Bauwirtschaft und Baubetrieb: Technik – Organisation – Wirtschaftlichkeit – Recht [3. Aufl.] 9783658279158, 9783658279165

Das in 3. Auflage erscheinende Standardwerk des Bauingenieurwesens bietet Grundwissen kompakt, vollständig und aktuell.

255 83 21MB

German Pages X, 621 [629] Year 2020

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-X
Bauwirtschaftslehre – Grundlagen (Claus Jürgen Diederichs, Alexander Malkwitz, Ayosha Aghazadeh)....Pages 1-139
Unternehmensführung (Claus Jürgen Diederichs, Alexander Malkwitz, Dirk Schlüter)....Pages 141-204
Projektentwicklung und Immobilienmanagement (Claus Jürgen Diederichs, Norbert Preuß)....Pages 205-280
Projektmanagement (Claus Jürgen Diederichs, Norbert Preuß)....Pages 281-314
Nachtragsmanagement (Claus Jürgen Diederichs)....Pages 315-356
Digitales Planen und Bauen (Alexander Malkwitz, Dirk Schlüter)....Pages 357-390
Privates Baurecht (Horst Franke, Claus Jürgen Diederichs, Michael Peine, Matthias Sundermeier)....Pages 391-487
Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik (Christoph Motzko, Eberhard Petzschmann, Holger Kesting, Manfred Helmus, Peter Böttcher, Marco E. Einhaus et al.)....Pages 489-614
Back Matter ....Pages 615-621
Recommend Papers

Bauwirtschaft und Baubetrieb: Technik – Organisation – Wirtschaftlichkeit – Recht [3. Aufl.]
 9783658279158, 9783658279165

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Handbuch für Bauingenieure

Claus Jürgen Diederichs Alexander Malkwitz  Hrsg.

Bauwirtschaft und Baubetrieb Technik – Organisation – Wirtschaftlichkeit – Recht 3. Auflage

Handbuch für Bauingenieure Reihe herausgegeben von Konrad Zilch Lehrstuhl für Massivbau Technische Universität München München, Deutschland Claus Jürgen Diederichs Bauwirtschaft und Baumanagement Universität Wuppertal Wuppertal, Deutschland Klaus J. Beckmann KJB.Kom Prof. Dr. Klaus J. Beckmann - Kommunalforschung, Beratung, Moderation und Kommunikation Berlin, Deutschland Wilhelm Urban Institut IWAR Technische Universität Darmstadt Darmstadt, Deutschland Carsten Gertz Institut für Verkehrsplanung und Logistik Technische Universität Hamburg TUHH Hamburg, Deutschland Alexander Malkwitz Institut für Baubetrieb und Baumanagement Universität Duisburg-Essen Essen, Deutschland Christian Moormann Institut für Geotechnik Universität Stuttgart Stuttgart, Deutschland Franz Valentin Germering, Deutschland

Das Handbuch für Bauingenieure bietet Grundwissen kompakt, vollständig und aktuell. Neben den klassischen Fächern des Konstruktiven Ingenieurbaus zählt dazu verstärkt das Fachwissen über das Bau-, Immobilien- und Unternehmensmanagement sowie das Baurecht. Darüber hinaus behandeln ausgewiesene Fachautoren die weiteren Kerngebiete des Bauingenieurs: Geotechnik, Wasserbau, Siedlungswasserwirtschaft, Abfalltechnik, Raumordnung und Städtebau sowie Verkehrssysteme und –anlagen. Das Handbuch wurde den aktuellen Normen und Richtlinien angepasst und versteht sich als Lehrbuch für Studierende und Nachschlagewerk für Praktiker. Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16254

Claus Jürgen Diederichs Alexander Malkwitz Hrsg.

Bauwirtschaft und Baubetrieb Technik – Organisation – Wirtschaftlichkeit – Recht 3. Auflage

mit 241 Abbildungen und 105 Tabellen

Hrsg. Claus Jürgen Diederichs Bauwirtschaft und Baumanagement Universität Wuppertal München, Deutschland

Alexander Malkwitz Institut für Baubetrieb und Baumanagement Universität Duisburg-Essen Essen, Deutschland

ISSN 2524-8944 ISSN 2524-8952 (electronic) Handbuch für Bauingenieure ISBN 978-3-658-27915-8 ISBN 978-3-658-27916-5 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-27916-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2002, 2012, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Lektorat: Dipl.-Ing. Ralf Harms Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort zur 3. Auflage

Neben den klassischen Fächern des Konstruktiven Ingenieurbaus und des Verkehrswegebaus hat das Fach- und Methodenwissen über die Bauwirtschaft und den Baubetrieb eine sowohl für öffentliche und gewerbliche Auftraggeber als auch für Bauplaner und Bauunternehmer maßgebliche Bedeutung erlangt. Die Zeiten der aktuellen Hochkonjunktur in der Bau- und Immobilienwirtschaft, denen übliche Konjunkturzyklen und unvorsehbare Ereignisse, wie die derzeitige Corona-Pandemie, folgen werden, sind geprägt von Begleiterscheinungen des Fach- und Nachwuchskräftemangels, angespannter Kosten- und Preisentwicklung sowie der Tendenz zunehmenden Einsatzes von Generalplanern und Generalunternehmern oder dem Abschluss von Mehrparteienverträgen. Dabei sind Kenntnisse der volks- und betriebswirtschaftlichen Grundlagen und der Prinzipien moderner Unternehmensführung unerlässlich, um bei der nach wie vor harten Konkurrenzsituation erfolgreich bestehen, Kunden zufriedenstellen und Mitarbeiter langfristig binden zu können. Maßgebliche Voraussetzung für den Erfolg von Neubauten oder Modernisierungen ist eine sorgfältige Bedarfsplanung oder Projektentwicklung im engeren Sinne. Dabei ist vor Beginn der eigentlichen Planung in bestimmten Aufgabenfeldern zu untersuchen, ob durch die Kombination eines Grundstückes an einem bestimmten Standort mit einer Projekt- oder Nutzungsidee und dem dazu notwendigen Kapital für das Planen, Bauen und Betreiben einzelwirtschaftlich wettbewerbsfähige, Arbeitsplätze schaffende und sichernde sowie gesamtwirtschaftlich sozial- und umweltverträgliche Bauten und Anlagen geschaffen und während der Nutzungsdauer rentabel genutzt werden können. Bei positivem Ergebnis ist durch das anschließende Projekt-, Nachtrags- und Immobilienmanagement mit zunehmender Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens das Ergebnis der Bedarfsplanung im Hinblick auf Qualitäten, Kosten und Termine zu sichern. Bei der Einbindung von Projektsteuerern, Bauplanern und Bauunternehmern sind die Kenntnisse des jeweils aktuellen Vergabe- und Bauvertragsrechts unerlässlich. Auf diesem Gebiet sind seit der 2. Auflage 2012 zahlreiche Änderungen eingetreten wie die Integration der Vergabeverordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) in die allgemeine Vergabeverordnung (VgV) im April 2016, die Einführung des Bauvertrags-, Verbrauchervertrags-, Architekten- und Ingenieurvertrags- sowie Bauträgervertragsrechts durch die §§ 650a bis 650v BGB am 01.01.2018 und die durch EuGH-Urteil vom 04.07.2019 festgestellte Unzulässigkeit der nach der HOAI bestehenden Pflicht zur EinV

VI

Vorwort zur 3. Auflage

haltung von bestimmten Mindest- und Höchstsätzen für die geregelten Planerhonorare. Der Baubetrieb und die Bauverfahrenstechnik sind geprägt von zunehmender Technisierung, Digitalisierung und baulogistischen Herausforderungen sowie Bemühungen um Energieeinsparung, Lärmschutz, Luftreinhaltung und Robotisierung. Dies gilt auch für den Leitungsbau. Mein besonderer Dank gilt den 17 Mitautoren, die insbesondere in den Kapiteln Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik, Privates Baurecht, Digitales Planen und Bauen, Baulogistik und Leitungsbau zum Gelingen dieser 3. Auflage beigetragen haben. Dieser Dank gilt auch sämtlichen MitautorInnen und Mitherausgebern für das gesamte Handbuch für Bauingenieure. Dem Springer Verlag danke ich für das entgegengebrachte Vertrauen, dabei Herrn Ralf Harms für die Koordination, Frau Gabriele McLemore für die Prozessbegleitung und Frau Gaddam Lakshminivasa aus Chennai in Indien für die Druckvorlagen. Kommentare und kritische Anmerkungen zur kontinuierlichen Verbesserung des Kapitels Bauwirtschaft und Baubetrieb sind ausdrücklich willkommen und werden auch künftig mit Aufgeschlossenheit Berücksichtigung finden. München, im Mai 2020

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Claus Jürgen Diederichs

Inhaltsverzeichnis

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claus Jürgen Diederichs, Alexander Malkwitz und Ayosha Aghazadeh

1

Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Claus Jürgen Diederichs, Alexander Malkwitz und Dirk Schlüter Projektentwicklung und Immobilienmanagement Claus Jürgen Diederichs und Norbert Preuß

. . . . . . . . . . . . . 205

Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Claus Jürgen Diederichs und Norbert Preuß Nachtragsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Claus Jürgen Diederichs Digitales Planen und Bauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Alexander Malkwitz und Dirk Schlüter Privates Baurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Horst Franke, Claus Jürgen Diederichs, Michael Peine und Matthias Sundermeier Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Christoph Motzko, Eberhard Petzschmann, Holger Kesting, Manfred Helmus, Peter Böttcher, Marco E. Einhaus, Hendrikje Rahming, Olaf Leitzbach, Dietrich Stein und Robert Stein Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615

VII

Autorenverzeichnis

Ayosha Aghazadeh Abteilung Bauwissenschaften, Universität DuisburgEssen, Essen, Deutschland Peter Böttcher Baubetrieb und Baumanagement, htw saar, Saarbrücken, Deutschland Claus Jürgen Diederichs Bauwirtschaft und Baumanagement, Universität Wuppertal, München, Deutschland Marco E. Einhaus Fachbereich Bauwesen, Sachgebiet Hochbau, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V., München, Deutschland Jörg Fenner Institut für Baubetrieb, Technische Universität Darmstadt, Darmstadt, Deutschland Horst Franke HFK Rechtsanwälte LLP, Frankfurt am Main, Deutschland Manfred Helmus Lehr- und Forschungsgebiet Baubetrieb und Bauwirtschaft, Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Deutschland Holger Kesting Lehr- und Forschungsgebiet Baubetrieb und Bauwirtschaft, Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Deutschland Olaf Leitzbach MEVA Schalungs-Systeme GmbH, Haiterbach, Deutschland Alexander Malkwitz Institut für Baubetrieb und Baumanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland Christoph Motzko Institut für Baubetrieb, Technische Universität Darmstadt, Darmstadt, Deutschland Michael Peine Peine Sachverständige für Baubetrieb und Honorare, Berlin, Deutschland Eberhard Petzschmann Baubetrieb und Bauwirtschaft, BTU Cottbus, Dortmund, Deutschland Norbert Preuß Executive Project Services, Preuss Project Partner GmbH, München, Deutschland Hendrikje Rahming Fachbereich Bauwesen, Sachgebiet Hochbau, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V., Berlin, Deutschland IX

X

Dirk Schlüter Institut für Baubetrieb und Baumanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland Dietrich Stein Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, Bochum, Deutschland Robert Stein Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, Bochum, Deutschland Matthias Sundermeier Bauwirtschaft und Baubetrieb, TU Berlin, Berlin, Deutschland

Autorenverzeichnis

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen Claus Jürgen Diederichs, Alexander Malkwitz und Ayosha Aghazadeh

Inhalt 1 Volkswirtschaftliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

2 Betriebswirtschaftliche und arbeitsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

3 Unternehmensrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

4 Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

5 Unternehmensfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

Die Betriebswirtschaftslehre für die Bauwirtschaft, kurz: Bauwirtschaftslehre, zählt zu den speziellen Betriebswirtschaftslehren einzelner Wirtschaftszweige wie die Industrie-, Handelsund Bankenbetriebswirtschaftslehre. Im Bereich der Lehre und Forschung wird das Fachgebiet trotz betriebswirtschaftlichem Schwerpunkt durch die Bauingenieurfakultäten der Universitäten bzw. Hochschulen vertreten. Die Bedeutung des

C. J. Diederichs (*) Bauwirtschaft und Baumanagement, Universität Wuppertal, München, Deutschland E-Mail: [email protected] A. Malkwitz Institut für Baubetrieb und Baumanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland E-Mail: [email protected] A. Aghazadeh Abteilung Bauwissenschaften, Universität DuisburgEssen, Essen, Deutschland E-Mail: [email protected]

Themenfeldes lässt sich anhand der steigenden Publikationen im Themenschwerpunkt erkennen. Abb. 1 zeigt die steigende Anzahl von Publikationen im Bereich Bauwirtschaft, Baubetrieb und Baumanagement und dokumentiert dabei die wachsende Bedeutung dieses Fachgebietes. Die Fachvertreter sind daher i. d. R. auch keine Betriebswirte, sondern Bauingenieure, z. T. mit Zusatzausbildung zum Wirtschaftsingenieur oder Diplom-Kaufmann. Die Begründung für dieses Phänomen liegt offenbar darin, dass die Besonderheiten der Bauwirtschaft mit ihrer Einzelfertigung von Unikaten, ihren von Baustelle zu Baustelle wandernden Werkstätten, dem Absatz durch Ausschreibung und Zuschlagserteilung vor der eigentlichen Produktion mit der starken Verflechtung zwischen technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Einflussfaktoren für Betriebswirte außerordentlich diffus und komplex erscheinen (Diederichs 1992, S. 9). Dabei weist die Immobilienwirtschaft und das darin maßgebliche Baugewerbe im Jahr 2016 einen Anteil in Höhe von

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. J. Diederichs, A. Malkwitz (Hrsg.), Bauwirtschaft und Baubetrieb, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27916-5_7

1

2

C. J. Diederichs et al.

Abb. 1 Veröffentlichungen im Bereich Bauwirtschaft, Baubetrieb und Baumanagement von 1972 bis 2017. (Quelle: WISONet 2018)

16000 14000 12000 10000 8000 6000 4000 2000 0

18,2 % der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung aus. Etwa jeder 10. Beschäftigte ist in der Immobilien- und darin der Bauwirtschaft tätig mit den vor- und nachgelagerten Bereichen Planung, Baustoffhandel, Möbelindustrie, Maklertätigkeit und Facility Management (Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung 2017). Die Bauwirtschaft hat daher hohe wirtschaftspolitische Bedeutung für die Volkswirtschaften der Industrieländer. Für die Bauwirtschaft gelten einerseits viele Regeln der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre und der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, andererseits jedoch zahlreiche Besonderheiten, die Beachtung verdienen.

1

Volkswirtschaftliche Grundlagen

Die Volkswirtschaftslehre untersucht das mikro- und makroökonomische Zusammenwirken aller Sektoren (Unternehmen, Staat, Haushalte, Ausland), die über den Markt innerhalb eines i. d. R. durch Staatsgrenzen abgegrenzten Gebiets mit einheitlicher Währung miteinander verbunden sind. Die Volkswirtschaftstheorie beruht auf der Annahme, dass über knappe Mittel bei alternativ möglichen Verwendungen durch ökonomisch motivierte Handlungsweisen disponiert wird. Dabei ist nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip entweder mit gegebenen Mitteln ein maximal mögliches Resultat (Maximalprinzip) oder ein vorgegebenes Resultat mit einem Minimum an Mitteln (Minimalprinzip) zu erwirtschaften.

Im Zentrum der Volkswirtschaftstheorie stehen Antworten auf die Frage: Was soll wann, wie, für wen und wo produziert werden? In marktwirtschaftlichen Systemen werden diese Fragen nach Produktionsziel, -methode, -verteilung und -standorten mit Hilfe von Angebots- und Nachfragemechanismen über die Preis- und Mengenbewegungen, d. h. über freie Entscheidungen der Nachfrager und Anbieter innerhalb eines adäquaten rechtlichen Rahmens beantwortet. In Planwirtschaften treffen Planungsbehörden diese Entscheidungen (Diederichs 2005, S. 2).

1.1

Markt, Angebot und Nachfrage

Zum Verständnis der Volkswirtschaftslehre werden vorab einige Begriffe erläutert. Markt Wirtschaften zielt ab auf die Befriedigung von Bedürfnissen nach knappen Gütern oder Dienstleistungen. Zielsetzung allen wirtschaftlichen Handelns ist der Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage und somit die möglichst weitgehende Befriedigung der Bedürfnisse der Wirtschaftssubjekte wie Private, Unternehmen und öffentliche Hand. Der Markt ist der ökonomische Ort des Tausches, auf dem sich in marktwirtschaftlichen Systemen durch den Ausgleich von Angebot und Nachfrage die Preisbildung vollzieht. Nachfrage Die Nachfrage ist das Bestreben, Güter und Produktionsfaktoren zu beschaffen oder das Geld im

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Bestand zu halten. Nach dem Gesetz der Nachfrage sinkt diese mit steigendem Preis und nimmt diese zu mit sinkendem Preis des angebotenen Gutes bzw. der Dienstleistung. Die so entstehende Kurve wird als Nachfragekurve bezeichnet (Abb. 2). Ändert sich der Preis unter sonst gleichen Bedingungen (z. B. unveränderte Bedürfnisstruk-

Abb. 2 Nachfragekurve

Abb. 3 Angebots- und Nachfragekurvenscharen

3

tur und Einkommen), so findet eine Bewegung auf der Kurve statt. Ändern sich hingegen die zugrunde gelegten Bedingungen (z. B. Einkommensänderung), so ist eine Verschiebung des Nachfrageniveaus festzustellen (Abb. 3). Angebot Das Angebot beschreibt die Menge an Gütern, die auf einem Markt angeboten werden. Nach dem Gesetz des Angebots nimmt dieses zu mit steigendem Preis und sinkt dieses mit sinkendem Preis des angebotenen Gutes bzw. der Dienstleistung. Die so entstehende Kurve wird als Angebotskurve bezeichnet (Abb. 3). Jeder Anbieter versucht nun, die Kosten der von ihm erzeugten und am Markt auch absetzbaren Güter und Dienstleistungen unterhalb des am Markt erzielbaren Preises zu halten. Die dem Anbieter unabhängig vom Produktionsumfang vor allem für die Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft entstehenden Kosten werden als fixe Kosten bezeichnet. Die fixen Kosten beinhalten die Kosten der fest vorgegebenen Produktionsfaktoren. Die von der Ausbringungsmenge abhängigen Kosten werden variable Kosten genannt (Abb. 4). Der sich aus dem Produkt

4

C. J. Diederichs et al.

Abb. 4 Erlös, Deckungsbeitrag, fixe und variable Kosten

von Menge und Einheitspreis ergebende Erlös ist bestimmend für die Gewinnschwelle (engl.: break-even point) im Schnittpunkt mit der Gesamtkostenkurve. Unterhalb dieser Menge xkrit wird mit Verlust produziert, oberhalb dieser Menge werden Gewinne erwirtschaftet. Der Deckungsbeitrag ergibt sich aus der Differenz zwischen Erlös und variablen Kosten. Er dient zunächst bis zum Erreichen der Gewinnschwelle der Deckung der Fixkosten und kennzeichnet danach die Höhe des erwirtschafteten Gewinns. Werden die Gesamtkosten auf die Menge der erzeugten und abgesetzten Güter und Dienstleistungen bezogen und Marktpreise eingesetzt, so ergibt sich die Gewinnschwelle aus analogen Stückkosten- und Stückpreisbetrachtungen (Abb. 5). Die Gewinnschwelle grenzt die Verlustzone unterhalb der kritischen Menge xkrit von der Gewinnzone oberhalb von xkrit ab. An der Gewinnschwelle entspricht der Stückdeckungsbeitrag d exakt den fixen Stückkosten kf.

1.2

Wirtschaftssubjekte

Der Begriff Wirtschaftssubjekt bezeichnet alle natürlichen und juristischen Personen, die an der

Abb. 5 Stückkosten und Stückpreis

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

5

Wirtschaftssubjekte

Private Haushalte

Private Haushalte

Organisationen ohne Erwerbscharakter

Öffentliche Haushalte

Gebietskörperschaften

Unternehmen

Ausland

Sozialversicherungen

Abb. 6 Wirtschaftssubjekte. (Quelle: Vornholz 2014, S. 102)

Wirtschaft teilnehmen (vgl. Premer 2015, S. 17). Wirtschaftssubjekte sind, unabhängig von der jeweiligen Branche, alle selbstständig agierenden Einheiten. Die Aktivitäten eines Wirtschaftssubjektes umfassen das Konsumieren und Produzieren von wirtschaftlichen Gütern. In der Volkswirtschaftslehre wird grundlegend nach folgenden Wirtschaftssubjekten unterschieden: private Haushalte, öffentliche Haushalte, Unternehmen und Ausland (Abb. 6). In der Gruppe der privaten Haushalte werden alle Privatpersonen und Organisationen ohne Erwerbscharakter zusammengefasst. Die privaten Haushalte bilden primär zugleich die Nachfrageseite auf dem Gütermarkt und die Anbieterseite von Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt ab. Im Hinblick auf das Bauwesen befinden sich in dieser Gruppierung z. B. Privatpersonen, die eine Nachfrage in der Wohnungswirtschaft erzeugen. Die öffentlichen Haushalte bilden die jeweiligen Gebietskörperschaften und staatlichen Einrichtungen. Der Bund, die Länder und die Kommunen produzieren Leistungen zur Deckung der Bedürfnisse der Allgemeinheit sowie Leistungen, die in einer marktwirtschaftlichen Ordnung von Unternehmen nicht in gleicher Weise erbracht bzw. zu gleichem Preis angeboten werden können (Öffentliche Leistungen, Infrastrukturen). Öffentliche Haushalte treten in der Bauindustrie vielfach in Erscheinung. Im Hinblick auf den Wohnungsbau wird z. B. der soziale Wohnungsbau gefördert, um Bedürfnisse der privaten Haushalte zu decken. Die Finanzierung der Leistungen erfolgt u. a. durch Steuereinnahmen, öffentliche Gebühren, Beiträge, Entgelte und Zölle.

Kernaufgabe der Unternehmen ist die Produktion von Gütern und Leistungen. Neben gewerblichen Unternehmen umfasst diese Gruppe auch öffentlich-rechtliche Unternehmungen wie z. B. die Deutsche Bahn, die auch Planungs- und Bauaufträge an die Bauwirtschaft erteilt. Im Bereich Ausland wird der Außenwirtschaftsverkehr zusammengefasst, der über die Grenzen einer nationalen Volkswirtschaft hinausgeht. In diesen Bereich fällt der Verkauf von inländischen Gütern und Dienstleistungen an das Ausland (Export) sowie der Kauf von Produkten und Dienstleistungen aus dem Ausland (Import). Des Weiteren werden monetäre Transaktionen zwischen In- und Ausland diesem Sektor zugeordnet (vgl. Vornholz 2014, S. 103 f.).

1.3

Marktformen und Preisbildung

Der Markt wird definiert als Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage, für die Bauwirtschaft auf dem Baumarkt. Die Nachfrage ist die Gesamtheit aller mit Kaufkraft ausgestatteten Planungs- und Bauabsichten der öffentlichen, gewerblichen und privaten Wirtschaftssubjekte. Das Angebot ist die Gesamtheit aller mit entsprechenden Kapazitäten ausgestatteten Leistungsversprechen von Planern, Bauunternehmern und anderen Leistungserbringern in der Bauwirtschaft. Je nach Anzahl der Marktteilnehmer auf der Angebots- und Nachfrageseite, ergeben sich unterschiedliche Marktformen (Abb. 7):

6

C. J. Diederichs et al.

Abb. 7 Marktformenschema mit Beispielen aus dem Baumarkt

• polypolistische Märkte bewirken vollständige Konkurrenz, d. h., viele Anbieter und Nachfrager treten auf dem jeweiligen Markt auf; • oligopolistische Märkte weisen auf einer oder auf beiden Marktseiten jeweils nur wenige Konkurrenten auf; • monopolistische Märkte sind durch jeweils einen einzigen Anbieter bzw. Nachfrager gekennzeichnet.

Der Preis ist der in Geldeinheiten ausgedrückte Tauschwert einer Ware oder einer Dienstleistung. Jedes knappe Gut hat einen Preis. Die Preisbildung vollzieht sich in einem Abstimmungsprozess zwischen Anbieter und Nachfrager. Für das Modell der polypolistischen Preisbildung wird vollständige Konkurrenz auf einem vollkommenen und offenen Markt vorausgesetzt. Diese Annahmen werden getroffen, um die reale und komplexe Situation modellhaft zu vereinfachen. In Abb. 8 werden die unterschiedlichen Merkmale und Definitionen des vollkommenen und offenen Marktes sowie der vollständigen Konkurrenz und Preisbildung im Polypol dargestellt. Die Anbieter für Güter und Dienstleistungen fordern zunächst einen vorher kalkulierten Preis. Die Nachfrager sind bestrebt, einen möglichst geringen Preis zu zahlen. In der Regel unterliegen die Preisvorstellungen mehrerer Anbieter und Nachfrager einer gewissen Bandbreite. Theoretisch kommen diejenigen Anbieter, die den geringsten Preis verlangen, und diejenigen Nach-

frager, die den höchsten Preis zahlen, zuerst am Markt zum Zuge. Wenn die Anbieter bzw. Nachfrager, die mit ihren Preisvorstellungen den zuerst agierenden Marktteilnehmern folgen, nacheinander in dieser Reihenfolge ebenfalls zum Zug kommen, so nähern sie sich von zwei Seiten einem bestimmten Preis an, bei dem der größtmögliche Umsatz erzielt wird. Bei diesem größtmöglichen Umsatz ist ein weiteres Ausweichen auf andere Anbieter bzw. Nachfrager nicht mehr möglich („geräumter Markt“). In der Realität wird sich im Schnittpunkt der aggregierten Nachfragefunktionen N und der aggregierten Angebotsfunktionen A ein einheitlicher Gleichgewichtspreis pGP mit der Menge xGP herausbilden (Abb. 3). Nur dieser Gleichgewichtspreis kann den Markt räumen. Ein unterhalb des Gleichgewichtspreises liegender Preis kann die Angebotslücke und den Nachfrageüberhang nicht zum Ausgleich bringen. Ist umgekehrt bei gegebenem Preis das Angebot größer als die Nachfrage, so wird der Preis sinken, um für einen Ausgleich zu sorgen. Ein Verkäufermarkt ist gegeben, wenn entweder bei gleichbleibendem Angebot die Nachfrage steigt (N0 ! N1) oder bei gleichbleibender Nachfrage das Angebot zurückgenommen wird (A0 ! A1). Ein Käufermarkt ist gegeben, wenn bei gleichbleibender Nachfrage das Angebot zunimmt (A0 ! A2) bzw. bei gleichbleibendem Angebot die Nachfrage schrumpft (N0 ! N2). Als Konsumentenrente wird derjenige Preisvorteil bezeichnet, den diejenigen Nachfrager

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

7

Abb. 8 Merkmale der vollständigen Konkurrenz auf einem vollkommenen und offenen Markt

erzielen, die bereit gewesen wären, auch oberhalb des Gleichgewichtspreises liegende Angebote zu akzeptieren. Die Produzentenrente bezeichnet hingegen denjenigen Preisvorteil, den diejenigen Anbieter erzielen, die bereit gewesen wären, auch unterhalb des Gleichgewichtspreises ihre Güter und Dienstleistungen anzubieten. Ein Angebotsmonopol liegt vor, wenn einem einzigen Anbieter eine große Zahl von Nachfragern gegenübersteht. In einer freien Marktwirtschaft können solche Monopole v. a. durch Verdrängung anderer Konkurrenten vom Markt oder durch Unternehmenszusammenschlüsse entstehen. Im Gegensatz zum polypolistischen Anbieter, der den Gleichgewichtspreis aufgrund seines geringen Marktanteils als gegeben hinnehmen muss, kann der Angebotsmonopolist entweder diesen Preis autonom bestimmen (Preispolitik), muss dann aber die bei diesem Preis nachgefragte Menge akzeptieren, oder die Angebotsmenge festlegen, muss dann aber den sich auf dem Markt bildenden Preis hinnehmen. Auf einem vollkommenen Markt erreicht der Monopolist seinen

höchsten Gewinn dann, wenn die Differenz zwischen Gesamterlös (bei einheitlichem Stückerlös) und Gesamtkosten am größten ist. Beim Angebotsoligopol bringen wenige Anbieter ein Produkt auf den Markt (z. B. in der Mineralöl-, Stahl- und chemischen Industrie). Die geknickte Nachfragekurve des Oligopolisten (Abb. 9) resultiert • bei Preissenkung aus einer unelastischen Angebotsmengenerhöhung, da Konkurrenten des Oligopolisten ebenfalls den Preis senken, und • bei Preiserhöhung aus einer elastischen Mengenreduzierung, da der Oligopolist Kunden an Konkurrenten verliert. Auf den realen Märkten ist es durchaus üblich, dass konkurrierende Oligopolisten gewisse Preisabstände zueinander einhalten. Preiserhöhungen erfolgen erst dann, wenn ein Oligopolist mit Preisheraufsetzungen beginnt. Dieses „abgestimmte Verhalten“ vollzieht sich häufig stillschweigend, wie bei den Benzinpreisen zu beobachten ist.

8

C. J. Diederichs et al.

Abb. 9 Oligopolpreisbildung bei geknickter Nachfragekurve

Die Preisbildung am Baumarkt wird vorrangig durch polypolistische Merkmale geprägt, da z. B. im Wohnungsbau viele Nachfrager vielen Anbietern gegenüberstehen. Oligopole, wie z. B. im industriellen Anlagenbau und Monopole sind sowohl bei den Nachfragern als auch bei den Anbietern nicht besonders häufig anzutreffen. Die dem öffentlichen Auftragswesen zuzuordnenden Auftraggeber haben bei der Vergabe von Planungsleistungen die Vergabeverordnung (VgV) und bei der Ausschreibung und Vergabe von Bauleistungen die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen (VOB/A), zu beachten.

1.4

Geldwesen

Das Geld steht im Zentrum aller Volkswirtschaften und ist ein allgemein akzeptiertes Tauschmittel. Im Gegensatz zur Naturaltauschwirtschaft wird nicht Gut gegen Gut getauscht, sondern Gut gegen Geld und Geld gegen Gut (vgl. Cezanne 2005, S. 12).

Daraus ergeben sich für das Tauschmedium Geld drei wesentliche Funktionen. Im Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung des Geldes wird an erster Stelle die Funktion als Tauschmedium benannt. Das Geld stellt in diesem Zusammenhang eine Kaufkraft dar, da der Verkäufer sein reales Gut gegen Geld tauscht, um zu einem späteren Zeitpunkt ein beliebiges Gut zu erwerben. Aus dieser Tatsache lässt sich die nächste Funktion des Geldes als Wertaufbewahrungsmittel ableiten. Zwischen Annahme und Verausgabung des Geldes vergeht Zeit, daher bildet sich durch diesen Vorgang eine Kasse, die die Wertspeicherung ermöglicht. Wichtig hierbei ist, dass die Tauschfähigkeit in dieser Zeitspanne erhalten bleibt. Die dritte Funktion des Geldes ist die Recheneinheitsfunktion. Die Recheneinheitsfunktion beinhaltet, dass alle Waren und Dienstleistungen sich in Geld ausdrücken lassen (vgl. Woll 2011, S. 429 f.). Ferner ist zwischen Bargeld, Buchgeld und Geldersatzmitteln zu unterscheiden. Das Bargeld umfasst das Münz- und Papiergeld, das Buchgeld das sogenannte Sichtguthaben bei den Banken. Das Buchgeld – auch Giralgeld genannt – ist in

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

den Bankaufzeichnungen enthalten und stellt Einlagen dar, die jederzeit fällig sind. Neben dem Bar- und Buchgeld existieren noch die Geldersatzmittel, sogenannte Geldsurrogate. Hierzu gehören u. a. alle im Umlauf befindlichen Kreditkarten (vgl. Weitz und Eckstein 2015, S. 53). Die Währung ist in diesem Zusammenhang das gesamte Geldwesen eines Staates. Die Grenzen der jeweiligen Wirtschaftsregion bilden dabei den Geltungsbereich der Währung. Die meisten Staaten haben ihre eigene Währung, wie beispielsweise der US-Dollar in den Vereinigten Staaten von Amerika. Eine Ausnahme ist hierbei die Währung Euro (EUR), die als offizielle Währung im Euroraum gilt. Der Euro wurde am 01.01.1999 als Buchgeld und am 01.01.2002 in Form von Bargeld eingeführt. Wie im Gütermarkt, gibt es auf dem Geldmarkt eine Anbieter- und Nachfrageseite. Die Zentralund Geschäftsbanken übernehmen die Anbieterseite im Geldmarkt. Auf der Nachfrageseite befinden sich die sogenannten Nichtbanken. Hierzu gehören private und öffentliche Haushalte sowie Unternehmen. Jede Form von Geld seitens der Nichtbanken stellt eine Forderung dar (vgl. Neubäumer et al. 2017, S. 274). Aufgrund dieser Tatsache nehmen die Banken eine besondere Stellung in der Volkswirtschaft ein. In der Europäischen Union (EU) wird diese Stellung durch das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) geregelt. Das ESZB agiert unabhängig von den nationalen Regierungen. Nach Art. 127 ff. AEU-Vertrag hat die EZB das vorrangige Ziel, die Preisstabilität zu gewährleisten. Das ESZB ist zusammengesetzt aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken (NZB) aller EU-Staaten. Neben dem ESZB gibt es die privaten Geschäftsbanken. Hierzu gehören deutsche Kreditinstitute, wie z. B. die Deutsche Bank. Entsprechend dieser Zweiteilung wird auch zwischen Zentralbankgeld und Geschäftsbankengeld unterschieden. Das Zentralbankgeld umfasst das Bargeld und die Sichtguthaben bei der Zentralbank, die nur von den Geschäftsbanken und vom Staat unterhalten werden können. Zum Geschäftsbankengeld gehören die Sichtguthaben sowie die Termin- und Spareinlagen bei den Geschäftsbanken (vgl. Sell und Kermer 2017,

9

S. 169). Die Termineinlage, auch Termingeld genannt, bezeichnet eine Einlage für eine bestimmte Zeit gegen einen festen Zinssatz. Im Gegensatz dazu sind Spareinlagen unbefristete Geldanlagen, die nicht für den Zahlungsverkehr bestimmt sind. Die Frage, wie hoch die gesamte Geldmenge einer Volkswirtschaft ist, hängt davon ab, was zur Geldmenge gezählt wird. Hierzu hat das ESZB für sich eine eigene Geldmengendefinition festgelegt. Das Eurosystem differenziert zwischen den folgenden Geldmengen (Deutsche Bundesbank): M1: Zirkulierendes Bargeld + täglich fällige Einlagen von Nichtbanken M2: M1 + Spareinlagen mit einer Kündigungsfrist von bis zu 3 Monaten + Termineinlagen mit einer Laufzeit von bis zu 2 Jahren M3: M2 + kurzfristige Bankschuldverschreibungen mit einer Ursprungslaufzeit von bis zu 2 Jahren + Geldmarktfondsanteile + Repo-Geschäfte Die Geldmenge stellt hierbei keine statische Kennzahl dar, da diese durch einen Wechsel zwischen Geldschöpfung und Geldvernichtung ständig beeinflusst wird. Geldschöpfung bezeichnet eine Vermehrung der Geldmenge. Im ESZB sind nur die Zentralbanken in der Lage, mittels Zentralbankgeld Geld zu schöpfen. Dies geschieht, indem z. B. eine Zentralbank einer Geschäftsbank einen Kredit gewährt. Sobald die Geschäftsbank den Kredit der Zentralbank zurückzahlt, wird der Betrag vom Sichtguthaben auf dem Zentralbankkonto abgebucht. Dieser Vorgang wird als Geldvernichtung bezeichnet. Neben dem ständigen Wechsel zwischen Geldschöpfung und -vernichtung besteht eine Abhängigkeit zum Geldwert. Der Geldwert beschreibt in der Volkswirtschaftslehre das Austauschverhältnis zwischen Geld und Gütern oder Dienstleistungen. Der Geldwert ergibt sich daraus, wie viele Güter und Dienstleistungen für diesen Wert gekauft werden können. Daher wird der Tauschwert des Geldes als Kaufkraft oder Binnenwert bezeichnet (vgl. Weitz und Eckstein 2015, S. 59–60). Hierdurch wird aufgezeigt, dass die Kaufkraft und der Preis unmittelbar zusammenhängen.

10

C. J. Diederichs et al.

Das Preisniveau kennzeichnet den durch Indexzahlen gemessenen Durchschnittsstand aller wichtigen Preise in der Volkswirtschaft. Der Reziprokwert des Preisniveaus drückt die Kaufkraft des Geldes aus. Die Beweglichkeit der Einzelpreise bewirkt die Lenkung von Ressourcen in die rentablen Bereiche zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage (optimale Allokation). Ist die beidseitige Flexibilität der Einzelpreise derart gestört, dass lediglich Preiserhöhungen auftreten, ohne dass genügend andere Einzelpreise sinken, führt dies zu einem Anstieg des Preisniveaus. Die Summe aller während einer Rechnungsperiode umgesetzten und zu ihren jeweiligen Preisen bewerteten Güter bezeichnet man als Handelsvolumen. Das Handelsvolumen der Bauwirtschaft ist das Bauvolumen. Zum Kauf der Güter ist theoretisch die mit dem Handelsvolumen definierte Geldmenge erforderlich. Die entsprechende Geldmenge durchläuft gleichzeitig auch andere Sektoren der Volkswirtschaft (z. B. den Staatshaushalt, die private Ersparnis, die Kreditwirtschaft). Der hierdurch ausgelöste Geldumlauf vollzieht sich in einer bestimmten Geschwindigkeit. Die Umlaufgeschwindigkeit gibt Auskunft darüber, wie oft die verfügbare Geldmenge während der Rechnungsperiode nachfragewirksam den Markt durchläuft. Die Entwicklung des inländischen Preisniveaus hängt damit weitgehend von der

Entwicklung der nachfragewirksamen Geldmenge ab. Die Preisentwicklung wird detailliert anhand verschiedener spezifischer Kennzahlen berechnet und analysiert. Im Baugewerbe wird die Preisentwicklung getrennt für das Bauhaupt- und Ausbaugewerbe berechnet. Der Verbraucherpreisindex gibt zum Beispiel Auskunft über die durchschnittliche prozentuale Veränderung sämtlicher Waren und Dienstleistungen der privaten Haushalte für Konsumzwecke. Die Preise innerhalb des Bauhauptgewerbes stiegen von 1995 bis 2017 um 27 % an, wogegen die Preise für Leistungen des Ausbaugewerbes im selben Zeitraum um 46 % stiegen. Im Vergleich dazu sind die Verbraucherpreise um durchschnittlich 36 % angestiegen. In der Abb. 10 wird die Preisentwicklung im Bauhaupt- und Ausbaugewerbe sowie die der Verbraucherpreise veranschaulicht. Die Entwicklung der Preisindizes für baubezogene Architektur- und Ingenieurdienstleistungen wird gesondert unter den Erzeugerpreisen für Dienstleistungen erfasst. Der Erzeugerpreisindex für Dienstleistungen gibt Auskunft über die durchschnittliche Preisentwicklung im Dienstleistungssektor. Die Preisentwicklung für Architekturund Ingenieurdienstleistungen wird in Abb. 11, getrennt zwischen Architektur, Ingenieur- und andere baubezogene Dienstleistungen, dargestellt.

150.0 140.0 130.0 120.0 110.0 100.0 90.0 1995

2000

2005

Bauhauptgewerbe

2010

2011

2012

2013

Ausbaugewerbe

2014

2015

2016

Verbraucherpreise

Abb. 10 Entwicklung der Baupreisindizes. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2018a)

2017

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

11

140.0

130.0

120.0

110.0

100.0

90.0

80.0 2006

2007

2008

Architekturdienstleistungen

2009

2010

2011

Baubezogene Ingenieurdienstleistungen

2012

2013

2014

2015

2016

Andere baubezogene Dienstleistungen

Abb. 11 Entwicklung der Preisindizes für baubezogene Architektur- und Ingenieurdienstleistungen. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2018a)

Die Preisniveauentwicklung lässt ohne Hinzuziehung weiterer Indikatoren nur eingeschränkte Analysen zu. So ist die Beurteilung des Lebensstandards der Arbeitnehmer nur im Zusammenhang mit der Lohnentwicklung zu sehen. Neben der qualitativen Entwicklung der angebotenen Güter ist die Nominallohnentwicklung ein entscheidendes Beurteilungskriterium. Die den Arbeitnehmern zur Verfügung stehende effektive Kaufkraft nimmt real nur dann zu, wenn die Nominallöhne schneller steigen als das Preisniveau. Sinkende Reallöhne liegen dagegen dann vor, wenn die Preisniveausteigerung das Nominallohnwachstum übersteigt.

1.5

Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist eine zahlenmäßige Darstellung der makroökonomisch

relevanten Transaktionen zwischen den wirtschaftenden Einheiten eines Landes sowie zwischen ihnen und dem Ausland. Diese Transaktionen beziehen sich auf die Entstehung, Verteilung, Verwendung und Finanzierung des Sozialprodukts bzw. des Volkseinkommens. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen werden im Rahmen geschlossener Kontensysteme aufgestellt. Sie beziehen sich i. d. R. auf vergangene Perioden (Ex-postBetrachtungen). Ihre Aufgaben bestehen • für die Wirtschaftspolitik in der Möglichkeit, Wirkungen und Grenzen der jeweils beabsichtigten Maßnahmen zu erkennen; • für die Wirtschaftsforschung in der Gewinnung von für den Wirtschaftsprozess wichtigen Daten und Erkenntnissen über deren funktionales Zusammenwirken; • für Unternehmer in der Beobachtung von Strukturentwicklungen und -veränderungen innerhalb und zwischen den Branchen;

12

• für die gesamte Volkswirtschaft in der vergleichenden Betrachtung des wirtschaftsstatistischen Gesamtbildes. Nach dem Kreislaufschema ist der Wirtschaftskreislauf bildhafter Ausdruck für die zusammengefassten Leistungen einer Periode zwischen den einzelnen Sektoren. Darstellungsform ist das Pfeilschema, dem für jeden Sektor ein Konto zugrunde gelegt wird. Bereits an einem sehr einfachen Kreislaufmodell mit lediglich drei Konten (private Haushalte, Unternehmen, Vermögensänderung) kann erkannt werden, dass für jeden Sektor die Summe der eingehenden Ströme der Summe der ausgehenden Ströme entspricht (Abb. 12). Daraus lassen sich bereits folgende Gleichungen ableiten: Volkseinkommen = privater Verbrauch + Ersparnis, Volkseinkommen = privater Verbrauch + Bruttoinvestitionen ./. Abschreibungen, Bruttoinvestitionen = Neu- + Reinvestitionen = Ersparnis + Abschreibungen. Dieses einfache Modell ist in der Realität um die beiden Sektoren Staat und Ausland zu erweitern. In einer solchen offenen Volkswirtschaft werden dann auch Ungleichgewichte aufgehoben: Wenn Neuinvestitionen > Ersparnis, dann Kapitalimport aus dem Ausland,

C. J. Diederichs et al.

wenn Neuinvestitionen < Ersparnis, dann Kapitalexport ins Ausland. Eine im Vergleich zum Kreislaufmodell genauere Darstellungsweise erlauben entsprechend angelegte Kontensysteme. Mit Hilfe einer Stichtagsbetrachtung, i. d. R. zum Quartals- und Jahresende, werden z. B. in der Bilanz einer Volkswirtschaft die Realvermögen der Teilsektoren und die Forderungen gegenüber dem Ausland mit den Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland aufgerechnet. Der Saldo ergibt das Volksvermögen (Abb. 13). Um die Entwicklung der Sektoren während einer Rechnungsperiode zwischen zwei Stichtagen beobachten zu können, müssen Aufwandsund Ertragskonten eingerichtet werden. Das Einkommen aus Unternehmertätigkeit ergibt sich als Saldo aus dem Aufwands- und Ertragskonto der Unternehmen. Dieses Einkommen wird entweder ausgeschüttet oder aber nach Abzug der Steuern zu Ersparnissen der Unternehmen (Abb. 14). Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung im engeren Sinne umfasst die Entstehung, Verwendung und Verteilung des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das BIP ist ein Maß für den Gesamtwert aller Endprodukte einer Volkswirtschaft, die innerhalb einer bestimmten Periode hergestellt werden (vgl. Krugmann und Wells 2017, S. 672). Die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts kann über drei Berechnungsmethoden erfolgen (vgl. Statistisches Bundesamt 2018b, S. 8): • Die Entstehungsrechnung ermittelt das BIP, indem vom Wert der produzierten Waren und

Abb. 12 Einfaches volkswirtschaftliches Kreislaufschema

Abb. 13 Bilanz einer Volkswirtschaft

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

13

Abb. 14 Aufwands- und Ertragskonto der Unternehmen

Dienstleistungen die Vorleistungen subtrahiert werden. Hierzu wird im ersten Schritt die Bruttowertschöpfung der einzelnen Wirtschaftsbereiche ermittelt. Aus der Bruttowertschöpfung aller Wirtschaftsbereiche ergibt sich anschließend das Bruttoinlandsprodukt, indem die Gütersteuern hinzugefügt und die Gütersubventionen abgezogen werden. • Die Verwendungsrechnung ermittelt das BIP, indem die privaten und staatlichen Konsumausgaben, die Bruttoinvestitionen und die Differenz zwischen Exporten und Importen aufsummiert werden. • Die Verteilungsrechnung ermittelt das BIP, indem die Summe aller Einkommen, die Abschreibungen, die Abgaben an den Staat abzüglich der Subventionen vom Staat und der Saldo der Primäreinkommen aus dem Ausland addiert werden. In Abb. 15 ist der Zusammenhang zwischen Entstehungs-, Verwendungs- und Verteilungsrechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) dargestellt. Neben der Darstellung des Bruttoinlandsproduktes beziehen sich zahlreiche Veröffentlichungen in der Fachliteratur auch auf das Bruttonationaleinkommen (BNE). Das Bruttonationaleinkommen ist definiert als das gesamte Faktoreinkommen (Primäreinkommen), das denjenigen zufließt, die ihren Sitz im Inland haben. Hierbei schließt das BNE

damit jenes Faktoreinkommen aus, das von Ausländern erzielt wurde. Hierzu gehören z. B. die Gewinne ausländischer Anleger, denen Aktien von Unternehmen gehören, die ihren Sitz im Inland haben. Andererseits enthält das BNE jenes Faktoreinkommen, das von Inländern im Ausland erzielt wird. Hierzu gehören aus deutscher Sichtweise z. B. Dividenden, die einem deutschen Anleger aus Aktien ausländischer Unternehmen zufließen (vgl. Krugmann und Wells 2017, S. 679). Für die Darstellung der Wirtschaftsleistung des Baugewerbes werden verschiedene Kennzahlen verwendet. In der Entstehungsrechnung zur Ermittlung des Bruttoinlandsproduktes wird die Kennzahl der Bruttowertschöpfung ermittelt (Abb. 16). Die Bruttowertschöpfung ergibt sich aus dem Produktionswert (Waren und Dienstleistungen) abzüglich der Vorleistungen. Nachfolgend wird in Abb. 16 die Bruttowertschöpfung und darin enthaltene Anteil des Baugewerbes dargestellt. Internationale Vergleiche der Bruttowertschöpfung sind ungenau wegen variierender Berechnungsverfahren. Aus diesem Grund erfolgt der internationale Vergleich des Marktvolumens im Baugewerbe oft mittels der Kennzahl Bauinvestitionen. Die Bauinvestitionen umfassen dabei alle Bauleistungen an Wohn- und Nichtwohngebäuden, die Investitionen darstellen. Dies bedeutet, dass zum Beispiel reine Reparaturleistungen nicht berücksichtigt werden, sondern nur jene, die eine Werterhöhung erzeugen.

