Schubert 1857, 54 ist anmerkungsweise zu erfahren: „Nicolovius hat selbst auf den blauen Deckel des Exemplars [von Kants durchschossenem Exemplar seiner »Beobachtungen« von 1764; W.St.] geschrieben: 'den 18. Septbr. 1800 erhalten,' also wohl unmittelbar aus Kant's H a n d . " - Abweichend davon liest man in Rosenkranz' Vorrede zu seiner Ausgabe der »Kritik der Urteilskraft« und der »Beobachtungen« [= Bd. IV (1838), S. VI der bei Voss in Leipzig erschienenen „ K ö n i g s b e r g e r " Kant-Ausgabe] das Datum „12. September 1800". Vermutlich ist ein Druck- oder Abschreibefehler die Ursache der geringfügigen Differenz. Mit dieser Datumsangabe ist möglicherweise auch eine zeitliche Bestimmung für einige Notizen Kants gegeben, die sich auf einigen Zettelchen des Konvolut L der ehemaligen StUB Königsberg befanden. Nach Adickes Abschriften (NL-Adickes, Archiv der Berliner AdW): L 32 „Die Bücher werden durch H. Wasiansky und Nicolovius Morgen in Ordnung gebracht werden." / L 48 „Wie ist die Nicolovische Buchladen Sache zu reguliren?" / L 54 „NB Nun sind noch die Ungebundenen Schriften zu verzeichnen." Vgl. Lehmann/Weyand 1959-60, 11 und von der Gablentz 1961-1962. Vgl. Warda 1903c, 545-547.
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Teil I
Kurze Beobachtungen zur erhaltenen Kantischen Korrespondenz Auf der derzeitigen Datenbasis ergibt sich zunächst, daß Kant nur mit wenigen seiner Korrespondenzpartner mehr als ein paar Briefe in je aktuellem Bezug gewechselt hat. Stuft man somit als interessant nur diejenigen Adressaten ein, an die wenigstens vier Briefe gerichtet sind, dann ergibt sich die folgende alphabetische Tabelle Name
Zeitraum
Anzahl
Name
Zeitraum
Anzahl
Beck Biester Borowski Fichte Friedrich II Herz Hippel Kiesewetter LaGarde
1791-1796 1781-1794 1760-1792 1792-1794 1756-1772 1770-1790 1784-1795 1790-1800 1789-1795
10 8 5 4 4 21 9 12 19
Linck Mendelssohn Nicolovius Reinhold Reusch Schütz Schultz Tieftrunk
1784-1793 1766-1783 1790-1800 1787-1795 1774-1788 1785-1797 1781-1798 1797-1798
4 4 10 11 8 4 13 6
Summe
152
Darin ist knapp die Hälfte der Gesamtzahl 1 (320) der nicht-amtlichen Briefe Kants erfaßt. Rasch ist zu sehen, daß die 17 Personen der Liste in nur wenige sich kaum überschneidende Gruppen zerfallen. Friedrich II fällt als Gesprächspartner aus: Die vier Briefe betreffen ausschließlich dienstliche Angelegenheiten. Ähnlich verhält es sich mit Hippel und Linct. An sie wendet sich Kant in der Fürsorge um Studenten. Verleger oder Redakteure von Zeitschriften sind LaGarde und Nicolovius bzw. Biester und Schütz. Als tatsächliche Schüler, d. h. Hörer von Kantischen Vorlesungen, sind Beck, Borowski, Herz, Nicolovius sowie mit gewissen Einschränkungen Fichte, der sich in Königsberg nicht immatrikuliert hat, nachzuweisen. Es bleiben übrig Moses Mendelssohn (1729-1786), Karl Leonhard Reinhold (1758-1823), Carl Daniel Reusch (1735-1806), Johann Schultz (1739-1805) und Johann Heinrich Tieftrunk (1760-1837). Reusch und Schultz sind Königsberger Kollegen Kants, und der Schriftwechsel mit ihnen ist überwiegend speziellen Themen gewidmet. Nimmt man Mendelssohn auch aus, weil die vier Briefe an ihn in zwei klar zu trennende Perioden (Mitte der 1760er, Mitte der 1780er Jahre) fallen, so kommen nur die beiden etwa eine Generation jüngeren Professoren Reinhold (Jena bzw. Kiel) und Tieftrunk (Halle) als relevante philosophische Gesprächspartner in Frage. Inhaltliche Probleme seiner Schriften hat Kant darüber hinaus nur noch mit seinen bereits angesprochenen Schülern Herz, Kiesewetter und Beck, die in Berlin bzw. Halle oder Rostock lehrten, erörtert.
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Entwürfe zu sonst im Text bekannten Briefen bleiben unberücksichtigt.
Briefwechsel und Provenienz
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Die chronologische Verteilung ist nicht weniger bedeutsam: Bis zum Jahr 1769 einschließlich sind 19 Briefe 1 bekannt. Aus dem Jahrzehnt 1770-1780 datieren 41 Stück. Zwischen 1781 und 1790 hat Kant wenigstens 103 Briefe geschrieben. Bis 1799 folgen 139 weitere und für die letzten Jahre verbleiben schließlich noch einundzwanzig. Eine dritte Beobachtung ist aus anderen Gründen wichtig: Kant hört gegen Ende des Jahres 1801 auf, seine Briefe eigenhändig zu schreiben. Wie so vieles übernimmt auch dies sein späterer Testamentsvollstrecker Wasianski. Nur eine, so gesehen bestätigende, Ausnahme ist mir aufgefallen. Rink teilt Villers am 12. Februar 1802 mit, daß er von Kant einen „eigenhändigen" Brief 2 erhalten habe.
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Unberiicksicht bleiben amtliche Schreiben und Druckbriefe.
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D i e Akademie-Ausgabe zählt diesen, im Text unbekannten als Nr. 890a. Vgl. die dazu in Bd. XIII angegebene Stelle.
TEIL II:
Nachforschungen zu Kants handschriftlichem Nachlaß An die Stelle historischer Wahrheit will man Mythen oder Legenden setzen. (Paul Menzer 1928)
A. Grundzüge der Überlieferung bis 1945 Der Sachabhandlung möchte ich eine kurze, aber notwendige terminologische Reflexion voranschicken. - Unter Archivaren und Bibliothekaren besteht keine völlige Einigkeit darüber, was im jeweiligen Tätigkeitsbereich als „Nachlaß" zu gelten hat. 1 Die strenge Vorstellung einer kompletten, in sich geschlossenen, aus einer einzigen Provenienz (nämlich der des Nachlassers) stammenden Einheit scheint auf Kants Nachlaß nicht anwendbar. So ist ζ. B. die von Wolfgang A. Mommsen vertretene Bestimmung, gemäß der ein Nachlaß nur dasjenige enthalte, „was bei dem Nachlasser im Laufe seines Lebens an Schriftgut anfiel, was sich bei seinem Tode in seinem Schreibtisch, in Aktenregalen oder im Keller und auf dem Boden vorfand",2 ungeeignet, wenn es gilt, einen Nachlaß zu rekonstruieren. Sie ist hier offensichtlich nicht anwendbar, denn in die Definition des Begriffs sind die von mir hervorgehobenen Bedingungen von Raum und Zeit eingegangen. Für die Nachwelt ist aber das Datum des Todes einer bestimmten Person genauso unerheblich wie der Ort, an dem sich bestimmte Papiere zu eben dem Zeitpunkt des Todes befanden. Entscheidend ist allein die Tatsache als solche. Infolgedessen faßt ein verbreiteter, unscharfer Sprachgebrauch unter „Nachlaß" die Gesamtheit derjenigen Materialien zusammen, die eine bestimmte Person der Nachwelt quasi unabsichtlich überlassen hat. Etwaige Werke - gleich welcher Art sind dagegen vom Urheber in vollem Bewußtsein „der Welt gegeben" und zählen nicht zum „Nachlaß". Ich folge dem verbreiteten Sprachgebrauch und verstehe unter dem „handschriftlichem Nachlaß" die Gesamtheit aller von einer bestimmten Person in der Nachwelt überhaupt auffindbaren, handgeschriebenen Schriften und Notizen, und spreche hier meist kurz vom „Nachlaß". Ein derartiger „Nachlaß" umfaßt die Gesamtheit alles irgendwie erreichbaren, je von einer bestimmten Person schriftlich Fixierten - und zwar unabhängig von der Art der Tradierung (als Autograph, als Abschrift, Photo oder Druck). Ein derartiger, künstlich herzustellender Nachlaß wird kaum je von einem bestimmten Menschen erreichbar sein. Und es wird von der jeweiligen Person und ihrer Stellung in Kultur und Gesellschaft abhängen, in welche Teile ihr „Nachlaß" zu gliedern ist. Für meinen jetzigen Zweck nehme ich eine weitere Vereinfachung vor und 1 2
Vgl. Dachs 1970, 15-18. Mommsen 1971, S. XIV.
Grundzüge der Überlieferung
39
lasse die bei Kant klar abgrenzbaren amtlichen und die mit der Vorlesungstätigkeit zusammenhängenden Vorgänge (Quittungen, Zeugnisse o.a.) sowie die bewußt anderen Personen zugedachten Mitteilungen (abgeschickte Briefe, Widmungen eigener Bücher o. ä.) außer Acht. Der so verbleibende Nachlaß teilt sich in nur zwei Mengen von Materialien; solche (a) die Kant noch zu Lebzeiten zu unterschiedlichen Zwecken an andere Personen gab, (b) die nach dem 12. Februar 1804 in Kants Haus vorgefundenen Handschriften. „Kants Nachlaß" ist einerseits eine klar umrissene, durch den Tod abgeschlossene Menge von Papieren, andererseits - aus der Perspektive der Nachwelt - ein prinzipiell unabgeschlossenes, dynamisches Gebilde. Für die Forschung hat dies zur Folge, daß jedes Wissen um Kants Nachlaß einer ständigen Wandlung unterworfen bleibt. Weil Kants Nachlaß zudem nicht in einer geschlossenen Traditionslinie weitergegeben wurde, wird es für die folgende Darstellung hilfreich sein, zwischen primären und sekundären Provenienzen zu unterscheiden. Mit dem Adjektiv „primär" wird diejenige Überlieferung gekennzeichnet, die unmittelbar auf Kant selbst zurückgeht. Unter „sekundär" rangieren alle weiteren Traditionszüge. Kants eigenes Interesse Für eine Beschäftigung mit Kants Nachlaß ist es nicht unwichtig, darüber informiert zu sein, ob und wann Kant selbst daran dachte, das weitere Schicksal seiner Papiere zu regeln. Die früheste Nachricht über eine entsprechende Absicht ist überliefert durch eine briefliche Mitteilung von Kants Freund Johann Julius Goeschen (1736-1798), der im Februar 1797 an seinen Sohn Johann Friedrich Ludwig (1778-1837) in Göttingen u. a. schreibt: „Er [Kant] will den kleinen Überrest seines Lebens dazu verwenden, seine Papiere in Ordnung zu bringen und seinen literarischen Nachlaß dem Verleger übergeben."' Eine einschlägige Äußerung von Kant selbst ist acht Monate später bezeugt. In seiner bejahenden Antwort auf den Vorschlag des Hallenser Professors Tieftrunk, eine „Sammlung u. Herausgabe" von Kants „kleinen Schriften" zu veranstalten, trifft Kant Vorsorge für zwei noch nicht edierte Arbeiten: „Es könnte wohl sein daß mich der Tod während dieser Anstalten überraschte. In diesem Falle würde unser Herr Professor Gensichen zwei Abhandlungen in meiner Commode antreffen, deren eine ganz, die andere beinahe ganz fertig liegt (und zwar seit mehr als zwei Jahren) über deren Gebrauch er alsdann Ihnen Nachricht geben würde doch bleibt dieses unter uns; denn vielleicht gebe ich sie noch bei meinem Leben heraus." 2 1
Vorländer 1924a, II 270.
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AA-Kant XII 208, vgl. die detaillierteren Bemerkungen des Entwurfs in AA-Kant XIII 464. Die Identifikation der beiden Abhandlungen ist strittig, vgl. Schöndörffer (Hg) 1986, 884; Brandt 1987b, 65-66. Kandidaten sind die beiden ersten Teile d e s »Streit der Fakultäten« (erschienen 1798) und die 1804 posthum von Rink edierten Entwürfe zur Beantwortung der Preisfrage der Berliner Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1791: » W e l c h e s sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und W o l f s Zeiten in Deutschland gemacht hat?« (AA-Kant X X 2 5 5 - 3 3 2 ) .
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Teil II
Zu Beginn des Jahres 1798 ist Kant mit der Neukonzeption 1 seines Testamentes beschäftigt. In den bekannt gewordenen Entwürfen werden zwei jüngere Kollegen Kants, Johann Friedrich Gensichen oder Karl Ludwig Pörschke, als Testamentsvollstrecker und Erben der Bibliothek vorgesehen. An den fragmentarischen Formulierungen ist abzulesen, daß Kant in dem entsprechenden Passus auch das Schicksal seiner Manuskripte zu bestimmen dachte: „imgleichen meinen nicht sehr erheblichen ganzen Biichervorrath sammt meinen Manus k r i p t e n über sie nach Belieben doch nicht durch öffentliche Auction unter meinem Nahmen zu verfügen wozu ich noch das Mahognie Bureau m." (AA-Kant XIII 562f.) „meinen ganzen nicht sehr erheblichen Büchervorrath mein Mahogny bureau mit allem was darinn ist" (AA-Kant XIII 563) „dem ich meinen ganzen Büchervorrath und Papiere mein Bureau und [bricht ab]" (AA-Kant XIII563) Im definitiven Testament vom Februar 1798 wird Johann Friedrich Gensichen (17591807), ersatzweise Karl Ludwig Poerschke (1751-1812), zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Es enthält mit Ausnahme des letzten Satzes nur Bestimmungen über das unmittelbar in Geld ausdrückbare Vermögen. Er lautet: „Von der Vererbung meines übrigen Hausgeräthes nehme ich doch meinen ganzen Büchervorrath aus als den ich dem Herrn Professor Gensichen vermache." (AA-Kant XII 384) Die Vermutung liegt nahe, daß Kant, weil der Wortlaut des Testaments keine Verfügung über etwaige Handschriften enthält, entschlossen war, die Papiere noch zu seinen Lebzeiten zu vernichten, wegzugeben oder zu publizieren! - Das Manuskript zu seiner letzten eigenständigen Veröffentlichung hat Kant im Sommer 1798 druckfertig gemacht, 2 und die Vorrede zu dieser »Anthropologie« beschloß er mit einer Anmerkung, die von Zeitgenossen zutreffend als Abschiedswort des Autors Kant verstanden wurde. 3 Kultur und Wissenschaft Ein wissenschaftliches Interesse, Einblick in die Überlieferung von Kants handschriftlichem Nachlaß zu gewinnen, läßt sich bis zum Beginn der ersten, der Königsberger Werkausgabe zurückverfolgen. Friedrich Wilhelm Schubert 4 hat im 1842 erschienenen Band XI/1 »Briefe, Erklärungen. Fragmente aus seinem Nachlasse« diesem Gegenstand knapp 3 Seiten (217-219) gewidmet. Er konstatierte nur drei Überlieferungsstränge „Gensichen als Erben der kleinen Bibliothek", „Nicolovius als Verleg e r " und Pfarrer „Wasianski als Executor des Testaments". 5 Diese Auffassung ist,
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Vgl. AA-Kant XIII 552-554, 559. Abegg 1977, 146. Vgl. ζ. Β. den Brief von Mosqua an Kant vom 2. Juli 1800, AA-Kant XII 314. Schubert (1799-1868) war von Haus aus Historiker; sein Mitherausgeber, Karl Rosenkranz (1805-1879) jedoch Philosoph aus der Schule Hegels. Schubert; in Kant 1838-42 XI/1, 217.
Grundzüge der Überlieferung
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wie schon gezeigt, 1 in wesentlichen Teilen falsch. Denn Schubert wußte zu der Zeit zwar um die Existenz von zwei durchschossenen, von Kant zu Lehrzwecken benutzten Büchern 2 in der Universitätsbibliothek Dorpat; aber er nahm an, diese seien dorthin „ v e r k a u f t " worden. 3 Völlig unbekannt war ihm die Tatsache, daß auch die Familie Kant, d. h. die Nachfahren von Kants Bruder Johann Heinrich (1735-1800), im Erbgang wichtige Manuskripte erhalten hatte. 4 Nicht erkannt hat Schubert (1842) zudem die volle Bedeutung der Tatsache, daß Kant noch zu Lebzeiten begann, seinen Nachlaß an jüngere Freunde weiterzugeben. Dieses Manko hat eine fehlerhafte Abschätzung von Art und Umfang der Handschriften zur Folge. Schubert schreibt: „Der Nachlass bestand bei dem Tode Kant's aus mehreren Tausenden Papierstreifen, wie er sie theils zum Gebrauche für seine Vorlesungen zu beschreiben pflegte, theils nur in solcher Weise die ersten Entwürfe zu seinen Arbeiten machte oder für bereits gedruckte Werke zu Veränderungen, Erweiterungen, neuen Beispielen u. dgl. gebrauchte. Dazu kamen wenige zusammenhängende Bogen, die in seine früheren Docenten-Jahre hineingehörten [...]. Endlich fanden sich einige Lehrbücher und ältere eigene Schriften vor, die er für seine Vorlesungen gebraucht hatte und die auf den Rändern des Textes und den eingeklebten Papierblättern voll beschrieben waren. Nur die letzteren sind wohl theilweise auch von Kant selbst noch in seinen letzten Lebensjahren verschenkt worden. Eine Veräusserung oder testamentarische Vertheilung des schriftlichen Nachlasses hat nicht statt gefunden." 5
Knapp ein halbes Jahrhundert später (1889) hat Wilhelm Dilthey die damaligen Fundorte unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich bekannt gewordenen Umstände zur Überlieferung vorgestellt. Er nennt die Königsberger Universitätsbibliothek, wo „naturgemäss [das meiste] zusammengeflossen" sei; Dorpat, wohin aus „Gensichens Besitz" ein Exemplar von Baumgartens Metaphysik „durch K a u f " gelangte; eine Rostocker Sammlung und das kürzlich von „Prediger Dr. Krause in Hamburg" erworbene „unvollendete Manuscript Kants vom Uebergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik". Schließlich weist er daraufhin, daß anderes „in die Hand von Autographensammlern gelangt" sei. 6 1 2 3
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Vgl. dazu S. 22ff. dieses Bandes. Es sind dies: G.F. Meier, Auszug aus der Vernunftlehre, Halle 1752 und A.G. Baumgarten, Metaphysica, 4. Auflage, Halle 1757. Schubert; in Kant 1838-42 XI/1,218. Schubert bezieht sich auf eine schriftliche Mitteilung des Dorpater Professors Karl Morgenstern (1770-1852) an ihn vom 22. Februar 1838. Dieses Unwissen ist erstaunlich, denn Jäsche selbst hatte in der Vorrede seines 1800 publizierten Buches »Immanuel Kant's Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen.« deutlich gemacht, daß er Meiers »Auszug« und Baumgartens »Metaphysica« direkt von Kant erhalten hatte. (Vgl. AA-Kant IX 3 und 10). Eine Erklärung ist möglicherweise darin zu sehen, daß Karl Rosenkranz im 1838 erschienenen dritten Band der Königsberger Werkausgabe zwar den Text »Immanuel Kant's Logik« nicht jedoch die Vorrede des Herausgebers aufgenommen hat, so daß Schubert Jäsches Informationen nicht präsent waren. Vgl. Schubert 1858 in Korrektur zu Schubert in Kant 1838-42 XI/2, 160-161. Kant; Werke 1838-42 XI/1, 217. Dilthey 1889a, 356-359. In der Überlieferungsgesc/i/c/tfe blieb Dilthey den Angaben von Schubert verhaftet. Er schied einen kleineren Teil von Papieren, die Kant selbst „an jüngere Freunde" gab, von der „Hauptmasse", die nach Kants Tod „an drei Personen über[ging]". (Dilthey 1889c, 369-370). D. h., einerseits Jäsche / Rink und andererseits Gensichen, Nicolovius und Wasianski. Vgl. Vorländer 1924a, II 342-3.
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Teil II
Auch diese Darstellung war im Detail unzutreffend, und sie litt an einer grundsätzlichen Schwäche. Ihr fehlte der unverzichtbare Rückgang auf die primären Quellen, aus denen allein sicheres Wissen um die Überlieferungszüge des Kantischen Nachlasses geschöpft werden kann. Auch Dilthey konnte ohne diese nichts anderes bieten als eine Rückprojektion des Ist-Zustandes von 1889 auf Kants letzte Jahre. Klarheit und Bestimmtheit gewann erst Arthur Warda, als es ihm vermutlich zu Anfang 1 des Jahres 1918 gelang, unter den Akten des Senats der Universität ein Faszikel „Acta des Academischen Senats die Verlassenschafts Regulirung des den 7ten Septbr. 1807 verstorbenen Professor Johann Friedrich Gensichen betr. (Litt. G. N o . 4 ) " 2 aufzufinden, woraus die näheren Umstände der Versteigerung der Bibliothek des Erbens von Kants Bibliothek ersichtlich wurden. Sie hat stattgefunden in der Zeit vom 25.-28. April 1808 in Königsberg. Die für den gegenwärtigen Zusammenhang wichtigen Passagen lauten: „Erst am 18. Dezember 1807 fand die genaue Aufnahme des Nachlaßbestandes durch den Universitätsrichter Grube im Beisein von Hermes [Ernst Friedrich, 1736-1813] und des Justizcommissarius Wachowski jun. statt." (S. 12) „Das Auktions-Protokoll befindet sich zusammen mit einem Exemplar des gedruckten Katalogs in den Akten, es enthält die im einzelnen erzielten Preise und bei denjenigen Nummern, die nicht gleich, sondern nach Schluß der Auktion bezahlt wurden, die Namen der Käufer. Nach diesem Protokoll wurde zum Schluß noch ein (nicht im Katalog aufgeführtes) Pack 'Kantsche Correspondence' von der Schloßbibliothek für 1 fl. ersteigert; es ist dies das jetzt als Convolut N. des Kantschen Nachlasses bekannte Konvolut auf der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek." (S. 14) „Von den übrigen Käufern seien nur noch der Ref. Hagen, späterer Regierungsrat Carl Heinrich Hagen (1785-1856), und der Ref. Neumann, wohl der spätere Stadtjustizrat Joh. Carl David Neumann in Königsberg Pr., hier hervorgehoben." (S. 15) „Es ist auch anzunehmen, daß die unter Nr. 846 versteigerten Manuskripte Kants, welche der Oberhofprediger Wedecke für 2 fl. 6 gl. erstand, und die unter Nr. 398-400 aufgeführten Kolleghefte nach Kantischen Vorlesungen noch Kant zugehört haben, ebenso vielleicht auch die Manuskripte des Hofpredigers Schultz Nr. 844 und 845." (S. 16)3
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Warda 1922a. Zum Zeitpunkt der Recherchen vgl. Paleikat 1920, 415 und den gleich erwähnten Brief von Warda an Hagen vom 22. Juni 1919. Warda 1922a, 11. Im faksimilierten Verzeichnis sind Gensichens Bücher beginnend mit der Nummer Nr. 378 aufgeführt. Die Einträge zu den von Warda genannten Nummern lauten: „398 Antropologie (Manuscript) / 399 Naturrecht (Manuscript) / 400 Physische Geographie (Manuscript) / 844 Schulze's Manuscripte über mathemat. Gegenstände. / 845 Schulzens Manuscripte über mathemat. Gegenstände, 6 Packe. / 846 Kants eigenhändige Manuscripte über verschiedene Gegenstände." (S. 16 bzw. 29) Bei dem von Warda nicht näher identifizierten Oberhofprediger Wedeke handelt es sich um Johann Christoph Wedeke (1755-1815), Verfasser der 1803 anonym bei Nicolovius erschienenen »Bemerkungen auf einer Reise durch einen Theil Preussens von einem Oberländer« (Vgl. Wermke 1930, Nr. 229, und seinen Namensartikel in der »Altpreußischen Biographie«, dort auch weitere Literatur.)
Grundzüge der Überlieferung
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Nimmt man alle heute verfügbaren Informationen 1 zusammen, dann ergibt sich folgende - notwendig lückenhafte - zweistufige tabellarische Übersicht des Zerfalls von Kants handschriftlichem Nachlaß. / . Die
Primärprovenienzen 1) Beck 1794 2) Jäsche / Rink, Sommer 1801 3) Wasianski, November 1801 4) Nicolovius,2 Sommer 1802 5) Gensichen, Februar 1804 6) Freundeskreis,3 Februar 1804 7) Familie, Frühjahr 1804
II. Die Sekundärprovenienzen, heutige Fundorte sind kursiviert. ad 1) UB Rostock ad 2) Danzig, Dorpat4 [AdW: Berlin und Göttingen] ad 3) breite Streuung5 ad 4) breite Streuung6 4.1) bis 1836: vgl. oben und (->· Hamburg, StA: Nachlaß Perthes) 4.2) ab 1836: u. a. Schubert (-• UB Königsberg, Rudolf Reicke [?]) ad 5) Streuung, u. a. UB Königsberg;7 Hagen (-> StUB München); Wedeke (-> UB Rostock) ad 6) Streuung, u.a. Goethe (-»· Weimar), Scheffner ( StA Königsberg) ad 7) wenig oder keine Streuung (->· Familie A. Krause, Hamburg-ßonn, HaensellPapiere, Berlm-Göttingen) Ein erstes, zusätzliches Argument für die Richtigkeit dieser Skizze ist in einem kurzen Begleitschreiben des Königsberger Bibliothekssekretärs „Dr. J. Fl. Lobeck" 8 zu sehen. Es belegt, daß im Sommer 1850 in Königsberg kaum noch etwas Marktfähiges aus Kants handschriftlichem Nachlaß aufzufinden war. 1 2 3
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Vgl. dazu Malter/Staffa 1983; Stark 1987c und hier Teil I. Vgl. zu den nähern Umstände S. 32ff. und S. 35 dieses Bandes. In Schuberts Kant-Biographie heißt es über die kleinen Memorienbiicher, deren Kant sich in den letzten Jahres seines Lebens bediente: „[...], von denen mehrere im Nachlasse Kant's aufbewahrt werden, andere gleich nach seinem Tode von seinen näheren Umgebungen als Andenken an den grossen Mann mitgenommen, zum Teil gegen sehr hohe Preise für Sammlungen in England aufgekauft sind." (Kant, Werke 183842, XI/2 161-162.) Dies ist auch als Hinweis darauf zu nehmen, daß auch im Bereich gegenwärtiger Recherchen wenigstens eine große Lücke bleibt. Es sprechen - außer Schuberts Aussage - auch weitere Indizien dafür, daß noch unentdeckte Teile des handschriftlichen Nachlasses im 19. Jahrhundert nach England gelangt sind. Vgl. dazu hier S. 50 (Semple) und S. 270 (Hunt/London). - Nachgewiesen ist derzeit nur der Brief Nr. 396 in der British Library. Vgl. dazu S. 27ff. dieses Bandes. Vgl. dazu Stark 1987c. Wie vorletzte Anmerkung. Durch die Aufschriften der dreizehn Königsberger Konvolute (A-N) steht fest, daß ein Teil der Materialien von der Schloßbibliothek aus dem Nachlaß von Gensichen erworben wurde; vgl. hier Teil VI. B. So die Wiedergabe in Stargardt ΚΑΤ 634, 135 Nr. 476a. Ich vermute einen Lesefehler und möchte die so bezeichnete Person mit dem Königsberger Philologen und zeitweiligem Bibliothekar Christian August Lobeck (1781-1860) identifizieren.
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Teil II „Die Autographe Kant's sind hier schon sehr selten. Es ist mir nur gelungen, dieses Autograph aus einem Exemplare der »Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft«, welches der Verfasser mit dieser Dedication Fischer schenkte, zu erhalten. Königsberg i.Pr. d. 15. Juni 1850"'
Weitere Argumente ergeben sich aus dem nun folgenden Abriß zu einzelnen Fundstellen. Drei ausgewählte Sammlungen außerhalb Königsbergs Die Hagen Papiere (SB München) Am 11. November 1898 ließ Wilhelm Dilthey in der »National-Zeitung« einen kurzen Artikel erscheinen, worin er über eine ungeahnte Quelle handschriftlicher Kantiana berichtete und zugleich dazu aufrief, weitere derartige Materialien der Berliner A d W zur Kenntnis zu bringen. Der Anfang lautet: „Die von der Berliner Akademie der Wissenschaften unternommene Kantausgabe verdankt eine sehr werthvolle Bereicherung ihrer handschriftlichen Grundlagen der Sorgfalt, mit welcher seit 1805 Handschriften Kants in der Familie des bekannten Abgeordneten und Stadtkämmerers Hagen aufbewahrt, und der Liberalität, mit welcher sie jetzt durch die Erben desselben der Akademie zur Benutzung anvertraut worden sind." 2 Aus dem internen Schriftverkehr wird ersichtlich, daß es sich bei den nicht namentlich genannten Erben des Berliner Stadtkämmerers Adolf Hagen (1820-1894) vor allem um den in Charlottenburg ansässigen Direktor der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt Ernst Hagen (1856-1923) handelte. Dilthey s knappe Angaben zur Herkunft der umfangreichen Sammlung (heute in der SB München 3 ) von Drucken und Handschriften gehen sämtlich zurück auf eine briefliche Mitteilung Hagens vom 5. Oktober desselben Jahres 1898. Darin heißt es: „Die Papiere stammen der Hauptzahl nach aus dem Nachlaß des im Jahre 1805 in Königsberg verstorbenen zweiten Hofpredigers an der Kgl. Schloßkirche und Professors der Mathematik Johann Schultz her, von welchem sie auf meinen Urgroßvater mütterlicherseits, den Kriegsrath Linck, u. von diesem auf die Hagen'sehe Familie übergegangen sind." 4 Diese rückblickenden Angaben lassen sich jedoch nicht ganz mit dem Inhalt der Papiere und mit anderweitig ermittelbaren, sicheren (weil zeitgleichen) Informationen in Übereinstimmung bringen. So hat Arthur Warda mit Schreiben vom 22. Juni 1919 von Ernst Hagen genauere Auskünfte erbeten, um „zu erfahren, wann diese Papiere in den
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Stargardt ΚΑΤ 634: November 1985, Nr. 476a. Beiliegend auch drei Schreiben von Arthur Warda, woraus hervorgeht, daß das Vorsatzblatt keinem der 1924 in Königsberg vorhandenen Exemplare entnommen worden ist. (Eigene Einsicht). Nach der Filmkopie in den Kantiana der SB München. - Vgl. auch den Hinweis in KS 3/1899/260 unter Bezug auf den Bericht des Akademiemitgliedes Mommsen vom 7. Juli 1898; Sitzungsbericht 1898, 497. Vgl. dazu S. 293 dieses Bandes. SB München, Kantiana [handschriftlicher Entwurf].
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Besitz der Familie Hagen gekommen sind, wer der erste Besitzer aus der Familie Hagen war." Denn nach „eigenen Nachforschungen" wollte Warda annehmen, „daß die Papiere zuerst 1808 in den Besitz eines Ref. Hagen gelangt sind." 1 Warda spielte an auf die Versteigerung der Bibliothek Gensichens im Frühjahr 1808. Obwohl Hagens Antwort nicht bekannt ist, lassen sich zunächst durch einen Blick in die Genealogie der „Familie Hagen" und weitere Überlegungen Anhaltspunkte über die „Hagen Papiere" gewinnen. Ahnherr ist der Königsberger Apotheker und Prof. für Physik, Chemie und Mineralogie Karl Gottfried Hagen (1749-1829). Er (Matrikel: 23. Januar 1769) hörte u. a. bei Kant Vorlesungen und zählte zu den seltenen Tischgästen in Kants letzten Jahren. 2 Die von ihm „hinterlassene, sehr bedeutende Büchersammlung aus allen Fächern der Naturkunde" ist Ende April 1830 zur Versteigerung gelangt. 3 Zwei seiner Kinder wurden später ( 1825 bzw. 1811) ebenfalls zu Professoren an der Albertus-Universität ernannt: Der Kunsthistoriker Ernst August Hagen (1797-1880) und der Staatswissenschaftler Karl Heinrich Hagen (1785-1856). Heinrich war ein enger Schüler von Christian Jakob Kraus (1753-1807), des Spezialkollegen Kants in der philosophischen Fakultät. Beide genannten Söhne des Gottfried Hagen sind aus je unterschiedlichen Gründen zu den Bewahrern von Teilen des Kantischen Nachlasses zu rechnen. Zunächst zu dem älteren, Heinrich. Ein erstes Indiz für eine besondere Verehrung Kants ist bei ihm auszumachen bereits im September 1804. Er schrieb im Namen vieler Kommilitonen folgenden Brief an den Rektor der Universität: „Wir haben erfahren, daß die Bilder der berühmtesten Professoren unserer Albertina im Matrickelbuche aufbewahrt werden, um selbst die Gesichtszüge der durch Ihre Lehren verdienten Männer der Nachwelt zu überliefern. Wer sollte wohl mehr dieser Ehre werth seyn als Kant, dessen Vorträge unsere Academie, dessen Schriften Königsberg berühmt gemacht haben? Wir nehmen uns daher die Freyheit einem Senatui amplissimo ein Gemälde von Kant zu überschicken mit der ergebensten Bitte, es dem Matrickelbuche einzuverleiben. Mit der größten Hochachtung verharren wir, [...]" 4
Das zweite datiert vom Frühjahr 1808. Heinrich Hagen beteiligte sich an der Ersteigerung von Beständen aus Kants Büchern. 5 Das dritte ist schließlich enthalten in der Mitteilung seines Sohnes Hermann August Hagen (1817-1893), des nach Cambridge/Mass. emigrierten Biologen an den Breslauer Jacob Freudenthal (1839-1907). Freudenthal gab 1879 in der Erstpublikation der späteren Nr. 856 der AA-Kant auch die folgende Erinnerung Hagens wieder. 1
SB München, Kantiana.
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Vgl. dazu das Zeugnis Kants in Teil IV C. Zur Biographie vgl. Karl Gottfried Hagen, Lehrbuch der Apothekerkunst. 8.Aufl. (Königsberg 1829); S. III-VII; Dulk / Hagen 1850.
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»Allgemeine Literatur-Zeitung«. Intelligenzblatt (Halle), Januar 1830,5,Stiick, Sp. 40.
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Matrikel·, S. XXXVIII. Der Rektor Reusch folgte der Anregung. Ein „Brustbild Kants, in Pastellfarben auf Elfenbein gemalt, 9 cm breit und 12,5 c m h o c h " kam in die Matrikel. Ein darauf bezügliches Schreiben von Reusch (an Hagen ?) v o m 27. Sept. 1804 wurde bei Stargardt im N o v e m b e r 1985 an das G S t A P K verkauft (ΚΑΤ 6 3 4 Nr. 476b).
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Vgl. hier S. 42.
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Teil II „Wichtiger, als der hier veröffentlichte Brief, ist eine Mittheilung des Herrn Professor Hagen in Cambridge über ein bis heute unbekannt gebliebenes Werk Kant's. Derselbe schreibt: 'Ein etwa sechs Bogen in 4° starkes Manuscript von Kant, Vertheidigung gegen Hamann's Angriff auf die Kritik der reinen Vernunft, habe ich oft (vor 1849) in Händen gehabt, und ich besinne mich sehr genau, weshalb mein Vater es nicht Schubert gab, mit dessen Ausgabe er nicht zufrieden war. [...] Das Manuscript rührt nicht von meinem Grossvater, dem Freunde Kant's, her, sondern Professor Kraus, bekanntlich einer der vertrautesten Freunde Kant's, hatte es von diesem erhalten und später meinem Vater, der sein Schüler war, übergeben.'" 1
Mit der Nennung von Christian Jacob Kraus als Zwischenträger in der Überlieferung kommt notwendig ein intensiver auch schriftlicher Diskussionsprozeß der 1780er Jahre in den Blick, der an anderer Stelle 2 bereits vorgestellt worden ist. In Unkenntnis dessen hat Benno Erdmann 1882 dafür votiert, die Entstehung des von Hagen beschriebenen Manuskripts in die Zeit nach 1799 zu verlegen, um auf diese Weise das Motiv für Kants Aushändigung seiner Vorlesungsunterlagen an Jäsche und Rink angeben zu können. 3 Unbeschadet meiner Zustimmung 4 in der Erdmannschen Bestimmung des Motivs - Abwehr der Herderschen »Metakritik« - halte ich die Datierung des von Hagen beschriebenen Aufsatzes auf „nach 1799" für unzutreffend. Denn, obwohl weder die AA-Kant ein Manuskript aus dieser Hagen/Kraus-Provenienz kennt, noch in den Kantiana der SB München sich ein Schriftstück des beschriebenen Inhalts ausmachen läßt, können zwei Gründen dafür angegeben werden, daß die Rfl. 5645 [= A A Kant XVIII 287-295; Loses Blatt der Berliner SB, Nr. 36] mit dem von Hermann Hagen beschriebenen Manuskript in Verbindung zu bringen ist. Denn einerseits wurde das Ms dieser Reflexion 1904 von Heinrich Weber (1878-19??) in dem von ihm aufgespürten „Hamann-Nachlass des Präsidenten v. R o t h " (d. i. Karl Johann Friedrich von Roth, 1780-1852) aufgefunden und zur Erwerbung an die Berliner Bibliothek vermittelt. 5 Womit ein Grund gegeben ist, nach einer Verbindung zwischen Inhalt und Überlieferung zu fragen. Zwar deckt sich die formale Beschreibung des Ms: „Das Schriftstück, acht Seiten gross Folio stark, deckt fünf eng beschriebene Seiten, jede etwa mit 42 Zeilen beschrieben. Die Handschrift, anfangs ungemein klar und besonnen, wird im Verlaufe flüchtiger, die Korrekturen häufiger." 6
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Freudenthal 1879, 58-59. Die in dem Briefzitat enthaltene Beurteilung des Schubert/Rosenkranzschen Editionsunternehmens hat Heinrich Hagen vielleicht auch Schubert gegenüber selbst geäußert. Schubert ließ nämlich in die Vorrede zu seiner Kant-Biographie die Bemerkung einfließen, daß Verwandte der Zeitgenossen Kants „nicht immer bereitwillig [gewesen seien], mit baldigen Antworten Hülfe zu gewähren [...]." Schubert in Kant 1838-42 XI/2, S. VII. Vgl. Stark 1987b. Vgl. Erdmann (Hg) 1882, 11-26. Vgl. S. 22 Anm. 6 dieses Bandes. Weber 1904b, 568; vgl. Weber 1905, S. VI. - Zu dem erwähnten Teil des Nachlasses von Hamann vgl. Nadler 1978, 179 zu Msc. 2552. Einschlägig, jedoch kaum auswertbar, ist der Umstand, daß der Name von Ernst August Hagen auch bei der Überlieferung der Hamann-Papiere fällt, vgl. Nadler 1978, 137. Weber 1904b, 568. - Vgl. Adickes Angabe: „zwei Foliobogen (von Kant mit 1. und 2. bezeichnet) mit einem 3 cm breiten Rande; vom zweiten ist nur die 1. Seite beschrieben" (AA-Kant XVIII 287).
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nicht mit der von Hagen gegebenen „etwa sechs Bogen in 4° stark", doch zeigt zweitens der Inhalt der Reflexion so deutlich wie sonst nirgends, daß und wie Kant seine Scheidekunst der Kritik gegen die stetige, Hamannsche, Verschränkung von Glauben und Wissen mit Argumenten zu vertreten suchte. 1 Gegen welche der verschiedenen Fassungen 2 der »Metakritik« Johann Georg Hamanns (1730-1788) die Rfl. 5645 gewendet ist, wird ohne genaue Untersuchung aller einschlägigen handschriftlichen Originale jedoch nicht zu ermitteln sein. Die sichere Datierung der Handschriften ist conditio sine qua non. - Die Kantischen Papiere sind jedoch verschollen und für meinen gegenwärtigen Zweck ist allein wichtig, auf eine mögliche weitere Adresse für Kantische Originalhandschriften hinzuweisen: Die Verbindung zwischen Christian Jacob Kraus und Karl Heinrich Hagen, der verheiratet war mit der Tochter Dorothea des Königsberger Kriegsrats Johann Karl Linck (1755-1821). Sodann zu August. Ernst August Hagen kommt ein kaum zu überschätzendes Gewicht in der kulturellen Entwicklung im Ostpreußen des 19. Jahrhunderts zu. Er wurde nach seiner Habilitation an der Albertus-Universität (1823) zunächst außerordentlicher (1825) und schließlich ordentlicher Professor (1830) für Kunstgeschichte. Es war dies die erste derartige Professur im preußischen Staat. Hagen zählt zu den Begründern des Prussia-Museums in Königsberg und war von 1846-1857 für die Herausgabe der »Neuen Preußischen Provinzial-Blätter« verantwortlich. 3 In dieser Zeitschrift, der unmittelbaren Vorgängerin der »Altpreußischen Monatsschrift«, sind mehrfach Artikel mit Materialien aus dem Nachlaß Kants veröffentlicht worden. Hagen selbst hat sich darüberhinaus als Autor in einigen Aufsätzen und Miszellen mit Kants intellektueller Umgebung auseinandergesetzt. Seine Arbeiten zeichnen sich vor anderen zeitgenössischen aus in der Bezugnahme auf zahlreiche Quellen und ihre stilistische Eleganz. 4 Nach seinem Tod am 16. Februar 1880 ist seine reichhaltige Bibliothek 1881 bei Stargardt in Berlin versteigert worden. 5 Dazu zählten jedoch keine Handschriften. Einige Manuskripte gelangten vor 1909 in die Stadtbibliothek Königsberg, 6 und erst 1910/11 konnte die Königsberger StUB unter anderem durch Vermittlung von Arthur Warda zwei große Teile seines handschriftlichen Nachlasses erwerben. 7 Diese knappen Angaben belegen hinreichend, daß in der Familie Hagen aus Königsberg ein hohes Bewußtsein für den Wert und die Bedeutung kultureller Traditionen und die Überlieferung handschriftlicher Materialien bestanden hat. So gesehen verdient die Provenienz „Hagen" besondere Aufmerksamkeit. Wie erwähnt, müssen auch die aus Johann Schultz 8 (gest. 27. 6. 1805) Nachlaß an Johann Friedrich Gensichen 1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. insbesondere AA-Kant XVIII288 20 - 292 24. Vgl. dazu die weit ausgreifenden Darlegungen von Bayer 1987, 9-87 und Rohs 1988, 222-232. Vgl. seinen Namensartikel in der »Altpreußischen Biographie«. Vgl. Literaturverzeichnis s.v. Hagen, August. Vgl. Hagen 1881: Der Katalog enthält keinen Hinweis auf Manuskripte Kants. Vgl. Seraphim 1909, 334-335. Verwaltungsbericht StUB Königsberg 1910/1911,5-6. Einer auf Rudolf Reicke zurückgehenden Information des Jahres 1886 zufolge hatte Johann Schultz nur eine Tochter, deswegen dürften seine nachgelassenen Papiere an Johann Friedrich Gensichen gekommen sein. (Vgl. SB München, Kantiana, zu Hagen 29)
Teil II
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übergegangenen Briefe Kants ihren Weg über ein Mitglied der Hagen-Familie genommen haben. 1 Die derzeit bekannten Mosaiksteinchen lassen sich jedoch leider nicht zu einem geschlossenen Bild zusammenfügen. Sie scheinen mir allerdings aussichtsreich genug, um über den eingangs bereits angesprochenen Sohn von Karl Heinrich, Wilhelm Hermann Adolf Hagen (1820-1894), eine Verbindungslinie zu der rätselhaften Sammlung von Kant-Handschriften von George Bancroft (1800-1891), der von 1867 bis 1874 Botschafter der Vereinigten Staaten in Berlin war, zu ziehen. 2 Blickt man auf die Fundorte der 19 bekannt gewordenen 3 Briefe von Kant an Johann Schultz, Gensichen oder an ein Mitglied der Hagen-Familie, dann wird die anscheinend schon früh im 19. Jahrhundert einsetzende Streuung der Stücke sichtbar: Von acht ist der derzeitige Fundort unbekannt, vier gehören zur Bayerischen SB in München, zwei zur Bibliothèque Nationale et Universitaire in Strasbourg; 4 je einer wird in Cambridge/Mass., Tartu bzw. Warszawa (Warschau) 5 verwahrt. Rostock Die umfangreichste Fundstelle auf deutschem Boden für eigenhändige Manuskripte Kants ist die Universitätsbibliothek in Rostock. Seit der Auffindung der Handschriften (Zwei Foliobände: Mss. var. 32 und Mss. var. 33) vor fast genau 100 Jahren hat sich an der dortigen Lage nichts geändert. Die Bibliothek verwahrt das Gros der Briefe Kants an seinen ehemaligen Zuhörer Jacob Sigismund Beck (1761-1840), die sogenannte »Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft« 6 und ein eigenhändiges Manuskript Kants zu seiner »Anthropologie in pragmatischer Absicht« von 1798. Der Status des Ms zur Anthropologie ist ziemlich exakt zu bestimmen; es handelt sich sicher nicht um die Druckvorlage sondern um ein Ms, das Kant zur Abschrift für den Druck an seinen Amanuensis weitergegeben hat. Otto Schöndörffer meinte sogar, daß Kant „sich [...] bei der Niederschrift auf deren Überarbeitung [verlassen habe, und] es daher dabei mit Stil, Satzbau und Ausdruck nicht so genau [nahm], wie er es ohne das getan hätte." 7
1
Vgl. die Auflistung im nächsten Absatz. Erwähnen möchte ich, daß für die Briefe Fichtes an Gensichen und Johann Schultz die gleiche Überlegung gilt, vgl. die Fundortnachweise in der dritten Abtlg. der AA-Fichte.
2
Vgl. North American Kant Society: Newsletter, Vol. V, N o . 4, June 1990, S. 3.
3
Auf der Basis der Datenbank B R I E F W E C H S E L , vgl. dazu S. 17 dieses Bandes.
4
W i e mir die Bibliothek auf Anfrage mit Schreiben v o m 23. Oktober 1989 freundlicherweise mitteilte: D i e Autographensammlung ( M s 2 3 8 5 / 8 6 ) , zu der die Briefe Nr. 221 und 7 9 5 gehören, „est c o m p o s é e de pièces réunies peu à peu de provenances variées." Sie wird, vermute ich, erst nach 1871 von der damals mit großem A u f w a n d eingerichteten deutschen Universität - geschenkweise - erworben worden sein.
5
Der Autograph in der polnischen Nationalbibliothek zeigt ferner folgendes: „Attest Wir unterzeichnete haben noch das Glück gehabt Zuhörer und Freunde unseres berühmten Profeßors Kant g e w e s e n zu seyn und können es daher hiedurch glaubhaft bezeugen, daß dieser Brief, von demselben eigenhändig geschrieben und mit seinem gewöhnlich gebrauchten Stempel versehen ist. Koenigsberg in Preußen den 27. May 1811 Karl Gottfried Hagen Valerianus Mueller Sommer Medizinalrath und Professor Regierungsrath Pfarrer"
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Erstpublikation durch Otto Buek in der Cassirer-Edition v o n Kants Werken. Der Text der A k a d e m i e - A u s gabe in Bd. X X enthält viele Fehler und Inkorrektheiten, vgl. dazu hier Teil II E h.
7
Schöndörffer (Hg) 1922, 5 1 8 (Cassirer-Ausgabe). Ähnlich die Ansichten der anderen Bearbeiter der Hand-
Grundzüge der Überlieferung
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Hinzu k o m m e n zwei „Vorarbeiten" 1 zur »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft«, zwei Skizzen 2 Kants für Johann Schultz Rezension von Johann August Eberhards »Philosophischem Magazin«, der E n t w u r f 3 zu Kants Anfrage bei einem nicht benannten Mitglied der theologischen Fakultät der Universität Königsberg (Johann Schultz ?) wegen der Zensur zur »Religion innerhalb [...]«, Materialien zur zweiten Auflage der Rechtslehre 4 und schließlich, separat, ein Brief an den Verleger Nicolovius vom 29. April 1790. 5 Die Konstitution der zwei Manuskriptbände ist ein schon früh erkanntes Problem, das durch die oben vorgeführten Hintergrundinformationen zur Überlieferung der Gesamtheit des handschriftlichen Kant-Nachlasses verschärft wird. Die Herkunft der ursprünglich an Johann Schultz gegebenen Skizzen ist ebenso rätselhaft wie das Vorhandensein des Manuskriptes zur »Anthropologie«. - In einem Brief des Oberbibliothekars Schirrmacher, einem der Rostocker Zuarbeiter Wilhelm Diltheys für seine drei »Beiträge aus den Rostocker Kanthandschriften«, 6 ist unter dem Datum des 11. Juni 1889 zu lesen: „Meine Nachforschungen nach dem Verbleib der meisten Briefe Kants an Beck sind bis jetzt erfolglos geblieben, werden aber fortgesetzt. Hat sie Beck andererseits nicht an Prof. Francke verschenkt? Noch suche ich vergebens in den Akten nach einer Notiz darüber, ob unsere Kant-Mss. wirklich alle von dem Letzteren an unsere Bibliothek kamen und wann? Vielleicht kann mir mein Amtsvorgänger, Otto Mejer, auf die Wege helfen." 7 Die später gängige Annahme, die Rostocker Kantpapiere sämtlich auf Beck zurückzuführen, 8 ist jedoch nicht sicher zu begründen. Sie stützt sich auf folgende undatierte Erklärung: „P. M. Ich habe diese in diesem Convolut eingeschlossenen Briefe von Kant meinem Freunde Prof. Francke zugesagt, daß sie nach meinem Tode ihm von den Meinigen gegeben werden sollten. Nun ist aber jetzt hier ein Engländer Herr Semple, der mich bittet, ihm einen dieser Briefe zu schenken. Ich werde seinen Wunsch erfüllen. Da aber der Brief, den ich ihm schenken will, gerade das mir von Kant geschenkte (geschickte ?) Manuskript einer Einleitung zu seiner Kritik der Urteilskraft betrifft, die er ihrer Weitläuftigkeit wegen seinem Werke nicht vorsetzte, und ich dieses Manuskript schon dem Profes-
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schrift: Weischedel-Ausgabe: „Vorlage für das endgültige Druckmanuskript"; Immanuel Kant. Werkausgabe, Bd. XII (Frankfurt/M. 1985) S. 818. AA-Kant VII 355: „Eine nach H hergestellte Abschrift hat nach Kant's Gewohnheit wohl auch hier die Druckvorlage gebildet." Vgl. dazu auch die Beobachtungen in Brandt 1990, 353-359. Abgedruckt in AA-Kant XX 427-440. AA-Kant XX 410-423. Vgl. AA-Kant XI 358-359 und AA-Kant XIII 326-328. AA-Kant XX 443-467. Vgl. hierzu auch die Reproduktionen in Abschnitt F. m. Vgl. dazu S. 34 dieses Bandes. Vgl. Literaturliste s.v. Dilthey. Archiv der Berliner AdW, NL-Dilthey. Vgl. ebenda Reickes Anfrage bei Dilthey am 25. November 1889. Vgl. AA-Kant VII 355.
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Teil II sor Francke geschenkt habe, so sehe ich mich genötigt, diesen Brief, ehe ich ihn weggebe, abzuschreiben, damit meinem Freunde an jener Gabe nichts fehle. Er lautet: [Folgt der Brief von Kant vom 18. August 1793.] " 1
Daraus geht hervor, daß Beck die Erste Einleitung zum Zeitpunkt der Erklärung nicht mehr besitzt „schon [...] geschenkt h a b e " . Diese leicht zu übersehende Nuance begründet zunächst die Vermutung, daß die Rostocker Kantiana nicht durch Beck, sondern erst durch Friedrich Joachim Christian Franck[e] (1795-1869) konstituiert wurden und so in den Bestand der Universitätsbibliothek gelangten. Dazu kommt, daß keinesfalls der gesamte Beck-Nachlaß in Rostock verblieben ist. Ein Fortbestehen in der Familientradition ist nicht anzunehmen. Becks einziges Kind, die Tochter Louise, war an einen Apotheker nach Wismar verheiratet. 2 Den Usancen entsprechend, wird Becks Bibliothek ca. 1840 verauktioniert worden sein, soweit er nicht testamentarisch etwas anderes bestimmt hat. So konnte Eduard Erdmann (1805-1892) vor 1885 ein aus Becks Vorbesitz stammendes Exemplar der Erstauflage von Kants »Kritik der reinen Vernunft« erwerben, inliegend Kants Brief an Beck vom 19. November 1796. 3 1890 kaufte die Berliner Königliche Bibliothek auf dem Markt Kants Brief an Beck vom 1. Juli 1794.4 Der Wortlaut der „Erklärung" wird also so auszudeuten sein: Beck hat, unbestimmt wann, dem interessierten Francke das Manuskript der Ersten Einleitung geschenkt und zugleich versprochen, daß er nach Becks Tod die darauf bezüglichen Briefe Kants sämtlich erhalten werde. Der Zeitpunkt der Erklärung wird in die letzte Lebenszeit von Beck zu verlegen sein, denn in seinem »Nekrolog« heißt es: „Noch in den letzten Lebensjahren B.'s unternahm, von Sehnsucht nach persönlicher Bekanntschaft des berühmten Mannes getrieben, ein bejahrter Schottländer eine Reise von Edinburgh nach Rostock und besuchte während seiner Anwesenheit in der Universitätsstadt täglich vom Morgen bis zum Abend den alten Philosophen in seiner altertümlichen Behausung, bemüht, durch diese mündlichen Unterredungen sein Verständniß des Kant'schen Systems zu erweitern und zu vervollständigen." 5 Während zu Francke keine weiterführenden biographischen Informationen zu ermitteln waren, (Er ist unter „Franck, Friedrich Joachim Christian" als „deutscher Philosoph, Professor in Rostock, geb. 29. 9. 1795" in Oettingers »Moniteur des Dates« (Leipzig 1879) geführt.) liegt es nicht nur nahe den „bejahrten Schottländer" mit dem von Beck genannten „ S e m p l e " zu identifizieren, sondern auch weiter in diesem den Übersetzer Kantischer Werke zu vermuten. Es gehen nämlich zwei Übersetzungen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf John William Semple zurück. 6 1 2 3
Rostock UB; zitiert nach Cassirer-Ausgabe Bd. 5 (1914), S. 587 Die Angaben nach dem »Neuen Nekrolog 18/1840« zu Beck. Zu seiner Biographie vgl. auch Dilthey 1889b, 649-650. Reicke 1885,57 Anm.
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Vgl. dazu Teil VI. B.
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»Neuer Nekrolog« 18 (Weimar 1842) 925-928, Zitat S. 927. Vgl. Boswell 1991b, Nrn. 30 und 45; bzw. MacDonald Ross / McWalter (ed) 1990. Weitere Recherchen in Schottland erscheinen mir sinnvoll.
Grundzüge der Überlieferung
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Die Tatsache jedoch, daß sich unter den Manuskripten zwei befinden, die sicher durch die Hände von Johann Schultz gegangen sind, 1 läßt auch hier auf eine Beziehung zu dessen Nachlaß, d. h. auf Johann Friedrich Gensichen, schließen. Erst kürzlich konnte nun bei der Aufarbeitung des Archivs der Rostocker Universitätsbibliothek das Rätsel gelöst werden. 2 Mit einem Schenkungsbrief vom 14. März 1840 hat der neubrandenburgische Bauconductor J. C. Wedeke der Universitätsbibliothek das von Kant eigenhändig geschriebene Manuskript der Anthropologie und weitere, leider nicht genauer angegebene, Skripturen „dieses berühmten Mannes" übereignet. Bei diesem Wedeke handelt es sich offenbar um den ältesten Sohn, Johann Christian (geb. 20. Juni 1791), 3 des oben (S. 42 Anm.) genannten Oberhofpredigers Johann Christoph Wedeke, der im Frühjahr 1808 bei der Versteigerung der Bibliothek Gensichens als Käufer aufgetreten war. Wedeke Senior zählt zu den unmittelbaren Schülern Kants; 4 er war befreundet mit Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834). Nachdem er ab 1784 in zwei Pfarrstellen tätig war, wurde er 1806 zum Oberhofprediger in Königsberg befördert. Er ist als solcher der unmittelbare Vorgänger von Ludwig Ernst Borowski (1740-1831), dem Kantbiographen. Etwa gleichzeitig wurde er auch ordentlicher Professor der Theologie daselbst. Kurz vor seinem Tod war er schließlich im Jahr 1814 Rektor der Albertina. 5 Über Wedeke Junior liegen derzeit kaum präzise Informationen vor; er tritt in den 1830-50er Jahren als Verfasser mehrerer Werke, die sich mit dem Bauwesen beschäftigen, in Erscheinung. 6 Die Kant-Autographen muß er schon geraume Zeit vor dem Datum der Schenkung an die Rostocker Bibliothek besessen haben, wie aus einer jetzt in den Rostocker Akten aufgefundenen Echtheitsbescheinigung von Gottlieb Friedländer (1805-1878) als Kustos der Berliner Königlichen Bibliothek aus dem Jahr 1827 hervorgeht. 7 Vermutlich sind sie im Erbgang sein Eigentum geworden. Damit ist ein Indiz gegeben, daß die oben 8 bereits erwähnte Position Nr. 398 der Gensichen-Auktion des Frühjahrs 1808 heute in Rostock zu finden ist. Demnach scheinen also auch die
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Zu der engen Verzahnung mit vier Stücken in den Hagen-Papieren der SB München vgl. die Synopse in »Kant-Forschungen« Bd. I, 181. Herrn Prof. Dr. Jügelt (UB Rostock) danke ich für die freundlicherweise umgehend (September 1990) mir zugänglich gemachten Informationen; vgl. Jügelt 1991. Vgl. Sembritzki 1902, 102. Ausweislich der Listen der Studenten der theologischen Faklutät vom Wintersemester 1773/74 und vom Sommersemester 1774 hörte er bei Kant zweimal die Logik (SS 1773 und 1774), je einmal Metaphysik (WS 1773/74) und physische Geographie (SS 1774) [Quelle: GStAPK, HA. XX EM 139b, Nr. 25, Bd. 5], ehe er aus finanziellen Gründen die Universität verließ, um eine Hofmeisterstelle anzunehmen. Vgl. Sembritzki 1902 und 1906; bzw. Rhesa 1834. Vgl. GV. Gottlieb Friedländer hat dazu die in der Familientradition der Friedländer überlieferten Briefe Kants an Moses Mendelssohn heranziehen können. Gottlieb ist ein Enkel von David Friedländer (1750-1834), und Sohn von Benoni Friedländer (1773-1858); zur Familiengeschichte der Friedländer vgl. Emst Friedlaender 1913. Schon Friedrich Wilhelm Schubert hatte auf die heute leider verschollenen Stücke dieser Korrespondenz zurückgreifen können, vgl. Kant 1838-42 XI/1, S. 5, 18, 76. Vgl. hier S. 42.
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Teil II
übrigen nicht unmittelbar auf Beck zurückzuführenden Stücke in den beiden Rostocker Handschriftenbänden, die als solche (nach der Art des Einbandes zu urteilen) erst um 1880 konstituiert wurden, aus der Provenienz Wedeke zu stammen. Die Sammlung Kuffner Im Frühjahr 1983 hat die Firma J. A. Stargardt in Marburg/Lahn einen vierseitigen Kant-Autographen an das Schiller-Nationalmuseum in Marbach/Neckar verkauft. Nach Auskunft des Versteigerungskataloges ist das Blatt zuletzt „vor 100 Jahren, im Katalog XVII (Nr. 470) des Leipziger Antiquars Otto August Schulz für 175 Mark angeboten" worden. 1 Es handelt sich um ein Doppelblatt in fol. mit Vorarbeiten Kants zum dritten Teil des »Streit der Fakultäten« von 1798. Nur der Anfang des Blattes ist S. 464 unter der unerklärten Überschrift „LB1 K u f f n e r " in AA-Kant XXIII aufgenommen worden. 2 Das auch durch seine autobiographischen Notizen sehr wichtige Blatt gehörte früher zu einer bedeutenden, nicht aus Briefen Kants bestehenden Sammlung, die nicht auf einen einheitlichen Königsberger Traditionsstrang zurückgeführt werden konnte. Der Wiener Brauereibesitzer Moritz von Kuffner 3 (1854-1939) hat diese anscheinend durch sukzessive Erwerbung am Ende des 19. Jahrhunderts angelegt und der preußischen Akademie zeitweilig zur Verfügung gestellt. 4 Sie enthielt wenigstens vier Stücke, die mit Ausnahme des 1983 wieder aufgetauchten Blattes verschollen sind. Von Kuffner 1 ist außer dem Abdruck in AA-Kant XVII 240-43 [= Rfl. 3706] eine kurze Beschreibung durch Adickes überliefert: „Lose Blätter aus dem Besitz von M von Kuffner (Wien). No. 1 = (Rfl ): Ein Doppelquartblatt, auf allen 4 Seiten beschrieben. Auf S.IV befinden sich unter dem Text noch einige Gleichungen, die sich teilweise auf folgende Figur zwischen den 3 letzten und 2. letzten Absatz beziehen: [folgt Skizze]" 5 Kuffner 2 ist an vier Stellen der AA-Kant benutzt worden, wie die folgende Übersicht zeigt. Die linke Spalte weist nach, daß Schubert das Blatt 1842 zur Verfügung gestanden hat.
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(a) R/SchXI/2,S. 164-5
AA-Kant XV 961
Rfl. 1537
(b) R/Sch XI/2, S.169f; Bohn 1872, 624
AA-Kant XV 971-2
Rfl. 1551
(c) —
AA-Kant XIX 646-7
Rfl. 8104
(d) R/Sch XI/2, S. 165
AA-Kant XVIII 428, 24-28
Stargardt ΚΑΤ 628, 172 (Nr. 543). In dem mir vorliegenden Teil-Ma«wskript G. Lehmanns zu Band XXIII bildet ein vermutlich aus einem Katalog (anscheinend aus dem bei Stargardt 1983 genannten) geschnittener Zettel die Druckvorlage. Eine vollständige Publikation durch W. G. Bayerer ist angekündigt - vgl. KS 77/1986/405. Vgl. seinen Namensartikel im »Österreichischen Biographischen Lexikon«. Sitzungsbericht 1900, 42: „Das Material wurde dankenswerth bereichert durch [...], sowie durch eine Anzahl von losen Blättern aus der Sammlung des Hrn. Moritz Edler von Kuffner." NL-Adickes, Archiv der Berliner AdW 5/23. - Der Kant-Autograph ist im Sommer 1934 durch die Tübinger UB der Berliner AdW ausgehändigt worden; vgl. hier Teil II D. e.
Grundzüge der Überlieferung
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Wenn Heinrich Bohn (1830-1888), wie Adickes annahm, 1 das Ms in Königsberg noch 1872 vorlag, 2 dann kommt für die Überlieferung auch die verwandtschaftliche Beziehung des Königsberger Mediziners Bohn zu seinem Schwager 3 Rudolf Reicke ins Spiel. Mehrfach ist nämlich belegt, daß Reicke Manuskripte Kants an andere Personen weitergegeben hat. 4 Von Kuffner 4 hat Adickes einen Absatz der zweiten Seite als Rfl. 6338 ediert [= AA-Kant XVIII 658-659], Das Blatt enthielt jedoch auch eine unveröffentlichte Vorarbeit, deren Anfang lautet: „Es fragt sich ob das ius talionis ..." 5 Die Sammlung Kuffner scheint außer dem eingangs genannten Blatt Nr. 3 noch ein weiteres Stück mit Vorarbeiten Kants zu seiner »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« enthalten zu haben. Im „Tübinger Verzeichnis" von 1934 ist es unter „Private Nr. 4 " , wie folgt, beschrieben: „Kuffner, 1 Blatt auf Karton, doppelt beschrieben, mit einem Bild von Kant. 14:12,5. Dem ungeachtet werden Menschen sich nie zu einer Kirche ... Zum 3. Stücke..."
Familienpapiere Eine weitere Gruppe umfänglicher Handschriften kann man als „Familienpapiere" bezeichnen. Es handelt sich dabei um diejenigen Materialien, die aus Kants Besitz zunächst in das Eigentum der Nachkommen seines Bruders Johann Heinrich (17351800) übergingen. Die Familienpapiere zerfallen in nur drei Klassen: 1) die Korrespondenz Immanuel Kants mit der Familie seines Bruders, 2) Schriftstücke, die rechtliche Abwicklung des Nachlasses nach Kants Tod am 12. Februar 1804 betreffend, 3) Manuskripte philosophischen Inhalts, die den Erben durch den Testamentsvollstrecker Wasianski ausgehändigt worden sind. Während die beiden ersten naturgemäß an verschiedene Adressen gelangten, blieb die dritte zusammen. Kants unvollendetes Werk vom „Uebergange von der Metaphysik zur Physik der N a t u r " , 6 das später so genannte »Opus postumum«, wurde von Wasianski an den Kurländischen Pfarrer Carl Christoph von Schoen übermittelt, der zeitweilig den Plan verfolgte, das Werk zu redigieren und herauszugeben. 7 1 2
Vgl. den Apparat zu Rfl. 1551 in AA-Kant XV 972 18-26. Bohn 1872, 624 gibt nur an: „[...] auf einem seiner damals gebräuchlichen Memorienzettel findet sich folgende Bemerkung [...]". - Bohns Rede ist noch heute von Belang für einen Kant-Biographen, denn er konnte (S. 616) als Mediziner vom Fach für Kants Alterserkrankung die ganz unprosaische Diagnose „jene, gemeinhin über Jahre verlaufende Entzündung der innern Fläche der harten Hirnhaut (Pachymeningitis interna)" stellen. Trifft dies zu, dann entbehren die immer wieder aufgewärmten Spekulationen über einen inneren Zusammenhang zwischen Kants letzter großen intellektuellen Anstrengung, dem Werk von „Übergang", und der Ursache des physischen Verfalls jede Grundlage. Vgl. schon den ähnlichen Bezug auf Bohn von Vaihinger 1891, 733.
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Vgl. Ilse Reicke 1936. Vgl. AA-Kant XV 650 Anm. Tübinger Verzeichnis von 1934, Private Nr. 5. So die Formulierung von F.T. Rink in seinem Brief an Villers vom 18.April 1801; in: Vaihinger 1880a, 290. Vgl. Adickes 1920, 4-8 und den Abdruck der Briefe in Lehmann 1966 bzw. Lehmann 1980.
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Teil II
Seit Erich Adickes in den §§ l-9a seines 1920 erschienenen Buches über »Kants Opus postumum« die einzelnen Stationen der Überlieferung der philosophischen Manuskripte eingehend und genau beschrieben hat, ist kein Erkenntnisfortschritt in der Literatur 1 über diesen Komplex zu verzeichnen. Das ist nur zu verständlich, solange keine neuen Quellen herangezogen werden. Auch die folgenden Bemerkungen - erstmals 2 unter Benutzung der Akten der KK - führen nicht wesentlich über Adickes hinaus, lassen aber manche Details in einem etwas anderen Licht erscheinen, indem die von den Beteiligten der Öffentlichkeit verschwiegenen Hintergründe und Motivationen freigelegt werden. Die sieben ermittelten Stationen sind: (1) 7804-Königsberg: Wasianski, Johann Schultz. (2) 7S04-Dürben/Kurland: Carl Christoph von Schoen. (3) 1854/55-Oürben: NN; (4) ca. 7557-Berlin: NN, eingesehen von Friedrich Wilhelm Schubert und Rudolf Haym. (5) 1857/??-NN: NN. (6) 7S65-Königsberg: Rudolf Reicke. (7) 1883/84-Hamburg: Albrecht Krause: Seither in dessen Familie tradiert. Das 12. Konvolut befand sich Ende 1883 bei Paul Haensell, einem Sohn einer Tochter Carl Christoph von Schoens, in Paris und wurde am 20.Januar 1884 von Krause in Hamburg in Empfang genommen. Die übrigen Konvolute sind kurz zuvor direkt von Reicke an Krause (per Post) übermittelt worden. Danach hat Reicke von Krause zwei Konvolute (Nr. 1 und 7) für die Publikation in der AM zurückerlangt und bis auf weiteres in Königsberg festgehalten. Diese beiden Konvolute hat er Ende 1892 oder Anfang 1893 in Königsberg an Paul Haensell ausgehändigt. Von diesem sind sie - nach Haftandrohung - am 14. Januar 1895 an Albrecht Krause bzw. dessen Bevollmächtigten, Rechtsanwalt Semler, ausgehändigt worden. 3 Zwischen Reicke, Krause und Haensell entwickelte sich ab Januar 1884 ein überaus komplizierter Rechtsstreit um die Überlassung der Konvolute für die zwischen Reicke und Haensell 1879 oder 1881 vereinbarte Edition der Manuskripte in der Altpreußischen Monatsschrift, 4 der schließlich in einen gerichtlichen Prozeß zwischen der Berliner AdW und Albrecht Krause mündete. Die AdW klagte gegen Krause mit Schriftsatz vom 24. November 1900 auf die Aushändigung der von Reicke nicht edierten Konvolute IV, VI und VIII. Das Landgericht Hamburg verurteilte Krause am 25.April 1901. Krause legte am 22. Juni desselben Jahres Berufung ein. Das Hanseatische Oberlandesgericht hob am 1. Februar 1902 die Entscheidung der ersten Instanz auf. Den
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Vgl. AA-Kant XXII 755-769, die nicht immer ganz korrekte „Einleitung" von G. Lehmann. Und neuerdings Brandt 1991. Vgl. Lehmann in AA-Kant XXII 769: „[...] (einen Einblick in die Akten konnten wir nach den Akademiebestimmungen nicht erhalten; [...]." - Die Schwäche hängt, wie mir scheint, mit der weiter unten (S. 167) aufgehellten institutionellen Position Lehmanns zusammen. Vgl. auch ebenso unbefriedigend Lehmann 1969, 8. Vgl. Akten der KK, II-VIII, 154; insbesondere fol. 14 und 82-86. Das Jahr ist nach Lage der Akten nicht zu bestimmen. Haensell nennt als Jahr der „Vereinbarung" 1879 in einer undatierten maschinenschriftlichen Beschwerde gegen den Rechtsanwalt Semler (Akten der KK, IIVIII, 154, fol. 77-104, hier: fol. 78). Eine Empfangsbescheinigung über zwölf Konvolute von Rudolf Reicke ist datiert Königsberg den 8.November 1881. (Abschrift in den Akten der KK, II-VIII, 154, fol. 374-375).
Grundzüge der Überlieferung
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Antrag der Akademie auf Revision wies das Reichsgericht in Leipzig nach mündlicher Verhandlung (3. Juli) am 7. Juli 1902 endgültig ab.1 Die in diesem Prozeß von den Beteiligten vorgebrachten Standpunkte und Erwägungen sind für die heutige Kantforschung ohne Belang. Wichtig sind jedoch die in den Schriftstücken enthaltenen Informationen zur Überlieferung der Kantischen Handschriften. Für jede interpretatorische Bemühung um die ursprüngliche Idee eines Werkes vom Übergang oder seine Fortentwicklung durch Kant in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens ist nämlich ein Wissen darum erforderlich, ob mit den seit 1865 vermutlich verlustfrei tradierten zwölf Konvoluten 2 sämtliche diesbezüglichen Papiere Kants überliefert sind. Für diese Frage enthalten die Akten nur zwei Erklärungen. Die erste findet man in einem Schreiben von Paul Haensell an den Leiter der für Hochschulen zuständigen Abteilung Friedrich Althoff 3 (1839-1908) aus Moskau vom 12./24. März 1895: „Die beiden 4 nachgelassenen Kantmanuskripte sind von meinem Großvater Konsistorialrath und Probst Dr. Schoen zu Dürben in Curland, der mit einer Tochter von Kants Bruder I.H. Kant, Pastor zu Alt-Rahden in Curland verheirathet war, nach Kants Tode auf dessen Schreibtisch liegend vorgefunden und nach Dürben in Curland gebracht worden. Nach dem im Jahre 1854 erfolgten Tode meines Großvaters sind die Manuskripte in den Besitz meiner Mutter übergegangen und von dieser dem Herrn Dr. Reicke in Königsberg übergeben worden. Die weiteren Schicksale der Manuskripte wird Ihnen, soweit dieselben Ihnen nicht bereits bekannt sind, Herr Dr. Reicke mitzuteilen die Güte haben." 5 Eben dies tat Reicke in einem Brief vom 19.April 1895: ,,[...], dass ich Ihnen mittheilen möchte, wie und wann ich das Manuscript von seiner [Paul Haensells] Mutter zugesandt erhalten habe: Durch Memeler Freunde hatte ich im Jahre 1863 die erste Nachricht von einem grossen noch ungedruckten Kant-Manuscript erhalten, als dessen Eigenthümer mir eine Großnichte Kants, Frau Dr. Haensell in Libau genannt wurde. Meine und meiner Freunde fortgesetzte Bemühungen dieses nachgelassene Werk Kants zur Einsicht zu erlangen, hatten zunächst nur den Erfolg, dass ich Abschrift einer vor vielen Jahren gefertigten ausführlichen 'Anzeige von Kants nachgelassener Handschrift' erhielt, die ich im 8ten Heft des lsten Jahrgangs der Altpr. Monatsschrift (1864) unter dem Titel: 'Zu Kants Manuscript zur Metaphysik der Natur' veröffentlicht habe. Ein Jahr darauf wurde mir dann das Manuscript selbst im Auftrage der Frau Dr. Haensell von Oberlehrer Kochwill aus Libau, der einen Bruder in der Nähe von Königsberg besuchte, eingehändigt. Wel1 2
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Vgl. Akten der KK, II-VIII, 154, fol. 175-177, 324-399, 418-480. In AA-Kant XXII wird ein 13.Konvolut zum »Opus postumum« gezählt. Es handelt sich dabei um einen Foliobogen mit einer Vorarbeit zum »Streit der Fakultäten«; vgl. Adickes 1920, 36. - Nicht von Krause erworben wurden weitere Familienpapiere aus dem Schoenschen Nachlaß, die später der Preußischen AdW unter der Signatur „IIb, 26" übereignet worden sind; vgl. Adickes 1920, 6-8 Anm. und AA-Kant XXII 755-758. Sie befinden sich z.Z. als Deposita der AdW in der Niedersächsischen StUB. Nicht wie von Lehmann in AA-Kant XXII 766 angegeben „Althaus". Mit dieser Formulierung greift Haensell die von Vaihinger ab 1884 bzw. 1891 vertretene sogenannte ZweiWerke-Theorie auf; vgl. dazu Adickes 1920, 31. Akten der KK, II-VIII, 154, fol. 113-114.
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Teil II che Umstände bewirkten, dass erst nach 16 Jahren der Anfang mit der Edition gemacht wurde - der Hauptgrund lag in der Beschaffenheit des Manuscriptes selbst - habe ich in der Einleitung zu der ersten Publication, in Heft 1/2 des XIX. Bandes der Altpr. Monatsschrift vom Jahre 1882 kurz dargelegt. Weiteres weiss ich über die Angelegenheit nicht zu berichten."1
Haensells Darstellung, der gemäß Schoen in Königsberg die Papiere übernommen haben soll, ist, wie Adickes schon dargestellt hat, 2 nicht korrekt. Vielmehr ist davon auszugehen, daß sie von Wasianski auf dem Postweg oder durch Bekannte an Schoen gelangt sind. Demnach ist Paul Haensell 3 nicht als verläßlicher Zeuge einzustufen. Dies darf nicht verwundern, wenn man bedenkt, daß er an den Vorgängen unmittelbar nach dem Tod seines Großvaters mütterlicherseits kaum beteiligt gewesen sein dürfte. Und gerade der Zeitraum zwischen Schoens Tod (16. Juli 1854) 4 und der Aushändigung der Papiere an Reicke ( 1865) kommt für eine Aufsplitterung der Überlieferung in erster Linie in Frage. Denn mit Schreiben vom 24.Januar 1856 bedankte sich der Preußische König Friedrich Wilhelm IV bei der kurländischen Baronin Adelheid von Korff, geb. Stuart (eine Tochter der Henriette Stuart, geb. Kant) für die Übersendung zweier Briefe Kants und seiner Tabaksdose. 5 Bei diesen Briefen handelt es sich um die Nummern 503 und 897 der AA-Kant. Die Tatsache nun, daß die Baronin, eine Enkelin von Kants Bruder Johann Heinrich, die genannten Gegenstände am 24. Dezember 1855 an den Preußischen König gesandt hat, 6 wird man in Zusammenhang mit den wenig später zu beobachtenden Versuchen sehen müssen, das handschriftliche Erbe Kants in bare Münze zu verwandeln. In dem anonymen, von Adickes 7 Rudolf Haym (1821-1901) zugeschriebenen Aufsatz des Jahres 1858 »Ein ungedrucktes Werk von Kant« ist zu lesen: „[...], daß sie [die Handschrift] ein wünschenswerthes Besitzthum für einen reichen Verehrer des königsberger Philosophen, daß sie eine Zierde jeder öffentlichen Bibliothek bilden würde. Schon ist die Rede von Schritten gewesen zur Erlangung derselben und Einverleibung in die Königliche Bibliothek zu Berlin, doch haben die hiefür verfügbaren Mittel in keinem Verhältniß gestanden zu der Forderung des jetzigen Besitzers oder seines Bevollmächtigten."8
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Akten der KK, II-VIII, 154, fol. 118-119. Adickes 1920, 4 Anm. Es gelang mir bisher nicht, genauere Informationen über die Person des Dr. med. Paul Haensell zu ermitteln. Aus den Akten der KK, II-VIII, 154 geht hervor, daß er ein geborener Balte und naturalisierter Franzose ist und in den 1890er Jahren eine Wohnung in St. Petersburg besessen hat. Er lebte häufig in Paris und auf Reisen. In den Nachträgen zu Recke/Napierski wird als Todesdatum der 16.Juli 1835 angegeben (danach auch meine Angabe in KF 1/1987/205). Das Register in AA-Kant XIII gibt - ohne Nachweis - S. 675 „1855" als Todesjahr an. Meine obige Angabe kombiniert die Nachträge zu Recke/Napierski und den eben zitierten Brief von Haensell. Vgl. Adickes 1920, 6 Anm. Recherchen zum gegenwärtigen Fundort der Tabaksdose zeigten bislang kein Ergebnis. Diederichs 1893, 550 Anm. Adickes 1920,9. Preußische Jahrbücher 1/1858/80-84; Zitat S. 83-4. Nach einer Mitteilung von Frau Dr. Winter (Deutsche
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Demnach waren es finanzielle Interessen, die den zeitweiligen Aufenthalt der Familienpapiere (Herbst 1857) in Berlin motivierten, wo sie u. a. von Friedrich Wilhelm Schubert „durch die freundliche Vermittlung der Herren Buchhändler Dr. Veit und Lehfeldt" 1 eingesehen worden sind. Nun sind bis heute bereits drei, nach ihrer äußeren Beschaffenheit als zusammengehörig anzusehende, Blättchen über den Autographenhandel bekannt geworden, 2 so daß die Vermutung begründet wird, daß Nachfahren von Kants Bruder auch anderweitig versucht haben, ihrem Interesse nachzugehen. Mit anderen Worten: Es darf angenommen werden, daß in der Zeit zwischen 1854 und 1865 Manuskripte Kants durch Nachkommen seines Bruders Johann Heinrich an Dritte weitergegeben worden sind. 3 In einer zweiten Hinsicht sind die Akten wichtig: Die folgenden - ausgewählten drei Punkte zeigen die Gründe für das Zerwürfnis zwischen Krause und Reicke. 1) Zwischen Haensell und Krause ist kein schriftlicher Kontrakt über den Verkauf der Kantischen Handschriften aufgesetzt worden. Die Übereignung kam zustande auf Vermittlung von Rudolf Reicke in den Monaten Dezember 1883 und Januar 1884.4 2) In dem ersten Schreiben, das Krause nach dem Erhalt der Manuskripte an Reicke gerichtet hat (undatiert, mit Poststempel vom 18. Januar 1884), heißt es: „Zum Zweiten habe ich Ihre Herausgabe mit dem Manuscript verglichen und gesehen 1.) daß Theile fortgelassen sind 2) daß Worte hinzugesetzt sind 3) daß Worte umgestellt sind zu vollständigem Irrthum, wo das Manuscr. nicht den geringsten Anhalt dazu bot. Ich habe das mit Gelehrten verglichen u. bin zu dem Entschluße gekommen, daß eine solche Herausgabe eine falsche Meinung über das Erbe Kants verbreitet. Da ich mich verbindlich gemacht habe, das Msc. 3 Jahre zur Edition zu überlassen, war die Meinung des Verkäufers u. meine, daß es so herausgegeben wird wie es ist nicht wie es nicht ist. Ich werde also um des Renommées des Manuscr. willen verlangen müssen, daß künftige Editionen genau so sind wie das Msc. ist. Zu diesem Zwecke muß ich verlangen die Correctur der Edition selbst mit dem Msc., welches bei mir bleibt, vergleichen zu dürfen. Ich erwarte von Ihnen das Versprechen, dem gemäß zu handeln; dann werde ich über die voraufgegangene Art der Edition nichts verlauten lassen. Ich bin unschuldig, was meine früheren Zusagen betrifft, da ich nicht wissen konnte,
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Staatsbibliothek, Berlin) ist in den Akten der Bibliothek für den fraglichen Zeitraum jedoch kein Hinweis auf Verhandlungen um den Ankauf auszumachen. - Ich möchte diese Gelegenheit wahrnehmen, um Frau Dr. Winter für mehrfache und freundliche Unterstützung meiner Recherchen zu danken. Schubert 1858, 58. Gemeint sind Moritz Veit (1808-1864) und Josef Lehfeldt (1???-1858), vgl. Schmidt 1902-1908,972-975. Vgl. dazu unten S. 289. Auch andere, ebenfalls zu den Übergangs-Papieren Kants gehörige Handschriften waren der AA-Kant früher verfügbar; vgl. Adickes 1920, 153 Anm. Vgl. die damit kompatible Vermutung von Adickes 1920, 9-10 Anm. Vgl. Akten der KK, II-VIII, 154, insbesondere fol. 1-15. In Haensells vom 14. Dezember 1883 aus Paris an Krause in Hamburg gerichteten Schreiben lautet der entscheidende Passus: „Ich habe mich nun entschlossen, Ihnen die Handschrift für den Preis von 2400 Mark zu überlassen und will, wenn Sie geneigt sein sollten, diesen Preis dafür zu zahlen, Herrn Dr. Reicke ersuchen, Ihrem Wunsche nachzukommen und Ihnen die Handschrift zur Einsicht zuzusenden." (Ebenda fol. 5)
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Teil II wie die Edition war u. voraussetzte daß sie treu sei. Erst der Besitz des Msc. setzte mich in den Stand darüber zu urtheilen u. nun bin ich willens allen Vorwürfen u. Anklagen zu trotzen u. durchzusetzten 1.) daß das Manusc. nur so erscheint wie es ist. 2.) daß es durch Verdoppelung erst geschützt wird vor Zufällen. 3) daß das Msc. selbst nicht Gefahr ausgesetzt wird. Ich erwarte zuerst daß Sie mir zürnen. Später werden Sie zurückkehren zu der Ueberzeugung daß ich nichts für mich alles für die Sache thue. Ihr treu ergebener Pastor Krause [Am Rande:] Die Photographien werden größer u. deutlicher als das Original. Es sind die ersten Leute welche sie anfertigen." 1
Reickes Reaktion ist 3) nachzulesen im Brief an Haensell vom 31.Januar 1884: „[...] Meine Hauptsorge dabei war u. ist, dass ich in diesem Unternehmen nicht gestört werde, und in dieser Beziehung habe ich auch bis jetzt das sichere und dankerfüllte Gefühl gehabt, dass ich von Ihrer Seite nicht das Mindeste zu befürchten habe. Als es sich um die Verkaufsfrage des Msc. handelte, hatte ich in meinem Interesse der Veröffentlichung desselben in der Altpr. Monatsschr. - und andere Interessen habe ich bisher nicht verfolgt u. würde sie auch ohne Ihr Mitwissen und Mithandeln nie verfolgen - bei mir zu überlegen, ob ein öffentlicher oder ein Privatkäufer für meine Absichten günstiger sei u. dabei auch soviel wie möglich Ihr Interesse wahrzunehmen. Ich glaubte annehmen zu müssen, dass ein öffentlicher Käufer, eine grössere deutsche Bibliothek etwa, also schliesslich irgend ein Staat, mir am ehesten, schon wegen der vielen Weitläufigkeiten vulgo Scheerereien, Hindernisse in den Weg legen würde; darum erschien mir, obgleich ich mir wohl bewusst war, dass man mir einst Vorwürfe machen könnte, warum ich nicht dazu geholfen habe, dass eine grosse öffentl. Bibliothek die Hdschr. erwerbe, ein Privatkäufer vorzuziehen. [...] Ich sollte das Msc. nicht mehr im Original erhalten, sondern in Photographien; als wenn ich die brauchen könnte! Um nur aus seiner Ihnen u. mir gegebenen Verbindlichkeit los zu werden, holt er als Vorwand hervor, dass ich das Msc. durch Auslassungen, Zusätze etc. entstellt habe, u. meint, um des Renomée's des Msc. willen müsse er verlangen, dass zukünftige Editionen genau so sind, wie das Msc. ist. Will Herr Pastor Krause denn haben, dass ich mich lächerlich mache, und dass ich den alten Kant blos stelle? Das wäre aber der Fall, wenn ich alles so wieder gäbe, wie es da ist, mit den Ungeheuerlichkeiten in Satz- u. Wortbau, Wiederholungen etc. Annähernd soll es doch so wiedergegeben werden, wie Kant es selber redigirt haben würde, wenn er noch die Zeit und Kraft gehabt hätte. Ich glaube, Kant besser zu dienen, wenn ich so verfahre wie bisher und das können mir Hr. Pastor Krause u. die andern Hamburger Gelehrten glauben, dass nicht bloss ich, sondern auch Dr. Arnoldt, der denn doch ein ganz anderer Kant-Kenner ist als Hr. Krause, sich sehr viel Mühe geben, um den alten Kant immer richtig zu verstehen u. zu ergänzen. Von einer Fälschung ist absolut keine Rede. Was Hr. Krause verlangt, kann wirklich einzig u. allein nur eine Photographie leisten. Zu einer blossen Maschine aber habe ich mich nie hergeben wollen und wird auch kein edeldenkender Mensch von mir verlangen." 2
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So die eigenhändige Abschrift Reickes in den Akten der KK, II-VIII, 154, fol. 16f. Akten der KK, II-VIII, 154, fol. 23-25.
Grundzüge der Überlieferung
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Für die Berliner Akademie, der Reicke und Haensell ihre Rechte an den Manuskripten in den 1890er Jahren übertrugen, blieb Kants Werk vom Übergang für die nächsten Jahre unerreichbar. Wie gesagt, der Prozeß war im Juli 1902 verloren worden - und im selben Monat hat Dilthey sein Vorwort zu Band I der Ausgabe unterzeichnet. Adickes blieb deswegen auch 1911 nichts anderes übrig als in der Einleitung zum ersten Band der Abtlg. III „Handschriftlicher Nachlaß" zu vermerken: „Das grosse unvollendete Manuscript, an dem Kant in den letzten Jahren seines Lebens arbeitete, und von dem R. Reicke in der Altpreussischen Monatsschrift (Bd. XIX-XXI, 1882-4) den grösseren Theil veröffentlichte, war der Ausgabe nicht zugänglich und erscheint deshalb nicht in ihrem Rahmen." 1
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AA-Kant XIV; S. XXV.
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Teil II
Β. Zur Editionsgeschichte bis in die Zeit der Akademie-Ausgabe Vor dem dargelegten Hintergrund der Überlieferungslage lassen sich die noch fehlenden Etappen in der Geschichte der Edition von Kants Nachlaß bis in die Zeit der Arbeiten an der Akademie-Ausgabe in wenigen Bemerkungen zusammenfassen. Diese tragen zwar überwiegend dokumentarische Züge, sie sind jedoch aus einem anderen Grund für eine Benutzung der Abtlg. III „Handschriftlicher Nachlaß" unumgänglich: Bekanntlich ist in der Folge des Zweiten Weltkrieges ein Großteil der handschriftlichen Originale Kants verschollen, so daß die Akademie-Ausgabe im letzten, 1955 erschienenen, Band der Abteilung nahezu ausschließlich auf ältere Editionen zurückgreifen mußte. Diese Drucke sind damit zu primären Überlieferungsträgern geworden. Weil die Akademie-Ausgabe in Bd. XXIII nicht einmal in Rudimenten versucht hat, die Umstände der Entstehung dieser frühen Kant-Editionen darzustellen, 1 sollen die folgenden Ausführungen auch dazu beitragen, die so fehlende Information über deren historische Kontexte nachzuholen. Beck als Vorhut (1794) Paradoxerweise datiert der Beginn der Publikation eines ersten Teils aus Kants Nachlaß auf das Frühjahr 1794. Kants unmittelbarer Schüler (Königsberger Matrikel: 8.10. 1783) Jacob Sigismund Beck (1761-1840) veröffentlichte im zweiten Band seines »Erläuternden Auszugs aus den critischen Schriften des Herren Prof. Kant auf Anraten desselben« im Rigaer Verlag von Johann Friedrich Hartknoch im Frühjahr 1794 unter der Überschrift „Anmerkungen zur Einleitung in die Critik der Urtheilskraft" einen Auszug aus der später sogenannten „Ersten Einleitung" in die genannte Schrift Kants. 2 Ihr Autor hatte dem in bescheidenen ökonomischen Verhältnissen in Halle als Privatdozent (ab 1791) lebenden Beck das Manuskript mit Schreiben vom 18. August 1793 zugesandt. 3 Mit der Aushändigung setzte Kant den Schlußpunkt unter seine im September 1791 einsetzenden Bemühungen, Beck zur Abfassung eines „zusammenschmeltzenden Auszugs" aus seinen „critischen Schriften" zu bewegen. 4 Der Anlaß dazu war durch eine entsprechende Bitte seines Verlegers der 1780er Jahre (Hartknoch) gegeben. 5 Es scheint mir kaum zweifelhaft, daß Beck sich noch während seiner Königsberger Studienzeit die in dem ganzen Vorgang sichtbar werdende Hochschätzung Kants erworben hat. 6 Mitgewirkt haben wird auch Becks Freundschaft mit dem nur wenig älte-
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Vgl. AA-Kant XXIII, 5 0 7 - 5 1 4 und Lehmann 1969, 3 - 1 2 bzw. Lehmann 1956b.
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Zur Publikationsgeschichte der Schrift vgl. AA-Kant X X 4 7 5 - 4 7 9 .
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Vgl. AA-Kant XI 441.
4
Nach AA-Kant XI 2 8 9 - 2 9 0 , Brief v o m 27. Sept. 1791.
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Vgl. dazu den Briefwechsel zwischen Kant und Beck 1791-1793.
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Leider sind in den mir bekannten Arbeiten über Beck keinerlei biographisch orientierte Quellenstudien zu
Editionsgeschichte
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ren Christian Jacob Kraus (1753-1807), dem früheren Schuler und damaligen Spezialkollegen Kants an der philosophischen Fakultät, 1 und seine Verbindung zum Königsberger Hofprediger und Mathematiker Johann Schultz (1739-1805). Beck hatte am 30. April 1793 diesem zum Beispiel ganz ungeschminkt seine Meinung über Karl Leonhard Reinholds (1758-1823) »Theorie des Vorstellungsvermögens« mitgeteilt: „Ich gestehe aber, daß ich ehedem für mein Subject, schon darüber, und zwar nicht auf eine vortheilhafte Art entschieden hatte. Ich verstehe das Buch bis zu dieser Stunde nicht." 2 Diese persönlichen Beziehungen deuten an, daß die Aushändigung der „Ersten Einleitung" von Kant als Bestandteil seines Strebens, die Anerkennung der kritischen Philosophie in der Gelehrtenwelt zu befördern, 3 begriffen wurde. Kant zeigt sich bemüht, unter der nachwachsenden Generation diejenigen zu fördern, die das „kritische Geschäft" im Sinne des Finnengründers betreiben. Jäsche / Rink: Versuche der Werkgewinnung (1799-1804) Von einem ganz anderen Charakter als Becks »Anmerkungen zur Einleitung« sind die vier Publikationen, die von den designierten Nachlaßbewahrern Jäsche und Rink noch zu Kants Lebzeiten zwischen 1799 und Frühjahr 1804 erarbeitet worden sind. Auch diese sind - der buchstäblichen Wortbedeutung 4 nach - nicht als Veröffentlichungen aus dem „Nachlaß" anzusehen. Bei Jäsches »Logik« und Rinks »Physischer Geographie«, »Pädagogik« und der »Preisschrift über die Fortschritte in der Metaphysik« handelt es sich jedoch auch nicht um Werke, die Kant selbst redigiert hat, sondern um Versuche seiner Schüler, aus den ihnen übergebenen Manuskripten Werke zu gewinnen. In ihren Einleitungen stellen sie sich weder als bloß unselbständige Gehilfen des greisen Philosophen dar, noch gestalten sie ihre Werke nach dem Vorbild philologisch getreuer Editionen, die insbesondere Rink durch seine Arbeiten auf dem Gebiet der Orientalistik vertraut waren. Die Berliner AdW stand mit der Abgrenzung der vier Abteilungen ihrer Ausgabe vor dem Problem, wie mit diesen Drucken zu verfahren sei. In ihrem Vorgehen liegt eine Inkonsequenz, denn sie ordnete nur die ersten drei dieser Bücher den „Werken" zu. Die von Dilthey zur Abgrenzung der „Werke" formulierte Bestimmung „alle wissenschaftlichen Arbeiten Kants, welche von ihm selbst oder in seinem ausdrücklichen
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finden, so daß die Angaben des »Neuen Nekrolog« von 1842 und der zwei außerhalb der AA-Kant erreichbaren Briefe von Beck notwendig sehr lückenhaft sind. Zum ersteren vgl. Pötschel 1910 und Krönig 1927; zu letzteren, Vaihinger 1880a, 298-299: Beck an Karl Ludwig Pörschke, 30.März 1800 (Ein weiterer, umfänglicherer Auszug des Briefes in Dorow 1841a, 152-153 Anm.) - Von einem Nachlaß Becks habe ich keine Spur finden können in Sass 1974 und Henrichs/Weeland 1987. Vgl. Voigt 1819, 270, 297, 329, 356 und 392. Zur Enge des Verhältnisses zwischen Kant und Kraus in der Mitte der 1780er Jahre - Becks Königsberger Studienzeit! - vgl. Stark 1987b. Der recht umfangreiche Brief befindet sich als „Hagen 136" in den Kantiana der Bayerischen SB in München. Vgl. dazu Stark 1987b. Vgl. dazu hier oben S. 38.
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Auftrag veröffentlicht sind", 1 gilt auch für die »Preisschrift«. Ganz ohne Zweifel hat Rink die Redaktion dieser Schrift im Auftrag Kants übernommen und es ist ein unerheblicher Umstand, daß er sein Vorwort zur »Preisschrift« erst kurz nach dem Ableben Kants verfaßt hat. 2 Auch mit einigem Wohlwollen ist kein Kriterium auszumachen, daß erlaubte, die vier von Jäsche und Rink erarbeiteten Drucke den Abteilungen hier „Werke" da „Handschriftlicher Nachlaß" zuzuordnen. Der Fehler liegt in der Annahme begründet, dasjenige, was „unter [Kants] Autorität" veröffentlicht wurde, als ein „Werk" des Autors Kant anzusehen. Diese Orientierung an einer juristischen Vorstellung 3 führt zum unauflösbaren Konflikt mit einer sachlich begründeten Einteilung. Ihrem Inhalt nach wären die vier Drucke folgendermaßen einzuordnen: 1) Vorlesungen: »Logik«, »Physische Geographie« und »Pädagogik«, 2) Werkel »Preisschrift«. Ihrer äußeren Verfassung nach könnte allenfalls die »Logik« zur Abteilung „Handschriftlicher Nachlaß" gezählt werden, denn die Basis der Jäscheschen Edition, Kants durchschossenes Exemplar von Meiers »Auszug aus der Vernunftlehre«, war der Ausgabe zugänglich. Dieser äußere Umstand ist jedoch allein der Tatsache zuzurechnen, daß sämtliche Handschriften, auf deren Grundlage Rink seine Texte herstellte, verloren gegangen sind. Unter Berücksichtigung der Überlieferungssituation und der Gliederung der Ausgabe in vier Abteilungen wäre logisch konsistent und allein sachgerecht die Zuweisung von einerseits »Logik«, »Physischer Geographie« und »Pädagogik« zu den „Vorlesungen" und andererseits der »Preisschrift« zum „Handschriftlichen Nachlaß". 5 Derartige Überlegungen lagen jenseits des Horizonts von Jäsche und Rink. Sie haben aus unbekannten Gründen die Bearbeitung Kantischer Papiere mit dem Zweck der Publikation übernommen. Sie haben jedoch ihre weiter reichenden Pläne 6 nicht ausgeführt, sondern nach Kants Tod definitiv abgebrochen. Die zur Verfügung stehenden Quellen enthalten deutliche Hinweise, die diesen schon 1802 einsetzenden Sinneswandel erklärlich machen: Die überwiegend negative Reaktion der Öffentlichkeit wird bei Rink den Hauptgrund abgegeben haben. 7 Bei Jäsche dürften die auf ihn ab dem Sommersemester 1802 zukommenden Lehrverpflichtungen an der Universität in Dorpat mitgespielt haben. 8 Nicht zuletzt ist zu vermuten, daß die Beendigung des engen 1 2 3
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8
AA-Kant I; S. X. „Hat doch, wie ich soeben erfahre, Kant die große Rolle seines Lebens beendigt." Zitiert nach AA-Kant XX 258. Eine Verwendung von juristischen Argumenten bei der Anordnung und Abgrenzung der Abteilungen der Ausgabe ist meines Erachtens schon deswegen nicht erlaubt, weil sich die gesamte Abtlg. III über den etwaigen Willen der Person Immanuel Kant hinwegsetzt. Vgl. Adickes in AA-Kant XIV; S. XXIII-XXV. Gemäß der eben zitierten Bestimmung Diltheys. Man sieht: Diltheys Konzept entspricht bei genauerer Betrachtung eben doch nicht dem gegenwärtigen Begriff von einer „historisch-kritischen Edition", vgl. Jacobs 1987a. Vgl. hier S. 22. Vgl. dazu oben S. 27. Vgl. auch Rinks Bemerkung in seinem Vorwort zur »Pädagogik« in AA-Kant IX 440. Und Rink 1803, 34: „Den grossesten Theil der übrigen Handschriften Kant's, wird künftig Hr. Prof. Jähsche zum Druck befördern." Vgl. »Dörptische Beyträge« 3 (1821) 485.
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persönlichen Verhältnisses zwischen Rink und Jäsche, sie lebten beide seit Sommer 1801 in Danzig, mit Jäsches Übersiedlung nach Dorpat im Frühjahr 1802 notwendig aufhörte. Hinzu kamen nach Kants Tod vielleicht auch Pietätsrücksichten; denn bei den Königsberger Nachlaßbewahrern scheint eine andere Meinung über den Umgang mit den von Kant hinterlassenen Manuskripten und Büchern bestanden zu haben. „Gensichen selbst ging von der Ueberzeugung aus, daß nur Vollendetes von Kant gedruckt werden solle und daß schon mit den Ausgaben der Logik durch Jäsche, mit der physischen Geographie und Pädagogik durch Rink der Schluß für die zum Druck noch reifen Arbeiten gemacht wäre."1 Nicht ausgeschlossen ist, daß auch verlegerische Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben; um 1800 wendete sich das Interesse des philosophischen Publikums von Kant ab und folgte den vor allem in Jena aufgehenden neuen Sternen am akademischen Horizont. Sojedenfalls erklärte sich Karl Rosenkranz (1805-1879) rückblickend die Tatsache, daß bei der im Sommer 1832 in Leipzig durchgeführten Versteigerung der Verlagsartikel von Friedrich Nicolovius unter anderem noch 210 Exemplare der »Logik« und 1460 der »Pädagogik« angeboten wurden. 2 Ob dies mutatis mutandis auch für die »Preisschrift« galt, kann nach meinem derzeitigen Informationsstand nicht entschieden werden; denn Rink ließ sie - wie zuvor schon die »Physische Geographie« und kurz darauf seine »Ansichten« - vom Königsberger Verlagshaus Goebbels & Unzer verbreiten. 3 Vollends aussichtslos wurde ein solches Kant-Unternehmen in der Zeit der Napoleonischen Kriege, die auch den Untergang des alten Preußen bewirkten. Schließlich ist hier noch eine weitere Edition zu erwähnen. Im Jahr 1800 ist im Verlag von Friedrich Nicolovius eine »Sammlung einiger bisher unbekannt gebliebener kleiner Schriften von Immanuel Kant« erschienen. Als Herausgeber nannte sich Friedrich Theodor Rink auf dem Titelblatt. Das schmale, 80 Seiten umfassende Bändchen ist zwar keine Nachlaß-Publikation, muß aber hier angesprochen werden, weil es fünf Schriften Kants aus dem Jahrzehnt 1758-68 enthält. Damit stellt die Ausgabe eine Abkehr von Kants eigenem, gerade 2 1/2 Jahre zuvor erklärten Willen dar. In seinem Brief an Tieftrunk vom 13. Oktober 1797 hatte Kant geschrieben: „Zu Ihrem Vorschlage einer Sammlung u. Herausgabe meiner kleinen Schriften willige ich ein; doch wollte ich wohl daß nicht ältere als von [!] 1770 darin aufgenommen würden, so daß sie mit meiner Dissertation: de mundi sensibilis et intelligibilis forma &c. anfange." 4 1
Schubert 1858, 59. - Zu bedenken ist freilich, daß Schubert dies kaum unmittelbar von Gensichen erfahren hat; denn der starb 1807, als Schubert gerade 8 Jahre alt war. V i e l l e i c h t ist Schuberts Informant mit Christian Friedrich Reusch ( 1 7 7 8 - 1 8 4 8 ) zu identifizieren, vgl. Reusch 1848. Möglich erscheint auch, daß Gensichens Äußerung primär auf die Papiere des Werks vom „Übergang" zielt.
2
Rosenkranz 1837, 30. Vgl. dazu hier Teil V: Beilage
3
Vgl. Rink 1805 und A d i c k e s 1896, Nrn. 109, 110. - Bei d e m s e l b e n Verlagshaus sollte 1 8 0 2 auch in der Bearbeitung von Jäsche eine »Metaphysik« erscheinen; ebenda Nr. 107.
4.
4
AA-Kant XII 208.
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In der nicht überlieferten Anlage zu seinem Schreiben vom 11.Dezember 1797 hat Kant diese Beschränkung zwar erheblich modifiziert, 1 und dennoch enthält die dreibändige Tieftrunksche Ausgabe der »Vermischten Schriften« (Halle 1799) nicht sämtliche Publikationen Kants aus der Zeit vor 1781. Die Rinksche Edition von 1800 versucht offenbar, dieses Manko aufzufüllen. Es liegen keinerlei Informationen vor, in Kant selbst ihren Initiator zu sehen. Auch geht der Tenor der kurzen Vorrede nicht dahin, daß in die aktuelle philosophische Diskussion eingegriffen werden soll. Im Gegenteil, im Schlußabsatz der Vorrede bemerkt Rink zur Aufnahme der »Gedanken bei dem frühzeitigen Ableben des Herrn Johann Friedrich von Funk« (1760): „Indessen bin ich gewiß, daß wieder ein anderer Theil des Publicums ungerne diesen Aufsatz würde vermißt haben, da der Verfasser hier fast mehr, als sonst irgendwo, aus der Schule in das bürgerliche Leben übertritt, und dadurch gewisse Gesichtspunkte zur liebenswürdigsten Charakterschilderung seiner selbst eröffnet, ohne dabey, was er sonst ist, im mindesten weniger zu seyn." 2 Deutlich zeigt sich, daß die Sammlung einen historischen Charakter trägt, so als ob ein Denkmal des großen Königsbergers schon zu seinen Lebzeiten aufgerichtet werden sollte. Eben diese Edition wurde als Titelauflage 3 integriert in einen 1807 von Nicolovius verlegten Band, dessen erstes Titelblatt »Immanuel Kant's vermischte Schriften. Vierter Band. Aechte und vollständige Ausgabe« lautet. Das zweite hingegen kopiert mit einer kleinen, unbeabsichtigten sprachlichen Nuance unter Weglassung des Herausgebervermerks den Wortlaut von 1800: »Sammlung einiger bisher unbekannt gebliebenen kleinen Schriften von Immanuel Kant. Zweyte sehr vermehrte Auflage.« Er umfaßt 424 Seiten und enthält am Schluß in Erstpublikation Kants Brief vom 29.Juli 1778 an den kurz zuvor verstorbenen Königsberger Hofprediger Wilhelm Crichton (1732-1805). Rosenkranz / Schubert: Die erste Gesamtausgabe (1838-1842) Gegen Ende der Regierungszeit Friedrich Wilhelm III befaßten zwei Königsberger Professoren sich aufgrund je verschiedener Erwägungen mit dem Gedanken, eine
1
Vgl. dazu Adickes Bemerkung zur Rfl. 6 3 5 9 in AA-Kant XVIII 6 8 5 - 6 8 6 . Ferner Kants Erklärung zu Protokoll (3. Oktober 1800, AA-Kant XIII 5 1 5 ) im Verlauf der gerichtlichen Auseinandersetzung z w i s c h e n N i c o lovius und Tieftrunk um die Rechtmäßigkeit der Publikation des ersten Teils des »Streit der Fakultäten« im Rahmen der »Vermischten Schriften« von 1799: Kant konnte sich rückblickend nicht mehr besinnen, ob er Tieftrunk den Abdruck von vor 1770 geschriebenen „Piecen" bewilligt hatte. - Alles Umstände, die Dilthey im Vorwort zur Gesamtausgabe v o m Juli 1902 unbekannt waren, vgl. AA-Kant I; S. V.
2
Nach Kant (ed. Rink) 1800, 4; dasselbe Kant (ed. N i c o l o v i u s ) 1807, 4. Eine kurze Besprechung erschien in den G G A am 2.Mai 1800, 71.St., S.709-11.
3
Anhand der Exemplare der U B Marburg X I X C 2 2 6 bzw. X I V C 2 2 4 ist leicht festzustellen, daß der ab 1807 vertriebene Band die Restauflage des 1800 publizierten in sich a u f g e n o m m e n hat: D a s doppelte Titelblatt von 1807 ist angeklebt, ein z w e i Blätter umfassendes, römisch von V-VIII paginiertes Inhaltsverzeichnis ist eingeschnitten und ersetzt das einblättrige von 1800 mit den arabischen Seitenzahlen 5-6. In beiden Fällen beginnt der Kant-Text erst S. 7. - Bei dieser Sachlage besteht kein Grund einen v o m Verleger verschiedenen Herausgeber anzunehmen.
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Ausgabe der »Sämmtlichen Werke« Immanuel Kants zu veranstalten. Während der Philosoph Karl Rosenkranz das „immer dringender" werdende „Bedürfniß nach einer vollständigen Uebersicht alles Dessen, was Kant gethan hat," diagnostizierte und die Erfüllung eines solchen Wunsches als „eine literarische Ehrensache der Nation" ansah, 1 war für den Historiker Friedrich Wilhelm Schubert (1799-1868) ein äußerer Anlaß durch die Tatsache gegeben, daß er 1836 oder 1837 zufällig mit der Auflösung des Königsberger Verlagsarchivs von Friedrich Nicolovius 2 in Berührung kam und so Kenntnis von einer Vielzahl eigenhändiger Manuskripte Kants erhielt. Ein „genaues Studium derselben vertiefte [ihn] so in Kants Wirken u. Werke, dass [er] nun nicht mehr von dem Gedanken loskommen konnte, [Kants] Biograph zu werden u. zur Gesammtausgabe seiner Werke eifrig anzuregen." 3 Schubert vermittelte einen Teil der Handschriften zum Ankauf durch die Universitätsbibliothek, andere Stücke behielt er selbst. 4 Mit der Verbindung beider Interessen nahm die Ausgabe rasch Gestalt an. 5 Ihre zwölf Teile erschienen in den Jahren von 1838 bis 1842. Für den Part der Edition von Handschriften war Schubert zuständig. Er machte nicht nur innerhalb seiner Kant-Biographie (Bd. XI/2) reichlich Gebrauch von Briefen und Briefentwürfen, sondern schickte dieser einen eigenen Teilband (Bd. XI/1) »Briefe, Erklärungen. Fragmente aus seinem Nachlasse« voran. In einer kurzen Vorbemerkung zu den Fragmenten zeigt sich Schubert zwar bemüht, einen Bericht über Art und Umfang des handschriftlichen Nachlasses zu geben. Dabei sind ihm - wie gezeigt 6 - gravierende Fehleinschätzungen unterlaufen. Mehr noch, er hat ganz offensichtlich keine zielgerichteten Recherchen unternommen, um das Schicksal des Nachlasses aufzuhellen. Trotzdem, seine „Fragmente" und die folgenden kurzen Aufsätze, die ihre Entstehung meist einer Rede in der Königsberger Kantischen Geburtstagsgesellschaft verdanken, 7 sind noch heute unverzichtbar, denn nicht wenige Originale zu den von Schubert gebotenen Texte müssen heute als verschollen gelten. 8 Baumann/Modes: Die Leipziger Konkurrenzausgabe (1838-1839) Scheinbar unabhängig von den Königsberger Bestrebungen wurde von Gustav Hartenstein ( 1808-1890) etwa gleichzeitig in Leipzig eine weitere Werkausgabe erarbeitet. Obwohl Hartenstein nur sehr vereinzelt handschriftliches Material benutzen konnte, 9 1
Rosenkranz 1837, 27.
2
D a s genaue Datum konnte ich nicht ermitteln. Friedrich N i c o l o v i u s starb am 16. Mai 1836 (vgl. Altpreußische Biographie); eine Subskriptionsanzeige für die A u s g a b e datiert v o m 9. Juli 1837; vgl. Warda (Hg) 1926, 8 Anm. zu Brief 15.
3
Vgl. Schuberts Brief an Herbart v o m 12.Dezember 1838, in KS 1 7 / 1 9 1 2 / 4 9 3 - 4 9 4 .
4
An erster Stelle ist hier zu nennen der Erwerb des Kantischen Handexemplars der »Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen« von 1764, vgl. dazu Marie Rischmüller (Hg) 1991.
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Vgl. dazu auch Dietzsch 1987, 4 2 3 - 4 3 1 .
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Vgl. hier Teil I.
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Vgl. die Literaturliste s. v. Schubert und Döhring 1905.
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Vgl. dazu hier Teil IV B. 2.a.
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Vgl. Hartenstein (Hg) 1 8 3 8 - 1 8 3 9 : Bd. X , S.XIf., S.XVIII-XIX: Es handelt sich um insgesamt drei Briefe von Kant.
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so daß eine Berücksichtigung hier überflüssig scheint, ist ein kurzes Eingehen erforderlich; denn die Verleger der Leipziger Kant-Ausgabe sahen sich selbst als Nachfolger der Firmen von Johann Friedrich Hartknoch (Riga/Leipzig) und Friedrich Nicolovius (Königsberg). Der Ausgabe selbst ist dies freilich nicht zu entnehmen. Im Stadtarchiv Leipzig findet sich jedoch unter den Akten der sogenannten Bücherkommission ein schmales Faszikel von 38 Blatt, 1 worin ein Rechtsstreit zwischen Leopold Voss, dem Verleger der Königsberger von Rosenkranz und Schubert besorgten Ausgabe, einerseits und Friedrich August Modes und Carl Otto Baumann (gest. 1861), 2 den Verlegern der Leipziger Konkurrenzausgabe, andererseits dokumentiert ist. Die Leipziger Bücherkommission war um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert primär für die Zensur im Königreich Sachsen zuständig, 3 daneben erfüllte sie jedoch auch die Funktion einer Behörde, die über das Copyright zu wachen hatte. Als nun im Juli 1837 der Verleger Voss mit einer gedruckten Anzeige zur Subskription der Königsberger Gesamtausgabe aufrief, wandten sich Modes und Baumann am 19. August 1837 an die Bücherkommission und erhoben Beschwerde wegen Nachdrucks Kantischer Werke. Sie beanspruchten, Inhaber der Rechte an denjenigen Werken zu sein, die Kant Johann Friedrich Hartknoch bzw. Friedrich Nicolovius in Verlag gegeben hatte. Baumann war seit dem 9. April 1834 Inhaber des de nomine noch existierenden Verlages von Hartknoch, 4 und Modes war Rechtsnachfolger der Firma Immanuel Müller, die im Sommer 1832 in Leipzig den Verlag von Nicolovius ersteigert hatte. 5 Obwohl Baumann und Modes sich unter anderem darauf beriefen, noch eine erhebliche Anzahl der je letzten Auflagen Kantischer Werke auf Lager zu haben, und zum Beleg für Ihren Rechtstitel zwei eigenhändige Honorarquittungen Kants vorlegten, 6 scheiterte ihre Beschwerde mehrfach. Die Bücherkommission hielt die vorgebrachten Argumente nicht für hinreichend, 1) das Eigentum am Verlag zu begründen, und 2) bestand sie - auch nach dem Abschluß der Königsberger Ausgabe - auf dem Zweifel, ob die Gesamtausgabe juristisch als Nachdruck zu werten sei.7 Allem Anschein nach verdankt sich die Leipziger Ausgabe also dem Versuch von Modes und Baumann, sich wenigstens ökonomisch schadlos zu halten. Innerhalb der vom Leipziger Professor für Philosophie, Gustav Hartenstein, besorgten zehnbändigen Werkausgabe findet sich nur ein verkappter Hinweis auf die dargelegte Auseinandersetzung. In der Vorrede (S. XVIIIf.) zu Bd. VIII (1839), der unter anderem Kants Magisterdissertation »de igne« enthielt, gab Hartenstein auch die Herkunft des Manuskriptes an: 1 2 3 4 5 6 7
Signatur; II. Sektion V 284. - Frau Dr. Berger (Stadtarchiv Leipzig) danke ich für seinen schriftlichen Hinweis (vom 19. März 1992) auf diesen Bestand. Vgl. dazu Schmidt 1902-1908. Vgl. Kobuch 1988, 34. Baumann hatte die Witwe von Johann Friedrich Hartknoch d. J. geheiratet, die ihm das Geschäft ihres früheren Mannes übereignete, vgl. Schmidt 1902-1908, 379. Vgl. hier TeilV.A. Vgl. dazu hier S. 236. Der Rechtsstreit zog sich bis in den Juni 1841.
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„Jene Handschrift ist aus den Händen des Buchhändlers Nicolovius aus Königsberg beim Verkaufe seiner Buchhandlung mit in den Besitz des Herrn Buchhändlers Modes in Leipzig gekommen; Nicolovius selbst, der sie jedoch zu der Zeit, wo er den 4. Bd. der vermischten Schriften Kant's besorgte, schwerlich schon besessen hat, hatte sie mündlicher Aeußerung zufolge von einem Verwandten Kant's erworben." 1 Dieser Hinweis auf die Leipziger Versteigerung der Nicolovius'sehen Verlagsartikel 2 liefert indirekt einen Beleg dafür, daß an Modes oder Baumann keine weiteren Nachlaßpapiere Kants gelangt sind: Wären ihnen solche verfügbar gewesen, so hätte Hartenstein auch diese für die Leipziger Ausgabe herangezogen. Insbesondere deswegen, weil es S. 3 des von Voss vertriebenen Prospekts (Ein gedrucktes Schreiben von Rosenkranz und Schubert vom 9. Juli 1837) zur Königsberger Ausgabe hieß: „Aus einem bedeutenden, im Besitz der hiesigen Königlichen Bibliothek befindlichen handschriftlichen Nachlass, insbesondere praktischen Inhalts, wird das Interessanteste mitgetheilt." 3 Voss verteidigte sich gegen den Vorwurf des Nachdrucks unter anderem mit dem Argument, daß er „ keine neue Auflage der einzelnen Werke, sondern eine Gesammtausgabe nach dem bedeutenden handschriftlichen Nachlasse des Verfassers, mithin von Kant's sämmtlichen Werken eine Ausgabe letzter Hand beabsichtige." 4 Benno Erdmann: Das Interesse an einer wissenschaftlich fundierten Entwicklungsgeschichte der Philosophie Kants (1876-1884) Ein echter forschungsgeschichtlicher Neuansatz wurde in der Folge des mit den Namen Eduard Zeller 5 und Otto Liebmann 6 verknüpften Rufes „Zurück zu K a n t " erst etwa eine Generation später durch Zellers Schüler 7 Benno Erdmann (1851-1921) gewonnen. Bald nach seiner Berliner Dissertation von 1873 muß er - aus ungeklärten 8 Gründen - den Plan zu weit ausgreifenden entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen der Philosophie Kants gefaßt haben. Diese schlagen sich nieder in einer umfäng-
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Das von Hartenstein benutzte Ms ist genauso verschollen, wie das von Schubert und der Akademie-Ausgabe benutzte Exemplar der Königsberger UB. Vgl. dazu unten Beilage A. Exemplar: Stadtarchiv Leipzig, II. Sektion V 284. Voss an die Bücherkommission vom 29. September 1837: Stadtarchiv Leipzig, II. Sektion V 284, fol. 11 '. Zur Königsberger Sicht der Querele vgl. Rosenkranz 1856. Ziegler schrieb im »Biographischen Jahrbuch«: „[...], da war es Eduard Zeller, der dagegen [sc. den Tiefstand der neueren deutschen Philosophie] auf die einzig mögliche und einzig wirksame Hilfe hinwies: Der Ruf 'zurück zu Kant!' ist in seiner schon genannten Heidelberger Antrittsvorlesung am 22. Oktober 1862 von ihm als Losung ausgegeben worden." (Ziegler 1910, 57). Vgl. das Festheft der »Kant-Studien« 15/1910 und der dort hergestellte Bezug auf Liebmanns Werk »Kant und die Epigonen« von 1865. An einer genaueren Festlegung des Einsetzens entwicklungsgeschichtlicher Ansätze habe ich kein Interesse genommen. Hinske 1977a, 321 verweist auf eine Schrift Kuno Fischers aus dem Jahr 1858 »Clavis Kantiana«. Vgl. Dietrich 1927, 88-92. Mitgewirkt hat ohne Zweifel auch die Vorphase von Friedrich Paulsens (1846-1909) großartigem Buch, vgl. Paulsen 1875 und die Andeutungen in Paulsens Autobiographie (Paulsen 1910, 182-183 & 189-190). Bei Sass 1974 findet sich kein Hinweis auf einen etwa erhaltenen Nachlaß von Benno Erdmann.
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liehen, Kant zugewendeten editorischen 1 Arbeit, einer bis vor kurzem 2 als Standard geltenden Spezialuntersuchung über Kant als akademischen Schüler Martin Knutzens (1713-1751) und schließlich in Recherchen zu und Publikationen aus handschriftlichen Materialien. N o c h als Berliner Privatdozent entlieh Erdmann zwei der Universitätsbibliothek Dorpat (Tartu) gehörige, durchschossene Exemplare von Kants Handbüchern zu seinen Vorlesungen über Logik und Metaphysik und entwickelte den ersten Plan einer Ausgabe eines Teils von Kants handschriftlichem Nachlaß. Sein Interesse richtete sich, nachdem mit Jäsches Ausgabe der »Logik« (1801), wie gesagt, Kants Exemplar von Georg Friedrich Meiers »Auszug aus der Vernunftlehre« herangezogen worden war, primär auf die »Metaphysik« von Alexander Gottlieb Baumgarten ( 1 7 1 4 - 1 7 6 2 ) , aus dem „bisher noch nichts zur Veröffentlichung gelangt" war. 3 Während er das Kantische Exemplar des »Auszugs aus der Vernunftlehre« rasch zurückgab, 4 behielt er dasjenige der »Metaphysik« auch nach seiner Berufung an die Universität Kiel (1878) für insgesamt etwa sechs Jahre (1876-82). 5 In dieser Zeit nahm er auch Interesse an einem in der U B Königsberg erhaltenen Exemplar der ersten Auflage der »Kritik der reinen Vernunft«, das aus dem Vorbesitz des Autors stammte. Er umschrieb Gehalt und Bedeutung des Exemplars wie folgt: „Dasselbe enthält zahlreiche Randbemerkungen von Kants Hand, teils Einzelverbesserungen, teils Zusätze, die entweder direct an den vorliegenden Text angeknüpft sind, oder nur in sachlichem Zusammenhang mit demselben stehen, endlich auch mehrfache kurze Angaben von Umarbeitungsplänen. Nur ein ganz kleines Bruchstück dieser Bemerkungen stimmt mit dem Plan und dem Einzelinhalt der Veränderungen der zweiten Bearbeitung [»Kritik der reinen Vernunft«, 2.Auflage, 1787] wirklich überein."6
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»Kritik der reinen Vernunft« Berlin 1 1878, Berlin 2 1880, Hamburg/Leipzig -M884. (Adickes 46); »Prolegomena« Leipzig Ί 8 7 8 (Adickes 49); »Kritik der Urteilskraft« Hamburg Ί 8 8 0 , Hamburg/Leipzig 2 1884 (Adickes 71) Erdmann 1876a; vgl. dazu Waschkies 1987a. Eine auch von Waschkies nicht benutzte Quelle sind die überwiegend bislang nicht edierten Briefe (u. a. neun von Knutzen selbst aus der Zeit von 1740-1747) aus Königsberg und Alt-Preußen an Johann Christoph Gottsched (1700-1766), die in der Leipziger U B erhalten sind. Eigene Einsicht im Dezember 1989, vgl. die Auflistung in Kessler 1937, die Darstellung von Wehr 1965 und das Register von Suchier 1971. Erdmann 1876b, 211. Gelegentlich seiner Rezension der Arbeit von M. Steckelmacher »Die formale Logik Kants in ihren Beziehungen zur transzendentalen« (Breslau 1879), kommt Erdmann innerhalb eines eingeschobenen Abschnitts zur Frage: inwieweit ist Jäsche's Logik Kantisch? auf seine eigene Kenntnis von Kant's Handexemplar des Meierschen »Auszugs« zu sprechen. Er gibt an, das Handbuch „im Augenblick nicht zur Verfügung" zu haben, und er sei aufgrund "früherer, leider nur kurzer Durchsicht des Kantischen Handexemplars gewiß, daß dasselbe mancherlei logische und andere Notizen aufweist, deren Verwerthung Jäsche nicht einmal versucht hat." (Erdmann 1880, 617f.) Die Dauer der Entleihung der »Metaphysik« ergibt sich aus zwei Stellen der Einleitungen in Erdmann (Hg) 1882; S. Vf. und Erdmann (Hg) 1884; S. VII, vgl. Erdmann 1876b, 211. - Herr Hain Tankler (UB Tartu) teilt mir dankenswerterweise mit Schreiben vom 11.2. 1993 mit, daß er im Estnischen Historischen Archiv die entsprechende Korrespondenz zwischen Erdmann und der Dorpater Bibliothek aufgefunden hat (Best. 402, Verz. 4, Akte 782): Aus einem Schreiben der UB Breslau vom 17. Juni 1884 gehe hervor, daß Erdmann die »Metaphysica« erneut für ein Jahr ausgeliehen hat. Erdmann 1881,7.
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Rechtzeitig zur einhundertjährigen Wiederkehr des Erscheines der ersten Auflage des Werkes ließ Erdmann seine »Nachträge zu Kants Kritik der reinen Vernunft« erscheinen, die eine knapp kommentierende Ausgabe der meist „mit flüchtigen, jetzt sehr abgeblassten Bleistiftzügen geschriebenen" 1 Bemerkungen Kants darstellen. Für die Anfertigung eines Editionstextes aufgrund des Kantischen Exemplars der Baumgartenschen »Metaphysik« konnte er „für die zeitraubende und unerfreuliche Arbeit des Abschreibens" der handschriftlichen Notizen Kants einen Studenten und einen Verwandten gewinnen. 2 Dennoch wurde der ursprünglich 3-gliedrige Plan 3 einer vollständigen Edition der Aufzeichnungen unterteilt in fünf Sachgruppen „Anthropologie", „theoretische Philosophie", „Ästhetik", „Ethik und „Religionslehre" von Erdmann nicht erfüllt. Es erschienen in Leipzig unter dem Gesamttitel »Reflexionen Kants zur kritischen Philosophie« als 1 .Bd. I.Heft die »Reflexionen zur Anthropologie« (1882) und als 2. Bd. die „Reflexionen zur Kritik der reinen Vernunft" (1884). 4 Aufschlußreich sind nun dreizehn Briefe von Erdmann an Hans Vaihinger (18521933) aus der Zeit zwischen 1882 und 1903. Sie bieten nicht nur eine Erklärung dafür, warum der Plan nicht vollständig ausgeführt wurde, sondern beleuchten auch die weiter unten zu besprechende Rolle Erdmanns als Vorsitzender der Kant-Kommission der Berliner Akademie. Erdmann verfügt etwa ab 1882 über eine vollständige Abschrift von Kants Aufzeichnungen. Im Frühjahr 1882 hat er „die erste Ordnung der Reflexionen zur theoret. Philos., über 1900 Nummern abgeschlossen." 5 Im Januar 1883 entschließt er sich, den Aufsatz 6 „über 'eine unbeachtet gebliebene Quelle zur Entwicklungsgeschichte Kants' [...], der seine Stelle in dem zweiten Bande der Reflexionen finden sollte," separat herauszugeben, weil er sieht, daß er „kaum in diesem Jahre zur Veröffentlichung des letzteren gelangen werde". 7 Am 16. Februar 1883 unterrichtet er die Bibliothek in Dorpat (Tartu) über den Beginn des Drucks ihrer Handschrift. 8 Im November desselben Jahres ist „Bd. II der Reflexionen [...] druckfertig." 9 Jedoch ist Erdmann nach seiner Übersiedlung nach Breslau, wo er zum Sommersemester 1884 als Professor berufen wurde, 10 noch im September 1884 mit der Abfassung der Einleitung zu diesem Band beschäftigt," schließlich kann er Vaihinger am 5.Dezember 1 2 3
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Erdmann 1881, 8. Vgl. Erdmann (Hg) 1882; S. V. Vgl. Erdmann (Hg) 1884; S. VI: „Dieser zweite Band erscheint vor dem letzten Heft des ersten, [...]. Das Schlussheft, dessen letzte Redaction ich sofort in Angriff nehme, wird den Anhang zur Textrevision, eine Tabelle für den Ort der Reflexionen im Manuscript sowie einen Index zu beiden Bänden enthalten." - Bis heute fehlt ζ. B. diese Tabelle.
Der erste Band wurde in der »Deutschen Litteraturzeitung«, 31.März 1883, Sp. 443-445 von Jürgen Bona Meyer positiv besprochen. Meyer rezensierte kurz darauf, 7. April, im selben Organ (Sp. 477-479) auch die Ausgabe der »Nachträge«. Vgl. ferner Hinske 1992. 5 UB Bremen, NL-Vaihinger, Erdmann an Vaihinger vom 18.April 1882. 6 D. i. Erdmann 1883. 7 UB Bremen, NL-Vaihinger, Erdmann an Vaihinger vom 4.Januar 1883. 8 Mitteilung Hain Tankler vom 11.2. 1993. 9 UB Bremen, NL-Vaihinger, Erdmann an Vaihinger vom 12. November 1883. 10 Vgl. UB Bremen, NL-Vaihinger, Erdmann an Vaihinger vom 4. März 1883. 11 Vgl. UB Bremen, NL-Vaihinger, Erdmann an Vaihinger vom 20.September 1884.
