Raumplanung, Stadtentwicklung und Öffentliches Recht: Technik – Organisation – Prozesse [3. Aufl.] 9783658279172, 9783658279189

Das in 3. Auflage erscheinende Standardwerk des Bauingenieurwesens bietet Grundwissen kompakt, umfassend und aktuell. Da

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German Pages IX, 122 [128] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-IX
Raum- und Stadtentwicklung (Klaus J. Beckmann)....Pages 1-41
Städtebaurecht (Michael Krautzberger)....Pages 43-50
Bauordnungsrecht (Christian-W. Otto)....Pages 51-74
Raumrelevantes Umweltrecht (Hans Walter Louis)....Pages 75-101
Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen (Klaus J. Beckmann)....Pages 103-118
Back Matter ....Pages 119-122
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Raumplanung, Stadtentwicklung und Öffentliches Recht: Technik – Organisation – Prozesse [3. Aufl.]
 9783658279172, 9783658279189

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Handbuch für Bauingenieure

Klaus J. Beckmann  Hrsg.

Raumplanung, Stadtentwicklung und Öffentliches Recht Technik – Organisation – Prozesse 3. Auflage

Handbuch für Bauingenieure Reihe herausgegeben von Konrad Zilch Lehrstuhl für Massivbau Technische Universität München München, Deutschland Claus Jürgen Diederichs Bauwirtschaft und Baumanagement Universität Wuppertal Wuppertal, Deutschland Klaus J. Beckmann KJB.Kom Prof. Dr. Klaus J. Beckmann - Kommunalforschung, Beratung, Moderation und Kommunikation Berlin, Deutschland Wilhelm Urban Institut IWAR Technische Universität Darmstadt Darmstadt, Deutschland Carsten Gertz Institut für Verkehrsplanung und Logistik Technische Universität Hamburg TUHH Hamburg, Deutschland Alexander Malkwitz Institut für Baubetrieb und Baumanagement Universität Duisburg-Essen Essen, Deutschland Christian Moormann Institut für Geotechnik Universität Stuttgart Stuttgart, Deutschland Franz Valentin Germering, Deutschland

Das Handbuch für Bauingenieure bietet Grundwissen kompakt, vollständig und aktuell. Neben den klassischen Fächern des Konstruktiven Ingenieurbaus zählt dazu verstärkt das Fachwissen über das Bau-, Immobilien- und Unternehmensmanagement sowie das Baurecht. Darüber hinaus behandeln ausgewiesene Fachautoren die weiteren Kerngebiete des Bauingenieurs: Geotechnik, Wasserbau, Siedlungswasserwirtschaft, Abfalltechnik, Raumordnung und Städtebau sowie Verkehrssysteme und –anlagen. Das Handbuch wurde den aktuellen Normen und Richtlinien angepasst und versteht sich als Lehrbuch für Studierende und Nachschlagewerk für Praktiker. Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16254

Klaus J. Beckmann Hrsg.

Raumplanung, Stadtentwicklung und Öffentliches Recht Technik – Organisation – Prozesse 3. Auflage

mit 16 Abbildungen und 1 Tabelle

Hrsg. Klaus J. Beckmann KJB.Kom Prof. Dr. Klaus J. Beckmann - Kommunalforschung, Beratung, Moderation und Kommunikation Berlin, Deutschland

ISSN 2524-8944 ISSN 2524-8952 (electronic) Handbuch für Bauingenieure ISBN 978-3-658-27917-2 ISBN 978-3-658-27918-9 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-27918-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2002, 2012, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Lektorat: Dipl.-Ing. Ralf Harms Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Das in 3. Auflage erscheinende Standardwerk des Bauingenieurwesens bietet Grundwissen kompakt, umfassend und aktuell. Neben den klassischen Fächern des Konstruktiven Ingenieurbaus, des Grundbaus, der Bauwirtschaft und des Wasser- sowie Verkehrswegebaus zählt dazu notwendigerweise das Fach- und Methodenwissen über die planerischen Grundlagen und die rechtliche Sicherung der räumlichen Entwicklung, der Realisierung von Bauvorhaben sowie wichtiger Infrastrukturprojekte. Diese dienen der Vorbereitung und Umsetzung baulicher Vorhaben. Von besonderer Bedeutung sind dabei das Planungs- und Baurecht, das Umweltrecht und die Grundlagen der Konzeption, Planung und rechtlichen Sicherung von Infrastrukturanlagen. Diese dienen der Erfassung, Analyse, Bewertung und Weiterentwicklung räumlicher Strukturen, deren Nutzung durch Menschen und Wirtschaft in Form von Bebauung und Infrastrukturanlagen/-netzen. Dadurch werden natürliche Gegebenheiten verändert und Ressourcen in Anspruch genommen, so dass die Umweltbelange sowie die Umweltverträglichkeit für die Raumentwicklung beurteilt werden können. Jedes Gebäude, jede bauliche Anlage, aber auch jedes Verkehrsnetz und Netz der Ver- und Entsorgung (Wasser, Abwasser, Energie, Wärme, Abfall, Informationen etc.) dient der Stadt- und Raumentwicklung und ist deren Folge. Für eine zukunftsfähige Raum-, Stadt- und Infrastrukturentwicklung im Rahmen eines nachhaltigen Sozial-, Wirtschaftsund Umweltsystems bedürfen Standortwahl, Bau- und Betriebsformen, Bauund Nutzungsintensitäten von Gebäuden, Anlagen bzw. Infrastrukturnetzen vielfältiger Kenntnisse der räumlichen Strukturen, deren Grundlagen, Wechselwirkungen und Weiterentwicklungen sowie der planerischen und rechtlichen Sicherung durch Planungs-, Bau-, Infrastruktur- und Umweltrecht. Das Handbuch wurde den aktuellen Normen und Richtlinien sowie veränderten Zielen und Wertsetzungen angepasst und versteht sich als Lehrbuch für Studierende und Nachschlagewerk für Praktiker. Berlin Februar, 2020

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Klaus J. Beckmann

V

Inhaltsverzeichnis

Raum- und Stadtentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus J. Beckmann

1

Städtebaurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Krautzberger

43

Bauordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian-W. Otto

51

Raumrelevantes Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Walter Louis

75

Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Klaus J. Beckmann Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

VII

Autorenverzeichnis

Klaus J. Beckmann KJB.Kom Prof. Dr. Klaus J. Beckmann - Kommunalforschung, Beratung, Moderation und Kommunikation, Berlin, Deutschland Michael Krautzberger Bonn, Deutschland Hans Walter Louis Institut für Rechtswissenschaften, TU Braunschweig, Braunschweig, Deutschland Christian-W. Otto Technische Universität Berlin, Potsdam, Deutschland

IX

Raum- und Stadtentwicklung Klaus J. Beckmann

Inhalt 1 Raumordnung und Raumentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

2 Stadtentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

1

Raumordnung und Raumentwicklung

Menschliche Aktivitäten erfordern Anlagen bzw. Flächen für Wohnen, Arbeiten, Ausbildung, Mobilität, Freizeit und Erholung, Bildung und Kultur sowie für Versorgung und Dienstleistungen. Aber auch gewerblich-industrielle Produktion, Landund Forstwirtschaft, Verkehrs-, Ver- und Entsorgungsanlagen beanspruchen Flächen. Sie prägen als Daseinsgrundfunktionen die Siedlungsräume. Die jeweiligen „Räume“/„Flächen“ sind Träger von Nutzungspotenzialen und eröffnen somit Nutzungsoptionen für Menschen und Wirtschaft. Sie haben geogene, hydrologische, topografische und biogene Eigenschaften und sind durch (historische) menschliche Nutzungen anthropogen geprägt. Die Nutzungen von Teilräumen stehen untereinander in Austauschbeziehungen zwischen

K. J. Beckmann (*) KJB.Kom Prof. Dr. Klaus J. Beckmann Kommunalforschung, Beratung, Moderation und Kommunikation, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]

Menschen, sozialen Systemen, Rohstoffen, Gütern und Waren sowie Leistungen. In Abhängigkeit von den Nutzungsarten und -intensitäten beeinflussen sich die Teilräume durch Attraktionsund Konkurrenzbeziehungen, aber auch durch (Folge-)Wirkungen der Nutzungen wie Lärm, Luftschadstoffe, (Groß-/Meso-/Mikro-)Klima, Flächenbeanspruchungen und Ressourcenverbräuche gegenseitig. Menschliche Nutzungen von Teilräumen können aber auch Grenzen erfahren durch schutzwürdige Natur und Landschaft, Ressourcensicherung, Räume mit Klimafunktionen (Kaltluftentstehung, Frischluftschneisen) u. Ä. Raumordnung und Raumentwicklung dienen im globalen, kontinentalen, vor allem aber im nationalen, regionalen und lokalen Maßstab ebenso wie Stadtentwicklung und Stadtplanung der Ordnung, dem Ausgleich, der Sicherung und der Entwicklung räumlicher Nutzungsmuster. Sie beeinflussen die räumliche Verteilung anthropogener Nutzungen, d. h. der Bebauung von Grundstücken, Quartieren, Stadtteilen und Städten. Sie regeln den Hochbau, den Bau von Anlagen und Infrastruktursystemen für Verkehr, Ver- und Entsorgung. Sie sichern und entwickeln aber auch

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K. J. Beckmann (Hrsg.), Raumplanung, Stadtentwicklung und Öffentliches Recht, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27918-9_42

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2

K. J. Beckmann

Natur- und Freiräume sowie Gewässer und Qualitäten des Meso- und Mikroklimas. Sie prägen letztlich Bebauungs- und Freiraumstrukturen, räumliche Muster von Sozial- und Wirtschaftssystemen, Umweltschutz und Raumfunktionen. Raumordnung und Raumentwicklung sind • integrierend/zusammenfassend • intersektoral/ressortübergreifend • überörtlich angelegt. Raumordnung und gestaltende Raumentwicklung sollen einer nachhaltigen Sicherung und zukunftsorientierten Gestaltung von Lebens-, Wirtschafts-, Kultur-, Natur und Landschaftsräumen dienen. Sie eröffnen, sichern oder beschränken Nutzungsoptionen für Menschen, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen (Sinz 2011, 2018). Aufgaben der Raumordnung ergeben sich auf Basis der im § 1 Raumordnungsgesetz ROG (2017) formulierten allgemeinen Leitvorstellungen:

• die soziale und gesellschaftliche Entwicklung (Bevölkerungszahl, altersstrukturelle und sozioökonomische Zusammensetzung der Bevölkerung . . .), aber auch Teilhabemöglichkeiten der Menschen, Erfüllung von Nutzungsansprüchen und Gerechtigkeit bei der Teilhabe, • die ökonomische Entwicklung mit Produktion, Leistungserbringung und mit Beiträgen zum Brutto-Sozialprodukt, • die ökologischen Belastungen, die Beanspruchungen von natürlichen Ressourcen und die Sicherung ökologischer Schutzbelange (Flächen, Bio-Diversität, Lärm, Luftschadstoffe, klimarelevante Emissionen, Gewässerschutz, Natur- und Landschaftsschutz . . .), • die (bau)kulturellen und landschaftlichen Qualitäten, • die physischen und psychisch-emotionalen Befindlichkeiten der Menschen im Sinne von „Gesundheit“ und „Wohlbefinden“.

„§ 1 Aufgaben und Leitvorstellung der Raumordnung

Es geht um die Festlegung der Arten und Intensitäten von (baulichen) Nutzungen des Raumes, um deren räumlichen Zuordnungen und funktionalen Beziehungen. Gebäude, bauliche Anlagen, vor allem aber Verkehrs-, Ver- und Entsorgungsnetze werden unter anderem von Bauingenieuren geplant, entworfen und betrieblich konzipiert. Diese Aufgaben werden unter den Zielen der sozialen, ökonomischen, ökologischen und kulturellen Nachhaltigkeit erfüllt (Abb. 1) sowie

(1) Der Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und seine Teilräume sind durch Raumordnungspläne, durch raumordnerische Zusammenarbeit und durch Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern. Dabei sind 1. unterschiedliche Anforderungen an den Raum aufeinander abzustimmen und die auf der jeweiligen Planungsebene auftretenden Konflikte auszugleichen, 2. Vorsorge für einzelne Nutzungen und Funktionen des Raums zu treffen. (. . ., d. V.) (2) Leitvorstellung bei der Erfüllung der Aufgabe nach Absatz 1 ist eine nachhaltige Raumentwicklung, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Teilräumen führt. (3) Die Entwicklung, Ordnung und Sicherung der Teilräume soll sich in die Gegebenheiten und Erfordernisse des Gesamtraums einfügen; die Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Gesamtraums soll die Gegebenheiten und Erfordernisse seiner Teilräume berücksichtigen (Gegenstromprinzip).“

Raumordnung und Raumentwicklung prägen einerseits und werden andererseits geprägt durch

Abb. 1 Nachhaltigkeits-Quintupel (Beckmann 2000)

Raum- und Stadtentwicklung

den verstärkten Anforderungen an die Resilienz (Anpassungsfähigkeit) der Raum-, Stadt- und Infrastrukturen wie an die Effizienz des Ressourceneinsatzes, an einen Einsatz regenerativer Ressourcen und an Ressourcensparsamkeit.

1.1

Entstehung und Geschichte der Raumordnung und Raumentwicklung

Raumordnung hat begrifflich und theoretisch erst im 20. Jahrhundert eine Fundierung erfahren (Istel 1998). Seit Jahrhunderten erfolgte eine Raumordnung aber faktisch dadurch, dass Staaten ihre Versorgungsbereiche mit landwirtschaftlicher Produktion, mit Wasser oder Rohstoffen räumlich organisiert haben. Auch die militärische Machterhaltung durch Lager, Pfalzen, Burgen oder Stadtgründungen und die Verwaltungsorganisation konnten wichtige Anlässe für die Raumentwicklung und die geplante Anlage von Verkehrsinfrastrukturen sein. Dabei wurden Standorte besonderer topografischer Qualitäten wie Bergkuppen, Flussfurten oder Küsten-/Flusslagen und besonderer Erreichbarkeitsqualitäten wie Wasserwege oder Kreuzungen von Fernhandelsstraßen in die Ausgestaltung der räumlichen Ordnung einbezogen. Erst mit der Industrialisierung und der räumlich konzentrierten Nutzung von Rohstoffvorkommen (Kohle, Erze, Wasser, Energie . . .) entstand in Verbindung mit der Konzentration von Bevölkerung, Produktion und Siedlungen ein vermehrter Ordnungsbedarf zum Schutz von Freiräumen, zur Sicherung von Trink- und Brauchwasser und zur verkehrlichen Vernetzung durch Wege, Straßen, Wasserstraßen und Eisenbahnlinien. Diese Ordnungsvorstellungen waren bzw. sind noch immer wesentliche Grundlagen für die Verteilung öffentlicher und privater Investitionen (vgl. auch Gnest 2009; Istel 1998; Blotevogel 2018). Im Großraum London war 1902 die Problematik und Sicherung der Trinkwasserversorgung und der Schmutzwasserentwässerung Anlass für die Gründung des Metropolitan Water Board mit raumordnenden und raumentwickelnden Aufgaben. Der General-Siedlungsplan von 1912 für

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das Ruhrgebiet – erarbeitet durch Robert Schmidt – setzte sich mit der Zukunft von Bauflächen, Freiräumen, Straßen und Eisenbahnen sowie insbesondere von Wasser- und Entwässerungswirtschaft in der intensiv genutzten Region Ruhrgebiet auseinander. Dieser Ansatz fand 1920 im Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk eine erste organisatorische Ausgestaltung – heute Regionalverband Ruhr (Schmidt 1912). Zeitlich parallel (1920/1921) hatte die Gründung von Groß-Berlin raumordnende und stadtentwickelnde Aufgaben. Der Begriff Raumordnung wurde 1925/1926 durch Langen eingeführt. Durch die Nationalsozialisten erfolgte eine verstärkte politische Instrumentalisierung der Raumordnung – z. B. durch das „Gesetz über die Regelung des Landbedarfs der öffentlichen Hand“ vom 29.05.1935 (RG Bl, S. 468). Diese Instrumentalisierung diente der Standortsicherung und -lenkung der Industrie (z. B. Stahlwerke Salzgitter und Peine, Volkswagenwerk Wolfsburg) und der großräumigen Umsiedlung der Bevölkerung (Reichsstelle für Raumordnung RfR und Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung RAG) – jeweils stark geprägt durch die Ideologie und Politik der Nationalsozialisten mit dem Ziel der Ordnung und „Erweiterung“ des deutschen Lebensraums. In der Bundesrepublik Deutschland wurde Raumordnung erst durch das Raumordnungsgesetz ROG 1965 als Bundesaufgabe und Raumordnungs- sowie Regionalpläne als Länderaufgaben definiert. Durch raumordnende und raumentwickelnde Tätigkeiten und Pläne sollen die verschiedenen – zum Teil konkurrierenden und konfligierenden – Ansprüche an den Raum abgestimmt und Konflikte weitgehend vermieden werden. Aufgaben soll(t)en also Sicherung, Ordnung, Ausgleich und Entwicklung verschiedener Raumfunktionen wie Wohnen, Arbeiten, Produktion, Wirtschaft, Handel, Ausbildung, land- und forstwirtschaftliche Produktion, Rohstoffsicherung, Verkehrsund Energietrassen, Luftaustausch, Wasserwirtschaft, Naturschutz, Meso- und Mikroklima sein. In der Raumordnung fordern „Ballungs(raum) probleme“ einerseits und „ländliche Notstandsgebiete“ andererseits besondere Beachtung (Herrle und Foledal 2018; Hesse 2018). In der DDR

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K. J. Beckmann

bestimmten die räumliche Ordnung sowie die zentrale Wirtschaftslenkung die Grundlagen der Territorialplanung. Dabei erfolgte auch ein Ausbau von Bezirkshauptstädten (z. B. Hoyerswerda, Eisenhüttenstadt, Schwedt).

• konkurrierende Gesetzgebung für den Bergbau, die Forst- und Landwirtschaft, den Küstenschutz, den Wasserhaushalt, den Straßenverkehr, die Hochsee- und Küstenschifffahrt sowie den Natur- und Landschaftsschutz (Art. 74 Abs. 1 GG).

1.2

Die Raumordnungspläne für den Gesamtraum der Bundespolitik und für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone beruhen auf der ausschließlichen Bundeskompetenz. Bei Raumordnung wie auch Stadtentwicklung (vgl. Abschn. 2) zu beachtende Grundrechte bzw. grundgesetzliche Regelungen sind:

Rechtliche Grundlagen und Organisation der Raumentwicklung

Die Gesetzgebungskompetenz für die Raumordnung ist mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 Grundgesetz GG als konkurrierende Gesetzgebung dem Bund zugewiesen (Art. 72 Abs. 1 und Abs. 3 GG) – mit Abweichungsvorbehalt zugunsten der Länder. Bis zur Föderalismusreform 2006 hatte der Bund eine Rahmengesetzgebungskompetenz für die Raumordnung. Übt der Bund die Gesetzgebungskompetenz aus, können die Länder von den durch den Bund beschlossenen Regelungen durch Gesetz abweichen (Art. 72 Abs. 3 GG). Von dieser Möglichkeit hat bisher nur Bayern Gebrauch gemacht. Vielmehr ist zu konstatieren, dass das Raumordnungsgesetz ROG (von 2017) nur zurückhaltend von den grundsätzlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten durch den Bund Gebrauch macht (vgl. Sinz 2011, 2018). Das Städtebaurecht ist demgegenüber als Bodenrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG Teil der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72 Abs. 1 GG), die der Bund ausgefüllt hat. Das Bauplanungsrecht wird nahezu umfassend im Baugesetzbuch BauGB – früher Bundesbaugesetz BBauG – durch den Bund geregelt (vgl. Krautzberger i.d.B. und Otto i.d.B.). Als Recht der Gefahrenabwehr fällt das Bauordnungsrecht in die originäre Zuständigkeit der Länder (Art. 70 GG) und wird daher in den Bauordnungen der Länder geregelt. Fachplanungen liegen zum großen Teil im Zuständigkeitsbereich des Bundes als • ausschließliche Bundesgesetzgebung (Art. 71 und Art. 73 Abs. 1 Nr. 6, 6a, 7 u. a. GG) für den Luftverkehr, das Eisenbahnwesen, die Bundesfernstraßen, das Postwesen und die Telekommunikation, die Kernenergie,

• die Eigentumsgarantie mit Rechten und Pflichten des Eigentums wie auch Möglichkeiten zur Enteignung (Art. 14 GG) • der Umweltschutz (Art. 20a GG) • das Rechts- und Sozialstaatsprinzip mit der resultierenden Ausgestaltung der Abwägung sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) • die Ausgestaltung von Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a GG). Als Ziel der Raumordnung und Raumentwicklung legt das Raumordnungsgesetz (§ 1 Abs. 2 und 3 ROG) eine „dauerhafte großräumig ausgewogene Ordnung mit gleichen Lebensverhältnissen in den Teilräumen“ fest. Raumordnung des Bundes Eine umfassende gesellschaftliche und politische Akzeptanz wie auch eine Überzeugung von der Wirksamkeit gesamthafter und integrierter räumlicher Planungen führte in den 60er- und 70erJahren zu einer Stärkung der Raumordnung/ Raumentwicklung wie auch zu einer Stärkung der Stadt- und Gemeindeentwicklungsplanung. Das Raumordnungsgesetz ROG (2017) mit allgemeinen Grundsätzen der Raumordnung wie auch die 1967 gegründete Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO), in der Bund und Länder zusammenwirkten und auch derzeit noch zusammenwirken, dienen einer abgestimmten Raumentwicklung, zu der die Länder mit ihren Landesplanungsgeset-

Raum- und Stadtentwicklung

zen, ihren Landes-Raumordnungsprogrammen/entwicklungsprogrammen und den Regionalplänen („Regionale Raumordnungsprogramme“, „Regionalentwicklungsprogramme“) in dem Mehrebenensystem der Raumentwicklung beitragen (Abb. 2). Die Raumordnung, die Landes- und Regionalplanungen sowie die kommunalen Bauleitplanungen folgen zur Abstimmung und Koordination dem „Gegenstromprinzip“, bei dem „Top-DownVorgaben“ auf einer Mitwirkung der/den nächstniedrigen Planungsebene/n beruhen und für diese – nach einer entsprechenden Mitwirkung – eine Anpassungspflicht auslösen: der Regionalplanung an die Landesplanung, der Bauleitplanung an die Raumordnung, die Landes- und Regionalplanung (§ 1 Abs. 4 BauGB). Wesentliche Gestaltungs- und Ordnungsprinzipien der Landes- und Regionalplanung sind • • • • • •

Systeme der „Zentralen Orte“ Siedlungs- und Entwicklungsachsen Freiräume der Achsen-Zwischenräume Infrastrukturachsen (Verkehr, Energie) Vorranggebiete für einzelne Raumnutzungen Vorbehaltsgebiete für einzelne Raumnutzungen.

Die Raumordnungspläne und Regionalpläne der Länder haben unterschiedliche Bezeichnungen (z. B. Landesentwicklungsplan (BW, He, NRW), Landesraumordnungsprogramm (He, Nds, By), Landesentwicklungsprogramm (R-Pf, SH)). Ein umfassendes Bundesraumordnungsprogramm BROP wurde 1975 verabschiedet, stieß aber auf erhebliche Widerstände der Länder wie auch anderer Fachressorts des Bundes und der Länder, so dass die Planungskoordination des Bundes und der Länder („vertikal“) sowie der Fachressorts („horizontal“) nur noch auf der strategischen Ebene erfolgte: im Raumordnungspolitischen Orientierungsrahmen ORA (MKRO 1992/93), im Raumordnungspolitischen Handlungsrahmen HARA (MKRO 1996) und in den Leitbildern für die Raumentwicklung (2006, zuletzt 2016, vgl. BMVI 2017). Dennoch stellen raumordnerische Entwicklungsvorstellungen Grundlagen dar für Infrastrukturpolitiken des Bundes (z. B. Bundesverkehrswegeplan, Bedarfs-

5

pläne und Ausbaugesetz für Bundesfernstraßen, Bundeseisenbahnen und Bundeswasserstraßen, Netzausbaupläne für Höchstspannungsleitungen des Stroms) wie auch für Struktur- und Wirtschaftspolitiken mit räumlichen Ausprägungen (z. B. Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur, Gemeinschaftsaufgabe zum Klimaschutz). Nach der derzeit (2017) gültigen Fassung des Raumordnungsgesetzes kann nach § 17 Abs. 3 das für die Raumplanung zuständige Ministerium einzelne Grundsätze der Raumordnung (§ 2 ROG) in einem Raumordnungsplan konkretisieren. Dazu bedarf es des Einvernehmens mit den fachlich betroffenen Bundesressorts und einer Beteiligung der Länder. Nach § 17 Abs. 2 ROG kann der Bund in weiteren Raumordnungsplänen Standortkonzepte für See- und Binnenhäfen oder Flughäfen entwickeln. Diese Pläne haben aber nur Wirkungen einer Selbstbindung für den Bund, aber keine Bindungswirkungen für die Länder. Nach § 17 Abs. 1 ROG besteht die Möglichkeit zur Erstellung von Raumordnungsplänen für die Ausschließliche Wirtschaftszone auf dem Meer, um Belange der Seewirtschaft, der Hafenwirtschaft, des Küstenschutzes, der Rohstoffsicherung, der Energieerzeugung („Wirtschaft“), des Natur-, Umwelt- und Küstenschutzes, der Fischerei sowie des Tourismus abzustimmen. Mit dem Erstarken des Wirtschaftsliberalismus in den 80er- und 90er-Jahren ging ein wachsender Planungsskeptizismus einher, der sich auch in Forderungen nach einer verstärkten Beteiligung der Wirtschaft und Zivilgesellschaft an der Vorbereitung und Umsetzung raumordnerischer Konzepte ausdrückte. Zeitlich parallel differenzierten sich die Aussagenerfordernisse zu Naturschutz, Landschaftsschutz, Bio-Diversität, Klimaschutz und Klimawandel sowie zur Umsetzung der Energiewende aus. Dies findet in der Weiterentwicklung der Leitbilder Ausdruck. Die Folgewirkungen der Wiedervereinigung von Deutschland mit Niedergang der Wirtschaft in den östlichen Bundesländern und resultierender Abwanderung der – insbesondere jüngeren und gebildeten – Bevölkerung verstärkte die Diskussion über das raumordnerische Handlungsprinzip „Gleichwertigkeit der Lebensver-

6 Abb. 2 Ebenen der Raumordnung und Raumentwicklung

K. J. Beckmann

Europäische Raumentwicklung • •

Europäisches Raumentwicklungskonzept EUREK Ministertreffen der für Raumentwicklung zuständigen Minister der Mitgliedsstaaten

Bundesraumordnung •

• •

Raumordnungsgesetz Leitbilder Grundsätze Beschlüsse Bundesminister mit Zuständigkeit für Raumordnung Ministerkonferenz für Raumordnung MKRO

Landesplanung • • •

Landesplanungsgesetz Landesraumordnungsprogramme/-pläne zuständige Landesminister Beteiligung kommunaler Gebietskörperschaften Beteiligung Träger öffentlicher Belange Beteiligung der Fachplanungen Beteiligung Wirtschaft und Zivilgesellschaft

Regionalplanung • • •

Regionale Raumordnungspläne/-programme Regionale Planungsgemeinschaften/-verbände Bezirksregierungen (zum Teil Kreise und kreisfreie Städte) Beteiligung kommunaler Gebietskörperschaften Beteiligung Träger öffentlicher Belange Beteiligung der Fachplanungen Beteiligung Wirtschaft und Zivilgesellschaft

Stadtentwicklung/Stadtplanung/Kommunalplanung • • • •

Flächennutzungspläne/Bebauungspläne („formell“) Stadtentwicklungspläne („informell“) Städte, Gemeinden Beteiligung der Träger öffentlicher Belange Beteiligung der Öffentlichkeit (Wirtschaft, Zivilgesellschaft)

Raum- und Stadtentwicklung

hältnisse“ (§ 2 Abs. 2 ROG) (vgl. Rosenfeld 2018). Die Investitions- und Förderprogramme der EU (EUREG, EFRE . . .), des Bundes und der Länder (z. B. Städtebauförderungsprogramme „Stadtumbau Ost“, „Städtebaulicher Denkmalschutz Ost“, „Soziale Stadt“) folgen diesem Ziel der Sicherung „gleichwertiger Lebensverhältnisse“. Mit der parallelen Novellierung des Raumordnungsgesetzes ROG und des Baugesetzbuches BauGB erfolgte 1997 eine Ausrichtung der räumlichen Entwicklungspolitik auf eine sozial, ökonomisch, ökologisch und kulturell nachhaltige Raumentwicklung. Zunehmend stieg auch die Bedeutung informeller Instrumente („Regionalmanagement“) und einer informativ-persuativen und kooperativen Steuerung der Raumentwicklung (Gnest 2009). Das sind z. B. regionale Entwicklungskonzepte und informelle regionale Kooperationen (z. B. Bonn/Kreis Ahrweiler/Kreis Rhein-Sieg). Landesplanung und Landesentwicklung Landesplanung und Landesentwicklung füllen die Kompetenzen der Länder zur Konkretisierung von Ordnung, Sicherung, Ausgleich und Entwicklung der Teilräume des Bundesgebietes aus. Hierbei erfolgt eine Konkretisierung und räumliche Detaillierung. Festlegungen in Landesentwicklungsplänen/-programmen haben unter der Voraussetzung der Beteiligung der Kommunen beim förmlichen Aufstellungsverfahren Bindungswirkungen für die kommunale Entwicklung (§ 1 Abs. 4 BauGB). Grundlage sind landesplanerische Ziele, Grundsätze und sonstige Erfordernisse der Raumordnung, die von allen öffentlichen Stellen zu beachten sind. Klassische Instrumente sind die Raumordnungspläne auf der Landesebene und Regionalpläne für die Planungsregionen, die der raumbezogenen, fachübergreifenden und überörtlichen Koordination dienen (Abb. 3). Ein wichtiges, wirksames und effizientes Instrument der Landesplanung sind die Raumordnungsverfahren ROV (§ 15 ROG), mit denen die „Raumverträglichkeit“ von überörtlichen, raumbedeutsamen Planungen und Vorhaben überprüft wird. Raumordnungsverfahren unterliegen bei der derzeitigen Rechtslage Umweltverträglich-

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keitsprüfungen und in diesem Zusammenhang einer frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung (vgl. Louis i.d.B.). Raumordnungsverfahren beziehen sich beispielsweise auf Straßenbauprojekte, sonstige Projekte der Linieninfrastrukturen oder auch größere Anlagen der Privatwirtschaft (z. B. Produktionsstätten, Anlagen der Energieerzeugung). Raumordnungsverfahren sind den konkretisierenden und Rechte zur Realisierung verleihenden Planfeststellungs-, Genehmigungsoder Bauleitplanverfahren vorangestellt. Sie dienen dem Abgleich unterschiedlicher raumbeanspruchender Ansprüche, die in einem Anhörungsverfahren geäußert werden (können), so dass auch Alternativen vorgeschlagen werden können und zu prüfen sind. Das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens ist weder Gesetz noch Ortssatzung oder Verwaltungsakt, sondern gutachterliches Votum der durchführenden Behörde. Die Landesplanungsbehörden üben die Rechtsund Fachaufsicht für die Regionalplanung der Teilräume aus. Sie stellen die Landesraumordnungs-/ Landesentwicklungspläne/Landesentwicklungsprogramme auf und sind zentrale Beteiligte bei der Aufstellung von landesweiten, raumbedeutsamen Fachplänen wie Verkehrswegeausbaupläne, Krankenhausbedarfspläne, Schulentwicklungspläne. Zu deren Erarbeitung stellt die Landesplanung zumeist Daten und Befunde aus der amtlichen Raumbeobachtung zur Verfügung. Regionalplanung und Regionalmanagement Die Regionalplanung stellt das Bindeglied zwischen Landesplanung/Landesraumordnung und der kommunalen Bauleitplanung dar. Sie konkretisiert die Landesplanung so weit, dass die Anpassungspflicht der kommunalen Bauleitplanung nach § 1 Abs. 4 Baugesetzbuch BauGB ausgefüllt werden kann. Die Regionalplanung ist in den Bundesländern unterschiedlich institutionalisiert – beispielsweise in Niedersachsen auf der kommunalen Ebene der Landkreise und der kreisfreien Städte, in Nordrhein-Westfalen auf der Ebene der Bezirksregierungen. Zum Teil haben Regionalverbände die Aufgaben der Regionalplanung (Ruhrgebiet, Hannover, Stuttgart, Braunschweig, Frankfurt).

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K. J. Beckmann

Abb. 3 Gemeinsame Landesplanung Hauptstadtregion Berlin Brandenburg, Land Brandenburg 2017 (Auszug)

Diese sind zum Teil auch Aufgabenträger des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) wie auch des Landesstraßenbaus (vgl. Priebs 2018a). Mit dem Regionalplan legt der Träger der Regionalplanung unter Anpassung an die Vorgaben der Landesplanung die Ziele und Grundsätze der räumlichen Entwicklung in der jeweiligen Planungsregion fest – als Instrument der Ordnung der Raumnutzung und als Entwicklungskonzept. Dabei erfolgt eine Abwägung und Festlegung der unterschiedlichen Nutzungsansprüche an den Raum sowie eine Sicherung von schutzwürdigen Raumfunktionen (Naturschutz, Landschaftsschutz, Luftaustausch, Rohstoffe, Wasserressourcen . . .) (Abb. 4). Regionalpläne bestehen aus zeichnerischen Darstellungen (im Maßstab 1:50.000 bis 1:100.000, Kartenteil) und Textteilen mit Aussagen (§ 8 Abs. 1 und 3 ROG) zur Siedlungsstruktur, zu Raumkategorien wie Verdichtungsräumen, Randzonen der Verdichtungsräume oder ländlichen Räumen, zu Zentralen Orten, Entwicklungsachsen der Siedlung, Freiraumstrukturen, Verkehrs- und Energietrassen, Standorten überörtlicher Infrastruktureinrichtungen. So wird die bauliche Entwicklung weitgehend auf „Zentrale Orte“ und „Siedlungsachsen“ konzentriert. Be-

sondere Bedeutung haben auch Aussagen zu Standorten des (großflächigen) Handels, um Ortszentren und die dort gegebene Agglomerationsvorteile der Nachbarschaft verschiedener öffentlicher und privater Einrichtungen zu erhalten und zu stärken (soziale und kulturelle Infrastruktur, Bahnhöfe/Haltepunkte, Handel, Dienstleistungen . . .). Den Raumordnungsplänen ist eine Begründung beizufügen. Flächenhafte Festlegungen beziehen sich unter anderem auf Vorranggebiete für bestimmte Raumnutzungen und raumbedeutsame Funktionen – mit der Wirkung der bevorzugten Berücksichtigung bei der Abwägung der Anforderungen. In Vorbehaltsgebieten für bestimmte Raumfunktionen und Nutzungen ist diesen bei der Abwägung ein besonderes Gewicht beizumessen. Die Entwürfe der Regionalpläne werden nach Auftrag durch das zuständige politische Gremium (z. B. Regionalversammlung) durch die zuständige Planungsverwaltung erstellt. Sie werden mit einer öffentlichen Bekanntmachung den Trägern öffentlicher Belange – insbesondere den Kommunen – wie auch der Öffentlichkeit zur Kenntnis, Diskussion und Stellungnahme übermittelt. Regionalpläne sind einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen (§ 8 ROG). Die Regional-

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Abb. 4 Regionaler Raumordnungsplan für den Großraum Braunschweig, Regionalverband Großraum Braunschweig 2008 (Auszug o. Legende)

versammlung beschließt über den Entwurf des Regionalplans unter Beachtung der im Rahmen des förmlichen Beteiligungsverfahrens vorgebrachten Einwendungen (§ 9 ROG). Die Genehmigung erfolgt durch die zuständige Genehmigungsbehörde – eventuell mit Auflagen. Diese Genehmigungsbehörden sind die obersten Landesplanungsbehörden – zumeist die zuständigen Landesministerien. Das Regionalmanagement trägt die Umsetzung der Entwicklungsmaßnahmen – zum Teil mit weiteren Kooperationspartnern aus Fachverwaltungen, Kommunen sowie Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Grundlage sind informelle Verfahren, mit denen Kooperationen und Umsetzungen verabredet werden. Förmliche Verfahren und informelle Umsetzungsschritte wirken somit (zunehmend) kooperativ und lösungsorientiert zusammen. Regionalentwicklung und Regionalmanagement nutzen in diesem Zusammenhang vielfach Instrumente der Organisation, des Managements, der Information und Beratung. Dies gilt ganz besonders für die europäische wie auch für die interkommunalen Ebenen.

Stadt-Umland-Beziehungen als Schwerpunktaufgaben Städte stehen mit ihrem Umland in vielfältigen Wechselbeziehungen: Menschen pendeln vom Umland in die Stadt zur Arbeit, zur Ausbildung, zum Einkauf, zur Freizeit oder Kultur, als Stadtbewohner ins Umland zur Naherholung, aber auch zu Großeinrichtungen des Handels oder der Freizeit. Gleichzeitig bestehen in den Bereichen der Ver- und Entsorgung vielfältige Wechselbeziehungen, so dass vielfach schon formuliert wird: „Die Region ist die Stadt“ (ARL 1999). Stadt-Umland-Beziehungen sind somit wesentliche Gestaltungsbereiche im Rahmen der Regionalplanung. Dabei bedarf es der Festlegungen von Siedlungsflächen nach Art der Bebauung und Nutzungsintensitäten, von Freiraumflächen nach Funktionen und Schutzaufgaben, von Verkehrs- und Versorgungsnetzen/anlagen. Stadt und Umland stehen auch in engen Verflechtungen hinsichtlich der Entwicklung des Meso-Klimas, hinsichtlich Wasserversorgung sowie Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten.

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Stadtregionen stellen sich als vernetzte Systeme dar von zentraler Stadt, Orten im Stadtumland („suburbaner Bereich“) wie auch kleineren Zentren („Mittelzentren“) im entfernteren Umland. Diese Teilräume des Stadtumlands haben vor allem in den 70er- und 80er-Jahren eine eigene Charakteristik entwickelt mit wenig verdichteten Wohnstandorten, aber auch mit großflächigen Einzelhandels-, Produktions- und Freizeitstandorten (Einkaufszentren, Freizeitzentren . . .), die Sieverts (1997) als „Zwischenstadt“ mit einer eigenständigen Charakteristik und Entwicklungsdynamik bezeichnete. Diese Entwicklungstendenzen stehen zum Teil im Widerspruch zu Zielen wie Siedlungskonzentration, Flächensparsamkeit, Vermeidung von Zersiedlung und Verkehrsaufwandsbegrenzung, aber auch zur Entwicklung und Sicherung von Freiräumen. Die verfügbaren regionalplanerischen Instrumente zur Steuerung dieser Entwicklungen werden zwar eingesetzt, aber häufig nur begrenzt durchgesetzt und umgesetzt. Dies gilt insbesondere für die mangelnde Siedlungskonzentration auf „Zentrale Orte“ und „Siedlungsachsen“ und für den fehlenden Ausschluss der Siedlungsentwicklung in Achsenzwischenräumen. Europäische Raumentwicklung Vereinbarungen zwischen den für die Raumentwicklung zuständigen Ministern der EU-Mitgliedsstaaten sind Grundlage der europäischen Raumentwicklungspolitik. Sie werden „vertikal“ zwischen der europäischen Ebene, den nationalstaatlichen und regionalen, aber auch den kommunalen Ebenen sowie „horizontal“ zwischen der Raumentwicklungspolitik und den europäischen Fachpolitiken abgestimmt. Dies geschieht mit dem Ziel einer Sicherung und Förderung des „territorialen Zusammenhalts“ in Europa – beispielsweise auf der Grundlage des Vertrags von Lissabon (2009). So wurde das Europäische Raumentwicklungskonzept EUREK (1999) von den – damals noch – fünfzehn Mitgliedsstaaten erarbeitet. Ziel war/ ist eine ausgewogene und nachhaltige soziale, ökonomische und ökologische Raumentwicklung. Die räumlichen Ungleichgewichte zwischen dem sogenannten Pentagon der Metropolräume

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(London, Paris, Mailand, München, Hamburg) und den wirtschaftsschwächeren Randzonen zeigen die Handlungserfordernisse des Zusammenhalts mit Wachstumszielen und Ausgleichszielen. Das EUREK formuliert das Leitbild einer nachhaltigen, räumlich ausgewogenen und polyzentrischen europäischen Raumentwicklung. Das EUREK ist aber eine unverbindliche Absichtserklärung, dient jedoch teilweise der Steuerung von Förderprogrammen und Infrastrukturfinanzierungen der EU (Interreg – z. B. Transnationale Zusammenarbeit; EFRE – Regionalentwicklungsfonds, TEN – Transeuropäische Netze).

1.3

Ziele der Raumentwicklung

Das Raumordnungsgesetz definiert in § 3 Abs. 1 ROG Ziele, Grundsätze und (sonstige) Erfordernisse der Raumordnung und stellt die Rechtsfolgen für öffentliche Stellen und für Akteure des Privatrechts im Hinblick auf Bindungswirkungen dar (§§ 4 und 5 ROG; vgl. auch Grotefels und Petschulat 2018 und Runkel 2018). Die Beachtungspflicht der Ziele löst eine Bindungswirkung in dem Sinne aus, dass Ziele nicht abgewogen, d. h. nicht überwunden werden können. Grundsätze sind zu berücksichtigen und können damit auf nachfolgenden Entscheidungsebenen abgewogen werden. Sonstige Erfordernisse sind (nur) zu berücksichtigen und haben daher weniger bzw. schwächere Bindungswirkungen. Demgegenüber haben Raumordnungsberichte, Entschließungen der Ministerkonferenz für Raumordnung MKRO, Empfehlungen des Beirats für Raumentwicklung, aber auch das Europäische Raumentwicklungskonzept EUREK und die Leitbilder der Raumentwicklung keine Bindungswirkungen. Die Ziele der Raumordnung in Raumentwicklungsplänen des Bundes (§ 17 ROG), in Raumordnungsplänen der Länder (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ROG) oder in Raumordnungsplänen für Teilräume („Regionen“) der Länder (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ROG; Regionalpläne) sind keine legislativen, sondern administrative Festlegungen. Die Verbindlichkeit als Ziel muss aus den Planunterlagen bzw. aus den textlichen Festsetzungen erkennbar sein – durch die Erfüllung des

Raum- und Stadtentwicklung

Gebots der hinreichenden Bestimmtheit. Die Gewährleistung der Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Festlegungen erfordert eine Zurückhaltung bei den Festsetzungen. Ziele der Raumordnung müssen von der jeweiligen für die Raumordnung zuständigen Stelle abgewogen werden. Eine strikte Bindungswirkung für (öffentliche und private) Träger eigener Rechte kann nur dann ausgelöst werden, wenn diese Träger beim Planaufstellungsverfahren beteiligt worden sind und ihre Belange einbringen konnten. Dies gilt analog für die Bindungswirkung gegenüber raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen des Bundes (§ 5 ROG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 ROG).

1.4

Ausgewählte Grundsätze der Raumentwicklung

Die bundesweit geltenden Grundsätze der Raumordnung nach § 2 Abs. 2 ROG beziehen sich auf Aussagen zum Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und zu seinen Teilräumen, zur dezentralen Siedlungsstruktur, zur Versorgung mit Dienstleistungen und zu Infrastrukturen der Daseinsvorsorge, zur Wirtschaftsstruktur und wirtschaftsnahen Infrastruktur, zu den Kulturlandschaften, zum Umweltschutz, zu den räumlichen Voraussetzungen der Verteidigung sowie von Europa. Nach dem Grundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sollen die Lebensverhältnisse in allen Teilräumen der Bundesrepublik Deutschland so gestaltet werden, dass die in jedem Teilraum erreichten Lebensverhältnisse tendenziell als gleichwertig empfunden werden. Die daraus abgeleitete interregionale Ausgleichspolitik lässt eine passive Sanierung von zurückgebliebenen Regionen nicht zu – auch wenn infolge der demografischen und ökonomischen Schrumpfung Vorschläge zur Absiedlung von Einzelgehöften oder einzelnen, kleineren Ortslagen diskutiert werden (können) (vgl. Bojarra-Becker et al. 2017). Die grundsätzliche Forderung nach „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ (Art. 72 Abs. 2 GG) fand bzw. findet zum Teil noch Niederschlag in Fördertatbeständen für das Zonenrandgebiet, für Gebiete der Gemeinschaftsaufgaben GA – z. B. Verbesserung der regionalen

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Wirtschaftsstruktur, Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (Art. 91a GG) –, im Länderfinanzausgleich sowie im kommunalen Finanzausgleich der Länder. Begründet sind diese Fördertatbestände somit durch die Forderungen einer Verteilungsgerechtigkeit und der Verfolgung des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG). Sie dienen der Wirtschaftsentwicklung und der Sozialpolitik (vgl. Rosenfeld 2018, S. 4), dem territorialen Zusammenhalt, der Erhaltung der Anbindung und Erreichbarkeit von Teilräumen. Dazu sind nicht nur inhaltliche Aspekte der Leistungsfelder auszufüllen, sondern auch Standards festzulegen und deren Erfüllung zu kontrollieren. Während früher die Ziele und Standards häufig input-orientiert waren, werden heute eher Outcome und Impacts („Wirkungen“) als Zielstandards festgelegt. Input-Orientierung umfasste den Umfang der eingesetzten Mittel (z. B. Finanzen), während die Outcome- und ImpactOrientierung eher auf Wirkungen basiert wie beispielsweise • die regionale Arbeitslosigkeit, • die Anzahl bzw. der Anteil der Abiturienten, • das Spektrum der Tätigkeiten in den verschiedenen Berufsfeldern. Heute und zukünftig spielt auch die notwendige teilräumliche Ausstattung mit Einrichtungen und Angeboten der Informations- und Kommunikationstechnik eine bedeutende Rolle bei der Förderung der Gleichwertigkeit („Breitbandnetz“). Dieser Prozess steht zurzeit noch ziemlich am Anfang. Leitbilder der Raumentwicklung Das Raumordnungsgesetz ermächtigt mit § 24 Abs. 2 ROG Bund und Länder zu einer gemeinsam verantworteten Erarbeitung von „Leitbildern der räumlichen Entwicklung des Bundesgebiets als Grundlage für die Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen des Bundes und der Europäischen Gemeinschaft“. Während der 1992/1993 (MKRO) vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung entworfene „Raumordnungspolitische Orientierungsrahmen“ sowie der darauf aufbauende „Raumordnungspolitische Handlungsrahmen“ (MKRO 1998) Leitbilder formulierte wie Siedlungsstruktur, Umwelt und

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Raumnutzung, Verkehr, Europa, Ordnung und Entwicklung lassen sich die aktuellen Leitbilder (MKRO 2016) in vier Leitbildfelder unterteilen: 1. „Wettbewerbsfähigkeit stärken“ 2. „Daseinsvorsorge sichern“ 3. „Ressourcen bewahren, Kulturlandschaften sichern“ und 4. „Klimawandel und Energiewende“ (vgl. auch Aring 2018). Die Erarbeitung erfolgte in intensiven diskursiven Prozessen unter Einbindung der verschiedenen (föderalen) Planungsebenen, der verschiedenen Fachpolitiken und vor allem unter Beteiligung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Besonders strittige Diskussionen ergaben sich hinsichtlich der Rolle der Metropolen (Leitbild „Wachstum und Innovation“), der Entwicklung der peripheren und schrumpfenden ländlichen Räume (Leitbild „Daseinsvorsorge sichern“) sowie

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den neuen Anforderungen aus Energiewende und Klimaschutz (vgl. Abb. 5). Dabei wurden Entwicklungstendenzen aus der Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft bisher nur nachgeordnet berücksichtigten. Konzepte der Raumordnung Konzepte der Raumordnung dienen dazu, auf der Basis der Beschreibung und Analyse sowie der Systematisierung räumlicher Muster Entwicklungsvorstellungen für Räume verständlich und handhabbar zu machen. Damit sollen unerwünschte situationsund raumtypische Gegebenheiten korrigiert sowie Entwicklungen gesteuert und abgestimmt werden. Konzepte der Raumordnung sind unter anderen (vgl. Münter und Osterhage 2018) • „Gebietskategorien“ wie Metropolen, Verdichtungsräume und ländliche Räume mit spezifischen raumstrukturellen Merkmalen und Problemlagen,

Abb. 5 Leitbild „Daseinsvorsorge sichern“ (BBSR Raumordnungsbericht 2017, Karte 2)

Raum- und Stadtentwicklung

• „ausgeglichene Funktionsräume“, in denen Flächen für die Funktionen Wohnen, Arbeiten, gewerbliche und landwirtschaftliche Produktion, Naherholung, Infrastrukturen bedarfsorientiert bereitgestellt und räumlich zugeordnet werden sollen, • Räume „funktionsräumlicher Arbeitsteilung“ – z. B. mit anthropogenen Funktionen (Wohnen, Arbeiten . . .) und ökologischen Ausgleichsfunktionen, die jeweils einzelne Raumfunktionen in den Vordergrund der teilräumlichen Nutzungen stellen. Konzepte einer aktiven Raumentwicklung umfassen folgende Aspekte: • Zentrale-Orte-Konzepte der hierarchischen Organisation privater und öffentlicher Versorgungseinrichtungen und Erschließungs-, d. h. Erreichbarkeitsqualitäten, die einer flächendeckenden Versorgung dienen sollen, aber für höher spezialisierte Einrichtungen bzw. Angebote durch größere Einzugsbereiche höhere Verkehrsaufwände zur Folge haben, • punkt-achsiale Siedlungs- und Standortkonzepte, die zwischen zentralen Orten unterschiedlicher Hierarchiestufen aufgespannt sind und in den Siedlungsachsen mit leistungsfähigen (Verkehrs-)Infrastrukturen ausgestattet sind („Siedlungsstern in Berlin-Brandenburg“, ausgehend von der Metropole Berlin) (Vallée 2018) • dezentrale Konzentrationen von Siedlungen und Infrastruktureinrichtungen, die Siedlungs- und Versorgungszentren als Satelliten durch kleinere Siedlungs- und Versorgungskonzentrationen ergänzen und mit diesen durch hochwertige Verkehrsverbindungen verknüpft sind, gleichzeitig aber leistungsfähige und vernetzte Freiräume aufweisen (dezentrale Konzentrationen dienen der Vermeidung einer unkontrollierten Suburbanisierung von Wohnungen, Arbeitsplätzen oder auch großflächigen Versorgungseinrichtungen) • Stärkung der Innenentwicklung vor flächenbeanspruchenden und verkehrsaufwändigen Außenentwicklungen der Städte und Gemeinden durch Aufstockung von Gebäuden, Nutzung von Baulücken und Entwicklung innerer Baugebiete.

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In der praktischen Raumordnung und den praktischen Landes- und Regionalplanungen ergänzen und überlagern sich die verschiedenen Konzepte. In der Bundesrepublik Deutschland ist das Zentrale-Orte-Konzept ein zentrales Element aller Landes- und Regionalentwicklungspläne mit einer zumeist dreistufigen Hierarchie aus Oberzentren, Mittelzentren und Grundzentren mit jeweils dazugehörigen Versorgungs- und Verflechtungsbereichen. Das Konzept dient der Steuerung der Standortwahl von sozialen Infrastrukturen (Kindergärten, Schulen, Alteneinrichtungen, Krankenhäusern etc.), von Einzelhandelseinrichtungen sowie von Angebotsqualitäten im Verkehrs-, Energie-, Wasserversorgungs- und Entwässerungsbereich. Theoretische Grundlagen des Zentrale-OrteKonzepts Der Begriff „Zentraler Ort“ geht auf die Beobachtungen, Befunde und theoretischen Konzepte von W. Christaller (1933) zurück. Diese neoklassische Theorie geht für haushaltsorientierte Güter und Dienstleistungen davon aus, dass sich in einem homogenen Raum der Nachfrage und beim Nachfrager als „homo oeconomicus“ höhere Spezialisierungsgrade und -umfänge der Angebote nur bei höherer Nachfrage einstellen (können) und zur Sicherung der wirtschaftlichen Tragfähigkeit dieser spezialisierten Angebote eine ausreichende Nachfrage aus einem größeren räumlichen Einzugsbereich (Versorgungsbereich) gegeben sein muss. Auf der anderen Seite sind nach dieser Theorie Nachfrager, Kunden, also Haushalte und Einwohner nur für selten und spezialisiert nachgefragte Güter und Dienstleistungen bereit, größere Entfernungen zurückzulegen. In „Zentralen Orten“ konzentrieren sich somit Einrichtungen höherer Spezialisierung (z. B. Spezialgeschäfte, Kaufhäuser, höherwertige Dienstleistungen, Fachärzte, Kliniken, Universitäten . . .) und führen in diesen Agglomerationen zu Synergien der Ausstattung und Nutzbarkeit. Vor dem Hintergrund der Zunahme „digitaler Dienste“ wie Online-Shopping oder automatisierte Gesundheitsüberwachung werden diese Zusammenhänge aber gelockert oder sogar aufgelöst.

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Die Theorie von Christaller ist beispielsweise von Lösch (1940) und Bökemann (1984) weiterentwickelt worden. „Zentrale Orte“ haben in Raumordnungsprogrammen zwar auch teilweise raumanalytische, vor allem aber normative Funktionen (vgl. Blotevogel 2002; Terfrüchte und Flex 2018). Orte höherer Zentralität haben gleichzeitig die Funktionen und Angebotsstrukturen der Orte niedrigerer Zentralität (z. B. Läden zur Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, Allgemein-/Hausärzte, Kindergärten, Grundschulen). Es werden von den Ländern zumeist folgende Ebenen unterschieden: • grundzentrale Ebene: alltäglicher Bedarf • mittelzentrale Ebene: gehobener Bedarf • oberzentrale Ebene: spezialisierter, höherer Bedarf „Zentralen Orten“ sind zugeordnet • Verflechtungsbereiche als Einzugsbereiche aller Einrichtungen (deskriptive Merkmale) • Versorgungsbereichen als normative Merkmale der raumordnerischen Ziele der flächendeckenden und nach Spezialisierung hierarchisierten Versorgung. „Zentrale Orte“ sind unter raumordnerischen Zielen (normativ) • die Orte der Siedlungskonzentration • die bevorzugten Standorte der gewerblichen Wirtschaft, insbesondere des Einzelhandels, aber auch hochwertiger und spezialisierter Infrastrukturen für Gesundheit, Kultur, Bildung, Betreuung, Sicherheit oder Einzelhandel • hochwertige (intermodale) Verkehrs-/Umsteigeknoten Metropolregionen Die Gebietskategorie „Metropolregion“ hat mit der zunehmenden Internationalisierung und Globalisierung von Politik und Wirtschaft, insbesondere von Handel wie auch Lebensweisen und Tourismus an Bedeutung gewonnen (vgl. Leitbild 1 der Leitbilder der Raumordnung 2016). Metropolregionen dienen im internationalen Austausch der gesellschaftlichen,

sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung. Damit hat diese Gebietskategorie sowohl empirisch-analytische und beschreibende als auch normativ-planerische Funktionen. Die einzelnen Metropolregionen unterscheiden sich hinsichtlich folgender Funktionen, die sich auch bei einigen Metropolregionen überlagern (können): • Entscheidungs- und Kontrollfunktionen von Staat und Wirtschaft • Innovations- und Wettbewerbsfunktionen von Wirtschaft und Wissenschaft • Gateway-Funktionen als internationale Verkehrsknoten und als Schwerpunkte von Märkten • Symbolfunktionen bezüglich Kultur, Identität von größeren Räumen und Identifikationsfunktion mit diesen Räumen. In Deutschland waren es zunächst die Regionen Berlin, Hamburg, München, Rhein-Ruhr und Stuttgart, die als Metropolregionen eingestuft wurden, aber mit Erarbeitung der Leitbilder der Raumentwicklung (2006/2016) um die Regionen Hannover/Braunschweig/Göttingen/Wolfsburg, Bremen/Oldenburg, Nürnberg, Mitteldeutschland, Euregio Maas-Rhein, Saar-Lor-Lux, Oberrhein und Bodenseeregionen ergänzt bzw. erweitert wurden, aber auch mit grenzüberschreitenden Regionen. Veranlassend waren vor allem Aspekte des regionalen Wachstums und der Existenz regionaler Innovationscluster. Polyzentralität Die angestrebten Raumordnungsmuster folgen auf europäischer, bundes- und landesweiter wie auch auf regionaler sowie lokaler Ebene häufig dem Konzept der Polyzentralität mit mehreren, im Verbund stehenden, separierten und funktionstüchtigen Zentren. Diese haben untereinander Austausch- und Ergänzungsfunktionen. Polyzentralität ist Ergebnis der gleichzeitigen Wirkungen von Zentralisierung und Dezentralisierung. Sie ermöglicht funktionale Spezialisierungen an einzelnen Standorten und Agglomerationsvorteile, gleichzeitig aber auch Begrenzungen von Verdichtungswirkungen und Überlastungserscheinungen – beispielsweise im Verkehr oder auf Wohnungsmärkten.