14

C. J. Diederichs et al.

Abb. 15 Zusammenhang zwischen Entstehung-, Verwendungs- und Verteilungsrechnung des Bruttoinlandsprodukts 2017. (Quelle: Statisches Bundesamt 2018, Statistisches Jahrbuch 2018, S. 329)

Während die Bauinvestitionen für Deutschland im Jahr 2017 mit 327 Mrd. EUR ermittelt wurden, beträgt die Bruttowertschöpfung des Baugewer-

bes in Deutschland 144 Mrd. EUR. Die Bruttowertschöpfung hat damit einen Anteil in Höhe von 44 % der Bauinvestitionen (vgl. Statistisches

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

15

3500

8.0%

3000

7.0% 6.0%

2500

5.0% 2000 4.0% 1500 3.0% 1000

2.0%

500

1.0%

0

0.0% 1995

2000

2005

2010

Bruttowertschöpfung (Mrd. EUR)

2011

2012

2013

2014

Anteil Baugewerbe (Mrd. EUR)

2015

2016

2017

Anteil Baugewerbe (%)

Abb. 16 Bruttowertschöpfung und Anteil des Baugewerbes von 1995 bis 2017. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2018c, S. 56) Abb. 17 Vergleich der Bauinvestitionen innerhalb der EU 2016 in Mrd. €. (Quelle: Hauptverband der Deutschen Bauindustrie 2017)

Bauinvestitionen (Mrd. EUR) 350 300 250 200 150 100 50 0

Bundesamt 2018c, S. 56 und 139). Grund dafür sind die Vorleistungen anderer Wirtschaftsbereiche, die bei der Ermittlung der Kennzahl Bruttowertschöpfung in Abzug gebracht werden (vgl. DIW Berlin 2017, S. 1). Abb. 17 gibt einen Überblick über die Bauinvestitionen aller EU-Mitgliedsstaaten, die einen Wert von mindestens 20 Mrd. EUR aufweisen. Neben den Kennzahlen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung werden weitergehende Kennzahlen der Bauwirtschaft im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) sowie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) ermittelt.

Neben den Kennzahlen Bruttowertschöpfung und der Bauinvestitionen hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Kennzahl Bauvolumen entwickelt. Das Bauvolumen ist definiert als die Summe aller Leistungen, die auf die Herstellung oder den Erhalt von Gebäuden und Bauwerken gerichtet sind. Im Vergleich zur Kennzahl Bauinvestition, die durch das Statistische Bundesamt im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) erhoben wird, umfasst das Bauvolumen auch konsumtive Bauleistungen, also Bauleistungen, die keine Investitionen darstellen. Hierzu gehören Reparaturen und Instandsetzungsleistungen. Die Kennzahl Bauvolumen umfasst jedoch wie die Kennzahl Bauinvestitionen auch keine zivil nutzbaren Militärbauten (Abb. 18).

16

C. J. Diederichs et al.

450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 1995

2000

2005

2010

2011

Wohnungsbau

2012

2013

2014

Wirtschaftsbau

2015

2016

2017

2018

2019

Öffentlicher Bau

Abb. 18 Entwicklung des Bauvolumens nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Deutschland. (Quelle: DIW Berlin 2018)

Des Weiteren entwickelte das Statistische Bundesamt die Umweltökonomischen Gesamtrechnungen (UGR), die Veränderungen im „Naturvermögen“ statistisch erfassen. Ziel wirtschaftlicher Betätigung ist stets das Leitbild einer „nachhaltigen Entwicklung“ (sustainable development). Nachhaltigkeit bedeutet Substanzerhaltung; d. h. sowohl der produzierte als auch der nicht produzierte Kapitalstock soll am Ende einer Periode mindestens so groß sein wie am Anfang der Periode. Durch eine nachhaltige Wirtschaftsweise soll gesichert werden, dass die Funktionsfähigkeit des ökonomischen, ökologischen und sozialen Systems für die nachfolgenden Generationen erhalten bleibt. In der UGR werden die Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen Aktivitäten und Umweltressourcen in folgenden fünf Feldern dargestellt: • Material- und Energieflussrechnungen durch Entnahme und Verbrauch natürlicher Rohstoffe, • Nutzung von Fläche, Raum und der natürlichen Umwelt als Standort, • Qualität der Umwelt, Ausstoß und Verbleib von Rest- und Schadstoffen (Emissionen) und Indikatoren des Umweltzustandes,

• Maßnahmen des Umweltschutzes und • Schätzung von hypothetischen Vermeidungskosten für zusätzliche präventive Maßnahmen. Jedes Jahr werden vom Statistischen Bundesamt die Eckdaten der UGR und die wesentlichen umweltökonomischen Trends im Rahmen einer UGRPressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Kapitalstock misst das jahresdurchschnittliche Bruttoanlagevermögen einer Volkswirtschaft. Er umfasst nach der Definition des Statistischen Bundesamtes alle produzierten Vermögensgüter, die länger als 1 Jahr wiederholt oder dauerhaft in der Produktion eingesetzt werden. Dazu zählen vor allem Sachanlagen wie Immobilien, Maschinen und Geräte, die Betriebs- und Geschäftsausstattung sowie Konzessionen, Lizenzen und der Geschäftsoder Firmenwert. Die Kapitalproduktivität ist das Verhältnis zwischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Kapitalstock, die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität das Verhältnis zwischen BIP und der Menge der eingesetzten Arbeitseinheiten (Anzahl der Erwerbstätigen, der geleisteten oder der bezahlten Stunden).

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

17

Die Kapitalintensität ist das Verhältnis zwischen Kapitalstock und den im Jahresdurchschnitt eingesetzten Erwerbstätigen.

1.6

Beschäftigung und Arbeitsmarkt

Die Volkswirtschaftslehre definiert die Beschäftigung als tatsächlichen Einsatz des Produktionsfaktors Arbeit in einer bestimmten Periode. Der Begriff „Arbeit“ beschreibt im wirtschaftlichen Sinne jede Tätigkeit, die eine Einkommenserzielung anstrebt (vgl. Fischbach und Wollenberg 2007, S. 28). Die Bedeutung des Produktionsfaktors Arbeit hängt unmittelbar mit der Befriedigung von Bedürfnissen notwendiger Güter ab, die nur mit Hilfe menschlicher Arbeit zu produzieren sind. Aus diesem Grund wird dem Faktor Arbeit in jedem Wirtschaftssystem eine zentrale Bedeutung zugesprochen (vgl. Schrüfer 2010, S. 40). Der Produktionsfaktor lässt sich nach körperlicher und geistiger Arbeit unterscheiden, wobei eine strikte Trennung beider Arten praktisch nicht möglich ist. Aus diesem Grund finden sich in der Fachliteratur weitere Differenzierungen, die sich auf die Art oder Qualifikation der Tätigkeit beziehen. Für das Baugewerbe erfasst das Statistische Bundesamt die Beschäftigtenstruktur wie folgt: • Tätige Inhaber und Mitinhaber und unbezahlt mithelfende Angehörige • Kfm. und techn. Arbeitnehmer (inkl. Auszubildende in diesem Bereich)

Abb. 19 Gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Arbeitslosenzahlen und der Zahl der offenen Stellen. (Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2018)

• Poliere, Schachtmeister, Werkpoliere • Maurer, Betonbauer, Zimmerer und übrige Facharbeiter • Baumaschinenführer, Berufskraftfahrer • Fachwerker, Maschinisten • Gewerbliche Auszubildende Hierbei muss berücksichtigt werden, dass Bauingenieure und Architekten durch das Statistische Bundesamt nicht dem Baugewerbe zugeordnet werden, sondern dem Dienstleistungsbereich. Als Kennzahl zur Erfolgsmessung des Produktionsfaktors Arbeit gilt deren Produktivität (vgl. Schrüfer 2010, S. 41). Die Arbeitsproduktivität wird aus dem Verhältnis des monetär bewerteten Produktionsergebnisses (z. B. verlegte Bewehrung) zu der Menge der eingesetzten Ressourcen (z. B. geleistete Arbeitsstunden) ermittelt. Der Arbeitsmarkt ist dabei, wie alle anderen Märkte auch, durch Angebot und Nachfrage charakterisiert. Die privaten Haushalte treten dabei als Anbieter von Arbeitsleistungen auf und die Unternehmen sowie öffentlichen Haushalte fragen Arbeitsleistungen nach. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage stellt dann die Beschäftigungslage einer Volkswirtschaft dar. Die Beschäftigungslage wird allgemein durch die Arbeitslosenzahl und die Zahl der offenen Stellen beschrieben (Abb. 19): • Vollbeschäftigung ist gegeben, wenn die Arbeitslosenzahl der Zahl der offenen Stellen entspricht, d. h., wenn die eine Beschäftigung zum herrschenden Lohnsatz suchenden und für diese Beschäftigung geeigneten Personen ohne

6000000 5000000 4000000 3000000 2000000 1000000 0 1995 2000 2005 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Gesamtwirtschaft Arbeitslose

Gesamtwirtschaft Offene Stellen

18

C. J. Diederichs et al.

längeres Warten entsprechende Arbeit finden können. • Unterbeschäftigung ist gegeben, wenn die Arbeitslosenzahl die Zahl der offenen Stellen deutlich übersteigt. • Überbeschäftigung ist gegeben, wenn die Zahl der offenen Stellen größer ist als die Arbeitslosenzahl. Aus Abb. 20 ist zu erkennen, dass die Beschäftigungssituation in der Bauwirtschaft sich seit 2008 kontinuierlich verbessert hat. Mittlerweile ist sogar ein deutlicher Fachkräftemangel und teilweise Arbeitskräftemangel in der Bauwirtschaft festzustellen. Für Bauingenieure ist im Arbeitsmarkt ab dem Jahr 2015 eine Überbeschäftigung zu erkennen. Im Hinblick auf die Dauer der Arbeitslosigkeit wird zwischen saisonaler, friktioneller, struktureller und konjunktureller Arbeitslosigkeit unterschieden. Die Form der saisonalen Arbeitslosigkeit bezeichnet die Arbeitslosigkeit, die in Folge Abb. 20 Entwicklung der Arbeitslosenzahlen und der Zahl der offenen Stellen in der Bauwirtschaft. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2018b)

jahreszeitlicher Änderungen verursacht wird, hingegen die friktionelle Arbeitslosigkeitsform die kurzzeitige Arbeitslosigkeit durch einen Arbeitsplatzwechsel. Die Bauwirtschaft ist insbesondere aufgrund der klimatischen Bedingungen im Winter von der saisonalen Arbeitslosigkeit betroffen. Daher können Bauvorhaben oftmals aufgrund von bautechnischen Gründen nicht während der Wintermonate begonnen oder fortgeführt werden. Ferner wird, neben den zeitbedingten Formen der Arbeitslosigkeit, zwischen einer strukturellen und konjunkturellen Arbeitslosigkeit unterschieden. Eine strukturelle Arbeitslosigkeit entsteht durch das Ungleichgewicht zwischen der Struktur des Angebots und der Nachfrage nach Arbeitskräften. Hierzu zählt z. B. die Arbeitslosigkeit durch den Ersatz von Arbeitskräften durch Maschinen (technologische Arbeitslosigkeit). Die Form der konjunkturellen Arbeitslosigkeit tritt infolge zyklischer Nachfrage und Produktionsschwankungen in der Gesamtwirtschaft auf. Diese steht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Zustand einer

70,000 60,000 50,000 40,000 30,000 20,000 10,000 0 2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

Baufacharbeiter mit bauhauptgewerblichen Berufen - Arbeitslose Baufacharbeiter mit bauhauptgewerblichen Berufen - offene Stellen 3,500 3,000 2,500 2,000 1,500 1,000 500 0 2008

2009

2010

2011

Bauingenieure - Arbeitslose

2012

2013

2014

2015

2016

Bauingenieure - offene Stellen

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Wirtschaft und hat unterschiedliche Auswirkungen in allen Wirtschaftsbereichen (vgl. Statistisches Bundesamt 2018d). Die Wechselwirkung zwischen Angebot und Nachfrage hat hierbei auch Auswirkungen auf das Arbeitsentgelt. Sobald in einem Wirtschaftsbereich wenige Arbeitskräfte für eine bestimmte Tätigkeit zur Verfügung stehen, wird diese Tätigkeit voraussichtlich besser entlohnt (Angebot kleiner als Nachfrage). Stehen im Gegensatz dazu viele Arbeitskräfte einer bestimmten Tätigkeit zur Verfügung, kann sich das jeweilige Unternehmen die geeigneten Arbeitskräfte aussuchen, sodass diese Tätigkeit voraussichtlich niedriger entlohnt wird (Angebot größer als Nachfrage). Trotz des freien Wettbewerbes können politische Gründe dazu führen, dass staatliche Stellen z. B. mit gesetzlichen Regelungen in den Arbeitsmarkt eingreifen. Der Staat kann z. B. einen flächendeckenden Mindestlohn auf Bundesebene oder einen Mindestlohn für bestimmte Berufsgruppen festlegen. Seit dem 01.01.2015 hat jeder Arbeitnehmer In Deutschland „Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber“ (§ 1 Abs. 1 MiLoG). Ferner können die Löhne und Gehälter über Tarifverträge beeinflusst werden. Im Bauhauptgewerbe ist der Branchenmindestlohn erstmalig am 01.01.1997 auf Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) eingeführt worden, um „angemessene Mindestarbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie die Gewährleistung fairer und funktionierender Wettbewerbsbedingungen durch die Erstreckung der Rechtsnormen von Branchentarifverträgen“ zu schaffen und durchzusetzen (§ 1 AEntG). Der Mindestlohn ist verbindlich im Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn) festgesetzt. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Kosten des Produktionsfaktors Arbeit in der deutschen Bauwirtschaft im internationalen Vergleich an der Spitze liegen und insbesondere auch die Lohnzusatzkosten (Soziallöhne und Sozialkosten) eine hohe Belastung für die Bauunternehmen darstellen (Abb. 21).

19

1.7

Wachstum und Konjunktur

Wirtschaftliches Wachstum wird kurzfristig als Zunahme des realen Sozialprodukts gegenüber dem Vorjahresergebnis, mittel- und langfristig am Zuwachs des Produktionspotenzials einer Volkswirtschaft gemessen und auf den vermehrten Einsatz der Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und technischer Fortschritt zurückgeführt. Die Stetigkeit des Wachstumsprozesses wird u. a. beeinflusst durch Beschleunigungs- und Verzögerungswirkungen von Konjunkturzyklen sowie Schwankungen in der relativen Bedeutung des Wachstumszieles im Zielsystem der Wirtschaftspolitik. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts muss in Abhängigkeit von der Preisniveauänderung nominal oder real unterschieden werden. Eine nominale Wachstumsrate kann durch eine höhere Preissteigerungsrate aufgezehrt werden und damit reales Negativwachstum bedeuten. Andererseits kann das Wachstum in Absolut- oder Relativwerten ausgedrückt werden, dann meist in Abhängigkeit von der Bevölkerungsentwicklung als Pro-Kopf-Wachstum. Wenn das absolute Wirtschaftswachstum mit einem relativen Wirtschaftsrückgang einhergeht, wächst die Bevölkerung schneller als die Wirtschaft (Entwicklungsländer). Nimmt in einer Volkswirtschaft das BIP zu, so wächst gleichermaßen das Volkseinkommen, da der Gegenwert jedes zusätzlich auf dem Markt nachgefragten und abgesetzten Gutes auf der Angebotsseite zum Einkommenszuwachs wird. Voraussetzungen für das Wachstum einer Volkswirtschaft sind: • Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage muss zunehmen. • Die gesamtwirtschaftliche Produktion muss steigen durch Mobilisierung aller Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte, und durch Neuinvestitionen. Der Staat kann hierbei unterstützend mitwirken über Anreize für Neuinvestitionen durch z. B. günstige Abschreibungsmöglichkeiten, Krediterleichterungen oder direkte Subventionierung.

20 Abb. 21 Internationaler Vergleich der Bruttolöhne/gehälter und Sozialaufwendungen. (Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2016, S. 47)

C. J. Diederichs et al. Schweiz Norwegen Belgien Dänemark Schweden Deutschland Frankreich Finnland Österreich Niederlande USA Luxemburg Irland Vereinigtes Königreich Italien Japan Spanien Slowenien Griechenland Malta Zypern Portugal Slowakei Estland Tschechische Republik Kroatien Ungarn Polen Lettland Litauen Rumänien Bulgarien 0€

10 €

20 €

Bruttolöhne und -gehälter

Wirtschaftsaktivitäten einer Volkswirtschaft verlaufen grundsätzlich nicht konstant (Abb. 22), sondern unterliegen Schwankungen, den Konjunkturen (vgl. Neubäumer et al. 2017, S. 465). Der kurzfristige Wechsel zwischen dem Auf und Ab in einer Wirtschaft wird in diesem Zusammenhang Konjunkturzyklus genannt. In der Abb. 23 wird der Konjunkturverlauf einer Volkswirtschaft vereinfacht dargestellt. Grundsätzlich wird zwischen vier Phasen im Konjunkturzyklus unterschieden. Die Expansion (Erholung, Aufschwung) ist durch zunehmende Kapazitätsauslastung und abnehmende Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Das Preisniveau bleibt trotz steigender Konsumund Investitionsgüternachfrage relativ stabil, da die Unternehmen mit sinkenden Stückkosten arbeiten können. Die Aktienkurse steigen angesichts steigender Unternehmensgewinnerwartungen der Anleger. Die Kreditwirtschaft kann den

30 €

40 €

50 €

60 €

70 €

Sozialaufwendungen

Markt in ausreichendem Maße versorgen, sodass auch das Zinsniveau stabil bleibt. Während des Booms (Hochkonjunktur) steigen Preise und Löhne, da Güter und Arbeitskräfte knapper werden. Die Investitionsgüternachfrage geht im Gegensatz zur weiter wachsenden Konsumgüternachfrage bereits zurück. Die Kreditmittel verknappen, die Zinsen steigen und Aktien verlieren an Attraktivität aufgrund erhöhter Unternehmenskosten und sinkender Gewinne. In der Rezession führt die pessimistische Grundhaltung der Verbraucher und der Unternehmer zu Konsum- und zu weiterer Investitionszurückhaltung. Die Arbeitslosenzahl steigt aufgrund der schlechteren Auftragslage. Die abnehmende Kreditnachfrage erzeugt sinkende Zinsen. Gewerkschaften fordern wegen des gestiegenen Preisniveaus Reallohnanpassungen oder häufig auch mehr. Die Lohnkosten verschlechtern dementsprechend die Lage der Unternehmen.

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

21

10.0% 8.0% 6.0% 4.0% 2.0% 0.0% 1995

2000

2005

2010

2015

-2.0% -4.0% -6.0% Veränderung der Bauinvestitionen gegenüber dem Vorjahr (%) Veränderung des Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr (%)

Abb. 22 Reale Veränderungsrate des BIP und der Bauinvestitionen gegenüber dem Vorjahr von 1995 bis 2017. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2018c, S. 22 und 143)

Abb. 23 Phasen im Konjunkturzyklus. (Quelle: Neubäumer et al. 2017, S. 466)

Während der Depression mit steigender Arbeitslosigkeit, geringer Kapazitätsauslastung, sinkenden Neuinvestitionen und hoher Bankenli-

quidität kommt der konjunkturelle Abschwung zum Stillstand und geht wieder in die Erholungsphase über.

22

C. J. Diederichs et al.

700000

180 160

600000

140 500000

120

400000

100

300000

80 60

200000

40 100000

20

0

0 1995

2000

2005

2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

Anzahl der Baugenehmigungen, linke Achse Wertindex für den Auftragseingang im Bauhauptgewerbe (2010=100), rechte Achse

Abb. 24 Entwicklung der Auftragseingänge und Baugenehmigungen. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2018e)

Die Konjunkturdiagnose ist der Versuch, aus statistischen Zeitreihen den Stand der konjunkturellen Entwicklung zu bestimmen, z. B. hinsichtlich des Bruttoinlandsprodukts und des Volkseinkommens, der Beschäftigung, der Investitionen und des Konsums. Die Konjunkturprognose versucht, die künftige konjunkturelle Entwicklung vorherzusagen. Dabei wird aus der Entwicklung von Konjunkturindikatoren der Vergangenheit mit Hilfe von Trend und Korrelationsrechnungen auf die Zukunft geschlossen. Zur Beurteilung von zukünftigen Konjunkturentwicklungen werden Frühindikatoren (vgl. Malkwitz 1995) gewählt. Frühindikatoren haben die Funktion zukünftige Anhaltspunkte für die konjunkturelle Entwicklung einer Volkswirtschaft zu geben (Abb. 24). Hierzu zählen u. a. die Auftragseingänge im Baugewerbe und die Baugenehmigungen (vgl. Wildmann 2016, S. 84 f.). Ziel ist es, die konjunkturellen Entwicklungen möglichst stabil zu halten und positiv zu entwickeln. Dafür hat der Staat einige Beeinflussungsmöglichkeiten. In der Bundesrepublik Deutschland wurden durch die in § 1 des Stabilitätsgesetzes (StabG) vom 08.06.1967 (BGBl I S. 582) formulierten Ziele Verhaltensweisen für die staatlichen Institutionen von Bund und Ländern zur Förderung der Wirtschaftspolitik vorgegeben: Bund und Länder haben bei ihren wirtschaftsund finanzpolitischen Maßnahmen die Erforder-

nisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig • • • •

zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und zu außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.

Die gleichzeitige Verfolgung sämtlicher Ziele ist schwierig und teilweise sogar widersprüchlich. Ein hoher Beschäftigungsstand kann z. B. durch hohe Überschüsse der Handelsbilanz ausgelöst werden, die zu außenwirtschaftlichem Ungleichgewicht führen. Unternehmen werden häufig erst durch Erwartung steigender Preise (und damit steigender Gewinne) dazu veranlasst, Investitionen vorzunehmen und Arbeitskräfte nachzufragen. Steigende Preise und steigende Löhne verringern dann jedoch die Exportchancen für inländische Güter. Dies wiederum führt zu verminderter Beschäftigung und damit zu geringem Wachstum. Im Zusammenhang mit den komplexen Wechselwirkungen der nach dem Stabilitätsgesetz geforderten Maßnahmen wird daher häufig vom Magischen Viereck der Wirtschafts- und Fiskalpolitik des Staates gesprochen. Neben der Bundesregierung sind davon

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

unabhängig die Deutsche Bundesbank gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank (EZB) als Hüterinnen der deutschen und europäischen Wirtschaftsund Konjunkturpolitik anzusehen. Zur Bekämpfung von konjunkturellen Abschwüngen wird von Staaten manchmal versucht, zusätzliche Nachfrage von Bauleistungen zu erzeugen. Dies kann auf der einen Seite als direkte staatliche Baunachfrage passieren oder auch durch Anreize für private Baunachfrage. Grund für den Fokus staatlicher Konjunkturpolitik auf die Bauwirtschaft ist oft, dass nach wie vor die Bauproduktion sehr arbeitsintensiv ist und daher viele Arbeitskräfte nachgefragt werden, wenn zusätzliche Bauprojekte gestartet werden. Damit kann dann die Beschäftigungssituation kurzfristig positiv beeinflusst werden. Als weiterer Grund wird der Multiplikatoreffekt der Bauwirtschaft in den Vordergrund gestellt (vgl. Brömer 2015, S. 65). Demnach bewirkt eine Erhöhung der Baunachfrage eine zusätzliche Produktionszunahme in der Volkswirtschaft. In Abb. 25 wird der Multiplikatoreffekt der Bauwirtschaft dargestellt.

1.8

Außenwirtschaft

Der Begriff Außenwirtschaft umfasst einerseits die Gesamtheit der wirtschaftlichen Transaktionen zwischen In- und Ausländern sowie anderer-

23

seits die Schnittstelle zwischen Binnenwirtschaft (Transaktionen der Inländer untereinander) und anderen Volkswirtschaften bzw. Wirtschaftsgemeinschaften. Die Auslandsaufträge (Abb. 26 und 27) deutscher Baufirmen inkl. Beteiligungen hatten mit ca. 34,4 Mrd. € im Jahr 2017 einen Anteil von etwa 19,0 % an dem gesamten internationalen Auftragsvolumen in Höhe von 181,0 Mrd. € (2017). Der Außenhandel wird als Teil der Außenwirtschaft definiert und umfasst den Warenverkehr zwischen In- und Ausländern (Aus- bzw. Einfuhr). Darüber hinaus werden der Dienstleistungsverkehr wie Urlaubsreisen und Messen im Ausland („unsichtbare Ein- bzw. Ausfuhr“) sowie Übertragungen von Erwerbs- und Vermögenseinkommen, auch aus gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen (z. B. Transferzahlungen der EU), zur Außenwirtschaft gezählt. Der Kapitalverkehr mit dem Ausland wird unterschieden nach Direktinvestitionen, Wertpapieranlagen und Krediten. Die Zahlungsbilanz setzt sich damit zusammen aus: • der Leistungsbilanz mit – der Außenhandels- und Warenverkehrsbilanz, – der Dienstleistungsbilanz, – der Bilanz der Erwerbs- und Vermögenseinkommen,

Abb. 25 Multiplikatoreffekt der Bauwirtschaft. (Quelle: Leimböck et al. 2017, S. 69)

24

C. J. Diederichs et al. 40,000 35,000 30,000 25,000 20,000 15,000 10,000 5,000 0 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Bauumsatz

Auftragseingang

Abb. 26 Entwicklung der Auslandsaufträge deutscher Bauunternehmen von 2004 bis 2017 in Mio. €. (Quelle: European International Contractors 2018) 25,000

20,000

15,000

10,000

5,000

0 2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

Europa

USA und Kanada

Mittel- und Südamerika

Ozeanien/Australien

Asien (außer Mittl. O.)

Afrika (außer Mittl. O.)

2017

Mittlerer Osten*

Abb. 27 Herkunft der Auslandsaufträge deutscher Bauunternehmen von 2004 bis 2017 in Mio. €. (Quelle: European International Contractors 2018)

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen



• • •

– der Bilanz der laufenden Übertragungen an internationale Organisationen, Entwicklungsländer, Überweisungen ausländischer Arbeitnehmer sowie sonstigen laufenden Übertragungen, der Bilanz der Vermögensübertragungen, insbesondere auch aus Schuldenerlass (Insolvenzen) und aus Kauf/Verkauf von immateriellen nicht produzierten Vermögensgütern, der Kapitalbilanz, der Bilanz der Veränderung der Währungsreserven zu Transaktionswerten und dem Saldo der statistisch nicht aufgliederbaren Transaktionen.

Außenwirtschaftliches Gleichgewicht liegt dann vor, wenn sich die grenzüberschreitenden Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalströme ausgleichen. In Deutschland wird dieses Gleichgewicht bisher traditionell vor allem durch hohe Außenhandelsüberschüsse einerseits und Unterdeckungen in der Dienstleistungs-, Erwerbs- und Vermögenseinkommensbilanz sowie der Bilanz der laufenden Übertragungen andererseits gewährleistet. Die Salden der Zahlungsbilanz für das Jahr 2017 zeigt Tab. 1. Demnach entspricht der Saldo der Leistungsbilanz mit 257,8 Mrd. € in etwa dem Saldo der Außenhandelsbilanz mit 265,3 Mrd. €. Der Ausgleich wird maßgeblich durch den Saldo der Kapitalbilanz in Höhe von 280,0 Mrd. € bewirkt. Deutschland ist ein rohstoffabhängiges und exportorientiertes Land. Sein Außenhandel ist vom Außenwert der eigenen Währung und somit vom System der Wechselkurse abhängig. Devisen sind Ansprüche auf Zahlungen in fremder WähTab. 1 Zahlungsbilanz 2017 der Bundesrepublik Deutschland in Mrd. €

25

rung an einem ausländischen Platz, d. h. meist bei ausländischen Banken gehaltene Guthaben. Der Devisen- oder auch Wechselkurs beziffert den Preis einer ausländischen Währungseinheit, bewertet in der eigenen Währung. Eine zunehmende Devisennachfrage bewirkt nach dem Gesetz der Nachfrage steigende Devisenpreise, d. h. der Außenwert der Eigenwährung nimmt ab. Gründe für eine steigende Devisennachfrage können sein (mit analogem Umkehrschluss für sinkende Devisennachfrage): • Ausländische Güter werden im Vergleich zu inländischen Gütern aufgrund einer inländisch höheren Preissteigerungsrate immer billiger. • Die Einkommen der Inländer steigen bei aufstrebender Binnenwirtschaft. Deren Bezieher fragen zunehmend ausländische Güter nach. • Spekulanten rechnen mit steigenden Kursen einer Auslandswährung und fragen diese nach („Kapitalflucht“). Dies geschieht auch in Erwartung fallender Kurse der Inlandswährung oder aufgrund des höheren Zinsniveaus der Auslandswährung. Eine Abwertung der Inlandswährung hat für die im Außenhandel tätige Binnenwirtschaft folgende Konsequenzen (wiederum analoger Umkehrschluss möglich): • Inländische Güter werden auf dem Weltmarkt billiger. Nach dem Gesetz der Nachfrage wird die Menge der ins Ausland exportierten Güter steigen, d. h., die exportorientierten Wirtschaftszweige verfügen über eine bessere Position im internationalen Wettbewerb.

I. Leistungsbilanz 1. Warenhandel Ausfuhr (fob) Einfuhr (fob) 2. Dienstleistungen 3. Primäreinkommen 4. Sekundäreinkommen II. Vermögensänderungsbilanz III. Kapitalbilanz IV. Statistisch nicht aufgliedbare Transaktionen Saldo

257,8 265,3 1270,0 1004,7 20,8 67,3 54,1

Quelle: Deutsche Bundesbank 2018a, Statistisches Jahrbuch 2018, S. 444

0,3 280,0 +22,5 0,0

26

C. J. Diederichs et al.

• Ausländische Waren und Dienstleistungen werden auf dem Binnenmarkt teurer, d. h., die importorientierten Wirtschaftszweige verfügen über eine schlechtere Position im internationalen Wettbewerb.

2

Betriebswirtschaftliche und arbeitsrechtliche Grundlagen

Die Betriebswirtschaftslehre untersucht das mikroökonomische Zusammenwirken der Aufgabenträger in Unternehmen und Betrieben, die durch diese Aufgabenträger verrichteten Prozesse und Prozessabläufe einschließlich der Schnittstellen zwischen den einzelnen Aufgabenträgern innerhalb des Unternehmens sowie zu Kunden, Lieferanten, Behörden und Dritten außerhalb des Unternehmens. Dabei ist eine Entwicklung der zunehmenden Verflechtung betriebswirtschaftlicher, rechtlicher, technischer und organisatorischer Fragen zu beobachten. Darüber hinaus gewinnen verhaltenstheoretische Betrachtungen soziologischer, psychologischer und ethischer Fragestellungen an Bedeutung (Diederichs 2012, S. 410). Grundsätzlich hat jedes Unternehmen existentielle Prinzipien zu beachten, die nur teilweise vom jeweiligen Wirtschaftssystem abhängig

Abb. 28 Existentielle Prinzipien von Unternehmen

sind (Abb. 28). Die Grenzen zwischen der häufig vorgenommenen Dreiteilung der Betriebswirtschaftslehre sind fließend und häufig noch Ausdruck der verfügbaren Planstellen an den Fakultäten für Wirtschaftswissenschaften, Betriebswirtschaft und Bauingenieurwesen: • Allgemeine Betriebswirtschaftslehre zur allgemeinen Erkenntnis und Gestaltung der Unternehmens- und Betriebsprozesse wie Marketing und Akquisition, Beschaffung einschließlich Personalwirtschaft, Lagerhaltung, Investition und Finanzierung, Produktion, Vertrieb und Abrechnung; • Betriebswirtschaftslehren der Verfahrenstechnik für Rechnungswesen, Steuern, Organisation, Controlling, Operations Research und Wirtschaftsinformatik sowie • spezielle Betriebswirtschaftslehren der einzelnen Wirtschaftszweige wie Industrie-, Banken-, Versicherungs-, Handels-, Immobilienwirtschafts-, Bauwirtschafts- und Baubetriebslehre. Die Immobilien- und Bauwirtschaftslehre sind die speziellen Zweige der Branchenbetriebswirtschaftslehre für die sich am Baumarkt beteiligenden Institutionen wie Bauherren, Bauplaner und Bauun-

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

ternehmer sowie die angrenzenden Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche. Auch die Immobilien- und die Bauwirtschaftslehre finden ihre Grundlagen in der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, da auch sie darauf gerichtet ist, als interdisziplinäre Managementwissenschaft unternehmerische Entscheidungen vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, zunehmend aber auch in organisatorischer, rechtlicher und technischer Hinsicht mit sozialer und ethischer Verantwortung vorzubereiten. Die Planung und Errichtung von Bauten und Anlagen sind i. d. R. gekennzeichnet durch Merkmale der Einmaligkeit (Unikatfertigung), der individuellen Standorte und der dadurch bedingten „wandernden Werkstätten der Bauunternehmer unter freiem Himmel“, der Bestellung durch Ausschreibung, Vertragsverhandlung und Zuschlag vor Beginn der Produktion und der starken Reglementierung durch die für öffentliche Auftraggeber geltenden Vergaberechtsvorschriften.

2.1

Ausgewählte Begriffe der Betriebswirtschaftslehre

Ein Unternehmen ist ein wirtschaftlich-rechtlich organisiertes Gebilde, in dem nachhaltig Ertrag bringende Leistungen und eine angemessene Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals angestrebt werden. Ein Unternehmen kann einen, mehrere oder keinen Betrieb (z. B. Holding) haben. Das Unternehmen stellt damit eine örtlich nicht gebundene Einheit dar. Der Betrieb hingegen wird definiert als planmäßige örtliche, technische und organisatorische Einheit zum Zwecke der Erstellung von Waren und Dienstleistungen durch die Kombination von Produktionsfaktoren. Niederlassungen eines Bauunternehmens sind selbstständige Betriebe. Baustellen gelten dann als selbstständige Betriebe, wenn sie eigene Bau- oder Lohnbüros haben. Einzahlungen und Auszahlungen sind Zahlungsmittelbeträge in Bar- oder Giralgeld, die als Strömungsgrößen zwischen Wirtschaftssubjekten fließen. Zugehörige Bestandsgrößen sind die Zahlungsmittelbestände an Kasse und Sichtguthaben bei Banken (z. B. Überweisung vom Bankkonto des X auf das Bankkonto des Y).

27

Einnahmen und Ausgaben sind Strömungsgrößen des Geldvermögens, d. h. des Zu- oder Abflusses von Zahlungsmitteln und/oder des Erwerbs von Forderungen bzw. des Eingehens von Verbindlichkeiten. Zugehörige Bestandsgrößen sind der Zahlungsmittelbestand zzgl. des Bestands an Forderungen abzgl. des Bestands an Verbindlichkeiten (z. B. Übermittlung einer Rechnung des X an den Adressaten Y). Ertrag und Aufwand sind die von einem Unternehmen in einer Wirtschaftsperiode durch Erstellung von Gütern und Dienstleistungen erwirtschafteten Einnahmen bzw. die von einem Unternehmen während einer Abrechnungsperiode für den Verbrauch an Gütern und Dienstleistungen getätigten Ausgaben. Betriebsertrag und Betriebsaufwand entstehen in Erfüllung des eigentlichen Betriebszweckes. Betriebsfremder oder neutraler Ertrag und Aufwand entstehen aufgrund betriebsfremder oder außerordentlicher Geschäftsvorfälle. Der Umsatz oder auch Erlös umfasst die Summe der in einer Periode veräußerten und mit ihren jeweiligen Verkaufspreisen bewerteten Güter und Dienstleistungen. Kosten, Leistungen und Ergebnisse sind Begriffe aus der Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung: • Kosten werden definiert als bewerteter Verzehr von materiellen und immateriellen Gütern und Dienstleistungen zur Erstellung und zum Absatz von Sach- oder Dienstleistungen sowie zur Schaffung und Aufrechterhaltung der dafür notwendigen Kapazitäten. Sie errechnen sich aus dem Produkt der jeweils verbrauchten Produktionsfaktormenge und dem Produktionsfaktorpreis. • Kalkulatorische Kosten umfassen kalkulatorische Abschreibungen, kalkulatorische Zinsen und kalkulatorischen Unternehmerlohn. Ihnen stehen im Berichtszeitraum keine unmittelbaren Ausgaben gegenüber. • Die Tilgung von Fremdkapital verursacht Ausgaben, aber keine Kosten, da die Tilgung lediglich eine Umschuldung darstellt. • Leistung bezeichnet die Menge (output) oder den Wert (zu Verkaufspreisen) der im betrieblichen Erzeugungsprozess erstellten Güter, die nicht notwendigerweise auch abgesetzt werden und damit zu Erlösen führen müssen.

28

• Ergebnis ist die Differenz zwischen periodenabgegrenzten Leistungen und dadurch verursachten Kosten, d. h. zwischen Ertrag und Aufwand. Diese Betrachtung ist u. a. Gegenstand der baustellenbezogenen Kosten-Leistungs-Ergebnisrechnung. Die Rentabilität stellt das Verhältnis einer Erfolgsgröße zum eingesetzten Kapital einer Rechnungsperiode dar: • Die Gesamtkapitalrentabilität misst den Erfolg vor oder nach Zinsen und Steuern, bezogen auf das Gesamtkapital. • Die Eigenkapitalrentabilität misst den Erfolg vor oder nach Zinsen und Steuern, bezogen auf das Eigenkapital. • Die Umsatzrendite misst den Erfolg vor oder nach Zinsen und Steuern, bezogen auf die Nettoumsätze. • Die Betriebsrendite misst den Betriebsgewinn, bezogen auf das betriebsnotwendige Kapital. Das betriebsnotwendige Kapital ist das im Unternehmen eingesetzte Fremd- und Eigenkapital, soweit es zur Erfüllung des Betriebszweckes

Abb. 29 Koordinatensystem der Bauwirtschaftslehre

C. J. Diederichs et al.

notwendig ist (Aktivwerte der Bilanz ./. nicht betriebsnotwendige Vermögenswerte ./. stille Rücklagen). Vom betriebsnotwendigen Kapital ist das dafür benötigte Fremdkapital abzuziehen. Die Restsumme stellt das betriebsnotwendige Eigenkapital dar als Bemessungsgröße für die Errechnung der kalkulatorischen Eigenkapitalzinsen. Liquidität stellt die Fähigkeit und Bereitschaft eines Unternehmens dar, seinen bestehenden Zahlungsverpflichtungen termingerecht und betragsgenau nachzukommen. Der Liquiditätsgrad bezeichnet das Verhältnis von flüssigen Mitteln zu kurzfristigen Verbindlichkeiten unter Einbeziehung nur der Geldwerte (1. Grades) zzgl. der kurzfristigen Forderungen (2. Grades) sowie der Warenbestände (3. Grades). Die ständige Wahrung der Liquidität ist eine der wichtigsten unternehmerischen Hauptpflichten.

2.2

Koordinatensystem der Bauwirtschaftslehre

Das Koordinatensystem der Bauwirtschaftslehre wird nach Pfarr (1984) gebildet aus der Institutionen-, Prozess- und Objektachse (Abb. 29).

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Die Institutionenlehre untersucht die Aufgaben der am Entstehungsprozess von Bauten und Anlagen beteiligten Institutionen wie Auftraggeber, Planer und Bauunternehmer. Diese treten über ihre Prozesse der Formulierung von Nutzerbedarfsprogrammen, der Erzeugung von Planungs, Bau-, Betriebs- und Unterhaltungsleistungen in Beziehung zum geografisch, geometrisch, qualitäts- und mengenmäßig eindeutig zu definierenden System Bauobjekt. Die Entfaltung des Systems Bauwirtschaft durch Bauobjekte ist zahlreichen exogenen Einflussfaktoren aus gesetzlichen und behördlichen Vorgaben, aus Belangen der Öffentlichkeit und des Umweltschutzes sowie endogenen Randbedingungen aus der Nutzerpartizipation und der Kreditfähigkeit bzw. -würdigkeit des Investors bzw. der Investition unterworfen. Das Zusammenwirken der zahlreichen Projektbeteiligten bei der Planung, Errichtung und dem Betrieb von Bauwerken wird damit bestimmt durch die bei den unmittelbar beteiligten Institutionen ablaufenden Prozesse. Diese wiederum sind abhängig von Art, Umfang und Schwierigkeitsgrad der zu bearbeitenden Objekte. Nach der Bautätigkeitsstatistik (Hauptverband der Deutschen Bauindustrie 2016) werden diese in die Bauwerksarten Wohnungsbau, Gewerbebau, öffentlicher Hoch- und Tiefbau sowie Verkehrswegebau eingeteilt. Im Sinne einer Typologie der Bauherren sind diese damit analog • Privatpersonen bzw. Institutionen oder Unternehmen ohne Erwerbscharakter, • erwerbswirtschaftlich orientierte Unternehmen oder • öffentlich-rechtliche Institutionen. In der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre gehört die Produktplanung zum funktionalen Bereich der Produktion. Sie betrachtet die Produkt- oder Erzeugnisplanung als Teilbereich der strategischen Programmplanung mit den Alternativen der Produktinformation, -variation und -elimination. Die Prozesse der Produktplanung werden gegliedert in den Anstoß zur Produktplanung, die Suche nach Produktideen und die Auswahl von Produktvorschlägen, die Produktentwicklungsplanung und Produktkonzeptplanung, Pro-

29

duktplanungsgenehmigung sowie Produktfreigabe. Die Produktdifferenzierung gegenüber den Konkurrenzprodukten nutzt konstruktive, gestalterische, materialmäßige, preisliche und servicebezogene Alternativen, um hierdurch zu Vorteilen hinsichtlich Standard, Ausstattung und Kundenattraktivität zu gelangen. In der Bauwirtschaft ist die Produktplanung wesentlich komplizierter geregelt. Dabei ist die derzeit noch überwiegende Trennung von Planung und Ausführung keineswegs historisch überliefert. Erst die Gebührenordnung der Architekten aus dem Jahre 1920 regelte in § 1, dass die Leistung des Architekten für seinen Auftraggeber ein „durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg“ im Sinne des Werkvertrags sei (§ 631 BGB). Die zu berechnende Gebühr sei die „übliche Vergütung“ im Sinne des § 632 Abs. 2 BGB und Mindestgebühr (Pfarr 1983, S. 116). Bis zum 04. Juli 2019 regelte die (noch) gültige Honorarordnung (HOAI, letzte Neufassung vom 10.07.2013) für Architekten und Ingenieure die Honorare. Der Vertragsgestaltung zwischen Auftraggeber und Planer waren durch die HOAI 2013 gesetzliche Grenzen hinsichtlich der zu vereinbarenden Vergütung gezogen. Für verschiedene Planungsleistungen sind sogenannte Leistungsbilder definiert, wie zum Beispiel für die Objektplanung der Architekten, die Tragwerksplanung oder die Planung von Verkehrsanlagen der Bauingenieure. Die Planungsleistungen in der HOAI beschreiben z. B. das Aufgabenfeld des Architekten mit der künstlerischen, technischen und wirtschaftlichen Bauplanung sowie der städtebaulichen Einbindung. Dabei werden sogenannte Grundleistungen definiert, die immer zu erbringen sind, und Besondere Leistungen, die projektspezifisch zusätzlich vereinbart werden können. Basierend auf diesem Leistungsumfang werden dann die zu erbringenden Leistungen nach Leistungsphasen des Projektes definiert. Abhängig vom Schwierigkeitsgrad des Projektes (definiert in 5 Honorarzonen) und den anrechenbaren Kosten ergibt sich dann das Honorar. Planer finden sich zum einen bei öffentlichen Bauverwaltungen. Diese erkennen in den letzten Jahren verstärkt, dass sie vorrangig hoheitliche

30

Ordnungsfunktionen oder fiskalische Auftraggeberfunktionen wahrzunehmen haben. Reine Planungsaufgaben im Sinne der HOAI stellen jedoch weder das eine noch das andere dar und können daher auch ebenso gut (oder besser) von Privaten erbracht werden. Zum anderen finden sich Planer in den Bauabteilungen von Unternehmen der stationären Industrie, des Handels, der Banken und Versicherungen, die sich jedoch meist auf ihre Auftraggeber- bzw. Investorenaufgaben fokussieren. Die damit vermeintlich bestehenden Freiräume für die unabhängige freiberufliche Planung werden jedoch wiederum eingeengt durch die Konzentrationsprozesse in den Bauunternehmen mit steigender Tendenz der schlüsselfertigen Generalunternehmer-, Totalunternehmer- und Construction Management-Aufträge auf der Basis funktionaler Ausschreibungen, die z. T. den Entwurf, die Ausführungsplanung, die Ausschreibung, Vergabe und Objektüberwachung in den Unternehmensbereich verlagern. Da die Unternehmer vielfach nicht über eigene Planungskapazitäten verfügen, schalten sie ihrerseits externe Planungsbüros ein. Einige Bauunternehmen bauen jedoch auch eigene Planungsabteilungen auf, insbesondere im Bereich der technischen Gebäudeausrüstung. Planungsleistungen werden damit bisher noch überwiegend von freiberuflichen Architektur- und Ingenieurbüros angeboten, die als Einzelunternehmen, Partnerschaften in der Rechtform von Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR), Architektur- und Ingenieurunternehmen (GmbH) oder als kleine AG geführt werden. Die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre geht generell davon aus, dass die Anbieter von Waren und Dienstleistungen die Produkt- bzw. Dienstleistungsplanung, d. h. die Planung des Produktprogramms und der Produktionsverfahren einschließlich Beschaffung und Lagerhaltung, in eigener Zuständigkeit und Verantwortung selbst vornehmen. Die Bedarfsplanung für die in der Bauwirtschaft typische Einzel- oder Auftragsfertigung bereitet gegenüber der Massen-, Sorten- und Serienfertigung erheblich größere Schwierigkeiten, da der Absatz nur grob geschätzt werden kann, der Betrieb aber bei plötzlich eingehenden Aufträgen in der Lage sein muss, diese Aufträge kurzfristig

C. J. Diederichs et al.

auszuführen. Das Risiko wird noch größer, wenn Kundenaufträge eingehen, die zu Neukonstruktionen führen, für die der Material- und Gerätebedarf vorher nicht bekannt ist. Vom Bauunternehmer wird stets verlangt, zu Vergabe- und Vertragsunterlagen – sehr unterschiedlich hinsichtlich Herkunft, Qualität und Umfang – in Nichtkenntnis seiner potenziellen Mitbewerber Vorentscheidungen über die Teilnahme am Wettbewerb zu treffen. Sofern er sich dann zu einer Teilnahme entschließt bzw. bei einer beschränkten Ausschreibung (einem Nichtoffenen Verfahren) dazu aufgefordert wird, muss er die Angebotsunterlagen durcharbeiten, Erkundigungen einholen, Ortsbesichtigungen vornehmen, Überlegungen hinsichtlich der Verfügbarkeit des ggf. einzusetzenden Personals und Geräts anstellen, dabei Abgrenzungen zwischen Eigen- und Fremdleistungen vornehmen, Nachunternehmeranfragen starten und deren Ergebnisse einholen, die Eigenleistungen im Zusammenwirken von Kalkulation und Arbeitsvorbereitung vorkalkulatorisch bewerten, die zu erwartenden Risiken einschätzen sowie schließlich seine Angebotsunterlagen zusammenstellen und rechtzeitig einreichen. Bei öffentlichen oder ihnen gleichgestellten Auftraggebern kann der Bieter die Abwicklung des Vergabeverfahrens nach VOB/A voraussetzen. Bei gewerblichen und privaten Auftraggebern hat er durch die Angebotsabgabe lediglich die Voraussetzung für die Chance geschaffen, von diesen zu einem Gespräch eingeladen zu werden, bei dem man ihm je nach Konjunkturlage entweder die Vorzüge der dem Bieter nicht bekannten Mitbewerber und ihrer Preise sowie die notwendigen Maßnahmen mitteilen wird, durch die er sich noch eine Auftragschance bewahren könne, oder aber ihm durchaus die Möglichkeit einräumen wird, über Terminverschiebungen, Vorauszahlungskonditionen, Einräumung von Nachlässen und Sicherheitsleistungen zu verhandeln. Nach Auftragserteilung ist die Arbeitsvorbereitung durch Baustelleneinrichtungs- und Bauablaufpläne zu konkretisieren, sind Nachunternehmer in der „zweiten Runde“ vertraglich zu binden, alternative Bauverfahren zu bewerten, Auswahl-

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

entscheidungen zu treffen und die baustellenbezogene Betriebsabrechnung zu installieren. Die meisten Bauvorhaben sind bei Vertragsabschluss nicht eindeutig und detailliert genug beschrieben, sodass Nachträge im weiteren Verlauf eines Bauprojektes branchenüblich sind. Bei nachträglichen Änderungen des Bauentwurfs oder anderen Anordnungen des Auftraggebers, bei Forderung von im Bauvertrag nicht vorgesehenen zusätzlichen Leistungen, beim Erkennen von vertraglich nicht vereinbarten, jedoch zur Ausführung erforderlichen Leistungen, bei Behinderungen durch den Auftraggeber oder seine Erfüllungsgehilfen sind Verhandlungen zu führen, Nachtragsangebote zu formulieren und ggf. Behinderungsschreiben zu übergeben, ohne dabei die partnerschaftlichen Beziehungen zum Auftraggeber und seinen Beauftragten zu gefährden. Die dazu erforderliche Kenntnis bezieht der Bauunternehmer nicht aus der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, sondern aus der Prozesslehre für Bauunternehmen der Bauwirtschaftslehre in Verbindung mit der Unterweisung im Vertragsrecht nach VOB/A, VOB/B, BGB und darin den AGB. In der stationären Industrie, z. B. bei einem Autokauf, wird der Kaufvertrag i. d. R. vom Produzenten bzw. seinen Verkäufern vorgegeben. Hier muss daher der Käufer als Kunde auf Übereinstimmung mit dem AGB-Gesetz nach §§ 305–310 BGB achten. Bei Bauverträgen stammen die Vergabe- und Vertragsunterlagen jedoch i. d. R. vom Auftraggeber. Daher muss hier der Bauunternehmer als Produzent und Auftragnehmer die Einhaltung des AGB-Gesetzes überprüfen. Die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre hat somit dem Bauunternehmer in den Prozessen der Beschaffung von Aufträgen und Produktionsfaktoren, der Planung des Fertigungsprogramms und der Fertigungsverfahren sowie der Auftragsabwicklung unter Berücksichtigung von dabei eintretenden Leistungsänderungen, Zusatzleistungen und Leistungsstörungen relativ wenig zu bieten. Er ist daher auf die Vermittlung und Aneignung von Kenntnissen der Bauwirtschafts- und Baubetriebslehre, des Baumanagements und der Bauverfahrenstechnik, des Vergabe- und Bau-

31

vertragsrechtes sowie des baubetrieblichen Rechnungswesens angewiesen.