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1884 erleichtert mitteilen: „Seit heut früh habe ich endlich die große Last von Bd. II der Reflexionen abgewälzt. Ich hoffe, Sie haben die Schlussbogen b e r e i t s . " 1 Der Druck gingzügig voran. - In der Folge zeigen die Briefe unmißverständlich, daß Erdmann spätestens in seiner Breslauer Zeit eine gravierende Verlagerung seiner Interessen- und Arbeitsgebiete vornimmt. Zu Beginn des Wintersemesters 1885/86 läßt Erdmann Vaihinger wissen: „Ich habe jetzt, seit der Mitte des Sommers, eine psychologische Arbeit vor, die mich um so mehr reizt, je ernster ich sie angefasst habe. Es handelt sich um Hypothesen, die ich bisher schon mehrfach für mich behandelt habe, um die Theorie der Apperception, den Ursprung u. die Bewusstseinsrepräsentation der Allgemeinvorstellungen, ihre Beziehungen zur Sprache, zum Urteil u. s. w. Ich werde mich deshalb vorerst, ich schätze noch 1 1 / 2 - 2 J[ahre] still verhalten, um meine Arbeit ganz diesem Thema widmen zu können. Auch die Refi. Bd 11,2 [!] lasse ich bis dahin liegen. Erfreulich und aufmunternd finde ich das Schweigen über die mühevolle Arbeit an Bd. II nicht. Das Einzige, was ich bisher gesehen habe, war abges. von einem Zeitungsartikel, die elende Ree. von Simmel in der D. L. Z." 2 Im November 1886 heißt es femer in einem Brief: „Meine Kantstudien habe ich für die nächste Zeit liegen gelassen, nicht zum wenigsten dazu durch die volle Gleichgiltigkeit bestimmt, mit der es aufgenommen worden ist. Ich denke, Bd 1.2 kommt so auch noch nach einigen Jahren zurecht." 3 Zehn Jahre später, in der Planungsphase der Akademie-Ausgabe, 4 fährt Wilhelm Dilthey Mitte Juni 1895 von Berlin nach Halle, um dort mit Erdmann und Vaihinger über die Bearbeitung der Abteilung des handschriftlichen Nachlasses zu beraten. 5 Gegen Ende des Monats berichtet er seinem Freund, Graf Paul Yorck von Wartenburg (18351897), über das Ergebnis des Treffens: „Die Kantausgabe hat sich aber seit vierzehn Tagen sehr anhaltend meiner bemächtigt. Eben komme ich aus Halle zurück, wo ich zwei Tage mit Erdmann und Vaihinger verhandelt. Heinze macht und leitet also die Edition der Vorlesungen, Kants Logik, Anthropologie, physische Geographie werden eine ganz andre Figur machen als bisher. Vaihinger ist zuletzt doch als der sicherste befunden und macht die Aufzeichnungen. Erdmann giebt ihm alle seine Vorarbeiten. Er wird wol die Vernunftkritik herausgeben. Reicke die Briefe. So wird in wenigen Wochen Alles geordnet sein: der Regisseur kann sich hinter die Bühne zurückziehen und das Stück beginnt. Es ist ein frischer Wind in den Segeln und man fühlt schon daß nach Beendigung des Kant die schlechte Leibnizausgabe von Gerhardt durch eine würdige ersetzt werden muß." 6 1
2
UB Bremen, NL-Vaihinger. Das Werk trägt zwar die Jahreszahl 1884 auf dem Titelblatt und das Vorwort datiert „Breslau, den 31. October 1884", doch wird es kaum vor Januar/Februar 1885 in den Handel gekommen sein. UB Bremen, NL-Vaihinger, Erdmann an Vaihinger vom 20. September 1885. Erstmals ist in den Bremer Briefen Erdmanns von einer „psychologischen Studie" am 20. September 1884, also noch vor Abschluß der Arbeiten an Bd. II der »Reflexionen« die Rede. Die recht abfällige Besprechung von Georg Simmel erschien in der »Deutschen Litteraturzeitung« am 18. Juli 1885, Sp. 1035-1036.
3 4 5 6
UB Bremen, NL-Vaihinger, Erdmann an Vaihinger vom 7.November 1886. Näheres dazu weiter unten S. 76ff. Vgl. UB Bremen, NL Vaihinger, Dilthey an Vaihinger vom 18.Juni 1895. Schulenburg 1923, 186.
Editionsgeschichte
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Die Tatsache, daß Erdmann dem designierten Herausgeber des handschriftlichen Nachlasses im Rahmen der Akademie-Ausgabe „alle seine Vorarbeiten" zur Verfügung stellen will, ist als sicheres Indiz zu werten, daß er selbst von einer Fortführung der eigenen Editionspläne längst Abstand genommen hat. Die Gründe dafür werden schließlich deutlich in zwei weiteren Briefen Erdmanns an Vaihinger. Nachdem Erdmann zwischenzeitlich 1890 einen Ruf nach Halle bzw. 1898 einen weiteren nach Bonn angenommen hat, erfährt Vaihinger brieflich am 3. Mai 1903: „Ich arbeite an einer inneren Geschichte der Prolegomenen, die fast ohne jede Antikritik fertig werden wird. Ich habe alles Bedürfnis nach wissenschaftlicher Critik Anderer verloren und einen Antrieb nach persönlich zugespitztem Streit nie besessen. [...] Ich bin der Kantarbeiten müde, und habe dringenderes fertigzustellen." 1 Und auf Vaihingers Bitte, die Arbeit in den von ihm ab 1896 herausgebenen »KantStudien« zu veröffentlichen, antwortet Erdmann abschlägig, mit folgender Wendung: „Sie ist bereits im Druck. Zu einer weiteren Abhandlung über Kant habe ich aber keine Zeit und - ich gestehe es - kein Bedürfnis. Ich habe den lebhaften Wunsch Arbeiten über Kant nicht mehr zu machen." 2 Dies ist der Hintergrund vor dem Erdmanns Wahl zum Vorsitzender der Kantkommission der Berliner Akademie (1911) gesehen werden sollte! Eine Bemerkung in seiner Akademie-Abhandlung vom März 1917 »Die Idee von Kants Kritik der reinen Vernunft. Eine historische Untersuchung« läßt erkennen, daß er den methodischen Wert auch seiner eigenen editorischen Kant-Arbeiten später sehr skeptisch beurteilte: „Mit Berufungen auf die Nachlaßveröffentlichungen bin ich aus prinzipiellen Gründen sparsam gewesen. Als primäre Quellen für die Lehrmeinung eines Philosophen sollten ausschließlich die von ihm selbst veröffentlichten Schriften gelten. Allein an sie ist die unmittelbare historische Wirksamkeit seiner Gedanken gebunden, [...]."3 Im weiteren Gang dieser »Nachforschungen« wird sich zeigen, daß und wie diese spätere Position sein Verhalten als Vorsitzender der Kommission mit beeinflußt hat. Königsberger Lokaltradition I: Reicke/Arnoldt (1858-1905) In der bisherigen Darstellung zum handschriftlichen Nachlaß fiel mehrfach der Name Rudolf Reicke (1825-1905), ohne daß dies nach einer besonderen Erläuterung verlangt hätte. Jeder, der sich heute mit der Überlieferung des Kantischen Nachlasses auseinandersetzt, stößt rasch auf das Lebenswerk des Königsberger Bibliothekars. Geht man die Titel seiner Publikationen 4 durch, dann zeigt sich, daß etwa die Hälfte dem Werk und der Person Kants gewidmet ist. Und bei näherer Betrachtung wird ebenso deutlich, daß dieser Zweig von Reickes Tätigkeit eng verkoppelt ist mit seinem eher privaten Bemühen, die ihm irgend erreichbaren Dokumente zum Werk des großen Philosophen
1
U B Bremen, NL-Vaihinger, Erdmann an Vaihinger v o m 3. Mai 1903. Die „Antikritik" zielt auf seine Auseinandersetzung mit den Königsbergern Emil Amoldt und Julius Jacobson; vgl. das Literaturverzeichnis.
2
U B Bremen, NL-Vaihinger, Erdmann an Vaihinger v o m 2 0 . 0 k t o b e r 1903.
3
Erdmann 1 9 1 7 , 4 .
4
Vgl. Krause 1905.
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Teil II
zu erwerben. Reicke gelang es, eine einzigartige Sammlung von Autographen und studentischen Nachschriften Kantischer Vorlesungen anzulegen. Zwei Jahre nach seinem Tod (16. Oktober 1905) konnte die StUB Königsberg die Sammlung durch Kauf dem Bestand ihrer Handschriften hinzufügen. 1 Wann Reicke seine Sammlertätigkeit aufnahm, läßt sich nicht genau bestimmen, doch sprechen einige Indizien dafür, in ihr die unmittelbare Fortsetzung des mit Friedrich Wilhelm Schubert einsetzenden Traditionszuges zu sehen. Zu Reickes Kant-Manuskripten gehörte nicht nur das von Schubert erworbene und in Auszügen publizierte Handexemplar 2 von Kants »Beobachtungen« sondern auch eine ganze Reihe von Losen Blättern, über die Schubert schon verfügt hatte. 3 Außerdem deutet der von Reicke stammende Vermerk auf einem Teil des in der Stadtbibliothek Königsberg verwahrten Nachlasses von Schubert (gest. 1868) „vorläufig nicht zu ö f f n e n " 4 auf eine enge persönliche Verbindung hin. Schließlich ist sicher bezeugt, daß Reicke während seines Studiums in Königsberg (1847-52) Schubert und Rosenkranz zu seinen bevorzugten akademischen Lehrer wählte. 5 Vermutlich geht also sein Startkapital über die Zwischenstation Schubert auf das Nicolovius'sche Verlagsarchiv zurück. Ganz ohne Zweifel ist durch Reickes beharrliches Bemühen ein erheblicher Fortschritt im Wissen um Kants Nachlaß und andere Dokumente zu seiner Biographie erreicht worden. Und die Würdigung Reickes durch den Nachruf von Gottlieb Krause besteht auch aus heutiger Perspektive vollauf zu Recht: „Man kann sagen, daß erst durch Reicke das archivalische Studium des Lebens und der Persönlichkeit Kants begründet worden ist. Man vergleiche z.B. die Methode Schuberts in seinen Kant betreffenden Veröffentlichungen mit der Reickes. Wie unendlich ist der Schüler dem Lehrer an Zuverlässigkeit überlegen!" 6
Ungeachtet dieser großen Verdienste darf bei Heranziehung der zur Zeit erreichbaren Informationsquellen nicht übersehen werden, daß Reicke sich der grundsätzlichen Frage: Wie ist Kants Nachlaß überliefert worden? entweder gar nicht oder nicht hinreichend zugewendet hat. In seinen Publikationen fehlt jede Reflexion auf die primäre Provenienz der ihm zugänglichen Papiere. Dieses Manko ist nicht, wie man vermuten könnte, darin begründet, daß er derartige Angaben als bibliothekarisch-archivarisches Geheimwissen, das im 19. Jahrhundert häufig nicht öffentlich war, nicht geben wollte. Vielmehr ist dieses Vorgehen nicht abzulösen von seinem Arbeitsbereich als Bibliothekar, denn dazu gehören Recherchen in Archiven eben nicht. Hinzu kommt, daß Reickes Lebensbereich bis 1885 auf Königsberg und dessen nähere Umgebung beschränkt blieb. 7 1 2 3 4 5 6 7
Verwaltungsbericht der UB-Königsberg 1907, 3-4; vgl. Stark 1985a. Vgl. Rischmüller (Hg) 1991 und Stark 1985a, 333. So ein Nebenertrag der hier S. 278f. beschriebenen Datenbank REFLEXIONEN. Seraphim 1909, 333. Der gedruckte Katalog der Stadtbibliothek zeigt, daß erhebliche Teile, nämlich 29 Kästen, aus dem Schubertschen Nachlaß in die Stadtbibliothek gelangt sind: Sc 1-14. fol.; Sc 1-15. quarto. Vgl. Krause 1905. Krause 1905, S. X. Vgl. Ilse Reicke 1936, 115.
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Den Wortlaut des Briefes von Reicke an Wilhelm Dilthey (vom 12. Januar 1889) gebe ich in extenso wieder, denn Brief und Inhalt lassen in Dilthey den Plan zu einer vollständigen Ausgabe der Schriften Kants durch die Berliner Akademie entstehen. „Hochgeehrter Herr Professor! Es war meine Absicht, die Beantwortung Ihrer Anfrage so lange aufzuschieben, bis ich derselben eine Druckschrift beilegen konnte, aus welcher Sie einiges über den Inhalt des Kantschen Nachlasses auf der hiesigen Bibliothek entnehmen könnten. Die Fertigstellung hat sich leider verzögert. Da ich nun aber aus Ihrem Schreiben an Arnoldt, das erst den Weg von hier an Prof.Dr. Franklin Arnoldt nach Breslau und von da als Einlage wieder hierher zurück gemacht hat, so eben ersehe, dass die Sache für Sie dringender ist, als ich vermuthete, so beeile ich mich Ihnen Folgendes ergebenst mitzutheilen: Der handschriftliche Nachlass Kants auf der hiesigen Königl. u. Universitäts-Bibliothek, zum grössten Theil wol durch Schenkungen in den 30er u. späteren Jahren erworben, besteht fast nur aus losen Blättern verschiedenen Formates. Schubert hat dieselben behufs Benutzung für die mit Rosenkranz gemachte Ausgabe der Werke Kants in 13 Convolute geschieden und innerhalb dieser geordnet. Diese Convolute (erst in neuester Zeit mit A - Ν bezeichnet) enthalten von Schuberts Hand folgende Inhaltsangaben: Α. 18 Blätter u. Papierstreifen zur Physik u. zur Mathematik B. C. D. E.
12 Bll. zur Critik der reinen Vernunft 15 Bll. zur Logik und gegen Eberhard. 33 Bll. zur Metaphysik. Wider den Idealismus. 78 Bll. u Papierstreifen zur Moral, zur Rechtslehre und zur Critik der practischen Vernunft. F. 23 Bll. Kants Ansichten über allgemeine Gegenstände der Politik u. des reinen Staatsrechts aus den Jahren 1785-1799 G. 28 Bll. Kants Ansichten zur Religionsphilosophie u. natürlichen Religion. Zum Streit der Facultäten. H. 59 Bll. zur Anthropologie J. 6 Bll. zur physischen Geographie K. 15 Stücke 'Kleine Concepte von Kants Hand gekauft auf der Bücherauction des Prof. Gensichen.' L. 61 Piecen 'Kleine Denkzettel von Kants Hand aus der letzten Zeit seines Lebens, (gekauft auf der Prof. Gensichenschen Bücherauction) Dazu 3 Memorienbücher von Hrn pp Buck durch Hrn Ober G.R.R. Reusch' M. (36 Piecen) Allgemeine biographische Nachrichten Entwürfe zu Briefen. N. 'LXIII Briefe an Kant, (auf der Bücherauction des Prof. Gensichen gekauft)' Dazu noch 6 andere Briefe. Hierzu bemerke ich nun, dass bereits die 4 ersten Convolute Α-D vollständig u. wortgetreu in den beiden Jahrgängen der Altpr. Monatschrift 1887 u. 1888 veröffentlicht worden sind und aus dieser in einer Sep.-Ausg. unt. d. Tit.: 'Lose Blätter aus Kants Nachlass mitgetheilt von Rudolf Reicke. l.Heft.' (19 1/4 Bog.) demnächst zum Preise von 6 Mark in den Handel kommen; selbstverständlich werde ich in der bisherigen Weise die Publication fortsetzen; das Convolut Ν (Briefe an Kant enthaltend) aber wird in der von mir in Verbindung mit Sintenis in Dorpat geplanten Ausgabe des Briefwechsels Kant's Aufnahme finden. Zu dem Nachlasse Kants gehört noch seine eigenhändige Doctor-Dissertation 'de igne' aus d. J. 1755, nach welcher die Ausgabe bei Rosenkranz u. Schubert besorgt ist. Nicht
Teil II von Kant herrührend, aber auf ihn bezüglich und mit den übrigen Convoluten aufbewahrt ist eine biographisch werthvolle Sammlung 'Kantiana' aus Walds Nachlass, welche ich bereits im J. 1860 veröffentlicht habe. Endlich sind noch zu erwähnen das Handexemplar der Kritik d. rein. Vernunft (1. Ausg.) mit handschriftlichen Bemerkungen, die Benno Erdmann im Jubeljahr der Kritik publicirt hat, u. ein paar Compendien von Wolfianern, die Kant nach damaliger vorgeschriebener Sitte seinen Vorlesungen zu Grunde gelegt u. mit Bemerkungen versehen hat. Diese sind, resp. werden von mir copirt u. edirt werden. Dies ist der handschriftl. Nachlass auf der hiesigen Kgl. Bibliothek. - Ich selbst besitze einige Autographa von Kant, wie dgl. wol an nicht wenigen Orten bei Autographensammlern sich vorfinden werden (eines davon, eine lateinische Rectoratsrede 'de Medicina corporis quae Philosophorum est' hat mein Sohn Johannes Reicke im XVIII. Bde (1881) der Altpr. Mon. mitgetheilt) femer das sehr wertvolle Handexemplar von Kants Beobachtungen ü. d. Gef. f. d. Schöne u. Erhab. (1. Ausg. v. 1764) mit Papier durchschossen und vielen handschr. Bemerkungen versehen; das Druck-Manuscr. zu Kant's Schrift 'zum ewigen Frieden' (vgl. Kehrbach's Ausg. S. XXI f.) eine Abschrift, mit Correcturen u. einem Anhang von Kants Hand; endlich einige Bogen aus dem DruckMsc. (Abschrift) der Relig. innerh. d. G. d. bl. Vft. Sonst ist mir nichts von handschriftl. Beständen aus Kants Nachlass am hiesigen Orte bekannt. Was Dorpat betrifft, so besitzt die dortige Universitätsbibliothek 2 starke Bände mit Briefen an Kant, von denen ich den einen zur Abschrift hiergehabt, und den andern Sintenis copirt behufs der oben erwähnten Ausgabe von Kant's Correspondenz. Einzelnes ist daraus bereits von Sintenis sowie von mir in der Altpr. Mon. veröffentlicht. Ueber die dort noch vorhandenen Lehrbücher für Kants Vorlesungen kann Prof. Benno Erdmann die beste Auskunft geben, der bereits Einiges in seinen Reflexionen Kants zur Kritischen Philosophie veröffentlicht hat. Aus Hamburg weiss ich nur zu berichten, dass der dortige Pastor Dr. Alb. Krause das nachgelassene grosse aber leider nur fragmentarische Msc. Kants vom Uebergange von den metaph. Anfangsgr. der Naturwissensch,, zur Physik besitzt, aus welchem ich den grössten Theil in den Jahrgg. 1882-1889 der Altpr. Mon. veröffentlicht habe, Fortsetzung u. Schluss zu geben aber leider in Folge von Zerwürfnissen mit dem jetzigen Besitzer zur Zeit behindert bin. Ich weiss nicht, ob Ihnen diese meine Mittheilungen in Betreff der angeregten Frage nach dem Nachlasse Kants genügen werden, sollten sie es nicht, so bin ich gern bereit weitere Auskunft zu ertheilen. Wenn Sie aber unter 'Bestand der Kantschen Hinterlassenschaft' noch andere als handschr. Bestände meinen, so werde ich wol kaum in der Lage sein, darüber Auskunft geben zu können; es müssten denn etwa die silbernen auf Kant geprägten Medaillen sein, das Diplom für Kant als Mitglied der Petersburger Académie, ein paar Gedichte auf Kant auf Atlas gedruckt u. in Sammt u. Seide gebunden (das eine von Reinhold Lenz ist in der Altpr. Mon. 1867) abgedruckt u. vielleicht noch einige Kleinigkeiten, auf die ich bisher nicht geachtet habe. Voll Verehrung Ihr ganz ergebenster Rudolf Reicke." 1 Archiv der Berliner A d W ; N L - D i l t h e y , 2 5 2 (rot), Nr. 2 8 9 - 2 9 0 . D i e v o n Reicke g e g e b e n e n V e r w e i s e sind anhand des Literaturverzeichnisses leicht zu verifizieren. D i e genannte Druckvorlage zur ersten Auflage der » R e l i g i o n innerhalb [...]« ist v o n Emil Arnoldt erstmals in der A M in seinen beiden ersten Beiträgen »zu dem Material der Geschichte von Kants Leben und Schriftstellertätigkeit in bezug auf seine 'Religionslehre' und seinen Konflikt mit der preussischen Regierung« vorgestellt und in ihrem Verhältnis zum Erstdruck erörtert worden, vgl. Emil Arnoldt G S VI, 1-103.
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Dilthey hat diese Informationen Reickes nicht mehr - w i e anscheinend gewünscht - für seinen am 16. Januar 1889 in Berlin gehaltenen Gründungsvortrag der „Gesellschaft für Deutsche Literatur", der später als „Literatur-Gesellschaft" bekannt gewordenen Institution, 1 verwenden können. 2 Er hat davon aber ausgiebigen Gebrauch gemacht in der zweiten schriftlichen Fassung des Vortrags, dem Aufsatz über » A r c h i v e der Litteratur in ihrer Bedeutung für das Studium der Geschichte der P h i l o s o p h i e « , der das schon bei Rosenkranz anklingende M o t i v einer „Ehrenpflicht" zur Publikation auf die Berliner Akademie, deren Mitglied er z w e i Jahr zuvor geworden war, bezog und damit den anstoßenden Impuls zu ihrer A u s g a b e der » G e s a m m e l t e n S c h r i f t e n « erzeugte. 3 R e i c k e hingegen ließ in den folgenden Jahren die Konvolute bis einschließlich Buchstabe G erscheinen. Seine Editionspläne verblieben jedoch nicht innerhalb des Rahmens seiner Ausführungen v o m Januar 1889. Sie erstreckten sich auch auf die Herausgabe von wenigstens z w e i Nachschriften v o n Kants Vorlesungen aus den 1790er Jahren. 4 Man erkennt unschwer, daß die Umrisse des wenig später von Dilthey dargelegten Konzeptes der Akademie-Ausgabe damit vorgezeichnet sind. Allein in die Herausgabe v o n » W e r k e n « hat R e i c k e keine A r b e i t investiert, vielleicht w e i l diese seinem Selbstverständnis nach in die K o m p e t e n z der Philosophen v o m Fach fielen. O f f e n sichtlich ist es auf Dilthey und die A k a d e m i e - A u s g a b e zurückzuführen, 5 daß R e i c k e nur einen Teil seiner Pläne verwirklicht hat: Z u m einem wurde ihm im Juni 1897 die Verantwortung für die Abteilung » B r i e f w e c h s e l « übertragen, 6 und andererseits teilte er im D e z e m b e r 1898 in einer kurzen Vorbemerkung zur letzten, vergleichsweise schmalen Separatausgabe seiner » L o s e n Blätter aus Kants Nachlass« mit: „Ich lasse nunmehr diesem als drittes Heft die so eben im neusten Heft der Altpr. Mon. erschienene Fortsetzung, Convolut G, folgen, statt abzuwarten, bis ich sie mit den noch ausstehenden Convoluten zu einem stärkeren Bande vereinigen kann. Denn es ist doch sehr fraglich, ob ich aus Mangel an Zeit, nicht bloß für diese Arbeit, sondern zum Leben überhaupt, noch dazu kommen werde, das übrige handschriftliche Material in der bisherigen Weise zu bearbeiten. Es wird aber alles, mit Ausnahme dessen, was zu Kants Correspondenz gehört, in anderer Anordnung für die große Kant-Ausgabe der Berliner Akademie verwerthet werden; in den Händen des Herausgebers von Kants handschriftlichem Nachlaß befinden sich zur Zeit die Originale und meine Abschriften." 7
1
V g l . Johannes Müller 1917.
2
V g l . Dilthey 1889c, 360 und 369-370.
3
V g l . Dilthey 1889a, 356-361.
4
V g l . Stark 1985a, 330-332: Zur Nachschrift des K o l l e g s über Metaphysik des Wintersemesters 1794/95. Auch die Existenz der heute in der S t U B Göttingen (Dep. 4 der A d W ) verwahrten Abschrift des K o l l e g s über Metaphysik der Sitten aus dem Wintersemester 1793/94 dürfte auf Reickes Pläne zurückzuführen sein. Daß Reicke die Edition der Nachschriften unterließ, darf ohne weiteres auf die ihm spätestens ab 1896 bekannte Konzeption der Akademie-Ausgabe zurückgeführt werden.
5
Der gemeinsam von Dilthey, Zeller und Weinhold gestellte Antrag bei der A d W datiert vom 21. Juni 1894. Der zustimmende Beschluß der A k a d e m i e wurde auf der Sitzung der Gesamtakademie am 18. Oktober 1894 gefaßt. (Akten der K K , I I - V I I I , 153, f o l . l bzw. fol.7)
6
V g l . dazu hier Teil I.
7
R e i c k e ( H g ) 1898, S. I. - Anscheinend sind Reickes Abschriften später nach Königsberg zurückgekehrt, denn unter den Beständen der polnischen N B in Warszawa habe ich im N o v e m b e r 1986 unter der Signatur „akc. 2 3 2 7 " Reickes Druckvorlage zur Publikation von „ K o n v o l u t C " einsehen können.
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Teil II
Der Sache nach unabhängig von Reicke sind die Kant gewidmeten Arbeiten des Königsberger Privatgelehrten Emil Arnoldt (1828-1905). Es bestand zwar zwischen beiden ein enger Kontakt, doch verfolgte Arnoldt eher biographische oder spezifisch philosophische Interessen. In einer beiderseits polemisch geführten Kontroverse mit Benno Erdmann um die Fixierung von Stationen in der Genese der »Kritik der reinen Vernunft« versuchte Arnoldt unter anderem dadurch sicheres Terrain zu gewinnen, daß er auf die Akten des Archivs der Universität und des Berliner Staatsarchivs zuriickgriff. 1 Damit schuf er in den letzten fünfzehn Jahren des 19. Jahrhunderts die bis in die Gegenwart allgemein akzeptierte Grundlage 2 für Studien zu Kant als akademischem Lehrer, die im Rahmen der Ausgabe seiner »Gesammelten Schriften« vom seinem Schüler Otto Schöndörffer (1860-1926) weiter gefestigt worden ist. 3 Schließlich hat Arnoldt die in Reickes eigener Handschriftensammlung vorhandene Druckvorlage zur ersten Auflage von Kants »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« eingehend untersucht und so eine neue Etappe in der unmittelbar textkritischen Kantforschung eingeleitet. 4 Die Phase der Planung von Abtlg. III der Akademie-Ausgabe Die Phase der konkreten Planungen zur Bearbeitung des handschriftlichen Nachlasses beginnt, wie schon angedeutet, für Dilthey etwa im Juni 1895 mit der Aufgabe, einen qualifizierten Herausgeber zu finden. Dazu war er nach Halle gefahren und, 5 wie es schien, mit dem 42-jährigen Hans Vaihinger als Bearbeiter der eigenhändigen Aufzeichnungen Kants handelseinig geworden. 6 Bekanntlich hat aber nicht Vaihinger, sondern Erich Adickes die Abtlg. III der AA-Kant übernommen. Wiederum ist es lehrreich, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und nach den Gründen für den Wechsel zu forschen. Diltheys Personalfrage war nämlich keineswegs einfach zu lösen. Legt man heute übliche Maßstäbe an, dann waren zu der Zeit für eine solche Aufgabe nur drei Personen „ausgewiesen": Benno Erdmann (Halle), Rudolf Reicke (Königsberg) und - nur sehr bedingt 7 - Dilthey selbst in Berlin. Nur sie
1 2
Vgl. Warda 1901,84. Die entsprechenden Angaben in Vorländers Kant-Biographien fußen vollständig auf Arnoldt, ebenso die bisherigen Editionen von Vorlesungsnachschriften im Rahmen der AA-Kant: XXIV, XXVII-XXIX, vgl. auch Hinske 1977b. - Amoldt hat jedoch nicht das gesamte - auch heute - verfügbare Aktenmaterial benutzt, ferner sind seine Arbeiten sämtlich vor Erscheinen der AA-Kant verfaßt, so daß es kaum verwunderlich ist, daß ihm eine ganze Reihe von fundamentalen Irrtümern und Versehen unterlaufen sind, vgl. dazu Stark 1993, Kant als akademischer Lehrer und demnächst meine »Untersuchungen zu Kants Vorlesungen«.
3
Vgl. insbesondere Emil Arnoldt GS, Bde. IV-V. Schöndörffer benutzte ergänzend auch die Akten des Königsberger Staatsarchivs, vgl. sein Vorwort zu Bd. V (1909). Vgl. Emil Arnoldt GS VI. Angekündigt hat Dilthey sich bei Vaihinger mit Schreiben vom 18. Juni 1895; UB-Bremen: NL-Vaihinger. Vgl. das Zitat aus seinem Brief vom Juni 1895 an den Grafen von Wartenburg, oben S. 70. Dilthey haben die Kantischen Handschriften der Rostocker UB nicht unmittelbar vorgelegen; vgl. Dilthey 1889b, 593 und die zugehörigen Briefe von L. Schleker und Prof. Schirrmacher aus Rostock (März bis August 1889) im Archiv der Berliner AdW; NL-Dilthey 253 (rot): Beiliegend auch die Abschriften der Kantischen Originale.
4 5 6 7
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hatten nach Schubert in nennenswertem 1 Umfang Manuskripte Kants publiziert. Erfahrung und Sicherheit im Umgang mit den Originalen konnte freilich nur ein Element des Anforderungspofils für den zukünftigen Kant-Herausgeber darstellen. Hinzukommen mußte neben einer allgemeinen wissenschaftlichen Kompetenz auch die spezifische Qualifikation einer Kennerschaft in den vielschichtigen Phasen und „Umkippungen" in der Genese der kritischen Philosophie Kants. Auf diesem inhaltlichen Gebiet hatte sich Vaihinger vor allem durch die beiden ersten Bände seines »Commentars zur Kritik der reinen Vernunft« (1881 und 1892) sowie eine Reihe von Spezialaufsätzen einen Namen gemacht. - Die nachfolgenden, meist im Auszug dokumentierten Briefe zeigen, warum Dilthey und Vaihinger letztlich nicht übereingekommen sind und machen zugleich auf ein weiteres organisatorisches N o v u m der Kant-Ausgabe der Akademie aufmerksam. Aus Halle nach Berlin zurückgekehrt, schrieb Dilthey am 28. Juni 1895 an Vaihinger: „Gestern lieber Herr College in der Kommission angenommen. Die weiteren Schritte nur noch formell; nächster Tage spreche ich mit Althoff wegen des Urlaubs. - Können Sie nicht wegen des Cirkulars ein Verzeichniss der Compendien Kant's und Handexemplare, welche sich erhalten haben, mir senden? Und zwar recht bald? Ich muss durchaus der Sicherheit wegen ein solches mit dem, was ich weiss, vergleichen, und Reicke antwortet nicht, ist also wohl immer noch von der Influenza her, unfähig dazu. Nächstens Antwort auf Ihren freundlichen Brief im Einzelnen. Ich kann Ihnen nicht aussprechen, wie ich mich darüber gefreut habe, dass Sie die Sache übernehmen, für Sie, für uns und für Heinze. In treuer Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey" 2 Drei Wochen darauf läßt Dilthey Vaihinger wissen: „[...] Mit Geh. Rat Althoff habe ich gesprochen, wiederholt. Er wird gern durch jede Art von Urlaub, die Ihnen erwünscht ist, das Unternehmen unterstützen. In welcher Art bei Benutzung der Manuscripte Ihre Bequemlichkeit und die Bestehung des Reglements verbunden werden können, läßt sich erst, wenn die russischen Bedingungen da sind, feststellen. Berlin, d. 22. Juli 95 Ich habe nun nochmals mit Mommsen gesprochen. Die Zeit zur Veröffentlichung des Aufrufs etc ist jetzt zu schlecht; wir wolln es auf Anfang Oktober verschieben. So ist wohl erst Ende des Jahres darauf zu rechnen, dass alles Material zusammen sein wird. Ich sende Ihnen nun hier den Entwurf der Übereinkunft. Einen Termin des Abschlusses muss man nach den Usancen der Akademie hineinsetzen. Ich setze voraus, dass Ihnen End[e] 1900 recht ist. Wünschen Sie ein Jahr später, so würde das wohl auch zu erreichen sein, da aber alle Verträge für dieselbe Zeit die Druckfertigkeit bestimmen müssen, so haben Sie, wie ich glaube selbst ein Interesse, den Termin nicht zu lange hinaus zu schieben. Nehmen Sie an einem anderen Punkte Anstoss, so bitte ich davon Meldung zu thun, was ja wohl umgehend geschehen kann, da nächsten Donnerstag die letzte Akademiesitzung vor den Ferien ist und dann also die Contraete zu dieser Sitzung zum Abschluss gelangen müssten. Sind Sie einverstanden, so bitte ich zu unterschreiben,
1
Außer den Briefeditionen von Sintenis und Stern wäre nur noch die anonyme Miszelle von Liebmann aus dem Jahr 1865 [!] zu nennen, vgl. Literaturliste.
2
UB-Bremen, NL-Vaihinger: Datum des Poststempels.
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Teil II worauf ich Ihnen alsdann am Donnerstag den Contract mit unserer Unterschrift sende. Tausend herzliche Grüße. Entschuldigen Sie die große Eile Heute. Treulichst Ihr W. Dilthey ' ' 1
Leider ist mir der Wortlaut von Vaihingers Antwortschreiben nicht bekannt, 2 so daß nur durch Dilthey s Reaktion darauf (Schreiben an Vaihinger vom 25. September 1895, nicht aus Berlin sondern Bad Kreuth) erkennbar wird, daß Dilthey von Vaihingers Plan, eine eigene Zeitschrift die »Kant-Studien« zu begründen, überrascht wurde. Anscheinend wollte Vaihinger beide Unternehmen parallel führen, während Dilthey fürchtete, daß „Ihre Arbeitslast durch diese Studien erheblich vermehrt wird. Aber fühlen Sie sich nun gegenwärtig im Stande, beide Aufgaben zu bewältigen u. vertrauen Sie dass Sie das nicht später doch zu viel finden, so kann ja der Plan dieser Studien im Interesse Kants ganz nützlich werden. Es bleibt freilich meine Uberzeugung, dass jetzt, w o aus ganzem Holz geschnitzt werden soll unser ganz überwiegendes Interesse hierauf gerichtet bleiben muss." Weiterhin gab er zu bedenken, daß „es im Interesse der Kantausgabe liegen muss, dass doch immerhin nicht sehr umfangreiche neue von etwaigen Briefen u. Abhandlungen auch wirklich zuerst zu bringen." 3 In einem darauf folgenden Brief muß Vaihinger grundsätzliche Einwände vorgebracht haben, auf die Dilthey mit folgendem, leider undatierten Brief einging: „Lieber Herr College, Ihr eben angelangter Brief könnte leicht zu einer Verstimmung zwischen Ihnen u. mir führen. Eine im schönsten gegenseitigen Vertrauen begonnene Verhandlung soll nicht dies Ende nehmen. Das möchte ich verhüten. Liegen doch die Dinge sehr einfach. Ich muss zunächst das, was Sie über meine Intention bei der Ausgabe sagen, richtig stellen. Gerade das habe ich auf das Entschiedenste herausgehoben und es ist ja auch selbstverständlich, dass erst aus dem Studium des Materials dem Bearbeiter die Principien der Edition entspringen können. Immer wieder habe ich betont, dass es sich für Sie darum handle, ganz vorurteilslos an die Arbeit heranzugehen und die zweckmässige Art der Edition aus dem Befund sich klar zu machen. Dass bei diesem Verfahren, angewandt auf die ganze Masse, von welcher Vieles noch ganz unediert ist, sich neue Einsichten ergeben werden, ist eine Erwartung, welche eigentlich nur als selbstverständlich bezeichnet werden kann; auch diese kann Sie unmöglich gestört haben. Dass diese Einsichten alsdann die Art der Herausgabe bestimmen werden, ist ebenfalls total selbstverständlich und, wie gesagt, von mir in unserem ganzen Gespräch stets herausgehoben. Daher muss ich es mit der äussersten Entschiedenheit abweisen, dass in diesen Grundsätzen, mit welchen Sie seiner Zeit vollständig einverstanden waren, irgend ein, auch noch so schwacher und entfernter Grund dafür gelegen sein könnte, von der Herausgabe zurückzutreten. Ich kann schlechterdings nicht zugeben, dass ich in das wunderliche Licht komme, die Grundsätze, welche erst aus dem Studium der Papiere sich ergeben können, a priori konstruieren zu wollen. Der Herausgeber macht ja auch die Edition
1
U B - B r e m e n , NL-Vaihinger. Der erste Teil des Briefes datiert vom 17. Juli.
2
Sie f i n d e n sich nicht im N L - D i l t h e y d e s Archivs der Berliner AdW. Herrn Dr. Ulrich L e s s i n g (Ruhr-Universität Bochum) danke ich für die freundliche Auskunft, daß der Verbleib der Briefe Vaihingers an Dilthey unbekannt ist. Mitteilung v o m 14. Juni 1991.
3
UB-Bremen: NL-Vaihinger.
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ganz selbständig auf seine Verantwortung. Keine Commission der Welt kann an dem Ergebnis seiner Forschung etwas ändern, da sie nicht zum zweiten Mal die Arbeit machen kann. So ist mir denn auch nicht recht deutlich, was Sie über Ihr Verhältnis zu Herrn Kollegen Erdmann sagen. Die Commission ist demselben zum tiefsten Dank verpflichtet für die Überlassung seiner Abschrift der Reflexionen zur Metaphysik. Diejenigen in ihr wie Stumpf und ich, welche seine Arbeit kennen, sind von dem Wert derselben ganz durchdrungen, und nachdem ich Einblick in das Original gewonnen, ist mir in noch erhöhtem Grade deutlich geworden, welche Leistung von Auge und Divination darin liegt. Ebenso würde Herr Kollege Erdmann Ihrer Leistung gegenüber, wenn diese bei einem so erweiterten Material zu Abweichungen gelangte, zweifellos nur das Interesse des Wahrheitsfreundes haben, zu prüfen, ob die Sache gefördert sei. Ich kann also Ihre Bedenken mir durchaus nicht deutlich machen. Glauben Sie mir, dass ich vollauf diejenigen Bedenken verstehe, welche in dem Umfang der Arbeit zusammen mit dem so wichtigen Kantcommentar, dessen Vollendung jeder im Interesse Kants wünschen muss, entspringt. Ich kann Ihnen die Schwierigkeit der Erwägung hierüber und dann auch den Wechsel des Entschlusses vollkommen nachfühlen. Ich komme nun auf den Schluss Ihres Briefes über die Kantstudien. Dass ich an denselben keine rechte Freude hatte, als das Programm derselben und dann einige Zeit darnach die Mitteilungen von Ihrem Zurücktreten in meine Hände kam, werden Sie gewiss begreiflich finden. Musste ich doch in denselben einen Feind Ihrer Beteiligung bei der Ausgabe erblicken. Als nun der Verleger eben damals unmittelbar nach Ihrem Rücktritt mich besuchte, mag etwas von meiner, wie Sie begreifen, sehr grossen Erregung darüber, dass diese so höchst erwünschte Beteiligung hinfällig geworden war, in die Erörterung des Verhältnisses der Kantausgabe zu den Studien eingeflossen sein, obwohl ich es vermeiden wollte. Sachlich konnte ich natürlich nur sagen, dass natürlich das Verhältniss nicht so eng sein könne als wenn Sie bei der Ausgabe betheiligt wären u. in bezug auf die Veröffentlichung von Kantianis in den Studien sich noch nichts sagen lasse: die Grundsätze hierüber wird ja doch erst die erweiterte Commission feststellen können, wenn sie erst zusammentritt, was ja nun leider für Weihnachten unsicher geworden ist. Dagegen hob ich selbstverständlich ausdrücklich hervor, dass mit dieser offenen Frage der Publikation von Kantischen Novis in den Studien die Teilnahme der an dem Unternehmen Beteiligten an den Studien nichts zu thun habe. Nachdem ich nunmehr die Dinge ruhiger ansehe, finde ich mich darein, dass an die Stelle Ihrer Herausgabe der Reflexionen nun diese Studien getreten sind, und erkenne gern an, dass sie sehr nützlich werden können. In welcher Art sie mit der Ausgabe zusammengehen können, darüber wird erst, wenn die erweiterte Commission zusammengekommen ist, Rücksprache genommen werden können. Eine einfache Mitteilung von Novis, welche dem Kantunternehmen zugeflossen sind, haben Sie ja natürlich auch nicht im Auge. In aufrichtiger Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey" 1 1
UB-Bremen; NL-Vaihinger, Autogr. XXI,6, h. Nr. 16. Nur die erste Seite hat Dilthey eigenhändig geschrieben der übrige Text ist von der Hand Paul Menzers. Menzer fungierte schon am 15. November 1895 als Diltheys Sekretär, indem er einen von Dilthey unterschriebenen Brief an Vaihinger schrieb, darin heißt es: „Die Papiere sind aus Dorpat gekommen, nun stehen wir vor neuen Entschließungen." Damit ist eine Datumsgrenze für den undatierten Brief gegeben; die zweite besteht in der Erwähnung des bevorstehenden Weihnachtsfestes.
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Wenn auch mit diesen Briefen 1 nicht alle Details aufgeklärt sind, so dürfte doch deutlich geworden sein, daß die »Kant-Studien« keineswegs problemlos als „Parallelgründ u n g " 2 zur Kant-Ausgabe anzusehen sind. - Nachdem Vaihinger also im Herbst 1895 für die Herausgabe der Abtlg. III nicht mehr zur Disposition stand, konzentrierte sich Diltheys Interesse auf Erich Adickes. 3 Dessen sachliche Kompetenz stand außer Frage. Rückblickend formulierte Menzer: „1895 veröffentlichte Adickes auch seine »Kantstudien«, die sich vornehmlich mit der Entwicklung der Kantischen Erkenntnistheorie beschäftigen. Hier schon treten die Vorzüge seiner späteren Arbeiten hervor. Größte Exaktheit in der Benutzung der Quellen, umfassende Kenntnis der zeitgenössischen Literatur, eindringender Scharfsinn zeichnen sie aus. Besonders die Verwertung der durch B. Erdmann und R. Reicke herausgegebenen Reflexionen und losen Blätter aus Kants handschriftlichem Nachlaß förderte neue Erkenntnisse. Dies war auch der Anlaß, daß Dilthey Adickes für die Bearbeitung des handschriftlichen Nachlasses in der Ausgabe der Akademie zu gewinnen suchte." 4 Schließlich endet die Planungsphase der Abtlg. III mit einem Exposé Diltheys über die „Gewinnung des Herrn Dr. Adickes" vom 27. Januar 1896: „[...] Die Arbeit welche Herr Adickes leisten soll, nämlich Edition und Anordnung der handschriftlichen Aufzeichnungen Kants, bildet den wichtigsten Teil der Kantausgabe. Diese Aufzeichnungen werden 3-4 Bände umfassen. Sie sollen hier zum ersten Mal als ein Ganzes in sachlicher Ordnung und chronologischer Folge erscheinen. Die lange Pause in den Werken Kants, welche gerade in seine männlichen Jahre fällt, soll so durch teilweise auch in der Form herrliche Aufzeichnungen ausgefüllt, und für Kants Entwicklungsgeschichte die urkundliche Grundlage geschaffen werden. Aber diese Arbeit ist zugleich auch der schwierigste Teil der Kantausgabe. Die Niederschriften, welche zum Teil zwischen den Zeilen der Compendien klein und kaum lesbar hinlaufen, stellen schon an die Augen, die Divinationsgabe und Ausdauer des Herausgebers große Anforderungen. Dann aber erfordert die Bestimmung ihrer Zeit und ihrer Beziehungen eine seltene Vereinigung philologischen Talentes mit philosophischer Begabung und mit vollständiger Beherrschung der Werke Kants und der Litteratur über ihn [...] Als Vaihinger, abgeschreckt von der Schwierigkeit der Aufgabe, zurücktrat, blieb nach dem Urteil aller Sachverständigen [...] nur Adickes übrig [...] Natürlich kennt Herr Adickes diesen Sachverhalt. In solchen Fällen wird von allen Seiten dafür gesorgt, daß der Betreffende seine Unentbehrlichkeit fühle. Nur nach schweren schriftlichen und mündlichen Vorverhandlungen, welche von ganz anderen weitergehenden Anforderungen des Herrn Adickes auszugehen hatten, ist die jetzige Grundlage eines Abkommens erreicht worden f...]." 5
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Es finden sich weitere Briefe zwischen von Dilthey an Vaihinger in Vaihinger Nachlaß, die bezeugen, daß sich das Verhältnis in den nächsten Jahren weiter entspannte und Dilthey gern auf Vaihingers sachverständigen Rat zuriickgriff bzw. die positive Wirkung der »Kant-Studien« zunehmend anerkannt hat. So Lehmann 1969,4. Datum und Umstände lassen sich näherungsweise entnehmen dem hier S. 120f. aus den Ingelheimer Papieren zitierten Brief von Adickes an die KK vom 9. November 1924. Menzer 1928, 369. Zitiert nach Lehmann 1969, 34-35.
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Das entscheidende Novum der Akademie-Ausgabe lag also auf der organisatorischen Seite. Einerseits wurden für die Herausgabe der einzelnen Werke je kompetente Fachleute, meist etablierte Professoren, gewonnen und andererseits wurde für das schwierigste Gebiet, die Bearbeitung des Handschriftlichen Nachlasses ein eigenverantwortlicher Herausgeber gesucht, der seinerseits wirtschaftlich von der Ausgabe abhängig war. Transformiert man dies in die heutige Situation, so kann man sagen, Adickes war - auf dem Gebiet der deutschsprachigen philosophischen Editionen - der erste angestellte Editor mit einem Zeitvertrag. Königsberger Lokaltradition II: Warda (1898-1929) Während Adickes zu Anfang des Jahres 1896 damit begann, sich mit den von der Berliner Akademie zusammengezogenen Kantischen Handschriften vertraut zu machen, und Reicke die Edition des Briefwechsels vorbereitete, kam der junge Jurist Arthur Warda eher zufällig 1 auf den Gedanken, sich mit Fragen der Überlieferung von handschriftlichen Dokumenten und Zeugnissen zur Königsberger Gelehrtengeschichte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in ganz praktischem Sinn zu beschäftigen. Innerhalb von dreißig Jahren forschte er nach Manuskripten von Theodor Gottlieb von Hippel (1741-1796), Johann Georg Scheffner (1736-1820), Johann Georg Hamann (17301788) und Immanuel Kant. Der in Königsberg am 15. September 1871 geborene Warda wurde zu der Autorität schlechthin, wenn es galt, Auskünfte über den Verbleib nachgelassener Papiere der Genannten zu erhalten. Der Hinweis auf seinen „Spürsinn" begegnet in zahlreichen Publikationen, die auf handschriftliche Materialien aus der Zeit der Königsberger Aufklärung zurückgreifen. Das Datum von Wardas plötzlichem Tod am 25,Oktober 1929 markiert auch das Ende einer vom Ursprung ausgehenden, systematisch angelegten Recherche zur Ermittlung von Handschriften Kants. Die Leistung, die Warda „neben seinen amtlichen Geschäften, denen er mit größter Pflichttreue nachging," 2 erbracht hat, ist kaum zu überschätzen. Ihm verdankt auch die Kant-Forschung ein bis heute 3 nicht ausgeschöpftes, sicheres Wissen über die zu seiner Zeit verfügbaren Dokumente zu Kants äußeren Lebensumständen und dem Verbleib seiner Papiere. Im Fall von Hamann ist Warda über eine ausgedehnte Korrespondenz und einige Reisen den verschiedenen Traditionslinien des Nachlasses gefolgt, bis er schließlich den Erwerb des größten Teils durch die Königsberger StUB erreichte. Seine Bemühungen um Kant gingen aus von einer Bestandsaufnahme derjenigen Königsberger Bestände, die nicht in den Händen der StUB waren. Er wurde fündig bei der Altertumsgesellschaft „Prussia" und vor allem im Staatsarchiv, das neben den Akten der 1
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Bei Nadler 1978, 148 heißt es: „Er [Warda] arbeitete 1898 bei der Sichtung der Domgemeindebücherei mit und stieß dabei auf ungedruckte Urkunden zu Kants Leben. Damit ging er zu dem früheren Oberbibliothekar der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek, Rudolf Reicke, 1875 [!] bis 1905, aus Memel, dem damals führenden ostpreußischen landeskundlichen Forscher. Der ermunterte ihn zu weiteren Arbeiten Uber Kant und zog den eifrigen jungen Mann an die eben entstehende Kantausgabe heran." Kr[ause] 1930, 36. Vgl. dazu insbesondere hier Teil III.
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alten Preußischen Regierung, des Etatsministeriums, auch den Nachlaß von Johann Georg Scheffner in sich barg. Er beteiligte sich an der Aufarbeitung des Archivs der Universität, das erst in den Jahren 1920-23 in die Obhut des Staatsarchivs überging. 1 Auch außerhalb Königsbergs war er erfolgreich; er lenkte die Aufmerksamkeit auf den gedruckten Katalog der Sammlung Morgenstern in Dorpat und konnte so das einzige 2 direkte Zeugnis über eine Beteiligung Kants an einer akademischen Disputation (Februar 1777) publizieren. Schließlich ist zu erwähnen, daß es Warda auch gelang, einen kleinen Rest der in der Familie von Kants Testamentsvollstrecker Wasianski weitergegebenen Handschriften des Philosophen in Essen aufzuspüren und ihre Rückkehr nach Königsberg zu erwirken. 3 Obwohl Warda die Ergebnisse seiner Ermittlungen beständig öffentlich machte, so daß heute darauf zurückgegriffen werden kann, wäre es gerade für die gegenwärtigen »Nachforschungen« außerordentlich wichtig, 4 auch in seine Korrespondenz Einblick zu nehmen. Leider ist jedoch von der primär einschlägigen, dem Austausch zwischen Adickes und Warda, nur ein verschwindend geringer Rest zugänglich. 5 Dieses Manko macht es unmöglich, Art, Umfang und Präzision der von Warda und Adickes erarbeiteten Kenntnisse über die Gesamtheit der äußeren Aspekte von Kants Nachlaß anzugeben. Ich zweifle nicht daran, daß die Mehrzahl der in dieser Arbeit präsentierten Informationen zur primären und sekundären Überlieferung von Kants handschriftlichem Nachlaß Adickes und Warda bestens vertraut gewesen sind. Andere Bemühungen Noch vor Beginn der Publikation von Bänden der Akademie-Ausgabe hat der Aachener Stadtbibliothekar Emil (Elias) Fromm (1858-1899) eine kleine Schrift über »Kant und die preussische Zensur. Nebst kleineren Beiträgen zur Lebensgeschichte Kants. Nach den Akten des Königlich geheimen Staatsarchivs zu Berlin. (Leipzig 1894)« veröffentlicht, die noch heute einen brauchbaren, ersten Einblick in Kants amtliche Verhältnisse vermittelt. 6 1 2
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Vgl. dazu Teil III; außerdem die Zeitangabe in Warda 1919c, 391: „Juni 1918" und Paleikat 1920. Unberücksichtigt ist die selbstverständliche Mitwirkung Kants bei seinen eigenen Promotionen 17. April 1755 (Magistergrad), 27. September 1755 (pro receptione), 10. April 1756 (gelegentlich seiner Bewerbung auf die Nachfolge von Martin Knutzen [1713-1751]), und August 1770 (pro loco). - Vgl. Morgenstern 1868, Warda 1910d und AA-Kant XV 903-835. Vgl. Warda 1912b und Stark 1987c, 214-215. Für den Fall von Hamann ist dies möglich, vgl. Knoll 1988 und demgegenüber primär Fechner 1990. Es ist meines Erachtens nicht übertrieben zu sagen, daß die bewunderte Arbeit von Josef Nadler über den Hamannschen Nachlaß in ihrem sachlichen Gehalt kaum mehr bietet als eine Ernte von Früchten der Vorleistungen Wardas, vgl. Nadler 1978, 166 und die Widmung „Dem Andenken Arthur Wardas".
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Im NL-Adickes im Archiv der Berliner AdW finden sich nur wenige Briefe Wardas; gar keine unter den Ingelheimer Papieren. - So stellen die beiden Widmungen in Warda 1922a und Adickes 1924a nur einen schwachen Nachhall der engen Verbundenheit beider dar. Mitte der 1980er Jahre konnten Reinhard Brandt und ich (über die KK der Göttinger AdW) von G. Lehmann erfahren, daß der Briefwechsel zwischen Warda und Adickes in den 1940er Jahren in Berlin verbrandt sei. - Herrn Prof. Jörg-Ulrich Fechner (Ruhr-Universität, Bochum) danke ich für die freundliche Mitteilung (25. Juni 1991), daß auch der (z. T. auf Warda zurückgehende) Nadler-Teilnachlaß in Houston/Texas keinerlei Korrespondenz zur Kant-Ausgabe enthält.
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Vgl. das Literaturverzeichnis s. v. Fromm, Emil und dazu Warda 1901. - Zur Biographie Fromms vgl. Lepper 1981, 24-32. Die Lebensdaten nach der Abbildung der Grabplatte, ebenda S. 31.
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Das Interesse an Kants nachgelassenen Handschriften blieb in den letzten Jahren des Wilhelminischen Kaiserreiches nicht beschränkt auf den Kreis der Personen, die direkt oder indirekt (wie Warda) mit der Akademie-Ausgabe verbunden waren. Neben dem früh verstorbenen Georg Kullmann 1 (18??-1916) ist es der Initiative von Ernst Cassirer (1874-1945) zu verdanken, daß die Bedeutung des Nachlasses für die Erforschung des Werkes in einer Zeit des allgemeinen Niedergangs der Kant-Forschung und noch vor Beendigung der Arbeiten an der Nachlaß-Abteilung der Ausgabe der Berliner AdW wach gehalten wurde. Im Rahmen seiner Kant-Ausgabe (1911-1922) hat er sich um Einsicht in die Originale bemüht. 2 Die Akademie setzte einer Benutzung von Handschriften durch Dritte jedoch enge Grenzen, so daß die Einzelherausgeber im wesentlichen nur auf die weder bei Adickes in Tübingen oder bei Menzer in Halle noch in Königsberg aufbewahrten Unterlagen zurückgreifen konnten. So kam es, daß an Handschriften in der Cassirer-Ausgabe allein die Rostocker Bestände in ihrer Gesamtheit vertreten sind. 3 Selbst diese vergleichsweise geringe Konkurrenz rief bei Editoren der Akademie-Ausgabe 4 heftige Reaktionen hervor, die im gegenwärtigen Zeitalter des rechtlich abgesicherten Grundsatzes der Öffentlichkeit von Archiv- und Bibliotheksbeständen 5 allerdings Nachsicht verdienen sollten. In Königsberg selbst sind unter Rückgriff auf handschriftliche Materialien nur noch zwei Publikationen erarbeitet worden, die für die gegenwärtige Untersuchung von Belang sind. Es ist dies, so weit ich feststellen konnte, 6 eine preisgekrönte Dissertation von Walter Schwarz »Immanuel Kant als Pädagoge« (1915) und die posthum erschienene Edition von Heinrich Borkowski »Die Bibel Immanuel Kants« (1937). Dies mag verwundern, wird aber ohne weiteres verständlich, wenn man bemerkt, daß zum überwiegenden Teil die von der Berliner AdW seit ca. 1896 bzw. 1907 entliehenen Handschriften in größerem Umfang erst in den 1940er Jahren an die Königsberger StUB zurückgegeben worden sind. 7
1
Vgl. Literaturliste, s.v. Kullmann.
2
Menzer an Erdmann 2. April 1912: „Vor einer W o c h e etwa fragte Cassirer bei mir an, ob er für seine Kantausgabe die Dorpater Briefbände erhalten könne. Ich habe verneinend geantwortet. Vorläufig sind sie bei Adickes. Er braucht sie für seine chronologischen B e s t i m m u n g e n . " (Akten der KK, II-VIII, 155, fol. 2 6 5 ) Vgl. hier S. 198 Anm. 8 die entsprechende Anfrage von Ernst Cassirer bei Adickes.
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Ich nenne hier nur die für die Abtlg. III einschlägigen Stücke: »Erste Einleitung«, vgl. Buek in Bd. V, 5 8 1 9), »Rechtslehre« (Kellermann Bd. VII; S. I - X X I X ; vgl. S. 4 3 3 - 4 3 6 und Buek in Bd. V, S. 588), »Schultz' R e z e n s i o n « (Cassirer Bd. VI, S. 5 1 7 & 7 5 - 1 1 7 ) . Für letztere gewährte B e n n o Erdmann Einsicht in e i n e n Teil der Hagen-Papiere.
4
In einem Brief Menzers an die K K der A d W v o m 15.Dezember 1918 heißt es beispielsweise: „[...] Könnte A d i c k e s nicht auch wieder die Arbeit beginnen? Wir verlieren d o c h zu viel Zeit. I n z w i s c h e n drucken die Cassirerleute vielleicht bald wieder einige Manuskripte ab und erheben über solchen Fund dann ein lautes Geschrei. Ich fragte bei A. g e l e g e n t l i c h e i n e s Briefes in anderen A n g e l e g e n h e i t e n ganz unverbindlich an, erhielt aber bisher keine Antwort. [...]" (Akten der KK, II-VIII, 157, fol. 225).
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Vgl. Müller 1983.
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Durchgesehen wurden die im »Jahresverzeichnis der deutschen Hochschulschriften« der Jge. 1 9 0 0 - 1 9 4 5 unter „Königsberg, philosophische Fakultät" aufgeführten Arbeiten, die einen B e z u g zu Kant oder seine unmittelbare U m g e b u n g vermuten lassen.
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Vgl. dazu hier Teil II G.
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Kritische Nachbemerkung Ehe nun im Hauptteil der gegenwärtigen »Nachforschungen« durch vier Etappen interne Vorgänge der Abtlg. III der Akademie-Ausgabe vorgestellt und in ihrer aktuellen Bedeutung beleuchtet werden, möchte ich die Darstellung der Vorgeschichte mit einer kritischen Nachbemerkung und einer grundsätzlichen Reflexion beschließen. - Es besteht kein Zweifel daran, daß Diltheys Engagement die Ausgabe möglich machte. Sein Einfluß innerhalb der Akademie und seine guten Beziehungen zum Ministerium Althoff schufen nicht zuletzt auch den finanziellen Rahmen, 1 der erforderlich war, das zunächst auf die Dauer von etwa zwölf Jahren 2 angelegte Projekt organisatorisch abzusichern. Dilthey war maßgeblich - nicht letztlich allein entscheidend - beteiligt an der Gesamtanlage des Unternehmens, mit der konkreten Durchführung hat er sich jedoch nicht befaßt: Er trat nicht in Erscheinung als Herausgeber in einer Abteilung. Die Koordination der einzelnen Mitarbeiter oblag Paul Menzer (1873-1960), dem „Sekretär" 3 der Ausgabe. Die Berliner Akademie beschritt mit der Kant-Ausgabe - meines Wissens - erstmals den bis heute auf dem Gebiet der nach Dilthey so genannten „Geisteswissenschaften" gültigen Weg, für die einzelnen, gedruckten Werke und die sich auf Handschriften erstreckenden Abteilungen je kompetente Fachleute zu gewinnen. Mit dieser arbeitsteiligen Disposition ist die Akademie-Ausgabe tatsächlich zu dem geworden, was sie nach dem Willen ihres Inaugurators sein sollte, eine „Musterausgabe [...] für alle ähnlichen Editionen, welche uns das ganze Werk eines Mannes vorführen sollen." 4 Dennoch hat die Kant-Ausgabe der Preußischen Akademie eine für das Gesamtvorhaben wesentliche Schwäche, die zwar durch die Initiative einzelner gemildert, jedoch nicht ganz ausgeglichen werden konnte. Sie liegt auf dem Gebiet der Handschriften, also primär auf den Territorien der Abteilungen II und III. Von der (sicher zeitgebundenen) Fehlentscheidung, den amtlichen Schriftverkehr Kants nur in Rudimenten zum Gegenstand der Ausgabe zu machen, 5 einmal abgesehen, betrifft die Kritik das Verfahren der „Gewinnung und Sammlung des Materials", wie Dilthey in seinem ersten öffentlichen Sitzungsbericht vom 23. Januar 1896 formulierte. 6 Hier war die KantKommission weder selbst die treibende Kraft noch setzte sie nach den frühen Rundschreiben Diltheys (1889) 7 Initiativen anderer sachkundiger Personen oder Institutionen in Gang. Sie beschränkte sich ab 1896 auf die Bekanntmachung eines Aufrufs mit zwei angeschlossenen spezielleren Zirkularen, die sich an „Bibliotheken und
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Vgl. Sieg 1991. Der Zeitrahmen ergibt sich zwanglos aus den Vereinbarungen mit Reicke (Abtlg. II) und Adickes (Abtlg. III), die abgeschlossen sein sollten, ehe die Ausgabe der »Werke« (Abtlg. I) dem Druck übergeben werden konnte. Vgl. dazu hier S. 12; 77; 119. Menzer hatte diese Funktion fast 20 Jahre (1896-1914) inne, vgl. Menzer 1957-58, 337-338. Vgl. KS 1/1897/149 und die immer wiederkehrende Bezugnahme auf die Kant-Ausgabe in »Buchstabe und Geist«, Jaeschke et al. (Hg) 1987. Vgl. dazu hier Teil III. Auch in KS 1/1896/149-154, danach auch die folgenden Zitate. Vgl. Archiv der Berliner AdW NL-Dilthey.
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Archivare" bzw. „Autographensammler" wenden sollten. Von eigenen Archivrecherchen in den zunächst einschlägigen Orten: Berlin (Geheimes Staatsarchiv) und Königsberg (Universitätsarchiv, Staatsarchiv) ist nicht nur nicht die Rede, sondern auch in der Folge keine Spur zu entdecken! Und der für Publikationen des 18. Jahrhunderts auf der Hand liegende Gedanke, auch in den Archiven anderer Institutionen, die für die Zensur der Kantischen Schriften zuständig gewesen waren, 1 nachzuforschen, fehlt nahezu vollkommen. 2 Verbunden damit ist das Manko einer auf Präzision gerichteten Untersuchung zu Kants Verfahren und Usancen bei der Drucklegung seiner Werke. Denn die Leitlinie der Textherstellung „nach dem Text der letzten [Auflage], in welcher Änderungen enthalten sind, die mit Sicherheit oder mindestens mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Kant zurückgeführt werden können." 3 orientiert sich ausdrücklich an dem Ziel, Orthographie und Interpunktion der Werke so einzurichten, wie Kant selbst in den 1790er Jahren „die Edition besorgt hätte" (S. 513). Für den Druck der Werke innerhalb der AA-Kant ist damit ein künstliches (zudem unbestimmtes) Schema zur Anwendung gekommen, das mit den historisch nachweisbaren Umständen nicht das Geringste zu tun hat. 4 Die Klage über „den Mangel an grossen Kantischen Originalreinschriften" (S. 512) ist zwar überwiegend begründet, 5 rechtfertigt jedoch nicht das beständige Schwanken zwischen der „möglichst treuen Erhaltung des Überlieferten" (S.509) und dem Drang zur Normalisierung. Eine Studie, die ausgehend von einer Untersuchung der verschiedenen Überlieferungsträger (Entwürfe, Vorarbeiten, Reinschrift, Druckvorlage, Drucktext) allein Aufschluß über Kants Verfahren geben kann, fehlt bis heute. Jüngere Arbeiten belegen nun: Der Text der Akademie-Ausgabe ist wenigstens bei zwei Werken (»Streit der Fakultäten«, »Anthropologie«) vor den historischen Dokumenten nicht zu halten. 6 Demnach ist die von der AA-Kant mehr stillschweigend denn ausdrücklich getroffene Annahme, Kant sei in der Regel an den verschiedenen Auflagen seiner Werke irgendwie kontrollierend beteiligt gewesen, genauso als unbelegt zu verwerfen, wie die darauf fußende Maxime zur Festlegung der primären Textgrundlage zur Herstellung des Editionstextes: Nicht die letzte sondern die jeweils erste Auflage steht dem Autor Kant am nächsten! 7 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. dazu unten Teil V. Vgl. dazu oben S. 30 Anm. 10. AA-Kant I 508. Vgl. auch die achtseitigen „Regeln für die Abteilung der Werke" in Lehmann 1969, zwischen S. 12 und 13. Vgl. Stark 1988. Vgl. Teil V. Vgl. Brandt 1987b, Brandt 1990. Ähnliches gilt für den »Ewigen Frieden«, vgl. Baum et al. 1986, Bayerer 1988, und Klemme (Hg) 1992. Eine ähnliche Auffassung findet man bei Lehmann 1969, 33: „Besser wäre es vielleicht auch gewesen, nicht die Ausgaben letzter Hand zugrunde zu legen, sondern die Erstausgaben und sie mit späteren Verbesserungen und Ergänzungen zu bereichern." Hervorhebung: W. St. - Sicher bezeugt sind von Kant herrührende Veränderungen in zweiten Auflagen seiner Schriften nur - gemäß den Vorreden - in der »Kritik der reinen Vernunft« (1781, 1787), der »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« (1793, 1794) und gemäß eines „Zusatzes" - im »Ewigen Frieden« (1795, 1796).
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Gleichfalls scheinen keine hinreichenden Versuche unternommen worden zu sein, bei außerhalb des Deutschen Reiches gelegenen Bibliotheken und Archiven anzufragen. Nur so ist es zu erklären, daß meine Recherchen im Zuge des Aufbaus des Marburger Kant-Archivs von 1982 bis heute in Helsinki, Riga und Amsterdam auf handschriftliche Kantiana stießen, die der Akademie-Ausgabe nicht bekannt geworden sind, obwohl sie sich schon zu Diltheys Zeiten dort befanden.1 Neben diesem Grundsätzlichen betrifft die Kritik die Planung der Abtlg. III insbesondere: Vor Beginn der Arbeiten von Adickes bestanden bei Dilthey völlig unzureichende Vorstellungen über den Umfang der zu bearbeitenden Materialien. Ausgehend von den 1896 bekannten Beständen erscheint es im Rückblick nahezu unbegreiflich, wie diese in drei bis vier Bänden2 (bei einem mittleren Umfang von je 35 Druckbogen 3 der Ausgabe (d. h. insgesamt weniger als 2300 Seiten) untergebracht werden sollten. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, die folgenden acht Positionen zusammenzustellen, um die Abschätzung wenigstens näherungsweise zu spezifizieren. Den erhofften Zuwachs nicht gerechnet, ergibt sich: 1) Handexemplar von Meiers »Auszug aus der Vernunftlehre«, benutzt von Jäsche in seiner Ausgabe 4 von »Immanuel Kant's Logik« [= 66 Seiten von Bd. IX der AAKant] 2) »Welches sind die Fortschritte« - Rinks Edition von 1804: 204 Seiten, Kleinoktav. [= 63 Seiten in Bd. XX der AA-Kant] 3) Handexemplar der »Beobachtungen«, die Auszugsedition von Schubert umfaßt 221260 Seiten, Oktav, [ca. 133 ganze Seiten von Bd. XX der AA-Kant] 4) Die Randbemerkungen Kants in seinem Exemplar der ersten Auflage der »Kritik der reinen Vernunft«, 1881 herausgegeben von Benno Erdmann, rund 50 Druckseiten in Quart. [= 30 Seiten in Bd. XXIII der AA-Kant] 5) Handexemplar von Baumgartens »Metaphysica«, die beiden Teileditionen Erdmanns von 1882 und 1884 enthalten 222 bzw. 524 Kant-Text, Quart. [= 776 Seiten] 6) Die von Reicke 1882-1884 edierten Teile (etwa 2/3 Drittel vom Gesamten) des Übergangswerks machen rund 700 Seiten der »Altpreußischen Monatsschrift« aus [ca. 1000 Seiten insgesamt] 7) Von den, Dilthey bekannten, Rostocker Handschriften waren einschlägig die sog. „Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft", Entwürfe zur Vorrede der »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft«, Vorarbeiten zu Johann Schultz 1
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Meine übrigen Funde gehen auf den zirkulierenden Autographenhandel und die Verlagerungen in der Folge des Zweiten Weltkrieges zurück. - Gleiches gilt für die Funde anderer, vgl. das Literaturverzeichnis s.v. Baum, Bayerer, Gulyga und Malter. Vgl. dazu oben (S. 80) das Zitat aus Diltheys Exposé vom Januar 1896. Im »Sitzungsbericht« vom 23. Januar 1902, der erstmals eine Drucklegung der Abtlg. III ankündigte, wird (S. 51) der Umfang mit „etwa 5 Bänden" angegeben. So die Zahlenangabe im Verlagsvertrag von 14.Februar 1898: „§ 2 Die Ausgabe umfaßt 20-25 Bände, jeder Band etwa im Mittel 35 Druckbogen." (Akten der KK, II-VIII, 153, fol. 85) Vgl. dazu Boswell 1991 a.
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Rezension von Eberhards »Magazin« und zwei kurze Fragmente zur Rechtslehre, [ca. 130 Seiten in Bd. XX der AA-Kant] 8) Die Königsberger Konvolute Α-M, in den drei Editionen von Reicke (nur die Konvolute A-G): 302, 375 und 93 Seiten in Quartformat, [ca. 1200 Seiten insgesamt] Als Gesamtsumme errechnen sich jedenfalls mehr als 3000 Seiten im Satzspiegel der AA-Kant, also wenigstens 6 Bände. Reflexion auf die Zielsetzung Aus den oben (S. 80) wiedergegebenen Äußerungen Diltheys geht deutlich hervor, daß für ihn die Abtlg. III das Kernstück der Ausgabe sein sollte. Das groß angelegte Unternehmen der Kant-Ausgabe ist auch darin nicht abzulösen von Diltheys philosophischer Grundüberzeugung, daß das Zeitalter metaphysischer Systeme unter der Kritik der historischen Schule endgültig zuende gegangen ist und daß die Konstituierung und Begründung einer „Erfahrungswissenschaft des menschlichen Geistes" seine Aufgabe sei. In der Rückbesinnung auf Kants kritischen Weg gelte es, „die Gesetze, welche die gesellschaftlichen, intellektuellen, moralischen Erscheinungen beherrschen, zu erkenn e n . " 1 Die erkenntnistheoretische Grundlage einer solchen „Kritik der historischen Vernunft" sah Dilthey in einer deskriptiven und analytischen Psychologie, die zugleich das einigende Band der je divergierenden Spezialdisziplinen der Geisteswissenschaften abgeben sollte. 2 Davon ausgehend kommt einer A'awi-Ausgabe eine ausgezeichnete Rolle zu. Einerseits gibt Diltheys eigener systematischer Rückbezug auf Kants Lehre Anlaß, dessen Werk in erster Linie zum Objekt zu erklären. Zum andern versprach er sich so eine verläßliche Voraussetzung für die noch zu schreibende Entwicklungsgeschichte Kants, die gleichsam exemplarisch eine „Grundlage für das Verständniß der Geschichte des menschlichen Geistes" bereitstellen sollte. 3 Im Kontrast zu derart weit gespannten Konzeptionen und Erwägungen steht das wenig bekannte Interesse von Hermann Cohen (1842-1918), dem Begründer des Marburger Neukantianismus, an den nachgelassenen Papieren des Königsberger Philosophen. Anders als Dilthey hat Cohen sich weder editorisch noch biographisch mit Kant auseinandergesetzt 4 - warum? Bei Cohen, dessen systematische Hauptwerke nahezu ausschließlich in enger Anlehnung an Kants Philosophie entstanden sind, wäre doch zu vermuten, daß er auf alle irgend erreichbaren Quellen zurückgriff, um die eigene Position zu stützen. Auch darf man bei einem Intellektuellen von seinem Format unterstellen, daß er sich mit methodologischen Fragen bei der Grundlegung der eigenen, kantianisierenden Auffassung von Zweck und Aufgabe philosophischen Denkens beschäftigt hat.
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Vgl. Dilthey GS V, 27. Vgl. besonders Dilthey GS I, 116-120. AA-Kant I; S. VIII. Nicht so seine Marburger Schüler und Kollegen. Paul Natorp ( 1854-1924) und Karl Vorländer ( 1860-1928) zählen zu den Herausgebern Kantischer Schriften in der Abtlg. „Werke" der Akademie-Ausgabe.
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In einer eigenartigen Besprechung 1 des ersten Bandes von Reickes »Losen Blättern« findet man das Gesuchte. Cohen hat grundsätzliche Bedenken gegen eine unmittelbare Verwendung von Materialien, die von einem Autor nicht zur Publikation bestimmt waren. Ausgehend von einer, wie er sie selbst nennt, „absonderlich sentimentalen Betrachtung", 2 stellt er zunächst „eine Art von Rechtsfrage". „Kant hat ausdrücklich verboten, dass sein Nachlass gedruckt werde. Wir setzen uns darüber hinweg, weil wir an Alles, was der Genius offenbart, ein Recht zu haben glauben. Es sei! Aber dieses Recht ist unzweifelhaft ein Zweckrecht: des guten Zweckes wegen, den wir für die Cultur und Wissenschaft ins Auge fassen, verletzen wir das Recht der Person an ihrem Eigenthum. So mag denn für eine teleologische Reflexion, scheinbar zum Schutze des Genius in seinem für den Druck nicht bestimmten handschriftlichen Eigenthum, hier einmal ein Wort gewagt werden, - nicht zu Gunsten der Pietät, geschweige des Eigenthumsfanatismus; sondern zu einer methodischen Ueberlegung über die Zwecke und Grenzen einer biographischen Material-Ueberschwemmung: über die Voraussetzungen, unter welchen nicht zum Drucke bestimmtes, auch nicht einmal in Briefen enthaltenes handschriftliches Material zur Erklärung gedruckter Werke benutzt werden darf." (S. 288) Ohne Dilthey namentlich zu erwähnen, entwickelt er in raschen Zügen seine Gegenposition: Eine Parallelität zwischen Literatur- und Kunstgeschichte wie auch politischer Geschichte einerseits und Philosophiegeschichte andererseits wird bestritten. Unabdingbare Voraussetzung für die Heranziehung von nicht durch den Autor publizierten Materialien sei die Erkenntnis der ausgeführten Schriften. „Die Werke des Geistes überhaupt sind trotz Schicksal und Erziehung Einheiten. In vorbildlicher wie prägnanter Weise sind die Werke des Genies solche Einheiten, die nicht durch Addition wachsen, nicht durch Anpassung und Annäherung verständlicher werden, nicht durch die Probe von angeblichen Theilen, Stücken und Versuchen als Einheiten zu errechnen sind. Als Einheiten muss man sie vorher erkannt haben; der Einheit muß man in den vollendeten Werken inne geworden sein. Dann darf man die Theile in die Hand zu nehmen suchen. Dann kann das Studium der mannigfachen Versuche und Entwickelungen, die das Genie zu bestehen hatte, das Verständnis fördern das Verständnis dessen, worin das Genie als Genie von der gemeinen Norm sich unterscheidet." (S. 293) In Konsequenz dessen bespricht Cohen dann im Hauptteil (S. 295-321) nicht die Edition Reickes, sondern sucht „für diejenigen, welche in der Würdigung der kritischen Grundlagen mit [ihm] übereinstimmen, aus dieser trefflichen Publikation einige Sätze 1 2
Cohen 1890. Ich ziehe der Einfachheit halber die ersten Sätze aus: „Schätze aus Kants Schreibtisch, [...], werden in diesem Sammelbande der zu Pilgerfahrten nicht geneigten oder nicht reisefertigen Lesewelt mitgetheilt. Manchem Kantfreunde mögen sie bereits erschlossen gewesen sein. Ich selbst habe sie auf einer mit August Stadler nach Königsberg unternommenen Reise einsehen dürfen; [...]. So muthet dieser Druck mich wie etwas heimlich vertraut Gewordenes an; und während Kant mir sonst ein Autor ist, den ich nur gedruckter Weise kennen zu lernen habe, ein Autor, der auch selber seine Bücher zum Drucke besorgt hat, so erinnern mich diese Typen an die Schriftzüge einer nicht unmittelbar für den Druck sorgenden Person, an die Handschrift eines Mannes in seiner unbewachten Hausarbeit." (S. 287) - Die Reise fand statt im April 1885, vgl. Holzhey 1986, II 156.
Editionsgeschichte
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herauszuheben, an deren Betrachtung das sachliche Verständnis bekräftigt werden kann." - Der Nachlaß und damit die Entwicklungsgeschichte darf nicht als Mittel zu einer auf Objektivität gerichteten Interpretation 1 herangezogen werden. Reflexionen und Fragmente bilden keine mögliche Gegeninstanz zur Kritik an einer Erkenntnis der Werke. 2 Wenn auch heute der Zielsetzung Diltheys im weitaus überwiegenden Teil der Interpretationsliteratur keine bestimmende Rolle mehr zukommt, so ist dennoch sein methodischer Ansatz ein notwendiger Bestandteil jeder wissenschaftlich ernstzunehmenden Auseinandersetzung mit philosophischen Autoren der Neuzeit geworden. Immer dann, wenn außer den „Werken" auch nachgelassene Schriften verfügbar sind, wird zur Bestätigung oder Kritik der vorgeschlagenen Thesen auf den Nachlaß zurückgegriffen. Die Arbeit der großen Editionen zu Rousseau, Locke, Descartes, Leibniz, Fichte, Schelling oder Hegel hat bereits ein immenses Potential an sicherem Wissen geschaffen, ohne dessen Einbeziehung Arbeiten zu den genannten Autoren meist von vorneherein unter aller Kritik bleiben. - Es ist allgemein anerkannt, daß die „Archiv-Ausgaben" eine unverzichtbare, kritische Funktion für die Forschung besitzen; sie setzen zu Recht Standards, die ohne wichtigen Grund nicht unterschritten oder außer Acht gelassen werden dürfen. Gerade weil ich diesen Grundsatz anerkenne, bleibt die Forschergemeinschaft aus meiner Sicht aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, daß auch die Kant-Ausgabe diesen hohen Anforderungen entspricht. Dem Nachweis der Behauptung, daß dies für die Nachlaßbände XX-XXIII nicht der Fall ist, dienen der nachfolgende Abschnitt E und Teil VI. B.
1 2
Vgl. zu dieser Terminologie Brandt 1984. Es ist nicht ohne Interesse zu bemerken, daß Cohen nicht von Beginn an dieser Meinung war. In seinem Brief an Friedrich Albert Lange (1828-1875) vom 16. November 1871 heißt es: „Ich denke daran, die in der Königsberger Bibliothek vorhandenen Papiere auf die in ihnen enthaltenen Notizen aus den Jahren 17701781 zu durchsuchen: es muß sich aus diesen Entwürfen Uber das allmähliche Werden des Kantischen a priori von Raum und Zeit zu den Kategorieen oder umgekehrt etwas entwickeln lassen." (Cohen 1939, 3435) - Herrn Franz Orlik (Wetter/Hessen) danke ich für den Hinweis auf diese Stelle. Weil somit Cohens frühzeitige Kenntnis und Absicht belegt sind, erhalten sein faktischer Verzicht und die Ausführungen des Jahres 1890 zusätzliches Gewicht.
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Teil II
C. Die Abteilung III von »Kant's gesammelten Schriften« a. 1. Phase (Adickes I) Am 29. Juni 1866 wurde Erich Adickes als Sohn eines Amtsrichters in Lesum bei Bremen geboren. Nach dem Abitur (1884) studierte er Theologie, klassische Philologie und Philosophie zunächst in Tübingen und später in Berlin, wo er 1887 mit einer Dissertation über »Kants Systematik als mitbildender Faktor seines Systems« bei Friedrich Paulsen (1846-1909) promoviert wurde. 1889 veranstaltete er, gerade 23-jährig, eine Ausgabe von Kants »Kritik der reinen Vernunft«, worin er die Ergebnisse der Doktorarbeit anwendete und seine primär philologisch begründeten Thesen zur Entstehung des Textes der »Kritik« detaillierter ausführte. Ab Ostern 1891 wurde er als Oberlehrer an der Oberrealschule in Kiel 1 eingestellt, nachdem er die erforderlichen Examina und Probezeiten erfolgreich bestanden hatte. In den Jahren 1892-95 erarbeitet Adickes auf Anregung des Herausgebers der »Philosophical Review« eine kommentierte Bibliographie der deutschsprachigen Kantliteratur, die, da zuerst in einzelnen Heften (1893-95) der amerikanischen Zeitschrift erschienen, in Deutschland fast unbekannt geblieben war. 2 - Ab 1925 bemühten sich zunächst er selbst und nach seinem Tod (1928) sein Sohn Franz Adickes um eine deutschsprachige Ausgabe oder wenigstens einen einfachen Nachdruck. Erst 1970 kam auf Initiative von Gottfried Martin eine von Franz Adickes veranstaltete, unveränderte Neuauflage zustande. 3 1895 veröffentlichte Adickes seine »Kant-Studien«, deren erster Teil auf die Entwicklungsgeschichte der Kantischen Erkenntnistheorie zwischen 1755 und 1770 konzentriert wurde und deren zweiter Teil sich mit der von Emil Arnoldt vertretenen Auffassung zur Abfassung des Textes der »Kritik der reinen Vernunft« auseinandersetzte. Im Herbst desselben Jahres habilitierte Adickes sich an der Kieler Universität. Die Antrittsvorlesung »Die bewegenden Kräfte in Kants philosophischer Entwicklung und die beiden Pole seines Systems« 4 wurde in ausführlicher Fassung (knapp 140 Druckseiten) im ersten Band der von Hans Vaihinger in Halle gegründeten Zeitschrift »KantStudien« (1896) veröffentlicht. Sie stellt die beiden Seiten des Kantischen Denkens 'Glauben' und 'Wissen' als gleichberechtigte und gleichrangige Pole des ganzen Systems der kritischen Philosophie heraus.
1
Lehmann 1969, 7 führt fälschlich an, daß Adickes „damals [1896] noch einfacher Realschullehrer in Bremen" gewesen sei, ähnlich (AA-Kant XXIV 967) - Adickes Selbstdarstellung zum Trotz: Adickes 1923, 25f. Wie die in den ersten Jahrgängen der »Kant-Studien« enthaltenen Mitteilungen zu Vorlesungen über Kant belegen, hielt Adickes an der Kieler Universität ab Wintersemester 1895/96 Übungen hauptsächlich zur »Kritik der reinen Vernunft« ab. - Ich erwähne diese Nebensächlichkeit, um darauf aufmerksam zu machen, daß die Angaben von G. Lehmann über die beiden ersten Phasen der Edition und die Person von Erich Adickes häufig ungenau und in nicht wenigen Fällen unzutreffend sind. Auf eine je punktuelle Anführung dieser Schwächen habe ich jedoch verzichtet.
2 3 4
Vgl. Adickes 1923, 26. Briefwechsel zwischen Gottfried Martin und Franz Adickes (Ingelheimer Papiere). Adickes 1897a.
Die Abteilung III
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Im Februar 1896 schlossen Adickes und die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften einen Vertrag über die Herausgabe des handschriftlichen Nachlasses von Kant im Rahmen der neuen Kant-Ausgabe. In Form einer Besprechung der beiden ersten Hefte von Rudolf Reickes Veröffentlichungen von »Losen Blättern aus Kants Nachlaß« stellte Adickes sein editorisches Konzept der Öffentlichkeit vor, noch ehe ihm diese Manuskripte vorgelegen hatten. Er vertrat die Auffassung, daß in der Akademie-Ausgabe „das gesamte noch vorhandene handschriftliche Material neugeordnet und ineinander gearbeitet" und nach „chronologisch-sachlichen Gesichtspunkten" abgedruckt werden sollte, um so „ein Bild von Kants Denken über diesen oder jenen Gegenstand zu bestimmten Zeiten" gewinnen zu können. 1 Dementsprechend referiert und kommentiert er den Inhalt der Kantischen Aufzeichnungen, die er - der Terminologie von Friedrich Wilhelm Schubert folgend - als „Fragmente" 2 bezeichnet, in fünf Zeitabschnitten, die ihrerseits nach sachlichen Gesichtspunkten gegliedert werden. Nach dem Wortlaut des § 1 seines Vertrages wurde Adickes „die Bearbeitung derjenigen Abtheilung der Kantausgabe, welche die Reflexionen Kants auf losen Blättern, Compendien und Handexemplaren enthält[, übertragen], Hr. Adickes wird beauftragt, diese Aufzeichnungen zu ordnen, zu bearbeiten und herauszugeben, [...]." 3 Bis zu seiner Berufung an die vom Staat Preußen neugegründete Universität Münster zu Beginn des Wintersemesters 1902/3 wurde Adickes für knapp drei Jahre ganz und weitere 2 1/2 Jahre halb von seiner Tätigkeit als Pädagoge entlastet. 4 In diesen Jahren verschaffte er sich zunächst einen Überblick über Umfang und Beschaffenheit des von 1 2 3 4
Adickes 1897b, 234. Vgl. den Zwischentitel von Schubert, in Kant; Werke 1838-1842, Bd. XI/1 215: „Fragmente aus seinem Nachlass". Xerokopie (Ingelheimer Papiere), zu den weiteren §§ vgl. hier S. 119. Nach Adickes 1923, 26. Die Quellen - so weit ermittelt - bestätigen dies. Der Vertrag zwischen Adickes und der Akademie vom 17.Februar 1896 sah einen „zweijährigen U r l a u b " vor, vgl. das Zitat hier S. 119. Die SBPK besitzt folgenden Brief von Adickes an einen - mir - Unbekannten vom 16.Januar 1900: „Hochzuehrender Herr Ministerialdirektor! Auf Veranlassung meines Bruders gestatte ich mir Ew. Hochwohlgeboren die Bitte vorzutragen, hochgeneigtest dahin wirken zu wollen, dass ich im Interesse der Förderung meiner wissenschaftlichen Arbeiten, insbesondere der Kant-Ausgabe, von der Hälfte meiner Schulstunden an der hiesigen städtischen Ober-Realschule befreit werde. Herr Oberbürgermeister Fuss und der Vorsitzende der Schulkommission haben mir heute ihre Bereitwilligkeit erklärt, für eine solche Befreiung einzutreten, falls dieselbe Seitens des Herrn Ministers als im Interesse der Wissenschaft wünschenswert bezeichnet werde und falls die Entscheidung bald getroffen werden könne, da die Stadt gerade jetzt im Begriff sei, Lücken im Collegium der Oberrealschule durch Neuberufungen zu ergänzen. Im Fall meiner Entlastung würde ich auf die Hälfte meines Gehaltes herabgesetzt werden und 2580 M. einbüssen. Da Ew. Hochwohlgeboren die grosse Güte gehabt haben, mir durch meinen Bruder eine ausserordentliche Remuneration in Aussicht stellen zu lassen, darf ich die Bitte um Bewilligung derselben in der angegebenen Höhe mir erlauben. Ew. Hochwohlgeboren bitte ich zugleich meinen verbindlichsten Dank für Ihr wiederholt bethätigtes Wohlwollen und gütige Förderung entgegennehmen zu wollen. Mit vorzüglicher Hochachtung gehorsamst Adickes." (Berlin SBPK: acc. Darmst. 1913,51) Das Preußische Ministerium der „geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten" wies mit Schreiben vom 16. April 1902 (auf Antrag der Preußischen A d W vom 18. Januar 1902) das „Königliche Provinzial-Schulkollegium zu S c h l e s w i g " an, die „Weiterbeurlaubung" von Adickes bis zum 1. Oktober des Jahres zu veranlassen. Danach sei eine „Übernahme des Professors Dr. A d i c k e s " in den Staatsdienst zugesagt. (Xerokopie einer Abschrift für die AdW, Ingelheimer Papiere).
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Teil II
der Akademie zusammengezogenen Materials und erarbeitete eine neuartige Methode zu dessen Datierung und ein genaues Konzept zur Herausgabe. Ab etwa 1900 untersuchte er parallel dazu einen Großteil der erhaltenen Nachschriften Kantischer Vorlesungen. 1 Im August 1904 legte Adickes der Kommission einen „Bericht über die 3. Abteilung der Kant-Ausgabe" vor, der eine Diskussion um die Anordnung der Reflexionen veranlaßte. 2 Kurz nach dem Antritt (Herbst 1904) seines neuen Lehramtes, Nachfolge von Christoph Sigwart (1830-1904), an der Universität Tübingen wurden die Editionsprinzipien in Übereinstimmung mit Dilthey, dem ersten Vorsitzenden der KK und Max Heinze (1835-1909), dem Leiter der Abtlg. IV 'Vorlesungen', endgültig festgelegt. Die abschließende Redaktion des Druckmanuskripts zu Band XIV begann im Herbst 1906. Die Drucklegung selbst konnte, verzögert durch Differenzen mit dem Verleger, die Adickes zu seiner ersten Rücktrittsdrohung veranlaßten, erst im Juli 1907 begonnen werden. In den nächsten 4 Jahren, die bis zum Erscheinen von AA-Kant XIV vergingen, verarbeitete Adickes seine umfangreichen, historischen Untersuchungen über die in den naturwissenschaftlichen Fragmenten aus Kants Nachlaß enthaltenen Themenbereiche zu zwei dem Inhalt von Band XIV zugeordneten, kommentierenden Schriften »Untersuchungen zu Kants physischer Geographie« und »Kants Ansichten über Geschichte und Bau der Erde«. Alle drei Bände erschienen im Jahr 1911. Um die weitere Entwicklung der Ausgabe zu verstehen, ist es wichtig zu bemerken, daß ihr Initiator Wilhelm Dilthey am 1. Oktober 1911 nach längerer Krankheit gestorben ist. Schon am 15. Februar des Jahres hatte Dilthey der KK mitgeteilt, daß er sich von der Leitung der Ausgabe zurückziehen wolle und Menzer zu seinem Nachfolger vorschlage. 3 Gut einen Monat später, am 23. März, beantwortete Dilthey mit einem umfänglichen Schriftsatz, der zugleich seinen „Austritt aus dem Geschäftsgang" erklärt, die Frage der Akademie, „wie die Kompetenzen des Herrn Professor Menzer [des Sekretärs der Ausgabe und Leiters der Abtlg. IV »Vorlesungen«; 4 W.-St.] zu regeln seien." Die Adickes bzw. die Abtlg. III betreffenden Passagen lauten:
1
2
3 4
Adickes 191 lb, 43: „[...] als ich Sommer 1902 in Leipzig die Logikhefte durcharbeitete, [...]." - Ein weiterer Beleg: Mit Schreiben vom 13. November 1902 übersandte Menzer Adickes „2 Nachschriften aus Danzig (Rationale Theologie und Metaphysik) und ein Bruchstück der Metaphysik. Das letztere stammt aus dem Nachlass der Oberpräsidenten v. Schön [...]." (Ingelheimer Papiere) Vgl. Lehmann 1969, 12-26 & 36f. Der von Lehmann erwähnte „Bericht" vom August 1904, ist nicht in den Akten der KK sondern im NL-Dilthey enthalten. Unter der Signatur 49 (rot) fand ich in einer Mappe neben vielen handschriftlichen Notizzetteln und Entwürfen Diltheys auch zwei maschinenschriftliche Exemplare des genannten Berichts von Adickes (fol. 252-258 bzw. fol. 259-267). Er stellt das Konzept einer siebenbändigen Ausgabe vor und gliedert sich in einen „Vorschlag betreffend die Stoffverteilung" und „Erläuterungen zu obigen Vorschlägen". Das darin entwickelte Konzept zeigt keine Differenzen zu dem später in der Einleitung zu Band XIV der AA-Kant vorgestellten Verfahren der Ausgabe. Nur die Zuordnung des Materials zu einzelnen Bänden war noch strittig. - Zum Beginn des Drucks vgl. AA-Kant XIV; S. VI. Akten der KK, II-VIII, 155, fol. 140. Menzer wurde mit Vertrag vom 14. Oktober 1909 (Akten der KK, II-VIII, 155, fol. 124) Nachfolger des ersten Leiters Max Heinze, der am 17. September desselben Jahres nach schwerer Krankheit verstorben war; vgl. den Nachruf von „Eleutheropulos" im November/Dezember der »Monatsschrift für Soziologie« 1/1909/715-724. - Menzer wurde durch § 3 seines Vertrages zugleich Mitglied der KK.
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„In der Abteilung des Nachlasses, die Professor Adickes unterstellt ist, hat dieser die ganze Arbeit zu leisten. Da er dieser Aufgabe sein Leben gewidmet hat und ein sehr starkes Gefühl des damit gebrachten Opfers hat, schliesslich auch die ganze Verantwortung tragen muss, weil doch kein Leiter der Ausgabe diese vieljährige Arbeit fern von den Manuskripten mit durchmachen kann, und da andererseits er und Professor Menzer bei dem Ineinandergreifen von Vorlesungen und Nachlaß auf ein wohlwollendes Einvernehmen angewiesen sind, das zugleich eben nach diesem Verhältnis leicht getrübt wird und öfters getrübt worden ist, so wird sich im Interesse des Unternehmens für die Zeit der Vertretung empfehlen, daß hier ein Versuch der Abgrenzung von Rechten und Pflichten nicht gemacht wird, der leicht Conflikte herbeiführen könnte. Herr Professor Menzer hätte dann hier nur die Aufgabe, Adickes mit seinem Rat und der Vertretung der Wünsche und Bedürfnisse desselben zur Seite zu stehen. Erst später wird hier ein inniges Ineinandergreifen der obersten Leitung und der Tätigkeit der beiden Herren zum Zweck einer einheitlichen Regelung der hier auftretenden Fragen nötig werden. [...] Hiernach würde ich die folgende Fassung einer Antwort an Prof. Menzer vorschlagen. Derselbe wird mich in der Oberleitung der Abteilung der Werke, des Briefwechselbandes und der Abteilung der Vorlesungen vertreten. Treten bedeutendere Fragen auf oder entstehen Schwierigkeiten, so hat er sich an die Commission zu wenden. In Bezug auf die Abteilung von Adickes erscheint es nach der Sachlage genügend, wenn er diesem mit seinem Rat und der Vertretung der Wünsche und Bedürfnisse desselben zur Seite steht, ohne dass hier ein Versuch der Abgrenzung von Rechten und Pflichten gemacht wird. Ferner wird Herr Menzer ersucht, durch ein Cirkular den in Frage kommenden Personen mitzuteilen, daß Briefe, sofern sie nicht direkt an die Commission gehen, an ihn zu richten sind. Ich bin überzeugt, daß eine genauere Abgrenzung der Competenzen teils unausführbar ist, teils anstatt Conflikte auszuschließen eher solche herbeiführen würde. Ohnehin ergiebt sich ja aus dem Dargelegten, daß eine solche Stellvertretung, die leider durch meinen Gesundheitszustand unvermeidlich geworden ist, nicht von langer Zeit sein kann, wenn nicht das Unternehmen ernstlich Schaden leiden soll. Wilhelm Dilthey" 1 Die Akten zeigen für die nächsten Monate zunächst nur, daß kein förmlicher Beschluß gefaßt wurden, und daß keine Spur von Verhandlungen oder Besprechungen blieb, die erklärlich machen, warum nach Diltheys Tod auf der Sitzung der philosophisch-historischen Klasse vom 2. November 1911 auf „Antrag des Hrn. Stumpf [...] Hr. Erdmann zum Mitglied und Vorsitzenden der Kant-Commission g e w ä h l t " worden ist, und die Kommission ermächtigt wurde „Hrn. Menzer in Halle zu mündlicher Besprechung seiner künftigen Stellung zur Kant-Ausgabe nach Berlin einzuladen." 2 Mit der Wahl von Benno Erdmann, der erst am 22. Juni 1911 ordentliches Mitglied der A d W geworden war, 3 erhielt die Kommissionsarbeit einen ganz anderen, weniger kollegialen Charakter. Vielleicht lag dies sogar in der stärkeren sachlichen Kompetenz Erdmanns begründet, schließlich hatte er sich als junger Mann 4 selbst mit einem Teil 1
Akten der KK, II-VIII, 155, fol. 145-7.
2
Akten der KK, II-VIII, 155, fol. 199.
3
Vgl. Hartkopf 1983.
4
Vgl. dazu hier Teil II B.
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der Handschriften auseinandergesetzt, die Adickes und Menzer zu edieren hatten. Zunächst schien es jedoch keine sachlichen Differenzen zu geben. Gleichwohl wurde Menzer vom neuen Kommissionsvorsitzenden nicht nach Berlin eingeladen, sondern mit Schreiben vom 23. N o v e m b e r und 1. Dezember 1911 zu einem schriftlichen Bericht aufgefordert. Menzer verhielt sich loyal und verfaßte für Erdmann am 3. Dezember 1911 die gewünschte Expertise zum Stand der Ausgabe. Zu Adickes schrieb er: „Die 3. Abteilung liegt ja ganz in den Händen von Adickes. Ich habe nur die Pflicht die Korrekturbogen mitzulesen und Zitate aus den Vorlesungen mit diesen zu vergleichen. Ferner habe ich die Vermittlung bei Beschaffung von Manuskripten etc. Die Fertigstellung dieser Abteilung hat sich nun auch sehr lange hin gezogen. Der Grund lag wohl vor Allem in der Schwierigkeit der chronologischen Ordnung des Materials. Für mich ist kein Zweifel, dass A. hierin Ausserordentliches geleistet hat. Auch hat er in den Anmerkungen zu Bd. XIV zum ersten Mal die naturwissenschaftlichen Fragmente in die Wissenschaft der damaligen Zeit eingeordnet. Gegensätze zwischen Geh. Dilthey und A. mussten entstehen, als diese Anmerkungen allzu umfangreich wurden. Doch schliesslich konnte die Kommission nur Wünsche aussprechen. Ich berühre damit eine Frage, die Geh. Dilthey manche Sorge gemacht hat. Es ist ausserordentlich schwierig A. gegenüber etwas durchzusetzen. Er will von seinen Plänen nicht zurückweichen. Auch besteht immer die Gefahr, dass er von der Ausgabe zurücktritt. Er hat damit schon oft gedroht und ich habe die Überzeugung gewonnen, dass es ihm damit Ernst ist. - Augenblicklich drucken wir an Bd. XV, er ist bis Bogen 16 vorgerückt. Die Anmerkungen sind hier viel weniger umfangreich. Es geht aber ziemlich langsam vorwärts. Der Grund liegt darin, dass immer noch dieser und jener Nachweis fehlt. Dann aber will A. das Material nicht nur herausgeben, sondern auch als Erster in eigenen Schriften verwerten. So arbeitet er immer nebenbei an diesen und wir müssen warten. Dies ist ein recht fataler Zustand, aber wir können es kaum ändern. Niemand kann die Manuskripte A's benutzen, der Verleger kann Ihnen darüber ein Klagelied anstimmen." 1 Die kritischen Nebentöne dieser Bemerkungen lassen es ratsam erscheinen, einen anderen Blick auf Adickes Vorgehen zu werfen. Kants eigenhändige Notizen über physische Geographie zwangen zu einer näheren Analyse der studentischen Nachschriften von Kants Vorlesungen über diesen Gegenstand. 2 Die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit lagen jedoch bereits vor dem Druck der »Untersuchungen« (1911) vor. Adickes konnte durch vergleichende Analyse von 20 verschiedenen Handschriften nachweisen, daß die 1801 von Friedrich Theodor Rink (1770-1811) veranstaltete Edition der physischen Geographie Kants nicht - wie zuvor allgemein angenommen - als authentische oder autorisierte Wiedergabe einer Kantischen Vorlesung angesehen werden kann. Dadurch wurde die Ausgabe des im Text seit 3 1908 fertig gedruckten Bandes IX, der 1 2 3
Akten der KK, II-VIII, 155, fol. 211-216. Vgl. Adickes 1911b, 1-3. Das Jahr nennt der Verlag W. de Gruyter in seinem Antwortbrief vom 17.12.1919, auf die Anfrage von Benno Erdmann, dem Vorsitzenden der KK, zum Stand der Ausgabe; Akten der KK. Erich Adickes benutzte ein Exemplar des Textes bei seinen »Untersuchungen« [Adickes 1911a, 5] und in den Erläuterungen der Reflexionen zur Physischen Geographie in AA-Kant XIV 541, 543ff., 553, u. ö.). - Gedruckt waren die Bogen 1-32; diese wurden unverändert 1923 ausgegeben; wobei von Bogen 32 nur die ersten 4 Seiten stehen blieben, sodaß die 'Anmerkungen' (AA-Kant IX 501) auf die später gedruckten Bogen 33-37 entfielen.
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die noch zu Kants Lebzeiten und in seinem Auftrag, von Rink und Gottlob Benjamin Jäsche (1762-1842) herausgegebenen Vorlesungen über Logik, Physische Geographie und Pädagogik enthalten sollte, hinausgeschoben. Adickes konnte aber mit seiner Ansicht, daß „aus wissenschaftlichen Gründen [...] eine Kassation dieser Seiten [= AA-Kant IX 151-436] und ein Neudruck unbedingt erforderlich" sei, 1 nicht durchdringen. Obwohl er selbst mit dem zweiten Teil seiner »Untersuchungen« und durch die von ihm veranlaßten Quellenstudien eines Studenten, Paul Schock, 2 der Akademie reiches Belegmaterial zur Verfügung stellte. Auf die anschließende (1914) Bitte der Kantkommission, den fertig vorliegenden Apparat des Herausgebers Paul Gedan (1871-19??) umzuarbeiten und in einer „möglichst kurz gehaltenen Einführung die Arbeit Rinks unter Hinweis auf Ihre Untersuchungen einzuleiten", 3 antwortete Adickes, die von ihm dazu für notwendig erachteten Arbeiten kurz charakterisierend: „Nach meinen Untersuchungen liegen prinzipielle Schwierigkeiten und Probleme nicht mehr vor. Es bedarf bloss Umsicht, peinlichste Genauigkeit und einer geschulten philologischen Hand, um Kants Text herauszuschälen. Aber zeitraubend ist die Arbeit ohne Zweifel. Daher kann ich sie ganz unmöglich selbst übernehmen. Ich werde der Akademie gegenüber meinen Pflichten möglichst schnell und so gut, wie ich kann, nachkommen. Irgendwelche neue zu übernehmen - daran denke ich nicht. Nach 18 Jahren der Zwangsarbeit möchte ich endlich auch zu meinen eigenen Sachen kommen." 4 Band IX blieb so unfertig liegen. Im Juli 1920 fällt auf Vorschlag von Benno Erdmann die endgültige Entscheidung, den Text des gesamten Bandes so auszugeben, wie er 1908 gedruckt worden war. Erst 1923 ist er erschienen, nachdem Gedan seine seit 1910 vorliegenden 'Anmerkungen' mit Rücksicht auf die inflationsbedingten „außerordentlich ungünstigen Verhältnisse des Buchdruckes" - wie er in seiner Vorbemerkung selbst sagt (AA-Kant IX 509) - gekürzt hatte und nachdem Artur Buchenau (1879-1946) die entsprechenden Manuskripte der beiden anderen Herausgeber (Heinze und Natorp) revidiert hatte. 5 Band IX ist also weder eine „Mißgeburt", 6 noch ein „Unglücksband", 7 noch „eine bloße Anomalie" 8 sondern das endliche Resultat aus 1 2 3 4 5
6 7 8
Adickes 1924/25, II 375 Fn. 2. Vgl. Adickes 1911b, 32; Adickes 1924/25, II 388 und AA-Kant IX 551. - Es gelang mir bisher nicht, ein Exemplar der vermutlich maschinenschriftlichen Arbeit aufzufinden. Erdmann an Adickes, 19.03.1914 (Ingelheimer Papiere). Br.-Entwurf Adickes an Erdmann, 20.03.1914 (Ingelheimer Papiere). In einem Rundschreiben an die Mitglieder der KK vom 15.3. 1922 (Akten den KK, II-VIII, 158, fol. 131) wird unter Berufung auf einen zuvor von Paul Menzer gegebenen Rat (Br. vom 5.3. 1922, Akten der KK, II-VIII, 158, fol. 175) das entsprechende Angebot von Buchenau zur Annahme empfohlen. - Auf diesem Weg gewann Buchenau, der neue wissenschaftliche Beirat des Verlegers Walter de Gruyter (1862-1923), nachdem er zuvor in der Cassirerschen Ausgabe u.a. die Logik-Jäsche herausgegeben hatte, erstmals Einfluß auf die Ausgabe der Akademie; vgl. Menzer 1957-58, 338. - Natorps Manuskript befindet sich heute im Nachlaß Lehmann der SBPK. Lehmann 1969, 33. Lehmann 1969, 39 Fn.31. G. Lehmann: Vorbemerkungen zum Anmerkungsteil, in: Kants Werke; Akademie-Textausgabe, Anmerkungen zu Bd. I-V (Berlin: de Gruyter 1977) S. IX.
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einmal getroffenen Sac/zentscheidungen und späteren wirtschaftlichen Zwängen, wie aus zwei mit den Beschlüssen etwa zeitgleichen Aussagen von Paul Menzer und Arthur Warda hervorgeht. 1 Nach dem Erscheinen der »Untersuchungen«, der »Ansichten« und Band XIV der AA-Kant wurde die konzentrierte Arbeit an der Drucklegung der weiteren Nachlaßbände erstmals, wenn auch nur für kurze Zeit, für die Auswertung eines neu aufgefundenen Kollegheftes 2 unterbrochen. Die Daten der Vorworte zu den Bänden XV und XVI der AA-Kant zeigen aber, daß die Veröffentlichung selbst in keiner Weise beeinträchtigt wurde (11.2. 1913; 10.6. 1914). Der Druck von AA-Kant XVII, noch 1914 begonnen, mußte 1915 nach dem 14. Bogen wegen des Krieges eingestellt werden. Die Zeitplanung, die Adickes vor Kriegsausbruch bekannt gegeben hatte, wonach „hoffentlich schon innerhalb der nächsten vier Jahre, [d. h. bis etwa 1918; W.St.] noch die sechs weiteren Bände [= AA-Kant XVI-XXI] 3 veröffentlicht werden sollten, scheiterte an den äußeren vom Krieg diktierten Bedingungen. - Die Dissertation von Theodor Haering (1884-1964) »Der Duisburgsche Nachlass und Kants Kritizismus um 1775« (Tübingen 1910) gab schon den Zeitgenossen einen Einblick in den weit vorgeschrittenen Stand von Adickes Arbeiten am handschriftlichen Nachlaß. 4 Bei der Drucklegung von Bd. XVI kam es 1914 zu gravierenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Adickes und der Kant-Kommission, die in beinahe täglichem Briefwechsel ausgetragen wurden. Adickes beabsichtigte in Konsequenz einer bereits vor Beginn der Arbeiten öffentlich geäußerten Hoffnung, Reproduktionen von acht Seiten des Kantschen Handexemplars von Meiers »Auszug aus der Vernunftlehre« beizugeben. In seiner programmatischen Besprechung der beiden ersten Reickeschen Veröffentlichungen der »Losen Blätter« hatte er im ersten Heft der »Kant-Studien« geschrieben: „Zu bedauern ist, dass er [Reicke] nicht von einigen der interessantesten Blätter aus den verschiedenen Perioden photographische Reproduktionen gegeben hat. Hoffentlich werden sie in der Ausgabe der Akademie nicht fehlen." 5 Nach seiner Ansicht sollte dem Leser des Bandes zugleich die angewandte Methode der Datierung der Reflexionen veranschaulicht werden. Er bezeichnete die Beigabe von Tafeln als ein „wissenschaftliches Erfordernis ersten Ranges", weil die in AAKant XIV; S. XLIV in Aussicht gestellte Beschreibung der einzelnen Kompendiensei-
1
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Einmal indirekt Menzer 1924a, 12, der den 1920 beschlossenen Verzicht auf die geplante Veröffentlichung der Vorlesungen, Abteilung IV, die sich wenigstens thematisch mit den drei in Band IX veröffentlichten Vorlesungsschriften »Logik-Jäsche«, »Physische Geographie« und »Pädagogik« überschnitt, mit der Bemerkung „Dazu zwang die Not der Z e i t " kommentierte. Zum anderen direkt abzulesen in einem erst kürzlich veröffentlichten Brief von Arthur Warda (2. März 1925) an Rudolf Unger, wo es heißt: „Das eine möge die Akademie, die, wenn auch nicht gerade kaufmännisch geleitet, auf die Kosten zu sehen pflegt (vgl. Kant Ausgabe Band IX), sich gesagt sein lassen, daß sie die [Hamann-]Briefausgabe so billig nicht so leicht hätte erlangen können." (Knoll 1988, 216) Adickes 1913. Adickes 1913, 5. Vgl. auch eine Stelle des Briefes vom 21. 1. 1904, Adickes an Dilthey: Lehmann 1969, 19 oben. Adickes 1897b, 235.
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ten und die damit verknüpfte chronologische Einordnung der Reflexionen dem Leser nur bei Vorlage von Reproduktionen der Kantischen Handschriften verständlich werden könnte. „Eine solche Beschreibung und Begründung der getroffenen Entscheidungen kann aber bei den schlimmsten und wichtigsten Seiten von L [Handexemplar von Meiers »Auszug«] von mir nur auf Grund von Facsimile-Drucken der Ms gegeben werden, auf Grund ihrer aber in den meisten Fällen auch in völlig genügender Weise!" 1 Seiner dringenden Bitte, „zu der entscheidenden Sitzung der Kant-Kommission Ende April als Sachverständiger gehört" zu werden, wurde nicht entsprochen. Am 9. Mai schrieb der Vorsitzende, Erdmann, an Adickes: „Hochgeehrter Herr College, Mein Bericht über unsere Commissionssitzung an Sie hat sich leider verzögert, weil Stumpf nicht anwesend sein konnte und sich nach seiner Rückkehr von Hamburg erst aus unserem Briefwechsel und dem Sitzungsprotokoll informiren mußte. Das ist nun geschehen und es liegt ein einstimmiger Beschluß vor. Vorweg möchte ich bemerken, daß ich Ihre beiden Briefe wegen der Tafeln vorgelesen habe, nachdem ich mich auch durch H. Dr de Gruyter hatte informiren lassen. Wir standen vor einem Novum insofern, als weder Herr Diels noch Herr Roethe noch späterhin Herr Stumpf sich einer Besprechung der Tafelfrage in einer Sitzung oder sonst mit Dilthey erinnerten. Vor einem Novum auch insofern, als die Beigabe von Drucktafeln (Bildern) in der von Ihnen gewünschten Zahl den Principien für die Drucklegung der Akademie bei Drucklegungen von Inschriften, aus Ms u.s.w. nicht entspricht. Ganz abgesehen von den Costen principien deshalb nicht - und Sie werden als erster bereit sein, das auch für den vorliegenden Fall als giltig anzuerkennen -, weil eine wissenschaftliche Nachprüfung der Hypothesen über Arten und Reihenfolge der Schriften niemals an MS-Nachbildungen, sondern nur an dem Original-MS vorgenommen werden kann. In unserem Falle schon deshalb nicht, weil die Farbenvariationen der Tinten nicht reinlich wiedergegeben werden können. Zudem sind es ja nicht die hoffentlich vielen Leser des Nachlasses, die an einer solchen Nachprüfung ein Interesse haben. Das kann nur jemand unternehmen, der mit voller technischer Ausrüstung an eine solche Nachprüfung der Originale herangeht. Wir fanden uns von diesen principiellen Darlegungen der in erster Reihe in solchen Fragen Kundigen unter uns so überzeugt, daß eine weitere neuerliche Verhandlung in Ihrer Gegenwart nicht notwendig erschien. Es wurde daraufhin, erst in zweiter Linie mit Rücksicht auf die großen Mehrkosten der so wie so über Erwarten angeschwollenen MS-Ausgabe beschlossen, daß alles in allem ein bis zwei Lichtdrucktafeln bewilligt werden sollen, um die Beschaffenheit der MS und in ein bis zwei der so gegebenen Proben Ihre Hypothese zu illustriren. In welchem Bande Sie diese ein bis zwei Lichtdrucktafeln geben wollen u. welche MS-Seite oder zwei Seiten Sie wählen wollen, bleibt natürlich ganz Ihrem sachverständigen Ermessen anheim gestellt. Wir geben uns der Hoffnung hin, daß Sie, wenn auch schweren Herzens, einen Weg 1
Br.-Entwurf Adickes an Erdmann 20. 3. 1914 (Ingelheimer Papiere); vgl. AA-Kant XVI; S. VII, wo Adickes seine Auffassung öffentlich machte.
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Teil II finden werden, diese Einschränkung im Interesse der Wissenschaft u. der Prinzipien unserer Publikationen den Lesem als geboten darzustellen. In steter Anerkennung der großen Arbeit, die Sie geleistet haben und in vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener B. Erdmann" 1
Adickes, der eine solche Entscheidung nicht f ü r möglich gehalten hatte, empfand die Verweigerung seiner Zuziehung zur Sitzung als „starke Unfreundlichkeit" und machte zunächst seine „Weiterarbeit an der Ausgabe davon abhängig, dass mir die formelle Zusicherung gegeben wird, dass ich künftighin zu Sitzungen, in denen über wichtige Fragen meiner Abteilung entschieden wird, auf meinen Wunsch zugezogen werde, um meinen etwa abweichenden Standpunkt persönlich zu vertreten." 2 Erdmann machte gegen die „formelle Z u s i c h e r u n g " institutionelle Bedenken geltend und erklärte sich bereit, daß er selbst „gegebenen Falls [weiterer Differenzen zwischen den Wünschen von Adickes und den Interessen der KK der Akademie] alles tun werde, um Ihnen Gehör zu s c h a f f e n " . 3 - Dies nahm Adickes zum Anlaß, seinen Wunsch neu zu formulieren: „Da nun jene 'formelle Zusicherung' für mich nicht als Zweck, sondern nur ein Mittel zum Zweck war, bin ich gern bereit, auf Ihre allgemeine Zusicherung hin, dass sie gegebenen Falls alles tun werden, um mir Gehör zu schaffen, auf jenes Mittel zu verzichten und auf den besten Zweck unmittelbar loszugehen. Er besteht in einer Revision des Commissionsbeschlusses wegen der Tafeln. Ich hatte vor, mich im Augenblick bei ihm zu beruhigen, da das in Bd. XVI versäumte in Bd. XXI nachgeholt werden kann, und dann auf Grund jener 'formellen Zusicherung' bei Bd. XXI die nochmalige Behandlung der Frage in einer Commissionssitzung in meiner Gegenwart zu beantragen. Ich lasse nun den Wunsch nach jener generellen Zusicherung fallen und mache meine Weiterarbeit an der Ausgabe nur von dem Versprechen abhängig, dass die Tafelfrage noch einmal (sei es bei Bd. XVII oder XXI) in meiner Gegenwart in einer Commissionssitzung behandelt wird. Dies Versprechen ist die c[onditio] s[ine] qua non für mich. Ich betrachte jenen Beschluß als unhaltbar. Es handelt sich um eine äusserst wichtige Sache, geradezu um den Angelpunkt der ganzen Editorentätigkeit. Wäre das nicht der Fall, so würde ich doch am 20/3 nicht von einem wissenschaftlichen Erfordernis ersten Ranges geschrieben haben!! Was den eventuellen Rücktritt betrifft, so bitte ich Sie, S. 4/5 meiner Schrift über das neu aufgefundene Collegheft [= Adickes 1913] nochmals durchzulesen. Ein ganz besonderer Grund würde für mich vorliegen, wenn mir jenes Versprechen verweigert würde, und ich bin sicher, auch vor dem Forum der wissenschaftlichen Welt, wenn ich öffentlich die Gründe für meinen Rücktritt entwickeln sollte, von jedem Vorwurf freigesprochen zu werden. 4 A m 26. Mai antwortete Erdmann als Vorsitzender der KK, wie folgt: „Hochgeehrter Herr College, Es ist mir eine Freude Ihnen mitteilen zu können, daß nach wiederholten, durch die 1 2 3 4
Ingelheimer Papiere. Nach dem unter den Ingelheimer Papieren erhaltenen Br.-Entwurf vom 10.05.1914, Adickes an Erdmann. Erdmann an Adickes, 11.5. 1914 (Ingelheimer Papiere). Nach dem unter den Ingelheimer Papieren erhaltenen Br.-Entwurf vom 14. 5.1914, Adickes an Erdmann.
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Anwesenheit von Boutroux 1 und den Diskussionen über die Leibniz-Ausgabe etwas verzögerten Verhandlungen die Kantkommission Ihren Wunsch erfüllt hat, daß die Frage der Beilage von MS-Lichtdrucken in mündlicher Verhandlung mit Ihnen s[einer] Z[eit] entschieden werden soll. Ich bin beauftragt, Ihnen mitzuteilen, und Sie wollen diese Mitteilung als Dokument ansehen: 1) Ich verspreche Ihnen, s. Z. vor Beginn der Drucklegung von Bd XXI alles zu tun, um die Commission zu der von Ihnen gewünschten gemeinsamen Beratung mit Ihnen in mündlicher Verhandlung zu bestimmen. 2) Die Commission ist von diesem meinem Versprechen informirt und sämtliche Mitglieder der Commission sind bereit, s. Z. in diese Beratung mit Ihnen einzutreten. 3) Jenes Versprechen und diese Erklärung der einstimmigen Bereitschaft ist in schriftlicher Verhandlung sowie in der Copie dieses Briefes zu den Akten genommen. Ich wiederhole, daß ich mich aufrichtig freue, daß Ihnen somit Gelegenheit geboten wird, das ganze Gewicht Ihrer Gründe für weitere Beilagen in die Wagschale zu legen und hoffe zuversichtlich, daß wir einen Ausgleich zwischen den Principien unserer Veröffentlichungen und Ihren Ansprüchen auf Information der wissenschaftlichen Leser der Ausgabe finden werden. Ich bin zugleich überzeugt, daß damit die letzte Schwierigkeit, die dem Fortgang Ihrer so wertvollen Arbeit entgegenstand und Ihre Freude an dieser Arbeit beeinträchtigte, beseitigt ist. In aufrichtiger Hochachtung Ihr sehr ergebener Β Erdmann" 2 Und in der Tat sind Band XVI der Ausgabe, dessen Vorwort Adickes am 10. Juni 1914 unterzeichnete, zwei Tafeln mit Reproduktionen der „beiden complicirtesten Seiten" (AA-Kant XVI; S. VII) von Kants Exemplar des den Vorlesungen über Logik zugrunde gelegten Kompendiums beigegeben. Adickes wollte die Edition mit drei eigenen Studien begleiten, „die das Material vom Standpunkt der Kantischen Entwicklungsgeschichte" verarbeiten sollten. 3 Der Plan, als erstes Heft einer Reihe mit „Studien zu Kants Entwicklungsgeschichte": 'Kant als Ästhetiker' zugleich mit Band XVI (1914) erscheinen zu lassen, „mußte aufgegeben werden, da sich bei der Ausführung zeigte, dass eine fortwährende Beziehung auf die gleichzeitigen metaphysischen und erkenntnistheoretischen Ansichten Kants 4 nicht zu vermeiden w a r " . 5 Die Arbeit am zweiten Heft 'Kant als Naturwissenschaftler' wurde vorgezogen. Während der Ausarbeitung - ab Frühjahr 6 1914 - wurde ein näheres Eingehen auf das letzte unvollendete Manuskript Kants erforderlich. Davon waren jedoch nur Teile durch Reicke/Arnoldt in unbefriedigender Form veröffentlicht.
1
D . i. Etienne-Emile Marie Boutroux ( 1 8 4 5 - 1 9 2 1 ) , der z u s a m m e n mit anderen Mitgliedern der a c a d é m i e française 1916 aus der Berliner Akademie austrat.
2
Ingelheimer Papiere.
3
Adickes 1 9 1 3 , 5 .
4
D i e s e s Heft sollte unter dem Titel 'Kant als Metaphysiker und Erkenntistheoretiker' gleichzeitig mit Bd. XVII & XVIII erscheinen (AA-Kant XVI; S. VI); vgl. zur späteren Entwicklung AA-Kant XVII; S. X.
5
AA-Kant XV; S. VI.
6
Siehe AA-Kant XVI; S. VI: „gerade jetzt"; vgl. Adickes 1920; S. III.
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Teil II
b. Der zweite Streit um das sogenannte »Opus postumum« Die historische Voraussetzung der in diesem Abschnitt dargestellten Kontroverse besteht darin, daß das 'nachgelassene Manuskript' ab 1884 Eigentum des Hamburger Pastors Albrecht Krause war, der es von einem Nachfahren von Kants Bruder Johann Heinrich Kant (1735-1800) erworben hatte. Obwohl die AdW, wie oben dargelegt, 1 den Prozeß um die Überlassung der Konvolute im Sommer 1902 endgültig verloren hatte, blieb im Kreis der Herausgeber die Hoffnung wach, den Text dennoch in die AA-Kant aufnehmen zu können. Paul Menzer, damals Sekretär der KK schreibt, vermutlich auf eine entsprechende Anfrage von Paul Natorp eingehend, unter anderem am 28. 1. 1909 an letzteren: „Die Frage, ob wir das nachgelassene Manuscript noch werden benutzen können, lässt sich kaum beantworten. Krause hat allerdings es uns nicht geben und sogar verhindern wollen, dass wir es nach seinem Tode benutzen könnten. Ein Versuch, der früher einmal gemacht wurde, hat zu keinem Resultat geführt. Wir warten ruhig ab und hoffen, dass in einigen Jahren wir mehr Erfolg haben werden."2 Noch bevor Adickes in den sog. Haensellschen Kant-Nachlaß Einsicht nehmen konnte 3 setzte er sich im Mai 1915 mit der nunmehrigen Eigentümerin der entsprechenden Kantischen Original-Handschriften Jenny Krause, der Witwe des Hamburger Pastors Krause, in Verbindung. Nach kurzen schriftlichen Verhandlungen erhielt Adickes die Erlaubnis zur Untersuchung der Handschriften. Kurz darauf unterschrieb er ein Schriftstück, das eine bemerkenswerte Einschränkung enthält. „Hiermit verpflichte ich mich, von dem mir von Frau Hauptpastor Dr. Krause in der Stadtbibliothek in Hamburg convolutenweise zum Studium zur Verfügung zu stellenden Kant-Manuskript nur zum Zwecke der chronologischen Bestimmung öffentlichen Gebrauch zu machen, das Manuskript mit aller Sorgfalt zu behandeln und es jedesmal nach Gebrauch unversehrt vollzählig an die Stadtbibliothek zurückzugeben. Tüb. 23/6 16."4 Im Verlauf des anschließenden, vierwöchigen, von der Akademie mit 500 M bezuschußten Aufenthaltes in Hamburg - August/September - konnte Adickes die durch die 1
Vgl. hier Teil II A.
2
Nachlaß Paul Natorp, U B Marburg: Hs 8 3 1 / 1 0 0 8 .
3
Vgl. Erdmann an A d i c k e s v o m 9. 5. 1916 (Ingelheimer Papiere). Vaihinger, der ursprünglich als Herausgeber d e s handschriftlichen N a c h l a s s e s insgesamt fungieren sollte, hatte diese Papiere im Juni 1906 übern o m m e n , um sie in den »Kant-Studien« zu veröffentlichen. A m 8. 2. 1916 sandte er sie an die Preußische A d W zurück, da er sie w e g e n seines damals beginnenden Augenleidens nicht bearbeiten konnte. „ E s ist aber nicht sicher, o b eine Operation mir Besserung bringt, und o b sie nicht v i e l m e h r die Lage verschlimmert. Daher möchte ich die Verantwortung für die bei mir lagernden Manuscripte nicht länger übernehmen und sende sie der Königl. Preuss. A k a d e m i e d.W. mit aller bestem Danke zurück, in der Uberzeugung, dass die Publikation der Manuscripte am besten durch diese selbst, resp. durch ihre dazu bestellten Mitarbeiter in der v o n ihr veranstalteten neuen grossen Kantausgabe erfolgt.[...]." - so Vaihinger in seinem Begleitbrief; Durchschlag in den Ingelheimer Papieren. D i e Originale befinden sich derzeit als Depositum der A d W Göttingen in der Niedersächsischen StUB.
4
S o der Text von Adickes eigenhändiger Abschrift; auf dem unter den Ingelheimer Papieren erhaltenen Brief v o n Jenny Krause v o m 20. Juni 1916. Bedenkt man die in dieser Verpflichtung l i e g e n d e Beschränkung, dann erscheint die sich stark aus persönlichen Motiven nährende Kritik von G. Lehmann (in: AA-Kant XXII 7 6 9 - 7 7 3 ) g e m e s s e n an U m f a n g und Qualität der Ergebnisse von Adickes 1920 erschienenen Arbeit über das sog. „Opus postumum" ungerechtfertigt.
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Überlieferung entstandene O r d n u n g ' der losen Blätter und Bogenlagen bzw. Kantischen Entwürfe so weit enträtseln, daß die chronologische Abfolge der Texte sichtbar wurde. Adickes berichtete der KK über die Ergebnisse seiner Untersuchungen und teilte mit, daß diese den frühesten Entwurf zu einem Werk enthalten, der mit Sicherheit auf das Jahr 1796 zu datieren sei. Er beantragt, die KK möge die Aufnahme der Handschriften in die Abtlg. III der Ausgabe befürworten. 1 Am 22. Dezember antwortet Erdmann als Vorsitzender der KK, daß dazu kein Beschluß gefaßt wurde, „da wir die Frage, ob u. in welchem Umfang das Kant-Ms in unsere Ausgabe aufzunehmen sei, nicht spruchreif fanden". 2 So blieb die Sache liegen, bis Adickes sich im Februar 1919 zum zweiten Mal deswegen an die Akademie wandte. Beachtenswert ist daran zunächst die Tatsache, daß er sich nicht an den Vorsitzenden der Kant-Kommission (Benno Erdmann) richtete, denn Adickes schrieb, seine voraufgegangenen Enttäuschungen nicht verhehlend, an das Kommissionsmitglied und den Leiter der philos.-histor. Klasse der AdW Hermann Diels (1848-1922) und erklärt sich dahingehend: „Dass ich mich in dieser Angelegenheit an Sie wende, und nicht an den Vorsitzenden der Kantkommission, hat folgende Bewandtnis. Einmal haben Sie noch die früheren Verhandlungen zwischen Akademie und Familie Krause miterlebt, andererseits glaube ich - streng vertraulich gesagt - Grund zu der Annahme zu haben, dass bei H. Erdmann starke persönliche Antipathien gegen mich obwalten, die - ihm sicher unbewusst - auch seine sachlichen Stellungnahmen zu meinen Vorschlägen hinsichtlich der Kantausgabe und seine Berichte über diese an die Kantkommission ungünstig beeinflusst haben." 3 Daß Adickes mit seiner Einschätzung auf der richtigen Spur war, belegen die Akten. In seinem vertraulichen Gutachten für die Sitzung der KK am 20. 12. 1916, worauf unter anderem Adickes Anregung, das Op. p. doch noch in die Abtlg. III aufzunehmen, behandelt werden sollte, zeigt sich Erdmann in scharfem Gegensatz zu Adickes. Er spricht von „Uebersorgfalt" und „Uebergelehrsamkeit" und schließt mit dem Satz: „In dem vollständigen Abdruck aber eines Werks, das nach den Bedingungen seines Ursprungs und seinem inhaltlichen Bestände mit allen Zeichen gedanklicher Senilität behaftet ist, kann ich nur den Ausdruck einer irre geführten Pietät erblicken." 4 Sodann wird durch den von Adickes genannten äußeren Anlaß zu seinem Brief deutlich, daß er sich völlig uneigennützig in den Dienst der Sache stellen wollte. Im bereits zitierten Entwurf heißt es: 1
Vgl. Akten der KK, II-VIII, 157, fol. 103-105. Adickes Bericht v o m 2. 12. 1916.
2
Erdmann an Adickes, 22.12. 1916 (Ingelheimer Papiere).
3
Auf den „ 1 0 / 2 19" datierter Br.- Entwurf unter den Ingelheimer Papieren (Rückseite einer internen Mitteilung der Universität Tübingen vom 13. Januar 1919). D a s Verhältnis z w i s c h e n der KK und Adickes wurde erst unter dem Vorsitz von Heinrich Maier (ab Mai 1923) entspannter. Akten der KK, II-VIII, 158, fol. 223.
4
Akten der KK, II-VIII, 157, fol. 149-157. - D i e Verfasserschaft von Erdmann geht hervor aus der Paraphe „ E " zu B e g i n n des z w e i t e n Teils (fol. 152) unter dem von Erdmann eigenhändig dort geschriebenen Vermerk „Streng vertraulich". - Demnach hat Erdmann an seiner früh, zu Beginn seiner eigenen Beschäftigung mit Fragen der Edition des Kantischen Nachlasses gefaßten Meinung festgehalten. 1876 schrieb er: „Weder die Memorienzettel Kants, noch sein letztes Werk, das den Titel 'Uebergang der Metaphysik zur Physik' führen sollte, verdienen einen Abdruck." (Erdmann 1876b, 210.)
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Teil II „Ich würde den Dingen ganz ihren Lauf gelassen haben, wenn nicht ein Verleger, der ohne mein Zutun von meiner Arbeit am Op.p., gehört hatte, und der Meinung war, ich sei im Besitz desselben, nicht gebeten hätte, es in seinem Verlag herauszugeben. 1 Ich teilte ihm mit, dass ich nicht der Besitzer sei, dass das Werk etwa 1000 Druckseiten umfassen werde und erklärte mich zugleich bereit, seine Wünsche den Besitzern mitzuteilen, damit diese mit ihm direkt verhandeln könnten. Bevor das geschieht, halte ich mich für verpflichtet, noch einmal bei der Akademie anzufragen, ob sie jetzt diese wahrscheinlich letzte - Gelegenheit ergreifen will, um sich den Abdruck des Op.p. in ihrer Ausgabe zu sichern. In diesem Fall bin ich erbötig, bei der Familie Kr. die entsprechenden Schritte zu tun." 2
Erst nachdem Adickes in einem weiteren Schreiben (vom 13. Mai 1919) die Dringlichkeit der Angelegenheit nochmals betont hatte, 3 kommt ein Beschluß zustande. A m 6. 6. 1919 schreibt Diels an Adickes: „Die Kommission stellte sich nun auf Grund des zunächst sachlich am meisten kompetenten Urteils [d. h. B. Erdmanns; W-St.] auf den Standpunkt, daß über die Rätlichkeit, das Opus postumum der Kant-Ausgabe einzuverleiben, aus den bisherigen Mitteilungen und auch aus Ihrem Berichte über Ihren Hamburger Aufenthalt ein abschließendes Urteil nicht zu fällen sei. Die Meinung unserer Akademiker geht überhaupt dahin, daß die meisten Opera postuma der Gelehrten besser ungedruckt geblieben wären, da sie meist nur für den engsten Kreis der Spezialforscher ein psychologisches (oder pathologisches) Interesse darbieten. Es ist mir bekannt, das viele Forscher testamentarisch Veröffentlichungen ihrer Arbeiten post mortem untersagt haben. Aber freilich, Sie glauben nun, weiteres beweisendes Material in Ihrem ausführlichen Werke über das Opus postumum beibringen zu können. Da Sie das Erscheinen dieses Werkes im Laufe dieses Jahres in Aussicht stellen, so beschloß die Kommission, dies Werk abzuwarten, um sich darüber schlüssig zu machen, ob diese Fragmente eine Aufnahme in die monumentale Ausgabe der Akademie verdienen". 4 Ein Jahr darauf konnte Adickes das Vorwort zu seiner Schrift »Kants Opus postumum dargestellt und beurteilt« unterschreiben. Er nahm nun öffentlich Stellung und bezeichnete „eine baldige unverkürzte, diplomatisch getreue Veröffentlichung des gesamten Materials nach streng philologischen Gesichtspunkten" als ein „dringendes wissenschaftliches B e d ü r f n i s " . Seinem Selbstverständis nach war durch die Ergebnisse seiner Arbeit die „bisher fehlende Grundlage für eine solche Ausgabe [...] durch Scheidung und Datierung der einzelnen Entwürfe geschaffen." 5
1
2 3 4
5
So die erste Fassung. Adickes hat durch Streichungen und einen mir nicht ganz lesbaren Interlinearzusatz den Wortlaut geändert, anscheinend geht die Syntax der so fixierten Fassung nicht ganz auf. Es ist von der bald zu erwartenden „Drucklegung" die Rede. Br.-Entwurf Adickes an Diels vom 10.2. 1919 (Ingelheimer Papiere). Bei dem von Adickes hier nicht namentlich genannten Verleger handelt es sich um Felix Meiner, der damals noch in Leipzig ansässig war. Akten der KK, II-Vili, 157, fol. 240. Ingelheimer Papiere. (Entwurf in Akten der KK, II-VIII, 157, fol. 242). Erstes Anzeichen eines Sinneswandels ist zu sehen in einem Rundschreiben des interimistischen Vorsitzenden der KK vom 15. März 1922. (Akten der KK, II-VIII, 158, fol. 131f.) Adickes 1920, 854f.; vgl. ebenda S. 34. Diese Ergebnisse sind bis heute mit nur geringfügigen Korrekturen von der Forschung anerkannt, vgl. Tuschling 1971, 4-7 und Brandt 1991.