Raum- und Stadtentwicklung

1.5

Instrumente der Raumplanung

Diller (2018) unterscheidet Rechtsinstrumente wie Raumordnungs- und Landesplanungsgesetze, formelle Planinstrumente (Landesentwicklungspläne, Regionalpläne), teilnormierte Planinstrumente („Zentrale-Orte“-Konzepte usw.), prozessuale Instrumente (Trägerbeteiligung, strategische Umweltprüfung usw.), aber auch informelle Instrumente (Modellvorhaben, Mediationsverfahren usw.), Sicherungsinstrumente (landesplanerische Stellungnahmen, Zielabweichungsverfahren usw.), methodische Instrumente (Informationsgrundlagen, Analysemethoden usw.) sowie Instrumente der Fachplanungen und raumbezogener Fachpolitiken (vgl. auch ARL 1998). Die formellen Pläne weisen Standortoptionen wie auch Standortausschlüsse für bestimmte Raumnutzungen oder Anlagen auf. In der Umsetzung bedienen sie sich der Anpassungspflicht von Bauleitplänen der Kommunen an die Regionalen Raumordnungspläne oder der Prüfung der Raum- und/oder Umweltverträglichkeit von Flächennutzungen und baulichen Nutzungen, aber auch von Anlagen – z. B. im Rahmen von Raumordnungsverfahren, Planfeststellungsverfahren oder Anlagengenehmigungen (z. B. nach Bundes-Immissionsschutz-Recht). Die formellen Pläne sind für Behörden rechtsverbindlich, zum Teil auch über konkretisierende Instrumente – z. B. Bauleitpläne, Planfeststellungsbeschlüsse – rechtsverbindlich für Bürger, Grundstückseigentümer oder Unternehmen. Darauf begründen Kommunen in der Bauleitplanung einen Einsatz von Instrumenten der Plansicherung und Planverwirklichung. Dies sind u. a. Vorkaufsrechte, Umlegungsverfahren und Enteignungsverfahren, aber auch „Raumordnerische Verträge“ (vgl. Krautzberger i.d.B.). Raumordnerische Verträge sind vertragliche Vereinbarungen zwischen öffentlichen Aufgabenträgern, mit denen Ziele, Vorbereitungen und Verwirklichungen von Raumordnungsplänen, der Einsatz von Instrumenten, aber auch Kostentragungen vereinbart werden können (§ 14 Abs. 2 ROG). Derartige Verabredungen zwischen den beteiligten Akteuren zählen zu den informellen Instrumenten. Zu den Instrumenten der Umsetzung gehören letztlich auch die formellen Verfahren der Planfeststellung in der Raumordnung, der kommunalen

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Bauleitplanung, der Planfeststellung und/oder der Genehmigung von Anlagen. Diese Verfahrensabläufe ermöglichen eine Artikulation von Interessen aller Raumakteure und deren Abgleich sowie Abwägung. Grundlagen sind Verfahren der Information, der Offenlage, Anhörung und Erörterung. Der Förderung und Umsetzung der Leitbilder und der jeweils inhärenten Ziele der Raumentwicklung dienen vor allem die formellen Instrumente der Raum-, Landes- oder Regionalentwicklungspläne/programme, d. h. rechtliche Festsetzungen sowie Instrumente informeller Pläne und Verabredungen sowie auf die Raumentwicklungsziele abgestimmten Fachpolitiken (Verkehr, Energie, Schulen, Krankenhäuser, Universitäten usw.). Sie werden ergänzt durch finanzielle Anreize für raumbezogene Aktivitäten wie Finanzausgleich, Wirtschafts- und/oder Infrastrukturförderung (Verkehr, Energie, Breitbandnetze, soziale Einrichtungen usw.). Dazu gehören die Gemeinschaftsaufgaben, z. B. „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Hinzu kommen Instrumente des Raum(entwicklungs)managements durch Organisation, Koordination, Information und Beratung von Raumakteuren (vgl. Diller 2018). Grundlage sind auch Instrumente der Raumbeobachtung (vgl. Europäisches Raumbeobachtungsnetzwerk ESPON), eines Monitorings sowie einer Evaluation der Raumentwicklung. Raumordnungsverfahren Für beabsichtigte Raumnutzungen – insbesondere auch (größere) Infrastrukturvorhaben –, deren Raumverträglichkeit mit den Darstellungen in Landesraumordnungsplänen und Regionalplänen nicht beurteilt werden kann, sind Raumordnungsverfahren (§ 15 ROG) durchzuführen. Mit diesen wird überprüft, inwieweit oder unter welchen Bedingungen Vorhaben mit den Zielen, Grundsätzen und sonstigen Erfordernissen der Raumordnung in Einklang stehen (können). Auf der Bundesebene sind Raumordnungsverfahren nur für die Netze der Strom(fern)übertragung erforderlich („Bundesnetzplanung“). Auf Landesebene haben sie nach derzeitiger Rechtslage grundsätzlich allen Planfeststellungs-, Genehmigungs- und Zulassungsverfahren vorauszugehen. Dies gilt für alle Vorhaben, die insofern raumbedeutsam sind, als sie Raum/Flächen in An-

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spruch nehmen oder die räumliche Entwicklung beeinflussen (können). Die Raumordnungsverordnung (ROV) bestimmt die Projekte, die einem Raumordnungsverfahren zu unterziehen sind. Landesrecht kann weitere Vorhaben bestimmen (§ 1 Satz 2 ROV). Durch das Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung (§ 49 Abs. 1 UVPG) ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen der Raumordnungsverfahren vorgeschrieben. Das Verfahren wird mit einer Antragskonferenz eingeleitet, zu der die Träger des Vorhabens die Unterlagen bereitzustellen haben. Im Verfahren werden betroffene Gemeinden, Fachbehörden und Träger öffentlicher Belange beteiligt. Die Landesplanungsbehörde unterrichtet mit dem Abschluss der Antragskonferenz den Vorhabenträger über den sachlichen und räumlichen Untersuchungsrahmen. Nach § 19 Abs. 1 ROV ist die Öffentlichkeit durch Auslegung der Verfahrensunterlagen zu beteiligen. Das Raumordnungsverfahren wird mit einem raumordnerischen Entscheid bzw. einer landesplanerischen Festlegung abgeschlossen. Diese ist als gutachterliche Äußerung in anderen Verfahren zu berücksichtigen. Zielabweichungsverfahren Da nicht auszuschließen ist, dass sich Rahmenbedingungen der Raumentwicklung, aber auch Anforderungen an die Raumentwicklung verändern können, gleichzeitig Verfahren einer Neuaufstellung von Landesraumordnungsplänen oder Regionalplänen zu aufwändig wären, sind nach § Abs. 2 ROG Zielabweichungsverfahren möglich, die von den Trägern der Abweichungswünsche beantragt werden können und der Prüfung dienen, ob die Grundzüge der Raumordnung berührt werden oder nicht. Letzteres würde eine Zielabweichung möglich machen.

1.6

Determinanten der Raumentwicklung

Bevölkerung Raumentwicklung durch Menschen entfaltet sich in Wechselwirkungen von Bedürfnissen, resultie-

renden Bedarfen und Nachfragen der Menschen und der Wirtschaftsunternehmen auf der einen Seite und den Angeboten/Dargeboten der Einrichtungen und Leistungen auf der anderen Seite. Bedürfnisse, Bedarfe und Nachfragen werden durch die Anzahl, die sozio- und altersstrukturelle sowie die sozio-ökonomische Zusammensetzung der Bevölkerung, die präferierten Lebensweisen sowie die Ressourcenausstattung der privaten Haushalte bestimmt (Abb. 6). Der Prognose bzw. Vorausschätzung der Bevölkerungszahl aus • „natürlicher“ Bevölkerungsentwicklung mit Geburten und Sterbefällen • „Wanderungen“, d. h. Wohnstandortwechseln als Zuzüge und Fortzüge sowie der Vorausschätzung der Haushaltsanzahl nach Haushaltsgröße und Haushaltsstruktur kommen damit zur Ermittlung der Nachfrage nach Wohnungen, Arbeitsplätzen, Einrichtungen der sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Infrastruktur, aber auch der Nachfrage nach Verkehrsleistungen eine hohe Bedeutung zu. Natürliche Bevölkerungsentwicklung beruht auf • altersspezifischen Sterbe- bzw. Überlebenswahrscheinlichkeiten – eventuell differenziert nach Geschlecht und sozialem Status • altersspezifischen Fortpflanzungswahrscheinlichkeiten der Frauen, zum Teil regional und siedlungsstrukturell, aber auch sozial und sozial-ethnisch differenziert. Grundlage ist die nach Alter und Geschlecht differenzierte „Ausgangsbevölkerung“ in einem Teilraum, korrigiert über die Nettowanderungen nach Alter und Geschlecht. Während Sterbevorgänge und Geburten als „Raten“ mittel- und langfristig eine relativ hohe Stabilität aufweisen, können sich Wanderungen durch Veränderungen der Attraktivitäten von Teilräumen infolge von Veränderungen der Arbeitsplatzangebote, Ausbildungsangebote, Wohnungsangebote, der Umweltqualitäten wie auch der Images kurz- und mittelfristig stark ändern. Dies gilt insbesondere für großräumige – vor allem internationale – Wanderungen wie Fluchten/Vertreibungen aus politischen, ethnischen oder ökonomischen Gründen. Es gilt auch zwischen nationalen Teilräumen bei

Raum- und Stadtentwicklung

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Abb. 6 Bevölkerungsprognose nach der Cohort-Suvival-Methode (Beckmann 2004)

sich stark verändernden Attraktivitäts-Relationen der Teilräume. Die Wanderungsverluste der neuen Bundesländer und der ländlichen Räume zeigen dies seit der Wiedervereinigung besonders deutlich. Dies galt aber auch für periphere Räume während der gesamten Nachkriegszeit. Wanderungen Mij können vereinfacht mit Hilfe von Gravitationsmodellen dargestellt werden (Abb. 7). Wanderungsmodelle können auf folgenden Veränderungen aufgebaut werden: • Lebenszyklus der Bevölkerung (Alter, Familienstand, Haushaltsstruktur/-phase) • sozio-ökonomischer Status der Bevölkerung (z. B. Einkommen)

• Arbeitsplatzangebote • Wohnungs- und Wohnumfeldqualitäten sowie -angebote. Ursachen für Wanderungen sind heute häufig Arbeitsplatz-, Ausbildungsplatzangebote und (resultierende) Wohnstandortwechsel der Bevölkerung. Es sind Fernwanderungen (international oder interregional) sowie Nahwanderungen (interkommunal in Regionen und intrakommunal) zu unterscheiden. Wanderungsmodelle können deterministisch, d. h. auf als stabil unterstellten Wirkungsbeziehungen beruhend oder „probabilistisch“ (z. B. auf Monte-Carlo-Simulationen beruhend) aufgebaut sein. Letztere basieren auf Modellen einer natür-

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Abb. 7 Gravitationsmodell der Wanderungen

Mij = k x Pi x Pj x dijα Mij Pi Pj dij k, α

Wanderungen zwischen Standorten i und j Attraktionspotenzial der Zone i (z. B. Einwohner) Attraktionspotenzial der Zone j (z. B. Arbeitsplätze oder Einwohner) Entfernung zwischen i und j Kalibrierungsfaktoren

lichen Bevölkerungsentwicklung, Modellen zu wahrscheinlichen Wanderungsanlässen und Wanderungszielen. Die Merkmalsausprägungen z. B. der Wanderungsanlässe, der Wanderungsentfernungen oder der Wanderungsziele werden nach ihrer Häufigkeit per Zufallsauswahl („MonteCarlo-Prozess“) den Personen oder Haushalten als „simulierten Objekten“ zugeordnet. Zur Bedarfsabschätzung – zum Beispiel für Wohnungen, Wohnformen und Wohnflächen, aber auch für die Motorisierung – sind aufbauend auf Bevölkerungsvorausschätzungen („natürliche Bevölkerungsentwicklung mit Wanderungen“) Schätzungen von Haushaltszahlen auf der Grundlage von altersspezifischen Wahrscheinlichkeiten und sozialgruppenspezifischen Wahrscheinlichkeiten bezüglich Haushaltsbildung (Haushaltsgröße, Haushaltsstruktur, Kinderzahl etc.) möglich. Wirtschaft Die Wirtschaftsentwicklung ist geprägt durch technologische Entwicklungen wie den Übergang von Produktion/Industrie zu Dienstleistungen, die Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen, Veränderungen durch Digitalisierung, aber auch durch Veränderungen der Konkurrenzfähigkeit der nationalen, regionalen oder lokalen Wirtschaftsstruktur. Rahmensetzungen Die raumprägenden Funktionen wie Wohnen, Arbeiten, Produktion, Ausbildung, Versorgung/Handel, Dienstleistungen und die daraus resultierenden Anforderungen an Gebäude und Anlagen sowie Flächenbeanspruchungen werden unter Berücksichtigung von Rahmensetzungen umgesetzt. Zu diesen Rahmenbedingungen und Rahmensetzungen gehören • Flächen- und Standortverfügbarkeiten, • Nutzungsregelungen und Nutzungsrechte – beispielsweise durch Festsetzungen des Planungsrechts,

• Erschließungsqualitäten durch Verkehrs-, Verund Entsorgungsanlagen (Energie, Wärme, Wasser, Abwasser, Abfall) sowie Kommunikationsnetze. Den Austauschprozessen zwischen Nachfrage und Dargebot können unterschiedliche „Vermittlungsprinzipien“ zugrunde liegen. Diese umfassen u. a. das Prinzip „Markt“ mit Ertragserwartungen der Anbieter und Zahlungsbereitschaft der Nachfrager, das Prinzip „Transfer“ mit direkter oder indirekter (Teil-)Finanzierung aus öffentlichen Mitteln und mit Nutzungsrechten der Nachfrager – z. B. für Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus, Leistungen sozialer Infrastrukturen (Kindergärten, Schulen, Alteneinrichtungen etc.), zum Teil auch Anlagen und Leistungen technischer Infrastrukturen (Verkehr, Ver- und Entsorgung, Kommunikation etc.). Außerdem können Leistungen nach dem Prinzip „Gegenseitigkeit“ vermittelt werden, nach dem Nachfrager Anrechte zur Nutzung im familiären oder sozialen Zusammenhang haben, im Gegenzug Leistungen – zum Teil in anderen Segmenten, an anderen Orten oder zu anderen Zeitpunkten – erbracht haben bzw. erbringen (z. B. Nachbarschaftshilfe, Leistungen im Familienzusammenhang, ehrenamtliche Tätigkeiten). Verkehr, Ver- und Entsorgung als Voraussetzungen der Raumentwicklung Standorte, d. h. Grundstücke, Stadtquartiere und Stadtteile, Städte oder Regionen insgesamt setzen Einbindungen in das gesamte Standortsystem voraus, um die Teilhabe der Menschen an sozialen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Austauschprozessen wie auch den Austausch von Gütern und Leistungen zwischen Wirtschaftssubjekten sicherzustellen. Dies setzt Verkehrsnetze zum Transport von Menschen, Gütern, Energie und Informationen voraus. Eine ergänzende wie auch substitutive Funktion haben zunehmend auch

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Informations- und Kommunikationsnetze (Kupferund Glasfasernetze, auch Funkverbindungen). Eine eigenständige Aufgabe haben Netze der Versorgung mit Wasser, Wärme, Energie sowie der Entsorgung von Abwasser (Regenwasser, Schmutzwasser, Mischwasser) sowie von Abfall und Wertstoffen. Ver- und Entsorgung setzen als technisch-materielle Infrastrukturen Netzverbindungen (Leitungen, Kanäle, Rohre, Kabel) zum (Fern-)Transport und zur Verteilung bis zum Endverbraucher sowie Anlagen zur Gewinnung, zur Umwandlung und/oder zur Aufbereitung wie auch zur Speicherung, Reinigung und Verwertung voraus (Tietz 2018). Die Gewinnung (z. B. Wasser, fossile Energien, regenerative Energien) wie auch die Verwertung (z. B. Reinigung, Versickerung oder Verregnung von Schmutzwasser) erfolgen häufig auch außerhalb der Städte. Die großmaßstäblichen Anlagen wie Wasserwerke, Kraftwerke (Kohle, Gas, Müll), Windkraft- und Solar-Anlagen, Abfalldeponien, Müllverbrennungsanlagen, Anlagen der Wertstoffverwertung und Kläranlagen sind mit hohen Flächenbeanspruchungen und zum Teil Umweltbelastungen verbunden, die eine Prüfung der Raumverträglichkeit erfordern. Dabei sind Anforderungen wie Funktions- und Leistungsfähigkeit, aber auch Sozial-, Umweltund damit Raumverträglichkeit zu beachten. Mit der zunehmenden Tendenz zu „dezentralen“ Anlagen wie Niederschlagswasserversickerung oder -rückhaltung auf Grundstücken, wie dezentrale Wind- und Sonnenenergieanlagen in Quartieren oder wie Energiespeicherung in Elektrofahrzeugen zeigt sich das Erfordernis einer Berücksichtigung in der Stadtentwicklung.

1.7

Methoden der Raumanalyse

Soll Raumentwicklung auf den Ebenen von Europa, Bundesrepublik Deutschland, Ländern, Regionen und Kommunen gleichermaßen problem- wie zielorientiert erfolgen, bedarf es im Regelfall einer qualifizierenden und quantifizierenden Beschreibung der gegebenen Zustände, der bisherigen Zustandsveränderungen („expost“) und erwarteter Zustandsveränderungen („ex-ante“; Vorausschätzungen, Prognosen), um den Handlungsbedarf und die Handlungsziele zu

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ermitteln und festzulegen (vgl. auch Kramer und Pfaffenbach 2018; Bastian 2018). Beschreibungen der Zustände und Zustandsveränderungen („Entwicklungen“) beruhen auf Daten des Verwaltungsvollzugs – z. B. Einwohnermeldewesen, Gewerbegenehmigungen, Baugenehmigungen – und Beobachtungen, Zählungen, Messungen und Befragungen, mit denen notwendige Informationen eingeholt werden. Zum Teil handelt es sich um Totalerfassungen, für die vertiefende Ermittlung von Merkmalen aber überwiegend um Stichprobenerhebungen als Zufallsauswahlen oder – für spezielle Themen – als „bewusste Auswahlen“. Die räumliche Zuordnung der Informationen erfolgt entweder über Gebietsgliederungen der Verwaltungseinheiten (Grundstück, Baublock, Quartier, Stadtteil, Stadt/Gemeinde, Region, Bundesland) oder über Raumkoodinaten („Raster“). Die erhobenen und dargestellten Merkmale werden räumlich verortet zur Identifikation von Strukturmerkmalen und Zusammenhängen, aber auch in zeitlichen Entwicklungen – z. B. Zeitreihen – dargestellt, um Veränderungen zu verdeutlichen. Die beobachteten Merkmale beziehen sich auf Relief, Böden, Bodenwertigkeiten, Geologie Vegetation, hydrologische und meteorologische Merkmale, Meso- und Mikroklima, Fauna und Flora, Biotope sowie auf anthropogene Flächennutzungen (Bevölkerung, Wirtschaft, Infrastruktur) und deren Vernetzungen (Verkehrsstraßen, Wasserversorgungs-, Entwässerungs- und Energieversorgungsnetze). Darstellungen erfolgen häufig auf digital-topografischen Karten und verwenden Grundlagen des amtlichen Vermessungswesens wie ATKIS (Amtliches Topographisches Kartographisches Informationssystem der Vermessungsverwaltung), Digitale Landschaftsund Geländemodelle, topografische Karten usw. und ALK (Automatisches Liegenschaftskataster). Um Raummerkmale und deren Veränderungen abbildbar zu machen, werden die Informationen häufig zu Indikatoren (Merkmalswert pro Einwohner, pro Produktionseinheit oder pro Flächeneinheit usw.) verdichtet und damit deskriptiven und statistischen Analyseverfahren zugänglich gemacht (Kartendarstellungen, Kreisdiagramme, Histogramme usw.; Regressionsanalysen, Clusteranalysen, Faktorenanalysen usw.). Sie sind not-

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K. J. Beckmann

wendige Grundlagen für mathematische Modellierungen von Wirkungszusammenhängen und für prognostischen Vorausschätzungen. Indikatoren sollten somit • operationalisierbar sein (erkennbar, messbar), • räumliche Bezüge aufweisen, • prognosefähig sein (Darstellung und Vorausschätzung von Verläufen bzw. Entwicklungen) und • strategiefähig sein durch Zusammenführung von Handlungen, Handlungsobjekten und Wirkungsanalysen. Insbesondere ökonomische Raumanalysen bedienen sich spezialisierter Analyseformen zur Diagnose und Prognose (vgl. Kosfeld 2018): • Lokalisationsquotienten zur Beschreibung der Bedeutung von Wirtschaftssektoren in Teilräumen (über Arbeitsplatzzahlen, Beiträge zum Brutto-Inlandsprodukt) • Shift-Share-Analysen zur Beschreibung und Analyse wirtschaftlicher Austauschprozesse und deren Veränderungen in Beschreibungskategorien der Beschäftigtenzahlen oder der Wirtschaftsleistungen, wobei Veränderungen auf Struktureffekte oder teilräumliche Effekte zurückgeführt werden können • regionale Input-Output-Analysen auf der Grundlage von sektorenspezifischen Liefer- und Leistungsverflechtungen • Gravitationsmodelle zur Beschreibung der Austauschbeziehungen zwischen Teilräumen nach Attraktionskraft von Teilräumen (z. B. EW-Zahl, Arbeitsplatzzahl) und Lagemerkmalen (Entfernungen, verkehrsmittelspezifische Erreichbarkeiten mit Tij = K  Ai  Aj  dijα) • integrierte Simulationsmodelle (vgl. Strauch et al. 2005).

1.8

Theoretische Grundlagen und Modelle der Raumentwicklung

Die theoretischen Grundlagen wie auch die Modelle zur Beschreibung, Erklärung und Vorausschätzung/Prognose der Raumentwicklung

gehen insbesondere von den Standortanforderungen der Wirtschaft, von den Standortpräferenzen der Menschen sowie von Lage- und verkehrlichen Erreichbarkeitsmerkmalen aus. Dabei sind die Schaffung von Standortvoraussetzungen (Nutzungsrechte, infrastrukturelle Ausstattungen) für Menschen und Unternehmen sowie Verkehrsanlagen, Verkehrsbetrieb wie auch Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen (Wasser, Abwasser, Energie, Wärme, Telekommunikation/Breitbandkommunikation, Elektrizitäts- und Gasversorgung) zentrale Aufgaben der Bauingenieure bzw. erfolgen unter deren entscheidender Mitwirkung. V. Thünen geht 1825/1842 in seiner Theorie der optimalen Raumnutzung vor allem von der landwirtschaftlichen Produktion und der Versorgung der Bevölkerung aus. Dabei setzt er idealisierende Rahmenbedingungen wie flächenhaft gleiche Bodengüte, homogen verteilte Bevölkerung, mittig gelegene Stadt als Absatzzentrum landwirtschaftlicher Produkte an. Außerdem unterstellt er entfernungsabhängige Transportkosten (für verschiedene Güter), die zu „Ringen“ einer Produktspezialisierung der Landwirtschaft um die Städte herum führen („Thünensche Ringe“). Christaller (1933) und Lösch (1940) bilden die Lagemuster von Versorgungsstandorten ab. Sie kommen bei gleichmäßiger („homogener“) räumlicher Verteilung der Bevölkerung, unter Annahme einer vollständigen Konkurrenz der Produzenten zu regelmäßigen Sechsecken als vorteilhafteste Form für Marktgebiete (Abb. 8) geformt werden. Christaller hat das neue System „Zentrale Orte“ als deskriptive Kategorie entwickelt, in der Produzenten (Anbieter) für ihre Wirtschaftlichkeit bzw. Rentabilität eine Mindestnachfrage benötigen, die einen Mindesteinzugsbereich definieren. Konsumenten sind aber nur beschränkt bereit, (längere) Wege bis zu den Angebotsangeboten zurückzulegen. Güter des täglichen Bedarfs haben eine begrenzte Reichweite, die des spezialisierten Bedarfs eine größere Reichweite. Es ergibt sich ein hierarchisches System „Zentrale Orte“, das den Raum vollständig abdeckt. Zentrale Orte höherer Wertigkeit haben immer auch Funktionen niedrig-wertiger Versorgungsorte. Neben diesem Versorgungsprinzip können die „Zentralen Orte“ auch nach dem Verkehrsprinzip

Raum- und Stadtentwicklung

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Abb. 8 Das System der zentralen Orte, nach dem Versorgungsprinzip (Christaller 1968, S. 66)

(Minimierung der Kosten für Verkehr/Transportvorgänge: wichtige Orte an einer direkten Achse zwischen Orten höherer Zentralität) und dem Verwaltungs-/Absonderungsprinzip (mit möglichst abgestimmten Gebieten gleicher Größe) mit dem Ort höchster Zentralität im Zentrum angeordnet werden. Die Theorie von August Lösch (1940) zur „räumlichen Ordnung der Wirtschaft“ berücksichtigt bei der Abgrenzung von Erzeugungs-, Absatz- und Bezugsgebieten auch die Rückwirkungen auf Konkurrenten. In einem homogenen Raum der Standortbedingungen und der gleichmäßigen Verteilung der Nachfrager versuchen Erzeuger/Anbieter wie auch Nachfrager ihre Standorte so vorteilhaft wie möglich zu wählen, gleichzeitig aber eine vollständige Raumabdeckung der Versorgung zu gewährleisten. Dazu dienen kreisförmige Einzugsbereiche der Paraboloiden der Nachfrage, die als Sechsecke zur voll-

ständigen Flächenabdeckung gebracht werden können, ohne dass die akzeptierten Versorgungsoder Nachfragedistanzen überschritten werden oder für die Anbieter eine mangelnde Rentabilität eintritt. Mit der Theorie der Raumplanung führt Dieter Bökemann (1984) eine planungsbezogene Erweiterung ein. Seine wichtigste Hypothese ist, dass „der Staat (. . ., d. V.) durch seine Investitionen, Normsetzungen und Transfers wesentlich (1) das Entwicklungsniveau einer Region und (2) die Entwicklungschancen der einzelnen Wirtschaftssubjekte innerhalb einer Region“ bestimmt (Bökemann 1984, S. 190). „Standorte“ werden somit als von Gebietskörperschaften produzierte „Güter“ aufgefasst – durch Erschließung mit Hilfe von Infrastrukturnetzen, durch Nutzungsregelungen („Planungsrechtliche Festset-

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K. J. Beckmann

zungen“) und durch „weiche“ Standortfaktoren. Bökemann analysiert die Regelhaftigkeiten von Standortsystemen nach Ausstattungen mit Leitungssystemen und Versorgungseinrichtungen und identifiziert hierarchische Systeme mit Spezialisierungswirkungen, Zentralisierungseffekten und Interaktionen (Austausch). So konzentrieren sich in Stadtzentren die Aktivitäten, die Funktionen und die daraus resultierende hohe Marktbewertung der Grundstücke. Dies führt zu der folgenden „Produktionsfunktion Ϥ“ (Bökemann 1984, S. 335): Ϥ (NP) = f (VB, Vi, VG, dij) mit

Ϥ NP VB Vi VG dij

Produktmenge Standörtliches Nutzungspotenzial Menge des Produktionsfaktors „Boden“ Menge des Produktionsfaktors „Infrastruktur“ Menge des Produktionsfaktors „Bodenordnung“ Entfernung von Standorten zu komplementären Nutzungen

Nach Heidemann (1985) kann Raumentwicklung Veränderungen von • „Leuten“ (Nachfrager, Dargebotsträger) • „Sachen“ (Ressourcen, Anlagen, Gebäude; Dargebote an Leistungen mit Sach- und Betriebssystem) • „Arealen“ (Flächen mit Eigenschaften) • „Instanzen“ (Gesetze und Normen) bedeuten. Stadt- und Regionalentwicklungen von Räumen oder von Standorten sind Veränderungen von Beständen bzw. Gegebenheiten von • Humankapital (Arbeitskräfte, Qualifikationen) • politischem und sozialem System („Kultur“) • Sachkapital (Gebäude, Anlagen, Einrichtungen, Infrastrukturen) • Finanzkapital (Vermögen, Steuermittel) • Grund und Boden (Nutzungsrechte, Flächenverfügbarkeit) • Naturraumpotenziale (Landschaft, Natur, Wasserflächen usw.).

1.9 Standortfaktoren Für die Stadt-, Regional- und Raumentwicklung bedeutsame Standortfaktoren können in „harte“ Standortfaktoren (Flächenverfügbarkeit, Infrastrukturen, Nutzungs-/Bodenrecht) und „weiche“ Standortfaktoren (Image, Niveau der Infrastrukturen, Beratungs- und Betreuungsleistungen) unterschieden werden. Die Standortfaktoren können • geogen und biogen, • anthropogen und durch • Lagemerkmale/Lagequalitäten bestimmt sein. Zu den anthropogen beeinflussbaren Standortfaktoren gehören insbesondere historisch gewachsene Siedlungsstrukturen, Wirtschafts- und Sozialsysteme, Verkehrswege und Verkehrsanlagen, Verwaltungs- und Politikkulturen, aber auch „Bevölkerung“ (Anzahl, Alter, Qualifikationen) und bauliche sowie betriebliche Anlagen wie auch Instanzen und Regelungen.

Zukünftige Rolle der Raumentwicklung

Determinanten und Ziele der Raumentwicklung sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts starken Veränderungen unterworfen wie • Demografischer Wandel mit Zuwanderung und innerstaatlichen Wohnstandortwechseln sowie wachsender Urbanisierung, • Globalisierung der Wirtschaft mit strukturellem Wandel des Übergangs zur Dienstleistungsgesellschaft und zu automatisierten Produktionsformen, • Digitalisierung mit Wirkungen auf Zivilgesellschaft, Lebensweisen, Wirtschaft, Mobilität/Verkehr, • Anforderungen an Energiewende und Klimaschutz, • Sicherung der Diversität der Naturraumpotenziale. Dies bedeutet letztlich Erfordernisse einer integrierenden wie koordinierenden Raumentwick-

Raum- und Stadtentwicklung

lung(spolitik). Dabei sind Ursachen und Wirkungen, d. h. Systemzusammenhänge zu erkunden und zu berücksichtigen. Die notwendige Koordination von Fachpolitiken wie auch von Handlungsansätzen der verschiedenen föderalen Ebenen (EU, Bund, Länder, Regionen, Städte/ Gemeinden) sowie von Wirtschaft und Zivilgesellschaft bedeuten eine Stärkung der Raumentwicklung und Raumordnung. Dabei ist aber verstärkt Sorgfalt auf gemeinsame Arbeitsprozesse, d. h. u. a. auf Beteiligungsverfahren unter Einbindung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft, von Interessengruppen und sonstigen für die Raumentwicklung relevanten Akteure zu legen – eine maßgebliche Voraussetzung für ein Gelingen.

2

Stadtentwicklung

2.1

Aufgaben der Stadtentwicklungsplanung

Städte sind derzeit (2018) Lebensräume von mehr als 50 % der Weltbevölkerung, in Europa von ca. 70 % der Einwohner (EW). Sie sind Orte der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse wie Wohnen, Arbeiten, Ausbildung, Versorgung, Erholung, Freizeit, Sicherheit, aber auch soziale Kontakte. Sie stellen durch entsprechende Flächennutzungen bauliche Anlagen (Gebäude, Wohnungen, Verkehrsnetze, Ver- und Entsorgungsanlagen), Freiräume und öffentliche Räume, aber auch Leistungen und Kontaktmöglichkeiten bereit. Dies geschieht zunehmend unter Anforderungen der Sicherung von Stadt- und Lebensqualitäten, der Energiewende, des Klimaschutzes und des Umweltschutzes – insgesamt der Sicherung einer nachhaltigen Stadtentwicklung (Abb. 1) und der Resilienz (Anpassungsfähigkeit) der Stadtstrukturen und -funktionen. Städte haben neben ihren materiellen Gegebenheiten auch starke historische, soziale, gesellschaftliche und kulturelle Prägungen. Städte sind im Regelfall topografisch und administrativ geschlossene Räume mit einer größeren Bevölkerungszahl (meist mehr als 10.000 EW), einer ausgeprägten Arbeitsteilung und sozialen Differenzierung, verschiedenartigen Bausubstanzen

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aus unterschiedlichen Zeiten sowie mit spezifischen (urbanen) Lebensstilen. Städte übernehmen Versorgungsfunktionen für das Umland (vgl. Kolb 1984), sind gleichermaßen Kulturgut wie kulturelle Hervorbringung, deren Erhaltung nachhaltig gesichert werden muss. Stadtentwicklung steht im Fokus nationaler wie internationaler Verabredungen und Vereinbarungen wie „Sustainable Development Goals“ (SDG) der UN (2015), der „New Urban Agenda“ der HABITAT-Konferenz III der UNHCR in Quito (2016), aber auch der „Urban Agenda“ und der Amsterdam-Erklärung der EU (2016). Dabei werden Städte in ihren sozialen, ökonomischen, ökologischen und kulturellen Gegebenheiten sowie hinsichtlich des Befindens der Menschen („Gesundheit“, „Wohlbefinden“) ganzheitlich und umfassend betrachtet. Bedarfe der Menschen und der Wirtschaft, aber auch die Schutzbelange von Natur und Umwelt werden mit ihren Ansprüchen an Flächennutzungen, Infrastrukturen, Verkehr/Mobilität „abgewogen“. Die aus technischen Innovationen der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der Künstlichen Intelligenz (KI) resultierenden Konsequenzen werden erstmalig in der „Smart City Charta“ (2017) des Interministeriellen Ausschusses IMA der Bundesregierung (BMUB 2017) formuliert. Stadtentwicklung umfasst die endogen und exogen beeinflussten Prozesse der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung, der Flächennutzung, der baulichen Entwicklung sowie der Entwicklung sozialer und technischer Infrastrukturen. Infolge der Veränderungen sozialer und ökonomischer Rahmenbedingungen, ökologischer Anforderungen sowie technologischer Entwicklungen ändern sich die Stadtstrukturen. Städte können wachsen oder schrumpfen und unterliegen Umstrukturierungen wie z. B. Deindustrialisierung, Suburbanisierung, Reurbanisierung, Gentrifizierung, Abnahme und Alterung der Bevölkerung. Stadtentwicklung bedeutet aber auch eine aktive, gezielte (planerische und politische) Beeinflussung der Stadtstrukturen (vgl. Reiß-Schmidt 2018, Herrle und Foledal 2018, Hesse 2018). Gestaltende Stadtentwicklung beruht auf der Beobachtung/Erfassung, Analyse und Bewertung von Veränderungsvorgängen struktureller und

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baulicher Art sowie auf aktiven Eingriffen zur Veränderung von Beständen und Qualitäten bezüglich der Gebäude, Anlagen, Freiräume etc. sowie zur Beeinflussung von Austauschprozessen in Form von Leistungen, Diensten, Produkten, Kontakten/Kommunikation („Stadtplanung“). Gestaltende Stadtentwicklung beruht auf den spezifischen Konstellationen der Akteure sowie den Zuständigkeiten und Finanzausstattungen der Kommunen (Steueraufkommen, Mittel aus Finanzausgleichssystemen). Wesentliche Beeinflussungsmöglichkeiten liegen im Planungsrecht, in baulichen und betrieblichen Investitionen, in der Bereitstellung von Grundstücken, aber auch in der Aktivierung und Koordination von sonstigen öffentlichen und privaten Akteuren (Individuen, Haushalte, Unternehmen, Organisationen usw.). Stadtentwicklung ist Aufgabe, d. h. Pflicht, aber auch Recht der kommunalen Gebietskörperschaften – sowohl der Metropolen als auch der Groß-, Klein- und Mittelstädte. Dieses Recht und diese Pflicht zur Regelung und Durchsetzung der „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ konstituiert das Grundgesetz in Art. 28 Abs. 2 GG. Dazu sind die Städte und Gemeinden mit angemessenen Finanzmitteln auszustatten in Form von (hinsichtlich der Hebesätze) kommunal gestaltbaren Steuern (Gewerbesteuer, Grundsteuer) wie auch von Entgelten für Leistungen oder von Veräußerung von Sachvermögen der Städte (Grundstücke, Gebäude). Hinzu kommen Anteile der Lohn-/ Einkommensteuer, Umsatzsteuer sowie Finanzausstattungen durch die Länder und die Teilhabe an Finanzausgleichssystemen. Letztlich können für spezifische Aufgaben der Kommunen von Bund und Ländern Mittel bereitgestellt werden – z. B. Gemeinschaftsaufgaben, Städtebauförderung, Gemeindeverkehrsfinanzierung. Stadtentwicklung folgt in den meisten Städten einem bestimmten Leitbild. Als Beispiel ist das Stadtentwicklungskonzept München „kompakt, urban, grün – Neue Wege der Siedlungsentwicklung“ bzw. „Perspektive München“ (1995) zu benennen, das in intensiven Arbeits-, Kommunikations- und Aushandlungsprozessen erarbeitet worden ist und kontinuierlich aktualisiert wird. Grundlage waren Einschätzungen der Entwicklungschancen und der gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten sowie daraus abgeleitete integrierte

K. J. Beckmann

und fachsektorale Handlungsprogramme, deren finanzielle Ausstattung im Rahmen der Investitionsplanung, der Mittelfristigen Finanzplanung sowie der jährlichen bzw. zweijährigen Haushaltsplanung. Unter den Zielen der Förderung von Lebensund Stadtqualitäten sowie von Wirtschaftskraft, der Verbesserung der Infrastrukturausstattungen und der Vermeidung bzw. Begrenzung von Umweltbelastungen erfolgt eine Ordnung und aktive Gestaltung der Stadtfunktionen, der baulichen und infrastrukturellen Gegebenheiten. Dabei geht es um Zielfelder wie • • • •

räumliche Funktionsmischung Dichte der Nutzungs- und Bebauungsstrukturen Ressourcensparsamkeit und -effizienz Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel • Resilienz (Anpassungsfähigkeit) der Stadtstrukturen.

Damit sollen die Bedürfnisse der Bewohner – z. B. nach Schutz, Intimsphäre, Wohnen, Ernährung, Wasserversorgung, Kontaktmöglichkeiten, Teilhabe und Teilnahme – ebenso gesichert werden wie Standortvoraussetzungen für Wirtschaftsunternehmen. Prozesse und Aufgaben der Stadtentwicklung unterscheiden sich global für • „reife Städte“, z. B. in Europa mit Schrumpfungs- oder nur noch gedämpften Wachstumstendenzen, • „geplante“ Städte mit dynamischen Entwicklungen (z. B. in China, Süd-Ost-Asien), • „informelle“/„ungeplante“ Städte mit hoher Wachstumsdynamik (z. B. in Mittel- und Südamerika, Afrika, Indien, Vorderasien). (vgl. WBGU 2011, 2016). Wichtige Aufgaben- und Handlungsfelder sind im Rahmen der Stadtentwicklungsplanung • Bevölkerung (Anzahl, Altersstruktur, Sozialstruktur, Haushaltsstruktur, ethnische Struktur . . .) • Wirtschaft, Arbeitsmarkt (Wirtschaftsstruktur, Arbeitsplätze, Produktionsleistungen . . .)

Raum- und Stadtentwicklung

• Wohnungsmarkt/-versorgung (Anzahl und Bauformen, Eigentumsformen . . .) • Einzelhandel und Dienstleistungen • Flächenwachstum, Zersiedlung • Entleerung von Räumen/Funktionsentmischung • Gestaltungsdefizite/-mängel • Umweltbelastungen • Ressourcenbeanspruchungen • ... Das resultierende Vorgehen war lange eine Auffangplanung als Reaktion auf entstandene und beobachtbare Probleme und hat sich zunehmend zur („prospektiven“) Anpassungsplanung an erwartete zukünftige Zustände verändert. Zunehmend werden aber Entwicklungsplanungen mit dem Ziel einer gestaltenden Beeinflussung – entsprechend der Entwicklungsziele – verfolgt. Stadtentwicklungsplanung soll zielorientiert, langfristig, vorausschauend, gesamtstädtisch, d. h. flächendeckend und sektorale Fachplanungen sowie die Finanzplanung integrierend erfolgen. Diese „strategische“ Stadtentwicklungsplanung wurde nach einer Blütezeit in den 60er- und 70erJahren – aber mit erheblichen Umsetzungs- und Durchsetzungsdefiziten – abgelöst durch eine inkrementelle Stadtentwicklung durch „Projekte“ (80er- und 90er-Jahre). Dieses Vorgehen wurde als „perspektivischer Inkrementalismus“ (Ganser 1991) bezeichnet. Mit den wachsenden gesamtheitlichen Aufgaben der Stadtentwicklung nach der deutschen Wiedervereinigung, aber auch mit der Globalisierung gewinnen integrierte Stadtentwicklungskonzepte wieder an Bedeutung. Dies wurde durch Vorgaben der Städtebauförderungsprogramme gefördert, da „Integrierte Stadtentwicklungskonzepte“ (INSEK, ISEK . . .) als Voraussetzung für eine Förderung gefordert wurden. Stadtentwicklungsplanung stellt den inhaltlichen Rahmen für die Instrumente der räumlichen Entwicklung der Städte und Gemeinden dar, also für • Flächennutzungsplan, der als Bauleitplan das gesamte Gemeindegebiet umfasst und alle 10–20 Jahre fortgeschrieben werden sollte (vgl. Abschn. 2.4), • Bebauungspläne als teilräumliche und die Nutzungen für einzelne Grundstücke festsetzende Bauleitpläne (vgl. Abschn. 2.4),

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• Kommunale Finanz- und Investitionsplanungen, die alle 5 Jahre (Finanzplanung) bzw. 5–15 Jahre (Investitionsplanung) fortzuschreiben sind, • Fachplanungen mit Fortschreibungshorizonten von 10–15 Jahren. Stadtentwicklungspläne sind somit bei Bedarf, d. h. hoher Veränderungsdynamik, alle 15–25 Jahre fortzuschreiben. Die Aufstellungsprozesse der Pläne sind gekennzeichnet durch • Tätigkeiten verwaltungsinterner, ämterübergreifender Arbeitskreise • Fachgespräche und Planungswerkstätten der politischen Fachgremien und der Vertreter von Interessengruppen • Öffentliche Stadtforen und/oder Bürgerversammlungen. Die Prozesse haben • Werkstatt-Funktion (zur Erarbeitung und Abstimmung von Handlungskonzepten), • Plattformfunktion (zur Förderung von Kooperationen), • Drehscheiben-Funktion (zum Informationsaustausch zwischen verschiedenen Akteuren), • Anstoß-Funktion (Entwicklung von Szenarien, Anstoß von Aktivitäten) sowie • Kontroll- und Evaluierungsfunktion zur Wirkungskontrolle.

2.2

Entstehung der Städte

Städte sind in ihrer fast 10.000-jährigen Geschichte aus unterschiedlichen Gründen entstanden – als (Benevolo 1998) • Sakralstädte an/um „heilige“ Stätten (Grabstätten, Heiligtümer, Kirchen, Klöster . . .) • Residenzstädte (Machtzentren) oder • Handels- und Bürgerstädte („Marktplätze“) Bevorzugte Standorte waren Höhenkuppen, Hochterrassen, natürliche Häfen, Kreuzungspunkte von Fernstraßen/Handelswegen – zumeist in der

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Nähe von fruchtbaren Böden und von ausreichendem Wasserdargebot. Stadtanlagen der frühen Hochkulturen waren u. a. Jericho (Palästina, 8000 v. Chr.), Catal Hüyük (Anatolien, 6500 v. Chr.), Mohenjo Daro (Indien/Pakistan, 5000 v. Chr.), Theben oder Sakkara (Ägypten, 2000/2500 v. Chr.), Ur, Ninive, Assur und Babylon (Mesepotamien, 2700 bis 600 v. Chr.), Knossos (Ägäis/Griechenland, 2000 v. Chr.). Die europäischen Städte sind u. a. durch die Städte der griechischen Antike geprägt: Knossos, Troja u. a. der Frühzeit (25001100 v. Chr.), Athen, Delphi, Olympia, Korinth u. a. der archaischen Zeit (1200-700 v. Chr.), Paestum, Syrakus, Mesa der älteren Kolonialzeit (750-500 v. Chr.) sowie der jüngeren Kolonialzeit und der hellenistischen Zeit wie Milet (vgl. Abb. 9), Olynth, Piräus, Pergamon, (500-50 v. Chr.). Aus Gründen des Schutzes haben diese Städte zumeist massive Stadtmauern (Verteidigungsanlagen), Heiligtümer und öffentliche Bauten wie Stoa, Buleuterion, Tempelanlagen („Akropolis“) sowie eine Agora als Markt- und Versammlungsplatz mit einer umgebenden Säulenhalle. Diese Städte waren zumeist als Stadtstaaten („Polis“) organisiert. Die vermehrten Wiederaufbauvorgänge und Neugründungen von griechischen Städten nach den Perserkriegen zeichnen sich aus durch unregelmäßige topografieangepasste Stadtmauern,

Abb. 9 Stadtgrundriss Milet (Freihand-Skizze Gabriele C. Beckmann 2019)

K. J. Beckmann

aber auch durch gitternetzähnliche regelmäßige Straßensysteme, regelmäßige Baublöcke mit vollständiger Überbauung, einheitliche Fassadengestaltungen, Säulenhallen als Vorhallen öffentlicher Bauten, häufige Hofhäuser mit Innenhöfen zur Verbesserung des Kleinklimas (Durchlüftung, Frischluft, Sicherung der Luftfeuchte durch Verdunstung,). Diese gesamtplanerisch vorbereiteten Konzepte beruhten u. a. auf der Schrift von Hippodamus (400 v. Chr.) mit dem Thema „Luft, Wasser und Lage“ und waren sowohl funktional wie auch rationell („Hippodamisches System“). Die römischen Stadtanlagen prägen noch heute viele Bereiche der Zentren von Städten im ehemaligen römischen Macht- und Einflussbereich (z. B. Köln und Trier). Die hervorgehobene Stadt („urbs“) war Rom. Städte („oppida“) entstanden auch als Verwaltungsstädte („municipium“, „praefectura“), als Militärlager („castrum“) oder als Siedlungen an Überlandstraßen („forum“). Sie sind gekennzeichnet durch rasterförmige Straßennetze mit zwei Hauptstraßen („cardo“ und „decumanus“), Sakralbauten und öffentlichen Bauten sowie einem Forum im Zentrum. Der frührömische Städtebau wies dagegen größere Unregelmäßigkeiten auf, während republikanische Städte (500-59 v. Chr.), cäsarisch-augusteische Städte (50 v. Chr. – 14 n. Chr.) und Städte der Kaiserzeit (14-476 n. Chr.) durch Hauptstraßen und öffentliche Bauten wie Basiliken, Thermen, Theater und

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Abb. 10 Stadt/ Regionslager Neuß (Freihand-Skizze Gabriele C. Beckmann 2019)

Tempel an säulenumstandenen Plätzen („foren“) geprägt waren (vgl. Abb. 10). Einen besonderen Entwicklungsstand zeigen Verkehrswege (Pflasterstraßen mit erhöhten Gehwegen, Fahrspuren für Gespanne und Niederschlagswasserführung), Anlagen der Wasserversorgung mit Aquädukten zur Versorgung der Städte mit Wasser über öffentliche Brunnen, aber auch der Thermen. Auch die Stadtentwässerung war hochleistungsfähig („cloaca maxima“ in Rom). Mietshäuser waren mehrgeschossig – bis zu sieben Geschossen. Die meisten Häuser waren atriumförmig angelegt, und die Bewohner wurden durch Läden, Bäder, Garküchen, Handwerksbetriebe in den Erdgeschosszonen versorgt. Mit dieser Organisationsform hatte Rom in der Blütezeit bis zu 1 Million Einwohner. Nach dem Zerfall des römischen Reiches verfielen viele dieser Städte bis ins Mittelalter, blieben jedoch häufig als Kerne mancher nach 500 bis 1000 Jahren wieder erstarkender Ortschaften erhalten: Klosterdörfer und Bischofsstädte, Domburgen, Kaiserpfalzen der Merowinger und Karolinger (400-900 n. Chr.), dann aber vor allem als Kerne der neuen Städte der Ottonen (Heidelberg, Essen), der Salier, der Staufer (Bologna, Paris, Oxford), der Zähringer (Freiburg, Rom, Breisach), der Welfen (Lübeck, München, Braun-

schweig) und des Deutschen Ritterordens (Königsberg, Elbing, Thorn, 900-1250 n. Chr.). Starke Stadtstaaten (Mailand, Venedig, Florenz, Verona), Kathedralstädte (Reims, Armiens, Rouen) und große Städtebündnisse (z. B. Hanse) entstanden erst im späten Mittelalter (1200-1492 n. Chr.) ebenso wie östliche Kolonialstädte. Mittelalterliche Städte entstanden – auch durch das Erstarken der Bürgerschaft und des Handels – aus ehemals römischen Städten/Siedlungen, aber vor allem auch an Bischofssitzen oder Kaiserpfalzen, fürstlichen Burgen, Klöstern, aber auch als Marktsiedlungen freier Kaufleute. Besonderes Kennzeichen war, dass die Bürger der Stadt „frei“ waren bzw. „frei“ wurden, sich also aus der Leibeigenschaft befreien konnten („Stadtluft macht frei“). Städte hatten als freie Städte, die dem Kaiser, aber nicht dem regionalen Territorialfürsten unterstanden, vielfältige Privilegien (Marktrecht, Münzrecht, Gerichtsbarkeit, Verwaltungsrecht, Steuerrecht . . .). Sie hatten Organe der Stadtverwaltung – wie z. B. Räte und Verwaltungen. Innere Organisationen wie Gilden der Händler und Zünfte der Handwerker übernahmen bestimmte Leistungsverpflichtungen wie z. B. Verteidigung, aber auch freiwillige soziale Leistungen (z. B. Hospitale, Hospize). Sie waren – bis auf Residenz- und Bischofsstädte – überwiegend Bürgerstädte, d. h. die

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Bürger übernahmen die politischen wie sozialen Aufgaben (vgl. Siebel 2004). Stadtgründungen im späten Mittelalter zeigen charakteristische Regelmäßigkeiten der Anordnung von Marktplätzen, Kirchen, Rathäusern, Wiegehäusern u. a. sowie der Straßennetze. Grundlage der Gründungen waren – vor allem für die der Ostkolonisation – Typenpläne mit kreisförmiger Befestigung, Schachbrettmuster der Straßen, zentralem Marktplatz, freistehendem Rathaus etc. (z. B. Thorn, Elbing, Königsberg, Breslau). Das Wachstum der Städte durch Zuzug – insbesondere im späten Mittelalter – wurde durch „innere Verdichtung“ bewältigt, d. h. innerhalb der Mauern liegende Hof- und Gartenflächen wurden zunehmend (verdichtet) bebaut. Städtebünde wie die Hanse, der Rheinische oder der Schwäbische Städtebund stärkten die Handelsbeziehungen und die politische Bedeutung der Städte, aber auch deren Wirtschaftskraft. Mit Beginn der Neuzeit (Humanismus, Renaissance) entstanden vielfältige theoretische – häufig sehr formal aufgebaute – Stadtkonzepte („Idealstadtkonzepte“ von Alberti, Sfonida, Specht, Stadt des Königs nach Dürer; realisiert in Palma Nuova (1593–1595) nach Plänen von Scamoni). Im Barock (1600–1780) erfolgten durch absolutistische Herrscher Stadtgründungen als Residenzstädte mit inszenierten „Gesten“, die sich auf Schlösser richteten (z. B. Karlsruhe, Mannheim, Versailles). Sie wiesen häufig neben Schlössern und Palästen Repräsentationsplätze wie auch (Barock-)Gärten auf (vgl. Abb. 11). In der Folge der industriellen Revolution mit „Landflucht“, enormem Bevölkerungswachstum der Städte, extremer Armut und Hunger großer Bevölkerungsteile folgte ein weiterer Wachstumsschub der Städte („Klassizismus“), der zum Überspringen der Mauern und Wälle als Verteidigungsanlagen und letztlich zu deren Aufgabe („Schleifen“) führte. Aspekte der Gesundheit/ Hygiene und des Verkehrs waren für die Stadtentwicklung neben der Bereitstellung von Wohnraum mit Mindeststandard tragend. Im Historismus bzw. in der Gründerzeit (1840–1900/1910) erfolgte ein dramatisches Wachstum der Städte vor allem durch Stadterwei-

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Abb. 11 Stadtplan Karlsruhe (Freihand-Skizze Gabriele C. Beckmann 2019)

terungen mit mehrgeschossigen Wohnbauten – häufig über mehrere Höfe in die Grundstückstiefe organisiert. Diese Verdichtung von Wohnbevölkerung führte zu Hygieneproblemen und ungesunden Wohnverhältnissen, die beispielsweise der Maler Heinrich Zille (1858–1929) für sein Berliner „Milljöh“ in eindrucksvollen Bildern festhielt. Bodenspekulationen bestimmten ebenso die Entwicklung wie eine Vielzahl finanzkräftiger privater Bauherren und Vermieter. Die Städte trennten sich funktional und sozial in großbürgerliche Wohnquartiere, Arbeiter-Wohnquartiere, Produktionsstätten. Es entstanden notwendige Infrastrukturen der Massenverkehrsmittel (S-Bahn, U-Bahn, Pferde- und elektrische Straßenbahnen), der Energieversorgung (Gas, Elektrizität), der Wasserversorgung und Entwässerung. Repräsentative Bauten wie Rathäuser, Theater, Museen, Schulen, aber auch der Infrastruktursysteme (Bahnhöfe, Wassertürme, Pumpanlagen, Wasserspeicher . . .) prägten die Stadterweiterungen. Die hygienischen Probleme des Stadtwachstums hatten schon im Klassizismus zu „ingenieurtechnisch“ determinierten Stadterweiterungen geführt (z. B. Hobrecht-Plan für Berlin, 1862; Lindlay für Hamburg, 1838–1860). In Paris organisierte Eugene Hausmann (1853–1870) eine Sanierung der mittelalterlichen Altstadt unter stadthygienischen, repräsentativen und vor allem sicherheitsbezogenen Kriterien. Stadtplanung wurde Ende des 19. Jahrhunderts zu einer wissenschaftlich-technisch-künstlerischen

Raum- und Stadtentwicklung

Disziplin, die für die öffentlichen Räume vor allem von Camillo Sitte („Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen“ 1909) und für die technischen Infrastrukturen und deren Entstehungskosten von Reinhard Baumeister („Stadterweiterungen in technischer, baupolizeilicher und wirtschaftlicher Beziehung“ 1876) geprägt wurden. Es entstanden erste Baugesetze („Fluchtliniengesetz“, „Ansiedlungsgesetz“), die vor allem durch Gefahrenabwehr geprägt waren („Feuerschutz“, Durchlüftung . . .). Die vielfältigen hygienischen und sozialen Probleme führten zu Reformbewegungen des Städtebaus (1890–1920) als Sozialutopien, Gartenstadtkonzepte (Howard 1898) mit dem Konzept autarker Stadtteile mit Durchgrünung und Selbstversorgung, Sozialem Wohnungsbau („Cite Industrielle“, Letchworh, Amsterdam, Wien . . .). Die 20er-Jahre wurden durch den Internationalen Stil (Bauhaus, Römerstadt in Frankfurt, Weißenhof-Siedlung in Stuttgart; Architekten wie May, Taut, Gropius, Le Corbusier) und durch die theoretische Fundierung mit der Charta von Athen (CIAM 1933) geprägt. Es entstanden vermehrt Werkswohnungen und Anlagen des sozialen Wohnungsbaus (Wien, Frankfurt, Berlin, Amsterdam . . .). Im Nationalsozialismus erfolgten Stadtgründungen für große Industrieunternehmen (Wolfsburg, Salzgitter), Planungen für repräsentative Umgestaltungen zu Führer- und Gaustädten (Berlin, Nürnberg . . .) sowie erste Stadterneuerungsmaßnahmen durch Auskernung (z. B. Braunschweig) und Stadterweiterungen als Kleinsiedlungsgebiete mit zur Selbstversorgung geeigneten Reihenhausgrundstücken sowie repräsentativen Gemeinschaftsbauten (Stadtteilplätze, „Volkshallen“). Die Nachkriegszeit war durch Wiederaufbau – z. T. unter Orientierung an historischen Stadtgrundrissen und Bauformen (z. B. Münster), z. T. mit modernen Neugestaltungen (z. B. Hannover) – und durch Stadterweiterungen in Großwohnsiedlungen des mehrgeschossigen Wohnungsbaus („organische Städte“ in Bielefeld-Sennestadt; „Urbanität durch Dichte“), später auch zunehmend in Einfamilienhausform geprägt. Die Charta von Athen prägte mit dem Verständnis der Funktionstrennung (Wohnen, Arbeiten/Industrie, Zentrum) die

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Stadtentwicklung ebenso wie die technologischen Entwicklungen des Verkehrs – insbesondere die Privatmotorisierung. Dieser Zeitraum war durch theoretische Konzepte wie die „gegliederte und aufgelockerte Stadt“ (Göderitz et al. 1957) und die „Organische Baukunst“ (1949) und die „autogerechte Stadt“ (1957) von Hans Reichow vorbereitet. Derzeit wird die deutsche und europäische Diskussion stark vom Begriff und dem Verständnis sowie den Zielen der „europäischen Stadt“ geprägt, womit sehr unterschiedliche Vorstellungen verbunden sind. Dabei wird der Begriff weder einheitlich gebraucht, noch unterliegt er in der Verwendung den gleichen Einflüssen und Einflussausprägungen. Aber folgende Merkmale sind relativ gleichartig gegeben bzw. angestrebt (vgl. Siebel 2004): • Solidarität und sozialer Ausgleich sowie Fürsorge zwischen den Menschen und für die Menschen • Daseinsvorsorge durch Infrastrukturen und infrastrukturelle Leistungen • soziale Sicherheit und Schutz, Integration der verschiedenen Bevölkerungsgruppen • Nachhaltigkeit der Stadtentwicklung (sozial, ökonomisch, ökologisch, kulturell) mit Blick auf das Wohlbefinden der Menschen • lokale Demokratie und Beteiligung der Zivilgesellschaft, eigene Verwaltung • soziale Kontakte und Kommunikation

2.3

Rechtliche Grundlagen

Boden unterliegt als knappes und werthaltiges Gut in Städten konkurrierenden Ansprüchen. Bodenpolitik erfolgt durch staatliche und kommunale Maßnahmen, indem Nutzungsrechte durch Planungsrecht verliehen oder beschränkt sowie Erschließungen (Verkehr, Ver- und Entsorgung) gesichert werden. Dies ist zentrale Aufgabe der Kommunen im Rahmen ihres Rechts zur Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz GG). Dabei sind ganz besonders Art. 13 und 14 GG, d. h. die freie Verfügbarkeit über das individuelle Eigentum – und damit auch über Grund und Boden –, aber auch die Möglichkeiten zu Schranken durch soziale Verwen-

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dungen bzw. Verpflichtungen – auf der Grundlage von Gesetzen – zu beachten. Es gibt also Schranken aus Artikel 20 GG. Dies bedeutet das Recht wie auch die Pflicht der Kommunen zur Regelung der Nutzung von Grundstücken nach Art, Maß/Intensität und Bauformen durch die planungs- und bauordnungsrechtlichen Festsetzungen nach Baugesetzbuch (BauGB) – in Verbindung mit der Baunutzungsverordnung (BauNVO) und dem Bau(ordnungs) recht der Landesbauordnungen. Die Zuständigkeit für das Planungsrecht als „allgemeines Städtebaurecht“ und als „besonderes Städtebaurecht“ hat der Bund, für die Bauordnungen die Länder. Weitere relevante Regelungen sind das Naturschutzrecht (BNatSchG), das Umwelt- und Immissionsschutzrecht und sonstige Fachgesetze (Straßenrecht, Straßenverkehrsrecht, Eisenbahnrecht . . .). Danach werden letztlich Werte des Bodens (Ausnutzbarkeit), Erschließungserfordernisse und Schutzbelange für Grundstücke und Quartiere bestimmt. Feuerschutz, Bausicherheit und Emissionsbegrenzungen sind angestrebte Wirkungen (vgl. Krautzberger i.d.B.) Bodenmärkte sind Ausdruck der Attraktivität und der Angebote von Bodennutzungsmöglichkeiten und beeinflussen deren räumliche Strukturen. Bodenmärkte sind räumlich differenziert (zentral, suburban, peripher), unterschiedlich für bebaubare und nicht bebaubare Grundstücke, für Agrarland sowie Wohn- und Gewerbebauland. Wesentliche Einflüsse sind volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen und Knappheitsbedingungen – z. B. Entlastung der Knappheit durch Verfügbarkeit von Konversionsflächen. § 1 Abs. 5 BauGB legt fest, dass eine „dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende sozialgerechte Bodennutzung“ durch Stadtplanung verfolgt werden soll. Grundstückswerte steigen mit der räumlichen Zentralität der Lage und mit der Marktfähigkeit der Nutzungsarten sowie der Ausnutzbarkeit der Grundstücke. Grundstückswertermittlungen erfolgen durch Gutachterausschüsse (§ 192 BauGB), die Übersichten zu den Kaufpreisen („Kaufpreissammlungen“) führen, Verkehrswertgutachten erstellen und Bodenrichtwertkarten ableiten, die der Öffentlichkeit für Grundstücksgeschäfte (Kauf/Verkauf, Erbbaurecht, Beleihung . . .) zur Verfügung stehen.