2.3

Bauwirtschaftliche Produktionsfaktoren

Unter Produktionsfaktoren werden alle Güter und Dienstleistungen materieller und immaterieller Art verstanden, deren Einsatz für das Hervorbringen anderer wirtschaftlicher Güter und Dienstleistungen aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen notwendig ist. Die Volkswirtschaftslehre unterscheidet die Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital, denen die Einkommensarten Lohn, Bodenrente und Zins entsprechen. Die Betriebswirtschaftslehre unterscheidet nach den Elementarfaktoren Arbeit, Betriebsmittel und Werkstoffe sowie dem dispositiven Faktor der Geschäftsführung. Information und Kommunikation haben als zweckbezogenes Wissen über Zustände, Ereignisse und deren Austausch zum Zweck der aufgabenbezogenen Verständigung die Bedeutung eines eigenständigen Produktionsfaktors erlangt. Damit sind Arbeit, dispositiver Faktor, Betriebsmittel, Werkstoffe, Boden, Kapital sowie Information und Kommunikation als bauwirtschaftliche Produktionsfaktoren zu bezeichnen. Arbeit Arbeit umfasst alle zielgerichteten, planmäßigen und bewussten körperlichen und geistigen menschlichen Tätigkeiten zur Erreichung bestimmter Ziele. Das Ergebnis des wertbildenden Prozesses stellt die Arbeitsleistung dar. Diese ist abhängig von den körperlichen und geistigen Anlagen, der Ausbildung, dem Leistungspotenzial und der Leistungsbereitschaft sowie den Arbeitsbedingungen. Die Leistungsfähigkeit und der menschliche Leistungswille hängen im Wesentlichen von der richtigen Personalauswahl und -zuordnung, dem Betriebsklima und der Angemessenheit des Arbeitsentgeltes ab. Als wesentliche Kriterien der Zufriedenheit mit der Arbeit gelten angemessener Verdienst einschließlich Sozialleistungen, sicherer Arbeitsplatz, gute

32

C. J. Diederichs et al.

Aufstiegsmöglichkeiten, gutes Betriebsklima sowie soziale Anerkennung. Dispositiver Faktor Aufgaben der Geschäftsführung eines Unternehmens oder eines Betriebs sind die Planung, Organisation und Überwachung der Kombination der Produktionsfaktoren zur Erreichung der Unternehmensziele. Führungskräfte sind solche Personen, die anderen Personen Weisungen erteilen dürfen. Leitende Angestellte sind solche Mitarbeiter, die eigenverantwortlich Personal einstellen und kündigen dürfen. Dieser Personenkreis wird häufig auch als Managementpersonal bezeichnet und unterliegt nicht dem Kündigungsschutzgesetz. Grundsätzlich sind zwei elementare Führungsstile zu unterscheiden: • Management by Objectives: Es werden gemeinsame Zielvereinbarungen getroffen, wobei die Mitarbeiter im Rahmen des mit dem Vorgesetzten abgegrenzten Aufgabenbereichs selbst entscheiden können. Nicht diese Entscheidungen, sondern die Ergebnisse werden kontrolliert. Voraussetzungen sind detaillierte Planung aller Teilziele und eine umfassende Erfolgskontrolle nach dem Smart-Prinzip (spezifisch, messbar, aktuell, realistisch, terminiert). • Management by Exception: Ein Eingriff der Vorgesetzten findet nur bei Abweichungen von angestrebten Zielen und bei wichtigen Entscheidungen statt, die z. B. den Umsatz, den Gewinn oder den Planungs- und Baufortschritt betreffen. Aus diesen Eingriffen ergeben sich ggf. negative Auswirkungen auf das Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeiter. Führungsentscheidungen haben ein hohes Maß an Bedeutung, sind auf das Unternehmen als Ganzes gerichtet und nicht auf untergeordnete Stellen übertragbar. Der Führungsprozess lässt sich als Management-Regelkreis interpretieren (Abb. 30). Die Leitungsfunktionen der Bauunternehmer umfassen folgende Aufgaben:

Abb. 30 Management-Regelkreis

• technische Leitung mit Marketing, Akquisition, Kalkulation, Arbeitsvorbereitung, Bauausführung und Abrechnung; • kaufmännische Leitung mit Beschaffung bzw. Einkauf, Rechnungswesen, Lohn- und Betriebsbuchhaltung, Finanz- und Anlagenbuchhaltung sowie Bankenverkehr; • administrative Leitung mit Organisation, Personalbetreuung, EDV-Information und Kommunikation, Recht, Steuern und Versicherungen; • Leitung von Forschung + Entwicklung, Innovation, Aus- und Weiterbildung. Die Entscheidungen der Geschäftsführung bestimmen den künftigen Ablauf des Betriebsgeschehens und werden letztlich durch den Unternehmenserfolg bestätigt. Planung bedeutet gedankliche Vorwegnahme zukünftigen Geschehens, um aus alternativen Vorgehensweisen diejenige zu ermitteln, die aller Wahrscheinlichkeit nach die optimale Zielerreichung gewährleistet. Das Ergebnis der Planung ist eine konkrete Darstellung der anzustrebenden Ziele sowie der Mittel und Wege, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Wichtig ist dabei die Vorgabe operationaler, d. h. messbarer Zielvorgaben, damit Abweichungen quantitativ erfasst werden können. Ein besonderes Problem besteht für Führungskräfte allgemein in dem Informations- und Entscheidungsdilemma: je höher die Stellung des

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Entscheidungsträgers in der Unternehmenshierarchie und je größer sein Entscheidungsspielraum ist, desto weniger verfügt er vielfach über die für seine Entscheidung benötigten unmittelbaren Informationen. Gefahren ergeben sich auch aus einem Routineverhalten von Führungskräften, bei dem die Besonderheiten des einzelnen Falles nicht mehr ausreichend bedacht werden, Prüfungen und Plausibilitätskontrollen unterbleiben und dadurch Fehler eintreten. Geschäftsführende Gesellschafter von Unternehmen sind ferner stets einer Konfliktsituation ausgesetzt. Als Manager sind sie einerseits an einer Sicherung der wirtschaftlichen Position des Unternehmens sowie ihrer eigenen gesellschaftlichen Position und der Ausübung und Erweiterung der ihnen zuwachsenden wirtschaftlichen Macht interessiert. Als Kapitalgeber sind sie dagegen an einer möglichst hohen Verzinsung des in das Unternehmen investierten Eigenkapitals interessiert. Die Realisierung der Planung erfordert eine Organisation, die eindeutig regelt, wer im Betrieb für welche Aufgaben zuständig ist und auf welche Weise die Erledigung dieser Aufgaben erfolgen soll. Entsprechend der Aufbauorganisation werden die zu erfüllenden Aufgaben auf Organisationseinheiten und die diesen angehörenden Mitarbeiter verteilt. Im Rahmen der Ablauforganisation werden die Aufgaben hinsichtlich des technischen, zeitlichen und räumlichen Ablaufs so gestaltet, dass alle Arbeitsgänge möglichst lückenlos und aufeinander abgestimmt mit gleichbleibender Kapazität bzw. unter Vollauslastung abgewickelt werden können. Betriebsmittel Im industriellen Bereich ist die Bedeutung der menschlichen Arbeitsleistung schon seit vielen Jahren in den Hintergrund getreten. In immer größerem Umfang beeinflusst die Ausstattung des Betriebs mit maschinellen Anlagen, die zunehmend bedienungsfrei produzieren (Automation), den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen. Dabei übersteigen die Betriebsmittelkosten

33

die Kosten für Arbeitsleistungen häufig um ein Vielfaches. In der Bauwirtschaft steht diese Entwicklung in vielen Bereichen noch am Anfang. Dem wachsenden Kostendruck wird anstelle zunehmender Automation und Industrialisierung mit verstärkter Nachunternehmervergabe begegnet. Zu den Betriebsmitteln zählt das komplette technische Inventar, das zum betrieblichen Leistungsprozess beiträgt und nicht Bestandteil der erzeugten Güter wird: • • • •

Maschinen, Werkzeuge und Einrichtungen, Betriebsgrundstücke und -gebäude, Transport-, Förder- und Verkehrsmittel, Büroeinrichtungen sowie Informations- und Kommunikationsanlagen.

Betriebsmittel – mit Ausnahme von Betriebsgrundstücken – lassen sich nur über einen begrenzten Zeitraum technisch einwandfrei nutzen. Sorgfältige und sachgemäße Pflege und Wartung können die technische Nutzungsdauer steigern. Mit dem Erwerb von Betriebsmitteln, z. B. einem Turmdrehkran, verschafft sich ein Betrieb Anlagennutzungen für mehrere Jahre im Voraus. Die Investition in eine solche Anlage bindet somit Finanzmittel für eine Reihe von Rechnungsperioden. Diese Mittel müssen über den Absatz der Waren und Dienstleistungen wieder erwirtschaftet (abgeschrieben) und verzinst werden. Die Anlage ist zu warten und bei Bedarf zu reparieren. Für den Betrieb stellt sich die Frage, nach welchem Zeitraum ein Betriebsmittel ersetzt werden soll, da der Endzeitpunkt der technischen Nutzungsdauer i. d. R. nicht exakt vorhersehbar und lediglich auf der Grundlage von Erfahrungswerten abschätzbar ist. Die wirtschaftliche Nutzungsdauer umfasst die Zeitspanne, in der es unter Berücksichtigung zu erwartender Reparaturen wirtschaftlich sinnvoll ist, eine Anlage zu nutzen. Sie ist i. d. R. kürzer als die technische Nutzungsdauer. Über Abschreibungen werden die jährlichen Wertminderungen der Betriebsmittel in Abhängigkeit von der Nutzungsdauer und der technischen Beschaffenheit betragsmäßig erfasst. In

34

C. J. Diederichs et al.

den ersten Jahren der Nutzungszeit nimmt der Gebrauchswert nur langsam, später jedoch schneller ab. Der kaufmännische Zeit-/Marktwert sinkt jedoch sofort nach Inbetriebnahme stark. Eine Wertminderung tritt darüber hinaus auch durch Witterungseinflüsse (z. B. bei Baustelleneinrichtungen) und den technischen Fortschritt (z. B. Informations- und Kommunikationsanlagen) auf. Die Gefahr der technischen und wirtschaftlichen Überalterung wächst mit der Lebensdauer des Betriebsmittels. Die kaufmännische Vorsicht zwingt deshalb bei der Schätzung der wirtschaftlichen Nutzungsdauer und des Abschreibungsverlaufs zur Einbeziehung des technischen Fortschritts. Aufgrund der Gefahr einer schnellen Entwertung der Anlagegüter ist es notwendig, das in den Anlagen gebundene Kapital möglichst rasch wieder zu erwirtschaften. Die Erfassung der gesamten Wertminderung vollzieht sich im Unternehmen auf zwei Ebenen:

Betriebsmittel sind aufgrund ihrer technischen Beschaffenheit in der Lage, je Zeiteinheit eine qualitativ und quantitativ definierte Leistungsmenge zu erbringen. Dabei wird zwischen technischer Maximal- und wirtschaftlicher Dauerleistung unterschieden. Das Verhältnis zwischen wirtschaftlicher Dauerleistung und effektiver Ausnutzung wird als Beschäftigungs- bzw. Kapazitätsausnutzungsgrad bezeichnet.

• Bilanzielle Abschreibungen gehen als Aufwand über die Gewinn- und Verlustrechnung in die Unternehmensbilanz ein und beeinflussen je nach Höhe den Periodenerfolg. Das Unternehmensergebnis und somit auch der steuerliche Gewinn können damit über die Art der Abschreibung (linear, degressiv) verändert werden. Die Steuergesetzgebung gibt daher für die Steuerbilanz in AfA-Tabellen (AfA Absetzung für Abnutzung) normierte Abschreibungsdauern vor. In der Steuerbilanz ist nur eine Abschreibung auf den Anschaffungswert zulässig. • Kalkulatorische Abschreibungen werden hingegen auf den Wiederbeschaffungswert vorgenommen. Die über den Umsatzprozess dem Unternehmen wieder zufließenden „verdienten“ Abschreibungen sind ein wesentlicher Bestandteil der Innenfinanzierung, da die durch den Umsatz erlösten Abschreibungsgegenwerte zur zwischenzeitlichen Finanzierung anderer Betriebsmittel zwecks Kapazitätserweiterung herangezogen werden können, allerdings bis zur späteren Ersatzbeschaffung des Ausgangsbetriebsmittels wieder zur Verfügung stehen müssen.

• Rohstoffe gehen als Hauptbestandteile in die Fertigfabrikate ein. • Hilfsstoffe werden ebenfalls zu Bestandteilen der Fertigfabrikate. Sie sind jedoch aufgrund ihres wert- und mengenmäßigen Gewichts von untergeordneter Bedeutung (z. B. Betonverflüssiger). • Betriebsstoffe werden bei der Produktion verbraucht (z. B. Treibstoffe).

Beschäftigungsgrad ¼ Kapazitätsausnutzungsgrad ¼ Ist  Menge pro Periode  100½% Soll  Menge

Werkstoffe Zu den Werkstoffen werden alle Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie Halb- und Zwischenfabrikate gezählt, die für die Herstellung oder Veredelung neuer Erzeugnisse benötigt werden:

Bei der Beschaffung von Werkstoffen ist jeweils das Problem der optimalen Bestellmenge zu lösen. Darunter versteht man die Minimierung der Zeitspanne zwischen der Beschaffung der Werkstoffe, der Erstellung und dem Verkauf der Endprodukte, also die Minimierung der infolge der Kapitalbindung bedingten Zinskosten bei gleichzeitiger Sicherung der Betriebsbereitschaft. Die optimale Bestellmenge ist diejenige Einkaufsmenge, bei der die Summe aus Beschaffungs-, Fehlmengen- und Lagerkosten minimiert wird. Je größer die Bestellmenge, desto günstiger sind die Preise des Großeinkaufs und desto geringer die Beschaffungs- und Fehlmengenkosten, desto größer sind jedoch die Zins- und Lagerraumkosten sowie die Risiken der Veraltung und es

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Schwundes. Im Rahmen der Optimierung der Beschaffung von Werkstoffen gewinnt auch das Just-in-time-Prinzip durch Schaffung durchgängiger Material- und Informationsflüsse entlang der gesamten Wertschöpfungskette in der Bauwirtschaft zunehmend an Bedeutung nach dem Motto: „Das beste Lager ist kein Lager!“ Werkstoffverluste aufgrund von Material- oder Bearbeitungsfehlern sowie infolge von Verschnitt oder Schwund sind durch Wareneingangskontrollen und sorgfältige Behandlung auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Boden bzw. Standort Der Boden ist für die Bauwirtschaft Produktionsfaktor in dreifacher Hinsicht: • als Gegenstand der Bebauung (Standort von Bauten und Anlagen), • als Gegenstand des Standortes von Unternehmen (mit Niederlassungen und Geschäftsstellen), • als Gegenstand des Abbaus zur Stoffgewinnung (Zuschlagsstoffe für Baustoffe). Der Wert eines zu bebauenden Grundstücks ergibt sich vorrangig aus seiner Lage sowie aus Art und Maß der baulichen Nutzung gemäß geltendem oder zukünftigem Bauplanungsrecht. Zur diesbezüglichen Standortanalyse und -prognose sowie der Grundstückssicherung wird auf Diederichs (2006, S. 30–37) verwiesen. Die Frage der Wahl eines Unternehmensstandortes stellt sich bei Gründung, Erweiterung oder Verlagerung. Bei der Gründung von Bauunternehmen und auch Planungsunternehmen richtet sich die Standortwahl vorrangig nach den Präferenzen der Gründer und ihrem geplanten Aktionsradius in Abhängigkeit von der Kundenzielgruppe. Darüber hinaus spielen gegenwärtige und zu erwartende Nachfragetrends für die Bautätigkeit eine wichtige Rolle, z. B. in den Ballungszentren der Bundesrepublik (Hamburg, Hannover, Düsseldorf, Ruhrgebietsstädte, Köln, Frankfurt/Main, Stuttgart, München, Dresden, Leipzig/Halle, Erfurt und Berlin). Weiteren Einfluss haben regional unterschiedliche Besteuerungen und Steuervergünstigungen,

35

u. a. durch unterschiedliche Hebesätze der Gemeinden für die Gewerbe- und Grundsteuer sowie Sonderabschreibungen oder Zulagen für Investitionen. Die Verfügbarkeit von ortsansässigen Arbeitskräften hat wegen der branchenüblichen Mobilität und des zunehmenden Anteils ausländischer Arbeitskräfte im Baugewerbe nur geringe Bedeutung. Eine Material- bzw. Rohstofforientierung ist bei Fertigteilwerken und teilweise bei Baustoffherstellern zu beachten. Allgemein ist der Standort Deutschland innerhalb Europas gekennzeichnet durch folgende Merkmale: Den Nachteilen • der im weltweiten Vergleich sehr hohen Lohnkosten, • der weltweit nahezu kürzesten Jahresarbeitszeit, • der demografischen Überalterung und abnehmenden Bevölkerung, • der sehr hohen Unternehmens- und Arbeitnehmerbesteuerung sowie Sozialabgabenlast, • der hohen Energiekosten, • der starken Bürokratisierung, • der im europäischen Vergleich nicht besonders gut abschneidenden Schulausbildung sowie • der unternehmerkritischen Grundeinstellung großer Teile der Bevölkerung stehen als Vorteile • • • • •

die relativ stabilen politischen Verhältnisse, die gute Infrastruktur, das angenehme Klima, der hohe Freizeitwert und die zentrale Lage in Europa

gegenüber. Es gilt, die Nachteile abzubauen und die Vorteile zu nutzen. Sofern Deutschland ein Hochlohn- und Hochsteuerland mit gleichzeitig maximalen Urlaubs- und Freizeiten bleibt, wird es im internationalen Wettbewerb zunehmend krisenanfällig werden. Daher wird das Anspruchsdenken

36

C. J. Diederichs et al.

deutlich vermindert und die Leistungsorientierung wieder erheblich gesteigert werden müssen. Kapital Der Produktionsfaktor Kapital hat in der Bau- und Immobilienwirtschaft zentrale Bedeutung. Ihm werden daher vier Unterkapitel aus unterschiedlicher Sichtweise gewidmet: • das Kapital als Passivseite der Bilanz zur Darstellung der Vermögensquellen für die Vermögenswerte auf der Aktivseite der Bilanz mit der Einteilung in Eigen- und Fremdkapital, • das Kapital als Gegenstand der Unternehmensfinanzierung und Liquiditätssicherung, • das Kapital als Gegenstand strategischer Maßnahmen im Finanz- und Rechnungswesen zur Durchsetzung der strategischen Planung und • das Kapital als Gegenstand der Projektfinanzierung im Rahmen der Projektentwicklung. Die Sozialkomponente des Eigenkapitals kommt in der Marktwirtschaft durch die Formel „Eigentum verpflichtet“ zum Ausdruck und ist Bestandteil des Grundgesetzes (GG) der Bundesrepublik Deutschland. In Artikel 14 GG heißt es: (1) „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. [. . .]“

Information und Kommunikation Information und Kommunikation gewinnen als Bestandteile des organisatorischen Instrumentariums zunehmend an Bedeutung im betrieblichen Wertschöpfungsprozess. Sie werden daher in der Betriebswirtschaftslehre mittlerweile auch als eigenständiger Produktionsfaktor anerkannt (Informations- und Kommunikationstechnik (IKT)). Fehlende Informationen führen zu einem Verzehr anderer betrieblicher Produktionsfaktoren ohne Nutzenstiftung und damit zu Verlusten. Zu viele widersprüchliche oder den Empfänger überfordernde Informationen führen zu Unsicherheit

und Verwirrung. Daher haben die Informationspolitik sowie die Informations- und Kommunikationssysteme hohe Bedeutung im Rahmen der Unternehmens- und Betriebsführung sowie der Zufriedenheit von Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten, Nachunternehmern, Banken und Behörden. In der Bauwirtschaft gewinnen die Informations- und Kommunikationstechnologien zunehmend an Bedeutung durch dislozierte Planungs-, Koordinierungs- und Managementtätigkeit, z. B. Einsatz eines Architekturbüros aus New York, eines Tragwerksplanungsbüros aus Frankfurt/ Main, eines Fachingenieurbüros für Technische Gebäudeausrüstung aus München für ein Bauvorhaben mit örtlicher Projektleitung in Berlin. Derartige Projekte erfordern Informationsplattformen (Portale) zur Vernetzung der Unternehmens- und Projektdaten für den elektronischen Austausch von Berichten, Berechnungen, Plänen und sonstigen Unternehmens- und Projektunterlagen zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen Unternehmen mit der entsprechenden zwischenbetrieblichen EDV-technischen und organisatorischen Integration. Dazu wurden von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) Standards des „Electronic Data Interchange“ (EDI) geschaffen, deren Anwendung jedoch branchenspezifische Differenzierungen erfordert. Der Gemeinsame Ausschuss Elektronik im Bauwesen (GAEB) ist ein wesentlicher Akteur in diesem Zusammenhang und erstellt Austauschformate für den standardisierten Austausch von Bauinformationen. Eine weitere Entwicklung im Bauwesen ist durch die Entwicklung der Digitalisierungstechnologien entstanden und durch den Begriff Building Information Modeling (BIM) geprägt. Durch die modellbasierte Planung werden dreidimensionale Bauwerksmodelle möglich, deren Modellelemente mit beliebigen weiteren Informationen verknüpft werden können, z. B. Material-, Kennwert-, Kosten- und Termininformationen.

2.4

Rechtsformen von Unternehmen

Die Wahl der Rechtsform von Unternehmen ist einerseits Gegenstand der Rechtswissenschaften wegen der juristischen Ausgestaltung, anderer-

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

seits Gegenstand der Betriebswissenschaften, da sich diese unternehmerische Entscheidung auf die • • • • • • • • •

Leitungsbefugnis und das Stimmrecht, Gewinn- und Verlustbeteiligung, Haftung, (Mindest-)Zahl der Gesellschafter, Mindestkapitalausstattung, Finanzierungsmöglichkeiten, Mitbestimmung der Arbeitnehmer, Publizitätspflicht sowie Steuerpflicht

auswirkt. Die Wahl der Rechtsform zählt damit zu den langfristig wirksamen unternehmerischen Entscheidungen. Sie ist nicht nur bei der Gründung eines Unternehmens zu treffen, sondern muss bei Änderung unternehmensrelevanter Faktoren stets überprüft werden. Die Überführung eines Unternehmens von einer Rechtsform in eine andere bezeichnet man als Umwandlung. Die Unternehmensrechtsformen werden im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), im Handelsgesetzbuch (HGB), im Aktiengesetz (AktG), dem Partnergesellschaftsgesetz (PartGG) und im Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) behandelt (vgl. Thommen et al. 2017, S. 26). Einen Überblick über die in der Praxis vorkommenden Rechtsformen von Unternehmen bietet Abb. 31.

37

Die Verteilung der Unternehmen nach Rechtsformen lässt sich anhand der Umsatzsteuerstatistik durch das Statistische Bundesamt ermitteln. Gemäß (Tab. 2) verteilen sich die steuerpflichtigen Bauunternehmen im Jahr 2016 auf unterschiedliche Rechtsformen im Hinblick auf die Tätigkeit (vgl. Statistisches Bundesamt 2018f). Die meisten Unternehmen im Hoch- und Tiefbau wählen die Rechtsform der GmbH und UG (haftungsbeschränkt), während bei vorbereitenden Baustellenarbeiten, Bauinstallationen und sonstigen Ausbaugewerken die Form des Einzelunternehmens überwiegt. Insgesamt betrachtet sind im Baugewerbe 70 % der Unternehmen als Einzelunternehmen, 20 % als GmbH und UG und 10 % in sonstigen Rechtsformen tätig. In der Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich der Architektur- und Ingenieurbüros weisen Planungsunternehmen eine ähnliche Verteilung auf. Demnach sind im Jahr 2016 69 % der Planungsbüros als Einzelunternehmen, 18 % als Kapitalgesellschaften und 13 % als Personengesellschaften sowie sonstige Rechtsformen tätig (vgl. Statistisches Bundesamt 2018f, S. 8). Einzelunternehmen Die Firma des Einzelunternehmens umfasst i. d. R. den Familiennamen des Inhabers. Die Gründung geschieht formlos. Sofern das Gewerbe einen nach Art und Umfang in kaufmännischer

Abb. 31 Überblick über die Rechtsformen von Unternehmen

38

C. J. Diederichs et al.

Tab. 2 Steuerpflichtige Unternehmen des Baugewerbes nach Rechtsformen 2016

Rechtsform Einzelunternehmen OHG und GbR KG und GmbH & Co. KG AG, KGaA., Europäische AG und sonst. Kapitalgesellschaften GmbH und UG haftungsbeschränkt Sonstige Summe

Hochbau absolut 9578 1713 3543 115 12.436 418 27.836

% 2,6 0,5 1,0 0,0 3,4 0,1 7,6

Tiefbau absolut 2594 2332 936 19 3007 108 8996

% 0,7 0,6 0,3 0,0 0,8 0,0 2,5

Vorber. Baustellenarb., Bauinst.u.so. Ausb.gew. absolut % 242.587 66,3 14.865 4,1 10.480 2,9 93 0,0 58.714 16,1 2160 0,6 328.961 89,9

Quelle: Statistisches Bundesamt 2018f, S. 46

Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, ist eine Eintragung im Handelsregister erforderlich. Dies ist bei Bauunternehmen regelmäßig der Fall, nicht jedoch für Angehörige der freien Berufe wie Architekten und Ingenieure (§ 18 Abs. 1 Nr 1 EStG). Angehörige der freien Berufe betreiben kein Gewerbe, sind daher keine Kaufleute und unterliegen damit, anders als die Bauunternehmen, (bisher) nicht der Gewerbesteuerpflicht. Der Inhaber einer Einzelunternehmung • • • •

bringt das Geschäftskapital allein auf, führt die Unternehmung selbstständig, trägt das Unternehmerrisiko allein und haftet allein für die Geschäftsverbindlichkeiten unmittelbar und unbeschränkt, d. h. mit dem Geschäfts- und dem Privatvermögen.

Die Vorteile dieser Unternehmensform liegen in der individuellen Entscheidungsfreiheit und Elastizität des Einzelunternehmers. Als Nachteile sind dagegen zu nennen: • die Abhängigkeit von der Arbeitsfähigkeit des Einzelunternehmers, • die Gefährdung der Kontinuität der Unternehmensleitung, • die begrenzte Kapitalkraft des Einzelunternehmers und • die schmale Kreditbasis. Personengesellschaften Personengesellschaften besitzen keine eigene Rechtspersönlichkeit, jedoch eine relative Rechts-

fähigkeit, d. h., sie können unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, jedoch nicht klagen und verklagt werden. Im Vordergrund steht die persönliche Mitgliedschaft der Gesellschafter, die wiederum natürliche, juristische oder auch Personengesellschaften sein können. Für die Bauwirtschaft hat die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) besondere Bedeutung als häufige Rechtsform zur Verwirklichung von Gemeinschaftsinteressen von • Architekten und Ingenieuren sowie • Arbeitsgemeinschaften (ARGEN) aus mehreren Bauunternehmen. Rechtsgrundlagen sind die §§ 705–740 BGB. Die Vorschriften des HGB sind nicht anwendbar. Die Gründung geschieht durch Gesellschaftsvertrag, mit dem sich die Gesellschafter gegenseitig verpflichten, die Erreichung eines bestimmten Zweckes in der im Vertrag bestimmten Weise zu fördern. Die Gesellschafter haben ihre Gesellschaftsbeiträge zu leisten und untereinander zu haften mit der in eigenen Angelegenheiten wahrgenommenen Sorgfalt. Das Gesellschaftsvermögen steht allen Gesellschaftern in Gemeinschaft zur gesamten Hand zu. Die Vertretung nach außen wird durch einen oder mehrere geschäftsführende Gesellschafter wahrgenommen. Die Gewinnoder Verlustverteilung richtet sich nach Köpfen, sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist.

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Die Gesellschafter haften als Gesamtschuldner, d. h. unmittelbar und unbeschränkt mit ihrem Geschäfts- und Privatvermögen sowie solidarisch für die Schulden der Gesellschaft (§ 421 BGB). Die Offene Handelsgesellschaft (OHG) ist eine Personengesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist und deren Gesellschafter den Gläubigern unmittelbar und unbeschränkt mit ihrem Gesellschafts- und Privatvermögen für die Gesellschaftsschulden gesamtschuldnerisch haften. Rechtsgrundlage sind die §§ 105–160 HGB sowie ergänzend die §§ 705 ff. BGB. Die Firma der OHG hat den Namen (mit oder ohne Vornamen) wenigstens eines Gesellschafters mit dem Zusatz „OHG“ oder „& Co.“ oder die Namen aller Gesellschafter zu enthalten. Die OHG ist die angesehenste, jedoch im Baugewerbe nur wenig verbreitete Rechtsform einer Handelsgesellschaft. Sofern kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, muss die Firma eine Bezeichnung erhalten, welche die Haftungsbeschränkung kennzeichnet. Die Kommanditgesellschaft (KG) ist eine Personengesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist, mit zwei Arten von Gesellschaftern: • Komplementären, d. h. mit ihrem ganzen Vermögen persönlich haftende Gesellschafter und im Wesentlichen gleicher Rechtsstellung wie OHG-Gesellschafter, sowie • Kommanditisten, deren Haftung auf die im Handelsregister eingetragene Kapitaleinlage beschränkt ist. Auch juristische Personen (Kapitalgesellschaften) können Komplementäre oder Kommanditisten sein. Rechtsgrundlage der KG sind die §§ 161–177a HGB, ergänzend die Vorschriften über die OHG (§§ 105–160 HGB) und über die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705–740 BGB). In der Bauwirtschaft ist die Kommanditgesellschaft als Rechtsform geschlossener Immobilienfonds (KG-Fonds, aber auch GbR-Fonds) weit verbreitet. Die Zeichner des Zertifikatkapitals zur

39

Finanzierung jeweils vorher definierter Liegenschaften erwerben als Kommanditisten einen Teil des üblicherweise von einem Kreditinstitut treuhänderisch gehaltenen Kommanditanteils. Die GmbH & Co. KG ist eine Kommanditgesellschaft, bei der eine GmbH persönlich haftender Gesellschafter (Komplementär) und andere Rechtspersonen (meist die Gesellschafter der GmbH) Kommanditisten sind. Durch die Beteiligung der GmbH wird deren Haftung als Komplementär auf deren Vermögen beschränkt. In der Firmenbezeichnung muss die GmbH erscheinen, da sonst Durchgriffshaftung in Betracht kommt. Durch die Kombination der Haftungsbeschränkungen der GmbH mit den steuerlichen Vorteilen der KG (z. B. des Gewerbesteuerfreibetrags von 24.500 € gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 GewStG) wird diese Rechtsform nach wie vor gern gewählt. Kapitalgesellschaften Kapitalgesellschaften sind Handelsgesellschaften, bei denen die kapitalmäßige Beteiligung der Gesellschafter im Vordergrund steht. Es ist jeweils ein bestimmtes Mindestkapital vorgeschrieben. Eine Beteiligung ohne Kapitaleinlage ist nicht möglich, eine persönliche Mitarbeit der Gesellschafter nicht zwingend erforderlich. Zu den Kapitalgesellschaften zählen die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die Aktiengesellschaft (AG) und die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA). Sie zählen zur Rechtsform der juristischen Personen, die ihnen Rechtsfähigkeit verleiht und für Vertretung und Geschäftsführung besondere Organe erfordert, die nicht notwendigerweise mit den Gesellschafterpersonen identisch sein müssen. Kapitalgesellschaften unterliegen der Gewerbesteuer und der Körperschaftsteuer. Es bestehen strenge Formvorschriften für die Gründung, die u. a. die notarielle Beurkundung der Gesellschaftsverträge erfordern. Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Die GmbH ist eine Kapitalgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, an der ein oder mehrere Gesellschafter mit Einlagen an dem in Stammeinlagen zerlegten Stammkapital beteiligt sind und deren Haftung auf die Erbringung der Einlagen und etwaige Nachschüsse begrenzt ist, ohne

40

persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften. Der Firmenname der GmbH kann eine Sachoder Personenfirma sein. Die Sachfirma muss vom Gesellschaftszweck abgeleitet sein. Die Personenfirma muss mindestens den Namen eines Gesellschafters enthalten. In beiden Fällen ist der Zusatz „Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)“ erforderlich. Rechtsgrundlage für die Gründung, Stellung und Struktur ist das GmbH-Gesetz (GmbHG 1892/2017). Das Stammkapital beträgt mindestens 25.000 €. Der Nennbetrag jedes Geschäftsanteils muss auf volle Euro lauten. Die Beteiligung kann für die einzelnen Gesellschafter verschieden hoch sein. Die Errichtung einer GmbH erfolgt durch eine oder mehrere Personen mit Abschluss eines Gesellschaftsvertrags in notarieller Form. Mindestens 25 % jeder Stammeinlage müssen eingezahlt sein, wobei die Bar- und Sacheinlagen zusammen mindestens 12.500 € erreichen müssen. Dabei besteht eine kollektive Deckungspflicht aller Gesellschafter für die Einzahlung des Stammkapitals. Gerät ein Gesellschafter mit der Einzahlung seines Kapitalanteils in Verzug, so wird ein Kaduzierungsverfahren (Ausschlussverfahren) gegen ihn eingeleitet. Eine Nachschusspflicht besteht über den Betrag der Stammeinlage hinaus, sofern dies in der Satzung vereinbart ist. Dafür existiert jedoch keine kollektive Deckungspflicht. Bei unbeschränkter Nachschusspflicht haben die Gesellschafter ein Abandonrecht, d. h., sie können ihren Geschäftsanteil der Gesellschaft zur Verfügung stellen, um dadurch von einer Verpflichtung zur Zahlung entbunden zu werden. Die GmbH entsteht mit der Eintragung ins Handelsregister. Der Gesellschaftsvertrag muss Angaben enthalten über die Firma, den Sitz der Gesellschaft, den Gegenstand des Unternehmens, die Höhe des Stammkapitals und die Stammeinlagen der Gesellschafter. Änderungen sind nur mit einer Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen möglich (§ 53 Abs. 2 GmbHG). Organe der Gesellschaft sind der oder die Geschäftsführer, die Gesellschafterversammlung und ggf. der Aufsichtsrat, Beirat oder Verwaltungsrat.

C. J. Diederichs et al.

Der Geschäftsführer wird gemäß Gesellschaftsvertrag oder Beschluss der Gesellschafter bestellt. Im Innenverhältnis wird er durch den Anstellungsvertrag verpflichtet, wonach die Vornahme bestimmter Geschäfte nur mit Genehmigung der Gesellschafterversammlung oder des Aufsichtsrats möglich ist. Nach außen hat er jedoch unbeschränkbare Vertretungsmacht. Häufig werden Geschäftsführer vom Verbot des Selbstkontrahierens nach § 181 BGB befreit. Die Gesellschafterversammlung hat u. a. zu bestimmen über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Verwendung des Ergebnisses, die Einziehung und Teilung von Geschäftsanteilen, die Bestellung, Abberufung, Prüfung und Entlastung von Geschäftsführern sowie die Bestellung von Prokuristen. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst (jeder € eines Geschäftsanteils gewährt nach § 47 Abs. 2 GmbHG eine Stimme, sofern in der Satzung nichts anderes bestimmt ist) bis auf die Satzungsänderung und die Auflösung, die nach § 53 und § 60 GmbHG 3/4 der abgegebenen Stimmen erfordern. Aufsichtsrat, Beirat und Verwaltungsrat sind fakultative Organe, die in der Satzung vorgesehen werden können. Bei mehr als 2000 Arbeitnehmern muss die GmbH jedoch einen Aufsichtsrat bilden, für den die aktienrechtlichen Vorschriften Anwendung finden (§ 6 MitbestG 1976/2015). Nach §§ 325–329 HGB sind Kapitalgesellschaften verpflichtet, die Öffentlichkeit über das Betriebsgeschehen, die Lage und Erfolge ihrer Unternehmung sowie über die Ursachen ihrer geschäftlichen Entwicklung zu informieren (Publikationspflicht). Der Veröffentlichungsumfang richtet sich nach der Größenklasse gemäß § 267 HGB. Danach ist zu unterscheiden zwischen kleinen, mittleren und großen Kapitalgesellschaften, sofern mindestens zwei der drei Kriterien in Tab. 3 erfüllt werden. Kleinstkapitalgesellschaften nach § 267a HGB und kleine Kapitalgesellschaften nach §267 Abs. 1 haben die Jahresbilanz mit verkürztem Anhang, den Ergebnisverwendungsvorschlag und -beschluss zum Handelsregister einzureichen und die Einreichung im Bundesanzeiger bekannt zu machen. Eine Erweiterung des Jahresabschlusses durch einen

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

41

Tab. 3 Größenklassen von Kapitalgesellschaften nach § 267 und § 267a HGB Kriterien Bilanzsumme in Mio. € Jahresumsatz in Mio. € Anzahl Arbeitnehmer

Kapitalgesellschaften kleinste 0,35 0,7 10

Anhang kann gem. § 264 Abs. 1 HGB bei Kleinstkapitalgesellschaft entfallen, wenn bestimmte Angaben unter der Bilanz angegeben werden. Mittelgroße und große Kapitalgesellschaften haben die Jahresbilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung, den Anhang, den Lagebericht, den Prüfungsvermerk, den Bericht des Aufsichtsrates sowie den Ergebnisverwendungsvorschlag und -beschluss zu veröffentlichen, wobei mittelgroße Unternehmen die Unterlagen zum Handelsregister einzureichen und die Einreichung im Bundesanzeiger bekanntzumachen haben, während große Gesellschaften die Unterlagen im Bundesanzeiger zu veröffentlichen und zum Handelsregister einzureichen haben. Die Aufstellungsfrist beträgt bei großen und mittelgroßen Kapitalgesellschaften 3 Monate nach dem Bilanzstichtag. Für kleine und kleinste Kapitalgesellschaften ist eine Aufstellungsfrist von 6 Monaten zu beachten (§§ 267, 267a HGB). Unabhängig von der Größe des Unternehmens ist der Jahresabschluss spätestens 12 Monate nach dem Abschlussstichtag des Geschäftsjahres einzureichen (§ 325 Abs. 1a HGB). Durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) aus dem Jahr 2015 müssen innerhalb dieser Frist der Jahresabschluss, Lagebericht und der Bestätigungsvermerk gemeinsam offengelegt werden, um den Missbrauch der Offenlegungsfrist durch vorzeitige Einreichung von ungeprüften Jahresabschlüssen zu vermeiden. Die Publikationspflicht wird von kleinen und mittleren Kapitalgesellschaften bisher nur unzureichend erfüllt, da das Bekanntwerden von Betriebsgeheimnissen befürchtet und dieses Risiko höher eingestuft wird als das Interesse der Kunden und Lieferanten, Arbeitnehmer, Gläubiger und der Öffentlichkeit. Verstöße gegen die Publikationspflicht werden jedoch durch Ordnungsgelder zwischen 2500 und 25.000 Euro geahndet (§ 335 HGB). Die GmbH ist wegen ihrer

kleinere 6 12 50

mittelgroße 20 40 250

große >20 >40 >250

eindeutigen Kapitalstruktur und der Haftungsbeschränkung sowie der gesetzlichen Grundlage durch das GmbHG die angemessene Rechtsform für Bauunternehmen und auch für große Planungsgesellschaften. Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) Mit der Reformierung des GmbH-Gesetzes durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 gibt es die GmbH-Alternative mit der Bezeichnung „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ bzw. UG (haftungsbeschränkt). Die Rechtsform ist in ihrem Wesen der GmbH ähnlich und wird daher ebenfalls im GmbH-Gesetz erfasst. Die wesentlichen Unterschiede der UG (haftungsbeschränkt) gegenüber der GmbH liegen in den folgenden Merkmalen (Wöhe et al. 2016, S. 224 f.): • Ziel: Durch die Rechtsform wird insbesondere die Gründung von Kleinstunternehmen, wie bspw. Dienstleistungsunternehmen, deren Kapitalbedarf sehr gering ist, erleichtert und die Existenzgründung somit beschleunigt. • Stammkapital: Das Mindeststammkapital muss gemäß § 5a GmbHG nur einen Euro betragen, sodass kapitalmäßige Markteintrittsbarrieren der GmbH (25.000 €) gesenkt werden. • Kompensation: Dadurch, dass diese Rechtsform durch ein unzureichendes Eigenkapital geprägt ist, müssen gesetzliche Rücklagen aus laufenden Gewinnen gem. § 5a Abs. 2 GmbHG gebildet werden (Rücklagenbildung in Höhe von 25 v. H. des Jahresgewinns). • Nachteile: Die Mini-GmbH unterliegt den Risiken der schnellen Überschuldung und beschränkten Finanzierungsmöglichkeit. Das Risiko kennen die Banken, sodass die Kapitalbeschaffung problematisch sein kann.