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Dennoch hatte sich die KK erst drei Jahre später, nachdem Heinrich Maier (18671933) an Stelle des am 7Januar 1921 verstorbenen Benno Erdmann den Vorsitz übernommen hatte, davon „überzeugt, daß es wünschenswert wäre, wenn das opus postumum im Rahmen der akademischen Kant-Ausgabe etwa als 9. Nachlaßband ediert werden könnte." 1 Es kam jedoch anders, wie zunächst aus dem folgenden Brief von Maier an Adickes (2. August 1923) hervorgeht: „Sehr verehrter Herr Kollege! Sie werden wohl schon lange auf eine Nachricht von mir gewartet haben. Aber, um es gleich zu sagen, die Hauptsache, die Edition des opus postumum, hat sich nicht so glatt erledigen lassen, als ich gewünscht hätte. Ich habe Ihr Schreiben der Kantkommission vorgelegt, und diese hat mit großer Freude von Ihrer Absicht, die Nachlaß-Edition nach Kräften zu fördern, Kenntnis genommen. Dankbar wären wir, wenn Sie bis zum Kantjubiläum des nächsten Jahres den nächsten Band herausbringen könnten. Die von Ihnen geäußerten Wünsche werden, so weit es irgend auf die Kommission ankommt, Berücksichtigung finden. Inzwischen wird das Exemplar der Kantausgabe in Ihre Hand gelangt sein. Die Kommission ist mit der Art, wie sie über dasselbe disponieren wollen, einverstanden. Sie ist überzeugt, daß Sie das Interesse der von Ihnen herangezogenen Hilfsarbeiter sachgemäß wahren werden. Was nun das op. post, anlangt, so war die Stimmung der Kommission gegenüber dem Antrag der Familie Krause sehr ungünstig. Sie glaubt, auf solche Bedingungen nicht eingehen zu können, und will lieber auf die Edition ganz verzichten. Das Bedenken, daß dann möglicherweise das Cassirer'sehe Konkurrenzunternehmen uns zuvorkommen werde, hat sie nicht umgestimmt. Die Herren meinten, im äußersten Fall können wir die gegnerische Ausgabe zur Grundlage für die unsrige, wenn wir an unserem Plan festhalten, nehmen. Ich habe Ihnen den Beschluß der Kommission nicht gleich mitgeteilt, weil er mich selbst nicht befriedigte. Denn daß wir den Gedanken, unsererseits die Edition zu machen, nicht aufgeben dürfen, steht mir fest. Und ich bin auch überzeigt, daß eine Ausgabe des op. post, ohne Ihre Mitwirkung nicht gelingen wird - eine Überzeugung übrigens, die die Kantkommission mit mir teilt. Die letztere hat Ihre Bereitwilligkeit, die Aufsicht über das Unternehmen und die Verantwortung für dasselbe grundsätzlich zu übernehmen, aufs lebhafteste begrüßt. Unter diesen Umständen habe ich nach einem Wege gesucht, auf dem unser Plan sich doch verwirklichen ließe. Ich habe zunächst Nachforschungen darüber angestellt, ob wirklich von andrer Seite die Edition ernsthaft in Aussicht genommen wird. Das scheint nun nicht der Fall zu sein. Die Cassirer-Leute denken nicht daran, d. h. sie wollen unbedingt der Akademie den Vortritt lassen. Der Görland'sche Plan scheint sich auch nicht realisieren zu lassen, was j a eigentlich von vorneherein zu erwarten war. Eben so wenig hat die Kantgesellschaft irgend welche Pläne, die in dieser Richtung liegen. Dagegen ist für uns die Situation keineswegs hoffnungslos. Ich habe mit dem Verlag de Gruyter verhandelt, und der ist nicht bloß von der Notwendigkeit, das op. post in die Akademie-Ausgabe aufzunehmen, überzeugt, sondern will hierfür auch Opfer bringen. Meine Bitte an Sie ist nun die, mit der Familie Krause weiter zu verhandeln. Diese wird inzwischen ihre 2 Millionen-Forderung erheblich gesteigert haben. Vielleicht teilen Sie ihr mit, wie die Kantkommission grundsätzlich zu ihrer Forderung steht, um für uns günstigere Bedingungen herauszuschlagen. Möglicherweise läßt sie sich ja auch auf andere Weise befriedigen (zB Bogenhonorar). 1
Maier an Adickes, 28. 2. 1923 (Ingelheimer Papiere).
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Teil II Von der Geneigtheit des Verlages, entgegenzukommen, sagen Sie besser noch nichts ich habe auch die Kommission hiervon noch nicht unterrichtet. Für uns handelt es sich unter allen Umständen darum, die Editionsermächtigung möglichst billig zu bekommen, damit der Verkaufspreis für den Band nicht zu hoch wird. Das sind nun freilich neue Anmutungen an Sie. Aber ich habe die Zuversicht, daß Sie im Interesse der Sache, die uns in gleicher Weise am Herzen liegt, uns auch weiterhin Ihre freundliche Hilfe nicht vorenthalten. Mit den besten Grüßen und allen guten Wünschen für die Ferien Ihr ergebenster Heinrich Maier" 1
I m H e r b s t d e s s e l b e n J a h r e s 1923 w u r d e n d i e M i t g l i e d e r d e r K K u n d A d i c k e s m i t e i n e m C o u p überrascht. In seinem Schreiben v o m 9. N o v e m b e r 1923 teilt M a i e r mit: „Die Angelegenheit des Opus postumum ist nun in ein neues Stadium eingetreten. Der Verlag der Gruyter hat das Editionsrecht erworben. Ohne mein Wissen hatte ein Vertreter der Firma Unterhandlungen mit der Familie Krause in Hamburg angeknüpft. Letztere forderte zunächst 1000 Dollar für das Editionsrecht. Als mir das vom Verlag mitgeteilt wurde, erklärte ich sofort, daß diese Summe viel zu hoch sei, da das Buch dadurch sehr belastet würde. Schließlich hat der Verlag das Recht zur Edition für 3 Jahre um 1000 Goldmark erhalten. Das ist nun für uns einerseits erfreulich, da die Akademie in gegenwärtiger Zeit nicht in der Lage wäre, eine größere Summe für die Erwerbung des Editionsrechts auszugeben. Andererseits aber sind wir damit in eine gewisse Zwangslage versetzt. Der Verlag, der auch der Verleger der Kantausgabe ist, legt von sich aus großes Gewicht darauf, daß das Op. post, der Kantausgabe einverleibt werde. Aber sein Hauptinteresse ist, das Werk überhaupt herauszubringen, da er sich davon ein gutes Geschäft verspricht. Er würde eventuell auch ohne uns vorgehen. Das müssen wir natürlich unter allen Umständen zu vermeiden suchen. So werden wir wohl oder übel die Vertragsmodifikationen, die er für das Op. post, wünscht, wenigstens teilweise zugestehen müssen. Nun hatte er zunächst gefordert, daß die gesamte Vorbereitung der Edition hier in Berlin besorgt werden solle. Er motivierte diese Forderung damit, daß er das Manuskript mit 12000 Goldmark habe versichern müssen und es darum unter keinen Umständen aus Berlin hinausgeben könne. Ich habe dem, im Einverständnis mit der Kantkommission, sofort entgegengehalten, daß die Akademie unter keinen Umständen auf Ihre Mitwirkung an leitender Stelle verzichten könne. Der Verleger ist darauf ohne weiteres eingegangen und macht uns seinerseits einen Vorschlag, der in § 2 des uns soeben vorgelegten Vertragsentwurfs folgende Fassung erhalten hat: 'Das Originalmanuskript... wird unter Oberleitung von Professor Dr Adickes in Tübingen durch Oberstudiendirektor Dr Buchenau unter Beihilfe eines Assistenten bearbeitet und nach ihm ein Manuskript für den Druck hergestellt.' Die Kantkommission ist geneigt, diesen Vorschlag anzunehmen, vorausgesetzt daß Sie sich bereit erklären, die Oberleitung unter den angegebenen Umständen zu übernehmen. Selbstverständlich ist, daß die Akademie Ihre Mühewaltung angemessen honorieren würde. Es wäre uns ja allerdings sehr viel lieber gewesen, wenn die ganze Arbeit unter Ihrer unmittelbaren Aufsicht in Tübingen hätte gemacht werden können. Aber der Verlag läßt 1
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sich hierauf aus dem angeführten Grund schlechterdings nicht ein. Und uns bleibt, da uns sozusagen die Hände gebunden sind, wenn wir überhaupt das Werk in unserer Ausgabe herausbringen wollen, nichts übrig, als hierin nachzugeben. Über die Art und Weise, in der Sie Ihre Oberleitung betätigen würden, wäre ein Einverständnis leicht zu erreichen. Die Akademie selbst würde dafür sorgen, daß Sie in allen Stadien der Arbeit die Leitung in der Hand behalten." 1 Bis zum endgültigen Abschluß des Vertrages zwischen der A d W und dem Verlag de Gruyter vergingen weitere 8 Monate, während derer um die Regelung von Einzelheiten der Bearbeitung und die Formulierungen der Verträge gerungen wurde. Von großer Wichtigkeit war dabei die Tatsache, daß es drei Parteien waren, deren Verhältnis verbindlich festgelegt werden sollte: die Preußische Akademie, der Verlag de Gruyter, beide in Berlin, und der Gelehrte Adickes in Tübingen. Während die Akademie mit beiden in Vertrag stand, waren Adickes und de Gruyter nicht direkt verbunden. Und anders als sonst bei wissenschaftlichen Unternehmungen üblich waren die Karten verteilt, indem der Verlag mit seinen Rechten an der Publikation des sog. »Opus postum u m « und nicht die herausgebende Körperschaft in der Vorhand saß. Der einzig Sachkompetente, Adickes, konnte an diesem Spiel kaum mitwirken. - Die folgenden Briefstellen und Zitate legen die Karten offen. A m 8.Januar 1924 schreibt Heinrich Maier - kurz vor der öffentlichen Akademie-Sitzung am 2 4 J a n u a r - an Adickes: „Sehr verehrter Herr Kollege! Ich kann Ihnen heute mitteilen, daß nunmehr zwischen der Kantkommission und dem Verlag eine Einigung betr. die Edition des Op. post, erreicht ist. Beide sind mit den Bedingungen, unter denen Sie Ihre Mitwirkung in Aussicht gestellt haben, einverstanden. Über die Regelung des mündlichen Verkehrs, in den Sie natürlich mit dem Mitherausgeber treten müssen, können wir ja, wenn Sie auf Ihrer Reise nach Königsberg hierher kommen, das Nähere besprechen. Daß Ihnen die Kosten für nötig werdende Reisen nach Berlin ersetzt werden müssen, ist selbstverständlich. Die von Ihnen aufgestellten Grundsätze für die Edition selbst sind von der Kommission und dem Verlag gleichfalls angenommen worden. Die Zusicherung eines angemessenen Honorars für Ihre Mühewaltung wiederhole ich hiermit ausdrücklich. Der Abschluß eines besonderen Vertrages zwischen der Akademie und Ihnen in dieser Sache ist wohl nicht nötig. Sollte Ihnen mein gegenwärtiges Schreiben als rechtliche Unterlage nicht genügen, so könnte ich ja die in demselben gemachten Zusicherungen in feierlicher Weise wiederholen. Indem ich Ihnen für das neuangebrochene Jahr alles Gute wünsche, bin ich mit besten Grüßen Ihr ergebenster Heinrich Maier." 2 Bei seiner Rückreise von der Feier des 200. Geburtstages von Kant in Königsberg machte Adickes im April 1924 verabredungsgemäß 3 wieder kurze Station in Berlin,
1
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Ingelheimer Papiere. - Die Darstellung von G. Lehmann 1969, 38 ist offenbar (siehe seine Datumsangabe „7. XII. 1923" und sein Bezug auf den „zweiten Punkt" eines „Sonderabkommens" zwischen Verlag und Akademie) allein an dieser nicht wirksam gewordenen Fassung orientiert. - Eine Quelle für die Information gibt Lehmann nicht an. Ingelheimer Papiere. Adickes hielt dort einen Vortrag, der im Mai in der »Deutschen Rundschau« veröffentlicht wurde;
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um in persönlichen Gesprächen die Verhandlungen zum Abschluß zu bringen. Das Treffen fand bei de Gruyter statt; das Protokoll lautet: „Besprechung über die Weiterführung der Kant-Ausgabe der Akademie der Wissenschaften am Vormittag des 28. April 1924 Teilnehmer: Geheimrat Professor Dr. H. Maier Professor Dr. E. Adickes Oberstudiendirektor Dr. A. Buchenau vom Verlag: W. von Crayen Prokurist A. Hilbert. Die eingehenden Erwägungen ergaben die folgenden Beschlüsse, bezw. Absichten: Für Band 17, der bis zum 16. Bogen gesetzt ist, ist noch für ca. 25 Bogen Manuskript zu erwarten, sodass der Umfang des Bandes etwa 40 Bogen sein wird. Dieses Manuskript verspricht Herr Professor Adickes bis zum 1. August 1924 dem Verlage zu liefern. Für Band 18, der ungefähr den gleichen Umfang wie 17 haben wird, will Herr Professor Adickes das Manuskript bis zum 1. Januar 1925 einsenden. Etwa im Oktober dieses Jahres glaubt Professor Adickes dem Verlag angeben zu können, welchen Gesamtdruckumfang die Bände 17 und 18 erreichen werden. Für Band 19 (Moral) nimmt Herr Professor Adickes als Lieferungstermin den 15. Oktober 1926 in Aussicht, für Band 20 (Vorarbeiten etc.) schon vom 1. Oktober 1925 ab. Band 21 und 22 sollen das 'opus postumum' bringen, worüber besondere Vereinbarungen getroffen sind. Band 23 wird den Schluss der Abteilung Handschriftlicher Nachlass bilden; er wird die Beschreibung der Kant'schen Manuskripte enthalten und eventuell 25 Tafeln Kant'sche Handschriften. Professor Adickes regte an, dass, nachdem die Ausgabe soweit gediehen, doch die ursprüngliche Absicht, die Abt. 'Vorlesungen' der Ausgabe anzugliedern, wieder aufgenommen werden möchte. Darüber behielten sich Geheimrat Maier namens der Akademie und der Verlag die Entscheidung vor, wenn auch der Verlag zu erkennen gab, dass er der Aufnahme der Abt. 'Vorlesungen' grundsätzlich nicht abgeneigt sei. Bezüglich des Neudrucks von Bd. 16 erklärte Professor Adickes, dass Änderungen ausser den wenigen bereits angegebenen darin nicht erfolgen; der Druck könne beginnen, sobald die genannten Einfügungen bewirkt sind." 1 Diesen Vorbereitungen zum Trotz entwickelten sich im Lauf der beiden nächsten Jahre erhebliche Spannungen zwischen Buchenau in Berlin und Adickes in Tübingen. Rechtliche Regelungen und prinzipielle Erwägungen zur Gestaltung einer Edition von Hand-
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Adickes 1924b. - Die ausführlichsten Informationen über die Königsberger Kant-Feier des Jahres 1924 erhält man in der Dokumentation »Die Feier des 200. Geburtstages Immanuel Kants in seiner Vaterstadt. Die Königsberger Kant-Tage (19. bis 24. April 1924) nach den Berichten der Königsberger Hartungschen Zeitung«. [Königsberg: Härtung 1924, 80 S.] Exemplar im Herder-Institut, Marburg. - In einem aus Berlin datierten Schreiben vom 15. April hat Adickes seine Terminplanung für die Rückreise entwickelt: Rückkehr aus Königsberg am 25., Weiterfahrt nach Tübingen am 28. Abends. Am Samstag den 26. habe er eine Besprechung mit de Gruyter und Buchenau „um 1/2 11, [und] werde nachher wahrscheinlich zu Dr. Lehmann im Lesesaal der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek gehen, der das Opus postumum abschreibt." (Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 20) Nach einer Xero-Kopie eines Originals im Verlags-Archiv de Gruyter, die mir am 1. Februar 1983 dankenswerterweise von Herrn Dr. Wenzel Ubermittelt worden ist.
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schriften erlangten dabei eine ungeahnte Bedeutung. Die juristische Basis der Ausgabe wurde durch den Abschluß eines Vertrages zwischen dem, die Editionsrechte besitzenden, Verlag de Gruyter und der Preußischen AdW am 14. 7. 1924 „in Ergänzung des Vertrages über die Kant-Ausgabe vom 14. Februar 1898" geschaffen. § 1 beschreibt die Sache und § 2 regelt die Bearbeitung. Die weiteren §§ 3-5 betreffen Auflagenhöhe und finanzielle Belange: „§ 1 Die Verlagsbuchhandlung Walter de Gruyter & Co. hat das unbeschränkte Verlagsrecht an »Kants Opus Posthumum« [!] erworben und wird dieses in einer oder mehreren Ausgaben, sei es vollständig, sei es auszugsweise, je nachdem es der Verlagshandlung zweckmäßig erscheint, veröffentlichen. Eine Ausgabe derselben soll als XXI oder, wenn der Umfang zu gross wird als XXI und XXII Band der Kant-Ausgabe der Preussischen Akademie der Wissenschaften angegliedert werden und für diese sollen die nachstehenden Bestimmungen massgebend sein. § 2 Mit der Bearbeitung werden im Einverständnis mit der Akademie der Wissenschaften die Herren Professor Dr. Erich Adickes in Tübingen und Oberstudiendirektor Dr. Arthur Buchenau in Berlin von der Verlagshandlung betraut. Soweit diesen beiden Herren aus ihrer Tätigkeit ein Urheberrecht entsteht, wird dieses hierdurch auf die Verlagshandlung übertragen. Die Entschädigung des Herrn Professor Dr. Adickes übernimmt die Akademie, die des Herrn Oberstudiendirektor Dr. Buchenau unterliegt besonderen Vereinbarungen zwischen diesem und der Verlagshandlung."1 Der Vertrag enthält - auffällig genug - weder eine Festlegung von Leistungen und Gegenleistung noch ist er von autorisierten Vertretern der vier (Adickes, Buchenau, Verlag und Akademie) involvierten Parteien unterschrieben. Auch ist die von Maier in seinem oben zitierten Schreiben vom 9. 11. 1923 mitgeteilte nähere Bestimmung, wonach Adickes die „Oberleitung" der Ausgabe haben sollte, nicht in den Schriftsatz aufgenommen worden. In seinem Sitzungsbericht vom 24. Januar 1924 hatte Maier sich noch eng an den Wortlaut seines Briefes vom November 1923 angeschlossen und von der „Oberleitung von Prof. Dr. Adickes in T ü b i n g e n " gesprochen. 2 Auch Paul Menzer, bei dem eine Kenntnis der Interna der Kant-Kommission aufgrund seiner langjährigen, verantwortlichen Mitarbeit an der Kant-Ausgabe unterstellt werden darf, bezeichnete noch 1924 Adickes öffentlich als „Herausgeber" des sogenannten »Opus postumum«. 3 Im gedruckten »Sitzungsbericht« des folgenden Jahres (22. 1. 1925) geht Maier jedoch nicht auf diese Wendung der Sachlage ein. Er gibt nur kurz an, daß die Verhandlungen „zum endgültigen Abschluß eines Vertrages" geführt haben. 4
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Nach dem Text der Ausfertigung für die Akademie; Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 35. Wörtlich: „Das Manuskript soll unverkürzt nach den für die Edition des handschriftlichen Nachlasses maßgebenden Grundsätzen herausgegeben werden. Die Herausgabe wird unter Oberleitung von Prof. Dr. Adickes in Tübingen durch den Oberstudiendirektor Dr. Buchenau, dem ein Assistent zur Hilfe beigegeben wird, besorgt werden. Im Herbst 1925 soll das Werk als Band XXII und XXIII unserer Kant-Ausgabe (Band IX und X der dritten Abteilung) erscheinen." Sitzungsbericht 1924; S. LX. Menzer 1924a, 12: „[...], und jetzt ist es auch gelungen, das Manuskript des Opus postumum Kants für diese Ausgabe zu gewinnen. Herausgeber ist Erich Adickes." Wörtlich: „Die Verhandlungen über die Herausgabe des Opus posthumum [!] haben nun zum endgültigen Abschluß eines Vertrages mit dem Verleger geführt. Die Schrift wird als Bd. XXI und XXII (Bd. VIII und IX der dritten Abteilung) unserer Ausgabe eingereiht." Sitzungsbericht 1925; S.LX. - Die Darstellungen Λ
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Teil II
Einige Formulierungen des zwischen Buchenau und dem Verlag im Juli oder August 1 1924 geschlossenen Vertrages über die Bearbeitung der Mss der Familie Krause zeigen nun, daß Buchenau und Adickes von völlig divergierenden juristischen Annahmen an ihre Zusammenarbeit herangingen. § 2 des Vertrages lautet: „Es ist Herrn Dr. Buchenau bekannt, dass das opus postumum unbeschadet aller zu veranstaltenden Sonderausgaben auch den in ein oder zwei Bänden erscheinenden Schlussteil der von der Preussischen Akademie herausgegebenen Kant'sehen Werke bilden soll und dass infolgedessen die Mitwirkung des Herrn Professor Dr. Erich Adickes in Tübingen nicht ausgeschaltet werden kann, vielmehr etwaige Wünsche, die dieser äussert, nach Möglichkeit Berücksichtigung finden müssen. Inwieweit sonst Herr Dr. Buchenau andere Kräfte zur Durchführung seiner Aufgabe heranzieht, bleibt ihm überlassen, nur ist er für deren Tätigkeit im vollen Umfang verantwortlich. Herr Dr. Buchenau wird zunächst eine textkritische, genau mit dem Original übereinstimmende Abschrift des Kant'schen Manuskripts herstellen, die in das Eigentum der Verlagshandlung übergeht." 2 Für die sachliche Arbeit, war dieser rechtliche Hintergrund zunächst jedoch irrelevant. Adickes hatte in seinem Buch über die in Hamburg lagernden Manuskripte die chronologische Abfolge der als verschieden identifizierten Entwürfe und Losen Blätter bestimmen können und damit, wie schon erwähnt, die 'bisher fehlende Grundlage' f ü r eine 'unverkürzte, diplomatisch getreue Veröffentlichung des gesamten Materials nach streng philologischen Gesichtspunkten' geschaffen. 3 Buchenau schrieb am 29.8. 1924 nach nochmaliger Lektüre von Adickes Buch über »Kants Opus postumum« an den Autor: „Mit Ihren philol. und textkritischen Ergebnissen stimme ich im wesentlichen überein und glaube, dass man die Ausgabe nach Ihren Vorschlägen in der Hauptsache wird anlegen können. In allen Zweifelsfällen bin ich allerdings der Ansicht, dass man so konservativ wie möglich verfahren sollte. Der Leser hat ja dann an Hand der Einleitung und der Anmerkungen die Möglichkeit, sich seinen eigenen Text zu machen. Der Oktavent-
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von G. Lehmann 1969, 38 (Anscheinend unter Benutzug verlagseigener Unterlagen) und Menzer 1957-58, 347 (Allein auf der Basis der publizierten Sitzungberichte!) berücksichtigen dieses entscheidende Detail nicht; sie geben deswegen auch die inhaltliche Seite der Angelegenheit nur unzureichend wieder. Diese Zeitangabe stütze ich auf eine Stelle des Briefes vom 29.08.1924, Buchenau an Adickes, wo es heißt: „Mein Vertrag ist nun endlich unterzeichnet, ich finde ihn mäßig, aber was soll man machen!" (Ingelheimer Papiere) - Es ist ferner anzunehmen, daß der Bearbeitungsvertrag erst nach der Einigung zwischen Verlag und Akademie vom 14.07.1924 unterzeichnet worden ist. Ein Original des Vertrages habe ich nicht einsehen können. Buchenau hat in seinem Brief vom 29. 4. 1926 an Adickes (Ingelheimer Papiere) einige Passagen zitiert, darauf beruht auch meine Wiedergabe des Textes. - Vermutlich war Adickes vor diesem Brief nicht über diesen Aspekt informiert. Vgl. Adickes 1920, 854; siehe auch ebenda S. 15, wo er sich kurz zur Art des Abdruckes äußert: „eine diplomatisch getreue Wiedergabe des Textes in der Art [...], wie meine Veröffentlichung von Kants handschriftlichem Nachlaß in der Akademie-Ausgabe sie anstrebt." (Hervorheb. W. St.) Paul Menzers Darstellung, daß Buchenau/Lehmann im Einklang mit der Ansicht von Adickes auf „eine chronologische Anordnung der Convolute" verzichtet haben (Menzer 1957-58, 348) ist nicht korrekt. Menzer zitiert dort nämlich - ohne Nachweis - eben die Passage von S. 15 aus Adickes' »Kants Opus postumum«. Mir scheint, daß Menzer sich nach mehr als 3 Jahrzehnten durch den einige Zeilen weiter von Adickes gebrauchten Ausdruck „diplomatisch getreu" irreleiten lassen hat.
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wurf müsste vorangehen und das eigentl. 'opus' in die 2 Teile zerlegt werden: den natur- und den transs. philos. In der Interpretation im ganzen und einzelnen unterscheiden wir beide uns nun freilich sehr. Ich bin ganz auf dem Boden des kr. Idealismus und (von Ihnen aus gesehen) stark subjektivistisch. Daher glaube ich auch, dass viele K. Formulierungen ganz anders zu verstehen sind als bei Ihnen und Paulsen, weil Kant diesen seinen (freilich - wissenschaftl.) Subjektivismus als völlig klar erwiesen voraussetzt." 1 A d i c k e s wollte die in s e i n e m B u c h publizierten F o r s c h u n g s e r g e b n i s s e a n w e n d e n und in Ü b e r e i n s t i m m u n g mit den f ü r die Abtlg. III aufgestellten G r u n d s ä t z e n die A u s g a b e gestalten. D e m n a c h w ä r e d i e C h r o n o l o g i e der v e r s c h i e d e n e n E n t w ü r f e als o b e r s t e s Prinzip der Gliederung anzusehen gewesen. G e m ä ß diesem Konzept haben Adickes u n d n a c h s e i n e m Tod F r i e d r i c h B e r g e r d i e j e n i g e n L o s e n Blätter a u s d e n M a t e r i a l i e n d e s sog. » O p u s p o s t u m u m « , die i h r e m Inhalt n a c h in die B ä n d e X V I I I o d e r X I X g e hörten, dort an ihrem j e w e i l i g e n c h r o n o l o g i s c h e n Platz a b g e d r u c k t . 2 D i e s e m K o n z e p t hat sich B u c h e n a u als der spätere, v e r a n t w o r t l i c h e H e r a u s g e b e r der M a n u s k r i p t e nicht a n g e s c h l o s s e n . Sein a b w e i c h e n d e s K o n z e p t e n t w i c k e l t e e r e r s t m a l s in e i n e m Brief v o m 27. 5. 1925: „Sehr geehrter Herr Adickes. Haben Sie schönsten Dank für Ihren fr. Brief 3 vom 24. V. Mit dem O.p. steht die Sache folgendermassen: Herr Dr Lehmann hat die Abschrift anno 24 gemacht 4 u. seit Dezember 24 mache ich mich nun daran, diese mit dem Orig. Silbe für Silbe zu vergleichen. Daraus ergibt sich ein zweiter Text, der zum Teil in Copie schon vorhanden ist und zwar gerade von den schwierigsten Konvoluten. Ich lasse auch alles früher (von Reicke) Edierte kopieren, um so erstmalig eine vollständige Abschrift mit allen: Durchstreichungen, Änderungen, Ansätzen etc etc zu gewinnen. Bis auf 3 kleine Stellen habe ich bisher alles herausbekommen. Die Sache hält dadurch so lange auf, dass ich Herrn Dr. L. gleich die vorläufigen Anmerkungen dazu anfertigen lasse, die zur näheren Charakterisierung dienen: also etwa: veränderte Tinte, kleinere Schrift, Rand links. Ferner werden sämtliche Zeichen der Hs also: [...] etc verzeichnet, überhaupt alle Eigentümlichkeiten so exakt wiedergegeben, dass, wenn etwa das Or. Mspt nach Amerika wandern sollte, wir nach dieser Copie weiterarbeiten könnten. Dazu kommt eine ganze Reihe von Anmerkungen, die sich mit der Frage beschäftigen, wo denn dies oder das (am Rande oder Unten-Stehende!) überhaupt hingehört. Ist diese komplette Kopie fertig, so ist ein gut Teil der Gesamt-Arbeit geleistet. Äußerlich sieht die II. Copie so aus, dass 1 ) über dem Strich alles das steht, was Kant im Text geschrieben hat (auch längere durchstrichene Teile, die als solche natürlich angegeben sind), dann folgt 2) unter dem Strich das am Rande und zwischen dem Text Stehende 3) folgen die Allotria, die Stellen: Texte anderer (Wasianski e. g.) u. s. w.
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Buchenau an Adickes, 29. 8. 1924 (Ingelheimer Papiere).
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Es handelt sich hierbei um die R e f l e x i o n e n : 5 6 5 2 a , 6 3 3 8 a , 6 3 5 2 a , 7 3 1 4 , die teils ausdrücklich 5 6 5 2 a , 6338a, 6 3 5 2 a (vgl. AA-Kant XXII 807, 8 1 0 ) teils unbemerkt 7 3 1 4 (vgl. AA-Kant XXII 8 1 0 ) nochmals gedruckt worden sind. Vgl dazu hier Teil VI B. 3.
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Text ist nicht bekannt.
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Auf S. 2 seiner „ S k i z z e " schrieb Lehmann: „am 4. XII. d. J. [ 1 9 2 3 ] konnte ich - nach Erledigung der Präliminarien - mit der Abschrift am op. post beginnen." (Nachlaß Lehmann, zur Zeit Marburg). - In Buchenaus Brief v o m 1. April 1924 an Adickes heißt es zum Stand der Arbeiten: „Immerhin liegt ein Teil in Abschrift vor, ein anderer (grösserer) in Stenographie." (Ingelheimer Papiere)
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Teil II Bei der Ausgabe möchte ich dann persönlich so konservativ wie möglich verfahren, das heisst alles bei einander lassen, was mit irgendwelcher Wahrscheinlichkeit sachlich zusammengehört. Auch die Konvolute möchte ich erhalten wissen, so weit es geht, nicht weil das die ideale Lösung ist, sondern weil jede Trennung Willkür ist, die nicht offenbar durch inhaltliche Zusammenhänge gefordert wird. Durch die Scheidung: über A und unter Β dem Strich erreicht man schon sowieso einen einigermassen leslichen Text. So ein Reicke-Druck ist doch einfach ein Hindernisrennen! Daher bin ich dafür, im Texte (A wie B!) möglichst glatt mit so wenig Klammern als möglich, weiter zu lesen und alles durch Zahlen rücksichtslos nach unten zu verweisen. Auch die Interpunktion. Ich bin für normale deutsche I. im Text und Angabe unten, wo K'sche Eigentümlichkeiten vorliegen. In den Randstücken, Notizen etc (also ô Sätzen) bin ich für wörtlich genauen Abdruck mit K-scher Int. Der Text selbst muss so sein, dass auch ein Nicht-Philologe den Mut hat, ihn bei seiner Forschung (Physika. Theorie der Materie, Theologe: Gottes-Idee etc) wirklich zu benutzen. Längere (wenn notwendige) Exkurse möchte ich nicht, wie bei Ihren Bänden, unten, sondern lieber als Anhang bringen. Damit aber das Mspt noch um so einheitlicher erscheint, soll das ganze von Kant behandelte Material in einem Sach(u.P,)Register wiederkehren und hier kann sich dann jeder die Stellen heraussuchen, die er etwa in den Texten A und Β nicht gefunden hat. Die Arbeit hält sehr auf und ist voller Fallgruben und Unsicherheiten. Ich kann es sehr gut begreifen, das eine editio completa bisher fehlt, denn es ist zu 3/4 eine undankbare Aufgabe. Aber einmal muss sie doch gemacht werden. Sobald die II. Copie, also die komplette, fertig ist, würde ich gerne über die Anordnung mit Ihnen sprechen. Im Grunde glaube ich freilich, dass diese Arbeit aus einem einheitlichen Geiste und Gusse heraus gemacht werden muss. Ihnen scheint j a auch nicht so übermässig daran zu liegen, was ich durchaus verstehe. Tinten- und Schrift-Verschiedenheiten sollen natürlich durchweg genau verzeichnet werden, und bei der Druck-Ausgabe der Text überall da, wo das geringste Missverständnis möglich ist, nochmals verglichen werden. Was Sie an L. Bl. brauchen, wird Ihnen Herr Dr. Lehmann in Copie besorgen, wenn der Verlag einverstanden ist (wie ich nicht zweifle). Ich habe ihm deshalb Ihren Brief in A. [= Auftrag?; W. St.] gegeben und de Gruyter gebeten, die Kosten der Abschriften zu übernehmen. Ihre Abschriften der L.B1. die zum Material des O.p. gehören, erwarte ich gerne. Mit den besten Grüssen bin ich ihr Artur Buchenau" 1
A d i c k e s antwortete nach e i n e m M o n a t , am 30.Juni 1925: „Sehr verehrter Herr Buchenau! Ich wartete immer noch auf den mir fuer die Zeit nach Pfingsten in Aussicht gestellten Vertrag, 2 sonst wuerde ich Ihren freundlichen Brief vom 27/5 schon laengst beantwortet haben. Nach dem, was Sie in diesem Brief schreiben, faellt meine Mitarbeit an der Herausgabe des Op.p. fort. Denn ich hatte sie der Akademie nur fuer den Fall in Aussicht gestellt, dass die Edition nach den Grundsaetzen der Edition des handschriftlichen Nachlasses 1 2
Ingelheimer Papiere. Angekündigt in Buchenaus Schreiben vom 28. Mai 1925: „Nach Pfingsten werde ich mir erlauben, Ihnen meinen Vertrag über das Op. p. zu senden." (Ingelheimer Papiere)
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erfolge. Da Sie diese Grundsaetze aufzugeben gedenken, bin ich meines Versprechens ledig, was in mir nur Gefuehle der Freude erweckt. Mit der Kantkommission haben Sie sich dann auseinanderzusetzen, da der Verlag nach einer Mitteilung Heinr. Maiers vom 8/1 24 sich verpflichtet hat, das Op.p. in der Kantausgabe nach den in der Edition des handschr. Nachlasses befolgten Grundsaetzen abdrucken zu lassen. Ich bin aufrichtig froh, wenn ich so um die Sorge und Verantwortung um das Op.p. ganz frei werde, denn ich bin die Zusammenarbeit mit der Akademie und vor allem die Editionsarbeit ueberhaupt uebersatt. Sachlich kann ich die Art, wie Sie sich die Ausgabe denken, nur als einen Rueckschritt gegenueber der Edition des handschr. Nachlasses ansehn. Die Grundsaetze, nach denen sie gemacht ist, haben sich mir bis auf den heutigen Tag immer wieder bewaehrt, und ich wuesste nicht, was ich heute daran aendern sollte, wenn ich sie jetzt festzulegen haette. Hoechstens, dass ich alle lateinischen Buchstaben, die Kant braucht, vielleicht in Antiqua drucken wuerde, wie es in den Briefbaenden geschehen ist. Vor allem bei der Interpunktion scheint mir nur zweierlei moeglich: entweder die Kantische unveraendert lassen oder, wie im Nachlass, doppelte Zeichen nehmen. Bei wissenschaftlichen Editionen von Ms.en halte ich die Einsetzung von Interpunktionszeichen, ohne sie als zugesetzte zu kennzeichnen, fuer ein Kapitalverbrechen, und ich haette eigentlich gehofft, dass meine Ausgabe darin Schule machte. Ich habe in der Kantkommission 1897 gerade, fuer diese doppelte Interpunktion wie ein Loewe gekaempft, vor allem gegen Erich Schmidt, und bin mit meinen Gruenden doch schliesslich durchgedrungen. Dass Sie die Konvolute erhalten wollen, statt im Anschluss an die Tintebezeichnungen Kants auf den einzelnen Bogen die chronologische Ordnung herzustellen und die Bogen in dieser abzudrucken, hat mich sehr ueberrascht, da doch in mehreren Faellen nachgewiesen werden kann, dass die jetzige Ordnung in den Konvoluten nicht die urspruengliche sein kann, und, was in diesen Faellen sicher ist, in andern moeglicherweise gerade so zutreffen kann (vgl. S. 91-3 meines Werks). Dass Sie ueber einem Strich den eigentlichen Text, unter dem Strich die Randbemerkungen bringen wollen, dafuer spricht bei den komplizirten Ms.-Verhaeltnissen manches, vor allem, dass die g-Zusaetze so direkt auf derselben Seite unter den Zeilen zu stehn kommen, neben denen sie im Ms. stehn. Nur muesste dann bei den einzelnen gZusaetzen im Text selbst angegeben werden, neben welchen Textzeilen sie stehen. - Auf das Dringendste rate ich Ihnen auf Grund langer Erfahrung, den Druck zu machen, solange Sie das Ms. noch in Haenden haben. Denn auch bei der genauesten Abschrift stellen sich beim Druck selbst immer noch wieder zahlreiche Fragen ein, die nur durch Rueckgang auf das Ms. geloest werden koennen. Ich persoenlich will natuerlich moeglichst wenig aus Konv. 4 des Op. p. in den frueheren Baenden zum Abdruck bringen. Meine Vorschlaege im vorigen Brief machte ich nur aus Pflichtgefuehl. Und ich glaube eigentlich, die naturwissenschaftlichen L.B1. des Konv. 4 koennten doch beim Op.p. verbleiben. Wenn sie noch in Bd. 14 koennten, wohinein sie ja gehoeren, wuerde ich unbedingt dafuer sein, sie dort unterzubringen. Da das ja aber nicht angaengig ist, sie vielmehr nur zu den Nachtraegen zu Bd. 14 (in Bd. 23) kommen wuerden, kann man sie eigentlich im Rahmen des Op. p. belassen, zumal sie ja zu einem guten Teil dieselben Themata behandeln wie dieses." 1
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Br.-Durchschlag (Ingelheimer Papiere).
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Buchenaus unmittelbare Antwort, datierend vom 1. September 1925,' ist sichtlich geprägt von dem Bemühen, die Wogen zu glätten. Dennoch münden die sachlichen Differenzen nach mehreren Briefen schließlich bei Buchenau in einem 7 Seiten langen Brief vom 15. Juni 1926, worin er Adickes persönlich angreift. Darin heißt es auf Blatt 3: „Was uns freilich am meisten trennt, ist die Frage der Kant-Interpretation selber, auf die ja trotz aller Vorsicht nicht völlig verzichtet werden kann. Nicht als ob ich kommentieren wollte, aber schon die Art der Lesung und Zusammenstellung hängt an vielen Stellen von der Kant-Auffassung als solcher ab. Wenn ich nun lese, wie Sie z.B. auf Seite 17 Ihrer Autobiographie in der Meiner'schen Sammlung schreiben: 'Die Natur ist mir eine Quelle höchster und heiligster Freuden, und es genügt mir nicht, dass ihr überhaupt irgendetwas entspreche; ich will, dass ihren Formen, deren Erhabenheit und Schönheit mich erhebt und entzückt, wirklichste Wirklichkeit zukomme. Ich weiss nicht, ob mit Kants Standpunkt Naturbegeisterung, ein wahres Leben in der Natur, ein Schwelgen mit ihren Schönheiten vereinbar ist. Möglich vielleicht. Aber das Erleben müsste dann auf jeden Fall einen ganz anderen Charakter tragen als beim Realisten. Entspräche der Natur, ihren Formen und dem Geschehen in ihr nicht ein zeitlich-räumliches Ansich, wäre es nur mein Bewusstsein mit seinen Funktionen, das ihr dies zeitlich-räumliche Gewand überwirft, dann sänke die Erscheinung für mich zum blossen Schein herab, mit der naiven Hingabe an die Natur wäre es aus, es gäbe in ihr nur noch Theaterfreunde.' und wie Sie ganz offen auf Seite 27 bekennen, dass Sie sich im Frühjahr 1896 eigentlich hätten von Kant verabschieden wollen, und dass es äussere 2 Grunde gewesen sind, die Sie zur Kant-Ausgabe getrieben haben, so darf ich Ihnen wohl sagen, dass unsere Standpunkte hier ganz entgegengesetzt sind. Für mich ist die Kantische, kritische Philosophie die Grundlage meines Lebens und meiner ganzen Weltanschauung, und es sind nur Gründe innerlichster Art, die mich an dieser Arbeit festhalten, die für mich finanziell ohne jeden Anreiz ist. Das Honorar beträgt beim O.p. M 25.- pro Bogen bei einer Auflage bis zu 2000 und davon habe ich noch meinem Assistenten einen Teil abgegeben. Es ist also rein das Interesse an der Sache, das mich bei dieser Arbeit festhält, und Punkt für Punkt kann ich da nur unsere Gegensätzlichkeit feststellen, die sich bei der Zusammenarbeit andauernd zeigen müsste. Sie selber sind ja der Ansicht (siehe Autobiographie Seite 7): '..., dass fast jede Diskussion über metaphysische Fragen bei ausgesprochener Gegnerschaft der Beteiligten ergebnislos zu verlaufen pflegt...' Um nur ein Beispiel zu geben, weise ich auf unsere verschiedene Auffassung des Dingan-sich-Begriffs hin. Nach Ihnen hat Kant niemals gezweifelt an der transsubjektiven Wesenheit des Ding-an-sich. Wenn ich nun eine Stelle lese, wie die in den Losen Blättern (1.62) 'Noumenon bedeutet eigentlich allerwärts einerlei: nämlich das transcendentale Objekt der sinnl. Anschauung. Dieses ist aber kein reales Objekt oder gegebenes Ding, sondern ein Begriff, auf den in Beziehung Erscheinungen Einheit haben', so befestigt sich dabei nur meine Überzeugung, die ich als Schüler von Cohen und 1 2
Ingelheimer Papiere. Das Wort „äussere" hat Adickes unterstrichen, am Rand notierte er „die Aussicht, für die Wissenschaft, für das Forschen frei zu werden!"
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Natorp und als langjähriger Freund von Cassirer in 27jähriger Arbeit an diesen Problemen erworben habe und die darauf hinausgeht, dass, um es mit dem Satze der 'Rechtslehre' auszudrücken, die Dinge an sich mit den Ideen gleichzusetzen sind. Wenn wir aber wirklich dem Gebote der Akademie folgend uns nun zur gemeinsamen Arbeit an der Ausgabe des O.p. zusammensetzen würden (hier in Berlin), so würden wir sicher mehrere Monate brauchen, denn eine Reihe von Stellen ist so schwierig zu interpretieren, dass man von Fall zu Fall jede einzeln diskutieren muss. Ich sehe das schon aus meinen Besprechungen mit Dr. Lehmann, die jetzt schon seit zwei Jahren wöchentlich 2 bis 3 mal stattfinden. Dr. Lehmann war zwar anfangs in den philologischen Dingen (als Naturwissenschaftler) noch zu sehr Neuling, aber ich habe ihn mir nun herangezogen und ihn in die Methode eingeführt, die ich als Philologe von Koschwitz 1 und später von Natorp gelernt habe." 2 In seiner Antwort vom 18. 6. 1926 geht Adickes hierauf folgendermaßen ein: „Auf Blatt 3 Ihres Briefes ist schwer zu antworten, weil ich nicht sicher bin, worauf Sie hinauswollen. Sie sprechen davon, dass 'unsere Standpunkte ganz entgegengesetzt sind': mich sollen 'aeussere Gruende' zur Kantausgabe getrieben haben, bei Ihnen sind 'nur Gruende innerlichster Art' wirksam ohne jeden finanziellen Anreiz, nur sie 'rein das Interesse an der Sache' halten Sie an der Arbeit fest, und 'Punkt fuer Punkt' koennen Sie 'da nur unsere Gegensaetzlichkeit feststellen'. Normaler Weise koennte man das nur dahin verstehn, dass mich nicht 'rein das Interesse an der Sache' und 'Gruende innerlichster Art', sondern finanzielle Ruecksichten an der Ausgabe festhalten. Das waere aber angesichts der Tatsache, dass ich nunmehr 30 Jahre lang meine Hauptarbeitskraft der Ausgabe und dem, was aus ihr hervorwuchs, gewidmet habe nur aus Treue gegen die einmal uebernommene Pflicht, dass ich vor der Inflation nie versucht habe, eine Erhoehung des laecherlich kleinen Akademie- und Verlegerhonorars herbeizufuehren und dass ich es auch weiterhin nie versucht haben wuerde, wenn nicht die Inflation mein Vermoegen und Erspartes vernichtet und die Ruecksicht auf meine Familie mich zu jenem Versuch gezwungen haette - angesichts dieses Tatbestandes waere jener Vorwurf ein solch toerichtes Gerede und zugleich eine solche meine Ehre kränkende Beleidigung, dass die ihm zu Grunde liegende normale Interpretation unbedingt zu verwerfen ist. Es bleibt also, soweit ich sehe, nur die Annahme uebrig, dass Sie, wie denn in Ihrem Brief ueberhaupt das Abnorme, Unueberlegte ueberwiegt, sich den Wortlaut nicht genau genug ueberlegt haben und nur zum Ausdruck bringen wollten, dass Ihr Inneres Sie direkt zur Editionstaetigkeit, besonders an Kant, draenge (womit ja Ihre Arbeit an der 'Philosoph. Bibliothek' und Pestalozzi in Uebereinstimmung steht), waehrend mich die eigentlich philosophischen Probleme unendlich viel mehr locken, weshalb auch diese 30jaehrige Arbeit an Kants Nachlass allmaehlich geradezu ein Martyrium fuer mich geworden ist.
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Gemeint ist der Professor für romanische Philologie, Eduard Koschwitz (1851-1904), der von 1896-1901 in Marburg lehrte. - Mit diesem Namen benennt Buchenau diejenige philologische Schule, in deren Tradition er sich selbst einordnet. Buchenau, 1879 geboren, studierte 1897/98 in Bonn und später (1899-1900) in Marburg romanische Philologie und Philosophie. Er wurde hier am 14.2.1901 mit der von Koschwitz angeleiteten Arbeit »Zum Versbau Mistrals« (d.i. Frédéric Mistral 1830-1914; neuprovenzalischer Dichter) promoviert. Mit der Edition von Manuskripten ist Buchenau meines Wissens weder in Marburg noch sonst konfrontiert worden. Seine Arbeit am Op.p. war für ihn offenbar die erste in dieser Art. Br. vom 15.06.1926 (Ingelheimer Papiere).
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Was die Freiheit der Meinungsaeusserung betrifft, so war es Ihnen nie genommen, vor allem nicht in der Ding-an-sich Frage; habe ich Sie doch geradezu darum gebeten, in ihr das Wort zu ergreifen. 1 Die von Ihnen citirte Stelle aus dem L. Bl. Heft 1 S. 162 (nicht 62) macht fuer meine Auffassung keine Schwierigkeiten. Sie ist gerade in Bd. 18 S. 230 abgedruckt. Zu dem von Ihnen bes. betonten g-Zusatz der Zeilen 16-18 vgl. S. 98-108 meines Ding-an-sich-Buches, zu der Stelle aus der Rechtslehre ebendort S. 45f. Nach den von Ihnen uebersehenen Zeilen 18-20 auf S. 230 steht fuer Kant auch an dieser Stelle die Existenz von Dingen an sich voellig fest und ist fuer ihn eine Selbstverstaendlichkeit. Dasselbe geht aus Zeile 24 auf S. 229 hervor. Das eigentliche Problem auf S. II des L. Bl. C 11 ist nicht etwa die Existenz der Dinge an sich (die ist fuer Kant vielmehr, wie gesagt, eine Selbstverstaendlichkeit), sondern die Berechtigung den Begriff Noumenon zu gebrauchen. Dass die Gegensaetze zwischen uns in der Kant-Interpretation und in der Art des Naturgefuehls sich bei gemeinsamer Arbeit am O.p. geltend machen wuerden, glaube ich nicht. Denn es handelt sich doch nur um Edition, nicht um Interpretation, die vielmehr ganz auszuscheiden waere. Aber unser frueherer Briefwechsel, die Tatsache, dass Sie zwei Jahre brauchten, um einzusehen, dass bei einer gemeinsamen Edition die Unterordnung unter feste Editionsprincipien notwendig ist, vor allem aber Ihr letzter Brief haben mir klar gezeigt, dass zwischen uns solche Gegensaetze sind (allerdings anderer Art, als die von Ihnen gemeinten), dass ein gedeihliches Zusammenwirken ausgeschlossen erscheint. Ich werde demgemaess der Kantkommission mitteilen; dass ich von der Oberleitung bei der Edition des O.p. zuruecktrete." 2 Am nächsten Tag schreibt Adickes an die Kommission. „Der Kantkommission der Berliner Akademie der Wissenschaften gestatte ich mir ergebenst mitzuteilen, dass ich mich genoetigt sehe, von der Oberleitung 3 der Edition von Kants Opus postumum zurueckzutreten. Die Gruende sind: 1) Es ist so gut wie unmoeglich, von hier aus brieflich in wirklich leitender Weise taetig zu sein. 2) Zwischen Herrn Oberstudiendirektor Dr. Buchenau und mir bestehn so starke Gegensaetze, dass ein erspriessliches Zusammenwirken ausgeschlossen erscheint. Herr Bu-
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Hier bezieht Adickes sich auf eine Stelle seines Buches über »Kant und das Ding an sich« (Adickes 1924a), wo es S. 2 heißt: „Was ich wünsche und hoffe, ist: daß diese Schrift zur Grundlage einer öffentlichen Diskussion seitens der Vertreter der verschiedenen Kantinterpretationen gemacht werde." - Vgl. Adickes 1924b, 188: „Als erstes Diskussionsthema schlage ich das Ding-an-sich-Problem vor."
2
Br.-Durchschlag erhalten unter den Ingelheimer Papieren. Er hat eine Länge von 5 1/2 Maschinenseiten. Eine für die Fragen der Datierung Kantischer Manuskripte besonders wichtige Passage, die der eben wiedergegeben unmittelbar vorausgeht lautet: „Dass Reicke sich oft verlesen hat, nimmt mich nicht Wunder nach meinen Erfahrungen mit seiner Ausgabe der L.B1. Mein Zweck und meine Aufgabe in Hamburg war nicht, solche Versehn festzustellen. Dass Sie die Tintenfrage mit einem fuehrenden Chemiker besprechen wollen, ist sehr zu begruessen. Doch warne ich davor, aus den Verhaeltnissen beim O.p. allgemeine Schluesse zu ziehen. Ueber die Bedeutung der verschiedenen Tintenfarben kann nur auf Grund der Handexemplare Kants entschieden werden, vor allem auf Grund von Baumgartens Metaphysica und Meiers Logik. Es ist sehr schade, dass ich dem Herrn diese Kompendien nicht vorfuehren kann. Sollte er einmal in die Gegend hier kommen, so wuerde es mir sehr wertvoll sein, die Sache mit ihm zu eroertem." - Vgl. auch das Zitat des Schlusses dieses Briefes weiter unten S. 117.
3
Der Gebrauch dieser Terminologie zeigt, daß Adickes die Wendung in der definitiven Festlegung der Vereinbarung zwischen Verlag und Akademie nicht bekannt war. Von der „Oberleitung" hatte Maier, wie erwähnt, zuletzt in der öffentlichen Sitzung der AdW am 24Januar 1924 gesprochen; vgl. »Sitzungsberichte«.
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chenau ist eine Oberleitung von meiner Seite unbequem, und er moechte von ihr befreit sein. Mir aber liegt nichts femer als meine Ratschlaege und Huelfe jemanden ungebeten aufdraengen zu wollen."1 Diese Differenzen hatten Nachwirkungen über den Tod von Erich Adickes hinaus. Die beiden Bände erscheinen erst mit einer weiteren Verspätung von 10 Jahren (1936-38) unter erneut völlig gewandelten institutionellen wie personellen Bedingungen. Der mitwirkende Assistent von Buchenau, Gerhard Lehmann, bekennt sich noch Jahrzehnte später zu einer „Kette von Schwierigkeiten, ja Widerwärtigkeiten, die mit der Edition des opus postumum verbunden waren". 2 An anderer Stelle spricht er von einem „unerquicklichen Streit mit Adickes". 3 Jedoch der von Lehmann bei der zuletzt zitierten Stelle angeführte Verweis auf AAKant XXII 506 läßt den Leser ratlos. Er führt ins Leere, da auf der angegebenen Seite des Bandes nur Kantischer Text abgedruckt ist. 4 Auf der Basis des Briefwechsels zwischen Buchenau/Lehmann und Adickes läßt sich ein Fall ermitteln, das ein scharfes Licht auf konkrete Schwierigkeiten und Differenzen wirft. In den Erläuterungen zum L. Bl. 39/40 des IV. Convolutes des „Opus postumum" (AA-Kant XXII 810f.; Abdruck XXI 454-61) monieren die Herausgeber auf beinahe einer Druckseite den von Adickes bereits in AA-Kant XVIII 659-65 als Nr. 6338a edierten Text des Losen Blattes. Sie konstatieren mehr als 50 fehlerhafte Lesungen. G. Lehmann sollte, wie aus dem oben im Auszug wiedergegebenen Brief von Buchenau vom 27. 5. 1925 hervorgeht, Adickes die von ihm für AA-Kant XVIII benötigten Losen Blätter abschriftlich mitteilen. Bei den kurzen Stücken des Losen Blattes 29 des IV Konvolutes (Nr. 5652a) und des Umschlags desselben Konvolutes (Nr. 6352a) scheint Adickes mit diesen Transkriptionen einverstanden gewesen zu sein (Siehe AAKant XVIII 305 21-23); nicht jedoch mit dem umfänglicheren Text von Nr. 6338a. Nachdem Adickes um eine Überprüfung der Transkription anhand des Autographen gebeten hatte, antwortete L. mit einem Brief 5 von Mitte Mai 1926:
1
2 3 4 5
Br.-Durchschlag: Ingelheimer Papiere. Da G. Lehmann das genaue Datum dieses Schreibens kennt (Lehmann 1969, 8), stellt sich die Frage, worauf er nach etwa 30 Jahren Abstand seine präzise Angaben gestützt hat? Aus den Akten der KK lassen sich weder Datum noch Umstände des Rücktritts von Erich Adickes ermitteln. Allein einschlägig ist das Faszikel Nr. 159 mit den Unterlagen der Jahre 1923-1935. Darin folgt auf die beiden Blätter fol. 87 und 88 (Schreiben aus Riga vom 4. 6. 1924, Karte von Adickes vom 26. 6. 1924) unter fol. 89 eine weitere Karte von Adickes datierend vom 28.Juni 1927. Die Lücke wird zwanglos dadurch zu erklären sein, daß Maier nicht seine sämtliche als Vorsitzender der KK geführte Korrespondenz dem Archiv überwiesen hat. Vgl. dazu einen Vermerk in den Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 125. Lehmann 1969, 38. Lehmann 1969, 32, Anm. 21. Auch AA-Kant XXIII506 ist davon nicht die Rede. Der unter den Ingelheimer Papieren erhaltene, handschriftliche Brief ist zwar auf den „Berlin, 27. 6. 2 6 " datiert, eine ganze Reihe von Indizien zeigt aber, daß Lehmann sich bei dieser Angabe verschrieben haben muß. L. schrieb: „Herr Dr. B. hatte auch die Freundlichkeit mir Einblick in Ihren letzten Brief zu gewähren. Da der 'alte Kant' (abgesehen vom Titel, für den ich nicht verantwortlich bin) von mir allein zusammengestellt worden ist, so trifft Dr. B. nicht das geringste Verschulden. Bis jetzt habe ich mich nicht von der Minderwertigkeit meiner Arbeit überzeugen können: es wäre mir daher sehr lieb, wenn Sie mir gelegentlich eine Notiz darüber zukommen Hessen, worauf sich Ihr Tadel erstreckt. [...] Wenn Sie die Güte haben würden, mir Ihr begründetes Urteil zu übersenden, so bitte ich darauf Rücksicht zu nehmen, dass es sich [...], um
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Teil II „Im Auftrage von Herrn Dr. Buchenau erlaube ich mir, Ihnen die revidierten Reflexionen aus dem op.p. zur Entscheidung zurückzusenden. Die Ihnen unklar gebliebenen Anmerkungen bedeuten: v. a. = verbessert aus v. i. = verbessert in Haken = bei Kant abgehakt: [...]"
Adickes Antwort vom 2. 6. 1926 beginnt mit: „Sehr geehrter Herr Dr. ! Verbindlichsten Dank fuer die nochmalige Vergleichung der beiden Mse. mit dem Original. Leider haben Sie aber meine Fragezeichen nicht beachtet. Auf Nr. 6352a bitte ich noch festzustellen, ob es dreimal j oder i heisst, und zweimal: alsdann oder alsdenn. Auf Nr. 5652a bitte ich festzustellen, ob 'ausser' oder wie wahrscheinlicher 'außer' zu lesen ist, ferner 'mueste' oder 'mueßte'. Ich bitte dann das Richtige Ihrerseits einzusetzen und das Ms. direkt dem Verlag zur Weitersendung an die Druckerei zu uebergeben. Und zwar moeglichst bald, da Nr. 5652a schon binnen kurzem in Satz gehn muss. Ich fand Ihren Brief Montag Abend, als ich von einer Pfingstreise heimkam, erst hier vor; sonst hätte ich schon frueher geantwortet." Nach einigen Ausführungen zur 'Hasse-Schrift' 1 und den von Buchenau und Lehmann damit verfolgten Absichten kommt Adickes zum Schluß des Briefes nochmals auf die Lehmannschen Transkriptionen zurück: „Ihre Abschrift des Blattes Nr. 39/40 aus dem 4. Konv. laesst sehr viele Fragen offen. Es waere mir sehr lieb, wenn Herr Dr. Buchenau und der Verlag mir das Blatt gut versichert zu kurzer Einsicht uebersendeten. Krauses wuerden dagegen wohl kaum etwas haben. Lieb waere mir auch, wenn ich baldigst Antwort von Herrn Buchenau darueber bekaeme: 1) ob fuer die Kompendien von der Akademie jetzt Bearbeiter gewonnen sind; 2) wie er sich wegen der Editionsgrundsaetze fuer das O. p. entschliesst, damit ich ev. der Kantkommission gegenueber reinen Tisch machen kann." 2 Lehmanns Antwort datiert vom selben Tag, wie der Brief von Buchenau, aus dem die oben zitierte längere Passage entnommen ist. Am 15. Juni schreibt L.: „Ihre Aufträge habe ich erfüllt. Es tut mir leid, dass Sie annehmen konnten, Ihre Fragezeichen seien von mir nicht beachtet worden. Ich habe verbessert was falsch war, und mein einziges Vergehen bestand darin, dass ich an den fragl. Stellen Ihre Zeichen nicht ausdrücklich durchstrichen habe." 3
eine Einführungsschrift für breiteste Kreise [...] handelt." Im handschriftlich von Adickes auf „4/5 26" datierten Durchschlag seines Briefes an Buchenau heißt es: „Nach meiner Ansicht hat die Herausgabe des kleinen Buches vom alten Kant Ihrem wissenschaftlichen Ansehen geschadet. Ich stehe mit dieser Auffassung nicht allein. Ein in Editionssachen sehr erfahrener Mann schreibt mir ueber das Buch: 'Wenn darin eine Probe von der Ausgabe des O.p. gegeben werden soll, so danke ich fuer eine solche Ausgabe.'" In seiner direkten Antwort, maschinenschr. datiert „Tuebingen d. 2/6 26.", nimmt Adickes zu dieser Frage Stellung und gebraucht dabei in Anführungszeichen die Klausel „breiteste Kreise". - Anzeichen dafür, daß Adickes sich bei der Datierung seiner Briefe irrte, habe ich nicht ausmachen können. Die Daten der Frageund Antwortbriefe zwischen Buchenau und Adickes sind, soweit erhalten, kohärent. 1 2 3
D. i. G. Lehmann / A. Buchenau (Hg) »Der alte Kant. Hasses Schrift: Letzte Äußerungen Kants und persönliche Notizen aus dem opus postumum« (Berlin/Leipzig 1925) Br.- Durchschlag unter den Ingelheimer Papieren. Brief unter den Ingelheimer Papieren; er enthält femer eine kurze Replik von Lehmann zu Adickes' Bemer-
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Adickes kommt in seinem Brief vom 18. 6. 1926 an Buchenau, der wie oben schon angegeben, die unmittelbare Reaktion auf Buchenaus persönliche Angriffe darstellt, auf eines der beiden Losen Blätter zurück: „Ich bat durch Herrn Dr. Lehmann um Zusendung des Blattes Nr. 39/40 aus dem 4. Konv. des O. p., weil in der Abschrift von Herrn Dr. Lehmann viele Fragen offen bleiben und ich deshalb gern einen Einblick unmittelbar in den Text naehme. Sollten Sie oder der Verlag diese Zusendung mit Ruecksicht auf Krauses ungern sehn, so bitte ich (um Ihre kostbare Zeit nicht in Anspruch zu nehmen) durch Herrn Lehmann mir kurz Mitteilung zukommen zu lassen, andernfalls das Blatt bald zu senden." 1 In Bd. XVIII, dessen Vorwort Adickes am 1. 10.1927 unterzeichnete, liest man S. 659: „Diese Nr. [6338a] hat in Tinte und Schrift große Ähnlichkeit mit dem LB1. G 22. Sie lag mir für den Abdruck in photographischer Reproduction vor." Diese Information über Schrift und Tinte könnte die Annahme nahelegen, daß es sich bei dieser Reproduktion um ein Farbphoto gehandelt habe; diese ist wegen des damaligen Standes der Phototechnik äußerst unwahrscheinlich und zudem unnötig, denn Adickes hat denselben Sachverhalt auf der Grundlage des Originals schon 1920 angegeben. 2 Doch zur Sache selbst! Von den rund 50 differierenden Lesungen des Doppelblattes sind nur 14 sinnrelevant. Diese sind in der auf der nächsten Seite folgenden Gegenüberstellung aufgelistet, wobei die Abweichungen von mir hervorgehoben sind. Herr Ministerialrat a. D. Albrecht Krause (Bonn) war so freundlich mir Xerokopien des Blattes zur Verfügung zu stellen, 3 danach ergibt sich das Folgende. Zunächst ist es eine wirkliche Haarspalterei in einem sichtlich von flüchtiger Hand geschriebenen Text über einzelne Buchstaben oder die Auflösung von Kürzelhaken zu streiten. In einer Konzeptschrift sind die Buchstaben der Wörter nicht deutlich ausgeformt und jede maschinenschriftliche oder typographische Transkription muß wegen ihrer standardisierten Buchstaben (de facto Tastendrucke) eine Eindeutigkeit herstellen, die tatsächlich nicht gegeben ist. Das heißt nun aber nicht, daß hier Willkür am Platz sein darf, eher ist Vorsicht geboten. Mit diesem Vorbehalt kann ich nur meine Feststellung wiedergeben, daß in den gegenüber gestellten Passagen Adickes ohne Ausnahme zuzustimmen ist. 4 Diese Sachlage wirft zwingend die Frage nach den näheren Umständen der Entstehung der Bände XXI und XXII auf; denn es scheint kaum möglich, die genannten Dif-
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kung über die 'Hasse-Schrift' und endet formelhaft: „Indem ich Sie bitte, meine Antwort nicht als jugendliche Überhebung auszulegen, verbleibe ich in vorzüglichster Hochachtung Dr. Gerhard Lehmann." Br.-Durchschlag unter den Ingelheimer Papieren; die soeben zitierten Zeilen beenden den Brief und schließen unmittelbar an die oben (S. 114 Anm.) zitierte Passage an. Adickes 1920,48. Mit Schreiben vom 28. März 1990. So gesehen nicht ganz überraschend zeigt auch der Vergleich zwischen Faksimile und Drucktext des 1. Konvoluts, 11. Bogen, 3. Seite des „Opus postumum" eine Fehlstelle in der Edition in AA-Kant XXI 146 12 - 151 09. Es fehlt bei 149,27 „[...] 2 Größte Höhen", vgl. das beigegebene Faksimile am unteren Rand, rechte Hälfte.
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f e r e n z e n z w i s c h e n A d i c k e s T e x t u n d d e m d e r E d i t i o n in B a n d X X I d e m Z u f a l l z u s c h r e i b e n z u k ö n n e n . V i e l m e h r ist a n z u n e h m e n , d a ß e i n e i m G r u n d s a t z w i r k e n d e F e h l e r q u e l l e d i e k o r r e k t e Ü b e r t r a g u n g d e r M a n u s k r i p t e K a n t s in d e n D r u c k d e r B ä n d e X X I u n d X X I I d e r A k a d e m i e - A u s g a b e b e e i n t r ä c h t i g t hat. A u s d e n b i s h e r h e r a n g e z o g e n e n Q u e l l e n e r g i b t s i c h z u n ä c h s t , erstens
d a ß G e r h a r d L e h m a n n i m V e r l a u f d e s Jah-
res 1 9 2 4 e i n e erste A b s c h r i f t der K a n t i s c h e n H a n d s c h r i f t a n g e f e r t i g t hat, u n d
zweitens,
daß Artur B u c h e n a u i m D e z e m b e r 1 9 2 4 damit b e g a n n , d i e s e Abschrift d u r c h z u s e h e n u n d m i t d e m O r i g i n a l z u v e r g l e i c h e n . 1 F ü r d i e Z w a n z i g e r Jahre l i e ß s i c h nur e i n e w e i tere I n f o r m a t i o n 2 e r m i t t e l n - z u d e n w e n i g e n I n d i z i e n d e r 1 9 3 0 e r Jahre v g l . u n t e n schnitt
E.h.
Ab-
1) und 2 ).
XVIII
Adickes
XXI
659, 11-12:
Erläuterung durch Raum und Zeit als Großen Bei der ist die Empfindung mit der Anschauung verbunden oder nicht verbunden Denn nützt man die reine Categorie
454, 23-24: Erläuterung durch Raum und Zeit als Großen a priori 456, 11-12: Bey der Qvalität ist die Empfindung mit der Anschauung verbunden aber nicht verknüpft 458, 06: Denn sucht man die reine Categorie
aliqvid sive objectum qvalificatum Daß alle Manigfaltigkeit der Dinge als Dinge überhaupt nur in den Einschränkungen des All der Realität bestehe, welches ein einiges Wesen voraussetzt, [...] Von der Möglichkeit der Dinge nach allen vorigen Categorien,
458, 21: aliqvid est obiectum qvalificatum 459, 23-24: Daß alle Manigfaltigkeit der Dinge als Dinge überhaupt nur in der Erstreckung des All der Realität bestehe, welches ein einiges Wesen voraussetzt, [...] 460, 01-02: Von der Manigfaltigkeit der Dinge nach allen vereinigten Categorien, 460,13: est haec sunt quanta. 461, 04-15: Qvicvid valet de corpore in aliud molem impingens qvarunqve hoc celeritate moventis, [...] 461,09-10: nisi per intermedium determinations, quae aeqvivalet ziphoni s. [...]
660, 31-32:
662, 22: 663, 04: 664, 05-07:
664, 11-12: 664, 22: 665, 12-13:
665, 18:
1 2
ipsae sunt quanta. Qvicvid valet de corpore in aliud motum impingente, qvacunqve hoc celeritate moveatur, [...] nisi per intermedium determinationem, quae aeqvivalet ziphrae sive [...]
Buchenau/Lehmann
Vgl. oben S. 109-110 das Zitat aus dem Brief vom 27. Mai 1925. Nachlaß Lehmann (zur Zeit in Marburg): Durchschlag eines Schreibens von Lehmann an A. Krause vom 24. 12. 1927 mit der Bitte um Hilfe bei Transkription einzelner Stellen.
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c.
Die finanzielle Beziehung zwischen Erich Adickes als Herausgeber der Abtlg. III und der Akademie Da Buchenau bei seinen Angriffen gegen Adickes auch die finanzielle Seite der Herausgabe des handschriftlichen Nachlasses ins Spiel gebracht hat, ist ein kurzes Eingehen darauf von mehr als bloß peripherer Bedeutung. 1 Der zwischen Erich Adickes und der Akademie am 17. Februar 1896 geschlossene Vertrag enthält keine detaillierten Angaben über den Umfang der zu leistenden Arbeiten, trotzdem wurde eine Zeitplanung entwickelt. Die im folgenden wiedergegebenen §§ 2-7 des 7 §§ umfassenden Vertrages beschreiben die gegenseitige Verpflichtung. „§ 2. Unter der Voraussetzung, daß Hrn. Dr. Adickes ein vom 1. April 1896 laufender zweijähriger Urlaub von seiner Behörde ertheilt wird, verspricht derselbe, diese zweijährige Zeit ausschließlich auf die Herstellung jener Ausgabe verwenden und diese thunlichst so fördern zu wollen, daß das Ms. im vierten Jahre spätestens vollständig abgeschlossen vorliegt und der Druck ohne Unterbrechung zu Ende geführt werden kann. § 3. Die Akademie verpflichtet sich erstens die Kosten der Stellvertretung für die beiden Jahre 1. April 1896 bis 31. März 1898 bis zur Höhe von jährlich M. 1800, also zusammen höchstens M. 3600 zu zahlen. Sie verpflichtet sich femer als Honorar für die Ausgabe der Reflexionen M. 4000 ihm auszuzahlen. Die erste Hälfte dieses Honorars wird Hrn. Dr. Adickes in mit der Kantcommission zu vereinbarenden Fristen ausgezahlt, die zweite nach Schluß des Druckes. Zur Bestreitung anderweitiger Ausgaben, unter welche die dem Herausgeber zur Last fallende Entlohnung von Hülfskräften nicht fällt, wird der Commission eine Summe von M. 400 überwiesen. Über die Gesamtsumme von M. 8000 wird die Akademie unter keinen Umständen hinausgehen. § 4. Etwaiges Verlegerhonorar fließt unverkürzt dem Herausgeber zu. § 5. Die Entscheidung in allen die äußere und innere Einheitlichkeit des Werkes betreffenden Dingen liegt in den Händen der Kantcommission, der Hr. Adickes sich auch im Falle von Differenzen im Voraus unterwirft. § 6. Das gesammte Material wird Eigenthum der Akademie und ist an diese nach Beendigung des Druckes oder bei früherem Rücktritte abzuliefern. § 7. Jeder der beiden Contrahenten kann von dem vorstehenden Vertrage zurücktreten. Diese Absicht muß jedoch 6 Monate vor dem wirklichen Rücktritt erklärt werden. Die Regelung der Honoraransprüche bleibt in diesem Falle der Commission vorbehalten." 2 Aufgrund dieses Vertrages zahlte die Akademie im August 1914 an Adickes 3 als erste Rate nur einen Betrag von 667,50 M. Nachdem auch 4 Adickes durch die Inflation der
1
2 3 4
Vgl. die Bemerkung von Dieter Henrich in: Tuschling (Hg) 1984, 62 Anm. Für den damit angeschnittenen Fragenkomplex ist meines Erachtens von größter Wichtigkeit zu entscheiden, wer jetzt (1993) Inhaber der „Rechte am Text" ist. Grundlage dafür dürfte noch immer der Vertrag zwischen der AdW und dem Verlag vom 14. Februar 1898 sein; (Akten der KK, II-VIII, 153, fol. 85-86.) Danach ist - mir - die Rechtsgrundlage der photomechanisch hergestellten Nachdrucke einzelner Bände der AA-Kant zweifelhaft. Dieses Nachdrucken ist vermutlich erstmals nach 1956 erfolgt; vgl. Lehmann 1956b, 428-429 (der Absatz fehlt in der Version Lehmann 1969, 3-26). Text nach einer Xerokopie des Originals, die Herr D. Adickes (Ingelheim) mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Zu § 1 vgl. hier S. 91. Vgl. Adickes Brief an den Verlag de Gruyter vom 13. November 1924 (Durchschlag) und Rubners Brief vom 24. Februar 1925 (Ingelheimer Papiere). Es ist für diesen Kontext nicht unwichtig zu notieren, daß die vormals königlich preußische Akademie ih-
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Jahre 1918-1923 sein erspartes Vermögen verloren hatte, bemühte er sich ab Ende 1922 um eine Erhöhung des vertraglich festgelegten Honorars. Diesem Wunsch stand die KK grundsätzlich 1 positiv gegenüber. Ihr Angebot vom 29.7. 1924, die S u m m e auf 6000 Goldmark festzusetzen, wurde von Adickes als enttäuschend und unbillig abgelehnt. 2 In seinem schließlich ausschlaggebenden Brief vom 9.11. 1924 an die A d W „z. H. des Vorsitzenden Sekretars Herrn Geh. Rat R o e t h e " faßt er seine Begründung nochmals kurz zusammen und formuliert seinerseits einen Vorschlag. „Auf das Anerbieten der Akademie vom 4. Nov. bedaure ich nicht eingehn zu koennen, sehe vielmehr nach wie vor in der Verdoppelung des Honorars die conditio sine qua non fuer meine weitere Mitarbeit an der Ausgabe. Bevor ich jedoch aus dieser Auffassung die Konsequenz ziehe und von meinem Kuendigungsrecht auf Grund von § 7 des Vertrags Gebrauch mache, moechte ich noch einen letzten Versuch unternehmen, um die Akademie von der Gerechtigkeit und Maessigkeit meiner Ansprueche zu ueberzeugen, indem ich die beifolgenden Schriftstuecke vorlege. Aus ihnen geht hervor, dass die leitenden Maenner der Kantkommission beim Entwurf des Vertrages mit 3 Baenden gerechnet haben, ich selbst mit 3-4 von je 500 Seiten. In seinem Brief vom 17/1 1896 (N- 1) ist Geh. Rat Diels, der nach N e 2 fuer den erkrankten bzw. in Meran befindlichen Herrn Dilthey den Vorsitz in der Kantkommission fuehrte, der Meinung, dass der handschriftliche Nachlass 3 Baende fuellen wird. Herr Dilthey teilt mir am 14/11 95 (N s 3) mit, dass die Ansetzung des Honorars auf 4000 M. auf einen Wunsch des in 'unabhaengiger aeusserer Lage' befindlichen Herrn Vaihinger, der die Ausgabe zunaechst uebernehmen sollte, erfolgte und Vaihinger schreibt in seinem Brief vom 31/7 95 (N- 4) gleichfalls, dass der Nachlass 'circa 3 Baende' fuellen werde. Dieselbe Zahl hatte Herr Dilthey in den entscheidenden muendlichen Besprechungen mit mir, die seinem Brief vom 14/11 95 voraufgegangen waren, wiederholt genannt. In seinen Briefen kommt er auf diese Einzelheiten nicht mehr zurueck. In meinem Urlaubsgesuch an den Kieler Magistrat dessen Concept ich beilege (N° 5), ist von 3-4 Baenden von je 500 Seiten die Rede. Und nach dem Vertrag selbst (§ 2) soll die Arbeit so gefoerdert werden, 'dass das Ms. im vierten Jahre spaetestens vollstaendig abgeschlossen vorliegt' - ein Plan, der bei 3-4 Baenden von je 500 S. aussichtsvoll war, aber beim jetzigen Umfang sinnlos gewesen waere. Denn aus den 3-4 Baenden sind 8 Baende von durchschnittlich 800-850 S. geworden, d. h. der Umfang ist von 1500-2000 auf 6400-6800 S. gewachsen, also auf das 3 1 / 4 - 4 1/2 fache. Da ist es doch wahrlich eine maessige Forderung, wenn ich eine Verdoppelung des Honorars beantrage! Auf noch eines erlaube ich mir hinzuweisen. Bei Bd. 16 mit seinen rund 1000 S. kommen bei einem Honorar von 500 M pro Band auf den Bogen 8 M. Schon die Korrektu-
rerseits zeitweilige Finanzprobleme zu bewältigen hatte: „Das Vermögen, das ihr zu Kriegsende [1918] noch verblieben war, ging in der Inflationszeit verloren. 1920 Schloß sie sich mit den anderen deutschen Akademien, dem Verband deutscher Hochschulen, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und anderen wissenschaftlichen Vereinigungen zur 'Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft' [der Vorläuferorganisation der heutigen 'Deutschen Forschungsgemeinschaft'] zusammen." (Meusel 1956, 14f.) 1
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Im Brief des Vorsitzenden der KK, H. Maier vom 28. Februar 1923 heißt es: „4) Die Kommission ist bereit, Ihr Gesamthonorar und ebenso das Bogenhonorar angesichts der veränderten Verhältnisse höher anzusetzen. Auch hierfür aber können zur Zeit bestimmte Summen nicht festgesetzt werden. Die Honorierung wird sich nach dem jeweiligen Stand des Geldwerts bemessen." - Ingelheimer Papiere. Entwurf zu einem Antwortschreiben vom Juli oder August 1924; Ingelheimer Papiere: auf Maiers Schreiben vom 24. Juli.
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ren allein, bei denen ich Wort fuer Wort mit Kants Ms. vergleichen muss, nehmen pro Bogen etwa 8 Stunden in Anspruch. Der von der Akademie bezahlte Korrektor bekam vor dem Kriege pro Bogen 3 M. Diese Tatsachen sagen doch wohl genug! Als ich am 2/9 der Kantkommission schrieb, lag eine entfernte Moeglichkeit vor dass das fast druckfertige Ms. zu Bd. 17 und 18, das auch nur einigermassen sicher abzuschaetzen mir unmoeglich war, trotz aeusserster Beschraenkung der Anmerkungen mehr als 2000 Druckseiten umfassen wuerde und dass Akademie und Verlag sich deshalb gezwungen sehen koennten, aus den 2 Bdn. 3 zu machen. Nachdem nun das Anfang September an den Verlag gesandte Ms. 1 von der Druckerei geschaetzt und groesstenteils auch schon gesetzt ist und weniger Umfang hat, als ich erwartete, ist mit Sicherheit anzunehmen, dass Bd. 17 und 18 je 850-900 S. nicht ueberschreiten werden. Dasselbe gilt von den uebrigen Baenden. Sollte die Akademie sich an dem formellen Umstand stossen, dass sie fuer schon erschienene Baende nachtraeglich das (notabene groesstenteils noch nicht bezahlte) Honorar erhoehen solle, oder im Augenblick nicht imstande sein, die erhoehte Summe zu bezahlen, so ist es mir auch recht, wenn sie fuer Bd. 14-16 nur 500 M. pro Bd. rechnet, dagegen fuer die uebrigen 5 Bde. je 1300 M. Woran ich aus Gerechtigkeits- und Selbstachtungsgruenden festhalten muss, ist nur die Verdoppelung des Honorars. Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass diese Darlegungen die Akademie von der Berechtigung meiner Wuensche ueberzeugen und dass ein Bruch vermieden wird, der um so bedauerlicher sein wuerde als gerade jetzt das Jahre hindurch still gelegene Schiff der Ausgabe wieder flott geworden und in guenstiger Fahrt auf den lang ersehnten Hafen zu begriffen ist." 2 Mit Schreiben v o m 24. 2. 1925 teilte M a x Rubner (1854-1932), der Vorsitzende Sekretär der A d W , A d i c k e s mit, daß dieser Vorschlag die Z u s t i m m u n g der e n t s c h e i d e n d e n G r e m i e n g e f u n d e n habe. 3 A u f g r u n d dieser Ü b e r e i n k u n f t zahlte die A k a d e m i e im Juli 1925 die S u m m e von 832,50 M , 4 wodurch der Betrag von insgesamt 1500 M (je 500 M pro Bd.) f ü r die seit über einem Jahrzehnt vorliegenden Bände XIV-XVI abgegolten w u r d e . Für die beiden n o c h von A d i c k e s selber h e r a u s g e g e b e n e n Bde. X V I I - X V I I I zahlte die A k a d e m i e vereinbarungsgemäß j e 1300 M. N a c h der f ü r den Fall des Todes g e t r o f f e n e n R e g e l u n g w u r d e 1934 der Betrag f ü r die bereits geleisteten Vorarbeiten zu B d . X I X ebenfalls auf dieser G r u n d l a g e errechnet. N a c h A b z u g des Friedrich Berger z u g e s a g t e n Korrekturgeldes5
von 10 M pro B o g e n (= 4 2 2 , 5 0 R M ) w u r d e der W i t w e
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Aus Adickes Schreiben vom 13.11. 1924 an den Verlag de Gruyter geht hervor, daß er in der Anlage dazu sein Manuskript zu den Reflexionen 4146 bis 4272, d.i. zu den Seiten 433-490 von AA-Kant XVII, gesandt hat. (Durchschlag, Ingelheimer Papiere) Demzufolge darf man annehmen, daß es sich bei den „im September" geschickten Druckmanuskripten um diejenigen zu den Seiten 227-432 handelte.
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Br.-Durchschlag: Ingelheimer Papiere; Auch: Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 59. Die von Adickes als No 1 -5 genannten Schreiben sind nicht in den Ingelheimer Papieren erhalten, obwohl er sie mit Schreiben vom 4. März 1925 von der AdW zurückerbeten hatte (Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 55). Die Rücksendung scheint jedoch erfolgt zu sein, vgl. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 66.
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Ingelheimer Papiere. Durchschlag: Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 63. Zu Adickes Einverständnis, vgl. ebenda seinen Brief vom 4. März 1925. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 72. Diese Benennung für das von der Preußischen AdW an Berger gezahlte Entgelt indiziert den geringen Anteil von Berger an der Erarbeitung der Textgrundlage für AA-Kant XIX. Das Wort 'Korrekturgeld' findet sich nur im Brief von Franz Adickes an Eduard Spranger vom 24.4. 1934; der Sache nach auch in Sprangers Schreiben vom 19. 4. 1934 an Franz Adickes: „der Betrag [...], (vereinbarungsgemäß 10 M pro Bogen.)" Ingelheimer Papiere.
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Teil II
von Erich Adickes im Juni 1934 der Betrag von 877,50 M überwiesen.1 Für die von der Akademie aus dem wissenschaftlichen Nachlaß des Herausgebers übernommenen Materialien zu den beiden noch ausstehenden Bänden wurde ein Abschlag von insgesamt 1000 M gewährt.2 Somit zahlte die Akademie für die Tätigkeit von Erich Adickes als Herausgeber des handschriftlichen Nachlasses, die Kosten der Vertretung nicht gerechnet, insgesamt: 5977,50 M innerhalb einer Zeitspanne von 20 Jahren. Rechnet man zu diesem Betrag noch den Druckkostenzuschuß zu den »Untersuchungen« in Höhe von 1500 M und die Reisekostenpauschale in Höhe von 500 M für den 4-wöchigen Hamburger Studienaufenthalt in Sachen „Opus postumum" hinzu, so beläuft sich die Summe auf ca. 8000 M. Der tatsächliche Wert, die Kaufkraft dieses Honorars ist nicht schwer abzuschätzen. Das Einkommen je Kopf der Bevölkerung des deutschen Reiches betrug 1896: 467 M; 1913: 739 M und 1925: 913 RM jährlich.3 Bei Vertragsabschluß war demnach etwa das 8,6-fache eines jährlichen pro-Kopf-Einkommens als Gesamthonorar vereinbart worden und für die neue Übereinkunft von 1925 errechnet sich der entsprechende Faktor auf 8,8. - Angesichts dieser Zahlen wird man nicht behaupten können, daß finanzielle Interessen auf Seiten Adickes je ins Gewicht gefallen sind. - Von einer an der aufgewendeten Arbeitszeit orientierten Entlohnung kann keineswegs gesprochen werden.4 Neben diese Zahlungen durch die Akademie trat ab April 1924 ein erhöhtes5 Autorenhonorar von 35,- M pro Bogen durch den Verleger6 der Ausgabe; d. h. für die Bde. XVII und XVIII ca. 3300 M. Diese Zahlen belegen, daß Buchenau im Juni 1926, in Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse, auf die finanzielle Seite der Tätigkeit von Adickes anspielte. Adickes verschiedene, ohne Hintergrundinformation befremdlich klingende, Formulierungen7 scheinen diesen Angriff mit veranlaßt zu haben.
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Schreiben der AdW an Franz Adickes vom 6. Juni 1934, Ingelheimer Papiere. Schreiben von Spranger an Franz Adickes vom 4. 12. 1934, Ingelheimer Papiere. Nach W. G. Hoffmann & J. H. Müller »Das deutsche Volkseinkommen 1851-1957« (Tübingen 1959) S. 39f.: Tabelle 14 und S. 56: Tabelle 24. Auf eine Berechnung der Gesamtkosten der Akademie-Ausgabe bis zum Jahr 1944 habe ich wegen der inflationsbedingten Verzerrungen der sonst relativ einfach zu addierenden Beträge, die in den »Sitzungsberichten« der Akademie (vgl. Register s.v. „Geldbewilligungen") genannt werden, verzichtet. Im Verlagsvertrag zwischen der AdW und dem Verlag Georg Reimer vom 14.Februar 1897 heißt es unter § 5 „Als Normalauflage gilt die Zahl 600 und innerhalb dieses Rahmens zahlt der Verleger an die Akademie bei Erscheinen eines jeden Bandes einen Honorarbeitrag von 5 Mark für jeden Druckbogen. Dem Verleger ist es anheimgestellt, die Auflage jedes einzelnen Bandes über die Normalauflage hinaus beliebig zu erhöhen. Vor dem Eintritt jeder solchen Erhöhung hat er indessen der Akademie Anzeige zu machen und für jede Hundertzahl der so gesteigerten Auflage 5 weitere Mark für den Druckbogen des betr. Bandes mehr zu zahlen, so daß z.B. auf eine Auflage von 700 Exemplaren insgesammt 10 Mark, auf eine solche von 1000 Exemplaren insgesammt 25 Mark Honorarbeitrag des Verlegers entfallen." - Akten der KK, II-VIII, 153, fol. 85-86. - Auf eine genaue Darstellung der Modalitäten der Erhöhung verzichte ich. Die Tatsache ergibt sich aus mehreren unter den Ingelheimer Papieren erhaltenen Briefen, u.a. vom 21. Februar 1924 (Buchenau an Adickes). Dies stand Adickes nach § 4 seines Vertrages mit der AdW zu. Mehrfach fallen bei Adickes (in Briefen und Publikationen) Formulierungen wie 'Zwangsarbeit' oder 'Martyrium', z.B: „Aber ich bin im Juni 59 Jahre alt geworden, und die deutsche Ausgabe meiner Kantbibliographie ist eben so wie die 2. Edition meiner Kritikausgabe dem Martyrium der Akademie-Ausgabe zum Opfer gefallen." (Durchschlag, Ingelheimer Papiere: Adickes an den Verlag de Gruyter vom 29. Oktober 1925). In ähnlichem Sinn äußerte sich auch Menzer, vgl. seinen Brief an Adickes vom 1. April 1925 (Ingelheimer Papiere).
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d.
Wiederaufnahme der Arbeiten am handschriftlichen Nachlaß und Adickes' Arbeiten nach 1923 - 2. Phase der Edition von Abtlg. III Der chronologisch trockenen Wiedergabe des faktischen Verlaufs der 2. Phase der Edition möchte ich eine knappe Beschreibung der Arbeitstechnik vorausschicken. - Das von Adickes mit der Kommission der AdW vereinbarte Editionsverfahren (s. dazu unten Abschnitt D.f. setzte voraus, daß der Herausgeber vor Beginn der Drucklegung über das gesamte Material verfügen konnte. Die Neuordnung von Kants handschriftlichem Nachlaß mußte bereits durchgeführt sein, ehe an die drucktechnische Realisierung herangegangen werden konnte. Sämtliche, allerdings gemessen an dem insgesamt anzunehmenden Umfang, relativ wenigen unmittelbar auf die Ausgabe bezogenen Manuskripte von Adickes, die mir bisher zugänglich waren, 1 sind rein äußerlich betrachtet so gleichartig, daß ich sie als charakteristisch für die Arbeitstechnik insgesamt ansehe. Es handelt sich ausnahmslos um Abschnitte von der Breite eines großen Papierbogens, deren Länge vom Umfang des darauf geschriebenen Textes abhängt. Allem Anschein nach wurden während der ersten Phase der Edition zunächst komplette Abschriften (schwarze Tinte) von den nach Lage der Kantschen Aufzeichnungen als separat erscheinenden, einzelnen Reflexionen der Handexemplare angefertigt und diese im Text oder auf dem Rand mit editorischen Anmerkungen (rote Tinte) versehen. Sodann wurden die so entstandenen Abschriften auseinandergeschnitten und im Einklang mit den Prinzipien der Ausgabe neu geordnet und schließlich entweder erneut kohärent abgeschrieben (Abschriften der Abschriften: druckfertig machen) oder äußerlich so miteinander verbunden (zusammenkleben), daß sie als Druckvorlage dienen konnten. Der gedruckte Text wurde danach nochmals anhand des Autographen überprüft (Bogenkorrektur). Ein solches Verfahren konnte Adickes selbstverständlich nur bei denjenigen Autographen anwenden, die er ständig verfügbar hatte. Es galt die Regel, daß er über die Preußische AdW und/oder die Universitätsbibliothek Tübingen die Mss entlieh und in seinem Hause benutzte. Von dieser Regel waren, so weit die Quellen reichen, der bereits von Dilthey und anderen edierte sogenannte Rostocker Kant-Nachlaß, das Autorexemplar der »Kritik der praktischen Vernunft« (Halle) und die in Privatbesitz befindlichen Mss ausgenommen, die Adickes sich je kurzfristig und nur auf kurze Zeit zu beschaffen suchte. 2 Bei den Losen Blättern wird dieses Verfahren nur dadurch ein wenig modifiziert worden sein, daß Adickes die vorliegenden Abdrucke anderer (Reicke, u.a.) heranzog und korrigierte. 3 Er konnte demnach zu Beginn der zweiten Phase der Edition auf weit fortgeschrittene eigene Vorarbeiten zurückgreifen. Die Ausgabe hätte also innerhalb weniger Jahre zum Abschluß gebracht werden können. 1
Dies sind die im Adickes-Nachlaß des Archivs der Berliner A d W enthaltenen Unterlagen und ein Mikrofilm von Dep. 3a der A d W zu Göttingen in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen; näheres dazu im Abschnitt D.
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Dies geht z. B. hervor aus Adickes Briefen an Joseph Sattler v o m 28. Juni und 17. Juli 1912, beiliegend SBPK, Autogr. 1/1364.
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Haering 1910, 6: „[...], für Nr. 11 stand mir eine nach dem Original von Herrn Professor Adickes gefertigte Korrektur des Reickeschen Abdrucks zur Verfügung; [...]."
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Teil II
Diese, meine letzte These steht in Konkurrenz zu Aussagen von Zeitgenossen und der Tatsache, daß 1926 und 1928 nur noch die beiden Bände zur Metaphysik erschienen sind. Paul Menzer konzediert zwar, daß „zur Entschuldigung und Erklärung dieser Verzögerungen" auf die „Folgen des Krieges hingewiesen" werden muß: „Aber in den Jahren 1911-27 ließ Adickes 7 umfangreiche Werke1 erscheinen, die die Verzögerung doch stark beeinflussen mußten. Sie entsprangen der Bemühung von Adickes, die Arbeitsgebiete, die er in den Nachlaßschriften behandelte, in ihrem ganzen Umfang darzustellen, woraus sich eine starke Belastung durch umfangreiche Anmerkungen ergab." 2 Partiell damit übereinstimmend formuliert G. Lehmann: „Wie häufig im wissenschaftlichen Leben, erklärt sich auch hier die Länge der Arbeitszeit aus den neu eingeschalteten Schwierigkeiten: die Datierungen immer genauer anzugeben und Kants oft in wenigen, flüchtigen Worten bestehenden Texte immer genauer aufzufassen. Was Adickes hier geleistet hat, ist beispiellos und übersteigt die Kraft eines Einzelnen. Galt es doch, jedes Papierfetzchen zu identifizieren, zu entziffern und zu kommentieren. Wir geben hier nur an, daß Adickes nicht weniger als 33 Phasen der Kantischen Handschrift aufstellte: nach Tinte, Duktus, Stellungsindizien usw. In einem Abschlußbande sollte die Richtigkeit dieser Einteilungen durch zahlreiche Handschriftproben bewiesen werden; dazu ist es nicht gekommen, und er hat das Geheimnis seiner Methode mit ins Grab genommen." 3 Zeitgleiche Aussagen von Adickes widerlegen jedoch die Auffassung, daß er trotz 32jähriger Arbeit nicht fertig geworden wäre und erklären die nach 1925 eingetretenen Verzögerungen der Drucklegung. Die wirtschaftlich und politisch schwierige Lage in den ersten vier Jahren nach Beendigung des Ersten Weltkrieges brachte es mit sich, daß die unmittelbar auf Publikation gerichteten Arbeiten an der Edition bis etwa 1923 ruhten. - Aus den Akten der KK ergibt sich nämlich, daß einerseits der Verlag bis zum Abschluß der Arbeiten an der zweiten Auflage der Abtlg. II »Briefwechsel« nicht daran dachte, die Abtlg. III wieder in Angriff zu nehmen, 4 und andererseits Adickes „sehr viel" daran lag, „die Edition des Kantischen handschriftlichen Nachlasses möglichst bald fertig" zu haben. Gleichwohl wollte Adickes erst die Druckvorlage zu seinem Buch über »Kant als Naturforscher« fertigstellen, ehe er weiteres Manuskript zur Edition an den Verleger aushändigte. 5 In einem Brief vom 10. Januar 1922 gab Paul 1 2 3
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Gemeint scheinen die Ziffern 9-15 meiner Adickes-Bibliographie; vgl. Stark 1984b, 365-6. Menzer 1957-58, 345. Lehmann 1969, 7f. - Weiter unten werde ich zeigen, daß Adickes Methode nichts Geheimnisvolles an sich hat und daß ausgehend von den Ergebnissen gegenwärtiger »Nachforschungen« auch heute die Neuordnung des handschriftlichen Nachlasses von Kant im ursprünglich von der AA-Kant intendierten Sinn durchführbar ist: Der Rückgang auf die Quellen der Edition ist zu erheblichen Teilen möglich. Ferner kann der Nachlaß in sämtlichen, bekannt gewordenen Teilen jetzt als erschlossen angesehen werden. - Vgl. dagegen Hinske 1991,243-245. So mein Eindruck auf der Grundlage der Schreiben des Verlages an Adickes oder die AdW bis ins Jahr 1922. Vgl. Adickes Schreiben an die KK vom 28.12. 1921 (Akten der KK, II-VIII, 158, fol. 93). Die Absendung des Manuskriptes zu seinem Buch erfolgte kurz vor dem 22. März 1924, vgl. Buchenaus Brief dieses Datums an Adickes, Ingelheimer Papiere.
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Menzer Carl Friedrich Stumpf (1848-1936), dem interimistischen Vorsitzendender KK, zu bedenken: „Adickes müsste energisch gemahnt werden. Die Ausgabe bleibt nach ihrer wichtigsten Absicht unvollständig, wenn er nicht sie zu Ende führt - Kein anderer kann seine Manuskripte verwerten. Es wäre zu erwägen, ob man ihm nicht einen Hilfsarbeiter zur Seite stellt."1 Adickes wandte sich im Interesse an einer baldigen Beendigung seiner editorischen Arbeiten in diesem Sinne an die Kantkommission und stellte seinerseits am 26. Dezember 1923 die Fortführung der Arbeiten am Nachlaß für das Sommersemester 1923 in Aussicht. 2 In Maiers Antwortschreiben heißt es: „2) Die Kommission hat sich entschlossen, den Gesamtumfang der Nachlaßpublikation auf 8 Bände festzusetzen. Angesichts der schwierigen finanziellen Lage, in der sich die Akademie gegenwärtig befindet und noch lange befinden wird, ist ihr der Entschluß freilich schwer gefallen. Eine Überschreitung des nunmehr festgesetzten Umfangs würde sie darum auch überhaupt ablehnen müssen. Die Voraussetzung freilich, unter der sie sich zu dieser Festsetzung verstanden hat, ist, daß die Publikation künftig rasch voranschreitet, derart, daß in jedem Jahr mindestens ein Band erscheinen wird. Sie begrüßt es darum, daß Sie entschlossen sind, vom Beginn des Sommersemesters ab die Arbeit wieder aufzunehmen. Zum 200. Geburtstag Kants jedenfalls sollte die Akademie nicht mit leeren Händen dastehen. 3) Die Kommission ist damit einverstanden, daß Sie sich in der Person des Herrn Dr Keller eine Hilfskraft zugesellen, und ist bereit, die Leistungen des Herrn Dr Keller angemessen zu honorieren."3 Die Identifikation dieses nicht genauer bezeichneten Keller ist nicht allzu schwierig. Es muß sich um den in »Kürschners Gelehrtenkalender« geführten Prof. Erich Keller (1894-198?) gehandelt haben. Denn: 1 ) Unter den von Erich Adickes für die Kant-Ausgabe hinterlassenen Papieren befinden sich auch Abschriften von Kant-Autographen, die von unbekannter Hand angefertigt und von Adickes durchgesehen und korrigiert worden sind: eine ganze Reihe der vielen kleinen Abschnitte des Adickes-Nachlaß des Archivs der Berliner AdW; einige Blätter der in der Göttinger StUB als Dep. 3a der AdW verwahrten Transkription der Kantischen Aufzeichnungen im Handexemplar der »Beobachtungen« von 1764.4 Obwohl Adickes in den erhaltenen Briefen der Jahre 1923-1928 die Person des Abschreibers nicht namentlich nennt, (In seinem unten S. 127f. zitierten Brief vom 8. 11.1925 spricht er nur von einem „Repetenten, der schon mit den Vorarbeiten [zu Bd. XX] begonnen hatte", der die Sache aber aufgeben mußte, weil er in den Schul-
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Akten der KK, II-VIII, 158, fol. 100. Vielleicht hatte Menzer über Erdmann von Adickes aufschiebenden Briefen an die KK (25. 12. 1918 und 24. 12. 1919; beide in den Akten der KK, II-VIII, 158) erfahren. Der Brief von Erich Adickes ist nicht erhalten; die Tatsache ist jedoch gesichert durch den gleich zitierten Brief Maiers vom 28. Februar 1923. Handschriftlicher Brief Maiers in den Ingelheimer Papieren: bzw. Akten der KK, II-VIII, 158, fol. 216. Vgl. dazu auch Rischmüller (Hg) 1991 ; S. XVIII-XX.
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Teil II
dienst ging, um heiraten zu können.) kann der von H. Maier genannte Dr. Keller nur mit einem Erich Keller identifiziert werden. Es ist klar, daß dieser in der näheren, universitären Umgebung von Adickes gesucht werden muß. 2) Konsultiert man das »Verzeichnis der deutschen Hochschulschriften« für die hier allein in Frage kommende Zeitspanne, dann stößt man unter „Tübingen" rasch auf die Dissertation eines Erich Keller. Dieser wurde am 8. 11. 1923 mit einer von Adickes betreuten Arbeit über »Das religiöse Erleben bei Schopenhauer« promoviert. Ein maschinenschriftliches Exemplar der Tübinger UB zeigt den Vermerk „29/11 23. Ges. Adickes" und in der „Vita" schrieb Keller: „Meinen sämtlichen Lehrern bin ich zu Dank verpflichtet, besonders Herrn Prof. Adickes, der mich auf das Thema meiner Dissertation hingewiesen und bei der Ausarbeitung freundlichst unterstützt hat." 1 Mit ziemlicher Sicherheit ist Keller 2 also 1923 (evtl. auch noch kurz 1924) - in bescheidenem Umfang - bei den Vorbereitungen zu Band XX beteiligt gewesen. Die nächste, informativere Nachricht stammt aus dem Sommer 1924. In einem Entwurf zu einem Brief an Heinrich Maier von Ende Juli oder Anfang August 1924 schreibt Adickes über den Stand seiner Vorbereitungen: „Ich habe die Arbeiten soweit gefördert, daß die nächsten 4 Bände [= XVII-XX alter Zählung] ohne Unterbrechung werden erscheinen können. Aber lieber verbrenne ich das ganze Ms, als daß ich mich ausnutzen lasse." 3
Tatsächlich wurde der Druck von Bd. XVII, der 1915 bei Bogen 15 unterbrochen worden war, erst nach den bereits erwähnten Verhandlungen mit Verlag und KK erst im Frühjahr 1924 wieder aufgenommen. Die am 28. April 1924 in Berlin zwischen Akademie, Verlag und Adickes in persönlichem Gespräch getroffene Vereinbarung 4 sah vor, das druckfertige Ms von Bd. XX am 1. 10. 1925 und dasjenige von Bd. XIX im Oktober 1926 an den Verlag zu übersenden. Adickes hatte seinerseits die Ablieferung von weiteren Mss für die Kantausgabe an verschiedene Bedingungen geknüpft. Zum einen war seine weitere Arbeit für die Akademie davon abhängig, daß sie seinem Wunsch auf Erhöhung des 1896 vertraglich vereinbarten Honorars in angemessener Weise entgegenkam. Zum anderen sollte Bd. XX von einer anderen Person 5 unter seiner Aufsicht fertiggestellt werden und schließlich konnte das Ms zu Band XIX sinnvollerweise erst nach Abschluß der einschlägigen Dissertation eines weiteren Tübinger Studenten 6 für den Druck aufbereitet werden.
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Mir lag vor das Exemplar der Philos. Fak. der Universität Tübingen (Um 2334). Die „Vita" beseitigt auch jeden weiteren Zweifel, denn Keller gibt (S. 228) an, 1920 die erste theologische Staatsprüfung abgelegt zu haben, bis Herbst 1921 im Kirchendienst gestanden und seitdem Repetent am Stift zu sein. Ein im Januar 1983 unternommener Versuch mit Erich Keller Kontakt aufzunehmen, führte nicht zum Ziel. Die Formulierungen sind den Marginalien auf dem Brief von Maier an Adickes vom 29. 7. 1924 entnommen. Diese stellen zwei verschiedene Entwürfe zu einer Antwort dar; für welchen von beiden Adickes sich entschieden hat, läßt sich nicht ausmachen. (Ingelheimer Papiere) Vgl. dazu oben S. 106. Nämlich Erich Keller; vgl. weiter unten den auszugsweise mitgeteilten Brief von Erich Adickes an den Verlag vom 8. 11. 1925. Erstmals erwähnt wird das Projekt einer Dissertation über die Vorlesungsnachschriften zur Moralphiloso-
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Die eine, formale Bedingung wurde durch die Verdoppelung des Gesamthonorars von Seiten der Akademie nach heftigen Auseinandersetzungen 1 im Februar 1925 erfüllt. Dementsprechend übersandte Adickes im März desselben Jahres die druckfertigen Mss für AA-Kant XVII und XVIII. 2 Das Einholen der beiden anderen, inhaltlichen Voraussetzungen wurde dagegen durch sachliche Hemmnisse hinausgeschoben. Am 8. 11. 1925 schreibt Adickes hierzu an den Verlag: „Sie fragen in Ihrem Brief vom 4/11 nach dem Ms. von Bd. 20. Und sie schreiben: 'Nach der Abmachung sollte ja das Ms. des 20. Bandes am 1/10 25 abgeliefert werden, das Ms des 19. Bandes im Okt. 26.' Von einem Sollen war aber bei der Abmachung keine Rede. In dem mir uebersandten Protokoll der Sitzung vom 28/4 24 ist mit Recht nur die Rede davon, dass ich diese Termine in Aussicht nehme. Mehr konnte ich gar nicht sagen, da die Ausfuehrung ja, wie ich auseinandersetzte, gar nicht vor mir allein abhing. Sondern einmal von meinem Doktoranden, der die Kollegnachschriften von Kants Moralphilosophie bearbeitet und die Arbeit noch immer nicht vollendet hat, obwohl er sehr fleissig dabei ist in aller seiner freien Zeit (er ist Repetent am evangel. Stift). Sie ersehen daraus, eine wie schwierige, zeitraubende Arbeit es ist. Bevor die Arbeit zu endgueltigen Resultaten gekommen ist, kann ich mit der endgueltigen Fertigstellung der Ms. fuer Bd. 19 nicht beginnen. Der Doktorand ist jetzt dem Abschluss nahe. Leider aber schickt der Fuerst zu Dohna-Schlobitten eine in seinem Besitz befindliche Moralnachschrift 3 nicht. Die Sache spielt schon mindestens ein Jahr, nein 1 1/2 ! Neulich kam eine Sendung, aber ein Metaphysikheft statt des Moralheftes. Ich habe sofort reklamirt, aber es wird wohl wieder 1/2 Jahr anstehn, bis auch nur Antwort kommt. Und die Dissertation wuerde unvollstaendig sein, wenn das Heft nicht mit bearbeitet wuerde, so viel hat die Arbeit des Repetenten jetzt schon ergeben, dass fuer meine Zwecke die ganze Angelegenheit bedeutend einfacher liegt, als ich frueher annahm. Darauf gruendete ich meine Hoffnung, die ich Ihnen gegenueber aussprach, dass Bd. 19 sich gleich an Bd. 18 werde anschliessen koennen. Was Bd. 20 betrifft, so hoffte ich bei der Sitzung vom 28/4 noch, dass die Arbeit von einem Andern unter meiner Aufsicht gemacht werden koenne. Aber der in Aussicht genommene Repetent [d.i. Erich Keller], der schon mit den Vorarbeiten begonnen hatte, ging in den Schuldienst, um heiraten zu koennen, und musste deshalb die Sache aufgeben, da er natuerlich unter meiner steten
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phie zwar erst im Brief von Adickes an den Verlag vom 8. 11. 1925 (Ingelheimer Papiere); der Kontext legt jedoch nahe, daß die Arbeiten spätestens im Frühjahr 1924 begonnen wurden. Diese Datierung wird durch zwei der in den Tübinger Akten enthaltenen Leihscheine für Nachschriften zur Moralphilosophie gestützt: 16. 5. 1924 & 28. 6. 1924. - Bei dieser von Erich Adickes betreuten Arbeit handelt es sich um: Wilhelm Krauß; »Untersuchungen zu Kants moralphilosophischen Vorlesungen« (Diss, masch.; Tübingen 1926/32). Vgl. besonders Adickes Brief an den Verlag de Gruyter vom 13. November 1924 (Durchschlag: Ingelheimer Papiere). Laut Brief des Verlages vom 30. 3. 1925: „Eingegangen sind die Manuskriptnummern 4273 bis 6455. Das Manuskript ist lückenlos, es fehlt nichts." (Ingelheimer Papiere) In Krauß Arbeit (vgl. meinen Hinweis in: Stark 1984a, 348) findet sich keine Spur einer Benutzung eines von Dohnaschen Heftes über Moral. Es ist mir nicht gelungen, diese Nachschrift aufzufinden, nach Auskunft der sogenannten »Menzer-Liste« aus dem Jahr 1912, die sich in den Akten der KK (II-VIII, 155, fol. 282) befindet, besaß der genannte Graf Dohna die folgenden Nachschriften: 1) Anthropologie bey Kant nach Baumgarten 1790. 125 Seiten. 2) Logik nach einer Vorlesung des HE. Profess. Kant Koenigsberg 1791, umgearbeitet Berlin 1795. 3) Erster Theil der Moral. Von den Pflichten gegen sich selbst. 2. Theil der Moral von den Pflichten gegen unsere Nebenmenschen. 101 Seiten. 4) Collegium der Metaphysik bey Kant nach der Nachschrift des Herrn Prorektor Nicolai. 2 Bde. 136 und 458 Seiten // Finis 29.März 1776. - Zum Schicksal dieses Teils der von Dohnaschen Sammlungen vgl. Dohna 1989.
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Teil II Aufsicht haette arbeiten muessen. Einen Andern, dem ich die Arbeit mit gutem Gewissen haette uebertragen koennen, habe ich bisher nicht gefunden. Der Doktorand-Repetent, an den ich auch gedacht hatte, kann nicht mehr in Frage kommen, da er nach Absolvierung seiner D.-Arbeit nicht mehr lange genug am Stift bleiben wird. So werde ich auch die Arbeit an Bd. 20 allein machen muessen. Die Folge davon ist, dass ich sie erst dann angreifen werde, wenn Bd. 19 in Druck ist. Denn die laufenden Nummern der Reflexionen von Bd. 20 koennen ja doch erst eingesetzt werden, wenn das Ms. von Bd. 19 fertig ist." 1
Bei der sachlich und persönlich engen Koppelung von Adickes und Krauß verwundert es nicht, daß Krauß die vorläufigen Abschriften derjenigen Kantischen Aufzeichnungen, deren Abdruck f ü r Bd. XIX vorgesehen war, einsehen konnte. In der Einleitung (S. 2) seiner »Untersuchungen zu Kants moralphilosophischen Vorlesungen« heißt es nämlich: „[...] überlies [!] mir Herr Professor Adickes gütigst die von ihm abgeschriebenen u. zeitl. geordneten ' R e f l e x i o n e n ' Kants aus dessen Handexemplar von Baumgartens 'Initia', [...]"· 2 Adickes wird also seine Abschrift spätestens Sommer 1926 beendet haben. Der Verleger konnte seinerseits den avisierten Zeitplan nicht einhalten. Der Druck von Bd. XVII wurde etwa termingerecht im November 1925 beendet. Die unmittelbar danach beginnende Drucklegung von Bd. XVIII, dessen Abschluß zunächst 3 für Juli 1926 erwartet worden war, verzögerte sich jedoch erheblich, u.a. weil Akademie und Verlag mehrere Monate vergeblich nach einem Bearbeiter des in Bd. XVIII mit abzudruckenden Kompendiums von Eberhards »Vorbereitung« Ausschau hielten. 4 A m 25. 9. 1926 erkundigte Adickes sich beim Verlag über den Fortgang des Druckes: „Ich bitte mir nun mitzuteilen, ob der Verlag bereit ist, mit dem Druck regelmaessig fortzufahren (bei einer Auflagenhoehe von 1200 Ex.), und wie viele Bogen ich in der Woche an Korrektur erwarten kann. Die Dissertation ueber die Moralnachschriften von Kant ist jetzt in meinen Haenden und ist, soweit ich bisher gesehen habe, gut ausgefallen. Ich bin also imstande, das Ms. von Bd. 19 so zu foerdern, dass der Druck von Bd. 19 sofort nach Abschluss von Bd. 18 beginnen kann, woran sich dann Bd. 20 und 21 gleich anschliessen koennen, also ganz in der Weise, wie es der Verlag 1924 so dringend wuenschte. Habe ich dagegen keine Garantie, dass der Druck von Bd. 18 regelmaessig fortschreitet, dann gehe ich an andere Aufgaben heran, da man mir nicht zumuten kann, dass ich ein Ms. herstelle, von dem ich gar nicht weiss, wann es in Druck kommen kann. Ich bin jetzt 60 Jahre alt geworden, und es ist leicht moeglich, dass ich ueber kurz oder lang abgerufen werde. Es waere deshalb im Interesse der Kantausgabe und der Wissenschaft, wenn der Verlag sich zu einer schnellen Foerderung des Drucks verpflichten wuerde." 5 1 2 3
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Br.-Durchschlag erhalten unter den Ingelheimer Papieren. Für Einzelheiten vgl. Krauß 1926/32, 77. Mit Schreiben vom 17. 12. 1925 teilte der Verlag mit: „Sie fragen noch in Ihrem Briefe, wieviel Bogen des Bandes 18 in der Woche gesetzt werden würden. Bis jetzt hat die Druckerei etwa einen Bogen geleistet, wir hoffen aber, dass sie vom Beginn des neuen Jahres an 2 bis 3 Bogen in der Woche schaffen wird und das tun kann, wenn die Korrekturen mit diesem Tempo Schritt halten. Wir würden dann um die Mitte des Jahres den Band fertig haben, so dass also etwa im Juli der Satz von Band 19 begonnen werden könnte." (Ingelheimer Papiere) Vgl. das Schreiben Buchenaus an Adickes vom 31. März 1926; Ingelheimer Papiere. Br.-Durchschlag unter den Ingelheimer Papieren.
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Das Vorwort zu AA-Kant X V I I I konnte Adickes allerdings erst am 1. 10. 1927 unterzeichnen. Die Verzögerung des Druckes von X V I I I und dessen Folgen (Hinausschieben der weiteren Bde.) kann nicht ursächlich auf Adickes zurückgeführt werden. Dieser Interpretation der Daten steht auch nicht entgegen, daß Adickes zwischenzeitlich eine Arbeit über die Vaihingersche Philosophie des Als-ob und deren Verhältnis zur Kantschen Philosophie 1 begonnen hat. In der Einleitung zu seiner Schrift »Kant und die Als-Ob-Philosophie« schreibt er: „So mußte die Arbeit am vorliegenden Buch, die schon 1921 begann, wiederholt hinter dringenderen Aufgaben zurücktreten und mehrfach auf längere Zeit unterbrochen werden. Erst seit April 1925 konnte ich mich ihr im Zusammenhang widmen und komme so erst jetzt dazu, mein 1920 gegebenes Versprechen einzulösen."2 Adickes hat die Arbeit an dieser Schrift (das Vorwort datiert vom 19.09.1927) also erst wieder aufgenommen, nachdem er die druckfertigen Mss für die Bände AA-Kant X V I I und X V I I I abgesandt hatte. 3 Die in den Ingelheimer Papieren enthaltene Korrespondenz belegt ferner, daß deren Mss zwischen Oktober 1925 und Mai 1926 abgeschlossen worden sind. 4 Erst im Frühjahr/Sommer 1927 scheint Adickes mit Beginn seiner Erkrankung die Fortführung eigener Arbeiten an Kants handschriftlichem Nachlaß eingestellt zu haben. Er verfaßte jedoch noch einen Beitrag zur Biographie 5 seines verstorbenen Bruders Franz Adickes (1846-1915) - des früheren Frankfurter Oberbürgermeisters (18911912) und Namengebers der heutigen Adickes-Allee
in Frankfurt/M. - und begann mit
der Einarbeitung seines Nachfolgers als Herausgeber der Abtlg. III der Kant-Ausgabe. Am 8. Juli 1928 ist Erich Adickes im Alter von 62 Jahren gestorben. Eine auf seinen Vorarbeiten basierende, der ursprünglichen Konzeption verpflichtete, vollständige Edition des handschriftlichen Nachlasses von Kant steht bis heute aus.
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Adickes 1927.
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Adickes 1927, 2.
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Vgl. oben S. 127.
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In seinem Brief vom 2 9 . 1 0 . 1 9 2 5 an de Gruyter bemerkte Adickes, daß er „eben am Abschluss einer Schrift ueber das Als-ob bei Kant stehe." - Mit Schreiben vom 18. 5. 1 9 2 6 bestätigte der Verlag Ernst Reinhardt (München) den Erhalt des Ms. Die Schrift wurde später bei Fr. Frommann (Stuttgart) gedruckt. (Ingelheimer Papiere)
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Adickes 1929b.
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D. Das wissenschaftliche Vermächtnis von Erich Adickes Die im Schlußsatz des vorigen Abschnittes enthaltene Beurteilung der Sachlage werde ich im folgenden begründen, ohne damit eine Entscheidung über die Brauchbarkeit und Zulänglichkeit dieser Konzeption selber verbinden zu wollen. Gemäß der Zielrichtung gegenwärtiger »Nachforschungen« gilt es zunächst die Beschlußlage und den Stand der Realisierung festzustellen. Eine möglichst genaue Kenntnis beider Aspekte ist unverzichtbare Voraussetzung für weitere Schlüsse. e. Informationen über den wissenschaftlichen Nachlaß von Erich Adickes. Obwohl, wie aus dem vorstehenden historischen Abriß ersichtlich, Adickes mehrfach entschlossen war, von seiner vertraglichen Verpflichtung, den handschriftlichen Nachlaß von Kant herauszugeben, zurückzutreten, hat er den Rahmen seiner Möglichkeiten voll ausgeschöpft, um zu gewährleisten, „dass kein Zweiter [die Arbeit] noch einmal und besser zu machen genötigt sei". 1 In zweifacher Hinsicht: a) Mit Schreiben vom 7. 4. 1928 teilt Adickes dem Vorsitzenden der KK mit, daß seine schon längere Zeit andauernde Erkrankung nicht wie bisher angenommen „rheumatische Arthritis, sondern Krebs an Wirbelsäule und Becken ist, der in ziemlich raschem Fortschreiten begriffen zu sein scheint. Ich werde also die Kantausgabe auf keinen Fall zu Ende führen können, bin aber bereit, ihr meine letzten Kräfte zu widmen, falls die Akademie mir eine Hilfskraft stellt." 2 Als seinen Nachfolger schlägt er zunächst Herrn Dr. Helmut Groos - den Schüler eines befreundeten Tübinger Kollegen 3 vor. Nachdem Heinrich Maier mit Schreiben vom 5. 5. 1928 sein Einverständnis erklärt, teilt Adickes am 12. 5. mit, daß Dr. Friedrich Berger seine Nachfolge übernehmen werde, 4 und „seit gestern schon in voller Tätigkeit" ist. Die Kommission stimmt
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Adickes 1913,4. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 117. Helmut Groos wurde im Juli 1927 mit einer Arbeit über: »Der deutsche Idealismus und das Christentum« (München: E. Reinhardt 1927) promoviert. Jahre später gab er eine Aufsatzsammlung seines akademischen Lehrers, Karl Groos heraus: »Seele, Welt und Gott.« (Stuttgart 1952). In einer Fußnote zu seiner Einleitung teilt er mit: „Es ist vielleicht angebracht zu bemerken, daß der Verfaßer ein Schüler des Dargestellten, jedoch nicht mit ihm verwandt ist." - Gelegentlich seiner Charakterisierung von Karl Groos kommt er auch kurz auf Erich Adickes zu sprechen: „Neben den reichen Anlagen des Temperaments, Charakters und Geistes, der wirtschaftlichen Unabhängigkeit, der erfolgreichen akademischen Laufbahn wird man diese Art des Arbeitens zu den besonders glücklichen Umständen seines Schicksals rechnen dürfen. Er war darin recht eigentlich der vollständige Gegensatz zu seinem Tübinger Kollegen und Freund Erich Adickes, dem Kantforscher. Dieser, auch nicht ohne eigene philosophische Pläne, aber durch äussere Umstände an die Herausgabe des handschriftlichen Kantnachlasses geraten, ging mit unendlicher Akribie und beispiellosem Fleiß in der wenig dankbaren Bearbeitung der Stoffmassen und daran anschließenden Untersuchungen im wesentlichen auf. Groos dagegen wandte sich, wie gesagt, immer neuen Aufgaben zu, die ihn anzogen, ohne sich dabei zu übernehmen." (S. 7f.)
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Beide Briefe: Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 118 bzw. 125. - Über die Gründe, die zu diesem Wechsel in personeller Hinsicht geführt haben, kann nach den mir zugänglichen Quellen keine Aussage getroffen werden. - Friedrich Berger wurde im März 1928 mit einer Arbeit über: »Die transzendentalen Grundlagen der
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am 24. Mai zu. In den wenigen ihm noch bis zu seinem Tod (8. Juli) verbleibenden Monaten macht Adickes seinen designierten Nachfolger - und nicht G. Lehmann 1 mit Methode und Technik der Edition so vertraut, daß dieser im Sommer 1929 ein, die Vorarbeiten von Adickes verwendendes, druckfertiges Ms an den Verlag liefern kann. Aus Gründen, auf die ich weiter unten eingehen werde, kann Friedrich Berger das Vorwort des Anschlußbandes XIX allerdings erst am 8. November 1933 unterzeichnen. Ab Sommer 1934 stellt er im Zusammenhang mit der Übernahme einer Professur in Braunschweig seine Arbeiten am Nachlaß ein. b) Adickes hinterläßt umfängliche Vorarbeiten für die noch ausstehenden Bände der Abtlg. III der AA-Kant und die damit verbundenen projektierten Schriften. Über den Charakter dieses wissenschaftlichen Nachlasses von Adickes und dessen Schicksal habe ich ausgehend von den vagen Andeutungen in den Vorworten von Friedrich Berger zu Bd. XIX und G. Lehmann zu Bd. XX folgende Erkenntnisse gewinnen können. Provenienz Im Juli 1928 werden die seit mehreren Jahren im Hause von Erich Adickes verwahrten Kant-Autographen in der sog. 'Kantkiste' der UB Tübingen übergeben. Dort führt Friedrich Berger die Arbeiten unter Heranziehung der von Franz Adickes, dem Sohn von Erich Adickes, zur Verfügung gestellten Unterlagen fort. Nach seinem Ausscheiden, Sommer 1934, übersendet Berger sämtliche Kantischen Materialien in der von Adickes vorgenommenen Neuordnung an die Preußische AdW zusammen mit den Unterlagen von Erich Adickes, die von den Erben auf Wunsch des Vorsitzenden der KK zur Verfügung gestellt wurden. 2 Die Überlieferung der heute erhaltenen Unterlagen ist nicht ganz aufzuklären. In den 30er Jahren befanden sie sich zeitweilig im Besitz - nicht nur in Benutzung - von G. Lehmann. 3 Seit 1945 gilt ein Teil des Nachlasses von Erich Adickes aufgrund einer Mitteilung von G. Lehmann (AA-Kant XXIII 506) als verschollen. Andere Teile dieser Unterlagen befinden sich heute im Zentralen Archiv der Berliner AdW (Adickes-
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Wahrnehmung«, in Tübingen promoviert. - Es ist mir zwar gelungen, Nachfahren von Friedrich Berger ausfindig zu machen; da diese meine Anfrage vom 30. April 1982 wegen eines evtl. erhaltenen Nachlasses mit Materialien aus der Zeit 1928-1934 unbeantwortet ließen, ist diese Frage offen. Die Aussage von G. Lehmann: „Erich Adickes, 1928 verstorben, verdanke ich noch persönliche Anweisungen für die Textbehandlung des op. post." (Lehmann 1980, 274 Anm. 10) findet keinerlei Stütze in von mir durchgesehenen Primärquellen. Eher das genaue Gegenteil ist anzunehmen, denn die Bemerkung von Franz Adickes in seinem Brief an Spranger vom 23. März 1933: „[...] und Betreuung der Ausgabe durch sich vordrängende nach dem Urteil meines Vaters ganz ungeeigneter Persönlichkeiten [...]" (Durchschlag Ingelheimer Papiere) kann nur auf G. Lehmann zielen. Vgl. dazu hier S. 154. Im Schreiben vom 19.04.1934, Spranger an Franz Adickes heißt es: „Falls ein neuer Bearbeiter [Für den Fall, daß Berger die Edition wegen der Übernahme einer Professur in Braunschweig nicht fortführen kann oder will.] gesucht werden muß, wäre es wohl am zweckmäßigsten, wenn Sie die Güte hätten, die auf die noch fehlenden Bände bezüglichen Mss. Ihres Herrn Vaters an die Akademie nach Berlin zu senden." - Ingelheimer Papiere. Vgl. dazu unten S. 167 das Zitat aus dem Brief von Spranger an Lehmann vom 27.12. 1935.
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Nachlaß) und in der Niedersächsischen StUB (Deposita der AdW zu Göttingen). Letztere wurden im Juli 1967 von G. Lehmann dort abgegeben, erstere sind in den 40er Jahren über Friedrich Behrend (1878-1939), dem Archivar und Bibliothekar der Deutschen Kommission der AdW an das damalige Berliner 'Literatur-Archiv' gelangt. Auf welchem Weg Behrend in den Besitz dieser Unterlagen gekommen ist, konnte leider ebensowenig ermittelt werden, wie der genaue Umfang und Inhalt der von ihm abgegebenen Materialien. 1 Die weitere Öffentlichkeit ist auf derartige Papiere erstmals 1971 hingewiesen worden. Im dritten Teil des Verzeichnisse »Gelehrten- und Schriftstellernachlässe in den Bibliotheken der Deutschen Demokratischen Republik« wird man über das Register verwiesen auf die Bestände des Zentralen Archivs der AdW der DDR: 'Nachlaß Erich Adickes'. Wie es scheint, 2 ist die mögliche Existenz solcher Unterlagen zuvor bzw. bis zum Beginn meiner Recherchen nur von zwei Personen erwogen worden. Am 31. Dezember 1951 schreibt Paul Menzer an G. Lehmann: „Eine Frage möchte ich wegen einiger loser Blätter aus dem Besitz Reickes an Sie richten. Ich wurde damals nach Königsberg geschickt, da R. sich weigerte sie der Akademie auszuliefern. Es gelang mir schliesslich ihn zu überreden und es wurden dann Abschriften hergestellt. Ein Exemplar derselben erhielt Adickes. Wo ist dessen Nachlass geblieben? Hat die Akademie ihn erhalten? Ein Sohn von A. ist ja wohl Dozent in Tübingen." 3
Im Zusammenhang mit der geplanten Fortführung der Kant-Ausgabe durch die AdW zu Göttingen und den Arbeiten am 'allgemeinen Kantindex' nimmt Gottfried Martin (1901-1972) mit Franz Adickes Kontakt auf, um - wie er am 5.6. 1962 schreibt - „auch diejenigen Ergebnisse der großen Kantkenner verwerten zu können, die noch nicht gedruckt sind." 4 Veranlaßt durch eine unvollständige, von G. Lehmann angefertigte Abschrift eines Verzeichnisses des Inhalts der früheren 'Kantkiste' wird Martin zu einer irrigen Annahme verleitet: „Sehr verehrter Herr Kollege, wir haben soeben das Verzeichnis der 'Kantkiste' in die Hand bekommen. Es ist eine Kiste mit Material, das von Ihrem Herrn Vater der Preußischen Akademie der Wissenschaften zurückgegeben worden ist. Wie das Verzeichnis zeigt, waren in der Kiste ausschließlich Bücher und Manuskripte von Kant. Sie dürften zu einem nicht kleinen Teil das persönliche Eigentum Ihres Herrn Vaters gewesen sein. Die Kiste befand sich bei Kriegsende im Berliner Gebäude der Akademie. Da einige
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Für die mir in diesem und anderen Punkten freundlicherweise über Jahre hin gegebene Unterstützung möchte ich Frau Speigner und den Herren Dr. Klauß und Dr. Knobloch (Zentrales Archiv der Akademie der Wissenschaften [der DDR]) herzlich danken.
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Der Hinweis in einer Edition des Briefwechsels von Rudolf Haym (1821-1901), daß ein Nachlaß von Erich Adickes bei „Dr. Franz Adickes" in Tübingen zu finden sei, blieb unbeachtet; vgl. Haym 1930, 375. Br. erhalten im 'Nachlaß G. Lehmann' der SBPK: Kasten 4. Ingelheimer Papiere.