K. J. Beckmann

Die Bodenpreisentwicklung ergibt sich mit den Stufen der ertragsorientierten Nutzbarkeit von Naturflächen über land- und forstwirtschaftliche Flächen zu Bauerwartungsland – beispielsweise infolge einer Darstellung als potenzielles Bauland in Flächennutzungsplänen –, weiter zu Rohbauland und dann zu erschlossenem baureifen Land. Die Preise steigen mit der Nähe zur Baureife. Grund und Boden wird nach dem Bodenwert besteuert (Grundsteuer A und B für bebaute und unbebaute Flächen), der aber nicht dem Anspruch einer Steuergerechtigkeit genügt. Nach Urteil des Bundesverfassungsgerichts (2018) muss der Bundesgesetzgeber daher eine Anpassung der Besteuerungsgrundlagen vornehmen. Leitbilder der Stadtentwicklung Leitbilder der Stadtentwicklung haben ebenso wie Leitbilder der Raumentwicklung (vgl. Abschn. 1.4) deskriptive und normative Funktionen (Jessen 2018). Sie sind stadtfunktional, stadtinfrastrukturell und stadtgestalterisch geprägt und haben ihre Vorläufer in den Arbeiten von Vitruv (80/70-15 v. Chr., Vitruvius 1995), den Idealstadtkonzepten der Renaissance und barocker Stadtgründungen. Wirksam ist heute die Charta von Athen (CIAM 1933), die LeipzigCharta (2007) und auch – eher sektoral geprägt – die Smart City-Charta (BMUB 2017). Überwiegend raumstrukturell geprägt waren Modelle der Stadtstrukturen (Curdes 1993; Albers 1974), die über punktförmige/konzentrische, linien-/bandförmige und flächige Elemente gebildet werden können. Durch Kombinationen entstehen sehr unterschiedliche Modelle bzw. Grundformen der räumlichen Stadtorganisation mit funktionalen Differenzierungen. Das heutige Bau- und Planungsrecht, die Stadterweiterungen und die Stadterneuerung sowie die verkehrliche Erschließung der Städte der Nachkriegszeit prägte vor allem die Charta von Athen (CIAM 1933). Unter Kriterien der Nachhaltigkeit erfolgte eine Erneuerung bzw. Weiterentwicklung zur „Leipzig-Charta“ (BMUB 2007), deren Grundgedanke die Europäische Stadt mit Funktionsmischung, Dichte, Qualitäten öffentlicher Räume und Polyzentralität der Zentren ist. Konsequenz sind die Leitprinzipien wie beispielsweise „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“, „Funktionsmischung und verträgliche Dichte“.

Raum- und Stadtentwicklung

Die Konzepte sollen die Urbanisierung der Städte durch Bevölkerungszuwanderung und Ansiedlung von Unternehmen, die vor allem in den letzten Jahrzehnten erfolgte Suburbanisierung durch Umzüge von Haushalten und Unternehmen ins Umland, die – vor allem, aber nicht nur – in schrumpfenden Städten erfolgreiche Reurbanisierung ordnend steuern (Wekel 2018). In der Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt (Angenommen anlässlich des Informellen Ministertreffens zur Stadtentwicklung und zum territorialen Zusammenhalt in Leipzig am 24./25. Mai 2007) erklären die Ministerinnen und Minister: „Wir, die für die Stadtentwicklung zuständigen Ministerinnen und Minister der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, betrachten die gewachsenen europäischen Städte jeder Größe als ein wertvolles und unersetzbares Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgut. Mit dem Ziel, unsere Städte zu schützen, zu stärken und weiter zu entwickeln, unterstützen wir . . . Unsere Städte verfügen über einzigartige kulturelle und bauliche Qualitäten, große soziale Integrationskräfte und außergewöhnliche ökonomische Entwicklungschancen. Sie sind Wissenszentren und Quellen für Wachstum und Innovation. Zugleich sind in unseren Städten aber auch demografische Probleme, soziale Ungleichheit, Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen, ein Bedarf an preisgünstigen und geeigneten Wohnungen und Umweltprobleme erkennbar.“

Sie empfehlen: I. die Ansätze einer integrierten Stadtentwicklungspolitik stärker zu nutzen • Herstellung und Sicherung qualitätsvoller öffentlicher Räume • Modernisierung der Infrastrukturnetze und Steigerung der Energieeffizienz • Aktive Innovations- und Bildungspolitik II. besondere Aufmerksamkeit den benachteiligten Stadtquartieren im gesamtstädtischen Kontext zu widmen • Städtebauliche Aufwertungsstrategien verstetigen • Stärkung der lokalen Wirtschaft und der lokalen Arbeitsmarktpolitik • Aktive Bildungs- und Ausbildungspolitik für Kinder und Jugendliche • Leistungsstarken und preisgünstigen Stadtverkehr fördern.

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Sie betonen: „Eine Stadtentwicklungspolitik sollte auf nationaler Ebene verankert sein. Auch von dieser Ebene sollten Impulse für innovative Lösungen ausgehen . . . Europa braucht starke und lebenswerte Städte und Regionen.“

In einem intensiven Arbeitsprozess wird eine Überarbeitung der Leipzig-Charta (Leipzig-Charta 2.0) vorbereitet. Empfehlungen einer Arbeitsgruppe unter der Leitung des Autors beruhen auf einer akzentuierten Auseinandersetzung mit den folgenden Themen und Entwicklungsvorstellungen bzw. Handlungserfordernissen: • • • • •

Demografischer Wandel Soziale Spaltung und Migration Klimaschutz und Klimawandel Energiewende Digitalisierung.

2.4

Instrumente der Umsetzung und Durchsetzung

Das gestufte System der Flächennutzungs- und Bebauungsplanung dient – ausgehend von den Zielen der Stadtentwicklung – der instrumentellen Umsetzung. Flächennutzungspläne beziehen sich auf das gesamte Gemeindegebiet – im Maßstab 1:10.000 bis 1:50.000 – und stellen die Art der Bauflächen und Baugebiete (Wohnungsbauflächen, gemischte Bauflächen, Gewerbe-/Industriebauflächen, Sonderbauflächen, Grünflächen) sowie gesamtstädtisch bedeutsame Infrastrukturanlagen und -netze der Straßen, Schienen, Energieund Wasserversorgung, Entwässerung, Abfall, Wertstoffsammlung . . . dar. Die Flächen werden unter Beachtung der Erreichbarkeit und der gegenseitigen Störungen (Emissionen, Immissionen) sowie der topografischen und geo-hydrologischen Gegebenheiten hinsichtlich präferierter und zulässiger Nutzungsarten spezifiziert sowie einander zugeordnet. Flächennutzungspläne sind behördenverbindlich, aber nicht für einzelne Grundstücke aussagekräftig. Bebauungspläne sind demgegenüber im Maßstab1:500 bis 1:1000 allgemein verbindlich und definieren für Teilbereiche der Kommunen die

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Nutzungsarten, Nutzungsintensitäten und die Bebaubarkeit der Grundstücke. In § 16 und § 17 BauNVO werden die Arten und die Maße der Nutzung definiert und mit Obergrenzen versehen. „Ausnutzungsziffern“ sind die Grundflächenzahl GRZ (überbaute Fläche bezogen auf die Grundstücksfläche), die Geschossflächenzahl GFZ (Geschossfläche bezogen auf die Grundstücksfläche), die Baumassenzahl BMZ (umbauter Raum bezogen auf die Grundstücksfläche) für Industrie- und Gewerbegebiete, die Geschosszahl und/oder die Gebäudehöhe. Qualifizierte Bebauungspläne nach § 31 BauGB enthalten zumindest diese Festsetzungen sowie Festsetzungen zu Bauformen und zur überbaubaren Grundstücksfläche. Einfache Bebauungspläne (§ 30 BauGB) müssen nicht all diese Festsetzungen enthalten. Städtebauliche Erschließung Den notwendigen Anschluss von Baugebieten an Verkehrs- und Versorgungsnetze sichern Erschließungsanlagen, die zumeist hierarchische Strukturen aufweisen: vom Wohnweg und der Anliegerstraße zur Sammelstraße und zur Verkehrs- bzw. Hauptverkehrsstraße oder von den Hausanschlussleitungen/-Kanälen zu den Versorgungsleitungen, Abwasserkanälen in Erschließungsstraßen weiter zu Kanälen oder Versorgungsleitungen in Verkehrsund Hauptverkehrsstraßen zu zentralen Versorgungs- und Entsorgungsanlagen (z. B. Kläranlagen, Abfallverbrennung, Heizkraftwerke . . .). In der Tendenz entstehen vermehrt dezentralisierte Anlagen und Netze mit dezentraler Energieerzeugung (Windkraft, Sonnenenergie, Bioenergie, Geoenergie/-thermie . . .; vgl. Netzformen in Abb. 12).

K. J. Beckmann

Dabei werden als Aufgaben unterschieden: „Aufschließung“ als äußere Anbindung von größeren Teilräumen, „Äußere Erschließung“ von Baugebieten als Verbindung der Bauflächen zu gesamtörtlichen Erschließungsnetzen und „Innere Erschließung“ als Anbindung der einzelnen Grundstücke an die öffentlichen Verkehrsanlagen, Ver- und Entsorgungsanlagen. Die Erschließung von Bauland, damit von Grundstücken ist Aufgabe der Gemeinden (§ 129 BauGB), soweit sie nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften oder öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen einem anderen obliegen. Verkehrliche Erschließungsanlagen sind im Regelfall zum Anbau bestimmt, so dass Grundstückszufahrten möglich sind (§ 127 Abs. 2 BauGB). Zu den Erschließungsanlagen gehören auch Fußwege, Radwege, Plätze, Parkflächen und für die Gebietsversorgung bestimmte Grünanlagen sowie Anlagen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinflüssen (z. B. Lärmschutzwälle). Diese sind nach Erschließungsbeitragsrecht vor allem durch die Grundstückseigentümer zu finanzieren (Bunzel 2018). Erschließungsnetzformen bestimmen sich durch Größe, Lage und Nutzungsarten von Baugebieten. Typisierend werden unterschieden: Rasternetze, modifizierte Rasternetze, Innen- und Außenringnetze, Verästelungsnetze, die jeweils hinsichtlich Trennung der Verkehrsarten, Erreichbarkeiten, Führung des ÖPNV, Verkehrssicherheit, Umweltbelastungen und Trennwirkungen spezifische Vor- und Nachteile aufweisen. Die Straßen werden hinsichtlich der Ausbaustandards und der regelmäßig nutzenden Verkehre unterschieden in Anliegerstraßen als Stichstraßen, Schleifenstra-

Abb. 12 Netzstrukturen (Freihand-Skizzen Gabriele C. Beckmann 2019)

Raum- und Stadtentwicklung

ßen, Schleifenstichstraßen und Einhangstraßen. Zunehmend wird versucht, insbesondere Wohngebiete verkehrsarm oder verkehrsberuhigt – auch mit reduzierten Stellplatzanzahlen – zu gestalten. Die Straßen können nach dem Prinzip der Trennung der verschiedenen Verkehrsarten oder dem Prinzip der Mischung aller Verkehrsmittel (Verkehrsberuhigter Bereich, Begegnungszone) betrieben werden. Unter Straßen und Wegen werden bevorzugt auch Leitungen der Wasserversorgung, der Energieversorgung, der Wärmeversorgung, der Breitbandnetze, aber auch der Entwässerung geführt. Bei der Planung von Baugebieten müssen daher berücksichtigt werden: • die Netzformen der Wasserversorgung als Verästelungsnetze, als Umlaufnetze oder als Ringnetze mit notwendigen Einrichtungen (z. B. Schieber) und frostsicherer Führung, d. h. ausreichender Erdüberdeckung, • die Netzformen der Elektrizitätsversorgung als Strahlennetze, als Ringleitungen oder als Maschennetze mit notwendigen Anlagen (z. B. Umspannstationen zwischen Netzebenen der Mittel- und Niederspanungsnetze, aber auch der Hochspannungsnetze, Trafos) • die Netzformen der Gasversorgung mit Stichoder Ringnetzen und Druckminderungsstationen • die Entwässerungskanäle als Trennkanalisation von Schmutz- und Niederschlagswasser, historisch auch als Mischkanalisation mit Netzformen wie Quernetze, Längsnetze, Verästelungsnetze mit Pumpstationen, Kanalstauräumen, Überläufen, Einstiegsbauwerken. Die bisherigen „zentralisierten“ Formen der Energieversorgung, der Gas- und Fernwärmeeinspeisung werden zunehmend „dezentralisiert“, um dezentrale regenerative Energieerzeugung (Windenergie, Sonnenenergie, Geothermie, Einbindung von Autobatterien als Speicher . . .) zu ermöglichen. Auch werden die Netze zunehmend ausdifferenziert (z. B. Schmutzwasser, Grauwasser, Niederschlagswasser, Trinkwasser) und intersektoral verbunden (z. B. Wärmegewinnung in Kanälen häuslicher Abwässer durch Wärmetauscher, Elektrizitätserzeugung durch Kleinstturbinen in Abwasserkanälen . . .).

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Flächenmanagement Flächen stellen für die Entwicklung der Gemeinden, aber auch für die Sicherung und Weiterentwicklung von Natur, Bio-Diversität, Wasserhaushalt, Mikro- und Meso-Klima zentrale Ressourcen und „Instrumente“ dar. Die Zunahme der Beanspruchung von Grund und Boden durch Bebauung und Verkehrsanlagen – mit mehr als 120 ha/Tag in der Bundesrepublik – muss zur Sicherung der Leistungs- und Regenerationsfähigkeit von Natur- und Wasserhaushalt sowie des Meso-Klimas begrenzt werden. Die Vorgabe der Begrenzung auf 30 ha/Tag wird derzeit bei weitem noch nicht erreicht. Die klassische Angebotsplanung von Bauland muss daher zunehmend durch ein Flächenmanagement ersetzt werden. Flächenmanagement zeichnet sich aus durch die Wiedernutzung von Brachflächen, die Schließung von Baulücken, die Intensivierung der baulichen Ausnutzung durch Anbauten, Aufstockungen, Dachgeschossausbauten u. ä. In § 1a Abs. 2 BauGB ist das Ziel eines schonenden, verantwortungsvollen und an den Kriterien der Nachhaltigkeit orientierten Umgangs mit Grund und Boden („Bodenschutz“) als Ziel der Bauleitplanung festgelegt. So wird Maßnahmen der Innenentwicklung von Städten der Vorrang gegenüber Siedlungserweiterungen eingeräumt (§ 1 Abs. 5 BauGB; vgl. auch § 1 Abs. 3 Nr.2 Bundesnaturschutzgesetz zum Schutz des Bodens und zur Renaturierung versiegelter Flächen). Mit § 1 Abs. 2 BauGB wurde das Ziel des Bodenschutzes dadurch verschärft, dass die Inanspruchnahme von land- und forstwirtschaftlichen Flächen einer Begründung bedarf. Auch dürfen in begründeten Einzelfällen die Obergrenzen der baulichen Nutzung nach § 17 BauNVO bei entsprechendem Ausgleich überschritten werden, um eine sparsame Flächennutzung zu fördern. Flächenmanagement wird kommunal, zunehmend aber auch regional bzw. interkommunal betrieben. Wichtige Instrumente sind Informationen über die Beanspruchung von Grund und Boden, aber auch über Brachflächen, Baulücken, Bodenqualitäten, Bodenrichtwerte sowie bauleitplanerische Festsetzungen zu Nutzungsarten und Nutzungsintensitäten. Flächenmanagement setzt Kooperationen verschiedener Akteure voraus wie auch „passende“ Organisationsformen und

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K. J. Beckmann

Beratungs- und Fördermöglichkeiten (Dosch und Preuß 2007; Preuß 2010). Über die verschiedenen Planungsebenen von Regionalplänen, interkommunalen Planungen, Flächennutzungs- und Bebauungsplänen, Stadtumbaukonzepten sind eine Mengensteuerung, eine Steuerung der räumlichen Verteilung sowie Festlegungen von restriktiven Regelungen möglich. Unterstützend können ökonomische Anreize und Maßnahmen der Bodenbevorratung (Baulandumlegung, Bauverpflichtungen für Eigentümer, Vorkaufsrechte oder Grundstücksfonds) eingesetzt werden.

2.5

Methodische Grundlagen

Anforderungen an Art und Maß der baulichen Nutzung, aber auch an überbaubare Flächen und Geschosszahl oder Höhe der Bebauung („Bauhöhe“) von Grundstücken und Baugebieten bestimmen sich aus • der Menge und der Struktur der Wohnbevölkerung und der Haushalte, die insbesondere die Nachfrage nach Wohnungen (Art, Größe, Bauformen, Eigentumsformen) und nach Infrastruktureinrichtungen (Kindergärten, Schulen, Versorgungsgelegenheiten, Dienstleistungsangebote . . .) sowie Verkehrsaufkommen bestimmen, • der Art und dem Umfang der Produktionseinrichtungen mit Arbeitsplätzen, Produktions-/ Betriebsprozessen, benötigten Rohstoffen und Energie, resultierenden Emissionen sowie Verkehrserzeugung von Beschäftigtenverkehren, Güter- und Wirtschaftsverkehren, • vorgesehenen – auch über das Quartier hinaus versorgenden – Infrastrukturanlagen. Die städtebaulichen Planungen müssen daher Daten der Entwicklung der Einwohner hinsichtlich Anzahl, Alter, Geschlecht, Sozialstruktur und Haushaltseinkommen zugrunde legen, um auf dieser Grundlage abzuschätzen zu können: • Haushaltszahl und Haushaltsstruktur mit Anforderungen an Wohnungszahl sowie Bedarf

an Einrichtungen und Kapazitäten von Infrastruktureinrichtungen, • Wohnungsbedarf sowie Wohnungsgemenge hinsichtlich Größen, Strukturen, Bauformen und Eigentumsformen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Einwohner zunehmend multilokal leben, also beispielsweise einen Wohnstandort der Familie und der sozialen Kontaktkreise sowie einen Wohnstandort des Arbeitsplatzes haben. Die methodischen Grundlagen zu Bevölkerungsprognosen sind in Abschn. 1.5 dargestellt. Dabei bestehen – insbesondere kleinräumig – hinsichtlich der Wanderungsvorgänge („Umzüge“) Unsicherheiten. Zur Abschätzung des Wohnungsbedarfs sind zu berücksichtigen: • Abrisse von Wohngebäuden • Umnutzungen von Wohngebäuden oder zu Wohngebäuden • Dachgeschossausbauten, Aufstockungen von Gebäuden • Baulückenschließungen • Veränderungen des spezifischen Wohnflächenbedarfs, der über die letzten Jahrzehnte stark gestiegen ist (14 m2/EW in 1947, 48 m2/EW in 2015). Wohnungsbedarf und Wohnungsangebote Als Schutz nicht nur vor Witterungseinflüssen, sondern auch als Schutz der Intimsphäre sind Wohnungen Orte der Identifikation, der privaten Kommunikation, der Freizeit und Regeneration und – zunehmend – auch der Arbeit („Home Office“). Die Wohnungsnachfrage bestimmt sich aus der Haushaltsanzahl und -struktur. Dabei führen die abnehmenden Haushaltsgrößen – bei Konstanz oder sogar Zunahme der Haushaltszahl – zu steigende spezifischen Wohnflächenbedarfen, da Flächen für Bäder, Küchen, innere Flure und gebäudeinterne Erschließung auch bei abnehmender Haushaltsgrößen nahezu unverändert bleiben und auch die Anforderungen an Flächen-/Raumgrößen aufgrund ausdifferenzierter Nutzungen der Wohnungen (Schlafen, Wohnen, Kommunikation, Arbeiten . . .) eher zunehmen.

Raum- und Stadtentwicklung

Das Wohnungsangebot verändert sich somit durch • • • • •

Neubau Umnutzung Umbau Abriss Veränderung von Wohnungsgrundrissen.

Bei der Ausgestaltung des Wohnungsangebotes ist eine „Leerstandsreserve“ von ca. 3 % für die Abwicklung von Umzügen zu berücksichtigen. Auf dem Wohnungsmarkt wirken Staat, Kommunen, gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften, Bausparkassen, Bauwirtschaft, private Wohnungsbauträger und Investoren sowie sonstige Interessengruppen zusammen. Haushalts- und Wohnungsmarktprognosen sind vor allem bundesweit und regional valide aussagekräftig. Für Aussagen mit kleinräumigerem Bezug, d. h. für Städte, Stadtquartiere oder einzelne Wohngebiet nehmen die Ungenauigkeiten zu. Die Wohnflächennachfrage wird neben der Haushaltsanzahl und den Haushaltsstrukturen vor allem auch bestimmt durch • die Eigentümerquote • Veränderungen der Pro-Kopf-Wohnfläche der Eigentümer • Veränderungen der Pro-Kopf-Wohnfläche der Mieter. Wohnungsmarktbeobachtungen der Länder und einzelner Kommunen liefern wichtige Grundlagen für die Nachfrage- und Angebotsabschätzung mit Indikatoren für Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung, Wohnungsangebote, preisgebundene Wohnungsangebote, Mieten und Mietbelastungen und Grundstücksverfügbarkeiten. Diese Daten sind wichtige Grundlagen, um lokal die Märkte zu beschreiben und zukünftige Marktentwicklungen abschätzen zu können. Dimensionierung von Anlagen der sozialen Infrastruktur Die Einrichtungen der Bildung und Ausbildung, der (gesundheitlichen) Betreuung und Pflege, der Sicherheit und Rettung, aber auch für Sport und

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Erholung sind in Quantitäten, Arten und Betriebsformen von der Einwohneranzahl abhängig. Die Anlagen, Einrichtungen und die erbrachten Dienstleistungen dienen der Daseinsvorsorge (Milstein 2018). Letztlich ist die Anzahl der potenziellen Nutzer nach deren Nutzungshäufigkeit sowie den Einzugsbereichen der Einrichtungen abzuschätzen. Die Einzugsbereiche ergeben sich (auch) aus der Bereitschaft der Nutzer, zur Erreichung der Einrichtungen notwendigen Wege- und/oder Zeitaufwand auf sich zu nehmen. In Städten zählen hierzu Einrichtungen der • Erziehung und Bildung mit Grund-, Haupt- und Realschulen, Gymnasien, Gesamtschulen, Berufs- und Fachschulen, Sonderschulen, Fachhochschulen, Universitäten . . . • Kinder-/Jugendbetreuung mit Kinderkrippen, Kindertagesstätten, Kindergärten, Kinderhorten, Jugendheimen . . . • Sozial- und Gesundheitsfürsorge mit Gemeindepflegestationen, Altentagesstäten, Altenheimen, Wohnheimen, Krankenhäusern, Ärztezentren . . . • Seelsorge mit Kirchen, Gemeindehäusern, Friedhöfen . . . • öffentlichen Verwaltung und Sicherheit mit Rathäusern, Verwaltungsstellen, Polizeistationen, Feuerwehren, Katastrophenschutzeinrichtungen . . . • Kultur mit Museen, Theatern, Konzertsälen, Bibliotheken/Büchereien, Stadthallen, Festhallen . . . • Sport mit Frei- und Hallenbädern, Sportplätzen, Sporthallen, Fitness-Angeboten . . . . . . Die Bestimmungsgrößen des Bedarfs (wie Art und Häufigkeit der Nutzung) unterscheiden sich für Aktivitäten nach „Zwangsteilnahme“ (z. B. Schulen) und „wahlfreier Teilnahme“. Es bestehen Einflüsse durch Alter, Geschlecht, Stellung im Ausbildungsund Erwerbsprozess, Stellung im Lebenszyklus, Ausbildung und Bildung sowie Zugehörigkeit zu ethnischen und religiösen Gruppen. Hilfsweise können zur Bedarfsabschätzung „Richtwerte“ („Vorgaben“) und/oder empirisch gestützte Erfahrungswerte („Orientierungswerte“) genutzt werden.

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Infrastrukturen sind Voraussetzungen für eine Sicherung der Nutzbarkeit von Grundstücken, Quartieren, Stadtteilen und Städten (vgl. Beitrag Beckmann i.d.B.). Sie werden unterschieden in • soziale Infrastrukturen (Kindergärten, Schulen usw.) und • technische Infrastrukturen des Verkehrs, der Ver- und Entsorgung, der Kommunikation. Infrastrukturen bestehen insgesamt aus • baulichen und betrieblichen Anlagen („materielle Infrastruktur“), • institutionellen Gegebenheiten (Gesetze/Regelungen; Verwaltungen und Organisationsformen; „institutionelle Infrastruktur“), • personellen Ausstattungen (Bildung, Ausbildung, Qualifikation des Personals; „personelle Infrastruktur“). Die Bereitstellung der Leistungen sozialer Infrastrukturen wird durch die Kommunen vorbereitet und gewährleistet (Aufgabenträger oder als Gewährleistungsträger). Erwerbswirtschaftliche Infrastrukturen wie Einzelhandel, Handwerk, Dienstleistungen werden von den Städten und Gemeinden nicht verantwortet, jedoch durch Vorbereitung entsprechender Standorte (planungsrechtliche Sicherung, Erschließungen) ermöglicht. Gemeinden sind im eigenen und zum Teil im übertragenen Wirkungskreis Aufgabenträger sozialer und technischer Infrastrukturen (Kinderbetreuung, Bildung, Pflege, Altenhilfe, Verkehr, Öffentlicher Personennahverkehr; vgl. Winkel 2018). Neben der Erstellung von baulichen Anlagen obliegen insbesondere Planung, Bau und Betrieb von technischen Infrastrukturen den Bauingenieuren (Schmidt und Monstadt 2018). In den Aufgabenbereichen der sozialen und technischen Infrastrukturen überlagern sich Aufgaben verschiedener Fachplanungen wie Schulentwicklungsplanung, Krankenhausplanung, Kindergartenplanung, Planung der Alten(hilfe), Verkehrsplanung, Entwässerungsplanung, Planung der Wasserversorgung oder der Energieversorgung. Dabei sind deren Aussagen wie auch die rechtlichen und institutionellen Grundlagen zu beachten. In der Stadtplanung müssen Standorte dieser Anlagen (planungsrechtlich) vorbereitet

K. J. Beckmann

und erschlossen werden. Dies gilt auch für Leitungs- und Kanalführungen. Die soziale Wohnraumversorgung ist auch Bestandteil der Daseinsvorsorge in den Kommunen. Es werden Wohnungen für finanzschwächere Haushalte mit subventionierten Mieten bereitgestellt. Dies unterstützt subjektbezogene Unterstützungsleistungen im Sozialrecht (z. B. Wohngeld). Ausgewählte Fach- und Sektoralplanungen Die baulich-räumliche Entwicklung der Baugebiete setzt eine Anbindung sowie äußere und innere Erschließung durch Verkehrsanlagen zu ihrer Funktionstüchtigkeit voraus. Für Anlagen des motorisierten Straßenverkehrs, des schienen- und straßengebundenen Öffentlichen Personennahverkehrs (z. B. Eisenbahnen des Bundes, nichtbundeseigene Eisenbahnen, S-Bahnen, U-Bahnen, Stadt- und Straßenbahnen; Betriebshöfe, Bahnhöfe, Umsteigeanlagen) wie auch des großräumigen nicht-motorisierten Verkehrs (z. B. Rad-Schnellwege, interkommunale Radwegeverbindungen, Hauptradwegnetze) müssen in Flächennutzungsplänen die Aussagen der Verkehrsplanung beachtet und dargestellt werden. In den darauf aufbauenden Bebauungsplänen erfolgen die notwendigen Flächensicherungen durch Festsetzung der Verkehrsflächen und deren Differenzierung (z. B. für Parken oder als Verkehrsberuhigter Bereich). Bei der planerischen Standortwahl von Wohngebieten werden möglichst Standorte mit einer leistungsfähigen und attraktiven ÖPNV-Anbindung bevorzugt, um den Einsatz öffentlicher Verkehrsmittel für den Alltagsverkehr der Bevölkerung zu unterstützen. Die Landschaftsplanung dient der Sicherung und Entwicklung von Freiräumen – vor allem von Natur- und Landschaftsschutzgebieten, Flächen für Land- und Forstwirtschaft sowie von naturnahen Flächen – mit dem Ziel, diese zu schützen und zu sichern, die Bio-Diversität zu fördern und der notwendigen Vernetzung von Naturräumen zu dienen, da diese Freiräume zur Verbesserung des Meso- und Mikroklimas, aber auch der Naherholungsqualitäten beitragen. Die Flächen der Natur-/Freiräume stehen somit gleichermaßen in Wechsel- wie auch Konkurrenzbeziehungen zu den bebauten Flächen. Landschaftsprogramme auf regionaler Ebene, Land-

Raum- und Stadtentwicklung

schaftspläne für das gesamte Gemeindegebiet oder Grünordnungspläne für Baugebiete dienen der Entwicklung von Natur und Landschaft. Sie eröffnen zudem Optionen für Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen für mit Bebauung oder Infrastruktureinrichtungen einhergehende Eingriffe in den Naturhaushalt.

2.6

Aktuelle und zukünftige Anforderungen der Stadtentwicklung

Stadtentwicklung, Stadtplanung und Städtebau werden auch für die Zukunft durch vielfältige exogene sowie endogene Einflussfaktoren geprägt. Daher sind deren Veränderungstendenzen als Rahmenbedingungen für die Stadtentwicklung zu beachten. Hierzu zählen vor allem – aber nicht ausschließlich – folgende Bereiche (Dangschat 1999; Großmann et al. 2014): • Globalisierung der Wirtschaft mit Auswirkungen auf die Konkurrenzfähigkeit der örtlichen Wirtschaft, auf Entwicklungstendenzen von Branchen und Unternehmen sowie auf Arbeitsplätze in diesen Branchen und erbrachte Wirtschaftsleistungen, auf resultierende Flächenbedarfe • Globalisierung von Lebensweisen und Lebensvorstellungen mit Auswirkungen auf Anforderungen an Verkehr/Mobilität, Dienste, Wohnformen, Wohnflächen und Bauformen, Daseinsvorsorge, aber auch Familien- und Haushaltsstrukturen • Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft in Hinblick auf die Entwicklung von Wirtschaftsbranchen, auf Anforderungen an Bildung, Aus- und Fortbildung, auf die Infrastrukturausstattung in den Bereichen Informations- und Kommunikationstechnik (z. B. „Breitbandnetze“), auf die Vernetzung und Steuerung von technischen Infrastrukturen wie auch auf die Leistungsbereiche sozialer Infrastrukturen, z. B. Ergänzung standörtlicher medizinischer Dienste (Ärzte, Krankenhäuser usw.) um Transportdienste für Patienten oder für Pflegepersonal und medizinische Geräte sowie für eine virtuelle medizinische Beratung/Betreuung und ggf. Kontrolle von Patienten

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• Demografische Veränderungen mit Wachstum, aber auch Schrumpfung sowie Alterung der Bevölkerung in Städten und deren Konsequenzen für Bedarfe an Wohnungen, Infrastruktureinrichtungen, Verkehrsanlagen usw. – überlagert mit Effekten der Zuwanderung von Asylbewerbern und Migranten • Energiewende mit wachsendem Einsatz regenerativer Energiequellen (Wind, Sonne, Geothermie, Energie aus Biomasse . . .), die verstärkt zu dezentralen Strukturen, zur Einrichtung von Umwandlungsanlagen und Speichern mit infrastrukturellen Standortanforderungen und Leitungsführungen führen • Klimawandel mit veränderten Rahmenbedingungen für Trockenheit, Starkregen-Ereignisse, Hitzeperioden und entsprechenden Anpassungserfordernissen von Regenwasserrückhaltung, Niederschlagsversickerung, Staukapazitäten in Kanälen, Bewässerung von Grünflächen und Stadtgrün • Anforderungen an Umweltschutz hinsichtlich Lärm, Luftreinhaltung, Grund- und Oberflächenwasserverunreinigung, die u. a. eine räumliche Trennung von Nutzungsarten, veränderte Betriebsund Produktionsformen mit veränderten Flächenund Standortanforderungen voraussetzen. Dabei muss den folgenden Zielen der „Sustainable Development Goals“ (UN 2015) gesamthaft Rechnung getragen werden: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

No Poverty Zero Hunger Good Health and Well-Being Quality Education Gender Equality Clean Water and Sanitation Affordable and Clean Energy Decent Work and Economic Growth Industry, Innovation and Infrastructure Reduced Inequalities Sustainable Cities and Communities Responsible Production and Consumption Climate Action Life Below Water Life on Land Peace, Justice and Strong Institutions Partnership for the Goals

38

2.7

K. J. Beckmann

Erweiterte Arbeits- und Entscheidungsprozesse

Aufgaben der Stadtentwicklung, der Stadtplanung und des Städtebaus betreffen Belange und Interessen vielfältiger Akteure aus Fachpolitiken, aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Die Lösung der Aufgaben und Probleme setzt bei Planung, Konzeption, Entscheidung und vor allem Umsetzung der Handlungskonzepte eine Mitwirkung dieser Akteure voraus. Information und Beteiligung

wie auch Mitwirkung bei der Vorbereitung von Entscheidungen, bei Entscheidungen sowie bei der Durchsetzung von Entscheidungen sind zentrale Bestandteile der Planungsprozesse (Deutscher Städtetag 2013). Im Planungsrecht (BBauG, BauGB) haben die frühzeitige Information der Betroffenen, aber auch aller Akteure und Bürger sowie frühzeitige Möglichkeiten zur Äußerung („Anregungen und Bedenken“) eine lange und bewährte Tradition. Abb. 13 zeigt vereinfacht den Prozess der Betei-

Beteiligungs- und Kooperationsformen zwischen Planungsträgern und Betroffenen sowie Politik und Öffentlichkeit Aktivitäten

Initiatoren (Sender)

Beteiligte (Adressaten)

Erkunden von Zuständen, Verhalten, Interessen und Meinungen

Planungs-/ Projektträger (Aufforderung/Angebot)

Betroffene Bürger Öffentlichkeit Politik (Reaktion)

Information über Anlässe, Ziele/Absichten, Handlungskonzepte und Maßnahmen

Planungs-/ Projektträger

Betroffene Bürger Öffentlichkeit Politik

Planungs-/ Projektträger

Betroffene Bürger Öffentlichkeit Politik

Betroffene Bürger Öffentlichkeit Politik

Planungs-/ Projektträger

Aufforderung zur Äußerung

Einbringen von Vorschlägen, Anregungen

Gemeinsame Arbeitsprozesse (Kooperieren in Workshops, Werkstattverfahren …)

Planung-/Projektträger Anhörungsbehörden (Planfeststellungsbehörden) Betroffene Bürger Öffentlichkeit Politik

Abb. 13 Beteiligungs- und Kooperationsformen zwischen Planungsträgern und Betroffenen sowie Politik und Öffentlichkeit

Raum- und Stadtentwicklung

ligung und Abstimmung. Er besteht aus Phasen „frühzeitiger“ Information und Äußerungsmöglichkeiten, formeller Äußerungsmöglichkeiten zu Planentwürfen sowie Abwägung und Entscheidung der verschiedenen Belange. Über diese Prozesse der repräsentativ-demokratisch fundierten Beteiligungs- und Entscheidungsprozesse hinaus werden zunehmend basis-demokratische („plebiszitär-demokratische“) Entscheidungsvorgänge gefordert und auch in Kommunalgesetzen der Länder und im Verwaltungsverfahrensrecht (Verwaltungsverfahrensgesetz VerwVfG) ermöglicht und vorgeschrieben (Sinning 2018). So können Bürgeranträge zu formellen Bürgerentscheiden führen, die für kommunale Räte Bindungswirkungen haben (können). In den Informations-, Beteiligungs- und Entscheidungsprozessen finden zunehmend digitale Austausch- und Abstimmungsformen an Bedeutung. Dies ermöglicht eine technisch-gestützte Zugänglichkeit von Entscheidungsgrundlagen zu jeder Zeit und an jedem Ort, bedeutet aber auch alters- und sozialstrukturelle Unterschiede in den Verfügbarkeiten über Zugänge und Handhabungserfahrungen mit technischen Geräten („Hardware“) und elektronischen Diensten („Software“), also die Gefahr einer gewissen Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen hinsichtlich Information und Beteiligung.

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Städtebaurecht Michael Krautzberger

Inhalt 1

Begriff und Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

2

Bauleitplanung und ihre Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

3

Zulässigkeit von Bauvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

4

Bodenordnung, Enteignung, Erschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

5

Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

6

Stadtumbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

7

Soziale Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

8

Private Initiativen der Stadtentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

9

Erhaltungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

10

Neue Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

1

Begriff und Aufgaben

Das öffentliche Baurecht umfasst die Gesamtheit der Rechtsvorschriften, die die Zulässigkeit und die Grenzen, die Ordnung und die Förderung der baulichen Nutzung des Bodens betreffen, insbesondere durch Errichtung, bestimmungsgemäße Nutzung, wesentliche Veränderung und Beseitigung baulicher Anlagen. Die Gesetzgebungskompetenz für das öffentliche Baurecht ist nach dem

M. Krautzberger (*) Bonn, Deutschland E-Mail: [email protected]

Grundgesetz zwischen dem Bund und den Ländern aufgeteilt. Das vom Bund geregelte öffentliche Baurecht umfasst das Städtebaurecht sowie zahlreiche fachgesetzliche Vorschriften über das Baugeschehen. Die wichtigste Rechtsquelle des Städtebaurechts ist das Baugesetzbuch (BauGB). Zum Städtebaurecht des Bundes zählen weiterhin die Baunutzungsverordnung, die Wertermittlungsverordnung und die Planzeichenverordnung. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Städtebaurecht und damit für das Baugesetzbuch ergibt sich aus Art. 74 Nr. 18 des Grundgesetzes. Danach hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz für das Bodenrecht. Unter

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K. J. Beckmann (Hrsg.), Raumplanung, Stadtentwicklung und Öffentliches Recht, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27918-9_43

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44

M. Krautzberger

Bodenrecht sind die öffentlich-rechtlichen Rechtsnormen zu verstehen, die die rechtlichen Beziehungen des Menschen zu Grund und Boden regeln. Im Einzelnen ergeben sich hieraus Gesetzgebungszuständigkeiten für folgende Bereiche: Recht der städtebaulichen Planung, Recht der Grundstücksumlegung und -zusammenlegung, Recht der Bodenbewertung sowie Enteignungsund Erschließungsrecht. Zum Bodenrecht zählt nicht das Bauordnungsrecht einschließlich des Baugestaltungsrechts; hier liegt die Gesetzgebungszuständigkeit bei den Ländern.

2

Bauleitplanung und ihre Sicherung

2.1

Aufgaben und Grundsätze der Bauleitplanung

§ 1 regelt die Aufgabe der Bauleitplanung (Vorbereitung und Leitung der baulichen und sonstigen Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde), die Arten der Bauleitpläne (Flächennutzungsplan als vorbereitender Bauleitplan, Bebauungsplan als verbindlicher Bauleitplan), die Anpassung der Bauleitpläne an die Ziele der Raumordnung (§ 1 Abs. 4) sowie die Grundsätze der Bauleitplanung in § 1 Abs. 5 und 6. Das aus rechtsstaatlichen Gründen zu beachtende Abwägungsgebot erfordert die Berücksichtigung der in § 1 Abs. 5 und 6 sowie in § 1a aufgeführten Belange und Vorgaben sowie die Ergebnisse der Umweltprüfung (§ 2 Abs. 4). Das Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7) bedeutet insbesondere, dass die von der Bauleitplanung berührten öffentlichen und privaten Belange von der Gemeinde ermittelt, in die planerische Entscheidung einbezogen und sachgerecht abgewogen werden. Die Bauleitplanung soll auch dazu beitragen, den Klimaschutz und die Klimaanpassung zu fördern. Die städtebauliche Entwicklung soll vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen. Im Flächennutzungsplan als vorbereitendem Bauleitplan ist für das ganze Gemeindegebiet die sich aus der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung ergebende Art der Bodennutzung nach den voraussehbaren

Bedürfnissen der Gemeinde in den Grundzügen darzustellen (§ 5). Zur planerischen Steuerung von bestimmten Außenbereichsvorhaben können auch sachliche und räumliche Teilflächennutzungspläne aufgestellt werden. Die aus dem Flächennutzungsplan entwickelten und im Allgemeinen nur für einen Teil des Gemeindegebiets aufgestellten Bebauungspläne enthalten unmittelbar wirkende, verbindliche Festsetzungen für die Bodennutzung. Der Bebauungsplan umfasst zumeist mehrere Grundstücke, jedoch ist auch eine Einzelplanung für ein konkretes Projekt nicht ausgeschlossen. Die in den Bauleitplänen zulässigen Regelungsinhalte sind in §§ 5 und 9 sowie in der Baunutzungsverordnung enthalten. Die Planzeichenverordnung enthält die in Bauleitplänen zu verwendenden Planzeichen. Ermächtigungsgrundlage für diese Verordnungen ist § 9a. Der von der Gemeinde beschlossene Flächennutzungsplan enthält entsprechend dem Entwicklungskonzept der Gemeinde für die Entwicklung des Gemeindegebiets die Darstellung von Flächen für bauliche und sonstige Nutzungen in zeichnerischer und ggf. textlicher Form. Aus ihm werden die Bebauungspläne entwickelt (§ 8 Abs. 2), und er entfaltet Bindungen für andere öffentliche Aufgabenträger (§ 7). Die in Betracht kommenden Darstellungsmöglichkeiten sind in § 5 und in der Baunutzungsverordnung geregelt. Der von der Gemeindevertretung als Satzung zu beschließende Bebauungsplan regelt mit seinen Festsetzungen detailliert und bodenrechtlich verbindlich die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke. Die Festsetzungsmöglichkeiten des Bebauungsplans sind in § 9 sowie in der Baunutzungsverordnung abschließend geregelt. Der Bebauungsplan ist Grundlage für die Erteilung von Baugenehmigungen, bei denen seine Festsetzungen zu beachten sind (ggf. können nach § 31 Ausnahmen und Befreiungen von seinen Festsetzungen erteilt werden), und er ist Grundlage für zentrale städtebauliche Durchführungsinstrumente, wie die Bodenordnung (Umlegung), die Erschließung, die Enteignung sowie die städtebaulichen Gebote. Die Bauleitpläne sind zu begründen.

Städtebaurecht

Sie sind in das Internet einzustellen. Die Gemeinden überwachen die erheblichen Umweltauswirkungen, die auf Grund der Durchführung der Bauleitpläne eintreten (§ 4c).

2.2

Verhältnis zu anderen Planungen

Gegenstand der gemeindlichen Bauleitplanung sind alle Flächen des jeweiligen Gemeindegebiets. Im Verhältnis zu benachbarten Gemeinden ergibt sich hieraus ein horizontaler Abstimmungsbedarf. Daher sollen die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abgestimmt werden. Die Nachbargemeinden können sich dabei darauf berufen, dass die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche beachtet werden. Das Gemeindegebiet ist nicht nur Gegenstand der Bauleitplanung und sonstiger gemeindlicher Planungen, sondern es ist auch durch überörtliche Planungen erfasst: Raumordnung und Landesplanung einschließlich der Regionalplanung beplanen denselben Raum wie die Bauleitplanung. Wie bei der Bauleitplanung handelt es sich dabei um räumliche Gesamtplanungen, die jedoch ein überörtliches Gesamtkonzept verfolgen. Die Umsetzung und Konkretisierung dieser überörtlichen Planungen geschieht über die Anpassungspflicht der Bauleitpläne an die Ziele der Raumordnung gemäß § 1 Abs. 4 BauGB. Das Gemeindegebiet ist neben überörtlichen Gesamtplanungen auch von sonstigen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen anderer Hoheitsträger betroffen. Öffentliche Planungsträger sind an der Vorbereitung der Bauleitplanung zu beteiligen. Sie haben ihre Planungen dem Flächennutzungsplan anzupassen. Sie können dem Plan nur widersprechen, wenn sie Belange geltend machen können, welche die sich aus dem Flächennutzungsplan ergebenden städtebaulichen Belange wesentlich übertreffen. Im Verhältnis zur Bauleitplanung ist den Planfeststellungsverfahren für Vorhaben von überörtlicher Bedeutung ein Vorrang eingeräumt (§ 38 BauGB). Voraussetzung ist, dass die Gemeinde be-

45

teiligt wird und städtebauliche Belange berücksichtigt werden. Dieser Vorrang bezieht sich zum einen auf die materielle Freistellung des Fachplanungsträgers von den Vorschriften über die Zulässigkeit von Vorhaben. Sie bezieht sich zum anderen auf einen Vorrang gegenüber der Bauleitplanung und ihrer Bindungswirkungen.

2.3

Verfahren zur Aufstellung der Bauleitpläne

Bei der Aufstellung, Ergänzung, Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen ist ein bestimmtes Verfahren gesetzlich festgelegt (§§ 2–4c, 6, 10, 13, 13a BauGB). Die Verfahrensregelungen stellen sicher, dass die Bürger (nicht nur die Einwohner einer Gemeinde oder die von einem künftigen Bauleitplan Betroffenen) und Behörden (Träger öffentlicher Belange) vor der Beschlussfassung über den Bauleitplan Betroffenheiten, Interessen und sonstige für die Planung relevante Belange vortragen können. Sie sollen damit auch die Gemeinde in die für die Abwägung erforderliche Kenntnis setzen. Das BauGB enthält weiterhin Regelungen, in welchen Fällen und in welchem Umfang die Rechtsaufsicht vor Wirksamwerden des Flächennutzungsplanes und des Bebauungsplanes zu beteiligen ist. Das BauGB setzt auch die europarechtlich vorgegebene Umweltprüfung bei Bauleitplänen um. In den Fällen des „beschleunigten Verfahrens“ für Bebauungspläne der Innenentwicklung (§ 13a BauGB) kann das Verfahren der Umweltprüfung entfallen.

2.4

Kooperative Handlungsformen

In §§ 11 und 12 BauGB sind mit dem städtebaulichen Vertrag sowie dem Vorhaben- und Erschließungsplan kooperative Handlungsformen geregelt, durch welche private Initiativen im Städtebau unterstützt und abgesichert werden sollen. Die Gemeinden sollen hierdurch auch in die Lage versetzt sein, städtebauliche Aufgaben auf Private zu übertragen bzw. anstelle hoheitlicher Anordnungen vertragliche Regelungen zu treffen.

46

2.5

M. Krautzberger

Sicherung der Bauleitplanung

Das BauGB enthält mehrere Vorschriften zur Sicherung einer Bauleitplanung, insbesondere die Veränderungssperre, die Zurückstellung von Baugesuchen und die gemeindlichen Vorkaufsrechte. Veränderungssperre, Zurückstellung von Baugesuchen Die Bauleitplanung kann dadurch erschwert werden, dass während der Aufstellung eines Bebauungsplanes tatsächliche Veränderungen eintreten, die dem künftigen Bebauungsplan widersprechen. Hierdurch kann die Verwirklichung der Planung behindert oder unmöglich gemacht werden. Mit dem Erlass einer Veränderungssperre (Satzung) hat die Gemeinde deshalb die Möglichkeit, zur Sicherung der mit einem Aufstellungsbeschluss eingeleiteten Bebauungsplanung Veränderungen der Grundstücke sowie die Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung oder Beseitigung baulicher Anlagen zu untersagen (§ 14 BauGB). Dauert die Veränderungssperre länger als vier Jahre, ist den Betroffenen für dadurch entstandene Vermögensschäden eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen (§ 18 BauGB). Liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre vor, kann die Gemeinde durch Antrag bei der Baugenehmigungsbehörde im Einzelfall auch ohne Erlass einer Satzung die Zurückstellung von Vorhaben für den Zeitraum bis zu zwölf Monaten veranlassen (§ 15 BauGB). Vorkaufsrechte Auch die gemeindlichen Vorkaufsrechte (§§ 24–28 BauGB) dienen der Sicherung der Bauleitplanung, aber auch der Sicherung weiterer städtebaulicher Maßnahmen (z. B. Umlegung und Sanierung). Der Gemeinde steht danach ein Vorkaufsrecht für bestimmte im Bebauungsplan festgesetzte Flächen (Gemeinbedarfs-, Wohnbau- und naturschutzrechtliche Ausgleichsflächen) zu. Ein Vorkaufsrecht besteht weiterhin in den Umlegungs- und Sanierungsgebieten, in den Entwicklungsbereichen sowie in den Gebieten mit einer Erhaltungs- oder Stadtumbausatzung und in Überschwemmungsgebieten. Ein Vorkaufsrecht besteht auch an allen

Wohnbauflächen. Die Gemeinde kann darüber hinaus durch Satzung ein besonderes Vorkaufsrecht begründen (§ 25 BauGB). Das BauGB enthält spezielle Regelungen über die Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts, über Abwendungsrechte des Käufers sowie über den Kaufpreis.

2.6

Entschädigung

Im Baugesetzbuch ist geregelt, wann und in welchem Umfang Entschädigungen zu leisten sind, wenn durch Planung die Bodennutzbarkeit betroffen ist. Das Planungsschadensrecht gewährt Entschädigungen für Fälle, in denen durch Änderung oder Aufhebung der Festsetzung eines Bebauungsplanes die Bebaubarkeit eines Grundstücks eingeschränkt oder hinsichtlich sonstiger Nutzungsmöglichkeiten beschnitten wird. Das Planungsschadensrecht soll in erster Linie den Wertverlust ausgleichen, der in der Differenz zwischen dem Grundstückswert vor und nach der Planung besteht.

3

Zulässigkeit von Bauvorhaben

Die Bestimmungen über die Zulässigkeit von Vorhaben unterscheiden für Vorhaben • im Geltungsbereich eines „qualifizierten“ Bebauungsplanes, • im „Innenbereich“ ohne qualifizierte Bebauungspläne und • im „Außenbereich“. Die Zulässigkeit von Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplanes bestimmt sich städtebaurechtlich ausschließlich nach dessen Festsetzungen (§ 30 Abs. 1 BauGB). Einfache Bebauungspläne (§ 30 Abs. 3 BauGB) steuern die Zulässigkeit von Vorhaben entsprechend ihren jeweiligen (begrenzten) Inhalten in den Gebieten nach §§ 34 und 35 BauGB. Ein „qualifizierter“ Bebauungsplan liegt vor, wenn er Vorschriften über Art und Maß der baulichen Nutzung, über die überbaubaren Grundstücksflächen

Städtebaurecht

sowie über die örtlichen Verkehrsflächen enthält. Auch im Geltungsbereich eines Vorhaben- und Erschließungsplanes („vorhabenbezogener Bebauungsplan“) ist die Zulässigkeit abschließend bestimmt (§ 30 Abs. 2 BauGB). § 34 BauGB regelt die Zulässigkeit von Vorhaben in den im Zusammenhang bebauten Ortsteilen (Innenbereich), für die es keinen oder keinen qualifizierten Bebauungsplan gibt. Vorhaben sind danach grundsätzlich nur zulässig, wenn sie sich in die vorhandene Bebauung „einfügen“. Durch Satzungen kann die Gemeinde den Anwendungsbereich des § 34 BauGB erweitern (§ 34 Abs. 4 und 5 BauGB). Wenn ein Grundstück nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplanes liegt und auch nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles, dann bestimmt sich die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 35 BauGB (Außenbereich). Der Außenbereich soll im Grundsatz von Bebauung freigehalten werden. Im Wesentlichen dürfen hier nur die sog. „privilegierten Vorhaben“ errichtet werden (z. B. land- und forstwirtschaftliche Anlagen oder ortsgebundene gewerbliche Betriebe), aber auch Vorhaben, die wegen ihrer nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder ihre besondere Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen sowie bestimmte regenerative Energieerzeugungen (Windkraft und Biomasse). Sonstige Vorhaben werden im Außenbereich im Einzelfall zugelassen, wenn hierdurch öffentliche Belange nicht beeinträchtigt werden. Besondere Begünstigungen bestehen dabei z. B. für die Umnutzung bisher landwirtschaftlich genutzter Bestände. Für weitere Vorhaben (u. a. Bestandsfälle) bestehen Erleichterungen bei der Zulässigkeit.

4

Bodenordnung, Enteignung, Erschließung

Das BauGB stellt der Gemeinde zur Verwirklichung der städtebaulichen Ordnung eine Reihe von speziellen Rechtsinstrumenten zur Verfügung, insbesondere die Bodenordnung, die Enteignung und die Erschließung.

47

4.1

Bodenordnung

Die Bebauungspläne setzen die zulässigen Nutzungen unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenzen innerhalb des Plangebiets fest. Eine Verwirklichung der plangemäßen Nutzung ist häufig ohne Neuordnung von Grund und Boden nicht möglich. Mit den Instrumenten der Bodenordnung (§§ 45–84 BauGB) können die erforderlichen Neuordnungen von Grundstücksgrenzen („innerstädtische Flurbereinigung“) mit dem Ziel durchgeführt werden, nach Lage, Form und Größe für die bauliche oder sonstige Nutzung zweckmäßig gestaltete Grundstücke zu schaffen.

4.2

Enteignung

Die Enteignung ist das letzte Mittel, wenn die öffentliche Hand ein Grundstück (oder bestimmte Rechte an einem Grundstück) benötigt und der Eigentümer sich nicht zu einem Verkauf gegen ein angemessenes Entgelt bewegen lässt. Die Voraussetzungen der Enteignung, das Verfahren und die Enteignungsentschädigung (für städtebauliche Zwecke) sind im BauGB umfassend geregelt (vgl. §§ 85–122 BauGB).

4.3

Erschließung

Ein Baugebiet ist dann in vollem Umfang sozialgerecht nutzbar, wenn es „erschlossen“ ist. Zur Erschließung in diesem umfassenden Sinn gehört, dass das Gebiet in verkehrlicher, technischer und sozialer Hinsicht erschlossen ist. Die Sicherstellung einer umfassenden Erschließung (Infrastruktur) obliegt der Gemeinde im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben der Daseinsvorsorge. Dies bedeutet nicht, dass die Gemeinde alle Anlagen auch selbst herstellen muss. Hierfür kommen vielmehr nach Vorschriften außerhalb des BauGB auch andere Träger in Betracht, so z. B. der Bund oder das Land als Träger der Straßenbaulast für die Ortsdurchfahrten ihrer überörtlichen Straßen. Das BauGB regelt die zum Zweck der Baureifmachung erforderlichen Erschließungsmaßnahmen und zwar insbesondere die Herstellung der Er-

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M. Krautzberger

schließung (gemeindliche Aufgaben, Zeit und Umfang der Erschließung sowie Pflichten der Eigentümer) und den Erschließungsbeitrag, den die Gemeinde von den Grundstückseigentümern zu erheben hat; die Länder haben seit 1993 das Gesetzgebungsrecht für das Erschließungsbeitragsrecht erhalten, d. h. die im BauGB geregelten Regelungen können durch Länderrecht abgelöst werden. Die Erschließungsaufgaben können von der Gemeinde vertraglich auf Erschließungsträger übertragen oder durch Vorhabenträger übernommen werden.

5

Städtebauliche Sanierungsund Entwicklungsmaßnahmen

5.1

Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen

Das BauGB enthält in §§ 136–164b gesetzliche Sonderbestimmungen für städtebauliche Sanierungsmaßnahmen, durch die ein Gebiet zur Behebung städtebaulicher Missstände wesentlich verbessert oder umgestaltet werden soll. Das Sanierungsrecht soll es der Gemeinde ermöglichen, in Gebieten mit besonders hohem städtebaulichem Handlungsbedarf einen planmäßigen und aufeinander abgestimmten Erneuerungsprozess durchzuführen („städtebauliche Gesamtmaßnahme“). Das BauGB gibt der Gemeinde hierzu besonders weitreichende Instrumente. Das Gesetz unterscheidet zwei Grundfälle der Sanierung: die Sanierung zur Beseitigung ungesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse – dazu gehört auch die Beseitigung von Gefahren für die Sicherheit („Substanzschwächensanierung“) – und die Sanierung zur Behebung von „Funktionsschwächen“ eines Gebiets. Die Gemeinde legt das Gebiet, in dem eine städtebauliche Sanierungsmaßnahme durchgeführt werden soll, durch Beschluss förmlich als Sanierungsgebiet fest, und zwar durch gemeindliche Satzung. Der Gemeinde obliegen u. a. die Aufgaben der Vorbereitung einer Sanierung, die Durchführung der erforderlichen Ordnungsmaßnahmen sowie die Gesamtverantwortung für die Durchführung der Baumaßnahmen. Die konkreten Bauaufgaben

werden in der Verantwortung der jeweiligen Aufgabenträger (private oder öffentliche Bauherren) durchgeführt. Das Gesetz enthält eingehende Regelungen über die Mitwirkungsrechte und -pflichten der von der Sanierung Betroffenen, d. h. der Eigentümer und Mieter sowie über die Beteiligung weiterer öffentlicher Aufgabenträger. Im Geltungsbereich der Sanierungssatzung stehen der Gemeinde weit reichende bodenrechtliche Steuerungsmöglichkeiten zur Verfügung. Sofern die Gemeinde nichts anderes beschließt, bedürfen im Sanierungsgebiet Vorhaben, Teilungen und Rechtsvorgänge der gemeindlichen Genehmigung. Die Genehmigung darf (nur) versagt werden, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass hierdurch die Sanierung unmöglich gemacht, wesentlich erschwert oder den Zielen und Zwecken der Sanierung zuwiderlaufen würde. Sofern die Gemeinde in der Sanierungssatzung nichts anderes bestimmt, gelten Sonderregelungen für die Behandlung der Bodenwerte. So werden bei der Bemessung von Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen solche Werterhöhungen nicht berücksichtigt, die lediglich durch die Aussicht auf die Sanierung, ihre Vorbereitung oder Durchführung eingetreten sind. Nach Abschluss der Sanierung hat der Eigentümer an die Gemeinde einen Ausgleichsbetrag in Höhe der sanierungsbedingten Erhöhung des Bodenwertes zu entrichten. Der Gemeinde steht im Sanierungsgebiet ein besonderes Vorkaufsrecht zu. Die Gemeinde kann weiterhin u. a. Miet- und Pachtverhältnisse zur Verwirklichung der Sanierungszwecke aufheben oder verlängern. Soweit sich städtebauliche Sanierungsmaßnahmen voraussichtlich nachteilig auf die persönlichen Lebensumstände der in dem Gebiet wohnenden oder arbeitenden Menschen auswirken, hat die Gemeinde einen Sozialplan zu entwickeln und fortzuschreiben.

5.2

Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen

Weitgehend angelehnt an die Rechtsgrundsätze des Sanierungsrechtes steht für die Schaffung neuer Orte oder Ortsteile oder die städtebauliche

Städtebaurecht

Neuordnung das Recht der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme zur Verfügung (§§ 165–171 BauGB). Das städtebauliche Entwicklungsrecht gibt der Gemeinde die Möglichkeit, Teile des Gemeindegebiets durch gemeindliche Satzung als Entwicklungsbereich festzusetzen und damit zu entwickeln oder neu zu ordnen. Die bodenrechtliche Ausgestaltung geht weiter als das Sanierungsrecht. So ist die Enteignung im Entwicklungsbereich auch ohne Bebauungsplan zulässig. Weiterhin hat die Gemeinde eine Grunderwerbspflicht, mit der eine (spätere) Veräußerungspflicht korrespondiert.

5.3

Städtebauförderung

Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen bedürfen wegen der hohen Anteile an Maßnahmen, die im öffentlichen Interesse vorbereitet und durchgeführt werden, einer besonderen finanziellen Unterstützung, insbesondere für die Planungen, die Bodenordnung, den Umzug von Bewohnern und Betrieben, Entschädigungen oder die Unterstützung von Bauvorhaben (z. B. Modernisierungen und Denkmalschutz). Der Bund und die Länder unterstützen die Gemeinden hierbei. Die Städtebauförderung ist in §§ 164a und 164b BauGB geregelt.