42

Aktiengesellschaft (AG) Die AG ist eine Handelsgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, deren Gesellschafter mit Einlagen auf das in Aktien zerlegte Grundkapital beteiligt sind, ohne persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften. Für die Verbindlichkeiten der AG haftet den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen. Rechtsgrundlage ist das Aktiengesetz (AktG 1965/2017). Die AG unterliegt der Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz (MontanMitbestG 1951/2015), dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG 1976/2015) und dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG 2001, 2018). Die Gründung erfordert einen oder mehrere Gründer. Diese sind verantwortlich für die Aufstellung und die notarielle Beurkundung der Satzung, die Angaben enthalten muss über die Firma, den Sitz, den Gegenstand des Unternehmens, das Grundkapital, den Nennwert der Aktien, die Zusammensetzung des Vorstandes sowie die Form für die Bekanntmachungen der AG. Die Firmenbezeichnung ist i. d. R. dem Gegenstand des Unternehmens zu entnehmen und muss den Zusatz „AG“ enthalten. Das in Aktien zerlegte Grundkapital beträgt min. 50.000 €, der Mindestnennbetrag einer Aktie 1 €. Neben Stammaktien (Normalfall) existieren in bestimmten Unternehmen auch Vorzugsaktien (Gewährung von Vorzugsrechten, z. B. bei der Gewinnverteilung oder beim Stimmrecht). Eine Aktienemission wird zum Kurswert nicht unter dem Nennwert vorgenommen, d. h. i. d. R. über pari. Das Agio (Aufgeld) ist der gesetzlichen Rücklage zuzuführen. Zu unterscheiden ist ferner zwischen • Inhaberaktien (Normalform; Übertragung durch Einigung und Übergabe), • Namensaktien (Eintrag der Erwerber im Aktienbuch; ggf. Übertragung an Zustimmung der Gesellschaft gebunden) und • Belegschaftsaktien (Angebot von Aktien an die Arbeitnehmer zwecks Kapitalerhöhung, d. h. Umwandlung von Rücklagen in Nennkapital oder Verkauf eigener Aktien zum Vorzugskurs).

C. J. Diederichs et al.

Organe der Gesellschaft sind die Hauptversammlung, der Aufsichtsrat und der Vorstand. Die Gründer bestellen den ersten Aufsichtsrat, dieser bestellt den Vorstand. Später wird der Aufsichtsrat durch die Hauptversammlung gewählt. In der Hauptversammlung nehmen die Aktionäre ihre Rechte in Angelegenheiten der AG wahr. Sie beschließt in allen von Gesetz oder Satzung bestimmten Fällen, insbesondere • Bestellung der Aktionärsvertreter für den Aufsichtsrat, • Verwendung des Bilanzgewinns, • Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, • Bestellung der Abschlussprüfer, • Beschluss über Satzungsänderungen, • Beschluss über Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und -herabsetzung, • Beschluss über Auflösung der AG. In Kapitalgesellschaften mit i. d. R. mehr als 2000 Arbeitnehmern gilt das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG). Hier setzt sich der Aufsichtsrat gemäß § 7 mit i. d. R. nicht mehr als 10.000 Arbeitnehmern zusammen aus je 6 Mitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer, bei i. d. R. mehr als 20.000 Arbeitnehmern aus je 10 Mitgliedern. Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 MitbestG müssen sich in einem Aufsichtsrat, dem 6 Mitglieder der Arbeitnehmer angehören, 4 Arbeitnehmer des Unternehmens und 2 Vertreter von Gewerkschaften befinden. Der Aufsichtsrat mit Ausnahme der Arbeitnehmervertreter wird durch die Hauptversammlung gewählt. Die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften nach § 7 Abs. 2 MitbestG werden gemäß den §§ 15 und 16 von den Delegierten der Arbeitnehmer gemäß § 10 MitbestG gewählt. Die Amtszeit beträgt max. 4 Bilanzjahre. Der Aufsichtsrat wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und mindestens einen Stellvertreter. Die Aufsichtsratsmitglieder brauchen nicht Aktionäre der Gesellschaft zu sein, dürfen aber nicht dem Vorstand angehören. Eine natürliche Person darf max. 10 Aufsichtsratssitze innehaben. Ferner besteht ein Verbot der Über-

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

kreuzverflechtung, d. h., sofern ein Vorstandsmitglied in der AG 1 gleichzeitig Aufsichtsrat in der AG 2 ist, darf ein Vorstandsmitglied aus der AG 2 nicht Aufsichtsratsmitglied in der AG 1 sein (§ 100 Abs. 2 AktG). Der Aufsichtsrat muss mindestens halbjährlich einberufen werden. Die Aufgaben des Aufsichtsrates bestehen in • der Bestellung und Abberufung des Vorstands, • der Überwachung der Geschäftsführung sowie • der Prüfung des Jahresabschlusses, des Geschäftsberichts und des Gewinnverwendungsvorschlags. Der Aufsichtsrat hat in einem schriftlichen Bericht der Hauptversammlung das Ergebnis seiner Prüfung des Jahresabschlusses, des Lageberichts, des Vorschlags der Geschäftsführung über die Gewinnverwendung und des vom Abschlussprüfer erstellten Prüfungsberichtes mitzuteilen. Der Vorstand wird vom Aufsichtsrat für max. 5 Jahre bestellt, jedoch ist wiederholte Bestellung zulässig (§ 84 Abs. 1 AktG). Bei den unter das MitbestG 1976 fallenden AG und GmbH ist als gleichberechtigtes Mitglied neben den anderen Vorstandsmitgliedern ein Arbeitsdirektor zu bestellen. Der Arbeitsdirektor kann nicht gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gewählt werden. Er ist somit Vertrauensperson der Arbeitnehmer und Gewerkschaften und vertritt i. d. R. das Ressort Personal und Soziales. Aufgaben des Vorstands sind die • Eigenverantwortliche Leitung (§ 76 Abs. 1 AktG), • Gerichtliche und außergerichtliche Vertretung der AG (§ 78 Abs. 1 AktG), • Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen (§ 83 AktG), • min. vierteljährliche Berichterstattung an den Aufsichtsrat (§ 90 AktG), • Sorgepflicht für Buchführung (§ 91 Abs. 1 AktG), • Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht bei der Geschäftsführung (§ 93 Abs. 1 AktG), • Einberufung der Hauptversammlung (§ 121 Abs. 2 AktG),

43

• Aufstellung und Vorlage des Jahresabschlusses und Lageberichts an den Abschlussprüfer (§§ 242, 264 Abs. 1, 290 Abs. 1, 320 Abs. 1 HGB) sowie • Offenlegung des Jahresabschlusses und Lageberichts (§§ 325 Abs. 1 HGB).

Über die Verwendung des Bilanzgewinns beschließt die Hauptversammlung auf Vorschlag des Vorstands und Nachprüfung durch den Aufsichtsrat. 5 v. H. des Jahresüberschusses sind gemäß § 150 AktG der gesetzlichen Rücklage zuzuführen, bis diese und weitere Kapitalrücklagen  10 % oder den in der Satzung bestimmten höheren Teil des Grundkapitals erreichen. Der auf die einzelne Aktie entfallende Anteil vom Bilanzgewinn verbleibt als Dividende, i. d. R. in € pro Mindestnennwert oder in % des Nennwertes ausgedrückt. Sie wird aufgrund des Jahresabschlusses vom Vorstand vorgeschlagen, vom Aufsichtsrat geprüft und von der Hauptversammlung beschlossen. Durch den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) vom 26.02.2002, aktuelle Fassung vom 07.02.2017, werden Empfehlungen und Anregungen für börsennotierte Unternehmen vorgegeben, um eine Unternehmensführung zu gewährleisten, die sowohl alle rechtlichen Vorgaben als auch ethische und moralische Grundsätze erfüllt. Im Rahmen der Umsetzung des Corporate Governance Kodex müssen Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft gemäß § 161 AktG in einer Compliance-Erklärung jährlich erklären, dass den Empfehlungen des DCGK „entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht“. Diese Erklärung ist auf der Internetseite der Gesellschaft dauerhaft öffentlich zugänglich zu machen. Die Aktiengesellschaft ist eine in der Bauwirtschaft bisher vor allem bei den großen Bauunternehmen vorkommende Rechtsform, wobei zunehmend kleine AGs in Bauunternehmen und auch Planungsbüros Verbreitung finden, deren Aktien noch nicht zum börsenmäßigen Handel nach den §§ 32–43 BörsG (2007/2017) zugelassen sind (vgl. § 3 Abs. 2 AktG).

44

C. J. Diederichs et al.

2.5

Arbeits- und Tarifrecht in der Bauwirtschaft

Das Arbeitsrecht regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Es wird definiert als das „Sonderrecht der Arbeitnehmer“ und umfasst die Gesamtheit aller Rechtsregeln, die sich mit der unselbstständigen, abhängigen Arbeit der in einem Unternehmen beschäftigten Personen befassen, die fremdbestimmte Arbeit leisten und dabei an Weisungen hinsichtlich Art, Ausführung, Ort und Zeit der Arbeit gebunden sind (Diederichs 2005, S. 67). Das individuelle Arbeitsrecht beinhaltet die rechtliche Regelung der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, das kollektive Arbeitsrecht dagegen die Beziehungen zwischen den Zusammenschlüssen, d. h. von Arbeitgeberverbänden oder einzelnen Arbeitgebern einerseits sowie Gewerkschaften oder Betriebsräten andererseits. Das Arbeitsrecht ist bisher in viele Einzelgesetze zersplittert, wie z. B. Betriebsverfassungs-, Kündigungsschutz-, Jugendarbeitsschutzgesetz, Arbeitszeitordnung sowie die §§ 611–630 BGB und die §§ 105 ff. GewO. Arbeitsrecht ist einerseits zwingendes Recht, andererseits sind abweichende Vereinbarungen möglich, wenn diese den Arbeitnehmer günstiger stellen (Günstigkeitsprinzip). Ferner gilt für die Rangfolge arbeitsrechtlicher Regelungen der Vorrang des Kollektivrechts vor dem Individualrecht und nach dem Grundsatz des Art. 31 GG Bundesrecht vor Landesrecht, d. h. folgende Rangreihe: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Grundgesetz, Bundesgesetze, Länderverfassungen, Ländergesetze, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, Arbeitsvertrag.

Dabei ist jedoch das Ordnungsprinzip für das Verhältnis einander ablösender kollektiver Ordnungen zu beachten. Danach gilt der spätere Tarifvertrag oder die spätere Betriebsvereinbarung vor

den jeweils früheren, auch wenn die neuen Vereinbarungen zu schlechteren Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer führen. Insoweit gilt das Günstigkeitsprinzip nicht. Die Unterscheidung in Arbeiter und Angestellte, die bei der Entstehung des Arbeitsrechts eine wesentliche Rolle spielte, hat heute nur noch Bedeutung für das kollektive Arbeitsrecht, vor allem das Recht der Unternehmensmitbestimmung. Eine Vielzahl von Gesetzen regelt das Arbeitsrecht. Nachfolgende Übersicht listet in alphabetischer Ordnung die wichtigsten Gesetze auf (Arbeitsgesetze, Beck-Texte 2018): Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Altersteilzeitgesetz (AltTZG) Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) Arbeitsplatzschutzgesetz (ArbPlSchG) Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) Arbeitszeitgesetz (ArbZG) Aufenthaltsgesetz (AufenthG) Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) Befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung (ArztBAVG) Berufsbildungsgesetz (BBiG) Betriebsrentengesetz (BetrAVG) Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB) Einkommensteuergesetz (EStG) Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) Europäische Betriebsräte-Gesetz (EBRG) EU-Vertrag Feiertage, Übersicht Gerichtskostengesetz (GKG) Gewerbeordnung (GewO) Grundgesetz (GG) Handelsgesetzbuch (HGB)

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Heimarbeitsgesetz (HAG) Insolvenzordnung (InsO) Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) Kinderarbeitsschutzverordnung (KindArbSchV) Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Ladenschlussgesetz (LadSchlG) Mindestlohngesetz (MiLoG) Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) Mitbestimmungsergänzungsgesetz (MontMitbestErgG) Montan-Mitbestimmungsgesetz (Montan-MitbestG) Mutterschutzgesetz (MuSchG) Nachweisgesetz (NachwG) Pflegezeitgesetz (PflegeZG) Reichsversicherungsordnung (RVO) Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) Sozialgesetzbuch – Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) Sozialgesetzbuch – Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) Sozialgesetzbuch – Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) Sozialgesetzbuch – Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) Sprecherausschussgesetz (SprAuG) Staatsvertrag Tarifvertragsgesetz (TVG) Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) Umwandlungsgesetz (UmwG) Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz (WO) Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) Zivilprozessordnung (ZPO) Betriebliche Ordnung und Mitbestimmung Die betriebliche Ordnung und Mitbestimmung wird im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG

45

2001/2018) geregelt. Auf Betriebsebene vertritt der Betriebsrat die Interessen der Arbeitnehmer. Umfasst ein Unternehmen mehrere Betriebe, so ist außerdem ein Gesamtbetriebsrat zu bilden, der aus den Vertretern der einzelnen Betriebsräte besteht. Das Betriebsverfassungsgesetz gilt nicht im Bereich des öffentlichen Dienstes. Die Mitbestimmungsrechte der Mitarbeiter regeln die Personalvertretungsgesetze des Bundes und der Länder. Wahrgenommen wird die Vertretung durch einen gewählten Personalrat. Das Mitbestimmungsgesetz (1976/2015) findet für alle Unternehmen Anwendung, die in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft betrieben werden und i. d. R. mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigen. Es regelt in Deutschland die Aufnahme von Arbeitnehmervertretern in die paritätisch zu besetzenden Aufsichtsräte der Unternehmen. Tarifrecht in der Bauindustrie Das moderne Arbeitsrecht wird vom Grundsatz der sozialen Selbstverwaltung geprägt. Das Grundrecht der Arbeitsverfassung ist die Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG. Das Tarifvertragsgesetz (TVG) regelt in § 1 Inhalt und Form des Tarifvertrages, der einerseits in einem schuldrechtlichen oder obligatorischen Teil die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien regelt und andererseits in einem normativen Teil Rechtsnormen enthält, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können. Tarifverträge bedürfen der Schriftform. Tarifvertragsparteien sind gemäß § 2 Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern. Daher sind Verbands- und Firmentarifverträge zu unterscheiden. Tarifgebunden sind gemäß § 3 die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der einzelne Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist. Durch die Tarifgebundenheit haben die Tarifvertragsparteien eine obligatorische Friedenspflicht. Bei Rechtsnormen über betriebliche und betriebsver-

46

fassungsrechtliche Fragen genügt es für die Tarifgeltung im Betrieb, dass der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Die Rechtsnormen des Tarifvertrages gelten gemäß § 4 Abs. 1 unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen. Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, solange sie durch die Bestimmungen des Tarifvertrags legitim sind oder Änderungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten. Nach Ablauf des Tarifvertrages gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Durch das Tarifeinheitsgesetz vom 03.07.2015 gem. neu eingefügtem § 4a TVG sind die Regelungen über Tarifkollisionen rechtskräftig geworden. Wenn ein Arbeitgeber mit mehreren Tarifgewerkschaften gebunden ist, gilt, dass bei Überschneidungen der Vertragsinhalte der Regelungsinhalt derjenigen Gewerkschaft wirksam wird, die eine höhere Anzahl an Arbeitnehmern vertritt. Gemäß § 5 kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Tarifvertrag im Einvernehmen mit einem aus drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Ausschuss auf gemeinsamen Antrag den Tarifvertrag für allgemein verbindlich erklären, sobald dies im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Die Voraussetzungen hierfür sind einerseits die Erlangung überwiegender Bedeutung in Bezug auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Als zweites Kriterium müssen die tarifvertraglichen Normsetzungen zur Gegensteuerung von wirtschaftlichen Fehlentwicklungen beitragen. Mit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung erfassen die Rechtsnormen des Tarifvertrages in seinem Geltungsbereich gemäß § 5 Abs. 4 TVG auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Tarifvertragsparteien in der Bauwirtschaft sind für das Baugewerbe • der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) und der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) auf Arbeitgeberseite sowie • die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) auf Arbeitnehmerseite.

C. J. Diederichs et al.

Für die Bauplaner sind die Tarifvertragsparteien • der Arbeitgeberverband selbstständiger Ingenieure und Architekten (ASIA), die Vereinigung freischaffender Architekten (VfA) und die Arbeitgebergemeinschaft für Architekten und Ingenieure (AAI) einerseits sowie • die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver. di) bzw. die Industriegewerkschaft BauenAgrar-Umwelt (IG BAU) andererseits. Die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes haben sich, wie die meisten anderen Wirtschaftszweige in Deutschland auch, für Streitfälle, die zu Kampfmaßnahmen führen können, zur Durchführung eines Schlichtungsverfahrens nach dem Schlichtungsabkommen Bau (1993) verpflichtet. Dieses Abkommen zwingt die Tarifvertragsparteien zur Anrufung einer Zentralschlichtungsstelle unter der Leitung eines unparteiischen Vorsitzenden. Während dieses Verfahrens besteht Friedenspflicht, d. h. die Durchführung von Urabstimmungen, Streiks, Aussperrungen oder sonstigen Kampfmaßnahmen ist unzulässig. Arbeitskampfmaßnahmen sind hierdurch erst nach einem Scheitern des Schlichtungsverfahrens zulässig. Als wichtigste Kampfmittel gelten der Streik der Arbeitnehmerseite und die Aussperrung durch die Arbeitgeberseite. Das Streikrecht ist durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich garantiert. Nach herrschender Meinung wird ein Streik nur unter folgenden Voraussetzungen als rechtmäßig anerkannt: • Er muss von einer Gewerkschaft geführt werden. • Er muss sich gegen einen Tarifpartner richten. • Mit dem Streik muss die kollektive Regelung von Arbeitsbedingungen erstrebt werden. • Der Streik darf nicht gegen Grundregeln des kollektiven Arbeitsrechts verstoßen. • Der Streik darf nicht gegen das Prinzip der fairen Kampfführung verstoßen. • Die Gewerkschaft muss alle Möglichkeiten der friedlichen Einigung ausgeschöpft haben (Friedenspflicht).

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Ein Streikbeschluss wird i. d. R. durch eine Urabstimmung herbeigeführt, bei der alle Mitglieder befragt werden. Dabei müssen sich mindestens 75 % der Befragten für einen Streik aussprechen. Die Rechtsfolgen eines rechtmäßigen Streiks bestehen darin, dass die Arbeitnehmer für die Dauer des Streiks nicht verpflichtet sind zu arbeiten. Sie haben für diese Zeit aber auch keinen Anspruch auf Arbeitslohn oder bezahlten Urlaub. Die Gewerkschaften zahlen während eines Streiks Streikvergütungen an ihre Mitglieder. Die Beteiligung am Streik muss freiwillig sein. Wer arbeiten will, darf von der Streikleitung nicht daran gehindert werden. Eine psychologische Einflussnahme ist jedoch erlaubt. Wenn Arbeitswillige wegen streikender Arbeitnehmer nicht arbeiten können, so erhalten alle Arbeitnehmer keinen Lohn, da der Unternehmer sonst den gegen sich gerichteten Streik finanzieren müsste. Die Aussperrung stellt das Gegenrecht des Arbeitgebers zum Streik dar. Sie bedeutet die Aussetzung (Suspendierung) des Arbeitsverhältnisses, nur ausnahmsweise deren Auflösung, wenn diese nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Eine Aussperrung, die gezielt nur die Mitglieder der streikenden Gewerkschaft erfasst, ist rechtswidrig. Der erste Bauarbeitertarif wurde im Jahre 1910 vereinbart und ist eines der vielfältigsten Tarifsysteme mit knapp 40 meist bundesweit gültigen Tarifverträgen. Die Tarifsammlung für die Bauwirtschaft aktuell für 2018/2019 gliedert sich in vier große Gruppen (Brettschneider und Wulf 2018, S. 40): • • • •

Entgelttarifverträge, Rahmentarifverträge, Materielle Sozialkassentarifverträge und Verfahrenstarifverträge.

Nachfolgende Übersicht listet alphabetisch geordnet die wichtigsten Gesetze und Vertragsarten auf: Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen (AVEBekanntmachung) Altersteilzeitgesetz (1996/2017) Betriebsverfassungsgesetz (2001/2018)

47

Bundesrahmentarifvertrag (BRTV) Entgelttarifverträge für Angestellte und Poliere Entgelttarifverträge für gewerbliche Arbeitnehmer Entsenderichtlinie (1996) Gemeinsame Erklärung zur Durchsetzung und Kontrolle der Mindestlöhne im Baugewerbe vom 29.10.2003 Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (2004/2017) Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (1995/2017) Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (2014/2017) Materielle Sozialkassen- und Verfahrenstarifverträge Rahmentarifverträge für Angestellte und Poliere Rahmentarifverträge für Auszubildende Rahmentarifverträge für gewerbliche Arbeitnehmer Rahmentarifvertrag für Leistungslohn im Baugewerbe (2015) Schlichtungsabkommen für das Baugewerbe in der BRD (1979/1993) Tarifvertragsgesetz (1969/2018) Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV 2013/2014) Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe (2013) Winterbauförderung, Saison-Kurzarbeitergeld Vertiefende Informationen zu ausgewählten Rechtsgrundlagen des Arbeitsrechts, zum Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsgesetz sowie zum Tarifrecht in der Bauwirtschaft enthalten die Veröffentlichungen „Arbeitsgesetze, BeckTexte im dtv, 93. Auflage 2018“ und die „Tarifsammlung für die Bauwirtschaft 2018/19, Hrsg. Brettschneider S., Wulf N., Otto Elsner Verlagsgesellschaft Berlin 2018“.

3

Unternehmensrechnung

Ganz allgemein ist das Rechnungswesen ein zahlenmäßiges Spiegelbild aller wirtschaftlichen Unternehmens- und Betriebsvorgänge. Es dient dazu, alle in Zahlen ausdrückbaren wirtschaftlichen Tatbestände und Vorgänge mengen- und wertmäßig zu erfassen, zu verarbeiten und in Er-

48

C. J. Diederichs et al.

füllung unternehmensexterner und unternehmensinterner Aufgaben auszuwerten. Zu den unternehmensexternen Aufgaben gehört in erster Linie die Rechenschaftslegung gegenüber den sog. Stakeholdern, die ein berechtigtes Interesse an Unternehmensdaten und -informationen haben. Dazu zählen • • • • • • •

Gesellschafter (Shareholder), Gläubiger (Banken und sonstige Kreditgeber), Kunden, Finanzbehörden, Arbeitnehmer, Lieferanten und die interessierte Öffentlichkeit.

Die unternehmensinterne Aufgabe besteht in der Bereitstellung von Unterlagen für die wirtschaftliche Steuerung des betrieblichen Geschehens sowie für die Preisermittlung. Das Rechnungswesen hat damit insbesondere Zahlen zu liefern über • Vermögen und Kapital, • Aufwendungen, Erträge und Erfolg sowie • Kosten, Leistungen und Ergebnisse. Dabei sind die aus den §§ 238 ff HGB abgeleiteten Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung sowie darüber hinausgehende handels-, steuer- und preisrechtliche sowie sonstige einschlägige gesetzliche Vorschriften zu beachten.

3.1

Aufbau des betrieblichen Rechnungswesens

Nach traditioneller Einteilung wird zwischen externem und internem Rechnungswesen unterschieden. Das externe Rechnungswesen (Unternehmensrechnung, Finanzbuchhaltung) erfasst die Werteveränderungen einer Unternehmung (den äußeren Kreis) aus seinen Geschäftsbeziehungen zur Umwelt und die dadurch bedingten Veränderungen der Vermögens- und Kapitalverhältnisse durch Aufstellung von Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen sowie des Jahresabschlusses.

Das interne Rechnungswesen (Bauauftragsrechnung, Baubetriebsrechnung) dient, auf den Werten der Finanzbuchhaltung aufbauend, der innerbetrieblichen Abrechnung (dem inneren Kreis) zur zahlenmäßigen Erfassung und Darstellung der innerbetrieblichen Kosten-, Leistungsund Ergebnisdaten. Die Systembereiche des baubetrieblichen Rechnungswesens zeigt Tab. 4. Kontenrahmen Zwecks Erreichung einer aufschlussreichen Buchführung soll für jeden Wirtschaftszweig durch einen spezifischen Kontenrahmen eine systematische Anordnung und Gliederung der Konten und damit auch der Buchhaltungszahlen erreicht werden. Sachlich gleichartige Konten werden nach Kontengruppen geordnet. Diese werden zu Kontenklassen zusammengefasst. Die Anzahl der Konten und Unterkonten richtet sich nach den betrieblichen Bedürfnissen und Wünschen. Für Gliederung und Kodierung der Konten wird allgemein folgendes System verwendet: • • • •

0 bis 9 = Kontenklasse 00 bis 99 = Kontengruppe 000 bis 999 = Kontenart 000000 bis 999999 = Konto

Der Kontenrahmen soll nicht nur ein systematisches Kontenverzeichnis zwecks einheitlicher Buchung der Geschäftsvorfälle sein, sondern auch einen Organisationsplan der betrieblichen Rechnungslegung bilden. Er muss daher einen einwandfreien Einblick in die Rechnungslegung hinsichtlich Vermögensstand und -änderung, Eigen- und Fremdkapital sowie Aufwendungen und Erträge in ihrem zeitlichen Ablauf gewährleisten. Nach allgemeinen betriebswirtschaftlichen Grundsätzen dient ein branchenbezogener Kontenrahmen dem systematischen Aufbau der Buchführung dieses Wirtschaftszweiges. Er bildet somit die Grundlage für den Kontenplan jedes einzelnen Unternehmens. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes stellen den Unternehmen den Baukontenrahmen 2016 (siehe Abb. 32) nach den Anforderungen des

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

49

Tab. 4 Systembereiche des baubetrieblichen Rechnungswesens Unternehmensrechnung (externes Rechnungswesen) Bauunternehmensrechnung (Finanzbuchhaltung) Bilanz Aktiva - Anlagevermögen - Umlaufvermögen - Verlust Passiva - Eigenkapital - Fremdkapital - Gewinn

Gewinn- und Verlustrechnung Erlöse und Erträge aus - Umsatz - anderen Leistungen - Gewinngemeinschaften - Beteiligungen - Finanzanlagen - Zinsen usw. - Sonstigem Aufwendungen für - Roh-/Hilfs-/Betriebsstoffe - bezogene Waren - Löhne - Sozialabgaben - Abschreibungen - Zinsen usw. - Sonstiges Jahresüberschuss/-fehlbetrag Gewinn-/Verlustvortrag aus dem Vorjahr Entnahmen aus offenen Rücklagen Einstellungen aus Jahresüberschuss in offene Rücklagen Reingewinn/-verlust

Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung (internes Rechnungswesen) Bauauftragsrechnung Baubetriebsrechnung (Kalkulation) (Betriebsbuchhaltung) Angebotskalkulation Vertragskalkulation Arbeitskalkulation Nachtragskalkulation Nachkalkulation

Kostenrechnung Leistungsrechnung Ergebnisrechnung

Quelle: KLR Bau 2016, S. 12–14

Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG), den Erfordernissen des Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) als auch den steuerrechtlichen Anforderungen der E-Bilanz (Taxonomie) zur Verfügung. Der Baukontenrahmen entspricht der Systematik des Industriekontenrahmens (IKR) und orientiert sich an dem BKR 1987 als Ursprungsversion. Alternativ kann das Organisationsschema auch anhand anderer Kontenrahmen aufgebaut werden. Hierzu kann zum Beispiel das von der DATEV eG veröffentliche Abschlusssystem des Standardkontenrahmens (SKR 04 Branchenpaket Bau und Handwerk) verwendet werden (vgl. KLR Bau 2016, S. 24). Der Baukontenrahmen 2016 ist gegliedert in Bilanz- und Erfolgskonten, in Eröffnung und Abschluss sowie in Konten für die Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung: • die Klassen 0 bis 2 enthalten die aktiven, die Klassen 3 bis 4 die passiven Bestandskonten,

• Klasse 5 nimmt die Ertragskonten auf, die Klassen 6 und 7 enthalten die Aufwandskonten, • Klasse 8 ist den Eröffnungs- und Abschlusskonten vorbehalten, Klasse 9 der Kosten- und Leistungsrechnung. Buchführungsvorschriften Das Bilanzrecht wird im Wesentlichen im dritten Buch des HGB (§§ 238–342e) geregelt. Das dritte Buch ist in sechs Abschnitte unterteilt: Der 1. Abschnitt (§§ 238–263) enthält diejenigen Vorschriften über die Buchführung und Bilanzierung, die von allen Kaufleuten zu beachten sind. Der 2. Abschnitt (§§ 264–335) enthält ergänzende Vorschriften für Kapitalgesellschaften (AG, KGaA, GmbH) sowie bestimmte Personenhandelsgesellschaften, der 3. Abschnitt (§§ 336–339) solche für eingetragene Genossenschaften. Der 4. Abschnitt enthält ergänzende Vorschriften für Unternehmen bestimmter Ge-

Immaterielle Vermögensgegenstände

01

Kasse

Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe

Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen, Steuerrückstellungen, Drohverlustrückstellungen, Gewährleistungsrückstellungen, sonstige Rückstellungen

49

Passive Rechnungsabgrenzung, Steuerabgrenzung

Anleihen und Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten, erhaltene Abschlagszahlungen, erhaltene Anzahlungen, Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, Wechselverbindlichkeiten, Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen und Beteiligungsgesellschaften, Verbindlichkeiten 41-48 gegenüber stillen Gesellschaftern, sonstige Verbindlichkeiten, Verbindlichkeiten gegenüber Arbeitsgemeinschaften, Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern, Verbindlichkeiten aus Steuern, Verbindlichkeiten im Rahmen der sozialen Sicherheit, Verbindlichkeiten aus Umsatzsteuer

40

Kosten der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung

69

Zinsen und ähnliche Aufwendungen Steuern vom Einkommen und Ertrag, Sonstige 77,78 Betriebssteuern, sonstige betriebliche Aufwendungen

76

Einstellung in die Einzelwertberichtigung auf Forderungen, Einstellung in die Pauschalwertberichtigung auf Forderungen, Abschreibung auf Umlaufvermögen, Sonderabschreibung, Verlust aus 70-75 Wertminderung / Abgang von Vorräten, Forderungsverlust, Restbuchwert aus Abgang von Gegenständen des Anlagevermögens (bei Buchverlust), Aufwendungen für Restrukturierung, Sanierung, außergewöhnliche Abschreibung, außergewöhnliche Aufwendungen

Kontenklasse 7 Sonstige Aufwendungen

Sonstige Kosten

68

Kosten der Immobilienbewirtschaftung

Kosten der Nachunternehmerleistungen

66 67

Kosten der technischen Bearbeitung und der Projektentwicklung

Kosten des Rüst-, Schal und Verbaumaterials (RSV) inkl. der Baustoffe, Kosten der Geräte und Betriebsstoffe sowie der Geschäfts-, Betriebs-, und Baustellenausstattung

65

64

Kosten der Fertigerzeugnisse

63

99

98

97

96

95

Kosten der Bau- und Fertigungsstoffe

62

60,61 Lohn- und Gehaltskosten, Fremdarbeitskosten

93

92

91

94

Außergewöhnliche Erträge

Erträge aus dem Abgang von Gegenständen des Umlaufvermögens und aus der Zuschreibung zu Gegenständen des Anlagevermögens, Erträge aus der Auflösung von steuerlichen Rücklagen

Kontenklasse 6 Betriebliche Aufwendungen

59

57, 58

90

Ergebnisrechnung

Gemeinschaftsbaustellen (Bauarbeitsgemeinschaften)

Baustellen

Hilfsbetriebe und Verrechnungskostenstellen

Verwaltung

Schlüsselkostenstellen

Kosten- und Leistungsarten

Betriebsbezogene Abgrenzungen

Unternehmensbezogene Abgrenzungen

Übernahmekonto

Erträge aus Beteiligungen und sonstigen 55, 56 Finanzanlagen, sonstige Zinsen und ähnliche Erträge

Kontenklasse 4 Rückstellungen, Verbindlichkeiten und passive Rechnungsabgrenzungsposten

Kontenklasse 8 Abgrenzungen und Abschluss

Eröffnung und Abschluss

Umsatzerlöse aus Bauleistungen, Umsatzerlöse 80-89 Abgrenzung, Abschluss, Saldenvorträge aus Regie- und Hilfsleistungen, Provisionen, 50-54 Erlösschmälerungen, Bestandsveränderungen unfertige/fertige Bauten, sonstige betriebliche Kontenklasse 9 Erlöse Baubetriebsrechnung inkl. Abgrenzung

Kontenklasse 5 Erträge

Erfolgskonten

Kapital, Gezeichnetes Kapital, Privatentnahmen, Privateinlagen, 30-39 Kapitalrücklagen, Sonderposten mit Rücklageanteil, sonstige Kapitalkonten, Gesellschafter-Darlehen

Abb. 32 Kostenklassen und -gruppen des BKR 2016. (Quelle: KLR-Bau 2016, S. 26)

Ansprüche aus dem Besteuerungsverfahren, 28-29 aktive Rechnungsabgrenzung / Steuerabgrenzung

Ausstehende Einlagen, Forderungen aus Lieferungen und Leistungen einschließlich Wechselforderungen, Forderungen gegenüber Arbeitsgemeinschaften, Forderungen 24-27 gegenüber der Belegschaft, Forderungen gegenüber den Sozialversicherungsträgern, Forderungen gegenüber verbundenen Unternehmen, Beteiligungsgesellschaften, sonstige Vermögensgegenstände

Unfertige Bauleistungen, fertige Erzeugnisse und Waren, geleistete Anzahlungen auf 21-23 Vorräte, aktivische Absetzung erhaltener Abschlagszahlungen

20

Kontenklasse 2 Vorräte, Forderungen und aktive Rechnungsabgrenzungsposten

18-19 Bank

17

Anteile, Beteiligungen und Ausleihungen an verbundenen Unternehmen, Ausleihungen an Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, 13-16 Wertpapiere des Anlagevermögens, Ausleihungen an Gesellschafter, sonstige Ausleihungen, Eigene Anteile, sonstige Wertpapiere

Kontenklasse 1 Finanzanlagen und Geldkonten

Baugeräte, Betriebsvorrichtungen, Technische Anlagen und stationäre Maschinen, 05-09 Betriebs- und Geschäftsausstattung, Sonstige Betriebs- und Geschäftsausstattung, Anlagen im Bau und geleistete Anzahlungen

Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte 02-04 mit Geschäfts-, Fabrik-, Wohn- und anderen Bauten, auch auf fremden Grundstücken

Ausstehende Einlagen, (BilMoG - auslaufend Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebs)

Kontenklasse 3 Eigenkapital und Rücklagen

Kontenklasse 0 Sachanlagen und immaterielle Vermögensgegenstände

00

Passiva

Aktiva

Bilanzkonten

50 C. J. Diederichs et al.

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

schäftszweige (§§ 340–341y). Der 5. Abschnitt (§§ 342–342a) enthält Festsetzungen für das Private Rechnungslegungsgremium und den Rechnungslegungsbeirat. Abschließend wird im 6. Abschnitt (§§ 342b–342e) die Prüfstelle für Rechnungslegung geregelt. Nach § 238 Abs. 1 HGB ist jeder Kaufmann i.S.d. § 1 HGB dazu verpflichtet, Bücher zu führen und in ihnen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ersichtlich zu machen. Jeder Kaufmann hat gemäß § 240 HGB zu Beginn seines Handelsgewerbes und danach für den Schluss eines jeden Geschäftsjahres ein Inventar (Verzeichnis der Vermögensgegenstände und Schulden) aufzustellen. Dazu hat er gemäß § 242 HGB zu Beginn seines Handelsgewerbes und für den Schluss eines jeden Geschäftsjahres einen das Verhältnis seines Vermögens und seiner Schulden darstellenden Abschluss (Eröffnungsbilanz, Bilanz) aufzustellen. Ferner hat er für den Schluss eines jeden Geschäftsjahres eine Gegenüberstellung der Aufwendungen und Erträge des Geschäftsjahres aufzustellen (Gewinn- und Verlustrechnung). Die Bilanz sowie die Gewinn- und Verlustrechnung bilden den Jahresabschluss. Mit Artikel 1 des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) vom 25. Mai 2009 sind „kleine“ Einzelkaufleute, deren Geschäftsjahr nach dem 31.12.2007 begonnen hat (Artikel 66 Abs. 1 HGBEG), von der handelsrechtlichen Buchführungspflicht befreit worden, sofern die in § 241a HGB genannten Grenzwerte nicht überschritten werden. Gemäß § 243 HGB ist der Jahresabschluss nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung aufzustellen. Er muss klar und übersichtlich sein sowie gemäß § 245 HGB vom Kaufmann unter Angabe des Datums unterzeichnet werden. Unternehmen, denen handelsrechtliche Verpflichtungen auf dem Gebiet der Buchführung obliegen (allen Kaufleuten gemäß den §§ 1–7 HGB), haben diese gemäß Abgabenordnung auch für die Besteuerung zu erfüllen (§ 140 AO). Bei einem Jahresumsatz von > 600.000 € oder einem Gewinn aus einem Gewerbebetrieb von > 60.000 € jährlich ist jedes Unternehmen nach § 141 Abs. 1 AO verpflichtet, Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen.

51

Unternehmen, die weder nach Handelsrecht noch nach § 141 AO bilanzpflichtig sind, können den steuerpflichtigen Gewinn als Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 3 EstG ermitteln (Ist-Versteuerung). § 238 HGB verlangt eine Buchführung, die so beschaffen sein muss, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann. Die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen. Gemäß § 239 Abs. 2 HGB müssen die Eintragungen und Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorgenommen werden. Die Grundsätze der Vollständigkeit sowie formellen und materiellen Richtigkeit verlangen, dass keine Geschäftsvorfälle weggelassen, hinzugefügt oder anders dargestellt werden, als sie sich tat sächlich abgespielt haben. Der ursprüngliche Buchungsinhalt darf nicht unleserlich gemacht bzw. gelöscht werden. Bei teilweise noch vorkommenden manuellen Buchungen sind Bleistifteintragungen unzulässig. Zwischen den Buchungen dürfen keine Zwischenräume gelassen werden („Buchhalternase“). Sämtliche Buchungen müssen aufgrund der Belege jederzeit nachprüfbar sein („keine Buchung ohne Beleg“). Der Grundsatz der rechtzeitigen und geordneten Buchung verlangt, dass die Buchungen innerhalb einer angemessenen Frist in ihrer zeitlichen Reihenfolge vorgenommen werden. Kasseneinnahmen und -ausgaben sollen i. d. R. täglich festgehalten werden (§ 146 Abs. 1 AO). Handelsbücher, Inventare, Eröffnungsbilanzen, Jahresabschlüsse aus Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung (§ 242 HGB), Lageberichte (§ 289 HGB) und Konzernabschlüsse (§§ 289–315e HGB) und Buchungsbelege sind 10 Jahre und sonstige Unterlagen 6 Jahre aufzubewahren (§ 257 Abs. 4 HGB). Bei dem nach § 242 HGB vorgeschriebenen System der doppelten Buchführung wird jede durch einen Geschäftsvorfall ausgelöste und aufgrund eines Beleges vorgenommene Buchung auf mindestens zwei Konten festgehalten, die im Buchungssatz benannt werden. Nach dem gedanklich bei der Buchung zu beachtenden Buchungssatz werden die durch

52

C. J. Diederichs et al.

Abb. 33 Buchungen in Bestands- und Erfolgskonten

einen Geschäftsvorfall betroffenen Konten in der Weise angesprochen, dass die auf der linken Seite (im Soll) betroffenen Konten zuerst und die auf der rechten Seite (im Haben) betroffenen Konten zuletzt genannt werden, verbunden durch das Wörtchen „an“ oder auch nur durch Schrägstrich. Werden lediglich zwei Konten bei einer Buchung benötigt, so wird dies durch einen einfachen Buchungssatz ausgedrückt, z. B. Aufwendungen für Baugeräte (KG 64) an Bank (KG 19). Sobald auf mehr als zwei Konten zu buchen ist, erfolgt die Buchungsanweisung durch einen zusammengesetzten Buchungssatz bzw. eine Kette von mehreren Buchungssätzen. Damit geschieht die Ermittlung des Periodenerfolges ebenfalls zweifach durch • die Bilanz sowie • die Gewinn- und Verlustrechnung. Daher ist stets auch eine rechnerische Kontrolle für die Richtigkeit des ausgewiesenen Gewinns (oder Verlustes) gegeben, vorbehaltlich der Richtigkeit der Wertansätze der Buchungsdaten. Die Grundregeln für Buchungen auf den Bestandskonten der Bilanz und Erfolgskonten

der Gewinn- und Verlustrechnung werden durch Abb. 33 deutlich: • Jedes Konto besitzt eine linke Seite (Soll) und eine rechte Seite (Haben). • Auf den Aktivkonten der Bilanz werden die Zugänge auf der linken Seite (Soll), auf den Passivkonten auf der rechten Seite (Haben) gebucht. • Aufwendungen werden immer auf der linken Seite (Soll) gebucht, Erträge werden immer auf der rechten Seite (Haben) gebucht. Aufwands- und Ertragskonten sind Unterkonten (Vorkonten) des Kapitalkontos zum Abschluss der Gewinn- und Verlustrechnung. Der Unternehmenserfolg (Gewinn oder Verlust) ergibt sich sowohl aus der Differenz zwischen Aktiv- und Passivkonten zum Stichtag sowie aus der Differenz zwischen den Ertragsund Aufwandskonten zum Stichtag. Die in der Bilanz enthaltenen Werte werden durch die laufenden Geschäftsvorfälle ständig verändert. Dabei können fünf „Veränderungstypen“ auftreten: 1. Aktivtausch: Es wird lediglich die Aktivseite der Bilanz berührt. Die Bilanzsumme bleibt

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

2.

3.

4.

5.

unverändert (z. B. Abhebung für die Bürokasse vom Bankkonto; Kasse an Bank). Passivtausch: Es wird lediglich die Passivseite der Bilanz berührt. Die Bilanzsumme bleibt unverändert (z. B. Ausgleich einer Lieferantenrechnung durch einen Bankkredit; Verbindlichkeiten aus Lieferungen an Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten). Aktiv-/Passiv-Mehrung (Bilanzverlängerung): Aktiv- und Passivseite nehmen um den gleichen Betrag zu (z. B. Kauf eines Grundstücks durch Bankkredit; Grundstücke an Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten). Aktiv-/Passiv-Minderung (Bilanzverkürzung): Aktiv- und Passivseite nehmen um den gleichen Betrag ab (z. B. Ausgleich einer Lieferantenrechnung durch Überweisung vom Bankkonto; Verbindlichkeiten aus Lieferungen an Bank). Ansprache von Aktiv- oder Passivkonten der Bilanz einerseits sowie von Aufwands- oder Ertragskonten der GuV andererseits (z. B. Personalaufwendungen für technische und kaufmännische Angestellte an Guthaben bei Kreditinstituten).

Die Rechnungslegung nach Handels- und Steuerrecht basiert vorrangig auf gesetzlichen Einzelvorschriften im HGB und im EStG. Daneben sind von jedem Kaufmann die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) bei der Verbuchung der Geschäftsvorfälle (§ 238 Abs. 1 HGB), beim handelsrechtlichen Jahresabschluss (§ 243 Abs. 2 HGB) und bei der Erstellung der Steuerbilanz (§ 5 Abs. 1 EStG) zu beachten. Damit haben die über den kodifizierten Vorschriften stehenden GoB die Aufgabe, gesetzliche Regelungslücken auszufüllen. Vorrangige Aufgabe der GoB ist es, die Dokumentation des Geschäftsablaufs zu sichern und die Buchführung vor Verzerrungen und Verfälschungen zu bewahren. Die Anforderungen nach § 239 HGB verlangen, dass die Bücher und sonstigen Aufzeichnungen • nach einem geordneten Kontenplan, • in einer lebenden Sprache,

53

• nach dem Belegprinzip (keine Buchung ohne Beleg), • bei Offenlegung nachträglicher Veränderungen sowie • nach dem Grundsatz der Einzelerfassung und Nachprüfbarkeit zu führen sind. Es müssen alle Geschäftsvorfälle lückenlos erfasst, auf dem zutreffenden Konto verbucht und es dürfen keine Buchungen fingiert werden. Für die ordnungsmäßige Bilanzierung ist nach Allgemeinen Grundsätzen, Ansatzgrundsätzen und Bewertungsgrundsätzen zu unterscheiden (Wöhe und Kußmaul 2012, S. 38–40): Allgemeine Grundsätze sind (1) Der Jahresabschluss hat den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zu entsprechen (§ 243 Abs. 1 HGB). (2) Der Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften hat ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanzund Ertragslage zu vermitteln (§ 264 Abs. 2 HGB). (3) Der Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit verlangt insbesondere die Beachtung der Gliederungsvorschriften der Bilanz und Erfolgsrechnung sowie den klaren Aufbau von Anhang und Lagebericht (§ 243 Abs. 2 HGB). (4) Der Grundsatz der Bilanzwahrheit verlangt nicht nur rechnerische Richtigkeit, sondern auch Erfüllung des Bilanzzwecks. (5) Der Jahresabschluss ist abhängig von der Unternehmensgrößenklasse innerhalb von 3 bis max. 12 Monaten des folgenden Geschäftsjahres aufzustellen (§ 243 Abs. 3 und § 264 Abs. 1 HGB). Folgende Ansatzgrundsätze sind zur Bilanzierung dem Grunde nach zu beachten: (1) Die Bilanzidentität erfordert die Identität der Eröffnungsbilanz mit der Schlussbilanz des Vorjahres (§ 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB). (2) Der Grundsatz der Vollständigkeit erfordert den Ausweis sämtlicher Vermögensgegen-

54

stände, Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten, Aufwendungen und Erträge sowie bei Kapitalgesellschaften sämtlicher Pflichtangaben im Anhang und Lagebericht (§ 246 Abs. 1, § 284, § 285, § 289 HGB). (3) Der Grundsatz des Verrechnungsverbotes (Saldierungsverbot, Bruttoprinzip) verlangt, Posten der Aktivseite nicht mit Posten der Passivseite, Aufwendungen nicht mit Erträgen sowie Grundstücksrechte nicht mit Grundstückslasten zu verrechnen (§ 246 Abs. 2 HGB). (4) Der Grundsatz der Bilanzkontinuität verlangt, die Form der Darstellung, insbesondere die Gliederung der aufeinanderfolgenden Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen, beizubehalten (§ 265 Abs. 1 HGB). Als Bewertungsgrundsätze zur Bewertung der Höhe nach sind zu beachten: (1) Bei der Bewertung ist von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen (GoingConcern-Prinzip), nicht der Liquidation (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB). (2) Die Vermögensgegenstände und Schulden sind zum Abschlussstichtag einzeln zu bewerten (§ 255 Abs. 1 Nr. 3 HGB). (3) Nach dem Prinzip der Wesentlichkeit kann bei Wertansätzen mit nur geringem Einfluss auf das Jahresergebnis auf eine nur schwer erreichbare Genauigkeit verzichtet werden (nicht kodifiziert). (4) Nach dem Prinzip der materiellen Bilanzkontinuität sollen die auf den vorhergehenden Jahresabschluss angewandten Bewertungsmethoden beibehalten werden (§ 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB). (5) Nach dem Prinzip der Methodenbestimmtheit sind Vermögensgegenstände und Schulden nach einer Bewertungsmethode zu ermitteln. Zwischenwerte aus alternativ zulässigen Methoden sind nicht erlaubt, z. B. aus dem Sachwert- und dem Ertragswertverfahren bei bebauten Immobilien (nicht kodifiziert). (6) Nach dem Anschaffungskostenprinzip bzw. dem Prinzip der nominellen Kapitalerhaltung bilden die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten die obere Grenze der Bewertung und für die Bemessung der Gesamtabschreibun-

C. J. Diederichs et al.

gen. Höhere Wiederbeschaffungskosten dürfen nicht berücksichtigt werden (§ 253 HGB). (7) Nach dem Vorsichtsprinzip sind alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen, selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt geworden sind. Gewinne sind nur zu berücksichtigen, wenn sie bis zum Abschlussstichtag realisiert worden sind. Danach gilt das Realisationsprinzip, das Niederstwertprinzip für Aktivposten, das Höchstwertprinzip für Passivposten und somit das Imparitätsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). (8) Nach dem Prinzip der Periodenabgrenzung sind Aufwendungen und Erträge des Geschäftsjahres unabhängig von den Zeitpunkten der entsprechenden Zahlungen im Jahresabschluss zu berücksichtigen (§ 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB). Bilanz Die Bilanz ist eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung des Vermögens (der Aktiva) und des Kapitals (der Passiva). Auf der Aktivseite werden die Vermögenswerte (Anlage- und Umlaufvermögen) dargestellt. Die Passivseite gibt Auskunft über die Vermögensquellen (Eigen- und Fremdkapital). Durch Gegenüberstellung von Anlagevermögen und Eigenkapital sowie Umlaufvermögen und Fremdkapital kann überprüft werden, inwieweit die Fristenkongruenz nach dem ersten Grundsatz der Unternehmensfinanzierung erfüllt ist. Das Jahresergebnis (Gewinn- oder Verlust einer Abrechnungsperiode) ergibt sich in der Bilanz als Differenz (Saldo) zwischen den Aktivund den Passivposten zum Stichtag. Überwiegen die Aktivposten, so wurde ein Gewinn erwirtschaftet. Überwiegen dagegen die Passivposten, so ist ein Verlust zu verzeichnen. Die Gliederungsvorschriften für die Bilanzen der Einzelfirmen und der Personengesellschaften sind relativ einfach. Nach § 247 Abs. 1 HGB sind das Anlage- und das Umlaufvermögen, das Eigenkapital, die Schulden sowie die Rechnungsabgrenzungsposten gesondert auszuweisen und hinreichend aufzugliedern. Die Bilanz muss das

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

gesamte Haftungskapital und die Ertragslage der Gesellschaft deutlich offen legen und bei Kapitalgesellschaften gemäß § 266 HGB gegliedert werden (Tab. 5). Aktiva Die Aktivseite einer Bilanz stellt die Mittelverwendung dar. Der Leser der Bilanz erfährt durch die Aktiva, in welchen Vermögenspositionen das verfügbare Gesamtkapitel investiert wurde (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 648). Nach § 266 Abs. 2 HGB unterteilt sich die Aktivseite in der ersten Ebene in Anlage- und Umlaufvermögen, Rechnungsabgrenzungsposten und aktive latente Steuern. Entscheidend für die Bilanzierung im Anlage- oder Umlaufvermögen ist nicht die Art des Vermögensgegenstandes, sondern seine Zweckbestimmung. Das Anlagevermögen ist dazu bestimmt, dem Betrieb des Unternehmens dauerhaft zu dienen. Das Umlaufvermögen dagegen dient unmittelbar dem Umsatz bzw. entsteht aus dem Umsatz, z. B. aus der Erbringung vonBauleistungen. Wenn ein Projektentwicklungsunternehmen z. B. Grundstücke kauft und darauf Gebäude errichtet entweder zur Vermietung oder zum Verkauf, so wird bei der Vermietung ein langfristiger Nutzen erzielt. Das Gebäude ist im Anlagevermögen zu bilanzieren. Wird es dagegen verkauft, so ist ein kurzfristiger Umsatz beabsichtigt. Damit zählt es zum Umlaufvermögen (Leimböck et al. 2017, S. 489–490).