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Blätter aus dieser Kiste völlig verschmutzt später wieder aufgefunden worden sind, dürfte die Kiste im Ganzen der Vernichtung anheim gefallen sein. In der Kiste befand sich nicht der wissenschaftliche Nachlaß Ihres Herrn Vaters. Stets Ihr sehr ergebner Martin."1 Die im 'Nachlaß G. Lehmann' der SBPK erhaltene Korrespondenz mit Gottfried Martin zeigt nun aber, daß G. Lehmann nämlich bloß eine Abschrift eines Verzeichnisses der Kantkiste mit Schreiben vom 22. 6. 1962 überschickt hatte: „Ich habe Ihnen das gewünschte Inhaltsverzeichnis herausgesucht und abschreiben lassen. Es ist nicht von Adickes selbst, sondern von mir (in Bleistift) geschrieben. Die Signaturen der einzelnen losen Blätter habe ich nicht mit abschreiben lassen, aber sie sind alle da." 2 Demzufolge war Martin durch das von G. Lehmann übermittelte Verzeichnis des Jahres 1962 nur mangelhaft über die von Erich Adickes hinterlassenen Unterlagen informiert. Weil Franz Adickes sich seinerseits nach beinahe 30 Jahren nur ungenau an den Nachlaß seines Vaters erinnerte, 3 konnte Martin weiter nur annehmen, „daß Ihr Herr Vater entweder kein Material kartiert hatte oder daß dieses Material nicht mehr existiert". 4 Infolgedessen hat er von weiteren Nachforschungen Abstand genommen. Von Herrn D. Adickes, einem Sohn von Franz Adickes, konnte ich Anfang 1982 nur noch in Erfahrung bringen, daß er von Kontakten seines Vaters wegen eines Nachlasses seines Großvaters keine Kenntnis habe. Der unmittelbar beteiligte Gerhard Lehmann läßt erstmals 1967 öffentlich, allerdings nur vage, erkennen, daß er über den Verbleib des Nachlasses von Erich Adickes informiert ist: „Wie unlängst festgestellt werden konnte, hat Adickes zwar einige Materialien für seinen geplanten Schlußband hinterlassen,5 aber längst nicht das, was ihm zu seiner Rechtfertigung vorschwebte."6 Leider hat Lehmann hier darauf verzichtet, öffentlich den genauen Zeitpunkt dieser 'Feststellung' anzugeben und - wenigstens im Groben - über Umfang und Beschaf 1
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So Martin an Franz Adickes am 26.06.1962; Ingelheimer Papiere. - Anscheinend sind G. Lehmanns Angaben über Verbleib und Inhalt der 'Kantkiste' irreführend oder wenigstens mißverständlich gewesen. Unter Berufung auf eine briefliche Mitteilung G. Lehmanns schrieb nämlich auch Hans Dietrich Irmscher: „Diese Kiste befand sich 1945 in den Räumen der Berliner Akademie. Der größte Teil ihres Inhaltes ist seitdem verschollen." Irmscher 1964, 11. Es ist ungeklärt, auf welches Verzeichnis sich Lehmann 1962 stützte, denn das von mir in den Akten der KK benutzte Exemplar des Berliner Verzeichnisses ist von G. Lehmann eigenhändig mit Tinte geschrieben. Ob er sich 1962 auf eigene ältere (von 1934 datierende?) Blei-Notizen bezogen hat? Im unter den Ingelheimer Papieren erhaltenen Brief-Durchschlag vom 4. 7. 1962 schreibt Franz Adickes an G. Martin: „In der 'Kantkiste' der Preuß-Akademie d. W. waren nur die meinem Vater für die Herausgabe überlassenen Sachen. Eigentum meines Vaters kann nicht darunter gewesen sein, glaube ich." Br. vom 14. 7. 1962; Ingelheimer Papiere. Dazu die Anm. von G. L.: „Sie befinden sich zur Zeit im Literatur-Archiv der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin." Zitiert nach Lehmann 1969, 37f.; vgl. AA-Kant XXVIII 1352, 1369 Fn. 129 und den Nachweis auf S. 138 dieses Teils II.
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fenheit der Materialien zu informieren. Während sich das Datum leicht etwas näher bestimmen läßt mit Hilfe des auf den 28. 5. 1966 datierten Durchschlags eines Briefs von Lehmann an Klaus Reich, 1 erfordern die sachlichen Angaben Lehmanns weitere Ausführungen. Art und Umfang Wegen der seit 1934 eingetretenen Zersplitterung und Verminderung des zur Verwendung durch die Akademie bestimmten Nachlasses von Erich Adickes kann hier keine detaillierte Beschreibung gegeben werden. Die Quellen erlauben jedoch eine angenäherte Charakterisierung. Zunächst muß der Umstand erwähnt werden, daß die Unterlagen von Erich Adickes, der sich erst im November 1924 eine Schreibmaschine kaufte, 2 hauptsächlich von Hand abgefaßt sind; daß folglich in der 1934 nach Berlin übersandten Kantkiste wenigstens zweierlei Typen von 'Handschriften' bzw. 'Manuskripten' enthalten waren: Kant-Autographen und Adickes-Papiere, wie ich abkürzend 3 sagen möchte. Bei den im folgenden wiedergegebenen Briefstellen muß also jeweils aus dem Kontext ermittelt werden, von welchem Typus die Rede ist. Vom Gesamt-Inhalt der Kantkiste sind 1934 zwei unterschiedlich strukturierte Verzeichnisse angefertigt worden. Obwohl keines der beiden in den Akten der KK erhaltenen Verzeichnisse ein Datum trägt, können sie durch die Daten der begleitenden Korrespondenz einwandfrei datiert 4 werden: Das erste ist Anfang August vor Absendung der Kiste vom Tübinger Bibliothekar Dr. Zoepf und Friedrich Berger in der UB Tübingen aufgestellt worden; das zweite stammt von G. Lehmann nach Eingang der Kiste bei der Preußischen Akademie in Berlin. - Im folgenden spreche ich kurz je vom 'Tübinger' bzw. 'Berliner' Verzeichnis. Im Begleitschreiben der UB-Tübingen vom 8. August 1934 heißt es: „[1] Im unteren Teil der Kiste liegt der Handschriftliche Nachlass, der auf weitere Bearbeitung wartet. Das Verzeichnis über diesen Nachlass, der vor Absendung von Prof. Berger und Bibliothekar Dr. Zoepf nachgeprüft wurde, wird im Laufe des September der Akademie zugehen. - [2] Beigelegt sind dem Nachlass 2 Pakete Schriftstücke und Manuskripte von Prof. Berger. - [3] Ueber dem Nachlass liegen verpackt 7 Bände bezw. 1
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SBPK, NL-Lehmann, Kasten 7. Es heißt dort: „Als ich zuletzt in Ostberlin war, überreichte man mir im Literaturarchiv feierlichst ein großes Paket, darin 3 Konvolute Adickes' Vorarbeiten zur Entwicklungsgeschichte Kants [...]." Der Durchschlag des Briefes von Adickes an den Verlag de Gruyter vom 13. November 1924 enthält die Bemerkung: „Und bei alledem hab ich mir gerade jetzt - nicht zum wenigsten, um Ihnen die Korrespondenz mit mir bequemer zu gestalten - eine Schreibmaschine angeschafft! !" (Ingelheimer Papiere) Wie oben schon angegeben, findet sich in den 'Adickes-Papieren' außer der Hand von Erich Adickes die Hand von Erich Keller; hinzu kommen an wenigen Stellen Notizen von Friedrich Berger und auf einigen Umschlägen die Hand von Franz Adickes. - Außer Kant-Autographen befanden sich eine ganze Reihe von 'Nach'schriften Kantischer Vorlesungen in der 'Kantkiste', die heute zu einem Teil im Archiv der Berliner AdW erhalten sind; auf diese Vorlagen gehen einige der von G. Lehmann ab 1966 publizierten Texte der Abtlg. IV der AA-Kant 'Vorlesungen' zurück. Näheres dazu im folgenden passim.
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Pappumschläge mit Inhalt, die Prof. Adickes allein benutzt hat. Sie sind soweit feststellbar, Eigentum der Universitätsbibliothek Dorpat, der Preussischen Akademie der Wissenschaften, der Familie Kehrbach." 1 Diese durch vorgesetzte Ziffern hervorgehobene Dreiteilung 2 ist zu verstehen als: 1. bislang in der AA-Kant nicht edierte Kant-Autographen, 2. zwei von Friedrich Berger übergebene Pakete, 3. bereits von Erich Adickes herausgegebene Autographen Kants oder benutzte Vorlesungsnachschriften. Mit Schreiben vom 11.8. 1934 teilt Berger aus Tübingen dem Vorsitzenden der Kantkommission weitere Einzelheiten mit. „[...] Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen wie den verantwortlichen Bibliothekstellen in diesem Zusammenhang einen Rat gebe: [1] Der untere Teil des Inhalts der Kantkiste, den ich seither in Benützung hatte, zeigt vom bibliothekarischen Standpunkt aus eine gewaltige Unordnung. Diese lässt sich so lange nicht beheben, als der handschriftliche Nachlass noch nicht vollständig bearbeitet ist. Es sind nämlich die losen Blätter der Convolute Α-M alle auseinandergenommen und nach zeitlichen und sachlichen Gesichtspunkten geordnet. Es ist also ratsam, sofern man sich Arbeit von Wochen und Monaten ersparen will, die einzelnen losen Blätter in der seitherigen Unordnung peinlich zu belassen. Die Signierung der einzelnen Kantoriginale ist leider zum grossen Teil sehr mangelhaft, und ich weiss nicht, ob sich Ihre zuständigen Bibliothekare ohne weiteres leicht durchfinden. Im Notfall stehe ich gerne zur Verfügung. [2] In zwei Paketen finden sich dann die Schriftstücke und Manuscripte für die noch ausstehenden Bände zusammengeordnet. Dabei werden Sie die 'Schriftstücke' [A] des einen Pakets kaum benötigen, da sie mehr für den noch ursprünglich vorgesehenen Band zur Beschreibung der Manuscripte bestimmt waren. Es sind viele Notizen und vorläufige Bemerkungen von Adickes noch dabei, die ich nicht wegwerfen wollte. Vielleicht kann das eine oder andere Blatt Ihnen einige Dienste leisten bei der Einarbeitung in die einzelnen Schriftphasen. [B] In dem grösseren Paket sind die 'Manuscripte für Band XX (Vorarbeiten und Nachträge ...)' enthalten. Bis auf einige wenige Stellen, auf die da und dort hingewiesen ist, liegt in diesen Blättern der Inhalt dieses Bandes in Abschrift vor, und die Hauptarbeit besteht nunmehr darin, diese vorläufigen Abschriften bzw. Abdrucke mit den Originalen zu vergleichen und für den Druck zu bearbeiten. In etwa druckfertig ist der Inhalt der Convolute 'Vorarbeiten aus den 50-iger und 90-iger Jahren ...' und 'Beobachtungen ...' Beim letzteren sind ca. 20 einzelne Stellen noch nicht definitiv erledigt. Diese sind eindeutig gekennzeichnet und für sich in einem Convolute. Einige Kantoriginale sind noch anzufordern (vgl. Nr. 9 u. 14. der Inhaltsangabe des Bandes XX). Die Prinzipien der Bearbeitung und die Einteilung der Schriftphasen wie auch die Anordnung des Materials des noch ausstehenden Bandes sind aus der Einleitung in die Abteilung 'Handschriftlicher Nachlass' der Kantausgabe, in Bd. XIV, eindeutig zu ersehen. Im übrigen bietet die Datierung bei diesem Band wenig Schwierigkeiten, da die 1 2
Br. erhalten in den Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 247 und den Tübinger Akten. Diese Gliederung bestimmte auch die Überlieferung bzw. Verlagerung in 1944/45. Nur aus der Ziffer 1 wurden Unterlagen nach Greifswald verbracht, vgl. dazu unten S. 213.
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Teil II Erscheinungsjahre der Hauptwerke ja bekannt und so auch die Zeitpunkte der Vorarbeiten und Nachträge relativ leicht bestimmbar sind. Zur Einarbeitung in die verschiedenen Schriftphasen empfiehlt sich insbesondere das Handexemplar Kants zur Metaphysik, das von Adickes schon publiziert ist. Ich hoffe, dass die bereits fertig gestellten Manuscripte einigermassen verständlich sind - dass sie weder schön noch leicht leserlich sind, weiss ich nur allzu gut, und ich habe mich lange besonnen, ob eine übersichtliche Abschrift nicht notwendig wäre. Leider verbleibt mir vorerst die Zeit nicht dazu. Alles, was über die diplomatische Abschrift der Kanttexte hinausgeht, ist mit roter Tinte geschrieben. Auf beiliegendem Blatt möchte ich Ihnen noch eine vorläufige Inhaltsübersicht von Bd VII des handschriftlichen Nachlasses, wie sie mir Adickes kurz vor seinem Tode andeutungsweise mitgeteilt hat, mit einigen Hinweisen zukommen lassen." 1
Beide Briefe dokumentieren, daß Berger 1934 zwei Pakete, die man als 'Nachlaß Erich Adickes' bezeichnen könnte, der Preußischen AdW übergeben hat. Ferner läßt sich bisher sagen, daß dieser 'Nachlaß' formal in zwei Teile zerfallen ist; A Notizen für die geplante Beschreibung der Kantischen Autographen und die damit verbundenen Erläuterungen zur der Datierung der Reflexionen; Β Abschriften von Kant-Autographen, die zur Edition in Bd. VII der Abt. III vorgesehen waren, mit zugehörigen in roter Tinte geschriebenen editorischen Anmerkungen. Über diese formale Gliederung hinaus führen fünf weitere Details, die zugleich den Inhalt des Paketes Β auch quantitativ ziemlich exakt beschreiben: -
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Die schon zitierte Stelle des Briefes von Berger an Eduard Spranger (1882-1963) vom 11.8. 1934 belegt, daß Adickes die Blätter des Königsberger Kantnachlasses (Konvolute Α - M) für die Edition neu geordnet hat. Die ebenfalls aus diesem Brief schon zitierte Stelle, zeigt, daß der Inhalt des VII Bandes der Abtlg. III (abgesehen von wenigen Ausnahmen) in Abschrift vorliegt; wobei Berger zudem zwischen vorläufigen 'Abschriften bzw. Abdrucken' und 'in etwa druckfertigen' Manuskripten unterscheidet. In seinem Brief vom 2.5. 1934 hatte Berger schon mitgeteilt, daß der Band ca. 8001000 Seiten umfassen werde „und etwa ein Sechstel desselben auch schon druckfertig gemacht" sei. 2 Sechs Jahre zuvor hatte Adickes - in seinem schon herangezogenen Brief vom 7. 4. 1928 - dem damaligen Vorsitzenden Heinrich Maier mitgeteilt: „Das Ms zu Band 7, das schon fast ganz vorliegt (in Abschrift oder Druck von Reicke usw.), soll Groos unter meiner Leitung druckfertig machen." 3 Akten der KK, II-VIII, 162 (nicht foliiert, Handakte Spranger; e c k i g e Klammern und Hervorhebungen: W. St.). Zum Inhalt des „beiliegenden Blattes" s. unten Abschnitt E. k. Akten der KK, II-VIII, 162 (Handakte Spranger). Im Schreiben v o m 24. 4. 1934, Franz A d i c k e s an Spranger, heißt es damit übereinstimmend: „Was die beiden letzten Bände betrifft, s o sind die ganzen Vorarbeiten schon mit den Kantmanuskripten usw. in den Händen von Dr. Berger." - Ingelheimer Papiere. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 117. Vgl. die Wendung im Schreiben an de Gruyter v o m 29. Oktober 1925: „(Bd. 7 macht keine Schwierigkeiten, da sein Inhalt groesstenteils schon von Reicke abgedruckt ist.)" - Ingelheimer Papiere.
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Adickes Vermächtnis -
Auf Seite 9-10 des Berliner Verzeichnisses
ist zu lesen:
„V. Paket mit Aufschrift: Manuskript für Band XX. (in einzelnen Kuverts). 1. Vorarbeiten zum Gemeinspruch 1793 Preisfrage über die Fortschritte Religion i. d. Grenzen. 2. Kleinere Vorarbeiten und Nachträge zu: Prolegomena; Ulrich, Eleutheriologie, Über Kästners Abhandlungen, Versuch einer Theodizee; Ende aller Dinge, Einfluss des Mondes, Vornehmer Ton, Verkündigung eines nahen Abschlusses. 3. Vorarbeiten zur Rechtslehre und Metaphysik der Sitten. 4. Vorarbeiten zum Streit der Fakultäten und Ewigem Frieden 5. 1 Kuvert mit Aufschrift: Nicht-Eingerichtetes Darin: Brief von Menzer und Abschrift eines LB1. Hagen 6. Kants Bemerkungen zu seinen Beobachtungen 7. Nachträge zu Mathematik, Physik, Geographie. 8. Zu den Vorarbeiten aus den 50ger, 90ger Jahren und Lose Blätter fertig. trägt Vermerk: nahezu druckfertig bis auf Einordnung. Darin: Vorarbeiten zu einer geplanten Schrift über die Figur der Erde. Zu: 'Über eine Entdeckung ...' Entwurf zu der Vorrede zur Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels, etc. 9. Nachträge zu den 'Beobachtungen'; nahezu druckfertig. VI. Paket: 'Schriftstücke, die nicht zur Publikation kommen' Darin Abschriften von L. Blättern und Notizen von Adickes." 1 Alle genannten Umstände und der Aufbau des Berliner Verzeichnisses sprechen dafür, die Lehmannsche Ziffer ' V mit Paket Β und Ziffer 'VI' mit Paket A zu identifizieren. Mehrere dieser Adickes-Papiere des Paketes Β hat G. Lehmann 1942 bei seiner Ausgabe von Band VII der Abt. III ausdrücklich herangezogen: Die Erläuterungen zu den »Bemerkungen zu den Beobachtungen [...]« gehen zu einem großen Teil, wie an dem verwendeten Sigel 'Ad.' erkennbar, 2 auf diese Vorarbeiten von Adickes zurück. Nur diese befinden sich heute als Dep. 3a der AdW in der StUB Göttingen', sie wurden dort 1967 von G. Lehmann abgegeben. 3 Diese 'Adickes-Transkription' von Kants hand-
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Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 256. (Hervorhebung von V. und VI.; W.St) - Eben diese neun Ziffern kehren wieder unter Römisch I der Aufstellung Lehmanns für Spranger vom 31. Dez. 1934 vgl. dazu unten S. 172.
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Vgl. AA-Kant XX; S. VII & 491 -7. In einem Begleitschreiben von Lehmann (26. 8. 1967) heißt es - den vorgeführten Zeugnissen zum Trotz: „Die von Adickes hergestellte Abschrift, die er mir seinerzeit, d.h. noch vor seinem Tode (1928), für eine spätere Benutzung hatte zugehen lassen, ist von großem Werte nicht nur für die Kenntnis von Adickes' Arbeitsweise, sondern auch für die Kontrolle des Abdruckes in Β. XX. Sie ist niemals durch die Akademie gegangen." - Die Entdeckung von Abweichungen zwischen der Adickes Transkription und dem Lehmannschen Editionstext in Band XX haben mit dazu beigetragen, ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft in den Jahren 1983-84 gefördertes Projekt „Kants Handexemplar seiner »Beobachtungen«" zu initiieren. Die daraus hervorgegangene Arbeit von Marie Rischmüller „Kants Bemerkungen in den »Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen«" ist 1991 als Bd. III der »Kant-Forschungen« erschienen.
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schriftlichen Aufzeichnungen in seinem Handexemplar der »Beobachtungen« von 1764 besteht aus vielen kleinen Papierabschnitten, die vereinzelt durch kleine Klebestreifen miteinander verbunden sind. Bei den mit schwarzer Tinte geschriebenen Texten handelt es sich um Abschriften der Aufzeichnungen Kants. Ein Teil ist von Adickes Hand; den anderen Teil, der von Erich Keller geschrieben worden ist, hat Adickes durchgesehen und korrigiert. Rote Tinte ist für sachliche Erläuterungen und Notizen zu Transkription und Datierung benutzt worden. Zum weitaus überwiegenden Teil sind die mit rot geschriebenen Teile von der Hand von Adickes; gelegentlich tritt die Hand von Friedrich Berger hinzu. - Auch bei der Entzifferung des L. Bl. D 14 hat Lehmann von der entsprechenden Adickes-Transkription Gebrauch gemacht. 1 Der Inhalt des Paketes A ist nicht so präzise faßbar. Über die oben wiedergebenen Andeutungen von Berger in seinem Brief vom 11.8. 1934 hinaus führt der in dem schon benutzten Brief vom 7. 4. 1928 von Adickes selber gemachte Vorschlag, daß sein Nachfolger „die Beschreibung der Mss im Schlussband [...] dann [d. h. nach seinem eigenen, erwarteten Tod] wahrscheinlich selbständig, aber nur auf Grund von Besprechungen mit mir, machen müsse[n]." 2 Adickes nahm also an, daß eine von ihm mit seinen Methoden vertraut gemachte Person in der Lage wäre, die Beschreibung der Mss in seinem Sinne durchzuführen und so die Ausgabe des Nachlaß mit einheitlichen Konzept abzuschließen. Der heute 3 in 10 Unterlagen gegliederte 'Adickes-Nachlaß' des Archivs der Berliner AdW enthält nun - bei drei Ausnahmen 4 - ca. 430 Bll. unterschiedlichen Formats mit Erläuterungen unterschiedlichster Art zu einzelnen Blättern der Kantischen Handschriften. Die Mehrzahl besteht aus kleinen Abschnitten von ca. 2-3 cm Länge in der Breite eines um die Jahrhundertwende üblichen Schreibpapierbogens. Hinzu kommt eine ganze Reihe von Briefen an Erich Adickes (u.a. von Paul Menzer, Paul Natorp, Rudolf Reicke und Arthur Warda). 5 Welchen genauen Text-Umfang die Materialien haben, ist ohne vorhergehende vollständige Entzifferung und Abschrift kaum abzuschätzen. Adickes' für den eigenen Gebrauch bestimmte Aufzeichnungen sind häufig nur mit erheblichem zeitlichen Aufwand zu lesen. Die Schrift ist sehr kompreß und gelegentlich mit einigen stenographischen Sigeln durchsetzt. - Ein Beispiel aus den 'Ingelheimer Papieren' kann dies ver-
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Vgl. AA-Kant XX 335, 35. Vgl. oben S. 130. Wie aus den zur Unterteilung verwendeten Schreibpapierbogen zu schließen ist, wurde diese Gliederung erst nach 1945 - vermutlich Mitte der 1960er Jahre - vorgenommen. Bei U 4 und U 10 handelt es sich um von Paul Menzer angefertigte Abschriften von Herders Nachschriften Kantischer Vorlesungen über Physische Geographie und Metaphysik; s.a. (AA-Kant XXVIII 1355 Fn. 79). U 7 ist ein anonymes Ms des 18. Jhds. von 10 Bll. fol. Umfang, betitelt: 'Ueber den allgemeinen ersten Grundsatz der Philosophie', das ursprünglich zum II. Dorpater Briefband gehörte. Verschiedene Stücke der Korrespondenz von Erich Adickes werden sowohl im Tübinger als auch im Berliner Verzeichnis aufgeführt.
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deutlichen: Adickes benutzte zur Niederschrift eines Briefentwurfes (an H. Diels vom 10. 2. 1919) die leere Rückseite einer internen Mitteilung der Universität Tübingen vom 13. 1. 1919. Der handschriftliche Entwurf füllt die Fläche von 21 x 16,5 cm nicht ganz aus. Die Transkription hat einen Umfang von zwei DIN-A-4-Seiten Maschinenschrift mit 10 Zeilen pro Zoll, bei einem Abstand von 1 1/2 Zeilen. Bereits eine erste (Juli/August 1982) unter Zeitdruck durchgeführte Sichtung zeigte mir, daß durch den Adickes-Nachlaß des Archivs der Berliner A d W wertvolle Vorarbeiten für einen Schlußband der Abtlg. III bereitgestellt werden. Es finden sich nicht nur Informationen (Abschrift und Erläuterung) von derzeit verschollenen Kant-Autographen darunter, sondern auch Angaben zur Provenienz der Losen Blätter und Hinweise zur Methodik der Edition. Auf einigen der kleinen Abschnitte ist z.B. das Stichwort 'Apparat' 1 zu lesen; die jeweiligen Texte sind bislang nicht in der AkademieAusgabe enthalten. Sie sind - soweit von mir später durchgesehen 2 - inhaltlich ohne Bedeutung, bieten vielfach aber mit der Erwähnung von Zeitereignissen äußerliche und also sichere Anhaltspunkte zur Datierung der übrigen Texte. Bei den Ingelheimer Papieren handelt es sich zum geringen Teil um rein persönliche Stücke, die im Einvernehmen mit der Familie in Ingelheim verblieben sind; ferner um eine erhebliche Anzahl von broschierten, unaufgeschnittenen Exemplaren einzelner Bände der AA-Kant (Adickes Belegexemplare); mehrere Exemplare von Adickes' eigenen Arbeiten, darunter einige mit Marginalien von Adickes' Hand; die Nachschrift der Vorlesungen über physische Geographie, die Adickes von einem befreundeten Kollegen 3 als Geschenk erhalten hatte; Lose Blätter mit Notizen unterschiedlichster Art; mehrere hundert Stücke der Korrespondenz (hauptsächlich mit Verlagen und der Preußischen AdW) und schließlich wenige Briefe von und an Franz Adickes. Einige Indizien belegen zudem, daß sämtliche auf die Kant-Ausgabe bezüglichen Vorarbeiten von Erich Adickes 1934 der Preußischen AdW übergeben worden sind. Im Februar 1935 wendet sich Eduard Spranger wegen der Klärung des Verbleibs von Nachschriften zu Kants physischer Geographie an Franz Adickes, der am 24. Februar 1935 antwortet: „Auf Ihre Anfrage vom 22.2. 35 kann ich Ihnen nur wiederholen, was ich auch der hiesigen Bibliothek auf dieselbe Frage geantwortet habe. Wenn die Kolleghefte nicht mehr in der eisernen Kiste waren, die mein Vater für alle Kantsachen hatte, dann ist es ausgeschlossen, dass er sie nicht schon vorher zurückgegeben hat. Denn gewissenhafter in solchen Dingen als er war, kann man schlechterdings nicht sein. [...] Was jetzt noch von Vaters Nachlaß da ist, sind nur die gedruckten Werke, Briefe und die Manuskripte der Vorlesungen, die sich natürlich nicht wohl mit kantischen verwechseln lassen, da sie durch Format und Handschrift charakterisiert sind." 4 1 2 3 4
Eine hinreichend detaillierte Aufarbeitung dieser Unterlagen war mir bislang nicht möglich. Überwiegend nach Xerokopien im Marburger Kant-Archiv, z.T. auch anhand der Originale in Berlin. Vermutlich der Tübinger Philosoph Heinrich Spitta (1849-1929), vgl. Adickes 1 9 1 3 , 3 & 11. Br.-Durchschlag erhalten unter den Ingelheimer Papieren.
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In „U 9 " des Adickes-Nachlasses des Archivs der Berliner A d W befindet sich ein Briefumschlag von etwa DIN A 5 Größe. Er trägt in der Handschrift von Franz Adickes die Aufschrift: „Zur Ausgabe [?] v. 8. Aug. 29 beim Auslesen d. schriftlichen Nachlasses". In ähnlich beschaffenen Briefumschlägen befand sich 1982, ζ. T. nach Adressaten geordnet, ein erheblicher Teil der in den Ingelheimer Papieren erhaltenen Korrespondenz von Erich Adickes. Franz Adickes hat demnach den Nachlaß seines verstorbenen Vaters - vielleicht im Zusammenwirken mit Friedrich Berger - in den Jahren 1928-29 einer kritischen Sichtung unterzogen und im Sinne seines Vaters handelnd alles brauchbare Material der Edition zur Verfügung gestellt. Berücksichtigt man ferner die vorsichtige Behandlung der 'Adickes-Papiere' durch Berger (s. oben S. 135f. Brief vom 11. 8. 1934), dann rechtfertigen die von Erich Adickes getroffenen Vorkehrungen für den Fall des erwarteten Todes voll und ganz seinen Satz, „dass kein zweiter (die Arbeit) noch einmal und besser zu machen genötigt (gewesen) sei". 1 f. Skizze der leitenden Grundsätze der Edition des handschriftlichen Nachlasses. Durch die Informationen über den wissenschaftlichen Nachlaß von Erich Adickes ist meine obige Behauptung erst zur Hälfte eingelöst. Die Skizzierung der leitenden Grundsätze für Bearbeitung und Edition des handschriftlichen Nachlasses liefert den noch fehlenden Maßstab zur Beurteilung der nach dem Tod von Erich Adickes erschienenen Bände. Nach mehrjährigen Recherchen und Vorstudien 2 hatte Wilhelm Dilthey den Plan zu einer in vier Abteilungen (Werke, Briefwechsel, handschriftlicher Nachlaß und Vorlesungen) gegliederten Gesamtausgabe entworfen, „welche die ganze geistige Hinterlassenschaft" (AA-Kant I; S. VIII) des Königsberger Philosophen enthalten sollte. Der dritten Abteilung wurde die Aufgabe zugewiesen, „alle noch erhaltenen wissenschaftlichen Aufzeichnungen Kants, von den flüchtigsten Notizen bis zu größeren Arbeiten von erheblichem Werthe" (AA-Kant I; S. XII) zu veröffentlichen. Von einer Auswahl wurde wegen der Besorgnis, daß diese der „Subjectivität" „alle Pforten geö f f n e t " hätte (AA-Kant XIV; S. XXV; vgl. I; S. XIII), Abstand genommen. Da Kants Nachlaß - soweit überhaupt erhalten - über mehrere Orte verstreut war, sollten die Handschriften nicht nach ihrer Provenienz geordnet abgedruckt werden, „sondern unter sachlich bestimmten Rubriken, innerhalb deren dann thunlichst eine wenigstens relative chronologische Bestimmung von Gruppen von einzelnen Aufzeichnungen und eine entsprechende Abfolge hergestellt wird." (AA-Kant I; S. XIII; vgl. AA-Kant XIV; S. XXVf.). Die Ausgabe sollte die Handschriften nicht bloß durch Druck verviel1 2
Vgl. oben S. 130. Vgl. Dilthey »Archive der Literatur in ihrer Bedeutung für das Studium der Geschichte der Philosophie« in: AGP 2/1889/343-67; zu Kant: S. 356-61; wiederabgedruckt in: Dilthey GS IV. - Zu einigen Details s. a. Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul Yorck von Wartenburg. 1877-1897, hg. von Sigrid v. d. Schulenburg (Halle/S. 1923); Register s.v. Kant. - Vgl. dazu genauer hier S. 75.
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fältigen, sondern die Texte in eine sachliche und chronologische Ordnung bringen. Mit dieser Erschließung sollte ein methodisch gesicherter Zugriff auf das gesamte heterogene und verschiedenartige Material ermöglicht werden. Die damit verbundene Abkehr vom archivarischen Prinzip 'Einheit der Provenienz' bedingte, um die in der Ausgabe vorgelegten Ergebnisse nachprüfbar zu halten, „Hülfsmittel", damit das „so getrennte gleichsam in seine ursprüngliche Ordnung" zurückversetzt werden konnte (AA-Kant I; S. XIII). Damit wurde - meines Wissens erstmals - das Prinzip der wissenschaftlich fundierten Neuordnung eines Nachlasses eingeführt. 1 Dem verantwortlichen Herausgeber der entsprechenden Abteilung fiel deswegen auch die Aufgabe zu, die durchgeführte Anordnung im Detail zu begründen. Unter der leitenden Idee, die Entwicklung der Kantischen Lehren zu dokumentieren, wurden zunächst diejenigen Materialien ausgesondert, die als „Vorarbeiten und Nachträge" der von Kant „veröffentlichten oder projectirten Werke und Aufsätze" (AAKant XIV; S. XXVI) zu identifizieren waren. Diese Abtrennung hat Adickes nach vier Grundsätzen vorgenommen (Vgl. AA-Kant XIV; S. XXVI-XXVII). Die mit dieser Abtrennung geschaffene Zweigliedrigkeit der Abtlg. III läßt ihre vermittelnde Stellung zwischen den Abteilungen I »Werke« und IV »Vorlesungen« erkennen. „Der übrige [nicht unter »Vorarbeiten und Nachträgen« zu bringende] Stoff wurde in sieben grosse Gruppen geschieden: [1] Mathematik und Naturwissenschaft, [2] Physische Geographie, [3] Anthropologie, [4] Logik, [5] Metaphysik (einschließlich natürliche Theologie), [6] Moral- und Rechtsphilosophie (einschl. Politik), [7] Religionsphilosophie. Diese Reihenfolge der Disciplinen, die für die 3. und 4. Abtheilung gleichmässig sein musste, wurde von den Herausgebern beider Abteilungen [Adickes - Heinze/Menzer] und dem Leiter der Ausgabe [Dilthey] gemeinsam festgestellt." (AA-Kant XIV; S. XXVI).2 Der letzte Satz dieses Zitats weist, wie aus dem von G. Lehmann veröffentlichten Briefwechsel zwischen Adickes und Dilthey vom Winter 1904-05 hervorgeht, 3 auf eine nach längerer Diskussion getroffene Übereinkunft. Statt, wie Dilthey zunächst wollte, eine systematische Auffächerung der Philosophie gemäß den Vorstellungen des kritischen Kant zugrunde zu legen, wurde der Genesis des handschriftlichen Materials stärker Rechnung getragen. Die Reihenfolge der Disziplinen „musste" 4 deswegen für beide Abteilungen gleichmässig sein, weil es sich bei den Reflexionen „hauptsächlich um Vorbereitungen für Collegs handelt". 5 Die Charakterisierung der Hauptmasse der erhaltenen Papiere des Nachlasses (Kants eigenhändige Aufzeichnungen in den von
1 2 3 4 5
Vgl. Adickes 1897b, 234: „radikale Neuordnung nach chronologisch-sachlichen Gesichtspunkten." Zusätze in Klammern: W. St. Lehmann 1969, 12-26. Bedauerlicherweise ist bei der Bezifferung der von G. Lehmann 1966 ff. herausgegebenen Vorlesungsbände nicht an diese Planung angeknüpft worden; vgl. Lehmann 1980, 174. Adickes an Dilthey vom 21.2. 1904; in: Lehmann 1969, 18.
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ihm benutzten Kompendien) als „Colleghefte" (AA-Kant XIV; S. XXXVII) 1 bedingte die gleichförmige Anordnung der Abteilungen III und IV der Gesamtausgabe. So sollte eine enge Verzahnung zwischen ihnen erreicht werden. Mit Ausnahme der wenigen, einer Erläuterung besonders bedürftigen Reflexionen zu Mathematik, Physik und Chemie und Physischer Geographie, richtete sich die weitere Spezifikation teils nach den Kompendien (Logik: Meier Bd. XVI; Metaphysik und natürliche Theologie: Baumgarten und Eberhard Bd. XVII - XVIII; Moral: Baumgarten Bd. XIX; Recht: Achenwall Bd. XIX) oder für den einen Fall einer von Kant selbst herausgegebenen Vorlesung über Anthropologie nach deren Anordnung 2 (Kant Bd. XV). Da zudem zwischen unmittelbar auf den Text des jeweiligen Kompendiums bezogenen 'Erläuterungen' und selbständigen 'Reflexionen' unterschieden wurde, entstand folgende Systematik: Erläuterung, gemäß § des Kompendiums philosophische Disziplin Reflexion, gemäß § des Kompendiums In Bd. XVI Logik ist diese Differenz zwischen 'Erläuterungen' und 'Reflexionen' nicht so deutlich gemacht wie in den Bänden XV, XVII - XIX. Die Reflexionen mit Erläuterungscharakter sind jedoch jeweils dadurch kenntlich, daß vor der Angabe des jeweiligen Fundortes entweder 'Zu' oder 'Gegenüber' steht. Die an systematisch identische Örter gehörigen Erläuterungen oder Reflexionen wurden nach einem besonderen Verfahren datiert und chronologisch geordnet. 3 G. Lehmann fand in der „Frage nach der systematischen oder chronologischen Anordnung" eine „echte Schwierigkeit", da beide sich „fortwährend durchkreuzen". 4 Diese Ansicht erstaunt den unbefangenen Leser: Wie können zwei solch grundsätzlich verschiedene Ordnungen einander durchkreuzen? Als zwei Achsen bilden sie ein Koordinatensystem zum Zwecke einer historisch-systematischen Verortung. Die Reflexionen sind innerhalb dieser Disziplinen entweder primär systematisch (Bde. XV, XVI) oder primär chronologisch abgedruckt (Bde. XVII - XIX). Das Datierungsverfahren selbst sollte in einem Schlußband ausführlich dargestellt und auf seiner Grundlage die zeitliche Bestimmung der einzelnen Reflexionen jeweils gerechtfertigt werden. „Von jedem losen Blatt und jeder Compendienseite wird angegeben, welche Reflexionen sich auf ihnen befinden, wie sie örtlich zu einander stehen, welche sicheren oder wahrscheinlichen Stellungsindicien vorliegen betreffs der Reihenfolge, in der sie geschrieben wurden. Diese Seiten werden also ein reiches, ausserordentlich wichtiges Material für die chronologische Bestimmung der Reflexionen und Phasen enthalten: sie 1 2 3 4
Vgl. Adickes 191 lb, 34f. und (AA-Kant XIV; S. XXI). Vgl. hier S. 149 Anm. 2. Vgl. dazu die anschließende schematische Darstellung des Datierungsverfahrens. Lehmann 1969, 31.
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bieten streng objective Kriterien, gegen die kein Datirungsversuch Verstössen darf." (AA-Kant XIV; S. XLIV)' Diesen Plan, wodurch das von Dilthey in der 'Einleitung' (AA-Kant I; S. XIII) erwähnte „Hülfsmittel" zur Wiederherstellung der überkommenen, in der Ausgabe aufgegebenen, 'Einheit der Provenienz' bereitgestellt worden wäre, hat Erich Adickes, wie aus dem biographischen Abriß hervorgeht, aus bestimmten Gründen nicht ausführen können. In der „Einleitung in die Abtheilung des handschriftlichen Nachlasses" hat er jedoch auf 19 Seiten (AA-Kant XIV; S. XXVIII-XLVII) das Verfahren als solches präzise beschrieben; deshalb läßt sich die Methodik in einem Schema zusammenfassen. Schematische Darstellung des Datierungsverfahrens von Adickes für Abtlg. III (Bde. XIV-XIX) Lose Blätter a. historisch
Kompendien
fest datiert: v i e l e
fest datiert: w e n i g e
relativ datiert: w e n i g e
relativ datiert: v i e l e
Briefe
Briefe
Vorlesungszettel 4
Material zu Vorlesungen
äußere Terminierung 2 b. paläographisch Schichtentheorie c. handschriftl. B e f u n d 3 B e z u g zu Abtlg. II d. genetischer Ort B e z u g zu Abtlg. IV
(Kollegheftthese)
Resultat dieses Verfahrens ist die Unterscheidung von 33 sogenannten 'Schriftphasen', in die die jeweiligen Reflexionen und Aufzeichnungen mit differierender Präzision eingeordnet werden. Wobei man sich unter einer 'Schriftphase' nicht etwa ein für die betreffende Zeit charakteristisches Schriftbild5 vorzustellen hat, da - wie Otto Schöndörffer in seiner Besprechung von Bd. XIV und XV zutreffend formulierte 6 die von Adickes verwendeten kleinen Buchstaben des griechischen Alphabets als 1
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Adickes spricht von „Stellim^sindicien" und nicht, wie Lehmann paraphrasierend meint, von Stellenindizien, Lehmann 1980, 262. Basis der Adickes'schen Unterscheidung ist dabei, wie gleich deutlich werden wird, die relative Position eines bestimmten Textes: die „Schicht". Durch äußere Indizien: Literatur, Ereignisse. Papier, Wasserzeichen, Tinte. Zum Beispiel die Reflexionen mit den Nummern 0044-0045a, 1482-1524, 1628-1629, 5644, 6244. Die durch Gerhard Lehmann geprägte Wortmünze „'Ganzqualitäten' der Kantischen Handschrift" (AAKant XXII 779) ist - trotz (oder wegen) ihres metaphysischen Klanges - wertlos. Dies wird sofort erkennbar, wenn man sich die leichte Mühe macht, das eine oder andere Standardwerk der Paläographie zu frequentieren.
6
AM 53/1917/105; näheres im folgenden.
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„Sigel" für eine bestimmte Schicht oder Phase gelesen werden müssen. Die hohe Zahl von 33 Phasen für einen Zeitraum von knapp 50 Jahren ist auch nicht Ausdruck eines überzogenen Strebens nach Differenzierung, sondern - wie ein Blick auf den heute allerdings kaum noch vorhandenen ' Schriftphasenzettel M zeigt - Resultat einer zu der in der Paläontologie analogen Schichtentheorie. Seine Orientierung an einer auf Beobachtung und Beschreibung basierenden Disziplin hat Adickes nicht erst in der Einleitung zur Abtlg. III deutlich gemacht (AA-Kant XIV; S. XXXf.; vgl. S. XLV). Er hat diese Anlehnung schon öffentlich dokumentiert, ehe er die Kantischen Kompendien selber kennenlernte. In seinen »Kant-Studien« 2 wollte er den „innern Gründen", die er zuvor (1889) in seiner Ausgabe der »Kritik der reinen Vernunft« entwickelt hatte, „noch einen wichtigen äusseren zur Seite stellen": Das von Reicke edierte 'Lose Blatt Β 12', soll die Hypothese stützen, „dass die transscendentale Deduktion der Kategorien nicht eine einheitliche grossartige Konception sei, sondern eine 'mosaikartige Zusammenstellung und Verschlingung verschiedener Gedanken aus verschiedenen Zeiten'." 3 Gelegentlich der in seinen Ausführungen enthaltenen Kritik an den Thesen, die Emil Arnoldt 4 über die Entstehungs- und Abfassungszeit der »Kritik der reinen Vernunft« vertreten hatte, benutzt Adickes eine Terminologie, aus der sich seine spätere Verfahrensweise bei Untersuchung und Edition der Manuskripte entwickelt hat: „vulkanische Adern" sind später „als das Gestein, in dem sie liegen" - „Lagerungsverhältnisse der verschiedenen nachweisbaren Schichten". 5 Damit einstimmig spricht er später (1911) in der Einleitung zum ersten Band der Abteilung »Handschriftlicher Nachlaß« (AA-Kant XIV; S. XXXI & XLV) von „Leitfossilien" als Kennzeichen für die zeitliche Einordnung ganzer Schichten. Die Schichtentheorie ist also nichts anderes als die - bei Lehrbüchern beinahe zwingende - Annahme, daß Kant die Eintragungen in seine durchschossenen Handexemplare im Laufe mehrerer Jahrzehnte zu einem erheblichen Teil phasenweise vorgenommen habe; daß er eben das jeweilige Kompendium zur Vorbereitung auf seine Kollegs - innerhalb verschiedener, relativ eng begrenzbarer Zeitspannen - jeweils neu durchgearbeitet bzw. zur Materialsammlung benutzt hat. Eine Phase ist damit zunächst nur relativ, d. h. bezogen auf ihre Nachbarschichten, datiert. Verbunden mit den nach den bekannten historisch-philologischen Methoden (termini a quo - ad quem: Zeitereignisse) bestimmten, festen Datierungen „wurde das Netz immer engmaschiger" (AAKant XIV; S. XXXII), so daß zu absoluten Datumsangaben übergegangen werden konnte. Unterstützt und geprüft wurden die nach diesem Verfahren ermittelten Zeiten 1
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Auf diesem Zettel sind die von Adickes in AA-Kant XIV; S. XXXV-XLIII entwickelten 33 Schriftphasen so übersichtlich zusammengestellt, daß die Überlappungen der verschiedenen Phasen ins Auge springen. Ein Blick auf diesen Phasenzettel kann auch den Verdacht, daß Adickes eine überzogene Tendenz zur Differenzierung gehabt habe, rasch ausräumen. Adickes 1895. Adickes 1895, 173. Vgl. Emil Arnoldt GS Bde. IV und V. Adickes 1895, 183.
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durch Heranziehung von einschlägigen Vorlesungsnachschriften, 1 deren Texte zudem den Sinngehalt von manchen der telegrammartigen oder auf bloße Stichworte reduzierten Reflexionen erst erschlossen. Um einen leicht und sicher zu verwaltenden Zugriff auf das äußerst verschiedenartige Manuskriptmaterial zu ermöglichen, sollten die Aufzeichnungen durchlaufend numeriert werden (Vgl. AA-Kant XIV; S. LX). Damit setzte Adickes den zuvor (1882-84) schon von Erdmann in seinen Teilausgaben 2 eingeschlagenen Weg fort. Gegen beide Momente dieses Verfahrens (Auflösung der durch das Ms gegebenen als bloß äußerlich erachteten Einheit und Datierung der so gewonnen einzelnen Reflexionen) sind relativ früh kritische Einwände vorgebracht worden, die sich in der Kantforschung nach 1945 zu einem nur selten aktualisierten Komplex verdichtet haben. Gewöhnlich ist ein Benutzer den Datierungen und Anordnungen der AA-Kant weitgehend hilfslos ausgeliefert. Kaum jemand hat die der Edition zugrundeliegenden Mss gesehen; niemand ist durch längeres Studium in die Lage versetzt worden, sich selbst ein Urteil zu bilden. Deswegen strukturieren die Einwände der frühen Kritiker den latenten Hintergrund auch der heutigen Forschung. Sie beruhen jedoch, wie ich im folgenden zu zeigen versuche, auf grundsätzlichen Mißverständnissen. Der erste Einwand richtet sich gegen die Datierung der einzelnen Reflexionen. Otto Schöndörffer hat seine ausführlichen 'Bemerkungen zu Kants handschriftlichem Nachlaß', 3 die sich im Detail auf die Bde. XIV und XV erstrecken, mit einigen 'allgemeinen Bemerkungen' (S. 96-115) eingeleitet. Darin informiert er zunächst über die der Ausgabe zugrundeliegenden Materialien und vorausgegangenen Editionsversuche. Er akzeptiert das Abgehen vom archivarischen Prinzip: „In der Akademieausgabe ist der zufällige, durch den gleichen Ort (dasselbe Blatt, dieselbe Seite) gegebene Zusammenhang fallen gelassen, und statt dessen eine sachliche Anordnung gewählt. Das war kaum anders möglich und ist der Art der Herausgabe vorzuziehen, die Reicke wählte, die einzelnen losen Blätter im ganzen, unbekümmert um die Verschiedenartigkeit ihres Inhalts abzudrucken. Freilich bekommt man durch sie einen unmittelbaren Eindruck von dem vorliegenden Material, aber zum Gebrauch ist die Zusammenstellung der dem Inhalt nach zusammengehörenden Reflexionen weit vorzuziehen." (S. 98)
Mit dem Ausruf: „Aber man spanne seine Erwartungen auch nicht zu weit!" (S. 101) geht er zur Kritik über, die in erheblichen Zweifeln an dem von Adickes befolgten Datierungsverfahren kulminiert. Die klar strukturierten Überlegungen zeigen, daß sich seine Einwände primär gegen die von Adickes programmatisch formulierten Intentionen der Ausgabe richten. Er zerlegt den aus Adickes' Einleitung zitierten Satz: 1 2 3
Vgl. AA-Kant XIV; S. XXXIV f. und Adickes 1911b, 35f.; zum Fehlen solcher Verbindungen in AA-Kant XIX unten Abschnitt E. g. meine Ausführungen zur Bearbeitung des Bandes. Vgl. Erdmann (Hg) 1882 und 1884. Schöndörffer 1917a. Die im Text in runden Klammern angegebenen Seitenzahlen sind darauf zu beziehen.
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Teil II „Nur aus seiner Entwicklung heraus kann man Kants System begreifen; und dem werdenden wie dem fertigen Gedankenbau wird man verständnisslos gegen überstehn, solange man nicht das Geheimniss von Kants Individualität erfasst hat in ihrer ganzen Complicirtheit, mit ihren gegen einander strebenden Tendenzen, ihren Wünschen und Bedürfnissen, Denkmotiven und Denknotwendigkeiten. Alles das aber wird erst durch den Nachlass völlig erschlossen." (AA-Kant XIV; S. XXV; vgl. Schöndörffers Zitat S. 101 - abweichende Orthographie)
in drei Behauptungen, die, „wenn man sie wörtlich nimmt", als unhaltbar erwiesen werden sollen. Schöndörffer wendet sich gegen den Absolutheitsanspruch, der in den Worten von Adickes anklingt, und will aufgrund allgemeiner Erwägungen dem entwicklungsgeschichtlichen Ansatz und dem individualistischen Interpretationsverfahren nur je ein relatives Recht zugestehen (S. 102 „bleibt daneben bestehen"; S. 104 „Soweit, aber nur soweit, hat Adickes recht.") Die dritte Behauptung, daß der Nachlaß das Material bereitstelle, um die Individualität des Philosophen und die Entwicklung seines System zu begreifen, ist nach Schöndörffer von einer „gar heiklen Sache" (S. 105), nämlich der Datierung der Reflexionen abhängig. Die weiteren Ausführungen dazu (S. 105-111) zeigen nun, daß Schöndörffer das oben schematisch dargestellte Verfahren, relative und absolute Datierung zu einem Netz zu verknüpfen, nicht verstanden hat. Zur Kritik an den „äusseren Indizien" (S. 105-8), wozu er im wesentlichen „die Schrift und mit ihr die Farbe der Tinte" (S. 105) rechnet, wiederholt er entweder von Adickes bereits erörterte Bedenken oder beruft sich auf die abweichenden Datierungen des verstorbenen Rudolf Reicke, der „Kants Schrift so gut wie kaum ein zweiter" (S. 107 Anm.) gekannt habe. Zu den „inneren Indizien" weist er, „um ihre wohl schon oft anerkannte Unsicherheit darzutun" (S. 108) auf zwei weitere Fälle hin. Es versteht sich aber von selbst, daß die Beurteilung eines Instrumentariums von den Motiven, die zu seiner Entwicklung geführt haben, und den Absichten, die damit verbunden waren, unabhängig sein muß. Schöndörffer wird sicher die von Adickes früher an anderen Stellen pointierter formulierte Zielrichtung des ihm und Dilthey gemeinsamen genetischen Ansatzes gekannt haben. In Adickes Säkularbetrachtungen 1 von 1904 war zu lesen: „Jedes selbständige philosophische System ist ein Kunstwerk, ein eigenartiger Ausdruck einer eigenartigen Persönlichkeit."2 „Nur Psychologie, nur ein Ausgehn von dem rein Subjektiven, Individuellen kann den Schlüssel an die Hand geben." 3 „Also nicht logische Notwendigkeit, sondern psychologische Wahrscheinlichkeit muß die Parole sein." 4
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Adickes Adickes Adickes Adickes
1904a-d. 1904a, 8. 1904a, 11. 1904b, 654.
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Schon bei Gelegenheit einer polemischen Wendung gegen Hans Vaihingers historische Verortung von Kants Theorie des Raumes zwischen Leibniz und Newton hatte Adickes seinen eigenen, eher psychologisch-ästhetisierenden Forschungsansatz zu erkennen gegeben. Er schrieb: „Der Werdeprocess bedeutender Gedanken ist etwas viel Innerlicheres, er liegt unter der Schwelle des Bewusstseins und ist etwas ebenso Geheimnissvolles wie der Werdeprocess des Menschen. Wie der Quell aus verborgenen Tiefen, so entspringt dem philosophischen Genie das Neue, das Schöpferische aus dem ihm selbst unbewussten Grunde seines geistigen Wesens." 1 Ähnliche Redeweisen begegnen auch in Adickes späteren Schriften. 2 Gleichgültig, aus welchen Motiven heraus Adickes sein Datierungs- und Editionsverfahren entwickelt hat, seine Brauchbarkeit muß für sich geprüft werden. Darauf hat sich Schöndörffer, wie ich meine, gar nicht einlassen können, weil er die zugrundeliegenden Mss - wie Adickes in seiner Replik vorsichtig formulierte - „nicht [...] oder auf jeden Fall nicht eingehend" kannte. „Gäbe es nur die Briefe Kants und die von ihm beschriebenen Losen Blätter, dann wäre es allerdings ein aussichtsloses Unternehmen gewesen, 33 Schriftphasen zu unterscheiden. Aber gerade die eng beschriebenen Seiten von L [= Handexemplar der Meierschen Logik] und M [= Handexemplar der Metaphysik von Baumgarten] ermöglichen es." (AA-Kant XVII; S. VII) Einen indirekten Beleg für die von mir behauptete Unkenntnis enthalten die 'Bemerkungen' von Schöndörffer selber. An keiner Stelle beruft er sich ausdrücklich auf eigene Kenntnis der Mss und bei Gelegenheit der Erörterung der 'äusseren Indizien' zieht er nur die abweichende Auffassung von Rudolf Reicke heran. Völlig unwahrscheinlich wird Schöndörffers Vertrautheit mit ' M ' und 'L', wenn man bedenkt, daß er, im Jahre 1860 geboren, kaum Gelegenheit hatte, die Originale zu studieren, wie einfaches Nachrechnen zeigt. Seit Mitte November 1895 sind beide Handexemplare von der Preußischen AdW für die Edition entliehen; 3 ab Anfang 1896 wurden diese ständig von Erich Adickes in seinem Hause bis zu seinem Tod (1928) verwahrt. Anschließend waren sie bis zur Rückgabe an die Preußischen A d W (August 1934) in der UB-Tübingen deponiert. Otto Schöndörffer wurde am 10. 10. 1860 geboren und starb am 1. 10. 1926; 1885 bestand er das Staatsexamen und wurde noch im selben Jahr mit einer lateinisch geschriebenen Dissertation in Königsberg promoviert; anschließend war er als Oberlehrer am Königsberger Friedrichs-Kolleg tätig. 4
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Adickes 1895, 162. Adickes 1924b, 180; Adickes 1927, 3. Vgl. oben das Zitat S. 79 Anm. 1. »Altpreußische Biographie«, s. v. Schöndörffer.
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Teil II
U n t e r s c h e i d e t m a n nun, wie bei den k o m p l i z i e r t e n Verhältnissen in den f r a g l i c h e n M s s notwendig, die Fähigkeit, eine Handschrift im allgemeinen Sinne lesen und identifizieren zu können, von der Vertrautheit mit b e s t i m m t e n Mss, dann kann letztere f ü r S c h ö n d ö r f f e r nicht a n g e n o m m e n w e r d e n . D a v o n k a n n f ü r ' M ' nur bei E r d m a n n und A d i c k e s und f ü r ' L ' nur bei A d i c k e s g e s p r o c h e n w e r d e n . D i e s e R e c h n u n g steht der von Norbert Hinske, der mit seinem B u c h »Kants Weg zur T r a n s z e n d e n t a l p h i l o s o phie« (1970) das P r o b l e m der D a t i e r u n g der R e f l e x i o n e n w i e d e r zu e i n e m expliziten T h e m a der K a n t f o r s c h u n g g e m a c h t hat, vertretenen M e i n u n g entgegen, d a ß S c h ö n dörffer „ein guter Kenner der Kantischen H a n d s c h r i f t e n " gewesen sei. 1 D e r zweite E i n w a n d - im wesentlichen von G. L e h m a n n v o r g e b r a c h t - wird nicht argumentativ vorgetragen und nur gelegentlich 2 ausdrücklich erhoben. Er hatte j e d o c h einen entscheidenden E i n f l u ß auf das Gesicht der Abtlg. III. D e s w e g e n bedarf er einer e i n g e h e n d e n Erörterung. Er richtet sich gegen das n o c h von S c h ö n d ö r f f e r als angem e s s e n a n e r k a n n t e Verfahren der A k a d e m i e a u s g a b e , den „ z u f ä l l i g e n d u r c h den gleichen Ort (dasselbe Blatt, dieselbe Seite) g e g e b e n e n Z u s a m m e n h a n g " fallengelassen und „stattdessen eine sachliche A n o r d n u n g " gewählt zu haben. L e h m a n n rechtfertigt den erneuten Abdruck der von Adickes bereits in Bd. X I V gedruckten, aus d e m H a n d e x e m p l a r der ' B e o b a c h t u n g e n ' g e z o g e n e n R e f l e x i o n e n zu ' M a t h e m a t i k ' (Nr. 17 und 18) bzw. zu 'Physik und C h e m i e ' (Nr. 20-29) mit d e m N e bensatz: „ d a sie z u m m i n d e s t e n zeitlich und örtlich mit den übrigen B e m e r k u n g e n z u s a m m e n h ä n g e n " ( X X 473). O b w o h l A d i c k e s nur den äußeren, örtlichen Z u s a m m e n h a n g auflöste, w u r d e er n a c h seinem Tod mit d e m Vorwurf k o n f r o n t i e r t , d a ß er den inneren Z u s a m m e n h a n g der Texte 3 zerrissen habe. L e h m a n n selbst beschreibt im Vorwort zu Bd. X X (S. VII) seine D i f f e r e n z zu Adickes und gibt so zu erkennen, daß er die gültigen Prinzipien der Ausgabe verlassen hat. „Er [Adickes] hätte jedenfalls dem Bande eine völlig andere Form gegeben, als es hier geschehen ist. Schon weil er die Reflexionen des Handexemplars der Beobachtungen in einer, vielleicht nicht unbedenklichen, weil von Willkür nicht freien und das Material stärker zerlegenden Weise sachlich geordnet hätte. Das geschah hier nicht. Auch wurden die Reflexionen nicht einzeln beziffert. Gerade solche Bezifferung erweckt leicht den Anschein einer Diskontinuität in Kants Denken - als ob er Aphoristiker wäre -, die tatsächlich nicht, oder doch nur selten besteht." L e h m a n n unterstellt Adickes nicht nur ein Interesse daran, „den 'Losen Blättern' möglichst viele E i n z e l r e f l e x i o n e n a b z u g e w i n n e n " ( A A - K a n t X X I I I 510), sondern meint 1
Hinske 1970, 12f. Vgl. Hinske 1977a, 3 2 2 - 3 2 4 . A u c h Hinske verweist in diesen Arbeiten nicht auf eine eigene Kenntnis von oder nähere Beschäftigung mit Kantischen Autographen.
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Vgl. z. B. Lehmann 1980, 113 Anm. 4 2 unter Verweis auf sein Vorwort in AA-Kant X X .
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Unter einem 'Text' verstehe ich ein von einem oder mehreren Autor(en) bewußt zu einem Ganzen verflochtenes G e w e b e von in Sprache gefaßten Gedanken, Überlegungen und Argumentationen. - S o gesehen, kann ein solcher Vorwurf das A d i c k e s ' s c h e Editionsverfahren gar nicht treffen: bei den ' R e f l e x i o n e n ' der Handexemplare handelt es sich allenfalls um eine S u m m e v o n einzelnen 'Texten'; eben den äußerlich als separat erkennbaren, in einem Zuge geschriebenen, einzelnen 'Reflexionen'.
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auch, aus dessen Arbeiten einen seltsam anmutenden „Mangel an synoptischer Fähigkeit" (AA-Kant XXII 772) erspüren zu können. Paradoxerweise hatte Adickes das Stichwort 'auseinanderreißen' selbst geliefert. In seiner 'Einleitung in die Abtlg. III' betonte er mehrfach seine Rücksichtnahme „auf die Associationsfäden, welche zwischen den einzelnen Aufzeichnungen eines losen Blattes hin und her spielen" (AAKant XIV; S. XXVII; vgl. S. XXVIII). Das mit diesem Stichwort verbundene Problem des von der KK gebilligten Editionsverfahrens war Adickes schon während der Vorbereitungen auf den Abdruck bewußt gewesen. In seinem Brief vom 21. 12. 1904 schrieb er an Dilthey über die vorliegende Anordnung der Reflexionen zur Anthropologie: „Die sachlichen Zusammenhänge wahre ich natürlich, wo sie wichtig sind. Z. B. die ganze Aesthetik wird bei § 55, 65-8 nach Phasen geordnet im Zusammenhang abgedruckt; es gibt da zusammenhängende Partien, die sich über mehrere Durchschussseiten hinziehen: da wird natürlich nichts an der Aufeinanderfolge geändert."1 Der 1913 erschienene Band XV zeigt nun, daß Adickes mit den ästhetischen Reflexionen 2 tatsächlich sehr behutsam umgegangen ist (AA-Kant XV; S. V; vgl. 265, 16f.; 273, 17f.; 331, 22-25; 342, 25f.). Auch in den weiteren Bänden weist Adickes mehrfach ausdrücklich 3 auf eine Beachtung der Assoziationsfäden bzw. des räumlichen Zusammenhangs der Aufzeichnungen hin. Lehmann hat seine Kritik aber nicht - wie man erwarten dürfte - durch Diskussion konkreter Beispiele vorgeführt, sondern seine Frontstellung gegen Adickes in mehrfachen Formulierungen bloß zum Ausdruck gebracht. Behauptungen sind jedoch keine Argumente. Jahre später faßt Lehmann zusammen: „Reflexionen und Lose Blätter außerhalb der Handexemplare werden von Adickes zwar zu datieren versucht, d. h. seinem 'System der Datierungen' (33 Phasen) einverleibt, im
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Lehmann 1969, 19; Dilthey billigte dieses Vorgehen. In seinem Br. vom 31. 12. 1904 schreibt er an Adickes: „Ich bin nun ganz selbstverständlich mit Ihnen der Ansicht, daß gerade das Wesentliche ist, daß gerade das Zusammengedachte nicht auseinandergerissen werde." - Lehmann 1969, 20. Die Ästhetik bildete keine eigene „Disziplin" in Kants Fächerkanon als Dozent. Kant hielt ab dem Wintersemester 1772/73 ein Kolleg über „ A n t h r o p o l o g i e " , dem der dritte Teil der »metaphysica« von A.G. Baumgarten zugrundegelegt wurde. Die heute vorhandenen studentischen Nachschriften der Vorlesung über „Anthropologie" zeigen, daß Kant ein eigenes „Kapitel vom G e s c h m a c k " vortrug. So gesehen fallen alle nachgelassenen, ästhetischen Reflexionen, die keine direkte Beziehung zum Text der »Kritik der Urteilskraft« von 1790 aufweisen in das Gebiet von Bd. XV „Anthropologie". Die Nachschriften zeigen darüberhinaus, daß die Verteilung des Textes des Baumgartenschen Handbuches auf die Bde. XV und XVII der AA-Kant auch nicht historisch richtig erfolgt ist. Ausgehend von der Systematik Baumgartens ist nicht zu begreifen, weshalb die einleitenden §§ 501-503 und die vollständigen Sektionen 19-22 [= §§ 700-739] in Bd. XVII aufgenommen worden sind und nicht in Bd. XV; vgl. AA-Kant XV 05-54; AA-Kant XVII 130-140. Der Grund für dieses Vorgehen liegt darin, daß für die Anordnung der Reflexionen in Bd. XV Kants eigene »Anthropologie« von 1798 die Grundlage gebildet hat; darin spielen die in Bd. XVII abgedruckten §§ Baumgartens keine Rolle. Einige anthropologische Reflexionen sind nun so offensichtlich auf die Sectionen 21 und 22 der »metaphysica« bezogen, daß Adickes hier auf die entsprechenden §§ nicht verzichten wollte: AA-Kant XV 454-455 [§§ 730-732] und XV 463 [§ 733], AA-Kant XVI 442, 18f.; AA-Kant XVI 790, 33ff.; AA-Kant XVII 255, 24f.; AA-Kant XVIII 642, 34ff. Wesentlich häufiger informiert Adickes in seinen Erläuterungen durch Querverweise über die räumliche Nachbarschaft der Reflexionen.
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Teil II übrigen aber willkürlich, bzw. nach irgendwelchen Gesichtspunkten, untergebracht. Der handschriftliche Nachlaß ist jedenfalls mit einer Unmenge von Reflexionen belastet, die im freien Raum stehen, häufig aus ihrem Zusammenhang gerissen und zerstükkelt sind - Reflexionen, für die es keine Vorlesungshinweise gibt." 1
Eine bloße Behauptung, ohne konkretisierten nachvollziehbaren Detailhinweis! Diese Haltung läßt völlig unbeachtet, daß es auf Losen Blättern Vorarbeiten Kants zu seinen Publikationen gibt, und sie beruht auch nicht auf einer Bestandsaufnahme der Verhältnisse in den Manuskripten, sondern ist abhängig von bestimmten inhaltlich-interpretatorischen Interessen. Sie offenbart zudem eine Unkenntnis hinsichtlich der Prinzipien der Edition. 2 Lehmann kann zwar nicht umhin, ein Bemühen um philologische Treue zu konzedieren, meint aber, daß Adickes in diesem Streben „gar nicht zur Erfassung der tiefliegenden Problemstellungen" 3 gelange. Dem Philologen, der zudem noch Gefahr laufe „mikrologisch zu werden und sich lächerlich zu m a c h e n " , 4 wird der an Inhalten interessierte philosophische Interpret gegenübergestellt. Dieses Gegensatzpaar 'Philologe - Interpret' hat den Charakter eines über Jahrzehnte 5 durchgehaltenen Leitmotivs. Lehmann wendet sich mit dieser Verlagerung von den historisch-philologischen Arbeitstechniken der Textkritik auf die Behandlung je aktueller, philosophischer Themen direkt gegen die von Adickes mit seinen Publikationen verfolgte Intention. Paul Menzer und Artur Liebert haben in ihren Nachrufen konstatieren müssen, daß Adickes mit seinem Gedanken von der „Objektivität historischer Arbeit" 6 in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts nicht durchgedrungen sei. Insgesamt ist festzuhalten, daß keiner der frühen Kritiker an den von Adickes befolgten Prinzipien sich auf die allein relevante, empirische Basis: die dem Druck zugrundeliegenden Mss, bezogen hat. Schöndörffer kannte wahrscheinlich nur die Königsberger Bestände und diese auch nur flüchtig, die umfangreichen Dorpater Kompendien gar nicht. Buchenau und Lehmann schließlich haben von den ihnen ab Herbst 1934 zugänglichen Mss keinen - jedenfalls keinen öffentlichen - Gebrauch gemacht. Ihre Intentionen und Vorbehalte gegen Adickes' Methodik haben sie nicht an den von Adickes edierten Manuskripten gewonnen, 7 sondern bei den langandauernden Vorbe1 2 3
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Lehmann 1980, 270f. Vgl. dazu unten Teil VI. B, aus dem in extenso hervorgeht, daß Lehmann keinen Überblick über das von Adickes Edierte besaß. Lehmann in: Β DP 2/1928-29/201-2 [= Rez. von Adickes 1927]; ähnlich Lehmann 1969, 32 Fn. 15, w o Adickes und sein Lehrer Friedrich Paulsen pauschal mit dem Vorwurf abgefertigt werden sollen, daß sie „Kants 'Problemdenken' überhaupt nicht" erfaßten. - Lehmann übernimmt so den von Schöndörffer Jahrzehnte zuvor gegen Paulsens Kant-Interpretation formulierten Einwand; vgl. Schöndörffer 1899, 559. Lehmann 1955, Reinschriftfragment, S. 11. Z. B.: G. Lehmann 1931: Geschichte der Nachkantischen Philosophie, S. 178; ders.: Zur Problemanalyse von Kants Nachlaßwerk (Lehmann 1980, 98); ders.: Neue Perspektiven der Kantforschung (Lehmann 1980, lf.) - Zur Entstehung der negativ-abwertenden Konnotation des Wortes „Philologie" vgl. Vaihinger 1892, S. VI-VII. Menzer 1928, Liebert 1931. Vgl. Lehmann (Hg) 1990, zuerst 1927: S. IX: „Aus meiner Beschäftigung mit dem 'opus postumum' ist mir zwar klar geworden, daß den Tinten nicht entfernt jene Bedeutung für die Datierung zukommt, welche ihnen von Adickes beigemessen wird: [...]."
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reitungen zur Herausgabe des sog. »Opus postumum«, dessen äußere Verfassung mit den anderen Teilen des handschriftlichen Nachlasses nicht vergleichbar ist, und dem 'Torso' 1 von Band VII des handschriftlichen Nachlasses in Form einer Rückkehr zum archivarischen Prinzip 'Einheit der Provenienz' durch ein fait accompli zu Geltung gebracht. Vor einer sachlichen, mit nachvollziehbaren Argumenten geführten Diskussion mit oder gegen Adickes scheuten beide zurück.
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Von einem 'Torso' glaube ich sprechen zu können, weil G. Lehmann das Gros der von Adickes übernommenen Materialien unbenutzt ließ, und weil er den offiziellen Plan der Ausgabe nicht durchgeführt hat. Auch Hinske benutzt den Ausdruck, jedoch unter anderer Perspektive, vgl. Hinske 1977a, 322 (vgl. jetzt Hinske 1991, 244); ähnlich auch Franz Adickes in seinem Schreiben vom 2.9. 1933 an einen nicht näher benannten Geheimrat: „Wieviel unwürdiger ist es nun die Kantausgabe, dies Denkmal für Deutschlands grössten Philosophen, als Torso zu belassen und nicht alles an seine Vollendung zu setzen." (Durchschlag: Ingelheimer Papiere)
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Teil II
E. Adickes' Nachfolger g. 3. Phase der Edition von Abteilung III: Friedrich Berger (1928-1933) Der letzte Schritt zur Rechtfertigung meiner obigen, negativen Beurteilung ist das Anlegen des Maßstabes an die nach Adickes Tod ausgegebenen Bände. In den Bänden XX-XXII (1936-1942) wurden die von der Kantkommission und Adickes nach eingehender Beratung für die Abteilung III der Ausgabe festgelegten Editionsprinzipien in so augenfälliger Weise verlassen, daß eine detaillierte Beschreibung fast überflüssig ist. Dennoch soll dies im folgenden Thema sein; zuvor wird jedoch die für den weiteren Gang der Abteilung III mit entscheidende Zwischenphase einige Aufmerksamkeit erfordern. Im historischen Abriß über das Datum des Todes von Erich Adickes hinaus werden einzelne, grundsätzliche Momente der Unzulänglichkeit einzelner Bände der Akademie-Ausgabe in ihrem historischen Kontext sichtbar. 1 Es ist im vorigen Abschnitt schon deutlich geworden, daß Adickes in den letzten Jahren seines Lebens zunehmend andere Kräfte mit in den Prozeß der Vorarbeiten zur Herausgabe von Kants handschriftlichem Nachlaß einzubeziehen suchte. Dies schloß in den letzten Monaten auch ein, daß er für den Fall seines abzusehenden Todes verschiedene Personen als mögliche Nachfolger namhaft machte. In seinem Schreiben vom 7. April 1928 an Heinrich Maier 2 nannte er an erster Stelle Arthur Warda, für den es jedoch, als beamteten Juristen, schwierig werden würde, einen Stellvertreter zu finden. Außerdem käme von der Sache her weiter in Frage Erich Keller, der jedoch als Religionslehrer ebenfalls kaum frei zu bekommen wäre. Aus welchen Gründen Adickes sich schließlich im Mai für Friedrich Berger als seinen Nachfolger entschied, ist ungeklärt. 3 Im November 4 1928 wurde der von Erich Adickes 5 zu seinem Nachfolger gewünschte Tübinger Privatdozent Friedrich Berger 6 (1901-1975) von der Kantkommission der AdW offiziell mit der Fortsetzung der Editionsarbeiten beauftragt - nach einem persönlichen Zusammentreffen mit Maier in Tübingen. 7 Grundlage für Bergers Tätigkeit war eine Sitzung der KK am 13. September 1928, im handschriftlichen Protokoll hielt der Vorsitzende Maier u. a. fest: „Mit der Fortsetzung der Nachlassedition wird Dr. Berger, der Assistent des Prof Adickes betraut. Wenigstens soll er an der Fer-
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Vgl. dazu auch Teil VI. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 117. Danach die folgenden Angaben. Zuletzt und definitiv in Adickes Schreiben an Heinrich Maier vom 15.Mai 1928 (Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 125), worauf Maier auch das Einverständnis der KK festhält. Das genaue Datum ließ sich nicht feststellen. Der Bericht über eine in dieser Sache angekündigte Sitzung der KK ist nicht zu den Akten gelangt; vgl. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 136. Die Akten der KK geben keinen Anhaltspunkt zur Beantwortung der Frage, ob von Seiten der AdW versucht wurde, einen Nachfolger auszumachen. Berger promovierte nicht bei Adickes, sondern bei dem pädagogischen Psychologen Oswald Kroh (1887195?). Vgl. S. 130 A n m . 4 . Vgl. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 134.
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tigstellung des 19. und wenn möglich des 20. Bandes arbeiten. Der Vorsitzende wird überdies ermächtigt, mit Professor Dr. Häring in Verbindung zu treten, der ev. die Überwachung der Arbeit des Dr. Berger übernehmen soll." 1 Von essentieller Bedeutung war an dieser Entscheidung, daß Bergers juristische Beziehung zur Ausgabe unbestimmt blieb. Es wurde mit ihm kein eigens ausformulierter Vertrag geschlossen und auch nicht ausdrücklich gesagt, daß er in Adickes vertragliche Rechte als Herausgeber eintreten sollte. 2 Dieses Manko hatte - wegen der engen persönlichen Beziehungen zwischen Berger und Adickes - selbstverständlich keinerlei Auswirkungen auf das Konzept der Ausgabe. Es behielt unverändert Gültigkeit. Auffällig ist dabei nun, daß das Vorwort von Bd. XIX erst vom 8. November 1933 datiert und daß der Band erst im April 1934 ausgegeben werden konnte, 3 obwohl das Ms schon im August 1929 an den Verlag gegangen ist. In einer Besprechung des Bandes schreibt der junge Klaus Reich, daß „die Lektüre des Nachlasses der Moralphilosophie, soweit er in dem XIX. Bd. der Akademieausgabe vorgelegt ist, das Gefühl einer gewissen Enttäuschung" hervorrufe. 4 Zu einem erheblichen Teil gründet diese sich, wie Reichs nachfolgende Bemerkungen zeigen, auf Zweifel an der von Berger - anscheinend - beanspruchten intensiven Einarbeitung in die von Adickes befolgte Technik der Edition. In die gleiche Richtung zielen drei Absätze aus der Einleitung von Bd. XXVII; S. 1038-9, worin G. Lehmann (1979) die Meinung vertritt, daß gleichgültig „Wie immer es sich mit Adickes' Vorarbeiten zu Bd. XIX verhält - entscheidend ist, daß er, 1928 verstorben, den Band nicht mehr fertigstellen konnte, und die Endreaktion [sie !] seinem damaligen Assistenten Friedrich Berger überlassen mußte."
Aus dem obigen Abriß geht nun hervor, daß Adickes - Lehmanns gegenteiliger Meinung zum Trotz 5 - die für Band XIX einschlägigen studentischen Nachschriften zur Moralphilosophie sehr wohl kannte, und daß seine 'Vorarbeiten' schon weit vorangeschritten waren, als er die Arbeit in jüngere Hände legen mußte. An Bergers Aussage 1
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Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 132. - Von einer tatsächlichen Mitwirkung Theodor Haerings (1884-1964) habe ich weder in den Akten der KK noch - anhand eines mir Mai 1982 freundlicherweise in Kopie übersandten Verzeichnisses (Signatur: Md 1016) - im Nachlaß Haering der Tübinger UB eine weitere Spur entdecken können. In Maiers Bericht in der öffentlichen Sitzung des AdW vom 24.Januar 1929 heißt es: „Durch den am 6.Juli erfolgten Tod des Prof. E. Adickes, der die Edition des Kant-Nachlasses übernommen hatte, ist in der KantAusgabe eine Unterbrechung eingetreten. Über Adickes' Nachfolge sind noch Verhandlungen im Gang. Doch ist die Fortführung seiner Arbeit bereits gesichert." (Sitzungsbericht 1929; S. LXIV). In den offiziellen Berichten der folgenden Jahre (1930-33) sind außer der Ankündigung des baldigen Erscheinens des Bandes XIX keinerlei weitere Informationen enthalten. Akten der KK, II-VIII, 153, fol. 37-38. Klaus Reich, Rezension von Bd. XIX der AA-Kant, in: Blätter für Deutsche Philosophie 10/1937/336-8. G. Lehmann zitiert zu Beginn des zweiten Absatzes (AA-Kant XXVII 1038) eine Stelle aus Adickes' Einleitung in die Abtlg. III aus AA-Kant XIV; S. XXXIV [nicht S. XXIV, wie L. angibt], wo Adickes über sein Studium der 'Nachschriften' berichtete, und bemerkt: „Die Moralphilosophie ist nicht dabei." (Ähnlich: AA-Kant XXVIII 1338f.) - Adickes kannte die 'Nachschriften' zur Moralphilosophie zwar in der ersten Phase der Edition noch nicht - „(die über praktische Philosophie kenne ich bisher noch nicht)" [Adickes 1919, 68] - zur Vorbereitung von AA-Kant XIX machte er sich jedoch alle bekannten Hefte verfügbar und veranlaßte die diesbezüglichen »Untersuchungen« von Wilhelm Krauß.
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Teil II
im Vorwort zu Bd. XIX: „Die Reflexionen waren im großen und ganzen von Erich Adickes schon abgeschrieben und im vorläufigen Sinne auch chronologisch zusammengestellt." (S. VI), die man wegen der sich im ganzen Vorwort ausdrückenden bescheidenen Zurückhaltung vielleicht nicht ganz ernst nehmen möchte, kann deshalb kein Zweifel sein. Die Tatsache, daß zwischen Erich Adickes und dem Verlag Walter de Gruyter erhebliche Differenzen bestanden haben, legt demgegenüber die Vermutung nahe, daß von dieser Seite - Artur Buchenau war wissenschaftlicher Beirat, G. Lehmann sein persönlicher Assistent - auf die Gestaltung des Bandes Einfluß genommen worden ist. Ein erstes, von außen sichtbares Indiz für eine solche These enthält der Rückblick des langjährigen Sekretärs der Kantkommission. Paul Menzer schreibt: „Meier [d. i. Heinrich Maier; W. St.] hat mich weiter nicht beachtet. Vielmehr wurde Buchenau, der früher die Ausgabe kritisiert hatte, mit weitgehenden Befugnissen beauftragt. Da er zugleich wissenschaftlicher Berater des Verlages wurde, hatte er eine beherrschende Stellung."1 Damit einstimmig ist die Verärgerung von Berger über das Verhalten des Verlages, die in einer Formulierungen seines Briefes von 2. Mai 1934 an Eduard Spranger anklingt: „[...] auch die Drucklegung mit der sehr viel Aergernis verbunden ist. Im einzelnen liegt es mir fern, hier Vorwürfe zu erheben. [...]" 2 Deutlicher äußert sich Franz Adickes 1933 über die zurückliegenden Jahre. Ein Verkaufsangebot des Verlages veranlaßt eine harte Anklage: „Am 6. 3. sandten Sie mir eine Anpreisung des bei Ihnen erschienenen 'Gattermann, Praxis des organischen Chemikers' meines Doktorvaters H. Wolland. Ich möchte wünschen, Sie verwendeten den Gewinn des ausgezeichnet gehenden Buches dafür, Ihren Verlag von einem Schandfleck sondergleichen zu reinigen. Ich meine damit die Art und Weise wie Sie die Vollendung des Lebenswerkes meines Vaters, Prof. Erich Adickes, die Herausgabe von Kants handschriftlichem Nachlass hintanhalten. Es ist ein Skandal wie langsam die Drucklegung des schon jahrelang abgelieferten Manuskriptes vor sich geht." 3 Aus dem Entwurf zu einem weiteren Schreiben (23. März 1933) geht hervor, daß Friedrich Berger im August 1929 das „druckfertige Manuskript" abgeliefert hatte. 4 Über die Ursachen der Verzögerung schreibt Franz Adickes am 23.3. 1933 an der Verlag, der die Anschuldigungen mit dem Hinweis auf die langsame Arbeitsweise von Friedrich Berger abweisen wollte: „Dagegen sind die wahren Ursachen der Verzögerung einwandfrei aus der Lieferung kleinster Portiönchen von Korrekturen (25 Bogen in 3 1/2 Jahren, nicht einmal so ein 1 2 3 4
Menzer 1957-58, 338. Akten der KK, II-VIII, 160. Br.-Durchschlag vom 14. 3. 1933; Ingelheimer Papiere. Diesen weder adressierten noch datierten Entwurf schrieb Franz Adickes auf die Rückseite des Br. vom Verlag an ihn vom 16.3. 1933; Ingelheimer Papiere.
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kleines Kompendium wird in einem Zuge abgedruckt!) und Betreuung der Ausgabe durch sich vordrängende nach dem Urteil meines Vaters ganz ungeeigneter Persönlichkeiten in ungeeigneter Zwischenschaltung zu erkennen. Möglich, dass ein Teil der Schuld auch die Akademie trifft. Die Gewohnheit von Herrn Geheimrat Maier dringliche Briefe frühestens nach einem halben Jahr oder garnicht zu beantworten, hielt schon mein Vater nicht für eine glatte Geschäftsführung für geeignet." 1
Diese etwa zeitgleichen Aussagen bestätigen die Vermutung, daß die Fertigstellung von Bd. XIX durch den Verlag verzögert worden ist und deuten auf Eingriffe in das von Berger für druckfertig erachtete Ms durch Buchenau und/oder Lehmann. In seinem ersten Bericht als neuer 2 Vorsitzender der KK schreibt Eduard Spranger unter dem Datum des 25. Januar 1934 zu Bd. XIX: „Der von Hrn. Privatdozenten Dr. Berger in Tübingen gelieferte Text wurde von Hrn. Oberstudiendirektor Dr. Buchenau und Hrn. Dr. Gerhard Lehmann sorgfältig revidiert. Der letztgenannte Mitarbeiter besorgte das Inhaltsverzeichnis." 3
Die internen Informationen 4 der Akten der KK sind damit zur Deckung zu bringen, und sie geben den Blick frei auf das geschickt eingefädelte Manöver Buchenaus in einer Zeit des Interregnums, die faktische Kontrolle über das weitere Schicksal der Ausgabe zu erlangen. Es betrifft zwar primär das »Opus postumum« und eine Erweiterung des ursprünglichen Gesamtplans der Ausgabe um einen „Index", hatte jedoch auch schon Konsequenzen für Band XIX. Sieht man sich den Bd. XIX zunächst nur unter der Perspektive der redaktionellen Bearbeitung näher an, dann steigert sich das Gefühl der Enttäuschung zur Entrüstung. Es fällt auf, daß Berger, oder wer immer dafür verantwortlich war, an den Schluß des Vorwortes keine Errata-Liste gesetzt hat. Bei einem Band von 660 Seiten, dessen Inhalt in der Hauptsache auf schwer lesbare Handschriften zurückgeht, ein kaum glaublicher Umstand. 5 Blättert man weiter und vergleicht die Gestaltung des Inhaltsverzeichnisses mit dem der letzten von Adickes fertiggestellten Bände XVII-XVIII, so sind zunächst einige die Übersichtlichkeit mindernde drucktypischen Abweichungen festzustellen. 6 Auch werfen einige Details des Bandes ein ungünstiges Licht auf die 'Redaktion': 1 2
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Br.-Durchschlag, Ingelheimer Papiere. Spranger wurde (nach Heinrich Maiers Tod, 28.11. 1933) am 30.November 1933 zum Vorsitzenden gewählt; vgl. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 205. Sprangers Wahl war vielleicht nicht frei von politischen Erwägungen. Im Frühjahr 1933 hatte er als Universitätsprofessor einen „Konflikt mit der national-sozialistischen Regierung" ausgestanden, der sich an der ad hominem gezirkelten Einrichtung einer Professur für „Politische Pädagogik" an der Berliner Universität entzündete; besetzt wurde sie mit Alfred Baeumler (1887-1968), der bei Spranger als Professor „XY" erscheint, vgl. Spranger 1955 und Löwith 1989, 113 & 143-144. Sitzungsbericht 1934; S.LI. Vgl. dazu die Zitate im nächsten Abschnitt. Entgegen dem Usus von Adickes, der 'Berichtigungen' und/oder 'Nachträge' ganz am Schluß der einzelnen Bde. drucken ließ. Einen im Bezug auf die Mss besonders mißlichen Druckfehler habe ich in Bd. XIX bemerkt: im Inhaltsverzeichnis wird S. XIII als drittes der aus Phase ω abgedruckten Stücke das Lose Blatt 'L 32' angegeben; S. 639 wird zum dritten dieser Blätter 'L 52' vermerkt. - Was ist richtig? Vgl. AA-Kant XVII; S. XV-XVIII mit AA-Kant XIX; S. IX-XIII: Sperr- und Fettdruck.
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- 1 Blatt (S. XV / XVI) ist unbedruckt. - Das 3. Blatt des ersten Bogens (S. 5/6) ist (nicht etwa durch ein buchbinderisches Versehen) falsch piaziert. Seine richtige Stelle wäre, wie die „Inhaltsübersicht" und die Kolumnentitel der geradezahligen Seiten 94-316 zeigen, vor S. 92 und vor den Reflexionen gewesen. - Das nur einseitig bedruckte zweite Blatt von Bogen 21 (S. 323/4) ist überflüssig. In der Inhaltsübersicht wird es - deswegen zurecht - nicht berücksichtigt. Sein Text ist identisch mit dem des richtig piazierten 6. Blattes von Bogen 28 (S. 443/4) - Die zugehörige Angabe des Inhaltsverzeichnisses muß entsprechend verbessert werden (statt S. 323 liesS. 321). - S. 315 und S. 647-9 wird bei der Angabe des Fundortes von einigen Losen Blättern von der überholten Abkürzung ' B K B ' für Berliner königliche Bibliothek Gebrauch gemacht; statt mit Adickes (in Bd. XVII und XVIII) den geänderten Realitäten entsprechend die 'Berliner Staatsbibliothek' zu benennen. Schließlich weicht die Art des Abdruckes von Reflexion Nr. 8105 [= 'BKB 13'] so deutlich von der bei Adickes gebräuchlichen ab, daß ich annehme, daß diese von Buchenau/Lehmann veranlaßt worden ist. Adickes hätte die persönlichen, auf den Haushalt bezogenen Notizen nicht zum Text der Reflexion genommen, sondern entweder in seinen 'Erläuterungen' angeführt oder für den Apparat des Schlußbandes zurückgestellt. Der Gebrauch des Plurals im kursiv gesetzten Text des Herausgebers (XIX 648 10) deutet auf den Stil von G. Lehmann. Da Friedrich Berger die letzten noch in Tübingen befindlichen Mss der ehemaligen Berliner Königlichen Bibliothek im November 1929 zurückgesandt hatte, 1 war eine Einsicht in das Original leicht möglich. Die Qualität der 'Erläuterungen' hat zweifelsohne auch darunter gelitten, daß Berger keine Verbindung zwischen den 'Reflexionen' und den Vorlesungsnachschriften zur Moral hergestellt hat. 2 Die mir zugänglichen Quellen enthalten Hinweise, die dieses Manko erklärlich machen. Es ist nämlich ein Anhaltspunkt auszumachen, längerfristig wirkende sachfremde Einflüsse zu vermuten: Ein Hintergrund der sich ab Juli 1926 entwickelnden, erheblichen Differenzen zwischen Adickes und Buchenau ist eine in den Ingelheimer Papieren überlieferte Kontroverse zwischen dem Verleger und dem verantwortlichen Herausgeber über den Umfang der Erläuterungen. Nach Ansicht des Verlages wurden die - gemessen an den anderen Abteilungen - hohen Preise der Nachlaß-Bände durch deren großen Umfang verursacht. 3 Der Herausgeber sollte deswegen seine Erläuterungen auf ein Mindestmaß beschränken. Wie noch deutlich werden wird, hat Buchenau nach dem Tod von Erich Adickes diesen Standpunkt noch stärker zur Geltung gebracht.
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Das geht hervor aus einem in den Tübinger Akten erhaltenen Rest eines Verzeichnisses des Kant-Nachlasses aus dem Jahr 1928; auf einem Blatt der Vermerk „zurück an Berlin 15/XI '29". Vgl. zu der entsprechenden Absicht von Adickes S. 127. Vgl. außer dem gleich zitierten Brief vom 21. Juli 1926 schon das Schreiben des Verlages an Adickes vom 31. März 1914.
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Wenn - wie Adickes mit Nachdruck gefordert hatte - eine Einbeziehung der Nachschriften zu Kants Moralkolleg erfolgt wäre, hätte nicht nur der schon von Klaus Reich notierte Schwachpunkt 'Christine' (Siehe Rfl. 6915), 1 sondern auch die irrige Vermutung 'Wollaston' (Rfl. 6624) - richtiger wäre Cumberland - vermieden werden können: Der Nachlaß bezeugt, daß die Nachschriften, die auf Kants Vorlesungen über Moralphilosophie der 1770er Jahre zurückgehen, die vorgetragenen Überlegungen und Argumentationen ziemlich getreu wiedergeben: Den Nachschriften zufolge, machte Kant von einer schematischen Darstellung verschiedener historischer Konzepte von 'Moralphilosophie' Gebrauch, um seine eigene, spezifische Fragestellung zu explizieren. Dieses Schema ergibt dann ein Argument f ü r Kants Antwort. Solche Schemata sind z.B. in den Reflexionen 6631, 6637, 6625, 6624, 6874, und 6882 enthalten. In der Reflexion 6624 hat Kant, wohl weil ihm der dorthin gehörige N a m e gerade nicht einfiel, eine kleine Lücke gelassen. Berger will in Bd. XIX die Lücke mit 'Wollaston' (William Wollaston: 1659-1724) füllen. In den Nachschriften wird ' W o l l a s t o n ' j e doch nicht genannt; stattdessen tritt an der entsprechenden Systemstelle der N a m e 'Cumberland' (Richard Cumberland: 1631-1718) auf. 2 Zu erwähnen ist schließlich noch eine zwischenzeitliche Planung, wonach Adickes, um das Erscheinen der Nachlaßbände möglichst zu beschleunigen, die Entwicklung der Kantischen Handschrift nicht mehr innerhalb der Kant-Ausgabe selbst dokumentieren sollte. Die Quellen für diesen Aspekt sind sehr spärlich und keineswegs eindeutig. Der erste vage Anhaltspunkt findet sich im Brief von Adickes an den Verlag de Gruyter vom 21. Juli 1926. Im Zusammenhang der Abwehr gegen von Buchenau vorgebrachte Beschwerden über den großen Umfang der Nachlaßbände, der auf die Erläuterungen des Herausgebers zurückgehe, äußert sich Adickes über die Bände XVII und XVIII der Gesamtzählung: „In den ganzen Bden. 4 und 5 sind vielleicht 4-5 woertliche Zitate, und dann aus schwer zugaenglichen Quellen. Im ganzen nehmen sie kaum eine Seite in Anspruch. Die beiden Bde. tragen eben einen ganz andern Charakter als die ersten 3 Bde. Es fehlen in ihnen die blossen Stichworte, die naeher erlaeutert werden mussten, litterarische Anspielungen sind sehr selten usw. Nach der inhaltlichen Seite hin brauchte die chronologische Anordnung der Reflexionen nicht begruendet werden, da wir ja abgemacht haben, dass das in einer besonderen Schrift ueber die Entwicklung der Kantischen Erkenntnistheorie und Metaphysik geschehen solle. Komprimirt werden kann also der Bd. 5 mit dem besten Willen nicht. Es muesste denn nicht alles Material abgedruckt werden. Dann muessten aber die ganzen von der akademischen Kantkommission festgelegten Editionsprinzipien umgeaendert werden, und zwar das grundlegende, dass alles erhaltene Material veroeffentlicht werden soll. Ich glaube nicht, dass der Verlag die Kantkommission zu einem solchen Schritt bewegen koennte. Waere es aber moeglich, dann machte ich die Sache auf jeden Fall nicht mit. Das einzig Richtige waere gewesen, dass Bd. 4 und 5 auf 1 2
Kants Bemerkung richtet sich auf die schwedische Königin Christine (1626-1689). AA-Kant XXVII 277,03; AA-Kant XXIX 1.1; 622,06. Auch die »Kritik der praktischen Vernunft« enthält ein solches Schema; s. AA-Kant V 069.
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Teil II drei Bde. verteilt waeren, wie der Verlag das ja vorschlug, die Kantkommission aber ablehnte. Bd. 5 auf zwei Bde. zu verteilen, wuerde nur sehr schwer gehn, [...]." '
Demnach waren verlegerische Gesichtspunkte auch für den Inhalt der erschienenen Bände von Bedeutung. So meine ich auch die begründende Wendung im Schreiben von Spranger (5. Mai 1934) an Franz Adickes verstehen zu müssen: „Aus den Mitteilungen von Herrn Professor Berger entnehme ich weiter, das auf Band 21 ('Beschreibung der Manuskripte') wegen der bestehenden Druckschwierigkeiten verzichtet werden soll." 2 Wie dem auch sei; selbst wenn die diesbezüglichen Auskünfte Bergers die Sachlage für die letzte Lebenszeit von Erich Adickes zutreffend wiedergeben, so folgt daraus nicht, daß die Beschreibung der Manuskripte durch einen Beschluß der Kommission aufgegeben worden ist. 3 Ganz im Gegenteil ! Hier wäre ein Verzicht gleichzusetzen mit einer fundamentalen Abkehr von den Prinzipien der Abtlg. III. h. 4. Phase Buchenau/Lehmann (1930-1945) 1) Die Bände XXI & XXII Nach Adickes Rücktritt von der „Oberleitung" an den Arbeiten zur Herausgabe der nachgelassenen Übergangspapiere ist in den Akten der KK erstmals unter dem Datum des 28.Januar 1930 wieder von diesem Vorhaben die Rede. Mit einem Schreiben dieses Datums beantragte Buchenau bei der Kommission, Kants Opus postumum in die Akademie-Ausgabe zu übernehmen, verbunden mit der Bitte um eine auf zwei Jahre zu gewährende Unterstützung von 100.- RM monatlich für Herrn Lehmann, der bisher ein Stipendium der Notgemeinschaft erhalten habe. 4 Vom zuständigen Beamten, Sthamer, wurden die Akten geprüft. Er hielt für den Kommissionsvorsitzenden Heinrich Maier folgendes fest: „Ich erhielt heute das Zirkular mit dem Schreiben von Buchenau zurück. Wie ich aus den Akten festgestellt habe, besitzen wir einen Vertrag mit der Firma de Gruyter über die Aufnahme des Opus postumum in die akademische Kant-Ausgabe vom 14. Juli 1924. Im Februar 1925 hat sich dann Herr Buchenau an die Notgemeinschaft gewandt um Gewährung einer Beihilfe zur Entlohnung seines Assistenten. Doch hat die Notgemeinschaft damals vertraulich wissen lassen, daß sie diesem Antrag nicht stattgeben werde, weil de Gruyter mit einem bedeutenden Absatz eines [!] solchen Editio princeps rechnen könne, also auch in der Lage sei, ein angemessenes Honorar zu zahlen. Eine Abschrift über mein Gespräch mit Herrn Geheimrat Siegismund vom 2. März 1925 habe ich Ihnen seinerzeit am 3. März 1925 zugehen lassen. Dies zur sachlichen Orientierung." 5
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Durchschlag Ingelheimer Papiere. Ingelheimer Papiere. Ähnlich auch Berger in seinem Brief an Spranger vom 11. August 1934: „[...]. Dabei werden Sie die 'Schriftstücke' des einen Pakets kaum benötigen, da sie mehr für den noch ursprünglich vorgesehenen Band zur Beschreibung der Manuscripte bestimmt waren." (Akten der KK, II-VIII, 162) In den Akten der KK konnte ich nichts dergleichen ausmachen. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 146. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 148.
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Offenbar hat Buchenau im Januar nicht die juristisch korrekte oder seinen Absichten zweckdienlichste Form gewählt, denn am 17. und 19. März richtete er zwei neue Gesuche an die Kant-Kommission der AdW: a) betr. Kants Opus postumum; b) betr. Kant-Register. Erst daraufhin wandte sich Maier (nach einer Sitzung der KK am 22. Mai) am 4. Juni 1930 mit einem Schreiben an die philosophisch-historische Klasse der AdW, worin es heißt: „1) die Kommission erklärt sich mit der Anlage des Registers der Kant-Ausgabe, wie sie von Dr. Buchenau in Übereinstimmung mit den in einer früheren Besprechung zwischen ihm und dem Kommissionsvorsitzenden festgelegten Grundsätzen vorgeschlagen wird, einverstanden. 2) die Kommission schlägt der Klasse vor Herrn Dr. Buchenau für seinen Mitarbeiter an der Edition des op. postumum und an der Fertigstellung des Kant-Registers (Dr. Lehmann) auf 2 Jahre je 3000 M. (zus. M. 6000) zur Verfügung zu stellen, beginnend mit dem 1 .Juli des J[ahres], So wie die Dinge liegen, ist die Mitwirkung Dr. L.s an beiden Unternehmungen schlechterdings nicht zu entbehren." 1 Wie der Vorsitzende Sekretär daraufhin Buchenau am 2.Juli 1930 mitteilte, hat die A d W am 19. Juni beschlossen, „Herrn Dr. Gerhard Lehmann für die Bearbeitung von Kants Opus posthumum und für die Anfertigung des Registers zu der Kant-Ausgabe der Akademie ein monatliches Stipendium von 250.- RM (in Worten: zweihundertfünfzig Reichsmark) mit Wirkung vom 1. Juli 1930 ab auf 2 Jahre zu gewähren." 2 Rund zwei Jahre später beantragte Lehmann selbst, unterstützt durch eine Empfehlung Buchenaus v o m 27.März 1932, eine zweijährige Verlängerung. 3 An den darauffolgenden Verhandlungen ist nur zweierlei bemerkenswert. Erstens". In Maiers Stellungnahme vom 13. Juli 1932 liest man: „Die Arbeit am Kantnachlaß. Durch den frühzeitigen Tod von Adickes ist die Edition des Nachlasses Kants bekanntlich in eine schwierige Lage gekommen. Dr. Berger in Tübingen, der einstige Assistent von Adickes, ist eingetreten. Und gegenwärtig wird der 19. Band gedruckt. Der Druck des Nachlasses ist aber eine überaus peinliche Sache. Adickes selbst hat sich hierfür nicht immer einen Gehülfen beigeben lassen. Jetzt vermag Dr. Berger die Korrektur allein nicht zu bewältigen. Im Interesse eines möglichst fehlerfreien Drucks ist eine Hülfe auch dringend geboten. Auch diese Arbeit nun hat Dr. Lehmann übernommen und auch hier ist seine Hülfe sehr wertvoll. Alles in allem kann ich sagen: ohne Dr Lehmann kann die Kant-Ausgabe nicht weitergeführt und abgeschlossen werden. Nur andeuten will ich, daß, was die Akademie für die Kant-Edition ausgegeben hat, kaum den 10.Teil dessen beträgt, was die LeibnizAusgabe schon bisher gekostet hat.
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Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 154. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 155. In der direkten Mitteilung der A d W an den Begünstigten heißt es am 2.Juli 1930: „Auf Antrag von Herrn Oberstudiendirektor Dr. Artur Buchenau hat die Preußische Akademie der Wissenschaften im Einvernehmen mit der Kant-Kommission beschlossen, Ihnen für die Bearbeitung von Kants 'Opus postumum' und für die Anfertigung des Registers zu der Kant-Ausgabe der Akademie ein monatliches Stipendium von 250,- R M [...] mit Wirkung vom 1 .Juli 1930 ab auf zwei Jahre zu gewähren [...]." (NL-Lehmann, zur Zeit Marburg). Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 177.
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Teil II Ich bitte dringend, dem Dr. Lehmann, zunächst wenigstens auf ein weiteres Jahr, die bisherige Remuneration weiter zu bewilligen." 1
Zweitens: In einem, dem Antrag beigefügten, fünfseitigen maschinenschriftlichen Bericht Lehmanns über die Arbeit an Kants nachgelassenem Werk informiert eine längere Klammerbemerkung über die Zielvorstellung der Edition: „(Das Manuskript ist bekanntlich aus der Ordnung gekommen, die Kant ihm erteilt hat, sodass sich aus den Verbindungszeichen oft ein anderer Zusammenhang ergibt als aus der vorliegenden Anordnung. Andererseits sollte und durfte der Weg von Adickes, sich allein auf die handschriftlichen Kriterien und die von Kant vorgenommenen Beziehungszeichen zu verlassen, nicht beschritten werden, weil diese Kriterien und Indizien nicht ausreichen, um vor subjektiver Willkür in der Anordnung zu bewahren. So dass also im ganzen das Prinzip der blossen Reproduktion der vorliegenden Anordnung beibehalten werden musste.)" 2 Die Klasse beschließt am 14.Juli 1932, ein weiteres Jahr zu zahlen, und zwar mit der Spezifikation, daß Herrn Lehmann 200,- M monatlich überwiesen werden sollen: j e 100,- M für die Arbeiten am „Opus p o s t u m u m " und am Index. 3 Wiederum geht ein Jahr ins Land und Buchenau kündigt am l.März 1933 den Beginn des Drucks an, verbunden mit der Bitte, Herrn Lehmann ein weiteres Jahr wie bisher zu unterstützen. Obwohl Maier einverstanden ist, kommen von Seiten der Leitung der A d W Bedenken im Hinblick auf die bereits - ohne Gegenleistung - erfolgten Zahlungen. Maier erreicht schließlich, daß die Akademie sich im Juli zu einem Gesamthonorar 4 von 9900.- R M bereit erklärt, auf das die schon aufgewandte S u m m e von 8100.- R M angerechnet wird. Für den noch ausstehenden Betrag von 1800.- wird mit Rücksicht auf die finanzielle Notlage von Herrn Lehmann festgelegt, 900 R M in sechs monatlichen Raten und den Rest nach Fertigstellung auszuzahlen. Lehmann hat dieser Regelung am 28. Juli 1933 schriftlich zugestimmt. 5 Sprangers Protokoll 6 der Sitzung vom 25. Oktober 1934 hält in einer Art Arbeitsplan fest, daß Bd. XIX fertiggestellt, die Bde. XX-XXI »Vorarbeiten und Nachträge« auf der Grundlage der Vorleistungen von Adickes durch den „bereits eingearbeiteten Dr. L e h m a n n " , und die Bde. XXII-XXIII »Opus postumum« durch Artur Buchenau bearbeitet werden sollen. Darüberhinaus solle Buchenau ein „ R e g i s t e r " 7 anfertigen. Nach Lage der Akten scheint mir sicher, daß sich die Beteiligten darüber einig waren, daß Buchenau grundsätzlich die Rolle einer Fachaufsicht über den „ G e h ü l f e n " Gerhard Lehmann spielen sollte. 1 2 3 4 5 6 7
Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 180. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 181. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 182. Als Berechnungsgrundlage diente ein Honorar von 100.- R M für den - zu erwartenden - Druckbogen. Vgl. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 187-204. Akten der KK, II-VIII, 162. Als Teilnehmer werden genannt: Spranger, Hartmann, Meinecke, Lüders, Stumpf und als Gast Buchenau. Erstmals in Aussicht genommen wurde das von Buchenau angeregte Projekt eines Gesamtregisters zur Ausgabe in der Sitzung der KK vom 13. September 1928. (Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 132).
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In dieser Hinsicht sind auch scheinbar nebensächliche Umstände von Interesse, über die die Akten indirekt informieren: Die näheren Umstände der Arbeiten an der Herstellung des in den Bänden XXI und XXII publizierten Textes. Primär ist der bereits herangezogene Bericht von G. Lehmann aus dem Sommer 1932 einschlägig: „Das schon vor Uebernahme durch die Akademie abgeschriebene, auf Schreibmaschine übertragene opus postumum ist von mir unter Leitung und im Verein mit Herrn Dr. Buchenau in den letzten Jahren als Druckvorlage vorbereitet worden. Die nunmehr im ganzen fertiggestellte 2. Abschrift umfasst ca. 1.300 Schreibmaschinenseiten. Sie ist in der angegebenen Zeit, seit Bewilligung meines Stipendiums durch die Akademie, von mir und Herrn Dr. Buchenau 2 mal kollationiert und mit ca. 30.000 Anmerkungen versehen worden. Die Anmerkungen umfassen die äusseren, sprachlich-grammatischen, und die inneren, sachlichen Schwierigkeiten des zum grössten Teil aus fragmentarischen Notizen bestehenden Manuskriptes."1 Von etwa gleichem Gewicht ist ein Bericht Buchenaus vom 2. Januar 1934: „Das opus postumum lag schon im April 1933 der Druckerei fertig vor. Dem Verlage De Gruyter kam es darauf an, Band XIX abzuschliessen und so wurde die Drucklegung des opus postumum bis nach den Sommerferien zurückgestellt. Es kam hinzu, dass das eingelieferte Manuskript aus drucktechnischen Gründen einer nochmaligen Revision unterzogen werden musste, die sich einerseits auf die Ziffern der Anmerkungen, andererseits auf die Unterscheidung von Kursivdruck und Fettdruck erstreckte, soweit diese in den Anmerkungen Aufnahme fanden." 2 Hinzu kommen drei Details. Erstens, am 12. Juni 1935 teilte Buchenau der AdW mit: „Wie in den Weihnachtsferien hat es sich auch in den Pfingstferien als notwendig erwiesen, dass Herr Dr. Gerhard Lehmann in meinem Auftrage nach Hamburg reiste, um 1 ) eine Reihe von noch nicht völlig geklärten Stellen des op. post, nachzusehen und 2) das Inhaltsverzeichnis an Hand des Manuskripts selber herzustellen."3 Das zweite: In dem weiter unten noch zu erwähnenden Abreißkalender, einer Art Arbeitsbericht von Gerhard Lehmann für das Jahr 1935, werden nicht näher bezeichnete „Photogramme" erwähnt, die im Verlag de Gruyter liegen. Drittens stellt Buchenau der AdW im Jahre 1937 die Kosten für zwei Schreibkräfte, die er bei der Anfertigung der Druckvorlage des „Opus postumum" einsetzte, in Rechnung: 421,- M für 1243 Seiten. 4 Daraus folgt: 1) Während der Arbeiten der 1930er Jahre stand das Original nicht in Berlin zur Verfügung, 2) konnte auf eine - komplette ? - Serie von Photographien zurückgegriffen werden. 3) Die wichtigste Arbeitsgrundlage bildete jedoch die, von Buchenau schon in seinem Schreiben vom 27. Mai 1925 erwähnte, 1924 erstellte Ab1
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Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 181. Ein (allerdings fragwürdiges) Schlaglicht auf das Arbeitsklima wirft der folgende Satz von S.4 der Lehmannschen 'Skizze': „Unsere Besprechungen über das op. post bestanden darin, daß er [Buchenau] den ihm vorgelesenen Text mit seinen (neukantisch-Cohenschen) Deklamationen 'erläuterte', ohne eigentlich hinzuhören." Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 207. Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 19. Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 132.
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Teil II
schrift von Gerhard Lehmann und der ebenda genannte „zweite Text". 1 4) Die Herstellung des Editionstextes konnte spätestens im Sommer 1932 als nahezu abgeschlossen abgesehen werden. Obwohl die AdW ab 1934 eine Drucklegung avisierte, 2 konnte Spranger erst im Januar 1936 die unmittelbar bevorstehende Publikation von Bd. XXI ankündigen. 3 Das »Opus postum um« ist in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre und zwar vertragsgemäß in den Bänden XXI und XXII der Gesamtausgabe erschienen. G. Lehmann hat sich nach 1945 mehrfach kritisch zu dieser Bandzählung geäußert. „Das Nachlaßwerk erschien als Band XXI 1936 und XXII 1938. Diese Bezifferung durch Spranger veranlaßt - war wenig glücklich; denn jetzt mußte ein Teil des Stoffes der Vorarbeiten und Nachträge in Band XX, ein anderer in Band XXIII gebracht werden, womit das chronologische Prinzip der Stoffanordnung durchbrochen war." 4 Diese Aussage ist in zweifacher Hinsicht nicht korrekt. Sie tradiert in Form einer Spranger-Kritik eine irrige, längst überholte Vorstellung vom Aufbau der Abtlg. III der AA-Kant, die nach Adickes' Tod in der Akademie entstanden war. Dieser Irrtum wird dadurch leicht erklärlich, daß jeder, der sich neu in die Materie einarbeiten wollte, den in Bd. XIV schon 1911 veröffentlichten Gesamtplan als unverändert gültig annahm. Da beim Neudruck, ab 1923, der vor 1914 erschienenen Bände (XIV, XV, XVI) die alten Druckplatten verwendet wurden, war die Information über die geänderte Bandzählung nur in einem Zusatz am Ende des Vorwortes der zweiten Auflage von Band XIV (S. XI) enthalten und im damit gleichlautenden Schlußabsatz des Vorwortes von Adickes zum erstmals 1926 erschienenen Band XVII. Wie oben dargelegt, haben die in Sachen »Opus postumum« geführten Verhandlungen zwischen der Familie Krause in Hamburg und dem Verlag bzw. der Akademie in Berlin zum Abschluß zweier Verträge geführt. Seit dem Herbst 1923 besaß der Verlag das Editionsrecht und im Sommer 1924 wurden die Modalitäten der Ausgabe zwischen Verlag und Akademie vereinbart. Heinrich Maier hat darüber in den jeweiligen Sitzungen der Akademie berichtet. In der öffentlichen Sitzung vom 22.1. 1925 erwähnt er den zwischen dem Verlag und der Akademie abgeschlossenen Vertrag und präzisiert: „Die Schrift wird als Bd. XXI und XXII (Bd. VIII und IX der dritten Abteilung) unserer Ausgabe eingereiht." 5 1 2
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Vgl. dazu das Zitat oben S. 109f. Im bereits (S. 155) zitierten Sitzungsbericht vom 25.1. 1934 heißt es (S. LI): „Der Text des Opus posthumum, für das Hr. Buchenau verantwortlich zeichnet, ist nach unsäglichen Mühen nunmehr hergestellt und unter ständiger Mithilfe von Hrn. Lehmann (auch) drucktechnisch in die endgültige Gestalt gebracht worden. Der Druck kann 1934 b e g i n n e n . " Grundlage für Sprangers Darlegung ist der eben zitierte Bericht Buchenaus vom 2. Januar 1934. Vgl. Sitzungsbericht 1936; S. XLIX. Lehmann 1955, Reinschriftfragment, S. 7; ähnlich: Lehmann 1969, 39, wo von einer „falschen und von Spranger [...] beibehaltenen Vorentscheidung" die Rede ist. An der zuletzt angesprochenen Stelle ist Lehmanns Darstellung - vermutlich infolge zweier Druckfehler - jedoch verzerrt: unter den von „Adickes projektierten Bänden VI und VII des handschriftlichen Nachlasses" will er, wie die zweite Hälfte seines Satzes zeigt, die späteren Bände VII und X [= XX und XXIII der Gesamtzählung] verstanden wissen. Vgl. AAKant XXIII 506. Sitzungsbericht 1925; S. LX.
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Damit korrigiert Maier die in seinem vorjährigen Bericht in Aussicht gestellte Disposition 1 und bestätigt mit dieser Zählung den eben angesprochenen Zusatz von Adickes zur Neuauflage von Band XIV. Am Ende des auf den 24. 8. 1924 datierten Vorwortes wird die bisher fixierte Bandzählung aktualisiert und die Abteilung III neu strukturiert: „Es [das sog. Op. p.] wird in ein bis zwei Bänden nach Band XX, in dem nun die gesamten 'Vorarbeiten und Nachträge' [...] vereinigt werden sollen, eingeschoben werden und möglichst bald erscheinen." 2 Mit dem Wort „eingeschoben" zeigte Adickes an, daß der Schlußband, der sowohl das von Dilthey seit 1902 in Aussicht gestellte „Hülfsmittel" zur Restituierung der 'zerlegten' Aufzeichnungen als auch die Illustrationen und Begründungen der Datierung enthalten würde, erst nach den Bänden XXI und XXII erscheinen sollte. Nach dem Tod von Heinrich Maier (28. November 1933) 3 scheint diese mit der Aufnahme des »Opus postumum« verknüpfte Disposition innerhalb der nunmehr auf 10 Bände erweiterten Abteilung III zeitweise in der Akademie in Vergessenheit geraten zu sein. In seinem zweiten Bericht (24.1. 1935) als Vorsitzender der KK (seit dem 30. November 1933)4 schreibt Spranger: „Das Material für den geplanten Band 20 erweist sich jedoch schon jetzt als so umfangreich, daß man es auf einen 20. und 21. Band verteilen muß. Der Druck des Opus postumum ist so weit vorgeschritten, daß der 1. Halbband als Band 22 der Gesamtausgabe bald erscheinen kann. Mit dem 2. Halbband (Band 23) wird die Kantausgabe der Akademie inhaltlich abgeschlossen sein." 5 In einem Schreiben von Eduard Sthamer (1883-1938), dem Bibliothekar und Archivar der Akademie, vom 28.12. 1935 an Buchenau, den verantwortlichen Herausgeber 6 des »Opus postumum«, heißt es: „[...] erlaube ich mir Ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass de Gruyter bei der Zählung des Opus postumum in der Reihe der KantAusgabe offenbar einen Irrtum begangen hat: Band 20 und 21 der Kant-Ausgabe werden die Nachlassbände, deren Bearbeitung Adickes begonnen hatte; das Opus postumum zählt also erst Band 22 und 23 der Ausgabe." 7 1 2
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Im Bericht vom 24.1. 1924 heißt es: „Im Herbst 1925 soll [!!] das Werk als Band XXII und XXIII unserer Kantausgabe (Band IX und X der dritten Abteilung) erscheinen." - Sitzungsbericht 1924; S. LX. AA-Kant XIV; S. XI, vgl. AA-Kant XVII; S. XIV, datiert den 8. 11. 1925.- Vgl. femer das oben (S. 106) mitgeteilte Protokoll der Berliner Besprechung zwischen Maier, Adickes und dem Verlag de Gruyter vom 28. April 1924. Vgl. den Nachruf von Helfried Hartmann in den »Blättern für Deutsche Philosophie« 8/1934-35/60-64. Ein Nachlaß von Heinrich Maier, der vermutlich in die Hände der zuletzt in Rom lebenden Tochter Anneliese Maier (1905-1970) übergegangen ist, ließ sich nicht ermitteln. - Mitteilung von Frau Dr. Hedwig Maier (Tübingen) vom 11. Oktober 1990.- Auch Frau Dr. Katja Tenenbaum (Rom) danke ich für ihre Auskünfte in dieser Sache. Vgl. Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 205. Sitzungsbericht 1935; S. LXV. Auch dazu eine Fußnote: Der eingangs erwähnte Festband für Lehmann ist gewidmet „Dem Herausgeber des Opus postumum und der weiteren seit 1936 erschienenen Bände der Akademie-Ausgabe von Kant's gesammelten Schriften Gerhard Lehmann zum 80. Geburtstag". - Der Lehmannschen 'Skizze' zum Trotz ist eine solche Zuweisung weder juristisch noch historisch haltbar. Br. erhalten in den Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 49.
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Die beiden mit »Opus postumum« betitelten Bände sind dennoch - nach Abstimmung zwischen Verlag (Buchenau) und Akademie (Spranger) 1 - als XXI und XXII gezählt und mit den Jahreszahlen 1936 und 1938 auf den Titelblättern ausgegeben worden. - Die Kritik an Spranger greift folglich ins Leere und offenbart eine Desorientierung über den Plan der Ausgabe. Die Zählung der beiden Bände des »Opus postumum« und das Verteilen der »Vorarbeiten und Nachträge« in zwei nicht aufeinanderfolgende Bände muß aus anderen Gründen geschehen sein. Wenn Spranger etwas veranlaßt hätte, dann wäre es die Zählung des unvollendeten Werkes vom Übergang als Nr. XXII und XXIII gewesen; keinesfalls die Aufspaltung der »Vorarbeiten und Nachträge« in einen XX und XXIII Band und das damit verbundene Abgehen vom chronologischen Prinzip der Stoffanordnung der Kantischen Aufzeichnungen. Von einer solchen Zweiteilung der »Vorarbeiten und Nachträge« ist erstmals im mit „Nicolai Hartmann" gezeichneten Sitzungsbericht der herausgebenden Körperschaft vom 27. Januar 1938 die Rede: „Mit ihm [= Bd. XXII] ist die Hauptaufgabe der Nachlaßedition abgeschlossen. Was noch aussteht, ist der in der Numerierung der Bände ausgesparte Band XX, der die erste Einleitung zur 'Kritik der Urteilskraft', die Preisschrift über die 'Fortschritte der Metaphysik' und die sehr ausführlichen Randbemerkungen Kants zu seinem Handexemplar der 'Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen' umfaßt. Darüber hinaus steht noch ein Ergänzungsband (XXIII) in Aussicht, in den die Nachträge Kants zu seinen Druckschriften, sowie die oben erwähnten noch unveröffentlichten Losen Blätter · kommen sollen." 2 Der Text dieses sieben Druckseiten einnehmenden Berichtes läßt die Geschicke der Ausgabe seit 1921 Revue passieren, er enthält jedoch eine auffällige Anzahl von fehlerhaften Angaben und mehrfach irreführende Auslassungen über die Arbeit von Erich Adickes, so daß auch die darauf gestützte Ableitung von einer als notwendig vorgestellten Änderung der „Editionstechnik" unglaubhaft wird. - Zum Beleg hier nur zwei Beispiele: a) S. XXXII und X X X V wird das Todesjahr von Erich Adickes mit 1929 statt 1928 angegeben; b) S. XXXI wird behauptet, daß Band XV »Anthropologie« sich noch 1919 „in Vorbereitung" befunden habe, obwohl dieser bereits 1913 erschienen ist. 3 Weil der Bericht faktisch die Folie für gleich genauer vorzuführende Vorgänge im Frühjahr 1938 bildet, ist es geradezu unabdingbar zu notieren, daß nicht der Ontologe Nicolai Hartmann (1882-1950), sondern Lehmann der Urheber dieses Sitzungsberichtes ist. 4 1 2 3 4
Nach einer Aktennotiz über ein Telefonat zwischen Buchenau und Sthamer vom 30.12. 1935; Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 49. Sitzungsbericht 1938; S. XXXVII. Ein vermutlich ähnlich entstandener Irrtum auch bei Ritzel 1988b, 495: Beide benutzen Bände der zweiten Auflage, Lehmann/Hartmann Bd. XV, Ritzel Bd. XVI. Dies schließe ich aus der folgenden Stelle des Briefes von Hartmann an Lehmann vom 12. Dezember 1937: „Sie werden sich vielleicht erinnern, daß ich Sie vor einigen Wochen um Ihre Hilfe für meinen Bericht über die Kantausgabe bat; [...]. Sollten Sie sich die Sache anders überlegt haben, und das Exposé nun doch nicht machen wollen, so bitte ich um eine Mitteilung; ich müßte mich dann an Herrn Buchenau wenden." (NLLehmann, SBPK, Kasten 1)
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Der dritte Streit um das Opus postumum: Schlußfinanzierung durch das Preußische Ministerium
Doch vorerst zurück zur Jahreswende 1935/36, die unter der Perspektive der Organisation der Arbeiten an Kants Nachlaß einen wichtigen Einschnitt markiert, denn über den weiteren Fortgang informiert die Akte „Dr. Gerhard Lehmann / April 1936 - Novbr. 1939" in den Unterlagen des „Reichs- und Preuß. Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung". 1 Daraus geht hervor, daß der Verlag de Gruyter Januar bis April 1936 die Entlohnung von Gerhard Lehmann für seine Arbeiten an den Bänden XXI-XXII übernahm, mit der Aussicht auf eine Anschlußfinanzierung durch das Ministerium. 2 Auf Antrag von Gerhard Lehmann 3 selbst (vom 24. April 1936) bewilligt das Ministerium zunächst (8. 5. 1936) ein Stipendium in Höhe von insgesamt RM 2160,- für die Monate April 1936 bis März 1937, das am 26. Januar (vorläufig) bzw. am 3. April (endgültig) 1937 in derselben Höhe um zwölf Monate bis Ende März 1938 verlängert wird. 4 U m die Bedeutung dieser (Mit)Finanzierung der Akademie-Ausgabe durch Dritte bewerten zu können, ist eine Äußerung aufschlußreich, die kurz vor dem positiven Bescheid gefallen ist. Am 14. März 1936 schreibt Buchenau an Spranger: „Diese ganze Angelegenheit der Veröffentlichung des O. p. liegt seit Monaten auf mir wie ein Alb. Im Grunde genommen geht es mir genau so wie Ihnen und Herrn Sthamer, dass ich herzlich froh wäre, wenn ich die Sache allein beenden könnte. Herr L. ist zwar vollständig in der Sache drin, mir aber charakterlich wenig angenehm. So wie er die Sicherheit hat, Zahlungen zu bekommen, wird der Gummi bei ihm gedehnt. Die ganze Verzögerung erklärt sich ja daher, dass ich die Arbeit seinerzeit übernahm als Stadtrat a. D. und meine Zeit und Arbeitskraft eine baldige Beendung erhoffen liess. Dann kam die Berufung zum Direktor des Humboldt-Gymnasiums, die Fortführung der PestalozziAusgabe, bei deren 10 Bänden ich ja auch jeden Bogen gelesen habe, die weitere Berufung in die Staatsprüfungs-Kommission usw. Das war für Herrn L. günstig, für die Vollendung der Arbeit ungünstig. [...] Freilich: wenn Herr L. weiss, dass im Notfalle doch noch für 6 Monate Geld zur Verfügung steht, also 6 χ RM 150.- = RM 900.-, so wiegt er sich wieder in Sicherheit. So darf die Sache also nicht gemacht werden. Wenn es Ihnen gelingt - und ich persönlich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das durchsetzen könnten -, diese Summe noch flüssig zu machen, so würde ich sie dem Verlagschef zur Verfügung stellen, und dieser gäbe Herrn L. pro Bogen RM 20.-, also immer nur Geld nach Ablieferung des Manuskriptes und Durcharbeitung der einzelnen Bogen. So bliebe er 'in der Furcht des Herrn'. Anders ist mit dem Mann leider nicht zu verhandeln." 5
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Herrn Dr. Oldenhage und Frau Mokry vom Bundesarchiv, Abtig. Potsdam danke ich für die Ermittlung der Akte und die mir freundlicherweise im April 1991 übersandten Xerokopien, aus „49-01 R E M " . Danach die folgenden N a c h w e i s e als Potsdamer Akte.
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Vgl. den Brief von Buchenau an Baeumler (10. Januar 1936), fol. 4 der eben genannten Akte.
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D i e ersten Zeilen des zweiseitigen, handschriftlichen „Gesuchtes] betr. Forschungsstipendium" (Potsdamer Akte, fol. 2) lauten: „Als Bearbeiter des Nachlasswerkes von Kant (opus postumum) s o w i e des Bandes X X der A k a d e m i e a u s g a b e von Kants Schriften (Vorarbeiten und Nachträge) bitte ich den Herrn Minister um Bewilligung eines Forschungsstipendiums von monatlich 200.- M für ein Jahr."
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Potsdamer Akte, fol. 2-5 und 6-12.
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Akten der KK, II-VIII, 160 (nicht foliiert).
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Teil II
N a c h einer undatierten (ca. 1979 geschriebenen) - u m g e f ä r b t e n - autobiographischen S c h i l d e r u n g von G. L e h m a n n 1 zu urteilen, ist tatsächlich so v e r f a h r e n w o r d e n . - Die Vorgänge u m die D r u c k l e g u n g des O p u s p o s t u m u m sind j e d o c h nicht abzulösen von V e r w e r f u n g e n z w i s c h e n der A k a d e m i e und d e m Bearbeiter, die etwa u m die gleiche Zeit bei der Vorbereitung des n o c h ausstehenden Bandes X X zu verzeichnen sind. Sie werden zum expliziten T h e m a erst im nächsten Abschnitt. A u f f a l l e n d ist die positive Entscheidung des Ministeriums vor allem, weil k n a p p ein halbes Jahr zuvor derselbe A n t r a g gescheitert war: Die L e h m a n n ab N o v e m b e r 1934 von der A k a d e m i e gewährte Unterstützung von R M 150.- monatlich lief im Juli 1935 aus. 2 Weil keinerlei Aussicht bestand, eine erneute F i n a n z i e r u n g durch die A d W zu erreichen, stellte Lehmann im M a i desselben Jahres einen A n t r a g b e i m P r e u ß i s c h e n Ministerium f ü r W i s s e n s c h a f t , Erziehung und Volksbildung. In den dazu eingeholten G u t a c h t e n wird - fast - kein Blatt vor den M u n d g e n o m m e n : Bei A l f r e d B a e u m l e r (1887-1968), der 1934 im s o g e n a n n t e n „ A m t R o s e n b e r g " , 3 d e m „ B e a u f t r a g t e n des Führers f ü r die Ü b e r w a c h u n g der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und E r z i e h u n g der N S D A P " , w e i t r e i c h e n d e B e f u g n i s s e erhalten hatte, heißt es a m 28. Mai 1935: „Es sei mir gestattet, über den vorliegenden Fall hinaus eine Bemerkung über Herrn Gerhard Lehmann zu machen. Aus dem beiliegenden 'Lebenslauf' geht hervor, daß Herr Lehmann auf eine Laufbahn als Universitätslehrer rechnet. Nach Kenntnis seiner Person und seiner philosophischen Arbeiten halte ich diese Laufbahn unter den heutigen Umständen für ausgeschlossen. Die Fähigkeiten Gerhard Lehmanns scheinen mir ausgesprochen auf dem Gebiete der exakten philologischen Arbeit zu liegen. In der Philosophie ist er ein blasser, abstrakter Formalist, der nicht denkt sondern rubriziert. Dagegen sind seine philologischen Fähigkeiten so wie sein Fleiß und seine Gewissenhaftigkeit sehr hoch zu schätzen. Ich hielte es nicht für richtig, einen solchen Arbeiter untergehen zu lassen, und würde eine Anstellung bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften für eine zweckmäßige Lösung halten."4 Und Spranger schreibt am 4. Juli 1935 in einem Zirkularvermerk der A d W zur „Pers o n " - nicht zur „ S a c h e " : „Es liegt der schmerzliche Fall vor, daß Herr Dr. Lehmann seine ganze Existenz auf wissenschaftliche Arbeit aufzubauen versucht hat. Troeltsch (t) und ich haben ihn nach seiner Doktorprüfung5 dazu nicht ermutigt. Dr. Buchenau hat ihn stets unterstützt, aber auch auf die Notwendigkeit eines Berufes, der zu einem ausreichenden Erwerb führen kann (z. B. Staatsexamen), immer wieder hingewiesen. Die Akademie hat z. Z. keine 1
2 3 4 5
Nachlaß Lehmann (zur Zeit in Marburg) 'Skizze' (S. 6): „In der Abteilung Reimer des Verlages regierte Herr Brill, ein bloßer Büromensch ohne Voraussetzungen: Zahlungen, die mir zustanden, mußten quantitativ, d.h. nach der Menge der abgelieferten Bogen, quittiert werden." Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 11. D. i. der Nazi-Ideologe Alfred Rosenberg (1893-1946, hingerichtet). Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 23 (Abschrift). Lehmann war am 1 l.März 1922 mit einer 85 Seiten umfassenden Arbeit »Ueber die Setzung 'Individualitätskonstante' und ihre erkenntnistheoretisch-metaphysische Verwertung. Eine Untersuchung über das Wesen des Individuums« in Berlin promoviert worden. Vgl. dazu die Selbstanzeige in KS 27/1922/236-7.
Adickes' Nachfolger
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Dauerbeschäftigung für ihn. Sie kann höchstens den Herrn Minister bitten, für die Versorgung von Herrn Dr. Lehmann in anderer Hinsicht Sorge zu tragen. Die Erteilung eines Stipendiums - auf Frist - wäre zu befürworten." 1 Die A k a d e m i e ließ sich Zeit mit einer offiziellen Stellungnahme, zu der sie vom Ministerium gebeten wurde. Erst nach dem Eintreffen einer M a h n u n g seitens des Ministers (vom 26. August) ist eine in den Akten nachvollziehbare Reaktion zu verzeichnen. Auf einer Sitzung der philos.-hist. Klasse v o m 19. S e p t e m b e r wird das weitere Vorgehen besprochen und festgelegt, daß und in w e l c h e m Sinn der Vorsitzende der K K (Spranger) eine Antwort vorbereiten soll. 2 In der fünfseitigen Stellungnahme an den Minister (vom 3. Oktober) lautet die entscheidende Passage: „[...] so kann die Akademie nicht umhin zu bemerken, daß die Schuld an dieser Verzögerung [beim Druck des »Opus postumum«] allein bei Dr. Lehmann liegt, der während der vielen Jahre, in denen er von der Akademie laufend Abschlagszahlungen erhielt, seine Arbeitskraft keineswegs ausschließlich zur Fertigstellung des Opus postumum verwandt hat, sondern daneben kleinere und größere eigene Arbeiten machte, für die das Honorar nicht bestimmt war." 3 N a c h d e m das Ministerium a m 9 . D e z e m b e r 1935 abschlägig entschieden hat, 4 ergreift S p r a n g e r E n d e des M o n a t s aus d e m G e f ü h l einer „ P r ü f u n g s p f l i c h t " die Initiative. 5 Einerseits m a h n t er am 27.12. 1935 L e h m a n n zur Arbeit: „ D a m i t in der Zwischenzeit [gemeint sind V e r z ö g e r u n g e n bei der D r u c k l e g u n g des Op.p.] schon ein Schritt vorwärts getan wird, bitte ich Sie, Ihre bisherigen Arbeiten zu Bd. 20/21 (worunter ich die von B e r g e r / A d i c k e s ü b e r n o m m e n e n S a c h e n verstehe) auf der A k a d e m i e bei Prof. S t h a m e r a b z u g e b e n . " 6 U n d andererseits hält er, in e i n e m Zirkular v o m 18. J a n u a r 1936 f ü r die Akten, L e h m a n n s institutionelle Position unzweideutig fest: „Für heute bemerke ich nur erläuternd: Ich habe entschieden abgelehnt, daß Herrn Dr. Lehmann für das Opus postumum noch etwas von Seiten der Akademie gezahlt wird. Ich habe Herrn Dr. L. selbst deutlich gemacht, daß er nicht Assistent bei der Kantausgabe ist und nur für einzelne bestimmte Leistungen honoriert wird. Nach bisherigen Erfahrungen soll es auch in Zukunft nur so gehandhabt werden." 7 Ein weiteres Detail zeigt das Schreiben von Sthamer an Buchenau, 28. 12. 1935: „Im Anschluss an unsere Unterredung vom 23. Dezember ds. Js. bitte ich Sie auf Veranlassung von Herrn Professor Spranger, mir noch mitzuteilen, wo Herr Dr. Lehmann in den letzten 5 Jahren seine Arbeit für die Kant-Ausgabe geleistet hat, und ob die von ihm tatsächlich darauf verwandte Zeit irgendwie kontrolliert worden ist. Ferner lässt Herr Professor Spranger Sie bitten, von Herrn Dr. Lehmann unverzüglich 1 2 3 4 5 6 7
Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 20. Vgl. Akten der KK, II-VIII, 162, Handakte Spranger, keine Foliierung. Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 33. Kopie des Bescheides in den Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 41. Vgl. Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 46. Schreiben an Sthamer vom 26.Dez. 1935. NL-Lehmann, SBPK. Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 58.