6

49

lichen Maßnahmen sowie des Rückbaus entsprechend dem städtebaulichen Entwicklungskonzept oder eines Sozialplans. Das BauGB versteht darunter Maßnahmen, durch die in von erheblichen städtebaulichen Funktionsverlusten betroffenen Gebieten Anpassungen zur Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen vorgenommen werden. Erhebliche städtebauliche Funktionsverluste liegen insbesondere vor, wenn ein dauerhaftes Überangebot an baulichen Anlagen für bestimmte Nutzungen, namentlich für Wohnzwecke, besteht oder zu erwarten ist. Die Gemeinde steuert diese Prozesse aufgrund eines städtebaulichen Entwicklungskonzepts. Die Maßnahmen bedürfen der Evaluierung.

7

Soziale Stadt

Maßnahmen der Sozialen Stadt (§ 171e BauGB) sind Maßnahmen zur Stabilisierung und Aufwertung von durch soziale Missstände benachteiligten Ortsteilen, in denen ein besonderer Entwicklungsbedarf besteht, und zwar vor allem, wenn es sich um benachteiligte innerstädtische oder innenstadtnah gelegene Gebiete oder verdichtete Wohn- und Mischgebiete handelt, in denen es einer aufeinander abgestimmten Bündelung von investiven und sonstigen Maßnahmen bedarf.

Stadtumbau

In §§ 171a bis 171d BauGB sind die Stadtumbaumaßnahmen geregelt. Die Bestimmungen über den Stadtumbau stellen den Gemeinden – in Ergänzung zu den sonstigen Instrumenten des Städtebaurechts (z. B. Bauleitplanung, städtebauliche Sanierung oder Entwicklung) – Verfahren und Instrumente zur Verfügung, mit denen die Lösung der mit dem Bevölkerungsrückgang und mit Leerständen zusammenhängenden neuen städtebaulichen Aufgaben unterstützt werden kann. Im Vordergrund stehen einerseits konsensuale Verfahren, andererseits die Steuerung der Maßnahmen durch städtebauliche Entwicklungskonzepte. Mit § 171d steht den Gemeinden auch ein auf gemeindlicher Satzung beruhendes Instrument zur Verfügung zur Steuerung der bau-

8

Private Initiativen der Stadtentwicklung

§ 171f BauGB sieht vor, dass nach Maßgabe des Landesrechts Gebiete festgelegt werden können, in denen in privater Verantwortung standortbezogene Maßnahmen durchgeführt werden, die auf der Grundlage eines mit den städtebaulichen Zielen der Gemeinde abgestimmten Konzepts der Stärkung oder Entwicklung von Bereichen der Innenstädte, Stadtteilzentren, Wohnquartiere und Gewerbezentren sowie von sonstigen für die städtebauliche Entwicklung bedeutsamen Bereichen dienen. Auch die Finanzierung (etwa durch einen Grundsteueranteil) wird landesrechtlich geregelt.

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9

M. Krautzberger

Erhaltungsgebiete

Zur Erhaltung und Erneuerung von Städten und Dörfern enthalten die §§ 172–174 BauGB – „Erhaltungssatzung“ – ein Instrument, mit dem die Gemeinde Gebiete festlegen kann, in denen der Abbruch, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen einer besonderen Genehmigung bedarf. Die Festlegung der Gebiete dient der Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets (Schutz des Ortsbildes, der Stadtgestalt, des Landschaftsbildes, der Erhaltung städtebaulich bedeutsamer baulicher Anlagen), der Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung oder der Sicherung des sozialgerechten Ablaufs städtebaulicher Umstrukturierungen. Zum Schutz der städtebaulichen Gestalt bedarf auch die Errichtung baulicher Anlagen einer besonderen Genehmigung. Die Länder können in den Gebieten zum Schutz der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung auch die Begründung von Wohnungseigentum unter einen gemeindlichen Genehmigungsvorbehalt stellen. Bei der gemeindlichen Genehmigung ist darauf abzustellen, ob das jeweilige Vorhaben den mit der Erhaltungssatzung verfolgten Zielen entspricht. Zur Sicherung der Erhaltungszwecke steht der Gemeinde weiterhin ein besonderes Vorkaufsrecht zu. Die Regelungen über die Erhaltungssatzung werden um landesrechtliche Bestimmungen des Denkmalschutzes oder des Bauordnungsrechtes (z. B. Gestaltungssatzungen) ergänzt.

10

Neue Anforderungen

Im Baugeschehen und im Städtebau spiegeln sich in besonderer Weise die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Veränderungen wider. Das Städtebaurecht muss dem Rechnung tragen. Aktuelle Herausforderung ergeben sich u. a. aus Klimawandel und Klimaanpassung und aus den demografischen Veränderungen: Zunahme der Bevölkerung in den Wachstumsregionen, Bevölkerungsrückgänge in peripheren Regionen.

Literatur Battis U, Krautzberger M, Löhr RP (2015) Baugesetzbuch, Kommentar, 13. Aufl. Beck, München Dieterich H (2006) Baulandumlegung, 5. Aufl. Beck, München Driehaus HJ (2007) Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl. Beck, München Ernst W et al (2018) Baugesetzbuch, Loseblattkommentar. Beck, München König H, Roeser T, Stock J (2014) Baunutzungsverordnung. Beck, München Schmidt-Eichstaedt G (2012) Städtebaurecht, 4. Aufl. Kohlhammer, Stuttgart Stüer B (2015) Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 5. Aufl. Beck, München

Bauordnungsrecht Christian-W. Otto

Inhalt 1

Einordnung des Bauordnungsrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

2

Bauordnungsrechtliche Normenhierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

3

Anwendungsbereiche der Bauordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

4

Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

5

Allgemeines Bauordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

6

Besonderes Bauordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

7

Bauverwaltungsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

8

Baugenehmigungsverfahren und Erteilung der Baugenehmigung . . . . . . . . . . . . 69

9

Repressive Bauverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

10

Abweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

11

Baulasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

1

Einordnung des Bauordnungsrechtes

Das Bauordnungsrecht gehört zusammen mit dem Bauplanungsrecht zum öffentlichen Baurecht. Das Bauordnungsrecht hat sich aus dem Baupolizeirecht entwickelt. Es gehört dem besonderen Polizeirecht an, soweit es der präventiven Gefahrenabwehr und der repressiven Störungsbeseitigung dient. Es

C.-W. Otto (*) Technische Universität Berlin, Potsdam, Deutschland E-Mail: [email protected]

stellt für die von ihm erfassten Anlagen und Einrichtungen Anforderungen an die mechanische Festigkeit und Standsicherheit, an den vorbeugenden baulichen Erschütterungs-, Wärme-, Schall- und Brandschutz, an die Nutzungs- und Verkehrssicherheit, an die Hygiene, die Gesundheit und den Umweltschutz. Es erlaubt einen Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht bei grundsätzlichen Fragen, wie etwa der Ermessensausübung oder der Störerauswahl. Das Bauordnungsrecht ist Landesrecht, d. h., es gibt in Deutschland 16 verschiedene Landesbauordnungen. Alle Landesbauordnungen orientieren sich mehr oder weniger an der Musterbauordnung, die die ARGEBAU aufgestellt hat und fortwährend wei-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K. J. Beckmann (Hrsg.), Raumplanung, Stadtentwicklung und Öffentliches Recht, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27918-9_68

51

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C.-W. Otto

terentwickelt.1 Im Mittelpunkt des Bauordnungsrechts steht die bauliche Anlage als solche und die unter dem Aspekt der Sicherheit und Ordnung stehende Eignung eines Grundstücks für eine Bebauung. In diesen Zusammenhang gehört auch die Stellung der baulichen Anlage auf dem Grundstück. Das Bauplanungsrecht ist hingegen Bundesrecht. Es ist geregelt im Baugesetzbuch und den zugehörigen Verordnungen. Gegenstand des Bauplanungsrechts ist die bauliche Nutzung der Grundstücke als solche. Es ist flächenbezogen, indem es bestimmt, welche Nutzungen auf einem Grundstück realisiert werden dürfen. Die Realisierung der so vorgegebenen Nutzung ist Gegenstand des Bauordnungsrechts. Dieses Nebeneinander von Bundes- und von Landesbaurecht ist Folge der verschiedenen Zuständigkeiten für die Gesetzgebung auf dem Gebiet des öffentlichen Baurechtes in Art. 70 ff. GG.2 Als Materie des Polizeirechts gehört das Bauordnungsrecht seit jeher zum Orts- bzw. Landesrecht an.

steht die jeweilige Landesbauordnung, die vom Landesparlament erlassen wird ( formelles Landesgesetz). Allerdings werden nicht alle Anforderungen in den Landesbauordnungen definiert. Häufig werden in diesen nur grundsätzliche bauordnungsrechtliche Aussagen getroffen, indem unbestimmte Rechtsbegriffe (z. B. öffentliche Sicherheit, Brand-, Betriebs-, Verkehrs-, Standsicherheit, erhebliche Nachteile, erhebliche Belästigungen, ausreichende Stellplatzzahl) verwendet werden. Um diese grundsätzlichen Anforderungen für die Verwaltungspraxis praktikabel zu machen, bedarf es untergesetzlicher Normen. In den Bauordnungen sind folglich die Ermächtigungen zum Erlass solcher Regelungen enthalten. Die Obersten Bauaufsichtsbehörden der Länder und die Gemeinden haben von diesen Ermächtigungen regelmäßig Gebrauch gemacht.

2.2

2

Bauordnungsrechtliche Normenhierarchie

2.1

Gesetze

Das Bauordnungsrecht setzt sich in den einzelnen Bundesländern aus unterschiedlichen Normen zusammen. An der Spitze der Normenhierarchie

1

Die ARGEBAU ist die Arbeitsgemeinschaft der für Städtebau, Bau- und Wohnungswesen zuständigen Minister und Senatoren der 16 Bundesländer (Bauministerkonferenz); der für Bau und Stadtentwicklung zuständige Bundesminister nimmt lediglich als Gast teil. Die Bauministerkonferenz, die über mehrere Fachausschüsse verfügt, behandelt Fragen des Wohnungswesens, des Städtebaues und Baurechtes sowie der Bautechnik, die Länder übergreifende Bedeutung haben. Ziel ist die Abstimmung unter den Ländern und die Formulierung gemeinsamer Länderinteressen gegenüber dem Bund. Beispielsweise wird das in der Kompetenz der Länder liegende Bauordnungsrecht weitgehend geprägt durch die Beschlüsse der Bauministerkonferenz zu der sog. Musterbauordnung. Auch im Bereich der Bauprodukte sind einheitliche Regelungen notwendig, durch die etwa die Vorgaben der EU umgesetzt werden. Die Bauministerkonferenz unterhält ein Online- Informationssystem unter www.is-argebau.de. 2 BVerfGE 3, 407 (sog. Karlsruher Gutachten).

Rechtsverordnungen

Zum Bauordnungsrecht gehören die auf Grundlage der Bauordnungen erlassenen Rechtsverordnungen. Diese Verordnungen betreffend jeweils besondere Aspekte des Bauordnungsrechts, die zumeist aus dem Titel der Verordnung deutlich werden. Beispielhaft sind für das Landesrecht zu nennen: Bauvorlagenverordnung, Baugebührenordnung, Bauzuständigkeitsverordnung, Bautechnische Prüfungsverordnung, Sicherheitstechnische Gebäudeausrüstungs-Prüfverordnung, Prüfsachverständigenverordnung, EnEV-Zuständigkeitsverordnung, Garagen- und Stellplatzverordnungen.

2.3

Örtliche Bauvorschriften

Die Landesbauordnungen ermächtigen zum Erlass von örtlichen Bauvorschriften (ÖBauV) in der Form von Satzungen, welche die Gemeinden im eigenen (weisungsfreien) Wirkungskreis erlassen dürfen. Inhaltlich sind sie bei der Aufstellung dieser Satzungen an die jeweiligen Vorgaben der Landesbauordnung gebunden. ÖBauV können unabhängig von einem Bebauungsplan (isoliert) als eigenständige Satzung beschlossen werden. Sie können auch in einen Bebauungsplan (§ 10

Bauordnungsrecht

Abs. 1 BauGB) als Festsetzungen aufgenommen werden, falls das einschlägige Landesbaurecht dies durch Rechtsvorschrift so bestimmt (§ 9 Abs. 4 BauGB).3 Falls dies indessen im einschlägigen Landesbaurecht nicht so geregelt ist, können ÖBauV entweder isoliert oder im sog. Satzungsverbundverfahren, nämlich zusammen mit einer städtebaurechtlichen Satzung (Bebauungsplan) beschlossen werden.4

2.4

Verwaltungsvorschriften, Richtlinien, innerdienstliche Anordnungen

Verfassungs-, Gesetzes- und Verordnungsrecht schließen nicht aus, dass für die (unteren) Bauaufsichtsbehörden auch (interne) Verwaltungsvorschriften (VwV), Richtlinien (RL) und innerdienstliche Anordnungen (AO) zum Vollzug der Landesbauordnungen erlassen werden. Ihnen fällt allgemein die Aufgabe zu, den Verwaltungsbehörden die Anwendung des Gesetzesrechtes zu erleichtern und den einheitlichen Gesetzesvollzug zu sichern. Sie können norminterpretierend sein, eine Orientierungshilfe bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe darstellen oder als antizipierte Sachverständigengutachten („geronnener Sachverstand“) dienen; sie können sogar normkonkretisierende Wirkung haben. Die TA Lärm besitzt als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine sogar im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung.5

2.5

Technische Baubestimmungen

Zu den bauordnungsrechtlichen Regelungen gehören auch die technischen Baubestimmungen, die von nichtstaatlichen Stellen entwickelt, dann aber von der Landesregierung, auf der Grundla-

3

Vgl. z. B. § 89 Abs. 2 BauO NW, § 98 NBO. Vgl. § 74 Abs. 7 LBO BW. 5 BVerwG Urt. v. 29.11.2012 – 4 C 8/11. 4

53

ge einer Ermächtigung in der Landesbauordnung, für verbindlich erklärt werden. Eine wesentliche Quelle für die die Regeln der (Bau-)Technik (RBt) sind die DIN-Normen, die die Ausformulierung privaten Sachverstandes sind. Die TB konkretisieren dadurch die allgemeinen baupolizeirechtlichen Sicherheitsanforderungen (öffentliche Sicherheit), die an die Errichtung, bautechnische Änderung und Instandhaltung von Anlagen und Einrichtungen zu stellen sind. Die Obersten Bauaufsichtsbehörden werden in den Bauordnungen ermächtigt, diese nichtstaatlichen Regelungen für verbindlich zu erklären. In allen Bundesländern haben sie von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und die zu beachtenden Regeln der (Bau-)Technik in eigenen – regelmäßig aktualisierten – Listen Technischer Baubestimmungen (LTB) zusammengefasst und veröffentlicht. Die LTB sind in den einzelnen Bundesländern nach einem einheitlichen Schema aufgebaut;6 sie bestehen aus den Teilen I, II und III. Der Teil I LTB enthält die RBt für die Planung, Bemessung, Konstruktion baulicher Anlagen und ihrer Teile (DIN-Normen, Richtlinien)7 und die ggf. in der Liste dazu aufgeführten Anlagen zur LTB. Im Teil II LTB (produktbezogenen Teil) werden Anwendungsregeln für Bauprodukte und

6

Siehe dazu auch die DIBt- Musterliste, einsehbar im Internet unter www.dibt.de. 7 DIN- Normen, wie z. B. die DIN 4109 (Schallschutz im Hochbau), die DIN 18040/-1 (barrierefreies Bauen; öffentlich zugängliche Gebäude) und die DIN 18040/-2 (barrierefreies Bauen, Wohnungen); Richtlinien (RL), wie z. B. die RL für Windenergieanlagen, die RL über den baulichen Brandschutz im Industriebau (IndBau-RL), die RL über brandschutztechnische Anforderungen an Systemböden (SysBöR), die RL zur Bemessung von Löschwasser-Rückhalteanlagen beim Lagern wassergefährdender Stoffe (LöRüRL), die RL über brandschutztechnische Anforderungen an Lüftungsanlagen (LüAR), die RL über brandschutztechnische Anforderungen an Leitungsanlagen (LAR), die RL über den Brandschutz bei der Lagerung von Sekundärstoffen aus Kunststoff (KLR), die RL über brandschutztechnische Anforderungen an hochfeuerhemmende Bauteile in Holzbauweise (HFHHolzR), die RL für die Bewertung und Sanierung PCB-belasteter Baustoffe und Bauteile in Gebäuden (PCBRL), die RL für die Bewertung und Sanierung PCP-belasteter Baustoffe und Bauteile in Gebäuden (PCPRL), die RL Richtlinie für die Bewertung und Sanierung schwach gebundener Asbestprodukte in Gebäuden (AsbestRL).

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C.-W. Otto

Bausätze (kits) aufgenommen, die nicht einem Abschnitt von Teil I zugeordnet werden können. Der Teil III LTB enthält Anwendungsregelungen für Bauprodukte und Bausätze (kits), die in den Geltungsbereich von bauproduktenrechtlichen Verordnungen fallen. Das trifft auf die in den einzelnen Bundesländern jeweils erlassenen Wasserbauprüfverordnungen (WasBauPrVO) zu. Die RBt sind als solche kraft Gesetzes öffentlich-rechtlich zu beachten (öffentlich-rechtliches Beachtensgebot). Von ihnen darf nach der Abweichungsvorschrift der Bauordnung8 abgewichen werden, wenn den Sicherheitsanforderungen nachweislich auf andere Weise ebenso wirksam entsprochen wird (Gleichwertigkeitsprinzip). Es werden nur die RBt bekannt gemacht, die zur Erfüllung der Sicherheitsanforderungen des Bauordnungsrechtes unerlässlich sind. Nicht eingeführte allgemein anerkannte RBt können von den Baurechtsbehörden nur zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe herangezogen werden. Im Übrigen können die am Bau Beteiligten zu ihrer Einhaltung privatrechtlich verpflichtet sein. Ist etwa die VOB/B vereinbart, dann gelten gemäß § 1 Nr. 1 Satz 2 VOB/B auch die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (VOB/C) als Bestandteil des Vertrages. Ist sie hingegen nicht vereinbart, gelten die DIN-Normen der VOB/C als Bestandteil der allgemein anerkannten RBt.

3

Anwendungsbereiche der Bauordnungen

Die Landesbauordnungen bestimmen ihren Anwendungsbereich im ihrem jeweiligen § 1. Danach gelten sie grundsätzlich für alle baulichen Anlagen und Bauprodukte und darüber hinaus für Grundstücke, andere Anlagen und Einrichtungen, falls an sie bauordnungsrechtliche Anforderungen gestellt werden (sachlicher Anwendungsbereich). Erfasst werden die Teilung von bebauten Grundstücken bzw. von Grundstücken mit bereits genehmigter Bebauung, die nicht überbauten Flächen der bebauten Grundstücke (Freiflächen), die

8

§ 69 BauO NW, § 3 Abs. 3 Satz 3 BbgBO.

technische Ausrüstung der Gebäude, namentlich Aufzugs-, Lüftungs-, Leitungs-, Feuerungs-, Wärmeversorgungs- und Wasserentsorgungsanlagen, sanitäre Anlagen (Toiletten, Bäder), häusliche Anlagen für Abfallstoffe und Reststoffe, Kleinkläranlagen, Blitzschutzanlagen, Aufenthaltsräume, Wohnungen, nicht-bauliche Werbeanlagen, nicht-bauliche Einfriedungen, Baustellen. Aus dem Anwendungsbereich ausgenommen sind solche baulichen Anlagen, für die – sachnäher – spezielle Gesetze bestehen, so etwa für Verkehrsanlagen oder der Bergaufsicht unterliegende Anlagen, ausgenommen jeweils die Gebäude.9

4

Begriffe

Für die Handhabung des Bauordnungsrechts ist das Verständnis von den verwendeten Begriffen von großer Bedeutung. Die Landesbauordnungen definieren daher in ihrem jeweiligen § 2 wichtige bauordnungsrechtliche Begriffe (Legaldefinitionen). Die Definitionen sind bei der Anwendung der einzelnen bauordnungsrechtlichen Vorschriften maßgeblich. Hingegen sind sie ohne Verbindlichkeit bei der Anwendung des Bauplanungsrechts. Dies gilt jedoch ausnahmsweise nicht für die landesrechtliche Definition des Vollgeschosses.10 Die landesrechtlichen Definitionen sind infolge des Verweises in § 20 BauNVO auf das Landesrecht auch für das Bauplanungsrecht maßgeblich. Folgende bauordnungsrechtliche Definitionen sind im Bauordnungsrecht besonders bedeutsam:

4.1

Bauliche Anlagen

Bauliche Anlagen in Sinne des Bauordnungsrechts sind mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten (früher: Baustoffen und Bauteilen) hergestellte Anlagen.11 Die Herstellung aus Bauprodukten verlangt eine Bautätigkeit des Men-

9

Vgl. etwa § 1 Abs. 2 BauO NW. Vgl. etwa § 2 Abs. 6 BauO NW, abstrus ist hingegen die Definition in § 89 Abs. 2 BbgBO, s. a. § 92 Abs. 2 ThürBO, § 87 Abs. 2 BauO LSA und § 90 Abs. 2 SächsBO. 11 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 BbgBO. 10

Bauordnungsrecht

schen. Baustoffe sind dabei natürliche oder künstliche Stoffe, die zur Herstellung von Bauteilen dienen, wie zum Beispiel Natursteine, Naturschiefer, Ziegel, Holz, Kies, Sand, Zement, Beton, Glas, Kunststoff, Metall. Die bauliche Anlage muss von Menschen als etwas Ortsfestes geschaffen oder eingerichtet worden sein. Daran, dass etwas Ortsfestes geschaffen wird, fehlt es bei einem Bootsbetrieb auf einem Gewässer, so dass es sich bei einem Boot grundsätzlich nicht um eine bauliche Anlage im Sinne des Bauordnungsrechts handelt.12 Bauliche Anlagen sind auch solche mobilen Anlagen, die dazu verwendet werden sollen, überwiegend ortsfest benutzt zu werden. Eine mobile Feldküche, die an jedem Werktag mit Hilfe eines PKW auf eine Freifläche gefahren und dort für einige Stunden aufgestellt wird, ist dazu bestimmt, überwiegend ortsfest benutzt zu werden.13 Bauvorhaben, die nicht eigentlich das Merkmal baulicher Anlagen erfüllen, werden durch § 2 Abs. 1 der Bauordnungen den eigentlichen baulichen Anlagen gleichgestellt (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 ThürBO: „Als bauliche Anlagen gelten . . .“). Derart gleichgestellte Anlagen sind etwa Aufschüttungen, Abgrabungen oder Lager und andere Plätze. Diese Bauvorhaben sind infolge der Gleichstellung wie bauliche Anlagen zu behandeln. Sie unterliegen dann ebenso wie diese z. B. einer Genehmigungspflicht. In der Rechtsprechung sind infolge dessen Tennisplätze, Dressurreitplätze, KfzVerkaufsplätze, Flugplätze für Modellflugzeuge, durch verdichtete Grobkiesschüttung hergestellte Parkplätze oder Sportplätze als bauliche Anlagen beurteilt worden. Folglich müssen auch diese Anlagen die formellen und materiellen Anforderungen der Bauordnung erfüllen. Von der Frage, ob eine bestimmte Anlage oder Einrichtung als eine bauliche Anlage im Sinne des Bauordnungsrechts gilt, zu unterscheiden ist die Frage, ob das Bauvorhaben auch ein Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Sinne ist. Denn dem Bauordnungsrecht als Landesrecht liegt ein anderes Verständnis der baulichen Anlage zugrunde

55

als dem Bauplanungsrecht des Bundes. Für den planungsrechtlichen Begriff der baulichen Anlage i. S. von § 29 BauGB ist einzig entscheidend, ob das Vorhaben für die städtebauliche Entwicklung erheblich ist und materielle Belange des Planungsrechts berühren kann. Planungsrechtliche Relevanz meint, dass die bauliche Anlage die Belange, die für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung bedeutsam sein können, so berühren und betreffen kann, dass ihre Zulässigkeit durch die Aufstellung eines Bebauungsplans geregelt werden kann. Oftmals wird im allgemeinen Sprachgebrauch für die Errichtung, (Nutzungs-)Änderung oder Beseitigung einer baulichen Anlage der Begriff des „Vorhabens“ verwendet. Dieser Begriff wird dann im bundes- wie im landesrechtlichen Sinne gebraucht.14

4.2

Der Begriff des Gebäudes ist nicht identisch mit dem der baulichen Anlage. Nach der bauordnungsrechtlichen Definition15 sind Gebäude selbstständig nutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und geeignet oder bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen. Ein Gebäude muss also ein Dach haben, nicht aber Wände. Daher ist ein Carport ein Gebäude. Die Betretbarkeit durch Menschen setzt regelmäßig voraus, dass Menschen in aufrechter, gewöhnlicher Haltung in die bauliche Anlage gelangen können. Selbständig benutzbar sind sie dann, wenn sie unabhängig von anderen baulichen Anlagen selbstständig einen Verwendungszweck zu erfüllen vermögen. Das ist dann der Fall, wenn es sich funktional um eine selbstständige Nutzungseinheit handelt.16 Bei Anbauten ist entscheidend die funktionale Zuordnung zwischen dem Anbau und dem Hauptbau. Sind beide bauliche Anlagen einander funk-

14

Vgl. VG Göttingen Beschl. v. 19.04.2013 – 2 B 265/13; OVG B-B Beschl. v. 10.07.2018 – 2 S 13.18. 13 So VG Dessau BauR 2003, 366. 12

Gebäude und Gebäudeklassen

Vgl. §§ 29 ff. sowie § 15 Abs. 1 BauGB und die Überschriften des § 61 BauO Bln/BbgBO. 15 § 2 Abs. 2 BbgBO. 16 Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 21.04.1986 – 1 A 56/85 –, BRS 46, Nr. 98.

56

tional so zugeordnet, dass der Anbau in das Haupthaus integriert ist, ist der Anbau kein selbstständiges Gebäude.17 Gebäude in diesem Sinn können ein Verkaufswagen,18 nur bestimmte Teile eines Bauwerks19 oder die Traglufthalle über einem Schwimmbecken sein.20 In den Bauordnungen werden die Gebäude in Gebäudeklassen eingeteilt (Tab. 1). Die Definition der Gebäudeklassen21 ist für das Bauordnungsrecht von großer Bedeutung. Der Gesetzgeber hat mit den Gebäudeklassen ein System geschaffen, welches ihm erlaubt, in Abhängigkeit von der Größe der Gebäude differenzierte, im Zusammenhang mit dem Abstandsflächenrecht22 jedoch sachfremde Anforderungen zu stellen. So hängt die erforderliche Feuerwiderstandsdauer einzelner Bauteile von der jeweiligen Gebäudeklasse eines Gebäudes ab.23 Der Gesetzgeber unterscheidet fünf Gebäudeklassen. Die GK 1 bis GK 3 haben eine definierte Höhe von jeweils  7 m; Höhe ist das Maß der Fußbodenoberkante des höchstgelegenen Geschosses, in dem ein Aufenthaltsraum möglich ist, über der Geländeoberfläche im Mittel; maßgebend sind jeweils die Rohbaumaße.24 Die GK 1 und die GK 2 unterscheiden sich lediglich durch das Merkmal „freistehend“. Ein Gebäude steht frei, wenn und solange es nicht bautechnisch mit einem anderen Gebäude verbunden ist (Einzelhaus); hingegen erfüllen Doppelhäuser und Haugruppen dieses Merkmal nicht, weil sie aneinander gebaut sind. Auch ein Einzelhaus an der Nachbargrenze ist freistehend. Eine an der Nachbargrenze errichtete sog. Doppelhaus-

Vgl. VG Mainz Urteil vom 11.07.2012 – 3 K 15/12.MZ. Vgl. OVG Münster BauR 2009, 1123. 19 Vgl. OVG Münster BauR 2009, 232. 20 Vgl. OVG Münster BRS 29 Nr. 113. 21 § 2 Abs. 3 BauO NW. 22 Z. B. § 6 Abs. 5 Satz 3 BauO Bln. 23 Tragende und aussteifende Wände und Stützen müssen im Brandfall ausreichend lang standsicher sein. Sie müssen grundsätzlich in Gebäuden der GK 5 feuerbeständig, in Gebäuden der GK 4 hochfeuerhemmend und in Gebäuden der GK 2 und GK 3 lediglich feuerhemmend sein, vgl. etwa § 26 BauO NW. 24 Rohbaumaß ist das Maß im Rohbauzustand, das vom Ausbaumaß (Maß im fertigen Zustand) zu unterscheiden ist. 17 18

C.-W. Otto

hälfte ist freistehend, solange die andere Doppelhaushälfte nicht angebaut ist. Nutzungseinheit (NE) ist die Summe von Räumen, die aufgrund ihrer organisatorischen und räumlichen Struktur als Einheit betrachtet werden kann. Dazu gehören z. B. die Zugänglichkeit der Räume innerhalb der NE für jede der dort anwesenden Personen, die brandschutztechnische Abgrenzung der einzelnen NE zueinander und der direkte Zugang von den allgemein zugänglichen Rettungswegen (Treppenräumen; allgemein zugänglichen Fluren). Als NE mit Aufenthaltsräumen kommen namentlich in Betracht Wohnungen, Praxen, Büros, Läden, selbstständige Betriebs- und Arbeitsstätten sowie Verwaltungseinheiten. Grundfläche einer NE ist die Brutto-Grundfläche (BGF). Die BGF einer NE ist nach der DIN 277/-1 – 02.2005 (Grundflächen und Rauminhalte von Bauwerken im Hochbau; Begriffe, Berechnungsgrundlagen) zu ermitteln; dabei bleiben Flächen im Kellergeschoss kraft Gesetz außer Betracht. Die Brutto-Grundfläche ist die Summe der Grundflächen aller Grundrissebenen eines Bauwerkes. Nicht dazu gehören die Grundflächen von nicht nutzbaren Dachflächen und von konstruktiv bedingten Hohlräumen, z. B. in belüfteten Dächern oder über abgehängten Decken.

4.3

Sonderbauten

Sonderbauten sind Anlagen und Räume besonderer Art oder Nutzung. Welche Bauten Sonderbauten sind, ist in den Bauordnungen definiert.25 In den Katalog sind solche Anlagen und Einrichtungen aufgenommen, bei denen wegen ihrer Größe, ihrer Zahl und/oder der Schutzbedürftigkeit der in ihnen sich aufhaltenden Personen oder aus anderen Gründen ein besonderes Gefahrenpotenzial vorhanden ist (z. B. Hochhäuser, Verkaufsstätten, Versammlungsund Sportstätten, Gaststätten mit mehr als 40 Gastplätzen, Krankenhäuser, Fliegende Bauten, Camping- Wochenend- und Zeltplätze, Freizeit- und Vergnügungsparks, Spielhallen). An diese Bauten dürfen zur Verwirklichung der allgemeinen Sicher-

25

§ 50 BauO NW.

Bauordnungsrecht

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Tab. 1 Gebäudeklassen (GK); Übersicht GK 1.1 GK 1.2 freistehende freistehende landGebäude oder forstwirtschaftlich genutzte Gebäude

GK 2 nicht freistehende Gebäude

GK 3 sonstige freistehende Gebäude und sonstige nicht freistehende Gebäude Höhe  7 m ohne Höhenbegrenzung Höhe  7 m Höhe  7 m Feuerwehreinsatz mit Steckleiter möglich. NE  2 höchstens insgesamt 400 m2 BGF

NE  2 > 2 NE oder  2 NE, aber höchstens > 400 m2 BGF insgesamt 2 400 m BGF

GK 4 Sonstige Gebäude in Bezug auf GK 1 bis GK 3

GK 5 Sonstige Gebäude in Bezug auf GK 1 bis GK 4

Höhe Höhe > 13 m  13 m Feuerwehreinsatz mit Drehleiter erforderlich. alternativ höchstens 13 m, aber mehr als höchstens höchstens 400 m2 400 m2 BGF/NE BGF/NE Selbstständige unterirdische Gebäude, z. B. Tiefgaragen ohne ein oberirdisches Geschoss.

heitsanforderungen im Einzelfall besondere Anforderungen gestellt oder Erleichterungen zugelassen werden. In den Bauordnungen sind beispielhaft die besonderen Anforderungen und Erleichterungen aufgeführt. Zugleich werden an diese Bauten in Sonderbauverordnungen26 oder LTB-Sonderbaurichtlinien27 in genereller Weise besondere Anforderungen gestellt bzw. Erleichterungen zugelassen.

4.4

Geschosse und Vollgeschosse

Der Begriff des Geschosses ist in den Bauordnungen nicht definiert. Verstanden werden unter Geschosse horizontale Ebenen eines Gebäudes, die durch Fußboden und Decke von anderen Ebenen

26

Z. B. Versammlungsstättenverordnung (VStättVO), Verkaufsstättenverordnung (VkVO), Feuerungsverordnung (FeuVO). 27 Windenergieerlass Baden-Württemberg, Gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur und des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft vom 09. Mai 2012 – Az.: 64-4583/404; Muster-Hochhaus-Richtlinie – MHHR, Fassung April 2008, zuletzt geändert durch Beschluss der Fachkommission Bauaufsicht vom Februar 2012.

getrennt sind. Definiert sind aber oberirdische Geschosse, wenn ihre Deckenoberkanten im Mittel mehr als 1,40 m über die Geländeoberfläche hinausragen. Im Übrigen sind sie Kellergeschosse. Bloße Hohlräume zwischen der obersten Decke und der Bedachung, in denen Aufenthaltsräume nicht möglich sind, sind keine Geschosse. In allen Bauordnungen wird der Begriff des Vollgeschosses bestimmt. Es handelt sich dabei um oberirdische Geschosse, die eine bestimmte Raumhöhe oder lichte Höhe aufweisen. Die Legaldefinition des Vollgeschosses besitzt ihre eigentliche Bedeutung nicht mehr im Bauordnungsrecht, weil die Zahl der Vollgeschosse als Zulässigkeitskriterium durch andere Kategorien wie etwa die Gebäudeklasse, die Zahl der Geschosse oder die Gebäudehöhe ersetzt wurde. Bedeutsam ist der bauordnungsrechtliche Vollgeschossbegriff für das Bauplanungsrecht, da im Bebauungsplan zwar die Zahl der Vollgeschosse als Maß der baulichen Nutzung festgesetzt werden darf,28 es jedoch einen eigenständigen bundesrechtlichen Begriff des Vollgeschosses nicht gibt. Immer dann, wenn im Bebauungsplan das Maß der baulichen Nutzung durch die Zahl der Vollgeschosse festgesetzt wird, muss auf den Vollgeschossbegriff

28

§ 16 Abs. 2 bis 4 BauNVO.

58

C.-W. Otto

der Bauordnung des Landes zurückgegriffen werden, in dem der Bebauungsplan aufgestellt wird. Daher verweist § 20 Abs. 1 BauNVO für die Definition des Vollgeschosses auf das jeweilige Landesrecht. Da die Definitionen eines Vollgeschosses in den einzelnen Bundesländern teilweise sehr weitgehend voneinander abweichen, können formal gleiche Festsetzungen in einem Bebauungsplan von Bundesland zu Bundesland ganz unterschiedliches bedeuten. So definieren vierzehn Bauordnungen Vollgeschosse als oberirdische Geschosse, die im Mittel 1,2 m bzw. 1,4 m bzw. 1,6 m über die Geländeoberfläche bzw. mittlere Geländeoberfläche bzw. festgelegte Geländeoberfläche hinausragen und eine bestimmte Mindesthöhe (zumeist 2,3 m, in Niedersachsen 2,2 m) haben. Hinzukommen unterschiedliche Definitionen, in welchen Fällen oberste Geschosse, Dachgeschosse oder Staffelgeschosse Vollgeschosse sind.

5

Allgemeines Bauordnungsrecht

5.1

Öffentliche Sicherheit und Ordnung

Die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung stehen als Rechtsbegriffe im Mittelpunkt des Baupolizeirechtes.29 Das Bauordnungsrecht soll die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Zusammenhang mit der Errichtung, Änderung und Nutzung baulicher Anlagen gewährleisten. Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind namentlich das Leben und die Gesundheit, die durch den Zustand von Anlagen und Einrichtungen, etwa infolge Baufälligkeit, oder durch deren Betrieb, etwa infolge schädlicher Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) durch Geräuschimmissionen (§ 3 Abs. 2 BImSchG) oder Luftverunreinigungen (§ 3 Abs. 4 BImSchG; „Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe, Geruchsstoffe“), bedroht sind. Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind zudem die Unversehrtheit der natürlichen Lebensgrundlagen wie Boden,

Wasser, Luft, Klima, Flora und Fauna. Diese haben durch Art. 20a GG eine Aufwertung erhalten, die sich in den allgemeinen Anforderungen des Bauordnungsrechts widerspiegeln.30 Im Bauordnungsrecht werden die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit jedoch nur vor Gefahren geschützt. Das Bauordnungsrecht dient weder dem Vorsorgeprinzip noch der optimalen Entfaltung dieser Schutzgüter. Der Rechtsbegriff der öffentlichen Ordnung dient rechtstechnisch dazu, (Sozial-)Normen in das Recht zu überführen, die nicht oder noch nicht in das positive Recht aufgenommen sind. Er umfasst nach hergebrachter Auffassung die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unentbehrliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens betrachtet wird. Ein ordnungswidriger Zustand in diesem Sinne ergibt sich aus jeder Ausschöpfung der individuellen Freiheit, die gegen die herrschenden ethischen und sozialen Anschauungen oder sonst gegen als gerecht und notwendig empfundenen Werte verstößt, die geeignet ist, die gute Ordnung des Gemeinwesens und des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu stören. Der guten Ordnung können im Einzelfall etwa sog. Anbahnungsgaststätten,31 Swinger- und Pärchen- Clubs, Bordelle, Peep- und Life-Shows, Wohnungsprostitution, Dirnenwohnheime widersprechen. Die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dürfen nicht konkret gefährdet (bedroht) werden. Gefahr wird verstanden als das Risiko, das ein Schaden droht und die gefahrerzeugende Situation für die Rechtsordnung nicht mehr hinnehmbar ist. Ein Schaden droht, wenn aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden. Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint

30 29

Vgl. etwa § 3 BauO NW.

Vgl. Otto ZfBR 2008, 550. BVerwG NVwZ 2009, 909.

31

Bauordnungsrecht

werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht. Unter einer konkreten Gefahr ist nach allgemeiner Meinung eine Sachlage zu verstehen, die – aufgrund einer ex-ante-Betrachtung – bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfalle mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden, nämlich zu einer nicht nur unerheblich Beeinträchtigung eines geschützten Rechtsgutes führen wird (Prognoseentscheidung).32 Dabei hängt die zu fordernde Wahrscheinlichkeit für einen Schadenseintritt von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie dem Ausmaß des möglichen Schadens ab. Es gilt der allgemeine sicherheitsrechtliche Grundsatz, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Geht es um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, wie etwa Leben und Gesundheit von Menschen, so kann auch die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintrittes ausreichen, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit anzunehmen. Bei der Beurteilung einer Sachlage als konkrete Gefahr ist weder baupolizeilicher Optimismus noch baupolizeilicher Pessimismus, sondern ein mit der Lebenserfahrung im Einklang stehender Realismus angebracht.

5.2

Baugestaltungsrecht

Bauordnungsrecht ist auch Baugestaltungsrecht. Es hat zum einen – und dies negativ – die Abwehr von Verunstaltungen33 und zum anderen – und dies positiv – die Bau- oder Gestaltungspflege zum Inhalt. Mit der Abwehr von Verunstaltungen sollen Zustände verhindert werden, die nicht bloß un-

59

schön sind, sondern in negativer Richtung darüber hinausgehen und auf den Betrachter hässlich wirken, die das ästhetische Empfinden des Betrachters verletzen und es nicht etwa bloß beeinträchtigen. Verhindert werden sollen Zustände, die in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen oder Unlust erregend sind oder die als krass oder belastend empfunden werden oder die das Gefühl des Missfallens erwecken und Kritik, ggf. Abhilfe, herausfordern. Bei der Beurteilung einer Sachlage als Verunstaltung sind die gesamten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, namentlich auch das betroffene Baugebiet. Was das optischästhetische Empfinden des Betrachters anbelangt, ist nicht auf den besonders empfindsamen oder sogar geschulten Betrachter abzustellen. Es muss vielmehr das Empfinden jedes für ästhetische Eindrücke offenen Betrachters maßgebend sein. Auch die Werke der Baukunst, etwa Graffiti, sind nicht grundsätzlich von Anforderungen an ihre Gestaltung aufgrund bauordnungsrechtlicher Vorschriften freigestellt.34 Nach § 9 Abs. 3 BauO Bln gelten sie, ebenso wie Farbschmierereien, unzulässige Beschriftungen, Beklebungen, Plakatierungen und Ähnliches an Außenflächen von Anlagen in Berlin sogar kraft Gesetz als verunstaltend. Bau- oder Gestaltungspflege vollzieht sich regelmäßig durch örtliche Bauvorschriften (ÖBauV) der Gemeinden. Die Landesbauordnungen gestatten den Gemeinden, auch die künftige baugestalterische Entwicklung des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbildes zu bestimmen.35 Die Gemeinden können zu diesem Zweck in ÖBauV im Rahmen des Bauordnungsrechtes Anforderungen stellen insbesondere an die beabsichtigte äußere Gestaltung baulicher Anlagen (Fassaden, Dächer, Decken, Fenster, Begrünungen, Gebäudehöhen, Gebäudetiefen), an Werbeanlagen und Automaten (Art, Größe, Farbe, Anbringungsort, Ausschluss), an die besondere Gestaltung, Bepflanzung und Nutzung der unbebauten Flächen der bebauten Grundstücke (Freiflächen), an Einfriedungen (Notwen-

32

Ständige Rechtsprechung; vgl. etwa BVerfG NJW 1980, 2572; BVerwG NVwZ 2004, 610; BVerwG NVwZ 2003, 95; VGH BW NVwZ-RR 1990, 533. 33 Grundlegend BVerwG NJW 1955, 1647; BVerwG BauR 2004, 295; ständige Rechtsprechung; vgl. auch BVerwG NVwZ 2008, 311 (Gesetzgebungskompetenz).

34

BVerwG NVwZ 1991, 983; BVerwG NJW 1995, 2648 (Artemis und Aurora). 35 Eingehend Otto, Brandenburgische Bauordnung, 4. Auflage, § 87 Rn 2163 ff.

60

C.-W. Otto

digkeit, Zulässigkeit, Art, Gestaltung, Höhe). Sie dürfen ÖBauV allerdings nicht erlassen, um mit ihrer Hilfe Städtebau oder Denkmalschutz zu betreiben.36

5.3

Bausozialrecht

Bauordnungsrecht ist ferner Bausozialrecht, das vor allem das Erfordernis des barrierefreien Planens und Bauens sowie wohnortnaher Freizeitflächen erfasst. Barrierefreiheit ist die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der gestalteten Lebensbereiche für alle Menschen.37 Barrierefreie Anlagen sind Anlagen, die so hergestellt und instand gehalten sind, dass sie namentlich von behinderten bzw. alten Menschen ohne fremde Hilfe genutzt werden können. Das barrierefreie Planen und Bauen hat sich an den eigenständigen Bedürfnissen der Zielgruppen zu orientieren. Es betrifft vorwiegend die (horizontalen) Zuwegungen zu den Gebäuden (Rampen, Eingänge, Türen), die (vertikalen und horizontalen) Fortbewegungen (Aufzüge, Flure, Türen) und die sanitären Anlagen in den Gebäuden (Toiletten, Bäder, Duschen). Sie müssen nach Maßgabe des Bauordnungsrechts38 behindertenbzw. altersgerecht geplant und gebaut werden. Nur dann kann von einer barrierefreien Anlage gesprochen werden. Die DIN 18040/-1 (barrierefreies Bauen; öffentlich zugängliche Gebäude) und die DIN 18040/-2 (barrierefreies Bauen, Wohnungen) konkretisieren diese Begriffe. Als eingeführte technische Baubestimmungen müssen diese DIN-Normen beachtet werden, soweit barrierefrei gebaut werden muss. Bausozialrecht äußert sich auch in der gesetzlichen Pflicht zur grundsätzlichen Herstellung notwendiger Spielplätze für (Klein-)Kinder unter bestimmten Voraussetzungen auf den Baugrundstücken oder in Ruf- bzw. Sichtweite auf benachbarten Grundstücken.39

BVerwG, U. v. 11.10.2007 – 4 C 8/06 –, BVerwGE 129, 318 ff. 37 Für behinderte Menschen vgl. §§ 3 und 4 BGG. 38 Vgl. § 49 BauO BW; § 50 BauO Bln. 36

5.4

Bauökologierecht

Bauordnungsrecht ist auch Ökologierecht und als solches Bestandteil des Umweltschutzrechtes. Gegenstand des Bauökologierechtes ist – entsprechend der Staatszielklausel des Art. 20a GG – der gesetzlich hervorgehobene Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, der nicht auf den Schutz der absolut notwendigen Lebensvoraussetzungen beschränkt ist, sondern alle diejenigen Umweltgüter umfasst, welche die Grundlage menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebens sind. Dabei bedeutet „Leben“ nicht irgendeine Form der Existenz, sondern die natürlichen Grundlagen der Vitalität insgesamt. Der Zusatz „natürlich“ soll die Ausgrenzung der sozialen, ökonomischen, kulturellen oder technischen Lebensgrundlagen bzw. der psychosozialen Umwelt aus der Staatszielklausel verdeutlichen. Der Umweltschutz hat in den Landesbauordnungen flankierende Bedeutung, um etwa auf das Planen und Bauen von Energie sparenden Gebäuden hinzuwirken. Es ergänzt im Zusammenhang mit dem Baugeschehen und der Nutzung baulicher Anlagen das Fachrecht, welches die natürlichen Lebensgrundlagen spezifisch schützen soll. Der Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen ist gleichbedeutend mit dem der Umwelt. Umfasst sind die Umweltgüter bzw. Umweltfaktoren Menschen, Tiere (Fauna) und Pflanzen (Flora), Mikro- Organismen in ihren Lebensräumen, Boden, Wasser, Luft, Klima, auch die Ozonschicht, die Landschaft (auch die rein optisch-ästhetische Qualität, die Schönheit der Landschaft), die Kulturgüter und sonstige Sachgüter sowie die Wechselwirkungen zwischen den vorgenannten Schutzgütern (Biosphäre). Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist entsprechend der verfassungsrechtlichen Vorgabe (Art. 20a GG) auf Nachhaltigkeit angelegt. Der Begriff der Nachhaltigkeit setzt sich im allgemeinen Verständnis aus drei Elementen zusammen, die auch als 3-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit bezeichnet werden. Die ökologische Nachhaltigkeit umschreibt das Ziel, Natur und Umwelt für die nachfolgenden

39

Vgl. § 8 Abs. 2 BauO NW.

Bauordnungsrecht

Generationen zu erhalten. Dies umfasst den Erhalt der Artenvielfalt, den Klimaschutz, die Pflege von Kultur- und Landschaftsräumen in ihrer ursprünglichen Gestalt sowie generell einen schonenden bzw. nachhaltigen Umgang mit der natürlichen Umgebung. Die ökonomische Nachhaltigkeit stellt das Postulat auf, wonach die Wirtschaftsweise so anzulegen ist, dass sie dauerhaft eine tragfähige Grundlage für Erwerb und Wohlstand bietet. Von besonderer Bedeutung ist hier der Schutz wirtschaftlicher Ressourcen vor Ausbeutung. Dem bauökologischen Schutzgebot tragen namentlich das Energie sparende Bauen nach Maßgabe des EnEG40 und der konkretisierenden EnEV41 sowie das EEWärmeG42 Rechnung, das insbesondere im Interesse des Klimaschutzes, der Schonung fossiler Ressourcen und der Minderung der Abhängigkeit von Energieimporten, eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung ermöglichen und die Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Wärme aus Erneuerbaren Energien fördern will. Das bedeutet vor allem, dass Bauherren den Wärmeenergiebedarf eines neu errichteten Hauses durch die anteilige Nutzung von Erneuerbaren Energien decken müssen. Das Bauen mit Holz wird aus Gründen des Klimaschutzes in den Bauordnungen zuvorderst im Brandschutzbereich besonders gefördert.43

6

Besonderes Bauordnungsrecht

Die Anforderungen des Bauordnungsrechts, die im § 3 der Landesbauordnungen grundsätzlich, jedoch unspezifisch normiert sind, werden in den

40

Energieeinsparungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. September 2005 (BGBl. I S. 2684), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 4. Juli 2013 (BGBl. I S. 2197) geändert worden ist. 41 Energieeinsparverordnung vom 24. Juli 2007 (BGBl. I S. 1519), die zuletzt durch Artikel 3 der Verordnung vom 24. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1789) geändert worden ist. 42 Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz vom 7. August 2008 (BGBl. I S. 1658), das zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722) geändert worden ist. 43 Vgl. etwa § 26 Abs. 3 BauO NW.

61

folgenden bauordnungsrechtlichen Bestimmungen ausdifferenziert und für die Praxis handhabbar gemacht. Diese Darstellung beschränkt sich auf einige wesentliche Aspekte des besonderen Bauordnungsrechts.

6.1

Bauproduktenrecht

Bestandteil des Bauordnungsrechts ist traditionell das Bauproduktenrecht und das Bauartenrecht. Bauprodukte sind Baustoffe, Bauteile und Anlagen, die hergestellt werden, um dauerhaft in bauliche Anlagen des Hoch- oder des Tiefbaues (Bauwerke) eingebaut zu werden; Bauprodukte sind auch aus Baustoffen und Bauteilen vorgefertigte Anlagen, die hergestellt werden, um mit dem Erdboden verbunden zu werden, wie z. B. Fertighäuser, Fertiggaragen und Silos.44 Unter einer Bauart (technische Fertigungsart; technische Methode) ist das Zusammenfügen von Bauprodukten zu (Teilen von) baulichen Anlagen zu verstehen (z. B. Stahl-, Holzbau-, Gerüst-, Mauerwerkbauart), wodurch ein Bauprodukt eigener Art entsteht. Geregelt werden die technischen Anforderungen an Baustoffe und deren Verwendbarkeit. Die nationalen Regelungen sind weitgehend durch die seit 01.07.2013 unmittelbar geltenden Bauproduktenverordnung verdrängt worden. Das Inverkehrbringen von Bauprodukten und der freie Warenverkehr mit Bauprodukten von und nach den EU-Mitgliedstaaten oder einem anderen EWR-Vertragsstaat werden so unionsrechtlich gesichert. Den Landesbauordnungen bleibt daher nur noch zu regeln, dass die verwendeten Bauprodukte bzw. angewendeten Bauarten den bauordnungsrechtlichen Anforderungen genügen. Diese Regelungen finden sich überwiegend in Gestalt Technischer Baubestimmungen bzw. verbindlich geltender technischer Regeln. Die Landesbauordnungen stellen dazu allgemeine materielle Anforderungen an die Verwendung von Bauprodukten

44

Fertighäuser, Fertiggaragen und Silos werden zu baulichen Anlagen, sobald sie dauerhaft mit dem Erdboden verbunden (aufgestellt) sind.

62

C.-W. Otto

und folglich auch an die Anwendung von Bauarten. Bauprodukte dürfen nur verwendet werden, wenn bei ihrer Verwendung die baulichen Anlagen bei ordnungsgemäßer Instandhaltung während einer dem Zweck entsprechenden angemessenen Zeitdauer die bauordnungsrechtlichen Anforderungen erfüllen und gebrauchstauglich sind.45 Entsprechendes gilt für Bauarten.46

6.2

Anforderungen an die Baustellen

Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung muss die Baustelle so eingerichtet sein, dass bauliche Anlagen ordnungsgemäß errichtet, geändert oder abgebrochen werden. Es darf dabei nicht zu Gefahren oder vermeidbaren Belästigungen kommen.47 Diese sehr allgemein gehaltene Anforderung in den Bauordnungen wird u. a. ergänzt durch Vorschriften gegen den Baulärm, die als allgemeine Verwaltungsvorschriften zum Schutz gegen Baulärm (AVV Baulärm) aufgrund des Baulärmgesetzes erlassen worden sind und gem. § 66 Abs. 2 BImSchG fortgelten. Sie beinhalten Richtwerte für die von Baumaschinen auf Baustellen verursachten Geräuschimmissionen.

6.3

Anforderungen an das Gebäude

Eine bauliche Anlage muss standsicher sein.48 Die Anlage darf während ihrer Errichtung und Nutzung weder in Gänze noch in Teilen einstürzen. Beschädigungen anderer Bauteile oder Einrichtungen und Ausstattungen infolge zu großer Verformungen der tragenden Baukonstruktion müssen verhindert werden. Dass ein Gebäude diesen Anforderungen genügt, wird durch einen Standsicherheitsnachweis, einen bautechnischen Nachweis, belegt. Die Standsicherheit wird als Quotient zwischen den aufnehmbaren und den

45

§ 18 BauO NW. § 17 BauO NW. 47 § 11 BauO Bln. 48 § 12 BauO NW.

vorhandenen Beanspruchungen eines Tragwerkes berechnet. Zum Nachweis der Standsicherheit müssen verschiedene Versagensmechanismen einzeln nachgewiesen werden. Sie können in Systemversagen und örtliches Versagen untergliedert werden. Bei einem Systemversagen wird das Gesamtsystem instabil; ein Beispiel dafür wäre das Kippen einer Wand. Bei einem örtlichen Versagen tritt an einem örtlich begrenzten Bereich eine für das verwendete Material zu große Beanspruchung auf. Die Kräfte, die eine bauliche Anlage hervorruft, müssen aus Gründen der Standsicherheit sicher in den Baugrund abgeleitet werden, was die Tragfähigkeit des Baugrundes erfordert.49 Mit Baugrund wird in diesem Zusammenhang der Bereich des Bodens bezeichnet, der für die Errichtung und die bautechnische Änderung (etwa Aufstockung) einer baulichen Anlage von Bedeutung ist. Besonders wichtig sind die Eigenschaften des Baugrundes in Hinblick auf die Gründung (Fundamentierung) der baulichen Anlage. Die wichtigste mechanische Eigenschaft des Baugrundes ist seine Tragfähigkeit, also seine Fähigkeit, Lasten aus der baulichen Anlage aufzunehmen, ohne sich dabei zu sehr zu verformen oder gar komplett zu versagen. Im Allgemeinen ist der Baugrund aus Schichten von verschiedenen Böden aufgebaut. Teil des Baugrundes ist auch das Grundwasser. Für die Tragfähigkeit des Baugrundes sind in erster Linie die Bodenarten ausschlaggebend, die im Baugrund angetroffen werden. Diese sind regional – je nach geologisch bedingter Entstehung – sehr verschieden; sie variieren manchmal sogar lokal sehr stark. Daher muss der Baugrund vor Abschluss der Bauwerksplanung untersucht werden. Nach der DIN 1054 (vgl. dazu die LTB) unterscheidet man zwischen Fels, bindigem Boden (Lehm) und nicht bindigem Boden (Sand, Kies). Zur Planungsphase eines Gebäudes gehört stets eine Baugrunduntersuchung. Art und Umfang der Untersuchungen regelt die DIN 4020 (Geotechnische Untersuchungen für bautechnische Zwecke). Die Auswertung der Baugrunduntersuchung erfolgt üblicherweise nach

46

49

§ 12 Abs. 1 Satz 2 BauO NW.

Bauordnungsrecht

der DIN 1054 (Baugrund). Hier werden typische Bodenkennwerte für allgemeine und eindeutige Fälle vorgegeben. Die bauliche Anlage muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass der von den Bewohnern oder von in der Nähe befindlichen Personen wahrgenommene Schall auf einem Pegel gehalten wird, der nicht gesundheitsgefährdend ist und bei dem zufrieden stellende Nachtruhe-, Freizeit- und Arbeitsbedingungen sichergestellt sind. Deshalb müssen Gebäude einen ihrer Nutzung entsprechenden Schallschutz haben.50 Schallschutz ist vorbeugend überall dort erforderlich, wo Geräuschimmissionen als Luftschall von außen in das Gebäude eindringen können oder Geräuschimmissionen als Körperschall innerhalb eines Gebäudes weiter getragen werden. Die DIN 4109 (11.89) – Schallschutz im Hochbau-; Anforderungen und Nachweise – regelt die Anforderungen an den Schutz gegen Luft- und Körperschallübertragung zwischen fremden Wohnund Arbeitsräumen, gegen Außenlärm und gegen Geräusche von haustechnischen Anlagen und aus baulich verbundenen Betrieben; sie ist als TB öffentlich-rechtlich zu beachten. Eine bauliche Anlage muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass die Hygiene und die Gesundheit der Bewohner und der Anwohner insbesondere infolge von Einwirkungen giftiger Gase, gefährlicher Strahlen sowie Wasser- oder Bodenverunreinigung oder festem oder flüssigem Abfall, Feuchtigkeitsansammlung in Bauteilen und auf Oberflächen von Bauteilen in Innenräume nicht gefährdet werden. Die in die bauordnungsrechtliche Generalklausel aufgenommenen Umweltstandards51 werden in einzelnen Bauordnungen vor allem in Bezug auf die Energieeinsparung und die Verwendung erneuerbarer Energien weiter konkretisiert. Die bauliche Anlage und ihre Anlagen und Einrichtungen für Heizung, Kühlung und Lüftung müssen derart entworfen und ausgeführt sein, dass unter Berücksichtigung der klimatischen Gegebenheiten des Standortes der Energieverbrauch bei seiner Nutzung gering gehalten und ein ausreichender Wärmekom-

50

§ 15 Abs. 2 BauO NW. § 3 Abs. 1 BauO NW.