Anlagevermögen Zum Anlagevermögen gehören gemäß § 266 Abs. 2 HGB folgende Positionen: I. Immaterielle Vermögensgegenstände Dazu zählen selbst geschaffene gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte, entgeltlich erworbene Konzessionen, gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten, Geschäfts- oder Firmenwert als auch geleistete Anzahlungen. In dieser Position wird zum Beispiel auch Systemund Anwendungssoftware bilanziert, die in Planungsbüros und Bauunternehmen eingesetzt wird.

55

II. Sachanlagen Dazu zählen Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Anlagen im Bau auf eigenen Grundstücken, die z. B. bei Projektentwicklungsgesellschaften, die die errichteten Objekte auch vermieten und betreiben, regelmäßig den Schwerpunkt des Sachanlagevermögens bilden. Weiterhin zählen zu den Sachanlagen Technische Anlagen, Maschinen und ähnliche Güter, sowie die Betriebsund Geschäftsausstattung. III. Finanzanlagen Dazu zählen Anteile und Ausleihungen an verbundenen Unternehmen, Beteiligungen, Ausleihungen an Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, Wertpapiere des Anlagevermögens und sonstige Ausleihungen. Umlaufvermögen Das Umlaufvermögen besteht nach § 266 Abs. 2 HGB aus Vorräten, Forderungen und sonstigen Vermögensgegenständen, Wertpapieren sowie Kassenbestand, Bundesbankguthaben, Guthaben bei Kreditinstituten und Schecks. I. Vorräte Das Vorratsvermögen ist das zum Umsatz bestimmte Sachvermögen. Es besteht aus Produktionsmitteln (Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie Ersatzteile) und aus Produkten (unfertige Erzeugnisse, z. B. zum Verkauf bestimmte Immobilien, Betonfertigteile). Kern des Vorratsvermögens sind in Bauunternehmen die am Bilanzstichtag noch in der Ausführung befindlichen, nicht abgerechneten Bauleistungen. Bauleistungen auf fremdem Grund und Boden – dies ist für die meisten Bauunternehmen der Regelfall – zählen rechtlich für das Bauunternehmen nicht zu den Sachanlagen, sondern zum Vorratsvermögen. Dieses wird erst nach rechtsgeschäftlicher Abnahme und Schlussabrechnung umgewandelt in eine Forderung aus erbrachten Leistungen. „Bauaufträge bilden bis zur Abnahme des erstellten Bauwerks schwebende Geschäfte, sodass aus ihnen noch keine Gewinne realisiert und damit bilanziert werden dürfen. Unabgerechnete Bauaufträge auf fremden Grundstücken werden als Forderun-

5365 169 2413 13.161

5383 355 2713 16.778 47.691 34 58.301

Umlaufvermögen gesamt Rechnungsabgrenzungsposten Aktiva gesamt

Quelle: Leimböck et al. 2017, S. 484 f

6058 12.307

9733 12.729

Vorratsvermögen gesamt Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände - aus Lieferungen und Leistungen - gegen Arbeitsgemeinschaften - gegen verbundene Unternehmen und Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht Sonstige Vermögensgegenstände Flüssige Mittel 39.473 23 47.012

2104 1725 16 207 7516 664 996 52 23.230 18884

3434 2841 41 389 10.576 543 996 106 46.943 38855

Technische Anlagen und Maschinen Andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung Geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau Finanzanlagen Anlagevermögen gesamt Vorräte: Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe Zum Verkauf bestimmte Grundstücke Geleistete Anzahlungen Nicht abgerechnete Bauten ./. erhaltene Abschlagszahlungen

2264

Vorjahr T€ 1200

2842

Berichtsjahr T€ 1029

Sachlagen: Grundstücke und Bauten einschl. der Bauten auf fremden Grundstücken

Aktiva Immaterielle Vermögensgegenstände

Tab. 5 Beispiel einer Schlussbilanz

Passiva gesamt Verbindlichkeiten aus der Begebung und Übertragung von Wechseln Verbindlichkeiten aus Bürgschaften Verbindlichkeiten aus Gewährleistungen Haftungsverhältnisse gesamt

Verbindlichkeiten gesamt Rechnungsabgrenzungsposten

Passiva Gezeichnetes Kapital Kapitalrücklage Gewinnrücklage Gewinn Gewinnvortrag Eigenkapital gesamt Pensionsrückstellungen Steuerrückstellungen Sonstige Rückstellungen Rückstellungen gesamt Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten Erhaltene Anzahlungen Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen Verbindlichkeiten gegenüber Arbeitsgemeinschaften Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen und Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht Sonstige Verbindlichkeiten davon im Rahmen der sozialen Sicherheit

47.012 8 2337 6018 8363

58.301 32 3202 6258 9492

36.470 2

3965 (450)

5241 (944) 41.991 3

3063 890 190 6.397 7477 6156 2766 9780 12.940 863

Vorjahr T€ 1000 1023 750 290

Berichtsjahr T€ 1500 1574 750 410 159 4393 1744 364 9806 11.914 6572 3.017 12.409 13.465 1287

56 C. J. Diederichs et al.

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

gen im Vorratsvermögen mit ihren Herstellungskosten oder ihren „niedrigeren beizulegenden Werten“ bilanziert. Erhaltene Abschlagszahlungen werden in der Vorspalte von den bilanzierten Werten abgesetzt. Erhaltene Vorauszahlungen sind dagegen als Verbindlichkeiten auf der Passivseite auszuweisen“ (Leimböck et al. 2017, S. 491 f.). II. Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände Hierzu zählen Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, auch gegen verbundene Unternehmen und gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, sowie sonstige Vermögensgegenstände. Die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sind bei Bauunternehmen im Wesentlichen ausstehende Schlusszahlungen für schlussabgerechnete Aufträge, bei Projektentwicklungsgesellschaften im Wesentlichen Forderungen aus Vermietungen. Forderungen gegenüber Arbeitsgemeinschaften (ARGEN) entstehen aus Bareinlagen z. B. für die Anfangsfinanzierung, aus Gerätevermietung an die ARGE und anderen Lieferungen und Leistungen sowie aus dem Anspruch auf anteilige Ergebnisse nach Abschluss der ARGEN. Die sonstigen Vermögensgegenstände bilden einen Sammelposten für nicht an anderer Stelle konkret bezeichnete Titel wie kurzfristige Darlehen und geleistete Reisekostenvorschüsse sowie Steuererstattungsansprüche. III. Wertpapiere Hierzu zählen Anteile an verbundenen Unternehmen, eigene Anteile und sonstige Wertpapiere. IV. Liquide Mittel Dazu gehören Kassenbestände, Bankguthaben, Schecks und kurzfristig liquidierbare Wertpapiere. Aktive Rechnungsabgrenzungsposten Zur periodengerechten Ergebnisabgrenzung müssen solche Ausgaben und Einnahmen korrigiert werden, die nicht Aufwand oder Ertrag des laufenden, sondern des folgenden Geschäftsjahres darstellen. Als aktive Rechnungsabgrenzungspos-

57

ten kommen i. d. R. nur Ausgaben in Betracht, die vor dem Bilanzstichtag angefallen sind, als Aufwand aber der Zeit nach dem Stichtag zuzurechnen sind. Hierzu zählen z. B. Vorauszahlungen für Mieten und Versicherungsprämien. Im neuen Geschäftsjahr wird das aktive Rechnungsabgrenzungskonto zu Lasten des Aufwandskontos (sonstige betriebliche Aufwendungen, hier Mieten und Versicherungsprämien) aufgelöst. Der vorausbezahlte Betrag wird damit dem neuen Geschäftsjahr aufwandsmäßig zugerechnet. Aktive latente Steuern Die aktiven latenten Steuern sind verborgene zukünftige Steuervorteile, die sich auf Grundlage von Unterscheidungen in der Bewertung von Vermögensgegenständen oder im Ansatz zwischen der Handels- und der Steuerbilanz ergeben. Die Steuerentlastung ist erkenntlich, wenn die Aktivseite in der Handelsbilanz kleiner ist als die Aktivseite in der Steuerbilanz bzw. wenn die Passivseite in der Handelsbilanz größer ist als die Passivseite in der Steuerbilanz (§ 274 HGB). Passiva Die Passivseite der Bilanz stellt die Mittelherkunft dar. Der Leser der Bilanz erfährt durch die Passiva, aus welchen Mitteln einzelne Vermögenspositionen finanziert wurden (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 648). Auf der Passivseite der Bilanz (Vermögensquellen) wird gemäß § 266 Abs. 3 HGB nach Eigenkapital, Rückstellungen, Verbindlichkeiten, Passive Rechnungsabgrenzungsposten und Passiven latenten Steuern unterschieden. Eigenkapital Eigenkapital (EK) unterscheidet sich vom Fremdkapital dadurch, dass es dem Unternehmen i. d. R. zeitlich unbegrenzt zur Verfügung steht. Bei Personengesellschaften ist die dauerhafte Verfügbarkeit rechtsformbedingt nicht gesichert. Eigenkapital hat im Gegensatz zum Fremdkapital keinen Anspruch auf Verzinsung und Rückzahlung bestimmter Beträge zu bestimmten Terminen. Es ist dagegen gewinnberechtigt. Gewinn kann allerdings erst entstehen, wenn alle Kosten des Unternehmens gedeckt sind. Verbleibt bei Auflösung eines Unternehmens nach Erfüllung

58

der Verpflichtungen aus Fremdfinanzierung ein Erlös, steht dieser Betrag als Rückvergütung für das Eigenkapital zur Verfügung. Solche Auflösungen sind bei ARGEN der Bauwirtschaft regelmäßige Geschäftsvorfälle. Eigenkapital gibt das Recht zur alleinigen oder anteiligen Geschäftsführung. Dieses Recht ist sowohl nach dem anteiligen Umfang des Eigenkapitals als auch nach der Rechtsform des Unternehmens unterschiedlich. Dem Recht zur Geschäftsführung steht die Haftung für die Verbindlichkeiten des Unternehmens gegenüber. Persönlich haftende Gesellschafter müssen mit ihrem gesamten Vermögen haften. Gemäß § 266 Abs. 3 HGB setzt sich das Eigenkapital einer Kapitalgesellschaft aus folgenden Posten zusammen: I. Gezeichnetes Kapital, II. Kapitalrücklage, III. Gewinnrücklagen (gesetzliche, für eigene Anteile, satzungsmäßige, andere), IV. Gewinnvortrag/Verlustvortrag und V. Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag. Nach § 272 Abs. 1 HGB ist gezeichnetes Kapital das Kapital, auf das die Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Kapitalgesellschaft gegenüber den Gläubigern beschränkt ist. In einer GmbH ist das Stammkapital und bei einer Aktiengesellschaft das Grundkapital als gezeichnetes Kapital gem. § 42 Abs. 1 GmbHG bzw. § 152 Abs. 1 AktG auszuweisen. Kapitalrücklagen sind gemäß § 272 Abs. 2 HGB die Beträge, die bei der Ausgabe von Anteilen (Aktien, GmbH-Anteile) über den Nennbetrag hinaus erzielt werden (Aufgeld oder Agio), sowie Zuzahlungen, die Gesellschafter gegen Gewährung eines Vorzugs für ihre Anteile leisten. Als Gewinnrücklagen dürfen gemäß § 272 Abs. 3 HGB nur Beträge ausgewiesen werden, die im Geschäftsjahr oder in einem früheren Geschäftsjahr aus erzielten und bilanzierten, aber nicht ausgeschütteten Gewinnen des Unternehmens gebildet wurden. Dazu gehören u. a. aus dem Ergebnis zu bildende gesetzliche Rücklagen. Gemäß § 150 Abs. 2 AktG sind in die gesetzliche Rücklage 5 % des um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschusses einzustellen, bis

C. J. Diederichs et al.

die gesetzliche Rücklage und die Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 HGB  10 % des Grundkapitals erreichen (gemäß Satzung ggf. mehr). Rückstellungen Gemäß § 249 HGB sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden, die zwar dem Grunde nach bekannt, aber hinsichtlich ihrer Höhe oder des Zeitpunkts ihres Eintritts unbestimmt sind. Sie führen damit vermutlich erst in späteren Rechnungsperioden zu Ausgaben, sind wirtschaftlich betrachtet aber schon in der abgelaufenen Periode entstanden und daher als Aufwand der laufenden Periode zu berücksichtigen. Sie dienen damit der periodengerechten Verrechnung. Besondere Bedeutung in der Wirtschaft haben Gewährleistungsrückstellungen aus Planer- und Bauverträgen. Gemäß § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB verjähren Mängelansprüche in 5 Jahren bei einem Bauwerk und einem Werk, dessen Erfolg in der Erbringung von Planungs- oder Überwachungsleistungen hierfür besteht. Ist bei einem Bauvertrag die Vergabe und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil B Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B), vereinbart, so beträgt gemäß § 13 Nr. 4 Abs. 1 die Verjährungsfrist für Mängelansprüche für Arbeiten an einem Bauwerk 4 Jahre, für Arbeiten an einem Grundstück und für die vom Feuer berührten Teile von Feuerungsanlagen 2 Jahre, sofern keine andere Verjährungsfrist im Vertrag vereinbart ist. Ohne näheren Nachweis der tatsächlichen Gewährleistungsaufwendungen erkennen die Finanzämter im Rahmen von Betriebsprüfungen erfahrungsgemäß einen pauschalen Ansatz von 1,0 % der Schlussabrechnungssumme im ersten Jahr der Gewährleistungsfrist und eine lineare Abminderung über den Gewährleistungszeitraum an, d. h. bei einer Verjährungsfrist von 5 Jahren 0,8 % im 2. Jahr und schließlich 0,2 % im 5. Jahr. Die jeweils frei werdenden Rückstellungsbeträge müssen in den darauf folgenden Geschäftsjahren aufgelöst bzw. durch neue Rückstellungen für neue Gewährleistungsverpflichtungen ersetzt werden. Kommt es zu einer Verminderung der Rückstellungen im Folgejahr im Vergleich zu

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

dem Ansatz im laufenden Jahr, so führt dies zu einem „Ertrag aus der Auflösung von Rückstellungen“ und damit zu einer Ergebnisverbesserung. Weitere Rückstellungen fallen regelmäßig an für im Geschäftsjahr nicht in Anspruch genommene Urlaubszeiten sowie für Steuern und Kosten des Jahresabschlusses. Gemäß § 249 Abs. 1 Nr. 2 HGB sind Rückstellungen auch zu bilden für Gewährleistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden (Kulanzleistungen). Ferner dürfen Rückstellungen gebildet werden für unterlassene Aufwendungen für Instandhaltung, wenn diese innerhalb von 3 Monaten des folgenden Geschäftsjahres nachgeholt werden. Verbindlichkeiten Verbindlichkeiten sind Verpflichtungen des Unternehmens, die dem Grunde und der Höhe nach sowie hinsichtlich des Zeitpunktes ihrer Fälligkeit feststehen und i. d. R. Zahlungsverpflichtungen sind. Nur bei erhaltenen Anzahlungen (Vorauszahlungen) bestehen Verpflichtungen des Unternehmens zu Lieferungen oder Leistungen. Sie stehen mit dem Auszahlungsbetrag in der Bilanz. Bei verzinslichen Zahlungsverpflichtungen ist die Summe aus Zinszahlungen und Kreditrückzahlungsbeträgen auszuweisen. Kennzeichen von Verbindlichkeiten bzw. von Fremdkapital (FK) sind vertragliche und damit rechtsverbindlich vereinbarte Verpflichtungen des Kreditnehmers über Zins- und Tilgungszahlungen oder die Erbringung von Bauleistungen bei erhaltenen Vorauszahlungen. Die Zahlungsverpflichtungen des Kreditnehmers bestehen unabhängig von seiner Zahlungsfähigkeit. Passive Rechnungsabgrenzungsposten Gemäß § 250 Abs. 2 HGB sind als Passive Rechnungsabgrenzungsposten Einnahmen vor dem Bilanzstichtag auszuweisen, soweit sie Ertrag für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen, z. B. erhaltene Mietvorauszahlungen. Passive latente Steuern Die passiven latenten Steuern sind verborgene zukünftige Steuerlasten, die sich auf Grundlage von Unterscheidungen in der Bewertung von Vermögensgegenständen oder im Ansatz zwischen

59

der Handels- und Steuerbilanz ergeben. Die Steuerbelastung ist erkenntlich, sobald die Aktivseite in der Handelsbilanz größer ist als die Aktivseite in der Steuerbilanz bzw. wenn die Passivseite in der Handelsbilanz kleiner ist als die Passivseite in der Steuerbilanz (§ 274 HGB). Haftungsverhältnisse Gemäß § 251 HGB sind Haftungsverhältnisse, sofern sie nicht auf der Passivseite auszuweisen sind, unter der Bilanz als Verbindlichkeiten „unter dem Strich“ aus der Begebung und Übertragung von Wechseln, aus Bürgschaften, Wechsel- und Scheckbürgschaften und aus Gewährleistungsverträgen sowie Haftungsverhältnisse aus der Bestellung von Sicherheiten für fremde Verbindlichkeiten zu vermerken. Der Ausweis der Haftungsverhältnisse ist wichtig, da der Unternehmer damit rechnen muss, aus ihnen in Anspruch genommen zu werden. Droht eine solche Inanspruchnahme konkret bei der Bilanzaufstellung, ist die betreffende Verpflichtung direkt als Rückstellung zu bilanzieren und nicht unter den Haftungsverhältnissen aufzuführen. Die ausgewiesenen Haftungsverhältnisse stellen insoweit nur „Eventualverbindlichkeiten“ dar, mit deren Eintritt nicht ernsthaft gerechnet wird. Hier ist jedoch Vorsicht geboten, da Konzernbürgschaften oder Patronatserklärungen, wie sie von großen Unternehmen vielfach für ihre Beteiligungsgesellschaften gegeben werden, um deren Kreditwürdigkeit gegenüber Kreditinstituten und Lieferanten zu stärken, in der Bauwirtschaft wegen der anhaltenden Strukturkrise in den vergangenen Jahren verstärkt in Anspruch genommen wurden. Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) Die Bilanz als Zeitpunktdarstellung wird ergänzt um eine Zeitraumdarstellung: die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV). Für die Gliederung der GuV der Kaufleute, die keine Kapitalgesellschaften sind, gibt es keine Vorschriften. Gemäß § 275 HGB ist die Gewinn- und Verlustrechnung in Staffelform nach dem Gesamtkostenverfahren des Absatzes 2 oder dem Umsatzkostenverfahren des Absatzes 3 aufzustellen. Wesentlich sind hierbei die Änderungen durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG). Durch das Inkrafttreten des BilRUG

60

im Jahr 2015 sind die außerordentlichen Aufwendungen und Erträge entfallen und werden jenen Positionen in der Gewinn- und Verlustrechnung zugewiesen, denen sie zuzuordnen sind. Das Gesamtkostenverfahren und das Umsatzkostenverfahren sind hierbei in der jeweiligen Reihenfolge der Posten gemäß § 275 Abs. 2 bzw. Abs. 3 HGB auszuweisen, wobei Kleinstkapitalgesellschaften nach § 275 Abs. 5 HGB eine verkürzte GuV-Darstellung zur Offenlegung verwenden können. Beim Gesamtkostenverfahren (Produktionsrechnung) besteht der Ertrag in der Gesamtleistung der Periode (Umsatzerlöse ./. Bestandsabnahme + Bestandserhöhung) und der Aufwand im Produktionsaufwand der Periode. Beim Umsatzkostenverfahren (Umsatzrechnung) wird der Ertrag nur durch die Umsatzerlöse bewertet, während der Umsatzaufwand sich zusammensetzt aus Produktionsaufwand + Bestandsabnahme ./. Bestandserhöhung. Das Gesamtkosten- und das Umsatzkostenverfahren führen zu demselben Jahresergebnis. In der Bauwirtschaft wird das Gesamtkostenverfahren bevorzugt. Der Ertrag und damit die

C. J. Diederichs et al.

Bauleistung ergibt sich aus dem Umsatz der Periode, korrigiert um die Veränderung der Bestände an unfertigen Bauten. Im Aufwand wird der Produktionsaufwand der Abrechnungsperiode erfasst. Abb. 34 zeigt die hierarchische Struktur des Gesamtkostenverfahrens vom Bilanzgewinn bzw. -verlust zu den Ausgangsdaten. Die Gliederung der Kontenklassen 5 bis 7 des BKR 2016 entspricht im Wesentlichen derjenigen nach dem Gesamtkostenverfahren gemäß § 275 Abs. 2 HGB. Zu den nachfolgenden Erläuterungen wird verwiesen auf Tab. 6. Umsatzerlöse Die ausgewiesenen Umsatzerlöse weisen nicht alle Bauleistungen des Berichtsjahres, sondern nur die im Geschäftsjahr schlussabgerechneten Bauaufträge aus, jedoch mit vollen Auftragswerten, auch soweit sie aus Bauleistungen von Vorjahren stammen. Falls Aufträge im Geschäftsjahr begonnen und beendet wurden, sind beide Rechnungsgrößen identisch. Die Position „Erhöhung (oder Minderung) des Bestandes an nicht abgerechneten Bauten“

Abb. 34 Hierarchische Struktur der Gliederung der GuV nach dem Gesamtkostenverfahren gemäß § 275 Abs. 2 HGB

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

61

Tab. 6 Beispiel einer Gewinn- und Verlustrechnung nach Gesamtkostenverfahren gem. § 275 Abs. 2 HGB

Umsatzerlöse aus der Immobilienwirtschaft Erhöhung oder Verminderung des Bestandes zum Verkauf bestimmter Grundstücke mit fertigen und unfertigen Bauten sowie unfertigen Leistungen Andere aktivierte Eigenleistungen Gesamtleistung Sonstige betriebliche Erträge Betriebliche Erträge gesamt Aufwendungen für Immobilienbewirtschaftung Aufwendungen für Verkaufsgrundstücke Aufwendungen für andere Lieferungen und Leistungen Personalaufwand - Löhne und Gehälter - Soziale Abgaben und Aufwendungen für Altersversorgung und Unterstützung - (davon Altersversorgung: 346) Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens und Sachanlagen Sonstige betriebliche Aufwendungen Betriebliche Aufwendungen gesamt Betriebliches Ergebnis Erträge aus Beteiligungen Erträge aus Gewinnabführungsverträgen Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge Zinsen und ähnliche Aufwendungen Aufwendungen aus Verlustübernahme Steuern vom Einkommen und vorn Ertrag Sonstige Steuern Jahresüberschuss Gewinnvortrag Einstellungen in Gewinnrücklagen Bilanzgewinn

Berichtsjahr (in T€) 185.961 2434

Vorjahr (in T€) 175.916 2836

302 188.697 15.489 204.186 80.901 1379 15.738

427 179.179 6975 186.154 82.013 82 1809

8665 375

9311 2819

29.366

27.543

3405 139.829 64.357 230 100 446 55.873

5994 129.571 56.583 227 350 510 50.620 5210 203 14 1623 413 1955 81

828 25 8407 704 6180 2931

Quelle: Leimböck et al. 2017, S. 489

gibt die jeweilige Veränderung in Bezug auf das Vorjahr an. Wegen der geringen Aussagekraft der Erlöse ist daher stets eine gesonderte Aufstellung der Jahresleistung erforderlich. Aus der Beteiligung des Unternehmens an ARGEN ergeben sich Umsatzerlöse durch Leistungen des Unternehmens für ARGEN sowie anteilige ARGE-Ergebnisse, die als sonstige betriebliche Erträge gebucht werden. Die dadurch bewirkten Aufwendungen werden als sonstige betriebliche Aufwendungen verbucht. Bestandsveränderungen an nicht abgerechneten Bauten werden mit Herstellungskosten oder dem „niedrigeren beizulegenden Wert“ (z. B. bei

absehbaren Verlusten), die Umsatzerlöse dagegen mit ihren Vertragspreisen angesetzt. Bei „anderen aktivierten Eigenleistungen“ handelt es sich um selbst erstellte Anlagengegenstände, die mit den dadurch entstandenen und gebuchten Aufwendungen und damit ergebnisneutral zu bewerten sind. Erträge aus der Auflösung von Rückstellungen sind in der Bauwirtschaft vor allem solche aus nicht mehr bestehenden Gewährleistungsverpflichtungen. Zusätzlich werden auch Erträge aus Beteiligungen, aus anderen Wertpapieren und Ausleihungen des Finanzvermögens, aus Zinsen und sonstigen betrieblichen Erträgen erfasst.

62

C. J. Diederichs et al.

Aufwendungen Zu den maßgeblichen Aufwendungen nach dem Gesamtkostenverfahren gemäß § 275 Abs. 2 HGB gehören: • Materialaufwand für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und für bezogene Waren sowie für bezogene Leistungen • Personalaufwendungen mit Löhnen und Gehältern sowie sozialen Abgaben und Aufwendungen für Altersversorgung und für Unterstützung • Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens und Sachanlagen sowie auf Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens, soweit diese die in der Kapitalgesellschaft üblichen Abschreibungen überschreiten • Zinsen und ähnliche Aufwendungen • Sonstige betriebliche Aufwendungen wie z. B. Verluste aus dem Abgang von Gegenständen des Anlage- oder Umlaufvermögens Weitere sonstige betriebliche Aufwendungen sind z. B. die Zuführung zu Rückstellungen wegen Gewährleistungsverpflichtungen und Aufwendungen des Bürobetriebes, d. h. der Allgemeinen Geschäftskosten ohne Personalaufwand (jedoch für Kommunikation, Beiträge, Versicherungen, Kosten des Aufsichtsrates oder des Beirates, der Haupt- oder Gesellschafterversammlung, Rechts- und Beratungskosten etc.).

führung muss die Summe aller Sollseiten auch der Summe der Habenseiten entsprechen. Gemäß § 240 HGB hat jeder Kaufmann zu Beginn seines Handelsgewerbes und für den Schluss eines jeden Geschäftsjahres ein Inventar seiner Vermögenswerte und seiner Verbindlichkeiten aufzustellen. Dabei ist für die realen Vermögensgegenstände i. d. R. alle drei Jahre eine körperliche Bestandsaufnahme durchzuführen, soweit nicht durch Anwendung eines den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechenden anderen Verfahrens gesichert ist, dass der Bestand der Vermögensgegenstände nach Art, Menge und Wert auch ohne eine körperliche Bestandsaufnahme für diesen Zeitpunkt festgestellt werden kann. Aufgrund des Inventurergebnisses sind sodann die vorbereitenden Abschlussbuchungen zur Rechnungsabgrenzung und zum internen Kontenausgleich vorzunehmen, die folgende Bereiche betreffen: • die Beständeerfassung, • die Aktivierung unfertiger Bauleistungen und Bestandsveränderungen, • die Abschreibungen, • die Rückstellungen sowie • die aktiven und passiven Rechnungsabgrenzungen.

Steuern vom Einkommen und Ertrag Die Steuern vom Einkommen und Ertrag beinhalten die Gewinnsteuern, d. h. Gewerbeertragsteuer und Körperschaftsteuer mit dem Solidaritätszuschlag, die das Unternehmen als Steuerschuldner zu entrichten hat. Hierzu zählen auch Nachzahlungen sowie Erstattungen aus den Vorjahren.

Nach diesen Ergänzungsbuchungen kann die Schlussbilanz erstellt werden. Die Differenz zwischen der Summe der Aktiva und der Summe der Passiva entspricht dem Bilanzgewinn. Die Salden der Erfolgskonten werden ebenfalls zur GuV-Rechnung abgeschlossen. Der Unterschied zwischen Aufwendungen und Erträgen stellt wiederum Gewinn oder Verlust dar. Dem Wesen der doppelten Buchführung entsprechend wird der Jahresgewinn damit in doppelter Weise nachgewiesen.

3.2

3.3

Jahresabschluss

Um die rechnerische und buchungstechnische Richtigkeit der Buchführung festzustellen, ist für den Jahresabschluss zunächst eine Rohbilanz aufzustellen. Nach dem System der doppelten Buch-

Anhang

Die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften gem. § 264 Abs. 1 HGB, Personengesellschaften i.S.d. § 264a HGB und Unternehmen, die dem Publizitätsgesetz unterliegen, müssen den Jahresab-

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

schluss um einen Anhang erweitern. Bei der Erstellung des Anhangs muss berücksichtigt werden, dass dieser mit der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung eine Einheit bilden muss (§ 264 HGB). Für Kleinstkapitalgesellschaft entfällt gem. § 267a HGB die Pflicht, den Jahresabschluss um einen Anhang zu erweitern. Durch den Anhang wird zusätzlich zum Jahresabschluss der Rechnungslegungsgrundsatz unterstützt, dass ein entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und der Ertragslage zu vermitteln ist (§ 264 Abs. 2 HGB). Der Anhang soll hierbei insbesondere zusätzliche Informationen enthalten, die keinen unmittelbaren Zusammenhang zum Jahresabschluss aufweisen. Zu den Pflichtangaben im Anhang gehören die Informationen, die zwingend nach den §§ 284 bis 288 HGB zu nennen sind. Hierzu zählen insbesondere Angaben • zu den angewandten Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden innerhalb der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung (§ 284 Abs. 2 Nr. 1 HGB), • zur Erläuterung und Begründung von Abweichungen innerhalb der Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden und des Einflusses auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (§ 284 Abs. 2 Nr. 2 HGB), • über die Ausweisung von Unterschiedsbeträgen als auch die Einbeziehung von Zinsen für Fremdkapital in die Herstellungskosten (§ 284 Abs. 2 Nr. 3–4 HGB), • zur Entwicklung einzelner Posten des Anlagevermögens in gesonderter Aufgliederung in Form eines Anlagenspiegels (§ 284 Abs. 3 HGB) und • sonstige Pflichtangaben gem. § 285 HGB. Berichtende Unternehmen haben die Möglichkeit, Wahlpflichtangaben bzw. Angaben, die nicht in der Bilanz bzw. Gewinn- und Verlustrechnung gemacht wurden, in den Anhang aufzunehmen. Hierbei soll insbesondere der Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit umgesetzt werden (§§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB). Auch die zusätzlichen Angaben im Anhang dienen dazu, ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln (§ 264 Abs. 2, S. 2 HGB).

63

Anlagenspiegel Der Anlagenspiegel bzw. das Anlagengitter stellt, ausgehend von der Eröffnungsbilanz, die Entwicklung des Anlagevermögens innerhalb eines Geschäftsjahres dar. Gemäß § 284 Abs. 3 HGB muss der Anlagenspiegel in den Anhang eingebettet werden. Kleinstkapitalgesellschaften nach § 267a Abs. 1 sind nach dem Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) von einer Erstellung und Einreichung eines Anhangs und somit auch der Einreichung des Anlagenspiegels befreit. Ausgehend von den gesamten Anschaffungs- und Herstellungskosten sind die Zugänge, Abgänge, Umbuchungen und Zuschreibungen sowie die Abschreibungen während des Geschäftsjahres gesondert aufzuführen. In Herstellungskosten einbezogene Zinsen für Fremdkapital sind für jeden Posten im Anlagevermögen anzugeben. Die Abschreibungen müssen gesondert mit folgenden Angaben beschrieben werden: • Angabe der gesamten Höhe zu Beginn und Ende des Geschäftsjahres • Vorgenommene Abschreibungen im Laufe des Geschäftsjahres • Änderungen in den Abschreibungen in der gesamten Höhe im Zusammenhang mit Abund Zugängen sowie Umbuchung im Laufe des Geschäftsjahres In der Tab. 7 ist die gesetzliche Strukturierung des Anlagenspiegels exemplarisch für die Bilanzposition „Technische Anlagen und Maschinen“ (Spalte 1) der Jahre 2016 und 2017 (Spalte 2) dargestellt. Die Gliederung und Systematik der Spalten ist wie folgt: (3) Gesamte Anschaffungs- und Herstellungskosten, (4) Zugänge, (5) Abgänge, (6) Umbuchungen, (7) Zuschreibungen des Geschäftsjahres, (8) kumulierte Abschreibungen, (9) Abschreibungen im Geschäftsjahr und (10) Restbuchwert am Ende des Geschäftsjahres.

64

C. J. Diederichs et al.

Tab. 7 Anlagenspiegel nach § 284 Abs. 3 (1)

Jahr 2016

2017

(2) Bilanzposition Techn. Anlagen und Maschinen ”

(3)

AHK 300

(4)

(5)

(6)

(7)

Zugänge (+)

Abgänge (-) 100

Umbuchungen (+/-)

Zuschreibungen

200

(8) kum. Abschreibungen 60

(9) Abschreibungen im GJ 25

(10) RBW – GJ 140

80

20

120

Quelle: Sicherer 2016, S. 45

3.4

Lagebericht

Der Lagebericht ist Bestandteil der Berichtspflichten für die gesetzlichen Vertreter von mittleren und großen Kapitalgesellschaften gem. § 264 Abs. 1 HGB, Personengesellschaften i.S.d. § 264a HGB und Unternehmen, die dem Publizitätsgesetz unterliegen. Der Lagebericht dient als zusätzliche Information zum Jahresabschluss und soll wie der Anhang ein entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermitteln gem. § 264 Abs. 2 HGB. Der Bericht orientiert sich an der gegenwärtigen und zukünftigen Situation im Hinblick auf Chancen und Risiken des Unternehmens. Nach § 289 Abs. 1 HGB muss der Lagebericht den Geschäftsverlauf einschließlich des Geschäftsergebnisses und die Lage der Gesellschaft so darstellen, dass ein entsprechendes Bild über die tatsächlichen Verhältnisse vermittelt wird. In diesem Berichtsbestandteil müssen folgende Sachverhalte der Gesellschaft beschrieben werden (§ 289 HGB):

• Ziele und Methoden des Risikomanagements sowie Methoden zur Absicherung aller Arten von Transaktionen, die im Rahmen der Bilanzierung von Sicherungsgeschäften erfasst werden (§ 289 Abs. 2 Nr. 1a) • Risiken in Bezug auf Preisänderung, Ausfall, Liquidität und Zahlungsstromschwankungen (§ 289 Abs. 2 Nr. 1b) • Forschung und Entwicklung (§ 289 Abs. 2 Nr. 2) • Bestehende Zweigniederlassungen der Gesellschaft (§ 289 Abs. 2 Nr. 3)

3.5

Kapitalflussrechnung

Die Kapitalflussrechnung hat das Ziel, den Zahlungsmittelstrom eines Unternehmens transparent zu machen. Die GuV-Rechnung stellt lediglich Ertrag und Aufwand gegenüber, jedoch nicht Einzahlungen und Auszahlungen. Dadurch können drohende Zahlungsengpässe nicht rechtzeitig erkannt werden. Die Insolvenzprophylaxe ist unzureichend. Man unterscheidet zwischen vergangenheitsund zukunftsorientierter (retro- und prospektiver) Kapitalflussrechnung. Die Beurteilung der künftigen Zahlungsfähigkeit ist nur auf Grund prospektiver Kapitalflussrechnung möglich, jedoch mit Unsicherheiten über die Prognosedaten behaftet. „Der Konzernabschluss besteht aus der Konzernbilanz, der Konzern-Gewinn- und Verlustrechnung, dem Konzernanhang, der Kapitalflussrechnung und dem Eigenkapitalspiegel. Er kann um eine Segmentberichterstattung erweitert werden“ (§ 297 Abs. 1 HGB). Eine Kapitalflussrechnung zeigt die Veränderung des Liquiditätspotenzials und deren Ursachen im Betrachtungszeitraum. Sie setzt sich zusammen aus dem Cashflow aus • laufender Geschäftstätigkeit, • der Investitionstätigkeit und • der Finanzierungstätigkeit. Ein Beispiel einer Konzern-Kapitalflussrechnung zeigt Tab. 8.

3.6

Eigenkapitalspiegel

Der Eigenkapitalspiegel ist gem. § 297 Abs. 1 HGB verpflichtende Komponente eines Konzern-

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

65

Tab. 8 Konzern-Kapitalflussrechnung der Hochtief AG im Jahr 2017 Nr. 1 2 3 4 5

Cashflow-Anteile in Tsd. EUR

7 8

Ergebnis nach Steuern Abschreibungen/Zuschreibungen Veränderung der Rückstellungen Veränderung der latenten Steuern Ergebnis aus dem Abgang von Anlagegegenständen und von kurzfristigen Wertpapieren Sonstige zahlungswirksame Aufwendungen und Erträge (im Wesentlichen Equity-Bewertung) sowie Ergebnisse aus Entkonsolidierungen Veränderung des Nettoumlaufvermögens Veränderung der sonstigen Bilanzposten

9

Net Cash aus laufender Geschäftstätigkeit

6

10 10a 10b 11 11a 11b 11c 12 13

Immaterielle Vermögenswerte, Sachanlagen und Investment Properties Investitionen Einnahmen aus Anlagenabgängen Akquisitionen und Beteiligungen Investitionen Einnahmen aus Anlagenabgängen/Desinvestments Ertragssteuerzahlungen im Zusammenhang mit Desinvestments Veränderung flüssiger Mittel aus Erst- und Entkonsolidierungen Veränderung der Wertpapiere und Finanzforderungen

14

Cashflow aus Investitionstätigkeit

15 16 17 18

23 24

Auszahlungen aus dem Rückkauf eigener Aktien Einzahlungen aus dem Verkauf eigener Aktien Auszahlungen aus dem Rückkauf eigener Aktien CIMIC Auszahlungen für den Erwerb von zusätzlichen Anteilen an Tochterunternehmen Auszahlungen aus dem Eigenkapital an Anteile ohne beherrschenden Einfluss Einzahlungen in das Eigenkapital durch Anteile ohne beherrschenden Einfluss Sonstige Finanzierungsvorgänge Dividenden an HOCHTIEF-Aktionäre und an Anteile ohne beherrschenden Einfluss Aufnahme von Finanzschulden Tilgung von Finanzschulden

25

Cashflow aus der Finanzierungstätigkeit

26

Zahlungswirksame Veränderungen der flüssigen Mittel

27

Einfluss von Wechselkursänderungen auf die flüssigen Mittel

28

Veränderungen der flüssigen Mittel insgesamt

19 20 21 22

2017

2016

582.487 369.441 -33.518 119.235

433.494 286.540 -81.797 83.054

-30.070

-6766

29.138 333.153 2224

66.152 384.812 7902

1.372.090

1.173.391

-357.373 105.583

-272.575 85.327

-65.540 69.122 -39.878 -104.343

-260.965 172.900 -21.546 163.986 66.701

-392.429

-66.172

1326 -

-79.656 1284 -286.731

-19.804

-276.598

-

-1162

13.564 -18.798

-12.644

-260.852 1.926.387 -2.107.217

-225.375 681.803 -936.495

-465.394

-1.135.574

514.267

-28.355

-266.769

67.074

247.498

38.719

29

Flüssige Mittel zum Jahresanfang

2.847.426

2.808.707

30

Flüssige Mittel zum Jahresende

3.094.924

2.847.426

Quelle: Hochtief AG – Konzernbericht 2017, S. 162

66

C. J. Diederichs et al.

abschlusses sowie gem. § 264 Abs. 1 HGB ein verpflichtender Bestandteil von kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften, die keinen Konzernabschluss erstellen. Der Eigenkapitalspiegel ist eine zeitraumbezogene Rechnung mit dem Ziel, den Adressaten aufzuzeigen, • wie sich das Eigenkapital zusammensetzt und • wie sich die jeweiligen Eigenkapitalposten verändert haben. Hierzu werden die Zugänge und Abgänge (z. B. Jahresüberschuss, Jahresfehlbetrag) gegenübergestellt und die Entwicklung der wirtschaftlichen Widerstandskraft dargestellt (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 749).

3.7

Segmentberichterstattung

Die Segmentberichterstattung hat die Aufgabe, segmentspezifische Unternehmensinformationen für die Leser des Geschäftsberichtes aufzubereiten. Die Segmentberichterstattung ist nach § 285 Nr. 4 HGB für den Einzelabschluss großer Kapitalgesellschaften und nach § 314 Abs. 1 Nr. 3 HGB für den Konzernabschluss zwingend vorgeschrieben. Es heißt dort gleichlautend „Ferner sind im Anhang anzugeben: [. . .] die Aufgliederung der Umsatzerlöse nach Tätigkeitsbereichen sowie nach geografisch bestimmten Märkten, soweit sich [. . .] die Tätigkeitsbereiche und geografisch bestimmten Märkte untereinander erheblich unterscheiden“. Bei der Berichterstattung nach Geschäftsfeldern unterscheiden Bauaktiengesellschaften z. B. nach • Ingenieurbau, Hoch- und Industriebau, Entwickeln und Betreiben, Dienstleistungen und Umwelt, oder nach • Airport, Development, Construction, Unternehmenszentrale/Konsolidierung/Management der finanziellen Ressourcen. Bei der Unterteilung der Leistungen nach Regionen werden z. B. unterschieden: Deutschland, übriges Europa, Amerika, Afrika, Asien und Australien.

3.8

Freiwillige Zusatzangaben

Durch freiwillige Zusatzinformationen versuchen viele Kapitalgesellschaften, ihr Ansehen bei den Bilanzadressaten (Stakeholdern) im Sinne einer aktiven Informationspolitik zu verbessern. Zu den zusätzlichen Informationen zählen z. B. eine Sozial- und Umweltberichterstattung sowie eine Mehrjahresübersicht. Sozial- und Umweltberichterstattung In ihren Geschäftsberichten machen immer mehr Unternehmen auf freiwilliger Basis Angaben zu ihren sozialen und ökologischen Leistungen. Die Sozialberichterstattung ist in erster Linie an die Belegschaft, die Umweltberichterstattung an die interessierte Öffentlichkeit gerichtet. Darüber hinaus sind diese Informationen für alle Stakeholder von Interesse. In der Sozialberichterstattung enthalten die Geschäftsberichte unter der Überschrift „Personal“ z. B. Angaben über die Zahl der Mitarbeiter, die Anpassung von Personalkapazitäten, den Tarifabschluss, die Ausgabe von Belegschaftsaktien und Aktienoptionen, die systematische Personalentwicklung und den Dank an die Mitarbeiter. Andere Unternehmen stellen heraus, dass sie in ihrer Personalplanung Kundenorientierung, unternehmerisches Denken, internationale Mobilität und Weiterbildung fördern. Durch die Personalund Führungskräfteentwicklung mit Mitarbeiterbeurteilungen, Potenzialanalysen und Nachfolgeplänen werde für einen adäquaten Mitarbeitereinsatz gesorgt. Das Engagement im ethisch-sozialen Bereich komme dadurch zum Ausdruck, dass sich die Mitarbeiter verpflichteten, weltweit verbindliche Verhaltensregeln (business ethics) einzuhalten. Durch die Umweltberichterstattung geben die Unternehmen Rechenschaft über die Auswirkungen ihres unternehmerischen Handelns auf die Umwelt. Es wird berichtet über Aufwendungen und Investitionen für den Umweltschutz sowie über Verfahren und Betriebsabläufe zur Gewährleistung ökologischer Arbeitsweisen. Im Vordergrund der Anstrengungen steht der Grundsatz nachhaltigen Handelns zur Schaffung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialem Engagement. Einige

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Unternehmen geben inzwischen regelmäßig Umweltberichte inklusive Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz heraus, um die erzielten Erfolge und noch bestehenden Defizite in den Bereichen Ökologie sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz gegenüber Kunden, Nachunternehmern und Mitarbeitern als integralen Bestandteil einer offenen und partnerschaftlichen Informationspolitik zu dokumentieren, dies nicht zuletzt deshalb, da dieser Bereich immer häufiger ein wichtiges Entscheidungskriterium bei der Auftragsvergabe für Großprojekte darstellt. Ergänzend ist zu erläutern, dass nachhaltige Handlungs- und Bauweise bedeutet, die Regenerationsfähigkeit der Natur in die Planungen mit einzubeziehen. Es darf nicht mehr verbraucht werden als in der Nutzungszeit wieder regeneriert werden kann. Eine nachhaltige Entwicklung erfüllt das Bedürfnis der handelnden Generation, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu gefährden (Getto 2002, S. 13). Diesen Anspruch verfolgen auch die internationalen und nationalen Bemühungen zur Umweltzertifizierung von Gebäuden wie z. B. das LEED Rating System (Leadership in Energy and Environmental Design), die Ansätze der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V. (DGNB) und das Bewertungssystem BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Methodology). Mehrjahresübersicht Der Mehrjahresübersicht ist eine zusätzliche Darstellung von Kennzahlen, die in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren vor dem Jahresbericht erfasst worden sind. Der Mehrjahresüberblick dient dazu, die Entwicklung von Kennzahlen zur Finanz-, Vermögens- und Ertragslage aufzuzeigen, um Chancen und Risiken von einzelnen Geschäfts- und Tätigkeitsbereichen zu bewerten.