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Teil II einen eingehenden Bericht anzufordern, aus welchem ersichtlich ist, in welcher Weise er seine Arbeit an den Nachlassbänden 20 und 21 [= »Vorarbeiten und Nachträge«] der Kantausgabe, für die er in den letzten 14 Monaten insgesamt 2100 RM erhalten hat, gefördert hat." 1
Wie aus einer handschriftlichen Notiz von Sthamer auf einem weiteren Brief (31. 12. 1935) an Spranger hervorgeht, hat Lehmann den angeforderten Bericht an diesem Tag abgegeben. Es dürfte sich dabei um den - in den Akten enthaltenen - Abreißkalender des Jahres 1935 handeln, auf dessen Tagesblättern Lehmann seine tägliche Leistung mit wenig aufschlußreichen, sehr kurzen Vermerken festgehalten haben will. 2 Wie bereits angegeben, stellte Lehmann erneut, im April 1936, Antrag beim Ministerium und erhielt mit Bescheid vom 8. Mai das gewünschte Stipendium. 3 Weder die Akten der Kantkommission noch die Potsdamer Regierungsakten geben eindeutigen Aufschluß über die Gründe, die zu diesem Sinneswandel geführt haben. Offensichtlich haben verschiedene mündliche Besprechungen zwischen den Beteiligten stattgefunden, die nicht schriftlich protokolliert worden sind. Insbesondere muß offen bleiben, welche näheren Beziehungen zwischen Lehmann und Baeumler bestanden haben. Sie kannten sich wenigstens seit 1931. 4 Nicht zu unterschätzen ist jedenfalls Buchenaus Einfluß; denn sein Schreiben an Baeumler vom 10. Januar 1936 wurde auf Wunsch von Baeumler zu den ministeriellen Akten genommen, und der Sache nach formuliert es den dann realisierten Vorschlag: „Sehr verehrter Herr Professor! Die Konferenz am Freitag, den 3 . 1 . , mit Herrn Prof. Spranger war ergebnislos. Die Akademie ist nicht bereit, weitere Zahlungen an Herrn Dr. Lehmann zu leisten. Was man ihm seit August 35 zahlte, wurde als Resthonorar für den weiteren Nachlassband, der die Ergänzungen zu Kant's Schriften enthalten soll, verbucht. Natürlich hat Herr Lehmann geltend gemacht, dass ihn die Drucklegung des I. Bandes vom Opus postumum und die Druckvorbereitung für den II. Band im letzten Jahre so beanspruchten, dass er am Ergänzungsbande nur nebenbei arbeiten konnte, auch hat er die Art der Aufrechnung beanstandet und die Akademie gebeten, ihm bis zum Abschluss der KantArbeiten eine bescheidene Anstellung bei der Akademie zu verschaffen, damit er nicht immer wieder in dieselben Schwierigkeiten kommt. Aber es hat alles nichts genutzt; die Akademie steht seinem 'eigenmächtigen' Schritt beim Ministerium nicht wohlwollend gegenüber. Ich sehe da zunächst nur eine schwache Möglichkeit, weiter zu kommen. Der Verlag will die Drucklegung des II.Bandes vom O. p. auf keinen Fall verzögern oder gar abbrechen. Es ist daher wohl anzunehmen, dass er die Zahlungen an Herrn Lehmann, dessen Tätigkeit ja jetzt ganz unentbehrlich ist, in den nächsten Monaten bis Erledigung des Abdrucks der Konvolute 7 bis 13 selbst leistet. Dann aber müsste natürlich ein anderer Modus gefunden werden. Mein Vorschlag wäre nun der, dass von da ab das Ministeri1 2 3 4
Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 49. Akten der KK, II-Vili, 160, fol. 62. Potsdamer Akte, fol. 5. Vgl. die wenigen Schreiben von Baeumler an Lehmann, SBPK NL-Lehmann. Im Juli und September 1937 ist der Ton sehr vertraulich.
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um eine Beihilfe gibt, an der ich selbst mich dann beteiligen will. [...] Mit schönstem Dank für Ihr freundliches Interesse bin ich mit freundlichen Grüssen und Hitler - Heil Ihr Artur Buchenau"1 Damit war die Fortführung der Tätigkeit von G. Lehmann in Sachen »Opus Postumum« bis zum Frühjahr 1938 finanziell gewährleistet. Doch war damit noch nicht über die weitere Verwendung der im Sommer 1934 übernommenen Materialien für Bd. XX alter Planung, d. h. die auf Berger/Adickes zurückgehenden Unterlagen, entschieden. 3) Die Organisation der Bände XX und XXIII Das von Erich Adickes und der KK entworfene Konzept der Abtlg. III sah vor, die Reihenfolge der »Vorarbeiten und Nachträge« Kants zu den von ihm 'veröffentlichten oder projektierten Werken und Aufsätzen' nach dem Datum der beabsichtigten oder erfolgten Publikation zu richten (AA-Kant XIV; S. XXVIIf.). Als die Mss der Familie Krause nach 1923 für die Ausgabe verfügbar wurden, bestand kein Anlaß, diesen Plan zu modifizieren; denn das sogenannte »Opus postumum« rückte - diesem Namen gemäß - selbstverständlich an den Schluß der Vorarbeiten. Hingegen hätten die anderen Materialien (unter anderem diejenigen 18 Losen Blätter des IV Konvolutes, die aus der Zeit von 1786-95 stammen und in keiner Beziehung zum »Opus postumum« stehen, 2 wie auch der als 13. Konvolut gezählte einzelne Bogen eines Reinschriftfragmentes zum »Streit der Fakultäten« 3 ) problemlos an ihrem jeweiligen Ort eingefügt 4 oder nachgetragen 5 werden können. Dazu bedurfte es zudem keiner besonderen Vorbereitungen, weil diese Losen Blätter von Adickes bereits 1920 datiert worden waren. Die in den Bänden XXI-XXII vollzogene Kehrtwendung zum archivarischen Prinzip Einheit der Provenienz - erforderte demnach ebenfalls keine bestimmte Zählung der Bände oder gar Reihenfolge ihres Erscheinens. Wie dargelegt, unterstellte G. Lehmann, daß durch die Bezifferung der Bände des „Opus postumum" 'das chronologische Prinzip der Stoffanordnung' durchbrochen worden wäre. Jedoch ist letzteres durchaus vereinbar mit unterschiedlichen Bandziffern. Band XX hätte etwa die 'Vorarbeiten' bis 1795 und Band XXIII diejenigen nach 1796 umfassen können. Auch ein gleich noch näher zu betrachtendes „Umfangsargument" ist haltlos. Rund 1000 Druckseiten ließen sich bequem in zwei durchgehend zu paginierenden Halbbänden - nach dem Modell von Bd. XV - unterbringen. Von der Sache her geht das Verlassen des in Bd. XIV beschriebenen und begrün1
Potsdamer Akte, fol. 4.
2
Adickes 1920, 37-49.
3
Vgl. A d i c k e s 1920, 36-7. Und, erstaunlich g e n u g , Jahre später ( 1 9 5 5 ) G. Lehmann selbst ( A A - K a n t XXIII 5 1 4 Fn. 1). Zur S a c h e selbst vgl. Klaus Reich in der Einleitung zu seiner A u s g a b e d e s »Streits der Fakultäten« (Hamburg: Meiner 1959, u. ö.) S. X X - X X I I und Brandt 1987b, 66.
4
Nämlich der Teil des Textes des L. Bl. 2 6 / 3 2 der von Adickes als „Entwurf zur Vorrede der Kritik der praktischen Vernunft" erkannt worden war; vgl. Adickes 1920, 37-38.
5
Nämlich diejenigen, die in den Bänden X I V - X V I ihren Platz gehabt hätten. In einem echten 'Schlußband' wären diese mit durch kleine Buchstaben indizierte N u m m e r n in die von A d i c k e s aufgebaute Systematik einzuordnen.
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Teil II
deten Plans für die 'Vorarbeiten und Nachträge' auf den bloßen 'diplomatisch getreuen' Abdruck derjenigen Mss zurück, deren Editionsrechte der Verlag vom Eigentümer derselben im Jahre 1923 erworben hatte. Die mit den Bänden XXI und XXII erstmals vollzogene Abkehr von den Prinzipien der Abtlg. III - wissenschaftlich fundierte Neuordnung eines Nachlasses - erzeugte eine ganze Reihe 1 von Doubletten innerhalb derselben Abteilung und eine prinzipienlose, unübersichtliche Anordnung der »Vorarbeiten und Nachträge«. Wären in der Buchenau/Lehmannschen Ausgabe des sogenannten »Opus postumum« „alle Forschungen von Adickes verwertet" 2 worden oder hätte G. Lehmann sich an die „persönlichen Anweisungen" gehalten, die er für die Textbehandlung desselben von Adickes erhalten zu haben 3 vorgibt, dann wären diese Unzulänglichkeiten im Dispositorischen vermieden worden, und die Ausgabe wäre über1 2 3
Vgl. dazu unten Teil VI. Lehmann 1969, 9. Vgl. das Zitat oben S. 131 Anm. 1 aus dem Nachwort zu seiner Schrift: »Kants Tugenden. Neue Beiträge [...]« (Berlin 1980) S. 274 Fn. 10. - In Anbetracht der oben auszugsweise dokumentierten heftigen Auseinandersetzungen zwischen Adickes und Buchenau/Lehmann in der Mitte der 1920er Jahre m u ß diese Auskunft Befremden erregen. Und „persönlich" sind sich Lehmann und Adickes aller Wahrscheinlichkeit nach nur einmal kurz begegnet. Gelegenheit bestand nur im Frühjahr 1924, als Adickes auf der Hin- und Rückreise von der Königsberger Kantfeier (April 1924) je kurz in Berlin war. (Vgl. S. 105f.) Dies geht zunächst hervor aus einer autobiographischen Notiz G. Lehmanns: „Noch vorher, am 14. IV. 24, hatte er mich besucht. Sein Buch [...]" (NL-Lehmann, zur Zeit Marburg: 'Skizze') und sodann dem Wortlaut von Adickes, meines Wissens einzig erhaltenen bzw. gerichteten Originalbrief an Lehmann vom 7. Mai 1924: „Sehr geehrter Herr Dr.! Ich hatte gehofft, Sie am 28/4 bei oder nach der Conferenz im Verlag de Gruyter und Co. sprechen zu können, um festzustellen, ob jetzt volle Klarheit über das nötige Vorgehen herrscht. Hoffentlich sind mittlerweile die Bände und Hefte der Altpreussischen Monatsschrift in Ihre Hände gelangt. Bis auf 4 Hefte ist alles doppelt vertreten, kann also, inweit [!] das der Fall ist, aus einander geschnitten und neu geordnet werden. Ihre Aufgabe beim schon gedruckten Teil würde also sein, Reickes (wo nötig, durchschossenen) Abdruck neu als Druckvorlage herzurichten, ihn genau mit den Ms. zu vergleichen, wobei auf den Unterschied zwischen ss und ß, großen und kleinen Anfangsbuchstaben Wert zu legen wäre und die in Bd. XIV des handschriftl. Nachlasses festgelegten Editionsprincipien genau durchzuführen wären. Durchstochenes in eckigen Klammern [ ] einzuschieben; event., wo das Bild zu bunt werden würde, in Anmerkungen über die verschiedenen Entwicklungs-Phasen eines Satzes Auskunft geben! Alle Ihre Anmerkungen, ebenso Ihre hinzugefügten Interpunktionszeichen mit roter Tinte schreiben. Worte mit lateinischen Endungen bzw. sonstige fremdländische Worte, inweit Kant in lateinisch geschrieben hat, unterrillen! Vor den Randanmerkungen mit roter Tinte die Zeilen angeben, neben denen sie stehen. Und auch sonst den Ort angeben. Etwa: ' A m Rand rechts folgen von oben nach unten auf einander folgende g-Zusätze.' Die gesamten losen Blätter über Anthropologie werden Sie mittlerweile mit Bd. XV der Ausgabe verglichen haben, um sich in die Art der Anwendung der g-Zusätze und s-Zusätze hineinzuleben. Sollte Ihnen noch irgend etwas zweifelhaft sein, so bitte ich anzufragen. Noch eine Bitte! Falls die Vorlesungshefte Kants noch nicht nach [Lücke; lies: hier] abgesandt sind, bitte ich zu versuchen, in dem Sammelband Ms. germ. 400 quart, festzustellen, von wem die von Kant mit Zusätzen versehene Schülerarbeit herrührt. Sie beginnt: »Der Satz der identitet und des wiederspruchs«. Kann es David Friedländers Hand sein? Von ihm werden vermutlich Autographen in der Handschriftenabteilung sein. Weiss man etwas über die Herkunft des Bandes Ms. germ 400? Ich meine, woher Friedländer - aus seinem Besitz stammt er doch? - ihn hatte? Der Herr Direktor der Handschriftenabteilung, den ich freundlichst zu grüssen bitte, wird vielleicht so liebenswürdig sein, Ihnen nach Möglichkeit Auskunft zu geben. Mit bestem Dank im voraus Ihr ergebenster E. Adickes." [Darunter der Vermerk von Lehmann: „Nicht Friedländers H a n d " ] Quelle: SBPK, NL-Gerhard Lehmann. Zur Sache des von Adickes angesprochenen Handschriftenbandes vgl. meine Kontroverse mit Lehmann in den Jahren 1984-85. - Ohne es zu ahnen (damals kannte ich den eben wiedergegebenen Wortlaut nicht), hatte ich Lehmann auf den Anfang seiner Bekanntschaft mit Kantischen Manuskripten verwiesen. Wie klar Adickes Lehmann später beurteilte, ist in der oben S. 154f. mitgeteilten Bemerkung seines Sohnes, Franz Adickes, vom 23. März 1933 zu erkennen.
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schaubar geblieben. Pikanterweise beklagte G. Lehmann später das notabene zum gut Teil von ihm selbst angerichtete Durcheinander. Im vorletzten von ihm edierten Band der AA-Kant (1980) schreibt er: „Inzwischen ist soviel Material (Text und Anmerkungen) hinzugekommen, daß es schon eines Lotsen bedarf, um sich in der Akademieausgabe selbst zurechtzufinden." (AA-Kant XXIX 1.1, 660 Anm. 49). Wenn man die Edition der Kant-Autographen der Familie Krause wegen der besonderen vertragsrechtlichen Lage ganz ausklammern möchte und nur die vordem zugänglichen, als »Vorarbeiten und Nachträge« zu veröffentlichenden Manuskripte berücksichtigt, dann besteht für diese a fortiori keine Notwendigkeit, von der chronologischen Anordnung abzugehen. G. Lehmann hat sich für die - nach außen hin - von ihm verantwortete 1 Textsammlung in Band XX mehrfach zu rechtfertigen versucht. Wenn ich recht sehe, dann folgt er zwei verschiedenen Strategien. Vor 1945 scheint er nur eine sachliche Begründung geben zu wollen. Nach 1945 tendiert er daneben zu einer Entschuldigung mit Hinweisen auf die kriegsbedingt schlechten äußeren Umstände der Arbeiten. 2 Die folgenden zunächst historischen, dann sachlichen Bemerkungen zeigen etwas ganz anderes. Die älteren Vorbereitungen für den Druck von Band VII der Abtlg. III reichen, wie aus dem biographisch orientierten Abriß ersichtlich, wenigstens bis in das Jahr 1924 und die Wiederaufnahme - nach der erzwungenen Pause im ersten Weltkrieg und der anschließenden Zeit der Inflation - der editorischen Tätigkeit durch Erich Adickes zurück. In welchem Stadium sich die Vorarbeiten beim Ausscheiden von Friedrich Berger (1934) befanden, geht aus den bereits herangezogenen Briefen von Berger und Franz Adickes an Spranger hervor. Mehr noch: Als Anlage hat Berger seinem letzten Brief vom 11.8. 1934 eine „Vorläufige Inhaltsangabe zu Bd. VII des handschriftlichen Nachlasses" beigegeben, die in 27 Ziffern - ohne Berücksichtigung des „Opus postum u m " 3 - in chronologischer Abfolge die entsprechenden, verfügbaren Mss von Kant auflistet. 4 Ehe jedoch in Berlin die sachliche Weiterarbeit beginnen konnte, mußte zuerst die institutionelle und organisatorische Seite geklärt werden. Darüber konnten vornehmlich anhand der Akten folgende Informationen ermittelt werden. Nachdem die in Tübingen lagernden Original-Handschriften Kants zusammen mit den Unterlagen von Adickes im August 1934 der Preußischen AdW zugesandt worden waren (vgl. dazu S. 131) mußte als erstes eine Sitzung der KK stattfinden, in der die Weichen neu gestellt werden sollten. Mit Schreiben vom 9. Oktober 1934 wandte Eduard Spranger sich an Nicolai Hartmann, darin heißt es u. a.: „Ihre gütigen Zeilen tragen dazu bei, daß ich etwas hoffnungsvoller ins Wintersemester gehe, als es sonst der Fall gewesen wäre. Von allen Komplikationen abgesehen werden wir beide in diesem Winter ein Maß an dienstlicher Arbeit zu leisten haben, wie nie bis1
Vgl. A A - K a n t X X ; S.VII, w o G. Lehmann bemüht ist, seiner Verantwortlichkeit Nachdruck zu verleihen. Zur tatsächlichen Lage vgl. die nachfolgenden Zeugnisse.
2
Vgl. Lehmann 1980, 267.
3
D i e s e Tatsache verweist unmittelbar auf Adickes' Rücktritt von seiner Mitwirkung an der Edition.
4
Vgl. dazu den Wortlaut weiter unten S. 187f.
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Teil II her. Dazu trägt auch der trübe Stand der Akademieunternehmungen bei. Gleich in der 1. oder 2. Sitzung des Winters werde ich eine Beratung der Kantkommission anberaumen müssen, für die ich schon jetzt Ihre freundliche Mithilfe erbitte. Dr. Buchenau werden wir hinzuziehen müssen."1
Die Sitzung fand (wie gesagt) unter Beteiligung der Mitglieder Spranger, Hartmann, Meinecke, Lüders und Stumpf und des - nicht der Akademie angehörigen - Gastes Buchenau am 25. Oktober 1934 statt. Auf ihr wurde beschlossen, Gerhard Lehmann die Bearbeitung des Bandes XX/XXI zu übertragen.2 Am nächsten Tag schrieb Spranger, die Aufgaben etwas näher charakterisierend, an den Geldverwendungsausschuß der AdW: „Die Arbeit an Band 20/21 der Kant-Ausgabe soll Herrn Dr. Gerhard Lehmann übertragen werden. Es handelt sich dabei um 2 verschieden geartete Texte: Um Werke, die von Kant selbst bereits druckfertig gemacht worden sind und um Handschriften, für die ζ. T. noch eine sehr schwere Datierungsarbeit zu leisten ist." 3 Obwohl Gerhard Lehmann dafür Zahlungen erhielt, geschah in den folgenden Jahren bis zum Abschluß der Editionsarbeiten an den Übergangspapieren in der Sache nichts. Lehmann fertigte für Spranger im Oktober 1934 lediglich eine Aufstellung über den „voraussichtlichen Umfang von Bd. X X " an. Sie lautet: „/ Das von Prof. Berger in 9 Konvoluten zusammengefasste Material hat, umgerechnet auf Seiten von Reicke, Lose Blätter, die denen der Akademieausgabe entsprechen, folgenden Umfang 1. Kuvert 84 2. " 99 7/8. " 85 3. " 343 9. " 89 4. " 160 5/6." 10 = 870 Seiten Dazu 30 Seiten für noch hinzukommende Erläuterungen (voraussichtlich dürfte es viel mehr werden) = 900 Seiten II. Der Umfang der bereits in andere Ausgaben aufgenommenen Schriften Kants: Erste Einleitung i. die Kritik d. Urteilskraft und Fortschritte dürfte 190 Seiten nicht überschreiten. Insgesamt 1090 Seiten." 4 Die Art und Weise der Berechnung weist auf einen weit vorangeschrittenen Bearbeitungszustand hin, die Papiere dürften nahezu satzreif gewesen sein. In eben diesem Sinn teilte Spranger in seinem bereits zitierten, vorletzten Sitzungsbericht am 24. Januar 1935 der Öffentlichkeit mit: „Der noch ausstehende Band [Nr. X X ] des Kant1
Spranger GS VII (1978), 161.
2
Akten der KK, II-VIII, 162. Nicht foliiert.
3
Akten der KK, II-VIII, 162. - Auch dies ein Zeichen der geringen Sachkunde bei dem neuen Vorsitzenden der KK: 1) Welche „Werke" hat Kant „druckfertig" hinterlassen? 2) Die Datierung ist keineswegs besonders schwer, vgl. die oben S. 135f. zitierten Ausführungen Bergers in seinem Schreiben vom 11. August 1934 an Spranger.
4
Akten der KK, II-VIII, 162. Vgl. die oben (S. 137) wiedergegebene Aufstellung im Berliner Verzeichnis (Lehmann) vom Sommer 1934 und die Umfangsangabe von Berger in seinem Schreiben vom 2. Mai 1934: „ 8 0 0 - 1 0 0 0 Seiten".
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nachlasses wird unter Leitung von Dr. Buchenau durch Dr. Gerhard Lehmann zum Abschluß gebracht
werden." 1
Erst im Juli 1937 (Spranger ist im Oktober 1936 für ein Jahr nach Japan gegangen 2 und Nicolai Hartmann hat den Vorsitz der KK übernommen) ist wieder eine Spur von Aktivitäten für Kants »Vorarbeiten und Nachträge« zu finden. Buchenau fragt bei der Akademie an, ob Lehmann den Band allein oder unter seiner Mithilfe fertigstellen soll. - Nach Lage der Akten ist keine Sitzung der KK anberaumt, sondern per Zirkular entschieden worden. Hartmann schrieb am 11. Juli 1937: „Ich wünsche der bewährten Kraft Dr. Lehmanns wohl zu trauen, den Band allein zu voller Zufriedenheit zu redigieren, finde aber nach Erwägung alles Einschlägigen doch, dass ein möglichst schnelles Erscheinen dieses allein noch ausstehenden Bandes für das Unternehmen der Akademie der wichtigere Gesichtspunkt ist; und das um so mehr, als (wie Herr B. richtig hervorhebt) selbst der Registerband gehemmt ist, solange Bd. XX nicht fertig vorliegt." 3
Die Folge war, daß Sthamer mit Schreiben vom 19. Juli Buchenau bat, sich „bei den Arbeiten an diesem Bande Herrn Dr. Lehmann gegenüber überall die leitende und helfende Hand vor[zu]behalten". 4 Woraufhin Buchenau ausführte: „Ich habe nun diese vier Wochen seit der Rückkehr von der Reise dazu benutzt, an die Vorarbeiten heranzugehen und das Nähere über den Inhalt des Bandes XX bereits Herrn Prof. Nicolai Hartmann vor einer Woche mitgeteilt. 5 Im Wesentlichen handelt es sich ja hier um Schriften, die zwar fast druckreif, aber von Kant nicht veröffentlicht worden sind. Ob es möglich sein wird, die losen Blätter aus der 'Tübinger Kiste' hier schon unterzubringen, ist mir im Augenblick noch nicht sicher. Es scheint mir, als ob der Umfang so gross ist, das kaum etwas anderes übrig bleibt, als noch einen Band anzuhängen." 6
Erst damit wurde die Verteilung der »Vorarbeiten und Nachträge« auf zwei Bände zur beschlossenen Sache. 7 Und erneut stellte Gerhard Lehmann im Januar 1938 die Frage nach seiner Finanzierung. Von ausschlaggebender Bedeutung für eine Beurteilung der nachfolgend in ihren wichtigsten Elementen 8 dokumentierten Aktivitäten ist eine Beachtung der Zunahme verschiedener Instanzen (wenn man Einzelpersonen und Insti1
Sitzungsbericht 1935; S. LXV. Hervorhebung. W.St.
2
Vgl. Spranger G S VII ( 1978), 171 u. 180.
3
Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 121. Vgl. auch ebenda fol. 122, wonach Lehmann im Juli 1937 in Rostock g e w e s e n ist.
4
Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 122.
5
Einen entsprechenden Brief konnte ich in den Akten der KK nicht auffinden.
6
Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 126.
7
Vgl. dazu oben S. 164 das Zitat aus dem Sitzungsbericht Hartmanns v o m Januar 1938.
8
Ein Gesichtspunkt, den ich nicht weiter verfolge, ist wichtig genug für diese Anmerkung: Gerhard Lehmann geht ab dem April 1936 - w i e man heute so sagt - „davon aus" daß er für seine Tätigkeit an allen noch ausstehenden Bänden der Nachlaßabteilung Zahlungen erhielt. In den Schriftsätzen des Ministeriums wird d a g e g e n der Gegenstand von B e g i n n bis Ende (24. N o v e m b e r 1939) als „Forschungsstipendium zur Herausgabe des Nachlaßwerkes von Kant" bezeichnet. Anscheinend also erstreckt sich die Förderung nur auf das sog. Opus postumum und das sogar nachdem die Bde. X X I / X X I I erschienen sind.
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tutionen oder Amtsträger so benennen darf), in deren Zusammenwirken Band XX der Akademie-Ausgabe schließlich die Presse verließ. Rückblickend hat Lehmann auf Seite 6 seiner 'Skizze' (ca. 1979) den Verlauf der Sache in folgende Worte gekleidet: „Mein Wunsch, von der Akademie für die Kantausgabe angestellt zu werden - Band XX des handschriftlichen Nachlasses war mir inzwischen übertragen worden - scheiterte an finanziellen Gründen. [...] Da Spranger eine Weiterführung der Kant-Ausgabe durch mich inhibieren wollte, war eine Katastrophe unvermeidlich: sie führte zur Übernahme der Kant-Ausgabe durch das Ministerium, mich selbst zur Erlangung des Dr. phil. habil. in Greifswald (bei Pichler) und zur Anstellung als Universitätsdozent in Berlin (bei N. Hartmann)."' In der Tat! Gerhard Lehmann schrieb am 28. Januar 1938: „An den Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Vom Ministerium erhalte ich unter Wn Nr. 635 ein Forschungsstipendium in Höhe von monatlich 180 Mark zur Fertigstellung der Kantausgabe (Akademieausgabe von Kants Gesammelten Schriften). Die letzte Bewilligung vom 3. April 1937 läuft am 31. März dieses Jahres ab. Eine Neuregelung meiner Arbeitsverpflichtung und meiner Bezüge soll, wie mir Herr Prof. A. Baeumler-Berlin mitteilt, in nächster Zeit und wo möglich mit Wirkung vom 1. April des Jahres erfolgen. Für den Fall, dass sich die Entscheidung darüber hinauszieht, bitte ich den Herrn Minister, mir das bisherige Stipendium vorläufig zu verlängern, damit ich nicht am 1. April ohne Einnahme bin, und die Arbeiten am Kantnachlass keine Unterbrechung erleiden. Heil Hitler!" 2 Damit wurde ein erneutes Verfahren eingeleitet und Gerhard Lehmann beantwortete handschriftlich im Februar/März einen Bogen mit 6 Fragen, 3 darin ist u. a. zu lesen: „1) Welchem Zweck soll die erbetene Zuwendung dienen? Fertigstellung der Bände XX und XXIII der Akademie-Ausgabe von Kants Gesammelten Schriften (Abteilung Nachlass). 2) Beginn und Dauer der Arbeit, die gefördert werden soll. Die Arbeiten an Band XX sind, nach Fertigstellung von Bd. XXIIXXII (Opus postumum IIII), im Jahre 1937 begonnen (Vorarbeiten liegen noch weiter zurück) und werden voraussichtlich bis Ende 1938 dauern. 1939 dürfte voraussichtlich die Drucklegung von Bd. XX erfolgen und Bd. XXIII in Angriff genommen werden. [...] Nachschrift: Die Tätigkeit des Bearbeiters wird beaufsichtigt durch die Herren Prof. Dr. A. Baeumler-Berlin (Universität) und Prof. Dr. N. Hartmann (Akademie). "4 Im Vorgriff auf die weitere Regelung bewilligt das Ministerium am 23. März 1938 für drei Monate Zahlungen bis Juni. Mit dem folgenden, vollständig wiedergegebenen Schreiben erfolgt die von Lehmann Ende Januar angekündigte Initiative von Baeumler. Mit dem Briefkopf „Institut f ü r politische Pädagogik an der Universität Berlin. 1 2 3 4
Nachlaß Lehmann, zur Zeit Marburg - Zur Universitätsstellung vgl. weiter unten. Potsdamer Akte, fol. 15. Der Fragebogen ist zweispaltig angelegt, links stehen die vorformulierten Fragen, rechts die Antworten. Ich gebe die Antworten kursiv wieder. Potsdamer Akte, fol. 17.
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Berlin Ν 24 . Am Kupfergraben 7 . Fernruf: A 6 Merkur 1045. Der Direktor" wendet er sich am 12. April 1938 „An das Reichs- und Preussische Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Berlin W 8. Unter den Linden 69" „Die deutsche Kantausgabe (Akademie-Ausgabe), deren Vollendung zu den wichtigsten nationalen Aufgaben der Gegenwart gehört, steht vor Schwierigkeiten organisatorischer und finanzieller Art, die ein Eingreifen als dringend notwendig erscheinen lassen. 1894 wurde auf Drängen Wilhelm Diltheys der Beschluss einer Ausgabe von Kants Gesammelten Schriften gefasst, um eine Ehrenschuld der Nation gegenüber ihrem grössten Denker abzutragen. 1902 erschien der I. Band der Druckschriften Kants. In vier Abteilungen sollten unter Mitwirkung aller namhaften Kantforscher a) die Druckschriften, b) der Briefwechsel, c) der handschriftliche Nachlass, d) die Vorlesungen in einer mustergültigen Ausgabe binnen kurzer Zeit herausgebracht werden. 1923 erschien der letzte Band (Band IX) der Druckschriften, 1922 der letzte (vierte) Band des Briefwechsels. Diese beiden Abteilungen der Kantausgabe sind also fertiggestellt. Anders verhält es sich mit dem handschriftlichen Nachlass und den Vorlesungen Kants. Über die Edition der Vorlesungen hat die Akademie bis heute keinen Organisationsplan vorgelegt; der Nachlass war ganz in die Hände von E. Adickes (1929 [!] verstorben) übergegangen; eine Einigung darüber, das sogenannte Nachlasswerk (opus postumum) in die Ausgabe aufzunehmen, kam erst 1924 zustande. Inzwischen sind sechs Bände des handschriftlichen Nachlasses erschienen; das opus postumum ist in zwei Bänden abgeschlossen: Der zweite Band wurde Ende 1937 ausgegeben. Es fehlen nun noch die Bände XX und XXIII, sowie 2 Vorlesungs- und 1 Registerband. Band XX und XXIII sollen die von Adickes zurückgestellten Stücke sowie die sogenannten 'Ergänzungen und Nachträge' zu Kants Druckschriften (darunter wichtige, in andere Ausgaben schon längst aufgenommene Arbeiten, wie die Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, die Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik) enthalten. Die beiden Vorlesungsbände sollen aus dem sehr umfangreichen Material an Kollegnachschriften nur einige wenige Hefte in textkritischer Ausgabe geben (darunter die von Pölitz veröffentlichten Hefte über Metaphysik und natürliche Theologie, die seit langem eine wichtige Quelle für die Kenntnis der Vorlesungen Kants bilden) und ein getreues Bild von Kants Lehrtätigkeit übermitteln. Der Registerband soll ein Gesamtregister nur zu den Druckschriften enthalten, das sich bereits in Arbeit befindet. Es erscheint mir dringend notwendig, den Abschluss dieser Arbeiten nicht länger dem Zufall zu überlassen, sondern planend einzugreifen. Die Kantausgabe hat eine über den Rahmen einer bloss fachwissenschaftlichen Veranstaltung hinausgehende aussen- und kulturpolitische Bedeutung: wie die grosse Descartesausgabe der französischen Akademie für Frankreich, so ist die Kantausgabe der Preussischen Akademie für Deutschland repräsentativ. Es ist eine nationale Pflicht, das Gesamtwerk Kants abgeschlossen und in würdiger Form herauszubringen. Der nationalsozialistische Staat kann nicht zulassen, dass die Erfüllung dieser Forderung unter der Organisation der Akademie leidet und, wie die bisherige Geschichte der Kantausgabe zeigt, einer ungewissen Zukunft ausgesetzt wird. Ich schlage daher vor, zur beschleunigten Durchführung der seit 1902 erscheinenden Kantausgabe einen Betrag einzusetzen, der zu umfassen hätte: a) die finanzielle Unterstützung des jeweiligen Bearbeiters, b) die zur Erfassung vorhandener noch unveröffentlichter Kantstücke, insbesondere Loser Blätter, Kolleghefte ect. [!] erforderlichen Kosten, c) die Kosten für Abschriften, insbesondere bei den Arbeiten am Gesamtregister.
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Teil II Vor allem ist es notwendig, den Bearbeiter, die Seele der Ausgabe, in den Stand zu setzen, sich der wichtigen Arbeit ganz zu widmen. Der bisherige Bearbeiter, Dr. Gerhard Lehmann, verdient volles Vertrauen. Ich bitte daher, Herrn Dr. Lehmann in den Stand zu setzen, unsere Ehrenpflicht gegenüber Kant zu erfüllen. A Baeumler" 1
Dieses Schreiben wird der Preußischen A d W am 3. Mai „mit dem Ersuchen um Stell u n g n a h m e " zugeleitet. Die Antwort erfolgte am 2. Juni 1938 mit einem 1 1/2 Seiten einnehmenden Schriftsatz; seine zentrale Aussage lautet: „Die Gesamtausgabe der Schriften Kants, umfassend Werke, Briefe und handschriftlichen Nachlaß, ist bis auf die Bände XX und XXIII des Nachlasses vollendet. Herr Dr. Lehmann wurde seinerzeit mit der Bearbeitung dieser beiden restlichen Bände, für welche das Material bereits halbwegs vorbereitet dalag, beauftragt. An Honorar ist ihm, zum mindesten für Band XX, schon Ende 1935 die Summe von 2100.- RM gezahlt worden. Trotz ständigen Drängens seitens der Akademie und trotz Gewährung eines weiteren staatlichen Stipendiums von monatlich 180.- RM ist Herr Dr. Lehmann bisher die Gegenleistung schuldig geblieben. Die Akademie verweist auf ihren Bericht vom 3. Oktober 1935 und sieht sich genötigt, auch diesmal die Schuld an der Verzögerung des Abschlusses der Kant-Ausgabe Herrn Dr. Lehmann zuzuschreiben. [...] Die Akademie erwartet zunächst von Herrn Dr. Lehmann die Lieferung des Manuskriptes von Band XX. Wenn der Herr Minister geneigt sein sollte, für Band XXIII weitere Mittel zur Verfügung zu stellen, so wird die Akademie dies mit lebhafter Dankbarkeit begrüßen." 2 Unterdessen hat Gerhard Lehmann am 31. Mai beim Ministerium einen weiteren Antrag zur Fortsetzung des Stipendiums bis September gestellt und als Anlage einen halbseitigen „Bericht über die Kantarbeiten" beigegeben. 3 Von dort ist er am 8. Juni der A d W abschriftlich zugeleitet 4 worden, mit Bezug auf ihren Bericht vom 2. Juni und der Frage, ob Einwände gegen eine Bewilligung bestünden. Interessant ist nun, daß die Antwort erst am 24. Juni von Seiten der A d W erfolgt ist, denn in den Akten der KK trifft man auf den Zirkularvermerk von Spranger (datiert 16. Juni 1938): „Nach Mitteilung von Herrn Dr. Heymann hat Hr. Spranger in der Klassensitzung am 16. Juni weitere gutachtliche Äußerungen zur Angelegenheit Dr. Lehmann abgelehnt." 5 - Die Antwort der A d W am 24. Juni:
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Potsdamer Akte, fol. 23-25. Hervorheb. i. O. Im NL-Lehmann der SBPK (Mappe mit Aufschrift „Ministerium / Reichsschrifttumskammer") befindet sich ein Durchschlag, dessen Text nur geringfügige Abweichungen zum oben wiedergegebenen Text enthält. Dies legt fast zwingend nahe, daß Lehmann selbst den Entwurf zu dem Schreiben Baeumlers verfaßt hat.
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Potsdamer Akte, fol. 21. Eingangsstempel des Ministeriums: 1. Juni 1938. Akten der KK, II-VIII, 161, fol. 21. Akten der KK, II-VIII, 161, fol. 22. Ähnlich Sprangers eigenhändige Notiz vom 24. September 1938 (ebenda fol. 28a): „In der Klassensitzung vom 16. Juni habe ich die Erklärung abgegeben, daß ich von der Stellungnahme zu Angelegenheiten Dr. Lehmann betreffend entbunden zu sein wünsche. [...]" Im schriftlichen Protokoll der Sitzung der philos.-hist. Klasse vom 16. Juni 1938 findet sich dagegen nur der Satz: „Die HH Spranger und Hartmann berichten über die Angelegenheit des Dr. Lehmann bei der Kantausgabe." (Akademie-Archiv II-V, 172. fol. 206).
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„Der Arbeitsbericht des Herrn Dr. Lehmann ist zwar sehr spärlich - er zählt heute noch Dinge als geleistete Arbeit auf, die schon vor Jahren fällig waren - . Aber es ist andererseits zuzugeben, daß Herr Dr. Lehmann bis in den November des vorigen Jahres mit den Arbeiten am Opus postumum beschäftigt war. Im Interesse der endlichen Fertigstellung der Bände XX und XXIII des Nachlasses bittet die Akademie daher, Herrn Dr. Lehmann sein Stipendium, wie vorgeschlagen, bis September 1938 zu verlängern." 1 Das Stipendium wird vom Ministerium gewährt. 2 Die weiteren Stationen anhand der Akten im Telegrammstil: A m 29. Juli wendet sich die A d W mit einem längeren Schriftsatz an Buchenau: „[...] Schließlich erlaubt sich die Akademie daran zu erinnern, daß sie Ihnen, sehr geehrter Herr Schulrat, bei Vergebung der Bearbeitung von Band 20 und 21 des Nachlasses an Herrn Dr. Lehmann die Oberaufsicht über diese Arbeiten übertragen hat. Da sich die Arbeit des Dr. Lehmann sehr in die Länge zieht, würde die Akademie es sehr begrüssen, wenn Sie sich von ihm in gewissen Abständen regelmässigen Bericht über den Fortgang seiner Arbeiten erstatten lassen wollten." 3 Buchenau an AdW: 31. August 1938: „[...] es zeigt sich nun, dass auch hier die Schwierigkeiten grösser sind als wir zunächst vorsehen konnten: [...]." 4 Buchenau in einem Schreiben vom 31. Oktober 1938 an den Kommissionsvorsitzenden Hartmann u.a. über den Stand der Arbeiten: „Heute möchte ich Ihnen nur kurz schriftlich bestätigen, dass die Drucklegung am XX. Band begonnen hat. Wir bringen zunächst die 'Einleitung' und die 'Fortschritte', sodann den Text zu den 'Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen', alles in Fahnen. Darauf folgen die Bemerkungen Kants zu dem Text, dieser vorkritischen Schrift. Nach längerer Ueberlegung habe ich es doch für richtig gehalten, Herrn Lehmann den Rat zu geben, den ganzen Text der Beobachtungen etc. noch einmal zu bringen, obwohl wir dann drei Bogen aus den vorkritischen Schriften wiederholen, denn Kant hat seine Bemerkungen zu einer bestimmten (der dritten Ausgabe) gemacht, und es ist drucktechnisch sehr viel leichter und besser, wenn wir oben den neuen Text bringen - der sich aus den losen Blättern ergibt - und unten den alten Text." 5 Die Hagenpapiere der SB München sind zwischen dem 29. Oktober 1938 und 27. Februar 1939 in Berlin gewesen. 6 Weitere Schreiben bezeugen den schleppenden Fortgang der Arbeiten. Hier einige Auszüge; Bericht Lehmann, 16. April 1939: „Da ich sachlich allein die Verantwortung dafür trage, weil ich nach den Originalen arbeite, die zu entziffern mir nur möglich ist auf Grund mehr als zehnjährigen Umganges mit kantischen Manuskripten, muss ich not1 2 3 4 5
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Potsdamer Akte, fol. 29. Die Gewährung erfolgte (ζ. T. unterstützt mit Stellungnahmen von Nicolai Hartmann) in Portionen von je drei Monaten und reichte schließlich bis zum 31. März 1940. (Potsdamer Akte, fol.49: letztes Blatt) Akten der KK, II-VIII, 161, fol. 27. (Abschrift) Akten den KK, 161, fol. 28b. In der Anlage ein knappes undatiertes Schreiben von Lehmann über den Stand von Bd. XX. Akten der KK, II-VIII, 162. - Mit dieser Darstellung wird erkennbar, daß Buchenau in der Sache, über die er damit faktisch entschied, nicht kompetent war: Kants »Bemerkungen« stehen auf den Durchschußblättern eines Exemplars der ersten Auflage (1764) der »Beobachtungen«. Vgl. das Faksimile in Lehmann 1956b, 425 und Rischmüller (Hg) 1991, 3. Vgl. Akten der KK, II-VIII, 161, fol. 31 & 27.
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Teil II wendigerweise auch selbst entscheiden, welche Stücke druckfertig und in jeder Hinsicht einwandfrei sind." 1 25. April 1939, Buchenau: „In den Fahnen und im Umbruch wurde alles von mir genau nachgeprüft und in einer Reihe von Konferenzen mit Herrn Dr. Lehmann erledigt. Ich kann nur bestätigen, daß bisher die Bearbeitung der drei Schriften durch Herrn Dr. Lehmann außerordentlich sorgfältig und peinlich genau gemacht worden ist. Er ist jetzt so gut eingearbeitet, daß man sich keinen besseren Mitarbeiter bezw. Herausgeber des Bandes denken könnte." 2
Auf eine kriegsbedingte Verzögerung des Druckes von Bd. XX weist Buchenau mit einem Schreiben vom 25. Oktober 1939 hin. 3 - So weit die Akten. Eine überraschende Ergänzung erfährt der institutionelle Rahmen der Ausgabe durch das folgende Schriftstück aus dem Nachlaß Gerhard Lehmanns: „Zwischen Herrn Professor N. Hartmann als Vorsitzenden der Kant-Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften ist in Gegenwart von Herrn Grapow als Sekretär der philosophisch-historischen Klasse der Akademie und als Dekan der Philosophischen Fakultät mit Herrn Dozenten Gerhard Lehmann am 12. Dezember 1940 verabredet worden wie folgt: 1. Herr Dr. Lehmann erklärt sich bereit, alle Kraft daran zu setzen die ihm von der Akademie übertragene Ausgabe von Band XX bis längstens in 4 Monaten fertigzustellen (Bis zum Ablauf der Frist, für die er im November durch Eintreten des Dekans vom Militärdienst für die Ausgabe zurückgestellt wurde). Herr Dr. Lehmann erklärt sich ferner bereit, laufend an Herrn Dr. Buchenau auf dessen Anforderung Bericht über den Stand der Arbeiten zu erstatten. 2. Herr Dr. Lehmann erklärt unter Vorbehalt weiter, daß er bereit ist, Band XXIII unter Aufsicht des Herrn Buchenau so herzustellen, daß Herrn Buchenau vor der Drucklegung das handschriftliche Manuskript Dr. Lehmanns samt wissenschaftlichem Material zur Begutachtung und gegebenenfalls Verbesserung vorgelegt wird. Auf Wunsch der Akademie würde sich Dr. Lehmann, falls seitens der Universität dem keine Bedenken entgegen stehen, für die Durchführung dieser Aufgabe eine gewisse Zeitlang von seinen Dozentenpflichten beurlauben lassen. Grapow G. Lehmann Nicolai Hartmann." 4 Strittig blieb jedoch auch Ende 1940 Art und U m f a n g der Eigenkompetenz des „Herausgebers" Lehmann; eine Kontrolle seiner Arbeit an Bd. XX durch Buchenau lehnte er ab. Letzterer insistitierte seinerseits darauf und hielt in einem Brief vom 4. Januar 1941 fest: „In den langen Jahren unserer Zusammenarbeit habe ich von den Herren des Verlages und der Akademie immer wieder den Vorwurf hören müssen, daß ich Ihnen zu weit entgegen käme. [...] Herr Cram [d. i. Herbert Cram (1890-1967) Verlag de Gruyter] meinte, sie arbeiteten immer nur für den Kant, wenn Ihnen die Nägel unter den Fingern brennen. Sie selber sind andrer Ansicht, Sie verlangen sogar eine Deckung bei einem 1 2 3 4
Akten der KK, II-VIII, 161, fol. 43. Akten der KK, II-VIII, 161, fol. 44. De Gruyter habe den Band seit August liegen lassen. Akten der KK, II-VIII, 161, ohne fol. Unterschriebener Durchschlag: SBPK, NL-Lehmann. Nicht in den Akten der KK.
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Gespräch mit Herrn Spranger, dessen ich mich nicht zu erinnern vermag. Dem sei nun, wie ihm wolle - Ihre Briefe, besonders der unqualifizierbare vom September zeigen mir, daß wir persönlich nicht mehr zueinander finden. Das wird mir bestätigt, durch den Abschluss Ihres Briefes, den Sie mit 'hochachtungsvoll' unterzeichnen! Ich empfinde das als ungehörig und kann nur schwer den Eindruck verwinden, dass Sie mich so in versteckter Form beleidigen wollen. Wir wollen aber in Zukunft auf schriftliche Mitteilungen verzichten, soweit sie nicht unmittelbar die Arbeit am Kant betreffen! Die Schwierigkeiten, die Sie jetzt gehabt haben, 1 haben Sie sich selbst zuzuschreiben; es war meine Pflicht als Herausgeber und Verlagsbeirat, der Akfademie] nachzuweisen, dass diese III. Revision (!) nicht in Ordnung war. Das habe ich getan und werde auch in Zukunft gemäss den Abmachungen vom 17. 12. 40 so verfahren. Ob man das nun 'Kontrolle' oder 'Revision' nennt, ist ganz gleichgültig; sie wird erfolgen ob mit Ihrem Willen oder ohne ihn. Kein Bogen wird von Band XX gedruckt werden ohne - neben dem Ihren - mein Imprimatur. Diese Anordnung habe ich im Verlage gegeben. Damit können Sie auch ganz zufrieden sein, denn Sie zeichnen als alleiniger Herausgeber und Bearbeiter des Bd. XX, und ob sie im 'Vorwort' uns von der Ak[ademie] beauftragten danken, das bleibt Ihnen überlassen." 2 Die institutionellen Vorgänge lassen sich vorläufig knapp zusammenfassen: Aus Anlaß einer Initiative von Gerhard Lehmann und auf Grund eines entschiedenen Votums des politisch genehmen Professors Alfred Baeumler hat das preußische Ministerium gegen anfängliche Bedenken der Preußischen A d W Gerhard Lehmann von 1936 bis 1940 mit Stipendien unterstützt. Schließlich hat sich die Berliner Universität zur Jahreswende 1940/41 in die Aktivitäten um Band X X hineinziehen lassen: Der fertige Band X X wurde am 6. November 1941 vom Verlag der Akademie übergeben. 3 Band XX: Die Sache Betrachtet man nun die Sache selbst, nämlich den ausgelieferten Band XX, so ist leicht festzustellen, daß mit ihm eine Textsammlung publiziert worden ist, die quer zum unverändert gültigen Plan der Ausgabe steht: Aufzeichnungen der Jahre 1764-66 („Bemerkungen und Lose Blätter zu den » B e o b a c h t u n g e n « " ) werden umstandslos neben solche der Jahre 1797-98 gedruckt. Auffällig ist schon das Titelblatt des Bandes: Der Platz, wo bei allen vorhergehenden Bänden der Inhalt jeweils kurz angegeben worden war, ist leer. Dem Band fehlt so nicht nur die Bezeichnung seines Themas, sondern auch seine inhaltliche Verortung in der Gesamtausgabe. 4 Damit hat der Her-
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Es handelt sich hier um eine erneute Untersuchung zu Lehmanns Arbeitsleistung. Ich erspare mir und dem Leserein Referat; vgl. Akten der KK, II-VIII, 161. SBPK, NL-Lehmann, Kasten 4. - Vgl. Lehmanns 'Antwort' im Vorwort zu Band XX. Auf S. 6 seiner 'Skizze' schrieb Lehmann dazu: „Die letzten Korrekturen, die Buchenau unbedingt alle einsehen (signieren) wollte, wurden ihm bald lästig, und er glaubte dann, sie mir überlassen zu können." Akten der KK, II-VIII, 161, keine Foliierung. Im Protokoll der Sitzung der philos.-hist. Klasse vom 12. Dezember 1941 ist vermerkt, daß Spranger den Band namens des Kommissionsvorsitzenden Hartmann vorgelegt hat. (Akademiearchiv, II-V, 172, fol. 340). Später scheint G. Lehmann dieses Manko selbst gesehen zu haben. Er meint, der Band sei „eigentlich" der erste Teil der »Vorarbeiten und Nachträge« (AA-Kant XXIII 505, 3. Absatz), vgl. Lehmann 1969, 9.
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ausgeber selbst en face eine Unsicherheit deklariert, und im Vorwort (S. V f.) zeigt er sich deswegen vorab bemüht, die erwarteten Einwände gegen die Auswahl der edierten Texte abzuwehren. Er will dem Eindruck vorbeugen, daß der Band als „Lückenbüßer" 1 erscheint und betont die Wichtigkeit bestimmter „in der Literatur längst als Druckschriften" 2 geltender Texte. Zugunsten eines - vorgeblich - von der Forschung empfundenen Mangels an bestimmten Texten werden die verbindlichen Prinzipien der Stoffanordnung beiseite geschoben. Die dadurch aufgeworfene Frage nach dem Kriterium der Textauswahl wird mit dem Hinweis erledigt, daß der Band „eine gewisse Einheitlichkeit" gewinne, indem die Einleitung das Thema „Kants Alterskämpfe mit der Schulphilosophie" heraushebe (AA-Kant XX; S.VI; vgl. 480, 483, 485). Die Wirklichkeit war anders. G. Lehmann ist - wie deutlich geworden sein dürfte zum wiederholten Mal durch äußeren Druck veranlaßt worden, endlich etwas vorzuweisen. Paul Menzer, dem kaum persönliche Motive unterstellt werden können, vermutete - im Rückblick auf eine Passage des Vorwortes von Band X X - sachfremde Gründe für das Zustandekommen: „Es ist doch wohl so zu verstehen, daß für Bd. XXI alter Planung das Material nicht fertig war und um ihn vollständig zu machen, wurden einander widersprechende Schriften in ihn aufgenommen." 3 Blickt man also unter der Perspektive der Arbeitsökonomie 4 auf Band XX, so stellt man fest, daß darin die umfänglicheren, arbeitstechnisch bereits von Adickes oder anderen vorbereiteten Materialien 5 zusammengefaßt wurden, um unter Ausnutzung redaktioneller Möglichkeiten 6 einen etwa 500 Seiten starken 'Normalband' zusammenzubringen. 7 G. Lehmanns Versuch der Rechtfertigung (AA-Kant XXIII 506) ba-
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AA-Kant XX; S.V Zeile 20; Lehmann 1969, 9 letzte Zeile. AA-Kant XX; S. Vf., 475; AA-Kant XXIII 505, 507; vgl. Lehmann 1969, 9. - Lehmann hat in dieser Formulierung offensichtlich die sogenannte „Erste Einleitung", die in der Cassirer-Edition seit 1914 und bei Meiner (hg. von Lehmann selbst) seit 1927 gedruckt vorlag, und die von Rink bereits 1804 veröffentlichten Entwürfe Kants zu der Berliner Preisfrage für 1795 „Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolffens Zeiten in Deutschland gemacht hat?" vor Augen. - Nach den Prinzipien der AA-Kant darf der Form der Textüberlieferung jedoch keinerlei Relevanz bei der Einordnung in eine Abteilung oder gar der Aufnahme in einen bestimmten Band zukommen. - Zu beachten ist, daß sich die Formulierung mit dem Wortlaut des oben wiedergegebenen Votums von Baeumler (12. April 1938) berührt.
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Menzer 1957-58, 347f. Diese legt sich auch nahe, weil Lehmann außerhalb des Gebietes der Kantforschung fleißig publizierte, vgl. die Bibliographie seiner Schriften in Lehmann 1980 und zum Teil in Ergänzung dazu hier das Literaturverzeichnis. Von den ca. 460 Textseiten entfallen: ca. 180 auf die »Bemerkungen« des Kantischen Handexemplarsder »Beobachtungen«, die von Adickes schon transkribiert worden waren (vgl. oben S. 135 Inhalt des Pakets Β der Kantkiste); ca. 60 auf das Rostocker Ms der sog. »Ersten Einleitung zur Kritik der Urteilskraft«, ca. 80 auf den Abdruck der Rinkschen Ausgabe der »Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik« (1804) also bei ca. 320 Seiten, für den weitaus größten Teil der Texte von Band XX. - Für die »Erste Einleitung« hat Lehmann dies post festum in seiner Polemik gegen Hinske zugestanden: „Er hätte sich sagen können, daß bei der Textgestaltung beide Ausgaben ständig verglichen wurden." (Lehmann 1980, 267) Die Pointe dieses Geständnisses liegt darin, daß Lehmann zwar in der „Einleitung" auf seine frühere Ausgabe hinweist (AA-Kant XX 476 Anm.), in den „Lesarten" jedoch keinen Bezug dazu herstellt (AA-Kant XX 514).
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Band XX umfaßt einschließlich des Vorwortes 34 Druckbogen; davon entfallen etwa drei Bogen auf den überflüssigen Abdruck des Textes der »Beobachtungen« und ein Bogen auf unbedruckte Seiten. Der Verlag orientierte sich an dieser Größe und beklagte deren ständige Überschreitung durch Adickes; vgl. dazu oben (S. 157f.) - Ein weiterer Beleg: „Für Ihre Mitteilungen wegen des voraussichtlichen Umfanges der noch ausstehenden Bände dieser Abteilung danke ich Ihnen, lese aber auch aus ihnen, dass wir bei den
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siert zum einen auf den oben als irrig erwiesenen Vorstellungen über eine Änderung des Gesamtplans der Abtlg. III (Aufnahme des „Opus postumum") und des weiteren auf einem grundsätzlichen Unverständnis gegenüber dem Inhalt und der Aufgabe eines Schlußbandes der gesamten Abteilung. Ein Sachgrund, von der seit Bergers Ausscheiden der Akademie bekannten Disposition der Stoffanordnung der 'Vorarbeiten und Nachträge' abzugehen, ist nicht auszumachen. Freilich hat Lehmann, die weiter unten (Abschnitt E. k) wiedergegebene Inhaltsangabe zu Band XX aus dem Jahr 1934 - öffentlich - erst 1955 unter völlig geänderten Bedingungen in Band XXIII zur Kenntnis genommen. Darin spricht er (S. 506) von einer „auf Adickes zurückgehenden Disposition". Seine Wiedergabe ist allerdings auf signifikante Weise modifiziert: Die von ihm 1942 in Band XX zusammengefaßten Materialien bleiben unerwähnt und die Ziff. 25 „Lose Blätter zum Op. p." wird angehängt. Über die geringe Verläßlichkeit der Texte und die mangelnde Qualität der sachlichen Erläuterungen besteht Einhelligkeit in der Kantforschung: Beginnend mit der Faksimile-Edition der sogenannten »Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft« (hg. von Norbert Hinske und anderen 1965) sind über Wolfgang G. Bayerers »Hinweis« von 1986 und das 1983-1984 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Marburger Projekt einer Neutranskription von Kants Bemerkungen 1 im Autorexemplar seiner »Beobachtungen« von 1764 in Band XX gravierende Editionsmängel festgestellt worden. 4) Planung und Leistung für Bd. XXIII vor 1945 Wie sah nun mit dem Erscheinen von Band XX die Planung für den dann noch ausstehenden Band XXIII und den zweiten Teil der »Vorarbeiten und Nachträge« aus? Diese einfache Frage läßt sich nur in Ansätzen beantworten. Denn in der Akademie scheinen - ausweislich der Akten - keine definitiven Erwägungen zustande gekommen zu sein. Es ist zwar in den wenigen Aktenstücken aus der Zeit nach dem Juli 1939 des öfteren von Band XXIII die Rede, aber meistens nur unter dem Aspekt, daß die Handschriften noch nicht nach Königsberg zurückgegeben werden sollen, weil sie für die Kant-Ausgabe in Berlin benötigt würden. (Vgl. dazu hier S. 210f.) Sicher ist jedoch, daß das im Brief von Berger 1934 dargelegte ursprüngliche Konzept nach dem Erscheinen von Bd. XX keine maßgebliche Rolle mehr spielen konnte. Mehr noch, in einem Schreiben des Verlages an den „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP"
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Bänden XX und XXI wiederum mit einer sehr starken Ueberschreitung des Normalumfanges der Bände zu rechnen haben. Da Band XV und XVI in der Tat den Umfang von vier Bänden einnehmen, Band XIV, XX und XXI durchschnittlich den Umfang eines Normalbandes um das anderthalbfache übertreffen dürften und dazu noch die Beschreibung der Manuskripte kommt, so wird wahrscheinlich der handschriftliche Nachlass statt acht Normalbänden deren etwa 12 umfassen." Verlag G. Reimer an Adickes am 31.März 1914; Ingelheimer Papiere. Vgl. Rischmüller (Hg) 1991. Siehe auch den auf September 1983 zurückgehenden Hinweis in Hinske 1991, 246-247. Nicht verschweigen möchte ich die Tatsache, daß die Initialzündung zu diesem Vorhaben auf meine 1982 erlangte Bekanntschaft mit den Ingelheimer Papieren zurückgeht.
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vom 11. Januar 1940 wird der Gegenstandsbereich des Bandes erweitert: „Der oben mehrfach genannte Mitherausgeber der Kant-Ausgabe Dr. Buchenau vertritt seit Jahren den Standpunkt, dass dieser Beschluß[, auf die Abteilung IV 'Vorlesungen' zu verzichten,] der Akademie revisionsbedürftig ist. Die Sache ist nämlich die, dass unter den Vorlesungen einige sind, die in einer Ausgabe des kantischen Gesamtwerkes schlechterdings nicht zu entbehren sind. Freilich sollte man auch lediglich den grösseren Teil der Nachschriften bringen, sonst käme man mit der Ausgabe nie zu Ende. Wenigstens aber würden die sog. Pölitzvorlesungen zur Metaphysik, Logik und Religionsphilosophie in diese Standard-Ausgabe gehören. Ob es einen Zweck hat, die Vorlesungen über Ethik (früher herausgegeben von Menzer) noch einmal zu bringen, erscheint dagegen zweifelhaft. Auf alle anderen Nachschriften der Vorlesungen könnte man wohl ohne grossen Schaden verzichten. So würde, falls die Akademie mit dem Vorschlage Dr. Buchenaus einverstanden ist, Band 23 ausser den losen Blättern die sog. Pölitz-Vorlesungen enthalten, und damit wäre die Ausgabe der Werke selbst abgeschlossen." 1 Prompt verzeichnet das »Jahrbuch« im Bericht von Nicolai Hartmann: „Zu Bd. XXIII sind die Vorarbeiten so weit gefördert worden, daß der Gesamtplan des Bandes nunmehr feststeht. Er wird außer dem Rest des Nachlasses auch die wichtigsten 'Vorlesungen' in neuer Bearbeitung enthalten." 2 Doch ein Jahr später lautet die Auskunft: „[...] wurde die Arbeit für Band XXIII in Angriff genommen. Er soll die restlichen 'Vorarbeiten und Nachträge' von der Zeit der 'Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels' bis zum 'Streit der Fakultäten' umfassen, darüber hinaus aber auch die ergänzenden 'Losen Blätter' zum Opus postumum bringen, soweit diese in Band XXI und XXII noch nicht aufgenommen werden konnten. Da es wünschenswert ist, daß dieser Band alles enthalte, was an Reflexionen Kants noch aufzufinden ist, so wird hierfür eine neue Bestandsaufnahme nötig, die zu Beginn des kommenden Jahres durchgeführt werden soll." 3 Das letzte »Jahrbuch« verzeichnet schließlich: „Vor zwei Jahren wurde mit den Arbeiten an Bd. XXIII begonnen, der die restlichen 'Vorarbeiten und Nachträge' von 1755 ab enthalten soll. Hierzu wurde im letzten Jahr eine neue Bestandsaufnahme bisher unbekannter oder noch unverwerteter Nachlaßstücke in Leipzig, Halle und Königsberg durchgeführt. [...] Als wichtigstes Stück des Bandes konnte das Handexemplar Kants von der 1. Aufl. der 'Kritik der reinen Vernunft' für die Bearbeitung in Berlin sichergestellt werden; [...]. Die Entzifferung, die wegen der äußerst blassen Schrift erhebliche Schwierigkeiten macht, ist in Angriff genommen." 4
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Akten der KK, II-VIII, 161, keine Foliierung, Durchschlag. Im ersten Teil des Briefs wird aus der Perspektive des Verlages die Geschichte der Edition kurz umrissen. Jahrbuch 1940, 67. Vorausgegangen ist anscheinend eine Sitzung der KK am 16. Juni 1940, an der, neben Hartmann, Grapow, Spranger, Emge und Buchenau teilgenommen haben. Spranger hat sich gegen die Aufnahme von Vorlesungen ausgesprochen. (Akten der KK, II-VIII, 161, keine Foliierung). Jahrbuch 1941, 106. Jahrbuch 1942, 71.
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Die Terminierung des Beginns „vor zwei J a h r e n " stellt unmißverständlich klar, daß G. L e h m a n n in der Zeit von 1934-1940 nicht an den „Vorarbeiten und N a c h t r ä g e n " Bd. XXIXXI alter Planung gearbeitet hat. Die Hinweise auf drei Orte sind folgendermaßen aufzuschließen: Leipzig, vgl. hier S. 241; Halle, Autorexemplar der »Kritik der praktischen Vernunft«, vgl. S. 187 und 294. Königsberg, Autorexemplar der »Kritik der reinen Vernunft«. Mit keinem Wort wird auf eine naheliegende Benutzung der Vorläufer-Edition (Erdmann 1881) eingegangen. Bei Licht betrachtet also: Nichts Neues gegenüber dem Stand von 1934 bzw. 1928! - Unabhängig von den tönenden, offiziellen Berichten waren Nachrichten über folgende „Leistungen" für den Band zu ermitteln: 1) Unter den Akten des Akademie-Archivs, „Personalia, II-IV, 117 (Mitarbeiter Lehmann, Gerhard)" findet sich ein kurzer Antrag von Nicolai Hartmann vom 6. 12. 1941 auf Bewilligung von Reisekosten: „Für die Vorarbeiten zum Band XXIII. der Kantausgabe wird eine Reise des Herrn Dr. Lehmann nach Leipzig notwendig. Es soll bei der dortigen Bibliothek nach eventuell noch unbekannten Kantmanuskripten gesucht werden, was durchaus nur im persönlichen Benehmen mit der Bibliotheksleitung möglich sein dürfte." Eine weitere Bescheinigung datiert den Aufenthalt auf die „Zeit vom 12. bis zum 16. 4. 1942". 2) „Der Dozent Dr. phil habil Gerhard Lehmann, wohnhaft in Berlin SO 36, Görlitzer Ufer 9, reist in der Zeit zwischen dem 20. Mai und 25. Juni im dienstlichen Auftrage nach Königsberg/Ostpreußen und von dort zurück nach Berlin." 1 3) Im Oktober 1942 wurde das Autorexemplar von Kants »Kritik der reinen Vernunft« von 1781 auf Vermittlung des früheren Direktors der Deutschen Bibliothek in Leipzig, Prof. Georg Minde-Pouet, nach Berlin überstellt. Die Rücksendung nach Königsberg erfolgte im Sommer 1943.2 In Bd. XXIII der AA-Kant heißt es 1955 dazu: „[...] die vom Bearbeiter 1942 in Königsberg begonnene und in Berlin zu Ende geführte Abschrift der Zusätze Kants im Handexemplar der Kritik der reinen Vernunft." (S. 506) 4) Sorge für die Verlagerung3 der Materialien aus Berlin ab Frühjahr 1944. N i m m t man die Spärlichkeit der konkreten Anhaltspunkte mit den Tatsachen zusammen, daß G. Lehmann zu eben der Zeit erstmals als Dozent an der Berliner Universität angestellt wird, 4 und daß er eine 575 Seiten einnehmende Monographie »Die Deutsche Philosophie der Gegenwart« (erschienen im Mai 1943) verfaßt hat, 5 so sind hin-
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Akademiearchiv, Personalia, II-IV, 177. Akten der KK, II-VIII, 161, keine Foliierung: Schreiben vom 26.Oktober und 2. November 1942 und eine Karte vom 18. August 1943. Vgl. dazu hier S. 21 lf. Vgl. dazu S. 193f. Vgl. Bayerer 1986a. Die ebenda formulierte Auffassung, daß Lehmann in der ersten Hälfte der 1940er Jahre seine „unbestreitbar grossartige philologische und philosophische Begabung" hintangestellt habe, um opportunistisch den „moralischen Sumpf seiner 'politischen Philosophie' auszuloten" (S. 21), setzt voraus, daß er „neben seiner damaligen Berliner Dozententätigkeit hauptberuflich mit der Berarbeitung [!] der umfangreichen, noch nicht edierten Teile des handschriftlichen Kant-Nachlasses (im Auftrage der Preussischen Akademie der Wissenschaften) vollauf beschäftigt war, [...]." - Ich teile die wohlwollende Differenzierung zwischen dem 'verdienten Kant-Herausgeber' und dem politischen Opportunisten nicht. Aus zwei Gründen: 1) Wissenschaftliche Verdienste hat sich L. vor 1945 auf dem Gebiet der Edition Kantischer Handschriften nicht erworben. Seine diesbezügliche Karriere nach '45 gründet sich nach Außen hin auf den Nimbus des Uberlebenden, den vorgespiegelten Status des Nachfolgers von Erich Adickes, nach Innen zunächst auf die Protektion durch Nicolai Hartmann und dann auf eine geschickte, eigene Politik der Monopolisierung von
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reichende Anhaltspunkte für die weitergehende Vermutung gegeben, daß die praktischen Vorbereitungen für den Band nur sehr schleppend durchgeführt wurden und spätestens im Verlauf des Jahres 1943 zum Erliegen gekommen sind, falls sie überhaupt je bis zu satztauglichen Manuskripten konkretisiert wurden. i. Der realisierte Band XXIII: 1955 Die historische Skizze zur Abtlg. III der AA-Kant läßt sich, obwohl die Akten der KK im Jahr 1946 enden, leicht über dieses Datum anhand der „Protokolle der philos.-hist. Klasse" des Akademiearchivs und einiger Briefe Paul Menzers im Nachlaß-Lehmann der SBPK zu Ende führen. 1 Erstes Zeichen ist die Mitteilung von Hartmann auf der Sitzung des 6. September 1945, daß die Kantkommission ihre Arbeit noch nicht wieder aufgenommen hat. 2 Am 6. November 1947 berichtet der Sekretär, „daß das außerakademische Mitglied der Kant-Kommission, Professor Menzer in Halle, den Abschluß des bereits weit geförderten 23. Bandes der Kant-Ausgabe für dringlich halte, damit auf diese Weise die vor etwa 50 Jahren begonnene Kant-Ausgabe der Akademie endlich abgeschlossen werden könne. Als Bearbeiter empfiehlt er Dr. H. [!] Lehmann, der bereits vor 1944 die Arbeit durchgeführt habe. Die Klasse stimmt zu und beschließt, Herrn Professor Menzer für sein Angebot, die Korrektur zu beaufsichtigen, zu danken." 3 Der Sekretär berichtet auf der Sitzung vom 29. Juli 1948 über den Stand der Kant-Ausgabe. „Danach ist das für den Schlußband 23 gesammelte Material in den letzten Kampfhandlungen vernichtet worden. [...] Eine Wiederaufnahme der Arbeit ist z. Zt. nicht möglich." 4 Neun Monate später berichtet der Sekretär jedoch „in Ergänzung seiner Mitteilungen vom 29. 7. 1948, daß der letzte Mitarbeiter der Kantausgabe Dr. G. Lehmann vorgeschlagen habe, ihn mit der Bearbeitung des ursprünglich von dem verst. Dr. Buchenau übernommenen Registers zu beauftragen und daß die Verwaltung bereit sei, ihn als Mitarbeiter einzustellen. Von den Mitgliedern der Kant-Kommission, die er über diesen Plan befragt habe, seien Hr. N. Hartmann und Herr Professor Menzer/Halle dafür eingetreten, zunächst den Band 23, so gut es nach dem Verlust des handschriftlichen Materials möglich sei, fertig zu stellen. Damit erhalte die Kant-Ausgabe endlich ihren Abschluß, der zwar hinter dem ursprünglichen Plane zurückbleibe, aber besser sei als die bestehende Lücke. Dr. Leh-
Informationen über die von ihm edierten handschriftlichen Zeugen. 2) Ist mir der psychologische Weg durch eine de facto Unzurechungsfähigkeitserklärung - nichts anderes ist die moralische Aufspaltung der Person in zwei Gestalten - versperrt: In ihren Schriften zeigen beide Gerhard Lehmann eine leere Geste der Großartigkeit. Es ist für den weiteren Gang der Ereignisse unmittelbar einschlägig, zu bemerken, daß Lehmann sein Buch über »Die deutsche Philosophie der Gegenwart« „als Angestellter des Amtes Rosenberg" verfaßt hat, vgl. Laugstien 1990, 109. 1 2 3 4
Vgl. Menzer 1957-58, 348-349 der dem Leitfaden der publizierten Berichte im Jahrbuch der Akademie folgt und durch Erinnerungen und Zitate aus der eigenen Korrespondenz anreichert. Vgl. Akademiearchiv, Protokolle der philos.-hist. Klasse, II-V, fol. 482. Akademiearchiv, Protokolle der philos.-hist. Klasse, II-V, fol. 549. Akademiearchiv, Protokolle der philos.-hist. Klasse, II-V, fol. 577.
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mann sei zu dieser Aufgabe bereit und habe auch einen Plan für den Band 23 aufgestellt; daß er der einzige sei, der für eine solche Aufgabe in Frage komme, haben sowohl Hr. N. Hartmann wie Professor Menzer hervorgehoben. Nach Befürwortung durch die HH. Stroux und Grapow stimmt die Klasse der Einstellung von Dr. Lehmann grundsätzlich zu. Der genaue Arbeitsplan soll im Einvernehmen mit Hrn. N. Hartmann und Professor Menzer festgestellt werden." 1 So kam es, daß in dem 1955 als „Schlußband des handschriftlichen Nachlasses" (AA-Kant XXIII; S. V) erschienenen Band der Ausgabe, - abgesehen von wenigen Ausnahmen 2 - ausschließlich zuvor anderweitig publizierte Materialien enthalten sind. Dieser Band stellt damit nur eine redaktionelle Bearbeitung vorliegender Drucke dar. Obwohl also keinerlei zeitraubende Recherchen durchzuführen oder Neutranskriptionen anzufertigen waren, hat die Fertigstellung relativ viel Zeit beansprucht. Die wenigen, mir zugänglichen Briefe von Menzer an Lehmann zeigen zweierlei. Zum einen gehen einige der sachlichen Erläuterungen direkt auf Menzer zurück, zum anderen hat er mehrfach Einwände gegen die Anordnung der Textpassagen erhoben. 3 Es entwickelten sich gravierende Meinungsverschiedenheiten, deren deutlichstes Zeugnis in der folgenden Passage eines Briefes von Lehmann an Menzer (14. 4. 1955) zu sehen ist: „Sie berufen sich auf Ihre Überwachung des Bandes. Ich muss gestehen, dass ich meine Zusammenarbeit mit Ihnen nie unter diesem Gesichtspunkte betrachtet habe. Für mich waren Sie immer eine Autorität, d. h. sachverständig und ich hätte Sie, da Sie der einzige Kantphilologe der älteren Generation sind - in allen Dingen befragt, auch wenn die Akademie nichts derartiges gewünscht hätte. Das ist doch selbstverständlich. Wenn Sie auf die Kantkommission hinweisen, so besteht sie seit mindestens 5 lahren nicht mehr (siehe Jahrbuch 1950/51); 4 es wird bei der Ausgabe ausser Härtung nur Spranger angeführt. Wollen Sie also eine Differenz ausgleichen, so müsste sich die Klasse, wenn sie sich nicht sachverständig fühlt, an Spranger wenden. Ich kann mir nicht denken, dass Sie einen solchen Schritt gutheissen. Denn Spranger hat keine Ahnung von Fragen der Kantphilologie, und seine frühere Tätigkeit bei der Kantkommission hätte zu einer Katastrophe geführt, wenn ihm nicht N. Hartmann die Sache abgenommen hätte. Spranger hat es ja auch abgelehnt, mich mit der Neubearbeitung von Band XXIII zu beauftragen, obwohl er meine Qualifikation zugestanden hat."5
Das Vorwort des ausgedruckten Bandes trägt das Datum 26. August 1955, dem Plenum der AdW wurde er am 8. Dezember 1955 vorgelegt. 6 Am Resultat selbst läßt sich rasch zeigen, daß die elementaren Prinzipien der Abteilung ohne Not verlassen worden sind. Seinem Titel gemäß enthält der Band Kants „Vorarbeiten und Nachträge" zu
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Akademiearchiv, Protokolle der philos.-hist. Klasse, II-V, fol. 606-607. Benutzt wurden die Weimarer Bestände; übersehen die Münchener. Vgl. die Briefe vom 13. und 19. Februar 1951, 15. Mai 1951 und insbesondere vom 23. Mai 1954. (SBPK, NL-Lehmann) Lehmann irrt. Die Kommission bestand - auch nach Auskunft des Jahrbuches der AdW - bis zum Erscheinen von Bd. XXIII. SBPK, NL-Lehmann. Vgl. Jahrbuch 1955.
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geplanten oder ausgeführten Publikationen. 1 Die Anordnung der einzelnen Stücke richtet sich zwar nach der damit gegebenen Chronologie, doch ist der Herausgeber mit keinem Wort auf die in vielen Fällen leicht zu ermittelnden Anhaltspunkte zur Datierung der einzelnen Stücke eingegangen. So ist ζ. B. weder die Anordnung der zahlreichen Vorarbeiten zu beiden Auflagen (1793, 1794) der »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« noch zu beiden Teilen der »Metaphysik der Sitten« (1797) der Chronologie ihres jeweiligen Abfassungsdatums nach erfolgt. Der Band hat - ganz abgesehen von einer Fülle kaum zu überbietender Schwächen en detail2 - auch prinzipielle Defekte. Das ursprüngliche 3 Konzept sah vor: „Die Vorarbeiten zu einem und demselben Werk werden unter einander, soweit möglich, chronologisch geordnet." Gerhard Lehmann ist ohne Not und Sachgrund davon abgewichen, indem er „die einzige Möglichkeit, zu einer halbwegs brauchbaren Stoffanordnung zu gelangend in] inhaltlichen Kriterien, d. h. aus der richtigen Zuordnung der Stücke zu den entsprechenden Stellen der Druckschriften" sehen wollte. 4 Damit orientiert er sich, wie schon beim „Opus postumum", primär an der Doppel-Idee, im Nachlaß zugleich Werke zu rekonstruieren und die Einheit der Provenienz zu wahren, anstatt für eine entwicklungsgeschichtliche Betrachtung die notwendigen, editorischen Vorleistungen zu erbringen. 5 Der Verzicht auf eine chronologische Bestimmung der einzelnen Vorarbeiten zu einem Werk6 läßt verschiedene, inhaltliche Konzeptionen unbeachtet. Und es verwundert nicht, daß in der Forschungsliteratur gravierende Fehlinterpretationen unterlaufen, weil grundlegend differierende Konzepte aus unterschiedlichen Zeiten durch die Form der Präsentation in eins gedacht werden.7 Für einen solchen Wechsel bei der Anordnung der »Vorarbeiten und Nachträge« kann nicht, wie Lehmann suggeriert,8 mit dem Verlust der Originale argumentiert werden, vielmehr sind die vorhandenen Informationen einfach ignoriert worden. (Vgl. Teil VI Β dieser Arbeit) Auch von der für den Schlußband der Abtlg. III angekündigten „genauen Beschrei1
Jedenfalls dann, wenn man Adickes Ankündigung in AA-Kant XIV; S. XXVI zugrunde legt: „[...] Beziehung auf eine projectirte oder wirklich erschienene Schrift (Aufsatz etc.) [...]." Bzw. ebenda S. XXVIII: „[...] projectirt oder veröffentlicht sind." Auf die Lehmann selbst in AA-Kant XXIII 505 zwar ausdrücklich hinweist, dabei allerdings irreführend schreibt: „[...] was mit Sicherheit zu den Vorarbeiten und Nachträgen der Druckschriften gehört (vgl. XIV, S. XXVI)." Hervorhebungen: W. St.
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Vgl. dazu Teil VI. B. AA-Kant XIV; S. XXVIII. AA-Kant XXIII507. Geht man das Inhaltsverzeichnis von AA-Kant XXIII durch, dann zeigt sich das „Prinzip" der Anordnung in den Fällen der »Religion«, des »Gemeinspruchs« (jedoch D 13 !) und der »Rechtslehre«: Aus nicht offen gelegten Gründen werden zunächst Textpassagen der Losen Blätter auf einzelne Teile oder Abschnitte der publizierten Schriften projiziert und dann nach ihrer Bezeichnung alphanumerisch eingeordnet und abgedruckt! Anders beim »Ewigen Frieden«, der »Tugendlehre« und dem »Streit der Fakultäten«: Willkür? Zufall? Besonders deutlich das Ineinanderschieben der Vorarbeiten zur ersten und zweiten Auflage der »Religion« von 1793 bzw. 1794. Vgl. dazu für die Vorarbeiten zur Rechtslehre die Ausführungen und Hinweise von Ludwig (Hg) 1986; S .XXVI-XXVII & IL bzw. Ludwig 1 9 8 8 , 2 Anm. & 120-125. Vgl. den Beginn des Absatzes der eben zitierten Stelle, AA-Kant XXIII 506-507.
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bung der sämmtlichen Manuscripte nach ihrer Provenienz geordnet" (AA-Kant XIV; S.XLIV) blieb fast nichts übrig. G. Lehmann hat zwar ein äußerst fehler- und mängelbehaftetes 1 „Verzeichnis der Losen Blätter Reickes nach ihrem Abdruck in der Akademieausgabe" angefertigt, dieses jedoch in Parallele zu dem „Verzeichniss der Nummern, welche Erdmanns Reflexionen in der Akademie-Ausgabe (= A.A.) tragen." 2 gesetzt, womit Adickes den Bezug zu der früheren Edition (1882-1884) von Benno Erdmann hergestellt hatte. Die am Ende zu lösende Aufgabe bestand jedoch nicht in einer Konkordanz zwischen verschiedenen Drucken, sondern einer Rückbindung an die handschriftlichen Quellen. Obwohl die Originale der Königsberger Konvolute nach 1945 als verschollen galten, wäre es ein Leichtes gewesen, die in den Bänden XIV-XXIII enthaltenen Informationen über den jeweiligen handschriftlichen Ort zu verzetteln und so einen Quellenindex - eine Art Fundstellenregister zu den Originalmanuskripten - herzustellen. Dies geschah nicht und Band XXIII kann schon deswegen nicht als Schlußband der Abtlg. „Handschriftlicher Nachlaß" gelten. k. Das ursprüngliche Konzept für Band XX/XXI Wie schon (S. 136) erwähnt hat Friedrich Berger dem Vorsitzenden der KK im August 1934 die folgende „Vorläufige Inhaltsangabe zu Bd. VII des handschriftlichen Nachlasses" zugesandt. Die Kenntnis des vollständigen Wortlautes ist essentiell für die hier angestrebte, historisch vergleichende Beurteilung der vorliegenden Bände XX-XXIII der AA-Kant. „Vorarbeiten und Nachträge zu den von Kant selbst herausgegebenen u. geplanten Werken 1. Vorarbeit zur 'Naturgeschichte und Theorie des Himmels' 2. Vorarbeit zur 'Preisaufgabe der Berliner Akademie' 3. Vorarbeit zur Schrift „de igne" (1-3 etwa aus dem Jahr 1755) 4. Vorarbeit betreffend die 'Preisaufgabe des Stolpschen Legats' (1770) 5. Nachträge zu den 'Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen' 6. Vorarbeit zur 'Kritik der reinen Vernunft' 7. Nachträge zur ' 1. Auflage der Kritik der reinen Vernunft' 8. Vorarbeiten zu den 'Prolegomena' 9. Nachträge zur 'Kritik der praktischen Vernunft' (das Handexemplar Kants ist in der Hallenser Universitätsbibliothek.) 10. Vorarbeit zu dem Aufsatz 'Ueber teleologische Prinzipien' (1788) 11. Vorarbeiten zu der Rezension von Ulrichs Eleutherologie 12. Vorarbeiten zu der Schrift gegen Eberhard (- Wie die Kritik der reinen Vernunft entbehrlich gemacht werden soll 1790)
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AA-Kant XXIII 534-542. Vgl. dazu hier Teil VI B. AA-Kant XVIII; S. X-XXIII; vgl. AA-Kant XXIII 511.
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Teil II 13. Vorarbeiten zu der Rezension des philosophischen Magazins von Eberhard durch Schultz (etwa 1790 ersch.) 14. Ursprüngliche Einleitung zur Kritik der Urteilskraft (Original in der Rostocker Universitätsbibliothek - abgedruckt in der Kantausgabe von Cassirer und in der Phil. Bibl.) 15. Vorarbeiten zu dem Aufsatz 'Versuche über eine Theodicee' 1791 16. Vorarbeiten zu 'Ueber den Gemeinspruch...' 1793 17. Vorarbeiten zu 'Religion innerhalb der Grenzen...' (1793 oder 1794) a. zur ersten Auflage, b. zur zweiten Auflage 18. Vorarbeiten zu 'Einfluss des Mondes auf die Witterung' (1794) 19. Vorarbeiten zu 'Ueber das Ende aller Dinge' (1794) 20. Vorarbeiten zu 'Zum ewigen Frieden' (1795) 21. Vergleiche Bd. VIII der Akademieausgabe: 3 Arbeiten aus d.J. 1796 22. Vorarbeiten zu 'Ueber ein vermeintliches Recht...' (1797) 23. Vorarbeiten zur Rechts- und Tugendlehre (Metaphysik der Sitten 24. Vorarbeiten zum 'Streit der Fakultäten' (1798) (vgl. Bd. VII) 25. Vorarbeiten zur Anthropologie (1798) 26. Vorarbeiten zur Kants Vorrede zu Jachmanns (Werk) Prüfung der Kantschen Religionsphilosophie (1800) 27. Vorarbeiten zur Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik von Leibniz bis Wolff. (Vgl. im übrigen die Anmerkungen auf den convoluten der Kantoriginale und auf denen der Manuscripte (Abschriften)!)" 1
Es ist klar und deutlich zu erkennen, daß die Chronologie der Werke Kants das allein Ordnung stiftende Prinzip ist. Die in den Bänden XX-XXIII vollzogene Abkehr von diesem Konzept ist nicht, wie Lehmann suggeriert, durch Umstände bedingt, die außerhalb der Entscheidungsprozesse in der Preußischen A d W lagen. Im Gegenteil, die wirkliche „Geschichte der K a n t a u s g a b e " 2 nimmt diesen Bänden den Hauch von Gelehrsamkeit, den sie allein ihren Vorgängern verdankt.
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Zu dieser Aufstellung von Berger vgl. den oben ermittelten Inhalt des von mir so genannten Paketes Β des Adickes-Nachlasses der 'Kantkiste'; Br. und Aufstellung: Akten der KK, II-VIII, 162, keine Foliierung. Vgl. Lehmann 1956b, zitiert nach Lehmann 1969, 10: „Noch einmal griff eine äußere Macht in die Geschichte der Kant-Ausgabe ein: der zweite Weltkrieg."
Resumée
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F. Resumée 1. Das Versagen einer Institution Versucht man heute, mit dem Abstand eines halben Jahrhunderts, sich einen differenzierten Begriff von den Ereignissen und Vorgängen um die Kant-Ausgabe der Berliner Akademie in den 1930er und 1940er Jahren zu verschaffen, so drängt sich die Frage auf, ob und wie die allgemeine gesellschaftliche und politische Veränderung jener Jahre, d. h. die nationalsozialistische Übernahme staatlicher und institutioneller Macht, als mitwirkender Faktor in der Durchführung des Vorhabens auszumachen ist? Die gravierenden Einflüsse auf die deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen sind hinlänglich bekannt und so durchdringend gewesen, 1 daß es geradezu verwundern müßte, wenn die Kant-Ausgabe davon unberührt geblieben wäre. In der Tat zeigt sich, daß auch ihre organisatorische Verfassung nicht abzulösen ist vom »Niedergang der deutschen Mandarine«. Der Zusammenhang ist konkreter als man auf den ersten Blick meinen will. Vergleicht man nämlich die allgemeine Beschreibung eines Mandarins bei Ringer, 2 mit der kurzen Charakteristik des auch Ringer wohlbekannten Eduard Spranger, die Karl Löwith (1897-1983) hinterlassen hat, 3 dann ist eine direkte Beziehung hergestellt. Auch auf der unmittelbar zu beobachtenden Ebene der Akten findet sich ein Pendant. Der Geschäftsgang zeigt deutliche Spuren des veränderten Machtgefüges. Während es bis zu Beginn der 1930er Jahre selbstverständlich war, daß den Beschlüssen der KK ein Treffen voraufging, änderte sich bald der Ablauf: Einfache Zirkularentscheidungen durch den Vorsitzenden meist ohne Hinzuziehung anderer Mitglieder der Akademie. 4 Ein drittes Einzelmoment fällt auf, wenn man nach dem rechtlichen Rahmen fragt, innerhalb dessen sich die Beteiligten bewegen sollten. Worin bestand die Geschäftsordnung des Unternehmens Kant-Ausgabe? Wie sollten eventuelle Streitfragen, die nicht unmittelbar den Inhalt der zu druckenden Bände betrafen, entschieden werden? So gefragt, zeigt sich rasch, daß eine der Ursachen für die Agonie der Abtlg. III in der fehlenden vertraglichen Grundlage für die Bearbeitung lag. Die Akademie hat es nach 1928 versäumt, für den eigenverantwortlichen „Herausgeber" Adickes einen Nachfolger einzusetzen. Weder mit Berger noch mit Buchenau oder Lehmann ist vor 1945 ein diesbezüglicher Vertrag geschlossen worden. 1 2 3 4
Vgl. Seier 1964, Kuhn 1966 und Schottlaender 1988. Ringer 1987, insbesondere S. 220-228 und S.390-394. Löwith 1989, 112-114. In den Akten der KK ließ sich leider nicht genauer feststellen, wie die Arbeit der Kommission erfolgt ist. Anzeichen für eine gravierende Veränderung sind: 1) Das langjährige Mitglied Karl Stumpf scheidet durch Tod am 25. 12. 1936 aus. Der Historiker Friedrich Meinecke (1862-1954) hat sich nach 1934 aus politischen Gründen nahezu völlig in das Privatleben zurückgezogen (Vgl. Schulin 1971, 50). Eduard Spranger verläßt Berlin für ein Jahr im Herbst 1936. Nach seiner Rückkehr muß es zwischen ihm und Nicolai Hartmann zu erheblichen Differenzen bei der Beurteilung von G. Lehmann gekommen sein. Mitgewirkt hat auch die Tatsache, daß der Sachverstand der Verwaltung mit dem Tod von Sthamer (1938) ebenfalls fehlte.
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Die Akten geben darüber nicht nur 'e silentio' Auskunft, sondern zeigen positiv, daß Buchenau im Nachhinein dieses fundamentale Manko ausgleichen wollte. Mit Schreiben vom 15. Mai 1936 wandte er sich an das in juristischen Belangen äußerst beschlagene Mitglied der Akademie, den Geheimrat und Prof. jur. Ernst Heymann (18701946): „Ein Vertrag mit der Akademie über das op. post, ist mir von Herrn Gehleimrat] Maier im Jahre 1927 zugesagt worden, doch habe ich ihn bisher nicht erhalten. Ein solcher ganz kurzer formeller Vertrag - gleichsam eine Auftragserteilung über die zwei Bände - wäre mir natürlich sehr wertvoll." Buchenaus laienhafter Versuch, eine auch der Akademie gegenüber justiziable Grundlage für seine maßgebliche Beteiligung an den Bänden XXI/XXII zu erlangen, schlug fehl. In Heymanns Antwort vom 11. Juni 1936 heißt es: „[...] beehre ich mich, Ihrem Wunsche gemäß zu bestätigen, daß die Preußische Akademie der Wissenschaften Sie, wie es seinerzeit mündlich zwischen Ihnen und dem verstorbenen Geheimrat Heinrich Maier vereinbart worden war, mit der Herausgabe des Opus postumum von Kant im Rahmen der akademischen KantAusgabe beauftragt hat. Ein Honorar wird Ihnen für Ihre Tätigkeit zwar nicht gewährt, wohl aber 15 Freiexemplare des Opus postumum." 1 - Die Beweislast blieb auf Seiten Buchenaus! Viertens, schließlich, ist ein im Grundsatz liegendes Übel zu konstatieren: Das Manko an juristischen Regelungen bot keinen Halt gegen die Vermischung verschiedenartiger Interessen bzw. eine für die Beteiligten kaum noch entwirrbare Verquickung institutioneller Funktionen und Zuständigkeiten. Mehr noch, die heute in vielen Bereichen der Wissenschaft meist wie selbstverständlich regulierend wirkende Trennung von Person und Amt wurde gezielt unterlaufen. Dieser Prozeß ist - über die Hinweise in der vorangegangenen, an den Bänden der Ausgabe orientierte, Darstellung hinaus nachvollziehbar. Die bereits dargestellten Anläufe von Gerhard Lehmann und Artur Buchenau, ein ministerielles Stipendium zu erhalten, sind nur vordergründig als Versuche zu interpretieren, das festgefahrene Projekt der Kant-Ausgabe wieder flott zu machen. Faktisch wurde so dafür gesorgt, daß Lehmann in seinem vagen Status „Mitarbeiter bei der Kant-Ausgabe der Akademie" erhalten wurde. Die nachfolgenden Zitate aus den primären Quellen belegen dies im Einzelnen genauer und begründen zugleich die These von einem Versagen der Preußischen AdW als kontrollierender und letztlich bestimmender Instanz. Eduard Spranger ist, wie erwähnt, im Oktober 1936 für ein Jahr als erster deutscher Austauschprofessor nach Japan gegangen, 2 wo er auf den ins Exil getriebenen Karl Löwith traf. Löwith berichtet, daß Spranger ihm „über Berliner Intriguen" und den „Verfall der deutschen Universitäten" geklagt habe. 3 Kaum zurückgekehrt sah sich Spranger konfrontiert mit einer vehement vorgetragenen, in der Sache jedoch substanz-
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Beide Zitate: Akten der KK, II-VIII, 160, fol. 76ff. Vgl. Spranger GS VII, 171. Löwith 1989, 114.
Resumée
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losen Attacke gegen seine „Geisteswissenschaftliche Pädagogik" aus der Feder des ihm in anderem Zusammenhang bekannten Gerhard Lehmann. Zu lesen war sie im zweiten Jahrgang von »Weltanschauung und Schule«, einer von Alfred Baeumler herausgegebenen, nationalsozialistischen Zeitschrift für Volksschullehrer. Lehmann glaubte, gezeigt zu haben, „wie sich dieser 'Geist' an so ziemlich sämtlichen Punkten, auf die es im 'Verständnis' der Gegenwart ankommt, negativ gegen unsere Zeit verhält." 1 Dieser öffentlich-politische Konflikt des Jahres 1938 blieb nicht ohne organisatorische Folgen. Am 31. August [1938] wurde bei Spranger angefragt, ob Lehmann versucht habe, sich in Berlin zu habilitieren. Spranger faßt in dem undatierten Konzept (vermutlich Mitte 1938, spätestens Anfang 1939) zu einem Gutachten (gerichtet an den Greifswalder Prof. Dr. Schulze-Soelde) alle ihm bekannten Vorgänge um Lehmann zusammen, aus dem ich nur die folgenden Absätze herausheben möchte: „Herr Dr. Lehmann hatte unverkennbar die Absicht, eine Anstellung als ständiger Hilfsarbeiter bei der Kantausgabe zu erlangen. Da sich die Ausgabe ihrem Ende näherte, bestand jedoch kein Bedürfnis für eine solche Beschäftigung mehr; auch lehrte die Erfahrung, daß er andere Arbeiten voranstellte, was bei seiner Notlage menschlich begreiflich war. 1935 interessierte er Herrn Prof. Bäumler [!] für seine Pläne. Dieser empfahl ihn gerade unter dem Gesichtspunkt beim Ministerium als Hilfsarbeiter der Akademie, daß er für eine akademische Lehrtätigkeit ungeeignet sei. Die Akademie befürwortete immer wieder (bis 1938) Stipendien für L., in der Hoffnung, daß die 2 noch ausstehenden Bände durch ihn endlich zum Abschluß gebracht würden. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß L. im Jahre 1938 für eine Anklage gegen die Akademie beim Ministerium Material geliefert hat, daß sie die Vollendung der Kantausgabe verschleppe. Die noch fehlenden Bände sind aber eben dieselben, für die L. das Honorar empfangen hat und die er noch nicht geliefert hat. Kurz darauf begann Herr Dr. L. in der von Herrn Prof. Bäumler [!] herausgeg. Zeitschrift 'Weltanschauung und Schule' einen literarischen Feldzug gegen mich, der im Zusammenhang dienstlicher Fragen kein Interesse hat, dessen moralische Teile aber für jeden offen liegen, der die Vorgeschichte kennt und die Art des Vorgehens näher betrachtet."2
Nun genügt als erstes ein Blick in das fertige Werk, die Habilitationsschrift G. Lehmanns »Kants Nachlaßwerk und die Kritik der Urteilskraft«, die am 1. Februar 1939 der Philosophischen Fakultät der Universität Greifswald eingereicht wurde, 3 um festzustellen, daß der ausdrückliche Dank des Vorwortes an Alfred Baeumler und Nicolai Hartmann auch ein Politikum darstellt. 4 Lehmann reiht sich bewußt ein in die Anhän-
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Lehmann 1938c, 239. Akten der KK, II-VIII, 162, nicht foliiert, am Schluß des Faszikels. In seinem bereits zitierten, an das Ministerium gerichteten Bericht vom 31. Mai 1938 schreibt Lehmann hierzu: „Der Akademie wurde als Ergebnis der Arbeiten an den früheren Bänden XXI und XXII eine systematische Untersuchung über Kants Nachlaßwerk und die Kritik der Urteilskraft vorgelegt." (Akten der KK, II-VIII, 161, fol. 21.)
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Vgl. Lehmann 1939. Herrn Dr. Ritter (Bundesarchiv, Koblenz) danke ich für den Hinweis auf den Antrag von Gerhard Lehmann auf einen Druckkostenzuschuß bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft für das genannte Werk vom 5. März 1939 (Bestand R 73/12628). Danach hat Lehmann die Arbeit zunächst Hart-
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gerschaft eines entschiedenen akademischen Apologeten des Nationalsozialismus: Alfred Baeumler, jenes mächtigen Mannes im Kompetenzwirrwar der Nazi-Hierarchie, gegen dessen Berufung zum Direktor des an der Berliner Universität neu geschaffenen Instituts für „politische Pädagogik" Spranger im Frühjahr 1933 vergeblich protestiert hatte.1 Diese faktische Verlagerung der Macht unmittelbar an die Staatspartei ist auch in den Akten der KK nachzulesen, und zwar in einer Auskunft, die die Reichsleitung der NSDAP am 6. Juli 1939 über Gerhard Lehmann der Akademie gab: „Dr. Lehmann gehört der Partei nicht an. Er ist uns aber aus seiner wissenschaftlichen Arbeit bekannt, in der er sich um eine ernsthafte Durchdringung der weltanschaulichen und politischen Lehren des Nationalsozialismus bemüht. In Aufsätzen bezw. Artikeln in den »NS-Monatsheften«, dem »Völkischen Beobachter«, »Weltanschauung und Schule« und anderen Organen hat er auf dem Felde der Wissenschaft in wirksamer Weise Gegner der nationalsozialistischen Weltanschauung zurückgewiesen. In der zweibändigen Nietzsche-Ausgabe des Kröner-Verlages hat Dr. Lehmann kürzlich eine Einleitung geschrieben, die in weltanschaulicher und wissenschaftlicher Hinsicht unsere volle Billigung findet.2 1934 hat Dr. Lehmann auch an einem Dozentenlager teilgenommen. Wir halten Dr. Lehmann für einen um die geistigen und weltanschaulichen Fragen unserer Zeit ehrlich und erfolgreich ringenden jungen Wissenschaftler, der auf den von ihm eingeschlagenen Gebieten fruchtbare Arbeit leisten wird."3 Diese Auskunft war und ist ernst zu nehmen, denn Lehmann publizierte unmittelbar nach dem Beginn des „Westfeldzuges" (Mai 1940) eine Schrift über den »Einfluß des Judentums auf das französische Denken der Gegenwart«, 4 die Heinz Heimsoeth
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mann und Baeumler vorgelegt, und nachdem sie „deren Billigung erfahren hatte, bei der Philosophischen Fakultät der Ernst Moritz Arndt Universität eingereicht." Gutachter waren hier Prof. Dr. Pichler und Prof. Dr. Schulze-Soelde. Die Forschungsgemeinschaft gewährte dem Verlag mit den positiven Stellungnahmen von Baeumler und Hartmann einen Zuschuß in Höhe von 360,- RM. Vgl. Spranger 1955. D.i. Gerhard Lehmann (Hg): Friedrich Nietzsches Werke. Auswahl in zwei Bänden (Leipzig 5 1938). Vgl. dazu die Besprechung von Wolfram Steinbeck in der D L Z vom 30.Juli 1939, Sp. 1083-1084, wo es über Lehmanns Einleitung treffend heißt: „Sie eröffnet in einem kurzen geschichtlichen Abriß über den Wandel der Nietzscheinterpretation eine Perspektive auf die nationalsozialistische Deutung des Werkes dieses Philosophen und Politikers, die uns Nietzsche als einen politischen Kämpfer um die Lebens- und Charakterwerte unserer Rasse nahe gerückt h a t . " - Ich habe darauf verzichtet, die genannten NS-Zeitschriften nach Artikeln Lehmanns durchzusehen, weil eine genaue Erfassung dieser Seite seines Schaffens für die AkademieAusgabe ohne Belang zu sein scheint. Akten der KK, II-VIII, 161, fol. 55. Den Titel hat Lehmann bezeichnender Weise nicht in das Verzeichnis seiner Schriften aufgenommen, vgl. Lehmann 1980, 277-284. Geführt ist er jedoch im Versteigerungskatalog seiner Bibliothek: Lang 1988, 3. Im NL-Lehmann der SBPK (Kasten 32) befinden sich mehrere, teils signifikant voneinander unterschiedene Entwürfe und Durchschläge zu Erklärungen und Lebensläufen, die offensichtlich im Zusammenhang mit der „Entnazifizierung" stehen. Einige datieren vom November und Dezember 1945, andere dürften noch später verfaßt sein. Stets stellt Lehmann darauf ab, daß die Schrift über den Einfluß des Judentums nicht allein sein Werk sei, sondern auch der Schriftleitung der Reihe, in der sie publiziert wurde. - Ich verzichte auf eine eingehendere Erörterung. Zur Sache der politischen Ausrichtung des „Kant-Philologen" vgl. auch den Privatdruck von Bayerer 1986a, der in der »Information Philosophie« 4/1990/60-62 referiert worden ist. Ähnliche Andeutungen in dieser Richtung schon bei Schnädelbach 1983, 310 Anm. 355 und 332 Anm. 768. Femer Laugstien 1990.
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(1986-1975) vorab gern für ein „von Prof. Ritterbusch (Auftrag d. Reichserziehungsministers)" eingeleitetes Unternehmen zum „Einsatz d. Geisteswiss[enschaften]" gegen die französische Philosophie gewonnen hätte.1 Das knapp 62 Seiten umfassende Pamphlet erschien jedoch zu früh, um noch in das „Unternehmen" eingereiht zu werden. Und die nachträgliche Bewertung durch Heimsoeth ist nicht nur ein Dokument des längst erfolgten Untergangs akademisch gebildeter Kritik, sondern auch ein vorweggenommener Kommentar zu der weiteren Entwicklung der Kant-Ausgabe nach 1945.2 Heimsoeth schrieb am 9. August 1940 an Lehmann: „Sie wollten noch von meinen Eindrücken über die mir frdl. übersandte Broschüre hören. Auch das müsste mündlich besprochen werden. Die erste Hälfte der kl. Schrift hat mir durch die Verve der Darstellung u. Polemik sehr imponiert, bei dem Eingehen auf die Philosophen selbst kamen mir dann grosse grundsätzliche Bedenken. Auch der Kampf gegen das Judentum in der Wissenschaft. Welt kann m. E. fruchtbar u. befreiend nur geführt werden, wenn man energisch differenziert. In einem Punkt trifft die Polemik alle jüd. Autoren gleichermassen: die Verflechtung durch gegenseitiges Hervorheben u. in den Vordergrundschieben ist bei ihnen unablässig am Werke u. man kann nicht scharf genug dagegen angehen. Aber die inhaltl. Bedeutung ist dann doch ungeheuer verschieden, u. wenn - wie in Ihrer kurzen Schrift - eine Scheinkapazität wie Brunchvig [!] mit einem Manne wie Bergson ganz in einen Topf fällt, dann geht mir das doch schwer ein, - wenn ich auch selbst Ihnen nicht vordemonstrieren könnte, wie mans anders machen müsste. -" 3
Ein letzter Vorgang ist hier noch vorzustellen, denn - wie oben gezeigt - hat auch die Berliner Universität4 Ende 1940 eine Nebenrolle beim Zustandekommen von Band XX der Kant-Ausgabe gespielt. Um als Dozent zugelassen zu werden, mußte der in Greifswald habilitierte Lehmann eine Lehrprobe ablegen. Gegen diese Absicht wandte sich Eduard Spranger, wie aus dem folgenden Schreiben Lehmanns (vom 6. November 1939 gerichtet an den Dekan der philos. Fakultät der Berliner Universität), das zugleich seine Sicht der Vorgänge um die Kant-Ausgabe festhält. 1
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Brief von Heimsoeth an Lehmann vom 25. Juli 1940, NL-Lehmann SBPK. - Bei dem genannten Ritterbusch dürfte es sich u m den Kieler Juristen Paul Ritterbusch handeln; vgl. »Kürschners« Jahrgang 1940/41. Zu dessen Rolle im Nazi-Reich vgl. Laugstien 1990. Vgl. den Artikel von Heimsoeth 1957-58, der vorab durch die Hände des Besprochenen gegangen ist; vgl. die Karten von Heimsoeth an Lehmann vom 26. Juni 1956 und 15. Februar 1958 (NL-Lehmann, SBPK). NL-Lehmann, SBPK. Auch diese Fußnote ist notwendig, denn Heimsoeths „ E i n d r ü c k e " verlangen nach einer Erläuterung. Mit der „ersten H ä l f t e " bezieht er sich auf die Seiten bis 35, die dem Aufweis eines Satzes dienen: „Frankreich ist heute nicht mehr Herr seiner Kultur, das Judentum hat die 'Zivilisation' enteignet - dieser Satz ist von so unerhört weitreichender Bedeutung, daß es nicht genügt, ihn einfach hinzustellen oder ihn durch ein paar Beispiele zu erläutern." (Lehmann 1940, 30) Des Teils der Schrift, deren Zielrichtung Lehmann eingangs (S.8) gewendet gegen französische Intellektuelle und Politiker, die Nazideutschland auf die Seite der Unmoral stellten, so formulierte: „Unmoralisch, weil hier die Moral als Lockmittel und Stimulans für die Entfachung eines totalen Kriegs mißbraucht wird, den zu verantworten, Sache der französischen Kriegshetzer ist." - Der zweite Teil ist ein so offensichtlich an den Haaren herbeigezogener Versuch, einzelne Philosophen zu diffamieren, daß Heimsoeth davor zurückschreckte. - Ich breche ab, denn mein Thema ist hier nicht die Beziehungen zwischen der akademisch-institutionalisierten Philosophie und dem Nazi-Reich zu erhellen (Vgl. dazu Laugstien 1990), sondern die Geschichte der Kant-Ausgabe. Auf beiden Gebieten ist Autopsie zu empfehlen. Universitäre Akten habe ich nicht herangezogen. Die folgende Darstellung fußt allein auf dem NL-Lehmann der SBPK und den Akten der KK.
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Teil II „Eure Spektabilität bitte ergebenst, im Anschluss an die Unterredung vom 6. November und in Ergänzung meines Briefes vom 13. Okt. nachfolgende Erklärung abgeben zu dürfen. Herr Professor Spranger hat gegen meine charakterliche Eignung zum Dozenten geltend gemacht, dass ich als Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften diese durch einen eigenmächtigen Schritt bei Herrn Prof. Baeumler geschädigt habe. Ich hätte Herrn Prof. Baeumler über die Kantausgabe falsch informiert und dadurch veranlasst, dass das Ministerium bei der Akademie vorstellig wurde. Mein Schritt sei umso unverantwortlicher gewesen, als er ohne Fühlungnahme mit der Akademie erfolgte, und ich stets wärmste Unterstützung von Seiten der Kantkommission, bezw. ihres damaligen Vorsitzenden Prof. Spranger, erfahren hätte. Ich erkläre, dass ich nicht die Absicht gehabt habe, ja dass mir die Absicht sinnlos erschienen wäre, durch eine Rücksprache mit Herrn Prof. Baeumler das Ansehen der Akademie zu schädigen. Da diese Rücksprache nach Besprechung und im Einvernehmen mit Herrn Dr. Buchenau, dem von der Akademie beauftragten Herausgeber des Nachlasswerkes, erfolgte, so habe ich nicht eigenmächtig in der Weise gehandelt, wie es der Vorwurf voraussetzt. Ich erkläre ferner, dass es sowohl meine eigene als auch Herrn Dr. Buchenaus Absicht war, durch [gestr. Einfluss Zusatz:] die Hilfe Herrn Prof. Baeumlers beim Ministerium einen Kantfonds zur Ermöglichung aller Ausgaben für Herausgeber- und Bearbeitertätigkeit, für Sachausgaben, Schreibkraft und gegebenenfalls auch Unkosten des Verlages bei der Drucklegung zu erwirken, damit die Akademie, die seinerseits [!] über weitere Gelder nicht verfügte, die Kantausgabe bis zu Ende fortführen konnte. Als Herr Prof. Spranger die Leitung der Kantausgabe übernahm, bat ich um die Einrichtung einer Hilfsarbeiterstelle bei der Akademie, da die ferneren geplanten und laufenden Kantarbeiten nicht durch Honorarvorschüsse von Fall zu Fall finanziert werden könnten. Herr Prof. Spranger antwortete, dass die Akademie für eine schon 'fertige' Ausgabe keine Hilfsarbeiterstelle einrichten könne. Als sich nach dem Eintreffen des völlig ungeordneten Nachlasses von Prof. Adickes Ende 1934 die laufenden Kantarbeiten vermehrten, setzte ich mich wiederum mit Herrn Prof. Spranger sowie mit dem damaligen Sekretär der Akademie, Herrn Prof. Sthamer, in Verbindung, um ihm die gleiche Bitte vorzutragen, Herr Prof. Sthamer antwortete mir, dass die Akademie die Kantausgabe nicht in dem gleichen Sinne wie etwa die Leibnizausgabe fördern könne. Die Kantausgabe müsse eben nebenamtlich von einem Herrn erledigt werden, der über eine ausreichende finanzielle Grundlage verfügte. Ich selber müsste sehen, wie ich baldmöglichst andere Einnahmen erlange. In dieser Situation, und in der Voraussetzung, bei Herrn Prof. Spranger kein Verständnis für die wirklichen Erfordernisse der Kantausgabe zu finden, nahm ich am 2. 3. 1935 Rücksprache mit Herrn Prof. Baeumler. Ich habe ihn nicht falsch informiert. Auch hat er selbst sich sogleich mit Herrn Dr. Buchenau in Verbindung gesetzt, durch den er sich ebenfalls informieren liess. Ich habe mir damals über die Folgen meines Schrittes nicht genügend Rechenschaft abgelegt. Wenn durch mein Verhalten der Eindruck entstanden ist, dass ich durch Umgehung der Instanzen das Ansehen der Akademie geschädigt hätte, so bedaure ich das aufs tiefste. Habe ich im Interesse der Sache falsch gehandelt, so jedenfalls nicht aus unlauteren Motiven. Heil Hitler!" 1
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SBPK, NL-Lehmann, Kasten 32. (Durchschlag)
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Von Lehmann war als Bedingung für die Zulassung zur Lehrprobe eine Erklärung verlangt worden, daß er „heute einsehe, unrichtig gehandelt zu haben und dies bedauere." 1 Mit dem eben in extenso wiedergegebenen Schriftstück war er dieser Forderung jedoch nicht in der gewünschten Weise nachgekommen. Also gab Lehmann schließlich die lapidare Erklärung „Ich sehe heute ein, [...]." 2 und erreichte so, nach Absolvierung der öffentlichen Lehrprobe (am 13. November), das Ziel seiner Karriere. Er wurde Dozent an der Berliner Universität. Blickt man nun im Ganzen auf den institutionellen Träger des Unternehmens, dann wird man feststellen dürfen: Nach dem Tod von Heinrich Maier hat sich kein Mitglied der Akademie in der Sache wirklich kundig gemacht. Weder Spranger noch Hartmann können und konnten als ausgewiesene Kenner in Sachen historischer Editionen angesehen werden. Das 1894 von Dilthey inaugurierte, epochemachende Unternehmen einer historisch-kritischen Ausgabe der „ganzen geistigen Hinterlassenschaft" eines Philosophen, sank eine Generation später ab zur Bewältigung der sozialen Probleme einer Einzelperson, 3 und geriet dann im Zuge der in den 1930er Jahren immer enger werdenden Verkoppelung der Preußischen Akademie mit dem Nazireich4 vollends in den Strudel des Niedergangs deutscher Gelehrtenkultur. Die Verantwortung für die Mängel und Schwächen der Bde. XX-XXIII der Ausgabe liegt also nicht allein bei dem oder den Bearbeiter(n), sondern ist letztlich bei der herausgebenden Körperschaft anzusiedeln: Das ausführende Organ war die Kant-Kommission der Akademie. Das oben geschilderte Hin- und Her um die Zählung der 1936 und 1938 erschienenen Bände ist dafür nur ein deutliches Symptom, und der Wechsel im Vorsitz der KK war von ausschlaggebender Bedeutung: Die Weichen wurden definitiv gestellt, nachdem Spranger im Oktober 1936 Berlin für ein Jahr verlassen hatte. Der Zug war abgefahren, nachdem Spranger, der sich noch an rechtlichen Verkehrsformen orientierte, am 16. Juni 1938 der Akademie gegenüber erklärte, zur Angelegenheit Lehmann keine Gutachten mehr erstellen zu wollen.5 Danach blieb einzig die Person von Nicolai Hartmann, der in der Sache abhängig war von den Informationen und Angaben derjenigen, die er als Vorsitzender und letztlicher Entscheidungsträger zu beaufsichtigen hatte. Damit war die Herausgabe der Kantischen Handschriften im Rahmen der Akademie-Ausgabe faktisch zum herrenlosen Gut verkommen. Zu einer Fachaufsicht sah sich die KantKommission anscheinend nicht selbst in der Lage. Sie ließ es dabei bewenden, die Arbeiten Gerhard Lehmanns durch den eng mit dem Verleger der Ausgabe verbunde-
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So in der Antwort des Dekans vom 10. November 1939. NL-Lehmann, SBPK. Entwurf im NL-Lehmann der SBPK. Heinrich Maier hat dies sogar selbst gesehen, vgl. seine Stellungnahme vom 19. Juli 1933 (Akten der KK, II-VIII, 159, fol. 200): „Dr. Lehmann, der ein armer Teufel und zudem verheiratet ist, lebt von der Hand in den Mund." Vgl. die geänderte Satzung der AdW „Genehmigt durch Erlaß des Hrn. Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 8. Juni 1939", in: »Jahrbuch der Preußischen AdW« Jahrgang 1940, S.714. Vgl. hier S. 176.
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Teil II
nen Schulrat Buchenau überwachen zu lassen. Aber diese Delegation kann sie keineswegs von ihrer Verantwortung entbinden: Es wäre an Ihr gewesen, eigene Sachkenntnis zu erwerben, wenn sie sich schon nicht entschließen konnte oder wollte, einen eigenverantwortlichen Herausgeber zu gewinnen. m. Grundsätzliche Überlegungen und Beobachtungen Eine ins Detail gehende Darstellung der vier verschiedenen Editionsprinzipien (a. XIV-XIX; b. XXI-XXII; c. XX; d. XXIII) scheint unnötig zu sein, weil diese den Benutzern der seit Jahrzehnten vorliegenden Bände hinreichend bekannt sind. Dennoch ist der Blick auf das Formale aufschlußreich. Am Augenfälligsten weichen die beiden Bände des »Opus postumum« (XXI-XXII, 1936-1938) mit ihrer ungewöhnlichen Positionierung einer „Einleitung" des Herausgebers hinter den Abdruck der Kantischen Texte von ihren Vorgängern ab. Auf die Einleitung folgen „Erläuterungen", die sich jedoch nicht auf einen Sachkommentar beschränken, sondern in einigen Fällen auch auf die Lesarten anderer Editoren eingehen, 1 dies jedoch leider ohne einen nachvollziehbaren Bezug zu den Teilpublikationen von Rudolf Reicke und Albrecht Krause herzustellen. 2 Im nächsten Band (XX, 1942) wird dieses Arrangement übernommen und das doppelte textkritische Verfahren, wo irgend möglich, zum Prinzip erhoben. Der erste Apparat, der sich auf die Übersetzung der Handschrift in den Druck bezieht, erscheint als Fußnote zum Text. Der zweite vergleicht unter „Lesarten" (S. 509-523) frühere TeilEditionen. 3 Ja es findet sich - wiederum eingestreut in die sachlichen Erläuterungen (S. 490-497) - ein dritter Textapparat mit Anmerkungen zu den von Adickes in Bd. XIV bereits aufgenommenen Reflexionen. Zweifellos hat ein derart kompliziertes Vorgehen weder die Benutzung noch die Herstellung des Bandes erleichtert. Im Gegenteil ist zu vermuten, daß es die inzwischen bekannt 4 hohe Anzahl von Fehlern mit verursacht hat. G. Lehmann übernimmt bei seinem ersten von ihm - nach außen hin in alleiniger Verantwortung - gestalteten Band, der Nr. XX der Ausgabe, ausdrücklich (S. VII) die beim „Opus p o s t u m u m " befolgte „Methode der Textbehandlung" und führt zur Begründung an, daß diese sich „ b e w ä h r t " habe, ohne zu erläutern, worin eine solche Bewährung bestanden hat oder haben soll. Die Methode besteht darin, „auf Interpunktionsergänzungen" 5 zu verzichten und: „Zusätze und Durchstreichungen wurden nicht im Text durch Klammern, sondern unter dem Text durch Abkürzungen gekennzeichnet". Tatsächlich ist dieses Vorgehen eine bloße Folge der - irreführenden 1 2 3
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Vgl. AA-Kant XXII: 794 zu 25,3-21; 807 zu 344,18 - 346,33; 808 zu 349,21 - 350,16; 810 zu 446,2; 810811 zu 4 5 4 , 2 0 - 4 6 1 , 1 2 ; 811 zu 478,28; 819 zu 295,22ff.. Vgl. dazu detailliert Brandt 1991. Wobei zu den Seiten über den fragmentarischen Abdruck der „Bemerkungen zu den »Beobachtungen«" von 1764 zu sagen ist, daß Adickes wegen der grundsätzlichen Mängel auf ein solches Protokoll verzichten wollte, vgl. AA-Kant XIV; S. LIX-LX. Die Nachweise dazu gleich. Adickes hatte solche mit abweichenden Typen vorgenommen, vgl. AA-Kant XIV; S. LVI.
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Meinung, es handele sich bei der »Preisschrift«, der sogenannten 1 »Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft« um „Druckschriften". 2 Diesen wie auch den Aufzeichnungen im durchschossenen Exemplar der »Beobachtungen« sei nämlich eine „Sonderstellung" 3 gegenüber den von Adickes abgedruckten Aufzeichnungen der übrigen Handexemplare und Losen Blättern zuzuerkennen. Damit folgt Lehmann der von Buchenau entwickelten Zielvorgabe: 1. den Text lesbarer zu machen und 2. die Textverbesserung zu protokollieren. In diese - wie bei den Bänden XXI-XXII seitenweise durch einen kurzen Strich vom Text geschiedenen 'Anmerkungen zur Transkription' - sind außerdem Angaben über die räumliche Anordnung der Aufzeichnungen im Original integriert. Das Bemühen um einen leicht lesbaren Text geht in Band XX sogar so weit, daß die bei Adickes und Buchenau 'Kursiv' zwischen den 'Fraktur' gesetzten Kantischen Text eingeschobenen Angaben über die handschriftliche Quelle in die Textanmerkungen genommen werden. Der Benutzer des Bandes ist dadurch entweder gezwungen, seine Augen gleichzeitig auf Text und Anmerkungen zu richten, oder die jeweiligen Seiten- oder Blattübergänge in sein Exemplar einzutragen, um sich auch nur in grober Näherung eine Vorstellung von der Beschaffenheit der abgedruckten Handschriften zu verschaffen. Besonders ungeeignet ist dieses Verfahren beim Autorexemplar der »Beobachtungen«. Die im Manuskript 4 deutlich erkennbare Einteilung der Aufzeichnungen in zwei Klassen: 1. solche, die sich auf den Text der »Beobachtungen« beziehen; 2. selbständige Reflexionen, die zum Teil um die vorhergehenden Bemerkungen zum Text herum in einem Sinnzusammenhang stehen, kann im Druck nicht erscheinen. Das bloß konservative Verfahren versperrt die Auswertung von Stellungsindizien und Tintenkriterien 5 : Absätze, Einzüge und Zeilendurchschüsse des Druckes stehen in keinem definierten Verhältnis zu Abtrennungsstrichen, Zeilenabständen und anderen äußerlichen Eigenschaften des edierten Autographen. Die Ausgabe vermittelt weder ein Bild von Art und Beschaffenheit des Originals als ganzem noch von der Anordnung der Worte, Satzfragmente und Sätze auf den einzelnen Blättern. Eine Kollationierung dieses Teils 6 von Bd. XX kam überdies zu einem ähnlichen Resultat wie Norbert Hinske, der durch Vorlage einer Faksimile-Edition der sog. »Er1
Sogenannt, weil nach allem, was man bislang über den Prozeß der Entstehung Kantischer Druckvorlagen weiß, nicht davon ausgegangen werden kann, daß er die der Kiesewetterschen Abschrift zugrundeliegenden Materialien (Reflexionen, Entwürfe) in einem, ersten Anlauf niederschrieb; vgl. Stark 1988. Richtiger wäre es, von einer 'früheren' Einleitung zu sprechen.
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AA-Kant XX; S. V f.; 475; AA-Kant XXIII 505 und Lehmann 1969, 28f. Lehmann 1969,9. Grundlage der folgenden Bemerkungen sind die Originalphotos des Autorexemplars (Dep.3 der AdW Göttingen) in der Niedersächsischen StUB. Die Trennung in diese beiden Klassen wird von G. Lehmann selber zugestanden, vgl. AA-Kant XX 472 im 3.Absatz. Adickes hatte seine vorläufigen Transkriptionen ebenfalls so gegliedert, s. oben (S. 137) die Ziffern 6 und 9 der aus dem Berliner Verzeichnis von 1934 entnommenen Aufstellung.
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Die in Schwarz-Weiß-Technik angefertigten Photos geben die farblichen Schattierungen der Tinte nur schwach als Helligkeitsunterschiede wieder. Solange das Ms selbst verschollen ist, sind Tintenkriterien nicht auswertbar.
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Vgl. Rischmüller (Hg) 1991.
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sten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft« ad oculos demonstrierte, daß Band XX „an vielen Stellen einen verdorbenen oder ungenauen Text"1 gibt. Die Lehmannsche Apologie 2 nimmt die grundsätzlichen editionskritischen Darlegungen nicht zur Kenntnis, sondern ergeht sich überwiegend in Ausflüchten und persönlicher Polemik. So sucht sie ein weiteres gravierendes Versäumnis des Herausgebers von Band XX zu überspielen. Mit keinem Wort geht er darauf ein, daß in der Akademie-Ausgabe die Identifikation des Schreibers der von Kant durchgesehenen 'früheren Einleitung' fehlt. Und seine erste Aussage zu dieser Frage läßt erkennen, daß er mit den Methoden historischer Forschung wenig vertraut ist. Das in Kants Brief an Kiesewetter (Königsberg, den 25. März 1790) enthaltene Zeugnis - „die vormals von Ihnen abgeschriebene [Einleitung zur »Kritik der Urteilskraft«]"3 - wird mit der Bemerkung versehen: „Daß die Abschrift von Kiesewetter stammt, ließ sich höchstens vermuten." 4 Der Umstand jedoch, daß die Auskunft von Kant vor der allgemeinen Verfügbarkeit des Briefes (1965) nicht bekannt sein konnte, ist für die Identifikation der schreibenden Hand der sog. 'Ersten Einleitung' unerheblich. Ein Vergleich mit den zeitgleichen Briefen von Kiesewetter an Kant, die zu den beiden ersten Dorpater Bänden gehören, 5 würde die Identität über jeden Zweifel erhoben haben. Die Dorpater Bände waren für den Herausgeber von Bd. XX ohne weiteres zugänglich. Nachdem 1914 in Bd. V, der Cassirer-Edition von Otto Buek 6 die „Vermutung" geäußert worden war, „daß die Kopie von der Hand Kiesewetters herrühren könnte", 7 hätte die Akademie-Ausgabe 1942 hierzu Stellung beziehen müssen. In Band XX ist jedoch weder eine argumentativ-historische Diskussion zu lesen, noch von einem Bericht über die leicht mögliche 8 Autopsie die Rede. Zurück zu den Formalien!
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Hinske 1965, S. XII, vgl. Hinske 1991, 246. Lehmann 1967b; auch in Lehmann 1980, 258-269. Lehmann 1964; zitiert nach Lehmann 1980, 180. Lehmann 1964; zitiert nach Lehmann 1980, 185. Vgl. Lehmann (Hg) 1927, S. VI: „(Buek glaubt die Hand Kiesewetters zu erkennen)". AA-Kant XIII: Register s.v. Kiesewetter und die Besitznachweise zu den jeweiligen Briefen. Vgl. die falsche Angabe in Lehmann (Hg) 1927, S.III: „[...] ist erstmalig zum Abdruck gelangt in Band II [sie!] der Cassirerschen Kantausgabe (Berlin 1922, Herausgeber Otto B u e k ) . " Der doppelte Fehler blieb stehen noch in der „korrigierten" Auflage von 1970! - Korrekt hingegen Hinske 1965, S. IV. Buek (Hg) [Cassirer-Ausgabe] 1914, 588. Buek stützte sich auf „eine Vergleichung der Handschriften des Kopisten und der Kiesewetters in Briefen aus dem Nachlaß Varnhagens v. Ense in der Berliner Königl. Bibliothek." Die drei Dorpater Briefbände waren in der 1934 nach Berlin überstellten 'Kantkiste' enthalten; dadurch war die Situation für Lehmann eine ganz andere als die der »Cassirer-Edition«. Dieser standen die Dorpater Bände nicht zur Verfügung: „Die handschriftlichen Vorlagen, auf denen diese Ausgabe beruht - [...] - sind leider noch immer der allgemeinen wissenschaftlichen Benutzung entzogen, da sie von der Berliner Akademie für die Ausgabe des Kantischen handschriftlichen Nachlasses und für die Fertigstellung des vierten, von Reicke nicht mehr veröffentlichten Briefbandes, der die Lesarten und Anmerkungen zu den Briefen enthalten soll, zurückgehalten werden. Wiederholte Versuche, die ich unternahm, um in dieses wichtige handschriftliche Material für längere Zeit Einsicht zu erhalten, sind leider fehlgeschlagen." (Kants Werke, Bd. IX Briefe von und an Kant. Erster Teil, ed. Ernst Cassirer, S. 457. - Eine entsprechende Anfrage Cassirers bei Adickes vom 1.April 1912 ist unter den Ingelheimer Papieren erhalten.
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Die Seltsamkeiten und - im strikten Wortsinn - Merkwürdigkeiten in den Bänden XX-XXIII nehmen zu, je näher man sich mit den formalen Fragen einer Edition auseinandersetzt. Ist ersteinmal der äußere Nimbus einer „Akademie-Ausgabe" erkannt, dann wird der Blick des Betrachters auch frei für die Beachtung scheinbar gleichgültiger Kleinigkeiten. Die Herausgeber Buchenau/Lehmann standen vor der keineswegs neuartigen Aufgabe, meist deutschsprachige Manuskripte aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu bearbeiten. Spätestens beim Übertrag ihrer eigenen Abschriften in den Satz, der anders als jede Handschrift nur aus einer eng begrenzten Anzahl einzelner Typen besteht, mußten sie eine Zuordnung zwischen Federstrichen und Lettern treffen und festlegen (d. h. wenigstens die eigene Arbeit einer Regel unterwerfen), welchem handschriftlichen Zeichen welche Drucktype entsprechen sollte. Es ist klar, daß diese Aufgabe nicht in vollkommen eindeutiger Weise zu lösen ist. Es ist aber genauso klar, daß es einen allgemein akzeptierten Standard gab und gibt, der in der weitaus überwiegenden Anzahl der Fälle zu befriedigenden Lösungen führt. Trotzdem begegnen in den genannten Bänden originelle Buchstaben- und Zeichenschöpfungen. Die Wiedergabe der von Kant mit lateinischen Buchstaben geschriebenen Worte geschieht mit einer Antiqua-Type, während im übrigen für die deutsche Kurrentschrift 'Fraktur' gewählt wurde. Nun findet man durchgängig das Zeichen ,,/?" in lateinischen Worten, z.B.: MajSa (XXI 376,09), t r a n c e : (XXI 461,08), concußion (XXI 501,10). 1 Das ist ein Ding der Unmöglichkeit! Denn der gemeinhin „S-Z" genannte handschriftliche, heute nur im Deutschen verwendete Buchstabe ist eine Ligatur der zwei Formen des kleinen „ s " , die in der deutschen Kurrentschrift des 18. Jahrhunderts gebräuchlich waren: dem innerhalb von Worten benutzen langen, peitschenförmigen „ s " mit Oberund Unterlänge und dem E n d - „ s " , das anders als das kleine „ z " keine Unterlänge kennt. Das Bewußtsein der Trennung beider Zeichensysteme ist im 18. Jahrhundert im deutschen Sprachraum verbreitet, wie man z.B. daran sehen kann, daß es auch in Drucken häufig beachtet wurde. Bei Worten, die nicht der deutschen Sprache entstammen, ist ein „ ß " nicht möglich. Erst viel später, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als auch deutschsprachige Texte in der sog. lateinischen Handschrift abgefaßt wurden, begegnet auch hier eine besondere Form des „Doppel-s", die jedoch eine bloße Kombination der zwei Formen des kleinen „ s " (langes „ s " und rundes „ s " ) darstellt. Es finden sich, bei genauerem Hinsehen, weitere „Merkwürdigkeiten" dieser Art, z. B. die Ersetzung des in der Handschrift einzeln oder doppelt geschriebenen kleinen „ p " durch eine Drucktype, die dem Sinn nach als „ e t c " (et cetera) gelesen werden muß, während buchstäblich - seltsam genug! - dies deutsche „ p " für das lateinische Wort „perge" steht. Ein weiteres Beispiel ist das unterstrichene kleine, lateinische 'p', das z.B. in den handschriftlichen „ B e m e r k u n g e n " Kants in seinen »Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen« ab und an begegnet und als lateinisches 1
Dieselbe Unkenntnis zeigt sich auch bei den Transkriptionen von Briefen in Bd. XXIII S. 499: „Sumi/jion", S. 500 „Submißion", vgl. dazu, die Abbildungen 1 und 2 in KS 41/1936; sowie S. 230 dieses Bandes. Auch bei der U m f o r m u n g des Antiquadruckes von Reicke scheute Lehmann nicht davor zurück, vgl. z.B. AAKant XXIII 138,15: „po/fe/?io".