51

63

fort der Bewohner gewährleistet werden.52 Damit werden alle Maßnahmen zur Verringerung der verbrauchten Energie der Energieträger bezeichnet. Die Konkretisierung dieser pauschal formulierten Anforderung erfolgt durch die DIN 4108/-2 (07.03), die DIN 4108/-3 (07.01), die DIN 4108/-4 (06.07) und die DIN 4108/-10 (06.08, welche als TB bekannt gemacht sind und die den „Wärmeschutz und die Energieeinsparung in Gebäuden“ betreffen, sowie durch das dem Baunebenrecht angehörende Energieeinsparungsrecht.53 Die Nutzung alternativer Energieformen ist keine Energieeinsparung im eigentlichen Sinne. Durch dieses Vorgehen kann jedoch die ursprünglich eingesetzte Energieform reduziert oder gänzlich ersetzt werden. Zu einer Energieeinsparung kommt es dabei nur, wenn die Nutzung der neuen Energieform effizienter ist als die zu ersetzende (Stichwort: Energiebilanz). Eine bauliche Anlage muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass sich bei ihrer Nutzung oder ihrem Betrieb keine unannehmbaren Unfallgefahren ergeben, wie Verletzungen durch Rutsch-, Sturz- und Aufprallunfälle, Verbrennungen, Stromschläge, Explosionsverletzungen. Den Gefahren durch Abstürzen muss mit Hilfe von Umwehrungen bzw. Brüstungen, an die das Bauordnungsrecht besondere Anforderungen stellt, vorgebeugt werden.54

6.4

Baulicher Brandschutz

Die Entstehung und Ausbreitung eines Brandes zu verhindern und im Brandfall den Brand zu

52

§ 15 BauO NW. Vgl. dazu das EnEG und die EnEV sowie die Nr. 4 LTB. 54 §§ 38, 39 BauO NW, s. dazu auch die als TB bekannt gemachte ETB-RL „Bauteile, die gegen Absturz sichern“. ETB-RL sind Normen des Ausschusses für „Einheitliche Technische Baubestimmungen“, die unter Umgehung des üblichen Normenverfahrens nach DIN wegen der Dringlichkeit von Fachleuten erarbeitet und bauaufsichtlich zugelassen wurden. Welche der Richtlinien in einem Bundesland gelten, bestimmt seine LTB. Der Ausschuss ist mittlerweile aufgelöst, zuständig für die Normung ist jetzt allein das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN) mit Sitz in Berlin. 53

64

löschen sowie Menschen und Tiere, nicht aber Sachen zu retten ist vorrangiges Schutzziel des materiellen Bauordnungsrechts. Eine bauliche Anlage muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass bei einem Brand die Tragfähigkeit des Bauwerkes während eines bestimmten Zeitraumes erhalten bleibt, die Entstehung und Ausbreitung von Feuer und Rauch innerhalb des Bauwerkes sowie die Ausbreitung von Feuer auf benachbarte Bauwerke begrenzt wird, die Bewohner das Gebäude unverletzt verlassen oder durch andere Maßnahmen gerettet werden können und die Sicherheit der Rettungsmannschaften berücksichtigt ist (Selbstrettung, Fremdrettung, Feuerwehrangriff).55 Dieses Ziel ist in der bauordnungsrechtlichen Generalklausel in grundsätzlicher Weise normiert.56 In zahlreichen Einzelvorschriften werden ergänzende Anforderungen an das Grundstück,57 an die Bauteile58 und die Rettungswege59 normiert. Diese Vorschriften werden durch Rechtsverordnungen ergänzt, die die Landesregierungen aufgrund der Ermächtigungen in den Bauordnungen erlassen dürfen. Weitere Präzisierungen finden sich in den eingeführten technischen Baubestimmungen. Beim vorbeugenden baulichen Brandschutz geht es – erstens – um die Rettung von Menschen und Tieren und um den Feuerwehrangriff im Brandfalle. In diesem Zusammenhang gilt der Grundsatz des doppelten Rettungsweges, es sei denn, die Rettung ist über einen Sicherheitstreppenraum möglich,60 nämlich über einen sicher erreichbaren Treppenraum, in den Feuer und (Brand-)Rauch nicht eindringen können. Der erste Rettungsweg erfolgt über Flure (notwendige Flure) und über eine notwendige Treppe bzw. Rampe, die zur Sicherstellung der Rettung aus den Geschossen ins Freie grundsätzlich in einem eigenen, durchgehenden Treppenraum (notwendiger

C.-W. Otto

Treppenraum) liegen muss (baulicher Rettungsweg). Der zweite Rettungsweg kann eine weitere notwendige Treppe sein. Er kann aber auch eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit (NE) sein (eingerichteter Rettungsweg).61 Zur Durchführung wirksamer Lösch- und Rettungsarbeiten durch die Feuerwehr müssen geeignete und von den öffentlichen Verkehrsflächen erreichbare Aufstell- und Bewegungsflächen für die erforderlichen Rettungsgeräte (Steck-, Schiebe-, Klapp-, Haken-, Multifunktions-, Strick-, Drehleiter; Sprungretter, Seilgeräte) vorhanden sein. Dazu hat nach den Feuerwehrgesetzen der Länder jede Gemeinde auf ihre Kosten eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende leistungsfähige Feuerwehr aufzustellen, auszurüsten und zu unterhalten, insbesondere die für einen geordneten und erfolgreichen Einsatz der Feuerwehr erforderlichen Feuerwehrausrüstungen und Feuerwehreinrichtungen zu beschaffen und zu unterhalten.62 Beim vorbeugenden baulichen Brandschutz geht es – zweitens – um die erforderliche Feuerwiderstandsfähigkeit (FW) der einzelnen Bauteile eines Bauwerkes im Brandfalle. In dieser Hinsicht formulieren die Landesbauordnungen die Schutzziele, die aus zwei Elementen sich zusammensetzen, nämlich zum einen aus der von dem einzelnen Bauteil verlangten Funktion im Brandfalle (z. B. aus der Funktion „Standsicherheit“ im Falle von tragenden und aussteifenden Wänden und Stützen) und zum anderen aus der „zeitlichen Dauer“ (z. B. ausreichend lang).63 Sie werden sodann durch die geforderte Feuerwiderstandsfähigkeit in den ihnen jeweils zugeordneten Regelungen konkretisiert, wobei auch auf die Zugehörigkeit des Gebäudes zu einzelnen Gebäudeklassen (GK)64 abgestellt wird.65

61

§ 33 Abs. 2 Satz 2 BauO NW. Vgl. für NRW das Gesetz über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) vom 17. Dezember 2015 (Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Dezember 2015 (GV. NRW. S. 886)). 63 § 26 BauO NW 64 § 2 Abs. 3 BauO NW. 65 Z. B. § 27 Abs. 1 BauO NW. 62

55

§ 14 BauO NW. § 14 BauO NW. 57 §§ 4 ff. BauO NW. 58 §§ 26 ff. BauO NW. 59 §§ 33 BauO NW. 60 § 33 Abs. 2 Satz 4 BauO NW. 56

Bauordnungsrecht

Bauteile werden nach den Anforderungen an ihre FW unterschieden in feuerbeständige, hochfeuerhemmende und feuerhemmende Bauteile; die Feuerwiderstandsdauer (FWD) beträgt bei den feuerhemmenden Bauteilen 30 Minuten (F 30), bei den hochfeuerhemmenden Bauteilen 60 Minuten (F 60) und bei den feuerbeständigen Bauteilen 90 Minuten (F 90). Die FW bezieht sich bei tragenden und aussteifenden Bauteilen auf deren Standsicherheit im Brandfalle, bei Raum abschließenden Bauteilen auf deren Widerstand gegen die Brandausbreitung. Bauteile werden zusätzlich nach dem Brandverhalten ihrer Baustoffe (nichtbrennbare, schwerentflammbare, normalentflammbare Baustoffe) unterschieden. Seit der Veröffentlichung in der BRL 2002/1 ist das europäische Klassifizierungssystem DIN EN 13501 für die Beurteilung des Brandverhaltens von Baustoffen und Bauprodukten in das deutsche Baurecht eingeführt. Im Unterschied zur nationalen Klassifizierung nach DIN 4102/-1 stellt das europäische Klassifizierungssystem eine größere Vielfalt von Klassen und Kombinationen zur Verfügung. Zusätzlich zum Brandverhalten werden die Brandnebenerscheinungen wie Rauchentwicklung (s1–s3) und brennendes Abtropfen/Abfallen (d0–d2) in Klassen eingeteilt. Die europäische Norm ist als DIN EN 13501/-1 und DIN EN 13501/-2 erschienen. In der Bauregelliste erfolgt die Zuordnung der Klassen zu den bauaufsichtlichen Anforderungen an den Brandschutz.

6.5

Abstandsflächenrecht

Die Landesbauordnungen stellen aus Gründen der ausreichenden Belichtung und Belüftung der einzelnen Grundstücke und des vorbeugenden baulichen Brandschutzes besondere Anforderungen an die von einer oberirdischen Bebauung freizuhaltende Flächen vor den Außenwänden von Gebäuden. Diese Flächen werden als Abstandsflächen bezeichnet. Die abstandflächenrechtlichen Vorschriften unterscheiden sich in den einzelnen Bundesländern – abgesehen von der Niedersäch-

65

sischen Bauordnung66 – hinsichtlich der Grundstrukturen kaum, wohl aber erheblich in den Einzelheiten. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf die Darstellung der Grundstrukturen, die das Abstandsflächengebot, das Freihaltegebot und Überbauungsverbot, das Lagegebot, das Überdeckungsverbot und die Bemessung der Abstandsflächentiefen betreffen. Das Abstandsflächengebot besagt, dass vor den Außenwänden von Gebäuden grundsätzlich Abstandsflächen, also Flächen, auf denen oberirdische bauliche Anlagen nicht errichtet werden dürfen, liegen müssen. Dies gilt ausnahmsweise nicht für Außenwände, die an Grundstückgrenzen errichtet werden, wenn nach städtebaurechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss (etwa im Falle geschlossener Bauweise) oder gebaut werden darf (etwa im Falle von offener Bauweise bei zugelassenen Einzel- und Doppelhäusern),67 und für Außenwände von Gebäuden oder Gebäudeteilen, bei denen nach bauordnungsrechtlichen Vorschriften Abstandsflächen nicht erforderlich sind (etwa unter bestimmten Voraussetzungen bei Garagen- oder Nebengebäuden).68 Das Freihaltegebot besagt, dass die erforderlichen Abstandsflächen grundsätzlich nicht von oberirdischen baulichen Anlagen beansprucht werden dürfen. Dem entspricht das grundsätzliche Überbauungsverbot dort, wo Abstandsflächen zulässigerweise auf Nachbargrundstücke übernommen werden.69 Die (Landes-)Bauordnungen regeln die einzelnen Ausnahmen vom Freihaltegebot bzw. Überbauungsverbot in unterschiedlicher Weise. Das Lagegebot besagt, dass die erforderlichen Abstandsflächen grundsätzlich als Eigenflächen auf dem Baugrundstück selber liegen müssen, um auf diese Weise Abstände der Gebäude bzw. der abstandflächenrechtlich relevanten anderen baulichen Anlagen zu den Nachbargrenzen zu

66

In Niedersachsen ist ein abweichendes Abstandsrechtssystem geregelt (Punktabstand), auf das hier nicht weiter eingegangen wird. 67 Zum Begriff des Doppelhauses (§ 22 Abs. 2 BauNVO) vgl. BVerwG NVwZ 2000, 1055. 68 § 6 Abs. 8 BauO NW. 69 § 6 Abs. 2 Satz 3 BauO NW.

66

erreichen.70 Abstandsflächen dürfen sich als Fremdflächen ganz oder teilweise auf öffentliche Verkehrs-, Wasser- und Grünflächen erstrecken.71 Sie dürfen auch auf Nachbargrundtücke übernommen werden, falls rechtlich bzw. tatsächlich gesichert ist, dass die übernommenen Abstandsflächen nicht überbaut werden (Überbauungsverbot) und sie nicht auf die auf den Nachbargrundstücken erforderlichen Abstandsflächen angerechnet werden (Anrechnungsverbot).72 Die rechtliche Sicherung erfolgt in allen Bundesländer, ausgenommen Bayern, öffentlich-rechtlich durch Baulasten. Das Überdeckungsverbot besagt, dass die erforderlichen Abstandsflächen sich grundsätzlich nicht überdecken dürfen.73 Dies führt zu Außenwandabstande. Dieses Abstandsgebot betrifft auch andere bauliche Anlagen mit einer gebäudegleichen Wirkung gegenüber den Außenwänden eines Gebäudes. Gebäudegleiche Wirkung haben bauliche Anlagen in der Regel, wenn sie höher als 1,50 Meter sind. Für das Überdeckungsverbot ist unerheblich, ob es sich um die Außenwände desselben Gebäudes oder um Außenwände von zwei oder mehreren Gebäuden handelt oder ob die Gebäude auf dem selben oder auf verschiedenen Grundstücken stehen. Das Überdeckungsverbot gilt jedoch nicht für Außenwände, die in einem Winkel von mehr als 75 zueinanderstehen. Ausnahmen vom Überdeckungsverbot gelten für Garagen und Nebengebäude. Die (Landes-)Bauordnungen regeln diese Ausnahmen in unterschiedlicher Weise.74 Für die Bemessung der erforderlichen Abstandsflächentiefe T ist zunächst die Außenwandhöhe maßgebend. Hinzuzurechnen ist nach einigen Bauordnungen die ganze Höhe des Daches.75 Andere Bauordnungen rechnen die Höhe des Daches hinzu, nachdem diese Höhe neigungsabhängig mit einem Multiplikator multipliziert wurde.76 Dieses Maß

C.-W. Otto

wird als „Höhe H“ bezeichnet. Dieser Wert H wird – je nach (Landes-)Bauordnung – mit einem baugebietsabhängigen Multiplikator M multipliziert; z. B. nach § 6 Abs. 5 BauO NW mit dem Multiplikator 0,8, in Kerngebieten beträgt er 0,5 und in Gewerbegebieten und Industriegebieten 0,25. Der daraus resultierende Wert gibt die Tiefe der Abstandsfläche in Metern an, wobei die Mindesttiefe in der Regel 3 Meter beträgt. Diese Mindesttiefe ist nach einigen Landesbauordnung für Gebäude der Gebäudeklasse 1 und 2 deren pauschale Abstandsflächentiefe.77 Bei der Bemessung von Außenwand und Dach sind – je nach Landesbauordnung – unter bestimmten Voraussetzungen einzelne Bauteile und Gebäudeteile unbeachtlich, so etwa „vor die Außenwand vortretende untergeordnete Bauteile“ (z. B. Gesimse, Dachvorsprünge) sowie „untergeordnete Vorbauten“ (z. B. Balkone, Erker, Risalite, Tür-, Fenstervorbauten, Wintergärten).78 Die Gemeinden sind nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB – in einzelnen Bundesländern daneben auch nach der Bauordnung79 – ermächtigt, andere als die an sich gesetzlich vorgeschriebenen Maße der Abstandsflächentiefen im Bebauungsplan bzw. je nach Bauordnungsrecht in örtlichen Bauvorschriften (ÖBauV) festzusetzen. Diese Festsetzungen können zur Durchführung baugestalterischer Absichten80 oder zur Verwirklichung der Festsetzungen einer städtebaulichen Satzung, insbesondere eines Bebauungsplanes, erforderlich sein.81 Der Plangeber muss bei diesen Festsetzungen darauf achten, dass eine ausreichende Belichtung und Belüftung sowie der Brandschutz gewährleistet sind.

6.6

Recht der notwendigen Stellplätze und Garagen

Die Landesbauordnungen82 verpflichten den Bauherren zur Herstellung von Stellplätzen bzw. Gara70

§ 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NW. § 6 Abs. 2 Satz 2 BauO NW. 72 § 6 Abs. 2 Satz 3 BauO NW. 73 § 6 Abs. 3 BauO NW. 74 § 6 Abs. 8 BauO Bln; § 6 Abs. 1 BauO BW, § 6 Abs. 10,11 BauO NW. 75 § 6 Abs. 4 BauO Bln. 76 § 6 Abs. 4 Satz 7 BauO NW. 71

77

§ 6 Abs. 5 Satz 3 BauO Bln/BbgBO. § 6 Abs. 6 BauO NW. 79 § 6 Abs. 5 Satz 1 iVm 89 Abs. 1 Nr. 6 BauO NW. 80 § 88 Abs. 1 Nr. 6 BauO NW. 81 § 6 Abs. Satz 3 BauO Bln. 82 Ausgenommen die Berliner Bauordnung. 78

Bauordnungsrecht

gen in ausreichender Zahl, die unter Berücksichtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, der Bedürfnisse des ruhenden Verkehrs und der Erschließung durch Einrichtungen des ÖPNV erforderlich sind, wenn ein Zu- und Abgangsverkehr mit Kraftfahrzeugen zu erwarten ist (notwendige Stellplätze bzw. Garagen). Die erforderliche Zahl an Stellplätzen bzw. Garagen ist vorhabenabhängig und kann norminterpretierend in Verwaltungsvorschriften (VwV)83 normkonkretisierend in Durchführungsverordnungen (DVO)84 oder in örtlichen Bauvorschriften85 geregelt sein.86 Die Garagenverordnungen stellen hingegen nur (bau-) technische Einzelheiten an die Nutzungssicherheit von Garagen und Stellplätzen dar. Die Bauherren haben die gesetzliche Herstellungsverpflichtung regelmäßig auf dem Baugrundstück oder in zumutbarer (bequem zu überwindender) Entfernung davon auf einem geeigneten Grundstück zu erfüllen, dessen Benutzung für diesen Zweck rechtlich, durch eine Baulast gesichert wird. Die Landesbauordnungen lassen in der Regel unter bestimmten engen Voraussetzungen zu, dass die Herstellungspflicht durch Zahlung eines Geldbetrages an die Gemeinde im Sinne eines Erfüllungssurrogates abgelöst werden kann (Ablösungsbetrag).87 Die Gemeinden haben die bezahlten Ablösungsbeträge zweckgebunden zu verwenden für die Herstellung zusätzlicher oder die Instandhaltung, die Instandsetzung oder die

67

Modernisierung bestehender Parkeinrichtungen, sonstige Maßnahmen zur Entlastung der Straßen vom ruhenden Verkehr und für Maßnahmen des öffentlichen Personenverkehrs.

7

Bauverwaltungsverfahrensrecht

7.1

Behördenaufbau, Zuständigkeiten, Aufgaben, Befugnisse

Die Landesbauordnungen regeln auch das Verfahren für die Genehmigung von baulichen Anlagen und für die Überwachung des Baugeschehens. Diese Vorschriften gehören zum sog. formellen Bauordnungsrecht. In diesem ist das bauordnungsrechtliche Verwaltungsverfahren, namentlich zum Aufbau, zur sachlichen Zuständigkeit sowie zu den Aufgaben und Befugnisse der Bauaufsichtsbehörden normiert. Es dient der Durchsetzung des materiellen Baurechtes durch die Bauaufsichtsbehörden, deren Aufgaben in den einzelnen Landesbauordnungen in der allgemeinen Aufgabenzuweisungsnorm umschrieben sind. Das Bauverwaltungsverfahrensrecht wird durch das jeweilige Verwaltungsorganisations-, Verwaltungsverfahrens-, Datenschutz-, Verwaltungszustellungs-, Verwaltungsvollstreckungs-, Kommunalverfassungs- und Verwaltungsgebührenrecht der einzelnen Länder ergänzt.

83

Vgl. etwa die baden-württembergische Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur über die Herstellung notwendiger Stellplätze (VwV Stellplätze) vom 28. Mai 2015 – AZ.: 41– 2600.0-13/187 –. 84 Vgl. etwa bayerische „Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen sowie über die Zahl der notwendigen Stellplätze (GaStellVO)“ vom 30.11.1993 (GVBl 1993, 310), die zuletzt durch Verordnung vom 25. April 2015 (GVBl. S. 148) geändert worden ist. 85 Vgl. etwa § 48 Abs. 2 BauO NW. 86 Vgl. etwa die „Satzung der Landeshauptstadt München über die Ermittlung und den Nachweis von notwendigen Stellplätzen für Kfz (Stellplatzsatzung – StPlS)“ vom 19.12.2007 (MüABl. Sonder-Nr. 1, S. 1). 87 Vgl. etwa die „Satzung der Stadt Düsseldorf über die Festlegung der Gebietszonen und der Höhe des Geldbetrages nach § 51 Abs. 5 BauO NW-Stellplatzablösungssatzung“ vom 15.07.1996 (ABl. Nr. 30/31 vom 03.08.1996), geändert durch Satzung vom 24.10.2001 (ABl. Nr. 45 vom 10.01.2001).

7.2

Grundsatz der Genehmigungspflicht

Alle Bauordnungen bestimmen, dass die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung baulicher Anlagen grundsätzlich genehmigungspflichtig ist.88 Von dieser Regel gibt es drei Ausnahmen. Eine bauliche Anlage wird nach anderen Vorschriften als der Bauordnung genehmigt, so dass das Baugenehmigungsverfahren verdrängt wird.89

88

§ 60 BauO NW. § 61 BauO NW.

89

68

C.-W. Otto

Eine bauliche Anlage wird in der Bauordnung für verfahrensfrei erklärt, so dass es ohne ein Baugenehmigung realisiert werden darf.90 Eine bauliche Anlage wird nach Durchführung eines Genehmigungsfreistellungsverfahrens von der Genehmigungspflicht befreit.91 Letzteres Verfahren eröffnet den Bauverwaltungen die Möglichkeit, die Durchführung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu verlangen, wenn es eine Prüfung des Vorhabens für erforderlich hält. Da o. g. Regelungen nur die Genehmigungspflicht von Vorhaben betreffen, bleiben die materiellen Anforderungen an die Bauwerke davon unberührt.92 Der Bauherr ist für die Beachtung aller öffentlich-rechtlichen Vorschriften – diese werden ja gerade nicht geprüft – selbst verantwortlich.

7.3

• das vereinfachte oder einfache Baugenehmigungsverfahren,93 das für alle baugenehmigungspflichtigen Vorhaben, außer Sonderbauten, durchgeführt wird. Dieses Verfahren dient dazu, auf einen Bauantrag hin zu prüfen, ob dem Vorhaben von der Bauaufsichtsbehörde in

§ 62 BauO NW. § 62 BauO Bln; § 63 BauO NW; Brandenburg und Baden-Württemberg kennen stattdessen das Anzeigebzw. Kenntnisgabeverfahren. 92 § 59 Abs. 2 und § 61 Abs. 5 BauO Bln, § 60 Abs. 2 BauO NW. 93 § 64 BauO NW, §§ 63, 63a BauO Bln. 91





Bauverwaltungsverfahren

Präventive Bauverwaltungsverfahren bezwecken die Prüfung eines beantragen Vorhabens darauf, ob öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen. Stehen solche Vorschriften nicht entgegen, muss die Bauaufsichtsbehörde die Baugenehmigung erteilen. Es ist von der Behörde nicht zu prüfen, ob das Vorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht. Im öffentlichen Baurecht gilt also der Grundsatz: „Was nicht verboten ist, ist erlaubt.“ Folgende (Verwaltungs-)Verfahren sind in den Bauordnungen normiert:

90





• •

94

diesem Verfahren zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen oder nicht, das Baugenehmigungsverfahren für Sonderbauten,94 in welchem die Bauaufsichtsbehörden umfassend prüft, ob dem beantragten Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen. das Vorbescheidsverfahren,95 bei dem der Bauherr einzelne Fragen zur öffentlich-rechtlichen Zulässigkeit des geplanten baugenehmigungspflichtigen Vorhabens96 stellt. Die von der Bauaufsichtsbehörde im Vorbescheid gegebenen Antworten sind für ein anschließendes Baugenehmigungsverfahren verbindlich, also gleichsam ein vorgezogener Teil der Baugenehmigung. das isolierte Verwaltungsverfahren auf Zulassung einer Abweichung97 oder Ausnahme oder Befreiung98 bei verfahrensfreien oder genehmigungsfreistellungsfähigen Vorhaben zum Zwecke der Außerkraftsetzung einer das Vorhaben hindernden Rechtsvorschrift,99 das bauaufsichtsrechtliche Zustimmungsverfahren bei Vorhaben öffentlicher Bauherren (an Stelle des ansonsten erforderlichen Baugenehmigungsverfahrens),100 das Ausführungsgenehmigungsverfahren bei genehmigungspflichtigen Fliegenden Bauten,101 das Typenprüfverfahren bei Serien- und Systembauten, also bei baulichen Anlagen, die in derselben Ausführung an mehrere Stellen errichtet oder verwendet oder die zwar in

§ 65 BauO NW; § 64 BauO Bln. § 77 BauO NW. 96 In Baden-Württemberg findet das (Bau-)Vorbescheidsverfahren auch bei verfahrensfreien und bei Kenntnisgabevorhaben Anwendung. 97 § 69 BauO NW. 98 § 31 BauGB. 99 § 67 BbgBO. 100 § 79 BauO NW. 101 § 78 BauO NW, wesentliches Merkmal eines Fliegenden Baus ist das Fehlen einer festen Beziehung der Anlage zu einem Grundstück. Der Bau muss dazu bestimmt sein, immer wieder an anderer Stelle aufgebaut zu werden, was etwa auf Fahr-, Schau-, Belustigungs-, Ausspielungs- und Verkaufsgeschäften zutrifft. 95

Bauordnungsrecht

unterschiedlicher Ausführung, aber nach einem bestimmte System und aus bestimmten Bauteilen an mehreren Stellen errichtet werden sollen,102 • die Verfahren auf die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ), auf die Erteilung eines allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses (abP) und auf die Zustimmung im Einzelfall (ZiE) bei nicht geregelten Bauprodukten, also bei Bauprodukten, für die RBt in der BRL A bekannt gemacht sind, die aber von diesen wesentlichen abweichen oder für welche es TB oder allgemein anerkannte RBt nicht gibt.103

8

Baugenehmigungsverfahren und Erteilung der Baugenehmigung

Das Baugenehmigungsverfahren beginnt damit, dass der Bauherr seinen Bauantrag bei der zuständigen Behörde schriftlich einreicht.104 Bauherr ist, wer ein Bauvorhaben, bestehend aus einer baulichen Anlage und ihrer Nutzung, vorbereitet und realisiert.105 Der Bauherr muss nicht der Eigentümer des Baugrundstücks sein. Bauherr kann auch ein Erbbauberechtigter oder ein Pächter oder Mieter sein. Im Bauantrag, der von einem bauvorlageberechtigten Entwurfsverfasser erstellt werden muss,106 wird das Bauvorhaben nach Maßgabe der Bauvorlagenverordnung exakt beschrieben und bezeichnet. Dazu gehört die Darstellung des Bauwerks von Innen und Außen, der einzelnen Ebenen und Geschosse, die Bau- und Betriebsbeschreibung sowie die genau Lage des Bauwerks auf dem Baugrundstück, gezeichnet auf einem amtlichen Lageplan. Auf dem amtlichen Lageplan werden insbesondere die Grundstücksgrenzen, die Gebäudegrenzen, die Abstandsflächen, die Zufahrten, die Versorgungsleitungen und die Flächen, die mit Baulasten belastet sind,

69

von einem öffentlich bestellten Vermessungsingenieur eingezeichnet. Der Bauherr muss zur Vorbereitung, Überwachung und Ausführung eines genehmigungsbedürftigen Vorhabens weitere Personen mit besonderen Kenntnissen bestellen, soweit er nicht selbst die erforderliche Sachkunde und Erfahrung besitzt.107 Dies sind in der Regel der Entwurfsverfasser, der Unternehmer und der Bauleiter. Nach Eingang des Bauantrags bei der Bauaufsichtsbehörde prüft diese die Vollständigkeit des Bauantrags und bearbeitet diesen weiter, wenn er vollständig und mangelfrei ist. Ist der Bauantrag jedoch unvollständig oder mangelhaft, fordert sie den Bauherrn auf, die Mängel innerhalb einer angemessenen Frist zu beheben.108 Sobald die Bauantragsunterlagen vollständig sind, hat die Bauaufsichtsbehörde die Fachbehörden und die Standortgemeinde zu beteiligen, wenn deren Beteiligung oder Anhörung für die Entscheidung über den Bauantrag durch Rechtsvorschrift vorgeschrieben ist oder wenn die Bauaufsichtsbehörde ohne deren Stellungnahme nicht beurteilen kann, ob die Baugenehmigung erteilt werden kann. Von herausragender Bedeutung im Genehmigungsverfahren ist die Beteiligung der Gemeinde. Deren Beteiligung am Baugenehmigungsverfahren ist in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB vorgeschrieben • bei der Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans (§ 31 BauGB), • bei der Genehmigung eines Vorhabens während der Planaufstellung (§ 33 BauGB), • bei Vorhaben im nicht beplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) und • bei Vorhaben im Außenbereich (§ 35 BauGB). Nur wenn die Gemeinde zugleich auch als Genehmigungsbehörde fungiert, bedarf es ihrer förmlichen Beteiligung nicht.109

102

§ 66 BauO NW; § 59 HessBO. §§ 21 ff. BauO NW. 104 § 70 BauO NW. 105 Vgl. zu den Pflichten des Bauherrn § 56 BauO NW. 106 § 67 BauO NW. 103

107

§ 53 BauO NW. § 71 BauO NW. 109 Vgl. BVerwG, NVwZ 2005, 83. 108

70

Den zu beteiligenden Behörden ist zur Beschleunigung des Verfahrens eine Bearbeitungsfrist gesetzt. Die Frist für die Beteiligung der Gemeinde nach § 36 Abs. 2 BauGB soll zugleich sicherstellen, dass die Gemeinde ausreichend Zeit erhält, ein unerwünschtes, aber rechtmäßiges Vorhaben durch die Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens und der Sicherung dieses Verfahren durch die Aufstellung einer Veränderungssperre (vorläufig) bzw. die Zurückstellung des Bauantrags gem. § 15 BauGB zu verhindern.110 Erklärt sich die Gemeinde nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens, so gilt das Einvernehmen als erteilt.111 Diese Frist kann nicht verlängert werden.112 In einigen Ländern darf die Baugenehmigung nur erteilt werden, wenn die anderweitig erforderlichen Genehmigungen, Erlaubnisse usw. vorliegen, sog. Schlusspunkttheorie.113 Sollten diese nicht vorliegen, muss die Bauaufsichtsbehörde den Bauherrn ggf. darauf hinweisen, die erforderlichen Anträge zu stellen. Derartige Genehmigungen oder Erlaubnisse können z. B. die wasserrechtliche Erlaubnis, die naturschutzrechtliche Ausnahme oder Befreiung, die abfallrechtliche Genehmigung oder die denkmalschutzrechtliche Erlaubnis sein. Dieses Prozedere ist entbehrlich, soweit diese Erlaubnisse und Genehmigungen nicht gesondert eingeholt werden müssen, wenn sie mit der Baugenehmigung erteilt werden.114 Bei gewerberechtlichen, etwa gaststättenrechtlichen Erlaubnissen ist dies jedoch niemals der Fall, weil sie eine personenbezogene Konzession und keine anlagenbezogene Genehmigung sind, so dass sie für das Baugenehmigungsverfahren ohne Bedeutung bleiben.115 Am Baugenehmigungsverfahren ist auch der Nachbar zu beteiligen, soweit dieser durch die Genehmigung in seinen Belangen berührt sein

110

Vgl. VGH Mannheim BauR 2003, 1345. § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB. 112 Vgl. BVerwG NVwZ 1997, 900. 113 Vgl. § 72 Abs. 1 Satz 1 BremBO, § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ThürBO, § 70 Abs. 1 BauORP. 114 § 20 BbgDSchG. 115 Vgl. VGH Mannheim NVwZ 1990, 1094. 111

C.-W. Otto

kann.116 Vorgesehen ist die Beteiligung des Nachbarn bei beantragten Abweichungen bzw. Befreiungen, „wenn zu erwarten ist, dass öffentlichrechtlich geschützte nachbarliche Belange berührt werden“. Nachbarn sind die Eigentümer benachbarter oder angrenzender Grundstücke (Nachbarn, Angrenzer = Eigentümer des unmittelbar angrenzenden Nachbargrundstücks). Benachbarte Grundstücke sind darüber hinaus diejenigen Grundstücke, die von dem Bauvorhaben und seinen Auswirkungen tatsächlich betroffen sind, ohne dass es darauf ankommt, ob sie unmittelbar an das Baugrundstück angrenzen. Wenn die Beteiligung des Nachbarn in der Bauordnung nicht geregelt ist, gelten die Vorschriften in § 13 VwVfG. Die Beteiligung ist danach zwingend, wenn die Baugenehmigung eine Doppelwirkung besitzt, also nicht nur den Bauherrn begünstigt, sondern zugleich auch den oder die Nachbarn belastet. Im Baugenehmigungsverfahren wird die Öffentlichkeit regelmäßig nicht beteiligt, ihr also keine Gelegenheit zur Akteneinsicht und zur Stellungnahme gegeben. Etwas anderes gilt nur, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Vornehmlich ist dies möglich, wenn Gegenstand des Bauantrags ein Bauvorhaben ist, das nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist. Bei der Umweltverträglichkeitsprüfung handelt es sich um eine in das jeweilige Genehmigungsverfahren integrierte Prüfung der Umwelt-Auswirkungen eines Vorhabens. Zentraler Verfahrensschritt der Umweltverträglichkeitsprüfung ist die Beteiligung der Öffentlichkeit. Die Beteiligung der Öffentlichkeit kann auch infolge der Vorgaben der Seveso-III-Richtlinie vorgeschrieben sein, wenn ein Störfallbetrieb oder eine schutzbedürftige bauliche Anlage in der Nähe eines sog. Störfallbetriebs geplant ist.117 Hat die Behörde alle Beteiligungsverfahren durchgeführt, liegen ihr die Stellungnahmen der Behörden und Ämter vor oder sind die Fristen für die Abgabe der Stellungnahmen abgelaufen, ent-

116

§ 72 BauO NW. § 70 Abs. 4 BbgBO/BauO Bln.

117

Bauordnungsrecht

scheidet die Behörde über den Bauantrag. Dabei befindet sie auch über beantragte Ausnahmen und Befreiungen gemäß § 31 BauGB sowie Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Anforderungen,118 wenn diese nicht bereits isoliert gewährt wurden. Sie erteilt oder versagt dann die Baugenehmigung und entscheidet zugleich über die Verwaltungsgebühren nach dem Gebührenrecht des Landes. Die Baugenehmigung ist ein Verwaltungsakt im Sinne von § 35 VwVfG. Sie wird in der Regel mit Nebenbestimmungen, die oft als „Hinweise“, „Bedingungen“ oder „Auflagen“ bezeichnet werden, versehen.119 Die Erteilung der Baugenehmigung ist nicht in das Ermessen der Behörde gestellt. Diese muss vielmehr die Genehmigung erteilen, wenn dem beantragten Bauvorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, nicht entgegenstehen.120 Die Erteilung der Baugenehmigung ist also eine gebundene Entscheidung. Der Behörde steht ein Ermessen nur zu bei der Entscheidung über die Erteilung von Ausnahmen, Befreiungen oder Abweichungen. Sie hat dabei ihr Ermessen gem. § 40 VwVfG entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben. Die Befugnis der Bauaufsichtsbehörde, die Genehmigungsvoraussetzungen zu prüfen, steht nach dem staatlichen Kompetenzgefüge unter dem Vorbehalt der Kompetenzen anderer Behörden. Die Sachentscheidungsbefugnis der Baugenehmigungsbehörde endet dort, wo anderen Behörden fachgesetzlich spezielle Genehmigungsvorbehalte zugewiesen sind.121 Je nach dem Umfang dieser Zuweisungen ist die Sachentscheidungskompetenz der Bauaufsichtsbehörde in Bezug auf das Fachrecht ganz ausgeschlossen oder darauf gerichtet festzustellen, ob Genehmigungen anderer Behörden erforderlich sind und ggf. vorliegen. Soweit eine Verknüpfung der verschiedenen Genehmigungen in der Bau-

118

§ 67 BbgBO/BauO Bln. Nebenstimmungen sind in § 36 VwVfG definiert. 120 § 71 Abs. 1 ThürBO. 121 Vgl. etwa § 10 BImSchG.

71

ordnung nicht vorgeschrieben ist, hängt die Erteilung der Baugenehmigung nicht davon ab, dass bereits alle anderen erforderlichen Genehmigungen vorliegen. Die Baugenehmigung kann auch unter der aufschiebenden Bedingung erteilt werden, dass die anderen noch erforderlichen Genehmigungen, Erlaubnisse usw. beigebracht werden (sogenannte modifizierte Schlusspunkttheorie). In einigen Bundesländern ist das Verhältnis zwischen der Baugenehmigung und anderen Genehmigungen jedoch dadurch aufgelöst worden, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Baugenehmigung eingegrenzt sind, indem es für die Erteilung der Baugenehmigung nur noch darauf ankommt, dass die „öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind“, bzw. die „von der Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften“ dem Vorhaben nicht entgegenstehen. Durch die Baugenehmigung wird also die Rechtmäßigkeit des Vorhabens in Abhängigkeit von dem gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungs- und Sachentscheidungsumfang festgestellt. Die Baufreigabe, also die Zulässigkeit des Baubeginns, geht nicht mehr automatisch mit der Erteilung der Baugenehmigung einher. Die Baugenehmigung wird schriftlich erteilt. Sie setzt sich zusammen aus dem Bauschein und den geprüften Antragsunterlagen. Der Bauherr erhält den Bauschein zusammen mit einer Ausfertigung der Bauvorlagen, die mit einem Genehmigungsvermerk versehen sind. Die genehmigten Bauvorlagen können sogenannte Grüneintragungen und -vermerke enthalten. Dabei handelt es sich um mit grüner Tinte vorgenommene Korrekturen und geringfügige Änderungen der Vorlagen, wenn die Behörde vermuten darf, dass der Bauherr diesen Änderungen zustimmt, um die Versagung der Genehmigung zu vermeiden. Die Baugenehmigung wird mit ihrer Bekanntgabe wirksam.122 Die (positive) bauaufsichtliche Genehmigung regelt nicht nur, dass ein bestimmtes Bauvorhaben ausgeführt werden darf. Neben diesem gestattenden Teil (Baufreigabe) hat die Baugenehmigung die verbindliche Feststellung der Vereinbarkeit

119

122

§§ 41, 43 Abs. 1 VwVfG.

72

des genehmigten Bauvorhabens mit den zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Inhalt.123 Da die Baugenehmigung ein Verwaltungsakt ist, sind die Baugenehmigungsbehörde und andere Behörde an die Baugenehmigung gebunden. Sie sind der feststellenden Wirkung der Baugenehmigung unterworfen, so dass sie in ihren Entscheidungen keine davon abweichenden Feststellungen treffen dürfen. Wenn die Baugenehmigung nicht durch die Anfechtung eines Dritter aufgehoben ist, kann nur die Bauaufsichtsbehörde durch Rücknahme oder Widerruf der Baugenehmigung (vgl. §§ 48 f. VwVfG) deren Bindungswirkung beseitigen. Soweit also die Behörde die Zulässigkeit des Vorhabens nicht zu prüfen hat, besitzt die Baugenehmigung keine legalisierende Wirkung. Zudem erlaubt die Baugenehmigung, mit dem Bau beginnen zu dürfen (Baufreigabe – verfügender Teil). Diese Erlaubnis kann unter dem Vorbehalt stehen, dass andere Erlaubnisse und Genehmigungen noch eingeholt werden müssen. In den Bauordnungen ist die Geltungsdauer der noch nicht ausgenutzten Baugenehmigung begrenzt. Die Geltungsdauer liegt zwischen zwei Jahren in Berlin124 und 6 Jahren in Brandenburg.125 Die Geltungsdauer kann durch einen vor Ablauf der Geltungsdauer gestellten Antrag verlängert werden. Die Baugenehmigung erlischt, wenn innerhalb der jeweils vorgegebenen Geltungsdauer mit der Ausführung des Vorhabens nicht begonnen oder die Ausführung des rechtzeitig begonnenen Vorhabens ein Jahr oder länger unterbrochen worden ist. Ist die Baugenehmigung ausgenutzt worden, also das Bauwerk baugenehmigungskonform hergestellt worden, gilt die Baugenehmigung so lange, wie das genehmigte Vorhaben besteht. Dies gilt auch für den Fall, dass das Bauwerk veräußert wird.

123 BVerwG Beschluss vom 14.06.2011 – 4 B 3/11 –; VGH Mannheim Urt. v. 27.10.2000 – 8 S 445/00–, BauR 2001, 616. 124 § 73 BauO Bln. 125 § 73 BbgBO, eine Verlängerung der Geltungsdauer ist in Brandenburg nicht möglich.

C.-W. Otto

9

Repressive Bauverwaltungsverfahren

Repressive Bauverwaltungsverfahren sind aufgrund besonderer Befugnisnormen insbesondere • das (Bauarbeiten-)Einstellungsverfahren (einschließlich Baustellenversiegelung und amtliche Ingewahrsamnahme von Baustellengegenständen),126 • das Verfahren auf Untersagung unrechtmäßig gekennzeichneter Bauprodukte,127 • das Verfahren auf Abbruch bzw. Beseitigung von Anlagen (Abbruchs-, Beseitigungsanordnungsverfahren),128 • das Verfahren auf Untersagung der Nutzung von illegalen baulichen Anlagen (Nutzungsuntersagungsverfahren),129 • alle Verfahren aufgrund der allgemeinen Befugnisnorm, wonach die Bauaufsichtsbehörden alle Maßnahmen treffen dürfen, die zur Wahrnehmung ihrer (Bauaufsichts-)Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen entsprechend dem Opportunitätsprinzip erforderlich sind bzw. erforderlich erscheinen.130 Als Regelungsadressaten (Störer) kommen die am Bau Beteiligten (Bauherren, Planverfasser, Unternehmer, Bauleiter) und im Übrigen die Handlungs- und die Zustandsstörer im polizeirechtlichen Sinne in Betracht. Das bauordnungsrechtliche Eingriffsermächtigungssystem ist abschließend. Ein Rückgriff auf das allgemeine Ordnungsbehördenoder Polizeirecht ist nur erlaubt, soweit dies in der Bauordnung vorgesehen ist.

126

§ 79 BauO Bln, § 82 BauO NW. § 80 BauO NW. 128 § 82 BauO NW; In der Regel rechtfertigt die Erfüllung des Tatbestandes der formellen Illegalität einer Anlage den Erlass einer Beseitigungsverfügung, wenn die Beseitigung der Anlage ohne Substanzverlust möglich ist, (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 06.09.2018 – OVG 10 N 14.18 –). 129 § 80 Abs. 2 BauO Bln; in der Regel rechtfertigt die formelle Illegalität die Nutzungsuntersagung. 130 § 58 Abs. 1 Satz 5 BauO Bln; § 58 Abs. 2 Satz 2 BauO NW. 127

Bauordnungsrecht

10

Abweichungen

Von den Anforderungen des materiellen Bauordnungsrechts muss in der Praxis oftmals abgewichen werde, um Bauvorhaben an schwer oder gar nicht überwindbaren Hindernissen des materiellen Rechts nicht scheitern zu lassen und ein unter Gesichtspunkten der Nutzung und Wirtschaftlichkeit sachgerechtes Ergebnis zu erzielen. Mit Abweichungen können jedoch unbillige Härten für den Bauherrn vermieden werden. So kommt die Zulassung einer Abweichung in Betracht, wenn bei vorhandener älterer Bausubstanz aus Gründen des Brandschutzes nachträglich ein 2. Rettungsweg (z. B. durch eine Notleiter mit Rückenschutz oder eine Spindeltreppe) anzulegen ist, der bautechnisch nicht ohne Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht realisierbar ist.131 Eine unbillige Härte liegt in der Regel aber nicht vor, wenn der Bauherr zunächst abweichend von den bauordnungsrechtlichen Anforderungen baut und seinen Bau im Nachhinein durch eine Abweichung legalisieren lassen will. Abweichungen sind nicht dazu gedacht, baurechtswidrige Zustände zu legalisieren. Durch derartige Abweichungen wird zugunsten des Bauherrn und gelegentlich auch zu Lasten des Nachbarn das materielle Recht geändert. Die Behörden werden durch die Bauordnungen ermächtigt, von den Anforderungen der Bauordnung und der auf Grund der Bauordnung erlassener Vorschriften (Rechtsverordnungen, örtlichen Bauvorschriften) Abweichungen zuzulassen, wenn die Abweichung unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.132 Die Erteilung einer Abweichung ist in das Ermessen der Behörde gestellt (vgl. § 40 VwVfG und § 114 VwGO). Die Abweichung setzt nicht voraus, dass der Zweck der Anforderung, von der abgewichen wird, auf andere Weise, also durch eine alternative technische oder rechtliche Lösung entsprochen wird. Auch dürfen nachbarliche Inte-

131

Vgl. OVG Münster BauR 2009, 631. § 69 BauO NW, § 67 BauO Bln/BbgBO; s. a. spezielle Abweichungsermächtigungen etwa in § 6 Abs. 11 BauO Bln und § 3 Abs. 3 BauO Bln/BbgBO.

132

73

ressen und Belange beeinträchtigt werden. Diese Belange und Interessen brauchen nur gewürdigt, nicht beachtet zu werden. Einer nachbarlichen Zustimmung bedarf es nicht.

11

Baulasten

Die öffentliche Baulast ist ein eigenständiges Rechtsinstitut des Landesrechtes;133 bundesrechtliche Baulasten gibt es nicht.134 Die Baulast begründet öffentlich-rechtliche Verpflichtungen des Grundstückseigentümers gegenüber der Bauaufsichtsbehörde und zwar unabhängig von den privatrechtlichen Beziehungen. Gegenstand der Baulast ist die Erklärung des Grundstückseigentümers gegenüber der (zuständigen) Bauaufsichtsbehörde zu einem ihn verpflichtenden Tun, Dulden oder Unterlassen in Bezug auf sein Grundstück. Die Baulasterklärung ist eine amtsempfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Baulasten dienen als Instrument des Bauaufsichtsrechts dazu, bauordnungsrechtliche (Vorhaben-)Hindernisse auszuräumen.135 Sie schaffen einen Zulassungstatbestand und können z. B. eine Befreiung (Dispens) von bauordnungsrechtlichen Vorschriften entbehrlich machen. Sie verändern und sichern tatsächliche Verhältnisse zugunsten des Bauherrn und unter Umständen zum Nachteil eines Baunachbarn, nicht aber das geltende Recht. Sie ähneln der Grunddienstbarkeit (§ 1018 BGB).136

133

BVerwG NJW 1983, 480. Den Ländern steht es frei, besondere bauordnungsrechtliche Anforderungen an das Baugrundstück zu stellen und es insoweit abweichend vom bundesrechtlichen Grundstücksbegriff zu definieren. Die Länder sind daher nicht gehindert, als Grundstück im bauordnungsrechtlichen Sinne auch mehrere durch eine Vereinigungsbaulast zusammengehaltene Grundstücke gelten zu lassen. Der städtebaurechtliche Grundstücksbegriff kann indessen durch (landesrechtliche) Baulasten nicht verändert werden (BVerwG NJW 1991, 2783). 135 VGH Mannheim NVwZ-RR 2007, 662; VGH Mannheim Beschl. vom 24.01.2011 – 8 S 545/10. 136 Art. 74 Nr. 1 GG und die §§ 1018, 1090 BGB versagen dem Landesgesetzgeber nicht den Erlass öffentlich-rechtlicher Baulastvorschriften im Rahmen des Bauordnungsrechtes (BVerwG NJW 1991, 713). 134

74

Die Baulast kann grundstücksbezogen oder vorhabenbezogen in dem Sinne erteilt werden, dass sie nur ein konkretes Vorhaben absichern soll137 oder allgemein die Nutzung eines Grundstücks auch in bebauungsrechtlicher Hinsicht.138 Eine Baulast kann grundsätzlich auch auf Vorrat übernommen werden.139 In jedem Fall muss die aus der Baulast resultierende Verpflichtung für den Eigentümer des belasteten Grundstücks exakt ermittelbar sein.140 Baulasten dienen vor allem der Übernahme von Abstandsflächen oder der Sicherung von Zufahrten und Zugängen sowie von Flächen für Stellplätze. Bei einer die Grundstücksgrenze überschreitenden Bebauung ist eine Vereinigungsbaulast erforderlich. Baulasten können auf dem Gebiet des Städtebaurechtes Anlass und Grund sein für die Befreiung von Festsetzungen einer städtebaurechtlichen Satzung.141 Eine Vereinigungsbaulast zur Modifizierung der Grundflächen- oder Geschossflächenzahl ist indes nicht zulässig.

OVG Münster, Beschl. vom 07.12.2009 – 7 A 3150/08 -; vgl. auch OVG Münster Beschl. vom 08.02.2011 – 7 B 63/11. 138 OVG Schleswig Beschl. v. 23.02.2017 – 1 LA 11/16. 139 VGH Mannheim BauR 2005, 1908. 140 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.07.2018 – OVG 2 S 50.17. 141 BVerwG NJW 1991, 2783. 137

C.-W. Otto

Literatur Otto C-W (2008) Klimaschutz und Energieeinsparung im Bauordnungsrecht der Länder. ZfBR:550–556 Otto C-W (2016) Brandenburgische Bauordnung 2016 Kommentar, 4. Aufl.

Raumrelevantes Umweltrecht Hans Walter Louis

Inhalt 1 Umweltverträglichkeitsprüfung und Umweltprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2 Naturschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3 Bauleitplanung und Wasserwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 4 Bauleitplanung und Lärmschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5 Luftreinhaltung und Klimaschutz in der Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Durch die Bauleitplanung wird die bauliche Nutzung von Grundstücken geregelt. Sie findet auf der Ebene der Gemeinden statt. Je mehr Bedeutung der Umweltschutz gesellschaftlich gewonnen hat, umso mehr wurde er auch auf der Ebene der Bauleitplanung relevant. Zunächst wurden umweltrechltiche Regelungen ergriffen, die auch dem Schutz der Bevölkerung dienten. Dann wurden durch die Umweltprüfung alle Aspekte des Umweltschutzes abwägungsrelevant. Schließlich wurden auch naturschutzrechtliche Verbote für die Bauleitplanung beachtlich und letztlich auch der Klimaschutz.

1

Umweltverträglichkeitsprüfung und Umweltprüfung

Die auf europäischen Richtlinien beruhende Umweltverträglichkeitsprüfung für Projekte1 und die strategische Umweltprüfung für Pläne,2 im Bauplanungsrecht Umweltprüfung genannt, vermitteln zunächst einen unzutreffenden Eindruck. Die Richtlinien verlangen die Darstellung der Auswirkungen eines Projekts oder Plans auf die

1

H. W. Louis (*) Institut für Rechtswissenschaften, TU Braunschweig, Braunschweig, Deutschland E-Mail: [email protected]

RICHTLINIE 2011/92/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, Abl. EU 2012 DE L 26/1; DIRECTIVE 2011/92/EU OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL of 13 December 2011 on the assessment of the effects of certain public and private projects on the environment, Abl. EU EN 26/1. 2 RICHTLINIE 2001/42/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, Abl. EU L DE 197/30.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K. J. Beckmann (Hrsg.), Raumplanung, Stadtentwicklung und Öffentliches Recht, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27918-9_69

75

76

H. W. Louis

Umwelt. Die englischen Versionen der Richtlinien sprechen von „assessment“, was statt mit Prüfung eher mit Beschreibung zu übersetzen ist. Es findet keine eigentliche Prüfung statt, vielmehr werden die Auswirkungen des Projekts oder des Plans auf die Umwelt dargestellt. Die Zulässigkeit der Maßnahmen ergibt sich aus materiellem Recht (Baurecht, Wasserrecht, Naturschutzrecht), nicht aber aus Regelungen über die Umweltprüfung. Es gibt eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Vorhaben und Pläne, wobei die Prüfung für Pläne als strategische Umweltprüfung oder nur als Umweltprüfung bezeichnet wird.

1.1

Die Umweltverträglichkeitsprüfung für Projekte

Die Pflicht zu einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht für alle Anlagen, die im Anhang 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)3 aufgeführt sind. Anlage 1 UVPG hat 2 Spalten. Ist ein Vorhaben in Spalte 1 mit einem „X“ versehen, so ist immer eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Wird ein Vorhaben in Spalte 2 mit einem „A“ oder einem „S“ gekennzeichnet, ist gemäß § 7 Abs. 1 oder 2 UVPG eine allgemeine (A) oder eine standortbezogene (S) Vorprüfung im Einzelfall anhand der Kriterien der Anlage 3 UVPG durchzuführen.

1.2

Die Umweltprüfung für Pläne

Eine strategische Umweltprüfung ist für alle Pläne vorgeschrieben, die in Anhang 5 UVPG aufgeführt sind. Weitere UVP-Pflichten finden sich in den jeweiligen Landes-UVPG. Die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Umweltprüfung sind ein unselbstständiger Teil des Zulassungsverfahrens für Vorhaben und des Aufstellungsverfahrens für Pläne. Umweltverträglichkeitsprüfung und Umweltprüfung bedürfen immer einer Beteiligung der Öffentlichkeit. In Anlage Nr. 1.8 UVPG werden Bauleitplanungen der §§ 6 und 10 BauGB einer

strategischen Umweltprüfung unterworfen. Nach § 50 Abs. 2 UVPG wird die strategische Umweltprüfung im Bauleitplanverfahren als Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB durchgeführt. Vorgaben für die Umweltprüfung finden sich in Anlage 1 BauGB, die auch Vorgaben für den Umweltbericht nach § 2a und die Überwachung nach § 4c BauGB enthält.

1.3

Vorgaben für die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Umweltprüfung

Umweltverträglichkeitsprüfung und Umweltprüfung umfassen im Wesentlichen folgende Schritte • Festlegung des räumlichen und inhaltlichen Untersuchungsrahmens und Bestimmung der in den Umweltbericht aufzunehmenden Informationen unter Beteiligung anderer Behörden mit umweltbezogenem Aufgabenbereich, • Erarbeitung eines Umweltberichts, in dem unter anderem der bisherige Zustand des betroffenen Raums darzustellen und die voraussichtlichen erheblichen Auswirkungen der Planung sowie vernünftiger Planungsalternativen auf verschiedene Schutzgüter der Umwelt strukturiert zu erfassen und zu bewerten sind, • Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung sowie ggf. grenzüberschreitende Beteiligung, • Berücksichtigung des (ggf. überarbeiteten) Umweltberichts sowie der im Beteiligungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen bei der planerischen Abwägung und Entscheidung, • Bekanntgabe des Raumordnungsplans (einschl. Begründung) mit Dokumentation der Umweltprüfung in Form einer zusammenfassenden Erklärung (s. Nr. 4.3.6) und Benennung späterer Überwachungsmaßnahmen, • Überwachung der Auswirkungen der Plandurchführung auf die Umwelt.4 Stehen Pläne und Vorhaben in einem hierarchischen Verhältnis so findet eine abgeschichtete Um-

3

Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. September 2017 (BGBl. I S. 3370).

4

Nach Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz nud Landesentwicklung, NROG Arbeitshilfe, Punkt 4.3.1.

Raumrelevantes Umweltrecht

weltprüfung statt, d. h. nicht auf jeder Ebene muss eine umfassende Prüfung aller Umweltauswirkungen mit vollständiger Daten- und Informationsermittlung erfolgen. Die Abschichtungsmöglichkeit für die Bauleitplanung im Verhältnis zur Raumordnung und zwischen Flächennutzungsplan und Bebauungsplan eröffnet § 2 Abs. 4 S. 5 BauGB. Anlage 1 Nr. 18.1. bis 18.9. UVPG schreibt für bestimmte Bauvorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung vor. Nach § 50 UVPG wird diese Umweltverträglichkeitsprüfung durch die Umweltprüfung ersetzt, die nach § 2 Abs. 4 BauGB für jeden Bebauungsplan durchzuführen ist. Keiner Umweltprüfung unterliegen Bebauungspläne, die nach § 13 BauGB im vereinfachten Verfahren ergehen können, Bebauungspläne der Innenentwicklung nach § 13a BauGB und für die Einbeziehung von Außenbereichsflächen in einem Bebauungsplan nach § 13b BauGB.

2

Naturschutzrecht

2.1

Bauleitplanung

Die Nutzung von Grundstücken wird durch die Bauleitplanung gesteuert.5 Die vorbereitende Bauleitplanung erfolgt über den Flächennutzungsplan. Dieser Plan stellt für das gesamte Gemeindegebiet die beabsichtigte städtebauliche Entwicklung und die sich daraus ergebende Art der Bodennutzung dar. Der gemeindeweite Flächennutzungsplan kann durch Teilpläne geändert werden. Er ist, anders als der Bebauungsplan, nicht rechtsverbindlich. Durch § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB wird dem Flächennutzungsplan für Vorhaben im Außenbereich rechtliche Verbindlichkeit eingeräumt, indem Vorhaben unzulässig sind, die den Darstellungen des Flächennutzungsplans widersprechen. Nach § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB können über den Flächennutzungsplan Regelungen für privilegierte Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nrn. 2 bis 6 BauGB getroffen werden, durch die solche Vorhaben auf bestimmten Flächen zulässig und damit außerhalb dieser Flächen unzulässig sind. Im Übrigen konkretisiert der Flächennutzungsplan Belange des Städtebaus für andere Planungen.

5

S. im Einzelnen unter 6.3.2.1.

77

Der verbindliche Bauleitplan ist der Bebauungsplan. Er wird als Satzung verabschiedet und legt nach § 8 Abs. 1 BauGB rechtsverbindliche Vorgaben für die städtebauliche Ordnung fest. Da er nur einen Teil des Gemeindegebiets abdeckt, muss nach § 9 Abs. 7 BauGB der räumliche Geltungsbereich festgelegt werden. Nach § 9 Abs. 8 BauGB ist ihm eine Begründung beizufügen, die nicht Teil der Satzung ist, aber mit ihr zusammen beschlossen wird. Sie soll die Rechtskontrolle des Planes ermöglichen, insbesondere die Abwägung. Die Begründung verdeutlicht die Festsetzungen des Bebauungsplans und bietet eine Hilfe zu seiner Auslegung. Der Bebauungsplan ist gemäß § 8 Abs. 2 BauGB aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln, wobei dies auch in einem Parallelverfahren möglich ist, bei dem Flächennutzungsplan und Bebauungsplan gleichzeitig aufgestellt werden. Der Bebauungsplan kann sogar vor dem Flächennutzungsplan verabschiedet werden, wenn zu erwarten ist, dass er den künftigen Darstellungen des Flächennutzungsplans entspricht. Ein Bebauungsplan, der nicht aus dem Flächennutzungsplan entwickelt ist, • ein Bebauungsplan für die Ordnung der städtebaulichen Entwicklung reicht (§ 8 Abs. 2 S. 2 BauGB), • im Parallelverfahren der Bebauungsplan vor dem Flächennutzungsplan verabschiedet wird (§ 8 Abs. 3 S. 2 BauGB) oder • der Bebauungsplan vor einem Flächennutzungsplan aufgestellt wird, weil dringende städtebauliche Gründe dies erfordern (§ 8 Abs. 4 BauGB), bedarf nach § 10 Abs. 2 BauGB der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde.

2.2

Ausgleich für Beeinträchtigungen der Belange von Natur und Landschaft

Werden durch einen Bauleitplan Eingriffe in Natur und Landschaft vorbereitet, so ist für den erforderlichen Ausgleich in der Abwägung über den Bauleitplan zu entscheiden. Hinsichtlich der Definition des Eingriffs sowie der möglichen Kompensation ist auf die Vorgaben der §§ 14, 15 BNatSchG zu verweisen.