3.9

Bilanzanalyse

Die Ziele der Bilanzanalyse bestehen in der Informationsverbesserung durch bedarfsgerechte Unterrichtung externer Bilanzadressaten. Ausgangsdaten sind der Jahresabschluss mit Anhang und

67

Lagebericht. Die Methodik besteht in der Bereinigung und bedarfsadäquaten Aufbereitung (Verdichtung) von Jahresabschlussdaten. Die Erkenntnisse aus der Bilanzanalyse eines Unternehmens werden wesentlich erhöht, wenn mehrere aufeinander folgende Jahresabschlüsse des Unternehmens und die Jahresabschlüsse von Unternehmen der gleichen Branche in die Untersuchung einbezogen werden. Ablauftechnisch lässt sich die Bilanzanalyse nach Wöhe et al. (2016, S. 824 ff.) in die drei Arbeitsschritte Datenaufbereitung, Kennzahlenbildung und Kennzahlenauswertung gliedern (Abb. 35). Aufbereitung von Jahresabschlussdaten Die Datenaufbereitung hat die Aufgabe, die Jahresabschlussangaben in materieller Hinsicht zu bereinigen und in formaler Hinsicht zur Erstellung einer Strukturbilanz und zur Erfolgsspaltung umzugliedern. Wertmäßige Bereinigung der Jahresabschlussdaten Durch eine solche Bereinigung sollen die Wertansätze einzelner Vermögenspositionen der Bilanz durch Schätzung den aktuellen Marktgegebenheiten angepasst werden. Da die Anschaffungskosten die Wertobergrenze bilden, stecken in schon lange zum Betriebsvermögen gehörenden Positionen vielfach erhebliche stille Zwangsrücklagen, insbesondere bei Grundstücken und Beteiligungen. Eine Abwertung von Vermögensgegenständen ist eher als Ausnahmefall anzusehen, da die handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften nach dem Niederstwertprinzip ohnehin den Ansatz eines niedrigeren beizulegenden Wertes für den Bilanzausweis vorschreiben. Bei den Passivpositionen können sich Rückstellungen als korrekturbedürftig erweisen. Bei dem Versuch, die Bilanzansätze für Aktiva und Passiva an die tatsächlichen Wertverhältnisse anzupassen, bietet die Berichterstattung im Anhang über die angewandten Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden sowie deren Änderung wertvolle Hinweise auf die vom Unternehmen verfolgte bilanzpolitische Strategie, stille Rücklagen zu bilden oder aufzulösen.

68

C. J. Diederichs et al.

Abb. 35 Arbeitsschritte der Bilanzanalyse. (Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 825)

Strukturbilanz Wichtige Daueraufgabe der Unternehmensführung ist für die Unternehmensexistenz die Sicherung der künftigen Zahlungsfähigkeit. Dazu hat die Praxis Finanzierungsregeln entwickelt. Hierbei wird zwischen vertikalen und horizontalen Finanzierungsregeln unterschieden. Die vertikalen Finanzierungsregeln beinhalten das Verhältnis zwischen Fremd- und Eigenkapital, wobei zum Teil ein Verhältnis von 1:1 gefordert wird (Thommen et al. 2017, S. 328). Die horizontalen Finanzierungsregeln stellen hingegen eine Beziehung zwischen der investitionsbedingten Dauer der Kapitalbindung (Aktiv-Seite) und der Dauer der Kapitalverfügbarkeit (Passiv-Seite) her. Der wesentliche Grundsatz besteht hierbei darin, Finanzierungsengpässe zu vermeiden, sodass die Dauer der Kapitalverfügbarkeit mindestens so lang wie Dauer der Kapitalbindung ist. Die goldene Finanzierungsregel fordert eine Fristenkongruenz zwischen der Mittelbindung auf der Aktivseite und der Kapitalverfügbarkeit auf der Passivseite. Die goldene Bilanzregel for-

dert eine pauschalierte Fristenkongruenz, wonach Anlagevermögen und langfristig gebundenes Umlaufvermögen durch Eigenkapital und langfristiges Fremdkapital finanziert werden müssen. Nur das kurzfristig gebundene Umlaufvermögen darf mit kurzfristigem Kapital finanziert werden. Finanzierungsregeln werden in Literatur und Praxis heftig kritisiert, da die Einhaltung der Finanzierungsregeln nicht unbedingt die Zahlungsfähigkeit garantiert und deren Missachtung auch nicht zwangsläufig zur Zahlungsunfähigkeit führt. In der Strukturbilanz ist die Umgliederung der Passivseite von besonderem Interesse: • Die Ordnung der Aktiv- und Passivseite mit Einbezug von Informationen zu Fristen nennt man Strukturbilanz. Das Gliederungsschema der Strukturbilanz weist auf der Aktivseite alle langfristig gebundenen Vermögensgegenstände dem Anlagevermögen zu, hingegen die kurzfristig gebundenen Vermögenswerte dem Umlaufvermögen. Auf der Passivseite besteht die Strukturbilanz aus Eigenkapital und

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Fremdkapital. Dem Eigenkapital wird der Status der langfristigen Verfügbarkeit zugeschrieben. Das Fremdkapital wird aufgeteilt in die Kategorien langfristig (länger als 5 Jahre), mittelfristig (1 bis 5 Jahre) und kurzfristig (weniger als 1 Jahr). • Der Bilanzgewinn wird dem kurzfristigen Fremdkapital zugeordnet, da schon wenige Monate nach dem Bilanzstichtag mit einem Mittelabfluss in Form von Dividendenzahlungen zu rechnen ist. • Rückstellungen sind dem kurzfristigen Fremdkapital zuzuordnen mit Ausnahme von evtl. Pensionsrückstellungen. Erfolgsspaltung Die Gewinn- und Verlustrechnung informiert die Bilanzadressaten über die Ertragslage des abgelaufenen Geschäftsjahres, jedoch fehlen in diesem Zusammenhang Informationen über die Qualität der Ertragslage. Der Jahresertrag setzt sich aus den regelmäßig und unregelmäßig bzw. aufgrund von besonderen Ereignissen einmalig anfallenden Komponenten zusammen. Um die Anteilseigner über die Qualität der Erträge im Jahresabschluss zu unterrichten, erfolgt eine Korrekturrechnung, in der die unregelmäßigen Komponenten aus dem Betriebs- und Finanzergebnis getrennt ausgewiesen werden. Diese Korrekturrechnung wird Erfolgsspaltung genannt. In der Gliederung der GuV nach dem Schema des HGB gem. § 275 Abs. 2 lassen sich durch eine Umgliederung das bereinigte Betriebs- und Finanzergebnis, das bereinigte Ergebnis aus gewöhnlicher Geschäftstätigkeit, das neutrale ErAbb. 36 Kennzahlenorientierte Bilanzanalyse. (Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 829)

69

gebnis, das Ergebnis vor Ertragsteuern und schließlich der Jahresüberschuss (plus) oder der Jahresfehlbetrag (minus) ableiten. Die Erfolgsspaltung verfolgt das Ziel, mit dem korrigierten Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit den nachhaltig erzielbaren Periodenerfolg auszuweisen. Eine betriebswirtschaftlich orientierte Erfolgsspaltung wird durch die GuV-Gliederung gem. § 275 HGB allerdings nicht gewährleistet (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 828 f.). Ermittlung und Auswertung von Kennzahlen Nach der Aufbereitung der Jahresabschlussdaten werden diese zu Kennzahlen verdichtet. Sie lassen sich in finanzwirtschaftliche und erfolgswirtschaftliche Kennzahlen einteilen (Abb. 36). Zur Ermittlung und Auswertung finanzwirtschaftlicher Kennzahlen zählen die Investitions-, die Finanzierungs- und die Liquiditätsanalyse. Investitionsanalyse Gegenstand der Investitionsanalyse ist die Durchleuchtung des Vermögenspotenzials eines Unternehmens. Zielsetzung ist es, aus der Vermögensstruktur Aussagen über die künftige Zahlungsfähigkeit abzuleiten. Dabei sind insbesondere die Selbstliquidationsperioden zu beachten, während derer die Vermögensgegenstände bei normalem Geschäftsablauf wieder zu liquiden Mitteln werden. Eine hohe Anlagenintensität wird von Kreditgebern kritisch gesehen, da der erwartete Mittelrückfluss erst langfristig zu erwarten ist (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 830). Wichtige Kennzahlen zur Investitionsanalyse zeigt Abb. 37.

70

C. J. Diederichs et al.

Abb. 37 Wichtige Kennzahlen zur Investitionsanalyse. (Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 830)

Abb. 38 Wichtige Kennzahlen zur Finanzierungsanalyse. (Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 831)

Finanzierungsanalyse Durch die Finanzierungsanalyse sollen Finanzierungsrisiken abgeschätzt werden. Diese sind besonders hoch bei kurzfristigen Darlehensverbindlichkeiten, da der Schuldner das Risiko einer Anschlussfinanzierung mit höherem Zinssatz hat. Ursachen einer Verringerung der Eigenkapitalquote im Zeitreihenvergleich können auf verstärkte Fremdfinanzierung zur Ausnutzung des Leverage-Effekts oder auf eine Aushöhlung der Eigenkapitalbasis durch Verluste zurückzuführen sein. Im Branchenvergleich zu hohe Fremdkapitalzinsen können u. a. darauf hinweisen, dass das Unternehmen wegen schlechter Bonität hohe Risikoaufschläge an seine Gläubiger zahlen muss. Der Bilanzkurs ist üblicherweise niedriger als der korrigierte Bilanzkurs nach Auflösung der stillen Reserven. Der Börsenkurs sollte wegen guter Ertragsaussichten und somit einem entspre-

chend hohen Firmenwert (Goodwill) stets deutlich darüber liegen (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 831). Die wichtigsten Kennzahlen zur Finanzierungsanalyse zeigt Abb. 38. Liquiditätsanalyse Liquiditätskennzahlen geben an, zu wie viel Prozent die kurzfristigen Verbindlichkeiten am Bilanzstichtag durch vorhandene Liquidität gedeckt sind. Durch Erweiterung der Zahlungsmittel um kurzfristige Forderungen und Vorräte gelangt man zu gestaffelten Liquiditätsgraden. Das Networking Capital ähnelt in seinem Aussagegehalt der Liquidität 3. Grades (Abb. 39). Alle Liquiditätskennzahlen liefern nur Aussagen über die Zahlungsfähigkeit an einem bereits vergangenen Stichtag. Die Stakeholder sind jedoch interessiert an Informationen über die künftige Zahlungsfähigkeit. Zur Schließung dieser Lücke werden die periodenbezogenen Einzahlungen und Auszahlun-

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

71

Abb. 39 Wichtige Kennzahlen zur Liquiditätsanalyse. (Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 832)

Abb. 40 Wichtige Kennzahlen zur Ergebnisanalyse. (Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 834)

gen herangezogen (Finanzplan). Durch Ermittlung des operativen Cashflows (Jahresüberschuss + Abschreibungen + Zuführung zu langfristigen Rückstellungen) wird deutlich, welches Innenfinanzierungsvolumen eines Unternehmens zur Finanzierung von Investitionen oder zur Rückzahlung von Fremdkapital eingesetzt werden kann. Dabei wird unterstellt, dass der Cashflow des abgelaufenen Jahres in Zukunft in gleicher Höhe erwirtschaftet werden kann (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 832–833). Die Ermittlung und Auswertung erfolgswirtschaftlicher Kennzahlen umfasst die Ergebnis-, Rentabilitätsund Break-Even-Analyse. Ergebnisanalyse Die Ergebnisquellenanalyse soll zeigen, welche Teile des Jahreserfolgs dem bereinigten Betriebsergebnis, dem bereinigten Finanzergebnis und dem neutralen Ergebnis im Sinne einer Erfolgsspaltung zuzuordnen sind.

Ergänzend soll die Analyse der Aufwands- und Ertragsstruktur zeigen, welchen Beitrag die einzelnen Aufwands- und Ertragskomponenten zur Erzielung des Gesamtergebnisses leisten (Abb. 40). Die Aufwand-Ertrag-Relationen geben Auskunft über die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Die Kennzahlen dürfen jedoch nicht isoliert, sondern müssen im gegenseitigen Verhältnis sowie im Zeitreihen- und im Branchenvergleich betrachtet werden. Die Ertrag-Ertrag-Relationen zeigen die Stärken und Schwächen des Unternehmens in den einzelnen Geschäftsfeldern bzw. in den einzelnen Regionen (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 833–834). Rentabilitätsanalyse Rentabilitätskennzahlen werden aus dem Verhältnis einer Ergebnisgröße (Gewinn, Jahresüberschuss, ordentliches Betriebsergebnis, Cashflow oder Bruttogewinn) zu einer Kapital- oder Ver-

72

C. J. Diederichs et al.

Abb. 41 Wichtige Kennzahlen zur Rentabilitätsanalyse. (Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 835)

mögensgröße (Eigenkapital, Gesamtkapital oder betriebsnotwendiges Vermögen) oder auch zum Umsatz gebildet (Abb. 41). Zur Beurteilung der Ertragskraft ist die Eigenkapitalrentabilität mit dem Vorjahr der branchenüblichen Eigenkapitalrentabilität oder der marktüblichen Verzinsung risikoadäquater Kapitalanlagen zu vergleichen. Dabei sollte von einem nachhaltig erzielbaren Gewinn vor (Ertrag-) Steuern ausgegangen werden. Im zwischenbetrieblichen Vergleich ist die Gesamtkapitalrentabilität ein zuverlässigerer Indikator, da sie die Ertragskraft des Unternehmens unabhängig von der Höhe des Verschuldungsgrads zeigt. Maßgebliche Größe für die Höhe der Eigenkapital-, Gesamtkapital- und Umsatzrentabilität ist daher der Gewinn. Die Verwendung des Cashflows ist dagegen wegen seiner wesentlichen Aufwandsbestandteile problematisch, wenngleich er zur Quantifizierung des Innenfinanzierungsvolumens unverzichtbar ist. Der Gewinn je Aktie ist für Anleger eine wichtige Erfolgskennziffer, jedoch weniger für die abgelaufene, sondern vielmehr für die laufende Periode. Änderungen der Gewinnprognosen der Bilanzanalysten haben daher entsprechende Kursänderungen an der Börse zur Folge. Bei den Anlageempfehlungen (Kaufen, Halten, Verkaufen) hat die Price-Earnings-Ratio bzw. das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) eine große Bedeutung. Ein KGV von z. B. 25 entspricht einer erwarteten Kapitalverzinsung von 4 %. Bei vordergründiger Betrachtung sind

Aktien mit einem niedrigen KGV kaufenswerter als Aktien mit einem hohen KGV. Diese Vermutung ist jedoch nicht zwingend, da das KGV auf Grundlage von Gewinnerwartungen des laufenden Geschäftsjahres gebildet wird. In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass in Krisenbranchen die Gewinne zukünftig sinken und in Wachstumsbranchen die Gewinne zukünftig steigen (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 837). Beim Return-On-Investment (ROI) bilden der Gewinn (vor Steuern) und die Fremdkapitalzinsen (FKZ) im Verhältnis zum Gesamtkapital eine adäquate Ergebnisgröße für die Gesamtkapitalrentabilität:

ROI ¼

Gewinn þ FKZ  100 Gesamtkapital

Erweitert man diesen Quotienten im Zähler und im Nenner um den Umsatz, dann erhält man ROI ¼

Gewinn þ FKZ Umsatz  Umsatz Gesamtkapital #

#

ROI ¼ Umsatzrentabilität  Kapitalumschlag Diese Kennzahlenerweiterung verdeutlicht, dass eine Steigerung der Gesamtkapitalrentabilität sowohl durch Erhöhung der Umsatzrentabilität als auch durch Erhöhung der Häufigkeit des Kapitalumschlags erreicht werden kann (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 837).

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Break-Even-Analyse Im Rahmen der Break-Even-Analyse (Gewinnschwellenanalyse) wird untersucht, inwieweit unterschiedliche Gewinnziele sich auf den Preis und die Kapazitätsauslastung auswirken (vgl. Thommen et al. 2017, S. 111). Die Analyse versucht, den Zeitpunkt der Gewinnschwelle durch Deckung der fixen und variablen Kosten (Break-Even-Point) im Jahresablauf zu ermitteln. Methode hierzu ist die Deckungsbeitragsrechnung mit Unterscheidung der Gesamtkosten einer Abrechnungsperiode in variable (leistungsabhängige) und fixe (der Deckung der Betriebsbereitschaft dienende) Kosten. Die Gewinnschwelle wird innerhalb eines Geschäftsjahres dann erreicht, wenn der Deckungsbeitrag (Erlöse ./. variable Kosten) die Fixkosten des Geschäftsjahres deckt. Dies ist bei den meisten Bauunternehmen – wenn überhaupt erst im letzten Quartal des Geschäftsjahres der Fall. Grenzen der Bilanzanalyse Die Bilanzanalyse soll Informationen zur Beurteilung der künftigen Zahlungsfähigkeit und des Zukunftserfolgspotenzials eines Unternehmens liefern. Die Mängel des Jahresabschlusses bestehen jedoch in der Informationslücke der folgenden Faktoren (Wöhe et al. 2016, S. 839): • Vollständigkeit: Qualität des Managements und der weiteren Mitarbeiter, Betriebsklima, Technologiepotenzial, Ruf des Unternehmens sowie selbst geschaffener Geschäfts- oder Firmenwert • Zukunftsbezogenheit: künftige Liquidität und Erfolge

73

• Objektivität: tatsächliches Vermögen und tatsächlicher Erfolg wegen der Dominanz des Vorsichtsprinzips und der unsicherheitsbedingten Bewertungssubjektivität Aus dem Jahresabschluss sind jedoch durchaus Indikatoren für starke oder schwache Unternehmen zu erkennen. Eine grobe Klassifizierung von Unternehmen wird in der Tab. 9 dargestellt.

3.10

Internationale Rechnungslegung

In Deutschland und in anderen Ländern waren die Rechnungslegungspflichten und -inhalte durch den Staat geregelt. Im Zuge der Globalisierung war es international schwer möglich, Rechnungslegungsdaten mit anderen Unternehmen zu vergleichen, sodass die Vergleichbarkeit nur im Inland gewährleistet war. Auf Grund dieser Tatsache hat die EU-Kommission im Juni 2000 die Anwendung der International Financial Reporting Standards (IFRS) bzw. die International Accounting Standards (IAS) als strategisches Ziel formuliert. Das Europäische Parlament und der Europäischen Rat haben im Jahr 2002 festgesetzt, dass kapitalmarktorientierte Unternehmen mit Sitz in der EU ab 2005 ihre Konzernabschlüsse nach den IFRS/IAS erstellen (Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 2002, EG Nr. 1606/ 2002). Neben den internationalen Rechnungslegungsstandards nach den IFRS/IAS, existiert in diesem Zusammenhang auch das Normensystem „United States Generally Accepted Accounting Princi-

Tab. 9 Indikatoren zur Grobklassifizierung von Unternehmen Indikator Außerplanmäßige Abschreibung Planmäßige Abschreibung Abwertung nach gemildertem Niederstwertprinzip Aktivierung von Verwaltungsgemeinkosten Rückstellungen Aktivierung von Entwicklungskosten Offene Rücklagen Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 840

Starkes Unternehmen Ja Degressiv Ja Nein Zuführung Nein Bildung

Schwaches Unternehmen Nein Linear Nein Ja Auflösung Ja Auflösung

74

C. J. Diederichs et al.

ples“ (US-GAAP) vom Financial Accounting Standard Board (FASB). Die US-GAAP wurden im Auftrag von der „Securities and Exchange Commission“ (SEC) entwickelt, um den Wertpapierhandel in den USA zu schützen. Ein Grund, warum das Normensystem in der Fachliteratur ebenfalls als internationales Rechnungslegungssystem klassifiziert wird, liegt in der internationalen Bedeutung der US-Börse. Da die US-GAAP jedoch nationale Normen sind, wird nachfolgend die Rechnungslegung nach IFRS vorgestellt (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 755 f.). Hauptunterschiede zwischen nationaler und internationaler Rechnungslegung Wichtige Unterscheidungsmerkmale der nationalen Rechnungslegung nach HGB und der internationalen Rechnungslegung nach IFRS sind (Wöltje 2016, S. 18–19): • • • • •

Rechnungslegungszweck Hauptadressat Normgeber Normfindung Grundsatz bzw. Grundprinzip

Zunächst unterscheiden sich die unterschiedlichen Rechnungslegungssysteme im Rechnungslegungszweck. Während die deutsche Rechnungslegung nach HGB dem Gläubigerschutz und der Kapitalerhaltung dient, verfolgt die internationale Rechnungslegung nach IFRS den Zweck, Anleger und Investoren zu schützen. Die Adressaten des HGB-Abschlusses sind hauptsächlich die Fremdkapitalgeber, weshalb dieser Abschluss auch als kreditorientierte Rechnungslegung betitelt wird. Die IFRS haben als Hauptadressaten die Eigenkapitalgeber, daher wird die internationale Rechnungslegung nach IFRS als kapitalmarktorientierte Rechnungslegung bezeichnet. Weiteres Unterscheidungskriterium ist der Normgeber. Während das HGB vom nationalen Gesetzgeber beschlossen wird, werden die IFRS von Fachleuten der IASB, mit Sitz in London, entwickelt. Ferner unterscheidet sich auch die Normfindung. Die Rechnungslegungsvorschriften des HGB folgen dem kontinentaleuropäischen „code

law“. Das bedeutet, dass die Vorschriften allgemeingültig formuliert sind, wodurch eine hohe gesetzliche Regelungsdichte besteht. Die IFRS folgen dem fallspezifischen Prinzip des angelsächsischen „case law“. Das bedeutet, dass die IFRS auf einer Vielzahl von Einzelfallregelungen basieren. Die nationale und internationale Rechnungslegung verfolgen dementsprechend auch einen unterschiedlichen Grundsatz. Durch das Gläubigerschutzprinzip berücksichtigt die HGBRechnungslegung ein Vorsichtsprinzip, die IFRS hingegen verfolgen mit dem Anleger- und Investorenschutz den Grundsatz der „fair presentation“. Demnach sind auch Abweichungen von den Einzelvorschriften nicht möglich.

Geltungsbereich der IFRS Zum Verständnis des Geltungsbereichs der IFRS muss zunächst der Unterschied zwischen einem Einzelabschluss und einem Konzernabschluss dargestellt werden. Der Einzelabschluss nach HGB gilt in Deutschland nur für ein rechtlich selbstständiges Unternehmen. Ein Konzern bezeichnet einen gesamten Unternehmensverbund, sodass ein Konzernabschluss die Einzelabschlüsse aller Unternehmen umfasst, die der wirtschaftlichen Einheit „Konzern“ zugehörig sind, wobei die sogenannten internen Leistungsbeziehungen aus dem Abschluss herauszurechnen sind (vgl. Thommen et al. 2017, S. 220). Der Konzernabschluss hat wie der Einzelabschluss eine Informationsfunktion gegenüber den Adressaten. Der Einzelabschluss hat hingegen gegenüber dem Konzernabschluss zusätzlich eine Zahlungsbemessungsfunktion. Das bedeutet, dass der Einzelabschluss die Grundlage für die Steuerund Ausschüttungsbemessung bildet. In diesem Zusammenhang sind alle deutschen Kapitalgesellschaften dazu verpflichtet, einen Einzelabschluss nach HGB zu erstellen. Zusätzlich zu diesem Jahresabschluss dürfen sie zu Informationszwecken einen IFRS-Einzelabschluss erstellen (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 758–759). Abschlussbedingungen für den Konzernabschluss liegen in der Kapitalmarktorientierung.

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Nach § 264d HGB ist eine Kapitalgesellschaft kapitalmarktorientiert, wenn sie • einen organisierten Markt im Sinn des § 2 Absatz 11 des Wertpapierhandelsgesetzes durch von ihr ausgegebene Wertpapiere im Sinn des § 2 Absatz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes in Anspruch nimmt oder • die Zulassung solcher Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt beantragt hat. Das bedeutet, dass jede Muttergesellschaft, die in Deutschland ansässig ist, einen Konzernabschluss nach den IFRS erstellen muss, wenn sie als kapitalmarktorientiertes Unternehmen eingestuft ist. Während kapitalmarktorientierte Unternehmen der IFRS-Pflicht unterliegen, haben nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen ein IFRSWahlrecht gemäß § 315a HGB, sodass diese sich zwischen einem Jahresabschluss nach HGB oder IFRS entscheiden können (vgl. Wöltje 2016, S. 16–17). Grundkonzeption der IFRS Die Rechnungslegung nach IFRS besteht aus dem Rahmenkonzept („Conceptual Framework for Financial Reporting“) sowie aus einer Vielzahl von Standards. Das Rahmenkonzept bildet im Allgemeinen die Grundsätze und Leitlinien der Rechnungslegung nach den IFRS ab und bietet eine Grundlage zur Ableitung neuer Standards als auch zur Überarbeitung bestehender Standards. Wichtige Komponenten des „Conceptual Framework for Financial Reporting“ sind (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 759): • die Inhalte über Ziele und Grundsätze der Rechnungslegung, • die Definition, Erfassung und Bewertungsgrundsätze zu Abschlussposten (Aktiva, Passiva, Aufwendungen und Erträge) und • die Konzeption der Kapitelerhaltung. Die wichtigsten Komponenten der IFRS werden durch die einzelnen Standards abgebildet. Die Standards beinhalten unter anderem die konkreten Vorschriften zum Ansatz und der Bewertung ein-

75

zelner Positionen der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung als auch die Normen für ausgewählte Bestandteile des Jahresabschlusses. Zur Vermeidung von Lücken innerhalb der Regelungen werden Interpretationen beigefügt. Wesentliche Komponenten der IFRS-Standards sind (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 759): • spezielle Regelungen zu den Jahresabschlussbestandteilen • spezielle Regelungen für einzelne Aktiva, Passiva, Aufwendungen und Erträge Die wichtigsten IFRS-Standards und kurzgefassten Inhalte werden in der Tab. 10 dargestellt. Aufbau und Inhalte der Rechenwerke nach IFRS Der Aufbau zum Jahresabschluss nach IFRS umfasst für Einzel- und Konzernabschlüsse gem. IAS 1.10 • die Bilanz („statement of financial position“), • die Gesamtergebnisrechnung („statement of comprehensive income“), • die Eigenkapitalveränderungsrechnung („statement of changes in equity“), • die Kapitalflussrechnung („statement of cash flows“) und • den Anhang („notes“). Die Bilanz hat die Aufgabe dem Adressaten, einen Überblick über die Vermögens- und Finanzlage des Unternehmens zu geben. In der Bilanz werden die Vermögenswerte („assets“), Schulden („liabilities“) und das Eigenkapital („equity“) erfasst. Gegenüber dem Jahresabschluss nach HGB hat die IFRS-Bilanz nach IAS 1 eine geringere Detaillierungstiefe. Sie gliedert die einzelnen Positionen nach ihrer Fristigkeit. Innerhalb der Bilanz werden die einzelnen Posten nach kurzfristigen („current“) und langfristigen („non current“) Vermögenswerten und Schulden differenziert. Im Einzelfall werden anstelle der Fristigkeit die Positionen nach der Liquidität gegliedert. Dieser Ausnahmefall ist jedoch nur dann zulässig, wenn durch diese Gliederungsform ein besserer Einblick in die Vermögens- und Finanzlage gewährleistet (vgl. Thommen et al. 2017, S. 230 f.).

76

C. J. Diederichs et al.

Tab. 10 Die wichtigsten IFRS-Standards im Überblick IAS/ IFRS IAS 1 IAS 2

Bezeichnung Presentation of Financial Statements Inventories

IAS 11

Construction Contracts

IAS 12

Income Taxes

IAS 16 IAS 18 IAS 32

Property, Plant and Equipment Revenue Financial Instruments: Presentation Impairment of Assets

IAS 36 IAS 37 IAS 38 IAS 39 IFRS 9 IFRS 13 IFRS 15

Provisions, Contingent, Liabilities and Contingent Assets Intangible Assets Financial Instruments: Recognition and Measurement Financial Instruments Fair Value Measurement Revenue from Contracts with Customers

Inhalte im Überblick Rechnungslegungsprinzipien, Mindestanforderungen und Bestandteile des Abschlusses Bewertung von Vorräten (u. a. auf Basis von Verbrauchsfolgeverfahren) Bilanzierung von Erträgen und Aufwendungen in Verbindung mit Fertigungsaufträgen Bilanzierung von tatsächlichen (effektiven) und latenten (Ertrag-) Steuern Ansatz und Bewertung von Sachanlagen Kriterien der Ertragsrealisation Definition und Abgrenzung von Finanzinstrumenten, Eigenkapital und Schulden Außerplanmäßige Abschreibungen und Wertaufholungen bei Vermögenswerten Ansatz und Bewertung von Rückstellungen sowie Eventualforderungen und -schulden Ansatz und Bewertung von immateriellen Vermögenswerten Ansatz und Bewertung von aktiven und passiven Finanzinstrumenten Klassifikation, Ansatz und Bewertung von aktiven und passiven Finanzinstrumenten Bemessung des beizulegenden Zeitwertes Kriterien der Ertragsrealisation, Bilanzierung von Erträgen und Aufwendungen in Verbindung mit Fertigungsaufträgen

Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 760

Die Gesamtergebnisrechnung bietet einen Einblick in die Ertragslage des Unternehmens. Darin wird der Gewinn in der Periode durch Gegenüberstellung der Erträge („income“) und Aufwendungen („expenses“) erfasst. Der Rechenweg des Gesamtergebnisses muss anschließend die Differenzierung zwischen dem Periodenergebnis („profit or loss“) und dem sonstigen Ergebnis („other comprehensive income“) aufweisen. Während das Periodenergebnis alle erfolgswirksamen Erträge und Aufwendungen darstellt, wird das sonstige Ergebnis aus der Gegenüberstellung von erfolgsneutralen Erträgen und Aufwendungen erfasst. Beide Ergebnisse fließen in das Eigenkapital ein. Hierbei kann der Anwender wie nach dem HGB zwischen dem Umsatzkosten- und Gesamtkostenverfahren wählen (vgl. Thommen et al. 2017, S. 231). Die Eigenkapitalveränderungsrechnung erfasst im Hinblick auf die Gesamtergebnisrechnung nicht nur das Periodenergebnis und das sonstige Ergebnis,

sondern weist auch auf Posten hin, die keinen direkten Bezug auf die Geschäftstätigkeit haben. Als Beispiel lässt sich in diesem Kontext die Ausschüttung von Dividenden oder die Kapitalerhöhung nennen (vgl. Thommen et al. 2017, S. 231). Nach IAS 1106 ist die Entwicklung jeder Komponente darzustellen, die innerhalb der Berichtsperiode einen Bezug zum Eigenkapital aufweist. Die Darstellung der Vermögens- und Finanzstruktur wird im IFRS-Abschluss durch die Kapitalflussrechnung abgebildet. In diesem Zusammenhang soll der Adressat nach IAS 7.4 zusätzlich zur Gewinn- und Verlustrechnung Informationen zur Liquidität und Solvenz des Unternehmens erhalten. Hierbei soll unter dem Einfluss des Wechselkurses die Finanzmittelveränderung über die Periode hinweg aufgezeigt werden (vgl. Thommen et al. 2017, S. 231). Die Kapitalflussrechnung muss in Staffelform aufgestellt werden und besteht gem. IAS 7 aus den Cashflows

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

• aus betrieblicher Tätigkeit, • aus Investitionstätigkeit und • aus Finanzierungstätigkeit. Zur Abrundung der Informationsfunktion werden im Anhang des IFRS-Abschlusses zusätzlich folgende Komponenten erfasst (vgl. Thommen et al. 2017, S. 231): • Angabe zur Übereinstimmung mit IFRS • wesentliche Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden • von anderen Standards verlangte zusätzliche Anhangsangaben zu den Abschlussposten • von anderen Standards verlangte weitere Anhangsangaben • Angaben zum Kapital Zusätzliche Komponenten nach IFRS sind die Segmentberichterstattung nach IFRS 8, das Ergebnis je Aktie gem. IAS 33 und der Zwischenbericht nach IAS 34. Diese sind für kapitalmarktorientierte Unternehmen verpflichtend zu erstellen und beizufügen.

77

Grundprinzipien der Rechnungslegung nach IFRS Analog zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung im HGB existieren auch in den IFRS Grundprinzipien der Rechnungslegung. Einen Überblick gibt Abb. 42. Aus der „decision usefulness“ als Ziel der IFRS-Rechnungslegung werden zwei Grundannahmen (Unternehmensfortführung und periodengerechte Erfolgsermittlung) abgeleitet, ohne deren Einhaltung keine Entscheidungsunterstützung möglich ist (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 762). Die Grundannahme des „going concern“ (1) unterstellt, dass bei der Erstellung des Jahresabschlusses analog zu § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB von der Fortführung des Unternehmens über den Bilanzstichtag hinaus auszugehen ist. Auch die Grundannahme der „accrual basis“ (2) entspricht analog § 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB dem Prinzip periodengerechter Erfolgsermittlung. Um dem Grundsatz der „fair presentation“ i.S.d. § 264 Abs. 2 HGB gerecht zu werden, werden primäre und sekundäre Anforderungen gestellt. Als primäre Anforderung werden die

Abb. 42 Grundprinzipien der IFRS-Rechnungslegung. (Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 762)

78

Schlüsselbegriffe „relevance“ (3) und „faithful representation“ (4) genannt. „Relevance“ (3) ist hierbei die Entscheidungsrelevanz für die Kapitalgeber. Die Voraussetzung dieser Anforderung wird durch die Wesentlichkeit („materiality“) der bereitgestellten Informationen gewährleistet. Das bedeutet, dass unwesentliche Informationen nicht in den Jahresabschluss gehören. Durch die Primäranforderung einer „faithful representation“ (4) soll sichergestellt werden, dass die Angaben im Jahresabschluss vollständig („complete“), unverzerrt („neutral“) und fehlerfrei („free from error“) sind. Als sekundäre Anforderungen werden die Begriffe „comparability“ (5), „verifiability“ (6), „timeliness“ (7) und „understandibility“ (8) genannt. Der Begriff „comparability“ (5) fordert die Vergleichbarkeit. Durch „verifiability“ (8) soll ein Jahresabschluss nachprüfbar sein. Um einer Veraltung von Jahresabschlussdaten entgegenzuwirken, wird „timeliness“ (7), d. h. Rechtzeitigkeit gefordert. Als letzte sekundäre Anforderung gilt das Kriterium der „understandibility“ (8), d. h. Verständlichkeit, damit die Informationen nachvollziehbar sind. Die IFRS-Rechnungslegung soll als Ergebnis ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermitteln (fair presentation). Bilanz nach IFRS Die Bilanz („statement of financial position“) nach IFRS verfolgt das Ziel der periodengerechten Gewinnermittlung („accrual accounting“). Dieses Ziel hat durch die Wechselwirkung mit der Gewinnund Verlustrechnung („income statement“) Auswirkungen auf den Inhalt und die Bewertung der Bilanz. Um diese Fragen zu beantworten, wird ein Eigenkapitalausweis am Periodenende nach IFRS erstellt, worin auch der Periodenerfolg (= erfolgswirksame Eigenkapitalveränderung) gekennzeichnet wird (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 765). Nachfolgend werden der Inhalt, die Gliederung und die Bewertung der Bilanz nach IFRS vorgestellt. Inhalt der Bilanz Für HGB und IFRS gilt die Bilanzgleichung:

C. J. Diederichs et al.

HGB: Vermögen = Eigenkapital + Schulden IFRS: assets = equity + liabilities Durch die Bilanzgleichung wird ersichtlich, dass innerhalb der Bilanz nach dem Rahmenkonzept der IFRS die Vermögenswerte („assets“) auf der Aktivseite den Schulden („liabilities“) und dem Eigenkapital („equity“) auf der Passivseite gegenübergestellt werden. Nachfolgend werden die abstrakten und konkreten Bilanzierungskriterien der IFRS vorgestellt. Es gilt hierbei, dass diejenigen Sachverhalte als „asset“ bzw. „liability“ aufgenommen werden, die das Zweistufensystem aus abstrakten und konkreten Bilanzierungskriterien erfüllen. Im Gegensatz zur Bilanz nach HGB verfolgt die IFRS das Ideal des eindeutigen Eigenkapitalausweises, sodass jegliche Aktivierungs- und Passivierungswahlrechte ausscheiden (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 765). Die abstrakten Merkmale zur Bilanzierung umfassen hierbei die Wesentlichkeit des erwarteten Mittelzuflusses bzw. Mittelabflusses. Das bedeutet, dass es keine Rolle spielt, ob es sich bei dem Vermögenswert um ein Grundstück oder eine technische Anlage handelt. Wichtig hierbei ist, dass Mittelzuflüsse in der Zukunft erwartet werden. Im Falle einer Schuld ist es ebenfalls nicht relevant, ob die Schuld aus einer Hypothek oder aus passiven latenten Steuern entstanden ist. Bei einer Verpflichtung wird ein Mittelabfluss in Form von Tilgungen oder Zinsen in der Zukunft erwartet. Die konkreten Bilanzkriterien prüfen nach dem Rahmenkonzept der IFRS die Wahrscheinlichkeit eines wirtschaftlichen Nutzens und eine verlässliche Ermittlung der Anschaffungs- und Herstellkosten. In der Zusammenfassung lassen sich demnach Vermögenswerte als „asset“ aktivieren, sobald folgende Bedingungen erfüllt werden (vgl. Wöhe et al. S. 2016, 767): • Wenn in Zukunft der Zufluss von zusätzlichen Zahlungsüberschüssen wahrscheinlich ist (Probability). • Wenn Aufwendungen, die für den Vermögenswert angefallen sind, verlässlich bestimmbar und diesem direkt zurechenbar sind (Reliability).

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Für die Passivseite ist eine „liability“ anzusetzen, wenn ein künftiger Mittelabfluss zu erwarten ist. Als „liability“ gelten alle sicheren sowie ungewissen, aber wahrscheinlichen Verpflichtungen gegenüber Dritten (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 767). Gliederung der Bilanz Aufgabe der Bilanzgliederung ist ein klarer und übersichtlicher Einblick in die Vermögens-, Schulden- und Liquiditätslage des Unternehmens. Die Bilanzgliederung nach IAS folgt der gleichen Grundstruktur wie das HGB. Es werden jedoch keine Rechnungsabgrenzungsposten ausgewiesen. Sie gehören zu den „current assets“ oder den „current liabilities“. Ferner werden auch keine Rückstellungen ausgewiesen. Je nach Fristigkeit gehören sie zu den „noncurrent liabilities“ oder den „current liabilities“. Im Gegensatz zur HGB-Bilanz gibt es für die IFRS-Bilanz kein verbindliches Mindestgliederungsschema und keine Vorschriften bezüglich Konto- oder Staffelform. Ein vereinfachtes Bilanzgliederungsschema für den Einzelabschluss einer Kapitalgesellschaft zeigt Abb. 43.

79

Im Folgenden werden einzelne Bilanzposten kurz charakterisiert und vorgestellt (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 768): Bei den „intangible assets“ handelt es sich um immaterielle Vermögensgegenstände („goodwill“, „development costs“, „patents“, „licences“). Der Posten „property, plant and equipment“ entspricht den Sachanlagen nach HGB (land and buildings, plant, equipment). Der Aktivposten „investment property“ enthält alle vermieteten Grundstücke und Gebäude, z. B. von Versicherungen, zu Anlagenzwecken. Die „non-current financial assets“ entsprechen den Finanzanlagen (investments in subsidiaries, investments in associates, other investments). „Deferred taxes/Deffered tax liabilities“ sind als aktive oder passive latente Steuern gesondert als „non-current asset“ oder „non-current liability“ auszuweisen. Der Posten „inventories“ entspricht den Vorräten nach der Gliederungsstruktur des HGB (raw materials and supplies, work in progress, finished goods and merchandises). Zu „trade and other receivables“ gehören die Forderungen. Bei „current financial assets“ handelt es sich um Wertpapiere des Umlaufvermögens, die zum kurzfristi-

Abb. 43 Vereinfachtes Gliederungsschema zur IFRS-Bilanz. (Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 768)

80

gen Verkauf bestimmt sind. „Cash and cash equivalents“ entsprechen dem Posten „Kassenbestand, Sichtguthaben u. Ä.“ nach HGB. „Issued capital“ und „reserves“ werden als gezeichnetes Kapital und als Rücklagen gesondert ausgewiesen. Der Posten „non-current financial liabilities“ umfasst langfristige verzinsliche Verbindlichkeiten. „Retirement benefit obligations“ sind Pensionsrückstellungen nach HGB. „Trade and other payables“ sind Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen sowie sonstige kurzfristige Verbindlichkeiten. Bei der Position „current financial liabilities“ handelt es sich um verzinsliche Verbindlichkeiten. Letzte Position auf der Passiv-Seite sind die „current provisions“, zu denen alle kurzfristigen Rückstellungen zählen, wie beispielsweise Garantie- und Steuerrückstellungen. Bewertungsmaßstäbe und Bewertungsprinzipien Die wesentlichen Bewertungsmaßstäbe im IFRSAbschluss sind in der Zugangs- und Folgebewertung zu finden. Grundsätzliche Unterschiede zum HGB sind in den Herstellungskosten festzustellen („costs of conversion“). Durch die Aktivierungspflicht für produktionsbezogene Gemeinkosten gelangen die IFRS zu einem Vermögensausweis ohne stille Rücklagenbildung. Vermögenswerte, die zeitlich begrenzt nutzbar sind, müssen planmäßig abgeschrieben werden. Im Anschluss gelangt man in den folgenden Perioden zu fortgeführten Anschaffungs- und Herstellkosten („carrying amount“). In der Folgebewertung spielt der beizulegende Zeitwert („fair value“) eine große Rolle. Des Weiteren sind der erzielbare Nettoveräußerungswert („net realisable value“) sowie der fiktive Veräußerungs- oder Nutzungswert („recoverable amount“) im IFRS-Abschluss wiederzufinden (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 770). Im Grunde wird zwischen einer Zugangsbewertung und einer Folgebewertung unterschieden. In der Zugangsbewertung wird zum Anschaffungszeitpunkt der Anschaffungspreis mit dem „fair value“ gleichgesetzt. In der Folgebewertung wird die Frage des „richtigen“ Wertansatzes zum Stichtag beantwortet. Hierbei gilt, dass

C. J. Diederichs et al.

die fortgeführten Anschaffungs- und Herstellungskosten nicht dem Wert am Bilanzstichtag entsprechen. Wesentlich hierbei sind also die Wertveränderungen im Laufe des Berichtsjahres. Anders als nach dem HGB verschreiben sich die IFRS einem Bewertungsprinzip-Pluralismus. Inwieweit unrealisierte Wertveränderungen im Jahresabschluss auszuweisen sind, wird in den IFRS undogmatisch geregelt. In abstrakter Form lassen sich drei Prinzipien unterscheiden (vgl. Wöhe et al. 2016, S. 771–772): • Das „totale Fair-Value-Prinzip“ gilt für Vermögenswerte, die unproblematisch zum „fair value“ veräußert werden können. • Das „partielle Fair-Value-Prinzip“ fordert in allen Fällen den Ansatz des „fair value“ auf der Aktivseite der Bilanz • Das „Imparitätsprinzip“ wird angewendet, wenn der „fair value“ bei Vermögenswerten nicht klar bestimmt werden kann oder der Verkauf nicht ohne weiteres möglich ist. Ansatz und Bewertung ausgewählter Aktiva Der Ansatz und die Bewertung innerhalb des Abschlusses nach IFRS werden hierbei für die wichtigsten Posten auf der Aktivseite in kurzer Form vorgestellt: Die Sachanlagen werden gem. IAS 16 nach dem Anschaffungskostenmodell, gefolgt vom Imparitätsprinzip, bewertet. Dies entspricht dem Abschluss nach HGB. Die Bilanzierung von immateriellen Vermögenswerten wird in dem IFRS-Standard der IAS 38 geregelt. Die Bilanzierung und Bewertung der Vorräte („inventories“) sind in IAS 2 geregelt, die Bilanzierung langfristiger Fertigungsaufträge („construction contracts“) dagegen in IAS 11. Diese haben für die Bauwirtschaft besondere Bedeutung, insbesondere, wenn sie sich über mehrere Geschäftsperioden erstrecken. Nach HGB werden diese Aufträge bis zum Jahr der Fertigstellung zu Herstellungskosten bilanziert. Der Gesamterfolg = Erlös ./. Herstellungskosten wird in dem Geschäftsjahr der Abnahme und Schlussabrechnung ausgewiesen. In den vorangegangenen Geschäftsjahren/ Bauperioden werden keine Erfolge ausgewiesen. Damit wird das Prinzip der Vergleichbarkeit der

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Periodenergebnisse im HGB-Abschluss grob verletzt. Der Einblick in die Ertragslage des Unternehmens ist gestört. Nach IFRS werden die Erträge jedoch den einzelnen Fertigungsperioden nach Maßgabe des Baufortschritts („percentage of completion“) zugerechnet. Der Gesamterfolg wird somit anteilig auf die einzelnen Fertigungsperioden verteilt. Diese Bilanzierungsform ist jedoch auch nur anwendbar, wenn der künftige Erlös zuverlässig bestimmbar und sicher ist. Der Baufortschritt (Fertigstellungsgrad) wird dabei nach dem Verhältnis von auftragsbezogenen Kosten der Periode zu auftragsbezogenen Gesamtkosten in Prozent gemessen („percentage of completion“ oder „cost-to-cost-method“). Zur Bilanzierung der „financial assets“ werden in IAS 32, 39 und IFRS 9 die „financial instruments“ geregelt. Sie beinhalten eine KapitalgeberKapitalnehmer-Beziehung. Dazu gehören alle Verträge, die beim Kapitalgeber ein Aktivum („financial asset“) und beim Kapitalnehmer ein Passivum in Form von Eigenkapital („equity“) oder einer Verbindlichkeit („financial liability“) entstehen lassen. Zu den „financial assets“ gehören Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, Darlehensforderungen, Anleihen, Zero-Bonds und Aktien. Bilanzierung und Bewertung ausgewählter Passiva Das Eigenkapital wird nach IFRS und HGB einheitlich bewertet. Gemäß Framework gilt Eigenkapital = Vermögen ./. Schulden, equity = assets ./. liabilities. Es gibt jedoch nach IFRS kein Eigenkapitalgliederungsschema für Kapitalgesellschaften, lediglich den getrennten Ausweis von • gezeichnetem Kapital (issued capital) und • Rücklagen (reserves). Ferner gibt es nach IFRS auch keine spezifischen Vorschriften zur begrenzten Verwendung des Periodengewinns. Jedoch sind auch in einem IFRSAbschluss deutscher Unternehmen die Vorschriften

81

des deutschen AktG, eventuelle Satzungsregelungen zur Rücklagenbildung und einschlägige Regelungen in Darlehensverträgen zu beachten. Im IFRS-Abschluss werden finanzielle Verbindlichkeiten („financial liabilities“), Rückstellungen („provisions“) und passive Rechnungsabgrenzungsposten („deferred income“) unter dem Oberbegriff „liabilities“ zusammengefasst. Für Bürgschaftsverpflichtungen („contingent liabilities“) gilt wie im HGB ein Passivierungsverbot (IAS 37.27). Ein getrennter bilanzieller Ausweis von langfristigen („non-current“) und kurzfristigen Verbindlichkeiten („current liabilities“) ist nach IFRS nicht zwingend vorgeschrieben, jedoch zur Verbesserung des Zeithorizonts künftigen Mittelabflusses wünschenswert. Die Bilanzierung und Bewertung von „financial liabilities“ ist in IAS 39 geregelt. Dazu gehören i. d. R. Lieferantenverbindlichkeiten („trade payables“) und Darlehensverbindlichkeiten („interest bearing borrowings“). Die Regeln zur Bildung von Rückstellungen („provisions“) enthält IAS 37. Im IFRS-Abschluss sind nur Verbindlichkeitsrückstellungen zu passivieren. Für Aufwandsrückstellungen gilt ein strenges Passivierungsverbot in Verfolgung der Eigenkapitalund Erfolgsausweisstrategie. Erfolgsrechnung nach IFRS Nach IFRS wird der ausgewiesene Jahreserfolg durch die Wertansätze in der Bilanz bestimmt. Gemäß IAS 1 wird für IFRS-Abschluss eine erweiterte Erfolgsrechnung angesetzt. Im Gegensatz zum HGB wird in dem Abschluss nach IFRS zu der Gewinn- und Verlustrechnung („income statement“) eine OCI-Rechnung („other comprehensive income“) hinzugezogen. Die GuV-Rechnung nach IFRS ist vergleichbar mit der HGB-GuV, wobei der wesentliche Unterschied im Mindestgliederungsschema besteht. Wesentliche Gemeinsamkeit sind zu sehen in • dem Wahlrecht des Gesamtkosten- oder Umsatzkostenverfahrens, • dem Ausweis in Staffelform, • dem Saldierungsverbot von Aufwand bzw. Ertrag und • im Ergebnisausweis nach Steuern.