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„per" (= durch) zu lesen ist. 1 Ähnlich das deutsche handschriftliche „Xsten" oder „Xstentum", bei dem der erste Buchstabe freilich nicht ein lateinisches „ X " darstellt, sondern als griechisches „chi" zu deuten und „Christen" bzw. „Christentum" zu lesen ist; 2 oder: ein als Sigel bezeichnetes Zeichen, bei dem es sich um ein großes griechisches „theta" (für theos = Gott) handelt. 3 Es finden sich weitere Zeichen dieser Art, die schriftgeschichtlich sämtlich auf ein im Humanismus entwickeltes Kurzschriftverfahren zurückweisen, das auch im universitären Lehrbetrieb Anwendung gefunden hat. 4 So weit ich sehen konnte, betreffen Beobachtungen dieser Art zwar nicht die Verläßlichkeit des Editionstextes, die Art der Verzeichnung in den Apparaten der Bde. XXXXIII verweist aber darauf, daß Buchenau/Lehmann sich von den gültigen Prinzipien der Textwiedergabe distanzieren wollten. 5 Während man bei Adickes unterstellen darf, daß er über ein in seinen Publikationen nie ganz ausgeschöpftes Potential an Gelehrsamkeit verfügte, um die dargelegten Zusammenhänge erkennen zu können, kann eine solche Hypothese weder für Buchenau noch für Lehmann in Anspruch genommen werden. Buchenau hat vor seinem Engagement für die Kant-Ausgabe der Berliner Akademie kein Interesse an der Edition von Handschriften gezeigt. Und Lehmann war auch als Herausgeber ohne jede akademische Ausbildung. 6 Fragt man nach den grundsätzlichen Charakteristika der editorischen Konzepte von Buchenau/Lehmann und Adickes, dann wird deutlich, daß die soeben konstatierten „Merkwürdigkeiten" nicht nur auf ad hoc getroffene Lösungen zurückgehen, sondern auch auf unterschiedliche Zielvorstellungen verweisen. - Um die je zugrundeliegenden Überlegungen und Vorstellungen rekonstruieren zu können, möchte ich meinerseits beginnen mit einem Versuch, die allgemeine Aufgabenstellung eines Editors kurz zu beschreiben. Jeder kritische Herausgeber eines Textes verfolgt das primär philologisch bestimmte Ziel, einen den Intentionen seines Autors angemessenen, gut lesbaren Text herzustellen. Die Basis seiner Arbeit ist hierzu in aller Regel durch einen oder mehrere vom Autor veranlaßte(n) und/oder überwachte(n) Druck(e) gegeben. Das Verzeichnis der Lesarten dient dabei gewöhnlich dem Zweck, die vom Herausgeber vertretenen Vari1 2
Vgl. z. B. AA-Kant XX: 64, 05; 6 8 , 0 1 ; 7 6 , 0 2 . Vgl. z. B. AA-Kant XX 90, 17. - Auch bei dieser Kleinigkeit zeigt die historische Betrachtung der Editionsgeschichte Kantischer Handschriften Erstaunliches: Benno Erdmann war sich bei seiner Ausgabe der »Reflexionen« (1882-1884) über die Bedeutung des Kürzels, d.h. die korrekte Übersetzung der Handschrift in Drucktypen, nicht im Klaren. Er las „der (Gute)", wo Adickes „der Christ" setzte; vgl. Erdmann (Hg) 1882, 114 und AA-Kant XV 179, 06-07. Erdmann merkte dazu an: „Im Manuscript, wenn ich recht lese, ein sonst nicht von Kant gebrauchtes Abkürzungszeichen: ' X s t " \
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Vgl. die Anm. von Reicke 1895, 275. Vgl. AA-Kant XXI: 146, 25; 147, 15; 147, 23; 147, 25 und das dazu beigegebene Faksimile. Zur Schriftgeschichte vgl. Schneider / Blauert 1936. Vgl. AA-Kant XIV; S. LV: „Sigel und Abkürzungen werden aufgelöst." Vgl. die diakritischen Novitäten: eines kleinen oder großen griechischen 'delta'; erstmals verwendet in Lehmann (Hg) 1927. Erklärt auch in AA-Kant XXI; S. VII. Später gab Lehmann selbst dieses umständliche Verfahren auf, vgl. Lehmann (Hg) 1970 [= Neuauflage der »Ersten Einleitung«] und Lehmann 1981.
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anten seines Drucktextes gegenüber der oder den Originalauflage(n) aufzulisten. Sofern zur Herstellung des Drucktextes andere Bearbeitungen des oder der Originale herangezogen werden, werden deren Vorschläge ebenfalls unter den Lesarten im Apparat erörtert. Dem philologisch interessierten Leser soll durch ein solches 'Protokoll' der Eingriffe in den überlieferten Text (d.i. die Druckvorlage) und des jeweiligen Diskussionsstandes der Forschung eine Hilfestellung zur eigenen Urteilsbildung angeboten werden. Von der dabei gegebenen Voraussetzung, daß der Textbestand (Worte, Buchstaben, Satzzeichen,...) der Vorlage in Form von Drucktypen eindeutig oder wenigstens zweifelsfrei fixiert ist, kann der Herausgeber einer Handschrift1 nur in seltenen Fällen ausgehen. Eine seiner ersten Aufgaben muß folglich darin bestehen, zunächst für sich selber einen solchen eindeutigen Text - die 'Transkription' - festzulegen. Auf deren Grundlage erstellt er dann seine 'Druckfassung'. Die weiteren, mehr gestaltungstechnischen Eigenheiten hängen ab von der Intention der Ausgabe (Studientext, kritische Ausgabe,...) und der Beschaffenheit des Originals. Der Herausgeber einer Handschrift kann also zunächst nicht die Aufgabe haben, eventuelle sinnentstellende Druck- bzw. Schreibfehler oder grammatikalische Unklarheiten zu beseitigen oder sprachliche Härten zu glätten, sondern er muß über festgelegte, möglichst eindeutige Verfahrensregeln verfügen, die seiner Umsetzung des handschriftlichen Befundes in Typen zu Grunde liegen. Er muß also mit der „lectio" beginnen. Wobei es unerheblich ist, ob er die Lesung auch seinerseits schriftlich fixiert. Erst danach kann er die sonst dem Autor zufallende Herstellung einer 'Druckfassung' in Angriff nehmen. Sind nun die zu edierenden Manuskripte - wie im Falle der vielen, von Kant beschriebenen Losen Blätter und Durchschußseiten der Lehrbücher - nicht in einer eindeutigen, sauberen, auch für einen Setzer geeigneten Verfassung, dann sind Transkription der Handschrift und editorische Bearbeitung kaum voneinander zu trennen. Die Transkription uneindeutig geschriebener Stellen, insbesondere von abgekürzten, modifizierten oder gar gestrichenen Worten und Sätzen ist auch abhängig vom Sinn der darin enthaltenen Aussagen und deren Verständnis durch den Transkriptor. Die begrifflich klare Disjunktion zwischen 'Textkritik' und 'Auffassung der Sache' 2 tendiert in der Praxis gegen Null. 3
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Diese Voraussetzung eines einzigen Manuskriptes verlangt nach eigenen Grundsätzen der Bearbeitung. Die in der Altphilologie bei der Herausgabe antiker Texte, die meistens in variierenden Abschriften vorliegen, entwickelten Methoden können zwar herangezogen, jedoch nicht ohne Modifikationen angewandt werden. Mit der Verwendung dieser Termini schließe ich mich dem Sprachgebrauch von Adickes an (AA-Kant XIV; S. LIV, letzte Zeile). Adickes scheint, wie die oben mitgeteilten Stellen aus Bergers Briefen an Spranger nahelegen („vorläufig abgeschrieben" - „für den Druck vorbereiten"), tatsächlich in der skizzierten Stufung gearbeitet zu haben. Zu einem mit dieser Analyse prinzipiell übereinstimmenden Ergebnis kommt Norbert Hinske bei seinen EDV-gestützten Arbeiten am Textkorpus der studentischen Nachschriften zur Logikvorlesung Kants, vgl. Hinske 1989; S.XXXI-XXXIV „Die Problematik eines diplomatischen Abdrucks der Vorlesungsnachschriften".
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Eine derartige Position hat Adickes - gewonnen durch das Studium der Autographen - dazu bewogen, beim Abdruck der Manuskripte Kants seine eigenen textkritischen und sachlichen „Anmerkungen" 1 zusammenzunehmen. Buchenau ist Mitte der 1920er Jahre in heftigem Streit mit Adickes von dieser Position abgerückt. „Textanmerkungen" und „Apparat" (AA-Kant XXI; S. VI f.) werden beim Druck des „Opus postumum" so getrennt, daß sich die Anmerkungen" zur Transkription auf derselben Seite der Ausgabe wie der „Drucktext" befinden, und die „Erläuterungen" zur Sache an einem besonderen Platz (AA-Kant XXII 791-824) der Ausgabe nach der Abfolge ihrer zugehörigen Textstellen gedruckt sind. Diese ausdrückliche Rückkehr zum „konservativen Prinzip" (AA-Kant XXI; S. VI Z. 12 f.) wurde aus einer generellen Skepsis 2 gegenüber den von Adickes aufgestellten Kriterien und angewandten Methoden vorgenommen. Gleichwohl wurde durch dieses Vorgehen der in Anspruch genommenen Idee eines „diplomatisch getreuen" Abdrucks (AA-Kant XXI; S. VI, Ζ. 05) 3 zuwider gehandelt, indem der gedruckte Text, Wort und Buchstaben der Handschrift, überhaupt gebessert wird.4 Anders Rudolf Reicke, der seine eigenen Veröffentlichungen Kantischer Autographen nach dieser Idee gestaltet hat. Er verzichtet beinahe vollständig auf textkritische, sich auf die Transkription beziehende, Anmerkungen und überschreibt seine entsprechenden Publikationen in aller Regel mit „mitgeteilt von [...]" 5 - Ausnahme: sein gemeinschaftlich mit Emil Arnoldt unternommener Versuch, das sog. „Opus postumum" zu redigieren, der wegen verschiedener dabei aufgetretener Probleme 6 abgebrochen wurde. Buchenau (und Lehmann in dessen Fußstapfen) haben in der Wendung gegen Adickes die von menschlichen Subjekten zu erbringende Leistung, die notwendig zwischen Manuskript und Druck liegt, mit einer bloß subjektiven, unbegründeten und deshalb willkürlichen Auffassung vom Text (sowohl hinsichtlich der Transkription als auch der Interpretation) verwechselt. 7 Durch die Betitelung der beiden Bände als
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Dieser Terminus findet sich bei Adickes deswegen auch nicht in einer abgetrennten Überschrift - wie innerhalb der neun Bände der Abteilung »Werke« oder separat auf einem Titelblatt und den geradzahligen Kolumnentiteln von Band XIII der Abteilung II »Briefwechsel«, sondern nur in der „Einleitung" zum „handschriftlichen Nachlaß" (AA-Kant XIV; S. LIV, LV, LIX). Ja ich möchte sagen, daß diese ungetrübt naive Haltung weniger von Sachkenntnis (d.h. eigener Erfahrung im Umgang mit oder auch nur Anschauung von Mss) sondern eher weltanschaulich motiviert war. Die deutsche Kantforschung war ab etwa 1900 in die beiden Lager der „Interpreten" und „Philologen" gespalten, die sich in teils heftiger Polemik öffentlich befehdeten. Buchenau und später G. Lehmann versuchten mit den von ihnen veranstaltenen Erstausgaben die philologische Partei mit deren Waffen zu schlagen.
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Auch Adickes verwendet dieses Wort zur allgemeinen Kennzeichnung seines Abdrucks. Er weicht jedoch, wie seine acht Verfahrensregeln ausdrücklich angeben, von Herkommen ab: „Der Abdruck der Aufzeichnungen Kants ist ein diplomatisch getreuer, abgesehn von folgenden Ausnahmen: [...]." (AA-Kant XIV, S. LV-LIX). Vgl. Dilthey (AA-Kant I; S. XIII) und Lehmann 1969, 8.
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Vgl. die Hinweise in Brandt 1991. Vgl. das Literaturverzeichnis. Vgl. dazu, neben den obigen Seiten 54ff„ auch Emil Arnoldt GS IV (1911), 371f., 380. Siehe auch Adickes 1920, 11-14. Vgl. das Vorwort in AA-Kant XXI; S. VI in der Begründung für die Abkehr von Adickes Verfahren: „[...], so war dafür die Anfechtbarkeit mancher von Adickes verwendeter Kriterien, vornehmlich aber die Unmög-
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»Opus postumum« wird die Einschätzung der Mss, die nach einer Kette von historischen Zufällen Eigentum der Familie Krause geworden waren, als ein Werk, das gemäß einer Intention des Autors redaktionell bearbeitet werden kann, zum Ausdruck gebracht. Nur in diesem Sinne sind analog zu den übrigen »Werken« (Abtlg. I der AAKant) die Erläuterungen abzutrennen und Textverbesserungen vorzunehmen. Das Festhalten an der überkommenen, sicher unkantischen Anordnung der einzelnen Blätter und Bogenlagen steht jedoch genauso der damit vertretenen Werkidee entgegen wie die Einfügung von „zum Verständis des Textes unentbehrlichen Konjekturen" (AAKant XXI; S. VI). Entweder: Die Werkidee wird durch die Technik der Edition positiv vertreten, dann darf eingegriffen und Passagen können umgestellt, oder Konvolute umgruppiert werden. Oder: Der Manuskriptbefund wird editionstechnisch so „diplomatisch getreu" aufbereitet, daß die Textabfolge beibehalten wird. In den Bänden XXI-XXII kollidieren jedoch diese zwei heterogen bestimmten Editionsprinzipien. 1 Die diplomatische Treue bei der Wiedergabe einer Handschrift ist mit der Idee eines nachgelassenen Werkes,2 - wie oben (S. 54ff.) schon in der Kontroverse zwischen Krause und Reicke im Frühjahr 1884 deutlich geworden war - unvereinbar. In Band XX erzeugt die angewandte Editionstechnik darüber hinaus beim Leser nicht nur die irreführende Vorstellung von einer Gleichförmigkeit der handschriftlichen Aufzeichnungen, sie bedingt auch den überflüssigen doppelten Abdruck des Textes der »Beobachtungen« innerhalb derselben Ausgabe. Es wäre günstiger, übersichtlicher, zeit- und raumsparender gewesen, wenn die Angabe über den Ort der handschriftlichen Aufzeichnungen im Handexemplar nach dem von Adickes in den Bänden XIV-XVII bezüglich der Reflexionen aus der 'Metaphysik Baumgarten' und aus der 'Logik Meier' vorgegebenen Verfahren erfolgt wäre, das von Adickes zudem schon bei Gelegenheit der wenigen (Nr. 17, 18, 20-29) von ihm selbst edierten Reflexionen aus 'B' in Bd. XIV entsprechend angewandt worden war. Da in Band II der AA-Kant auf eine Kennzeichnung der Seitenübergänge der 1. Auflage der »Beobachtungen« selber verzichtet worden war, hätte in der jeweiligen kursiv zu druckenden Zeile die entsprechende Information gegeben werden können, um den Benutzer schon vor Erscheinen des Schlußbandes in den Stand zu versetzen, den Kantischen Drucktext von 1764 mit den handschriftlichen 'Bemerkungen' in Verbindung zu bringen. 3 Nach meiner Meinung werden in Bd. XX bei der Publikation von Handschriften weder bloße Transkriptionen (oder sog. diplomatische Abschriften) noch kritische Editionen geboten. Ersteres nicht, weil in den Text eingegriffen wird, und Letzteres nicht, weil die einem kritischen Herausgeber zufallenden Aufgaben gar nicht oder nur im Ansatz gelöst sind: Die Informationen über Provenienz, Art und Beschaffenheit der Manuskripte
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lichkeit, Gesichertes und Ungesichertes klar zu unterscheiden, ohne nun nochmals eine Interpretation des Ganzen zu geben, entscheidend. Eine solche subjektive Bearbeitung mußte in dieser Ausgabe der Akademie auf jeden Fall vermieden werden." Vgl. dazu auch die eingehenden Ausführungen in Brandt 1991. AA-Kant XXII 788 Z. 34f. und Lehmann 1969, 38: „gearbeitet wie andere Werke auch". Vgl. dazu das Verfahren in Rischmiiller (Hg) 1991.
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und Datierung wie auch Erläuterung der Texte sind ebenso unzureichend wie die formale Gestaltung des Druckes. 1 Adickes setzte druck technische Mittel (Schrifttypen, Klammern) ein, um das Verhältnis zwischen Editionstext und Originalmanuskript äußerlich erkennbar zu halten. Dadurch wurde es dem Benutzer auch erleichtert, die Leistung des Herausgebers zu überprüfen, falls er den Druck mit dem Mss vergleichen konnte. Buchenau und Lehmann haben diese Möglichkeit verworfen und stattdessen den Weg einer sprachlichen Beschreibung ihrer Textherstellung gewählt. Der unmittelbar optische Bezug zum Ms und den für das Verständnis oft hilfreichen, verschiedenen Formulierungsansätzen Kants ging so verloren. Der Umfang des insgesamt gedruckten Textes und die Seitenzahl des Bandes wurde dagegen erhöht (Lesung des Originals, Vorschlag und Beschreibung des Herausgebers) - ein Verfahren, das nachher in keiner anderen historisch-kritischen Edition von Texten philosophischer Autoren der Neuzeit angewandt worden ist. 2 Wenn die von Adickes - nicht Lehmann 3 - entwickelte Auffassung zutrifft, daß Kant ein Autor war, der sich seine Formulierungen mit der Feder in der Hand erschreibt, 4 dann sollte die Editionstechnik diesen Gesichtspunkt bei der Edition seiner Manuskripte eher deutlich machen als verdecken. Die vom Grundsatz her fehl gehende Zielrichtung der Textherstellung in den Bden. XX-XXII ist deutlich zu erkennen anhand der Gegenüberstellung von Handschrift und Druck, wie sie auf der gegenüberliegenden Seite geschehen ist: Die Absicht, 'gemäß der Intention' des Autors Kant zu edieren, führt zu einem scheinbaren Titelblatt! Dem unbefangenen Benutzer muß die Seite 443 von Band XX unverständlich bleiben: Es fehlen der Nachweis für die handschrifliche Quelle des Blattes 5 und der sonst übliche Apparat am Fuß der Seite oder im Anhang. Offensichtlich sollte das Blatt so erscheinen, als ob ein Setzer bloß den Anweisungen Kants gefolgt wäre.
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Bei den edierten Losen Blättern fehlt die Angabe der Signaturen der jeweiligen besitzenden Bibliotheken entweder völlig (UB Rostock) oder sie wird im 'Anhang' (S. 484) so pauschal mitgeteilt (SB München), daß ein Benutzer des Bandes nicht ohne zusätzliche Informationen die Frage beantworten kann, welches Ms er jeweils gedruckt vor sich hat. Damit erschwert der Herausgeber eine Prüfung der Texte in unzulässiger Weise. - Auch wurden die besitzenden Bibliotheken über den Abdruck ihrer Autographen nur vage unterrichtet. Der diesbezügliche Dank im „Vorwort" bleibt ein Lippenbekenntnis.
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Vgl. »Buchstabe und Geist« 1987. Vgl. Heimsoeth 1957-58, 355: „[...] für Kant, den 'Federdenker' (G. Lehmann) [...]." Adickes 1897b, 240. Vgl. Ludwig (Hg) 1986, S. XXXVII Anm.
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G. Das erneute Verschwinden des Nachlasses 1944/45 1) Dorpat (Tartu) Fragt man heute nach den Fundstellen des Kantischen Nachlasses, dann bleiben nach den Ausführungen in den Teilen I und II. A. gegenwärtiger Arbeit nur zwei große Komplexe übrig: die Bestände aus Dorpat (Tartu) und Königsberg (Kaliningrad). Von den durch die Preußische AdW noch aus dem Zaristischen Rußland entliehenen Materialien der Universitätsbibliothek Tartu ist nur ein Stück im April 1913 zurückgegeben 1 worden: Kants Exemplar der Dissertation von Johann Gottlieb Kreutzfeld (1777). Die darin befindlichen Notizen Kants hat Adickes als Rfl. Nr. 1525 in Bd. XV der AAKant ediert. Die übrigen fünf, wesentlich umfangreicheren Einheiten: A.G. Baumgarten »Metaphysica« 4. Auflage von 1757 (durchschossen); G.F. Meier, »Auszug aus der Vernunftlehre« von 1752 (durchschossen) so wie die drei Briefbände blieben trotz mehrfacher Anfragen 2 der Besitzerin in Berlin. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges gerieten diese Materialien eine Zeitlang, trotz eines deutlichen Hinweises im 1960 publizierten Bestandverzeichnis des Archivs der Berliner AdW 3 aus dem Blickfeld der westdeutschen Kantforschung. Erst 1979 erfuhr die Öffentlichkeit durch die Initiative des in Tartu lehrenden Ästhetikers Leonid Stolowitsch von der Fortexistenz und Zugänglichkeit der beiden großen Briefbände und des Kantischen Exemplars des Meierschen »Auszugs« in Berlin. Nahezu vollständig zusammengefaßt hat diese und weitere Informationen 1983 in dankenswerter Offenheit Rudolf Malter in seinem Artikel über »Kantiana in Dorpat (Tartu)«. 4 Es bleibt übrig zu erläutern, weshalb diese Handschriften zeitweilig sozusagen von der Bildfläche verschwanden, und wo sich das genannte Exemplar von Baumgartens »Metaphysica« seit wann befindet: Es liegt seit 1949 in der Niedersächsischen StUB in Göttingen. Abgegeben wurde es dort von Nicolai Hartmann. 5 Hartmann kann jedoch 1 2
Vgl. Stolowitsch 1986a, 146: Entliehen wurde das Ms im Oktober 1911. Die erste datiert vom 10. Oktober 1918 (Akten der KK, II-VIII, 158, fol. 138; vgl. fol. 203 und fol. 208). Eine erneute Anfrage der Dorpater Bibliothek während des 2. Weltkrieges gab es nach der folgenden Passage eines Schreibens von Hartmann an Lehmann vom 22. Februar 1941: „Natürlich liegen diese Entleihungen lange vor meiner Zeit. Ich hatte gedacht, daß längst alles zurückgegeben ist. Vermutlich liegen die fragl. Bücher noch in der Adickes-Kiste. Dann müßte aber geprüft werden, was davon ausgewertet ist und was evtl. noch für Bd. 23 zurückbehalten werden muß. Sie werden darüber wohl am ehesten Bescheid wissen." SBPK, NL-Lehmann, Kasten 1.
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Kirsten 1960,44. Vgl. Malter 1983. Zu einem geringen Teil unter Verwendung meiner Kenntnisse der Originale bei meinem ersten Besuch im Berliner Archiv im Juli 1982, vgl. Malters Hinweise in den Anmerkungen. Ergänzen möchte ich nur einen Punkt: Bei meinem damaligen Aufenthalt im Archiv konnte ich einsehen ein kurzes maschinenschriftliches Verzeichnis „Deposita der Kantausgabe, von Dr. Lehmann dem Archiv übergeben" datierend vom 20. Januar 1958. Unter 2. wird genannt neben einigen studentischen Nachschriften von Vorlesungen Kants sein Handexemplar des Meierschen »Auszugs«, dazu einige Lose Blätter aus dem Konvolut L der Königsberger StUB. - Danach darf man vermuten, daß sich diese Papiere zuvor in der Obhut von Gerhard Lehmann befunden haben.
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Quelle: eigene Einsicht in das Exemplar in der Göttinger StUB am 2. & 3. April 1984 und den beiliegenden Schriftwechsel. Auf dem beiliegenden Benutzerschein sind vor mir eingetragen: Prof. Dieter Henrich (1964) und Prof. Ingeborg Heidemann (1983).
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nicht als allein beteiligter Lieferant in Frage kommen, denn in einer Kartenmitteilung aus Berlin vom 13. September 1945 an Gerhard Lehmann schrieb er, u. a. „Über die Sache der Kantausgabe wollen wir einmal mündlich sprechen; ich weiss ja nicht einmal, wo das Material geblieben ist. Und das wäre wohl die Hauptfrage." 1 - Vermittler wird also auch hier Lehmann gewesen sein. 2 - Die Interessen, die mit dieser Verlagerung verbunden waren, lassen sich anhand der mir zugänglichen Quellen nicht sicher bestimmen. Liest man die entsprechenden Stellen in der damaligen Korrespondenz zwischen Lehmann und Hartmann nach, dann entsteht allerdings der Anschein, als ob mit diesen einzigartigen Dokumenten der Kulturgeschichte Politik zu eigenen Gunsten betrieben worden ist. In einem weiteren Schreiben von Hartmann aus Göttingen an Lehmann heißt es unter dem 3. Juli 1949 über die Kant-Ausgabe: „Die Hauptsache, die ich Ihnen sagen möchte ist aber, dass ich mich in keiner Weise in Ihre Maßnahmen einzumischen gedenke, sondern mich ganz auf Sie verlasse. Es wäre ja auch ein Wahnsinn, wenn ich von hier aus - ohne Material und ohne detaillierte Sachkenntnis, wie ich bin - viel mitreden wollte. Das sage ich freilich nur Ihnen; der Akademie gegenüber muss ich die Rolle aufrechterhalten, die mir ehrenamtlich zugefallen ist. Sie wird sich aber, wie auch schon in den Präliminarien, wohl darauf beschränken, daß ich Ihre Arbeit 'vertrete' und nötigenfalls verteidige. [...] Selbstverständlich bin ich mit Ihrem Plan einverstanden. Ihr Vorschlag, die entsprechenden Stellen der Druckschriften bloß am Schluß des Bandes XXIII aufzuführen, scheint mir plausibel. Doch werden Sie wohl erst im Laufe der Arbeit endgültig entscheiden können, wie es am praktischsten zu machen ist." 3
Rund ein Jahr später (Hartmann aus Göttingen an Lehmann vom 19. September 1950): „Und nun Ihre Kantausgabe. Es ist der reine Unsinn, daß die Sache hier so lange festgelegen hat. Ich hatte überhaupt nichts wesentliches dazu zu sagen. Wer kann Ihnen denn hineinreden in ihre Entscheidungen? Es existiert ja niemand mehr, der die Kenntnisse dazu hätte. Also machen wir Schluß. Die Akademie hat mich nicht gefragt, aber wenn sie es tut, werde ich voll und ganz auf Ihre Seite treten."4
Bei dieser Sachlage ist nicht zu begreifen, wie erhebliche Forschungsgelder zu Fragen der Datierung des handschriftlichen Nachlasses vergeben werden können, ohne daß zuvor per Autopsie oder mit modernen technischen Methoden, die z.B. in der kunstgeschichtlichen Forschung längst unbestreitbar erfolgreich zur Anwendung kommen, versucht worden ist, die Adickes-Datierungen und ihre Grundlage - die Phaseneinteilung fußend auf der Kollegheftthese 5 - zu überprüfen. Eine Kenntnis des Exemplars erlaubt nämlich auch eine formale Beschreibung. Diese gäbe wichtige Hinweise für die bei der Interpretation von Texten aus den Nachschriften der Vorlesungen immer wieder zu stellende Frage nach der Beziehung zu den „Reflexionen" des Nachlasses. 1 2 3 4 5
SBPK, NL-Lehmann, Kasten 1. Vgl. die damit übereinstimmende Vermutung bei Malter 1983,483. SBPK, NL-Lehmann, Kasten 1. SBPK, NL-Lehmann, Kasten 1. Vgl. dazu oben S. 143.
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Auf dem Territorium der Vorlesungen über Anthropologie klaffen im Nachlaß ausnahmsweise äußerlich klar bestimmbare Lücken: Bei meiner Benutzung des Exemplars in der Göttinger StUB konnte ich feststellen, daß der erstaunlich schmale Band im 19. Jahrhundert neu eingebunden worden ist. Die jetzt und damals vorhandenen Blätter sind bei nur einer Ausnahme sämtlich fest im Buchblock verankert. Doch fehlen etliche Druckseiten und die meisten der zugehörigen Durchschußblätter. Adickes notierte ζ. B. in AA-Kant XV: M 221-226 fehlen (S. 267) / M 239 fehlt (S. 219) / M 244 fehlt (S. 315)' Ich selber konnte eher zufällig beobachten, daß auf die Druckseite 252 drei nur von Kant beschriebene Blätter folgen, ehe das nächste Druckblatt anschließt, auf dessen Vorderseite die Zahl 275 fehlt (verso steht 276). Mit dem Stichwort „Dorpater Kantiana" ist noch ein weiteres Manko verbunden. Die in Teil I dieser Arbeit beigebrachten Informationen über die persönliche Übergabe eines Teils seiner Papiere an Jäsche und Rink lassen offen, welchen Umfang diese Materialien hatten. So gesehen scheint es mehr als ein Hoffnungsschimmer, daß Leonid Stolowitsch 1986 darüber berichten konnte, daß in der Universitätsbibliothek in Tartu ein Exemplar von Leonhard Creuzers »Skeptische Betrachtungen über die Freiheit des Willens« (1793) mit einer handschriftlichen Widmung des Verfassers an Kant aufgefunden worden ist. 2 Berücksicht man schließlich, daß die bis dahin bekannten Kant-Handschriften der UB Tartu nicht durch systematische Nachforschung aufgespürt worden sind, dann bleibt die Frage: Welche Materialien nahm Jäsche 1802 mit nach Dorpat und welche befinden sich evtl. noch heute in Tartu? Der letzte Teil der Frage ist - nach einer Reise dorthin - leicht zu beantworten. In der Bibliothek befinden sich zur Zeit - außer der eben erwähnten Schrift von Creuzer - vier Briefe von Kant (Nrn. 040, 224, 442, 674 der AA-Kant) und eine Quittung für den Studenten Trosien vom 2. September 1792. 3 Der erste Teil ist nicht völlig geklärt; es gelang nur, die Umstände der Erwerbung der anderen Stücke aufzuhellen. Die ermittelten Indizien erlauben folgende Aussagen: 1.1) Jaesche hat die von Kant übernommenen Handschriften oder Drucke teils unmittelbar der Universitätsbibliothek und teils beginnend 4 im Jahr 1808 seinem Freund Morgenstern übereignet. 1.2) Morgenstern hat nach dem Tod Jaesches (1842) im Jahr 1843 weitere Materialien aus Kants Vorbesitz in Jaesches Nachlaß aufgefunden und diese später mit seiner eigener Sammlung der Universitätsbibliothek vermacht. 2) Offensichtlich sind nicht alle Teile des Nachlasses von Jaesche in die UB Tartu gelangt. Auffällig ist insbesondere, daß kein Brief von Friedrich Theodor Rink an
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Vgl. ferner die Hinweise in den Anm. der AA-Kant XV auf den Seiten 195, 241, 298, 303, 308, 311, 451, 467 und die Beschreibung in Erdmann (Hg) 1882, 5-7. Vgl. Stolowitsch 1986b, 147. Abdruck in Gulyga 1985, 396. Vgl. oben S. 28.
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Jaesche in der U B Tartu vorhanden ist. Es ist ungeklärt, ob und welche weiteren Kanthandschriften im Besitz der Nachkommen von Jaesche verblieben sind. 3) Hinweise auf noch unentdeckt in der UB Tartu verwahrte Handschriften Kants haben sich nicht ergeben. 1 - Die Indizien dazu (A, B, C) sind: A) Das von Morgenstern eigenhändig (nach 1843) angelegte Verzeichnis seiner Handschriftensammlung, darin liest man: „Mrg CCLXX, p. 61-62: Diss, philologico-poetica de principiis fictionum generalioribus [...] durchschossen / Mit vielen eigenhändig geschriebenen, ausführlichen lat. Anmerkungen des Opponens extraord. Prof. ord. Philos. M. Immanuel Kant 4to broschirt. Aus Jäsche's Nachlaß erworben 1843. Mrg CCXCI, p. 63: 19) Kantiana. Briefe an Kant in der Original-Handschrift ihrer Verfasser, gr. 4 to. Halbantikband 722 Seiten außer 3 unpag. Quarts, des Namensregisters. Der Einband von mir besorgt. Die Sammlung vor mehr als [zwanzig] Jahren mir überlassen von meinem sei Freunde Jäsche Außerdem noch die [aus] einem alten Kasten, [aufbewahrten] dessen Lederüberzug von Motten zerfressen war, aufbewahrten] übrigen, von mir zu einem zweyten Halbantikband bestimmten , [von mir] im J. 1843 vorläufig in 5 Pakete gesonderten, Briefe an Kant, 1088 S. Einigen ist auch von ihm eigenhändig Manches beygeschrieben. - (Im Schrank der Handschriftensammlung, im untersten Fache.) / *' Diesen Band nahm ich im J. 1808 mit nach Deutschland, vornemlich um ihn an Jacobi in München zu zeigen, was auch im J 1810 geschah. Er hat ihn wohl 8 Tage im Hause gehabt". 2 B) Handschriften aus dem Nachlaß von Jaesche „Mrg DLXXIX: Jäschiana: 'Kurze Skizze meiner Lebensgeschichte'." Eigenhändiges Ms von Jaesche, es bildet eine der Grundlagen für den Text von Morgensterns, »D. Gottlob Benjamin Jäsche. Kathedervortrag [...] gehalten am 3. September 1842 [...]« (Leipzig/Dorpat 1843)
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Durchgesehen wurden ca. 50 Exemplare von Büchern, von denen es wenigstens plausibel erschien, daß Kant sie besessen haben könnte. Rasch zeigte sich, daß Morgenstern offenbar seit seiner Studienzeit die Gewohnheit hatte, seinen Namen und das Jahr des Erwerbs in seine Bücher einzutragen. Nur bei einem Exemplar (Mrg. 3108) Karl Ludwig Poerschke, Anthropologische Abhandlungen (Königsberg 1801) fand sich neben dem Eintrag „Morgenstern 1813" der Namenszug des früheren Besitzers „Jaesche". Auch bei Drucken, bei denen - ähnlich wie bei Creuzer - die Übersendung eines Exemplars an Kant durch den Autor vermutet werden konnte, zeigte sich kein Hinweis auf Jaesche oder gar Kant als Vorbesitzer. So weist z. B. Die lateinische »Dissertatio Philosophica de Similitudine inter Mysticismum purum et Kantianam Religionis Doctrinam«, Halle 25. September 1797, von Carl Arnold Wilmans (Mrg 6964) keinerlei Vermerke über Vorbesitzer auf. Einschlägig ist die Schrift, weil Kant im Anhang des ersten Teils seines »Streit der Fakultäten« von 1798 ausdrücklich auf die Übersendung eines Exemplars durch den Autor hingewiesen hat. Dem entsprechen zwei Vermerke in Morgenstern Tagebuchnotizen: ( M r g CCCXVUI) p. 91: „Besuch bei Jacobi, Freitag Mittag, p. 93 - J leidet an den Augen seit einiger Zeit; muß sich vorlesen lassen - (Ich hatte ihm am Dienstag die Kant-Korrespondenz geschickt p)" - Vgl. zu der im Text zitierten Passage die Rückübersetzung ins Deutsche in Malter 1983,480.
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„Mrg DLXXIXa: 'Liebe und Glaube. Morgengedanken an meine Sally die Verklärte.'" Umfängliches, eigenhändiges Ms von Jaesche mit philosophisch-persönlichen Reflexionen und Fragmenten aus Anlaß des Todes seiner ersten Frau (1808). „Mrg DLXXX:" Briefe an Jaesche von verschiedenen Adressaten (weniger als 50 Stücke) „Mrg DLXXXI: 2 ledergelb steif broschirte starke Hefte philosophischer Papiere Jäsche's, die ich aus dem Wust seiner bei seinem Tode als sehr durch einander geworfen angetroffenen Papiere herausgesucht, zusammengelegt, und da ich gefunden, daß sie Weniges ausgenommen, ohne continuirlichen Zusammenhang vielfache Wiederholungen in verschiedenen Zeiten entworfene Fragmente enthielten, durch Auszüge von meiner Hand, die ich ihnen eingefügt, mir zugänglich und leichter und sicherer übersehbar zu machen gesucht, als zwey Hefte vom Buchbinder mir einbinden lassen." - Eine Autopsie zeigte, daß die eben wiedergegebene Beschreibung in Morgensterns HS-Katalog zutrifft.
C) Bücher aus Kants Vorbesitz 1) Handexemplar von Meiers »Auszug« 1752 [Sigel der AA-Kant L], Im systematischen Handschriftenkatalog der UB Tartu (Ms 92) von unbekannter Hand der undatierte Vermerk: „(Gesch. Prof. Jaesches's)". Derzeitiger Fundort: Berlin, Archiv der AdW [Depositum]: Nachlaß Kant.1 2) Handexemplar von Baumgartens »Metaphysica« 1757 [Sigel der AA-Kant: M]. Derzeitiger Fundort: Göttingen, StUB [Deposita der AdW]: Cod. ms. philos 3/30 Cimelien 2 . Die Signatur der UB Tartu: Ms 93 3) Kreutzfeld-Diss. [= Reflexion Nr. 1525] Fundort: Tartu UB, Signatur: Mrg CCLXXX 3 4) Leonhard Creuzer, Skeptische Betrachtungen über die Freyheit des Willens mit Hinsicht auf die neuesten Theorien über dieselbe (Glessen 1793). 4 Fundort: Tartu UB; Signatur: R Mrg 3453. 1
Neuer Ledereinband ohne Rückenschild. Alte Stempel oder Vermerke aus der Zeit der Erwerbung durch die Bibliothek der Universität Tartu fehlen. Der Band ist 1974 von der Zentralstelle für Archivalienrestaurierung (Dresden) wiederhergestellt worden. Die dem Exemplar beiliegenden Photos vom Zustand vor der Restaurierung zeigen erhebliche Läsionen: gebrochener Rücken, lose Blätter, Einrisse und Verschmutzungen. - Nach meiner bisher einzigen Sichtung (November 1983) muß ich sagen, daß die Restaurierung nicht gelungen ist: Die ursprüngliche Ordnung wurde nicht wiederhergestellt. Bei dem jetzigen Blatt 66 des Bandes handelt es sich z. B. um ein kleines Blatt von der Hand Paul Menzers. Verluste gegenüber dem Stand von Adickes Edition sind möglich.
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Ledereinband aus der Mitte des 19. Jhdts.; bei einer Ausnahme sind sämtliche Blätter fest im Buchblock verankert. Es liegen keine Anzeichen vor, daß der Band seit der Benutzung durch Benno Erdmann (18761882) und Erich Adickes (1896-1928) verändert worden ist oder daß Blätter verloren gegangen sind. Auf dem Vorsatzblatt der handschriftliche Eintrag: „Bibliotheca academiae / Dorpatensis./ D. D. / G. B. Jaesche, / Philos. Prof. P. O. / Manuscr. N. 93". Unten rechts der runde Stempel: „Biblioth. Academ. Dorpat." Sorgsam restaurierter Quartband des 18. Jhds. in zeitgenössischem Buntpapier, durchschossen. Auf dem vorderen Deckblatt der runde Stempel: „Bibliotheca universitatis Jurievensis." Ebenda oben rechts der handschriftliche Vermerk mit brauner Tinte (von Morgenstern): „Olim Jäschii / Ex Bibl. Morgenstern 1843". Gut erhaltener Halblederband, verso des vorderen Deckels ein gedrucktes Exlibris von Morgenstern, recto des Vorsatzblattes in lateinischer Handschrift: „Dem / grosen [!] Stifter der kritischen / Philosophie / Herrn Professor Kant / in Koenigsberg / als / ein geringes Denkmal / seiner aufrichtigen Verehrung / gewidmet / von dem Verfasser." Verso desselben Blattes zwei handschriftliche Einträge: „G Β Jäsche" [lateinische Schrift, schwarze Tinte] / „Morgenstern 1843" [deutsche Schrift, braune Tinte]. Mitte der Seite der runde Stempel: „Bibliotheca universitatis Dorpatensis." Keinerlei Marginalien festgestellt.
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Schließlich sind - für künftige Recherchen - die Lebensdaten von unmittelbaren Nachfahren Jaesches von Belang. Im »Schüler-Album des Dorpatschen Gymnasiums von 1804 bis 1879« (Dorpat 1879) sind vier Personen als Kinder Jaesches zu identifizieren: gest. 1823 Nr. 389: Eman.Rieh. gest. 1876 Nr. 864: Georg Nr. 1077: Gottlieb Emanuel Nr. 1179: Benjamin Julius gest. 1871 Mit Hilfe der Ärztelexika von Brennsohn ist nun zu erfahren, daß der Augenarzt Emanuel Jaesche 1821 in Dorpat geboren und daselbst (nach der Feier seines 50jährigen Doktorjubiläums am 2.Juni 1897) am 9. August 1907 verstorben ist. - Es wäre also zur Zeit der Vorbereitung der Abtlg. III „Handschriftlicher Nachlaß" der Akademie-Ausgabe möglich gewesen, von einem Sohn Gottlob Jaesches Informationen zur Überlieferung der Handschriften Kants einzuholen. Von Interesse wäre ein solche Auskunft vor allem, weil zu einem der verschollenen Kant-Blätter der Berliner Staatsbibliothek [BKB 27, 1-2: = Rfl.: 3717, AA-Kant: 17 260,03 - 262,10] im Akzessionsjournal bei acc. ms. 1895, 101 vermerkt ist: „1 Notizzettel Kants mit wissenschaftlichem Inhalt 'Außer dem Satze des hinreichenden Grundes' etc. Von dem Autographenhändler Künzel für 5 M gekauft (von Kants Hausgenossen Jaesche herrührend)". Vielleicht liegt dieser Erwähnung von Jaesche jedoch ein Verwechslung zugrunde; denn nicht Jaesche sondern allein Wasianski wird man als „Kants Hausgenossen" bezeichnen können. 2) Königsberg (Kaliningrad)1 Seit dem Verschwinden eines Großteils des handschriftlichen Nachlasses von Kant in der Zeit „um 1945" sind von verschiedenen Seiten 2 mehrfach Versuche unternommen worden, die kostbaren Schätze vor allem der früheren Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg wieder aufzufinden. - Will man hier Klarheit gewinnen, dann gilt es zunächst zu bemerken, daß die Königsberger StUB sich in den 1930er und 40er Jahren verschiedentlich bemühte, ihre seit Jahrzehnten nach Berlin entliehenen Kant-Autographen zurückzuerhalten. In drei Briefen 3 des Direktors der Bibliothek sind detaillierte Aufstellungen über die in Berlin und Kö-
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Der folgende Abschnitt ist teilweise textidentisch mit meinem Vortrag auf der Kant-Tagung im September 1990 in Kaliningrad: Stark 1991b. Vgl. AA-Kant XXIII 506 und die weiter unten genannten Initiativen von Gulyga und Henrich. Vgl. ferner zu dem gesamten Zusammenhang Malter/Staffa 1983. Der erste: UB-Königsberg (Diesch) an die AdW in Berlin vom 9. Januar 1940 lautet: „Hierdurch bestätige ich mit bestem Dank den Eingang der in Ihrem Schreiben vom 4.1. angekündigten Kant-Stücke aus der Staats- und Universitätsbibliothek zu Königsberg, nämlich die MS 1729, 1869, 2533, 2682a, 2582b, 2596, 2599, UB 9 (G), 2577, 2465 sowie drei libri c. not. man. F 12, F 131, F 140. In den Händen der Akademie befinden sich noch folgende Königsberger Stücke: Ms 2571 (Kant Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen. Königsberg 1764. Kants Handexemplar.) Ms 2572 (Reicke-Nachlass. Conv. II. 33 Bl. 2") Ms 2574 (Reicke-Nachlass. Conv. IV-XII, enthaltend: IV. 2° Kant, De medicina corporis quae philosophorum est oratio. 2 Blätter von Kants Hand. V. 2° Ein Bogen fol. von Kant's Hand beschrieben enthaltend das Buchstück eines Entwurfs zum Streit der Fakultäten (?). VI 2° Ein Bogen enth. Kants Entwurf zur Anzeige des 1.Stückes des Philanthrop. Archivs 1. 1776.
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Teil II
nigsberg lagernden Teile des Kant-Nachlasses enthalten. Der letzte Stand der Dinge ist festgehalten in einem Schreiben von Diesch vom 15. Oktober 1943. Er bestätigt den Eingang von Ms 2572 und hält fest: „In den Händen der Akademie befinden sich zurzeit noch folgende Stücke der Staatsund Universitätsbibliothek: 1) 2 Kant-Autographen aus Ms 2613 Β Nr. 10 u. 11 2) Ms 2574 (Konvolut aus Reickes Nachlass) 3) Kant-Konvolute Α-M (Ms 2698) 4) Kantiana aus Duisburg'sehen Nachlaß (ohne Signatur) 5) Ms 2575 XIII Nr. 1, 3, 7, u. 11 (Reickes Nachlass) 6) Ms 2634 (Photographien der Danz'sehen Kant-Notizen) 7) Ms 2660 Nr. 1 u. 2 (Kantstücke aus Kemkes Nachlass)."1 Damit steht fest, daß ein erheblicher Teil des Kant-Nachlasses das im allgemeinen noch weitgehend unaufgeklärte »Schicksal der Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg« geteilt hat. Der Duisburger Bibliothekar Manfred Komorowski konnte 1980 unter Heranziehung eines Berichtes von Diesch vom 23.März 1945 zeigen, daß die wertvollen Handschriften-Bestände der Bibliothek, die zunächst (spätestens ab Sommer 1943) in einem Bunker nahe bei der Stadt gelagert waren, in den letzten Monaten des Krieges in die Ordensruine Balga und das Dohnasche Schloß Schlobitten verbracht worden sind. 2 Eine weitere Verschiebung nach Westen, die für Januar 1945 geplant war, kam nicht mehr zustande. 3
VII. 4° Brief von Kant an Reinhold vom 1. Dec. 1789. VIII. 8° Kants Bestimmung über sein Begräbnis. IX. 2° Kant, Rechtfertigung des Directoriums der französischen Republik wegen seines angeblich ungereimten Plans, den Krieg mit England zu ihrem Vortheil zu beendigen. 1 Bl. X. 4° Lose Blätter a) 3/4 Quartbogen, b) 15 lose Blätter, c) 11 lose Blätter. XI. 4° Acht Konzepte Kants (1-7 zu Briefen, 8 zu Streit der Fakultäten). XII. 4° Vier Durchpausungen Kantscher Briefe. Ms 2575 (Reicke-Nachlass. Conv. XIII. Briefe Nr. 1, 3, 7, 11 von Spener, Kraus, Wolter (?) und Högelmüller. Ms 2613 (Essener Kant-Nachlass. Nr. 10 (ein kleiner Zettel) Nr. 11 (ein Folioblatt in Oktav gefaltet, wovon ein Viertel fehlt) Ms 2634 (Photographie von Kant-Notizen aus dem Besitz der Danzschen Familie in Jena). Convolut Duisburg Kant-Convolute A-M Über diese Stücke bitte ich neue Leihscheine auszustellen. Ein Päckchen Leihscheine lege ich bei. Der Rückgabe nicht mehr gebrauchter Stücke sehe ich entgegen." Im zweiten, vom 21. August 1943, geht es um Kants Handexemplar der ersten Auflage seiner »Kritik der reinen Vernunft«: „Sehr geehrter Herr Professor! Haben Sie besten Dank für Ihre freundlichen Zeilen vom 18.8. Ich freue mich, dass es sich doch noch hat ermöglichen lassen, den Kant-Band für die Arbeiten der Akademie zur Verfügung zu stellen. Ich bitte ihn unter entsprechender Versicherung wieder an die Staats- und Universitätsbibliothek zurückzusenden. Er wird dann mit den anderen Handschriftenschätzen in einem bombensicheren Bunker untergebracht werden. Bei dieser Gelegenheit möchte ich erwähnen, dass sich noch eine ganze Anzahl von Kant-Handschriften aus unserer Bibliothek in den Händen der Kant-Kommission der Akademie befinden. Ich wäre dankbar, wenn von diesen Handschriften wieder einmal etwas zurückgegeben werden könnte. [...]" (Akten der KK, II-VIII, 161) 1 2 3
Akten der KK, II-VIII, 161. Komorowski 1980, 144-145. Komorowski 1980, 146-147.
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Wenn die Informationen von Alexander Fürst zu Dohna, der Schlobitten am 22. Januar 1945 verließ, zutreffen, wonach „im Schloß, [...], längere Zeit ein russischer Militärstab gelegen [hat, ehe es lange] nach allen Kampfhandlungen [...] Ende März 1945" zerstört wurde, 1 dann wird hier die Spurensuche von der Identifikation des Militärstabs auszugehen haben. Eine ähnliche Schlußfolgerung wie für die Königsberger Handschriften ergibt sich für den zunächst noch in Berlin lagernden Teil der Manuskripte. Geklärt ist hier nur ein verschwindend geringer Teil, der in den Händen des Bearbeiters der Ausgabe geblieben ist. Es handelt sich dabei um die noch zu erwähnenden Notizzettel Kants aus seinen letzten Jahren, die zum Konvolut L der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek gehörten. Der weitaus bedeutendere Teil ist im März 1944 von Berlin in die Nähe von Greifswald ausgelagert worden. Obwohl diese Tatsache längst auch in der Literatur ein Thema war, 2 möchte ich wieder möglichst eng an den Quellen bleiben. Nur so kann nach meiner Erfahrung zur Aufklärung beigetragen werden. In einer „Notiz für Bergungsakten" vom 23.April 1944 ist festgehalten: „Am 17. März 1944 wurde ein Teil des in der Kantkiste enthaltenen Kantnachlasses zwecks Sicherung gegen Fliegereinwirkung von Berlin nach Neuenkirchen bei Greifswald gebracht und im Keller der Landjägerei, bei Herrn Kreuzer, deponiert. Die Auswahl erfolgte unter dem Gesichtspunkt der Weiterarbeit an Band XXIII und umfasst 1.) 24 Kuverts und einen Umschlag, die in einer Ledermappe (Eigentum des Bearbeiters) enthalten sind, 2.) 8 Aktendeckel, von denen 2 signiert sind: Ms 2573, Ms 2574. Die Ledermappe und die übrigen Stücke zusammen befinden sich in einer kleinen transportablen Holzkiste (Eigentum des Landjägers.) - die 24 Kuverts enthalten Lose Blätter Kants mit den Signaturen 2-9, 11-22, 24, A, B, C. Eine Überführung der Manuskripte von Neuenkirchen nach Boltenhagen (auf der Strekke nach Wolgast) in das gesicherte Kellergewölbe des dortigen Gutes (Besitzer Oberleutnant Becker) ist eingeleitet."3 Das Datum der Verlagerung wird näher bestimmt durch eine Dienstreisebescheinung für Gerhard Lehmann vom 16. März 1944: „Der Universitätsdozent Dr. Gerhard Lehmann aus Berlin reist in amtlichem Auftrag zur Erledigung kriegswichtiger Angelegenheiten von Berlin nach Greifswald und zurück. Er hat insbesondere den Auftrag, die Bergung und Sicherstellung wissenschaftlichen Manuskriptmaterials durchzuführen." 4 Auf die naheliegende Frage: Weshalb Greifswald? Findet man eine - bei Kulturgütern dieses Ranges vermutlich einzigartige - Antwort in einem undatierten Entwurf Gerhard Lehmanns zu einem Schreiben an Nicolai Hartmann: 1 2 3 4
Grommelt/Mertens 1962, 419. Vgl. Gulyga 1981, danach Malter 1983, 484. Den Anstoß hat jedoch Prof. Dieter Henrich (München) gegeben, der seit Jahrzehnten mit dankenswerter Energie die Greifswalder Spur verfolgt hat. Akten der KK, II-VIII, 161. Akademiearchiv, Personalia, II-IV, 117 (Lehmann, Gerhard)
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Teil II „Ich habe, im Einverständnis mit Herrn Direktor Scheel, die Kant-Papiere aus Berlin weggebracht. Zunächst nach einem Dorf in der Nähe von Greifswald: Neuenkirchen, wo sich meine Frau, die ich nicht mehr hier lassen wollte, ständig aufhält. Sie sind dort im Keller der Landjägerei deponiert, - so dass ich jederzeit Zugang habe und in den Ferien daran arbeiten kann." 1
Die in der „Notiz für Bergungsakten" aufgelisteten Signaturangaben nehmen nicht sämtlich, wie man zunächst denken möchte, Bezug auf die besitzenden Bibliotheken sondern die 1934 in Berlin angefertigte Aufstellung des Inhaltes der aus Tübingen übernommen Materialien. Entschlüsselt man diese dürren „Signatur"-Angaben, 2 dann zeigt sich, daß in das Depot bei Greifswald weit über 400 lose Blätter gelangt sind. Es steht also fest, daß Gerhard Lehmann im März 1944 die Kant-Materialien zunächst nach Neuenkirchen bei Greifswald brachte; wenig später sind diese dann in das Kellergewölbe eines Gutes in Boltenhagen gebracht worden. In eben diesen Gutshof hat auch die Universitätsbibliothek Greifswald einen Teil ihrer Bestände ausgelagert, die überwiegend bis heute verschollen sind. 3 Weil die Rote Armee die Gegend um Greifswald im März 1945 weitgehend ohne Kämpfe besetzt hat, darf angenommen werden, daß das Depot trotz der Wirrnisse jener Zeit keinen substantiellen Schaden genommen hat. Bestätigt wird eine solche Hypothese durch zwei Schreiben von Prof. Günther Jacoby, 4 der zunächst am 28. September 1945 dem in Berlin lebenden Gerhard Lehmann aus Greifswald folgende Einzelheiten berichtet: „Mit den Kanthandschriften in Boltenhagen scheint es etwas hoffnungsvoller auszusehen. Im Mai hat auf meine Bitte unser Bibliotheksdirektor, der Gelegenheit dazu hatte, die Handschriften in Boltenhagen noch vorgefunden. Verwaltet wurde damals das Gut von einem polnischen Pächter. Der ist aber jetzt auch weg, und die Rote Armee ist mehrfach dort gewesen. Doch sind im Auftrage der Mecklenburgischen Landesregierung der Rektor, der Oberbürgermeister und der Stadtkommandant dabei, die Handschriften unter Leitung des Bibliotheksoberinspektors Ziegler sicherzustellen. Nur stösst im Augenblick die Beschaffung des Fuhrwerkes, wie mir Herr Ziegler sagte, auf Schwierigkeiten." Und wenig später, in einem Schreiben vom 30. Oktober heißt es: „Zu meinem Kummer muss ich Ihnen die schmerzliche Mitteilung machen, dass die Kanthandschriften nicht mehr in Boltenhagen sind. Es besteht noch die Möglichkeit, dass sie in einer Truhe liegen, die Herr Bibliotheksoberinspektor Ziegler bei einer Besichtigung dort nicht öffnen konnte. Aber das ist unwahrscheinlich. Herr Ziegler will versuchen noch einmal hinzufahren und die Truhe zu öffnen. Ich werde Ihnen dann das Ergebnis mitteilen. Wahrscheinlich sind die Handschriften nach Russland verschleppt. Im Mai waren sie offenbar noch da, wie mir Herr Bibliotheksdirektor Dr. Mann sagte, 1 2 3 4
SBPK, NL-Lehmann, Kasten 4. Möglich war dies anhand der Datenbank REFLEXIONEN, vgl. dazu genauer S. 279f. Mitteilung der UB Greifswald vom 22. Juni 1990. Frau Dr. Trinkus möchte ich auch an dieser Stelle Dank sagen für die sehr detaillierten Auskünfte. Herrn Prof. Dr. Dieter Henrich (München) danke ich für die Vermittlung von Kopien der Originale.
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der damals nach Boltenhagen fuhr, und zu dem ein russischer Hauptmann äusserte, es wären Kantsachen da. Es ist also zu vermuten, dass dieser sie nach Russland geschafft hat." Nach noch nicht sicher bezeugten Informationen scheint von den sowjetischen Militärbehörden schon im Frühjahr 1945 eine auch deutsche Wissenschaftler einschliessende Kulturkommission in Greifswald etabliert worden zu sein, die an der Versendung der Kant-Autographen Richtung Osten beteiligt gewesen sein soll. - Auch hier liegt es also nahe, in den Unterlagen der Roten Armee Nachforschungen anzustellen, um die unersetzlichen Kulturgüter aufzuspüren. 1 Bekanntlich besaß auch die Stadtbibliothek von Königsberg einige Kant-Autographen. Insbesondere handelte es sich dabei um genau zwei Briefe Kants. Diese und nur diese Briefe befanden sich vor 1945 im Kant-Zimmer des Stadtgeschichtlichen Museums „auf roter Seidendamast-Unterlage, gerahmt in braunem Holzrahmen mit goldenem Vorstoß." 2 Und just diese beiden Stücke befinden sich in der Russischen Staatsbibliothek (ehemals Leninbibliothek) in Moskau. Die mir Mitte der 1980er Jahre freundlicherweise von dort übersandten Photographien zeigen, daß die Originale zwar leicht beschädigt aber erhalten sind. Man darf also hoffen, den Weg dieser Briefe zurückverfolgen zu können, um so weitere Anhaltspunkte für den übrigen Bestand des Museums zu gewinnen. Weitere Nahrung erhält diese Hoffnung durch die sich seit September 1990 häufenden zuverlässigen Berichte, 3 wonach in mehreren Moskauer Depots Bibliotheksbestände und Kunstschätze lagern, die die Rote Armee 1944/45 bei ihrem Vormarsch auf dem Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches sichergestellt hat. Weltweite Aufmerksamkeit fand der Artikel von Konstantin Akinsha und Grigorii Kozlov: „Spoils of War. The Soviet Union's hidden art treasures" im Aprilheft von 1991 der in New York erscheinenden »ARTnews« (1991, S. 130-141). 4 Das nicht nur journalistische High-Light ist zu sehen im Schliemannschen Schatz des Priamos, der, wie »Die Welt« am 13. Juni 1991, S. 17 nach Bonner regierungsamtlicher Bestätigung meldete, „mit Bestimmtheit" im Moskauer Puschkin-Museum aufbewahrt werde. - Seither begegnen zahlreiche Berichte und Mutmaßungen in Presse und elektronischen Medien. Anscheinend bedarf die Frage des Verbleibs der sogenannten „Beutearchive" noch der politischen Klärung.
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Ein erster Briefkontakt 1989/90 mit dem Institut für Militärgeschichte der Sowjetunion in Moskau brachte trotz der freundlichen Bemühungen von Herrn Prof. Wolkogonow, dem ich auch an dieser Stelle danken möchte, leider kein positives Resultat.
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Zitiert nach Malter/Staffa 1983, 29. Auslöser ist ein Artikel von Jewgenij Kuzmin in der Moskauer »Literaturnaja Gazeta« vom 18. September 1990 über die Uskoje-Kirche. Vgl. die dpa-Meldung in der »Süddeutschen Zeitung« vom 8. Oktober 1990, S. 35: „Deutsche Bücher verrotten in Moskau".
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Einige weitere Meldungen: »Observer« 24. März 1991. Titelseite / Fernsehsendung der ARD »Kulturreport« am 21. April 1991 / Berliner »tageszeitung« Berlin-Teil, 27. April 1991, S. 33 / »Frankfurter Rundschau« 10. Mai 1991, S. 17.
Teil III:
Recherchen zu Quellen über Kants Amtstätigkeit
A. Das Manko in der Akademie-Ausgabe Das schwierigste und vermutlich deswegen noch weitgehend unbestellte Feld auf dem Territorium einer den historischen Quellen verpflichteten Kantforschung ist Kants Amtstätigkeit. Die Gründe für diese empfindliche Lücke sind vielfältig und hängen nach meiner Meinung mit der Entscheidung der Berliner AdW zusammen, anhand der von Reicke und Warda zusammengetragenen Informationen über Kants amtlichen Schriftwechsel nur eine sehr gering bemessene Anzahl - ganze 23 Nummern - unter der Überschrift „Amtlicher Schriftverkehr" in Bd. XII der Ausgabe (S. 421-442) aufzunehmen. 1 Diese, in ihren Gründen unaufgeklärte, 2 Beschränkung steht in krassem Mißverhältnis zu der Lebenswelt von Immanuel Kant. Er war immerhin 26 Jahre aktiver, ordentlicher Professor und hat - wie eingangs erwähnt 3 - mehrfach auch offizielle Funktionen übernommen. Die Ausblendung dieser Sphäre seiner unmittelbarer Wirksamkeit ist nahezu vollständig: Wir wissen derzeit weder, wie Kant Vorlesung gehalten hat, noch wie er als Amtsperson praktisch agierte. Ein solches Wissen ist aber eine der unverzichtbaren Voraussetzungen, wenn es gilt, die ungeheure zeitgenössische Wirksamkeit Kants zu verstehen. Dafür allein die inhaltliche „Revolution der Denkart" als Erklärung in Anspruch nehmen zu wollen, stellt eine Unterschätzung der mit der Institution Universität verbundenen Wirkungsmacht dar. Es ist lebensfremd, die Tatsache zu ignorieren, daß Kant solch großen Einfluß auf seine Zeitgenossen hatte, weil er ein Mitglied der philosophischen Fakultät der Albertus-Universität gewesen ist. Einer der Belege aus der Zeit der großen Welle einer raschen Verbreitung seiner Philosophie im deutschen Sprachraum zeigt unmißverständlich, daß den Zeitgenossen dieser Zusammenhang bewußt war:
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In Band XII der AA-Kant brachte Reicke S. 420 einen entsprechenden Verweis unter: „Die Auswahl aus den von Rudolf Reicke und Arthur Warda gesammelten amtlichen Schriftstücken hat die Leitung der Ausgabe getroffen." In einem Brief von Menzer an Adickes (vom 13. Nov. 1902) heißt es dazu: „Mit Reicke bin ich in diesen Tagen wieder in Beziehung getreten in Sachen von Bd. IV [= Bd. XIII der AA-Kant], Sie werden in Bd.III ja wohl die Anmerkung gefunden haben, die die letzte Spur monatelanger Kämpfe geblieben ist. Hoffentlich ist er jetzt milder, dann können wir ihn ja um Überlassung seiner Manuscripte ersuchen." (Ingelheimer Papiere) - Diese Entscheidung der AdW stieß - in Reickes Umgebung - auf heftige Kritik, vgl. Schöndörffer 1902. Menzer gab später die Zahl der gesammelten Nummern mit „etwa 60" an, vgl. Menzer 1957-58, 342.
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Weder in den Akten der KK noch im NL-Dilthey konnte ich hinreichenden Aufschluß gewinnen. Vgl. oben S. 15.
Quellen zu Kants Amtstätigkeit
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„Königsberg. [...] Daß unser verdienstvolle, und eben so praktisch-fleißige, als speculativ-gelehrte, eben so populär-faßlich, als tiefsinnig denkende Hr. Professor Kant zum Mitgliede der Königl. Akademie der Wissenschaften in Berlin ernannt worden, ist schon aus den Zeitungen bekannt. Dieser wahrhaft große Mann ist ein Beweis, daß man auch ohne besondere Unterstützung, und selbst bey einem schwächlichen Körper, durch Anstrengung und Eifer sich um die Wissenschaften und das Glück einer Akademie verdient machen kann. Er hat eine Liebe zur Philosophie, und einen Geist des vernünftigen Nachdenkens unter die hier studirenden Jünglinge verbreitet, welche auf mancher Universität selten ist."1 Mit diesem knappen, begründenden Hinweis möchte ich es hier bewenden lassen und nur den Stand der Quellenerschließung kurz darlegen. - Vergegenwärtigt man sich die preußische UniversitätsVerwaltung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, 2 dann ist klar, daß im Fall des Professors Kant drei Institutionen - und folglich drei Archive involviert waren: 1 ) Das Ministerium für Geistliche Angelegenheiten in Berlin, 2) die (Ost)Preußische Regierung in Königsberg und 3) die Universität. Klar erkannt hat dies erst 1901 Arthur Warda, der gegen die Arbeiten der beiden einzigen Personen, die sich bis dahin bei ihren Studien zu Kant auf Aktenmaterialien bezogen hatten, feststellen mußte: „Von diesen Akten hat - Fromm nur die zu 1 - Arnoldt nur die zu 3 aufgeführten, anscheinend nicht durchweg, und die zu 1 angegebenen nur teilweise und wohl nicht im Original benutzt. Jede dieser drei Aktensammlungen ist an sich unvollständig, alle drei ergänzen einander aber bis fast zur Vollständigkeit, [...]."3 Auch die erstmals 1924 erschienene, große Kant-Biographie von Vorländer hat daran nichts geändert. Ihr Manuskript ist 1917 abgeschlossen worden, ohne Rückgriff auf eigene Aktenstudien. 4 Bei dieser Sachlage muß es als gleichgültig erscheinen, welche Gründe die Leitung der Kant-Ausgabe der Berliner Akademie dazu bewogen haben, auf eine Dokumentation von Kants amtlicher Tätigkeit zu verzichten. Aus heutiger Sicht ist dies als eine Fehlentscheidung zu werten. Denn wegen der nach 1945 zu verzeichnenden großen Verluste bzw. Verlagerungen von Archivalien und Bibliotheksbeständen ist dadurch über Jahrzehnte hin eine historische Kant-Forschung erheblich erschwert, ja nahezu unmöglich gewesen. Auch in der nicht speziell auf Kant bezogenen Literatur, die sich mit der preußischen Unterrichtsverwaltung im ausgehenden 18. Jahrhundert auseinandersetzt, fehlt die notwendige durchgehende Beziehung auf alle
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Gothaische gelehrte Zeitungen, 25. April 1787 - zitiert nach Landau 1991, 577. Vgl. dazu den Eindruck, den Johann Bernoulli (1744-1807) rund zehn Jahre vorher von der Bedeutung Kants gewonnen hatte; leicht erreichbar in: Malter 1990, 146-147. Vgl. Bornhak 1900. Warda 1901, 84. Warda zielt zwar nur auf den Aspekt von Kants Vorlesungen, dies ändert aber nichts an der auch im Grundsatz treffenden Bemerkung, weshalb ich sie hier auch in meinem Sinne nur verkürzt wiedergegeben habe. Vgl. dazu S. 15 Anm. und die Bemerkung von Vorländer über seine Quellen im Anhang zu Bd. II seiner Kant-Biographie, S. 376-377. Vgl. ferner meinen Bad Homburger Vortrag von Herbst 1985.
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Teil III
drei genannten Archivbestände. 1 Man kann also sagen, daß die archivalische KantForschung im engeren Sinn spätestens 1922 mit dem Erscheinen von Bd. XIII der Ausgabe der Berliner AdW zum Stillstand gekommen ist. 2 Hinzu kommt, daß man annehmen darf, daß zuvor keine wirklich umfassende Benutzung dieser Quellen möglich gewesen ist. Denn, wie gleich noch deutlich werden wird: Die älteren Akten der Königsberger Universität sind erstmals um diese Zeit, anläßlich ihrer Deponierung im Staatsarchiv, geordnet worden. Während nun nach 1945 die Bestände des früheren Berliner Geheimen Staatsarchivs in der ehemaligen DDR im Deutschen Zentralarchiv in Merseburg, und das Gros der Akten des früheren Staatsarchivs Königsberg im GStAPK in Berlin-Dahlem (bis ca. 1974 im Staatlichen Archivlager, Göttingen) verfügbar waren, blieb eine primäre Quelle ersten Ranges verschollen: das Archiv der Albertus-Universität. 3
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Einschlägig sind besonders: Schwartz 1910-1912, Schwartz 1925, Herrlitz 1973 und Heinemann 1974. Der Zusammenhang mit der Einstellung der Abteilung IV „Vorlesungen" (1920) liegt auf der Hand: Jeder Herausgeber hätte die Akten heranziehen müssen, um das unabdingbar erforderliche Maß an Informationen über die äußere Seite von Kants Vorlesungstätigkeit zu geben. In den 1950er Jahren ist die Abtlg. IV zwar wieder aufgegriffen worden, jedoch ist in keinem der seit 1961 erschienenen Teil-, Halb- und Unterbände die geringste Spur einer Benutzung der Akten in Berlin und Merseburg lagernden zu finden. G. Lehmann glaubte offenbar, mit den durch Otto Schöndörffers nachbessernde Zusätze im Niveau etwas gehobenen »Gesammelten Schriften« von Emil Arnoldt auskommen zu können!
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Universitätsgeschichtliche Studien lassen, bis in die jüngste Zeit, Königsberg außer Acht.
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B. Das Archiv der Albertus-Universität: Ein Berichti Im Sommer des 1989 Jahres vermittelte der Hamburger Verleger Richard Meiner einen Kontakt zu Prof. Karol Bai (Wroclaw), der in einem nicht näher bezeichneten polnischen Archiv Kant-Autographen aufgespürt habe. Im Dezember 1989 kamen Herr Bai und ich in der Ruhr-Universität Bochum 2 zusammen. Herr Bai gewährte mir dabei Einblick in eine Reihe von Xerokopien, 3 die zeigten, daß zumindest Teile der verschollen geglaubten Archivalien der Albertus-Universität Königsberg erhalten sind. Meine Vermutung, daß die Originale im Wojewodschaftsarchiv Olsztyn verwahrt würden, wurde von Herrn Bai bestätigt. Er gab dabei zu erkennen, daß Vorbehalte von Seiten des Archivs bestünden, diese Tatsache öffentlich bekannt zu machen. Es gebe in Olsztyn eine ganze Reihe derartiger - allerdings nicht erschlossener - Unterlagen. Die polnischen Archivare und er selbst könnten diese Bestände aus verschiedenen Gründen nicht sachgerecht aufarbeiten. Unter anderem spiele dabei die Tatsache eine Rolle, daß die Mehrzahl in deutscher Kurrentschrift abgefaßt ist. Er gab weiter an, daß seines Wissens eine Benutzung des Archivs durch westdeutsche Forscher nicht möglich sei. Wir verabredeten eine Kooperation: Herr Bai wollte sich um weitere Xerokopien bemühen, um sie mir zur Kenntnis zu bringen. Ich sagte Prüfung, Bewertung und anschließende Rückinformation zu. Dessen ungeachtet habe ich selbst die für die Benutzung von staatlichen Archiven üblicherweise erforderliche Genehmigung für Olsztyn beantragt. Zur Begründung verwies ich auf mein Interesse an Immanuel Kant. Mit Schreiben vom 5. April 1990 wurde mir von der Direktion der polnischen Staatsarchive aus Warszawa die Genehmigung für Olsztyn erteilt. Sie erreichte mich kurz nach dem Mainzer Kant-Kongress, auf dem ich in Absprache mit dem gleichfalls dort anwesenden Herrn Bai kurz über die Möglichkeit, in Olsztyn amtliche Papiere zu und von Kant einsehen zu können, berichtet habe. Eine vor allem vor diesem Hintergrund für Frühjahr 1990 von mir geplante Reise nach Torun und Masuren führte mich am Sonntag den 13. Mai nach Olsztyn. An den beiden folgenden Tagen habe ich das Archiv aufgesucht, ohne mich zuvor schriftlich angekündigt zu haben. In einem etwa halbstündigen sehr freundlichen Gespräch mit einer Archivarin wurde deutlich, daß keine Findbücher oder ähnliches zu den Kantrelevanten Archivalien vorhanden sind. Mir wurden insgesamt 14 Akten-Faszikel vorgelegt, deren derzeitige als vorläufig bezeichneten, polnischen Signaturen auf einem früheren Schreiben von Prof. Bai vermerkt waren. Bei der Durchsicht las ich auf den, einzelnen Faszikeln beiliegenden, Benutzerscheinen zu meiner Überraschung die deutsch1
Die nachfolgenden Absätze entnehme ich - nur leicht modifiziert und ergänzt - einem Bericht, den ich u.a. der Kantkommission der Göttinger AdW und dem GStAPK im Juni 1990 zur Kenntnisnahme übersandt habe.
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Für die Mithilfe dazu möchte ich hier Herrn Prof. Dr. Günter Gawlick danken. Einen Teil davon habe ich mit Erlaubnis von Herrn Bai kopiert.
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Teil III
sprachige Bestandsbezeichnung „Universität Königsberg". Meistens trug ich mich als Erstbenutzer ein. Auf anderen sind polnische Benutzer eingetragen, u. a. auf einem Herr Bai mit der Jahreszahl 1974. Meine Frage nach Beständen aus der alten Rep. 92 „Nachlässe" hatte zur Folge, daß mir unter Heranziehung der Xerokopie einer Arbeit von Kurt Forstreuter 1 die Zweigliedrigkeit bei der Vergabe der polnischen Signaturen erklärt wurde. „XXVIII/1" stehe für Universität Königsberg und „XXVIII/2" für das Kuratorium. Von der Existenz der gleich noch zu nennenden Findbücher erfuhr die polnische Archivarin jedoch erst durch meine Mitteilung. Aus der unbekannten - nämlich bei Forstreuter S. 99 nicht genannten - Rep. 92 seien keine Unterlagen vorhanden. 2 Über Berlin, wo ich das GStAPK aufsuchte, kehrte ich nach Marburg zurück, u.a. um die jetzigen polnischen Signaturen und die alten deutschen Signaturen in eine eigens anzulegende Datenbank einzutragen. Die so leicht mögliche Auswertung ergab, daß erhebliche Teile der Archivalien der Albertus-Universität ihren Weg in das damalige Wojewodschaftsarchiv Olsztyn gefunden haben müssen. Diese weitreichende Behauptung konnte auf zwei unabhängigen Wegen abgestützt werden. 1) Provenienz Das Staatsarchiv Königsberg ist gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in das Salzbergwerk Grasleben ausgelagert worden. Nach Beendigung des Krieges ist es mit einer Fülle von anderen Archivalien von der Britischen Armee aufgespürt und in die Kaiserpfalz nach Goslar verbracht worden. Ein kleiner Teil der Bestände, nämlich diejenigen Archivalien, die „vom Gebiet des heutigen Polen" 3 stammen, insbesondere die Akten der Regierung Allenstein, ist 1947 von der Besatzungsmacht der polnischen Archivverwaltung übergeben worden. Der Hauptteil gelangte jedoch nach der Zwischenstation „Staatliches Archivlager Göttingen" Ende der 1970er Jahre in das GStAPK nach Berlin-Dahlem, dessen 20. Hauptabteilung es heute bildet. Einen Sonderfall stellt die Akte mit der Signatur „Dep. Universität XXV, Nr. 13" über die Einrichtung eines Lehrerseminars an der Königsberger Universität dar, über die Forstreuter 1969 berichtet hat. 4 Sie ist das einzige im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz vorhandene Stück von Archivalien der Albertus-Universität. 5
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»Das Preußische Staatsarchiv in Königsberg. Ein geschichtlicher Rückblick mit einer Übersicht über seine Bestände« [= Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung, Heft 3], Göttingen 1955 Mit dieser Formulierung meiner Frage beging ich einen Fehler: Im Königsberger StA gab es keine „Rep. 92" wohl aber „Nachlässe". Im Berliner Geheimen StA wurden die Nachlässe unter „Rep. 9 2 " abgelegt; vgl. Ernst Müller et al. 1934-39. So die Formulierung in: Cay Friemut »Die geraubte Kunst«. Braunschweig 1989, S. 128. - Nach Kurt Forstreuter, Das Staatliche Archivlager in Göttingen, in: Zeitschrift für Ostforschung 3/1954/92-94. Genauer bei Forstreuter 1955 (wie vorletzte Anm.) S. 92-93. Forstreuter 1969, 8. Ausweislich eines Vermerks in Findbuch Nr. 480.
Quellen zu Kants Amtstätigkeit
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2) Findbücher Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz sind die alten Findbücher des Königsberger Staatsarchivs erhalten. Ausweislich der Angaben in den Findbüchern Nr. 480 und 480a hat die Albertus-Universität zu Beginn der 1920er Jahre ihre für den Geschäftsablauf nicht mehr benötigten Akten 1 in zwei separaten Lieferungen dem Staatsarchiv als Deposita überwiesen. Die Materialien sind anschließend durch Archivare neu geordnet und - vermutlich erstmals vollständig - verzeichnet worden. Gleichfalls vorhanden ist das Original des Findbuches Nr. 406, das mit Rep. 99 die unmittelbar zum Staatsarchiv gehörigen Unterlagen des Kuratoriums der Universität2 Königsberg auflistet. Nur in Findbuch 406 befindet sich ein handschriftlicher Vermerk, wonach die Akten in Allenstein verwahrt werden. Die Signaturensysteme der drei genannten Findbücher weichen auf je charakteristische Weise voneinander ab. Ein Vergleich der Signaturen des Staatsarchivs Königsberg mit den derzeitigen polnischen Signaturen zeigte darüber hinaus, daß in Olsztyn nur die Zweiteilung in „Depositum der Universität" und „Kuratorium", nicht jedoch die Differenzierung des Depositums in zwei Lieferungen bekannt war. Verlauf und Höhe der polnischen Kurrensziffem unter „XXVIII/1" bzw. „XXVIII/2" deuten schließlich daraufhin, daß erhebliche Teile der Bestände „Deposita I & II der Universität" bzw. „Kuratorium der Universität" in die Obhut des Wojewodschaftsarchivs übergegangen sind. Die Zuordnung von Archivalien zu „XXVIII/2" scheint nur dann erfolgt zu sein, wenn auf einem Faszikel „Rep. 99" vermerkt ist. Aus meinen Notizen möchte ich eine Sache hervorheben, um die Relevanz der Akten des Universitätsarchivs für die Kantforschung im engeren Sinn zu verdeutlichen. Das Wöllnersche Zensuredikt vom 19. Dezember 1788 ist zusammen mit seinem bekannteren Anlaß, dem Religionsedict vom 9. Juli 1788, vielfach Gegenstand historischer Forschung gewesen. Allgemein bekannt ist auch, daß Kants eigene Publikationen in den 1790er Jahren von beiden Verfügungen des gerade neu installierten Ministers Johann Christoph Wöllner (1732-1800) betroffen waren. Und es ist nun für die Bewertung von Kants Verhalten äußerst wichtig zu erfahren, daß ein wesentliches Element des Zensurediktes in Königsberg nicht wirksam geworden ist. Das Edikt sah im Kern als Neuerung vor, für die Zensur der philosophischen und theologischen Schriften bei der jeweiligen Landesregierung eine eigenständige Instanz beim Provinzial-Konsistorium einzurichten. 3 Damit sollte eine Zentralisierung der Aufsicht erleichtert, regionale Eigenständigkeiten eingeschränkt und die religiöse Kontrolle ausgebaut werden. - In § IV, 2 wird eine Ausnahmeregelung formuliert:
1 2
D. h., allem Vermuten nach sämtliche aus der Zeit zwischen 1544 und ca. 1900. Das Kuratorium ist erst mit Auflösung des Etatsministeriums 1804 eingerichtet worden; es übernahm von der vorherigen Behörde nur einen für seine Geschäftsführung erforderlichen - relativ kleinen - Teil älterer Akten.
3
Erneuertes Censur-Edict für die Preußischen Staaten. Nebst Begleitungs-Rescript an das Cammergericht vom 25. December. De Dato Berlin, den 19. December 1788, in: »Novum Corpus« 1791, Sp. 2339-2356; hier: §111,1.
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Teil III „Bücher und Schriften, welche auf Unsern Universitäten verfertiget und gedruckt werden, sind nur der Censur derjenigen Fakultät, in welche sie einschlagen, unterworfen. Doch bleiben davon die § III. N-. 4 näher bestimmte, das Staatsrecht und die politische Geschichte betreffende Schriften ausgenommen, welche, wenn sie auch von Professoren oder andern Mitgliedern einer Universität verfertiget werden, dennoch der von Unserm auswärtigen Departement abhängenden Censur vorgelegt werden müssen."
Gegen diese Beschneidung ihrer Autonomie hat die Königsberger Universität, der das Edikt in 50 Exemplaren mit Schreiben vom 25. Dezember 1788 von Berlin übersandt wurde, erfolgreich protestiert. Wöllner mußte schließlich in einem Schreiben vom 13. Mai 1789 zugestehen: „[...] Da in Koenigsberg der besondere Fall eintritt, daß daselbst die Landes-Collegia und eine Universitaet etablirt sind; letztere aber das Censur-Geschäfte bisher wahrgenommen hat, auch kein Grund, ihr solches zu entziehen, vorhanden ist; So kann ihr solches Geschäfte auch ferner beiaßen werden; Und habt Ihr also solches den übrigen dortigen Collegiis, welchen sonst die Censur nach denen Grundsätzen obgedachten Edicts obliegen würde, bekannt zu machen. [...]."' In Königsberg blieb also alles beim Alten 2 : Die direkt Berlin verpflichtete, religiös gebundene Zensurinstanz wurde nicht etabliert, und die Universität behielt - unklar wie lange - mehr institutionelle Macht als sonst in Preußen üblich. Kants eigenes Vorgehen im Bezug auf seine »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« und den »Streit der Fakultäten« wird in neuem Licht erscheinen, wenn die Akten der Albertus-Universität aufgearbeitet sind. 3
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3
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Staatliches Archiv Olsztyn, Sign. XXXVIII/2, 376 (= Rep 99 G 8) fol. 52: Acta. Die Censur der in Königl. Landen herauskommenden Bücher und Schriften. Nämlich der mit dem Zensuredict von Friedrich II am 11. Mai 1749 geschaffenen Lage, wonach von der allgemeinen Zensur auch diejenigen „Wercke, Bücher und andere Schriften, welche auf Unsern Universitäten verfertiget und gedruckt werden, massen [!] die Facultaeten daselbst die Censur übernehmen, und davor stehen müssen." - Zitiert nach dem Text in Houben 1978, 149. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat mit Bescheid vom 12. Juli 1991 einen von Prof. Brandt gestellten Antrag auf Mittel zur Erforschung von „Kants Amtstätigkeit" bewilligt. Ein Ziel des Vorhabens ist es, u. a. die in Olsztyn lagernden Aktenbestände der Albertus-Universität neu zu erschließen. Ich verzichte daher hier auf die Angabe weiterer Einzelheiten. Vgl. dazu genauer Euler 1993. Für den Bereich der Vorlesungen vgl. auch Pozzo 1991.
TEIL IV: Editionen
Vorbemerkung zum Editionsteil Die formalen Eigenschaften der folgenden Editionen sind kurz zu beschreiben. Die Texte werden, so weit technisch möglich, originalgetreu gedruckt. Eingriffe finden nicht statt. Bei der Wiedergabe von Handschriften (Grundlage sind in der Regel Xerokopien oder Photos) gilt: Für die in deutscher Kurrentschrift abgefaßten Texte steht die gradestehende Grundschrift, lateinische Buchstaben sind kursiv dargestellt, Gestrichenes ist eckig umklammert und in [kleinerem Schriftgrad] gesetzt. Unterstreichungen sind beibehalten. Zusätze der Handschriften stehen hier in spitzen Klammern ,,". Unsichere Lesungen sind in folgender Weise umklammert: /¿...¿/. Verweiszeichen sind standardisiert als „ * " und ggf. mit einem fortlaufenden Zähler versehen. Für unleserliche Buchstaben stehen kopfstehende Fragezeichen. Vor Worten, die aus Abkürzungen oder Sigeln hervorgegangen sind, steht ein „%"-Zeichen. Ist die Grundlage ein Druck, so werden dessen Auszeichnungen in kursiv übertragen. A. Aus der Korrespondenz 1) Amtliches Die folgenden vierzehn nicht in der Akademie-Ausgabe enthaltenen, teils eng miteinander verbundenen Stücke (Nrn. 3-5 bzw. 12 & 13) aus Kants amtlicher Korrespondenz zeigen wie ich meine - nachdrücklich, daß ein derartiges Unternehmen erfolgversprechend und fruchtbar durchgeführt werden kann.1 Die Erläuterungen sind nicht zuletzt deswegen auf ein Mindestmaß reduziert, weil Kants Verhalten „im Amte" nur dann verantwortlich gewürdigt oder beurteilt werden kann, wenn die Vorgänge, d. h. auch die Verordnungen des Berliner Fachministeriums für geistliche Angelegenheiten, in dessen Bereich auch die Albertus-Universität fiel, berücksichtigt würden. Eine solche Zielstellung sollte hier jedoch nicht 2 verfolgt werden. Bei anderweitig schon publizierten Briefen wird nur kurz auf die Literatur verwiesen. 1.
Kant, Immanuel als Dekan der philos. Fakultät an die Ostpreußische Regierung in Sachen: Besetzung der Professur für Dichtkunst (Nachfolge Lindner), Brief-Nr.: A000; 1776,04,17 / GStAPK, HA. XX. E; 139 c IV; 90,1 fol. 8-9 [Königsberg, StA] 3
1
A u f m e i n e Anregung hin hat Herr Dr. Werner Euler für die » G e s e l l s c h a f t zur Förderung des Marburger Kant-Archivs, e.V.« die mir bekannte Literatur durchforstet, um eine detaillierte Desideratenliste erstellen zu können. Seine Arbeiten mündeten ein in das S. 2 2 2 erwähnte Forschungsprojekt. D i e Ergebnisse sollen gleichfalls mit der Datenbank B R I E F W E C H S E L verwaltet und erschlossen werden.
2
Der für eine solche Studie zu erwartende U m f a n g ist in grober Näherung ablesbar an Emil Arnoidts »Kritischen Exkursen«, vgl. Emil Arnoldt GS, Bde. IV und V.
3
Zur Erläuterung vgl. Warda 1911 b, 561 und Stark 1993.
224 2.
Teil IV Kant, Immanuel als Senatsmitglied an die Regierung, Brief-Nr.: A-000; 1785,09,29 / GStAPK, HA. XX, EM 139 b 8-9 [Königsberg, StA] Betreffs der Wahl des Professors Bohlius zum Universitätsrektor, vgl. Berliner ΚΑΤ von 1974, S. 143 (Nr. 143 a)
3.
Kant, Immanuel an Regierung, Brief-Nr.: A-000 [EntwurfJ]; 1786,02,07 / Akademie-Archiv, Berlin [Dorp. III, 04] Academiae Prorector Magnifici: Viri Summe reverendi ICfissimi Experientissimi Excellentissimi Amplissimi. Ew: Magnificenz und Amplissimo Senatui [st] danken wir für die Mittheilung des allerhöchsten Königl. Rescripts [d. d. vom] dd. Berlin %den 10 Nov: 1785 die Examinatoria betreffend und [erwidern] erklären in schuldiger Antwort daß um di[¿]e [all] Königl: allergnädigste Willensmeynung [in ihrem Ganzen Umfange] zu erfüllen wir [einstimmig beschlossen haben] über [die uns]
pflichtmäßig obliegenden wöchentliche 4 Stunden des collegii [Pu] publici [ein jeder] eine überzählige Stunde dem Examinatorio [zu widmen] und zwar publice widmen wolle. Zu diesem Ende werden wir diese Einrichtung nicht allein halbjährig durch den Catal. Lect. sondern auch sonst de tabula publica [der] zur Kenntnis der studirende Jugend gelangen lassen und beharren übrigens mit vollkommener Hochachtung 4.
Kant, Immanuel an Regierung, Brief-Nr.: A-000 [EntwurfJI]; 1786,02,07 / Akademie-Archiv, Berlin [Dorp. III, 03] Academiae Prorector Magnifice Senatores Amplissimi Auf das von Senatu Amplissimo uns communicine Königl. Rescript das zu haltende Examinatorium betreffend erklären wir, die Glieder der philosophischen Facultät, in schuldiger Antwort: daß wir, von dem Nutzen eines Examinatorii schon durch unsere bisherige Haltung derselben überzeugt, die allerhöchste Willensmeynung in Ansehung desselben aufs vollständigste zu erfüllen bereit sind, und zu dem Ende beschlossen haben, ein jeder in der ihm anvertrauten Profession wöchentlich eine überzählige Stunde dem Examinatorio publice zu widmen, so fern nicht etwa eine Collision mit anderen Vorlesungen es unvermeidlich machte, es mit den 4 gewöhnlichen öffentlichen Stunden zu verknüpfen: daß wir, um auch diese zu verhüten, [uns] in dem halbjährig zu Anordnung der Vorlesungen auf das nächstbevorstehende Semestre bestimmten Consess uns aufs Beste zu einigen und endlich die getroffene Verfügung jedesmal, theils durch den Lectionscatalog, theils von der Tabula publica, allgemein bekannt werden zu lassen, beflissen seyn werden. Wir beharren übrigens mit der vollkommensten Hochachtung Ew. Magnificenti Dienstwilligste und Senatus Amplissimi Königsberg %den 1786
Decanus, Senior und sämmtliche Membra der philos. Facultaet
Briefwechsel
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5.
Kant, Immanuel als Dekan der philos. Fakultät an die Universität, Brief-Nr.: A-000; 1786,02,07 [ΚΑΤ Geigy-Hagenbach 1017, Stargardt ΚΑΤ 573] Ew: Magnificence habe die Ehre hiedurch im Anschlüsse das Conclusum der Philos. Facultaet in Ansehung des Königl: Rescripts wegen der Examinatorien ganz ergebenst zuzustellen [...] ganz ergebenster Diener IKant Fac. Phil. h. t. Dec. Erläuterung: ΚΑΤ Geigy-Hagenbach, Tafel XXIII zeigt nur die Unterschrift. ΚΑΤ Stargardt gibt den Textanfang und faksimiliert die Unterschrift. Der Vorgang der Nrn. 3-5 konnte noch nicht in allen Einzelheiten recherchiert werden; er setzt jedoch anscheinend eine Auseinandersetzung um das Disputatorium bzw. Examinatorium zwischen der Universität und der Regierung vom Herbst und Winter 1780 fort, die schon von Emil Arnoldt und Otto Schöndörffer aufgegriffen worden ist.1 Offenbar gab sich das Berliner Ministerium mit dem Bericht der Königsberger Universität (Königsberg, den 20.Oktober 1780) „wegen des im abgewichenen Jahr bei der Juristischen und Philosophischen Facultaet nicht zu Stande gekommenen Disputatorii, und wegen des Examinis Dimittendorum" 2 nicht zufrieden. Der Wertschätzung des Berliner Ministeriums, das eine Schulung der Studenten in öffentlichen Disputationen wünschte, stand die Universität eher ablehnend gegenüber. Der Senat gab am 20. Oktober 1780 u. a. zu bedenken, daß „es ausgemacht ist, daß Soliditaet ohne die zum disputiren erforderliche Dreistigkeit und Schnelligkeit des Geistes bestehen kann; gegenseitig aber Dreistigkeit im Vortrage und eine Fertigkeit der Zunge manchen auf der Catheder scheinbar einen Vorzug erwirbt, den andere gegründeter verdienen." 3 6.
Kant, Immanuel als Rektor an einen Minister, Briefnr.: A-000; 1786,08,12 Text nicht überliefert: „Kurzes Schreiben an den Minister betreffs Besetzung der mathematischen Professur an der Universität."
Erläuterung: Vgl. KS 5/1900/272. 7.
Kant, Immanuel an Exzellenz, Brief-Nr.: A-000; 1786,08,17 [Berlin SB (acc. ms 1900,19)] Ein Text ist nicht überliefert; nach einem Vermerk im Handschriften Katalog der Berliner SB handelt es sich um ein kurzes Schriftstück „bei Überreichung eines Etats der Universität".
8.
Kant, Immanuel an Regierung, Brief-Nr.: A-000; 1786,09,21 / GStAPK, HA. XX, EM 85 f 22 [Königsberg, StA] Nach dem Berliner ΚΑΤ von 1974, S. 137 (Nr. 144 d) liegt ein kurzes eigenhändiges Schreiben wegen der Verteilung von Huldigungsmünzen zur Inthronisation von
1 2
Vgl. Emil Amoldt GS, V 255-256. GStAPK, HA XX, EM 139b, Nr. 25 Bd. 9, fol. 112-114. Vgl. das ausführliche Zitat Schöndörffers daraus in Arnoldt GS, V 261-62.
3
GStAPK, HA XX, EM 139b, Nr. 25 Bd.9, fol. 114. - Für eine weitergehende Darstellung vgl. meine »Untersuchungen zu Kants Vorlesungen« [in Vorbereitung].
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Teil IV Friedrich Wilhelm II (1744-1797), eines Neffen des am 17.August 1786 gestorbenen Preußischen Königs Friedrich dem Großen, vor.
9.
Kant, Immanuel an Universität (Senat), Brief-Nr.: A-000; 1786,09,21 / Berlin, SBPK (Autogr 1/1469) Senatui amplissimo habe die Ehre den Vorschlag zu thun, wie die drey Versammlungen desselben, die auf die künftige Woche fallen, am künftigen Montage als dem königl. Geburtstage vereinigt werden könnten: wenn wir nämlich bald nach 8 Uhr Morgends zum examen alumnorum zusammen kämen, von 11 bis 12 Uhr dem actui oratorio beywohneten und zwischen 12 und 1 Uhr den Senatsconsess, in welchem ich nur einige wenige Sachen vorzutragen habe, hielten. Sölten indessen einige HEn Senatores diese Zeit zu Ihren nöthigen Vorträgen zu kurz finden, so kan künftigen Montag wegen des Consessus andere Entschließung genommen werden. I Kant. Acad. h. t. Rector %den 21. Sept. 1786. Consent. Reusch. et ego Mangelsdorff cons. Reccard cons. Holtzhauer ... Schulz Consentio Metzger D. Orlovius D Kraus. Erläuterung. Die Unterzeichneten sind: Die Theologen Gotthilf Christian Reccard (17351798), Johann Ernst Schulz (1742-1806); der Jurist Georg Friedrich Holtzhauer (1746-1801); die Mediziner Johann Daniel Metzger (1739-1805) und Johann Andreas Orlovius (17351788); die Philosophen Carl Daniel Reusch (1735-1806, Physik), Karl Ehregott Mangelsdorff (1748-1802, Geschichte) und Christian Jacob Kraus (1753-1807, Moral). Interessant die Tatsache, daß nur die Mediziner durch ein ,,D" auf ihren Doktortitel hinweisen. Dem Text zufolge wollte Kant mit seinem Zirkular vom Donnerstag den 21.September drei anstehende Senatstreffen auf den Geburtstag des neuen Königs (25.September) zusammenlegen und so den allwöchentlichen Mittwochstermin1 des Senats der Albertus-Universität einsparen. 10.
Kant, Immanuel an Hennig, Brief-Nr.: A-000; 1788,05,23 / GStAPK, HA. XX, EM 139 c IV, Nr. 9, fol. 93; Druck non AA-Kant: Brandt/Stark 1988, 84.
11.
Kant, Immanuel an Universität, Brief-Nr. : A-000; 1791,03,16 / GStAPK, Dep. Universität Königsberg Abt. 25, Nr. 13 [Königsberg, StA] Vgl. Forstreuter 1969.
1
Im Königsberger Adreßkalender für 1784 liest man S. 92: „Der academische Senat kommt Mittwochs um 9 Uhr in der Senats-Stube auf dem Collegio Albertino zusammen." In einem früher in den Senatsakten (Dep. II / 400 [= Olsztyn XXVIII/1/236]) befindlichen Rundschreiben von Schmalz an die Senatoren (24. 4. 1795) wird 10 Uhr morgens als ständiger Termin genannt. - Vielleicht unterschieden sich Sommer und Winter ?
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12.
Kant, Immanuel an Universität, Brief-Nr.: A-000; 1791,12,13 / [Königsberg, Universität] Druck non AA-Kant: Paleikat 1920, 416 und Malter 1990, 380-1.
13.
Kant, Immanuel an Regierung: In Denunciationssachen des Studiosi Hermes wieder den Studiosum Pfeiffer, Brief-Nr.: A-000; 1792,04,19 / GStAPK, HA. XX EM 139 j, Nr. 132 [Königsberg, StA] Beschreibung der Sache bei Koeppen 1972 und Malter 1990, 379-82.
14.
Kant, Immanuel an Universität: Erklärung über eigene Einkünfte, Brief-Nr.: A-000; 1798,01,22 / [Königsberg, Universitätsarchiv]; Druck non AA-Kant: Warda 1901, 420. [Die vorseitige vom academischen Rendaten, Prof. Gensichen angefertigte Consignation meiner Eink Zu] Die Richtigkeit vorstehender Consignation meiner Einkünfte bey der Universität attestire ich, in Ansehung der Hauptsache, und willige ein: daß bey Anfertigung des nach Hofe einzusendenden Special-Salarien-Etats der Universität, die, bey meinen Decanats- und Rectorats-Emolumenten, etwa nöthigen Abänderungen der hier gemachten Angaben getroffen werden können — I. Kant Professor der Logik u. Metaphysik Senior der Philos. Fakultät d. 22 Januar 1798.
2) Textverbesserungen und Korrekturen Zusammenstellung von Korrekturen (Text und Bemerkungen) zu den Angaben der AA-Kant. Es wird nur der Wortlaut wiedergegeben, etwaige Textauszeichnungen werden ignoriert. Brief-Nr.: 113a, 1777,01,22, an: Otto, Johann Andreas / Bremer, Johann Christoph Bemerkungen: Der AA-Kant 23 491 nach Menzer 1930b angenommene Adressat ist zu korrigieren, obwohl kein Adressat genannt wird (vgl. das Faksimile in Stargardt ΚΑΤ 651, Nr. 693 (1992)). Denn den Angaben bei Stargardt „Es könnte sich um die bei Creutz in Magdeburg verlegte Übersetzung von Johann Christoph Bremer handeln ('M. T. Cicerons Reden'), deren 2. Band 1776 erschien." ist nur noch hinzuzufügen: 1) das GV verzeichnet zur Zeit des Kantischen Briefes keine andere Ausgabe oder Übersetzung. 2) Aus dem Gelehrtenlexikon von Hamberger/Meusel geht hervor, daß Bremer ab 1780 in Quedlinburg und zuvor in Berlin bzw. Magdeburg ansässig war, und daß seine zweibändige Übersetzung »M. T. Cicerons Reden« in den Jahren 1774 und 1776 erschienen ist. Brief-Nr.: 122, 1777,10,31, an: Campe / Wolfenbüttel, HAB, Slg. Vieweg Nr. 881 Korrekturtext: Typographische Kleinigkeiten. Brief-Nr.: 133, 1778,04,07, an: Breitkopf / Berlin, SBPK (Slg Härtel) Korrekturtext: X 229,27: 1 April lies 7 April X 230,01: bin ich vor lies bin vor X 230,02: beschäftigt, und lies beschäftigt und
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Teil IV
Brief-Nr.: 182, 1782,10,22, an: Reichardt / Leningrad [St. Petersburg], Saltykov Korrekturtext: X 290 30; füglich lies freylich Brief-Nr.: 222a, 1784,01,03, an: Lesgewangsches Stift/Jena, UB: Ms.Chron. 1896.1, fol. 3 Korrekturtext: orthographische Kleinigkeiten, u.a.: XXIII 492: hierdurch lies hiedurch Bemerkungen: Das Aktenstück trägt die Aufschrift: „Acta in Sachen des Herrn Professons Philosophiae Ordinarli Immanuel Kant als Käufern der Portrait Mahler Beckerschen auf dem Prinzeßin Platz unter der adeligen von Lesgewangschen Privilegirten Stifts-Jurisdiction belegenen Gründe. Aufkündigung eines auf diesen Gründen dem adeligen von Lesgewangschen Stift zugehörigen stehenden Capitals von 2000 fl. betreffend." Zur Provenienz des Faszikels vgl. Pfeiffer 1993, dem der Druck der Briefe unbekannt zu sein scheint. Brief-Nr.: 222b, 1784,01,10, an: Lesgewangsches Stift/Jena, UB: Ms.Chron. 1896.1, fol. 4 Korrekturtext: XXIII 491: Gründen lastende lies Gründen haftende Brief-Nr.: 223, 1784,03,04, an: Schultz / Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum Korrekturtext: X 369 05: Scharfsinne lies Scharfsinn Brief-Nr.: 229a, 1784,06,30, an: Voeteri / Jena, UB: Ms.Chron. 1896.1, fol. 9 Korrekturtext: XXIII 492: Grunde lastende lies Grunde haftende XXIII492: 3 Januar 1784 lies 3 Jun 1784 XXIII492: 2 July lies 2 Juny XXIII 492: Green u. Motherby lies Green & Motherby XXIII 492: Johanni hatten lies Johanni hätten Bemerkungen: Kant hat sich, Ende Juni, bei der Angabe des Monats zweimal verschrieben, es muß in beiden Fällen Juli heißen. Brief-Nr.: 229b, 1784,07,01, an: Voeteri/Jena, UB: Ms.Chron. 1896.1, fol. 10-11 Korrekturtext: orthographische Kleinigkeiten und: XXIII 493: als abgemacht ist lies als abgeredet ist Brief-Nr.: 236, 1784,12,31, an: Biester / Dortmund, StB Korrekturtext: Kleinigkeiten und: X 398 02: der Messe lies die Messe X 398 03: bis Ostern lies bis zu Ostem Brief-Nr.: 300, 1787,06,25, an: Schütz / Schweizer Privatbesitz; Faksimile in Sotheby's »Music, Continental Manuscripts and [...] Medicine« (London [17. & 18. Nov.] 1988) S. 93. Korrekturtext: Viele orthographische Ungenauigkeiten und: X 490 26-27: Grundlage [...] muß lies Grundleg. d. Crit. d. Geschmacks gehen muß. X 490 27: Ergebenheit setze fort der Ihrige I Kant Bemerkungen: Daß die erst 1790 als „Critik der Urtheilskraft" erschienene Geschmackslehre zur Zeit der Jahresmitte 1787 von Kant noch in Parallelität mit der »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« gedacht wurde, war bisher nur indirekt belegt, vgl. den Brief des Marburgers Johann Bering an Kant vom 28.Mai 1787 (AA-Kant Nr. 298).
Briefwechsel
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Brief-Nr.: 347, 1789,03,01 [?], an: Jung-Stilling / Berlin, SBPK (Autogr 1/1998) Korrekturtext: XXIII494, 24: dunkel bleibt lies dunkel dunkel bleibt XXIII495, 04: Quantität lies Qvantität XXIII495,06: Qualität lies Qvalität XXIII495,08: sondern um die Freyheit lies sondern nur die Freyheit XXIII495, 17: Freyheit selber lies Freyheit halber Brief-Nr.: 359,1789,05,12, an: Reinhold / Düsseldorf, Goethe-Museum Korrekturtext: X I 0 3 3 16: genug lies gnug X I 0 3 6 11 : wobei lies wobey Brief-Nr.: 360, 1789,05,19, an: Reinhold / New York, Pierpont Morgan Library Korrekturtext: Orthographische Kleinigkeiten und: XI 042 03: diefelbe lies dieselbe X I 0 4 3 21: immer Gnüge lies immer ein Gniige X I 0 4 4 17: nach Osten, ist lies nach Osten herbey zu ziehen, ist Brief-Nr.: 375, 1789,08,30, an: Jacobi / Uppsala, UB Korrekturtext: XI 075 09: stelung lies Stellung X I 0 7 6 17: unerfaßliche lies unerforschliche XI 077 25: ernste lies erste [weitere geringfügige orthographische Ungenauigkeiten und S.l oben Vermerk von Jacobi: „e. den lOten Sept. beantw den 16 November abgegangen den 20ten." = AA-Kant Br. 389] Brief-Nr.: 393, 1789,12,14, an: Jacobi Bemerkungen: Es ist fraglich, ob es sich bei diesem Stück um einen tatsächlich gelaufenen Brief handelt. Der Inhalt legt eher nahe, daß Kant die „Erklärung" für den Brief eines Dritten - nämlich Christian Jacob Kraus - geschrieben hat.1 Brief-Nr.: 419, 1790,04,20, an: Kiesewetter / Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum Korrekturtext: XI 153 25: wirklich lies warlich XI 153 26: HE. lies Hr. Brief-Nr.: 635, 1794,07,16, an: Campe / Wolfenbüttel, HAB Slg. Vieweg Nr. 882 Korrekturtext: orthographische Kleinigkeiten und: XI 516 34: die ich noch vor mir habe lies die noch vor mir habe XI 516 36: möchte lies mochte XI 517 05: Jul. lies July XI 517 06: Kant lies I Kant
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Vgl. Jacobis Brief an Nicolovius vom 26. Juni 1806: „Hierbey fällt mir ein, daß ich gelesen habe: Jagemann (oder ist es ein anderer?) wolle Kants Briefwechsel herausgeben. Siehe zu, daß Du den einzigen Brief, den ich in meinem Leben an Kant geschrieben habe, heraus bekommst; den von Kant an mich, will ich gern dagegen ausliefern." Zoeppritz 1869, II 13. Jacobi geht offensichtlich davon aus, daß auch er nur einen Brief von Kant erhalten hat, und dies kann nur der Brief Nr. 375 sein. - Zu dem Dritten vgl. Stark 1987b, 194 Anm. 56.
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Teil IV
Brief-Nr.: 671, 1795,08,10, an: Soemmering / Frankfurt/M, Freies Deutsches Hochstift Korrekturtext: XII 030 18: vortrefflichen lies vortreflichen XII030 19: beider lies beyder XII030 21: Danke lies Danck XII 030 23: beider [...] bei lies beyder [...] bey XII030 26f: Bei [...] Ihren [...] Jahren lies Bey [...] ihrer [...] Jahre XII 030 31-32: Füge ein: Mit der vollkommensten Hochachtung bin ich jederzeit Brief-Nr.: 789, 1797,10,13, an: Fichte Bemerkungen: Warda verlegt anhand mehrerer im Text vorkommender Umstände das Datum der AA-Kant „Dezember 1797 ?" auf den 13.0ktober 1797 und führt dazu aus: „Dem kann es nicht entgegenstehen, daß alsdann nach der Akademie-Ausgabe mindestens fünf Briefe Kants auf dieses Datum fallen. Dieselben sind sicher nicht alle an diesem Tage geschrieben, wohl aber bei Absendung an diesem Tage übereinstimmend datiert. Wie sich aus Kants Briefen an Tieftrunk vom 13. und 17.Oktober 1797 ergibt, hatte er entweder dem Briefe an Tieftrunk oder dem an Biester mehrere Briefe beigelegt, die zum Teil über die Grenzen der preußischen Posten hinausgingen. Dieses Verfahren, welches in jener Zeit vielfach von den Korrespondenten geübt wurde, finden wir bei Kant auch sonst; [...]."' Im Herbst 1797 war Fichte im nichtpreußischen Jena ansässig und die »J. G. Fichte - Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften« benutzt in der Anmerkung zu eben dem in Rede stehenden Brief von Kant an Fichte einen undatierten Brief von Friedrich Schlegel, der sich zu der Zeit noch in Berlin - also in der Nachbarschaft von Biester - aufhielt, an seinen Bruder August Wilhelm von Ende 1797. Darin heißt es: „Wenn Ihr mit guter Manier erfahren könnt, was Kant gegen Fichte, dem er neulich durch Biester einen Brief geschickt, geäußert, so würde mich das sehr interessieren." 2 Wardas Vermutung wird dadurch bestimmt und bestätigt. Der Kantsche Brief an Fichte wird auf den 13. Oktober 1797 zu datieren sein. Brief-Nr.: 790, 1797,12,11, an: Tieftrunk / Marbach/N. (Schiller-Nationalmuseum) Korrekturtext: XII 222 18: unter sich lies überhaupt XII 223 22: extensive Größe aber lies extensive Größe oder XII 224 01 : unmittelbar als lies unmittelbar als XII 224 28: empirischen Begriffs unter lies „empirischen Begriffs (dergleichen des Zusammengesetzten [der] Vorstellungen des inneren Sinnes ist) unter eine Categorie subsumirt, darunter etwas dem Inhalte nach heterogenes. welches [¿¿] der Logik zuwieder ist, wenn es unmittelbar geschähe; dagegen aber doch möglich ist, wenn ein empirischer Begriff unter" Brief-Nr.: 810, 1798,07,01, an: Lichtenberg / Marbach/N. (Schiller-Nationalmuseum) Korrekturtext: XII 247 03: Candidaten lies Candidat XII 247 05: theils in lies theils ihn in
1 2
Warda 1904b, 132. J. G. Fichte - Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, III, 3, S.101.
Briefwechsel
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Brief-Nr.: 834, 1799,01,24, an: Scheffner / Moskau, Russische SB (Leninbibliothek) Korrekturtext: XII275 26: schikanierende lies schikanirende XII 275 31 : wird, lies werde. Briefe Nr. 896α, 896ß, 896γ / Fundort: nicht überprüft. Korrekturtext: XXIII 499-500: Viele orthographische Kleinigkeiten, öfters Verwechslung von Antiqua und Fraktur. Bemerkungen: Anhand der Reproduktionen in Kowalewski 1936 und des Briefes von Wasianski an von Schoen (20.Februar 1807) in Lehmann 1980, 207-209 komme ich (gegen Kowalewski 1936, 172 und Lehmann in AA-Kant XXIII 533) zu dem Schluß, daß der Schreiber des Briefes vom 4. November 1802 mit Wasianski zu identifizieren ist. Nicht von ihm geschrieben scheint der Brief vom 15. Dezember 1802: Während Wasianski beim deutschen End-s den Schlußbogen stets mit der Schreibrichtung zieht, wird dabei im zweiten Brief die Feder gelegentlich rückwärts gewendet.
3) Weitere Brieftexte Es folgen in chronologischer Reihe sechzehn Brieftexte, die in dem Malterschen 1 Verzeichnis von 1988 nicht aufgeführt bzw. deren Texte nicht abgedruckt sind. Dabei wird hier verzichtet auf eine Neuzuordnung von Nummern, die dem Verfahren der AA-Kant entsprechen würden. Hingewiesen sei hier auch auf die in der AA-Kant nicht enthaltene Quittung: „Hochedlen Gebohrnen und Hochzuehrenden Herren Profeser Kandt / Habe die Ehre ein Halb Jahr Derro Parucke zu akomodiren Von Decenber 1769. biß d. 1 Juni 1770: davohr 6 fl. richtig erhalten Voueber ich Gehorsamst quetire / M. L. Riebendahlin." auf dem Losen Blatt E 70 (Reicke II, 239). Es dürfte dies die erste gewesen sein, die an den „Professor" gerichtet wurde. 1. 1786,04,30, an: Becker / Amsterdam UB, Sign. Died 75 Aj 1-2 [Adreßseite] An Herren R. Z. Becker Verfasser der Deutschen Zeitung in frev Halle Gotha [Textseite] Koenigsberg %den 30ten Apr. 1786 Ihre Zuschrift, würdiger Mann, vom 2ten April ist mir d. 28sten Abends durch HEn Toussaint abgegeben worden, welches auch wohl nicht anders seyn konnte; weil sie mit der fahrenden Post gekommen war. Hiedurch fällt die Möglichkeit weg, meine Annahme der Beurtheilung der Preisschriften noch vor der Ostennesse in der Zeitung bekannt zu machen. Was aber die Ehre des Richteramts selbst betrift, die Sie mir zugedacht hatten, so würde ich zu einer anderen Zeit solche vielleicht angenommen haben. In diesem Sommerhalbenjahre aber, da [ich] mich das Rectorat unserer Vniversitaet zum erstenmale trift, mit welchem fast unaufhörliche Zerstreuungen verbunden sind, [wo]da ich, 1
Vgl. Malter 1988a. Malter kennt meine Ziffer 5.
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Teil IV
ausser m e i n e n g e w ö h n l i c h e n Vorlesungen, n o c h mit einer w e i t l ä u f t i g e n literärischen Arbeit, die keinen A u f s c h u b leidet, belästigt bin und über dies es nicht wohl ablehnen kan, einen oder andern Beytrag zu einer bekannten periodischen Schrift zu liefern, ist es m i r w a h r e U n m ö g l i c h k e i t , d e m Verlangen eines von mir sonst h o c h g e s c h ä t z t e n , z u m allgemeinen M e n s c h e n b e s t e n so w i r k s a m e n , und durch seine mir persönlich bekannt gewordene Eigenschaften geliebten M a n n e s in diesem Falle zu willfahren. [Seite 2] Sie w e r d e n also diese m e i n e u n g e r n g e s c h e h e n d e Verweigerung nicht übel a u f n e h m e n ; vielleicht bietet sich eine andere Gelegenheit dar, Ihnen m e i n e Bereitwilligkeit bezeigen zu k ö n n e n , eine solche, die auch m e i n e r N e i g u n g und D e n k u n g s a r t angemessener ist, als die gegenwärtige. D e n n ich m u ß gestehen, daß es mir sehr arrogant zu seyn scheine, sich n a h m e n t l i c h (nicht etwa [zu einem] von den wettschreitenden Partheyen selbst gewählten, sondern durch das Zutrauen eines Dritten auserkohrenen) Richter der literärischen Arbeiten anderer öffentlich aufstellen zu lassen; H E Prof. N. N. würde diese Ehre ohne Bedenken annehmen. Ich bitte b e y l i e g e n d e n Brief d o c h alsbald auf die Post zu g e b e n und bin mit vollk o m m e n e r Hochachtung Ihr ergebenster Freund und Diener / Kant. Erläuterung: Der Brief gehört zur Sammlung von Pieter Arnold Diederichs (1804-1874), die seit 1896 im Besitz der Universitätsbibliothek ist. 1 Mit dem Adressaten dieses Briefs wird eine weitere Sphäre der Wirksamkeit Kants sichtbar. Rudolf Zacharias Becker (1759-1822) ist im bisher gültigen Korpus 2 der im Kantischen Werk genannten Personen nicht verzeichnet, obwohl Kant selbst auf ihn an prominenter Stelle eines im Novemberheft von 1784 der »Berlinischen Monatsschrift« erschienenen Aufsatzes hingewiesen hat. Zum Titel von seiner »Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht« merkt Kant in einer ungewöhnlichen Fußnote an: „Eine Stelle unter den kurzen Anzeigen des zwölften Stücks der Gothaischen Gel. Zeit. d. J., die ohne Zweifel aus meiner Unterredung mit einem durchreisenden Gelehrten genommen worden, nöthigt mir diese Erläuterung ab, ohne die jene keinen begreiflichen Sinn haben würde." 3 Am 11. Februar 1784 hatten die »Gothaischen Gelehrten Zeitungen« unter anderem eine „Lieblingsidee des Hrn. Prof. Kant" aus Königsberg bekannt gemacht: „dass der Endzweck des Menschengeschlechts die Erreichung der vollkommensten Staatsverfassung sei, und er wünscht, dass ein philosophischer Geschichtschreiber es unternehmen möchte, uns in dieser Rücksicht eine Geschichte der Menschheit zu liefern, und zu zeigen, wie weit die Menschheit in den verschiedenen Zeiten diesem Endzweck sich genähert, oder von demselben entfernt habe, und was zu Erreichung desselben noch zu thun sei." 4 1
Frau Dr. Ruth Haag ( U B Amsterdam) möchte ich für Übermittlung einer Xerokopie d e s Briefs s o w i e der eben mitgeteilten Informationen zur Provenienz an dieser Stelle danken.
2
V g l . A l l g e m e i n e r Kant-Index. Personen-Index 2. Stufe. A u c h in Malter 1990 ist nicht die R e d e v o n einer Beziehung zwischen R. Z. Becker und Kant.
3
Zitiert nach AA-Kant VIII 15.
4
Zitiert nach AA-Kant VIII 468. Im Original abweichende Orthographie S. 95. Die Meldung beginnt mit den Worten „ V e r m ö g e einer Nachricht, die wir aus d e m M u n d e eines glaubwürdigen M a n n e s erhalten haben, [...]" und enthält zu Beginn die Information über die Anfertigung einer populären Fassung der »Kritik der reinen Vernunft« durch Johann Schulze [d.i. Johann Schultz],
Briefwechsel
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Die Anspielung auf Becker wird sicher von einigen Zeitgenossen entschlüsselt worden sein, wie sich aus den gleich noch folgenden Einzelheiten ergibt. Becker wurde allgemein bekannt 1 durch seine 1780 von der Berliner Akademie 2 gekrönte und publizierte Preisschrift zu der 1778 gestellten Frage: „Ist es dem gemeinen Haufen der Menschen niizlich, getäuscht zu werden, indem man ihn entweder zu neuen Irrthümern verleitet, oder bey den gewöhnten Irrthümern ihn erhält?" 3 Auch Kant dürfte so erstmals ein Interesse an ihm genommen haben, denn in der zur Edition anstehenden anonymen Leningrader Nachschrift eines Anthropologie-Kollegs heißt es dazu S. 23.: „Die Akademie der Wißenschaften theilte die Preiße so aus; daß der die eine Hälfte bekahm, welcher behauptete es sey beßer die Irrthümer unangetastet zu laßen, der das Gegentheil behauptete, daß man alle Irrthümer ausrotten müste ([...]), bekam die andere Hälfte." 4 Das Datum der Vorlesung auf die dieser Text zurückgeht, ist noch nicht definitiv bestimmt, doch ist mit der zitierten Äußerung über die Preisschriften ein verläßlicher Terminus a quo gegeben. Die »Göttingischen gelehrten Anzeigen, Zugabe« meldeten unter dem Datum des 18.August 1781 in einer vergleichsweise umfänglichen Besprechung: „Die Akademie hat von jeder Parthey einer die Hälfte des Preisses zuerkannt; und 6 von der bejahenden, 3 von der verneinenden Meynung haben das Accessit erhalten. Wir haben die beyden Preißschriften und 3 von denen, die das Accessit auf der bejahenden Parthey erhielten, zur Anzeige vor uns." (S. 513) Die Aktualität der GGA unterstellt, muß angenommen werden: Kant konnte frühestens im Anthropologie-Kolleg des Winters 1781/82 auf die publizierten Antworten 5 eingehen. Vor diesem Hintergrund erhält der freundschaftliche Ton des Briefes von Kant an Becker und die „abgenötigte" Publikation der »Idee« vom November 1783 eine besondere Note. - Zu den im Text vorkommenden Einzelheiten: Deutsche Zeitung] Deutsche Zeitung für die Jugend und ihre Freunde, oder moralische Schilderungen der Menschen, Sitten und Staaten unserer Zeit, Gotha 1784-1787. Toussaint] Vermutlich Frédéric Toussaint, der einzige Sohn des 1775 gestorbenen Königsberger Kaufmanns; vgl. Gause 1959. fahrende Post] Mit der reitenden Post wäre die Strecke von Gotha nach Königsberg in ca. 8 Tagen zu bewältigen gewesen. Ostern fiel 1786 auf den 16. April. Preisschriften] Nicht ermittelt. Rectorat] Vgl. S. 224-226 dieses Bandes. literärische Arbeit] Die zweite Auflage der »Kritik der reinen Vernunft«; vgl. die Einleitung von Benno Erdmann in AA-Kant III 555-8. periodische Schrift] Die »Berlinische Monatsschrift« oder die Hallesche »Allgemeine Literatur-Zeitung«. 1 2
3 4
5
Vgl. Burbach 1895. Die zugrundeliegende Frage „Est-il utile pour le peuple d'être trompé" ist auf Geheiß Friedrichs II von der Berliner Akademie für 1779 gestellt worden. Ihre eminent politische Bedeutung ist an der Vor- und Rezeptionsgeschichte abzulesen, vgl. dazu Krauss 1966, Mittenzwei 1983, 183-185; Buschmann 1989, 220-223. So die deutsche Formulierung der offiziell Französisch abgefaßten Frage in der gleich noch zu erwähnenden Besprechung der GGA. Vgl. die dazu parallele Anspielung im Text der »Menschenkunde« von 1838, 35f. bzw. 224-225 (Kant 1831). Das Titelblatt der Preisschrift der mir vorliegenden ersten deutschen Ausgabe lautet »Beantwortung der Frage: Kann irgend eine Art von Täuschung dem Volke zuträglich sein, sie bestehe nun darinn, daß man es zu neuen Irrthümern verleitet, oder die alten eingewurzelten fortdauern läßt? [...] Teutsche, verbesserte und mit einem Anhange vermehrte Ausgabe.« (Leipzig: Crusius 1781) Zu früheren Aussagen im Logik-Kolleg, die sich nur auf die Fragestellung und nicht auf die Antworten ziehen, vgl. Stark 1987a, 153f. Anm. 65-67.
be-
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persönlich bekannt geworden] Becker und Kant haben sich im November 1783 vermutlich bei Theodor Gottlieb von Hippel (1741-1796) während des kurzen Besuchs von Becker in Königsberg kennengelernt. Dies geht zunächst hervor aus Hamanns Brief an Johann Friedrich Reichardt (1752-1814) vom 16.November 1783, sodann aus Hamanns Brief an Herder vom 2.May 1784, worin in offensichtlichem Bezug auf die oben wiedergegebene Notiz der »Gothaischen Gelehrten Zeitung« vom 11. Februar 1784 zu lesen ist: „Der Artikel in den Gothaischen Zeitungen ist vermuthl. durch den Prof. Becker aus Kanters [sie!]1 Munde oder Tischreden bey unserem Kr. R Hippel öffentl. geworden." (Hamann Briefwechsel, V 147; vgl. ebenda S. 131). Auf anscheinend dasselbe Zusammentreffen zielt die folgende Stelle eines Briefs von Becker an Hippel vom Juni 1784: „Die Erinnerung an den Tag, den ich in Ihrem Bauer[n]hause zugebracht habe, ist jetzt eine meiner liebsten Tröstungen, wenn es die Menschen nicht so mit mir machen, wie es seyn sollte. Die Auswahl von Männern, die ich da sah und hörte, und der innige Ton des seelenvollen Gesprächs, unter dem der Tag wie eine Stunde vorüberging, sind mir unvergeßlich." (Zitiert nach Hippel 1977, 359 [= Schlichtegroll's »Nekrolog« 1801, 295]) Auch Hippel wußte im Juli 1784 um Kants „Lieblingsidee", wie aus seiner Antwort an Becker hervorgeht: „Noch ist nicht erschienen, was der Mensch seyn könnte und sollte, [...]." (Ebenda, S. 360). Prof. N.N.] Nach Auskunft der UB-Amsterdam vom 4.Juli 1990 ist auch im Original die in der Kopie gut erkennbare Radierung eines unter ,,N. N." geschriebenen Namens nicht zu entziffern. beyliegenden Brief] Ein weiterer Brief Kants mit dem Datum des 30. April 1786 ist mir nicht bekannt. 2. 1786,07,16, an: unbekannt Auf Ew. Wohlgeb. Zuschrift die ergebene Erwiderung, daß ich nach 4 Uhr nicht abgehalten, Ihren Besuch anzunehmen. Ew. Wohlgeb. ganz ergebenster [...] Erläuterung: Text nach Tenner ΚΑΤ 116/1, Nr. 283. 3. 1791,10,25, an: Friedrich Nicolovius An den Buchhändler Nicolovius in Königsberg, dessen Bruder er wünscht, „nach einer glücklich zurückgelegten Reise dereinst gesund und fröhlich hier empfangen zu könn e n " , während dessen Abwesenheit möchte er aber von Zeit zu Zeit einige, vornehmlich die Wissenschaften angehende Nachrichten von ihm erhalten. Erläuterung: Text nach ZKA (Henrici 110); Bei dem angesprochenen Bruder handelt es sich vermutlich um Georg Heinrich Ludwig Nicolovius, der am 3. Januar 1791 von Pillau zu Graf Stolberg abreiste, um mit ihm nächsten zwei Jahre als Hofmeister zu verbringen. Zunächst begleitete er den Grafen auf seiner Bildungsreise durch die Schweiz, Italien und Österreich, die von Juli 1791 bis Ende 1792 dauerte. Danach veröffentlichte Stolberg 1794 im Königsberger Verlag von Friedrich Nicolovius seine »Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sicilien in den Jahren 1791 und 1792«.2 1 2
Es handelt sich vermutlich um eine Fehllesung, „Kantens" scheint richtiger. - Diese Einschätzung teilt Prof. Arthur Henkel in einem Schreiben vom 13. März 1992. Vgl. Fischer 1939, 57ff.; Nicolovius 1841, 23ff.
Briefwechsel
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4. 1795,??,??, an: Lichtenberg [?] Kein Text überliefert, nur die Unterschrift „Ihr gantz ergebener Freund und Diener I Kant" Erläuterung: Stargardt ΚΑΤ 605: „Das unvollständige Datum 'Königsberg 1795' ist von alter Hand am Rande des Streifens notiert. Ein Brief Kants aus dem Jahre 1795, der zu der Unterschrift paßt, konnte in der Akademie-Ausgabe von Kants Werken nicht festgestellt werden. Auf der Rückseite die Endbuchstaben des Empfängernamens 'enberg' von Kants Hand. Demnach könnte der Brief an Georg Christoph Lichtenberg gerichtet gewesen sein, mit dem Kant in losem Briefwechsel stand; aus dem Jahre 1795 sind allerdings keine Briefe bekannt." 5. 1797,03,10, an: Michael Friedländer / Prof. Dr. Wiedemann/Kiel [Adreßseite] Des Herren Doctor Friedlaender Wohlgeb. [Textseite:] Zu meiner Bitte, in dem Ihnen ergebenst zugestellten Pro memoria, habe ich, ausser dem Wunsch einer glücklichen Reise, nichts weiter hinzu zu setzen, als: daß Sie die Güte haben wollen, mir durch den ersten Brief, den Sie nach Ihrer Ankunft in Berlin hierwärts abgehen lassen, nur wissen zu lassen, ob mein Stück f ü r die Beri. M. S. noch zur rechten Zeit bey Herrn D. Biester angelangt sey: wobey ich mit aller Hochachtung und Bereitwilligkeit zu Gegendiensten bin Ihr ergebenster I Kant. Königsb. den 10. Märtz 1797 Druck non AA-Kant: Tenner ΚΑΤ 116,1. Tafel. X: Faksimile. Wiedemann 1984, 186-187. Erläuterung: Mit diesem Stück ist erstmals eine Korrespondenz Kants mit seinem Schüler Michael Friedländer (1769-1824) belegt. Im Tennerschen Katalog ist zwar nur ein „Dr. Friedländer" als Adressat angegeben, doch lehrt ein Vergleich mit den Briefen Nr. 744, 745 und 746 rasch, daß nur Michael Friedländer als Korrespondenzpartner in Frage kommen kann. Friedländer war am 15.Oktober 1782 in Königsberg mit dem ungewöhnlichen Eintrag „elegantiorum litterarum. cult." eingeschrieben worden. Er hat in der Folge - vermutlich unter Anleitung von Isaac Abraham Euchel (1758-1804) - auch bei Kant Vorlesungen besucht, ehe er in Göttingen und Halle Medizin studierte, wo er am 17. März 1791 zum „Dr. med." promoviert wurde. 1 Offensichtlich hat sich Friedländer den Winter 1796/97 bei seinen Verwandten in Königsberg aufgehalten, wohin er laut Ankündigung von Kiesewetter am 24. September 1796 aus Berlin abgereist ist,2 ehe er mit dem Schreiben Kants nach Berlin zurückkehrte. Welchem Zweck das erwähnte „pro memoria" diente, ist ungewiß. Bei dem genannten „Stück für die Berlinische] Mfonatsschrift]" kann es sich - Anfang März - nicht, wie Tenner angab, um Kants Erklärung ad Schlettwein (vom 29. Mai 1797) handeln, 3 denn die verursachende Erklärung von Schlettwein datiert vom 11. Mai 1797. Vielmehr wird Kants Sorge seiner »Verkündigung des nahen Abschlusses eines Tractats zum ewigen Frieden in der Philosophie« gegolten haben. Diese ist zwar im Dezemberheft des Jahrgangs 1796 der Berlinischen Monatsschrift erschienen, das jedoch erst im Juli 1797 veröffentlicht wurde.4 1
V g l . außer Band XIII der A A - K a n t seinen Namensartikel in der Altpreuß. Biographie, ferner Ernst Friedlaender 1913 und den 2. Band von Carl Robert Lessings »Bücher- und Handschriftensammlung« (1915, 55).
2
AA-Kant X I I 9 4 , 19.
3
Vgl. AA-Kant XII 3 6 7 - 3 6 8 und XIII 542.
4
Vgl. AA-Kant VIII 515.
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Teil IV
6. 1798,08,08, an: Hartknoch / StdA Leipzig, II. Sektion V 284, fol. 23 (Abschrift) 232 rthlr. schreibe zweyhundert und zwey und dreißig Thaler, als das honorar für die vierte Auflage meiner Critik der reinen Vernunft, sind mir in dato, auf ordre des Hn Hartknoch, von den Herren Toussaint & Co. ausgezahlt worden, worüber qvittire. Königsberg %den 8. Aug. 1798 IKant Erläuterung: Vgl. Jünemann 1909, 25-53. 7. 1799,05,06, Briefnr. (AA-Kant): 000 an: Schimmelpfennig'sches Stipendium 10. rtl. schreibe Zehn Thaler, als Decan der philosophischen Facultät, des Sommersemestris 1798, aus dem Schimmelpfennigschen Stipendio habe ich erhalten. Konigsb. d. 6ten May 1799 I Kant Druck non AA-Kant: Hauswedell & Nolte (Hamburg 1968) ΚΑΤ 158, Nr. 1782 8. 1799,11,02, an: Hartknoch / StdA Leipzig, II. Sektion V 284, fol. 23' (Abschrift) 138 fl. Pr. cour: Ein hundert A[e]cht und Dreißig Gulden als Honorar der dritten Auflage der Anfangsgründe der Naturwissenschaft unter dem heutigen dato für Rechnung des Joh. Friedr. Hartknoch in Riga durch den Buchhändler Friedrich Nicolovius in Königsberg erhalten zu haben bescheinige ich hiermit I Kant %den 2ten Nov. 1799 Erläuterung: Vgl. hier zu Nr. 15. 9. 1799,11,09, an: Licentcollegium in Königsberg Königsberg den 9ten Nov. 1799. Morgens früh. E. Königl. Licentcollegio zeige hiemit ergebenst an: daß gestern Abends nach 8 Uhr angeblich Schiffer Brumm aus Stettin an mich etwas abzuliefern habe; erbitte mir diese Ablieferung und bin mit schuldiger Hochachtung E. Königl. Licentcollegii ergebenster Diener I Kant Professor. [Rückseite zu eigenhändigen Notizen benutzt: „Die Notizen zu verschiedenen Dingen. Von Campe, von verschiedenen Büchern, vom 'categorischen Imperativ', über die organischen Körper sowie Alltägl. u. Organisatorisches, u. a. daß der Bediente des Herrn Bahn das Testament zur Besorgung erhalten soll, 2 Mark weisen Wein (Unterstreichung auch im Orig.)."] Erläuterung·. Text und die eckig umklammerte Beschreibung nach Granier ΚΑΤ 1986.