78

Nach § 14 Abs. 1 BNatSchG ist ein Eingriff die Veränderung der Gestalt oder Nutzung einer Grundfläche, die zu erheblichen Beeinträchtigungen der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbilds führen kann. Liegt ein Eingriff vor, so ist er zunächst zu vermeiden oder zu vermindern. Ist das nicht möglich, ist der Eingriff auszugleichen, indem die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts oder des Landschaftsbilds gleichartig oder gleichwertig wiederhergestellt werden. Im Baurecht steht gemäß § 200a BauGB der Ausgleich dem Ersatz gleich und wird umfassend als Ausgleich bezeichnet. Während in der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung früher Ausgleich vor Ersatz erfolgen musste, besteht diese Hierarchie im Bauplanungsrecht nicht. Ab dem 1. März 2010 ist der Vorrang des Ausgleichs vor dem Ersatz auch im Naturschutzrecht gemäß der §§ 13, 15 Abs. 2 BNatSchG entfallen. Gemäß § 15 Abs. 2 BNatSchG ist Ausgleich die gleichartige Kompensation der Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft, während Ersatz eine gleichwertige Kompensation darstellt, die zudem im betroffenen Naturraum stattzufinden hat. § 200a S. 2 BauGB legt hingegen fest, dass „ein unmittelbarer räumlicher Zusammenhang zwischen Eingriff und Ausgleich nicht erforderlich ist, „soweit dies mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und den Zielen der Raumordnung sowie des Naturschutzes und der Landschaftspflege“ vereinbart werden kann. Somit ist die Bauleitplanung an die Vorgabe eines Ersatzes „im betroffenen Naturraum“ nicht gebunden.6 Auch die Vorgaben des § 15 Abs. 3 BNatSchG hinsichtlich der Inanspruchnahme land-, forst- und fischereiwirtschaftlich genutzter Flächen gelten gemäß § 1a Abs. 4 S. 4 BauGB. Diese Überlegungen sind in die Abwägung nach § 1 Abs. 6 Nr. 8 b) BauGB einzubeziehen. Die Möglichkeit, gemäß § 15 Abs. 2 S. 3 BNatSchG als Kompensationsmaßnahmen • Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen in nationalen Schutzgebieten, • Maßnahmen gemäß den Bewirtschaftungsplänen für Natura 2000-Gebiete,

H. W. Louis

• Maßnahmen für die Kohärenz von Natura 2000-Gebiete im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung, • vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen nach Artenschutz oder • Maßnahmen gemäß den Maßnahmeprogrammen der WRRL festzulegen, gilt auch für den Ausgleich nach § 200a BauGB. Bei diesen Vorgaben handelt es sich letztlich um die Beschreibung von Maßnahmen, die als Ausgleich oder Ersatz anerkannt werden können. Der erforderliche Ausgleich für zu erwartende Eingriffe durch die Bauleitplanung kann im Flächennutzungsplan bereits vorgesehen werden, vor allem, wenn Flächen für den Ausgleich für mehrere Baugebiete genutzt werden sollen. Ist der Ausgleich im Flächennutzungsplan nicht berücksichtigt, hat er spätestens im Bebauungsplan zu erfolgen. Stellt sich heraus, dass der Ausgleich auf dieser Ebene nicht angemessen berücksichtigt werden kann, berechtigt das nicht zu einer Reduzierung des Ausgleichs in der Abwägung. Der mangelhafte Flächennutzungsplan rechtfertigt dies nicht, ggf. ist er anzupassen. Der Ausgleich kann auf den Bauflächen, im gleichen Bebauungsplan oder in einem gesonderten Bebauungsplan festgesetzt werden. Entscheidend ist die Konzeption der Gemeinde. Wird der Ausgleich nicht auf dem Baugrundstück festgesetzt, müssen die Eingriffsflächen den Ausgleichsflächen zugeordnet werden; nur dann können die Maßnahmen von der Gemeinde mit dem Bauherrn abgerechnet werden. Ein Bebauungsplan ist aus dem Flächennutzungsplan entwickelt, wenn er dessen Darstellungen konkret gestaltet und zugleich verdeutlicht. Dabei kann von den Darstellungen des Flächennutzungsplans abgewichen werden, wenn dies auf Grund der konkreteren Planungsstufe gerechtfertigt ist und die Grundkonzeption der Planung unberührt bleibt. Hierzu gehört die Einhaltung der Zuordnung der Bauflächen zueinander und zu den von Bebauung freizuhaltenden Gebieten.7 Das Entwicklungsgebot gilt auch für den festgesetzten Ausgleich nach der Eingriffsregelung.8 Wer-

6

So auch Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, Kommentar zu Baugesetzbuch, 96. Erg. Lieferung 2010, § 200a, Rn. 12.

7

BVerwG, UPR 1999, 271, 272. Siehe im Einzelnen unter B 3.

8

Raumrelevantes Umweltrecht

den Maßnahmen oder Flächen für Maßnahmen zum Ausgleich innerhalb des Bebauungsplans auf den Baugrundstücken oder auf sonstigen Flächen im Bebauungsplan festgesetzt, bedarf es keiner entsprechenden Darstellungen im Flächennutzungsplan. Der Ausgleich dient der planerischen Bewältigung der naturschutzbezogenen Folgen der vorgesehenen Nutzung und ist daher mit der Grundkonzeption der Planung vereinbar. So steht die Darstellung von Wohnbauflächen einer Festsetzung von Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft nicht entgegen, wenn damit der für die Wohnbebauung erforderlich Ausgleich geschaffen wird.9 Ist der Ausgleich außerhalb des Plangebiets vorgesehen oder in einem gesonderten Bebauungsplan festgesetzt, erfüllt er die Voraussetzungen einer Entwicklung aus dem Flächennutzungsplan, solange der konkrete Ausgleich durch die dargestellte Nutzung nicht ausgeschlossen ist. Das Entwicklungsgebot erlaubt es sogar, in gewissem Umfang von den Darstellungen des Flächennutzungsplans abzuweichen, solange der Bebauungsplan für den entsprechenden Bereich des Flächennutzungsplans dessen Grundkonzeption nicht widerspricht.10 Darstellungen im Flächennutzungsplan stehen der Festsetzung von Ausgleich entgegen, wenn sie qualifiziert andere Nutzungen vorsehen, z. B. Bodenabbau. Allgemeine Darstellungen wie Flächen für Landwirtschaft oder Wald stehen nicht entgegen, so weit der vorgesehene Ausgleich mit diesen Nutzungen nicht unvereinbar ist.11 Die Festsetzung extensiver Land- oder Forstwirtschaft ist auf solchen Flächen ohne weiteres möglich. Auf bewirtschafteten Flächen können auch Brachen, Feldgehölze oder kleinere Gewässer vorgesehen werden, da diese Elemente auf landwirtschaftlichen Nutzflächen nicht unüblich sind, sondern der überkommenen Wirtschaftsweise entsprechen. Dies gilt auch für die Festsetzung von Grünland oder Streuobstwiesen.12

79

2.3

Die Vogelschutz-Richtlinie (VRL)13 und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL)14 fordern zugunsten der zu schützenden Lebensraumtypen sowie der Habitate der zu schützenden Arten einen Flächenschutz. Zusätzlich kennen beide Richtlinien einen Individuenschutz. Im Bereich des Flächenschutzes haben sich über die in der VRL und der FFH-RL aufgeführten Schutzbereiche hinausgehende Schutzbereiche entwickelt, die auf einer mangelhaften Anwendung der beiden Richtlinien beruhen. Nach der VRL gibt es neben den gemäß Art. 4 Abs. 1 oder 2 VRL ordnungsgemäß ausgewiesen Europäischen Vogelschutzgebiete noch die mangelhafte Form der faktischen Vogelschutzgebiete. Hierbei handelt es sich um Gebiete, die weder ausgewiesen noch der Kommission gemeldet wurden oder die der Kommission zwar übermittelt worden sind, die aber keinen ausreichenden rechtlichen Schutz genießen.

2.3.1

Die Berücksichtigung der Europäischen Schutzgebiete in der Bauleitplanung Gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 7 b) BauGB sind bei der Aufstellung von Bebauungsplänen insbesondere „die Erhaltungsziele und der Schutzzweck der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der Europäischen Vogelschutzgebiete im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes“ zu berücksichtigen. Diese Belange sind in die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB einzustellen. Bei den Europäischen Vogelschutzgebieten sind auch die faktischen Vogelschutzgebiete zu berücksichtigen, da sie europarechtlich wie ausgewiesene Gebiete zu behandeln sind. § 1 Abs. 6 Nr. 7 b) BauGB be-

13

9

OVG Münster, NuR 2000, 55, 56. OVG Münster, NuR 2000, 58, 59. 11 Schrödter in Schrödter, BauGB, § 1a, Rn 73. 12 im Ergebnis auch, BVerwG, UPR 1999, 191, 192. 10

Europäischer Habitat- und Artenschutz in der Bauleitplanung

RICHTLINIE 2009/147/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, Abl. 2010 DE Nr.L 20/7. 14 RICHTLINIE 92/43/EWG DES RATES vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen , ABl.EU DE Nr. L 206/7.

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gründet eine allgemeine Berücksichtigungspflicht, die im Gesetz nicht weiter konkretisiert wird. Eine Anwendung des § 1 Abs. 6 Nr. 7 b) BauGB ist nur möglich, wenn durch den Bauleitplan keine erheblichen Beeinträchtigungen des europäischen Schutzgebiets zu erwarten sind, ansonsten ist eine FFH-Verträglichkeitsprüfung nach § 1a Abs. 4 BauGB i.V.m. § 34 BNatSchG durchzuführen. Sind Beeinträchtigungen ausgeschlossen, ist in der Abwägung der Bauleitplanung zu überlegen, inwieweit bestimmte Darstellungen und Festsetzungen zugunsten der europäischen Schutzgebiete vorgenommen werden können. Hierzu bieten sich insbesondere Darstellungen und Festsetzungen für Flächen zur Entwicklung von Natur und Landschaft an. Diese Darstellungen oder Festsetzungen können auch als Ausgleichsmaßnahmen nach § 200a BauGB vorgesehen sein, wenn sie zugleich andere durch den Bauleitplan zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft kompensieren können. Eine Pflicht zu Darstellungen oder Festsetzungen zugunsten der europäischen Schutzgebiete des Netzes Natura 2000 besteht nicht, doch ist ihre Berücksichtigung in der Abwägung angezeigt, insbesondere wenn Darstellungen oder Festsetzungen zugunsten von Natur und Landschaft erfolgen sollen.

2.3.2

Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und ausgewiesene Europäische Vogelschutzgebiete Kann ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzgebiete durch eine Bauleitplanung in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigt werden, ordnet § 1a Abs. 4 BauGB die Anwendung der Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes über die Zulässigkeit von derartigen Eingriffen an. Geschützte Bereiche sind gemäß der Verweisung auf § 1 Abs. 6 Nr. 7 b) BauGB die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und die Europäischen Vogelschutzgebiete. Für den weiteren Ablauf der FFH-Verträglichkeitsprüfung schreibt § 36 S. 2 BNatSchG die entsprechende Anwendung des § 34 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 bis 5 BNatSchG vor. Die Anwendung des § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG wird ausgeschlossen, da § 1a Abs. 4 BauGB bereits regelt, wann

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eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Somit gilt nach dem Wortlaut des § 1a Abs. 4 i.V.m. § 1 Abs. 6 Nr. 7 b) BauGB die FFH-Verträglichkeitsprüfung nur für Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und für ausgewiesene Europäische Vogelschutzgebiete. Für potenzielle FFH-Gebiete und faktische Vogelschutzgebiete gilt die FFH-Verträglichkeitsprüfung nach dem Wortlaut der Regelung nicht. In gleicher Weise beschränkt auch der Wortlaut des § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG die Anwendung der FFH-Verträglichkeitsprüfung bei Projekten.

2.3.3

Potenzielle FFH-Gebiete und faktische Vogelschutzgebiete Die Anwendung der FFH-Verträglichkeitsprüfung auf potenzielle FFH-Gebiete ist durchaus umstritten. Der EuGH steht auf dem Standpunkt, dass die Verträglichkeitsprüfung erst erforderlich ist, wenn ein Gebiet in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen worden ist.15 Gleichzeitig weist er darauf hin, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, „geeignete Schutzmaßnahmen zur Wahrung der betreffenden ökologischen Bedeutung zu ergreifen“.16 Der EuGH lässt damit offen, ob für potenzielle FFH-Gebiete eine FFH-Verträglichkeitsprüfung zulässig ist. Er stellt aber fest, dass die „ökologischen Merkmale der Gebiete, . . ., (nicht) ernsthaft beeinträchtigt werden (dürfen)“. Das ist aber letztlich auch die Funktion der FFHVerträglichkeitsprüfung. Selbst wenn Gebiete erheblich beeinträchtigt werden dürfen, ist die Kohärenz des ökologischen Europäischen Netzes „Natura 2000“ zu wahren. Der Schlussantrag des Generalanwalts Geelhoed17 ebenso wie der Schlussantrag der Generalanwältin Kokott im Dragaggi-Verfahren18 betonen, dass ein absolutes Veränderungsverbot für solche Gebiete nicht

15

EuGH, Urt. v. 13.01.2005, Rs C-117/03, NuR 2005, 242, 243, Rdnr. 25; Urt. v. 14.09.2006, Rs. C-244/05, Rdnr. 36. 16 EuGH, Urt. v. 13.01.2005, Rs C-117/03, NuR 2005, 242, 243, Rdnr. 26, 29; Urt. v. 14.09.2006, Rs. C-244/05, Rdnr. 38, 39. 17 Schlussantrag v. 18.05.2006, Rs C-244/05, Rdnr. 34. 18 Schlussantrag Rs. C-17/03 vom 8.07.2004, Rdnr. 31.

Raumrelevantes Umweltrecht

angemessen ist. Eine Anwendung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, die bei prioritären Biotopen und prioritären Arten besonders streng sein sollte, genügt den Anforderungen des europäischen Rechts.19 Inzwischen wurde aber ein Einvernehmen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Kommission für die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung in den verschiedenen biogeographischen Regionen erzielt.20 Europäische Vogelschutzgebiete stehen unter einem hohen Schutz. Art. 4 Abs. 4 VRL erlaubt eine Beeinträchtigung nur, wenn es um die öffentliche Sicherheit, die menschliche Gesundheit oder um Maßnahmen geht, die die Umwelt unmittelbar fördern.21 Art. 7 FFH-RL eröffnet für Europäische Vogelschutzgebiete eine FFH-Verträglichkeitsprüfung, sobald die FFH-RL in dem Mitgliedstaat anwendbar ist. Diese Verbindung der VRL mit der FFH-RL führte im Bundesumweltministerium, in Bundesrat und Bundestag zu der Überzeugung, dass Art. 1 l) FFH-RL, der als besondere Schutzgebiete i.S.d. FFH-RL Gebiete anerkennt, die durch „Verwaltungsvorschrift und/ oder eine vertragliche Vereinbarung“ ausgewiesen sind, auch für Europäische Vogelschutzgebiete gelten müsse. § 33 Abs. 4 BNatSchG verleiht diesem Irrtum Gesetzeskraft, indem er eine Unterschutzstellung auch von Europäischen Vogelschutzgebieten nach den Schutzkategorien des § 22 Abs. 1 BNatSchG für nicht erforderlich erachtet, wenn für das Gebiet durch „Verwaltungsvorschriften, die Verfügungsbefugnis eines öffentlichen oder gemeinnützigen Trägers oder durch vertragliche Vereinbarungen ein gleichwertiger Schutz gewährleistet ist“. Der EuGH interpretierte Art. 7 FFH-RL enger und ließ zwar eine FFH-Verträglichkeitsprüfung für Europäische Vogelschutzgebiete zu, aber nur wenn sie gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL ordnungsgemäß ausgewiesen sind.22 Hierfür fordert er

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ein gegen jedermann wirksames Schutzregime, dass über Erlasse, Eigentum oder Verträge nicht gewährleistet werden kann.23 Für Europäische Vogelschutzgebiete ist, anders als bei Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung, ein auch gegenüber Dritten wirksames Schutzsystem einzurichten. Somit bedürfen Europäische Vogelschutzgebiete eines Schutzes durch Gesetz, Verordnung oder Satzung. Das Schutzsystem muss dafür sorgen, dass eine Verschlechterung der natürlichen Lebensräume der zu schützenden Vögel sowie erhebliche Störungen dieser Arten vermieden werden. Dazu müssen Schutz- und Erhaltungsregelungen getroffen werden und eine Abgrenzung des Schutzgebiets erfolgen.24

2.3.4

Das „Screening“ In Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung ist zunächst zu untersuchen, ob die Möglichkeit besteht, dass ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzgebiet beeinträchtigt werden kann. § 34 BNatSchG ist seinem Wortlaut nach auf Projekte abgestellt, doch können die Überlegungen zu Projekten auch auf Planungen übertragen werden, nicht zuletzt, weil dadurch derartige Projekte erst ermöglicht werden. Die FFH-Verträglichkeitsprüfung soll nach ihrem Konzept möglichst frühzeitig und damit, wenn möglich, auf der Planungsebene angewendet werden, um unnötige Planungsinvestitionen zu vermeiden. Stellt sich heraus, dass eine Beeinträchtigung des Erhaltungszustands der geschützten Lebensräume und Arten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist, ist die FFH-Verträglichkeitsprüfung abgeschlossen. Das Projekt oder der Plan ist insoweit zulässig.

23

19

Schlussantrag Geelhoed, Rs. C-244/05, Rdnrn. 34, 36. Abl. EU v. 02.02.2010, Nr. L 30 S. 1, 43, 120. 21 EuGH, Urt.v. 28.02.1991, Rs-C 57/89, NuR 1991, 249. 22 EuGH, Urt.v. 07.12.2000, Rs- C-374/98, NuR 2001, 210/212. 20

Die Vorprüfung in der FFHVerträglichkeitsprüfung

Diese Rechtsauffassung überraschte nicht nur die Kommission, sondern auch Rechtsprechung und Literatur, die von der Möglichkeit der FFH-Verträglichkeitsprüfung auch für faktische Vogelschutzgebiete ausgegangen waren, vgl. Louis/Engelke, Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar, 2. Aufl., Teil 1, §§ 1–19 f., Braunschweig, 2000, § 19c Rdnr. 7. 24 EuGH, Urt.v. 27.02.2003, Rs C-415/01, NuR 2004, 516.

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FFH-Verträglichkeitsprüfung im Flächennutzungsplan Für die Bauleitplanung kommt es in der Vorprüfung wesentlich darauf an, inwieweit der Plan tatsächlich zu Beeinträchtigungen führen kann. Sofern diese auf Grund der Planung nicht feststellbar oder vernünftig abwägbar sind, kann nach dem Grundsatz der planerischen Zurückhaltung das Problem auf eine untere Ebene verlagert werden. Beim Flächennutzungsplan ist zu unterscheiden, ob es sich um einen vorbereitenden Bauleitplan oder um einen steuernden Plan handelt. § 1 Abs. 2 BauGB definiert den Flächennutzungsplan zwar generell als vorbereitenden Bauleitplan, doch haben Flächennutzungspläne nach § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB eine andere Qualität, da sie die Zulässigkeit privilegierter Vorhaben im Außenbereich steuern. Bei einem vorbereitenden Flächennutzungsplan, der keine Baurechte begründet und der durch einen Bebauungsplan konkretisiert werden muss, können die Probleme mit Europäischen Schutzgebieten in das Bebauungsplanverfahren verschoben werden, solange es nur um Einwirkungen von außen auf das Gebiet geht und die Flächen des Schutzgebiets selbst nicht in Anspruch genommen werden. Nimmt ein vorbereitender Flächennutzungsplan Flächen eines Europäischen Schutzgebiets in Anspruch, ist eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, da dieser Flächennutzungsplan ohne eine solche Prüfung nicht realisierbar ist. Wird ein solcher Flächennutzungsplan im Parallelverfahren zu einem Bebauungsplan aufgestellt, empfiehlt es sich, die FFH-Verträglichkeitsprüfung im Bebauungsplanverfahren durchzuführen, da die Auswirkungen der Planung dort konkreter feststellbar sind. Handelt es sich um einen Flächennutzungsplan, der privilegierte Vorhaben im Außenbereich steuert, sollte die FFH-Verträglichkeitsprüfung für diesen Plan durchgeführt werden. Dabei ist zu beachten, dass in der Vorhabengenehmigung eine solche Prüfung ebenfalls durchzuführen ist, weil es sich bei den planungsrechtlich gelenkten Vorhaben um Projekte i.S.d. § 34 BNatSchG handelt. Eine Verlagerung ins Genehmigungsverfahrens für die Vorhaben ist zulässig, wenn der Konflikt mit den Europäischen Schutzgebieten dort

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lösbar ist, z. B. weil nur einige der durch die Planung gesteuerten Vorhaben negative Auswirkungen auf ein europäisches Schutzgebiet haben können. Nimmt der Flächennutzungsplan Flächen des europäischen Schutzgebiets in Anspruch, ist eine FFH-Verträglichkeitsprüfung unverzichtbar. FFH-Verträglichkeitsprüfung im Bebauungsplan Bei einem Bebauungsplan ist immer eine FFHVerträglichkeitsprüfung erforderlich. Gemäß § 34 Abs. 8 BNatSchG gelten die Abs. 1 bis 7 nicht für Vorhaben im Gebieten nach § 30 BauGB und während der Planaufstellung nach § 33 BauGB. Damit hat der Gesetzgeber dem Träger der Bauleitplanung im Bebauungsplanverfahren die Verantwortung für die FFH-Verträglichkeitsprüfung übertragen. Dieser Pflicht muss er, so weit wie möglich, nachkommen. Bei vorhabenbezogenen Bebauungsplänen ist diese Pflicht leicht erfüllbar. Handelt es sich dagegen um eine Angebotsplanung, können die konkreten Auswirkungen auf das europäische Schutzgebiet oft nicht festgestellt werden. Der Träger der Bauleitplanung muss nach bestem Wissen überlegen, welche Beeinträchtigungen durch seine Planung im Regelfall eintreten können. Eine „worst-case-Betrachtung“ ist weder angemessen, noch erforderlich. Als problematisch stellen sich in der Bauleitplanung Immissionen dar, da sie bei einer Angebotsplanung nicht vorhersehbar sind. Bei einem nicht vorhabenbezogenen Bebauungsplan lässt sich weder für ein Gewerbegebiet (GE) noch ein Industriegebiet (GI) bestimmen, welche Arten von Immissionen von den später zuzulassenden Anlagen zu erwarten sind. Das war bisher kein Problem, weil § 36 BNatSchG 2002 eine spezielle FFH-Verträglichkeitsprüfung für Anlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz hinsichtlich ihrer Immissionen eröffnete. § 36 BNatSchG wurde in der Novelle 2007 aber ersatzlos gestrichen – und nach § 34 Abs. 8 BNatSchG findet eine FFH-Verträglichkeitsprüfung im überplanten Bereich nicht statt. Damit kann für Immissionen nach der Gesetzeslage keine FFH-Verträglichkeitsprüfung mehr durchgeführt werden. Das kann nicht europarechtskonform sein. Sinnvollerweise beantragt der Vor-

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habenträger einer emitierenden Anlage im Zulassungsverfahren eine FFH-Verträglichkeitsprüfung, auch wenn § 34 Abs. 8 BNatSchG sie ausschließt. So weit die Verträglichkeitsprüfung im Bebauungsplan durchgeführt wurde, muss sie im Zulassungsverfahren nicht wiederholt werden. Für Beeinträchtigungen, die im Planverfahren nicht bekannt oder vorhersehbar waren, ist in der Zulassung die Verträglichkeitsprüfung durchzuführen. Die FFH-Verträglichkeitsprüfung Kommt die FFH-Verträglichkeitsvorprüfung zu dem Ergebnis, dass erhebliche Auswirkungen auf ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein ausgewiesenes Europäisches Vogelschutzgebiet nicht mit an wissenschaftliche Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können, ist eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen. Schutzgegenstand der FFH-Verträglichkeitsprüfung sind die für die Erhaltungsziele eines Gebiets oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteile. Steht das europäische Schutzgebiet unter formellem Schutz i.S.d. § 22 BNatSchG und wird es durch rechtsverbindliche Vorschriften geschützt, so ist Maßstab der Prüfung der Schutzzweck und die dazu erlassenen Vorschriften. Da die Verbote und Gebote einer naturschutzrechtlichen Schutzanordnung die für den Schutzzweck erforderlichen Regelungen darstellen, beschränkt sich die Prüfung insoweit auf diese Regelungen. Bestehen für die zu prüfenden Maßnahmen keine Verbote, so sind sie zulässig. Voraussetzung für diesen Ansatz ist aber, dass der Schutzzweck der Schutzanordnung auf den Schutz des Europäischen Schutzgebietes zugeschnitten ist. Ist der Schutzzweck vor der Meldung des Gebiets als Europäisches Schutzgebiet erlassen worden, so reichen die Verbote und Gebote zur Sicherung des Europäischen Schutzgebiets nicht aus. Das Gleiche gilt für Einwirkungen auf ein solches Schutzgebiet von außen. Da die zahlreichen möglichen Beeinträchtigungen eines solchen Gebiets von außen in einem Unterschutzstellungsverfahren nicht vernünftig beurteilt werden können, sind derartige Regelungen in der Schutzanordnung nicht möglich.

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Ist der Schutzzweck zur Bestimmung der für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteile nicht geeignet oder steht das Schutzgebiet nicht unter formellem Schutz,25 gilt es zunächst, die Erhaltungsziele zu bestimmen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG sind die Erhaltungsziele gerichtet auf die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes • der in Anhang I FFH-RL aufgeführten Lebensraumtypen und der in Anhang II FFH-RL aufgeführten Arten, die in einem Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung vorkommen, sowie • der in Anhang I VRL aufgeführten und der in Art. 4 Abs. 2 VRL genannten Vogelarten sowie ihrer Lebensräume, die in einem Europäischen Vogelschutzgebiet vorkommen. In den Standarddatenbögen der EU, die einer Meldung durch den Mitgliedstaat an die Kommission zugrunde liegen, werden neben den Lebensräumen und Arten, deren Vorkommen die Meldung des Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung oder die Ausweisung des Europäischen Vogelschutzgebiets erfordert haben, auch Lebensräume, Anhang II FFH-Arten und europäische Vogelarten aufgeführt, die für das Gebiet nicht wertbestimmend sind, aber dort vorkommen (sog. Beifänge). Diese Arten können zwar bei Bestimmung der Erhaltungsziele relevant sein. Bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung hingegen sind sie nicht zu berücksichtigen. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG gelten die Erhaltungsziele der Erhaltung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands aller in Anhang I FFH-RL aufgeführten Lebensraumtypen, der in Anhang II FFH-RL aufgeführten Arten, der in Anhang I VRL aufgeführten Vögel und der in Art. 4 Abs. 2 VRL genannten Vogelarten. Damit werden die Beifänge von der Definition der Erhaltungsziele erfasst und sind daher bei einer Unterschutzstellung im Schutzzweck zu berücksichtigen. § 34 Abs. 2 BNatSchG hingegen spricht von

25

Das ist bei Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung durchaus möglich.

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den maßgeblichen Bestandteilen des Schutzgebiets. Dazu gehören die sog. wertgebenden Arten, nicht aber die Beifänge. Gestützt wird diese Interpretation durch Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, der eine Pflicht begründet, die „Störung von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden“. Diese Regelungen der FFH-RL können durch den Standarddatenbogen nicht geändert werden. Keine Definition liefert das BNatSchG für den „günstigen Erhaltungszustand“. Nach Art. 1 e) S. 2 FFH-RL wird der „Erhaltungszustand“ eines natürlichen Lebensraums als günstig erachtet wenn • sein natürliches Verbreitungsgebiet sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen und • die für seinen langfristigen Fortbestand notwendigen Strukturen und spezifischen Funktionen bestehen und in absehbarer Zukunft wahrscheinlich weiter bestehen werden. Art. 1 i) S. 2 FFH-RL bestimmt für die Arten von gemeinschaftlichem Interesse, dass der Erhaltungszustand als „günstig“ zu betrachten ist, wenn • auf Grund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, dass diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird, • das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit abnehmen wird und • ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um ein langfristiges Überleben der Populationen dieser Art zu sichern. Diese Definitionen gelten mangels anderer Regelungen auch für die wertgebenden Arten in Europäischen Vogelschutzgebieten. Der sehr globale Ansatz des Art. 1 i) S. 2 FFH-RL, der auf den natürlichen Lebensraum und das Verbreitungsgebiet von Lebensräumen und Arten abstellt, scheint für die Bauleitplanung oder sonstige lokale Entscheidungen wenig geeignet. So erstreckt sich das Verbreitungsgebiet vie-

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ler Lebensräume und Arten über weite Flächen Europas, sodass sich eine Beurteilung von deren Zustand oder eine Prognose ihrer weiteren Entwicklung nicht durchführen lassen. Es wäre die Aufgabe des Mitgliedstaats, bei der Umsetzung der FFH-RL diese Definition handhabbar zu machen. Andernfalls bedarf es einer angemessenen Interpretation der Vorschriften der Richtlinie. Da eine Behörde regelmäßig nur ihren Zuständigkeitsbereich, ggf. auch noch Nachbarbereiche überblickt, sind die Anforderungen an den günstigen Erhaltungszustand auf diesen Bereich zu beschränken. Der Erhaltungszustand eines Lebensraums oder einer Art ist günstig, wenn in dem Zuständigkeitsbereich der entscheidenden Behörde die Voraussetzungen des Art. 1 e) S. 2 und i) S. 2 FFH-RL eingehalten werden. Die Einbeziehung darüber hinausgehender Bereiche ist mit Zustimmung der dort zuständigen Behörde möglich. Dadurch wird vermieden, dass der Erhaltungszustand der Lebensräume oder Arten durch Verweis auf einen guten Zustand in anderen Bereichen im Wege einer Salamitaktik verschlechtert wird. Zudem ist es offensichtlich, dass, wenn sich der Erhaltungszustand von Lebensräumen und Arten auf den lokalen Ebenen als „günstig“ erweist, ein günstiger Erhaltungszustand im Verbreitungsgebiet zwangsläufig gesichert ist. Das Abweichungsverfahren Stellt sich heraus, dass der Bauleitplan zu einer erheblichen Beeinträchtigung der für die Erhaltungsziele des Schutzgebiets maßgeblichen Bestandteile führen kann, ist die Planung nach § 34 Abs. 2 BNatSchG unzulässig. § 34 Abs. 3 BNatSchG eröffnet im Wege des Abweichungsverfahrens eine Ausnahme zu diesem Verbot. Voraussetzung ist zunächst, dass keine zumutbare Alternative zur Verfügung steht, „den mit . . . (dem Plan) verfolgten Zweck an andere Stelle ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen zu erreichen“. Die geforderte Alternative muss den verfolgten Zweck an anderer Stelle erreichen können. Der Zweck muss also keineswegs aufgegeben werden, sodass die sog. Nullvariante als Alternative der FFH-Verträglichkeitsprüfung, anders als z. B. bei der bauplanerischen Abwä-

Raumrelevantes Umweltrecht

gung nach § 1 Abs. 7 BauGB, ausscheidet. Für die Bauleitplanung ist das Merkmal „an anderer Stelle“ von besonderer Bedeutung. Naheliegend erscheint, die „andere Stelle“ auf den Zuständigkeitsbereich der entscheidenden Behörde, hier des Trägers der Bauleitplanung, zu begrenzen, denn außerhalb dieses Bereichs kann die Behörde den verfolgten Zweck mangels formeller Zuständigkeit nicht erreichen. Auf der anderen Seite beruhen örtliche Zuständigkeiten auf historischen und politischen Vorgaben, die nicht unbedingt einer sinnvollen Raumaufteilung entsprechen. Eine Beschränkung der Alternativen auf den Zuständigkeitsbereich der Trägers der Bauleitplanung erscheint dennoch sinnvoll. Andererseits dürfte z. B. eine Ausweisung von Flächen für Wohnbebauung oder Gewerbe, die ein europäisches Schutzgebiet beeinträchtigen können, unzulässig sein, wenn eine Nachbargemeinde in ähnlicher Lage über solche Baugebiete verfügt, die keine Beeinträchtigung des Europäischen Schutzgebiets hervorrufen und noch nicht in Anspruch genommen worden sind. Findet sich keine zumutbare Alternative, sind für eine Ausnahme im Abweichungsverfahren nach § 34 Abs. 3 BNatSchG für die Bauleitplanung „zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig“. Eine ordnungsgemäße Bauleitplanung hat immer öffentliche Interessen auf ihrer Seite. Auch wenn durch die Bauleitplanung Baurechte Privater begründet werden, dürfen Bauleitpläne nach § 1 Abs. 3 BauGB nur aufgestellt werden, „sobald und so weit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist“. Bauleitpläne, die diesen Anforderungen genügen, ergehen im öffentlichen Interesse. Notwendig ist aber ein „überwiegendes öffentliches Interesse“. Hier sind die Belange des europäischen Naturschutzrechts mit denen der Bauleitplanung abzuwägen. Je schwerwiegender die Beeinträchtigungen des europäischen Schutzgebiets sind und je weniger diese Beeinträchtigungen durch Kohärenzmaßnahmen nach § 34 Abs. 5 BNatSchG ausgeglichen werden können, um so mehr gehen die Naturschutzbelange den Belangen der Bauleitplanung vor.

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Werden Gebiete mit prioritären Lebensraumtypen der prioritären Arten betroffen, ist vor der abschließenden Entscheidung über den Bauleitplan eine Stellungnahme der Kommission einzuholen. An diese Stellungnahme ist der Träger der Bauleitplanung nicht gebunden, allerdings kann die Kommission, wenn ihre Stellungnahme ignoriert wird, vor dem EuGH ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland durchführen, in dem die Bundesrepublik für die Entscheidungen der Gemeinde einzustehen hat. Kommt der Träger der Bauleitplanung zu dem Ergebnis, dass der Plan über das Abweichungsverfahren nach § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG zugelassen werden kann, hat er nach § 34 Abs. 5 BNatSchG Kohärenzmaßnahmen festzusetzen. Dies sind Maßnahmen zur Sicherung des Zusammenhangs des kohärenten Europäischen ökologischen Netzes „Natura 2000“. Es handelt sich im Ergebnis um einen europarechtlich erforderlichen Ausgleich für die Beeinträchtigung des europäischen Schutzgebietes. Anders als der Ausgleich für Eingriffe nach § 1a Abs. 3 BNatSchG unterliegen die Kohärenzmaßnahmen nicht der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB. Sie sind strikt bindendes Recht. Die Kohärenzmaßnahmen ersetzen nicht die nach der Eingriffsregelung erforderlichen Kompensationsmaßnahmen. Dies gilt auch in der Bauleitplanung. Die Maßnahmen nach § 1a Abs. 3 BauGB können aber im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB mit denen nach § 34 Abs. 5 BNatSchG, die nicht abwägbar sind, kombiniert und in Einklang gebracht werden. Die im Bauleitplan festgesetzten Maßnahmen müssen der Kommission auf dem Dienstweg mitgeteilt werden, auch wenn die Kommission vorher nicht zu beteiligen war. Die Mitteilung gilt also auch für Kohärenzmaßnahmen zum Ausgleich von Beeinträchtigungen europäischer Schutzgebiete, die keine prioritären Lebensraumtypen oder prioritäre Arten enthalten. Bei der Durchführung der Kohärenzmaßnahmen ist zu beachten, dass sie den gewünschten Ausgleich im Ergebnis auch herbeiführen. Insofern müssen diese Maßnahmen regelmäßig vor der Beeinträchtigung des Europäischen Schutzgebiets durchgeführt werden. Andererseits sollten

86

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die Maßnahmen nicht zu frühzeitig erfolgen, damit z. B. geschaffene Lebensräume anstatt von den betroffenen Populationen von zugewanderten besetzt werden und somit für den europarechtlichen Ausgleich nicht zur Verfügung stehen.

2.4

Mit einer Schutzanordnung nicht vereinbare Bauleitpläne

Der Träger der Bauleitplanung ist nicht gehindert, Flächen in Schutzgebieten für seine städtebauliche Pläne in Anspruch zu nehmen, wenn die Bauleitplanung mit der Schutzanordnung vereinbar ist. Schutzgebiete sind keine bauplanungsrechtlich weißen Flecken im Gemeindegebiet. Im Flächennutzungsplan können die dort zulässigen Nutzungen dargestellt werden, wie Land- oder Forstwirtschaft. Ebenso können Flächen zur Entwicklung von Natur und Landschaft dargestellt werden, auch als Ausgleichsmaßnahmen, wenn dadurch der Zustand von Natur und Landschaft im Schutzgebiet verbessert wird. Selbst ein Bebauungsplan kann unter diesen Voraussetzungen ein Schutzgebiet überlagern. Ist die Bauleitplanung hingegen mit der Schutzanordnung nicht vereinbar, so kann sie nur realisiert werden, wenn diese Unvereinbarkeit beseitigt wird. Der Träger der Bauleitplanung kann zwar nach § 1a Abs. 4 BauGB die Verträglichkeitsprüfung durchführen, doch werden dadurch die Verbote einer Schutzanordnung nicht überwunden. Naturschutzrechtliche Schutzgebiete nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG sind normalerweise relativ großflächige Bereiche und stellen das Ergebnis einer Planung dar, die zumeist in der Raumordnung verankert ist. Widersprechen Bauleitpläne solchen naturschutzrechtlichen Anordnungen, so besteht ein Planungskonflikt. Da die Schutzanordnungen als Verordnungen höherrangiges Recht darstellen, darf ein Bauleitplan ihnen nach §§ 6 Abs. 2 und 10 Abs. 2 BauGB nicht widersprechen, sonst ist er unwirksam.26 Dies gilt auch für nicht genehmigungspflichtige Bebauungspläne.27 Zu den sonsti-

26

Vgl. VGH München, NuR 2003, 753. VGH München, NuR 2003, 753.

27

gen Rechtsvorschriften in diesem Sinne gehören auch naturschutzrechtliche Verordnungen.28 Stehen deren Verbote einer Realisierung des städtebaulichen Planungskonzepts auf Dauer entgegen, ist der Bauleitplan nur zulässig, wenn die entgegenstehenden naturschutzrechtlichen Regelungen überwunden werden können. Die Gemeinden haben nach § 1 Abs. 3 BauGB „Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist“. Dies setzt voraus, dass der Planung rechtlich keine unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen, denn ein nicht realisierbarer Plan ist nicht „erforderlich“ i.S.d. § 1 Abs. 3 BauGB und damit nichtig.29 Das Merkmal der „Erforderlichkeit“ gilt nicht nur für die Planung selbst, sondern für jede einzelne Festsetzung.30 Damit entfällt die Erforderlichkeit eines Bauleitplans auch, wenn einzelnen seiner Darstellungen oder Festsetzungen unüberwindbare rechtliche Hindernisse in Form von naturschutzrechtlichen Regelungen entgegenstehen. Da die naturschutzrechtlichen Ge- und Verbote der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB nicht zugänglich sind,31 stehen sie der Bauleitplanung auf Dauer entgegen, wenn die Naturschutzbehörde sie nicht beseitigt.32 Zur Überwindung der Gebote und Verbote bei Schutzanordnungen nach den § 22 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG kommt eine Befreiung von den Verboten der Schutzverordnung oder eine Aufhebung der Schutzanordnung für den konkreten betroffenen Bereich, z. B. durch Ausgliederung aus einem Schutzgebiet, in Betracht.

2.4.1 Die Befreiungslage Der Konflikt zwischen den naturschutzrechtlichen Regelungen einer Schutzanordnung und einer Bau-

28

VGH München, NuR 2003, 753. BVerwG; NuR 1998, 135, 136; VGH Kassel, NuR 2004, 393 und 397. 30 BVerwG, NuR 2004, 662, 663. 31 In der detaillierten Aufzählung der naturschutzrechtlichen Belange in § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB sind die gesetzlich geschützten Biotope nach § 30 BNatSchG und die Schutzgebiete nach § 22 BNatSchG ff. nicht erwähnt. 32 Vgl. BVerwG, NuR 2004, 661; OVG Münster, NuR 2004, 690, 691. 29

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leitplanung kann gelöst werden, wenn die Gemeinde in eine „Befreiungslage“ hineinplant. Umstritten ist, ob für eine Bauleitplanung eine Befreiung überhaupt möglich ist. Der VGH München vertritt, dass eine Befreiung von einer naturschutzrechtlichen Schutzanordnung nur für Tathandlungen erteilt werden kann. Dagegen kann eine Befreiung nicht zugunsten von Rechtsvorschriften wirken, da diese keine faktischen Veränderungen hervorrufen können.33 Das Gericht weist zugleich darauf hin, dass auch für die durch Planung zu ermöglichenden Bauvorhaben keine Befreiung erteilt werden könne, da die Schutzanordnung dadurch funktionslos werden kann.34 Die Bauleitplanung kann demnach nur durch Aufhebung der Schutzanordnung in den konfligierenden Bereichen ermöglicht werden.35 Das Gericht schließt Befreiungen nur im Rahmen von naturschutzrechtlichen Schutzanordnungen aus. Zur Überwindung der Verbote des gesetzlichen Biotopschutzes oder des Artenschutzes scheint es sie für zulässig zu erachten, da in diesen Rechtsbereichen eine „Ausgliederung“ von Flächen aus den Schutzbereich nicht möglich ist, ebenso wenig wie eine Funktionslosigkeit der Vorschriften eintreten kann. Andere Gerichte sind weniger streng und lassen eine Befreiung zu.36 Das BVerwG37 entscheidet diese Frage der Zulässigkeit einer Befreiung nicht, sondern akzeptiert die jeweilige Rechtsauffassung der obersten Verwaltungsgerichte der Länder, weil es die Vorschriften über Befreiungen von naturschutzrechtlichen Schutzanordnungen als nicht reversibles Landesnaturschutzrechts einstuft. Es verdeutlicht nur, dass in Fällen, in denen landesrechtlich eine Befreiung zugunsten von Bauleitplänen zulässig ist, bestandskräftige Befreiungen in einem Normenkontrollverfahren keiner Überprüfung unterliegen. Dem steht die Bestandskraft der Entscheidung entgegen.38 Sofern landes-

33

VGH München, NuR 2003, 753, 754. VGH München, NuR 2003, 753, 754. 35 S. dazu unten 1.1.2.7. 36 Vgl. OVG Münster, NuR 2004, 690, 691; BVerwG, NuR 2004, 661, m.w.N. 37 BVerwG, NuR 2004, 661. 38 BVerwG, NuR 2004, 661, unter Berufung auf BVerwG, NuR 2003, 489 ff. 34

87

rechtlich eine Befreiung für Bauleitpläne nicht zulässig ist, kann eine Befreiung zugunsten solcher Pläne nicht in Bestandskraft erwachsen, weil der Verwaltungsakt „auf etwas rechtlich Unmögliches gerichtet“ ist.39 Die Entscheidung ist allerdings unter den Bedingungen des Rahmenrechts ergangen. Sie könnte heute wegen der unmittelbaren Geltung des § 67 BNatSchG so nicht mehr getroffen werden. Die Rechtsauffassung des VGH München, dass Befreiungen nur für Tathandlungen zulässig sind, ist so nicht haltbar. Eine Befreiung für Bauleitpläne wird für nicht zulässig erachtet, da Befreiungen nur für Einzelfälle erteilt werden können und Flächennutzungspläne oder Bebauungspläne regelmäßig keine Einzelfälle darstellen. Diese Aussage bedarf jedoch einer Differenzierung. Das Tatbestandsmerkmal des Einzelfalls ist einer Befreiung nicht immanent. Der Gesetzgeber hat z. B. 1997 in der Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB die Bezugnahme auf den Einzelfall gestrichen.40 § 67 Abs. 1 BNatSchG stellt nur in den Tatbestandsmerkmalen der Nr. 2, also bei der unzumutbaren Belastung, auf einen Einzelfall ab. Dagegen steht eine Befreiung aus Gründen des „überwiegenden öffentlichen Interesses“ gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nicht unter dieser Einschränkung. Zumeist wird für Bauleitpläne aber eine Befreiung aus dem Gesichtspunkt der „überwiegenden öffentlichen Interesses“ erteilt werden, so dass die Einschränkung auf den Einzelfall ohnehin nicht greift. Sinn einer Befreiung ist es, Verbote einzelnen Entwicklungen anzupassen, die bei Erlass der Rechtsvorschrift nicht voraussehbar waren. So weit die auszugliedernden Flächen nur von untergeordneter Bedeutung sind und ihre Ausgliederung den Schutzzweck der Schutzanordnung nur unwesentlich beeinträchtigen kann, ist eine Befreiung zulässig. In solche Fällen tritt die oben erwähnte Planungskonkurrenz nicht auf. Gerade bei großen Schutzgebieten, wie z. B. Landschaftsschutzgebieten, bei denen die Abgrenzung der geschützten Flä-

39

BVerwG, NuR 2004, 661. Durch das Bau- und Raumordnungsgesetz vom 18.08.1997, BGBl. I S. 2081.

40

88

chen häufig großzügig erfolgt und die Schutzwürdigkeit der einbezogenen Grundstücke nicht immer detailliert geprüft wird, kann eine Befreiung angezeigt sein. Sollen nur wenige Baugrundstücke, die im Schutzgebiet liegen, aus städtebaulichen Gründen, z. B. zur Arrondierung des Bauleitplans, in die Bauleitplanung einbezogen werden, ist eine Befreiung angebracht. Ein förmliches Entlassungsverfahren wären in solchen Fällen zu aufwändig. Dies gilt insbesondere, wenn sich Landschaftsschutzgebiete auf den baurechtlichen Innenbereich erstrecken. Befreiungen sind unter diesen Voraussetzungen auch für vorhabenbezogene Bebauungspläne möglich. Befreiungen können auch für planfeststellungsersetzende Bebauungspläne erteilt werden,41 da diese eher einem Einzelvorhaben gleichen. Auch hier ist erforderlich, dass keine Planungskonkurrenz auftritt. Ist das dennoch der Fall, ist eine Ausgliederung aus dem Schutzgebiet durch Teilaufhebung der Schutzanordnung erforderlich. Für die Beurteilung der Befreiungslage kommt es wesentlich auf die Stellungnahme der Naturschutzbehörde als Träger öffentlicher Belange im Bauleitplanverfahren an. Stellt die Behörde eine Befreiung nicht in Aussicht, kann die Gemeinde nicht von einer „Befreiungslage“ ausgehen. Wird eine Befreiung für eine Bauleitplanung in einem europäischen Schutzgebiet erteilt, so bedarf es einer Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 BNatSchG, über die die Gemeinde nach § 1a Abs. 4 BauGB entscheidet. Eine Befreiung sollte erst erteilt werden, wenn das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung vorliegt. Kann der Bauleitplan über eine Verträglichkeitsprüfung mit Abweichungsverfahren nicht zugelassen werden, so ist eine Befreiung von den naturschutzrechtlichen Verboten nicht erforderlich.

2.4.2

Ausgliederung durch Aufhebung der Schutzanordnung für den überplanten Bereich Befreiungen von Schutzanordnungen können aber problematisch sein, da sie wegen des eingeschränkten Geltungsbereichs der Schutzvorschrift

H. W. Louis

weitaus eher als bei gesetzlichen Verboten die Schutzanordnung aushöhlen können. Eine Befreiung darf nicht dazu führen, dass der Schutzzweck eines Schutzgebiets mehr als unwesentlich beeinträchtigt wird. Solche Befreiungen kämen einer Teilaufhebung des Schutzgebiets gleich. Diese kann erfolgen, indem die Naturschutzbehörde eine Änderung der Schutzanordnung nicht ablehnt und die Planungen der Gemeinde durch eine Entlassung des zu überplanenden Bereichs aus der Schutzanordnung ermöglicht. Oft wird jedoch auch hier eine Entlassung aus dem Schutzgebiet durch Aufhebung der Schutzanordnung für den überplanten Bereich erforderlich sein. Überlegungen zur „Befreiungslage“ greifen in vielen Fällen einer Überplanung geschützter Flächen nicht, da eine Befreiung regelmäßig nicht zulässig ist. „Befreiungslagen“ belegen zumeist, dass mit Vorschriften über eine Befreiung zu großzügig umgegangen wurde. Dies zeigt die Entscheidung des OVG Münster, bei der das Gericht windhöffige Flächen in einem Landschaftsschutzgebiet als Vorrangflächen für Windkraft dargestellt haben will, weil für die Gemeinde ansonsten ein flächendeckender Landschaftsschutz besteht.42 Das Gericht orientiert sich an einer großzügigen und offensichtlich rechtswidrigen Befreiungspraxis des Landkreises. Dies stuft es als „flexible Handhabung“ ein. Das Gericht erspart sich, die Rechtmäßigkeit der Landschaftsschutzverordnung zu prüfen. Auch auf die Problematik der Planungskonkurrenz geht es nicht ein. Dieser Ansatz ist rechtlich unzutreffend. Wenn nach § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB das Landschaftsbild privilegierten Vorhaben als öffentlicher Belang entgegengehalten werden kann, so muss das um so mehr gelten, wenn dieses Landschaftsbild einen förmlichen Schutz durch eine Schutzanordnung geniest. Aus dem Sachverhalt der Entscheidung erhellt sich, dass sämtliche Vorrangflächen für Windkraft im Landschaftsschutzgebiet liegen. Das OVG Münster verkennt, dass bei derartigen Flächen eine offensichtliche Planungskonkurrenz gegeben ist, die durch eine Befreiung nicht gelöst werden kann. Eine Darstel-

41

VGH Mannheim, NuR 2000, 272, 274, für Erschließungsstraße.

42

OVG Münster, NuR 2004, 690, 693.

Raumrelevantes Umweltrecht

lung von Vorranggebieten für Windkraft im Flächennutzungsplan wäre nur zulässig, wenn für diese Bereiche eine Aufhebung der Schutzanordnung erfolgt. In diesem Sinne entscheiden auch andere Gerichte. Das Erfordernis einer Ausgliederung wurde bejaht für die Planung • einer großflächigen Sportanlage,43 • von 21 Einfamilien- und Doppelhäusern,44 • von Bauflächen von 8200 m2, weil diese Planung über eine Ortsabrundung i.S.d. § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB hinausgeht,45 • eines Vorhabens von 20.000 m2 durch eine vorhabenbezogenen Bebauungsplan, auch wenn bisher eine lockere Bebauung und gewerbliche Nutzung bestand,46 • eines Golfplatzes durch vorhabenbezogenen Bebauungsplan, auch wenn er „landschaftsgerecht“ gestaltet wird.47 Handelt es sich bei dem betroffenen Schutzgebiet um einen Teil des europäischen Netzes Natura 2000, so bedarf es einer Verträglichkeitsprüfung für die Entlassung des überplanten Bereichs aus dem Schutzgebiet. Die Verträglichkeitsprüfung ist im Verfahren über die Aufhebung oder die Teilaufhebung der Schutzanordnung durchzuführen, denn diese Entscheidung wäre rechtswidrig, wenn sie nicht mit den in Bundesrecht umgesetzten europarechtlichen Vorschriften vereinbar wäre. Die Verordnung zur Aufhebung der Schutzanordnung ist als Plan anzusehen, so dass auf sie gemäß § 36 Nr. 2 BNatSchG der § 34 BNatSchG – und damit die Verträglichkeitsprüfung – entsprechend anzuwenden ist. Dagegen ist eine Anordnung zur Unterschutzstellung eines Gebiets nicht als Plan einzustufen, da sie unmittelbar der Verwaltung des Gebietes dient.

89

2.5

2.5.1

Erforderlichkeit einer Bauleitplanung Die Gemeinden haben nach § 1 Abs. 3 BauGB „Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist“. Dies setzt voraus, dass der Planung rechtlich keine unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen, denn ein nicht realisierbarer Plan ist nicht „erforderlich“ i.S.d. § 1 Abs. 3 BauGB und damit nichtig. In der Bauleitplanung wird von den europarechtlichen artenschutzrechtlichen Vorschriften, die über § 44 Abs. 1 BNatSchG umgesetzt werden, in erster Linie der Lebensstättenschutz nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG relevant. Bauleitpläne müssen sich den artenschutzrechtlichen Vorschriften stellen, wenn die Verbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG den Grundzügen der Planung entgegenstehen. Der Artenschutz ist durch seine Verbote handlungsbezogen. Diese Tatbestände können durch eine Planung nicht erfüllt werden. Deshalb ist es zulässig, die speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung auf die Zulassungsebene zu verlagern.48 Nur wenn „bereits im Rahmen der Planaufstellung erkennbar (wird), dass der Bebauungsplan wegen der sich aus artenschutzrechtlichen Bestimmungen ergebenden Hindernisse nicht verwirklicht werden kann, verfehlt er seinen städtebaulichen Entwicklungs- und Ordnungsauftrag und ist daher wegen Verletzung des § 1 Abs. 3 BauGB unwirksam“.49 Dafür ist kein lückenloses Arteninventar erforderlich.50 Vielmehr genügt eine überschlägige Ermittlung und Bewertung der artenschutzrechtlichen Tatbestände, die von den naturräumlichen Gegebenheiten im Einzelfall abhängt.51 Ausreichend ist eine am Maßstab der praktischen Vernunft

OVG Münster, Urt.v. 21.04.2015 – 10 D 21/12.NE, Rn. 165. 49 VGH München, Urt.v. 24.08.2015 – 2 N 14.486, Rn. 36; OVG Münster, Urt.v. 21.04.2015 – 10 D 21/12.NE, Rn. 165, 166. 50 VGH Kassel, Urt.v. 29.06.2016 – 4 C 1440/14.N, Rn. 91. 51 OVG Münster, Urt.v. 21.04.2015 – 10 D 21/12.NE, Rn. 165, 166. 48

43

VGH Mannheim, NuR 1990, 464, 465. OVG Frankfurt/Oder, VwRRMO 1999, 76. 45 VGH München, NuR 2003, 753, 755. 46 VG Potsdam, NuR 2002, 631, 632. 47 Offen, VGH Mannheim, NVwZ-RR 1998, 422, 423. 44

Artenschutzrecht in der Bauleitplanung

90

ausgerichtete Untersuchung. Notwendig ist nur eine Abschätzung durch den Plangeber, „ob der Verwirklichung der Planung artenschutzrechtliche Verbotstatbestände als unüberwindliche Vollzugshindernisse entgegenstehen werden“.52 Die erforderlichen Daten müssen nicht unbedingt aus aktuellen Quellen stammen. „Auch vorausgegangene Bestandserfassungen und die zum Vorkommen bestimmter Arten vorhandene Fachliteratur können Erkenntnisquellen sein.“ Gerade die Erkenntnisse aus langjährigen Beobachtungen eines Gebiets können eine bedeutsame Grundlage für die Ermittlung der durch ein aktuelles Vorhaben möglicherweise betroffenen Arten bilden. Die Aussagekraft von zusätzlichen, durch die aktuelle Planung ausgelösten Bestandserfassungen und die Anforderungen an solche weiteren Erhebungen sind nicht zu überspannen. Es muss berücksichtigt werden, dass jede Bestandsaufnahme für sich genommen nur eine Momentaufnahme der aktuellen Fauna und Flora darstellen kann und den tatsächlichen Bestand kaum vollständig wird abbilden können. So weit zusätzliche oder weitergehende Untersuchungen keinen für die Planungsentscheidung wesentlichen Erkenntnisgewinn erwarten lassen und außerhalb eines vernünftigen Verhältnisses zu dem damit verbundenen Aufwand stehen, kann auf sie aus Gründen der Verhältnismäßigkeit verzichtet werden.53 Eine reine Potenzialanalyse ohne jegliche Bestandsaufnahme wird dem allerdings nicht gerecht.54 Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die national geschützten Arten nach § 44 Abs. 5 S. 5 BNatSchG die artenschutzrechtlichen Verbote im Baugenehmigungsverfahren nicht gelten, so dass sie auch im Bauleitplanverfahren keine Relevanz haben.55 Allerdings sollten diese Arten dann zumindest in der Eingriffsregelungen betrachtet werden.

52 OVG Schleswig, Urt.v. 29.06.2016 – 1 KN 16.15, Rn. 33. 53 VGH Kassel, Urt.v. 20.03.2014 – 4 C 448/12.N, Rn. 68, m. w. N.; VGH Kassel, Urt.v. 29.06.2016 – 4 C 1440/14.N, Rn. 91. 54 OVG Berlin-Brandenburg, Urt.v. 30.04.2015 – OVG 2 A 8.13, Rn. 41, 42. 55 Zu alledem, VGH München, Urt.v. 24.08.2015 – 2 N 14.486, Rn. 38.

H. W. Louis

§ 44 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BNatSchG untersagt den unmittelbaren Zugriff auf den Standort wildlebender Pflanzen und die Fortpflanzungs- und Ruhestätten wild lebender Tiere der besonders geschützten Arten. Bei den Tieren ist zudem die Beschädigung der genannten Lebensstätten untersagt. Eine Beschädigung erfolgt nicht nur bei einer physischen Beeinträchtigung der Lebensstätte; sie ist auch gegeben, wenn diese von den Tieren nicht mehr genutzt werden kann. Können Amphibien nach Durchführung der Baumaßnahme die angestammten Laichplätze nicht mehr erreichen, liegt eine Beschädigung der Lebensstätte vor.56 Für streng geschützte Arten und europäische Vogelarten bestehen zudem nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG das Verbot, diese Tiere während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören. Die Störung ist erheblich, wenn sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert. Beim Vollzug der Planung ist dafür zu sorgen, dass in diesen Zeiten keine erheblichen Störungen auftreten. Darauf sollte im Umweltbericht hingewiesen werden. Stehen diese Verbote einer Bauleitplanung auf Dauer entgegen, ist zu überlegen, ob diese Verbote nicht auch auf einer anderen Planungsebene überwindbar sind, z. B. nicht im Flächennutzungsplan sondern im Bebauungsplan oder gar in der Vorhabengenehmigung. Zu berücksichtigen ist , dass durch den Artenschutz Individuen und ihre einzelnen Lebensstätten, selten aber großflächige Bereiche erfasst werden. Erfolgen allerdings großflächige oder ganzjährige Störungen, ist eine Ausnahme erforderlich. Ansonsten werden die Verbote des Artenschutzes häufig erst beim Vollzug der Bauleitplanung relevant, nicht dagegen schon auf der planerischen Ebene. Daraus folgt, dass Bauleitpläne im Regelfall nicht mit § 44 Abs. 1 BNatSchG kollidieren. Bei einem Flächennutzungsplan, dessen Realisierung die Umsetzung in einem Bebauungsplan verlangt, wird im Regelfall eine Verlagerung der Problematik ins Bebauungsplanverfahren möglich und auch sinnvoll sein. Die Angebotsplanung eines Flächennutzungsplans ist zu vage, um mit

56

Gellermann, DVBl. 2005, 73, 75.

Raumrelevantes Umweltrecht

den artenschutzrechtlichen Verboten zu kollidieren. Flächennutzungspläne, die privilegierte Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB steuern, sind im Ergebnis wie Bebauungspläne zu behandeln, so dass ggf. die anstehenden Probleme in der gleichen Weise zu lösen sind, wie im Bebauungsplan. Erweist sich die Planung wegen der artenschutzrechtlichen Regelungen des § 44 Abs. 1 BNatSchG als nicht realisierbar, ist eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Nr. 5 BNatSchG unumgänglich, soll die Planung fortgeführt werden. Ein Bebauungsplan stellt vom System her eine Angebotsplanung dar, auch wenn die Realität häufig anders aussieht. Damit stellt sich zunächst die Frage, ob den Verboten des § 44 Abs. 1 BNatSchG nicht auf der Genehmigungsebene Rechnung getragen werden kann. Entscheidend ist auch hier, ob die Verbote dazu führen, dass die Grundzüge der Planung berührt werden. Im Bebauungsplan sollten einzelne Grundstücke, deren Bebauung § 44 Abs. 1 BNatSchG auf Dauer entgegensteht, durch entsprechende Festsetzungen von der Bebauung ausgeschlossen werden. Führt die Planung dazu, dass im überplanten Bereich in Zukunft permanente Lebensstätten auf Dauer nicht mehr zu Verfügung stehen, muss dies in der Bauleitplanung berücksichtigt werden. Diese Lebensstätten gehen endgültig verloren und ihr Verlust wird durch die Verbote des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG erfasst. In solchen Fällen ist zu überlegen, ob nicht durch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen nach § 44 Abs. 5 S. 3 BNatSchG erreicht werden kann, dass das Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG nicht greift.