82

Ein Gliederungsschema nach dem Gesamtkostenverfahren zeigt Abb. 44. Der zweite Teil der IFRS-Gesamtergebnisrechnung umfasst die OCI-Rechnung („other comprehensive income“). Zu dem „other comprehensive income“ (OCI) gehören vor allem Veränderungen der

C. J. Diederichs et al.

• Neubewertungsrücklage (für Sachanlagen und immaterielle Anlagen) und • Fair-Value-Rücklage (für Finanzanlagen) (Wöhe et al. 2016, S. 786). Ein Beispiel für die erweiterte Erfolgsrechnung ist in Abb. 45 dargestellt. In dieser exem-

Abb. 44 „Income statement“ nach dem Gesamtkostenverfahren. (Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 786)

Abb. 45 Beispiel einer erweiterten Erfolgsrechnung nach IFRS. (Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 788)

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

plarischen IFRS-Gesamtergebnisrechnung wird positives OCI i.H.v. 1000 GE ausgewiesen. Dies ist auf eine Wertminderung der Sachanlagen i.H.v. 2000 GE (Neubewertungsrücklage) und eine Wertsteigerung der Wertpapiere i.H.v. 3000 GE (Fair-Value-Rücklage) zurückzuführen. Weitere Jahresabschlusselemente nach IFRS Zur Verbesserung des Einblicks in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage dienen die „notes“, das „statement of changes in equity“, das „cash flow statement“ und das „segment reporting“. Anhang nach IFRS („notes“) Die „notes“ nach IFRS beinhalten weitgehende Gemeinsamkeiten mit dem Anhang nach HGB. Jedoch sind nach IAS 1 Unternehmen aller Rechtsformen zur Abgabe von „notes“ verpflichtet. Eigenkapitalveränderungsrechnung nach IFRS („statement of changes in equity“) Die Eigenkapitalveränderungsrechnung soll über die Gewinnverwendung, die Verlustabdeckung und die Umschichtung innerhalb der Positionen des Eigenkapitals unterrichten. Die Grundstruktur der nach IAS 1 geforderten Eigenkapitalveränderungsrechnung zeigt Abb. 46.

Kapitalflussrechnung nach IAS („cash flow statement“) Nach IAS 7.1 sind alle Unternehmen verpflichtet, eine Kapitalflussrechnung zu erstellen. Dabei ist der Mittelzufluss bzw. -abfluss aus laufender Geschäfts-, Investitions- und Finanzierungstätigkeit gem. IAS 7.10 gesondert auszuweisen.

83

Der Aufbau der Kapitalflussrechnung ist international üblich und entspricht dem Beispiel in Abschn. 3.5 (Tab. 8). Segmentberichterstattung nach IAS („segment reporting“) Im IFRS-Regelwerk wird die Segmentberichterstattung seit 2009 durch IFRS 8 geregelt. Die Segmentberichterstattung fasst die Zusatzinformationen zu einzelnen Teilbereichen eines Unternehmens zusammen. Ein Segment kann in dieser Komponente als isolierbare Untereinheit (z. B. Geschäftszweig oder Produktgruppe) einer diversifizierten Wirtschaftseinheit („Mehrbereichs“Unternehmen) betrachtet werden. Die Zielsetzung besteht in der zusätzlichen Informationsvermittlung. Hierbei sollen gem. IFRS 8.1 den Zieladressaten Informationen bereitgestellt werden, um eine Beurteilung der Art und der finanziellen Auswirkungen der Geschäftsaktivität als auch des wirtschaftlichen Umfeldes zu ermöglichen, in dem das Unternehmen agiert (vgl. Pellens et al. 2017, S. 1020–1022). In diesem Zusammenhang ist der Managementansatz („management approach“) gem. IFRS 8 zu beachten. Dieser sieht eine Segmentberichterstattung vor, die sowohl an die interne Organisations- und Berichtsstruktur als auch an interne Steuerungsgrößen eines Unternehmens anknüpft. Die Kombination aus den internen Steuerungs- und Berichtsgrößen mit dem externen Berichtswesen soll dazu führen, dass bereitgestellte Informationen hinsichtlich der Entscheidungsnützlichkeit optimiert werden. Hierbei sollen die externen Informationen direkt mit den internen Informationen abgeglichen werden, auf die sich die Management-Ebene bei Ent-

Abb. 46 Grundstruktur der Eigenkapitalveränderungsrechnung nach IFRS. (Quelle: Wöhe et al. 2016, S. 790)

84

C. J. Diederichs et al.

scheidungen und Beurteilungen im Hinblick auf die Handlung stützt. Mit dem „management approach“ soll der Adressat sich in die Lage der Management-Ebene des Unternehmens versetzen, um einen anderen Blickwinkel zu erhalten (vgl. Pellens et al. 2017, S. 1022–1023).

bestandteile (Bauauftragsrechnung/Kalkulation) sowie in der • die Ermittlung des betrieblichen Ergebnisses unter Berücksichtigung aller entstandenen Kosten der realisierten Leistungen (Baubetriebsrechnung/Betriebsbuchhaltung).

4

Die baubetriebliche Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung gliedert sich gemäß KLR Bau 2016 in die Bauauftragsrechnung (Kalkulation) und die Baubetriebsrechnung (Betriebsbuchhaltung).

Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung

Die baubetriebliche Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung stellt das interne Rechnungswesen dar (vgl. KLR Bau 2016, S. 12). Während das externe Rechnungswesen vor allem der Rechenschaftslegung (Information, Dokumentation) und Zahlungsbemessung (Steuern, Ausschüttungen) dient, besteht die Funktion des internen Rechnungswesens in der Planung, Steuerung und Kontrolle aller im Unternehmen anfallenden Geld- und Leistungsströme (vgl. Thommen et al. 2017, S. 201). Das interne Rechnungswesen ist hauptsächlich an unternehmensinterne Adressaten gerichtet. Dazu zählen z. B. die Unternehmensleitung oder die Verantwortlichen innerhalb eines Geschäftsbereichs. Zu den Aufgaben gehören (vgl. KLR Bau 2016, S. 97) • die Ermittlung der voraussichtlichen Kosten zur Realisierung eines Bauprojektes (Bauauftragsrechnung/Kalkulation), • die Überführung der Kosten in Preise unter Berücksichtigung der weiteren Preisbildungs-

4.1

Bauauftragsrechnung (Kalkulation)

Die Hauptaufgaben der Bauauftragsrechnung bestehen in der Kostenermittlung für Bauleistungen vor, während und nach der Leistungserstellung. Ermittelt werden die Kosten der für die Erstellung der Bauleistungen erforderlichen Waren und Dienstleistungen. Zusätzlich werden in der Bauauftragsrechnung alle Informationen ermittelt, um den Preis einer anzubietenden Bauleistung zu ermitteln. Kalkulationsarten und Auftragsphasen In Abhängigkeit von dem jeweiligen Abwicklungsstadium werden die in Abb. 47 dargestellten Kalkulationsarten unterschieden. Vorkalkulation Die Vorkalkulation ist der Oberbegriff für alle Arten der Kostenermittlung vor und während der Bauausführung.

Abb. 47 Kalkulationsarten und Auftragsphasen. (Quelle: KLR Bau 2016, S. 35–38)

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Angebotskalkulation Aufgabe der Angebotskalkulation ist die Kostenermittlung von Bauleistungen zur Erstellung eines Angebots. Grundlage sind die Vergabeunterlagen des Auslobers. Gemäß § 7 Abs. 1 VOB/A ist die Leistung durch den Auftraggeber eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Vertragskalkulation Vor Auftragserteilung finden vielfach Verhandlungen zwischen dem Auftraggeber und dem potenziellen Auftragnehmer statt. Sie können sich auf zusätzliche oder Teilleistungen, die Auswahl von Alternativ- oder Eventualpositionen sowie auf Standardänderungen beziehen. Die Abweichungen gegenüber den Vergabeunterlagen müssen in ihren Kostenauswirkungen geprüft und mit der Angebotskalkulation verglichen werden. Alle Abweichungen und sonstigen Verhandlungsergebnisse werden in die Kalkulation eingearbeitet und es entsteht damit zum Zeitpunkt der Auftragserteilung die Vertragskalkulation. Diese Vertragskalkulation ist die Grundlage des Vertragsverhältnisses. Arbeitskalkulation Bei der Erstellung der Angebotskalkulation ist der Kalkulator vielfach auf vorläufige Ablaufplanungen angewiesen. Material- und Nachunternehmerpreise basieren auf früheren Angeboten bzw. Erfahrungswerten oder auf unvollständigen Preisanfragen während der Angebotsphase. Nach der Auftragserteilung beginnt die detaillierte Planung des Bauablaufs und der erforderlichen Kapazitäten in der Arbeitsvorbereitung, deren Ziel die wirtschaftliche Abwicklung des Auftrags unter den vorgegebenen Bedingungen ist. Dabei stellt sich häufig heraus, dass andere als in der Angebotskalkulation angenommene Ausführungsmaßnahmen und Bauverfahren zweckmäßiger sind. Ferner werden aufgrund von Vergaben die Material- und Nachunternehmerpreise üblicherweise erst im laufenden Bauprojekt endgültig festgelegt. Damit hat die Arbeitskalkulation folgende Aufgaben zu erfüllen:

85

• Fortschreibung der Einzel- und Gemeinkosten im laufenden Bauprojekt • Fortschreibung des prognostizierten Ergebnisses des laufenden Bauprojektes • Lieferung von Vorgabewerten für die monatliche Kosten-, Leistungs- und Ergebniskontrolle mit Soll/Ist-Vergleichen • Lieferung von Informationen für die Projektleitung zur Steuerung des Bauprojektes Nachtragskalkulation Für Bauleistungen, deren Grundlagen der Preisermittlung sich geändert haben (Änderung des Bauentwurfs oder andere Anordnungen des Auftraggebers nach § 2 Nr. 5 VOB/B) oder die im Vertrag nicht vorgesehen sind (Zusatzleistungen nach § 2 Nr. 6 VOB/B), müssen im Rahmen von Nachtragskalkulationen, -angeboten und -verhandlungen Kosten ermittelt und Preise festgelegt werden. Hierzu gehört ein entsprechendes Nachtragsmanagement. Nachkalkulation Während der Bauausführung in bestimmten Intervallen durchgeführte Vergleiche zwischen den Soll- und Ist-Daten der Arbeitskalkulation ermöglichen dem Bauleiter erforderliche Korrekturen der Bauabwicklung. Ziel solcher Zwischenkalkulationen ist es, durch rechtzeitiges Erkennen von Abweichungen und Einleiten von Anpassungsmaßnahmen wirtschaftliche Baustellenergebnisse zu erreichen. Dazu ist es unerlässlich, dass auch die Arbeitskalkulation laufend auf den neuesten Stand gebracht wird, d. h., es müssen sämtliche Nachtragsaufträge bei der Sollzahlenermittlung per Stichtag berücksichtigt werden. Im Rahmen der Nachkalkulation werden die bei der Ausführung entstandenen Ist-Kosten ermittelt, sodass die Ansätze der Vorkalkulation überprüft werden können. Darüber hinaus soll die Nachkalkulation Richtwerte für künftige Angebotskalkulationen ähnlicher Bauvorhaben liefern. Kostenbegriffe Kosten entstehen aus dem bewerteten Verbrauch von wirtschaftlichen Gütern (Waren und Dienstleistungen materieller und immaterieller Art

86

• zur Herstellung und Verwertung der betrieblichen Leistung, • zur Aufrechterhaltung der hierfür notwendigen Betriebsbereitschaft und • zur Vorhaltung der hierfür notwendigen Kapazitäten. Für Zwecke der Kalkulation empfiehlt es sich, Kosten nach weiteren Kriterien einzuteilen. Variable und fixe Kosten Variable und fixe Kosten beschreiben das Kostenverhalten bei Änderungen der Ausbringungsmenge bzw. des Beschäftigungsgrades. Variable Kosten verändern sich dabei entweder • im gleichen Verhältnis (proportionale Kosten), • schneller (progressive Kosten) oder • langsamer (degressive Kosten). Fixe Kosten ändern sich bei Veränderung der Ausbringungsmenge bzw. des Beschäftigungsgrades nicht (Bereitschaftskosten). Zeitabhängige und zeitunabhängige Kosten Zeitabhängige Kosten verändern sich mit der Bauzeit, d. h. erhöhen sich bei einer Verlängerung bzw. vermindern sich bei einer Verkürzung (z. B. Vorhaltekosten der Geräte). Zeitunabhängige Kosten entstehen dagegen unabhängig von der Bauzeit (z. B. Materialkosten). Einzel- und Gemeinkosten Einzel- und Gemeinkosten werden nach der Kostenzurechenbarkeit unterschieden. Einzelkosten oder auch direkte Kosten können einem Erzeugnis verursachungsgemäß unmittelbar zugerechnet werden; sie sind meistens variable Kosten (z. B. bauleistungsbezogene Arbeitslöhne und Stoffkosten). Gemeinkosten sind solche Kosten, die einem Erzeugnis nicht direkt, sondern nur mit Hilfe von Umlageschlüsseln zugerechnet werden können. Für die Kalkulation bedeutet dies, dass sie nicht bei den einzelnen Teilleistungen erfasst, sondern getrennt kalkuliert und als Zuschlag (Umlage) zugerechnet werden müssen.

C. J. Diederichs et al.

Ausgabewirksame und nicht ausgabewirksame Kosten Ausgabewirksame Kosten sind solche, die innerhalb der Abrechnungsperiode zu Ausgaben führen (z. B. Löhne und Gehälter, Baustoff- und Betriebsstoffkosten). Nicht ausgabewirksame Kosten sind solche, die außerhalb der Abrechnungsperiode oder auch niemals zu Ausgaben führen (z. B. die kalkulatorischen Kostenarten für Abschreibung, Verzinsung, Wagnis, Unternehmerlohn sowie Rückstellungen). Tilgungszahlungen sind Ausgaben, die keine Kosten darstellen, sondern lediglich den Ersatz von Fremdkapital durch Eigenkapital. Ist- und Soll-Kosten Hierbei handelt es sich um die Unterscheidung nach dem Genauigkeitsgrad der Kostenfaktoren. Bei den Sollkosten der Sollmengen werden die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt geplanten Faktormengen (gemäß Sollbaufortschritt) mit geplanten (kalkulierten) Faktorpreisen bewertet. Bei den Sollkosten der Ist-Mengen werden die Ist-Mengen mit geplanten Preisen bewertet. Die Ist-Kosten der Ist-Mengen bewerten die effektiv erreichten Mengen zu einem Stichtag mit effektiv entstandenen Faktorpreisen. Die Trendkosten der Sollmengen, bewertet zum Kontrollzeitpunkt, lassen den Trend der Abweichungen zwischen Sollund Ist-Kosten erkennen, sofern keine Anpassungsmaßnahmen eingeleitet werden. Diese Unterscheidungen werden in Abb. 48 veranschaulicht. Aufwands- und Leistungswerte Aufwandswerte benennen die erforderlichen (Soll) oder tatsächlichen (Ist) Arbeits- bzw. Lohnstunden, die für die Herstellung einer Mengeneinheit einer bestimmten Bauleistung benötigt werden. Für Zwecke der Kalkulation interessieren nur die zu bezahlenden Lohnstunden, ggf. einschließlich aller Überverdienste aus Leistungslohn- oder Prämienvereinbarungen. Für die Arbeitsvorbereitung und Kapazitätseinsatzplanung interessieren dagegen die zu leistenden Arbeitsstunden vor Ort in der Vorfertigung, beim Transport und auf der Baustelle.

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

87

Abb. 48 Kostenkontrolle zu einem Stichtag x

Aufwandswert   Arbeitsstunden h ¼ geleistete Gesamtmenge Einheit Beispiele: (nach Berner et al. 2014, S. 35) • Einbauen und Verdichten von Beton ! 0,5 bis 1,5 h/m3 • Schalen von Wänden ! 0,4 bis 1,0 h/m3 • Verlegen von Bewehrungsstahl ! 8 bis 20 h/t

Je nach Art des Bauwerks, der Teilleistungen und der Ausführungsbedingungen können Aufwandswerte erheblich streuen. Maßgebliche Einflussfaktoren sind (vgl. Hofstadler 2013, S. 46): • Generelle Baustellenbedingungen (z. B. Witterung, Verkehrssituation und Höhenlage) • Spezifische Baustellenbedingungen (z. B. Baustoffe, Schwierigkeitsgrad der Bearbeitung und Bauweise) • Einflüsse des Bauverfahrens (z. B. Kranabhängigkeit, Vorfertigung und Bauablauf)

• Generelle Betriebsbedingungen (z. B. Motivation der Mitarbeiter, Qualifikation der Mitarbeiter und Mitarbeiterfluktuation) Leistungswerte benennen die je Kolonnenoder Gerätestunde zu erbringenden (Soll) oder tatsächlich erbrachten (Ist) Mengeneinheiten. Leistungswert   geleistete Gesamtmenge Einheit ¼ Arbeitsstunden h Beispiele: (nach Berner et al. 2014, S. 35) • Herstellen einer Deckschicht mit Fertigungsgruppe (Straßenfertiger, Walzen und Transportfahrzeugen) ! 700 m2/h • Baugrubenaushub mit Hydraulikbagger ! 500 bis 1000 m3/d, • Grabenaushub mit Hydraulikbagger ! 4 bis 20 m3/h. Auch Leistungswerte weisen in Abhängigkeit von der Art des Bauwerks, der Teilleistungen und der Ausführungsbedingungen sowie der Motivation der gewerblichen Arbeitnehmer starke Streuungen auf. Bei der Übernahme von Aufwands-

88

C. J. Diederichs et al.

und Leistungswerten aus der Fachliteratur ist stets zu prüfen, ob und inwieweit die jeweils angenommenen Voraussetzungen und Randbedingungen gegeben sind. Aufwands- und Leistungswerte sind ein wichtiger Erfahrungsschatz der bauausführenden Unternehmen. Sie unterscheiden sich jedoch zwischen Firmen gleicher Personalstruktur und gleichen Mechanisierungsgrades nicht wesentlich, sondern unterliegen vielmehr einer dynamischen Veränderung im Zeitablauf durch den Produktivitätsfortschritt. Zum Zeitpunkt einer Ablaufplanung bietet es sich an, die verwendeten Aufwands- und Leistungswerte mit eigenen Erfahrungs- und Literaturwerten zu vergleichen (vgl. Siebers et al. 2018, S. 102). Bei den Aufwands- und Leistungswerten ist eine möglichst realistische auftragsspezifische Ermittlung in Abhängigkeit von den aufwandsoder leistungsbestimmenden Einflussfaktoren sowie die auftragsbegleitende Überprüfung dieser Werte auf Einhaltung und die Aktualisierung/ Fortschreibung der Vorgabewerte aufgrund der gewonnenen Erfahrungen vorzunehmen.

4.2

Elemente und Ablauf der Kalkulation

Zur Erläuterung der Elemente der Kalkulation dienen Abb. 49 und 50. Einzelkosten der Teilleistungen (EKT) In der KLR Bau werden die Einzelkosten der Teilleistungen in eine empfohlene Mindestgliederung von fünf Kostenartengruppen (Lohn- und Gehaltskosten, Materialkosten, Gerätekosten, Nachunternehmerleistungen und Sonstige Kosten) eingeteilt. Lohn- und Gehaltskosten Die Lohnkosten umfassen die Löhne der gewerblichen Arbeitnehmer (Arbeiter) im Sinne des Manteltarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV) und der Entgelttarifverträge (TV Lohn/West bzw. Ost) sowie die Gehälter der Poliere nach den Entgelttarifverträgen (TV Gehalt/West bzw. Ost). Hierzu gehören die Tariflöhne einschließlich Bauzuschlag, Leistungs- und Prämienlöhne, über-

Umsatzsteuer

Lohn- und Gehaltskosten

Materialkosten

Gerätekosten

Kosten für NULeistungen

Abb. 49 Elemente der Kalkulation. (Quelle: KLR Bau 2016, S. 38)

Sonstige Kosten

Netto-Angebotssumme vor Skonto und Nachlass

EKT

Nach

Selbstkosten

zeitabhängige BGK

zeitunabhängige BGK

Netto-Angebotssumme nach Skonto und Nachlass

Allgemeine Geschäftskosten

Herstellkosten

Schlüsselkosten

Gewinn

Brutto-Angebotssumme

ggf. Skonto und Nachlass

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

89

Abb. 50 Einzelkosten der Teilleistungen. (Quelle: KLR Bau 2016, S. 38)

tarifliche Bezahlung, Zuschläge für Überstunden, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Erschwerniszuschläge und die Arbeitgeberzulage für vermögenswirksame Leistungen. Die Lohnkosten ergeben sich aus dem Zeitaufwand für die einzelne Teilleistung sowie dem Lohn, der den für die Teilleistung beschäftigten Arbeitern zu zahlen ist. Der Zeitaufwand wird vom Kalkulator entsprechend den in seinem Betrieb aus gleichen oder ähnlichen Arbeiten gesammelten Aufwandswerten angesetzt. Dabei ist das Bestehen von regionalen Akkordtarifverträgen und Leistungsrichtwerten auf der Grundlage des Rahmentarifvertrags für Leistungslohn im Baugewerbe (RTV Leilo) zu beachten. Der anzusetzende Lohn richtet sich nach den im Betrieb tatsächlich gezahlten Löhnen. Da bei der Ausführung von Teilleistungen häufig Arbeitskräfte verschiedener Lohngruppen tätig sind, deren Verteilung auf die einzelnen Teilleistungen sich im Voraus jedoch nicht genau ermitteln lässt, ist es zweckmäßig und üblich, mit einem Mittellohn zu rechnen. Darunter versteht man das arithmetische Mittel sämtlicher auf einer Baustelle oder in Teilbereichen einer Baustelle voraussichtlich entstehenden Lohnkosten je Arbeitsstunde in Abhängigkeit vom durchschnittlich eingesetzten Personal.

Zu unterscheiden sind • A Arbeiterlöhne (Grundlöhne), • AS Arbeiterlöhne inkl. Lohnzusatzkosten, • ASL Arbeiterlöhne inkl. Lohnzusatzkosten und Lohnnebenkosten, • AP Arbeiterlöhne mit Kosten der Poliere • APS Arbeiterlöhne inkl. Lohnzusatzkosten inkl. Kosten der Poliere • APSL Arbeiterlöhne inkl. Lohnzusatzkosten und Lohnnebenkosten inkl. Kosten der Poliere Die Arbeiterlöhne umfassen die Tariflöhne der gewerblichen Arbeitnehmer einschließlich aller Zulagen und Zuschläge. Unter Lohnzusatzkosten sind Soziallöhne und Sozialkosten zu verstehen, die sich aufgrund von Gesetzen, Tarifverträgen, Betriebs- und Einzelvereinbarungen ergeben. Sie werden als Zuschlagssatz erfasst, der auf die Grundlöhne an den tatsächlichen Arbeitstagen (produktive Löhne) bezogen ist. Er schwankt in der Praxis je nach Krankenstand und sonstigen Ausfallzeiten zwischen 85 % und 95 % der Grundlöhne. Lohnnebenkosten erhalten solche Arbeitnehmer, die auf Bau- oder Arbeitsstellen mit oder ohne tägliche Heimfahrt beschäftigt sind. Darunter fallen gemäß § 7 BRTV Fahrtkostenabgeltung, Verpflegungszuschuss und Auslösung.

90

Materialkosten Zum Material gehören Baustoffe, Rüst-, Schal- und Verbaumaterial sowie Hilfs- und Betriebsstoffe. Baustoffe werden Bestandteil des Bauwerks, wie z. B. Zuschlagstoffe, Zement, Bewehrungsstahl, Profilstahl, Mauersteine und Fertigteile. Die Materialkosten setzen sich zusammen aus • Einkaufspreise nach Abzug aller Rabatte, • Frachtkosten für das Anliefern zur Baustelle und Abladen sowie • Schnitt-, Streu-, Material- und Bruchverluste. Genormte Rüst-, Schal- und Verbaustoffe können von Bauunternehmen auch angemietet werden, in diesem Fall werden meist monatliche Mietsätze in Rechnung gestellt. Nach Planung der monatlichen Einsätze dieser Materialien können dann Kosten für die Anmietung des Materials kalkuliert werden. Werden diese Materialien gekauft (z. B. Schalmaterial), können Kalkulationswerte über die Einsatzhäufigkeit ermittelt werden. Dabei wird der Baustelle ein Anteil am Neuwert der Stoffe angelastet, welcher der Anzahl der Einsätze im Verhältnis zu den insgesamt möglichen Einsätzen entspricht. Hilfsstoffe wie z. B. Kleineisenzeug und Nägel werden i. d. R. nicht den Einzelkosten der Teilleistungen, sondern den Gemeinkosten der Baustelle zugeordnet. Die Kosten der Betriebsstoffe werden i. Allg. ebenfalls bei den Gemeinkosten berücksichtigt. Nur bei geräteintensiven Arbeiten (z. B. Straßenbau) werden sie als Einzelkostenart erfasst. Dabei werden häufig Verrechnungssätze gebildet, in denen die Betriebsstoffe zusammen mit den Gerätekosten kalkuliert werden. Gerätekosten Unter Gerätekosten sind allgemein alle diejenigen Kosten zu verstehen, die sich aus der Bereitstellung und dem Betrieb des Geräts ergeben. Dazu zählen • die Kosten für kalkulatorische Abschreibung und Verzinsung (A+V), auch als Kapitaldienst bezeichnet, und • die Kosten der Reparaturen (R) im Sinne der Baugeräteliste 2015 (BGL 2015), d. h. die auf die Reparaturen anfallenden Lohn- und Materialkosten, nicht jedoch die Lohnzusatzkosten.

C. J. Diederichs et al.

Die Baugeräteliste (BGL) ist ein Tabellenwerk, dem die maßgeblichen Kostendaten für die im Bauhauptgewerbe eingesetzten Geräte entnommen werden können (Hoch- und Tiefbau, Straßenund Wasserbau) wie • Nutzungsjahre und Vorhaltemonate, • monatliche Sätze für Abschreibung und Verzinsung sowie Reparaturkosten, • Gerätekosten zur Beschreibung der verschiedenen Gerätetypen und mittlere Neuwerte (Mittelwerte der Ab-Werk-Preise der gebräuchlichen Fabrikate auf der Preisbasis 2014 einschließlich Bezugskosten wie Frachten, Verpackung und Zölle ohne Mehrwertsteuer). Es wurde bewusst darauf verzichtet, bestimmte Erzeugnisse, Fabrikate oder Typenbezeichnungen einzeln aufzuführen, um die erforderliche Neutralität zu wahren. Die jeweiligen Kenngrößen ermöglichen jederzeit die Zuordnung bestimmter Fabrikate wie • für Turmkrane das Nennlastmoment oder • für Bagger die Motorleistung und der Löffelinhalt. In der BGL 2015 sind auch die Konstruktionsgewichte zur Ermittlung von Transport- und Verladekosten enthalten. Die BGL 2015 dient der Arbeitsvorbereitung zur Auswahl von Geräten und der Betriebsplanung im Baubetrieb zur Ermittlung von Gerätevorhaltekosten und zu Wirtschaftlichkeitsberechnungen. Die in ihr angegebenen Nutzungsjahre stimmen überein mit den Nutzungsdauern der amtlichen steuerlichen AfA-Tabellen für den Wirtschaftszweig Baugewerbe. Von der Nutzungsdauer gelangt man über die Vorhaltezeit auf der Baustelle und die Einsatzzeit am Bauteil zur Betriebszeit für den jeweiligen Arbeitsvorgang (vgl. Abb. 51). Folgende Kostenbegriffe werden zur Gerätekostenermittlung benötigt: • Mittlerer Neuwert als Mittelwert der Ab-WerkPreise der gebräuchlichsten Fabrikate auf der

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

91

Abb. 51 Gliederung der Nutzungsdauer von Baugeräten

Preisbasis 2014 einschließlich Bezugskosten ohne Mehrwertsteuer; • dessen Hochrechnung auf künftige Wiederbeschaffungsjahre durch Extrapolation des amtlichen „Erzeugerpreisindex’ für Baumaschinen“ des Statistischen Bundesamtes; • die Abschreibung a, die in der BGL 2015 linear vorgenommen wird, a ð%p:M :Þ ¼

100 v

a = monatlicher Anteil für Abschreibung vom mittleren Neuwert v = Anzahl der Vorhaltemonate • Verzinsung z des in das Gerät investierten und noch nicht abgeschriebenen Kapitals; in der BGL 2015 wird eine einfache Zinsrechnung mit einem kalkulatorischen Zinssatz p von 6,5 % p. a. unabhängig vom tatsächlichen Kapitalmarktzins angesetzt, z ð%p:M :Þ ¼

p∙n 0,065∙n ¼ 2∙v 2∙v

z= monatlicher Anteil für Verzinsung vom mittleren Neuwert p= kalkulatorischer Zinssatz i.H.v. 6,5 %

n = Anzahl der Nutzungsjahre v= Anzahl der Vorhaltemonate – Kapitaldienst k (Abschreibung und Verzinsung) k ð%p:M :Þ ¼ a þ z, k = monatlicher Anteil für Abschreibung und Verzinsung vom mittleren Neuwert a= monatlicher Anteil für Abschreibung vom mittleren Neuwert z = durchschnittlicher monatlicher Anteil vom mittleren Neuwert für Verzinsung K ð€ p:M :Þ ¼ k  A, K = monatlicher Kapitaldienst; k = monatlicher Abschreibungs- und Verzinsungssatz A = mittlerer Neuwert in € • die zur Erhaltung und Wiederherstellung der Betriebsbereitschaft insgesamt erforderlichen Reparaturkosten, R ð€ p:M :Þ ¼ r∙A r = monatlicher Anteil vom mittleren Neuwert für Reparatur in % R = monatlicher Reparaturkostenbetrag.

92

Die Reparaturkosten R gliedern sich in 30 % Instandhaltung und 70 % Instandsetzung. Bei der Aufteilung nach Kostenarten werden 60 % für Lohnkosten (ohne Lohnnebenkosten und lohnstundenbezogene Zuschläge) und 40 % für Stoffkosten angenommen (vgl. Leimböck et al. 2015, S. 21). Da Gerätekosten zeitabhängig sind, kommen für ihre Ermittlung die Vorhalte-, Einsatz-, Betriebs- und Stillliegezeit in Betracht. Nach BGL 2015 entspricht ein Vorhaltetag 8 Vorhaltestunden und ein Vorhaltemonat 30 Kalendertagen bzw. 170 Vorhaltestunden bzw. 170/8 Vorhaltetagen. Gerätekostenermittlungen für die Vorhaltezeit werden überwiegend für solche Geräte angewandt, die während längerer Zeit auf der Baustelle vorgehalten werden müssen, ohne jedoch immer in Betrieb zu sein (Hebezeuge und Baustellenausstattungen im Hoch- und Ingenieurbau). Gerätekostenermittlungen über die Einsatzoder Betriebszeit werden v. a. für Leistungsgeräte durchgeführt, die bestimmten Teilleistungen zugeordnet werden können (Erdbaugeräte, Geräte für Straßen- und Gleisoberbau). Bei Stilliegezeiten innerhalb einer Vorhaltezeit von mehr als 10 aufeinanderfolgenden Arbeitstagen gelten • für die ersten 10 Kalendertage die volle Abschreibung und Verzinsung sowie die vollen Reparaturkosten, • vom 11. Kalendertag an 75 % der Abschreibung und Verzinsung sowie 8 % der Abschreibung und Verzinsung für Wartung und Pflege; Reparaturkosten entfallen. Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass für die Höhe der Gerätekosten der Ausnutzungs- oder Beschäftigungsgrad von entscheidender Bedeutung ist, d. h. das Verhältnis zwischen Vorhaltemonaten und Nutzungsjahren. Weitere gerätebezogenen Kosten werden meist anderen Kostenartengruppen zugewiesen. So werden Kosten, die dem Betrieb und der Bedienung der Geräte zugeordnet werden, wie beispielsweise die Lohnkosten des Baugeräteführers, der Kostenartengruppe Lohn und die Betriebsstoffkosten des Baugerätes sowie Kosten für Ver-

C. J. Diederichs et al.

ladungen, Transporte, Auf-, Um- und Abbau den Sonstigen Kosten (SoKo) zugeschrieben (vgl. Kattenbusch et al. 2017, S. 39). Für die Gerätebedienung wird für die Wartungs- und Pflegearbeiten außerhalb der baustellenüblichen Arbeitszeit ein Überstundenanteil von etwa 10 % der baustellenüblichen Arbeitszeit angenommen. Für die Gerätekosten bestehen je nach Art der Ausschreibung im Leistungsverzeichnis drei Zuordnungsmöglichkeiten: • in den Einzelkosten der Teilleistungen als eigene Positionen, z. B. Einrichten, Vorhalten und Räumen der Baustelle, • als Bestandteil der Einzelkosten der Teilleistungen, z. B. Baggerkosten im Einheitspreis für den Erdaushub oder • in den Gemeinkosten der Baustelle wegen fehlender direkter Zurechnungsmöglichkeit, z. B. Turmdrehkrane für die gesamten Rohbauarbeiten. Kosten für Nachunternehmerleistungen Der Nachunternehmer unterscheidet sich vom Fremdunternehmer dadurch, dass der Nachunternehmer eine abgeschlossene Leistung inkl. der Gewährleistung übernimmt, d. h. sowohl das Material und die Ausführung z. B. bei der Mauerwerkserstellung, während ein Fremdunternehmer nur Teilleistungen z. B. als Werklohnunternehmer ohne Gewährleistungsverpflichtungen übernimmt. In die Angebotskalkulation werden die Kosten der Nachunternehmer und der Fremdarbeit als Einzelkosten der Teilleistungen aus der Anfrage des Hauptunternehmers an potentielle Nachunternehmer „in der ersten Runde“ eingesetzt. Erhält dann der Hauptunternehmer den Auftrag, so wird i. d. R. „in der zweiten Runde“ nachverhandelt. Sonstige Kosten Zu den Sonstigen Kosten werden gemäß KLR Bau 2016 Kosten zugerechnet, die nicht direkt den anderen Kostenartengruppen (Lohn- und Gehaltskosten, Materialkosten, Gerätekosten, Nachunternehmerleistungen) zugewiesen werden können. Gemeinkosten (GK) der Baustelle Gemeinkosten (GK) der Baustelle sind solche Kosten, die durch das Betreiben der Baustelle als

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

93

Ganzes entstehen und sich keiner Teilleistung direkt zuordnen lassen. Sie werden gesondert berechnet und bei der Bildung der Einheitspreise den Teilleistungen als Bestandteil der Kalkulationszuschläge zugerechnet. Sind im Leistungsverzeichnis für Teile der Gemeinkosten besondere Positionen vorhanden, z. B. für das Einrichten und Räumen der Baustelle sowie das Vorhalten der Baustelleneinrichtung, so sind die Kosten hierfür wie Einzelkosten der Teilleistungen zu behandeln. Voraussetzung für die Ermittlung der Gemeinkosten der Baustelle ist ein genaues Durchdenken des gesamten Bauauftrags. Die zeitliche Abfolge der verschiedenen Teilleistungen ist mit Hilfe eines Bauzeitenplanes zu ermitteln, der auch als Grundlage zur Bestimmung der Kapazitäten dient (Belegschaftsstärke und Geräteausstattung). Die Auswirkungen von Bauzeitveränderungen auf die Gemeinkosten werden deutlich sichtbar, wenn man eine Trennung in zeitabhängige und zeitunabhängige Anteile vornimmt (Tab. 11).

reitung, Vermessung und Abrechnung sowie die Kosten für notwendige Baustoffprüfungen und Bodenuntersuchungen. • Zeitunabhängige Sonderkosten: Zeitunabhängige Sonderkosten entstehen aus Sonderwagnissen der Bauausführung und besonderen Bauversicherungen. Sonderwagnisse der Bauausführung bergen z. B. noch nicht erprobte Bauverfahren, drohende Vertragsstrafen aus Terminüberschreitungen und Gefährdungen durch Hochwasser. Besondere Bauversicherungen werden speziell für ein Bauprojekt abgeschlossen, wie z. B. Bauleistungsversicherungen. Zu zeitunabhängigen Sonderkosten gehören auch Lizenzgebühren, die infolge eines patentgeschützten Bauverfahrens entstehen, und Winterbaukosten, die für Winterbauschutzmaßnahmen anzusetzen sind.

Zeitunabhängige Gemeinkosten der Baustelle Dazu gehören (vgl. KLR Bau 2016, S. 164–170):

• Vorhaltekosten: Vorhaltekosten beinhalten den Kapitaldienst (Abschreibung und Verzinsung) sowie die Reparaturkosten sämtlicher Geräte, besonderer Anlagen, Container, Fahrzeuge, Einrichtungsgegenstände, Büroausstattungen, IT-Ausstattung sowie des Rüst-, Schal und Verbaumaterials. • Betriebs- und Bedienungskosten: Hierzu zählen flüssige, gasförmige oder feste Betriebsstoffe wie Heizöl, Schmierstoffe, Gas und elektrische Energie. • Kosten der örtlichen Bauleitung: Dazu gehören die Gehaltskosten einschließlich gehaltsgebundener Kosten und Gehaltsnebenkosten für Oberbauleiter, Bauleiter, Baukaufleute, Abrechner, Poliere und Schreibkräfte. Die Aufsichtskosten entfallen, sofern diese bereits in den Lohnkosten enthalten sind. Hinzu kommen Kosten für Porto, Telefon, Büromaterial, Bürokosten und IT-Ausstattung sowie PKW- und Reisekosten und Kosten für Bewirtung und Werbung. Die Kosten für die örtliche Bauleitung entfallen, wenn diese bereits in den Allgemeinen Geschäftskosten (AGK) erfasst werden.

• Kosten für das Einrichten und Räumen der Baustelle: Das Einrichten und Räumen der Baustelle umfasst die Verlade- und Transportkosten auf der Baustelle und auf dem Bauhof in Abhängigkeit von den Ladegütern. Hinzu kommen die Auf-, Um- und Abbaukosten der Baustelleneinrichtung einschließlich der Geräte. Weiterhin sind die Kosten für das Roden, Planieren und Befestigen des Baugeländes innerhalb dieser Position zu erfassen. Die Arbeiten umfassen ferner das Erstellen, die Instandhaltung und Beseitigung von Zufahrten, Wegen, Zäunen und Plätzen sowie die Erstausstattung für Büros, Unterkünfte und Sanitäranlagen. • Kosten der technischen Bearbeitung, Konstruktion und Kontrolle: Die Kosten der konstruktiven Bearbeitung durch Tragwerksplaner werden nach Zeitaufwand oder HOAI ermittelt; ggf. sind auch die Kosten des Prüfingenieurs zu berücksichtigen. Hinzu kommen die Kosten für Arbeitsvorbe-

Zeitabhängige Gemeinkosten der Baustelle Dazu zählen:

94

C. J. Diederichs et al.

Tab. 11 Zeitabhängige und -unabhängige Baustellengemeinkosten Zeitunabhängige Zeitabhängige Kosten Kosten 1. Kosten für das Einrichten und Räumen der Baustelle An- und Abtransport sowie Verladen der Baustelleneinrichtung einschließlich Geräte Auf-, Um- und Abbau der Baustelleneinrichtung einschließlich Geräte Erstellen, Instandhalten und Beseitigen von Zufahrten, Wegen, Zäunen und Plätzen Erstausstattung für Büros, Unterkünfte und Sanitäranlagen

x o o o o

2. Vorhaltekosten Geräte Besondere Anlagen Container Fahrzeuge Einrichtungsgegenstände, Büroausstattung IT-Ausstattung Rüst-, Schal- und Verbaumaterial 3. Betriebs- und Bedienungskosten

x o o o o o o o x

Geräte Besondere Anlagen Container Fahrzeuge

o o o o

4. Kosten der örtlichen Bauleitung

x

Gehaltskosten (TK/P) einschließlich gehaltsgebundene Kosten und Gehaltsnebenkosten Aufsichtskosten, soweit nicht im Mittellohn enthalten Porto, Telefon, Büromaterial, IT-Ausstattung PKW- und Reisekosten Bewirtung und Werbung 5. Kosten der technischen Bearbeitung, Konstruktion und Kontrolle Konstruktive Bearbeitung Arbeitsvorbereitung Baustoff- und Bodenuntersuchungen Vermessung und Abrechnung 6. Allgemeine Baukosten Hilfslöhne Transportkosten zur Versorgung der Baustelle Pachten und Mieten Kleingeräte, Werkzeuge und sonstige Verbrauchsstoffe Bauzinsen Avalkosten 7.