Briefwechsel
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10. 1799,??,??, an: de Bosch / Leiden, UB (Ltk 1878) Me carmen Hieronymi de Bosch de Ethica Philosophiae criticae non sine summa voluptate legisse testor. Immanuel Kant. Erläuterung: Abdruck in de Vries 1903, 427-8; zur Sache vgl. den Brief Nr. 840 (vom 6.Juli 1799) der AA-Kant und Adickes 1920, 140. 11. 1800,04,12, an: Carl Gottfried Hagen / Cambridge/Mass. Houghton Library [Adreßseite] Des Herren D. und Professor Hagen Wohlgeb. [Textseite] Ew: Wohlgeb sage für die mir bereitete Getränke aus Ihrer Officin, die ich bis jetzt noch heilsam befunden habe, den ergebensten Danck; doch mit der Bedingung, die für deren Zurichtung gebührende Kosten, wie überall es die Schuldigkeit mit sich bringt, entrichten zu dürfen. Könnte ich bald die Nachricht vom Gelingen des Taurinischen Versuchs erfahren: so würde es mir große Freude machen. Mit unwandelbarer Liebe und Hochachtung bin ich jederzeit Ew: Wohlgeb ganz ergebenster treuer Diener / Kant Königsb. den 12ten April 1800 Erläuterung: Nur die Unterschrift ist eigenhändig, der Text von Wasianski geschrieben. Zum Taurinischen Versuch vgl. den Brief Nr. 856 (vom 2. April 1800) der AA-Kant. Um welche Getränke es sich gehandelt hat? Man darf vermuten, daß es Arzneien aus der Apotheke - der Officin - waren. Die Veröffentlichung erfolgt hier mit freundlicher Genehmigung der Houghton Library, Harvard University. 12. 1800,07,02, an: Robert Motherby „Bitte an seinen alten Freund, den am lten July 1800 fälligen, den lsten July 1799 auf 8537 fl 22 gr. preuß. Courant gestellten Wechsel zur renovation präsentieren zu dürfen. 'Denn ausser einem auf 786 fl. an mich p. 12. April 1800 ausgestellten Schein ist noch vieles an Consumtibilien etc. was ich meinerseits abzurechnen schuldig geblieben bin, um zum Abschlüsse zu gelangen; und mein Kopf ist bey der gegenwärtigen Luftbeschaffenheit zu nichts weniger als dem Rechnen fähig ...'" Erläuterung: Textfragment und Beschreibung nach Brandes ΚΑΤ 22 (1955), Nr. 2731, zum Inhalt vgl. hier Nr. 15. 13. 1801,11,20, [frühere Fassung] / New York, Pierpont Morgan Library [Seite 1 : rechte Hälfte: quer] Dies ist ein Nachtrag / zu meinem Testament
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Teil IV
[Seite 2] A Ich v e r m a c h e den z w a n z i g s t e n Theil m e i n e s V e r m ö g e n s an den Herren Diaconus Wasianski und m e i n e Köchin, w e n n sie noch in m e i n e m Dienst ist, dergestalt! daß j e ner sogleich nach m e i n e m Tode Fünfhundert Thaler, diese, bey der exdivision den Rest davon erblich erhalte. Β Sollte (wie ich m i c h jetzt nicht mit Gewißheit erinnere) in m e i n e m Testamente kein curator funeris und exsecutor testamenti namentlich bestirnt seyn, so wünsche ich, daß Herr Diaconus Wasianski diese G e s c h ä f t e ü b e r n e h m e ! im Fall aber einer dort benannt ist, er, da er allein von m e i n e r ganzen Lage unterrichtet ist mit j e n e m gemeinschaftliche Sache mache. Dieses ist m e i n letzter wohlbedächtiger gantz freyer Wille, von mir eigenhändig geschrieben Königsberg den 20 N o v e m b . 1801 Immanuel Kant [rechts neben D a t u m und Unterschrift: Siegel; Seite 3:] D a ich auf den H e r r e n Diaconus Wasianski d e m ich in m e i n e m L e b e n alles allein anvertraut habe, mein volles Zutrauen setze, so sollen meine Erben sich seine gesammte Verfügungungen gefallen lassen. Immanuel Kant. Erläuterung: Vgl. AA-Kant XII 386 & XIII und Wasianski 1980, 254 14. 1801,04,06, Briefnr. (AA-Kant): 000 an: Rink „Dienstag d. 16. März Brief nach D a n z i g und H n Prof und dortigen H a u p t p r e d i g e r Rink und das f a l s c h e Gerücht wegen vorgeblichen anderweitigen Bearbeitungen meiner physischen Geographie zu wiederlegen welche sicher zu Ostern erscheinen wird Dienstag d. 6. April Diac. Wasianski Brief nach Danzig und den dortigen Hn Prof. und Hauptpastor Rink wegen meiner physischen G e o g r a p h i e " Erläuterung: NL-Adickes 3/23: Abschrift aus Konvolut L 59. Zur Sache vgl. Adickes 191 lb, 11-32; zu anderen Stücken des Konvolutes L der Königsberger StUB vgl. hier S. 293. 15.
1802,07,01, an: Joseph Motherby / Genève, Bibliothèque publique et universitaire; D. O. autogr. 645 %Gulden schreibe Sechshundert und Fünf und Vierzig Gulden halbjährige Intereßen zu 6. p.c. von e i n e m Capital von 21 500 % G u l d e n , sind mir von des Negotianten Herrn Joseph Motherby H o c h E d e l g e b o r e n f ü r das halbe Jahr, v o m 1. Januarii bis 1 Julii des Jahres 1802 richtig und baar ausgezahlet worden; w o r ü b e r mit e i g e n h ä n d i g e r U n t e r s c h r i f t dankbar quittire. Königsberg den 1 .Julii 1802. Immanuel Kant.'
Briefwechsel
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Erläuterung: Der Text ist von Wasianski geschrieben, nur die Unterschrift von Kants Hand. Die scheinbar bedeutungslose Quittung ist ein zusätzliches Indiz für die noch nicht befriedigend geleistete Aufklärung über die Entstehung des beachtlichen Vermögens, das Kant seinen Erben hinterlassen hat.1 Interessant ist diese in biographischer Absicht und aus sozialgeschichtlicher Perspektive. Denn die verbreitete Meinung, Kant habe seinen - relativen - Reichtum bloß der eigenen Sparsamkeit zu verdanken, nimmt darauf keine Rücksicht. 16. 1803,12,20, an: [Königsberg, Lesegewang'sches Stift] Actum Königsberg den [!]ten Decbr 1803 bey der ν Lesgewangschtn privilegirten Stifts Jurisdiktion Vor der hiesigen privilegirten von Lesgewangschen Stifts Jurisdiktion erschien heute, der dem Endesunterschriebenen Justitiarius von Person sehr wohlbekannte, und völlig Dispositionsfähige Herr Professor Immanuel Kant und genehmigte nicht allein seine von ihm auf den Diakonus bey der hiesigen Tragheimschen Kirche Herrn Ehregott Andreas Christoph Wasiansky ausgestellte General Vollmacht nachdem ihm solche langsam und deutlich vorgelesen worden, durchgängig; sondern derselbe unterzeichnete solche auch zum Zeichen seiner völligen Genehmigung in Gegenwart des Endesunterschriebenen Justitiarius mit seiner ganzen Namens Unterschrift, und hielt solche nunmehr für völlig vollzogen, zu dem Ende er denn auch dieses in seiner Gegenwart über diese Verhandlung aufgenommene ihnen ebenfalls langsam und deutlich vorgelesene Recognitions Protokoll in nachstehender Art eigenhändig unterschrieb, und auf den Grund desselben, auf An- und Ausfertigung des erforderlichen Recognitions Attests hinter der von ihm jezt in in [!] der Urkunde produzirten auf den Herrn Diaconus Wasiansky ausgestellten General Vollmacht antrug Radke. Justitiarius. I Kant Druck non AA-Kant: Warda 1919a Erläuterung·. Wasianski 1980, 292: „Im Dezember 1803 konnte er kaum seinen Namen mehr schreiben. [...] Schon am Ende des Novembers sah ich dieses sein Schicksal schleunig auf ihn 1
Vgl. dazu Jtinemann 1909, Warda 1901, 399ff. und Lippmann 1929. Um die Bedeutung der Quittung vom 1. Juli 1802 bewerten zu können, verweise ich hier nur auf zwei Ziffern. Im amtlichen „Nachlaßinventariu m " (Rahden 1901, 84) sind unter Tit. II die „Activis und ausstehenden Forderungen" aufgelistet, darin: „1. Aus einer am lten Januar 1802 von dem hiesigen HandlungsHause Green Motherby, und De Drusinna, an den Erblasser auf 12 Monathe zu 6 procent jährlicher Zinsen ausgestellten und bis zum lten Januar 1805 prolongirten Wechsel an Kapital 21 500 Fl. [= Gulden] oder 7166,60 [Reichsthaler]". Denselben Betrag nennt Wasianski in seiner Aufstellung für die Erben in einem Brief vom 17. Februar 1804 (Lehmann 1980, 194): „Ein Wechsel vom Handlungshause Green Motherby et de D r u s i n n a " von 21 500 Gulden. Und in einem Rundschreiben an die Erbengemeinschaft, vom 27.April 1804, führt er dazu aus: „Nehmen Sie es als einen Beweis meiner guten Administration seines Vermögens an: daß in den letzten Sechs Jahren sein baares Geld, bey vermehrten Ausgaben und verminderten Einkünften um ein Fünftheil vermehrt worden, [...]" (Lehmann 1980, 200). - Man wird also vermuten müssen, daß die Höhe, wenn nicht gar die Konstitution des Vermögens vor dem Hintergrund von Kants engen persönlichen Beziehungen zu dem genannten Königsberger Handlungshaus zu sehen ist. Vgl. zu letzterem Gause 1959.
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zueilen. Ich schrieb daher die Quittungen für seine um Neujahr fallenden Zinsen schon um diese Zeit und er zeichnete seinen Namen noch recht sauber unter dieselben. Bei spätem Unterschriften war sein Name so unleserlich geschrieben, daß ich Mónita über die Echtheit seiner Hand von höhern Behörden befürchten mußte. Er entschloß sich, mir eine Generalvollmacht ausfertigen zu lassen. Die Unterschrift unter diesem Protokoll ist der letzte Federstrich, den Kants Hand gemacht hat." Warda 1919a zitiert eben diese Stelle und sagt dann: „Dieses Protokoll ist erhalten in: 'Acta der ν Lesgewangschen Stifts Jurisdiktion Die Protokolle von denen im Jahre 1803 bey der hiesigen Jurisdiktion vorgekommenden Rekognitionen betr.' Es ist von Schreiberhand geschrieben und von dem Justitiar nur unterschrieben, das Tagesdatum ist unausgefüllt geblieben, und auch die Stelle der Vornamen Wasianskis ist ursprünglich nicht ausgefüllt gewesen. Aus dem Inhaltsverzeichnis des Aktenstücks ergiebt sich, daß das Protokoll am 20 December 1803 aufgenommen ist. Es wird hier seinem Wortlaut nach nebst dem Facsimile von Kants letzter Namensunterschrift wiedergegeben: [...]"
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Β. Aus dem Nachlaß 1) Reflexionen Loses Blatt Leipzig 2 Paradoxerweise gehört das bislang nicht edierte Blättchen (ca. 20,5 x 10 cm) 1 zu den bekanntesten Autographen Kants. Karl Rosenkranz und Friedrich Wilhelm Schubert haben der von ihnen herausgegebenen Königsberger Werkausgabe Kantischer Schriften 2 zwei Tafeln beigegeben: die erste zeigt einen Stich nach einem Porträt des Philosophen, darunter sieht man zwei Faksimiles von Autographen Kants. Das 'Lose Blatt Leipzig 2' ist zweifellos als die Vorlage der Reproduktion anzusehen, denn es zeigt die auf der Tafel beigesetzten Jahreszahlen und auf einem aufgeklebten Zettel liest man: „Die Handschrift ist von 1793 . Name 1791 d. 23./3. 44 Leopold Voss" Im Leipziger Verlag von Leopold Voss (1793-1868) ist die, von Rosenkranz und Schubert besorgte, 12 Bände umfassende Werkausgabe in den Jahren 1838-1842 erschienen. Man wird also annehmen dürfen, daß Schubert, durch dessen Hände ein Teil der aus dem 1836 aufgelösten Archiv des Königsberger Verlages von Friedrich Nicolovius 3 ans Licht gekommenen Kant-Autographen gegangen ist, dem Verleger das nun Leipziger Blatt geschenkt hat. In die UB Leipzig gelangte das Blatt in den Jahren 1871/72 als sie die Autographensammlung des Rittergutsbesitzers Rudolf Benno von Roemer (1803-1870) erwarb. 4 Man wird bei dieser Sachlage davon ausgehen dürfen, daß es der Akademie-Ausgabe vor 1928 bekannt war. Datierung Offenbar war es Schubert, auf den die Jahresangaben der Tafel zurückgehen. Über seine Gründe dafür erfährt man freilich nichts. In einem Abschnitt seiner Kant-Biographie bemerkt er nach einer kurzen Ausführung zum Porträt von Döbler nur: „Da ich es in Ubereinstimmung mit den noch lebenden Zeitgenossen Kant's für das treueste Bild halte, so habe ich mit geneigter Erlaubniss der Besitzerin eine Copie anfertigen lassen, die von dem wackeren hiesigen Maler Stobbe eben so geistvoll aufgefasst, als von Karl Barth trefflich gestochen, zur wahren Zierde dieser Biographie gereichen wird. Das Fac-Simile habe ich mit Absicht aus derselben Zeit genommen und die Lateinischen Schriftzüge neben den Deutschen noch besonders bemerkbar machen wollen." 5
1
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Auf einer Seite des Blattes ist in zwei Zeilen zu lesen: „Wein von St. Michel auf den azorischen Inseln / er erwärmt den Magen, ohne das Blut zu erhitzen." - Diesen Zettel hat anscheinend Kant in der Mitte gefaltet, so daß vier kleine Seiten entstanden sind. Auf der ersten Seite befindet sich der Text des 'Losen Blattes Leipzig 2' und ein kleines aufgeklebtes Zettelchen mit dem eigenhändigen Namenzug „Immanuel Kant"; auf den Seiten zwei und drei die eben zitierte Notiz von unbekannter Hand, auf der 4. Seite befinden sich drei kurze, stark verwischte, mit Bleistift geschriebene Zeilen, die ohne technische Hilfsmittel nicht zu entziffern sind. Vermutlich sind sie von Kant geschrieben. Der gleich noch zu erwähnende Zettel von Voss klebt auf Seite 2. Nach dem Titelblatt von Bd. XI/2 zu urteilen sind beide Tafeln mit diesem Band ausgeliefert worden. Im Exemplar der Marburger UB (XIV C 226 ao) ist die erste vor Band I gebunden. Die zweite befindet sich am Schluß von Bd. XII. Vgl. dazu oben S. 64ff. Herrn Dr. Debes (UB-Leipzig) danke ich auch hier für die freundlich gewährte Publikationserlaubnis und seine Auskünfte zur Provenienz des Blattes. Kant, Werke Bd. XI/2 (Leipzig 1842) S.206-7. Bei den von Schubert genannten Malern und Kupferstechern
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Der Autograph gibt keinen Anlaß, den Zeitpunkt der Niederschrift der philosophischen und den der alltäglichen Notizen weiter voneinander zu entfernen. Die letzteren enthalten drei Indizien, die zur Datierung herangezogen werden können. Die beiden ersten führen zum terminus post quem: 1) Die Matrikel läßt für den als Amanuensis bezeichneten Studenten nur eine Möglichkeit zu. Am 25. Oktober 1793 ist eingetragen: „Dittlof Theophil. Salomo. Schedliska Lycca Boruss., theol. cult." 1 Doch ist damit ausnahmsweise kein sicherer Anhalt gegeben, denn in einem der wenigen in der AA-Kant veröffentlichten amtlichen Schreiben Kants (Die Universität an das Etatsministerium, 26.Juli 1791) wird eben dieser Dittlof als einer von zwei Schulabgängern genannt, die am 13.Juli 1791 auf rechtlich strittiger Grundlage zum Militärdienst eingezogen worden sind. Der Ausgang der Intervention von Seiten der Königsberger Universität ist nicht überliefert. 2 2) Unter der Rubrik „akademische Nachrichten" meldet das »Preußische Archiv« im Januarheft seines sechsten Jahrgangs 1795 aus Königsberg, daß „die bisherigen Privatdocenten [...], M. Pörschke, M. Gensichen und M. Rinck den Charakter als Profess. Philos, extraordinär. erhalten" haben. 3 Das dritte führt leider nicht zu einem terminus ad quem, schiebt aber - bedingt - den terminus post in das Frühjahr 1796 hinaus. Unter der Annahme, daß sämtliche Briefe des Magdeburger Predigers Samuel Meilin (1755-1825) in der AA-Kant enthalten sind, 4 scheidet der früheste aus. Jedoch bieten die Inhalte sowohl des zweiten Briefs, vom 23.Mai 1796, als auch die weiteren genügend Anlaß für Kant, ihn an Gensichen und Johann Schultz (1739-1805) weiterzugeben. Auch, wenn man registriert, daß Kant einen Brief an Gensichen und Schultz gegeben hat, und damit eine Frage verbinden will, kommt man nicht weiter. Es ist sicher, daß beide im selben Haus 5 wohnen, doch ungeklärt bis wann. Mit dieser Datierung „nach dem 23.Mai 1796" erhebt sich die Frage, einer sachlichen Einordnung der religionsphilosophischen Formulierungen, denn sie können nicht als „Vorarbeit" zu einer der beiden Auflagen der »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« genommen werden, wie man zunächst wegen der Parallelität der Eingangssentenz des Blattes mit dem Beginn des ersten Teils des letzten Stücks des Buches - „Religion ist (subjectiv betrachtet) das Erkenntniß aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote." 6 - annehmen möchte. Denn die Vorrede der zweiten Auflage ist von Kant auf den 26. Januar 1794 datiert. Wenn ich recht sehe, dann bietet keine Passage der nach 1794 veröffentlichten Schriften Kants hinreichend 7 ähnliche Formulierungen, um das 'Lose Blatt Leipzig Τ als Vorarbeit
handelt es sich um Gottlieb Doeppler [auch: Doebler, Doepler], Johann Heinrich Stobbe und Karl (1787-1853); vgl. Thieme/Becker. - Die von Schubert erwähnte Kopie des Döblerschen Ölgemäldes det sich heute im »Haus Königsberg« in Duisburg. Dabei handelt es sich um eine medaillonähnliche atur. Ein später nach dem Döblerschen Original angefertiger Stich ist Bd. II der 1924 erschienenen Biographie von Karl Vorländer beigegeben. 1 2 3 4
5 6 7
Barth befinMiniKant-
Weitere Informationen über Dittlof sind derzeit im Kant-Archiv nicht vorhanden. Vgl. AA-Kant XII435-7 und die Erläuterung in Bd. XIII. PA 6/1795/116. Von den fünf bekannt gewordenen Briefe Mellins an Kant tragen der früheste (Nr. 622) bzw. späteste (Nr. 859) das Datum des 12.April 1794 bzw. 13.April 1800. Vgl. AA-Kant XIII 656. Die beiden ersten befinden sich im in Berlin erhaltenen Band Dorp. II, die drei letzten gehören zum verschollenen Konvolut Ν der Königsberger StUB. - Kant hat allem Anschein nach nie geantwortet, wie aus dem Text der Nm. 773 und 799 hervorgeht. Vgl. hier S. 30 Anm. AA-Kant VI 153. Primär einschlägig wäre der „Beschluß" der »Tugendlehre« von 1797, vgl. AA-Kant VI 486-488.
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einzustufen. Man wird es als eine isolierte Reflexion zur Moral- oder Religionsphilosophie schlagen oder eine Beziehung zum Beschluß der »Tugendlehre« herstellen müssen. [Seite 1] Religion ist Erkentnis aller Pflichten als Göttlicher Gebote Sie geht also vor [allem] dem Glauben an das Dasein Gottes vorher und die Moral führt zur Theologie in practischer Absicht ob sie zwar in theoretischer Rücksicht problematisch ist und bleibt Der Vernünftige Mensch kann den (übrigens problematischen) Begriff von Gott nicht umgehen und [d]es gehört zur Logik des Vernunftbegriffs De finibus Gottlos d. i. ohne die Gegenwart Gottes in Wirkungen auf [se] mein Pflichtgefühl [zu] in mir warzunehmen kann kein sich selbst erforschender Mensch seyn er mag Gottvergessen handeln wie er will. - Er kann zwar wieder dieses Gefühl handeln aber es ihm selbst in seiner Seele nicht absprechen. Den Brief des HEn Prediger Mellin in Magdeburg dem H E Prof. Gensichen und Hofpred. Schultz gegeben Ein Stein Butter Morgen die Ducaten zu verwechseln. Dittlof amanuensis [Seiten 2 & 3: nicht von Kants Hand]
[Seite 4: einige Zeilen stark verwischte, mir unleserliche Bleinotizen]
Loses Blatt Wien Das kleine, etwa 10 x 11 cm große Blatt ist nur einseitig und das auch nur zur Hälfte beschrieben. Es gehört seit 1930 zu den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Von dort erhielt ich dankenswerter Weise eine photographische Reproduktion und die erforderliche Publikationsgenehmigung. Das Blatt stammt aus der Sammlung des Erzherzogs Maximilian (1832-1867 in Mexiko), die sich auf dem 8 km nordwestlich von Triest gelegenen Schloß Miramar befunden hat, ehe sie nach dem Zusammenbruch der Habsburgischen Monarchie in der Folge des 1. Weltkrieges nach Wien gelangt ist. Das Kant-Blatt ist in der ersten Hälfte des 19 Jahrhunderts, wie manches andere, auch durch die Hände von Varnhagen von Ense (1785-1858) 1 gegangen und vor der Gründung des Marburger Kant-Archivs nicht weiter bekannt geworden. 2 Seinem Inhalt nach ist es zu Kants Notizzetteln für sein Anthropologie-Kolleg zu rechnen. So verwundert es nur wenig, in der von Dohna'schen Nachschrift auf eine ad marginem geschriebene Passage zu treffen, die sich eng mit der letzten Zeile des Autographen berührt: „Gewöhnlich sind 10 000 Engländer außerhalb Landes auf Reisen. 1777 waren allein zu Paris 3000." 3 Es gelang mir leider noch nicht, die Quelle dieses offensichtlichen Zitats zu ermitteln. Auffällig sind vor allem die französischen Sprachelemente, die an einen nicht deutschsprachigen Titel denken lassen. Wegen der Benutzung der Notizen im Kolleg, das von Dohna besucht hat, möchte ich annehmen, daß der Titel in der zweiten Hälfte der 1780er Jahre erschienen oder in Kants Hände gelangt ist. 1 2 3
Dem Kant-Autograph liegen zwei Echtheitsbescheinigungen bei: Varnhagen von Ense (19. Okt. 1844, E. Buschmann 20. Okt. 1844. Zu ersterer vgl. Rischmüller/Stark 1987, 115. Vgl. die Reproduktion des Autographen bei Brandt/Stark 1983. Zitiert nach Kowalewski (Hg) 1924, 351. Vgl. auch die Parallelstelle 354.
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Characteristic des Volcks. Franzosen. Ihr attentions sind ausgekramte Geschicklichkeit in Artigkeiten %und Complimenten die Englander verachten ihren Esprit ihre Graces %und agremens. [i]Jene dieser ihren Geist der Unabhängigkeit. Diese ihre manieres avantageuses ihre envie de se faire valoir ihre Fatuité ihre Franchise, Babil und angenehme Riens - Der Franzose ne se suffit pas a lui meme - alles ist bey ihm erborgt (postiche) sehr wenig Natur. Ils veulent tou[s\jours repraesenter (prangen) Einer copivi den andern. Er scheint sich immer zu ändern und bleibt doch immer derselbe. Er ist bey seine Theilnehmung wenig geneigt etwas für andre zu thun, vielleicht selbstsüchtiger als der finstere Engländer. Die Ursache ist der wenige Geschmack an Schönheit der Natur - Es ist ein Glük für dies Land daß die Weiber darin den Ton angeben. Sie mäßigen den Despotism. - 1777 waren nach den Registern des Policeylieutenants an 3000 %Engländer in Paris
2) a.
Vorarbeiten Texte der Königsberger Konvolute mit Vorarbeiten Kants, die in AA-Kant 23 fehlen, ergänzt um Fragmente aus Schubert 1842 und Adickes 1920.
Die folgenden siebzehn, ebenfalls nahezu unbearbeitet, aus der Datenbank REFLEXIONEN tibernommenenen Angaben und Texte sind alphanumerisch sortiert nach den Kriterien: 1) Chronologie der publizierten Schriften 2) Bezeichnung 3) überliefert durch. 1) Bezeichnung: C 07, 1 / Id-Nr.: 0000080 / Zu: 1793, Gemeinspruch / nach: Reicke I 144145, 147 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 08 289-306 / Bemerkungen: Vgl. AA-Kant 18 643 [Text:] Die Grundsätze der Freyheit, Gleichheit und Selbständigkeit jedes Staatsgliedes stehen für sich selbst fest und hängen gar nicht von alten Verträgen oder eigenmächtigen Besitznehmungen also nicht von empirischen Bedingungen ab deren Wirklichkeit und Rechtmäßigkeit durch Vorweisung des ersten rechtlichen Acts ohnedem nicht bewiesen werden kan - Allein die Constitution nach diesen Grundsätzen wie einem jeden das Mein und Dein jenen gemäs bestimmt und gesichert werden soll hängt von empirischen Gründen der Empfänglichkeit welche die Menschen zu einer solchen ersten Anordnung haben ab. Ob nun zwar dadurch jene Principien keinesweges für schimärisch (metaphysisch) und unausführbar ausgestoßen und vernichtet ja nicht einmal geschmälert werden können weil es Pflichten sind welche die Vernunft aus die [!] Idee des Rechts ableitet und deren Thunlichkeit also auch unvermeidlich angenommen werden muß so sind doch die anfangs subjectiv schickliche Anordnungen interimistisch so lange gültig bis der Zustand eintritt in dem sie zur Ausführung gebracht werden können. Aber diese Ausführung selbst muß in der bestehenden Staatsverfassung dem Keime nach liegen und diese kann also nicht vorher gestürzt werden um eine andere zu errichten weil dieses Gewaltthätigkeit wäre die dem Recht wiederstreitet. - Also ist nichts durch Aufruhr nicht einmal zu reformiren viel weniger ganz neu zu creiren erlaubt
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(Die Gleichheit der Unterthanen unter allen gleich gebietenden und schützenden Gesetzen.) nur daß der, so die Gesetzgebende Gewalt selbst ausübt nicht unter dem Zwange derselben gehört und kein Unterthan zu dieser Unabhängigkeit gelangen kann. Die Selbständigkeit die erfordert wird um Staats-Bürger zu seyn ist der rechtliche Zustand nicht unter eines Anderen Befehlen (imperio) zu stehen also nicht Weib Kind und Hausdiener. Zu dem Vermögenszustande aber welches jene Unabhängigkeit möglich macht beruht darauf, daß er in Ansehung seiner Subsistenz einen Theil vom Staatsvermögen inne hat welcher auf seiner freyen Willkühr beruht (ein Hauswesen) [7, II] 1, Ob der politische Begriff von bürgerl Freyheit die auf die natürliche angebohrne gegründet ist objective realität habe oder sammt der Moral nicht. 2) Bezeichnung: Schubert / Id-Nr.: 0001396 / Zu: 1793, Gemeinspruch / nach: Schubert 1842, 145 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 08 289-290 [Text:] Um ein pactum sociale zu einer Republik (im Rousseau'sehen Sinne zu einem Staate ohne Rücksicht auf die Form der Verfassung) zu stiften, muss schon eine Republik da seyn: folglich kann sie nicht anders, wie durch Gewalt, nicht durch Einsicht gestiftet werden. 3) Bezeichnung: M 15 / Id-Nr.: 0000669 / Zu: 1793, Religion [?] / nach: W. Schwarz 1915, 162-164 / Zuordnung gemäß AA-Kant: - / Bemerkungen: Vgl. AA-Kant 14; S.XLII [Text:] Es ist doch gewiß eine sehr sehr erhebliche Betrachtung die man vorher anzustellen hat ehe man die moralische Bildung des Menschen antritt ob man so früh man sie an ihm auch anheben mag man ihn schon selbst seiner Gesinnung nach als schon verdorben oder wenigsten in dem Zeitpunkt seines Lebens da er von seiner Freyheit Gebrauch macht ihn als im Stande der innigsten Integrität und noch unverdorben behandeln soll. Wenn nun dieses theoretisch nicht mit Gewisheit auszumachen wäre so ist es doch wenigstens practisch vernünftiger d. i. sicherer das erstere anzunehmen vornehmlich da so viele Beweis Gründe aus der Selbstprüfung sowohl als der Kentnis der Menschen in jener Lebensperiode es bestätigen. Es ist gewiß keine unwichtige Frage ob wenn man darauf ausgeht die Moralität eines Menschen (sowie eigene oder die eines anderen) zu bearbeiten man einen Zeitpunct zu treffen hoffen könne da er zwar vielleicht noch uncultivirt aber doch auch noch unverdorben (in statu integritatis) ist oder nicht; denn das Verfahren wird im ersteren Falle ganz anders als im zweyten seyn müssen. - Hierinn ihn auf die Anlage zum Guten die in ihm ist achtsam zum [!] machen seinen Beruf zur Heilighaltung derselben einzuschärfen und zum Vermögen dazu Muth zu machen würde ein ganz vernünftiges Verfahren seyn: Allein wenn auch nur vermuthung[en da] sind daß * sich in seinem Herzen auch ein wirklicher Keim des Bösen finde diesen ihm zu verheimlichen und darüber als menschliche Schwachheit und Uncultur wegsehen zu lassen wäre eine unverantwortliche Verwahrlosung desselben. - Wenn aus allen Beobachtungen die wir mit Menschen in welchem Alter es auch sein mag erhellet daß das Böse dem Guten im
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gegenwärtigen Zustande des menschlichen Geschlechts [sehr] zuvorgekommen ist daß man nirgend auf unverdorbene Gesinnung des Menschen rechnen könne mit dem menschlichen Herzen es nicht so gut bestellt sey um demselben als einem von Unkraut freyen Boden die Saat des Guten anvertrauen zu können so ist es nicht blos eine für die Theorie gültige Voraussetzung sondern auch sondern auch [!] in practischer Absicht gewis mithin Pflicht in der moralischen Behandlung des Menschen so zu Werke zu gehen als mit einem schon moralisch Verdorbenen verfahren werden muß und mit der Umkehrung seiner Denkungsart (und Tilgung einer schon vorhandenen [verdorbenen Gesinnung]) nicht mit der bloßen Fortsetzung des mit der frühesten Zeit seines Lebens anhebenden Gesinnung zum Guten den Anfang der moralischen Bildung machen. Der obstehende Satz hat also nicht die Bedeutung einer anthropologisch theoretischen Bestimmung der ersten Ursache eines vorliegenden Phänomens sondern einer in practischer Absicht hinreichenden Hypothese zum Behuf der sittlichen Bildung des Menschen. 4) Bezeichnung: F 06, 2 / Id-Nr.: 0000296 / Zu: 1795, Friede / nach: Schubert 1838, 591; Schubert 1842, 160; Reicke II 291 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 08 352 [Text:] Eine Monarchie (despotism) ist ein Bratenwender, eine Aristokratie eine Roßmühle, eine Demokratie ein Automat welches wenn es sich selbst aufzieht und nur immer gestellt werden darf eine Republik heißt Das letzte ist das künstlichste. 5) Bezeichnung: G 17, 2 / Id-Nr.: 0000375 / Zu: 1795, Friede / nach: Reicke III 060 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 08 350 [Text:] Daß von Gesetzen der Pflicht so fern sie zur Moral gehören nur ein einziger Beweis möglich sey - frägt sich ob auch in Ansehung der Rechtsgesetze. Rechtliche Gleichheit kann auch so erklärt werden: ist das Verhältnis eines Menschen zu Andern in welchem ihm niemand zu befehlen hat ausser wenn er es selbst will. Also blos negativ. Er kann aber nicht wollen daß ihm jemand befehle ohne durch einen Contrakt den er aufheben kann mithin sich nicht in den Stand der U n t e r t ä n i g keit versetzen. [Unten der ausgestrichene Name:] St. [?] Paulsson 6) Bezeichnung: Schubert / Id-Nr.: 0001395 / Zu: 1795, Friede [?] / nach: Schubert 1842, 143-144 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 08 354 / Bemerkungen: Vielleicht handelt es sich hier nicht um eine Vorarbeit sondern eine direkte Reaktion Kants auf Friedrich Schlegels Rezension des »Ewigen Frieden« (Vgl. »Deutschland« 1796, Bd. III, 7. Stück, in: Heinrich (Hg) 1989, 180: „Wie Kant also den Begriff der Volksmajestät ungereimt finden kann, begreife ich nicht." Vgl. dazu die Formulierung in AA-Kant 08 354, 24 und Kants Notiz zur Rezension in AA-Kant 18 666, 08-09.) Möglich scheint mir auch, hierin eine Vorarbeit zu den §§ 51-52 der Rechtslehre zu sehen. [Text:] Majestät ist die Auctorität einer Person, sofern sie über alle andern Gewalten im Staate Macht hat. Nun kann dieses keine blosse moralische Person, ζ. B. eine Republik seyn, die zwar Souverainität über sich selbst ausübt, aber doch zugleich die
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ganze Summe der Unterthanen ausmacht, wo Niemand die oberste Auctorität besitzt, sondern ein Jeder in Ansehung Aller gleiche rechtliche Gewalt hat. Also kommt der Titel Majestät nur einer einzelnen physischen Person zu, die über alle Andere im Staate Gewalt hat (einem Monarchen). Darum kann man es zwar gut vertragen, wenn man von Volkssouveränität sprechen hört. Dagegen fällt der Ausdruck Volksmajestät, welchen sich schwindelnde Republikaner oft entfahren lassen, ins Lächerliche. Majestät nämlich ist diejenige Auctorität in einem Volke, die von keiner höheren eingeschränkt werden kann. Nun ist Keiner im Volke, dessen Ansehen nicht von einer höheren Auctorität, nämlich der des gesammten Volkes als einer moralischen Person eingeschränkt würde: denn das Volk ist die Summe aller Unterthanen. Wenn nun, wie im Königthume, diese Auctorität auf eine einzelne physische Person, um Selbstherrscher zu seyn, übertragen ist, so ist die Befreiung dieser Person von allem möglichen Widerstreben des Volks das, was ihr den Glanz eines selbstleuchtenden Sterns giebt, während alle Staatswürden der Unterthanen, als Reflexe durch jene ausgesandt, verdunkelt werden. 7) Bezeichnung: Schubert / Id-Nr.: 0001986a / Zu: 1795, Friede / nach: Schubert 1842, 143 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 08 381 [Text:] Das, was man sich nicht getraut öffentlich als seine Maxime anzukündigen, und dessen Ankündigung der Maxime sich selbst vernichteu [!] würde, ist dem öffentlichen Rechte zuwider. 8) Bezeichnung: E 25, 2 / Id-Nr.: 0000201 / Zu: 1797, Rechtslehre / nach: Reicke II 106 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 06 [Text:] Wozu ein rein moralisches Interesse ist nicht allein nichts wieder die Pflicht zu thun sondern auch den Endzweck seines Daseyns ins unendliche zu erweitern. Da gilt eine Hypothese in practischer Absicht z. B. künftig leben und zwar darum weil wir sonst keine Triebfedern haben würden so weit unsere moralische Absicht zu erweitern wenn wir nicht Aussichten hätten so weit hinaus langen zu können. Selbst der innere Beruf in die späteste Nachkommenschaft das Wohl der Menschheit befördert zu wissen beweiset den Ruf unserer geistigen Natur zu dieser Bearbeitung. 9) Bezeichnung: F 13, 1-2 / Id-Nr.: 0000307 / Zu: 1797, Rechtslehre / nach: Reicke II 324325 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 06 [Text:] Ein Recht auf etwas von mir Unterschiedenem setzt von Seiten des letzteren eine Verbindlichkeit voraus. Daß dieses so in unserm Gemüth vorgehe ist daraus zu sehen daß wir eine Sache die auf einen Andern sonst rechtmäßig gekommen ist als ob wir sie immer besessen hätten zuviel fordern, intellectuel Ist dieses nun keine Person sondern eine Sache so wird diese nach der Analogie einer Person betrachtet: Die Sache weigert sich mir weil sie einem Andern verbindlich ist. Aber eigentlich muß es eine Person seyn auf der eine Verbindlichkeit haften soll ehe und bevor ich ein Recht auf eine Sache haben kann.
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[13, Π.] Bürgerliche Freyheit ist der Zustand da niemand verbunden ist anders als dem was das Gesetz sagt zu gehorchen. Diese schränkt also die exsekutive Gewalt ein auf die Bedingung des Gesetzes und kann ihr durch den Richter wiederstehen. - Dies will soviel sagen als: niemand kann durch einen einzelnen Spruch (der nicht Gesetz ist und aufs Allgemeine geht) gezwungen werden etwas zu thun oder zu lassen - Aber das Gesetz kann selber despotisch und tyrannisch seyn. Also um bürgerlich frey zu seyn muß das Gesetz wiederum so beschaffen seyn daß es als der allgemeine Wille angesehen werden kann: nicht als der synthetisch-vereinigte Wille aller; denn alsdann würde es wieder ein einzelner Wille sondern so daß ein jeder es für alle mithin auch alle für einen jeden als gültig ansehen kann - Wenn aber schon eine Staatsverfassung da ist die durch Gewalt eingeführt worden kein status integritatis politicae? [Rfl. 0159] Zur Moral das rectum wird dem obliqvo das directum Gerade dem curvo entgegengesetzt. Das erste ist im Zweck das andere in den Mitteln anzutreffen. Das rectum u. directum enthalten beyde viam brevissimam zum okjectiven [!] oder subjectiven Zweck. 10) Bezeichnung: G 22, 1 / Id-Nr.: 0000385 / Zu: 1797, Rechtslehre / nach: Reicke III 072 -
073 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 06 [Text, am Rande:] Wenn das Gefühl der Lust vor dem Gesetz vorhergeht so ist es pathologisch geht das Gesetz vorher, moralisch. [Am Rande:] Von der Unmöglichkeit des öffentlichen Rechts eines Volks zu einer Revolution [Am Rande quer:] Es ist recht, er hat recht, er hat ein Recht, es geschieht mit recht, er thut recht. 11) Bezeichnung: Schubert / Id-Nr.: 0001399 / Zu: 1797, Rechtslehre / nach: Schubert 1842,
158-159 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 06 323 [Text:] Die Frage, ob der alle Gewalt im Staate habende (Souverain) als Herr oder als Eigenthümer des Staates angesehen werden müsse, kommt darauf hinaus: ob er Herr über das Volk ist, weil er Eigenthümer des Bodens ist (dies ist Despotismus), oder ob er nur sofern Eigenthümer des Bodens seyn kann, sofern er Herr (Befehlshaber) über das Volk ist. Das letztere ist die freie rechtliche Verfassung. 12) Bezeichnung: F 18, 4 / Id-Nr.: 0000324 / Zu: 1797, Tugendlehre / nach: Reicke II 354 /
Zuordnung gemäß AA-Kant: 06 [Text:] Das thun sollen enthält den Grund von der Freude im Bewustseyn einer Pflichtmäßigen Handlung: Also ist die Freude nicht der Grund warum ich es thun soll weil dieses sollen absolut ist. Ja wenn ich etwas thun sollte dessen Wirkung etwas anders wäre worüber ich mich freuen könte! Es wäre eben so als [ob] man sagte ich soll mich über die Handlung freuen.
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13) Bezeichnung: G 03, 1-2 / Id-Nr.: 0000343 / Zu: 1798, Streit / nach: Reicke III 009-010 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 07 [Text; 3, I.] Nicht die freye Untersuchung des Canons nach seinem Ursprünge u. Authenticitaet sondern die freye Auslegung des canons in der moralischen Absicht für das Volk u. die Lehrer Von Abrahams Opfer - Saulus ein Materialist Auferst [?] Fatalist Archäologia religionis (die Alterthumslehre der Religion) ist der Messianismus (Christianism) und die historische Offenbarungslehre welche auf Tradition beruht. - Der Rationalism der Religion - Die Geschichte dieses Rationalisms so fern man a priori einsehen konnte daß eine gewisse Religion der Vernunft einmal öffentlich seyn müßte ist der evangelism (wenn diese frohe Botschaft immer so gut als ob sie nur heute ergangen wäre von dem historischen Glauben frey ist. Alle Religion ist Glaubenslehre (aus Ideen). Diese kann nun eine historische Glaubenslehre seyn der entweder Tradition oder Bibel zum Grunde liegt oder eine philosophische wenn sie ein System enthält was in der Vernunft liegt und keiner Geschichte bedarf - Freyheit von Satzungen der Schriftgelehrten. - Daß alle Bekenner dieses Glaubens als Staatsbürger neben einander stehen können unangesehen der Verschiedenheit der Formen des öffentlichen Cultus. - Der hierarchische Catholicism muß nur als Symbol des rationalen angesehen der die Idee eines Reichs Gottes auf Erden ist. Es gibt keine statutarische Glaubenslehre; denn zu glauben kan niemand gezwungen werden. Der aber ein inneres Glaubensbekenntnis * verte [3, II.] * heuchelt weil er meynt das könne ihm vom Herzenskündiger zum Vortheil ausgelegt werden dessen Glaube ist knechtisch und geheuchelt. Der nicht so denkt dessen Glaube ist liberal gegen Andersdenkende (dissidenten). - Das Moralische im Glauben ist nicht statutarisch folglich gibt[s] da nicht neoterici 14) Bezeichnung: Κ 15 / Id-Nr.: 0000514 / Zu: 1798, Streit / nach: W. Schwarz 1915, 169170 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 07 063 / Bemerkungen: Entweder gibt Schwarz die Bezeichnung falsch an, oder Adickes ad Rfl. 1505; als wahrscheinlich korrekt angenommen wird Κ 15. [Text:] Also ist Pflicht des Volkslehrers in Sachen der Religion im catechetisehen sowohl als homiletischen (beydes populären) Vortrage dem System des Kirchenglaubens die Bibel zur Basis und ihre Sprüche zum Text unterzulegen ohne daß er dadurch geneiget sey sich für die Göttlichkeit dieses Buches wozu anders als in Ansehung dessen was darinn wahrhaft moralisch mithin für den reinen Vernunftglauben göttlich zu verbürgen und was durch Erfahrung des Gebrauchs derselben zum wahren Wohl des Menschen bewährt befunden worden mithin blos in pragmatischer Rücksicht in Absicht auf die Mittel der Belebung dieses Vortrages einer solchen gleich als einem von Gott eingegebenen Gesetzbuch ausgebreiteten Einflus auf die Sittlichkeit zu verschaffen. Die Bibel gleich als ein von Gott selbst dictirtes Buch (weil es das schicklichste Organ der Belebung eines practischen Vernunftglaubens für ein Volk ist) zur Basis der
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Teil IV
reinen moralischen Religionslehre im catechetischen sowohl als homiletischen Vortrage gebrauchen und diese Nutzbarkeit derselben ja (in pragmatischer Absicht) Unentbehrlichkeit zu prüfen ist doch nicht einerley mit dem Bekenntnis eines Kirchenglaubens daß der Ursprung desselben und des Systems was er enthält und historisch ist selbst von Gott dictirt sey, Denn hierüber kann der Lehrer selbst ungewis sein ob er gleich weil er sich nur am Geist der Schrift (dem moralischen des Inhalts) nicht am Buchstaben derselben der die Geschichte der Religion bearbeitet zu halten hat. Die Forderung der Beglaubigung der Schrift als buchstäblich göttlichen Worts würde ein Anspruch auf übersinnliche Erfahrung seyn welches ein Wiederspruch ist. Der theoretische Geschichtsglaube an eine Offenbarung kann also als ein solcher an sich nicht beglaubigt (die Authenticität der letzteren nicht documentiert) werden. ') Bei Kant hat zuerst „Wiederspruch" gestanden, dann ist das „ W i e d e r " ausgestrichen und dafür „ A n " gesetzt. [Schwarz] 15) Bezeichnung: E 23, 2 / Id-Nr.: 0000197 / Zu: 1798, Anthropologie / nach: Reicke II 099 / Zuordnung gemäß AA-Kant: 07 194-195 [Text:] 28 Häuser des Mondes ein Mondenjahr 354 1/4 Tage [durch- 12 dazu 11 gestri56 365 tag 8 Stund, chen:] 28_ 336] tergeminam hecaten *) Ein synodischer M. 29 1/2 Tage Die 28 Tage als soviel Häuser des Mondes waren die nächste Gantze Zahl, die durch 4 als so viel Aspecten ohne Bruch getheilt werden konte. - Nun auf jeden Adspect [!] einen Tag gerechnet gab es 4 Wochen jede zu 7 tagen eine jede. Diese 7 tage der 7 Planeten vielleicht auch die 7 Metalle imgleichen die 7 Haupttöne in der Musik u. die Symphonie der Sphären setzten etwas Mystisches in diese Zahl Die pythagorische Philosophie ging von der 7 zu 7 mal 7 (49) von dieser zu 10 mal 7 (70) weil 10 als die Zahl der Finger die man zu zählen braucht ihnen auch bedeutend zu seyn schien. Dan 70 mal 7 = 490. Die Stufenjahre als 7 mal 9 weil 9 in Indien eine eben so mystische Zahl war bis zu 9 mal 9 welche zwey letzte Zahlen als anni climaterii. 2023 490 2513 490 3003 490 3493 490 3983 44 39
Ohne auf die symbolische Vorstellung der Fortschritte des Menschengeschlechts in der Cutur [!] zu sehen ist es nur darum zu thun, zu welcher Zeit wohl der Canon der heil. Schrift vornehmlich Alten Testaments mag zu stände gekommen seyn. Offenbar lange nach Christi Geburt. Selbst die sogenante Alexandrinische Bibelübersetzung. Die Juden scheinen in opposition mit den Christen jenes Werk zusammen geschrieben oder wenigstens collegirt zu haben.
251
Nachlaß [Durchgestrichen rechts neben der unteren Zahlenkolummne:
[Durchgestrichen auch die folgenden drei Spalten:
2 930 13] 77
2 2 4 2 8
3
9 3 27 _8 35 Erläuterung: *) Vergil, Aeneis IV, 511 [Reicke]
4 4 16 4 64]
16) Bezeichnung: C Ol, 3 / Id-Nr.: 0000068 / Zu: 1804, Fortschritte [?] / nach: Reicke I 124 / Zuordnung' gemäß AA-Kant: 20 268 & 270 / oder: 07 134 & 141-142 [Text:] Doppeltes Ich. Es ist nicht ein doppeltes Subject des Bewustseyns sondern ein und dasselbe Subject welches sich selbst modifient und sich verändert da dann der welcher die Veränderung macht doch von dem was verändert wird unterschieden seyn muß. Ein Zusammengesetztes sich vorzustellen ist nur durch Zusammensetzung möglich. Dies geschieht so fern in der Zeit als das Subject Veränderung erleidet die Einheit der Handlung des Zusammensetzens ist im Subject so fern es nicht veränderlich ist. Aus der Möglichkeit dieser selbstveränderung ist so gar sicher zu schließen daß da die Zeit derselben zum Grunde liegt das veränderte Subject blos in der Erscheinung vorgestellt sein müße. 17) Bezeichnung: Reicke 10 c 10, 0 / Id-Nr.: 0001015 / Zu: 1804, Uebergang / nach: Adickes 1920, 371 & 758 Anm. „aus dem Jahre 1801" /Zuordnung gemäß AA-Kant: [Text:] Eine Bewegung die immer gewesen ist (von Ewigkeit ihrer Veränderung) oder immer fortwährt ist unveränderliches Etwas welches sich selbst konstituiert [...] Der Idealism ist ein Unding denn ich kann mein Nichtsein nicht annehmen und nicht darin fortwähren, ohne mich in den Realism zu versetzen.
1
Das Fragment konnte ich zunächst nicht zuordnen, mit der Beziehung auf die »Fortschritte« folge ich einem freundlichen Hinweis von Klaus Reich.
252 b.
Teil IV Andere
Hagen 23 Die hier erstmals vollständig 1 veröffentlichten Überlegungen Kants auf „Hagen 23" lassen sich, wie Adickes bereits gezeigt hat,2 relativ sicher datieren. Sie sind zwischen Februar und Mai 1794 niedergeschrieben worden. Inhaltlich zerfallen sie in Vorarbeiten zu zwei Schriften: a) »Streit der Fakultäten« und b) »Metaphysik der Sitten. l.Teil«. Die Handschrift ist z.T. schwer zu lesen, weil die Tinte in der Marginalie des dünnen Papiers (Vorderseite unten links bzw. Rückseite unten rechts) stark durchschlägt. Die Transkription wurde hergestellt unter Benutzung der „Hagen 23" beiliegenden Abschrift, die um 1900 von unbekannter Hand angefertigt worden ist. Zu a): Während die Randnotiz auf der Rückseite unten rechts, besonders in ihrem zweiten Teil „Die unterste Facultaet muß einmal die oberste werden [...]" der 1798 publizierten Fassung noch sehr fern steht, findet man nahezu wörtliche Anklänge an den Text der „Allgemeinen Anmerkung. Von Religionssecten" in der Marginalie des linken, oberen Randes der Vorderseite. (Vgl. AA-Kant VII 053 24 - 056 11). Mit der Datierung dieser Passage auf „Februar bis Mai 1794" ist auch ein äußeres Indiz gegeben zur Beantwortung der Frage, wann Kant spätestens mit der Abfassung des noch einteiligen »Streits« begonnen haben muß. Eine zweite relativ datierte 3 Vorarbeit (G 11, 1-2) ist nach dem 7.Mai 1794 geschrieben. Die Schrift war allem Anschein nach im Dezember desselben Jahres fertiggestellt.4 Zu b)\ Der übrige Text reiht sich überwiegend ein unter die zahlreichen Vorarbeiten zum Privatrecht der späteren »Metaphysik der Sitten« (1797). Wiederum ist die Datierung äußerst hilfreich, um die Genese des Werkes in den 1790er Jahren nachvollziehen zu können. Bringt man nämlich die relativ wenigen Vorarbeiten mit sicherem „post quem" (Briefrückseiten oder Entwürfe zu Briefen) in eine chronologische Ordnung, dann ergibt sich folgende Reihe: Nach: Nach: Nach: Nach: Nach: Nach: Nach: Nach: Nach:
1792,04,14 1792,08,?? 1794,03,05 1795,06,12 1795,06,12 1795,07,28 1795,11,07 1796,05,22 1796,05,22
[Sigi, 1-2] [E 68,1-2] [E 46,1-2] [£79,2] [F 04,1-2] [E 17, 2] [E 18,2-3] [E 23,1] [E 23,1+3]
AA-Kant:AA-Kant: 23 327,25 - 329,09 AA-Kant: 23 266,22 - 268,20 AA-Kant: 23 281,06 - 282,13 AA-Kant: 23 345,26 - 347,21 AA-Kant: 23 280,07 - 281,04 AA-Kant: 23 255,24 - 257,10 AA-Kant: 23 205,17-19 AA-Kant: 23 353,19 - 354,28
[KF I: 116-117]
Die Notizen auf 'Hagen 23' repräsentieren also eine noch sehr frühe Phase5 von Kants rechtsphilosophischem Hauptwerk. [Vorderseite] Jus et Ethica 1.) Die Gesetze der Handlungen 2.) der Maximen der Handlungen. Rechtspflichten und Tugendpflichten. A gegen sich selbst Β gegen Andere.
1 2 3 4 5
Vgl. den Hinweis in Brandt 1987b, 31. Vgl. AA-Kant XIV 516 16-27 und 520 13-41. Vgl. hier S. 307. Vgl. Brandt 1987b, 59-62 unter Hinweis auf einen Brief an Stäudlin vom 4.Dezember 1794. Für einen kurzen Abriß vgl. Ludwig (Hg) 1986; S. XVIII-XXII.
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Jus. I Das Recht der %Menschheit in unserer eigenen Person II das Recht der Menschen. Beyde negative Pflichten jene als Einschränkende Bedingung der Möglichkeit der letzteren. Ethica [¿]A.) Der Zweck der %Menschheit in unserer eigenen Person b) der Zweck der Menschen. Beide affirmativ Pflichten und erweiternd auf die Materie der Pflicht der Zwecke. Zu dem ersteren gehört die Tauglichkeit zu allen Zwecken also die Talente zu cM/fiviren mithin zu physischen aber auch zu dem Moralischen Zwek nämlich der Gewissenhaften Befolgung aller Rechtspflichten aus Achtung vor dem Gesetz welche Cw/tur der Gesinnung Tugendpflicht ist obzwar die Handlungen selbst Rechtspflichten sind Die Tugendpflichten gegen sich selbst können auch Liebespflichten heissen aber nicht amoris benevolentiae erga se ipsum (denn dazu giebts gar keine Pflicht weil ein jeder von selbst sich wohl will) sondern amoris complacentiae in semet ipso indem wir uns bewust werden die Zwecke der Menschheit so wohl die physischen Als moralischen [¿]erfüllt zu haben. 3 Utrum Successioni bona alterius, praescriptio et vindicatio a possessore bonaefidei sint iuris naturae an publici. 4 Utrum quaestio fori (iudicii externi) conditiones adferendam sententiam necessarias ad requisita iuris naturalis trahere possit e.g. in commodato. 5 Ob Unterthanigkeit erblich seyn könne. entweder iure possessoris fundi oder iure personali (als Gutsunterthans oder als Leibeigenen) da alsdann die subditi keines status civilis fähig seyn würden (nicht stimmgebend zur öffentlichen Gesetzgebung als membra civitatis d. i. ob eine praerogativ des Rechts (da einer superior der andere inferior sey) angebohren seyn könne selbst nach öffentlichen Gesetzen. Niemand kann in dem was nicht angebohrne Pflicht aller Menschen ist eine Pflicht haben ausser so fern er sie sich freywillig selbst zugezogen hat: Keine statutarische Verpflichtung kann anerben *' Buschendorf. Hauslehrer in Münsterberg bei Preuß. Mark dat %den 28 Januar 9/¿4¿/ [unterer Rand] *' Jeder Mensch wird als sui iuris gebohren und andere können ihn nicht wieder seine Einwilligung so fern er justus ist eine Pflicht auferlegen. Selbst die Ernährung desselben läßt ihn immer was seinen statum betrift frey: er hat keinen nöthig als seinen Obern anzuerkennen - Im statu civili kann die Gelangung zu allen Rechten deren ein Unterthan überhaupt fähig ist durch seine Geburt (oder einen angebohrenen Vorzug Anderer) ihm nicht genommen werden. - Niemand kann seinen Nachkommen ein persönliches Recht gegen den der noch nicht existirt * 2 [linker Rand unten] * 2
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Teil IV
/¿erblich hinterlassen. Ebenso der Stand der Geistlichen nicht die Güter von denen keiner von ihnen Eigenthümer war hinterlassen^/ [linker Rand oben] Die Lehre der Versöhnung mit Gott durch %Christus ist [s¿¿] der moralischen Religion sehr nützlich; denn da können wir gerade zur Besserung übergehen Daß diese Versöhnung einer Genugthuung bedürfe ist ein Geheimnis. Aber daß man durch Busse sich allererst mit %Christus versöhnen müsse um erhörlich bitten zu können daß %Christus uns [/¿%Menschen¿/] seine Genugthuung angedeien lasse; ja gar daß der %Mensch diese contrition selbst nicht bewirken könne sondern sie erbitten müsse, wo er dann um erhörlich bitten zu können um einen Glauben daß diese Bitte erhörlich sey wiederum bitten muß das geht im Cirkel herum. de contritione Man soll zerknirschende an seiner Seeligkeit verzweifelnde Reue haben und kann sie doch nicht von selbst in sich bewirken d. i. es reuet ihn wirklich nicht so wie es soll. Er soll also bitten daß ihm der %heilige Geist sie eingebe. Er kann aber nur im Glauben erhörlich beten. Also [muß] er fröhlig %und nicht trostlos seyn indem er sich eine rechte Betrübnis erbittet. Dan heißt es wohl recht: je mehr ich meinen Trauerleuten Geld gebe (Trost gebe) betrübt auszusehen desto lustiger sehen sie aus. Die Schwärmer (pietisien und mährische Brüder sind hierin selbst uneinig die letztere erklären es für selbst Angemaßte Genugthuung für seine Sünden und fordern nur einen Übertritt zur Fahne des Heylands. [Ecke oben rechts] Zw ¿¿ Er¿¿ [Rückseite] Rechtslehre Vom Mein oder Dein ausser mir 1. Sachenrecht 2. Personenrecht 3. [¿¿¿] Personenrecht gleich als (instar) Sachenrecht. Sachenrecht. Kein Recht in einer Sache ausser mir ist angebohren (a natura sunt res nullius) aber doch das Recht alle[s] brauchbare Sachen ausser mir zu erwerben (non sunt essentialiter res nullius h. e. nihili) Das ius rei quaesibilis ist angebohren Denn sonst würde die Freyheit durch Sachen eingeschränkt werden. Das ius in re ist entweder proprium oder commune. Das proprium ist entweder das allen beliebigen Gebrauch von einer Sache zu machen oder nur einigen. Das erste ist dominium: die Sache ist mein. Mein ist das obiect meiner Willkühr in dessen blos rechtlichen Besitz (d. i. auch ohne den physischen der Inhabung) ich mich befinde: - Denn ohne allen Besitz würde ich durch den Gebrauch den ein anderer davon macht gar nicht afficirt werden müßte es aber ein physischer Besitz seyn so würde mein Angebohrnes Recht und nicht das erworbene (dergleichen alles Recht in Sachen seyn muß) [von mir g] durch diese Schmälerung der Freyheit meiner Willkühr afficirt werden. Das recht in einer Sache ist also in der That nur der Begrif von einem intelligibeln Besitz d. i. durch meine bloße Willkühr ohne Inhabung der Sache mit ihr doch als ob
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ich im physischen Besitz wäre mit der Sache verbunden zu seyn. Der intelligibele Besitz also bleibt wenn die Verknüpfung mi[¿¿]t meiner Willkühr nicht wirklich von mir aufgehoben wird. Aber ohne allen physischen vorhergehenden Besitz kann auch kein intelligibeler (blos rechtlicher) statt finden denn ohne das ist die Sache und ihre Verknüpfung mit mir nicht gegeben. Die erste Besitznehmung [ist] wodurch etwas erworben wird ist eigenmächtig. Es kommt nur darauf an wie dadurch etwas als das Seine erworben [d. i. ohne] und ohne Inhabung in blos %rechtlichem Besitz erhalten wird. [Folgt: Rfl. 0074, AA-Kant XIV 517-521] [Rand rechts] Predigt nicht Lehre und Trost sondern Lehre und Antrieb. Ob aber der letzte am Ende des Lebens (sich zur Warnung dienen lassen) der Trost ist keine Lehre wegen geduldiger Tragung der Übel da sie ein Ende haben /¿Postille\Postillon¿/ als alter Tröster (nach dem Gebet und Gesang) Missa et concio Der Trost auf Gnade zu rechnen ob man gleich unwürdig ist. hebt alle antriebe zu eigener Bestrebung auf Man rechnet aufs Recht Die Unterste Facultaet muß einmal die Oberste werden d.i. alles der Gesetzgebung der Vernunft unterworfen werden. Da denn die drey höhern nichts als die application auf das empirische in Principien mithin die exsecutive Machte vorstellen und durch Verbindung beyder die Rechtspflege [weni] als der [¿] Endzwek nemlich das höchste Gut im Leben und nach dem Tode enthalten kann.
Bibel Der Text ist hier wiedergegeben nach der Publikation von Heinrich Borkowski »Die Bibel Immanuel Kants« (Königsberg 1937, S. 7-10). Erstaunlicherweise fehlen diese Notizen im 1955 erschienenen Bd. XXIII der AA-Kant, obwohl dem Herausgeber G. Lehmann - ausweislich seiner Besprechung in der »Deutschen Literaturzeitung« am 17. Juli 1938 - die Arbeit bekannt war. Es liegt hier einer der seltenen Fälle vor, wo die Provenienz der Handschrift nahezu lückenlos bekannt ist. Johann Friedrich Gensichen hat die Bibel mit Kants kleiner Bibliothek geerbt. Daß der Band jedoch nicht in dem von Warda bekannt gemachten Versteigerungskatalog 1 des Jahres 1807 verzeichnet ist, darf nicht verwundern, denn bereits 1840 hat Samuel Neumann (17??-1848) in den »Preußischen Provinzial-Blättern« dargelegt, wie er in den Besitz der Bibel Kants gelangte: „Gensichen*), mein theurer, mir ewig unvergeßlicher Lehrer und väterlicher Freund, liebte mich unausprechlich, und erzeigte mir, nächst dem jetzigen Herrn Pfarrer Kroll in Liebstadt, dem Herrn Director Dr. Möller, Herrn Prorector Grabowski und dem verstorbenen Director Hamann in Königsberg, Männer, an die mein Herz täglich mit dankbarer Rührung denkt, unendlich viel Gutes in jeder Beziehung. Da ich damals Theologie studirte, so schenkte mir &c. Gensichen unter mehren herrlichen Büchern auch Kants Bibel, [...]. 1
Vgl. Warda 1922a.
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Teil IV
*) Er starb den 7.September 1807. Ich hielt ihm auf dem Kneiphöfschen Kirchhof eine Leichenrede."1 Neumann ist am 19. November 1804 als Theologiestudent in die Königsberger Universitäts-Matrikel aufgenommen worden und man wird annehmen dürfen, daß er bald darauf zu Gensichen in nähere Beziehung getreten ist. Das Exemplar wurde dann, wie Borkowski mitteilt,2 in der Familie Neumanns vererbt, bis es 1930 aus Marburg kommend Eigentum der StUB Königsberg geworden ist. Die meist kurzen Randbemerkungen Kants hat Friedrich Berger (vermutlich allein aufgrund der Notizen von Adickes) in der AA-Kant XIX als Reflexion 8112 ediert, ohne auf die damit sachlich nicht zusammenhängenden Bemerkungen des Vorsatzblattes hinzuweisen. Borkowski wiederum hat bei seinem wesentlich eingehenderen Abdruck der Randglossen Kants nicht auf die Akademie-Ausgabe verwiesen. Er beschreibt (S. 7) das Blatt: „In der Bibel lag ein Blatt in Oktav, das ursprünglich als Schutzblatt dem Titelblatt vorausging. [...] Auf der einen Seite des Blattes ist von unbekannter Hand in der Mitte auf goldgelbem Grunde ein Schattenriß Kants aufgeklebt [...]." Es handelt sich, wie Borkowski richtig angab, ganz ohne Zweifel um eine Vorarbeit zum »Streit der Fakultäten« und zwar zu einer der längeren Anmerkungen zum ersten Teil, in der Akademie-Ausgabe (Bd. VII) ist diese S. 62 abgedruckt. Die hier vorliegende enge Beziehung zum 1798 publizierten Text erlaubt in Kombination mit der Beobachtung, daß die oben S. 250f. von dem Losen Blatt E 23 abgedruckte Passage eine frühere Fassung dieser Anmerkung darstellt, folgenden Schluß: Offenbar hat Kant sich mit dem Thema dieser Anmerkung erst nach Fertigstellung seines noch einteiligen »Streits« (Dezember 1794, vgl. hier S. 251) beschäftigt; denn die Notizen auf E 23 sind sicher nach dem 22. Mai 1796 geschrieben.3 Auf eine nähere historische Kommentierung, die vor allem auf die von Kant in den anderen Vorarbeiten zu dieser Passage seines »Streit der Fakultäten« herangezogenen Autoren einzugehen hätte, wird hier verzichtet. Gleichfalls weggelassen sind hier die „Randbemerkungen" (S. 11-12) und die „unterstrichenen Stellen" (S. 13-36) zum Text der Bibel. Borkowskis Art der Wiedergabe wurde nur bei Streichungen und Sigelauflösungen den oben (S. 223) dargelegten Formalien angeglichen. Borkowskis eigener Text ist kursiv gesetzt. Ueber dem Bilde am oberen Rande des Blattes sind einige Bemerkungen von Kants Hand geschrieben: 421 Mondt monathe ieden zu 29 Tag 12.St. 44 M. 3 Secund macht 600 Jahre iedes zu 365 Tag. 5 Stund 51 M. 36 See. Nach Scaliger war Anfang der Welt bis zu %Christi Geburth 3949 Jahr, den 11 May 27 August 24 Sept. 2 Oktober. 5 Januar. Unter dem Schattenriß sind Zahlen mit Bleistift geschrieben, wie auf dem vorderen Vorsatzblatt und auf dem hinteren Innendeckel von Vareni Bernhardt geographia ge-
1 2 3
Neumann 1840, 84. Borkowski 1937,4-5. D. i. das Datum des Briefs Nr. 705, vgl. hier S. 303.
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neralis.' Auf der anderen Seite des Blattes sind in flüchtiger kleiner, engzeiliger Schrift mehr oder weniger zusammenhängende Sätze geschrieben, in denen manches unleserlich, manches ganz verlöscht ist, namentlich am Schlüsse der Niederschrift. Einen Teil dieser Bemerkungen hat Kant fast wörtlich im 'Streit der Fakultäten' (10, 319 A.)2 benutzt. Bisweilen macht er Zusätze, verbessert Ausdrücke und stellt die Zusammenhänge her. Diese handschriftlichen Bemerkungen auf dem Vorsatzblatte stammen also wohl aus den neunziger Jahren. Kant will die Bedenklichkeit 'der ZahlenCabala in Ansehung der wichtigsten Epochen der heiligen Chronologie' nachweisen, 'welche den Glauben an die Authenticität dieser biblischen Geschichtserzählung etwas schwächen dürfte'. Er schließt die Stelle im Streit der Fakultäten mit den Worten: 'Was soll man nun hiezu sagen? Haben die heiligen Zahlen etwa den Weltlauf bestimmt? - Franks Cyclus iobilaeus dreht sich ebenfalls um diesen Mittelpunkt der mystischen Chronologie herum,' d. i. um den numerus septenarius (Johann Georg Frank: Praeclusio chronologiae fundamentalis. .. in cyclo jubilaeo biblico detectae 1774). Die Niederschrift Kants auf dem Vorsatzblatte der Bibel enthält zunächst einige zum Teil zusammenhanglose und durcheinanderlaufende Notizen. Unter diese macht Kant dann einen Strich und beginnt in zusammenhängender Form den Nachweis der schematischen Berechnung der Zeitrechnung im A. T. Die Punkte in der Wiedergabe bedeuten: verlöscht oder unleserlich. Folgende Jahrwochen bis ZU der [... Zeit (der Besetzung) 4 9 0 Jahre .. Jahr] Von da bis zur Einweihung des 1 sten Tempels - - China heißet: Von da — des 2ten 36 Dschungistan 1236-2 zur Geburth %Christi - 499 Olympiade = 4 diese χ 365 = 1460 + 365 Tage die von 4 zu 4 Jahren in 1460 enthalten sind = 1825 [ 2 0 0 0 die χ m i t . 2 1 9 0 die 25 = 3 6 5 2 2 9 8 6 viel Noth Heracles]
3170... 2023 + deren folgen 7 3960 diese letzte Zeit 2513, 7 Jahre nach dem Tode Josua 3003 Chinesische Monarchie fängt an Jahr v. Christi mit Jussi 3472 3493 hat in 5350 Jahr 246 Regent: gehabt + 3983 siebenzig Jahr nachher die Zerstöhrung Jerusalems. Alle Epochen sind Caduc 70 Apocalyptische Monathe + ieden zu 29 1/2 Jahren geben 2065 Jahr davon jedes 1 2
Enthalten in Warda 1922a, 18. Vgl. den Hinweis von Borkowski 1937, 5. (W. St.) Diese Angaben Borkowskis verweisen auf Bandziffern und Seitenzahlen der Königsberger Werkausgabe von Rosenkranz/Schubert.
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Teil IV
49ste Jahr als das große Ruheiahr abgezogen deren es in diesem cyclo 42 (giebt) bleiben gerade 2023, als die Epoche da Abraham aus dem Lande Canaan das ihm %Gott geschenkt hatte nach Aegypten ging von da bis zur Wiedereinnahme (dieses Landes durch) die Kinder Israel 70 apocalyptische Wochen das ist 490 Jahr geben 2513 [Die Zahl der Jahre von dem Rufe %Gottes an Abraham bis zur Geburt %Christi ist 1960 welches 4 Apokalytische [Monathe] austrägt ieden zu 490 oder]
auch 40 Apokalyptische Period, ieden zu 7 mal 7 d. i. 49 (Jahr) Zieht man von iedem neunundvierzig einen von einem großen Ruhejahr und von iedem größesten Ruhejahr welches das 490ste ist eines ab, zusammen 44 so bleibt 3939 als das Jahr der Geburth %Christi, wie es einige berechnen vid: Bengel in ordine temporum pag 9 item pag: 218: de V de Chronotaxi Evangelica. Also sind die Jahreszahlen 3983 und 3939 als die verschieden angegebenen Jahre der Geburt %Christi um das unterschieden daß die letztere entspringt wenn zu der Zeit der ersteren das was zur Zeit der 4 großen Epochen gehört um die Zahl der Ruhejahre vermindert wird. Nach der letzteren Rechnung müste die erste Epoche um 11 Jahre verringert werden sodaß an statt 2513, 2502 heißt, die folgende um 22 Jahre 3983 . 2023 Ruf %Gottes 2357 . 2502 Erneuerter Besitz des Landes C: Neuer Bund zwischen dem Volk %Gottes und Abr. 1626 2981 Einweihung des lsten Tempels [3948] + zu diesen 1680 Jahren 7 neue Epochen iede zu 49 Jahren = 343 gesamt 2023 3460 Erlaubn: den 2ten Tempel zu bauen 3939 Geb: %Christi * Die Regierung kan die erste . ordentliche Regierung einführen. 2357 vor %Christi geburt wird vom Kayser das Recht genommen Das Jahr 2023 kommt auch heraus, wenn man 49 epochen zu 49 Jahren nimmt = 2401. Davon alle Sabbatsjahre = 343 abzieht bleibt 2058 und noch dazu all in diesem Zeitraum liegende siebenzigste Jahre = 35 bleibt 2023 Vier Epochen zu 490 = 70 χ 7 machen 1960 davon alle 7 Jahr eins = 280 abgezogen bleiben 1680 - von diesen 1860 iedes darin enthaltene 70ste Jahr abgezogen = 24 bleiben 1656 als das Jahr der Siindfluth + (da ich einen Tag zu 49 Jahr Rechne so sind sieben solche Tage 343 und 4 solcher Jahre 1372 davon alle Jubeljahre = 28 abgezogen sind 1344) + Von der Sündfluth bis zum Ruf Abrah: sind 366 volle Jahre [... ] welche gerade ein Schaltjahr sind das Jahr zu ein Tag gerechnet. waren Epochen von 60, Neros von 600 und Saro . 3600 Jahre .. Monate 600 - 60 - u. 6 . .
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In der Zeit von 600 Jahren kommen die Mondsaspecte in derselben . . . auf derselben stelle des Himmels war dieser 666 . Zenit . . das Jahr der Sündfluth ein Mondjahr gewesen 1756. von 350 Tagen so wird es mit den 11 Tagen. * *
*
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Teil IV
C. Materialien zum Lehrbetrieb und über Kants Verhältnis zu Studenten 1 ) Zeugnisse Die nachfolgenden, standardisierten Informationen über eigenhändige Zeugnisse, die Kant seinen Studenten ausstellte, ergänzen die bei Malter 1988a gegebenen. Sie sind entnommen der Marburger Datenbank STUDENTEN und nach dem Alphabet der Nachnamen geordnet. Auf eine Darstellung der verschiedenen Schriftarten wird verzichtet. 1.
Baczko, Ludwig Adolph Franz (1756-1823) / Matrikel: 1772/04/04 / Studienzeit: 1772-?? / Nachschrift(en): Keine. Text in lateinischer Sprache ca. 1776: nicht überliefert. Quelle: Baczko 1824, II 3 2.
Ebel, Theodor Wilhelm / Matrikel: 1783/05/06; Studienzeit: 1783-?? / Nachschriften): keine. Fundort: Frankfurter Goethe-Museum; Xerox im Kant-Archiv [Text:] Virum iuvenem eximium Theodor Guiliem. Ebel Bialla Boruss. I.V.St, collegia mea philosophica tarn privata quam publica, et praeterea repetitorium frequentasse, testor. Regiom d 14 Febr. 1788 I.Kant. Log et M. P.O. 3.
Eisner, Christoph Johann Heinrich (1777-1834) / Matrikel: 1792/03/27; Studienzeit: 1792-96/ [?] / Nachschrift(en) über: Anthropologie. Quelle: Krause 1920, 140 [Text:] Dass Herr Christoph Johann Heinr. Eisner, aus Bartenstein in Preussen gebürtig; Sohn des Herrn Dr. Eisner, practischen Medicus in Königsberg: der von Berlin, über Hamburg nach Bordeaux zu Schiffe abgegangen, bey mir alle seine philosophische Collegia frequentiert und von seinem Fleiss zu Erwerbung gründlicher Kenntnisse die besten Proben gegeben, bezeuge hiemit. Koenigsberg, d. 10. Juny 1800. Immanuel Kant Der Logik und Metaph. Professor ordin., der Philos. Facult u. der ganzen Universität Senior, der Königl. Preuss. Acad der Wissensch, in Berlin und der Russisch Kayserlichen zu St. Petersburg Mitglied. [Privatsiegel.] 4.
Flach, Johann Gottlieb / Matrikel: 1794/03/20; Studienzeit: 1794-?? / Nachschriften) über: Logik. Literatur: Köstlin 1889 Text in lateinischer Sprache: nicht überliefert. 5.
Hagen, Karl Gottfried (1749-1829) / Matrikel: 1769/01/23; Studienzeit: 1769-1773/ Nachschrift(en): keine. Quelle und Literatur: Dulk/Hagen 1850, 55 [Text:] Virum iuvenem egregium Carol. Godofr. Hagen, Medicinae et Pharmaceuticae Cultorem, cum academicis studiis vacaret, meaque, in philosophicis institutione potissimum uteretur, literarum studiis impense deditum, nec ingenii solum dotibus, sed
Lehrbetrieb
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morum etiam honestate et decore conspicuum amabilem et in spem patriae succrescentem deprehendi. Qui, cum in quolibet litterarum genere non invita Minerva pedem promoturus fuisset, parentis sui de patria olim maxime meriti munus obire, quam in altiori gradu splendere maluit. Hunc, eundem in finem metropolim petentem cum votis persequar, simul hoc candido testimonio muñere et, quantum per tenuitatem nominis licet, omnibus penes quos est iuventutis promovendae et postestas et Studium, de meliori nota commendare volui. Regiom. Pruss. d. 9. April. 1773. Immanuel Kant Log. et Met. Prof. Ord. 6.
Jester, Johann Erhard Sigismund / Matrikel: 1792/09/28; Studienzeit: 1792-?? / Nachschrift(en): keine. Quelle: Stargardt ΚΑΤ 526 (1956) S. 227
[Text:] [...] collegium meum Examinatorium [...] sedulo frequentasse et quaesitis egregie respondisse testor. IKant Log. et Met. Prof. Ord [vom 8. September 1793] 7.
Lehmann, Friedrich Theodor / Matrikel: 1786/10/09; Studienzeit: 1786-?? / Nachschriften): keine. Fundort: UB-Leipzig
[Text:] Virum iuvenem eximium Fridericum Lehmann Ribbekart. Promeran. Theol. Studiosum collegium meum Metaphysices examinatorium semestri hiberno 1786-87 frequentasse testor. Regiom. d 1 July 1788 I Kant Log. et Met. Prof. Ord. 8.
Levin, Samuel / Matrikel: 1784/12/22; Studienzeit: 1784-85 / Nachschrift(en): keine. Fundort: Abschrift in der handschriftliche Autobiographie Levins im New Yorker Leo Baeck Institute, Valentine Collection.
[Text:] Dass der stud. m. Sam. Löwen aus Potsdam gebürtig in diesem Sommer halben Jahr das Collegium der Phys. Geographie bei mir fleissig frequentirt habe, bezeige hierdurch Kberg. d. 5. A. 85 Kant 9.
Passarge, Heinrich Ferdinand / Matrikel: 1787/04/08; Studienzeit: 1787-?? / Nachschriften): keine. Quelle: Henrici C XII (ZKA, SBPK Berlin).
[Text:] [...] Examinatorium metaphys. [... vom 8. April 1790] 10.
Schröder, Friedrich Ludwig / Matrikel: 1783/04/25; Studienzeit: 1783-?? / Nachschriften): keine. Quelle: Handschriftenkatalog der Preußischen SB-Berlin
Text: nicht überliefert, es handelte sich um ein lateinisches Zeugnis vom 7. November 1783 für ein Logik-Kolleg.
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Teil IV
2) Quittungen Die nachfolgenden, ebenfalls standardisierten Informationen über eigenhändige Quittungen, die Kant seinen Studenten ausstellte, ergänzen ebenfalls die bei Malter 1988a gegebenen. Sie sind ebenfalls der Marburger Datenbank STUDENTEN entnommen und nach dem Alphabet der Nachnamen geordnet. 1.
Naumburg, Isaac / Matrikel: 1789/12/21; Studienzeit: 1789-?? / Nachschrift(en): keine. Fundort: UB-Marburg MS 764. [Text:] Acht Reichsthaler, als das honorarium für zwey collegia, der physischen Geographie und Anthropologie, sind mir in dato von Hr: Studios: Naumburg aus Märksch. Friedland bezahlt worden, worüber qvittire. Koenigsberg d 9 May 1791.1 Kant Erläuterung: Naumburg wird genannt auf der oben erwähnten Hörerliste für Physische Geographie des Sommmersemesters 1790 und auf dem Losen Blatt Al der Kant-Konvolute der StUB Königsberg notierte Kant: „Isaac Naumberg aus Friedland hat phys. Geographie dieses sommers bezahlt." 1 2.
Richter, Nathanael Gottlieb Ludwig / Matrikel: 1792/04/20; Studienzeit: 1792-?? / Nachschrift(en): keine. Quelle: Stargardt ΚΑΤ 630 (1983) Nr. 591, S. 183. [Text:] D e m Studios. Juris Nathanael Gottlieb Ludwig Richter aus Danzig bewillige ich hiermit einen A u f s c h u b bis zum 15ten Octobr. zu Bezahlung seines mir für die physische Geographie restirenden honorars von 4 rh. Koenigsberg den 6ten Septembr. 1795 I Kant Ρ. O 3.
Weiß, Reinhold Friedrich (1765-??) / Matrikel: 1782/08/15; Studienzeit: 1782-88/ Nachschrift(en): keine. Quelle: Stargardt ΚΑΤ 599 (1972) S. 461. [Text:] Vier Reichsthaler, als das Honorarium für ein collegium der physischen Geographie, sind mir in dato von Hrn Studios. Weiß bezahlt worden, worüber qvittire [25. 10. 1788] Weiß war befreundet mit R. B. Jachmann. Auch Kant muß ihn sehr geschätzt haben. An ihn ist der Brief Nr. 330a der AA-Kant gerichtet. Die Adreßseite im Original der Göttinger StUB lautet: „A Monsieur / Monsieur Weiss Homme de lettres a %Edimbourg"
3) Weitere Dokumente zum Studienbetrieb Die Erforschung des Verhältnisses zwischen Kant und seinen Studenten bildet eine der Voraussetzungen zur kritischen Würdigung der überlieferten Nachschriften von Kants Vorlesungen. Um die Verläßlichkeit ihrer Texte und der Datumsangaben der (Nach-)Schreiber beurteilen zu können, sind die Akten der Königsberger Universität oder der zuständigen Ministerien nicht die einzigen Quellen. In der universitären Verwaltung des 18. Jahrhunderts wurde vieles nicht festgehalten, was uns heute selbstverständlich erscheint. Interessiert man sich z.B. für den genauen Verlauf des Studiums eines bestimmten Studenten, dann reichen die genannten Akten nicht aus zu einer auch nur annähernden Rekonstruktion. Es bestand für den Studenten 1
Reicke (Hg) 1889,55.
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normalerweise keine Pflicht, den Besuch seiner Vorlesungen nachzuweisen oder anzugeben. Aufgrund dessen sind die von den Professoren für ihre Privatkollegien 1 ausgelegten Subskriptionszettel oder Beleglisten in diesem Fall die verläßlichsten Quellen. Von Kant sind bislang nur sehr wenige solcher Listen bekannt geworden. Vermutlich sind sie sämtlich durch Wasianski überliefert. Zwei von Kant auf den 7. April 1788 datierte hat Warda 2 veröffentlicht: für das Sommersemester 1788 zu den Vorlesungen über „Physische Geographie" und „Naturrecht". Fünf weitere konnte ich in den letzten Jahren ermitteln. Die New Yorker Public Library verwahrt zwei aus dem Wintersemester 1773/74: für „Anthropologie" und „Allgemeine praktische Weltweisheit zusammt der Ethik". In der Universitätsbibliothek in Uppsala sind drei aus dem Sommersemester 1775 deponiert: für „Enzyklopädie", „Naturrecht" und „Physische Geographie". Verschollen sind zwei oder drei andere. Adickes notierte sich die Namen einer Liste über die Hörer der „Physische Geographie" des Sommers 1790, die in der Berliner Staatsbibliothek lag. 3 Warda erwähnte in der genannten Publikation von 1899 ein ähnliches Manuskript „Vorlesungen aus dem Sommerhalbjahr 1787 betr., im Besitz der Handlung von Hirsch in Dresden". 4 Vielleicht waren es die Listen für die Vorlesungen über „Physische Geographie" und „Rationaltheologie". Ein anderes, meines Wissens in seiner Art einzigartiges, Dokument besitzt das HeineMuseum in Düsseldorf. Dort befindet sich ein Exemplar des üblicherweise gedruckten Prüfungszeugnisses der philosophischen Fakultät. Diese - allerdings nicht ernstzunehmende 5 - Hürde mußte von jedem in Königsberg ankommenden Studenten genommen werden, ehe er zum akademischen Bürger erklärt wurde. In das Düsseldorfer Exemplar hat Kant als Dekan der philosophischen Fakultät des Wintersemesters 1779/80 eigenhändig Datum „17. Martii", Namen und Herkunft eines Studenten eingetragen: „Politissimus luvenis / Daniel Ludovicus d'Osten / Buchholz ad Conitz Prussus". Osten ist am selben Tag vom Rektor Andreas Johannes Orlovius immatrikuliert worden. 6
Ein weiteres Stammbuch Auch die studentischen Stammbücher sind mehr als ein schönes historisches Dekorstück. Falls sie vollständig erhalten sind, und nicht nur der Kant-Autograph als einzelnes „Stammbuchblatt" die Zeitläufte überdauert hat, dann läßt sich mit diesen oft auch mit Zeichnungen illustrierten Handschriften eine reiche Quelle für die Erforschung des studentischen Szenerie gewinnen. Ein solcher Band, der von der Kant-Forschung jedoch nicht wahrgenommen wurde, ist schon 7 1936 kurz vorgestellt worden. Es handelt sich um das Stammbuch des schlesischen Pfarrers Christian Friedrich Hauser (1752-1811).
1
Für die öffentlichen Kollegien, bei Kant ab 1770 Logik und Metaphysik, existierten derartige Listen nicht. Zu dem gesamten Komplex vgl. Stark, Bad Homburger Vortrag v o m Herbst 1985 [im Erscheinen],
2
Warda 1899a.
3
Quellen: N L - A d i c k e s im Archiv der Berliner AdW, Handschriften-Katalog der früheren Preußischen Staatsbibliothek in der Deutschen Staatsbibliothek Berlin.
4
Warda 1899a, 346 Anm.
5
Zu den genauen Modalitäten vgl. Stark, »Untersuchungen zu Kants Vorlesungen« [in Vorbereitung].
6
Matrikel, Bd. II, S. 559.
7
Methner 1936.
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Teil IV
Animum rege, qui nisi par et, imperai. (Horatius.) Memoriae causa scripsit Auditori suo eximio Regiom: Pruss: I. Kant, d. 25. July 1777 Log: et Met: Prof: Ord. lautet Kants, nicht ganz standardmäßige Eintragung.1 Hauser ist im Juni 1774 in Königsberg immatrikuliert worden und zählt zu den relativ wenigen Studenten der 1770er Jahre, über die genauere Nachrichten verfügbar sind. Er war befreundet 2 mit dem Jurastudenten Johann Sigismund Kaehler, von dem eine Nachschrift zu Kants Vorlesungen über Physische Geographie überliefert ist, die aller Wahrscheinlichkeit nach im Sommer 1775 angefertigt wurde. 3 Das Original des Hauserschen Stammbuches befindet sich in der Bundesrepublik Deutschland in Privatbesitz, einen Mikrofilm des gesamten Hs-Bandes besitzt das KantArchiv.
1 2 3
Vgl. AA-Kant XII 417 Stammbuchvers Nr. 9 und Malter 1988a. Was aus Kaehlers Stammbucheintrag am 23. September 1777 hervorgeht: Methner 1936, 175. Eine kurze Vorstellung erfolgt durch mich demnächst in den »Kant-Studien«.
Teil V:
Beilagen
Α. Die Leipziger Versteigerung des Verlages von Friedrich Nicolovius (1832) Konsultiert man das bis heute nicht überholte Handbuch zur deutschen Verlagsgeschichte des 17. bis 19. Jahrhunderts von Rudolf Schmidt, so wird man auf die kurze und wechselvolle Geschichte der Nicolovius'sehen Verlagsbuchhandlung aufmerksam gemacht. 1 Zieht man weitere Literatur heran, so werden die wesentlichen Stationen ihres Niedergangs deutlich. 2 Nach Abschluß einer Buchhandelslehre bei Friedrich Hartknoch (ab 1787) in Riga gründet Friedrich Nicolovius seine eigene Handlung in Königsberg. Als Wohn- und Geschäftshaus erwirbt er 1791 das unmittelbar neben Kants Haus gelegene Anwesen des Generals Friedrich Karl Ludwig von Holstein Beck (1757-1816): Junckerstr. 13-14. Nach anfänglichen Geschäftserfolgen wendet sich während der Zeit des Niederganges des alten Preußen (1805/06) das Glück. 1818 sieht er sich gezwungen, in Königsberg Haus und Buchhandlung zu verkaufen. Das Königsberger Geschäft erwerben die Gebrüder Friedrich und Ludwig Bornträger aus Osterode/Harz. Nicolovius bleibt jedoch Eigentümer seines Leipziger Bücherdepots, das er unter Mitwirkung von Friedrich Perthes (1772-1843) erst im Sommer 1832 versteigern läßt. Zuvor (1827) hat er unter dem Signum „Universitätsverlag" noch ein Verlagsverzeichnis veröffentlichen können. Nach seinem Tod (16. Mai 1836) gelangen die Königsberger Reste seines Archivs in Verkehr. In einer Studie über Friedrichs älteren Bruder Georg Heinrich Ludwig (1767-1839) hat Fritz Fischer 1939 auf den im StA Hamburg lagernden Nachlaß von Friedrich Perthes als eine handschriftliche Quelle zu weiteren Recherchen aufmerksam gemacht. 3 Der nachfolgend erstmals veröffentlichte Brief 4 von Nicolovius an Perthes illustriert - wie S. 66 bereits angedeutet - wichtige Umstände der vorletzten Etappe des Zerfalls. [Vorderseite] Leipzig den 6ten Juny 1832 Werthgeschäzter Herr und Freund! Leider muß ich Ihnen melden, daß der kleine HofnungsSchimmer zum Verkauf meines Verlages im Ganzen erloschen ist: vorgestern erhielt ich einen Brief vom Herrn
1 2
3 4
Schmidt 1902-1908, 563-565. Die Informationen des folgenden Absatzes beruhen auf: Baczko 1819, Nekrolog zu Theodor Balthasar Nicolovius in: Preußische Provinzialblätter 8/1832/93-110, Rosenkranz 1837, Alfred Nicolovius 1841, Bergius 1850, Hagen 1850, Dreher 1896, Czygan 1902, Schmidt 1902-1908, Magnus-Unzer 1929, Fischer 1939, Miihlpfort 1971 und der »Altpreußischen Biographie«. Fischer 1939, 139f. Dem Hamburger StA danke ich für die Publikationsgenehmigung und die hier zugrundeliegende Xerokopie (Schreiben vom 11. August 1986), Signatur: Fam. Perthes 1,42a, 133.
266
Teil V
Joseephy in Berlin, 1 daß derjenige welcher den Ankauf meiner VerlagsHandlung beabsichtigte, bereits bei seiner Ankunft daselbst einen andern Kauf abgeschlossen hatte. Und um keine Zeit umsonst zu verlieren habe ich einen AuctionsTermin zum Verkauf der einzelnen Verlags Werke auf den 9ten Juli angesetzt: das Circulair an die Buchhandlungen mit der Anzeige derselben wird jezt gedrukt und diese Woche noch mit dem VerlagsCatalog zur Post versandt. 2 Einen späteren Termin konnte ich nicht wählen, weil mein Urlaub zu Ende geht und ich mich nach Beendigung dieses Geschäfts noch einge Zeit in Berlin aufhalten möchte. Ich hoffe, daß die mehresten Buchhandlungen den Catalog frühzeitig gnug erhalten werden, um Aufträge geben zu können, wenn sie den Ankauf eines oder des andern Werks beabsichtigen. Gott gebe einen glüklichen Ausgang; einige erwarten einen sehr guten Erfolg von der Auction, andre wieder einen schlechten, so schwebe ich zwischen Furcht und Hofnung und angstvoller Erwartung vier lange Wochen, die ich in Dresden zuzubringen gedenke, wohin ich übermorgen mit der Schnellpost abreisen will. Die Auction wird durch den hiesigen Herrn Advocat Hager abgehalten werden, den mir Herr Rein3 in Vorschlag brachte und der sich sie zu übernehmen bereitwillig erklärt hat. In der Leipziger Zeitung und im hiesigen Tageblatt erscheint nächstens noch [¿¿] eine Anzeige von mir, 4 in welcher ich meinen Verlag zum Verkauf im Ganzen ausbiete: dieses ist der lezte Versuch, den ich machen kann, der eben so wenig gelingen wird, als der frühere, den ich aber machen muß, [Rückseite] mir keine Vorwürfe zu machen. Wegen einer Geldzahlung an die Ettingerschen Erben 5 in Gotha sprach ich mit Ihnen schon mündlich bei ihrer Anwesenheit in Leipzig, konnte Ihnen darüber aber keine nähere Auskunft geben; jezt habe ich von Königsberg darüber genaure Nachricht erhalten. Der verstorbene Consistorialrath und Prediger Winkelman zu Mesohten6 in Curland hat in seinem Testament 30 Rubel Silbermünze an die Ettingerschen Erben in Gotha vermacht, als Entschädigung für einen Louisdor, den er als Student von dem Buchhändler Ettinger - Gotha auf einer Durchreise nach Paris geliehen hat. Gegen eine Quittung von den Ettingersch&n Erben können diese 30 Rubel Silbermünze in Königsberg von dem Doctor Rosenberger7 daselbst in Empfang genomen werden. Durch Herrn Unzers oder Borntraeger,9 [wo] mit denen der jezzige Buchhändler Herr Ettinger wohl in Verbindung steht, könnte diese Geschäft gemacht werden. Auch bin ich dazu bereit, wenn es so lange Zeit hat,
1 2 3
4 5 6 7 8 9
D. i. Julius Siegfried Joseephy; vgl. Schmidt 1902-08, 394. Dieser Katalog liegt damit den Zahlenangaben in Rosenkranz 1837 zugrunde. Ein Exemplar ließ sich bislang nicht ermitteln. D. i. Georg Carl Wilhelm Rein (1767-1844), Verleger und Buchhändler, Schwiegersohn von Heinsius. Frau Dr. Berger vom Leipziger Stadtarchiv wies mich mit Schreiben vom 21. Mai 1992 dankenswerterweise auf den Eintrag zu Rein im Leipziger »Adreßbuch« Jg. 1832, S.126 hin. Abdruck im Folgenden. Des bekannten Gothaer Buchhändlers und Verlegers Karl Wilhelm Ettinger. Georg Philipp Leopold Winkelmann (1766-1830). Christian Rosenberger] (17??-18??), Ehemann von Johann Georg Hamanns mittlerer Tochter Magdalene Catharina (1774-1849). August Wilhelm Unzer, Buchhändler in Königsberg. Georg Martin Bornträger (1788-1843) erwarb 1818 den Verlag von Nicolovius. (Magnus-Unzer 1929, 45).
Versteigerung Nicolovius
267
bis ich nach Königsberg zurükkomme: meine adresse in Dresden ist 'abzugeben beim Herrn Doctor Rosenberg',1 Möchten Sie die Güte haben, Herrn Ettinger von allem diesem in Kenntniß zu sezzen und ihm überlaßen, was er dabei zu thun für gut finden wird, verzeihen Sie nur daß ich Sie mit dieser Bitte belästige. Ich hätte die Sache mit Herrn Ettinger hier in Leipzig selbst besprechen können, wenn ich früher davon genau unterrichtet gewesen wäre. Mit aller Achtung und Freundschaft der Ihrige Friedrich Nicolovius. Die von Nicolovius genannten Anzeigen lauten: »Leipziger Tageblatt für das Jahr 1832. Zum Behuf aller öffentlichen Angelegenheiten, der Literatur und Künste in Leipzig, des Handels und der Gewerbe, [,..].«2 (Bd. I, No. 160, 8. Juni, S. 1676) „Verkauf einer Verlagsbuchhandlung. Die Universitäts-Buchhandlung in Königsberg, früher unter der Firma: Friedrich Nicolovius, ist willens, ihren sämmtlichen Verlag aus freier Hand im Ganzen zu verkaufen. Bei ihr sind erschienen Werke von vielen berühmten Männern, ζ. B. Bessel, Blumauer, Hagen, Hahn, Jacobi, Kant, Klinger, Kotzebue, Kraus, Schlosser, Schulz, Stolberg, Voigt, Voß und mehrere. Ein Verzeichnis sämmtlicher Verlagswerke, mit beigefügter Anzahl der Bogen und der vorräthigen Exemplare, wie auch der Preis und der verschiedenen Ausgaben, ist in der Rein'schen Buchhandlung in Leipzig zur Ansicht zu erhalten; auch erfährt man daselbst die vorläufigen Bedingungen unter welchen der Verkauf geschehen soll." (Bd. II, No. 3, 3. Juli, S. 20)3: „Bekanntmachung. Nachdem Herr Nicolovius, der Inhaber der Universitäts-Buchhandlung zu Königsberg, die Auflösung derselben freiwillig beschlossen, und mich zur Versteigerung der vorhandenen Verlagsbücher resp., sammt den Verlagsrechten, requirirt hat, mache ich hiermit bekannt, daß diese Auction nächstkommenden neunten Juli Nachmittags um 3 Uhr ihren Anfang nehmen, und an den folgenden Tagen früh von 9 bis 11 Uhr, und Nachmittags von 3 bis 6 Uhr, fortgesetzt und beendigt werden soll. Die Herren Buchhändler und sonstige Kaufsliebhaber werden daher ersucht, sich zu dieser Zeit in meiner Wohnung auf dem neuen Neumarkte Nr. 48, einzufinden. Advokat Hager, als requirirter Notar."
1
2 3
D . i . Friedrich Nicolovius Schwiegersohn Friedrich Rosenberg (17??-1850), Ehemann von Johann Georg Hamanns ältester Tochter Elisabeth Regina (1772-1838). - Die Lebensdaten beider Rosenberger] nach der Genealogischen Tafel in Knoll 1988, 302-303. Beide Brüder waren Ärzte J. G. Scheffner schrieb den 22. Februar 1813 an Penzel: „Von Hamanns Töchtern sind die 2 ältesten an die beyden hier etablierten Ärzte Rosenberg, u die jüngste an den Vice Präsidenten der hiesigen Regierung, einen Bruder des Buchhändlers Nicolovius verheiratet." (Scheffner »Briefe von und an« III, 447) Exemplar UB-Leipzig: Hist. Sax. 1072. Wiederholt in Bd. II, Nr. 8, 8. Juli, S. 65.
268
Teil V
Β. Chronologische Übersicht zu den nachgewiesenen Druckvorlagen und Reinschriften der Werke. Nicht benutzt zur Textherstellung in der Abteilung »Werke« der Akademie-Ausgabe sind die Nummern 2, 10, 11 und 15. Der Abdruck der Nummern 8, 12 und 13 in AA-Kant XXIII steht im Gegensatz zu den Prinzipien der Ausgabe: Druckvorlagen und Reinschriften werden in der Abtlg. der Werke benutzt. Zur Abtlg. „Handschriftlicher Nachlaß" rechnen nur „Reflexionen" bzw. „Vorarbeiten und Nachträge". Derzeit im Original greifbar sind die Nrn. 5, 6, 10, 13, 15 und 16. Nr. 2 war schon um 1900 verschollen·, zur Königsberger StUB gehörten die Nrn. 1, 3, 7, 8, 9, 12 und 14; Nr. 4 war Eigentum der Berliner Staatsbibliothek. Herausheben möchte ich, daß diese Ubersicht Anhaltspunkte für die These bietet, im Archiv von Friedrich Nicolovius ist die Hauptquelle für die handschriftlichen, unmittelbar drucktextrelevanten Zeugnisse derjenigen Kantischer Werke zu sehen, deren Verlag er übernommen hat.1 Sicher nicht damit verknüpft ist die Überlieferung der Nrn. 1, 4, 5, 15 und 16. (Vgl. S. 30f. Anm. dieses Bandes und Stark 1988). Sichtbar wird auch, daß Nicolovius die je erforderliche Zensur nicht in Königsberg besorgen ließ; vgl. auch Kants Brief an Tieftrunk vom 5. April 1798 (AA-Kant XII 240-241). Sehr nahe an den Drucktext heran reichen unter den zahlreichen „Vorarbeiten" vor allem drei Stücke, die man beinahe auch als „Reinschriften" bezeichnen könnte: Die losen Blätter „Kulimann", 2 „Krakau" 3 und „Kuffner 3", 4 die sämtlich auf den »Streit der Fakultäten« zu beziehen sind. „Kullmann" und „Krakau" gehen auf den zweiten Abschnitt „Erneuerte Frage" und in „Kuffner 3 " sind Formulierungen des dritten Abschnitts „Von der Macht des Gemüts" vorgebildet. Auch einige der zu den „Reflexionen" geschlagenen Handschriften kommen dem Drucktext so nahe, daß sie bei der Textkritik zu berücksichtigen sind. (Vgl. Rfl. 8077 zum »Streit«)
1.
Werk: 1755, de igne (Königsberg) / Ms-Bezeichnung: Akten, Königsberg [= UBKbg: Ms 2465] Zuordnung (AA-Kant): 01 369-384; Benutzung: 01 562-564. Beschreibung: „Das 12 Blätter starke Heft in Gross-Quart blieb bei den Facultätsacten und wurde nach dem Tode Kants der Universitätsbibliothek zu Königsberg übergeben, wo es aber nicht unter den Manuscripten, sondern bei den Andenken an ausgezeichnete Männer zur A u f b e w a h r u n g kam. [...] Unsere Ausgabe giebt den Originaltext der Kantischen Handschrift (H)." (Lasswitz 01 562) Druck non AA-Kant: R/Sch 05 233-254.
1
2 3 4
Die von Baum in KS 77/1986/320 Anm. geäußerte Vermutung, daß Nr. 10 von William Motherby an Perthes gelangt sein könnte, teile ich nicht. Es liegt kein Grund vor, zwischen den Verlegern Nicolovius und Friedrich Perthes eine weitere Instanz anzunehmen. Text in Kullmann 1914. Text in Weyand/Lehmann 1959-60. Herrn Wolfgang Georg Bayerer danke ich für den Hinweis auf seine für 1993 anstehende Publikation in einem Ergänzungsheft der Kant-Studien.
Druckvorlagen und Reinschriften
269
2.
Werk: 1755, de igne (Modes) / Ms-Bezeichnung: Modes, Leipzig [Fundort unbekannt] Zuordnung (AA-Kant): Ol 369-384; Benutzung: Beschreibung: „Die Aufschrift, welche diese Abhandlung in der hier abgedruckten Handschrift trägt, lehrt, daß sie die Probeschrift war, durch welche Kant sich den zu seiner Habilitation, welche fünf Monate darauf im September 1755 ([...]) erfolgte, erforderlichen Magistergrad erwarb. Jene Handschrift ist aus den Händen des Buchhändlers Nicolovius aus Königsberg beim Verkaufe seiner Buchhandlung mit in den Besitz des Herrn Buchhändler Modes in Leipzig gekommen; [...]." (Hartenstein 08; S. XVIII) Druck non AA-Kant: Hartenstein 08 383-403. 3.
Werk: 1776, Philanthropin 1 / Ms-Bezeichnung: Reicke 06 [in UB-Kbg: Ms 2574] Zuordnung (AA-Kant): 02 447-449; Benutzung: 02 523.
4.
Werk: 1788, teleologische Principien / Ms-Bezeichnung: BKB ?? [Berlin, Staatsbibliothek] Zuordnung (AA-Kant): 08 157-184; Benutzung: 08 490-491 als „H". Beschreibung: „Von dem Aufsatz ist ein Manuscript erhalten, das sich im Besitz der Berliner Königlichen Bibliothek befindet. Dasselbe umfasst acht Quartbogen von j e zwei auf beiden Seiten beschriebenen Blättern (auf dem letzten Bogen ist die 4. Seite leer). Der grössere Theil ([...]) ist von einem Abschreiber geschrieben und von Kant durchcorrigirt und da und dort durch neu beigefügte Noten ergänzt, der kleinere ([...]) ist von Kants Hand. Dass wir hier die Druckvorlage vor uns haben, ist zweifellos. (Maier 08 489-490) 5.
6.
Werk: 1790, Urtheilskraft / Ms-Bezeichnung: Rostock 2 [UB Rostock: Mss. var. 33] Zuordnung (AA-Kant): entfällt; Benutzung: 20 195 01 - 251 36 / Druck non AAKant: Cassirer-Ausgabe (1914) Bd. V; Lehmann (Hg) 1927; Hinske (Hg) et al. 1965 [Faksimile & Transkription]
Werk: 1792, Religion 01 / Ms-Bezeichnung: Prag [Stadtarchiv] Zuordnung (AAKant): 06 019 - 053; Benutzung: 06 506-508 als „H". Beschreibung: „Es sind 7 1/2 Doppelblätter (nebst einer nur einseitig beschriebenen Beilage zum dritten Doppelblatt) in Quart-Format; also 31 beschriebene Quart-Seiten. A m Schluß der letzten findet sich die eigenhändige Unterschrift: I. Kant - links daneben: Königsberg. Der Haupttext ist nicht von Kant selbst geschrieben, wohl aber stammen von seiner Hand vielfache Correcturen und Zusätze. Daß dieses Manuscript die Druckvorlage der Monatsschrift gewesen ist, beweisen folgende Momente: Dem ganzen Aufsatz ist die Ziffer 2 vorgesetzt; die Überschrift lautet einfach: Über das radicale Böse in der menschlichen Natur; neben der Überschrift befindet sich Hillmers [d. i. Gottlob Friedrich Hillmer (1756-1835), Mitglied der in Berlin ansässigen Immediat-Examinations-Kommission; W. St.] Censurvermerk; die Seitenumbrechungen der Monatsschrift sind am Rande markirt." (Wobbermin 06 500); vgl. Malter (Hg) 1974.
270
Teil V
7.
Werk: 1793, Religion 02 / Ms-Bezeichnung: Reicke 02 [= UB-Kbg: Ms 2572] Zuordnung (AA-Kant): 06 057 - 202; Benutzung: 06 508-516 als „H" Beschreibung: „ D a s Manuscript der Stücke II-IV erster Auflage [...]. Es umfaßt 66 Seiten in Folio, von denen die ersten 20 das zweite Stück, die folgenden 30 das dritte Stück enthalten. Die letzten 16 Folio-Seiten bieten zwei Fragmente des vierten Stükkes, nämlich vom Anfang desselben bis zu den Worten: Es ist der l e t z t e r e n vielmehr vortheilhaft] = S. 157, Z. 5.6; und sodann von den Worten [allmählich die moralische Bildung der Menschen = S. 176, Z. 4.5 bis zum 6ten Absatz der allgemeinen Anmerkung, wo das Manuscript mit den Worten: 4) Die Erhaltung die[ser Gemeinschaft] = S. 193, Z. 13/14 abbricht. - Die Blätter tragen das Vidi Hennings [d. i. Justus Christian Hennings (1731-1815), Prof. der philosophischen Fakultät in Jena\ W. St.]; auch sie sind von fremder Hand geschrieben (das dritte Stück von einer anderen, als das zweite und vierte), von Kant aber sorgfältig überarbeitet." (Wobbermin 06 500) Druck non AA-Kant: Emil Arnoldt GS; VI 043-103. 8.
Werk: 1794, Ende aller Dinge / Ms-Bezeichnung: E 59, la [in UB-Kbg: Ms 2698] Zuordnung (AA-Kant): 08 339 30-37; Benutzung: 08 505 als „ H " ; AA-Kant 2: 23 152 07 - 152 13. Beschreibung: ,,[...] von dieser Stelle hat sich die ursprüngliche, von fremder Hand geschriebene und von Kant durchcorrigirte Reinschrift erhalten. Kant scheint dieses letzte Stück der Reinschrift nicht in die Druckerei gegeben, sondern die Partie für den Druck neu geschrieben zu haben." (Maier 08 505) Druck non AA-Kant: Reicke II 219. 9.
Werk: 1795, Friede (vollständig) / Ms-Bezeichnung: Reicke 03 [= UB-Kbg: Ms 2573] Zuordnung (AA-Kant): 08 341 01 - 386 33; Benutzung: 08 510-511 als „H-2". Beschreibung: „Die Abschrift, die als Druckvorlage diente, H-2, aus dem Nachlass Reicke's in den Besitz der Königsberger Bibliothek übergegangen, 'umfasst 12 Bogen in fol., ist von d e m ' Leipziger 'Censor, Prof. der Moral und Politik Arndt [d. i. Gottfried August Arndt (1748-1819), W.St.] vorn auf dem Titelblatt und an 6 anderen Stellen mit dem Imprimatur versehen und von dem Setzer bei jedem neuen Druckbogen mit Rothstift markirt. Kant hat sie sorgfältig korrigirt und durch Randbemerkungen und zuletzt noch durch einen 2.Anhang auf 6 Seiten vermehrt' (Reicke)." (Maier 08 507) - Für den Schluß vgl. ferner Bayerer 1988, 314-317. 10.
Werk: 1795, Friede 01 / Ms-Bezeichnung: Perthes [StA Hamburg: Fam. Perthes I 40 h, 9] Zuordnung (AA-Kant): 08 343,01 - 347,33; Benutzung: --. Beschreibung: „ D a s neu a u f g e f u n d e n e Hamburger Reinschriftfragment mit den Anfangstexten von Kants Schrift »Zum ewigen Frieden« besteht aus einem gefalteten Doppelblatt zu 4 Groß-Quartseiten, mit zusammen 154 autographen Zeilen, von denen je 38 auf die I. und II. Seite, 36 auf die III., und 42 Zeilen auf die IV. Seite entfallen. Die Reinschrift ist von Kant in seiner üblichen Verfahrensweise erneut überarbeitet
Druckvorlagen und Reinschriften
271
worden, d. h. sie weist interlineare Korrekturen, Tilgungen unterschiedlichen Grades und Zusätze auf; ferner trägt sie auf dem freigehaltenen Randstreifen jeder Seite einige wenige Randzusätze geringen Umfangs." (Bayerer in: Baum et al. 1986, 321) Druck non AA-Kant: Baum et al. 1986. 11.
Werk: 1795, Friede 02 / Ms-Bezeichnung: Hunt, London [derzeitiger Fundort unbekannt] Zuordnung (AA-Kant): 08 348 01 - 3?? ??; Benutzung: -. Beschreibung: „Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch mitteilen, daß Herr R. N. Carew Hunt, London, mir vor einiger Zeit Mitteilung über den Erwerb einiger Blätter von Kants Hand machte. Von dem Genannten freundlichst übersandte Photographien zeigten, daß es sich um vier Seiten von Kants Reinschrift zum »Ewigen Frieden«, beginnend mit dem zweiten Abschnitt, 'welcher die Definitivartikel zum ewigen Frieden unter Staaten enthält', handelt. Eine Vergleichung der Handschrift mit dem Druck ergab nur unwesentliche Abweichungen. Über die zum »Ewigen Frieden« vorliegenden Manuskripte orientiert H. Maier in der Akademieausgabe Bd. VIII S. 506f. und K. Kehrbach in seiner Ausgabe bei Reclam." (Menzer 1930c, 579); vgl. Klemme (Hg) 1992, S. LXI. 12.
Werk: 1795, Friede 05 / Ms-Bezeichnung: F 08, 1-4 [in UB-Kbg: Ms 2698] Zuordnung (AA-Kant): 08 362 19 - 368 20; Benutzung: 08 510-511 als „H-l"; und 23 175 22- 182 18. Beschreibung: „Ein Fragment der Reinschrift, H-l ([...], von Reicke (F 8) beschrieben und edirt: 'ein Doppelblatt in gr. 4°, mit Rand,... als fünfte Lage von ihm [Kant] selbst am Rande oben mit '5' bezeichnet, mit 46, 41,42, und 41 Zeilen. [...]" (Maier 08 507) Druck non AA-Kant: Reicke II 297-307. 13.
Werk: 1795, Friede 06 / Ms-Bezeichnung: Weimar 1 [Goethes Autographenslg, Nr. 846] Zuordnung (AA-Kant): 08 370 01 - 375 21; Benutzung: 23 182 21 - 192 21. Beschreibung: „Wie fügt sich nun das von Vorländer im ehemaligen Goethe-SchillerArchiv ([...]) festgestellte, aber nicht identifizierte Manuskriptstück diesen Materialien ein? Die Frage ist leicht beantwortet: es ist ein Reinschriftfragment, wie das von Reicke veröffentlichte Lose Blatt F 8, und schließt, da es die Kantische Signatur 6 trägt - natürlich auch aufgrund seines Inhaltes - unmittelbar an dieses (mit der Kantischen Signatur 5) an. Das heißt, es entspricht den Seiten VIII 370-375 in der Akademieausgabe; [...]. Da wir das Fragment im Faksimile beigeben, können wir uns eine äußerliche Beschreibung nach Textverteilung, Spatien und Rändern ersparen." (Lehmann 1955, 8) Druck non AA-Kant: Lehmann 1955; vgl. Vorländer 1898. 14.
Werk: 1798, Streit / Ms-Bezeichnung: Reicke 10 b 06, 4 [in UB-Kbg: Ms 2574] ?? / Zuordnung (AA-Kant): 07 047 31 - 060 39; Benutzung: 07 347-348 Beschreibung: Die Handschrift umfasst „auf 5, auf beiden Seiten - abgesehen von dem Rand und ziemlich weiten Spatien zwischen den einzelnen Absätzen - eng beschriebe-
272
Teil V
nen Quartblättern den Text des Streits der Facultäten von den Worten [...] bis zu [...] Sie stammt nicht von Kants Hand, [... Enthält auch] auf einem mit den 5 übrigen zusammenhängenden 6. Blatte 15 nicht direct in diesen Zusammenhang, sondern unter die 'Losen Blätter' gehörige Zeilen nebst 24 Zeilen am Rande, welche beide von religionsphilosophischen Fragen handeln. Dazu kommt 4. eine von Reicke anscheinend übersehene Randbemerkung zu der ersten Zeile des ganzen Manuscripts, nämlich: aus d Streit d Facultäten." (Vorländer 07 348) 15.
Werk: 1798, Streit / Ms-Bezeichnung: Op-Post 13, 01, 1-4/ [Privatbesitz, BRD] Zuordnung (AA-Kant): 07 091 20 - 093 23 / Benutzung: 22 619-624. Beschreibung: „ 'Konv. 13', nur aus einem Bogen (einer Vorarbeit zum 2. Teil des Streits der Fakultäten, bestehend') liegt jetzt, in einen Konzeptbogen eingewickelt, zusammen mit dem 12. Konv. in einem Aktendeckel, der die Bezeichnung '12 & 13tes Konvoi' trägt. ') Dieser Bogen steht also mit dem übrigen Ms. in keinerlei Zusammenhang. S.III/IV stimmen mit VII 91-93 (Nr. 9, 10) fast wörtlich überein. Für Nr. 10 Z. 6 v.u. ergibt sich sogar noch eine Verbesserung, [...]. S. I/II des Ms.'s (auf S. II nur 8 Zeilen) bringen einen 'Beschluß', der von Kant nicht verwertet ist. Der Absatz VII 93/4 ist viel kürzer." (Adickes 1920, 36 + Anm.) 16.
Werk: 1798, Anthropologie / Ms-Bezeichnung: Rostock 1 [UB Rostock: Mss. var. 32] Zuordnung (AA-Kant): 07 395-415; Benutzung: 07 370-415 als „H". Beschreibung: „Das Manuscript der Anthropologie ist (nach einer freundlichen Mittheilung des Herrn Dr. Kohfeldt, Bibliothekars an der Rostocker Universitätsbibliothek) wahrscheinlich mit anderen Manuscripten aus dem Nachlass von Jak. Sig. Beck (t 1840) in den Besitz der Bibliothek gekommen. Es enthält 150 ziemlich eng beschriebene Folioseiten. Jeder Bogen [...]. Eine nach H hergestellte Abschrift hat nach Kant's Gewohnheit wohl auch hier die Druckvorlage gebildet." (Külpe 07 355) Benutzung non AA-Kant: Schöndörffer 1922 [= Cassirer-Ausgabe Bd. VIII], Weischedel-Ausgabe, in der Suhrkamp-Version von 1985, Bd. 12, S. 399-690]. Vgl. Malter (Hg) 1980, 353-375; Brandt 1990, 353-359; Jügelt 1991.
273
Kantkommission
C. Die Mitglieder und Vorsitzenden der Kantkommission der Berliner AdW Die Mitglieder nach dem Datum ihres Eintritts 1894-1894: 1894-1901: 1894-1911: 1896-1909: 1896-1922: 1896-1922: 1896-1936: 1897-1913: 1909-1955: 1911-1921: 1917-1926: 1917-1945: 1923-1933: 1925-1942: 1925-1955: 1934-1950: 1939-1945: 1945-1955:
Eduard Zeller Karl Weinhold Wilhelm Dilthey Max Heinze Hermann Diels Johannes Vahlen Carl Stumpf Erich Schmidt Paul Menzer Benno Erdmann Gustav Roethe Friedrich Meinecke Heinrich Maier Heinrich Lüders Eduard Spranger Nicolai Hartmann Carl August Emge Fritz Härtung
(Theologe & Philosoph)1 (Germanist) (Philosoph) (Philosoph, kein Mitglied der AdW) 2 (Altphilologe) (Altphilologe) (Psychologe & Philosoph) (Germanist) (Philosoph, kein Mitglied der AdW) 3 (Philosoph) (Germanist) (Historiker) (Philosoph) (Indologe) (Pädagoge & Philosoph) 4 (Philosoph) (Philosoph) (Historiker) ?
Die Mitglieder nach dem Geburtsjahr 1814-1908: 1823-1901: 1833-1911: 1835-1909: 1848-1922: 1848-1922: 1848-1936: 1851-1921: 1853-1913: 1 2
3 4
Eduard Zeller Karl Weinhold Wilhelm Dilthey Max Heinze Hermann Diels Johannes Vahlen Carl Stumpf Benno Erdmann Erich Schmidt
1859-1926: 1862-1954: 1867-1933: 1869-1943: 1873-1960: 1882-1950: 1882-1963: 1883-1967: 1886-1970:
Gustav Roethe Friedrich Meinecke Heinrich Maier Heinrich Lüders Paul Menzer Nicolai Hartmann Eduard Spranger Fritz Härtung Carl August Emge
Der 1814 geborene Zeller verließ Berlin 1894 und lebte bis zu seinem Tod 1908 in Stuttgart, vgl. Ziegler 1910. Er wird nicht als Kommissionsmitglied aufgeführt im ersten »Sitzungsbericht« vom 23. Januar 1896. Nur nach der Angabe in AA-Kant I; S. XVI (1902); weder in den »Sitzungsberichten« noch in den Akten als Mitglied der KK genannt. Der Vertrag mit ihm als Leiter der Abtlg. IV datiert vom 25. Juli 1895 und sah vor, die Arbeiten bis Ende 1900 zum Abschluß zu bringen. (Akten der KK, II-VIII, 153, fol. 16) Zu seiner Mitwirkung an Entscheidungen S. 93f. dieses Bandes. Abwesend Oktober 1936 - Oktober 1937.
274
Teil V
Die Vorsitzenden in chronologischer Wilhelm Dilthey: Benno Erdmann: Carl Stumpf: Heinrich Maier: Eduard Spranger: Nicolai Hartmann: Fritz Härtung:
Folge: (1894-1955) 1
1894-1911 1911-1921 1921-1923 1923-1933 1933-1936 1936-1945 1946-1955
Herausgeber der Abtlg. II »Briefwechsel«: Rudolf Reicke (1825-1905) Herausgeber der Abtlg. III »Handschriftlicher
1
Nachlaß«: Erich Adickes (1866-1928)
Als Konstitutionsdatum setze ich - juristisch nicht ganz korrekt - den 18. Oktober 1894 an, denn an diesem Tag faßte die Akademie auf einer Gesamtsitzung den Beschluß zur Ausgabe. (Akten der KK, II-VIII, 153, fol. 7). Vorausgegangen ist ein Antrag von Dilthey, Weinhold und Zeller, datierend vom 21. Juni 1894 (ebenda fol. 1). In den »Sitzungsberichten« erscheint die „Kant-Ausgabe" erst ab 1896. Den Endpunkt bildet hier das Jahr 1955: Erscheinen von Bd. XXIII im Dezember 1955. (Vgl. »Jahrbuch« 1955) Die Arbeiten an der Gesamtausgabe (zunächst Herstellung eines Index und ab 1958 Wiederaufnahme der Abtlg. IV „Vorlesungen") liefen in der Verantwortung der Berliner AdW weiter bis wenigstens August 1961 und die mit dem Bau der Berliner Mauer verbundenen Veränderungen der instititionellen Verantwortlichkeit: Übernahme der Abtlg. IV durch die Göttinger AdW. - Nicht ermittelte Ziffern sind durch ein „ ? " ersetzt, das auch hinter zweifelhaften Daten steht. - Grundlage sind die Angaben der »Sitzungsberichte«, des »Jahrbuchs«, der Akten der KK, und der beiden Auflagen (1902, 1910) von Bd. I der AA-Kant; S. XVI.
TEIL VI: Tabellen, Listen, Übersichten
A. Zum Briefwechsel 1)
Liste der mit veränderten Fundorten aufgefundenen Originale (Einzelstücke in der Abfolge der Briefnummern der AA-Kant: 45 Stück)
Stücke, die im Autographenhandel zu beobachten waren und nicht in öffentlichen Besitz übergingen, bleiben unberücksichtigt. 034: an: Lambert, Basel UB 057: an: Lambert, Basel UB 128: an: Nicolai, Cambridge/Mass. (USA) 133: an: Breitkopf, Berlin, SPBK (Slg Härtel) 163: an: Spener, Basel UB 165: an: Spener, Krakow, Biblioteka Jagiellonska 167: an: Reccard, Basel UB 172: an: Bernoulli, Basel UB 174: an: Bernoulli, Basel UB 218: an: Plessing, Dortmund StB 234: an: Linck, München SB 236: an: Biester, Dortmund StB 280: an: Hippel, Pennsylvania (USA) 300: an: Schütz, Privatbesitz, Schweiz 330a: an: Weiß, Göttingen StUB 340: an: Schultz, München SB 347: an: Jung-Stilling, Berlin SPBK 359: an: Reinhold, Düsseldorf (Goethe-Museum) 360: an: Reinhold, New York Pierpont Morgan Library 375: an: Jacobi, Uppsala UB 405a: an: Kiesewetter, Pennsylvania (USA) 436: an: Schultz, Warszawa BN 437: an: Schultz, München SB 507: an: Seile, Pennsylvania (USA) 522: an: Biester, Moskau, ehem. Leninbibliothek 551: an: LaGarde, Cambridge/Mass. (USA) 552: an: Erhard, Krakow Biblioteka Jagiellonska 560: an: Linck, München SB
574: an: Stäudlin, Berlin SPBK (Slg Härtel) 577: an: Reinhold, Marbach/N. (SchillerNationalmuseum) 635: an: Campe, Wolfenbüttel HAB, Slg Vieweg Nr. 882 654b: an: Karsten, Berlin SPBK (Slg Darmstädter) 668: an: Reinhold, Krakow Biblioteka Jagiellonska 671: an: Soemmering, Frankfurt/M (Freies Deutsches Hochstift) 678: an: Wasianski, Berlin SPBK (Slg Darmstädter) 692: an: Plücker, Bremen UB (Aut. XVII,29) 738: an: Hartknoch, Basel UB 740: an: Hufeland, Christoph Wilhelm, Uppsala UB 790: an: Tieftrunk, Marbach/N. (SchillerNationalmuseum) 796: an: Hufeland, Christoph Wilhelm, Dortmund StB 810: an: Lichtenberg, Marbach/N. (SchillerNationalmuseum) 834: an: Scheffner, Moskau, ehem. Leninbibliothek 841: an: Rink, Privatbesitz, BRD (A. Krause, Bonn) 850: an: Erhard, Krakow, Biblioteka Jagiellonska 856: an: Hagen, Carl Gottfried, Cambridge/Mass. (USA)
276 2)
Teil VI Liste der v e r s c h o l l e n e n nicht-amtlichen B r i e f e Kants in K ö n i g s b e r g e r B e s i t z v o r 1 9 4 5 (55 Stück)
D i e vier mit „ M a g i s t r a t " b e z e i c h n e t e n dürften sich unter der Signatur „ S 173. f o l . " in der Stadtbibliothek b e f u n d e n h a b e n , v g l . S e r a p h i m 1 9 0 9 , 2 6 8 , w e n n a u c h d i e e b e n d a zu l e s e n d e n A n g a b e n „ 6 Originalbriefe und amtliche Z e u g n i s s e v o n der H a n d Kants a. d. J. 1 7 7 7 - 1 7 9 3 " sich damit nicht g a n z zur D e c k u n g bringen lassen.
002: an: Haller [??] [UB (Slg Warda)] 007: an: Universität, Rector und Senat [Senatsakten] 008: an: Universität, philos. Fak. [Senatsakten (Kopie)] 047 [E]: an: Suckow [UB (= Duisburg 04)] 086: an: Hamann [UB (Nachlaß-Hamann)] 088: an: Hamann [UB (Nachlaß-Hamann)] 093: an: Reusch, Carl Daniel [UB] 156: an: Reusch, Carl Daniel [UB] 197: an: Reusch, Carl Daniel [UB] 200: an: Reusch, Carl Daniel [UB] 217: an: Reusch, Carl Daniel [UB] 227: an: Reusch, Carl Daniel [UB] 241: an: Reusch, Carl Daniel [UB (Konv. M, 04)] 302: an: Hippel [Magistrat] 385: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 387: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 392: an: Reinhold [UB (Reicke)] 397: an: Hippel [Magistrat] 399: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 405: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 412: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 414: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 444: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 456: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 461 [E]: an: Hellwag [StA] 480: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 494: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 509: an: LaGarde, François Théodore de [UB]
510 [E]: an: Herbert, Maria von [StA (NL Scheffner)] 516: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 519 [E]: an: Beloselsky [StA (NL Scheffner)] 525 [E]: an: Tafinger [UB] 531: an: Hippel [Magistrat] 533: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 555: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 573 [E]: an: Lichtenberg [UB] 575 [E]: an: Reuss [UB] 592 [E]: an: Struensee [UB] 593: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 643: an: LaGarde, François Théodore de [UB] 654 [E]: an: Daschkow [UB (Reicke)] 681: an: Hippel [Magistrat] 729 [E]: an: Struensee [UB (Reicke), zwei Entw.] 733a [E]: an: Nicolovius [UB (Konv. F, 17)] 767 [E]: an: Meierotto [UB] 768 [E]: an: Massow [UB] 800 [E]: an: Vigilantius [UB (Konv. M, 30)] 809 [E]: an: Richardson [UB (Konv. L, 27)] 814: an: Hagen, Friedrich Ludwig [Prussia] 823 [E]: an: Schultz, Johann und Kraus, Christian Jakob [UB (Konv. N, 07) [Beilage]] 839 [E]: an: Wilmans [UB (Reicke)] 871 [E]: an: Soemmering [UB (Konv. K, 07)] 878 [E]: an: Lehmann [UB (Reicke) [= Br. 653]] 884 [E]: an: Richter [UB (Konv. N, 56)] 900 [E]: an: Hampus [UB (Konv. K, 08)]
277
Briefwechsel 3)
Liste der v e r s c h o l l e n e n S t ü c k e der Berliner Staatsbibliothek nach d e m A l p h a b e t der A d r e s s a t e n ( 4 0 + 2 Stück)
D i e b e i d e n m i t n a c h g e s t e l l t e m [*] g e k e n n z e i c h n e t e n S t ü c k e sind in d e n H a n d s c h r i f t e n - K a t a l o g e n der B i b l i o t h e k n i c h t n a c h w e i s b a r ; in der A A - K a n t
ist j e d o c h K B [ -
K ö n i g l i c h e B i b l i o t h e k , B e r l i n ] als B e s i t z e r a n g e g e b e n ; v i e l l e i c h t g e h ö r t e n sie zur K ö nigsberger S t U B , die v o r 1 9 1 8 e b e n f a l l s als „ K ö n i g l i c h e " B i b l i o t h e k firmierte.
634: an: Beck, 1794,07,01 [Slg Autographa] 021: an: Borowski, 1761,03,06 [Slg Autographa] 485: an: Borowski, 1791,09,16 [Slg Autographa] 152: an: Engel, 1779,07,04 [Lessing-Slg] 027: an: Formey, 1763,06,28 [Slg Autographa] 642 [E]: an: Friedrich Wilhelm II, 1794,10,12-??, [Slg Autographa, frühere Besitzer: Schubert, F. W. & Bamberg,] 059: an: Herz, Marcus, 1770,09,27 [Lessing-Slg] 067: an: Herz, Marcus, 1771,06,07 [Lessing-Slg] 070: an: Herz, Marcus, 1772,02,21 [Lessing-Slg] 079: an: Herz, Marcus, 1773,10,25 [??] 112: 120: 134: 140: 141: 144: 145:
an: an: an: an: an: an: an:
[Lessing-Slg] Herz, Marcus, Herz, Marcus, Herz, Marcus, Herz, Marcus, Herz, Marcus, Herz, Marcus, Herz, Marcus,
1776,11,24 1777,08,20 1778,04,0? 1778,08,28 1778,10,20 1778,12,15 1778,12,11
[Lessing-Slg] [Lessing-Slg] [Lessing-Slg] [Lessing-Slg] [Lessing-Slg] [Lessing-Slg] [??]