2.5.2 Das Beeinträchtigungsverbot § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verbietet das Nachstellen, Fangen, Verletzen und Töten wild lebender Tiere der besonders geschützten Arten sowie die Naturentnahme, Beschädigung und Zerstörung ihre Entwicklungsformen. Für das Bundesverwaltungsgericht liegt eine Tötung vor, wenn sie sich als unausweisliche Konsequenz einer Handlung erweist.57 Damit kann der

BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14.07, NuR 2009, 112 ff., Rn. 91.

57

91

Tatbestand auch erfüllt werden, wenn die Tötung indirekt erfolgt, z. B. durch technische Vorgänge oder nicht zielgerichtete Handlungen Dritter. Diese Probleme stellten sich insbesondere bei Kollisionen von Tieren mit Fahrzeugen. Das Bundesverwaltungsgericht sieht das Tötungsverbot durch Kollisionen von Tieren mit Fahrzeugen oder baulichen Anlagen nicht als erfüllt an, wenn nur einzelne Exemplare getötet werden. Dies sei vielmehr Folge des „allgemeines Lebensrisiko“ für die Tiere.58 Der Tötungstatbestand wird gemäß § 44 Abs. 5 Nr. 1 BNatSchG erst erfüllt, wenn das konkrete Vorhaben das Risiko einer Tötung von Tieren signifikant erhöht.59 Weiterhin wird der Tatbestand des Nachstellens, Fangens und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung der Entwicklungsformen nach § 44 Abs. 5 Nr. 2 BNatschG nicht erfüllt, wenn die Exemplare durch konkrete Handlungen beeinträchtigt werden, die auf die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet, und die Beeinträchtigungen unvermeidbar sind. Das Beeinträchtigungsverbot kann durch Bauleitplanung nicht verletzt werden, da der Plan den Zugriff auf Tiere nicht regelt.

2.5.3 Das Störungsverbot § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG untersagt die erhebliche Störung wild lebender Tiere der streng geschützten Arten sowie der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderzeiten. Eine Störung ist eine Einwirkung auf ein Tier, die es beunruhigt, verängstigt oder von ihm sonst wie nachteilig wahrgenommen wird.60 Die Reaktion ist regelmäßig Unruhe oder Flucht.61 Eine Beunruhigung reicht

So auch die Begründung zur „kleinen Novelle“, BT-Drs. 16/5100, S. 11 zu § 42. 59 BVerwG, Urt. v. 14.07.2011 – 9 A 12.10, NuR 2012, 866, 875, Rn. 99; BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06, NuR 2008, 633, 653, Rn. 220. 60 Kratsch in Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. Stuttgart 2011, § 44, Rn. 21; 61 Kratsch (Fn. 60), § 44, Rn. 21. 58

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für eine Störung aus.62 Störungen werden insbesondere durch Lärm, Licht oder Bewegungsreize verursacht. Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG gelten die Störungsverbote während der Fortpflanzungs-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderzeiten. Die Aneinanderreihung von Schutzzeiten kann in bestimmten Bereichen zu einem ganzjährigen Schutz führen, wenn z. B. geschützte Arten dort nacheinander auftauchen. So kann Grünland einem ganzjährigen Störungsverbot unterliegen, wenn es im Laufe des Jahres nacheinander als Fortpflanzungs-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderfläche dient. Die Störung hat – anders als die anderen Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG – ein populationsbezogenes Element. Verboten ist nur eine erhebliche Störung. Eine Störung ist erheblich, wenn sich der Erhaltungszustand der lokalen Population verschlechtert. Die lokale Population bilden „diejenigen (Teil-)Habitate und Aktivitätsbereiche der Individuen einer Art, die in einem für die Lebens(-raum)ansprüche der Art ausreichenden räumlich-funktionalen Zusammenhang stehen“.63 Sinnvoll kann es sein, zwischen Arten zu unterscheiden, die eher punktuell vorkommen und solchen, die sich flächig verbreiten oder Reviere bilden.64 Bei den punktuell siedelnden Tieren kann die lokale Population relativ leicht abgegrenzt werden. Bei den flächig siedelnden Tieren haben die Populationen „naturgemäß Ausdehnungen, die es ihnen ermöglichen, Störungen einzelner Brutreviere zu verkraften, ohne dass die Population als Ganzes destabilisiert wird“.65 Ist eine lokale Abgrenzung der Population schwer möglich, weil die Lebensraumansprüche weitgreifend sind, wird man auf einzelne Paare oder Rudel abstellen müssen,66 z. B. bei Wolf oder Fischadler.

62

Kratsch (Fn. 60) § 44, Rn. 21; Schütte/Gerbig in Schlacke, Bundesnaturschutzgesetz, Köln 2012, § 44, Rn. 21; a. A.Schmidt-Räntsch in Gassner/, Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar, 2. Aufl. München 2003, § 42, Rn. 10; Fellenberg in Kerkmann, Naturschutzrecht in der Praxis, Berlin 1007, S. 273. 63 BT-Drs. 16/5100, S. 11 (zu Nr. 7). 64 Schütte/Gerbig (Fn. 62), § 44, Rn. 25. 65 Für Vögel, BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06, NuR 2008, 633, 656, Rn. 258. 66 Schütte/Gerbig (Fn. 62), §§ 44, Rn. 25.

H. W. Louis

„Eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes ist insbesondere anzunehmen, wenn die Überlebenschancen, der Bruterfolg oder die Reproduktionsfähigkeit vermindert werden, wobei dies artspezifisch für den jeweiligen Einzelfall untersucht und beurteilt werden muss.“67 Eine Störung durch Bauleitplanung ist nur denkbar, wenn bestehende Lebensstätten durch die Planung entwertet werden, sodass die Tiere sie nicht mehr aufsuchen. Das ist aber eher ein Sonderfall.

2.5.4 Der Lebensstättenschutz § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG schützt „Fortpflanzungs- und Ruhestätten“ der besonders geschützten Arten. Der Schutz kommt jeder einzelnen Lebensstätte zugute. Ob andere geeignete Stätten vorhanden sind, kann nur im Rahmen der gesetzlichen Ausnahme nach § 44 Abs. 5 Nr. 5 BNatSchG relevant werden, wenn sich dadurch im räumlichen Zusammenhang ausreichende Lebensstätten ergeben.68 Fortpflanzungsstätten sind Bereiche, die einzeln oder zusammen mit anderen Bereichen eine erfolgreiche Reproduktion ermöglichen.69 Je nach Paarungsverhalten kann es unterschiedliche Fortpflanzungsstätten geben, die nacheinander genutzt werden und erst in ihrem Zusammenwirken den Fortpflanzungserfolg sichern. Einbezogen sind z. B. Balzplätze und Aufzuchtstätten, an denen der Nachwuchs betreut wird, selbst wenn die unmittelbare Fortpflanzung selbst dort nicht erfolgt. Fortpflanzungsstätten haben nicht nur ein lokale, sondern auch eine zeitliche Dimension. Zunächst endet die Funktion einer Fortpflanzungsstätte, wenn der Aufzuchterfolg eingetreten ist und die Jungen die Stätte verlassen. Sie müssen dann nicht selbstständig sein und ein Leben ohne die Eltern führen können; relevant ist, dass die konkrete Aufzuchtstätte nicht mehr benötigt

67

BT-Drs. 16/5100, S. 11 (zu Nr. 7). Lau in Frenz/Müggenborg, Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar, Berlin 2011, § 44 Rn. 16. 69 Schütte/Gerbig (Fn. 62), § 44, Rn. 30; Lau (Fn. 43, § 44, Rn. 16; Heugel in Lütkes/Ewers, Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar, Münchn 2011, § 44, Rn. 17. 68

Raumrelevantes Umweltrecht

wird.70 Allerdings kann der Schutz auch nach Verlassen der Fortpflanzungstätte weiter bestehen, wenn eine regelmäßige Wiedernutzung erfolgt.71 Werden komplette Habitatstrukturen verändert oder zerstört, so dass für die betroffenen Arten im räumlichen Umfeld keine Fortpflanzungsmöglichkeiten mehr bestehen, liegt ein Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG vor. Potenzielle Lebensstätten werden von der Verbotsnorm nicht erfasst.72 Werden Spechthöhlen außerhalb der Fortpflanzungszeiten beseitigt, liegt keine Zerstörung von Lebensstätten vor, da Spechte ihre Höhlen neu bauen. Die Tatsache, dass diese verlassenen Höhlen in Zukunft Fledermäusen dienen können, führt nicht dazu, dass damit Lebensstätten der Fledermäuse zerstört werden, da es sich nach Ansicht des BVerwG um potenzielle Lebensstätten handelt.73 Dieser Ansatz ist artenschutzrechtlich kaum haltbar. In letzter Konsequenz führt er dazu, dass Zweitnutzer einer Lebensstätte immer das Nachsehen haben, so dass ihnen am Ende keine Lebensstätten mehr zur Verfügung stehen, weil sie diese selbst nicht bauen können. Grundsätzlich unterfallen Nahrungsstätten und -habitate nicht § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG, da sie dort nicht erwähnt werden.74 Sie können aber Teil einer Fortpflanzungsstätte sein, wenn der Fortpflanzungserfolg unmittelbar von der Existenz der Nahrungsstätte abhängig ist. Ist die Nahrungsstätte für den Reproduktionserfolg in der Fortpflanzungsstätte zwingend erforderlich, ist sie Teil der Fortpflanzungsstätte.75

70

Schütte/Gerbig (Fn. 62), § 44, Rn. 20; Lau (Fn. 68), § 44, Rn. 16. 71 VGH Kassel, Urt. v. 21.02.2008 – 4 N 869/07, NUR 2008, 352, 355; Schütte/Gerbig (Fn. 62), § 44, Rn. 32. 72 BverwG, Urt. V. 12.03.2008 – 9 A 3.06, NuR 2008, 633, 654, Rn. 222. 73 BVerwG, Urt.v. 9.04.2008 – 9 A 14.07, NuR 2009, 112,117, Rn. 75,100.; a. A. OVG Brandenburg, Besch. v. 5 März 2007 – OVG 22 S. 19.07, ZUR 2007, 546 ff.; so auch die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zu Änderungsvorschlägen des Bundesrates, BT-Drs. 16/5100, S. 18 zu Nr. 4. 74 BVerwG, Urt. v. 14.07.2011 – 9 A 12.10, NuR 2012, 866, 880, Rn. 135. 75 So auch Schütte/Gerbig (Rn. 62), § 44, Rn. 30; Kratsch (Fn. 60), § 44, Rn. 36.

93

„Ruhestätten“ sind Bereiche, die für das Überleben eines Tieres oder einer Gruppe von Tieren während der nicht aktiven Phase erforderlich sind.76 Dazu gehören die früher geschützten Zufluchtstätten77 ebenso wie die früher geschützten Wohnstätten. Dienen sie zugleich auch anderen Bedürfnissen, wie der Nahrungssuche, so sind diese Funktionen nicht mit geschützt.

2.5.5

Zerstörung, Beschädigung und Naturentnahme von Lebensstätten und geschützten Pflanzen Es ist verboten, Fortpflanzungs- und Ruhestätten zu zerstören, zu beschädigen oder der Natur zu entnehmen. Beschädigung und Zerstörung setzen eine nicht unerhebliche Verletzung der Substanz der Lebensstätte oder der unmittelbaren Umgebung aufgrund körperlicher Einwirkung voraus.78 Die Zerstörung führt zur vollständigen Unbrauchbarkeit, die Beschädigung zu einer partiellen Mangelhaftigkeit. Hierzu genügt jede physische oder chemische Einwirkung auf die Lebensstätte. Dazu gehört das Hinzufügen oder Wegnehmen von Stoffen, z. B. das Verschließen des Eingangs zu einer Lebensstätte. Die Beschädigung oder Zerstörung setzt materielle Veränderungen an der Lebensstätte oder der unmittelbaren Umgebung voraus, die die Funktionsfähigkeit der Lebensstätte beeinträchtigt oder aufhebt. Eine Funktionsbeeinträchtigung der Lebensstätte ohne Substanzveränderung reicht nicht für eine Beschädigung, schon gar nicht eine indirekte Beeinflussung, z. B. durch eine Grundwasserabsenkung.79 Wird die Lebensstätte an einen

76

EU-Kommission, Guidance document on the strict protection of animal species of Community interest under the Habitat-Directive 92/43 EEC, Final Version, February 2007, S. 47. 77 Schütte/Gerbig (Fn. 62), § 44, Rn. 31, zählen die Zufluchtstätten ohne Begrüdung nicht zu den Ruhestätten, unter Berufung auf Dolde, NVwZ 2008, 121,123. 78 Lau (Fn. 68), § 44, Rn. 18. 79 So aber Heugel (Fn. 69), § 44, Rn. 18.

94

anderen Ort verbracht, wo sie weiterhin ihre Funktion wahrnehmen kann, handelt es sich nicht um eine Naturentnahme.80 Verboten ist zudem die Beschädigung oder Zerstörung von Pflanzen der besonders geschützten Arten und ihrer Standorte.

2.5.6

Die Erhaltung der ökologischen Funktionen von Lebensstätten im räumlichen Zusammenhang § 44 Abs. 5 Nr. 3 BNatSchG trifft eine besondere Regelung für die nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG geschützten Fortpflanzungs- und Ruhestätten. Der Schutz entfällt, wenn die ökologische Funktion der betroffenen Fortpflanzungsund Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang erhalten bleibt. Dann müssen die erforderlichen Habitatstrukturen, die für eine besonders geschützte Art erfolgreiche Fortpflanzung oder Ruhemöglichkeit sicherstellen, in gleicher Qualität und angemessener Anzahl erhalten bleiben. Die Änderung bei den Fortpflanzungsstätten darf die Reproduktionsbedingungen der Art nicht verschlechtern. Ob die Funktionen im räumlichen Zusammenhang erhalten bleiben, bestimmt sich nach der Einbindung der voraussichtlich beeinträchtigten Lebensstätten in den Verbund anderer benachbarter Lebensstätten. Stehen den betroffenen und den übrigen lokalen Populationen der Art weiterhin ausreichende Lebensstätten zur Verfügung, tritt das Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG nicht ein. Ist das nicht oder nur eingeschränkt der Fall, müssen durch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen) im räumlichen Zusammenhang die entsprechenden Lebensstätten zu Verfügung gestellt werden, wobei diese Lebensstätten funktionsfähig sein müssen, ehe der Eingriff vorgenommen wird.

H. W. Louis

keine zumutbare Alternative gibt. Hier wären Überlegungen anzustellen, ob nicht andere Flächen in der Gemeinde für die Bauleitplanung besser geeignet sind, weil sie weniger artenschutzrechtliche Probleme aufwerfen, Weiterhin bedarf es überwiegender öffentlicher Interessen. Auch hier gilt, dass Bauleitplanung einem öffentlichen Interesse dient. Schließlich darf sich der Erhaltungszustand der betroffenen Populationen nicht verschlechtern. Hierbei ist nicht auf die lokale Population abzustellen, wie bei der Störung nach in § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG, sondern auf eine Population in einer höheren Betrachtungsebene. Als Maßstab wird zumeist der Erhaltungszustand der Population in der biogeografischen Region des jeweiligen Bundeslandes angesetzt.

2.6

Bebauungspläne der Innenentwicklung (§ 13a BauGB)

Die Artenschutzrechtliche Ausnahme Werden die Verbotstatbestände erfüllt, bedarf es einer Ausnahme nach § 45 Abs. 5 Nr. 7 BNatSchG. Diese erfordert zunächst, dass es

Der EuGH hat in einem Vorlagebeschluss § 214 Abs. 2a BauGB für europarechtswidrig erklärt. Nach dieser Norm war die Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften bei Bebauungsplänen nach § 13a BauGB unbeachtlich, wenn sie darauf beruht, dass die Voraussetzungen des § 13a Abs. 1 S. 1 BauGB nicht gegeben sind. Dort wird festgelegt, dass das Verfahren nach § 13a BauGB nur anwendbar ist, wenn die Grundfläche des Bausleitplans im Falle des § 13a Abs. 1 Nr. 1 BauGB 20.000 m2, im Falle des § 13a Abs. 1 Nr. 2 BauGB 70.000 m2 nicht überschreitet. Im Übrigen hat der EuGH den § 13a BauGB nicht beanstandet.81 Zur Berücksichtigung der Belange von Natur und Landschaft führt das OVG Hamburg im Rahmen des § 13a BauGB aus:82 „Der Verzicht auf eine förmliche Umweltprüfung entbindet den Plangeber aber nicht von der Notwendigkeit, die von der Planung berührten Umweltbelange i.S.v. § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB nach allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln und zu bewerten (§ 2

80

81

2.5.7

Louis, Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar, 1. Teil, Braunschweig 2000, § 20f, Rn. 11.

EuGH, Urt.v. 18.04.2013 – C 463/11. OVG Hamburg, Urt.v. 08.06.2016 – 2 E 6 15.N, Rn. 89.

82

Raumrelevantes Umweltrecht

Abs. 3 BauGB) und gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 1 Abs. 7 BauGB). Der Bebauungsplan der Innenentwicklung muss uneingeschränkt den verfahrensrechtlichen Anforderungen des Abwägungsgebots genügen. Die Anforderungen an die Ermittlung und Bewertung von Umweltbelangen nach § 2 Abs. 4 BauGB sind nicht geringer als bei einer Umweltprüfung, denn § 2 Abs. 4 BauGB konkretisiert nur die Anforderungen, die nach dem deutschen Abwägungsrecht ohnehin gelten (so Gierke in: Brügelmann, BauGB, Loseblatt-Kommentar Stand 12/2015, § 13a Rn. 115, 144; vgl. auch Uechtritz, BauR 2007, 476, 481). Andererseits weist der Gesetzgeber in der amtlichen Begründung zu § 13a Abs. 1 BauGB (BT-Drs. 16/2496, S. 13.; zustimmend Uechtritz, a.a.O.) zutreffend darauf hin, dass die für den Plan relevanten Umweltprobleme im beschleunigten Verfahren, wenn überhaupt, nur gering seien. Denn das beschleunigte Verfahren könne von vornherein nur auf Bebauungspläne angewendet werden, die der Innenentwicklung dienten und die nicht die Zulässigkeit von Vorhaben vorbereiten oder begründen, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterlägen, und wenn keine Anhaltspunkte für die Beeinträchtigung der Schutzgüter der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der Europäischen Vogelschutzgebiete bestünden. Im Übrigen bleibe die Verpflichtung zur Berücksichtigung von etwaigen Umweltauswirkungen nach § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB unberührt.“

3

Bauleitplanung und Wasserwirtschaft

3.1

Wasserwirtschaftliche Vorgaben der Raumordnung

95

nutzungspläne sind an diesen Vorgaben gebunden, sofern es sich um Ziele der Raumordnung handelt. Das ist nur der Fall bei Vorranggebieten, Vorbehaltsgebiete hingegen sind einer Abwägung zugänglich, haben aber ein besonderes Gewicht. Durch Verordnung geschützte Trinkwasserschutzgebiete sollen nach § 51 Abs. 2 WHG in Zonen mit unterschiedlichen Schutzbestimmungen gegliedert werden. Das Nähere regeln die Bundesländer. Meist erfolgt eine Aufteilung in den Fassungsbereich (Schutzzone I), in den engeren Schutzbereich (Schutzzone II) und in den weiteren Schutzbereich (Schutzzone III). Im Allgemeinen ist eine Bauleitplanung in der Schutzzone I unzulässig und in Schutzone II nur ausnahmsweise zulässig. In Schutzzone III werden häufig Genehmigungsvorbehalte für bauliche Anlagen vorgesehen. Die Verbote der Schutzanordnung sind einer Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB nicht zugänglich. Nach § 76 Abs. 2 WHG setzt die Landesregierung durch Rechtsverordnung die Risikogebiete als Überschwemmungsgebiete fest, in denen ein Hochwasserereignis statistisch einmal in 100 Jahren zu erwarten ist. Ebenso werden die zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung beanspruchten Gebiete festgelegt. Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 WHG ist die Ausweisung von neuen Baugebieten in Bauleitplänen oder sonstigen Satzungen nach dem Baugesetzbuch in Überschwemmungsgebieten untersagt, ausgenommen Bauleitpläne für Häfen und Werften. § 78 Abs. 1 Nr. 2 WHG verbietet zudem die Errichtung jeglicher baulicher Anlagen im Innen- wie im Außenbereich (§ 35 BauGB).

3.2

Die regionalen Raumordnungspläne enthalten wasserwirtschaftliche Vorgaben wie Vorranggebiete oder Vorbehaltsgebiete für den Grundwasserschutz, die Trinkwassergewinnung oder den Hochwasserschutz. Sie ersetzen die wasserrechtlichen Schutzgebiete wie Wasserschutzgebiete oder Überschwemmungsgebiete nicht. Flächen-

Wasserrechtliche Vorgaben für die Bauleitplanung

In der Abwägung eines Bauleitplans nach § 1 Abs. 7 BauGB sind gemäß § 1 Abs. 6 BauGB Nr. 7a – die Auswirkungen des Plans auf das Wasser, Nr. 7e – der sachgerechte Umgang mit Abwässern, Nr. 7g – die Darstellungen von Plänen des Wasserrechts,

96

H. W. Louis

Nr. 8e – die Versorgung mit Wasser und Nr. 12 – der Hochwasserschutz zu berücksichtigen. Im Flächennutzungsplan können dargestellt (§ 5 BauGB) werden • Bauflächen, für die eine zentrale Abwasserbeseitigung nicht vorgesehen ist (§ 5 Abs. 2 Nr. 1), • Flächen für Versorgungsanlagen, für Abwasserbeseitigung sowie für Hauptversorgungsund Hauptabwasserleitungen (§ 5 Abs. 2 Nr. 4), • Wasserflächen (§ 5 Abs. 2 Nr. 7) • Flächen für die Wasserwirtschaft (§ 5 Abs. 2 Nr. 7), • für die Wasserwirtschaft vorgesehene Flächen (§ 5 Abs. 2 Nr. 7), • im Interesse des Hochwasserschutzes freizuhaltenden Flächen (§ 5 Abs. 2 Nr. 7 BauGB,) • zur Regelung des Wasserabflusses freizuhaltenden Flächen (§ 5 Abs. 2 Nr. 7), Nachrichtlich sollen nach § 5 Abs. 4a S. 1 BauGB festgesetzte Überschwemmungsgebiete gemäß § 76 Abs. 2 WHG, Risikogebiete außerhalb von Überschwemmungsgebieten gemäß § 78b Abs. 1 WHG und Hochwasserentstehungsgebiete gemäß § 78 d Abs. 1 WHG übernommen werden. Zu vermerken sind nach § 5 Abs. 4a S. 2 BauGB noch nicht festgesetzte Überschwemmungsgebiete und Risikogebiete. Im Bebauungsplan können nach § 9 Abs. 1 Nr. 16 BauGB festgesetzt werden: • die Wasserflächen und die Flächen für die Wasserwirtschaft, • die Flächen für Hochwasserschutzanlagen und für die Regelung des Wasserabflusses, • Gebiete, in denen bei der Errichtung baulicher Anlagen bestimmte bauliche oder technische Maßnahmen getroffen werden müssen, die der Vermeidung oder Verringerung von Hochwasserschäden einschließlich Schäden durch Starkregen dienen, sowie die Art dieser Maßnahmen, • die Flächen, die auf einem Baugrundstück für die natürliche Versickerung von Wasser aus

Niederschlägen freigehalten werden müssen, um insbesondere Hochwasserschäden, einschließlich Schäden durch Starkregen, vorzubeugen. In dem Bebauungsplan sollen • festgesetzte Überschwemmungsgebiete im Sinne des § 76 Absatz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes, Risikogebiete außerhalb von Überschwemmungsgebieten im Sinne des § 78b Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes sowie Hochwasserentstehungsgebiete im Sinne des § 78d Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes nachrichtlich übernommen werden, • noch nicht festgesetzte Überschwemmungsgebiete im Sinne des § 76 Absatz 3 des Wasserhaushaltsgesetzes sowie als Risikogebiete im Sinne des § 73 Absatz 1 Satz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes bestimmte Gebiete im Bebauungsplan vermerkt werden. Unabhängig von den oben dargelegten Regelungen und Verboten für die Bauleitplanung sollen Überschwemmungsgebiete nachrichtlich in den Plan übernommen oder dort vermerkt werden. Damit verdeutlicht die Gemeinde, dass sie sich dieser Gebiete bewusst war und sie in der Planung berücksichtigt wurden.

4

Bauleitplanung und Lärmschutz

Der 6. Teil des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) sieht nach der EU-Umgebungslärmrichtlinie83 Lärmminderungspläne vor. Nach der Richtlinie und den sie umsetzenden §§ 47a ff. BImSchG müssen Lärmkarten und Lärmak-

83

Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm – Erklärung der Kommission im Vermittlungsausschuss zur Richtlinie über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm Abl. EU DE Nr. L 189/12.

Raumrelevantes Umweltrecht

tionspläne für Hauptlärmquellen und Ballungsräume erstellt werden. Ballungsräume sind Gebiete • mit einer Einwohnerzahl von über 100.000 Einwohnern und • mit einer Bevölkerungsdichte von mehr als 1000 Einwohnern pro Quadratkilometer. Hauptlärmquellen sind • Hauptverkehrsstraßen: Bundesfern- und Landesstraßen oder auch sonstige grenzüberschreitende Straßen mit einem Verkehrsaufkommen von über 3 Mio. Kraftfahrzeugen im Jahr (8200 Kfz in 24 Stunden), • Haupteisenbahnstrecken: Schienenwege von Eisenbahnen nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz mit einem Verkehrsaufkommen von über 30.000 Zügen im Jahr (80 Züge in 24 Stunden), • Großflughäfen: Verkehrsflughäfen mit einem Verkehrsaufkommen von über 50.000 Bewegungen im Jahr (135 Bewegungen am Tag), wobei mit „Bewegung“ der Start oder die Landung bezeichnet wird. Lärmkarten sind bei bedeutsamen Entwicklungen für die Lärmsituation, ansonsten mindestens alle fünf Jahre zu überprüfen und erforderlichenfalls zu überarbeiten. Sie müssen den Vorgaben des Anhangs IV der Richtlinie 2002/49/EG84 genügen. Die Mindestanforderungen für die Lärmaktionspläne finden sich in Anhang V der Richtlinie 2002/49/EG. In Ballungsräumen sind zusätzlich zu den oben genannten Hauptverkehrsstraßen, Haupteisenbahnstrecken und Großflughäfen folgende Lärmquellen zu berücksichtigen, soweit diese erheblichen Umgebungslärm hervorrufen (§ 4 der 34. BImSchV): • sonstige Straßen, • sonstige Schienenwege von Eisenbahnen,

84

Ambl. EU 2002 Nr. L 189/12.

97

• Schienenwege von Straßen- und Stadtbahnen, • sonstige Flugplätze für den zivilen Luftverkehr, • Industrie- und Gewerbegelände, auf denen sich eine oder mehrere Anlagen gemäß Anhang I der Richtlinie IED 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen befinden (so genannte IE-Anlagen), • Häfen mit einem Güterumschlag von mehr als 1,5 Mio. Tonnen im Jahr. Der Schutz vor Lärm als schädliche Umwelteinwirkung ist Bestandteil der „Belange des Umweltschutzes“ nach § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB. Wesentlicher ist jedoch seine Bedeutung für die „gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse“ nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB. Es gibt keine konkreten Festsetzungen oder Darstellungen in der Bauleitplanung, die für sich ausreichenden Lärmschutz bewirken können. Als Planungsgrundsatz gilt § 50 BImSchG, der die Zuordnung von Nutzungen regelt. Schädliche Umwelteinwirkungen sollen für besonders schutzbedürftige Gebiete, Freizeitgebiete und für den Naturschutz besonders wertvolle Gebiete und öffentlich genutzte Gebäude soweit wie möglich vermieden werden. Die Baunutzungsverordnung kennt gemäß der §§ 2 bis 11 unterschiedliche Baugebietsarten, denen jeweils Lärmwerte zugeordnet werden. Diese Werte gelten für immissionsschutzrechtliche Anlagen unabhängig von einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht.

4.1

Immissionschutzrichtwerte

Die Immissionsrichtwerte für die unterschiedlichen Baugebiete sind in Abschn. 6.1 der TA Lärm für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden wie folgt festgelegt: Gebietseinstufung Industriegebiete Gewerbegebiete Urbane Gebiete

tags nachts 70 70 65 50 63 45 (Fortsetzung)

98

H. W. Louis

Gebietseinstufung Kerngebiete, Dorf- und Mischgebiete Allgemeine Wohngebiete und Kleinsiedlungsgebiete Reine Wohngebiete Kurgebiete, Krankenhäuser und Pflegeanstalten

tags 60 55

nachts 45 40

50 45

35 35

4.3

Es geht um den Lärm konkreter Anlagen. Das ist für die Bauleitplanung regelmäßig weniger interessant, außer bei einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan.

4.2

Verkehrslärm

Die Verkehrslärmschutzverordnung85 setzt zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche im Rahmen ihres Geltungsbereiches (Lärmvorsorge) die in Tabelle 3/3 aufgeführten Immissionsgrenzwerte fest. Bei deren Überschreitung besteht ein Anspruch auf Lärmschutzmaßnahmen. Dabei kommen vorrangig aktive Schutzmaßnahmen in Betracht, z. B. lärmarme Straßenbeläge, Lärmschutzwände und -wälle. Ist dies nicht möglich oder stehen „. . . die Kosten der Schutzmaßnahmen außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck . . .“ (§ 41 Abs. 2 BImSchG), müssen passive Lärmschutzmaßnahmen (z. B. Schallschutzfenster) an den betroffenen Gebäuden durchgeführt werden. Art und Umfang der notwendigen Schallschutzmaßnahmen für schutzbedürftige Räume in baulichen Anlagen legt die Verkehrswege-Schallschutzmaßnahmenverordnung – 24. BImSchV – fest. Nutzungen Krankenhäuser, Schulen, Kuru. Altenheime Reine u. allg. Wohngebiete, Kleinsiedlungsgebiete

Nutzungen Kerngebiete, Dorfgebiete, Mischgebiete Gewerbegebiete

Tag 57

Nacht 47

59

49

(Fortsetzung)

Tag 64

Nacht 54

69

59

Schallschutz im Städtebau

Neben gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen spielt auch der Stand der Technik eine erhebliche Rolle, der in Fachwerke wie z. B. den DIN-Normen zu finden ist. Auch solche Vorschriften können verbindlich sein, wenn sie die einzigen fachlich vertretbaren Regelungen darlegen. Das Beiblatt 1 zu DIN 18005-1 enthält schalltechnische Orientierungswerte für die städtebauliche Planung, die keine Grenzwerte darstellen, sondern als sachverständige Vorgaben die Anforderung an den Schallschutz im Städtebau konkretisieren. Bei der Planung von Nutzungen, die schutzbedürftig sind und im Einwirkungsbereich von Straßen- und Schienenwegen oder Flächennutzungen mit Lärmemissionen liegen, sollten diese Werte eingehalten werden bezogen auf den Rand der Bauflächen. Es gelten folgende Werte (in db/A): Nutzungen Reine Wohngebiete (WR) Wochenendhausgebiete, Ferienhausgebiete Allgemeine Wohngebiete (WA) Kleinsiedlungsgebiete (WS) Campingplatzgebiete Friedhöfe, Kleingartenu. Parkanlagen Besondere Wohngebiete (WB) Dorfgebiete (MD), Mischgebiete (MI) Kerngebiet (MK), Gewerbegebiet (GE) sonstige Sondergebiete, soweit sie schutz-bedürftig sind, je nach Nutzungsart

Tag (6 – 22 Uhr) 50

Nacht (22 – 6 Uhr) 40

55

45

55

55

60

45

60

50

65

55

45–65

35–65

85

Vierundzwanzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrswege-Schallschutzmaßnahmenverordnung – 24. BImSchV) vom 4. Februar 1997 (BGBl. I S. 172, 1253), zuletzt geändert durch die durchArtikel 3 der Verordnung vom 23. September 1997 (BGBl. I S. 2329).

In der Nähe von Verkehrsadern oder anderen vorbelasteten Bereich lassen sich die Orientierungswerte häufig nicht einhalten. Der Schall-

Raumrelevantes Umweltrecht

schutz stellt aber einen wichtigen Planungsgrundsatz dar, der in der Abwägung bei überwiegenden anderen Belangen – insbesondere in bebauten Gebieten – zurückgestellt werden kann. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Grenzen der Gesundheitsgefährdung nicht überschritten werden. Denkbar ist der Ausschluss von Wohnnutzung in bestimmten baulichen Anlagen oder die Sicherung der Nachtruhe beispielsweise durch mit fensterunabhängigen Lüftungseinrichtungen. Die obigen Orientierungswerte für Kerngebiete (MK) sind mit denen für Gewerbegebiete (GE) identisch. In GE ist eine Wohnnutzung gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nur ausnahmsweise zulässig für Aufsichts- und Bereitschaftspersonal sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter der ansässigen Betriebe. Die DIN 18005 setzt die Orientierungswerte für MK und GE gleich, weil sie von einer vorhandenen hohen Lärmbelastung in den Innenstädten ausgeht. In allen anderen Empfehlungen für Lärmwerte werden Kerngebiete (MK) wie Mischgebiete (MI) eingestuft, so dass in MK um 5 dB(A) niedrigere Pegelwerte eingehalten werden müssen als in der DIN 18005. Sinnvoll ist es, schon in der Planung für Kerngebiete die Orientierungswerte für Mischgebiete anzusetzen.

5

Luftreinhaltung und Klimaschutz in der Bauleitplanung

Für Luftreinhaltung und Klimaschutz gibt es, anders als für andere Bereiche des Umweltschutzes, keine verbindlichen Vorgaben für die Bauleitplanung. Diese Umweltgüter werden entweder durch spezielle rechtliche Normen wie die Regelungen für die Luftreinhaltung durch das Immissionsschutzrecht vorgegeben oder sind ein planerischer Ansatz, dem die Gemeinde in der Bauleitplanung im Rahmen der Abwägung folgen kann.

5.1

99

ten. Nach § 1 Abs. 7 Nr. 7g BauGB sind die Darstellungen von Landschaftsplänen sowie von sonstigen Plänen, insbesondere des Wasser-, Abfall- und Immissionsschutzrechts bei der Bauleitplanung zu berücksichtigen. Zudem ergibt sich nach § 1 Abs. 6 Nr. 7 h) BauGB die Verpflichtung, „die Erhaltung der bestmöglichen Luftqualität in Gebieten, in denen die durch Rechtsverordnung zur Erfüllung von Rechtsakten der Europäischen Union festgelegten Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden“. Die Bauleitplanung hat zu berücksichtigen, dass sich die Luftqualität in diesen Gebieten nicht verschlechtert. Regelungen zur Luftqualität enthält die Verordnung über Luftqualitätsstandards und Immissionshöchstmengen.86 Für Gebiete, in denen eine Überschreitung der Werte dieser Verordnung zu befürchten ist, sind nach § 47 Abs. 1 BImSchG Luftreinhaltepläne aufzustellen, um die Einhaltung der Werte zu sichern. Besteht die Gefahr einer Überschreitung der Werte, ist ein Aktionsplan aufzustellen, der kurzfristig die Einhaltung der Werte erreicht oder diesen Zeitraum möglichst gering hält. Der Aktionsplan kann Teil des Luftreinhalteplans sein. Nach § 47 Abs. 6 S. 2 BImSchG sind planungsrechtliche Festlegungen in Luftreinhalteplänen in anderen Planungen zu berücksichtigen, in der Bauleitplanung sind diese Festlegungen Teil der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB. Eine ausreichende Belüftung von Wohngebäuden mit frischer Luft ist auch Teil der „gesunden Wohnund Arbeitsverhältnisse“ nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB.

5.2

Klimaschutz

Maßnahmen des Klimaschutzes dienen oft auch der Luftreinhaltung. Die Gemeinde kann nach ihrem planerischen Willen Klimaschutz betreiben, wobei das Bauplanungsrecht entprechende Instrumente zur Verfügung stellt. Wesentlicher Ansatz für einen Klimaschutz in der Bauleitpla-

Luftreinhaltung

Die Luftreinhaltung ist zunächst Aufgabe des Immissionsschutzes. Die Bauleitplanung hat immissionsschutzrechtliche Vorgaben zu beach-

86

39.BImSchV vom 2. August 2010 (BGBl. I S. 1065), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 18. Juli 2018 (BGBl. I S. 1222).

100

nung ist die Planung möglichst energieeffizienter Gebäude. Bei der Entwicklung neuer Baugebiete ist für den Klimaschutz die energetische Ausrichtung der Gebäude von erheblicher Bedeutung, dabei geht es • um die Minimierung des Wärmebedarfs der Gebäude durch – kompakte Bauweise, – technische Vorkehrungen gegen Wärmeverluste (Wärmedämmung) • um eine auf optimale Nutzung von Sonneneinstrahlungen ausgerichtete Stellung der Baukörper sowie die Vermeidung von Verschattung. • möglichst CO2-freie Deckung des verbleibenden Wärmeenergiebedarf entweder durch – die Erzeugung und Nutzung erneuerbarer Energien (z. B. Solarthermie, Geothermie etc.), – CO2-minimierte Heizsysteme oder – durch die Nutzung von Wärmenetzen (Nahoder Fernwärme). Darüber hinaus kann auch die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien, z. B. durch Fotovoltaikanlagen oder Kleinwindkraftanlagen zur Einspeisung ins Netz, eine Rolle spielen. Klimaschützende Regelungen in einem Bauleitplan bedürfen immer einer Konzeption, die für den Flächennutzungsplan das gesamte Gemeindegebiet umfassen sollte. Für den Bebauungsplan erlaubt § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB die Festsetzung der Stellung der baulichen Anlagen, sodass die Dächer nach Süden ausgerichtet werden können, um die Solarenergie zu nutzen. Zugleich kann darauf geachtet werden, dass sich Gebäude nicht gegenseitig verschatten. Zur rechtlichen Umsetzung der klimaschützenden Ziele wurde am 22.07.2011 das „Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes bei der Entwicklung in den Städten und Gemeinden“ erlassen.87 Das Gesetz steht im Zusammenhang mit der Energiewende, die die Bundesregierung auf

H. W. Louis

Grund der Reaktorkatastrophe von Fukushima eingeleitet hat.88 Durch den geänderten § 1 Abs. 5 S. 2 BauGB sowie durch die Klimaschutzklausel des neu eingefügten § 1a Abs. 5 BauGB wird der Klimaschutz zu einem „der in Absatz 5 in Form von Planungsleitsätzen zusammengefassten Ziele und Grundsätze der Bauleitplanung, die gemäß § 1a Abs. 5 S. 2 BauGB in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB zu berücksichtigen sind“.89 Darstellungen im Flächennutzungsplan nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB sollen der Gemeinden ermöglichen, „ihren Klimaschutz- und Energiekonzepten ein stärkeres rechtliches Gewicht zu geben“.90 § 2 Abs. 5 Nr. 2c) BauGB sieht z. B. Maßnahmen vor, die der Anpassung an den Klimawandel dienen. Gemeint sind damit z. B. die Schaffung oder Erhaltung eines Systems von Kaltluftschneisen.91 § 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB ermöglicht es, klimaschützende Darstellungen des Flächennutzungsplans im Bebauungsplan festzusetzen. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB können im Bebauungsplan Versorgungsflächen, einschließlich der Flächen für Anlagen und Einrichtungen zur dezentralen und zentralen Erzeugung, Verteilung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung festgesetzt werden. Möglich sind auch Bepflanzungsfestsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 25 BauGB zur Vermeidung von Verschattung durch Vegetation. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 23b) BauGB besteht die Möglichkeit Gebiete festzusetzen, in denen bei der Errichtung von Gebäuden oder bestimmten sonstigen baulichen Anlagen bestimmte bauliche oder sonstige technische Maßnahmen für die Erzeugung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien oder KraftWärme-Kopplungen getroffen werden müssen. Nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 und 5 BauGB können in städtebaulichen Verträgen auch Regelungen über die Errichtung von zentralen oder

88

BR-Drs. 344/11 S. 1, 10. BR-Drs. 344/11 S. 18. 90 BR-Drs. 344/11 S. 19. 91 BR-Drs. 344/11 S. 20. 89

87

BGBl. 2011 S. 1509.

Raumrelevantes Umweltrecht

dezentralen Einrichtungen der Energieerzeugung und über die Nutzung erneuerbarer Energien aufgenommen werden. Ebenso können Anforderungen an die energetische Qualität von Gebäuden vorgegeben werden. Im Innenbereich können nach § 248 BauGB Abweichungen vom „festgesetzten Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche zulässig (sein), so weit dies mit nachbarlichen Interessen und baukulturellen Belangen vereinbar ist, wenn diese Abweichung für Maßnahmen zum Zwecke der Energieeinsparung oder zur Nutzung solarer Strahlungsenergie an Wänden oder Dächern erforderlich sind“. Als für die rechtlich bindende Steuerung wesentlich wichtiger erweisen sich städtebauliche Verträge und – bei der Veräußerung kommunaler Liegenschaften – Grundstückskaufverträge. Hier kann zugunsten des Klimaschutzes außerhalb der Bauleitplanung beispielsweise geregelt werden: • Anschluss an ein bestehendes Wärmenetz, • Bindungen in Bezug auf die Deckung des Restwärmebedarfs (z. B. Heizsysteme, deren Emissionswerte nicht höher sind als die von Gas-Brennwert-Anlagen),

101

• der Einbau von solarthermischen Anlagen, • die Nutzung von Dachflächen zur Stromerzeugung aus solarer Strahlungsenergie entweder im Eigenbetrieb oder auf der Basis von Contracting-Modellen. Kurzzusammenfassung Die Bauleitplanung regelt die Nutzung von Grundstücken, indem sie bestimmte Nutzungen zulässt. Oft führt sie bisher ungenutzte Grundstücke einer baulichen Nutzung zu, die bisher für den Naturhaushalt oder das Landschaftsbild von Bedeutung waren. Des weiteren kann die neue Nutzung zu Konflikten mit der Wasserwirtschaft, der Luftreinhaltung und des Lärmschutzes führen. Da die Bauleitplanung alle durch sie hervorgerufenen Konflikte möglichst lösen, zumindest aber ansprechen soll, muss sie sich mit den umwelttechnischen und umweltrechtlichen Problemen der beabsichtigten baulichen Nutzung auseinandersetzen. Zudem kann die Bauleitplanung auch vorbeugend wirken, um schädliche Umwelteinwirkungen zu verhindern.

Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen Klaus J. Beckmann

Inhalt 1 Begriff Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2 Felder der Infrastrukturen mit lokaler und überörtlicher Bedeutung . . . . . . . . 104 3 Integration von Raumentwicklung und technischen Infrastrukturen . . . . . . . . . 105 4 Planung und Umsetzung großräumiger Netze am Beispiel Verkehr . . . . . . . . . . 106 5 Planung und Umsetzung großräumiger Netze am Beispiel „Energieübertragungsnetze“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

1

Begriff Infrastruktur

Infrastruktur umfasst wesentliche Grundvoraussetzungen für das Leben der Menschen und die Wirtschaft in Städten, Regionen, Bundesländern und Nationalstaaten und damit für das Wohlbefinden der Menschen hinsichtlich Teilhabe, Teilnahme, Austausch und Versorgung. Infrastruktur dient der Daseinsvorsorge und ist zudem Voraussetzung für wirtschaftliche Aktivitäten. Infrastruktur dient dem Ausgleich von teilräumlichen Unterschieden der natürlichen, sozialen und ökonomischen Ausstattungen und/oder Standortge-

K. J. Beckmann (*) KJB.Kom Prof. Dr. Klaus J. Beckmann Kommunalforschung, Beratung, Moderation und Kommunikation, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]

gebenheiten und somit der Sicherung der Gleichwertigkeit von Lebensbedingungen. Infrastruktur dient in diesem Zusammenhang vor allem der Auf- und Erschließung von Teilräumen (vgl. auch Jochimsen 1966; Frey 1972; Bökemann 1984). Sie ist Teilelement der „Produktion“ von anthropogen nutzbaren Standorten durch Erschließung und Sicherung von Erreichbarkeiten (Verkehr, Wasserversorgung, Entwässerung, Energie, Wärme, Information/Kommunikation . . .) im Zusammenspiel mit der planungsrechtlichen Verleihung von Nutzungsrechten (Planungsrecht, Bauordnungsrecht). Als Teilelemente von Infrastrukturen wirken zusammen: • (bauliche) Anlagen mit Betrieb, Organisation, Management und rechtlichen Betriebsregelungen • institutionelle und organisatorische Voraussetzungen wie Zuständigkeiten, Rechte, Prozesse

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K. J. Beckmann (Hrsg.), Raumplanung, Stadtentwicklung und Öffentliches Recht, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27918-9_44

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• (öffentliches) Personal in Anzahl und Qualifikation. Infrastrukturen werden zu einem großen Teil durch öffentliche Akteure (Bund, Länder, Kommunen, kommunale Betriebe, öffentliche Anstalten . . .) erstellt und betrieben („öffentliche Trägerschaft“) oder durch diese zumindest in den Leistungen durch Vorgaben und Überwachung qualitativ und quantitativ gewährleistet („öffentliche Gewährleistungsverantwortung“). Die zunehmende private Trägerschaft erfordert die Gewährleistung von Zugangsrechten, von Diskriminierungsfreiheit der Zugangsrechte wie auch ein Vermeiden von Monopolen und ertrags-maximierenden Preisbildungen. Städtebauliche Infrastrukturen werden in technische und soziale sowie erwerbswirtschaftliche Infrastrukturen unterschieden. Technische Infrastrukturen umfassen Anlagen zur Erzeugung und Gewinnung, gegebenenfalls zur Speicherung und Umwandlung, zum Transport, zur Verteilung und zur Nutzung bzw. Verwertung von Energie, Wärme, Wasser, Abwasser. Sie umfassen vor allem auch Verkehrsanlagen und Informations-/ Kommunikationsnetze. Die materiellen Anforderungen an Anlagen und Betrieb der Infrastrukturen umfassen • Sicherheit, Unfallfreiheit, Freiheit von Gefährdungen, • Leistungsfähigkeit, Kapazitäten, • Umweltverträglichkeit und Ressourcensparsamkeit, • Dauerhaftigkeit/Resilienz (vgl. auch Libbe et al. 2011).

2

Felder der Infrastrukturen mit lokaler und überörtlicher Bedeutung

Technische Infrastrukturen umfassen die Sektoren: • Verkehr mit Straßen (Autobahnen, Bundesstraßen, Landesstraßen, Kreisstraßen, Kommunalstraßen), mit Öffentlichem Verkehrsmitteln (Eisenbahnen des Fern- und Regionalverkehrs,

• • •

• •

S-Bahnen, U-Bahnen, Stadt-/Straßenbahnen, straßengebundener ÖPNV), mit Netzen und Anlagen für den nichtmotorisierten Verkehr (Fußgänger- und Fahrradverkehr), Wasserstraßen und bodenseitige Anlagen des Luftverkehrs (Flughäfen, Landeplätze, Luftüberwachung) Energie- und Wärmeversorgung (Strom, Gas, Fernwärme . . .) mit Erzeugung, Speicherung, Umwandlung, Transport und Verteilung Wasserversorgung mit Gewinnung, Speicherung, Aufbereitung, Transport und Verteilung Entwässerung von Niederschlagswasser, Brauchwasser und Schmutzwasser mit Sammlung, Ableitung, Zwischenspeicherung/Rückhaltung, Reinigung, Verrieselung/Versickerung, Verregnung, Einleitung in Oberflächengewässer („Vorfluter“) Abfallbeseitigung und Wertstoffwiederverwertung mit Sammlung, Lagerung, Sortierung, Verwertung, Verbrennung und Ablagerung Informations- und Kommunikationsnetze mit Kupfer- oder Glasfaserkabel, aber auch Funk

(vgl. auch Libbe et al. 2011; Tietz 2019). Dabei werden verschiedene Netzebenen und räumliche Bezugsbereiche unterschieden, die jeweils spezifische Übertragungsformen erfordern mit internationalen, nationalen, regionalen, städtischen, quartiers- und grundstücksbezogenen Netzen. Die unterschiedlichen Betriebsformen auf den verschiedenen Netzebenen sind notwendig und zweckmäßig wegen • unterschiedlicher Übertragungsgeschwindigkeiten (z. B. Bodenverkehr, Luftverkehr), • unterschiedlicher Übertragungsverluste (Strom in Höchstspannungsnetzen (380 KV), Hochspannungsnetzen (220 KV, 110 KV), Mittelspannungsnetzen (50 und 20 KV), Niederspannungsnetzen (20 KV, 220/380 V); Gas mit Hochdruck (>16 bar), Mitteldruck (ca. 500 mbar), Niederdruck (ca. 60 mbar)), • unterschiedlicher Transportmengen, • unterschiedliche Versorgungsweiten. Die Netzelemente sind innerhalb der einzelnen Medien verknüpft (Knoten, Kreuzungen bei Straßen, Bahnhöfe/Haltepunkte bei Schienenverkehrs-

Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen

mitteln, Druckreglerstationen bei Gas und Wasser, Umspannwerke bei Strom, Knoten und Verteilstationen bei Informations- und Kommunikationsnetzen . . .). Sie sind auch zwischen den verschiedenen Trägern bzw. Medien verknüpft – so die Verkehrsträger an Bahnhöfen, Haltepunkten, Haltestellen, Parkplätzen/Parkhäusern, die Abwassernetze mit Wärmenetzen („Wärmetauscher“ in Schmutzwasserkanälen) und Stromnetzen („Turbinen in Abwasserkanälen“), die Abfallverwertung und die Schmutzwasserreinigung mit Energienetzen (Abfallverbrennung, Klärgaserzeugung . . .). Informations- und Kommunikationsnetze wirken in den Netzen aller anderen Medien begleitend und ermöglichen damit eine Erfassung der Betriebszustände und eine Betriebssteuerung. Die Netze sind vermehrt intermedial vernetzt – beispielsweise Batterien von Elektrofahrzeugen mit dezentralen Stromnetzen, wobei die Batterien der Fahrzeuge nicht nur die Fahrzeuge antreiben, sondern auch Strom für andere Nutzungszwecke zwischenspeichern.

3

Integration von Raumentwicklung und technischen Infrastrukturen

Die Nachfrage nach Infrastrukturleistungen hinsichtlich Art, Quantitäten und Qualitäten ist durch die räumliche Verteilung der Bedarfsträger aus Bevölkerung/Bewohnerschaft, Wirtschaft und anderen Infrastruktursegmenten im Raum unterschiedlich – beispielsweise zwischen Großstädten, Mittelstädten, Kleinstädten und Dörfern. Ebenso ist das Dargebot an Leistungen infolge geogener, hydrologischer, klimatischer Gegebenheiten und kultureller Prägungen der Raumund Siedlungsstruktur räumlich unterschiedlich verteilt. Es gibt Teilräume und Standorte mit natürlichen oder anthropogen erbrachtem Leistungsüberschuss („Quellen“ der Leistungen) und mit Leistungsdefiziten („Senken“ der Leistungen). Standorte der netzförmigen wie auch der punktförmigen Infrastrukturanlagen müssen daher abgestimmte werden: • räumlich horizontal, d. h. zwischen benachbarten Teilräumen zur Sicherung von Netzan-

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schlüssen, optimierten Standorten für vernetzende Anlagen (z. B. Bahnhöfe, Autobahnauf-/ abfahrten und Kreuzungen, Kläranlagen, Trinkwasserspeicher . . .) • räumlich vertikal zwischen den Raumebenen von Europa, Nationen, (Bundes-)Ländern/ Regionen und Kommunen zur Gewährleistung der Verbindung, Anbindung und der unterschiedlichen Leistungsentfernungen • sektoral zur Gewährleistung des Zusammenwirkens von beispielsweise Verkehr, Energieund Informations-/Kommunikationsnetzen • zwischen verschiedenen Leistungsträgern beispielsweise im Bereich des Verkehrs mit öffentlichem (Fern- und Nah-)Verkehr , motorisiertem Individualverkehr oder Lkw-Verkehr, nicht-motorisiertem Verkehr oder im Bereich der Energie mit Elektrizitäts-, Gas- und Wärmeversorgung sowie jeweils Informations- und Kommunikationsnetzen. Trassen von Infrastrukturanlagen werden zur Reduktion von Flächenbeanspruchungen, zur Vermeidung von Eingriffen in naturbelassene Flächen und zur Reduktion der gesamthaften Umweltwirkungen (Lärm, Schadstoffemissionen, Trennwirkungen . . .) intramedial wie auch intermedial „gebündelt“. In Städten werden z. B. Kabelkanäle realisiert, in denen Leitungen der Wärme-, Gas-, Elektrizitäts- und Wasserversorgung und Telefon- und Glasfaserkabel gebündelt werden (vgl. Abb. 1). Bei der Gegenüberstellung und dem Ausgleich von Bedarf und Dargebot sind die Anzahl der Bedarfsträger wie Einwohnerzahl und -struktur, Arbeitsplätze und Unternehmen oder auch Geschossflächen und Siedlungsflächen ebenso zu berücksichtigen wie Anzahl und Struktur der Dargebotsträger (z. B. Verkehrsangebote, Kapazitäten und Betriebsformen). Dabei sind folgende Einflüsse zu beachten: • teilräumliche Wirtschaftsstruktur (z. B. Branchen) und Wirtschaftskraft (z. B. beschrieben durch das erwirtschaftete Brutto-Inlands-Produkt oder die Exportleistungen) • Technikanforderungen mit Standardisierung, Sicherheitsanforderungen, Überwachung und Steuerung

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K. J. Beckmann

Abb. 1 Standardprofil für Kollektoren des Österreichischen Institutes für Bauforschung (Vorlesung Beckmann 1999/2000, Kap. 11.8, Abb. 11.8.6)

• Finanzierungsgrundlagen mit hohen öffentlichen Anteilen wie beispielsweise Verkehr, sowie Informations- und Kommunikationsnetze oder auch mit hohen privaten Leistungsanteilen durch Nutzerfinanzierung (Wasser, Abwasser, Wärme, Energie) • mögliche Trägerschaften (öffentlich, sowohl öffentlich als auch privat (ÖPP), privat).

Physische Netze werden zumeist von organisatorischen Netzen des Betriebs und der Zuständigkeiten sowie von informatorischen Netzen der Überwachung und Steuerung überlagert, um die Funktionsfähigkeit zu sichern und/oder den Betrieb zu optimieren.

4 Zur Gewährleistung der vermehrten Anforderungen bezüglich Sicherheit, Störungsfreiheit und Dauerhaftigkeit der Leistungen, d. h. vor allem auch Resilienz als Anpassungsfähigkeit der Leistungserbringung werden physische Netze des Verkehrs, der Wasserversorgung, der Energieversorgung und der Kommunikation zunehmend weniger als Verästelungsnetze ausgestaltet, in denen Orte der Leistungsnachfrage nur auf einem Weg erreicht oder angebunden werden. Es dominieren Ringnetze und/oder vermaschte Netze, in denen auch bei Störungen eine Versorgung sichergestellt werden kann. Dazu werden Netze zunehmend auch weniger unidirektional, sondern vermehrt bidirektional betrieben. So können beispielsweise Batterien als Leistungsabnehmer von Strom in Ladevorgängen auch als dezentrale Leistungsabgeber von Strom an Verbraucher in Gebäuden und zur Stabilisierung der Versorgung dienen.

Planung und Umsetzung großräumiger Netze am Beispiel Verkehr

Ausgangspunkte der Planungen sind wegen der Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen von Bevölkerungs- und Sozialsystem, Wirtschaftssystem, Technologiepfaden, Trägerschaften und Fachpolitiken Szenarien dieser Entwicklungen, d. h. Szenarien der räumlichen Verteilung der Nachfrage und des Dargebots hinsichtlich Quantitäten, Strukturen, zeitlicher Merkmale, qualitativer Anforderungen. Auf der Grundlage dieser Szenarien der Nachfrage- und Dargebotsentwicklung werden Netze – beispielsweise der Straßen, der Schienenwege oder der Stromversorgung – konzipiert. Dabei können unterschiedliche Netzkonzepte mit Hauptverbindungen, Nebenverbindungen und Verknüpfungen, Übertragungsformen (z. B. Freileitungen oder

Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen

Erdkabel und Spannungs-/Druckebenen) entwickelt, hinsichtlich der Leistungsentwicklung (Verkehr, Strom . . .) überprüft und bewertet werden. Die Bewertung umfasst im Regelfall • (sozio-)ökonomische Bewertungen mit Hilfe von Nutzen-Kosten-Analysen oder ähnlichen ökonomische Bewertungsansätzen, • raumstrukturelle Bewertungen („Raumverträglichkeitsprüfung“), • Bewertungen bzw. Untersuchungen hinsichtlich der Umweltverträglichkeit („Umweltverträglichkeitsprüfung“), • Bewertungen der Beeinflussung kleinräumiger städtebaulicher Qualitäten. Dazu können Trassen des Neubaus, des Ausbaus und der Erneuerung grob festgelegt und auf dieser Grundlage detailliert werden. Zur Trassenprüfung und -festlegung werden Raumordnungs-Verfahren durchgeführt und mit einer landesplanerischen Beurteilung hinsichtlich der Raumverträglichkeit abgeschlossen. Bestandteil des Raumordnungsverfahrens sind Umweltverträglichkeitsprüfungen hinsichtlich der Beeinträchtigung schutzwürdiger Umweltbelange (Naturschutz, FFH-Gebiete, Lärmschutz, Luftreinhaltung, Bio-Diversität . . .) und der Bevorzugung von Trassen mit geringsten Umweltbeeinträchtigungen. Die detaillierte rechtliche Sicherung der Trassen – auch hinsichtlich der Beeinträchtigung öffentlicher und privater Belange und der Eingriffe in privates Eigentum (z. B. Grundstück) – erfolgt in dem abschließenden Planfeststellungsverfahren.