146: 164: 254: 267: 312: 362: 454:
an: an: an: an: an: an: an:
[Lessing-Slg] Herz, Marcus, Herz, Marcus, Herz, Marcus, Herz, Marcus, Herz, Marcus, Herz, Marcus, Herz, Marcus,
1779,02,04 1781,05,01 1785,11,25 1786,04,07 1787,12,24 1789,05,26 1790,10,15
[Lessing-Slg] [Lessing-Slg] [Lessing-Slg] [Lessing-Slg] [Lessing-Slg] [Lessing-Slg] [Lessing-Slg]
273: an: Jakob, 1786,05,26 [Slg Autographa] 303: an: Jakob, 1787,09,11 [*] 503: an: Kant, Johann Heinrich, 1792,01,26 [Slg Autographa; durch Adelheid von Korff 1855 an Friedrich Wilhelm IV] 609: an: Kiesewetter, 1793,12,13 [Slg Autographa] 683: an: Kiesewetter, 1795,10,15 [Slg Autographa] 821: an: Kiesewetter, 1798,10,19 [Lessing-Slg] 867: an: Kiesewetter, 1800,07,08 [Lessing-Slg] 658: an: LaGarde, François Théodore de, 587: 038: 039: 135: 206: 855: 536:
an: an: an: an: an: an: an:
1795,03,30 [*] Linck, 1793,08,30 [Slg Autographa] Mendelssohn, 1766,02,07 [Lessing-Slg] Mendelssohn, 1766,04,08 [Lessing-Slg] Mendelssohn, 1778,07,13 [Lessing-Slg] Mendelssohn, 1783,08,16 [Lessing-Slg] Nicolovius, 1800,04,02 [Slg Autographa] Rath, Rudolph Gottlob, 1792,10,16 [Slg
Autographa] 897: an: Stuart, 1803,04,09 [Slg Autographa; durch Adelheid von Korff 1855 an Friedrich Wilhelm IV] Dazu: EÖ-06: Erklärung ad Fichte, 1799,08,07 [Slg Autographa] A-???: Exzellenz, 1786,08,17 [Slg Autographa]
278 4)
Teil VI Liste noch nicht aufgefundener Originale (Einzelstücke) nach d e m Alphabet der Adressaten: 65 Stück
Die Liste verzeichnet nicht Stücke, die in letzter Zeit im Autographenhandel zu beobachten waren; sie erstreckt sich ausschließlich auf Briefe Kants deren Texte der AA-Kant bekannt sind. In eckigen Klammern folgen knappe Angaben zur Provenienz. Zu Nr. 114 teilte mir Frau Förster von der 'Pädagogischen Zentralbibliothek', Berlin Alexanderplatz mit Schreiben vom 10. Mai 1991 freundlicherweise mit, daß „der Brief nicht mehr in unserem Bestand nachgewiesen ist. Er gehört zu den Bestandteilen, die während des Krieges zerstört bzw. durch Auslagerung abhanden kamen." 299: 288: 584: 266: 179:
an: an: an: an: an:
Baczko, 1787,??,??, [Baczko] Bahrdt, 1787,01,29, [Bahrdt] Beck, 1793,08,13, [Beck, Semple] Bering, 1786,04,05, [Bering] Biester, 1782,06,27, [Abschrift von Reichardt] 633: an: Biester, 1794,06,29, [Brassert (Bonn 1880)] 438: an: Blumenbach, 1790,08,05, [Blumenbach (Hannover)] 445: an: Bode, Johanes Eiert, 1790,09,02, [Bode] 411: an: Borowski, 1790,02,06-22, [Borowski] 540: an: Borowski, 1792,10,24, [Borowski] 576: an: Bouterwek, 1793,05,07, [Meyer (1878)] 146a: an: Feder, 1779,02,??, 504: an: Fichte, 1792,02,02, [Fichte] 525a: an: Fichte, 1792,08,??, 578: an: Fichte, 1793,05,12, [Fichte] 789: an: Fichte, 1797,10,13, [Fichte] 071: an: Friedrich II, 1772,04,14, 205: an: Garve, 1783,08,07, [Breslau] 820: an: Garve, 1798,09,21, [Breslau] 466: an: Gensichen, 1791,04,19, [USA (?)] 702: an: Hahnrieder, 1796,04,16, [Goerke] 379: an: Hartknoch, 1789,09,05, [Briefzitat aus Nr. 457] 232: an: Hippel, 1784,07,09, [Dorow 1841] 451a: an: Hippel, 1790,10,11, [Hirsch (Berlin)] 831: an: Jachmann, 1798,??,??, [Toebe, Henrici 58] 393: an: Jacobi, 1789,12,14, [Jacobi] 439: an: Kästner, 1790,08,05, [Literarisches Conversationsblatt 1822] 009: an: Kaiserin Elisabeth, 1758,12,14, 709: an: Kiesewetter, 1796,06,28, [Abschrift Hahnrieder] 029: an: Knobloch, 1763,08,10, [Druck: Borowski (1804)] 613a: an: Lehndorff, 1794,01,08, [Steinort, Lehndorfsches Archiv] 798 [E]: an: Lüdeke, 1798,02,??, [Hagen, 20 [dasselbe Blatt wie Br. 797]] 361: an: Maimón, 1789,05,24, [Maimón] 188: an: Metzger, 1782,12,31, [Druck: Baldinger 1783]
836: an: Motherby, Robert, 1799,03,28, [AdW Berlin, Akten der KK] 077: an: Nicolai, 1773,10,25, [[Facsimile: Berlin SB (acc. ms [!]); vielleicht Radowitz]] 428: an: Nicolovius, Friedrich, 1790,05,10, [Remak (Berlin)] 497a: an: Nicolovius, Friedrich, 1791,09,20, [Hirsch (Berlin)] 854: an: Nicolovius, Friedrich, 1800,03,28, [Hagen, August] 114: an: Regge, Friedrich Wilhelm, 1777,03,22, [Lehrerbücherei Berlin] 313: an: Reinhold, 1787,12,28-31, [Henrici 25, Toebe] 322: an: Reinhold, 1788,03,07, [Künzel] 487: an: Reinhold, 1791,09,21, [Reinhold] 575: an: Reuss, 1793,05,07, [Druck, Würzburger Gelehrte Anzeigen, Juli 1793, S. 147] 893: an: Rink, 1802,05,11, [Druck: Rink 1803] 751 [= EÖ-05]: an: Schlettwein, 1797,05,11, [Druck: Kant 1797 [Auszug]] 752 [= EÖ-05]: an: Schlettwein, 1797,05,29, [Druck: Kant 1797] 243: an: Schütz, 1785,09,13, [Schütz] 256: an: Schütz, 1785,11,??, [Schütz] 300a: an: Schütz, 1787,0?,??, [Schütz] 761: an: Schütz, 1797,07,10, [Schütz] 169: an: Schultz, 1781,08,03, [Yorck von Wartenburg] 209: an: Schultz, 1783,08,22, [Bührlen] 210: an: Schultz, 1783,08,26, [Bührlen] 441: an: Schultz, 1790,08,14, [Vaihinger] 499a+: an: Schultz, 1791,11,16, [Jockusch (1925 Wilhelmshaven)] 617: an: Schwenckner, 1794,02,18, [Spitta] 564: an: Spener, 1793,03,22, [Joseephy (Berlin)] 644: an: Stäudlin, 1794,12,04, [Stäudlin] 784: an: Tieftrunk, 1797,10,13, [Tieftrunk] 797: an: Tieftrunk, 1798,02,06, [Tieftrunk] 797 [E]: an: Tieftrunk, 1798,02,06, [Hagen 20 [dasselbe Blatt wie Br. 798]] 800: an: Vigilantius, 1798,02,27, [Tobias (Berlin)] 879: an: Vigilantius, 1800,11,26, [Strehlen] 881: an: Wasianski, 1800,12,12, [Körner-Museum (Dresden)]
Nachlaß
279
Β. Handschriftlicher Nachlaß Allgemeine Vorbemerkung Von der durch Adickes in AA-Kant XIV (1911; 2 1925) angekündigten genauen „Beschreibung der sämmtlichen Manuscripte, nach Ihrer Provenienz geordnet" (S. XLIV; vgl. S. LIV) blieb - wie gesagt - nur ein von G. Lehmann verfertigtes äußerst fehlerund mängelbehaftetes 1 „Verzeichnis der Losen Blätter Reickes nach ihrem Abdruck in der Akademieausgabe" (AA-Kant XXIII 534-542) übrig. Weiterreichende Arbeiten lagen der Öffentlichkeit bis zu Beginn meiner Recherchen und dem Aufbau des Marburger Kant-Archivs nicht vor. 2 Dies mag überraschen, denn seit den Arbeiten von Gottfried Martin und seinen Schülern am „Allgemeinen Kant-Index" 3 gibt es in Bonn und etwas später auch in Trier „Kant per Computer". 4 D. h. aber, daß nur der reine Kantische Text der Bde. I-XXIII der Akademie-Ausgabe auf elektronischen Datenträgern erfaßt ist. Es ist aus heutiger Perspektive unverständlich, daß insbesondere bei der Abtlg. III darauf verzichtet wurde, die von Adickes zu jeder Reflexion in Kopfzeilen und Fußnoten gegebenen Informationen über die Manuskripte selber zu berücksichtigen bzw. in einer eigenen Datenbank zu verwalten. 1984/85 habe ich einen Zettelkasten erstellt, dessen ca. 650 Karten - unter Verzicht auf die großen Einheiten (Die Siglen B, M, L, J, Pr, Th; vgl. AA-Kant XIV; S. LXII) und Dorp. I & II (vgl. AA-Kant XIII; S. XXIII) - die Manuskript-Informationen der Bde. I-XIX, XX und XXIII registrieren 5 und um Vermerke über Auslassungen und Doppeldrucke in der Akademie-Ausgabe ergänzen. Während der Arbeit an diesem Zettelkasten war deutlich geworden, daß nur bei Rückgriff auf elektronische Datenverarbeitungsanlagen das angestrebte Ziel, den bei Adickes und anderen in den 1920er Jahren erreichten Stand der Information über die Gesamtheit des handschriftlichen Nachlasses von Kant wieder verfügbar zu machen, in Angriff genommen und in einem vertretbaren Zeitraum zu einem befriedigenden Abschluß gebracht werden kann. Das ursprünglich für die Literaturverwaltung geschriebene Datenbankprogramm LIDOS (Copyright Doris Land) schien sich dazu zu eignen. 1
Zur Korrektur vgl. hier Teil VI: B. 3)
2
Ende April 1990 erfuhr ich von Herrn Albert Landau (Bebra), daß er vor einigen Jahren - ähnlich wie ich beim Vergleich zwischen Reicke I-III und den Angaben in AA-Kant XXIII Ungereimtheiten entdeckt habe. Die Kenntnis seines Typoskripts »Nachträge zur Edition der Losen Blätter in der Akademie-Ausgabe« (15 Blatt) wies mich auf einen Fehler in der Datenbank REFLEXIONEN hin. Übersehen worden war die kurze, eingeschobene Notiz auf der zweiten Seite von „C 0 7 " . - Herrn Landau möchte ich auch an dieser Stelle meinen Dank sagen für die mir freundlicherweise iiberlassene Xerokopie seiner Arbeit.
3
Martin 1965; vgl. Lenders 1982.
4
Hinske 1987.
5
Angaben aus den Bänden AA-Kant XXI-XXII wurden nur in Ausnahmefällen aufgenommen. Solche sind gegeben bei Berührungen zu den „Vorarbeiten" und dem „Briefwechsel" oder Überschneidungen mit den Bden. XIV-XIX.
280
Teil VI
Die Datenbank enthält auch eine Fülle von - hier nicht aufgelisteten - Informationen, die illustrieren können, wie Adickes seinen Apparat angelegt haben könnte. - Aus Mitteln der »Gesellschaft zur Förderung des Marburger Kant-Archivs« und einer Beihilfe der Stadt Marburg, ist in der zweiten Hälfte des Jahres 1988 die Lidos-Datenbank REFLEXIONEN erstellt worden. 1 Sie geht nicht nur als strukturierte Datenbank, sondern auch im Inhalt über den genannten Zettelkasten 2 hinaus, indem sie 1) in vielen Fällen auch den Text der in Abtlg. III der Akademie-Ausgabe fehlenden Kantischen Handschriften enthält, 3 2) ein eindeutiges, auf alle Blätter des handschriftlichen Nachlasses anwendbares Bezeichnungssystem durchführt. Der Umfang des so erfaßten Materials läßt sich kaum in allgemein beschreibender Weise abschätzen: Die Anzahl der zur Zeit (Januar 1993) vorhandenen Dokument-Einträge „1453" ist nicht allein aussagekräftig, denn Kantische Texte sind enthalten in nur „52" Dokumenten. Die Datenbank ist so angelegt, daß mit ihr sämtliche Informationen über Kants handschriftlichen Nachlaß verwaltet werden können. Ihre aktuelle Reichweite wurde (bei wenigen Ausnahmen) jedoch beschränkt auf die „Losen Blätter", d. h. es wurde bewußt auf die Registrierung der in Büchern enthaltenen Aufzeichnungen Kants verzichtet. Dies sind nicht nur die bei Adickes in AA-Kant XIV; S. LXII aufgeführten Titel (meist Lehrbücher), sondern auch andere. 4 Sie geht aus von einer durch die Überlieferung nahegelegten oder geschaffenen Bezeichnung für jedes einzelne Blatt. Damit ist, so hoffe ich, ein detailliertes Verzeichnis der bekannt gewordenen oder gedruckten einzelnen Handschriften Immanuel Kants erreicht worden. 5 Es geht, der Reichweite nach, über die Intentionen des von Adickes geplanten Schlußbandes der Abtlg. III hinaus; denn in dieser Abteilung sollten nicht sämtliche Handschriften Kants Aufnahme finden: Der Briefwechsel fiel in die Abteilung II und manche anderen Manuskripte wurden in Abtlg. I herangezogen. Außer durch Publikationen - vor allem von Erich Adickes - wurden die Informationen der Akademie-Ausgabe mit Hilfe von Archivalien des Archivs der Berliner AdW präzisiert und ergänzt. Mit der Datenbank kann nun die Gesamtheit des handschriftlichen Nachlasses von Immanuel Kant als erfaßt gelten. Sie verwaltet in einem Zugriff die verschiedenen heute verfügbaren gedruckten Textzeugen und die Uberlieferung der einzelnen Handschriften. Zusammen mit drei weiteren LIDOS-BANKEN (BRIEFWECHSEL, HEFTE, STUDENTEN) 6 bildet sie einen Informationspool zu Handschriften über, an oder 1 2 3 4 5 6
Herr Rolf Löchel besorgte 1988 das langwierige Abschreiben, die Konzeption geht auf mich zurück. Grundlegende Revisionen habe ich durchgeführt zur Jahreswende 1990/91 und im Frühjahr 1991. Die Angaben des Zettelkastens wurden vor Aufnahme in die Datenbank auf formale Korrektheit überprüft. Vgl. dazu hier Teil IV: B. Vgl. Warda 1922a und Stolowitsch 1986b. Vgl. den kursorischen Überblick in Malter/Staffa 1983, 98-102. HEFTE und STUDENTEN sind von mir angelegt und gehören zum Aufgabenbereich der Marburger Arbeitsstelle der Göttinger AdW: Ausgabe von Kants Vorlesungen.
Nachlaß: Vorarbeiten und Nachträge
281
von Kant. Dazu kommt eine weitere, KAN-LEK, die darauf abzielt Kants Lektüre zu erfassen, wozu als Teilmenge auch Kants eigene Bücher gehören. 1 In jüngster Zeit mehren sich die Hinweise, daß die Bestände der Königsberger Bibliotheken nicht endgültig als verschollen anzusehen sind. 2 Die sich damit eröffnende Möglichkeit, wenigstens Teile des verschwundenen Kant-Nachlasses wieder aufzufinden, setzt voraus, daß ein detaillierter Überblick über die früher bekannten Stücke vorhanden ist. Die skizzierte Datenbank ist dazu geeignet. Die nachfolgenden Listen und Verzeichnisse sind aus REFLEXIONEN abgeleitet; sie sollen letztlich auch die von mir in dieser Arbeit behauptete Unzulänglichkeit der Bände 20-23 der AkademieAusgabe von »Kant's gesammelten Schriften« in concreto vorführen, ohne der - notwendigen - Textrevision vorzugreifen.
1)
Verzeichnis der „Vorarbeiten und Nachträge"
Vorbemerkung Die Abgrenzung der „Vorarbeiten" von den „Reflexionen" hat Adickes, wie erwähnt, im Vorwort zu AA-Kant XIV; S. XXVI-XXVII dargelegt: „1) Die Einreihung unter die 'Vorarbeiten' geschieht nur dann, wenn die Beziehung auf eine projectirte oder wirklich erschienene Schrift (Aufsatz etc.) einigermassen sicher ist. 2) Dann wird alles, was auf dem betreffenden losen Blatt mit den Gedankengruppen des fraglichen Werkes in innerem Zusammenhang steht, zu den 'Vorarbeiten' geschlagen, auch wenn bei manchen einzelnen Bemerkungen die Zugehörigkeit zu jenem Werk nicht über allen Zweifel erhaben sein sollte. [...] Entscheidend in jedem Fall ist die Rücksicht auf die Associationsfäden, welche zwischen den einzelnen Aufzeichnungen eines losen Blattes hin und her spielen und unter keinen Umständen zerrissen werden dürfen." Diese Vorabinformation läßt einen äußeren, formalen Gesichtspunkt unerwähnt, der meines Erachtens von großer Wichtigkeit ist. Finden sich nämlich auf einem Blatt Hinweise, daß es einem größeren Kontext angehört, dann ist damit ein sicheres - weil interpretationsfreies - Indiz für die Einreihung unter „Vorarbeiten" gegeben. Vielfach finden sich nun - ähnlich wie auf den Reinschriftfragmenten Kants - derartige äußere Anhaltspunkte: Verweisungszeichen ! Leider sind fast alle handschriftlichen Originale verschollen, so daß ich hier zunächst nur auf das Beispiel der „Vorarbeiten" zur Schultzschen „Rezension von Eber1 2
Aufbau und Betreuung der Datenbank war Gegenstand eines seit Mitte 1990 zweijährigen DFG-Projektes, durchgeführt von Frau Elke König unter Leitung von Prof. Reinhard Brandt. Vgl. Komorowski 1980; Stark 1985a; Tondel 1987; Garber 1989, Ekdahl 1992 und hier S. 215. - Mit Schreiben vom 30. Juli 1992 teilt Prof. V. Ja. Derjagin von der Handschriftenabtlg. der Russischen Staatsbibliothek (vormals Lenin-Bibliothek) mit, daß sich unter ihren Beständen ein Exemplar von Carl Dalbergs »Grundsätze der Aesthetik [...]« (Erfurt 1791) befindet, das eine Widmung des Verfassers an Kant und einen eigenhändigen Eintrag von Kant zeigt. Es kann keinem vernünftigen Zweifel unterworfen werden, daß es sich dabei um das bei Warda 1922a, 47 aufgeführte Exemplar aus Kants Vorbesitz handelt.
282
Teil VI
hards Magazin", die in München und Rostock vorhanden sind, verweisen kann. 1 Hier liegt einer der wenigen glücklichen Fälle 2 vor, wo sogar die Anordnung der fünf Blätter anhand der Kantischen Blattbezeichnungen rekonstruiert werden konnte. In vielen anderen Fällen ist die Überlieferungslage nicht so günstig; es haben sich nur einzelne von mehreren ursprünglich von Kant aufeinander bezogenen Blättern erhalten. Die Spuren des Zusammenhangs sind jedoch öfter noch auszumachen. Dazu ein paar Beispiele: Einer der beiden Foliobogen - auch dies Format ist ein deutlicher Hinweis 3 trägt in einer oberen Ecke den Vermerk von Kants Hand „Bogen XXXVI" (AAKant XXIII 55 Anm.). Auf Blatt F 8 der Verweis „vid. S. 4 " (AA-Kant XXIII 151 Anm.). Oder auf Blatt E 32 die Angaben „No. l.a." (Fehlt in AA-Kant XXIII 284, zu finden Reicke II 119) und „N. l.b." (AA-Kant XXIII; 285 Anm.), wozu Blatt E 33 mit „No. 2.a." (AA-Kant XXIII 287 Anm.) anschließt. Ähnliche Verweise finden sich z.B. auch auf dem Folio-Blatt Reicke 05, das von Berger in AA-Kant XIX als Nr. 8077 unter die Reflexionen zur Rechtsphilosophie gezogen wurde, obwohl es „Rechts oben am Rande" von Kants Hand den Vermerk „Fortschritt B . " trägt, und somit zweifelsfrei als „Vorarbeit" zum zweiten Teil des »Streit der Fakultäten« zu identifizieren ist. 4 Weil in AA-Kant XX und XXIII diese Hinweise manchmal nicht mitgeführt, im übrigen aber unter die Anmerkungen verbannt sind, 5 ist die damit gegebene Chance, eine möglichst saubere Abgrenzung und Charakterisierung der „Vorarbeiten" herbeizuführen, vertan worden. Ich zweifle nicht, daß Adickes versucht haben würde, diese äußeren Anhaltspunkte auszuwerten und für die Edition fruchtbar zu machen. Zur Begründung für diese Auffassung genügt es, sich zu vergegenwärtigen, daß Adickes die bis heute gültige Bestimmung der einzelnen Entwürfe des sog. „Opus postumum" primär durch die konsequente Beachtung solcher Indizien, den Kantischen „Tintenbezeichnungen", in dem sonst kaum zu glaubenden Zeitraum von sechs Wochen gelungen ist. 6 - Wohlgemerkt, diese „Tintenöezeichnungen" sind nicht zu verwechseln mit den allgemeinen Tmt&nkriterien, wozu primär die Farbe der benutzten Tinte zählt. Die Anordnung der nachfolgend aus REFLEXIONEN angeführten „Vorarbeiten und Nachträge" geschieht nach den Kriterien: 1) Jahr, Vorarbeit / 2) Bezeichnung (alphanumerisch) / 3) Band und Seiten der AA-Kant. Zusätzlich folgt, sofern gegeben, in eckigen Klammern eine Datumsangabe, die auf die Überlieferung zurückgeht. Die Begründung dazu kann leicht der weiter unten folgenden Tabelle der Losen Blätter entnommen werden. Wesentlich zahlreicher und genauer würde in vielen Fällen eine 1 2
3 4 5 6
Vgl. AA-Kant XX 381-399 und dazu meine Tabelle in Stark 1987b, 181. Ähnlich die Blätter E 11-16 mit den Kantischen Bezeichnungen „1-6", die Schubert offenbar aus eben diesem Grund so aufeinander folgen ließ; vgl. in AA-Kant XXIII 211-242 jeweils die erste Anm. zu den einzelnen Blättern. Vgl. Adickes 1920, 56: „[...] Kants Gewohnheit [...], die ersten Entwürfe seiner Werke auf Oktavzetteln zu machen und erst in späteren Stadien der Arbeit, [...], zu größeren Formaten [...] zu greifen." Vgl. die Anmerkungen in AA-Kant XIX 603-604. Vgl. Lehmanns Bemerkungen zu dieser Sache in AA-Kant XXIII 510-511. Vgl. z. B. Adickes 1920, 91-92.
283
Nachlaß: Vorarbeiten und Nachträge
Datierung erfolgen können, falls die in den Texten auszumachenden historischen Indizien mit herangezogen würden. Mit einer zwingend erforderten Ausnahme (G 10, 1) habe ich davon abgesehen, eine Umgruppierung vorzunehmen. Hinzugefügt gegenüber dem Stand der Bde. XX und XXIII habe ich außerdem diejenigen Textpassagen aus den „Reflexionen" und dem „Opus postumum", die in zweifelsfreier Beziehung zum Text einer Druckschrift stehen. Die Aufstellung soll jedoch im wesentlichen den IstZustand festhalten und nicht einen Vorschlag entwickeln, wie die Texte der Losen Blätter den verschiedenen Publikationen zugewiesen werden könnten.1 Bei der engen zeitlichen Aufeinanderfolge und der thematischen Nähe des »Gemeinspruchs«, des »Ewigen Frieden« und des ersten Abschnittes des »Streit« würde ich es ζ. B. (mit Adickes 2 ) vorziehen, den Text eines Blattes nach Möglichkeit zusammenzulassen.3 *
1754,
Preisfrage D 31
*
*
23 0 0 3 , 0 3 - 0 0 7 , 2 9
Id-Nr:0000129
1755, De igne Dorpat 03, fol. 12-13 -Id-Nr: 0001940a [Vgl. AA-Kant 14, S. XXXVI, Text voraussichtlich »Kant-Forschungen« V] 1755,
Naturgeschichte E 69, 2-4
1764,
23 011,03 - 013,06
Id-Nr: 0000267
Beobachtungen Reicke 01
14 060-061; 065-107 20 003-181 Id-Nr: 0001413 [Kants Handexemplar seiner »Beobachtungen«, Sigle der AA-Kant „ B " . ] Reicke 10 b 02, 1-2 20 184,11 - 186,11 Id-Nr: 0001975a Reicke 10 b 03, 1 -2 20 186,12 - 189,10 Id-Nr: 0000982 Reicke 10 c 02, 1-2 20 189,11 - 191,03 Id-Nr: 0001005 Schubert 20 191,04 - 192,21 Id-Nr: 0001018 Schubert 01 20 183,01 - 184,10 Id-Nr: 0001021 1771, Stolpsche Preisfrage pro 1771 Kurl. Ges. für Kunst und Literatur Id-Nr: 0001029 [Vgl. AA-Kant 17 436 und 14, S.XXXIX] 1781, Critik der reinen Vernunft Β 02, 1 Β 12, 1-2 [1780,01,20]
1 2 3
23 017,04-19 23018,03 -020,15
Id-Nr: 0000052 Id-Nr: 0000064
Kritische Äußerungen zur vorliegenden Anordnung ζ. B. bei Brandt 1987b, 75 Anm. 36 und 78 Anm. 61 oder Ludwig (Hg) 1986. Vgl. AA-Kant XIV; S. XXVII oben. Besonders im negativen Sinn auffällig das Blatt F 19, das von Lehmann in vier weitere Fragmente zerlegt wurde, nachdem Adickes daraus schon die Rfl. 0071 und 6330 isoliert hatte. Vgl. dazu unten die Tabelle der Losen Blätter.
284
Teil VI
1783, Prolegomena Scheffner 1 & 2 23 053,03 - 065,24 Id-Nr: 0001027 [Im Inhaltsverzeichnis AA-Kant 23, S.VI als „Loses Blatt Warda" bezeichnet.] 1788, Critik der practischen Vernunft C 05, 1-2 23 069,03 -071,20 Halle 1 Fehlt! [Vgl. AA-Kant 05 499: Text in Lehmann 1981, 137-138] Op-Post 04, 26 32, 21 416, 07-28
Id-Nr: 0000078 Id-Nr: 0001948a Id-Nr: 0001956a
1788, teleologische Principien C 05, 1
23 075,03 - 076,24
Id-Nr: 0000077
1788, Ulrich Rezension D05 D 09, 2
23 079,03 - 080,32 23 081,03-34
Id-Nr: 0000097 Id-Nr: 0000102
1790, Critik der Urteilskraft D22, 1
15 436,10-437,15
Id-Nr: 0000118
1790, Schultz ad Eberhard Hagen 04 Hagen 05 Hagen 06 Hagen 07 Hagen 08 Rostock 1 Rostock 1
20 381,01 -384,29 20 384,30 - 389,24 20 389,24-391,14 20 392,01 -398,06 20 398,06-399,14 20 410,01 -418,02 20 419,01 -423,08
Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr:
0000902 0001947a 0000903 0001948b 0001949b 0001357 0001362
1790, Ueber eine Entdeckung [1789,09,02] C 06, 2 C 12, 1-2 C 13 [Vgl. AA-Kant 18 305] C 14, 1-2 D 15, 1-2
20 359,18 -362,07 20 373,22 - 378,07 20 355,01 - 359,17
Id-Nr: 0000079 Id-Nr: 0000088 Id-Nr: 0000089
20 367,11 373,21 20 362,08 367,10
Id-Nr: 0000090 Id-Nr: 0000110
1791, Theodizee G 13, 1
23 085,03-36
Id-Nr: 0000365
1793, Gemeinspruch C07, 1 CGI, 2 C 15, 1-4 D 13, 1-2 F 02, 1-2 F 07, 1-2 F 21, 1-2 Schubert
Fehlt! Id-Nr: 0000080 [Vgl. AA-Kant 18 643, Text hier S. 244-245] 23 127,03 - 128,05 Id-Nr: 0000082 [1793,04,27] 23 128,08 - 133,11 Id-Nr: 0000092 23 139,17 - 143,23 Id-Nr: 0000108 [1793,07,13] 23 133,14- 136,03 Id-Nr: 0000287 [1793.04.06] 23 136,06-34 Id-Nr: 0000299 [In der Akademieausgabe fehlt das Wort: „Modalität"; Reicke II 292] [1793.03.07] 23 137,03 - 139,14 Id-Nr: 0000334 [Vgl. AA-Kant 18 642] Fehlt! Id-Nr: 0001396 [Text hier S. 245]
285
Nachlaß: Vorarbeiten und Nachträge
1793, Religion Id-Nr: 0000106 D 13, 1 23 101,17-27 Id-Nr: 0000107 D 13, 1 23 108,10-23 Id-Nr: 0000232 E 43, 2-3 23 119,28 - 121,10 Id-Nr: 0000238 E 48 23 121,12- 122,14 Id-Nr: 0000239 23 117,17 - 119,23 E 49, 1-2 Id-Nr: 0000304 23 108,26- 111,18 F i l , 1-2 Id-Nr: 0000341 23 122,17 - 124,29 G 02 1793, Religion [?] Id-Nr: 0001879 Kuffner 0?, 0 [Tübinger Verzeichnis, von 1934: Private Nr. 4 „Kuffner, 1 Blatt auf Karton, doppelt beschrieben, mit einem Bild von Kant. 14:12,5.] Id-Nr: 0000669 M 15 [Vgl. AA-Kant 14, S.XLII] Reicke 10 b 08 Id-Nr: 0000992 [Tübinger Verzeichnis 1934 (R 8): „In Religionslehren sich voneinander..."] 1793, Religion, 0. Stück, Vorrede Id-Nr: 0001363 Rostock 1 20427,01 -432,22 Id-Nr: 0001974a Rostock 1 20433,01 -440,31 1793, Religion, 2. Stück E 43, 3-4 23 107,08 - 108,05 Id-Nr: 0000231 [Vgl. AA-Kant 18 634, 33] 1794, Ende aller Dinge F 18,2-4
23 151,03- 152,04
Id-Nr: 0000321
1794, Etwas ueber den Einfluß des Mondes A 15 D 06, 1-2
23 147,02 - 148,09 23 148,12-28
Id-Nr: 0000046 Id-Nr: 0000098
23 098,05 - 101,14 [Vgl. Adickes in AA-Kant 14 510, Anm.] F 19, 1-2 23 089,05 - 090,20 F 19,2 23 101,30- 103,15 G 12,2 23 103,18 - 104,16 G 15, 1-2 23 111,21 - 113,34 G 15,2 23 090,23-31 G 16, 1 23 106,03 - 107,05 G 16, 1-2 23 104,19- 105,15 G 16,2 23 091,03 -093,02 G 17, 1-2 [1793,09,18] 23 093,05-27 G 17, 1-4 [1793,09,18] 23 114,03- 117,14 G 27, 1-4 23 093,30 - 097,23 1794, Religion, 2. Stück, Anm. F 19, 1 23 105,20-30
Id-Nr: 0000067
1794, Religion C01, 1+3-4
1795, Friede A 12, 1-2 F 06,2 F 09, 1-2
[Text hier S. 246] [1795,06,03] [Vgl. AA-Kant 08, 507]
Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr:
0000327 0000328 0000362 0000368 0000367 0000371 0000370 0000369 0000373 0000374 0000392
Id-Nr: 0000329
23 155,22 - 156,02 Fehlt!
Id-Nr: 0000043 Id-Nr: 0000296
23 170,03 - 175,17
Id-Nr: 0000302
286
Teil VI
1795, Friede F 12,1-2 F 13, 1 F 15,1-2 F 16, 1-2 F 20, 1-2 F 23, 1-2 G 17,2
[1793,10,??] [1793,09,18] [Text hier S. 246]
23 166,28 - 167,10 23 155,05-19 23 159,03 - 163,04 23 167,13 - 169,36 23 156,05 - 158,34 23 163,07 - 166,25 Fehlt!
Schubert
Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr:
0000305 0001348 0000312 0000314 0000331 0000339 0000375
Id-Nr: 0001986a [Text hier S. 246]
1795, Friede [?] Schubert
Fehlt!
Id-Nr: 0001395
[1796,05,22]
23 199,03 -201,18 23 201,21 -205,15 23 205,17-19
Id-Nr: 0000029 Id-Nr: 0000030 Id-Nr: 0000195
1796, Soemmering G 22,4 [1794,08,30] Scheffner?? [1795,07,06]
13 4 1 2 , 2 0 - 4 1 3 , 1 4 13 398-412
Id-Nr: 0000383 Id-Nr: 0001984a
1796, vornehmer Ton E 18,2
[1795,11,07]
23 195,02-30
Id-Nr: 0000180
[1795,07,28] [1795,11,07] [1795,06,12]
23 245,03 -246,10 23 363,03 - 364,27 23 364,30 - 366,36 23 273,03 - 279,28 23 279,31 - 280,04 23 280,07 -281,04 23 255,24 -257,10 23 281,06 - 2 8 2 , 1 3 23 246,13 - 247,30 23 353,19 - 354,28 23 282,16 - 284,22 23 543,05-•24 Fehlt!
Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr:
0000069 0000154 0000159 0000161 0000169 0000178 0000181 0000184 0000190 0000196 0000199 0000203 0000201
23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23
Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr:
0000209 0000213 0000214 0000218 0000219 0000222 0000227 0000228 0000233 0000234 0000235
[Text hier S. 246f.] 1796, Ausgleichung A 02, 1-4 A 03, 1-4 E 23, 1
1797, Rechtslehre COI, 1 E O I , 1-2 E 04, 1-2 E 06, 1-4 E 10,2 E 17,2 E 18,2-3 E 19,2 E 22, 1 E 23, 1+3 E 24, 1-2 E 25, 1 E 25, 2
[1796,05,22]
[Text hier S. 247] E E E E E E E E E E E
29, 32, 33, 35, 36, 38, 41, 42, 43, 44 45,
1-2 1-2 1-4 22 1-2 1-2 2 1-4 1+4 1-2
[17??,??,??]
257,13284,25 287,07 292,09 248,03 249,27 • 262,03 295,10300,24 302,27 304,22 -
261,32 287,06 292.06 295.07 249.24 250,04 263,10 300,21 302.25 304,19 306,17
287
Nachlaß: Vorarbeiten und Nachträge 1797, Rechtslehre E 46, 1-2 E 47, 1-2 E 50 E 51, 1-2 E 53, 1-4 E 54, 1-2 E 55, 1-2 E 56, 1-2 E 57, 1-2 E 58, 1-2 E 59, 1-2 E 60, 1-2 E 68, 1-2 E 70, 1-2 E 71, 2 E 73, 1 E 75, 2 F 03, 1-2 F 04, 1-2 F 13, 1-2
[1794,03,05]
[1792,08,??] [1787,12,31]
[1795,06,12]
23 266,22 - 268,20 23 339,03 - 343,05 23 306,19-307,07 23 307,09-311,10 23 263,13 -266,19 + 2 6 6 Anm. 23 311,13 -313,14 23 313,17- 315,21 23 315,24- 317,26 23 317,29- 320,02 23 320,05 - 324,21 23 324,24 - 327,22 23 250,07 - 252,08 23 327,25 - 329,09 23 367,03 - 369,09 23 329,12-21 + Anm. 23 329,24 - 330,20 23 369,12 - 370,20 23 343,08 - 345,23 23 345,26-347,21 Fehlt!
[Text hier S. 247f.] F 14, 1-2+4 23 330,23 - 334,22 F 17, 1 [1796,10,??] 23 347,24 - 348,28 F 18, 1-2 23 334,25 - 336,12 F 18, 2-4 23 348,31 -353,16 F 19,2 23 268,23-269,15 G 22, 1 [1794,08,30] Fehlt! [Text hier S. 248] Hägen 23, 1-2 a [1794,01,28] Fehlt! [Text hier S. 252ff.] Kuffner 04, 1 Op-Post 02, 03, 3 21 178,13-30 Op-Post 04, 36, 1 21 461,14-463,07 Op-Post 04, 46, 1-2 21 470,05 -472,12 Op-Post 04, 46, 2 21 473 Anm. Schubert — [Text hier S. 248] Schubert --? [AA-Kant 06 334,37 - 335,07 (wörtlich)] Stuttgart, 1-2 [1792,04,14] [Text: Rischmiiller/Stark 1987, 116-117] Wasianski-Murr [Text: Stark 1987c, 220-221] ;htslehre, Entwurf E l l , 1-4 23 211,03 -216,32 E 12, 1-4 23 217,03 -223,30 E 13, 1-4 23 224,03 - 229,34 E 14, 1-2 23 230,03 - 232,27 E 15, 1-4 23 232,30 - 236,35 E 16, 1-4 23 237,03 - 242,33
Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr:
0000236 0000237 0000241 0000242 0000246 0000247 0000248 0000249 0000250 0000251 0000253 0000257 0000265 0000269 0000271 0000274 0000278 0000289 0000292 0000307
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0000311 0000317 0000320 0000322 0000330 0000385
Id-Nr: 0001934a Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr:
0001935a 0001959a 0001960a 0001957a 0001958 0001399
Id-Nr: 0001398 Id-Nr: 0001035 Id-Nr: 0001030
Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr:
0000171 0000172 0000173 0000174 0000175 0000176
288
Teil VI
1797, Tugendlehre Β KB 10
-
Id-Nr: 0000770
[Vgl. AA-Kant 15 832] E E E E E E E
03, 1-2 05,1-4 07, 1 09,1-4 09, 4 20, 1-2 21, 01
23 376,05 - 379,03 23 379,06 - 382,23 23 373,06 - 374,07 23 382,26 - 386,32 23 412,10 -413,03 23 399,06 - 403,22 23 374,10 - 375,10 [Siehe: AA-Kant 18 669 Anm.] E 22, 2 23 387,03 - 389,07 E 34, 1-2 23 406,27 - 408,05 E 37, 1-2 23 408,08 -410,23 E 38, 1-2 23 410,26 -412,05 E 39, 1 23 415,21 -416,06 23 403,25 - 404,34 E 39, 1-2 E 39, 2 23 413,06-•26 E 40, 1-2 23 416,11 -419,13 E 52 23 389,09-•32 E 72,1-2 23 413,29 -415,16 23 390,03 - 393,21 E 76, 1-4 F 06, 1-2 23 393,24 -396,13 23 375,13 - 376,02 F 15, 1 23 405,03 - 406,21 F 17,2 [1796,10,??] F 17, 3-4 [1796,10,??] 23 396,16 - 398,36 F 18,4 Fehlt! [Text hier S. 248] 1797, Tugendlehre, Beschluß [?] Leipzig 2 [Text hier S. 243] 1798, Anthropologie Op-Post 04, 0 1 , 3 E 23, 2
[1796,05,22] [Text hier S. 250f.]
Wasianski
Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr:
0000158 0000160 0000163 0000166 0000167 0000186 0000187
Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr:
0000192 0000215 0000220 0000221 0000395 0000396 0000397 0000224 0000243 0000273 0000280 0000295 0000313 0000318 0000319 0000324
Id-Nr: 0001448
21 344,18 -346,33; 347,19-28; 21 348,26 -349,19 Fehlt!
Id-Nr: 0001961a Id-Nr: 0000197
-
Id-Nr: 0001971
[Vgl. Wasianski 1980, 284] 1798, Rechtslehre [1797,05,06] Fehlt! Id-Nr: 0001040 Hagen 21, 1 -2 [Text in: Ludwig/Stark 1986, S. XLII-XLV] Rostock 2 20 443 Id-Nr: 0001974 [In AA-Kant 20 ohne Apparat; vgl. hier S. 204-205, vollständiger Text Cassirer-Ausgabe V 588; vgl. auch Ludwig (Hg) 1986, S. XXXVII Anm.] 1798 Rechtslehre, Anhang F 22, 1-2 23 357,08 - 359,23 Id-Nr: 0000337 Rostock 2 20 445,01 - 467,20 Id-Nr: 0001364
N a c h l a ß : Vorarbeiten u n d 1798, Streit Β 03 Barenton,
Nachträge
289
23 445,21 - 446,27 Id-Nr: 0000053 15 650,04 - 651,25 Id-Nr: 0000768 [Hing ursprünglich zusammen mit Brode. Die 1912 über die KK von Adickes unternommenen Versuche, daß Blatt ausfindig zu machen schlugen fehl; de Barenton war schon 1906 in Paris gestorben.] Fehlt! Id-Nr: 0001953a Bibel [Text hier S. 256ff.] Id-Nr: 0000823 23 463,04-32 Buck ?? [Vgl. AA-Kant 15 492,28 -493,15] Id-Nr: 0000119 D 23, 1-2 0430 15 172,16- 175,24 [Vgl. Adickes gegenläufige Anm.] E 02, 1 [179?,??,??] 23 448,16-25 Id-Nr: 0000156 23 446,30 - 448,14 Id-Nr: 0000170 E 10, 1-2 Id-Nr: 0000272 E 71, 1-2 23 4 3 5 , 0 9 - 4 3 7 , 1 0 23 423,05 -425,16 Id-Nr: 0000275 E 73, 1-2 Id-Nr: 0000020 E 77, 1;2;4 23 460,06 - 462,16 & 462,21-29 23 459,12 - 460,03 Id-Nr: 0000283 FOI, 1 23 425,20 - 426,08 Id-Nr: 0000293 F 05, 1 Id-Nr: 0000340 G 01, 1-4 23 450,27 - 454,03 [1797,11,12] Fehlt! Id-Nr: 0000343 G 03, 1-2 [Text hier S. 249] G 04 23 4 5 4 , 0 6 - 4 5 5 , 1 7 Id-Nr: 0000344 G 10, 1 [1797,07,29] 23 124,32-36 Id-Nr: 0000358 [In AA-Kant 23 124 falsch zugeordnet zur »Religion«] [1794,05,07] 23 4 3 8 , 2 4 - 4 4 2 , 1 1 Id-Nr: 0000360 G 11, 1-2 G 18, 1-2 23 448,28 - 450,24 Id-Nr: 0000376 G 19, 1-2 23 437,13 -438,21 Id-Nr: 0000377 G 20,1-2 23 430,27 - 432,09 Id-Nr: 0000379 G 23, 1-2 23 4 3 2 , 1 2 - 4 3 5 , 0 6 Id-Nr: 0000388 G 24, 1-2 23 443,03 - 4 4 5 , 1 9 Id-Nr: 0000389 G 25, 1-2 23 442,14-33 Id-Nr: 0000390 G 26, 1-2 23 426,11 - 4 3 0 , 2 4 Id-Nr: 0000391 Hägen 23, 1 -2 b [1794,01,28] Fehlt! Id-Nr: 0001962a [Text hier S. 252ff.] Κ 15 Fehlt! Id-Nr: 0000514 [Entweder gibt Schwarz die Bezeichnung falsch an, oder Adickes ad Rfl. 1505; als wahrscheinlicher angenommen Κ 15, Text hier S. 249f.] Krakau Id-Nr: 0001034 [Text in Lehmann/Weyand 1959-1960], Kuffner 03 23 464,03-17 [F] Id-Nr: 0001032 [In AA-Kant 23 nur der Anfang nach einem Antiquariatskatalog des 19. Jhds.; vollst. Publikation angekündigt für die »Kant-Studien«] Kullmann 23 455,21 -459,10 Id-Nr: 0000938 [Vermutlich ehemals Königsberg Konvolut F] Reicke 05, 1-4 19 604,02 - 612,23 Id-Nr: 0000976 Reicke 10 b 06, 4 [1797,08,??] Id-Nr: 0001968b [Vgl. AA-Kant 15 964 Anm.] Reicke 10 b 11 Id-Nr: 0000996 [Vgl. Adickes 1920, 55. Tübinger Verzeichnis von 1934 (R 11): „Spener sowohl als Zinsendorf..."] Reicke 10 b 07, 2 Id-Nr: 0001929 [Tübinger Verz. von 1934 (R 7): „Freiheit, Gleichheit und Einhelligkeit"]
290
Teil VI
17??, Stolpsche Preisfrage pro 17?? Halle 2 [Text in Lehmann 1981, 138-139] 1800, Jachmann Hagen 22 [Text in Henrich 1966] Op-Post 10, 13, 2 Prussia C 1804, Fortschritte COI,3 D 14, 1-2 D 18
[Text hier S. 251] [1793,11,05]
Id-Nr: 0001949a
Fehlt!
Id-Nr: 0001039
22 370,08-19 23 467,03 -468,21
Id-Nr: 0001955a Id-Nr: 0000972
Fehlt!
Id-Nr: 0000068
20 335,01 • 337,03 23 473,10- 475,08
Id-Nr: 0000109 Id-Nr: 0000113
1804, Fortschritte E 10, 1-2
E 31, 1-2 F 03, 1 F 05, 1 G 12, 1 G 13,2 M 19,3 Rink
20 337,04 - 338,25 20 338,26 - 340,24 20 340,25 -341,15 20 341,16-343,25 [AA-Kant 20 342 ausgelassen „Franz von Schlesien" : Reicke 20 343,26 - 344,19 20 344,20-346,14 20 346,15 -351,11 [Vgl. AA-Kant 14, S. XLIII] 20 255,01 -332,36
Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr: II 286] Id-Nr: Id-Nr: Id-Nr:
0000168 0000211 0000288 0000294 0000361 0000364 0000677
Id-Nr: 0001977a
1804, Uebergang Berlin SBPK, 10486 Id-Nr: 0001965a [Text in Bayerer 1967] Berlin SBPK, I 1413 Id-Nr: 0001947b [Text in Bayerer 1981] Β KB Id-Nr: 0001964a [Vgl. Stark 1987c, 210-211] Busolt 1,5-6 [1800,09,20] Id-Nr: 0001945a [Ist Rückseite des Briefes Nr. 874; vgl. AA-Kant 15 969,35-36. Vgl. auch Adickes 1920, 834] 23 479,03 - 483,09 Id-Nr: 0000114 D 19, 1-4 23 483,12-485,06 Id-Nr: 0000123 D 25, 1-2 23 485,09-22 Id-Nr: 0000191 E 22, 1 23 485,25 - 486,03 Id-Nr: 0000378 G 19,2 23 486,05-09 Id-Nr: 0000519 LOI 23 486,11-30 Id-Nr: 0000521 L 02 [1798,06,??] 23 486,32-33 Id-Nr: 0000588 L 27 23 487,02-16 Id-Nr: 0000598 [1799,04,21] L 31 23 487,19-30 Id-Nr: 0000616 L 40, 2-3 23 488,02-03 Id-Nr: 0000628 L 48 23 488,05-17 Id-Nr: 0000641 L 55 Id-Nr: 0001951a Leipzig 1 — [Text in Stark 1991a] Id-Nr: 0001038 Leningrad 2 [Text in Waschkies 1987b, 229-230]
Nachlaß: Vorarbeiten und Nachträge 1804, Uebergang Op-Post
Op-Post
Presting Reicke 10 b 15,0 [Vgl. Reicke 10 c 10, 0 [Text
291
15 972,14-974,14/ 22 295,23 - 297,11 [...] 298,06-08 & 22 298,15-17 Id-Nr: 0000966 15 974,17 - 976,09 & 976,11-18 / 22 302,06 - 304,12 & 304,16-18 & 304,21 - 305,03 Id-Nr: 0000967 22 805-806 Id-Nr: 0000973 Id-Nr: 0001003 Adickes 1920, 363 Anm.l Id-Nr: 0001015 hierS. 251]
1???, Ungeklärt Reicke 10 b 10 [Vgl. AA-Kant 18 666 Anm. & Adickes 1920, 55]
Id-Nr: 0000994
292 2)
Teil V I Übersicht der Doubletten innerhalb der Abtlg. III, ergänzt um Doubletten in Bd. XXIII zu Abtlg. I
Bezeichnung
Ref.-Nr.
AA-Kant-1
AA-Kant-2
Id.-Nr.
Β 02, 2
5640
18 279,02-08
23 017,21-27
0000001
D 07, 2
7919
19 554,05 - 555,02
23 255,03-21
0000002
D 17, 1-2
4849
18 005,14-008,07
23 471,03 -473,07
0000004
E 21, 1-2
1531
E 59, la E 77, 3-4
6357
F 08, 1-4 F 22, 1
1536
F 22, 1-2
6345
G 09, 2
8089
Op-Post
1552
15 957,09 - 960,04
23 375,08 [= 15 960,04]
0000005
08 505 als „ H "
23 152,07- 152,13
0000252
18 681,26-682,21
23 462,18-9 [= 18 682,13-14]
0000021
08 510-511 als „ H - l "
23 175,22- 182,18
0000301
15 961,04
23 358,35
0000007
18 670,06-12/ 14-19
23 357,03-08 /
19 632,05 - 633,28
23 543,27 - 545,04
15 972,15 -974,14
22 295,23 -297,11 [...]
15 974,17 -976,09 &
22 302,06-304,12 &
359,08-11 «fe 25-27
298,06-08 & 298,15-17
0000336 0000010
0000966
Op-Post
1553
Op-Post
5652a
18 305,02-18
21 4 4 0 , 1 6 - 4 4 1 , 0 2
0000968
Op-Post 04, 00
6352a
18 679,01-09
21 338,04-05 & 337,23 - 338,03
0000970
6338a
18 659,09-665,21
976,11-18
304,16-18 & 304,21 - 305,03
0000967
Op-Post 04, 39/40
Op-Post 04, 44
7314
14 060-061; 065-107
Reicke 01 Weimar 3 b
1
19 310,17-311,07
4850
18 008,09-15
21 454,21 -461,12
0000969
21 446,02-12
0000971
20 003-181 * '
0001413
23 488,19-25
0000895
Zwölf Reflexionen aus dem Handexemplar der »Beobachtungen«: Nr. 17 (XIV 060), Nr. 18 (XIV 061) Beide von G. Lehmann nicht vermerkt), Nr. 20 (XIV 065-072 = XX 080-083), Nr. 21 (XIV 073-078 = XX 110), Nr. 22 (XIV 078 = XX 110), Nr. 23 (XIV 079-080 = XX 121), Nr. 24 (XIV 083 = XX 137), Nr. 25 (XIV 090 = XX 169), Nr. 26 (XIV 094-096 = XX 169-170), Nr. 27 (XIV 097 = XX 170), Nr. 28 (XIV 099100 = XX 171-172), Nr. 29 (XIV 105-107 = XX 178).
293
Nachlaß: Lose Blätter
3)
Tabelle der Losen Blätter
Vorbemerkung Die nachfolgende tabellarische Übersicht zu Losen Blättern beansprucht Vollständig-
keit bezogen auf die AA-Kant und die weiteren in dieser Arbeit herangezogenen Quellen: mit Ausnahme des Konvolutes
L der früheren Königsberger StUB, wovon sich ei-
nige Originale im Nachlaß-Kant des Berliner Akademie-Archivs befinden. Auch unter den Adickes-Papieren ebenda sind zahlreiche Abschriften daraus vorhanden. Diese eher privaten, häuslichen Notizen enthalten eine Fülle von Details, die historische Anhaltspunkte zur Datierung liefern können. Insbesondere bestehen vielfach Beziehungen zu den Papieren des Werkes von „Übergang". Die Sortierung erfolgte alphanumerisch 1 nach den Bezeichnungen: jedem einzelnen Blatt ist ein eigener Name zugewiesen, der jeweils links von dem häufig auftretenden Komma steht. Rechts vom Komma stehen Untereinheiten eines Blattes (Seiten, Spalten, Absätze), die zum Teil erst durch mich eingeführt worden sind, oder Bibliothekssignaturen. Tritt rechts vom Komma nur eine „ 0 " auf, dann handelt es sich bei den Einträgen um nicht aufgearbeitete Verweise, die aus praktischen Erwägungen so vorläufig verwaltet sind. Die Buchstaben A-N verweisen auf die Konvolute des von Schubert angelegten Kant-Nachlasses der StUB Königsberg (Ms 2698). Die übrigen Bezeichnungen bedeuten: Akten, Königsberg:
Der StUB Königsberg überwiesen als Ms 2465.
Barenton: Vgl. AA-Kant XV 650 Anm. Aus den Akten der KK geht hervor, daß die Bemühungen den Verbleib ausfindig zu machen, im Sommer 1912 in der Auskunft endeten, daß der in Paris lebende Besitzer 1906 gestorben sei. Berlin, AdW = Haensellpapiere; vgl. hier S. 100, ζ. Z. Archiv der AdW Göttingen. Β KB = Berliner Königliche Bibliothek bzw. deren Rechtsnachfolger bis 1945. Die meisten Stücke sind verschollen, vgl. hier Teil VI: A 3). Brode: Nicht ermittelt. Buck = Ms 2613 der StUB Königsberg, vgl. Stark 1987c. Busolt: Um 1920 im Besitz von „Frau Anna Dietze geb. Busolt in Dresden (Joh. GeorgenAllee 2 II)" 2 Danz, Jena: Nicht sicher ermittelt. Die Königsberger StUB besaß als Ms 2634 drei Photographien von Manuskripten aus dem Besitz der Danzschen Familie in Jena. Ich vermute, daß es sich um die Familie von Prof. Erich Danz (1850-1914)
gehandelt
hat; vgl.
Bauch 1914. Dengel: Die Originale lagen schon Adickes nicht vor. Sie befanden sich um 1840 im Besitz des Königsberger Oberlehrers Carl Julius Dengel (1800-1851).
1 2
Eine überkommene, mit römischen Ziffern durchgeführte Zählung wurde aus technischen Gründen in eine arabische übersetzt. Vgl. NL-Erich Adickes 5,71.
294
Teil V I
Dorpat: vgl. hier S. 206f.. Sämtliche drei Brief-Bände im Archiv der Berliner A d W . Duisburg:
vgl. hier S. 25f.1
Hagen: Seit 1923 in der StUB München, 2 vgl. hier S. 44ff. Halle: UB-Halle Hamburg: StUB Hamburg Henrici:
Karl Ernst Henrici, Versteigerung 155 am 5.Juli 1929 (Berlin). Das Blatt ist ver-
schollen. Der Text wurde erst 1968 von Bayerer aufgrund eines Faksimile ediert ( K S 59/1968/267-272). Ich selber wurde 1988 von Herrn Markus Adams (Berlin) auf die Reproduktion im Katalog 155 von Henrici hingewiesen und identifizierte dann das Stück. Hunt, London: Nicht ermittelt, vgl. hier S. 271. Jonas: Nicht ermittelt. Kant-Studien:
heute SBPK: 1/1364.
Kemke: Nicht ermittelt, gehörte zur Königsberger StUB als Ms 2660. Kiesewetter.
Kants Korrespondent, dazu folgendes: Der Aufsatz Warda 1928 klärt die in der
Akademie-Ausgabe nicht befriedigend erläuterte Überlieferung oder Entstehung der sogenannten Kiesewetter-Aufsätze. Zunächst steht fest, daß Adickes nur ein
Autograph
Kants verfügbar war: Kiesewetter 8 [= Rfl. 6312]; ein Autograph, das auf einem „bibliothekarisch nicht gekennzeichneten Quartblatt" ( A A - K a n t 18 607, 9-10) zu lesen war. Für den Text der übrigen 7 Kiesewetter-Aufsätze hat Adickes sich nur auf den Abdruck bei Schubert (XI/1 S. 2 6 I f f . ) stützen können. Dabei ist ihm ein Fehler unterlaufen, den er freilich beinahe selbst korrigiert hat. Es ist nämlich keineswegs sicher, daß Schubert „in seiner oberflächlichen Sorglosigkeit und Eilfertigkeit den Kiesewetter-Aufsatz [ = Nr. 3, W.St] als Kantisches Ms. abdruckte]." ( A A - K a n t 18 608, 5-6) Vielmehr legt die Formulierung von Schubert etwas anderes nahe: „Ich lasse sie hier in der von Kiesewetter bereits 1808 handschriftlich gemachten Reihenfolge abdrucken. Die Mittheilung derselben verdanke ich der zuvorkommenden Gewogenheit des Geheimen-Legationsraths Varnhagen von Ense". (Schubert XI/1 S. 261). Was man so zu verstehen hat: „Ich, Schubert, drucke hier Texte (Aufsätze) ab, die Kiesewetter 1808 geschrieben hat, diese Texte verdanke ich ...." Diese Lesart ergibt sich vor dem Hintergrund der Beobachtung, daß Schuberts Deutsch häufig nicht präzise ist, so daß man seine Formulierungen nicht allzu wörtlich nehmen darf. Adickes hat Schuberts Angabe so verstanden, als ob gesagt wäre, Kiesewetter habe nur die Reihenfolge 1808 „gemacht". - Adickes wußte nicht, welches Projekt Kiesewetters hinter der bei Schubert zu lesenden Jahreszahl „ 1 8 0 8 " stand. A u f fällig ist ferner, daß Schubert erstaunlich präzise Angaben über Kiesewetters Königsberger Aufenthalt macht, bei dem dieser die „Aufsätze Kants" erhalten haben will. In dem Artikel von Warda wird die Quelle für Schuberts Ausführungen sichtbar, so daß zugleich der präzise Kontext der Abfassung der sieben Aufsätze aus dem Jahr 1808 erkannt wer-
1
Die Nummern 1-8 wurden von der S t U B Königsberg erworben, die übrigen gingen in private Hände über. Duisburg 10 befindet sich heute in der UB-Tübingen Mi X 44 und Duisburg 12 in der S B P K II1208.
2
Nach einem Vermerk der Bibliothek ( v o m 14. 1. 1966) ist bei einer Revision das Fehlen von Hagen 20 festgestellt worden.
Nachlaß: Lose Blätter
295
den kann. Es ist eine Schrift über Kants Naturphilosophie, deren Vorrede Kiesewetter im Frühjahr 1808 niederschrieb. Im Anhang dazu wollte er „mehrere kleine Aufsätze von Kant" (Warda 1928, 312) veröffentlichen. Dem Plan dieser Arbeit verdanken wir demnach die Überlieferung der Kiesewetter-Aufsätze. Varnhagen hat Schubert also keine von Kant eigenhändig geschriebenen Manuskripte zur Verfügung gestellt, 1 sondern die Fassungen Kiesewetters aus dem Jahr 1808 - mehr sagt Schubert nicht! Damit ist jedoch die Entstehung, d. h. die Verfasserschaft, keineswegs geklärt. Schreiber und Verfasser sind ja nicht notwendig identisch. Und zu dieser Frage hat Adickes aufgrund 1. seiner Kenntnis des einen „bibliothekarisch nicht gekennzeichneten" Autographen (Kiesewetter 8) 2. sprachlicher und inhaltlicher Eigenarten von Kiesewetter 3, bei dem es sich ganz zweifelsfrei um eine andere Fassung des Inhalts von Kiesewetter 8 handelt, ausgeschlossen, „daß [er] von Kant stammt." (XVIII 609, 19f.) Daraus ergibt sich, daß man alle Texte der Kiesewetter-Aufsätze (mit Ausnahme der Nummer 3 bzw. 8) nur sehr zurückhaltend heranziehen darf, denn es ist nicht gesichert, daß die Formulierungen genau so von Kant stammen. Kiesewetter hat die Texte anscheinend, vgl. Adickes zu Nummer 3, nicht einfach abgeschrieben, sondern wenigstens redigiert. Krakau: Krakow, Muzeum Czartoryskich Kulimann: Nicht ermittelt. Kurl. Ges.: Mitau, Kurländische Gesellschaft für Literatur und Kunst. Die Autographensammlung und andere Bestände des Museums sind lange vor der juristischen Auflösung der Gesellschaft (Okt. 1939) an das Lettische Staatsarchiv nach Riga gelangt; vgl. Schlau 1968. Leipzig: UB-Leipzig Leipzig, V-Mus: »Katalog der Sammlungen des historischen Museums der Völkerschlacht und Zeit Napoleon I zu Leipzig [...]« (Leipzig 1901). Das private Museum war von Johann Martin Bertsch begründet worden. Der Kant-Autograph war die Nr. 1025 des Kataloges. Der Verbleib der Sammlungen konnte nicht aufgeklärt werden. Leningrad, Saltykow-StSchedrin Bibliothek [jetzt St. Petersburg] Modes, Leipzig: Vgl. hier S. 65ff. Op-post: Vgl. hier S. 53ff, die „Familien-Papiere". Perthes: NL-Perthes im StA Hamburg. Prag: Praha, Stadtarchiv. Presting: Nicht ermittelt; vgl. Akten der KK, II-VIII, 160, fol.l29ff. Prussia: Sammlungen der Altertumsgesellschaft Prussia, Königsberg; als Depostita in der Königsberger StUB. Puttlich: Um 1900 im Besitz der verwitweten Frau Rittergutsbesitzerin Puttlich zu Sandlack. 1
Vgl. dazu Warda (Hg) 1926, 49f.
296
Teil VI
Reicke: Sammlung von Rudolf Reicke, Ms 2571-2586 der Königsberger StUB. Rink: Publikation von Rink 1804. Rostock: UB-Rostock, vgl. hier S. 48ff. Scheffner: Nachlaß Johann Georg Scheffner, StA Königsberg (verschollen). Schreibtafel: Nicht ermittelt, vermutlich zur StUB Königsberg. Schubert: Friedrich Wilhelm Schubert, vgl. hier S. 64ff. Schüleraufsatz: Vermächtnis David Friedländer, SBPK Ms germ, quart. 400. Schultheiss: Nicht ermittelt. Stern: Notiz im NL-Adickes der Berliner AdW: Geschenk Reickes an „Dr. Siegfried Stern". Stuttgart: LB Stuttgart. Toebe: Nicht ermittelt. Uppsala: UB-Uppsala. Warda: In Arthur Wardas Autographensammlung, StUB Königsberg als Ms 2902. Wasianski: vgl. hier S. 20f. Wasianski, Familienbuch: Abgedruckt in Emil Arnoldt GS 111,2 S.107-109, vorhanden im NL-Kant des Berliner Akademie-Archivs. Weimar: Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen Deutschen Literatur in Weimar. Goethe und Schiller Archiv. Wien: NB-Wien. Die gelegentlich in Klammern auftretenden Buchstaben unter „Brf.-Nr" bedeuten: A = Addendum PS = Postscriptum Β = Beilage Q = Quelle E = Entwurf ν = vacat F = Fragment Ζ = Zugabe Die ganz rechts unter „ I d - N r . " (Identifikationsnummer) zu lesenden siebenstelligen Zahlen haben eine nur datenbankinterne Bedeutung. Aus technischen Gründen sind die Nummern der Reflexionen und Briefe zu vier- bzw. dreistelligen Zahlen mit führenden Nullen aufgefüllt; deswegen geschehen auch die Datumsangaben nach der sog. archivalischen Notation (Jahr, Monat, Tag) in der gleichen Weise. - In der nachfolgenden tabellarischen Übersicht werden nicht alle Beobachtungen sichtbar, die sich durch die Erfassung in einer Datenbank leicht machen lassen. Stellvertretend für viele greife ich eine heraus. In AA-Kant XVI „ L o g i k " sind nur zwei Reflexionen auszumachen, die auf einzelnen, losen Blättern stehen: Rfl. 1820a (Rückseite des Briefes Nr. 68 (9. Juli 1771) von Herz, und die Rfl. 3226 auf Blatt G 23. Darf man dies etwa - trotz der nur sehr begrenzt überlieferten Gesamtheit des Nachlasses - als Indiz dafür nehmen, daß Kant an der Diziplin der Logik im engeren Sinn wenig oder gar kein Interesse genommen hat?
Ref.
AA-Kant-1
0013
14 053,02-055,08
0068
14 497,02-03
AA-Kant-2
Brf-Nr.
Brf.-Dat
434 [F]:
1790,06,??
23 199,03-201,18
0014
0008 0010 0002 0007 0059 0069 0084 1534 6332 0009 0006
0085 0004 0105 0003
23 201,21 -205,15 14 055,10 - 059,05 14 033,16 - 034,08 14 038,02 -051,19 14 005,01 - 008,03 Fehlt! 14 032,01 -033,15 14 461,02 - 467,05 II 182,13-•20 14 498,02-- 1 6 14 541,05--13 15 960, Μ--15 Ι 8 654,05-•06 23 155,22 - 156,02 14 034,09 -037,17 14 031,02-•14 23 147,02 - 148,09 14 543,02-10 14 011,02 - 022,12 14 622,02-18 14 008,05-010,13 13 510,01-512,32 01 369-384
1799.03.12
13 148
5640
23 017,04-19 18 279,02-08 23 445,21 -446,27
6334 0454 0066 5655
18 654,12-655,14 15 186,19- 188,04 14 489,08-12 18 314,01 -316,17
6315 4759 4760 4758
18 618,03-621,19 17 708,05 - 711,09 17711,12-713,21 17 705,25 - 708,02 10 364,23-36 14 060,03-10 15 432,06-433,13
0016 0988
23018,03-020,15
147h
15 650,04-651,25
243 [Ζ ?]:
1785.09.13
000:
1795,??,??
219:
1784,02,07
A-000:
1780,01,20
23017,21-27
298
Teil
Bzch Berlin, Berlin, Berlin: Berlin: Berlin:
Ref. AdW AdW SBPK, I 1679 SBPK, 10486 SBPK, I 1413
AA-Kant-2
13 553 12 279,10-15 6317a 18 629,12-632,21 /II 144,18-32
Brf-Nr.
Brf.-Dat
E-004 [Z\: 836: 413:
1799,03,28 1790,03,12
BKB BKB BKB BKB BKB BKB BKB BKB BKB
-
Fehlt!
0001953a EÖ-06 [E]: A-000: 587: 027:
1799,08,07 1786,06,17 1793,08,30 1763,06,28
485: 683
1791,09,16 1795,10,15
642 [E: H-l, H-2, H-3]: 634:
1794,10,?? 1794,07,01
10 450,25-451,25 10 034,04-27 08 490-491 als "H" 11 374,31 - 375,27 11 476,15-477,07 12 345,28-346,15 11 320,17-321,05 12 041,04-15
273: 021
1786,05,26 1761,03,06
536 609 897 503 678
1792,10,16 1793,12,13 1803,04,09 1792,01,26 1795,09,15
12 300,30-34 10 267,34-268,27 11 398,04 - 399,26 12 027,15-32 12 296,10-297,10
855 165 552 668 850
1800,04,02 1781,05,11 1792,12,21 1795,07,01 1799,12,20
12 014,34-015,20 10 493,29-495,04
658: 303
1795,03,30 1787,09,11
—
11 447,04-28 10 041,12 - 042,15 -
??
11 284,04-29 12 045,04-37 -
13 372,03 -387,06 11 514,28-516,07 -
-
6328
18 649,13-650,09 -
Fehlt! -
6365
18 691,23-692,02 -
7318 8105
19 315,20-27 19 647,06-649,11 -
0457 1538 7317 1517
15 189,02-07 15 961,14-963,02 19 315,17-18 15 864,16 - 867,13 -
8107
19 649,22 - 650,02 -
0103
Id.Nr. 0001931a 0001355 0000024 0001965a 0001947b
-
Bibel
BKB BKB BKB BKB BKB BKB BKB BKB BKB BKB, (Dar.) BKB, (Rad.) BKB, (Rad.) BKB, (Rad.) BKB, (Varnh.) a 27 BKB, (Varnh.) a 27 BKB, (Varnh.) a 27 BKB, (Varnh.) a 27 BKB, Memorienheft BKB, [?] BKB, [?] BKB 02 BKB 06, 1-2 BKB 07 BKB 10 BKB 11, 1 BKB 11,2 BKB 12, 1-2 BKB 13 BKB 13, 1-3 BKB 14 BKB 14, 1 BKB 14, 1 BKB 14, 1 BKB 14, 2 BKB 15, 1-2 BKB 16 BKB 17, 1 BKB 17, 2 BKB 18
AA-Kant-1
VI
14 621,03-09
000 [E]:
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299
Nachlaß: Lose Blätter Bzch
AA-Kant-2
Brf-Nr.
Brf.-Dat
Id.Nr.
Ref.
AA-Kant-1
1-2
5644
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1
0558
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1-2 1-2 1-2
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0000820
BKB BKB BKB BKB BKB BKB BKB BKB BKB BKB BKB
Buck Buck Buck Buck Buck Buck Buck Buck Buck Buck Buck Buck Buck
19, 20 21, 22, 23, 24 25, 26 27, 29, 36,
00 01, 1 01, 2 10 11 11, 1+3 ?? ?? ?? ?? ?? ?? ??
Busolt Busolt Busolt Busolt Busolt Busolt Busolt Busolt
1, 1 1,1-2 1,3 1,5-6 1,6 1, 6 1,7 1-3
COI, 1 C O I , 1+3-4 C O I , 1-3 COI,2 COI,3 C 02 C 02, 1 C 02, 1-2 C 02, 1-2 C 02, 2; 1 C 02, 2; 2 C 02, 2; 3 C 02, 2; 4 C 02, 2; 5 C 02, 2; 6 C 03, 1-2
000:
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300
Teil VI
Bzch
Ref.
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4762
D 01 D 01 D 02 D 02, 1-2 D 03, 1-2 D 04, 1-2 D 05 D 05 D 06 D 06, 1-2 D 07 D 07, 1 -2 D 07,2 D 08 D 0 8 , 1-2 D 09, 1 D 09,2 D 09, 2 D 10 DIO, 1 D i l , 1-2 D 12, 1-2 D 13, 1 D 13, 1 D 13, 1-2 D 14 D 14, 1-2 D 15, 1-2 D 16, 1-2 D 17, 1-2 D 18 D 19, 1-4
AA-Kant-1
AA-Kant-2
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6329
Brf.-Dat
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6324
Brf-Nr.
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602:
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4761 4849
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301
Nachlaß: Lose Blätter Brf.-Dat
Id.Nr.
Ref.
AA-Kant-1
D D D D D D D D D D D D D D D D D D
0044 4756
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Nicht identifiziert
0001434
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0045 0041 0042 0064 0043 3704 3705
Danz, Jena Dengel Dengel Dengel Dengel Dengel Dengel Dengel
Ol 02 03 03-04 05 06 07
Dorpat Dorpat 01,007 Dorpat 01,047 Dorpat 01,077-078 Dorpat 01, 141 Dorpat 02,077 Dorpat 02, 135 Dorpat 02, 135; a Dorpat 02, 182 Dorpat 02, 194 Dorpat 03,01 Dorpat 03, 02 Dorpat 03,03 Dorpat 03, 04 Dorpat 03, 05 Dorpat 03,06-07; a Dorpat 03,06-07; b Dorpat 03,08 Dorpat 03,09 Dorpat 03, 10-11 Dorpat 03, 1Γ Dorpat 03, 12-13 Dorpat 03, 14-17 Dorpat 03, 18-20 Dorpat 03, 21-22 Dorpat 03,23-25 Dorpat 03, 26 Dorpat 03, 27; a
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AA-Kant-2
Brf-Nr.
Bzch
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442 068 247 251 471 155 076 076 012 372 — :
1790,08,16 1771,07,09 1785,10,11 1785,11,08 1791,05,14 1779,??,?? 1773,07,03 1773,07,03 1759,10,10 1789,08,16 1755
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-
4673
5656
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-
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E-001 [E]:
10 10 12 10
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1773,11,18
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302
Teil VI
Bzch
Ref.
Dorpat Dorpat Dorpat Dorpat Dorpat Dorpat Dorpat Dorpat Dorpat
03, 27; a 4672 03, 28 03, 31-32 ([B] 29-30) 03, 33-34 03, 35-36 03, 37-38 03, 39 03,40 03,41-43
Dorpat Dorpat Dorpat Dorpat Dorpat Dorpat Dorpat
03, 03, 03, 03, 03, 03, 03,
Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg Duisburg EOI, E 02 E 02, E 02, E 03, E 04, E 05,
44-51 52-53 54-55 56-59 60-61 62-63 64-65
01 02 03 04 05, 06 06, 07 07, 08 08, 09 09, 10 10, 11 11, 12 12, 13 13, 14 14, 15 15, 16 16, 17 17, 18 18,
AA-Kant-1 17 635,16-636,14 12 0 8 7 , 1 7 - 0 8 8 , 0 9 12 004,04 - 006,10 10 136,31 - 137,17 10 335,24 - 336,20 11 4 6 1 , 0 4 - 4 6 3 , 0 5 10 275,31 - 276,15 12 133,10-29
Brf-Nr.
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13 153-154 12 348,04-350,05 11 205,11 -206,34
251 [Β]: 899 [Β]: 447:
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999 [F]:
I799 99 99
-
1-3
3707
1-4
7202
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1-2
4674
1-4
4675
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1-2
5552
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1-4
4676
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1-2
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4680
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1-2
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1-2
4684
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6342
Brf.-Dat
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1-2 1 1 1-2 1-2 1-4
AA-Kant-2
23 18 23 23 23
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1790,09,??
Id.Nr. 0000863 0000864 0000865 0000866 0000867 0000868 0000869 0000870 0000871 0000872 0000873 0001943a 0001944a 0000874 0000875 0000876 0000877 0000878 0000879 0000880 0000881 0001886 0000882 0001887 0000883 0001888 0000884 0001889 0000885 0001890 0000886 0001891 0000887 0001892 0000888 0001893 0000889 0001894 0000890 0001895 0000891 0001896 0000892 0001897 0000893 0001898 0000894 0000154 0000155 0000156 0000157 0000158 0000159 0000160
303 Ref.
AA-Kant-l
AA-Kant-2
Brf-Nr.
Brf.-Dat
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6347 6318
6348 1531
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0086 6322
23 373,06 - 374,07 18 671,27-30 18 632,23 - 6 3 3 , 0 3 23 382,26 - 386,32 23 4 1 2 , 1 0 - 4 1 3 , 0 3 23 4 4 6 , 3 0 - 4 4 8 , 1 4 20 337,04 - 338,25 23 279,31 - 2 8 0 , 0 4 23 211,03 -216,32 23 217,03 - 223,30 23 224,03 - 229,34 23 230,03 - 232,27 23 232,30 - 236,35 23 237,03 - 242,33 12 029,24-030,11 23 280,07-281,04 12 050,04-17 23 195,02-30 23 2 5 5 , 2 4 - 2 5 7 , 1 0 12 0 2 4 , 2 9 - 0 2 5 , 0 6 23 2 8 1 , 0 6 - 2 8 2 , 1 3 23 399,06 - 403,22 23 3 7 4 , 1 0 - 3 7 5 , 1 0 18 672,01-23 15 957,09 - 960,04 23 485,09-22 23 246,13 - 247,30 23 387,03 - 389,07 12 0 8 2 , 2 9 - 0 8 3 , 0 4 23 205,17-19 23 353,19 - 354,28 Fehlt! 19 6 4 5 , 0 3 - 6 4 6 , 1 6 23 2 8 2 , 1 6 - 2 8 4 , 2 2 19 642,11-13 23 543,05-24 19 642,15-23 Fehlt! 15 9 5 5 , 1 2 - 9 5 6 , 0 6 18 665,29 - 666,09 19 646,19 19 602,21 -603,12 15 9 5 4 , 0 2 - 9 5 5 , 1 0 18 666,12-667,06 23 257,13 -261,32 19 6 3 9 , 2 3 - 6 4 1 , 1 0 20 338,26 - 340,24 15 439,06-10 23 284,25 - 287,06 23 287,07 - 292,06 23 406,27 - 408,05 14 544,02-09 18 637,21 -640,22 23 292,09 - 295,07
670:
1795,07,28
686:
1795,11,07
665 [F]:
1795,06,12
23 375,08 [= 15 960,04]
705:
1796,05,22
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304 Bzch E 36, 1-2 E 37, 1-2 E 38, 1-2 E 38, 1-2 E 39 E 39, 1 E 39, 1 E 39, 1-2 E 39, 2 E 40, 1-2 E 41 E 41, 1 E 41, 2 E 42, 1-4 E 43, 1+4 E 43, 1-4 E 43, 2-3 E 43, 3 E 43, 3-4 E44 E 45, 1-2 E 46 E 46, 1-2 E 47, 1-2 E 48 E 49, 1-2 E 50 E 50, 1 E 51, 1-2 E 52 E 53, 1-4 E 53, 3 E 53, 3-4 E 54, 1-2 E 55, 1-2 E 56, 1-2 E 57, 1-2 E 58, 1-2 E 59, 1-2 E 59, la E 60, 1 E 60, 1 E 60, 1-2 E 60, 2 E 61 E 62, 1-2 E 63 E 64, 1 E 65, 1-2 E 66, 1-2 E 67, 1-2 E 68, 1-2 E 68 [?] E 69, 1 E 69, 2-4 E 70 E 70, 1-2
Teil VI Ref.
AA-Kant-1 23 23 23 23
6346
6333
6320
AA-Kant-2
Brf-Nr.
Brf.-Dat
248,03 - 249,24 408,08-410,23 249,27 - 250,04 410,26-412,05
23 415,21 -416,06 18 670,21 -671,25 23 403,25 - 404,34 23 413,06-26 23 416,11 -419,13 12 356,04-13 18 654,08-10 23 262,03 -263,10 23 295,10-300,21 23 300,24 - 302,25 18 634,16-636,29 23 119,28- 121,10
903 [F]:
1799 99 99
000 [F]:
1794,03,05
525 [E, F]:
1792,08,??
000:
1770,??,??
23 107,08 - 108,05 23 302,27-304,19 23 304,22-306,17 -
6321
1532 6344
0098 0099 0100 7199 7197 1083 7200 5639 4686 5636
3703
23 266,22 - 268,20 23 339,03 - 343,05 23 121,12- 122,14 23 117,17- 119,23 23 306,19-307,07 18 637,01-18 23 307,09-311,10 23 389,09-32 23 263,13 - 266,19 + 266 Anm. 15 960,06-08 18 668,21 - 670,02 23 311,13 - 313,14 23 313,17- 315,21 23 315,24- 317,26 23 317,29-320,02 23 320,05 - 324,21 23 324,24 - 327,22 08 505 als "H" 23 152,07 - 152,13 14 616,04-23 14 617,02-06 23 250,07 - 252,08 14 617,08-11 19 272,11 -274,05 19 270,19-271,26 15 479,19-480,13 19 274,07-28 18 276,21 -278,33 17 675,05-17 18 267,06 - 268,28 23 327,25 - 329,09 11 357,24-33 17 229,04 - 230,18 23 011,03-013,06 -
23 367,03 - 369,09
Id.Nr. 0000219 0000220 0000222 0000221 0000223 0000395 0000394 0000396 0000397 0000224 0000225 0000226 0000227 0000228 0000233 0000229 0000232 0000230 0000231 0000234 0000235 0001992 0000236 0000237 0000238 0000239 0000241 0000240 0000242 0000243 0000246 0000244 0000245 0000247 0000248 0000249 0000250 0000251 0000253 0000252 0000254 0000255 0000257 0000256 0000258 0000259 0000260 0000261 0000262 0000263 0000264 0000265 0001958a 0000266 0000267 0000268 0000269
Ref.
AA-Kant-1
1001
15 23 23 23 23 23
6319 6337
0083 0078 6357 1484
AA-Kant-2
6326
000: 18 6 3 3 , 0 6 - 6 3 4 , 1 3 18 657,08 -658,28 23 3 6 9 , 1 2 - 3 7 0 , 2 0 23 390,03-393,21 14 541,02-03 14 524,02-05 23 460,06 - 462,16 & 462,21-29 18 681,26 - 682,21 23 462,18-19 [= 18 682,13-14] 15 695,03 - 699,08
179?,??,??
581:
1793,07,13 1793,07,13
665 [F]:
1795,06,12
566:
1793,04,06
000:
1795,06,03
18 648,03-09 23 133,14- 136,03 18 648,12-17 20 340,25-341,15 23 343,08 - 345,23 12 024,29 - 025,06
6336
Brf.-Dat
444,06-20 435,09-437,10 329,12-21 + Anm. 413,29-415,16 329,24 - 330,20 423,05-425,16
23 4 5 9 , 1 2 - 4 6 0 , 0 3 11 438,03-13 6325
Brf-Nr.
18 657,01-06 23 345,26-347,21 20 3 4 1 , 1 6 - 3 4 3 , 2 5 23 425,20 - 426,08 23 393,24-396,13 Fehlt! 11 419,19-23
6323
23 136,06-34 18 641,02 - 644,09 08 510-511 als "H-l" 23 175,22- 182,18
23 170,03 - 175,17 1501 15 788,29 - 793,08 23 108,26- 111,18 23 166,28 - 167,10 Fehlt!
8100
23 155,05-19 19 6 4 2 , 2 6 - 6 4 3 , 1 0 Fehlt!
306
Teil VI
Bzch
Ref.
AA-Kant-1
F 13,2 F 14,0 F 14, 1 -2+4 F 15,0 F 15, 1 F 15, 1-2 F 16,0 F 16, 1-2 F 17,0 F 17, 1 F 17,2 F 17,2 F 17,3-4 F 18,0 F 18, 1 -2 F 18, 2-4 F 18,2-4 F 18,4 F 18,4 F 19,0 F 19, 1 F 19, 1 F 19, 1 F 19, 1-2 F 19,2 F 19,2 F 20,0 F 20, 1-2 F 21 F 21,0 F 21, 1-2 F 22,0 F 22, 1 F 22, 1-2 F 22, 1-2
0159
15 057,20-24
F 23 F 23,0 F 23, 1-2 G 01, 1 -4 G 02 G 03, 1-2 G 03,2-4 G 04 G 05, 1 G 05, 1 G 05,2 G 05,2 G 06, 1-2 G 07, 1-4 G 08, 1 G 08,2 G 09, 1 G 09,2 G 10 G 10, 1 G 10, 1
AA-Kant-2
Brf-Nr.
Brf.-Dat
23 330,23 - 334,22 23 375,13-376,02 23 159,03 - 163,04 23 167,13 - 169,36 23 23 23 23
0505
0071 6330
347,24-348,28 406 Anm. 405,03 -406,21 396,16-398,36
733a [E]:
1796,10,??
560b [F]:
1793,03,07
23 334,25 - 336,12 23 348,31 - 353,16 23 151,03 - 152,04 Fehlt! 15 219,12-16 23 105,20-30 14 502,02-11 18 651,06-09 23 089,05 - 090,20 23 101,30- 103,15 23 268,23-269,15 23 156,05 - 158,34 11412,23 137,03- 139,14
1536 6345
6358
8097 6327 8074 6317 8081 8087 1464 7201 8089
1535
15 961,04 23 358,35 23 357,08 - 359,23 18 670,06-12/ 14-19 23 357,03-08 / 359,08-11 & 25-27 11 457,35 -458,08 597: 23 163,07 - 166,25 23 450,27 - 454,03 23 122,17- 124,29 Fehlt! 18 682,25-685,20 23 454,06-455,17 Fehlt! 19 641,12-642,09 18 648,19-649,11 19 602,05-18 18 623,11 -629,08 19 617,04-620,23 19 630,10-631,05 15 644,02-06 19 274,30 - 276,02 19 632,05-633,28 12 187,30- 188,03 23 124,32-36 15 961,02
1793,10,??
790 [E]:
1797,11,12
765 [F, E]:
1797,07,29
23 543,27-545,04
Id.Nr. 0000308 0001337 0000311 0001338 0000313 0000312 0001339 0000314 0001340 0000317 0000315 0000318 0000319 0001341 0000320 0000322 0000321 0000324 0000323 0001342 0000329 0000325 0000326 0000327 0000328 0000330 0001311 0000331 0000332 0000333 0000334 0001343 0000007 0000337 0000336 0000338 0001344 0000339 0000340 0000341 0000343 0000342 0000344 0000345 0000348 0000346 0000347 0000025 0000350 0000352 0000351 0000353 0000010 0000354 0000358 0000355
307 Ref.
AA-Kant-l
7316
19 314,01 -315,15 11 500,11-28 23 438,24-442,11 20 343,26-344,19 23 103,18- 104,16
8090
23 085,03-36 20 344,20-346,14 19 633,30-635,35
8082
23 111,21 - 113,34 23 090,23-31 23 106,03 - 107,05 23 104,19- 105,15 23 091,03 - 093,02 11 450,31 -451,05 23 093,05-27 23 114,03 - 117,14 Fehlt! 23 448,28 - 450,24 23 437,13 -438,21 23 485,25 - 486,03 23 430,27 - 432,09 19 621,01 -623,03
8101 0077 6339
3266
Fehlt! 19 643,13 -644,32 14 523,02-07 18 665,23-26 13 412,20-413,14 16 748,02-19 23 432,12-435,06 23 443,03-445,19 23 442,14-33 23 426,11 -430,24 23 093,30 - 097,23
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AA-Kant-2
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308
Teil VI
Bzch
Ref.
AA-Kant-1
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0398 1491
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AA-Kant-2
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309
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AA-Kant-1
AA-Kant-2
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310
Teil VI
Bzch
Ref.
AA-Kant-1
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1539
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KOI Κ 02 Κ 02 Κ 03 Κ 04 Κ 05 Κ 06 Κ 07 Κ 07,2 Κ 08 Κ 09 Κ 10,1 Κ 10,2 Κ 10,2 Κ 10,2 Κ 10, 2 Κ 11 Κ 12 Κ 13 Κ 14 Κ 15
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-
6367
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Kant-Studien 0 Ol Ol, ? 02,2 02, ?
Kiesewetter Kiesewetter Kiesewetter Kiesewetter Kiesewetter Kiesewetter Kiesewetter Kiesewetter Kiesewetter
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Krakau KuffnerOl, 1-4 Kuffner 02 Kuffner 02, 1 Kuffner 02, 1 Kuffner 02, 1 Kuffner 02, 2 Kuffner 03 Kuffner 04, 1 Kuffner 04, 2 Kuffner 0?, 0
Id.Nr.
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Kant-Kommission 1
Kemke Kemke Kemke Kemke Kemke
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3706
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311
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Ref.
AA-Kant-1
AA-Kant-2
Brf-Nr.
Brf.-Dat
Id.Nr.
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Kurl. Ges. für Kunst und Literatur
-
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312
Teil VI
Bzch
Ref.
AA-Kant-1
AA-Kant-2
L 21, 1 L 21, 2 L 22 L 22 L 23 L 23 L 24 L 25 L 26 L 27 L 27 L 27, 0 L 28 L 28, 0 L 28, 3 L 29 L 30 L 30, 1 L 31 L 31 L 31 L 31, 1 L 32 L 32 (?) L 52 (?) L 33 L 34 L 35 L 35 L 36 L 36, 1 L 37 L 38 L 38, 1 L 38 (?) L 39 L40 L 40, 2-3 L 41 L 42 L 43 L 44 L 44 L 45 L 46 L 46, 1 L 47 L 48 L48 L49 L 50 L 50, 2 L 51 L 52 L 53 L 53 L 54 L 54, 2 [?]
0082
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13 506
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1544
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Brf-Nr.
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837 [F]:
837 [F]:
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0486
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1472
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858:
Brf.-Dat
Id.Nr.
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Ref.
AA-Kant-1
AA-Kant-2
Brf-Nr.
Brf.-Dat
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1800,02,??
A-016: 241: E-007:
1788,05,22 1785,06,13
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766 [F] 768 [E] 767 [E]
1797,08,??[?] 1797,08,??[?] 1797,08,??[?]
13 453 18 6 7 2 , 2 6 - 6 7 5 , 1 4 14 634,02-05 Fehlt!
759a [Z]:
1797,07,12
E-002: A-015 [E]:
1795,??,?? 1786,09,25
23 488,05-17
15 970,28-32
1557
15 9 7 7 , 1 2 - 9 7 8 , 1 3
13 503
7322 19 316,20- 317,07 + Anm.
12 4 3 4 , 2 7 - 4 3 5 , 0 9 10 405,10-23 12 392,04-06
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0990
8088
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15 435,02-11 19 632,03
314
Teil VI
Bzch
Ref.
AA-Kant-1
M M M M M M M M
0106
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26 27 a+b 28-32 30 33 34 35 36
Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva, Minerva,
01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
1319 1320 1321 1322 1323 1324 1325 1326 1327 1328 1329 1330 1331 1332 1333 1334 1335 1336 1337 1338 1339 1340 1341 1342
15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15
AA-Kant-2
Brf-Nr.
Brf.-Dat
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Ν 08 Ν Ν Ν Ν Ν Ν Ν Ν Ν Ν Ν
09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Ν 20
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Modes, Leipzig NOI Ν 02 Ν 03 Ν 04 Ν 05 Ν 06 Ν 07 Ν 07 (Β)
Id.Nr.
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-
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12 13 12 12
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777 788:
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315
Nachlaß: Lose Blätter Bzch
Ref.
Ν 21 Ν 22 Ν 23 Ν 24 Ν 25 Ν 26 Ν 27 Ν 28 Ν 29 Ν 30 Ν 31 Ν 32 Ν 33 Ν 33, b Ν 33, e Ν 34 Ν 35 Ν 36 Ν 37 Ν 38 Ν 39 Ν 40 Ν 41 Ν 42 (Β) Ν 42 [?] Ν 42 [?] Ν 43 Ν 44 Ν 44 (Β) Ν 45 Ν 46 Ν 47 Ν 48 Ν 49 Ν 50 Ν 51 Ν 52 Ν 53 Ν 54 Ν 55 Ν 55, b Ν 56 [?] Ν 56 [?] Ν 57 Ν 57, b Ν 58 Ν 59 Ν 60 Ν 61 Ν 62 Ν 63 Op-Post Op-Post Op-Post 0 2 , 0 3 , 3 Op-Post 04,00
1552 1553
Brf-Nr.
Brf.-Dat
Id.Nr.
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779:
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12 307,23 - 308,08 12 336,27 - 337,05
862: 889
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AA-Kant-1
AA-Kant-2
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0000966 0000967 0001959a 0000970
316
Teil VI
Bzch
Ref.
Op-Post Op-Post Op-Post Op-Post Op-Post Op-Post Op-Post Op-Post Op-Post Op-Post
04, 26/32, 1 04, 39/40 04,44 04, 0 1 , 3 04, 29,01 04, 36, 1 04,46, 1-2 04, 46, 2 10, 13, 2 13,01, 1-4
AA-Kant-1
AA-Kant-2
Brf-Nr.
Brf.-Dat
21 416,07-28 6338a 18 659,09 - 665,21 21 454,21 - 461,12 7314 19 310,17-311,07 21 446,02-12 21 344,18 - 346,33; 347,19-28; 348,26 - 349,19 5652a 18 305,02-18 21440,16-441,02 21 461,14-463,07 21 470,05-472,12 21 473 Anm. 22 370,08-19 22 619-624
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Perthes
0001031
Prag
06 506-508 als "Η"
0001142
Presting
22 805-806
0000973
Prussia Prussia Prussia Prussia
12 250,08-18
?? A Β C
Puttlich Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke
0989 02 03 04 05, 1-4 06 07 08 09 10 a, 1 10 a, 2 10 a, 3-4 10 b O l , 1-4 10 b 02, 1-2 10 b 0 3 , 1-2 10 b 04 10 b 05, 2 10 b 05, 2 10 b 05, 3 10 b 06, 1 10 b 06, 2 10 b 0 6 , 4 10 b 06, 4 10 b 07, 1+4 10 b 07, 2 10 b 07, 3 10 b 08 10 10 b 09, 1-2 10 b 10 10 b 10,4 10 b 11 10 b 12, 1 10 b 12, 1 b 12,2
1526 8077
814:
23 467,03-468,21
0001976b 0001969b 0001970a 0000972
15 433,16-434,28
0000974
06 508-516 als "Η" 08 510-511 als "Η-2" 15 939,03-953,27 19 604,02-612,23 02 523 [E] 11 111,04-112,06 12 391,04-14 12 381,08-382,23
0001143 0001416 0000975 0000976 0001417 0000977 0001418 0001419 0000978 0000979 0000980 0000981 0001975a 0000982 0000984 0000985 0000986 0000987 0000988 0000989 0001356 0001968b 0000990 0001929 0000991 0000992 0000993 0000994 0000995 0000996 0001969a 0000997 0000998
0070 7315 5553
14 499,02-501,18 19311,10-313,30 18 221,32-229,17 20 184,11 - 186,11 20 186,12- 189,10
0535 1099 1234 6354 6355
15 15 15 18 18 13
233,02-19 489,19-490,07 543,02-03 680,04-23 680,25-681,12 457
13 463-464 6356
18 681,14-22
6350
18 675,17-677,11
0297
15 113,15 - 114,08
6353
13 457-458 18 679,11 -680,02 13 457-458
1798,08,05
392: Ε-005: Ε-003:
1789,12,01 1799,??,?? 1798,??,??
768 [Ζ]:
1797,08,??
784 [Ε]:
1797,10,13
767 [Ζ]:
1797,08,??
770 [Ε]:
1797,08,04
317
Nachlaß: Lose Blätter Bzch Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke
10 b 13,0 10 b 13,2 10 b 13,2 10 b 13, ? 10 b 14, 1 10 b 15, 0 10 c 01, 1 10 c 01, 2 [?] 10 c 02, 1-2 10 c 03, 1 10 c 03, 1-2 10 c 04, 1-4 10 c 05, 1-2 10 c 06, 1-2 10 c 07 10 c 08 10 c 09, 1 10 c 09, 1 10 c 1 0 , 0 10 c 11 11,0 11, 1 11,4 11,6 11, 8 [?] 11, ? 11, ? Ii; ?
Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke
12, 0 13,0 13,01 13,02 13,03 13, 04 13, ?? 13,?? 13,?? 13, ?? 13, ?? 13,?? 13, Y
Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke Reicke
14 15 16 17 18 19
Rink Rostock Rostock Rostock Rostock
Ref.
AA-Kant-1
0229 1110 1109 8076
15 15 15 19
AA-Kant-2
Brf-Nr.
Brf.-Dat
087,18-088,05 493,10-11 493,08 603,14-27
-
0062
14 470,09 - 474,04 -
0096 1283 1521 6214 1496
20 14 15 15 18 15
189,11 - 191,03 590,02 - 593,05 565,03 - 567,22 885,03 - 892,05 499,22-503,32 763,03 - 765,23
-
0073 0611
14 5 1 3 , 0 2 - 5 1 6 , 0 2 15 262,22-23 -
Nicht identifiziert 13 467-471
790 [E]:
1797,12,11
E-006: 839 [E]: 729 [Ε 1 & E 2]:
1799,??,?? 1799,04,??
162 176 142 885 826 843 389 [F]: 787 [F]: 830: 837 [F]:
1781,04,28 1772,04,?? 1778,10,28 1801,01,12 1798,11,20 1799,09,07 1789,11,16 1797,11,05 1798,12,19 1799,04,21
-
07 12 12 12
5641
347-348 391,18-31 281,09-282,09 137,36 - 138,34 & 13 441-442
Nicht identifiziert Nicht sämtlich identifiziert 18 279,11-13/10 265,09-28 10 282,06-13 10 243,19-28 12 334,17-26 & 13 522 12 2 6 3 , 1 8 - 2 6 4 , 3 7 12 285,08-12 11 103,33 - 105,33 12 2 1 2 , 0 5 - 2 1 9 , 1 4 12 2 7 1 , 0 8 - 2 7 2 , 3 6 12 279,20-29 12 008,17-24 & 008,29 - 009,09 & 327,33 - 328,07
1796,12,13
653 & 654 [E] & 878 [E]: 1795,03,05
-
-
20 255,01 - 332,36 1 1 1 1
11 358,09- 359,18 & 13 326-328 07 370-415 als "H" 20 419,01 - 4 2 3 , 0 8 20 410,01 - 4 1 8 , 0 2
Id.Nr. 0001307 0001001 0001000 0000999 0000522 0001003 0001004 0001930 0001005 0001006 0001007 0001008 0001009 0001010 0001011 0001012 0001013 0001014 0001015 0001016 0001421 0001017 0001981 0001946a 0001144 0001983a 0001921 0001972 0001422 0001423 0000023 0001926 0001927 0001928 0001977b 0001980 0001924 0001974b 0001978 0001920
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526 [E]:
1792,08,??
0001975 0001973b 0001362 0001357
318
Teil VI
Bzch Rostock Rostock Rostock Rostock Rostock Rostock Rostock Rostock
Ref. 1 1 2 2 2 2 2 3
AA-Kant-1
AA-Kant-2
20 433,01 -440,31 20 427,01 -432,22 20 445,01 -467,20 20 195,01 -251,36 [siehe Briefbank] 20 443 [Siehe Briefbank] 11 162,21 - 163,21
Scheffner 1 & 2 Scheffner 3, 1 Scheffner 3, 2 Scheffner ??
7313
23 053,03 - 065,24 11 344,05 - 346,26 19 310,05-15 12 252,21 - 254,16
Scheffner ?? Scheffner ??
11 331,19-334,25 13 398-412
Scheffner ?? Scheffner ??
13 537,01 -539,40 13 293-295
Schreibtafel
4658
Schubert Schubert Schubert Schubert Schubert Schubert Schubert Schubert Schubert Schubert Schubert Schubert Schubert 01
Brf-Nr.
Brf.-Dat
Id.Nr.
423:
1793,08,18 1790,04,29
0001974a 0001363 0001364 0001976 0001976a 0001974 0001977 0001973a
519 [E]:
1792,0?,??
510 [E]: 671 [B, E: H-l H-2]: EÖ-04 [E]: 461 [E]:
1798,09,?? 1792,0?,?? & 1796,08,10 1796,12,06 1791,01,03
0001027 0001968 0001019
818 [Zueignung] : 0001351 0001956 0001984a 0001923 0000805
17 674,04 - 675,02
0001020
Fehlt!
20 191,04- 192,21 20 183,01 - 184,10
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Fehlt!
Schüleraufsatz Schüleraufsatz Schüleraufsatz Schüleraufsatz
3718 3719 3720 3721
17 17 17 17
262,16 266,03-08 267,03-09 268,04-08
Schultheiss, 1-4
0040
14 118,02- 150,21
0001022
Stern, 1-2
1523
15 894,21 - 896,10
0001023 0001933a 0001035
Stuttgart, 1 Stuttgart, 1-2 Toebe, 1-2 UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg,
0001024
0045a 14 397,02-412,02 ?? ?? ?? ?? ?? ?? ??
11 454,08-21 11 143,09 - 144,06 12 102,21-29 & 13 442 11 091,10-28 11 330,18 -331,10 10 362,26-363,17 11 123,21 - 125,06
593: 412: 716 &729[E]: 385: 509: 217: 399:
1793,09,20 1790,03,09 1796,10,02 1789,10,02 1792,03,30 1783,12,30 1790,01,21
0001965 0001948 0001970 0001944 0001955 0001939 0001946
319
Nachlaß: Lose Blätter Bzch
Ref.
UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg, UB-Königsberg,
?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ?? ??
Warschau Wasianski Wasianski Wasianski Wasianski Wasianski, Familienbuch Wasianski-Budapest Wasianski-MurT Weimar Weimar Weimar Weimar Weimar Weimar Weimar Weimar Wien
1 2, 1 2, 2 3a 3b 4 5, ? 6
AA-Kant-2
13 343-344 10 260,14-24 12 136,30- 137,27 10 421,03-23 11 230,32-231,14 10 228,16-229,23 11 132,04-31 13 345 10 327,04 - 328,28 12 437,08-25 10 472,22-26 11 275,04-24 10 222,29-223,19 11 097,22-098,10 11 373,04-19 10 251,31 -252,24 11 534,25-34 10 373,18 - 374,13 11 145,08- 147,21 10 168,17- 169,08 11 530,24-532,11 11 341,08-26 11 431,06-28/ 13 344 12 149,09- 150,15 11 264,03-266,21 11 453,10-32 10 080,04-23 11 301,12-30 11 403,32-404,12 12 090,33-091,20 11 202,31 -203,24
Uppsala Warda, 1-2 Warda 0
AA-Kant-1
0993
Brf-Nr.
Brf.-Dat
Id.Nr.
572 [E]: 156 728 252 456 132 405 576 [E]: 200 A-018: 285 480 127 387 533 148 645 227 414 093 643 516 575 [E]: 741 474: 592 [E]: 043 494 555 712 444
1793,05,?? 1780,01,09 1796,12,12 1785,11,08 1790,10,19 1778,03,28 1790,02,09 1793,05,07 1783,07,05 1796,02,23 1786,12,09 1791,08,02 1778,02,21 1789,10,15 1792,10,02 1779,03,12 1794,12,04 1784,03,29 1790,03,25 1774,0?,?? 1794,11,24 1792,06,12 1793,05,07 1797,03,24 1791,06,14 1793,09,20 1769,11,23 1791,10,28 1793,04,01 1796,08,28 1790,09,02
0001961 0001937 0001971b 0001942 0001951 0001935 0001947 0001963 0001938 0001982a 0001943 0001953 0001934 0001945 0001959 0001936 0001967 0001941 0001949 0001933 0001966 0001957 0001962 0001973 0001952a 0001964 0001985a 0001954a 0001960 0001969 0001950
-
0001954
15 437,18-439,04
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11 183,27-36
436:
1790,06,29
776 [F]: 790 [EJ:
1797,09,?? 1797,10,13
620
1794,03,28
656
1795,03,30
-
0100a 14617,13-16 1318 15 580,02-03 1533 15 960,10-12 -
-
23 182,21 - 192,21 12 200,33 -201,05 13 472-473 4850 1561
18 008,09-15 11 494,12-496,22 15 980,03-04 12 010,32-012,14
23 488,19-25
0001971a 0001971 0001408 0001409 0001404 0002009 0001952 0001030 0001984 0001982 0001983 0001987 0000895 0001988a 0001985 0001986 0001033
320
Teil VI
4)
Hinweise zu weiteren Teilen des handschriftlichen Nachlasses
a)
Kants eigene Schriften
Wie lange bekannt hat Kant seinen jüngeren Kollegen und vormaligen Schüler Johann Friedrich Gensichen in einer Änderung zu seinem früheren, im Text unbekannten Testament vom 29. August 1791 als Erben seiner kleinen Bibliothek eingesetzt. Gensichen starb 1807, und seine Bibliothek wurde im April 1808 in Königsberg versteigert. In dem dazu angefertigten »Verzeichniß« findet sich keine Spur der Kantischen »Beobachtungen« von 1764. Das darf freilich nicht verwundern, denn Gensichen hatte schon bald nach Kants Tod die Auskunft gegeben, daß er in dessen „nachgelassenen Bibliothek [...] sowohl seine sämmtlichen älteren vor der Kritik d. r. V. herausgegebenen Schriften, als auch die Kritik der practischen Vernunft [vermisse]." 1 Demnach verfügte er im April 1804 noch über die Autorexemplare von beiden Auflagen der »Kritik der reinen Vernunft« (1781, 1787), der »Kritik der Urteilskraft« (1790) und der Schriften der 1790er Jahre. Es sind zwar drei 2 der von Gensichen vermißten Werke Kants später nachweisbar, doch sind nur zwei der Forschung zugänglich gewesen: Während die ersten Stationen des Weges der »Kritik der praktischen Vernunft« in dem Exemplar, das Kant seinem Freund und Betreuer der letzten Lebensjahre Wasianski schenkte, sukzessive schriftlich fixiert wurden und das Exemplar selbst erhalten ist, 3 kann der Verbleib des einzigen durchschossenen Exemplars, der »Beobachtungen« von 1764, nur lückenhaften anhand von Berichten rekonstruiert werden. 4 Offensichtlich war Gensichen also nicht ganz genau unterrichtet über Kants Verhalten in seinen letzten Jahren, denn er schließt die eben zitierte Auskunft mit der Bemerkung: „Kant hat wahrscheinlich, besonders in den letzten Jahren, Bücher theils verschenkt, theils verliehen f...]." 5 Die - so gesehen - die übrigen Informationen bestätigt: Vermutlich 6 hat Kant also im September 1800 seine eigenen vorkritischen Schriften sämtlich 7 an Nicolovius und/oder Rink ausgehändigt. Kants eigenes Exemplar der »Kritik der reinen Vernunft« 8 von 1781 ging über die Zwischenstation Gensichen in den Besitz der Königsberger StUB über. Es ist erst nach Erscheinen der Königsberger Werkausgabe (1838-1842) von Rudolf Reicke als Autorexemplar identifiziert worden ist. Es zeigte zahlreiche Bleistiftvermerke von Kants 1 2 3 4 5 6 7 8
Gensichen an Wald 19. April 1804, in Reicke 1860, 56. Das Dritte, die »Schätzung der lebendigen Kräfte« von 1746/49 ist von Schubert als in seinem Besitz befindlich erwähnt worden; vgl. Warda 1922a, 16. Seit 1910 befindet es sich im Archiv der Martin-Luther Universität in Halle. Vgl. Stark 1987c, 212. Die Schenkungsaktion an Nicolovius, vgl. hier S. 35 und Rischmüller (Hg) 1991, S. XVII-XVIII. Reicke 1860, 56. Vgl. oben S. 35. Dafür spricht insbesondere die von Rink 1800 bei Nicolovius herausgegebene Sammlung bzw. deren Fortsetzung 1807 durch Nicolovius, vgl. hier S. 63f. Vgl. zur Überlieferung in den Jahren 1942-45 hier S. 183 und S. 212.
Nachlaß: weitere Teile
321
Hand, die überwiegend der Vorbereitung der zweiten Auflage der Kritik von 1787 dienten. 1 b) Die zu Vorlesungszwecken gebrauchten Handbücher anderer Autoren. Die folgende Aufstellung der von Kant in seinen Kollegien zugrunde gelegten Lehrbücher und Materialien setzt das Arnoldt'sche 'Verzeichnis' von Kants Vorlesungen voraus. Die Aufstellung gibt primär an, wann Kant nach welchen Handbüchern seine Vorlesung gehalten hat. Sind Exemplare aus Kants Besitz bekannt geworden, so werden sie mit einem Stern „ * " gekennzeichnet. Diese Texte sind deswegen in der Abteilung des handschriftlichen Nachlasses der Akademie-Ausgabe mit abgedruckt worden. Die in den Exemplaren enthaltenen Kantischen Reflexionen hat Adickes mit einem Sigel gekennzeichnet, 2 das hier in spitzen Klammern angefügt wird. - In der Abteilung IV „Vorlesungen" der Akademie-Ausgabe sind zusätzlich Baumgartens »Ethica« (in Bd. XXVII die Auflagen von 1751 und 1763) und Karstens »Anleitung« (in Bd. XXIX) neu gesetzt und abgedruckt worden. Sofern kein Exemplar aus Kants Besitz bekannt ist, wird Ort und Jahr der ersten Auflage des Werkes angegeben. Nach dem Titel und Informationen zu den nachgewiesenermaßen oder möglicherweise aus Kants Besitz stammenden Exemplaren folgen die Lebensdaten und die Angabe des Ortes, wo der jeweilige Autor zu der Zeit lebte, da Kant sein Kompendium für Vorlesungen benutzte; falls vorhanden wird außerdem die entsprechende Systemnummer von Wardas »Immanuel Kants Bücher« und/oder die laufende Ziffer des ebenda faksimilierten »Verzeichniß der Bücher des verstorbenen Professor Johann Friedrich Gensichen« angegeben. ANTHROPOLOGIE Ab WS 1772/73 beständig nach: *Baumgarten, Alexander Gottlieb: Metaphysica, pars III. »Psychologia«, ed. IUI (Halle 1757) . Das Exemplar befindet sich derzeit in der Niedersächsischen StUB, Göttingen: Dep. der AdW. / 1714-1762, Frankfurt! O der, Verzeichniß 509: „Auflage 1768". Die Texte der Nachschriften ab Mitte der 1770er Jahre zeigen, daß nur der erste Teil des Kollegs den Baumgartenschen §§ folgt. Für den zweiten, 1798 in der publizierten »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht« „Charakteristik" überschriebenen Teil entwickelt Kant verschiedene schon 1764 in den »Beobachtungen« auftretende Gliederungsschemata, deren Vorbilder noch nicht weiter bestimmt sind. ENZYKLOPÄDIE Vermutlich neunmal gelesen zwischen 1767/68 und 1781/82 nach: Feder, Johann Georg Heinrich: Grundriß der Philosophischen Wissenschaften nebst 1 2
Vgl. Erdmann 1881. Vgl. AA-Kant XIV; S. LXII
322
Teil VI
der nöthigen Geschichte zum Gebrauch seiner Zuhörer (Coburg 1767) / 1740-1821, Göttingen; Verzeichniß 508: „Auflage 1769". FORTIFIKATION Mehrere Zeitgenossen berichten, daß Kant als Privatdozent solche Kollegien für Militärs gehalten hat. 1 Kant wird nach den entsprechenden Abschnitten der hier unter „Mechanik" angegebenen Lehrbücher gelesen haben. LOGIK Ab 1755/56 ständig 2 nach: *Meier, Georg Friedrich: Auszug aus der Vernunftlehre (Halle 1752) . 1718-1777, Halle·, Warda X, 78, dasselbe auch Verzeichniß 474. Es ist mit ziemlicher Sicherheit auszuschließen, daß eines dieser Exemplare aus Kants Besitz herrührt, denn Jäsche ging 1802 nach Dorpat und nahm das durchschossene Handexemplar Kants dorthin mit. Kants Exemplar befindet sich derzeit im Archiv der Berliner AdW. MATHEMATIK Ab 1755/56 bis 1763(?) nach3; Wolff, Christian: Auszug aus den Anfangs-Gründen aller Mathematischen Wissenschaften, Zu bequemerem Gebrauche der Anfänger Auf Begehren verfertiget (Halle 1717). / 1679-1754, zuletzt Halle-, Warda VII, 27 „Auflage 1749"; dasselbe auch Verzeichniß 601. MECHANIK Nur als angekündigt nachgewiesen: 1759/60 und 1761; vermutlich nach 4 : Wolff, Christian: Auszug aus den Anfangs-Gründen aller Mathematischen Wissenschaften, Zu bequemerem Gebrauche der Anfänger Auf Begehren verfertiget (Halle 1717). oder den entsprechenden Teilen von: Wolff, Christian: Anfangs-Gründe aller Mathematischen Wissenschaften, 4 Teile (Frankfurt/Leipzig bzw. Halle 1750) / Warda VII, 28; Verzeichniß 432-35: Auflage von 1775.
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Vgl. Vorländer 1924a, I 89. Borowski notierte kurz nach Kants Tod für Walds »Gedächtnisrede« zur Frage nach den Compendien: „Logik anfänglich über Baumeister, dann über Meier"; Reicke 1860, 32. - In seiner eigenen „Skizze" des Jahres 1792 schrieb Borowski jedoch nur, daß Kant: „seine Vorlesungen über Logik nach Meier" gehalten habe; Borowski 1980, 18. - Ich habe kein Indiz finden können, daß Kant Logik je nicht nach Meiers »Auszug« gelesen hätte. In Kants Vorlesungsprogramm für das Sommersemester 1758 heißt es: „Die Mathematik wird über Wolffens Auszug angefangen werden." (AA-Kant II 25; vgl. II 35). - Zur Sache vgl. Waschkies 1987a, 156-159. Vgl. AA-Kant II 35: „[...] die reine Mathematik, die ich anfange, in einer besondern, die mechanische Wissenschaften aber in einer andern Stunde, beide nach Wolffen".
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METAPHYSIK Aktenmäßige oder andere zeitgleiche Berichte über die ersten Jahre von Kants Dozentur fehlen, so daß auch die Frage nach dem anfangs benutzten Kompendium der Metaphysik nicht mit völliger Bestimmtheit auszumachen ist. In seinem ersten Vorlesungsprogramm für das Sommersemester 1756 äußert er sich folgendermaßen: „Ich werde die Metaphysik über das Handbuch des Herrn Prof. Baumgarten vortragen. Die Schwierigkeiten der Dunkelheit, die dieses nützlichste und gründlichste unter allen Handbüchern seiner Art zu umgeben scheinen, werden, wo ich mich nicht zu sehr schmeichle, durch die Sorgfalt des Vortrags und ausführliche schriftliche Erläuterungen gehoben werden."1 Diese Begründung legt die Vermutung nahe, daß es in Königsberg bis dahin wenigstens ungewöhnlich war, nach Baumgarten die Metaphysik vorzutragen. Das zweite Programm, für das Sommersemester 1757, gibt an: „Die Logik wird nach der Meierischen kurzen Einleitung und die Metaphysik nach der Anweisung des Baumeisters gelesen. Ich habe im verwichenen halben Jahre auf Verlangen einiger Herren diesen Wechsel mit dem zwar gründlichem, aber schwereren Baumgarten zu ihrer Befriedigung angestellt. Man wird indessen die Freiheit der Wahl haben, von welchem von beiden man sich größere Vortheile versprechen wird." 2 Es ist sonach offen, wie Kant tatsächlich verfuhr; auch die Formulierung des Vorlesungsprogramms für das folgende Sommersemester: „Die Metaphysik gedenke ich jetzt nach dem Handbuche des Baumeisters zu erklären'^ deutet an, daß Kant auf die Wünsche seiner Studenten Rücksicht nehmen wollte. Und in einem anonymen »Kant, in seiner letzten Lebenszeit« überschriebenen, auf „Königsberg, den 15. Februar 1804" datierten Brief-Artikel im »Freimüthigen« (Berlin 1804, Nr. 43, S.171) heißt es im Blick auf den Magister Kant: „Er las über Baumeisters Metaphysik, als eben die Baumgartensche erschien, über die er lieber gelesen hätte. Indessen fand er nöthig, erst sein Auditorium darüber zu befragen. Auf dem Zettel, den er deshalb cirkuliren ließ, hatte sich Einer von seinen damaligen Zuhörern (jetzt ein würdiger Mann in einem öffentlichen Amte,) ganz besonders angelegentlich für Baumgarten erklärt. Der Lehrer kannte diesen Zuhörer persönlich nicht, bat diesen daher in der nächsten Stunde, sich ihm zu erkennen zu geben. Der that dies, und Kant versicherte ihn, daß er bei Zweifeln und Bedenklichkeiten ihn gerne noch privatim belehren würde." Weil Kant im Oktober 1759 ohne einschränkende Klausel ankündigte, „die Metaphysik über Baumgarten" 4 vorzutragen, darf angenommen werden, daß die Darstellung 1 2 3 4
AA-Kant AA-Kant AA-Kant AA-Kant
I 503. II 10. II 25. II 35.
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Teil VI
im »Freimüthigen« auf die Zeit vor dem Herbst 1759 und damit die Studienzeit von Borowski zielt, der allerdings nicht mit dem bewußten Studenten zu identifizieren ist; denn er bemerkt in seiner 'Skizze' (dem von Kant durchgesehenen Teil der Biographie) über die erste Zeit nach Kants Magisterpromotion am 12.Juni 1756 nur: Er „fing bald darauf an, seine Vorlesungen [...] über Metaphysik zuerst nach Baumeister, dann nach dem gründlichem, aber schwereren Baumgarten [...] zu halten; [...]."'
Diese Formulierung ist so offensichtlich dem Wortlaut der eben zitierten Ankündigung Kants aus dem Sommer 1757 entlehnt, daß unwahrscheinlich ist, für sie eigene Erinnerungen oder Notizen von Borowski anzunehmen. - Genauer datieren läßt sich die im »Freimüthigen« wiedergegebene Umfrage, wenn mit Schöndörffer 2 angenommen wird, daß das Erscheinungsdatum einer Auflage von Baumgartens »Metaphysica« dabei eine Rolle gespielt hat. Die Erscheinungsjahre der ersten drei Auflagen sind nämlich: 1739, 1743, 1750. Kant besaß ein Exemplar der vierten Auflage von 1757; die fünfte Auflage kam 1763 heraus. 3 Also ist anzunehmen, daß die Umfrage zu Beginn des Wintersemesters 1757/58 stattfand. Bald danach wird er für die nächsten Jahrzehnte zu Baumgarten übergegangen sein. Das Arnoldtsche 'Verzeichnis' nennt für den Winter 1770/71 davon abweichend Feder als Autor eines in der Metaphysik zugrundegelegten Handbuches. Diese Angabe geht zurück auf den folgenden Text des gedruckten lateinischen Vorlesungsverzeichnisses dieses Semesters. Ziffer 1 der „Philosophicae Lectiones" lautet: „Logicam et Metaphysicam praelucente Federo docebit D. BVCK priuat. dieb. Iou. et Ven. h. III. Easdem scientias docebunt P. KANT et M. WLOCHATIUS nec non M. IOHSWICH et M. WEYMANN vero h. X. et h. IV. et M. IAESCHKE duce Crusio h. III priuatim. Metaphysicam ad ductum Federi tradet P. KANT, publice h. VII."
In ähnlicher Weise scheint Kant bereits im Sommer 1770, erstmals als Professor, Logik und Metaphysik nach Feder zu lesen. Emil Arnoldt zitiert richtig aus dem entsprechenden Index lectionum: „Immanuel Kant, Log. et Metaph. Prof. Pubi. Ordin. designatus muneris sibi demandati officia aggreditur praelectione publica hora VII-VIII habenda, qua Logicam et Metaphysicam, una cum succincta Historia Phil, percensebit, secundum compendium Federi."
Leider ist ausgerechnet der Jahrgang 1770 der »Königsbergschen Gelehrten und Politischen Zeitungen« nicht verfügbar, so daß kein Vergleich mit den dort vermutlich zu findenden deutschen Ankündigungen möglich ist; so bleibt nur die Vermutung, daß der ungewöhnliche Feder durch ein Versehen des Schreibers oder Druckers als Kants Lehrbuch der Metaphysik angegeben wird. Diese Vermutung stütze ich auf folgende Erwägung. 1 2 3
Borowski 1980, 18; ähnlich schon auf der entsprechenden Stelle des Fragebogens von Wald zur »Gedächtnisrede« „Metaphysik — Baumeister, dann Baumgarten"; Reicke 1860, 32. Vgl. Emil Arnoldt GS, V 275. Vgl. GK Bd. 13.
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Das Vorlesungsverzeichnis wird jeweils von einem Schreiber (entweder dem des zeitigen Rektors oder einem der wenigen „ministeriales" der Universität) aufgrund von einzeln eingereichten Notizzetteln der Dozenten zusammengestellt. Zum Winter 1770/71 wird Kants Kolleg über Metaphysik in auffällig überflüssiger Weise doppelt angekündigt, damit ist ein Indiz eine gewisse Verwirrung gegeben, die auf drei Umstände zurückgeführt werden kann: - Kant wird Frühjahr 1770 durch Stellentausch mit Johann Friedrich Buck ordentlicher Professor für Logik und Metaphysik. Buck macht diese von ihm seit 1758 besetzte Stelle frei und rückt zur „Mathematik". - Erstmals im Winter 1770/71 ist das Vorlesungsverzeichnis nach den aus Berlin gekommenen neuen Richtlinien angelegt: nicht mehr nach dem Rang der Professoren gegliedert sondern nach Disziplinen unter Angabe des Lehrbuches geordnet. 1 - Buck kündigte auch im Sommer 1771 an nachmittags von 3-4 „Logicam et Metaphysicam" „duce Cel. Federo" ein Privatkolleg zu halten. Es handelt sich zweifelsfrei um Feders erstmals 1769 in Göttingen erschienenes, deutschsprachiges Handbuch mit dem Doppeltitel »Logik und Metaphysik im Grundriß«. Daß Kant je in einem Semester beide - für ihn inhaltlich wie didaktisch scharf getrennte Disziplinen - zu lesen beabsichtigte, ist kaum anzunehmen. Mithin ist die Angabe „Feder" als falsch anzusehen; ihr liegt eine Verwechslung zugrunde. Kant besaß Exemplare von verschiedenen Auflagen der Baumgartenschen »Metaphysica«, wie auch aus einer Memorialnotiz aus Kants letzten Jahren hervorgeht: „Von meinem ältesten mit Papier durchschossenen Baumgartenschen Handbuch der Philosophie da Herder mein Zuhörer war. Raum, Zeit und Kraft. Lange vor der Kritik." 2 Bei dem so beschriebenen Exemplar kann es sich nicht um das einzig bekannt gewordenene der Auflage von 1757 gehandelt haben, denn Kant wird schon, wie oben angegeben, bei seiner ersten Ankündigung für das Sommersemester 1756 ein Exemplar von wenigstens einer der drei früheren Auflagen (1739, 1743, 1750) besessen haben. Die chronologische Anordnung der Kantischen Reflexionen zur Metaphysik in den Bdn. XVII und XVIII der Akademie-Ausgabe erlaubt es, auf eine längerfristige Benutzung dieses verlorenen Exemplars zu schließen: die aus ,,M" stammenden Notizen beginnen in der Phase „Delta" (um 1762-63); vgl. AA-Kant XVII 229-249. Die Menge der Reflexionen steigt erst mit der Phase „Zeta" (um 1764-66) deutlich an. Die eben zitierte Bemerkung Kants dürfte sonach auch als Indiz zu werten sein, daß er erst nach dem Weggang von Herder (22. November 1764) dazu überging, sein Exemplar der vierten Auflage von Baumgartens »Metaphysica« im Kolleg zu benutzen. 3 Das von Adickes zur Edition in der Akademie-Ausgabe zugrundegelegte Exemplar befindet sich derzeit in der Niedersächsischen StUB Göttingen; Deposita der AdW: 1 2 3
Vgl. Stark 1993. AA-Kant XVII 257. Vgl. Adickes in AA-Kant XVII 258, 29-40.
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Teil VI
*Baumgarten, Alexander Gottlieb: Metaphysica, ed. IUI (Halle 1757) . 1714-1762, Frankfurt/Oder; Verzeichniß 509: „Auflage 1768". Bei dem Handbuch des zweiten Autors ist primär 1 zu denken an: Baumeister, Friedrich Christian: Institutiones metaphysicae (Wittenberg 1736). 2 / 1709-1785, Görlitz-, Verzeichniß 632: „Auflage 1744" MINERALOGIE Gelesen im Winter 1770/71 nach: Wallérius, Johann Gottschalk: Mineralogie, Oder Mineralreich, von Ihm eingeteilt und beschrieben. Ins Deutsche übersetzt von Johann Daniel Denso. Zweyte verbesserte und vermehrte Auflage. (Berlin 1763). / 1709-1785, Uppsala, Warda III, 32. Allerdings nicht nur nach dem Handbuch, sondern auch mit Demonstrationen. Denn Kants Ankündigung für den Index lectionum lautet 3 : „Coli. Mineral, ipsa naturae exemplaria ob oculos positurus ex Gazophylacio Mineral, secundum Wallerii ordinem die posito offert P. KANT priv." Wie Warda gezeigt hat, reagiert Kant mit dieser Ankündigung ziemlich prompt auf ein Berliner Rescript vom Januar 1770, „Bedacht zu nehmen, daß künftighin jederzeit auf der dortigen Universität nicht allein die Mineralogie historisch und praktisch sondern auch die Bergrechte gehörig docirt würden." 4 Kant hat das Kolleg vermutlich deswegen übernommen, weil er - wie Jachmann und Rink berichten - zuvor oder noch zur selben Zeit (die Daten des Zeitraums sind ungeklärt) die zu den Königsberger Sehenswürdigkeiten zählende Naturaliensammlung des „Kommerzienrat Saturgus" beaufsichtigte. 5 Das Anschauungsmaterial für das Kolleg im Winter 1770/71 wird Kant aus eben dieser Schatzkammer entliehen haben, wenn er es nicht vorzog, in den schön gelegenen, großzügigen Räumen selbst zu lesen. 6 MORAL Erstmals angekündigt 1756/57. Anhand der vorliegenden Quellen ist nicht sicher bestimmbar, wann Kant dazu übergeht, für sein moralphilosophisches Kolleg zwei 1
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In Frage käme allenfalls noch: Baumeister, Friedrich Christian: Philosophia definita. Hoc est definitiones philosophicae ex systemate celeberr. Wolfii in unum collectae succinctis observationibus exemplisque perspicuis illustratae, et a nonnullis exceptionibus vindicatae (Wittenberg 1735). Vgl. dazu die auf „um 1780" zu datierende „Wiener Logik" AA-Kant XXIV 9 1 8 , 0 4 . Nach Herder bezeichnete Kant Baumeister schon zu seiner Studienzeit (1762-64) als „elenden Ausleger Wolfs"; vgl. AA-Kant XXVIII 14. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, daß Kant um die besondere Rolle wußte, die Baumeister bei der ab Mitte des 18. Jhds. im zaristischen Rußland stattfindenen Emanzipation des höheren Bildungswesens aus einer orthodox klerikalen Dominanz gespielt hat: Baumeisters Lehrbücher wurden ins Rußische übersetzt; vgl. zu letzterem Mirtschuk 1932. Nach Warda 1901,85 Anm. Warda 1901, 85 Anm. Jachmann 1980, 126; Rink 1805, 33. Eine anonyme, dem Stil nach zu urtheilen, sicher nicht von Kant sondern eher von Samuel Bock verfaßte Beschreibung ist zu finden in den »Königsbergschen Gelehrten und Politischen Zeitungen« 28. Mai - 4. Juni 1764; im übrigen vgl. Bernoulli 1779, 37ff. und Schöndörffer 1917a, 140-3.
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Handbücher von Baumgarten1 zu kombinieren. Unter Berücksichtigung der Umstände, insbesondere der russischen Besetzung Königsbergs wird der Terminus a quo nicht im Sommersemester 1760 anzusetzen sein, zu dem die Baumgartensche »Initia« in Halle erschien. 2 Vielleicht ist Arnoidts erstmals zum Wintersemester 1760/61 auftretendes Wort „Praktische Philosophie" auf den Titel des zweiten Handbuches zu beziehen, so daß nicht erst die Angabe „Ethik und Moral" für das Wintersemester 1763/64 als Hinweis auf die Kombination zu verstehen ist. Unzweifelhaft nehmen die Herderschen Notizen (entstanden zwischen Sommer 1762 und November 1764) auf beide Lehrbücher Bezug. Kant formuliert jedoch noch im Vorlesungsprogramm für das Wintersemester 1765/66: „Ich werde für jetzt die allgemeine praktische Weltweisheit und die Tugendlehre, beide nach Baumgarten, vortragen."3 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ethica philosophica (Halle 1751). *Baumgarten, Alexander Gottlieb: Initia philosophiae practicae primae acroamatice (Halle 1760) . Das Exemplar befand sich vor 1945 in der StUB Königsberg. NATURRECHT Gelesen vermutlich zwölf Mal zwischen 1767 und 1788: Achenwall, Gottfried: lus naturae in usum auditorum, Pars I, ed. V (Göttingen 1763) *Achenwall, Gottfried: - , Pars II, ed. V (Göttingen 1763) . Nur der zweite Teil zählte vor 1945 zu den Beständen der StUB Königsberg. / 17191772, Göttingen. PÄDAGOGIK 4 Gelesen 1776/77 nach: Basedow, Johann Bernhard: Das Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker (Altona 1770-71). / 1723-1790, Altona/Dessau. 1780, [1783/84?] und [1786/87?] nachS; 1
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Hinter der bei Arnoldt G S V, 196 für das Wintersemester 1763/64 sich findenden Autorangabe „Baumeis t e r " ist ein Versehen zu vermuten; vgl. schon G. Lehmann in AA-Kant XXVII 1047; zuvor - im Wintersemester 1759/60 - gab Kant den Autor „Baumgarten" an; vgl. AA-Kant II 35. Vgl. AA-Kant XIX 8. AA-Kant II 311; Hervorhebung W.St. Vgl. Schwarz 1915,48-54. Vgl. Vorländer 1924a, I 227: „Kant hat das Kolleg [...] noch zweimal in den 80er Jahren wiederholt angekündigt, aber nicht gelesen, weil das Kolleg fortan dem Gründer des pädagogischen Seminars, Professor Wald, überlassen w u r d e . " - Vgl. auch Arnoldt 'Verzeichnis'. Jedoch kam Samuel Gottlieb Wald erst 1787 nach Königsberg: (1) Hamann erwartet ihn noch Anfang Dezember 1786 (Hamann, Briefwechsel VII 88: an Lindner 8.Dez. 1786). (2) Das Titelblatt von Walds pro receptione in der Königsberger Philosophischen Fakultät erforderlichen dissertatio »de vituperio neologorum« trägt die Jahreszahl „ M D C C L X X X V I I " ; vor dieser Zahl ist Raum gelassen für einen (handschriftlichen) Eintrag für Monat und Tag. Als assumtus socius, d. i. Respondent, wird genannt Conrad Philipp Dieffenbach aus Lauterbach. Das Datum von Dieffenbachs Königsberger Immatrikulation (20. Januar 1787; nicht 1786, vgl. AA-Kant XIII 190) liefert einen Terminus a quo. Dieffenbachs Herkunft macht erklärlich, weshalb dies Exemplar nach Marburg gelangt ist. (UB-Marburg: XIX aB). - Zu dem auf Betreiben von Wald 1788 bzw. 1790 eingerichteten Königsberger Seminar für Lehrer an höheren Schulen, in welchem Zusammenhang von da ab das pädagogische Kolleg zu sehen ist, vgl. Schwarz 1915, 55-7; Schwartz 1925,404-10 und erneut (ohne Bezug auf Schwartz) Forstreuter 1969.
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Bock, Friedrich Samuel: Lehrbuch der Erziehungskunst zum Gebrauch für christliche Erzieher und künftige Jugendlehrer (Königsberg 1780). / 1716-1786, Königsberg-, Verzeichniß 476. PHYSIK Gelesen ab 1756/57 bis 1787/88. Anfangs 1 nach: Eberhard, Johann Peter: Erste Gründe der Naturlehre (Erfurt/Leipzig 1753). / 17271779, Halle·, Verzeichniß 463; 1776, 1779, 1781, 1783 nach: Erxleben, Johann Christian Polykarp: Anfangsgründe der Naturlehre (Göttingen 1772). / 1744-1777, Göttingen; Warda V, 9; 1785 nach: Karsten, Wenceslaus Johann Gustav: Anleitung zur gemeinnützlichen Kenntniß der Natur, besonders für angehende Aerzte, Kameralisten und Oekonomen (Halle 1783). / 1732-1787, Halle-, Verzeichniß 459; Schließlich 1787/88 nach?: Erxleben, Johann Christian Polykarp: Anfangsgründe der Naturlehre, mit Zusätzen von C.G. Lichtenberg (Göttingen 1785). / 1744-1777, Göttingen; Verzeichniß 663, mit der fehlerhaften Jahreszahl 1787. Wegen der Beziehung auf Herder und seine Studienzeit wird die von Adickes überlieferte Notiz von Kant: „Dem Herrn Herder die durchschossene Anfangsgr der Naturwissenschaft aus meinen Colleg's zeigen." 3 auf Eberhards »Erste Gründe« zielen und nicht auf Erxlebens »Anfangsgründe«. RATIONALTHEOLOGIE Gelesen in den Semestern: 1774, 1783/4, 1785/6, 1787/8. Zuerst offenbar ausschließlich nach Baumgartens »Metaphysica« danach in Kombination mit Eberhards »Vorbereitung«. 4 *Baumgarten, Alexander Gottlieb: Metaphysica, pars IUI, ed.IIII (Halle 1757) . Das Exemplar befindet sich derzeit in der Niedersächsischen StUB Göttingen: Dep. der AdW. *Eberhard, Johann August: Vorbereitung zur natürlichen Theologie (Halle 1781)