4.1

Bundesverkehrswegeplanung, Ausbaugesetze mit Bedarfsplänen

Der Bund ist nach dem Grundgesetz (Art. 89, 90 GG) Eigentümer der Bundesfernstraßen (Bundesautobahnen und Bundesstraßen) und der Bundeswasserstraßen. Eigentümer der Bundesschienenwege ist die Deutsche Bahn AG, an der der Bund aktienrechtlich die Mehrheit hat (Art. 87e GG). Der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) dient der Steuerung von Erhaltungsbedarf

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(„Erneuerung“), Ausbau und Neubau dieser Bundesverkehrswege im Zeitraum von 10 bis 15 Jahren. Eine Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit schreibt das Haushaltsrecht des Bundes (§ 6 Haushaltsgrundsätzegesetz HGrG und § 7 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung BHO) vor. Die Vorteilhaftigkeit bestimmt die Dringlichkeit der Projekte, wobei die Realisierung außerdem von der Erlangung des Baurechts („Planfeststellung“) und der Verfügbarkeit bzw. Freigabe der Finanzmittel abhängt. Abb. 2 zeigt den Ablauf der Bundesverkehrswegeplanung und der Vernetzung mit der mittelfristigen Finanzplanung und der Projektfinanzierung im Rahmen der jährlichen Haushaltspläne. Die Ausbaugesetze sind alle fünf Jahre hinsichtlich der Gültigkeit der Annahmen (z. B. Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Verkehrsentwicklung) und der Prioritäten in den Kategorien „Vordringlicher Bedarf“, „Weiterer Bedarf“ und „Kein Bedarf“ zu überprüfen. Der derzeit gültige Bundesverkehrswegeplan hat das Bezugsjahr 2030 und wurde 2016 vom Bundeskabinett beschlossen (vgl. Monse und Hassheider 2017). Ziele der Bundesverkehrswegeplanung sind u. a. • Substanzerhaltung • Verbesserung des Verkehrsflusses und Engpassbeseitigung • Verbesserung der Erreichbarkeiten und Anbindungsqualitäten • Zuverlässigkeit von Transport • Transportkostensenkung • (modale) Verkehrsverlagerung auf umweltverträgliche(re) Verkehrsmittel • Verkehrssicherheit • Begrenzung des Flächenverbrauchs und Erhaltung unzerschnittener Landschaftsräume • Lärmminderung • Erschließung von städtebaulichen Entwicklungspotenzialen. Die Projektvorschläge für das Straßennetz kommen überwiegend von den Ländern, bei den Bundesschienenwegen von der Deutschen Bahn und bei den Wasserstraßen von Bundeswasserst-

108 Abb. 2 „Lebenszyklus“ eines Bundesverkehrswegeplans (BMVI 2019, S. 9)

K. J. Beckmann

Ebene der Legislative

Ebene der Exekutive

Ebene der Einzelprojektplanung

Ausbaugesetze mit Bedarfsplänen

Bundesverkehrswegeplan

Planungsauftrag

Baurecht

Jährliche Haushaltsgesetze

Fünfjahrespläne (IRP)

weitere Fachplanung

Bauausführung

Schematische Darstellung der Bundesverkehrswegeplanung Quelle: BMVI

raßenbehörden. Sie sind also überwiegend Ergebnis von teilräumlichen oder verkehrsträgerspezifischen Wünschen und nicht von fundierten und gesamthaft angelegten Problemanalysen (z. B. Schwachstellenanalysen) zu (regionaler) Wirtschaft, Umwelt und Sicherheit über die durchgeführten verkehrlichen Engpassanalysen hinaus. Die Verkehrs(nachfrage)prognosen für 2030 werden als räumliche Verflechtungsprognosen zwischen Kreisen (und mit dem Ausland) erstellt. Dabei wird nach Personen- und Güterverkehr unterschieden und die Verkehrsnachfrage auf die verschiedenen Verkehrsträger (Straße, Schiene, Wasserstraße, Luftverkehr, Seeverkehr) aufgeteilt. Instrumente der BVWP-Prognose dienen zur Vorausschätzung der künftigen Verkehre und Verkehrsbelastungen auf den Infrastrukturnetzen. Ausgangspunkt ist die Strukturdatenprognose, welche die Entwicklung von Bevölkerung und Wirtschaft – nach Sektoren und Regionen differenziert – für den Prognosehorizont bis 2030 vorausschätzt. Auf dieser Grundlage wird die Entwicklung der gesamten Verkehrsströme prognostiziert, auf die Verkehrsmittel aufgeteilt und auf die Strecken der Netze umgelegt („Verflechtungsprognose“). Diese modellgestützten Rechnungen benötigen Inputparameter, die politisch beeinflussbar sind. Beispiele sind Verkehrssteuern, Mauten oder Regulierungen.

Die Ergebnisse basieren auf den Annahmen des Kern- und Kompromiss-Szenarios. • Die Verkehrsprognose beschreibt ein moderates Wachstum der Personenverkehrsleistung (+12,2 %), während die Güterverkehrsleistung kräftig wächst (+38 %) im Zeitraum 2010 bis 2030. • Der Schienen-Personenverkehr steigt stärker an (+19,2 %) als der motorisierte Individualverkehr (+9,9 %), aber dies führt nicht zu einer Trendwende beim modalen Anteil der Schiene (von 7,5 auf 7,9 %). • Der Schienen-Güterverkehr steigt stärker an (+42,9 %) als der Straßen-Güterverkehr (+38,9 %), gewinnt aber nur leicht an Anteilen der Verkehrsleistung (von 17,7 auf 18,4 %). • Von den Gesamtinvestitionen in Höhe von 269,6 Mrd. EUR gehen 132,8 an die Bundesfernstraßen (davon 67,0 Mrd. für Ersatzmaßnahmen), 112,3 an die Bundesschienenwege (davon 58,4 Ersatz) und 24,5 an die Bundeswasserstraßen (davon 16,2 Ersatz). Der Anteil der Ersatzinvestitionen liegt damit bei 50,1 % für die Straße, 52 % für die Schiene und 66 % für die Wasserstraßen. Bei den Neu- und Ausbauprojekten werden ca. 80 % der Mittel für Projekte auf Hauptachsen, d. h. für großräumig als bedeutsam eingestufte Projekte, bereitgestellt.

Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen

Die wirtschaftliche Bewertung (Modul A) basiert auf einem abstrakten Wohlfahrtskonzept, das von konkreten politischen Zielen unabhängig ist. Im Mittelpunkt stehen die Zuwächse an Konsumentenund Produzentenrenten, die aus Einsparungen an Zeit- und Betriebskosten der Verkehrsteilnehmer folgen. Weiter gehen monetarisierte Unfallfolgen und Umweltwirkungen von Projekten in die monetäre Bewertung ein. Zusätzlich werden nicht monetäre umweltfachliche (Modul B) sowie städtebauliche und raumordnerische Belange (Modul C) mit Hilfe von zusätzlichen Bewertungsansätzen quantifiziert. Diese werden aber nicht mit den monetären Ergebnissen der Wirtschaftlichkeitsrechnung zusammengefasst. Damit verbleibt am Ende die Aufgabe, eine gesamtpolitische Bewertung, d. h. Abwägung der drei Modul-Ergebnisse vorzunehmen. Dies erfolgt zum Beispiel durch Ausschluss von Projekten mit teilweiser Umweltunverträglichkeit oder durch die Einbeziehung von Projekten für regionale Relationen mit spezifischen Anbindungs-/Verbindungsdefiziten. In die Kosten-Nutzen-Analyse (Modul A) gehen (monetarisierbare) Wirkungen ein wie • Betriebsführungs- und Vorhaltekosten im Personen- und Güterverkehr • Zeitkosten im Personen- und Güterverkehr • Unfallkosten • Kosten infolge Unzuverlässigkeit („Störung“/ „Stau“) • Umweltwirkungen aus Luftschadstoff- und Lärmemissionen, Klimawirkungen – Letzteres über den Lebenszyklus. Die Ergebnisse der wirtschaftlichen Bewertung (Änderungen der Konsumenten- und Produzentenrenten, der Unterhaltskosten, der Unfallfolge- und Umweltkosten und weiterer verkehrsbezogener Komponenten wie zum Beispiel Zuverlässigkeit in der Logistik) bilden den Nutzen von Projekten im Modul A. Die Division der zusammengefassten jährlichen monetären Nutzen durch die Annuität der Investitionskosten ergibt das Nutzen-KostenVerhältnis (NKV). Das NKV bildet die Basis für eine erste Prioritätenbildung für Aus- und Neubauprojekte. Dies erfolgt getrennt für die Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße.

109

Raumordnerische Wirkungen werden in Bezug auf • Defizite der Anbindungs- und Verbindungsqualitäten zu Zentren des Zentrale-Orte-Systems und • Defizite der Erreichbarkeiten hinsichtlich raumordnerischer Mindeststandards der Erreichbarkeiten ermittelt. Grundlage ist die Richtlinie für integrierte Netzgestaltung (RIN, vgl. FGSV 2008) auf der Basis von Luftliniengeschwindigkeiten zwischen Oberzentren und Metropolregionen bzw. zwischen Teilräumen und Mittel- oder Oberzentren. Ein hoher NKV ist Voraussetzung für die Zuordnung zum vordringlichen Bedarf (VB), wobei dieser noch unterteilt ist in VB-E (vordringliche Einstufung, keine hohe Umweltbetroffenheit). Gleichfalls werden Straßenprojekte mit hoher raumordnerischer oder städtebaulicher Bedeutung dem vordringlichen Bedarf zugeordnet. Bei der Schiene werden in einem ersten Auswahlschritt Projekte gutachterlich vorbewertet, die in die Nutzen-Kosten-Bewertung sowie Umweltund Raumordnungsprüfungen aufzunehmen sind. Diese gehen aufgrund ihrer NKV direkt in die Prioritätenbildung ein. Die übrigen Bahn-Projekte durchlaufen eine Phase 2 im Nachgang zum BVWP und können in den vordringlichen Bedarf aufgenommen werden, sofern sie sich als sinnvolle Ergänzungen erweisen. Dieser Arbeitsschritt, der praktisch alle Maßnahmen zur Verbesserung des kombinierten Verkehrs durch moderne Umschlaganlagen umfasst, steht aber bisher noch aus. Die Priorisierung erfolgt jeweils getrennt für Straße, Schiene und Wasserstraßen hinsichtlich • Erhaltungs-/Ersatzbedarf • Aus- und Neubau. Dabei werden im BVWP 2030 mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 269,6 Mrd. Euro 141,6 Mrd. Euro für Erhaltungs- und Ersatzmaßnahmen festgelegt. Im Bereich der Aus- und Neubauprojekte sind 53,6 % der Investitionsmittel für die Straße, 42,1 % für die Schiene und 4,3 % für die

110

Wasserstraße vorgesehen. Enthalten sind die Mittel für „Laufende“, d. h. in Bau befindliche Projekte und für „fest disponierte“ Projekte. Der „Vordringliche Bedarf (VB)“ wird noch aufgeteilt in Projekte „Vordringlicher Bedarf zur Engpassbeseitigung (VB-E)“ und „Sonstiger Vordringlicher Bedarf “ (VB), der „Weitere Bedarf“ in „Weiterer Bedarf mit Planungsrecht“ und „Sonstiger Weiterer Bedarf“. Die EU Kommission hat in ihrem Weißbuch von 2011 das Ziel formuliert, die Klima-Emissionen des Verkehrs bis zum Jahr 2050 um 60 % zu senken. Hierzu erwähnt sie eine Reihe von Maßnahmen, darunter den Ausbau der Transeuropäischen Netze (TEN) und verkehrspolitische Vorgaben zur Erzielung eines nachhaltigen Modal Splits. So sollen zum Beispiel Gütertransporte oberhalb von 300 km Transportdistanz bis 2030 zu 30 % mit der Bahn durchgeführt werden, bis 2050 sollen dies sogar 50 % sein. Die TEN-Maßnahmen dienen zum großen Teil der Wiederherstellung der Konkurrenzfähigkeit von Bahn und Binnenschiff. Im Bahnbereich soll innerhalb der EU Interoperabilität auf den Netzen hergestellt werden, wozu folgende Indikatoren („Key Performance Indicators, KPI“) für die Kernnetz-Korridore (CNC) im Güterzugbereich festgelegt wurden: • • • • •

Strecken zweigleisig und elektrifiziert max. Zuglängen 740 m max. Achsgewichte 22,5 t max. Geschwindigkeiten 120 km/h einheitliches Zugleitsystem ERTMS.

Insgesamt sind zwei Drittel der geschätzten Kosten für die CNC für den Ausbau der Bahninfrastrukturen geplant. Deutschland hinkt mit den Planungen allerdings hinterher, vor allem bei den max. Zuglängen und dem einheitlichen Zugleitsystem ERTMS. Mittel, die von der EU im mittelfristigen Programm 2014–2020 im Rahmen der „Connecting Europe Facility (CEF)“ zur Verfügung standen, wurden von deutscher Seite bislang nur in geringem Umfang genutzt, weil die Projekte nicht ausgereift waren. Vor allem im Falle von ERTMS haben sich Deutsche Bahn AG und Bund erst sehr spät auf eine beschleunigte Realisierung verständigt. Erst der Masterplan zum Schienengüterverkehr, der im Jahr 2017 kurz vor

K. J. Beckmann

den Wahlen zum Bundestag veröffentlicht wurde, nennt konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit der Schiene. Deren Realisierung kann aber erst durch die neu gewählte Regierung beschlossen und gefördert werden. Fakt ist, dass dieser Masterplan dem BVWP nicht zugrunde liegt und insofern nur Ankündigungscharakter hat und viele Fragen offen lässt. Unter Klimaschutzaspekten spielen Ziele der Reduktion von CO2-Emissionen – wie auch von anderen klimarelevanten Emissionen wie Methan (CH4) – seit vielen Jahren eine entscheidende Rolle. Dabei geht es um CO2-Emissionen aus Haushalten/Gebäuden, Industrie/Produktion, Landwirtschaft und Verkehr. Während seit 1990 in nahezu allen Sektoren Reduktionen um 20–40 % erreicht werden konnten, sind die absoluten CO2-Emissionen des Verkehrs nahezu konstant geblieben und haben damit im Anteil an den gesamten CO2-Emissionen zugenommen. Auf der Grundlage der vom IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) im 5. Sachstandsbericht (2013/14) geleisteten Klimafolgenabschätzungen und der global diskutierten Ziele der Begrenzung der Temperaturerhöhung auf 2  C (Marge 1,5  C bis 4  C) haben sich vieljährig verschiedene UN-Veranstaltungen („Klimakonferenzen“, Kyoto 1997, Kopenhagen 2009, Paris 2015, Cancun 2010, Marrakesch 2016 und nachfolgend Bonn 2017 sowie Warschau 2018) um Verabredungen bzw. Vereinbarungen zu abgestimmten Aktivitäten nahezu aller UN-Mitgliedsstaaten bemüht. Dies ist letztlich mit dem „Klimaschutzabkommen 2016“ gelungen. Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung den „Klimaschutzplan 2050“ (14.11.2016) mit Sektorzielen verabredet. Dies bedeutet für den Verkehr eine Reduktion um 40–42 % (gegenüber 1990). Dieser sollte Rahmen und Maßstab für verkehrsgestaltende Maßnahmen bezüglich Infrastrukturen, Betriebssystemen, Fahrzeugen, aber vor allem auch bezüglich Verhaltensänderungen bzw. Nutzungsstrukturen sein bzw. werden. Während der BVWP derzeit nur eine partielle Projektbewertung enthält, geht es bei der Weiterentwicklung darum, diese durch eine integrierte Systembewertung zu ergänzen. Die für diesen Zweck geeigneten Bewertungsverfahren gehen

Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen

über die Nutzen-Kosten-Analyse hinaus. Sie umfassen erweiterte wirtschaftliche Folgewirkungen („wider economic impacts, WEI“; s. Rothengatter 2017) und zielen vor allem auf die langfristigen Effekte für Wirtschaftswachstum, Strukturveränderung und Verteilung. In diesem Zusammenhang stehen die Wechselbeziehungen zwischen Verkehr und den übrigen Wirtschaftssektoren sowie der Einfluss des Verkehrs auf den technischen Fortschritt im Mittelpunkt. Obwohl WEI in einigen Ländern (UK, Frankreich, Niederlande) für erweiterte Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von Großprojekten oder Investitionsprogrammen angewendet werden, gibt es derzeit kein Standard-Verfahren, d. h. es ist eine Neu-Entwicklung erforderlich. Die EU-Kommission fördert die Entwicklung integrierter Bewertungsverfahren („integrated assessment methods, IAM“), die neben den Wechselbeziehungen zwischen Verkehr und Wirtschaft auch Wechselbeziehungen zu Technologie, Energiewirtschaft und Umwelt berücksichtigen. Beispiele sind die Projekte HIGHTOOL und TRIMODE. Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats für Verkehr zur „Strategieplanung Mobilität und Transport – Folgerungen für die Bundesverkehrswegeplanung“ (2009) und andere Veröffentlichungen (z. B. Beckmann, Klein-Hitpaß und Rothengatter 2012) fordern eine stärkere strategische Ausrichtung der Bundesverkehrswegeplanung und deren Unterteilung in drei Ebenen: • politische Strategieebene, • Systemebene und • Projektebene. Diese Empfehlungen sind hinsichtlich ihrer Sachgerechtigkeit und zukunftsorientierter Erfordernisse nicht in Frage gestellt, aber bisher weitgehend nicht umgesetzt. Auf der politischen Strategieebene geht es um übergeordnete Vorgaben für die Bundesverkehrswegeplanung wie • institutionelle Festlegungen (z. B. einzubeziehende Netze), • Festlegungen von Zielen und Eckwerten, • Festlegung von Maßnahmenkollektiven zur Zielerreichung,

111

• Grundsätze der Priorisierung (z. B. Erhaltung vor Neu- und Ausbau), • Bewertungsobjekte (Einzelprojekte, Teilnetze, Gesamtnetz, Programme, z. B. DeutschlandTakt), • Bewertungsverfahren, abgestimmt auf die Bewertungsobjekte (Kosten-Nutzen-Analyse KNA, Multikriterien-Analyse MKA, partiell für Projekte, integriert für Maßnahmen-Kollektive und Gesamtnetze, analog zur Strategischen Umweltprüfung). Auf der Systemebene sind die Rahmensetzungen der Strategieebene zu Handlungskonzepten (Szenarien) zu verdichten und vertiefend auf Wirkungen zu untersuchen. Dies kann beispielsweise umfassen: • Erhaltungs-Szenario (folgend aus Zustandsanalysen und Verschleißprognosen), d. h. Konzentration der Infrastrukturmittel auf Erhaltung und Erneuerung • Engpass-Szenario (Analyse verkehrlicher, sicherheits- und umweltbezogener Engpässe als Grundlage für die Projektauswahl) • Technologie- und Nachfrage-Szenario (Analyse wahrscheinlicher Änderungen gegenüber Vergangenheits-Trends; Bestimmung zusätzlicher infrastruktureller Maßnahmen wie Elektrolade- und Wasserstoff-Tankstellennetze, Ergänzungen bei Kommunikationsnetzen) • Klimaschutz-Szenario zur Erreichung der CO2-Minderungsziele für den Verkehr durch infrastrukturelle und ergänzende (organisatorische, steuerliche, managementmäßige und informatorische) Maßnahmen • Nachhaltigkeits-Szenarien (Maßnahmenprogramme zur Einhaltung der strategisch vorgegebenen Eckwerte, Vorbereitung zur Auswahl eines Maßnahmenprogramms unter Einschluss einer Infrastruktur, durch welche die Einhaltung der Eckwerte wirtschaftlich effizient erreicht werden kann) • Bewertung der Szenarien mit Hilfe „erweiterter“ integrierter Verfahren • Abstimmung mit der Finanzplanung (Projektion verfügbarer Budgetmittel, Ergänzung durch ÖPP, mögliche EU-Förderung) (Abb. 3).

112

K. J. Beckmann

Abb. 3 Betrachtungs- und Entscheidungsebenen (Beckmann und Rothengatter 2017, S. 22)

4.2

Planungsrecht für Bundesfernstraßen

Straßenbauvorhaben des Bundes für Bundesautobahnen oder Bundesstraßen dienen der Verbesserung der Verkehrsinfrastrukturen und damit der Erreichbarkeit von Teilräumen sowie der Verbesserung von Teilnahmechancen und von wirtschaftlichen Austauschprozessen. Sie bedeuten gleichzeitig Eingriffe in die Umwelt und zumeist in die Rechte von Menschen oder öffentlich-rechtlichen sowie privat-rechtlichen Körperschaften. Diese Eingriffe müssen planungsrechtlich begründet, abgewogen und als unverzichtbar eingestuft werden. Dabei gibt es eine Abwägungsspanne zwischen dem Ziel einer zügigen Planung und Umsetzung („Beschleunigung“) und einer umfassenden Wirkungsermittlung (Verkehrssicherheit, Umweltbelastungen, Leistungsfähigkeit, Minimierung von Auswirkungen) und einer intensiven Beteiligung der Betroffenen und der Bürgerschaft als Gesamtheit. Die bisherige Zuständigkeit der Bundesländer nach Art. 85 und 90 GG für Verwaltung, Planung, Neubau und Unterhaltung – mit Ausnahme der Ortsdurchfahrten von Gemeinden mit mehr als 80.000 Einwohnern (§ 5 Abs. 2 Bundesfernstraßengesetz FStrG) – ändert sich mit der Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft, die die Aufgaben

der Länder übernimmt (2017). Der Bund, vertreten durch den jeweiligen Bundesverkehrsminister (derzeit BMVI), behält die Zuständigkeit für Bundesverkehrswegeplanung, Bedarfsplanung und Linienbestimmung, die Städte die Zuständigkeit für Ortsdurchfahrten – bei mehr als 80.000 Einwohnern – und die Möglichkeit zur Beantragung der Zuständigkeit bei mehr als 50.000 Einwohnern. Die Zuständigkeit für Landesstraßen (Landstraßen, Staatsstraßen) liegt bei den Ländern. Diese regeln über die Landesstraßengesetze auch die Rahmenbedingungen für Kreisstraßen und Gemeindestraßen als „klassifizierte“ Straßen, deren Zuständigkeit aber bei den Kreisen bzw. Gemeinden als Baulastträger liegt. Während Bundesautobahnen, Bundesstraßen, Landes- und Kreisstraßen nach den Straßengesetzen des Bundes (FStrG) bzw. den Straßengesetzen der Länder geplant, gebaut, betrieben oder unterhalten werden (straßen-/wegerechtliche Sicherung), werden Gemeindestraßen oder öffentliche Wege zumeist über Bebauungspläne nach Baugesetzbuch BauGB geplant und gesichert. Der Einsatz Privater erfolgt über Private-PublicPartnerships oder über private Finanzierungsmodelle (z. B. A-Modelle, bei denen Private Planung, Bau, Betrieb und auf eine Laufzeit von 30 Jahren Erhaltung übernehmen und dazu Erträge der Lkw-Maut für den jeweiligen Straßenabschnitt vom Bund erhalten („Konzessionsvertrag“)).

Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen

Mit der Aufnahme eines Straßenbauvorhabens in den Bedarfsplan für Bundesfernstraßen als Gesetz – analog für Eisenbahnvorhaben in den Bedarfsplan für Schienenwege oder für Wasserstraßen in den entsprechenden Bedarfsplan – ist der Bedarf für die Linienbestimmung (§ 16 FStrG) und für die Planfeststellung (§ 17 FStrG) verbindlich festgelegt. Über Raumordnungs- und Linienbestimmungsverfahren sowie Planfeststellungsverfahren muss das Baurecht nach § 17 FStrG geschaffen und die Finanzierung im Rahmen des jeweils laufenden Investitionsrahmenplans und der Haushaltspläne des Bundes gesichert werden. Das für Bundesfernstraßen zuständige Bundesministerium bestimmt im Benehmen mit den Landesplanungsbehörden der beteiligten Länder die Planung und Linienführung, d. h. Anfangsund Endpunkt sowie grundsätzlichen Verlauf (§ 16 FStrG) – zumeist auf der Grundlage von vorgelagerten Raumordnungsverfahren. Für Ortsumgehungen bedarf es keiner Linienbestimmung. Die Linienbestimmung bindet nur die beteiligten öffentlichen Verwaltungen. Rechte und Pflichten gegenüber dem Bürger entfalten erst die Planfeststellungsbeschlüsse. Notwendig ist im Verlauf oder als integraler Bestandteil eines Raumordnungsverfahrens (§ 15 Raumordnungsgesetz RO) eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Nach UVP-Gesetz ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Bau und Änderung von Bundesfernstraßen vorgeschrieben (Anlage 2 UVP-Gesetz; vgl. auch Louis i. d. B.). Die Umweltverträglichkeitsprüfung beinhaltet eine umfangreiche Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Umweltauswirkungen werden somit frühzeitig ermittelt und – unter Beteiligung der Öffentlichkeit – bewertet. Sind die im Gesetz festgelegten Kriterien (Anlage 2 UVP-Gesetz) für eine UVP nicht erfüllt, so sind in einem Screening-Verfahren die Umweltauswirkungen durch die Planfeststellungsbehörde überschlägig zu ermitteln, um über das Erfordernis einer umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfung zu entscheiden. Die UVP umfasst die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der Auswirkungen auf die Umweltschutzgüter Menschen, Fauna, Flora, Boden, Wasser, Luft, Klima, aber auch Landschaft, Kulturgüter und sonstige Sachgüter. Die

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Umweltbelastungen müssen mit den verkehrlichen, wirtschaftlichen, raumordnerischen und städtebaulichen Effekten des Straßenbauvorhabens abgewogen werden. Die Unterlagen sind nach § 6 UVPG durch den Vorhabenträger der zuständigen Behörde zur Entscheidung vorzulegen. Die UVP ist ein Verfahrensrecht, aus dem einzelne Bürger und Betroffene keinen unmittelbaren Anspruch ableiten können. Besondere Schutzbelange ergeben sich nach der Flora-Fauna-Richtlinie (FFH-RL 1992) in Gebieten von (europäischer) gemeinschaftlicher Bedeutung wie „Natura-2000-Gebiete“ oder „Europäische Vogelschutzgebiete“. Um die Umsetzung von Straßenbauprojekten des Bundesfernverkehrs nicht behindern zu lassen, kann nach der Planungsrichtlinie ein Geländekorridor festgelegt werden (§ 9a Abs. 3 Satz FStrG), in dem eine Veränderungssperre schon vor Beginn des Planfeststellungsverfahrens erlassen werden kann, um wertsteigernde oder die Straßenplanung nachteilig beeinflussende Maßnahmen zu verhindern. Diese Wirkung tritt andernfalls erst mit der Einleitung des Planfeststellungsverfahrens ein.

4.3

Planfeststellungsverfahren

Das Planfeststellungsverfahren ist als allgemeines Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahrensrecht VwVfG (§§ 72–78) und als spezielles Verfahrensrecht im Fachrecht (§§ 17–17e FStrG) festgelegt. Danach dürfen Bundesfernstraßen erst gebaut werden, wenn ein Planfeststellungsbeschluss (§ 17 FStrG) vorliegt oder eine Plangenehmigung für Vorhaben, für die keine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist oder Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden und mit Trägern öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereiche berührt sind, das Benehmen hergestellt worden ist. Sollten andere öffentliche Belange nicht betroffen sein und Rechte anderer nicht beeinflusst werden, kann das Vorhaben ohne förmliches Verwaltungsverfahren („Verwaltungsakt“, § 74 Abs. 7 VwVfG) realisiert werden. Wird – vor allem im bebauten Zusammenhang der Gemeinden – die Anlage von Straßen auf

114

der Grundlage eines Bebauungsplans nach § 9 BauGB (§ 17b Abs. 2 FStrG) geplant, so erübrigt sich ein Planfeststellungsbeschluss. Dieses Vorgehen hat aber den Nachteil der fehlenden abschließenden Regelung sonstiger Erlaubnisse und Bewilligungen – z. B. nach Naturschutzrecht, Wasserrecht, Bauordnungsrecht o. ä. Der Planfeststellungsbeschluss legt als Verwaltungsakt konkret und grundstücksgenau – einschließlich sonstiger Verpflichtungen wie z. B. Lärmschutz, Ausgleich oder Ersatz von Eingriffen nach Naturschutzrecht – die Grundlagen des Baus fest. Damit können auch für den Bau notwendige Grundstücke – eventuell auch über Enteignungsverfahren bei fehlender Veräußerungsbereitschaft – erworben werden. Der Planfeststellungsbeschluss hat insoweit Konzentrationswirkung, als keine zusätzlichen öffentlich-rechtlichen Verfahren – auch bauordnungsrechtliche Genehmigungen – oder Erlaubnisse erforderlich sind. Folgende Akteure sind im Planfeststellungsverfahren beteiligt: • Die planaufstellende Behörde als „Projektträger“ – im Regelfall die Straßenbaubehörde, die sich zumeist der Unterstützung von Planungsund Ingenieurbüros bedient (z. B. DEGES bei Vorhaben in den neuen Bundesländern oder für die Bundesfernstraßengesellschaft). • Die Anhörungsbehörde – z. B. bei den Mittelbehörden („Bezirksregierungen“) –, die die Unterlagen von der planaufstellenden Behörde erhält, diese innerhalb eines Monats in den betroffenen Gemeinden öffentlich auslegt und die beteiligten Behörden und Stellen unter Fristsetzung zur Stellungnahme auffordert. In einem Erörterungstermin werden die Einwendungen behandelt. Einwendungen, die nicht fristgerecht eingebracht werden, unterliegen der Präklusion, können also später nicht mehr vorgebracht werden. Die Stellungnahme der Anhörungsbehörde ist innerhalb der vorgegebenen Fristen (§ 18a Nr. 5 FStrG) der Planfeststellungsbehörde zuzuführen. • Die Planfeststellungsbehörde – das zuständige Landesministerium oder eine nachgeordnete Behörde – stellt den Plan mit Auflagen und

K. J. Beckmann

Rechtsbehelfsbelehrung fest. Die Entscheidung wird den Einwendern zugestellt oder – bei einer größeren Anzahl von Einwendern – öffentlich bekannt gemacht und in den Gemeinden für zwei Wochen zur Einsicht ausgelegt. Zur Verfahrensbeschleunigung ist ein Widerspruchsverfahren bei der Planfeststellungsbehörde ausgeschlossen, sondern es ist nur direkt Klage beim zuständigen Oberverwaltungsgericht (OVG) oder Verwaltungsgerichtshof (VGH, z. B. Bayern) zulässig bzw. erforderlich. Bei der Planfeststellung wie auch der Plangenehmigung für Bundesfernstraßen sind insbesondere als Wirkungsbereiche zu beachten: • Flächenbeanspruchungen, auch durch Nebenanlagen • Trennwirkungen in naturbelassenen Gebieten, land- und forstwirtschaftlichen Gebieten, Natur- und Landschaftsschutzgebieten, Gebieten europäischer Schutzkategorien, damit Eingriffe in Natur und Landschaft mit dem Ziel der weitgehenden Vermeidung oder des Ausgleichs oder Ersatzes • Lärmemissionen/-immissionen (Immissionsgrenzwerte nach 16. Bundes-ImmissionsSchutz-Verordnung BImSchV) • Trennwirkungen für funktionale Beziehungen • Anforderungen der Luftreinhaltung und – vor allem zukünftig – des Klimaschutzes.

4.4

Planungsrecht für Eisenbahnen, Stadt- Straßenbahnen

Eisenbahnen des Bundes wie aber auch nichtbundeseigene Eisenbahnen unterliegen analogen Regelungen wie die Bundesverkehrswegeplanung, die Durchführung von Raumordnungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfungen sowie das Planfeststellungsverfahren. Grundlage für Neubau und Erneuerung von Schienenwegen ist der „Bedarfsplan Schiene“. Zuständig ist die Deutsche Bahn AG. Planfeststellungsverfahren oder Plangenehmigungen erfolgen durch das Eisenbahn-Bundesamt EBA. Die Anträge auf Planfeststellung stellt die DB AG; die Anhörungs-

Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen

behörden werden nach Landesrecht bestimmt. Das Planfeststellungsrecht für U-Bahnen, Stadtund Straßenbahn bestimmt sich als Landesrecht (VerwVfG der Länder). Für Binnenwasserstraßen bestimmt der Bund nach § 13 Abs. 1 Wasserstraßengesetz WaStrG die Planung und Linienführung. Für die Verfahren der Planfeststellung gelten §§ 72–78 VerwVfG und §§ 14 ff. WaStrG. Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde ist die jeweilige Wasser- und Schifffahrtsdirektion. Das Planfeststellungsrecht für Flughäfen ist in den §§ 8–12 Luftverkehrsgesetz LuftVG geregelt.

5

Planung und Umsetzung großräumiger Netze am Beispiel „Energieübertragungsnetze“

5.1

Grundlagen

Mit den Zielen der Energiewende ist nach dem Reaktor-Unfall von Fukushima (2011) die mittelund langfristige Stilllegung von Atom-Kraftwerken verbunden. Unter den Zielen des Klimaschutzes durch Reduktion der CO2-Emissionen ist die langfristige Aufgabe von (Braun- und Stein-)Kohle-Kraftwerken erforderlich. Sie sollen ersetzt werden durch Anlagen der regenerativen Energieerzeugung aus • Windenergie (On-Shore- und Off-Shore-Windräder), • Sonnenenergie durch Fotovoltaik (SolarzellenParks), • Wasserkraft (großmaßstäbige und dezentrale Wasserkraftanlagen), • Bio-Energie/Bio-Masse (Bio-Reaktoren wie Vergärungsanlagen oder Faultürme für Klärschlamm). Die Zunahme des Bestandes an Anlagen und der Gesamtleistung der erneuerbaren Energien zeigt sich beispielsweise für die Windkraft mit einem Anstieg vom Jahr 2000 mit 30.000 Windrädern und 1665 MW-Leistung auf 2017 mit 1,6 Mio. Anlagen und einer Leistung von ca. 50 Mio. MW-Leistung.

115

Der Ausbau der regenerativen Energieerzeugung und der Umbau des gesamten EnergieversorgungsSystems erfolgt unter den Zielen der Versorgungssicherheit, der Netzstabilität, des Ausgleichs von Nachfrageschwankungen, aber auch der Wirtschaftlichkeit und des Umweltschutzes. Mit dieser Umstrukturierung wird sich das Standortgefüge der Erzeugungsanlagen („EnergieDargebot“) verändern, während das Standortgefüge der Nachfrage aus Haushalten, Industrie und Verkehr – zumindest kurz- und mittelfristig – weitgehend unverändert bleibt. Dies bedeutet für die Strom(fern)übertragung, dass die DargebotsSchwerpunkte der Windenergie im Norden Deutschlands durch neue leistungsfähige Höchstspannungsleitungen – im Wechselstrom- oder Gleichstrombetrieb – mit den Nachfrageschwerpunkten in West- und Süddeutschland (Ruhrgebiet, Köln/Bonn, Frankfurt, Rhein/Neckar, Stuttgart, München) verbunden werden müssen. Die bisherigen Braunkohlekraftwerke liegen überwiegend in den Braunkohlegebieten (Niederrhein, Sachsen-Anhalt/Niedersachsen, Sachsen/Brandenburg), die Windkraftanlagen jedoch in Norddeutschland (Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt), Solarzellen-Parks demgegenüber in Nord- und Süddeutschland. Wegen der Volatilität der Wind- und Sonnenenergie bedarf es vermehrt der Anlagen zur Energiespeicherung (Wasserkraftanlagen/Pumpspeicherwerke) und zur Umwandlung zu Wasserstoff („power to gas“) oder zu flüssigen Energieträgern („power to liquid“). Zum räumlichen Ausgleich von Nachfrage und Dargebot bedarf es somit einer Kapazitätserweiterung vorhandener Stromtrassen – beispielsweise durch Erhöhung der Höchstspannung, durch zusätzliche Kabel an vorhandenen Masten der Trassen, aber vor allem auch durch Bau neuer Stromtrassen. Dazu sind drei Hauptkorridore für Gleichstromtrassen – zum Teil mit Trassenalternativen – in der Diskussion und planerischen Vorbereitung: • Emden (Niedersachsen) – Philippsburg (Baden) • Brunsbüttel/Wilster (Niedersachsen/SchleswigHolstein) – Großgatach (Baden-Württemberg) • Wolmirsted bei Magdeburg (Sachsen-Anhalt) – Isar/Landshut (Bayern).

116

K. J. Beckmann

Zwischen 2013 und 2017 sind dafür bereits 3,1 Mrd. Euro investiert worden, für den Zeitraum 2018 bis 2023 sind Investitionen in Höhe von 3,3 Mrd. Euro vorgesehen.

5.2

Netzausbauplanung

Grundlage des Ausbaus der Netze ist die Erarbeitung eines Bundesbedarfsplans zur Netzentwicklung, der regelmäßig überprüft und fortgeschrieben werden soll. Die Planungen beruhen auf räumlichen und quantitativen Szenarien des Ausbaus der („regenerativen“) Energieerzeugung und der Stilllegung von Kohle- und Atomkraftwerken („Bundesbedarfsplan“). Mit dem Bundesbedarfsplanungsgesetz (BBPlG 2013) sind Anfangs- und Endpunkte der Trassenkorridore festgelegt, nicht jedoch die genauen Trassenverläufe. Die endgültigen Trassenverläufe müssen eine Breite von 500 bis 1000 m aufweisen. Die Festlegung der Trassenverläufe erfolgt auf der Grundlage strategischer Umweltprüfungen (§ 5 Abs. 2 NABEG). Die auf diesen Vorgaben beruhende Bundesfachplanung erfolgt für länder- und grenzübergreifende Hochspannungsleitungen durch die Bundesnetzagentur (§ 2 Abs. 2 NABEG), anderenfalls durch die zuständigen Landesbehörden. Zentrale rechtliche Grundlage ist das Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG 2011), nach dem für die von dem jeweiligen Netzbetreiber (z. B. 50 Hertz, Amperion, Tenne T, Transnet BW . . .) beantragte Vorzugstrassen (§ 18 NABEG) und für Trassenalternativen (§ 8 Abs. 3 NABEG) eine Raumverträglichkeitsprüfung – analog zu einem Raumordnungsverfahren (vgl. Kap. 6.1.1.5), aber nicht mit den rechtlichen und förmlichen Anforderungen – und eine Strategische Umweltprüfung durchgeführt werden müssen. Die federführende Bundesnetzagentur lädt zu Beginn des Prozesses zu einer Plan-/Antragskonferenz ein. Die Einladung richtet sich an den/die jeweiligen Netzbetreiber, an die Gebietskörperschaften, an Träger öffentlicher Belange, aber auch an die Öffentlichkeit. Nach einer Offenlage (§ 6 Abs. 3 NABEG) muss das Verfahren für eine Trasse spätestens sechs Monate nach Vorlage der

vollständigen Unterlagen abgeschlossen sein. Das Ergebnis wird nachrichtlich in den Bundesnetzplan übernommen. Die Verfahren der Raumverträglichkeitsprüfung und der Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen als integrierte Verfahren nach Beantragung der Trassen und der Anlagen bei der Bundesnetzagentur. Diese führt bei länderübergreifenden Trassen auch das Planfeststellungsverfahren durch. Im Sommer 2018 zeigten sich bei der ersten Tranche des Ausbaus der Stromnetze auf vorhandenen Trassen katastrophale Verzögerungen: es wurden weniger als 50 % der geplanten Maßnahmen von 24 Neubau- und Umrüstvorhaben („Energieleitungsausbaugesetz EnLAG“ 2009) realisiert. Dieses Ergebnis resultiert vor allem aus unklaren und/oder widersprüchlichen Positionen der Politik aller föderalen Ebenen (Bund, Bundesländer, Kommunen, auch Fachministerien des Bundes), aber auch aus strittigen Präferenzen für technologische Optionen wie Gleichspannungs- versus Wechselstromnetze, Freileitungen versus öl-ummantelte Erdleitungen sowie aus unterschiedlichen Beurteilungen der Wirkungen auf Umwelt, Stadt- und Landschaftsbild, Land- und Forstwirtschaft, Naturhaushalt und Menschen. Dies gilt in vermehrtem Maße für die „neuen“ Stromtrassen, die von einigen Bundesländern – z. B. Bayern – lange abgelehnt wurden und beispielsweise auch zwischen Hessen und Thüringen strittig behandelt wurden. Strittig ist auch immer noch das Über-/Unterordnungsverhältnis von Raumordnungsgesetz ROG und Bundesfachplanung. Insgesamt ist auch die „Präklusion“ verspätet eingebrachter Aspekte im Beteiligungsverfahren noch streitig. Zudem fehlt eine abschließende Klärung, ob und unter welchen Bedingungen „Bündelungstrassen“ in gleichen Trassenkorridoren oder sogar auf gleichen Leitungsmasten zulässig sind. Auch wird das Fehlen einer bundesweiten Standortplanung der Energieerzeugung, der Energiespeicherung und der Energieumwandlung kritisiert und ein Fachplan nach § 17 Abs. 1 ROG gefordert (ARL 2013, S. 2). Auch fehlen notwendig erscheinende integrierte Konzepte zur Speicherung der zeitlich sehr ungleichmäßig generierten Wind- und Sonnenenergie. Die Potenziale für (weitere) Speicher auf Wasserkraftbasis (Talsperren, Pumpspeicheranla-

Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen

gen) sind aufgrund topografischer Gegebenheiten und Belangen des Landschaftsschutzes nur noch sehr begrenzt verfügbar. Es bedarf zudem des Einsatzes von Anlagen zur Erzeugung von Wasserstoff oder synthetischer Kraftstoffe („power to gas“ und „power to liquid“) sowie der Festlegung dazu geeigneter Standorte. Batteriespeicher sind demgegenüber wegen eingeschränkter Kapazitäten allenfalls für dezentrale Netze sinnvoll („smart grids“). Das Netzausbaubeschleunigungsgesetz genügt im Wesentlichen den Anforderungen der Koordination von Bund, Ländern, Kommunen, Trägern öffentlicher Belange, Stromerzeugern und Netzbetreibern. Ob allerdings die Hindernisse der Umsetzung des Bundesbedarfsplanungsgesetzes durch fachsektorale Widerstände (z. B. Umweltschutz, Naturschutz) oder durch Widerstände im Rahmen der Beteiligungsverfahren reduziert oder abgebaut werden können, muss dahingestellt bleiben. Die mangelnde klare Abstimmung zwischen Bund und Ländern und die fehlenden Kriterien für die Wahl technologischer Konzepte und für die Trassenwahl erscheinen weiterhin hinderlich.

5.3

Planfeststellungsverfahren

Nach Feststellung der „verträglichen“ Variante der Vorzugstrasse kann vom Netzbetreiber eine Planfeststellung beantragt werden, die nachfolgende Schritte und die federführende Zuständigkeit beinhaltet. Schritte des Planfeststellungsverfahrens • Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung mit - Vorankündigung und Vorbesprechung - Antragstellung (Pläne, Erläuterungsbericht, Gutachten . . .) - Eingangsprüfung (Vollständigkeit der Unterlagen) • Einleitung des Anhörungsverfahrens mit - Übersendung an Fachbehörden - Offenlage der Unterlagen

(A) (BNA) (A)

(BNA) (E) (E) (E) (Fortsetzung)

- Sammlung der Einwendungen und Stellungnahmen • Erwiderung auf Einwendungen und Stellungnahmen auf der Grundlage von - Öffentlicher Erörterung (Erörterungstermin) - Abschließender Stellungnahme und Abschluss des Anhörungsverfahrens - Weiterleitung an Planfeststellungsbehörde • Abschluss des Verfahrens - Erstellung des Planfeststellungsbeschlusses - Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses - Öffentliche Bekanntmachung und Auslegung des Planfeststellungsbeschlusses - ggf. gerichtliche Prüfung

117

(E) (BNA, A)

(E) (E)

(E) (BNA) (BNA) (BNA) (BNA)

(Öffentlichkeit, Betroffene) (A Antragsteller, BNA Bundesnetzagentur, E Anhörungsbehörde)

6

Fazit

Die Funktionsfähigkeit technischer Infrastrukturen des Verkehrs sowie der Ver- und Entsorgung setzt konzeptionell-planerische, entwerfende und betriebliche Ingenieurleistungen voraus. Technische Infrastrukturen dienen der Sicherung der Nutzbarkeit von Teilräumen auf europäischer, nationaler, regionaler und kommunaler Ebene – letztlich bis zum einzelnen Grundstück – für Funktionen wie Wohnen, Produktion, Handel, Freizeit und Erholung sowie auch Naturraumentwicklung. Sie stehen unter den Anforderungen einer sozialen, ökonomischen, ökologischen und kulturellen Nachhaltigkeit, aber auch der Sicherung des Wohlbefindens von Menschen heute und in zukünftigen Generationen. Gestaltungsprinzipien müssen zunehmend auch den Anforderungen der Resilienz (Anpassungsfähigkeit), der Ressourceneffizienz, und des Umwelt- und Klimaschutzes genügen. Dazu bedarf es geeigneter rechtlicher und finanzieller Sicherungen.

118

Literatur Akademie für Raumforschung und Landesplanung ARL (2013) ARL-Empfehlungen zum Netzausbau für die Energiewende. Positionspapier aus der ARL 93. Hannover Beckmann KJ (1999/2000) Grundlagen Kommunaler Infrastrukturplanung, Vorlesungsmaterialien, Lehrstuhl für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen Beckmann KJ, Rothengatter W (2017) Bundesverkehrswegeplanung BVWP – Weichen nachhaltig gestellt. Unveröffentlichtes Gutachten für die Agora Verkehrswende. Berlin/Karlsruhe Beckmann KJ, Klein-Hitpaß A, Rothengatter W (2012) Grundkonzeption einer nachhaltigen Bundesverkehrswegeplanung. UBA-Text 47/2012. Dessau Bökemann D (1984) Theorie der Raumplanung: Regionalwissenschaftliche Grundlagen für die Stadt-, Regionalund Landesplanung. Reprint 2015 Bundesbedarfsplanungsgesetz, Gesetz über den Bundesbedarfsplan BBPlG vom 23. Juli 2013 (BGBl I, S 254 und BGBl I, S 148/271), zuletzt geändert durch Artikel 12 des Gesetzes vom 26. Juli 2016 (BGBl I, S 1786) Bundesfernstraßengesetz FStrG in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Juni 2007 (BGBl I, S 1206), zuletzt geändert durch Artikel 17 des Gesetzes vom 14. August 2017 (BGBl I, S 3122) Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur BMVI (2019) Hintergrund und Ziele der Bundesverkehrswegeplanung. http://www.bmvi.de/DE/Themen/Mobili tät/Infrastrukturplanung. Zugegriffen am 08.07.2019 Energieleitungsausbaugesetz EnLAG (2009) BGBl I, S 2870, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 8 GG vom 21.12.2015, BGBl I, S 2498

K. J. Beckmann Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie FFH-RL (1992) Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen FGSV (2008) Richtlinien für integrierte Netzgestaltung. Köln Frey RL (1972) Infrastruktur – Grundlagen der Planung öffentlicher Investitionen. Tübingen Jochimsen R (1966) Theorie der Infrastruktur – Grundlagen der marktwirtschaftlichen Entwicklung. Tübingen Libbe J, Köhler H, Beckmann KJ (2011) Infrastruktur und Stadtentwicklung. Technische und soziale Infrastrukturen – Herausforderungen und Handlungsoptionen für Infrastruktur- und Stadtplanung. Deutsches Institut für Urbanistik und Wüstenrot-Stiftung, Berlin/Ludwigsburg Monse J, Hassheider H (2017) Der neue Bundesverkehrswegeplan 2030 – Verfahren, Schwerpunkte und zentrale Ergebnisse im Überblick. Z Verkehrswiss 88(1):31–38 Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz NABEG vom 28. Juli 2011 (BGBl I, S 1690), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 13 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl I, S 2808) Rothengatter W (2017) BVWP-Bewertungsverfahren: Volle Fahrt zurück in die orthodoxe Neoklassik. Z Verkehrswiss. S 189-2014 Tietz HP (2019) Ver- und Entsorgung. In: ARL (Hrsg) Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung. Hannover Wissenschaftlicher Beirat des Bundesministers für Verkehr (2009) Empfehlung „Strategieplanung Mobilität und Transport – Folgerungen für die Bundesverkehrswegeplanung“. Z Verkehrswiss 80(3):153–191

Stichwortverzeichnis

A Abstandsflächengebot 65 Abstandsflächentiefe 66 Abwägung G 76, 80, 84, 86, 95, 99, 100 Abweichung 73 Abweichungsverfahren G 84, 85, 88 Akteure öffentliche 104 amtlicher Lageplan 69 Angebotsplanung G 82, 90, 91 Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft 24, 29 Anlage bauliche 54 der sozialen Infrastruktur 35 Art der baulichen Nutzung 34 Arten prioritäre G 85 Arteninventar G 89 Artenschutz G 78, 79, 89, 90 Aufhebung der Schutzanordnung G 86, 89 ausgeglichene Funktionsräume 13 Ausgleich G 77, 79, 85, 86 von Bedarf und Dargebot 105 bei Eingriff in die Grundfläche 78 Ausgleichsfläche G 78 Ausgleichsmaßnahme vorgezogene G 78, 91, 94 Ausgliederung G 86, 89 Ausnahme G 84, 85, 90, 92, 94

B Ballungsraum G 97 Bauantrag 69 Baufreigabe 71 Baugenehmigung 72 Baugenehmigungsverfahren 68 Baugestaltungsrecht 59 Baugrund 62 Baulärm 62 Baulast 73, 74 Bauleitplan verbindlicher G 77

Bauleitplanung 44, 46, 49, G 75, 77, 80, 82, 84, 92, 94, 101 vorbereitende G 77 bauliche Anlage 54 Bauprodukt 61 Baurecht öffentliches 43 Bausozialrecht 60 Baustellenversiegelung 72 Bauverwaltungsverfahren repressives 72 Bauvorhaben Zulässigkeit 46 Bauvorschrift örtliche 59 Bearbeitungsfrist 70 Bebauungsplan 25, 31, 44, 46, 47, 49, G 77, 79, 82, 83, 86, 89, 91, 95, 96, 98, 100 der Innenentwicklung G 77, 94 vorhabenbezogener G 82 Bebauungsstruktur 2 Bedarf und Dargebot Ausgleich 105 Beeinträchtigung G 77, 78, 80, 82, 85, 91 erhebliche G 78, 80 Beeinträchtigungsverbot G 91 Befreiung G 86, 88 Befreiungslage G 86, 88 Begründung G 76, 77, 91, 95 Belastung unzumutbare G 87 Bepflanzungsfestsetzung G 100 Beschädigung G 90, 91, 93, 94 Beseitigungsanordnung 72 Bestandsaufnahme G 90 Beteiligung der Gemeinde 69 Beunruhigung G 91 Bevölkerungsentwicklung natürliche 16 Bevölkerungsprognose 34 Bevölkerungszahl Vorausschätzung 16 Bewertung wirtschaftliche 109 Bewirtschaftungsplan G 78

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K. J. Beckmann (Hrsg.), Raumplanung, Stadtentwicklung und Öffentliches Recht, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27918-9

119

120 Bodenmarkt 30 Bodenpolitik 29 Brandschutz 63 vorbeugender baulicher 64 Bundesverkehrswegeplan 107 Bundesverkehrswegeplanung Ziele 107 C Charta von Athen 30 D Darstellung G 77, 80, 86, 95, 97, 99, 100 Daseinsgrundfunktion 1 Daseinsvorsorge 103 demografische Veränderung 37 dezentrale Konzentrationen 13 Dichte 24 Digitalisierung 37 E Eingriff G 77, 78, 80, 85 vermeiden G 78, 81, 84 vermindern G 78 Energieübertragungsnetz großräumiges 115 Energiewende 37 Entwicklung städtebauliche G 77, 78 Entwicklungsachse 5 Entwicklungsgebot G 78, 79 Entwicklungsmaßnahme städtebauliche 48, 49 Erforderlichkeit G 86, 89 Erhaltungsgebiet 50 Erhaltungsziel G 79, 80, 83, 84 Erhaltungszustand G 84, 90, 92, 94 erhebliche Beeinträchtigung G 78, 80 Erschließungsanlage 32 Erschließungsnetzform 32 europäische Stadt 29 europäisches Raumentwicklungskonzept 10 europäisches Vogelschutzgebiet G 81 F faktische Vogelschutzgebiete G 79, 80, 81 Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie G 79 Fernwärme G 100 Festsetzung G 77, 80, 86, 91, 97 Feuerwiderstandsfähigkeit 64 FFH-Gebiet potenzielles G 80 FFH-Verträglichkeitsprüfung G 78, 80, 84 FFH-Verträglichkeitsvorprüfung G 83 Flächenmanagement 33 Flächennutzungsplan 25, 31, 44, 45, G 77, 79, 82, 86, 89, 90, 96, 100

Stichwortverzeichnis formeller Plan 15 Fortpflanzungsstätte G 92, 94 Fotovoltaikanlage G 100 Freiraumstruktur 2 Funktionsbeeinträchtigung der Lebensstätte G 93 Funktionsfähigkeit G 78 Funktionsmischung 24 Funktionsräume ausgeglichene 13 G Gebäude 55 Gebäudeklassen 55 Gebietskategorien 12 Gefahr konkrete 59 Geltungsdauer 72 Genehmigungsfreistellungsverfahren 68 Geothermie G 100 Geschosse 57 Gestaltungsprinzip 5 Gesundheit G 81 Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse 11 Globalisierung 37 Gravitationsmodell 20 großräumiges Energieübertragungsnetz 115 Grundsätze der Raumentwicklung 11 der Raumordnung 11 Grüneintragung 71 H Hauptlärmquelle G 97 I Immissionshöchstmenge G 99 Immissionsrichtwert G 97 Indikator 20 Infrastruktur 36 soziale 36 soziale, Anlagen 35 technische 36, 104 Infrastrukturleistung Nachfrage 105 Innenbereich G 88, 101 Innenentwicklung 13 Input-Output-Analyse regionale 20 integriertes Simulationsmodell 20 K Kleinwindkraftanlage G 100 Klimaschutz 24, G 75, 99, 100 Klimawandel 37 Kohärenz G 78, 80 Kohärenzmaßnahme G 85 Kompensation G 77, 78 Kompensationsmaßnahme G 78, 85

Stichwortverzeichnis konkrete Gefahr 59 Konzentrationen dezentrale 13 Konzept der Raumordnung 12 Kosten-Nutzen-Analyse 109 L Lageplan 69 amtlicher 69 Landesentwicklung 7 Landschaftsbild G 78 Landschaftsschutzgebiet G 88 Lärmaktionsplan G 96, 97 Lärmkarte G 96, 97 Lärmminderungsplan G 96 Lärmschutz G 96, 97 Lärmschutzmaßnahme G 98 Lärmvorsorge G 98 Lebensgrundlage natürliche 60 Lebensraumtypen G 79, 83, 85 Lebensstätte G 90, 92, 93 Funktionsbeeinträchtigung G 93 Lebensqualität 24 Lebensverhältnisse Gleichwertigkeit 11 Leipzig-Charta 30, 31 Leistungsfähigkeit G 78 Leitbild der Raumentwicklung 5 der Stadtentwicklung 30 Lokalisationsquotient 20 Luftqualität G 99 Luftreinhaltung G 99 M Maß der baulichen Nutzung 34 Maßnahmeprogrammen G 78 menschliche Gesundheit G 81 Metropolregion 14 Mindeststandard raumordnerischer 109 Modell der Raumentwicklung 20 N Nachbar 70 Nachfrage nach Infrastrukturleistungen 105 nachhaltige Stadtentwicklung 23 Nachhaltigkeit 2 Nahwärme G 100 Nahrungsstätte G 93 Naturhaushalt G 78 natürliche Bevölkerungsentwicklung 16 natürliche Lebensgrundlage 60 Netzausbauplanung 116 Netze der Versorgung 19 Netzebenen 104 New Urban Agenda 23

121 Nutzung des Raumes 2 Nutzungsart 1 Nutzungsintensität 1 Nutzungsuntersagung 72

O öffentliche Akteure 104 öffentliche Ordnung 58 öffentliche Sicherheit 58, G 81 öffentliches Baurecht 43 Öffentlichkeitsbeteiligung G 76 Ordnung öffentliche 58 Ordnungsprinzip 5 Orientierungswerte schalltechnische G 98 örtliche Bauvorschrift 59

P Plan formeller 15 steuernder G 82 planerische Zurückhaltung G 82 Planfeststellungsverfahren 113 Planungsrecht 38 für Bundesfernstraßen 112 Polyzentralität 14 Potenzialanalyse G 90 potenzielles FFH-Gebiet G 80 prioritäre Arten G 85 privilegiertes Vorhaben G 77, 82, 91 punkt-achsiales Siedlungskonzept 13 punkt-achsiales Standortkonzept 13

R Raumanalyse 19 Raumentwicklung 1 Modell 20 Raumentwicklungskonzept europäisches 10 Raumnutzung 2 raumordnerischer Mindeststandard 109 Raumordnung 10, G 77, 78, 86, 95 Raumordnungsplan G 76 Raumordnungspolitischer Handlungsrahmen 11 Raumordnungspolitischer Orientierungsrahmen 11 Raumordnungsverfahren 7, 15 regionale Input-Output-Analyse 20 Regionalmanagement 9 Regionalplan 8 Regionalplanung 7 repressives Bauverwaltungsverfahren 72 Resilienz 23, 24 Ressourceneffizienz 24 Ressourcensparsamkeit 24 Rettungsweg 64 Ruhestätte G 90, 94

122 S Sachentscheidungsbefugnis 71 Sanierungsmaßnahme städtebauliche 48 schalltechnische Orientierungswerte G 98 Schlusspunkttheorie 70, 71 Schutzanordnung G 83, 86, 89, 95 Aufhebung G 86, 89 Sektoralplanung 36 Shift-Share-Analyse 20 Sicherheit öffentliche 58, G 81 Siedlungsachse 5 Siedlungskonzept punkt-achsiales 13 Simulationsmodell integriertes 20 Smart City-Charta 23, 30 Solarthermie G 100 Sonderbau 56 soziale Infrastruktur 36 Soziale Stadt 49 Stadt europäische 29 Stadtanlage 26 Städtebauförderungsprogramm 7 städtebauliche Entwicklung G 77, 78 städtebauliche Entwicklungsmaßnahme 48, 49 städtebauliche Sanierungsmaßnahme 48 städtebaulicher Vertrag G 100 Städtebaurecht 4 Stadtentwicklung Leitbild 30 nachhaltige 23 Stadtentwicklungsplanung 25 Stadtplanung 28 Stadtqualitäten 24 Stadtregionen 10 Stadtumbau 49 Standarddatenbogen G 83 Standortfaktor 22 Standortkonzept punkt-achsiales 13 Standsicherheit 62 Stellplätze 66 Stellungnahme der Kommission G 85 steuernder Plan G 82 Störung G 84, 90, 92, 94 Strategieebene 111 strategische Umweltprüfung G 75, 76 Sustainable Development Goals 23, 37 System der Zentralen Orte 5 Systemebene 111

T technische Infrastruktur 36, 104 Tötung G 91

Stichwortverzeichnis Tragfähigkeit 62 Trinkwasserschutzgebiet G 95 U Überbauungsverbot 65 Überdeckungsverbot 66 Überschwemmungsgebiet G 95, 96 Umweltbericht, G 76 Umweltprüfung G 75, 77, 94, 95 strategische G 75, 76 Umweltschutz G 75 Umweltverträglichkeitsprüfung 70, G 75, 77, 95 unzumutbare Belastung G 87 Urban Agenda 23 V verbindlicher Bauleitplan G 77 Verkehrslärm G 98 Verkehrs(nachfrage)prognose 108 Verkehrsnetz 18 Versorgungsnetz 19 Vertrag städtebaulicher G 100 Vogelschutzgebiet europäisches G 81 faktisches G 79, 80, 81 Vogelschutz-Richtlinie G 79 Vollgeschoss 57 Vorausschätzung der Bevölkerungszahl 16 vorbereitende Bauleitplanung G 77 Vorbescheid 68 Vorbescheidsverfahren 68 vorbeugender baulicher Brandschutz 64 vorgezogene Ausgleichsmaßnahme G 78, 91, 94 Vorhaben privilegiertes G 77, 82, 91 vorhabenbezogener Bebauungsplan G 82 W Wanderung 17 Wärmedämmung G 100 Wasserwirtschaft G 95, 96 wirtschaftliche Bewertung 109 wissenschaftlich-technisch-künstlerische Disziplin 29 Wohnungen 34 Z Zentrale-Orte-Konzept 13 Zerstörung G 91, 93, 94 Zielabweichungsverfahren 16 Ziele der Bundesverkehrswegeplanung 107 Zulässigkeit von Bauvorhaben 46 zumutbare Alternative G 84, 85, 94 Zurückhaltung planerische G 82