Sonderkosten Sonderwagnisse der Bauausführung Besondere Bauversicherungen Besondere Finanzierungskosten Lizenzgebühren Winterbaukosten

8. Lohngebundene Kosten sowie Lohnnebenkosten (AP), wenn nicht im Mittellohn enthalten

o o o o o x o o o o keine einheitliche Zuordnung o o o o o o keine einheitliche Zuordnung o o o o o keine einheitliche Zuordnung

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

• Zeitabhängige allgemeine Baukosten: Hierzu gehören Hilfslöhne für Hilfskräfte, Kosten durch Pachten und Mieten von Unterkünften, Büros und weiteren Mietobjekten für die Baustelleneinrichtung, Bauzinsen durch der Vorfinanzierung des Bauauftrags und Avalkosten. • Zeitabhängige Sonderkosten: Dazu gehören besondere Finanzierungskosten, die durch außergewöhnliche Zahlungsvereinbarung entstehen wie z. B. durch die Übernahme der Zwischenfinanzierung durch das Bauunternehmen. Allgemeine Geschäftskosten (AGK) Während Gemeinkosten der Baustelle auftragsbedingt anfallen, werden die Allgemeinen Geschäftskosten (AGK) vom Unternehmen als Ganzem verursacht. Sie können den einzelnen Aufträgen daher nur mit Hilfe von Zuschlagssätzen zugerechnet werden. Die wertmäßige Höhe der Allgemeine Geschäftskosten ist abhängig von vorhabens- und betriebsbedingten Faktoren, wie beispielsweise Unternehmensgröße oder Größe der Baumaßnahme. In der Regel variiert der Zuschlagssatz in einer Spanne von 8 bis 20 % in Relation zum Umsatz (vgl. Krause und Ulke 2016, S. 1440). Zu den Allgemeinen Geschäftskosten zählen • Kosten der Unternehmensleitung und -verwaltung wie Gehälter und Löhne, kalkulatorischer Unternehmerlohn (nur bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften), Sozialkosten, Büromiete oder Abschreibung, Verzinsung und Instandhaltung eigener Gebäude, Heizung, Beleuchtung und Reinigung sowie Reisekosten, • Kosten des Bauhofes (Lagerplatz, Magazin, Werkstatt, Fuhrpark), • freiwillige soziale Aufwendungen für die Gesamtbelegschaft, • nicht gewinnabhängige Steuern und öffentliche Abgaben (z. B. Grundsteuer), • Verbandsbeiträge (z. B. Arbeitgeberverband, Industrie- und Handelskammer, Betonverein), • Versicherungen, soweit sie nicht ausschließlich einzelne Aufträge betreffen, d. h. insbesondere

95

Berufs- und Betriebshaftpflicht-, Unfall-, Baugeräte-, Feuer-, Einbruch-, Diebstahl-, Leitungswasserschaden- und Sturmschadenversicherung, • kalkulatorische Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals (Bilanzsumme ./. betriebsfremdes Vermögen) und • sonstige Allgemeine Geschäftskosten wie Rechts- und Steuerberatungskosten, Patentund Lizenzgebühren. In der Praxis wird der Zuschlagssatz für die Allgemeinen Geschäftskosten (AGK) in Abhängigkeit von der jährlich geplanten Bauleistung berechnet und prozentual auf die Herstellkosten (HK) zugeschlagen. Da aus der Summe der Einzelkosten der Teilleistungen (EKT) und der Gemeinkosten (GK) nur die Herstellkosten bekannt sind, muss der Zuschlagssatz auf die Herstellkosten nach folgender Formel berechnet werden: p0 ¼

100  p , 100  p

p = Prozentsatz der Angebotsendsumme für AGK und W+G p0 = Prozentsatz, bezogen auf HK. Beispiel: p0 ¼

100  ð6 þ 4Þ ¼ 11,11 % von HK: 100  ð6 þ 4Þ

Gewinn (G) Der Zuschlag für Gewinn (G) wird i. d. R. in einem Prozentsatz, bezogen auf den Umsatz (Nettoangebotspreis), ausgedrückt. Aus der Summe der Einzelkosten der Teilleistungen (EKT), der Baustellengemeinkosten (GK) sowie der Allgemeinen Geschäftskosten (AGK) ergeben sich die Selbstkosten. Der Übergang von den Selbstkosten zu den Preisen des Marktes vollzieht sich durch den Gewinnzuschlag (G). Dieser muss mittel- und langfristig > 0 sein, damit für die Anteilseigner ein Anreiz besteht, Kapital in das Unternehmen zu investieren und eine angemessene Kapitalverzinsung zu erhalten. Seine Höhe ist daher abhängig von den jeweiligen Kapitalmarktverhältnissen. Der Gewinnzuschlag

96

soll aber auch eine angemessene Vergütung für die Leistung des Unternehmens in wirtschaftlicher, technischer und organisatorischer Hinsicht sein. In einer Marktwirtschaft mit Wettbewerbspreisen entscheidet jedoch der Markt und damit die Intensität der Nachfrage und des Angebots über den möglichen Gewinnzuschlag. Der Markt interessiert sich nicht für die Selbstkosten des Unternehmers. Nach der KLR Bau 2016 ist der Wagnisanteil kein Preisbestandteil, da das Wagnis als Teil des Unternehmensrisikos zu bewerten ist. Das bisher gesondert ausgewiesene Wagnis ist daher ein Bestandteil des Gewinns und kein selbstständiger Begriff (vgl. KLR Bau 2016, S. 40). Trotzdem wird dieser Begriff verwendet, so zum Beispiel im Bauvertragsrecht gemäß BGB nach aktueller Fassung (§ 650c Abs. 1 BGB).

C. J. Diederichs et al.

anderen periodischen Druckschriften (mit Ausnahmen), • Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr innerhalb von Gemeinden und auf Strecken < 50 km. Steuerbefreit sind Umsätze aus Lieferungen und sonstigen Leistungen (Auszug aus § 4 UStG): • • • •

• Skonto Der Skonto ist ein Preisnachlass bei Zahlung innerhalb einer bestimmten Frist. Mit Hilfe des Skontos bekommt der Auftraggeber einen Rabatt auf den Forderungsbetrag, wenn er die Rechnung innerhalb einer gekürzten Zahlungsfrist tatsächlich bezahlt. Durch das Skonto sichert sich der Auftragnehmer eine schnelle Bezahlung der Rechnung und einen frühzeitigen Liquiditätszufluss. Nachlass Ein Nachlass führt zur Verringerung des vom Auftraggeber zu zahlenden Preises und wird üblicherweise im Rahmen der Vertragsverhandlungen vereinbart. Umsatzsteuer Die Umsatzsteuer ist eine Mehrwertsteuer. Der Regelsteuersatz für jeden steuerpflichtigen Umsatz beträgt seit dem 01.01.2007 19 % auf die Nettoabrechnungswerte (§ 12 Abs. 1 UStG). Sie gilt auch für Abschlagsrechnungen (§ 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B). Für bestimmte Umsätze gilt gemäß § 12 Abs. 2 UStG und Anlage 2 ein ermäßigter Steuersatz in Höhe von 7 % (Auszug): • Lieferung von Lebensmitteln, • Lieferung von Büchern, Broschüren und ähnlichen Druckeerzeugnissen, Zeitungen und

• • •

Ausfuhrlieferungen, Universaldienstleistungen der Deutschen Post, der Seeschifffahrt und Luftfahrt, der Eisenbahnen des Bundes auf Gemeinschaftsbahnhöfen, Betriebswechselbahnhöfen, Grenzbetriebsstrecken und Durchgangsstrecken an Eisenbahnverwaltungen mit Sitz im Ausland, für die Personenbeförderungen im Passagierund Fährverkehr mit Wasserfahrzeugen für die Seeschifffahrt zwischen inländischen Seehäfen und der Insel Helgoland, für die meisten Bank- und Finanzdienstleistungen für Privatpersonen, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, die unter das Versicherungsgesetz fallen.

Kalkulationsverfahren Im Baugewerbe werden wegen der Unikat- und Einzelfertigung auf immer wieder neuen Baustellen mit jeweils auftragsspezifischen Produktionsbedingungen Verfahren der Zuschlagskalkulation angewandt im Gegensatz zu in der stationären Industrie üblichen anderen Verfahren wie der Divisionskalkulation. Dazu ist allerdings festzustellen, dass sich die „Kalkulation“ bei kleinen, aber auch mittleren Bauunternehmen vielfach noch darauf beschränkt, Einheitspreise in die Blankette der Leistungsverzeichnisse aus der Erfahrung hineinzuschreiben, ohne sie durch vorkalkulatorische Kostenermittlungen zu untermauern. Größere Bauunternehmen neigen andererseits vermehrt dazu, die Kalkulation auf das Einholen von Nachunternehmerangeboten zu beschränken, da der Eigenleistungsanteil zunehmend reduziert wird. Beide Vorgehensweisen sind abzulehnen, da die Fähigkeit zu eigenständiger Kalkulation fehlt oder verloren geht.

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

Bei der Zuschlagskalkulation ist das Verfahren mit vorbestimmten Zuschlägen vom Verfahren über die Angebotsendsumme, d. h. mit auftragsspezifischer Gemeinkostenermittlung, zu unterscheiden. Kalkulation mit vorbestimmten Zuschlägen Sie kommt nur für solche Aufträge in Betracht, deren Kostenartenstruktur im Wesentlichen mit der anderer Aufträge vergleichbar ist. Dabei werden die aus der Baubetriebsrechnung oder aus vergleichbaren Aufträgen ermittelten Zuschläge für die Kalkulation verwendet (Abb. 52). Dieses Verfahren wird überwiegend für Rohbauangebote einfachen und mittleren Schwierigkeitsgrades sowie für sämtliche Technik- und Ausbauangebote angewandt, sofern die Einheitspreise nicht aus dem Gedächtnis heraus eingesetzt werden. Kalkulation über die Angebotsendsumme Bei der Kalkulation über die Endsumme werden die Gemeinkosten der Baustelle für jeden Bauauftrag gesondert ermittelt. Daher ergeben sich jeweils unterschiedlich hohe Zuschläge auf die Einzelkosten der Teilleistungen. Die Allgemeinen Geschäftskosten sowie der Zuschlag für Wagnis und Gewinn werden auch hier mit vorberechneten Zuschlagssätzen den Herstellkosten zugeschla-

Abb. 52 Ablauf der Kalkulation mit vorbestimmten Zuschlägen

97

gen. Infolge der auftragsspezifischen Ermittlung der Gemeinkosten der Baustelle engt dieses Kalkulationsverfahren das Risiko von Kalkulationsfehlern erheblich ein. Daher sollte es für alle größeren Rohbauaufträge gewählt werden, insbesondere für solche des konstruktiven Ingenieurhoch- und -tiefbaus (Abb. 53). Ablauf der Kalkulation Die Maßnahmen zur Bearbeitung einer Angebotskalkulation gliedern sich in Vorarbeiten, die eigentliche Angebotsbearbeitung und firmenpolitische Abschlussarbeiten. Vorarbeiten Zunächst ist anhand der vorliegenden Ausschreibungsunterlagen zu entscheiden, ob die anzubietende Leistung fachlich, kapazitiv und von der Konkurrenzsituation her so attraktiv ist, dass der mit der Angebotsbearbeitung verbundene Arbeitsaufwand gerechtfertigt ist (Prozesshürde Start Angebotsbearbeitung).

Abb. 53 Ablauf der Kalkulation über die Angebotsendsumme

98

Sodann sind die in den Vergabeunterlagen enthaltenen kostenwirksamen Vorgaben zu ermitteln, z. B.: • • • • •

Zahlungs- und Abrechnungsmodalitäten, Vertragsstrafen, Sicherheitseinbehalte, Aufhebung von Bedingungen der VOB/B, Einschluss von Besonderen Leistungen gemäß VOB/C in die vertraglichen Leistungen, • Lieferung von Ausführungsunterlagen, • örtliche Verhältnisse. Anschließend ist die Angebotsbearbeitung zeitlich und personell einzuplanen und zu prüfen, ob Änderungsvorschläge oder Nebenangebote in Betracht kommen. Bei Unklarheiten oder Lücken in den Vergabeunterlagen sind in Wahrnehmung der Prüfungspflicht des Bieters Auskünfte beim Auslober einzuholen. Leistungspositionen, für die Pauschalpreise angegeben werden sollen, erfordern die Ermittlung der fehlenden Mengenangaben. Einzelne Bauteile sind ggf. konstruktiv zu bearbeiten wie die Bemessung von Lehrgerüsten oder von Baugrubenverbaukonstruktionen. Ferner sind seitens der Arbeitsvorbereitung Angaben zu liefern über Art, Anzahl und Einsatzdauer der benötigten Arbeitskräfte, Betriebsmittel und Geräte. Gemeinsam mit der Arbeitsvorbereitung sind Bauablaufpläne mit zeitlicher Abfolge der Arbeiten aufgrund der vorgegebenen Vertragstermine unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Arbeitsverfahren sowie der technologischen, betrieblichen und äußeren Abhängigkeiten zu entwickeln. Ferner ist ein Baustelleneinrichtungsplan für den Einsatz der erforderlichen Großgeräte zu entwerfen. In der Praxis wird die Arbeitsvorbereitung häufig erst nach Auftragserteilung eingeschaltet. Dadurch entstehen jedoch oft vermeidbare Kalkulationsfehler. Für Leistungen, die nicht vom eigenen Unternehmen erbracht werden sollen oder können, sind Subunternehmerangebote einzuholen. Ermittlung der Einheitspreise für die LV-Positionen Das Kalkulationsverfahren soll zunächst am Beispiel einer Kalkulation mit vorbestimmten

C. J. Diederichs et al.

Zuschlägen für eine Stützwand gezeigt werden (Tab. 12). Die Kalkulation wird in folgenden Schritten durchgeführt (KLR Bau 2016, S. 42–51): • Ermittlung des Mittellohns: Im Beispielprojekt „Stützwand“ wird der Mittellohn 34,07 €/h (ASL) angenommen. • Ermittlung der Gemeinkostenzuschläge: Im Beispielprojekt „Stützwand“ wird ein Zuschlagssatz i.H.v. 18,65 % auf die Kostenarten Material und Geräte angesetzt. Auf die Lohnkosten wird ein Prozentsatz von 40,12 %, die Sonstigen Kosten von 17,60 % und die Kosten für Nachunternehmerleistungen von 15,50 % übernommen. • Ermittlung der Einzelkosten: In diesem Schritt werden die Einzelkosten je Einheit der LV-Position ohne Zuschlag, getrennt nach den Kostenartengruppen (Lohn, Material, Geräte, NU und SoKo) ermittelt. • Preisfindung: Hier werden die Einheitspreise mit den zuvor angesetzten vorbestimmten Zuschlägen für Gemeinkosten und Gewinn ermittelt. • Aufsummierung: Im letzten Schritt werden durch Multiplikation der Einheitspreise mit den Mengen, die jeweiligen Positionspreise ermittelt und anschließend zur Nettoangebotssumme aufsummiert. Für die Stützmauer ergibt sich eine Nettoangebotssumme i.H.v. 126.130,48 €. Beispielhaft setzt sich der Einheitspreis der Fundamentschalung (Pos. 2.03) von 47,56 €/m2 wie folgt zusammen: Einzelkosten der Teilleistungen (EKT) Löhne 0,75 h  34,07 €/h 25,55 €/m2 SoKo 10,00 €/m2 35,55 €/m2 Gemeinkosten-/Schlüsselkostenzuschlag auf Löhne 25,55 €/m2  40,12 % 10,25 €/m2 auf SoKo 10,00 €/m2  17,60 % 1,76 €/m2 12,01 €/m2 Einheitspreis 47,56 €/m2

In der Pos. 2.05 „Wandbeton C20/25 einschließlich Schalung und Bewehrung“ sind in

Quelle: KLR Bau 2016, S. 49

Pos. Menge Einheit Beschreibung 1.010 900,00 m3 Aushub und seitliches Lagern Abfuhr 1.020 150,00 m3 1.030 750,00 m3 Hinterfüllung 2.010 225,00 m2 Sauberkeitsschicht 5 cm Fundamentbeton 2.020 120,00 m3 C20/25 Fundament2.030 200,00 m2 schalung 2.040 12,00 T Betonstahl 500 S 2.050 120,00 m3 Wandbeton C20/25 (inkl. S+B) 2.060 9,50 m Dehnungsfugen 2.070 160,00 m Arbeitsfugen 2.080 30,00 m Sollbruchfugen Summen Kostenarten 25,55

250,97 65,00 34,07 10,22 34,07

0,75

7,37 1,00 0,30 1,00

9,95 2,50 10,20

65,00

17,04

0,50

3,00

1,70 6,82

0,05 0,20

10,00

10,00

1,93

47,74 14,32 47,74 61.633,18

1039,50 103,95

NU 1,1550 in €

11,81 2,97 12,10 20.260,20 6384,30 12.904,80 24.948,00

11,87

78,39

77,12

11,87

7,64

SoKo 1,1760 in €

900,00 66,66 90,00 351,68

77,12

3,56

2,29

Geräte 1,1865 in € 2,02

11,76

23,87

2,39 9,55

EKT (mit Zuschlag) Lohn Material 47,74 1,1865 in € in € 1,43

35,80

10,00

6,50

EKT (ohne Zuschlag) Stunden Lohn Material Geräte SoKo NU 34,07 in h in € in € in € in € in € 0,03 1,02 1,70

Tab. 12 Ermittlung der Einheitspreise über die Kalkulation mit vorbestimmten Zuschlägen

59,55 17,29 59,84

1039,50 623,01

47,56

112,86

7,64 4,68 13,11

565,73 2766,40 1795,20 126.130,48

12.474,00 74.761,20

9514,00

13.543,20

1146,00 3510,00 2949,75

in € in € 3,45 3105,00

Angebotspreise EP GP

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen 99

100

die Ermittlung der Einzelkosten das Einrichten, Vorhalten und Räumen der Baustelleneinrichtung sowie Betriebskosten hinzugerechnet worden. Infolgedessen ergibt sich hier der gegenüber dem Fundamentbeton mit 112,86 €/m3 ein wesentlich höherer Einheitspreis von 623,01 €/m3. Würden diese Anteile den Gemeinkosten der Baustelle zugerechnet, so müssten der Kalkulationslohn und der Zuschlag auf sonstige Kosten entsprechend erhöht werden, der Einheitspreis für den Wandbeton würde entsprechend sinken. Beim Verfahren über die Angebotsendsumme sind folgende Schritte durchzuführen (KLR Bau 2016, S. 52–58): • Ermittlung der Einzelkosten je Einheit der LV-Position ohne Zuschlag, getrennt nach den gewählten fünf Kostenarten (Lohn, Material, Geräte, NU und SoKo) und Summierung je Kostenart; • Ermittlung der Gemeinkosten der Baustelle (Tab. 14); • Ermittlung der Selbstkosten: In diesem Schritt wird zu den Herstellkosten (EKT+BGK) ein Zuschlag addiert, um die Allgemeinen Geschäftskosten (AGK) zu decken (Tab. 15). • Gewinnzuschlag: Zur Ermittlung der Angebotssumme wird den Selbstkosten der Gewinn in Form eines prozentualen Zuschlagssatzes hinzugerechnet (Tab. 15). • Ermittlung des Gesamtumlagebetrages als Gesamtsumme der Baustellengemeinkosten (BGK), Allgemeinen Geschäftskosten (AGK) und des Gewinns (Tab. 15). • Ermittlung der Einheitspreise zur anschließenden Berechnung der Angebotssumme (Tab. 13). Im Kalkulationsschlussblatt (Tab. 15) werden in Zeile 1 die Summen der Einzelkosten der Teilleistungen ohne Zuschlag übernommen. In Zeile 2 werden die Gemeinkosten der Baustelle als Summenzeile aus Tab. 14 eingetragen. Die Addition von Zeile 1 und Zeile 2 ergibt in Zeile 3 die Herstellkosten. In den Zeilen 4 bis 6 werden die vorbestimmten Zuschläge für AGK sowie Gewinn (inkl. Wagnis) in % der Angebotssumme (von oben) aufgeführt. Zeile 7 enthält nach Umrechnung den

C. J. Diederichs et al.

Gesamtzuschlag in % auf die Herstellkosten (von unten), Zeile 8 die Ausmultiplikation und Zeile 9 die Angebotssumme ohne Mehrwertsteuer durch Addition von Herstellkosten sowie AGK und Gewinn (inkl. Wagnis). Zur Ermittlung der Zuschlagssätze und des Angebotslohnes werden zunächst in Zeile 10 die Einzelkosten der Teilleistungen aus Zeile 1 von der Angebotssumme in Zeile 9 abgezogen. Damit ergeben sich in Zeile 11 die umzulegenden Schlüsselkosten. In Zeile 12 werden die für die Vorabumlage auf alle Kostenarten außer Löhne gewählten Zuschläge aufgeführt. Daraus ergeben sich die Vorabumlagen in Zeile 13, die als Summe von den Schlüsselkosten abgezogen werden. Damit verbleibt in Zeile 14 eine Restumlage als zu verrechnender Zuschlag auf die Lohnkosten in Zeile 16. Daraus ergibt sich in Zeile 17 ein Kalkulationslohn (Angebotslohn) in Höhe von 63,80 €/h. Anschließend werden die gewählten Vorabumlagen aus Zeile 13 als Zuschlagsfaktoren und der Angebotslohn aus Zeile 17 in die Kopfzeile der Tab. 13 übernommen. Damit ergeben sich die Einheitspreise und durch Multiplikation mit den Mengen aus Spalte 2 die Gesamtpreise sowie eine Angebotssumme von netto 146.859,10 €. Für die Wahl der Zuschlagssätze, nach denen die Schlüsselkosten auf die Einzelkosten der Teilleistungen umgelegt werden, besteht die Möglichkeit der Vorabumlagen und Restumlagen oder aber eines einheitlichen Zuschlagssatzes für alle Kostenarten. Diese Art der gleichmäßigen Verteilung der Schlüsselkosten ist bei Auslandsaufträgen wegen des hohen Schlüsselkostenanteils durchaus gebräuchlich, in Deutschland jedoch nicht üblich. Sie hat den Vorteil, dass Mengenminderungen in einzelnen Positionen keine Minderung der Schlüsselkosten bewirken, solange die Angebotssumme durch Mengenmehrungen in anderen Positionen oder Zusatzleistungen per Saldo nicht unterschritten wird. Dieser einheitliche Zuschlagssatz für alle Kostenarten ist auf Stoffe, Geräte und Nachunternehmerleistungen deutlich höher und auf Löhne deutlich niedriger als bei den in Deutschland gewohnten Vorabumlagen und den sich danach einstellenden Restumlagen auf Löhne.

Pos.

Quelle: KLR Bau 2016, S. 56

2.060 9,50 m 2.070 160,00 m 2.080 30,00 m Summen Kostenarten

2.040 12,00 t 2.050 120,00 m3

2.030 200,00 m2

2.020 120,00 m3

1.020 150,00 m3 1.030 750,00 m3 2.010 225,00 m3

Aushub und seitliches Lagern Abfuhr Hinterfüllung Sauberkeitsschicht 5 cm Fundamentbeton C 20/25 Fundamentschalung Betonstahl 500 S Wandbeton C 20/25 (inkl. S+B) Dehnungsfuge Arbeitsfugen Sollbruchfugen

Menge Einheit Beschreibung

1.010 900,00 m3

1,00 0,30 1,00

7,37

0,75

0,50

0,05 0,20

0,03

65,00

3,00

34,07 10,22 34,07

9,95 2,50 10,20

10,00

10,00

1,93

35,55

92,04

6,50 3,63 9,82

2,72

47,85

31,90

3,19 12,76

1,91

EKT (mit Zuschlag) Lohn 63,80 in €

44,02 12,72 44,27

63,80 19,14 63,80 82.361,80

900,00 900,00 66,66 90,00 482,63 469,99

10,00

6,50

in €

in €

1,70

in €

in €

in €

EKT

Material Geräte SoKo NU

250,97 65,00

25,55

17,04

1,70 6,82

1,02

EKT Stunden Lohn 34,07 in h in €

Tab. 13 Ermittlung der Einheitspreise über die Angebotsendsumme

11,87

11,87

2,29

2,02

Geräte 1,1865 in €

78,39

11,76

7,64

SoKo 1,176 in €

1039,50 103,95

NU 1,1550 in €

11,81 2,97 12,10 20.260,20 6384,30 12.904,80 24.948,00

77,12

77,12

3,56

Material 1,1865 in €

7,64 5,48 16,32

3,93

75,61 22,11 75,90

1039,50 741,32

59,61

120,89

in €

718,30 3537,60 2277,00 146.859,10

12.474,00 88.958,40

11.922,00

14.506,80

1146,00 4110,00 3672,00

3537,00

in €

Angebotspreise EP GP

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen 101

Betriebs- und Bedienungskosten für Geräteeinsatz

techn. Bearbeitung Konstruktion, Planererstellung und Kontrolle

60

60 60

psch.

psch. 65

3

3 3 3. Summe 4 1,00

Quelle: KLR Bau 2016, S. 54

5. Summe Summen Kostenarten

641

Kosten der örtlichen Bauleitung 0,50 Bauleiter pro Monat Vermesser, anteilig 0,25 Baukaufmann

Monate

4 4. Summe 5 1,00 5

Vorhaltekosten Geräte

Monate 641

644

1

Beschreibung Einrichten und Räumen Einrichten und Räumen Geräte, Schalung und Rüstung

1. Summe 2 3,00 2 2. Summe 3 3,00

60

Menge 1,00

1

Pos. 1

Einheit/ Kostenart psch.

Tab. 14 Ermittlung der Baustellengemeinkosten

220,00

220,00

7495,40

7495,40

2400,00 2400,00

500,00 500,00

Einzelkosten der internen BGK-Positionen Stunden Lohn Material Geräte 34,07 in h in € in € in €

3000,00

3000,00

350,00 1250,00 4600,00

3000,00

2500,00

2500,00

in €

SoKo

3000,00

2400,00

4600,00

500,00

9995,40

in €

EK

7495,40

220,00

7495,40

3900,00

2400,00

1500,00

3000,00 19.300,00

13.800,00

2500,00

Gesamtkosten der internen BGK-Positionen Lohn Material Geräte SoKo 34,07 in € in € in € in €

3000,00 30.695,40

2400,00

13.800,00

1500,00

9995,40

in €

GK

102 C. J. Diederichs et al.

Quelle: KLR Bau 2016, S. 55

Kostenartengruppen 1) EKT 2) BGK 3) Herstellkosten 1) + 2) AGK und Gewinn in % der Angebotssumme 4) AGK 5) Gewinn 6) Summe 4) + 5) 7) Umrechnung auf Herstellkosten (%  100)/(100 – %) 8) Gesamtzuschlag 7)  3) 9) Angebotssumme ohne Mehrwertsteuer 3) + 8) Ermittlung der Einzelkosten-Zuschläge (Umlage) 10) abzüglich EKT 1) 11) umzulegende Schlüsselkosten 9) – 1) abzüglich gewähltem Vorab-Zuschlag auf: 12) Zuschlag auf EKT in % 13) Vorabumlage 12)  1) 14) Rest-Umlage 11) – 13) (zu verrechnender Zuschlag auf Lohnkosten) 15) Mittellohn (ML ASL) 16) Zuschlag auf Lohn 14)/1) 17) Kalkulationslohn (Angebotslohn)

Tab. 15 Ermittlung der Angebotssumme

7,00 % 5,00 % 12,00 % 13,64 % 2329,10 €

Material 18,65 3184,59 €

/43.979,67

7,00 % 5,00 % 12,00 % 13,64 % 7021,20 €

Lohn

38.373,36

-€

17.075,53 €

Material 17.075,53 €

Lohn 43.979,67 € 7495,40 € 51.475,07 €

Geräte 18,65 1002,90 €

7,00 % 5,00 % 12,00 % 13,64 % 1265,45 €

Geräte 5377,50 € 3900,00 € 9277,50 €

0,8725

SoKo 17,60 1931,46 €

7,00 % 5,00 % 12,00 % 13,64 % 4129,40 €

SoKo 10.974,20 € 19.300,00 € 30.274,20 €

34,07 €/h 29,73 €/h 63,80 €/h

NU 15,50 3348,00 €

7,00 % 3,00 % 12,00 % 11,11 % 2399,76 €

21.600,00 €

NU 21.600,00 €

9466,95 € 38.373,36 €

- 99.006,90 € 47.840,31 €

17.144,91 € 146.847,21 €

Summe 99.006,90 € 30.695,40 € 129.702,30 €

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen 103

104

Die Differenz der Angebotssumme zwischen der Kalkulation mit vorberechneten Zuschlägen mit 126 130,48 € (Tab. 12) und der Kalkulation über die Angebotsendsumme mit 146.859,10 € (Tab. 13) = 20 728,62 € wird damit erklärt, dass die BGK bei der Kalkulation mit vorberechneten Zuschlägen um ca. 20.000 € zu niedrig angesetzt wurden (KLR Bau 2016, S. 57). Firmenpolitische Abschlussarbeiten Die für eine Angebotsbearbeitung erforderlichen Arbeiten lassen sich grundsätzlich in zwei Bereiche zerlegen: • Tätigkeiten, die von allen fachkundigen und erfahrenen Kalkulatoren übernommen werden können, soweit sie die Kostenauswirkungen der jeweils zu wählenden Bauverfahren und die Prinzipien wirtschaftlicher Bauabwicklung kennen, und • Tätigkeiten, die den firmenpolitischen Spielraum darstellen und üblicherweise von Oberbauleitern, Niederlassungsleitern bzw. Geschäftsführern wahrgenommen werden. Die firmenindividuellen Einflüsse werden i. d. R. in Form einer Kalkulationsbesprechung von der Geschäftsleitung eingebracht. Gegenstände dieser Besprechungen sind: • die Zuschläge für Allgemeine Geschäftskosten und Gewinn (inkl. Wagnis), • die Bewertung schwierig einzuschätzender Gemeinkostenanteile, • die Überprüfung der Aufwands- und Leistungswerte wesentlicher Leitpositionen (diejenigen etwa 20 % aller Positionen, die etwa 80 % der Angebotssumme ausmachen), • die Überprüfung der Endergebnisse durch Plausibilitätskontrollen mit Hilfe von Kostenkennwerten und Verhältniszahlen, • die Bewertung von risikobeeinflussenden Festlegungen in den Vergabeunterlagen sowie von äußeren Bedingungen, • die Einschätzung der jeweiligen Marktlage und • die Frage, ob das Risiko der Angebotsabgabe mit der daraus entstehenden Bindungswirkung im Auftragsfall beherrschbar ist (Prozesshürde der Angebotsabgabe).

C. J. Diederichs et al.

Voll- und Teilkostenrechnung (Deckungsbeitragsrechnung) Bei der Vollkostenrechnung werden sämtliche Kosten der Leistungserstellung den einzelnen Kostenträgern zugerechnet. Bei der Teilkostenrechnung werden den Kostenträgern lediglich die durch die Leistungserstellung verursachten variablen Kosten zugerechnet, während die beschäftigungsunabhängigen fixen Kosten der Betriebsbereitschaft gesondert erfasst werden. Anstelle des Begriffs Teilkostenrechnung wird vielfach auch der Begriff Deckungsbeitragsrechnung verwendet. Werden nur noch die variablen Kosten berücksichtigt, so geht die Teilkostenrechnung über in die Grenzkostenrechnung. Bei der Deckungsbeitragsrechnung werden die Gesamtkosten einer Abrechnungsperiode in variable (leistungsabhängige) und fixe (der Deckung der Betriebsbereitschaft dienende Kosten) unterschieden. Den Kostenträgern werden lediglich die durch die Leistungserstellung verursachten variablen Kosten zugerechnet, während die beschäftigungsunabhängigen fixen Kosten der Betriebsbereitschaft gesondert erfasst werden. Auf eine Aufschlüsselung und Umlage der fixen Kosten auf die variablen Kosten der Kostenstellen wird verzichtet. Deckungsbeitrag = Erlöse ./. variable Kosten Die Summe aller Deckungsbeiträge während des Geschäftsjahres dient zunächst zur Deckung aller bei den einzelnen Kostenstellen anfallenden fixen Kosten und nach dem Erreichen der Gewinnschwelle zur Erzielung eines Gewinns. Im Rahmen dieses Gewinns liegt der preispolitische Spielraum. Die Gewinnschwelle in der Deckungsbeitragsrechnung und die Abhängigkeit der Gewinn- und Verlustentwicklung von der Menge bzw. dem Beschäftigungsgrad zeigt Abb. 54. Die Deckungsbeitragsrechnung findet Anwendung bei der Preisfindung, der Erfolgskontrolle und -steuerung sowie der Kostenkontrolle der Bereitschaftskosten. Vielfach wird die Deckungsbeitragsrechnung als Allheilmittel gegen zurückgehende Auftragsbestände angesehen. Dies ist jedoch nur sehr bedingt richtig. Es gilt: • Bei der Vollkostenkalkulation wird der Angebotspreis mit voller Deckung der variablen und

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

105

Abb. 54 Deckungsbeitrag sowie Kosten- und Erlösverlauf

fixen Kosten ermittelt. Bei sinkender Beschäftigung bzw. rückläufigem Umsatz führt dies zur Notwendigkeit einer Erhöhung der Schlüsselkostenumlage. Hierdurch erhöhen sich entsprechend die Angebotspreise des Unternehmens und verringern sich in marktwirtschaftlichen Systemen seine Auftragschancen. • Hat das Unternehmen jedoch bereits seine Gewinnschwelle erreicht und die Fixkosten gedeckt, so kann es zusätzliche Aufträge mit kurzen Durchführungszeiten unter teilweisem oder völligem Verzicht auf Deckung weiterer Fixkosten hereinnehmen, um seine Beschäftigungslage zu stabilisieren. Dies gilt jedoch nur für solche Bauaufträge, die nach Erreichen der Gewinnschwelle (z. B. im September oder Oktober eines Geschäftsjahres) noch bis zum Jahresende abgewickelt werden können, da sonst das neue Geschäftsjahr mit Aufträgen belastet wird, die keine Fixkosten erwirtschaften. Die Gefahr bei Anwendung der Deckungsbeitragsrechnung besteht darin, dass man sich über eine nicht erreichte Fixkostendeckung hinwegsetzt und diese von einer unbestimmten Zukunft erhofft. Die Ermittlung der Preisuntergrenze bei Aufrechterhaltung der Liquidität bietet sich u. U. dann an, wenn man die Liquidität des Unternehmens kurzfristig nicht verschlechtern will. Es kann dann für bis zum Jahresende abgeschlossene Aufträge auf Gewinn (inkl. Wagnis) sowie

Abschreibung und Verzinsung der Maschinen und Geräte verzichtet werden. Zur Ermittlung der Preisuntergrenze bei vollständigem Verzicht auf Deckung der Fixkosten werden dagegen von der auf Vollkostenbasis errechneten Angebotssumme zusätzlich abgezogen: • Allgemeine Geschäftskosten sowie • Baustellengehaltskosten (örtliche Bauleitung, Poliere und technische Bearbeitung).

4.3

Baubetriebsrechnung (Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung)

Die Baubetriebsrechnung hat folgende Aufgaben: • kostenstellenbezogene Ermittlungen für eigene Baustellen und Gemeinschaftsbaustellen, für Verwaltungsstellen sowie für Hilfsbetriebe und Verrechnungskostenstellen mit der Zielsetzung der Abgrenzung und Kontrolle von Verantwortungsbereichen, der Ermittlung der Kostenartenstruktur je Kostenstelle, der Analyse der Ergebnisse nach Bausparten und der Bildung innerbetrieblicher Verrechnungssätze und Kalkulationsvorgabewerte, • bereichsbezogene Ermittlungen für zusammengefasste Kostenstellen, • gesamtbetriebliche Ermittlungen zur Darstellung der Kostenarten-, Leistungsarten- und Ergebnisstruktur,

106

• Ermittlung innerbetrieblicher Verrechnungssätze für innerbetriebliche Leistungen, • Ermittlung von Kalkulationsvorgabewerten und Zuschlagssätzen, • Ermittlung der Herstellkosten nach Handelsund Steuerrecht, insbesondere für die Bewertung unfertiger Bauleistungen und • Bereitstellung von Zahlen für die Soll/Ist-Vergleichsrechnung. Der Aufbau der Baubetriebsrechnung hat den Erfordernissen des baubetrieblichen Produktionsprozesses zu entsprechen. Um die Baubetriebsrechnung von der Unternehmensrechnung abgrenzen zu können, ist zusätzlich eine Abgrenzungsrechnung erforderlich. Kostenrechnung Die Kostenrechnung besteht aus der Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung sowie der Verrechnung der innerbetrieblichen Kosten. Kostenartenrechnung Die Kostenartenrechnung dient der Erfassung sämtlicher Kostenarten in einem bestimmten Zeitabschnitt. Als Quelle der Kostenerfassung dienen sowohl externe Quellen, wie beispielsweise der Jahresabschluss, als auch interne Quellen, wie zum Beispiel Wochenstundenberichte. Nach der KLR Bau wird eine einheitliche Kostenartenharmonisierung empfohlen, das bedeutet, dass die verwendeten Kostenartengruppen aus der Bauauftragsrechnung als Orientierung auch für die Baubetriebsrechnung dienen sollen. Eine abgestimmte Gliederung greift der BKR 2016 auf und fasst die entsprechenden Kostenarten in die Kontenklasse 6 auf. Hieraus lässt sich folgende Gruppierung ableiten: 1. Lohn- und Gehaltskosten für Arbeiter und Poliere, 2. Kosten der Baustoffe und der Fertigungsstoffe, 3. Kosten des Rüst-, Schal- und Verbaumaterials einschließlich der Hilfsstoffe, 4. Kosten der Geräte einschließlich der Betriebsstoffe, 5. Kosten der Geschäfts-, Betriebs- und Baustellenausstattung,

C. J. Diederichs et al.

6. Allgemeine Kosten, 7. Fremdarbeitskosten, 8. Kosten der Nachunternehmerleistungen. Kostenstellenrechnung Während die Kostenartenrechnung zeigt, welche Kosten angefallen sind, hat die Kostenstellenrechnung Aufschluss darüber zu geben, wo diese Kosten entstanden sind. Den Kostenstellen sind entstehende Kosten möglichst verursachungsgerecht zuzuordnen. Ihre Bildung kann nach verschiedenen, kombinierbaren Kriterien erfolgen (nach Regionen, Funktionen, Verantwortungsbereichen und rechentechnischen Erwägungen). Da auf den Kostenstellen i. d. R. Leistungen erbracht werden, können sie auch als Leistungsstellen bezeichnet werden (Abb. 55). Hauptkostenstellen sind üblicherweise die Baustellen. Als Hilfskostenstellen werden Verwaltungskostenstellen sowie Hilfsbetriebe und Verrechnungskostenstellen bezeichnet. Bei der direkten Verrechnung werden die Kosten den Kostenstellen dem Verursacherprinzip entsprechend unmittelbar zugeordnet. Bei der indirekten Verrechnung werden die Kosten den Kostenstellen entweder mit Hilfe von Schlüsseln oder im Umlageverfahren zugeordnet. Kostenträgerrechnung Die Kostenträgerrechnung ordnet die Kosten dem einzelnen Produkt zu. In der Bauauftragsrechnung sind Bauleistungen die eigentlichen Kostenträger, die nach Positionen im Leistungsverzeichnis beschrieben sind. In der Baubetriebsrechnung werden dagegen die Kosten den Baustellen zugeordnet, die damit zugleich den Charakter eines Kostenträgers erhalten, sodass eine zusätzliche Kostenträgerrechnung nicht erforderlich ist. Leistungsrechnung Die Leistungsrechnung gliedert sich in die Leistungsarten- und Leistungsstellenrechnung sowie die Verrechnung der innerbetrieblichen Leistungen. Leistungsartenrechnung Die Leistungsartenrechnung dient der Erfassung sämtlicher Leistungsarten in einem bestimmten Zeitabschnitt. Die Gliederung entspricht im

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

107

Abb. 55 Kostenstellenkatalog. (Quelle: KLR Bau 2016, S. 99–101)

Wesentlichen der Kontenklasse 5 des BKR in der Unternehmensrechnung. Die wesentliche Leistungsart sind Bauleistungen, bestehend aus Hauptauftrag, Zusatz- und Nachtragsaufträgen. Um zu einem bestimmten Stichtag eine Abschlagsrechnung an den Auftraggeber stellen zu können, müssen alle Leistungen, die bis zum Stichtag erbracht wurden, in einer Leistungsmeldung erfasst werden. Dazu werden zunächst pro Position des Leistungsverzeichnisses aus Ausführungsplänen oder durch Aufmaß die zum Stichtag erbrachten Mengen ermittelt. Diese werden mit den im Einheitspreisvertrag festgelegten Einheitspreisen multipliziert. Anschließend werden die Nachtragsarbeiten und evtl. Stundenlohnarbeiten in gleicher Weise bewertet. Gegebenenfalls sind Leistungsberichtigungen aus Minderungen we-

gen Preisnachlässen oder aus Mängeln zu berücksichtigen. Nur teilweise ausgeführte Positionen sind entsprechend ihrem Fertigstellungsgrad zu bewerten. Angelieferte, aber noch nicht eingebaute Stoffe sind mit den um das Einbauen reduzierten Preisen in die Leistungsmeldung aufzunehmen. Leistungsstellenrechnung In der Baubetriebsrechnung sind Leistungsstellen identisch mit Kostenstellen und deren Gliederung. Verrechnung innerbetrieblicher Leistungen Die innerbetriebliche Leistungsverrechnung bewertet den Tatbestand, dass zwischen den verschiedenen Stellen des Baubetriebs ein ständiger Leistungsaustausch stattfindet. Diese Leistungen

108

C. J. Diederichs et al.

müssen zunächst ermittelt und dann der empfangenden Kostenstelle mit Hilfe von Verrechnungssätzen belastet und der abgebenden Stelle als innerbetriebliche Leistung anhand interner Verrechnungssätze gutgeschrieben werden. Ergebnisrechnung Die Ergebnisrechnung ermittelt die Differenz zwischen den erbrachten Bauleistungen und den dadurch verursachten Kosten. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Einzel- und Gesamtergebnissen für einzelne Aufträge (kostenstellen- und periodenbezogene Ergebnisse), für einzelne Bereiche (z. B. Abteilung Hochbau) oder für das gesamte Unternehmen. Die Objekte, auf die Kosten und Leistungen bezogen und für die damit Ergebnisse ermittelt werden, können sein: • die Teilleistungen eines Bauauftrags als Kostenträger,

• die einzelnen Baustellen oder alle Baustellen einer Sparte als Kostenstellen sowie • das Bauunternehmen als Ganzes als Kostenstelle. Bei den Perioden, auf die Ergebnisse bezogen werden können, unterscheidet man • Abrechnungsperioden (z. B. Monat), • Zeit vom Baubeginn bis zum vorherigen Stichtag, • Zeit vom Beginn der Baustelle bis zum jeweiligen Stichtag, • Zeit vom Beginn des Geschäftsjahres bis zum vorherigen Stichtag sowie • Zeit vom Beginn des Geschäftsjahres bis zum jeweiligen Stichtag. Das Beispiel einer gestuften Ergebnisrechnung eines Beispielunternehmens zeigt Tab. 16. Wichtig ist, das Ergebnis vom Stichtag bis zum Auf-

Tab. 16 Beispiel einer gestuften Ergebnisrechnung

Kostenträger Stützwand Bauprojekt 2 Bauprojekt 3 Bauprojekt 4 Gesamt-Bauprojektergebnis Umlagekostenstellen

98. . .1 98. . .2 98. . .3 98. . .4

Leistung 1.408.564,00 € 53.564,00 € 575.000,00 € 490.000,00 € 290.000,00 €

Selbstkosten 1.328.965,38 € 54.945,18 € 542.312,00 € 466.306,30 € 265.401,90 €

488.950,38 €

524.923,50 €

Verwaltung PKW Rechnungswesen Bauleitung Kleingeräte/Werkzeuge Sozialkosten gewerbliche Mitarbeiter Sozialkosten Angestellte Verrechnungskostenstellen

95. . .1 95. . .2 95. . .3 95. . .4 95. . .5 95. . .6

98.599,48 € 15.000,00 € 27.000,00 € 78.265,70 € 7201,89 € 233.258,31 €

137.587,50 € 15.000,00 € 27.000,00 € 78.375,00 € 7202,00 € 228.949,00 €

95. . .7

29.625,00 € 240.985,00 €

30.810,00 € 248.653,50 €

Werkstatt Vorhaltegeräte Leistungsgeräte Lager Betriebsergebnis

96. . .1 96. . .2 96. . .3 96. . .4

48.945,00 € 86.040,00 € 71.000,00 € 35.000,00 €

51.240,60 € 87.300,00 € 71.900,00 € 38.212,90 €

Quelle: KLR Bau 2016, S. 125

Deckungsbeitrag I (nach Herstellkosten) 178.198,10 € 2368,30 € 72.938,00 € 57.993,70 € 44.898,10 € Über-/ Unterdeckung Unterdeckung ausgeglichen ausgeglichen Unterdeckung Unterdeckung Überdeckung Unterdeckung Über-/ Unterdeckung Unterdeckung Unterdeckung Unterdeckung Unterdeckung

Ergebnis (nach Selbstkosten) 79.598,62 € 1381,18 € 32.688,00 € 23.693,70 € 24.598,10 € 79.598,62 € 35.973,12 € 38.988,02 € 0,00 € 0,00 € 109,30 € 0,11 € 4309,31 € 1185,00 € 7668,50 € 2295,60 € 1260,00 € 900,00 € 3212,90 € 35.957,00 €

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

tragsende in der Prognose fortzuschreiben, dann monatlich mit dem Ist-Ergebnis zu vergleichen und die Abweichungen zu begründen. Dadurch können rechtzeitig ggf. erforderliche ergebnisverbessernde Anpassungsmaßnahmen eingeleitet werden.

4.4

Abgrenzungsrechnung als Bindeglied zwischen Unternehmensrechnung und Baubetriebsrechnung

Die Ermittlung des Ergebnisses für das gesamte Unternehmen kann entweder mittels eines Betriebsabrechnungsbogens (BAB) oder mit Hilfe von zwei Abstimmkreisen vorgenommen werden. Bei Verwendung eines Betriebsabrechnungsbogens werden zunächst die Kosten und Leistungen der Kostenstellen ermittelt und direkt oder indirekt den empfangenden und abgebenden Stellen zugeordnet. Anschließend werden die innerbetrieblichen Kosten und Leistungen entweder mit festgelegten Verrechnungssätzen oder durch Umlage der Ist-Kosten verrechnet. Nach Verrechnung der Verwaltungskosten auf die Baustellen lassen sich die Selbstkosten der Baustellen ermitteln. Die Subtraktion der Selbstkosten von den Leistungen ergibt die Baustellenergebnisse. Das Betriebsergebnis erhält man dann durch Addition der summierten Baustellenergebnisse unter Berücksichtigung der im Bereich Verwaltung, Hilfsbetriebe und Verrechnungskostenstellen entstandenen Über- und Unterdeckungen (vgl. KLR Bau 2016, S. 107–108). Wird eine mit der Unternehmensrechnung verbundene Baubetriebsrechnung aufgebaut, so sind vier Gruppen von Geschäftsvorfällen zu unterscheiden (Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und Zentralverband Deutsches Baugewerbe 2016, S. 29): • nur die Unternehmensrechnung betreffend – z. B. eingegangene Dividenden-Erträge aus Finanzanlagen oder gezahlte Spenden; • nur die Baubetriebsrechnung betreffend – z. B. kalkulatorische Miete; • sowohl die Unternehmensrechnung als auch die Baubetriebsrechnung betreffend

109

– z. B. abgerechnete Löhne und Gehälter für Baustellen oder gestellte Schlussrechnungen an den Auftraggeber; • Geschäftsvorfälle, die in der Unternehmensrechnung anders bewertet werden als in der Baubetriebsrechnung – z. B. bilanzielle oder kalkulatorische Abschreibung. Es entspricht den Anforderungen an eine leistungsfähige Baubetriebsrechnung, jederzeit und unabhängig von der handels- und steuerrechtlichen Bilanzierung die Kosten, Leistungen und Ergebnisse der Baustellen ermitteln zu können. Voraussetzung hierfür ist eine Trennung der Unternehmensrechnung von der Baubetriebsrechnung. Diese Trennung lässt sich mit einem sog. Übernahmekonto erreichen. Die Buchhaltung beider Abrechnungskreise lässt sich mit Hilfe von Zuordnungsziffern steuern, die angeben, ob nur die Unternehmensrechnung, nur die Baubetriebsrechnung oder beide betroffen sind.

4.5

Soll/Ist-Vergleichsrechnung

Im Rahmen von Soll/Ist-Vergleichen werden Sollund Ist-Zahlen einander gegenübergestellt, um ihre Abweichungen zu ermitteln und zu analysieren (vgl. KLR Bau 2016, S. 128–129). Sie dienen • der Kontrolle der Aufwands- und Leistungswerte sowie der Faktorpreise der Vorkalkulation mittels Nachkalkulation zur Verbesserung künftiger Vorkalkulationen, • der Kontrolle und Steuerung des baubetrieblichen Geschehens sowie • der Bildung von Kennzahlen. Ferner werden im Rahmen der Projektsteuerung Soll/Ist-Vergleiche durchgeführt, z. B. zur Ermittlung von Zeitabweichungen zwischen der Bauablaufplanung und dem tatsächlichen Bauablauf sowie von Abweichungen zwischen ausgeführten Mengen und ausgeschriebenen LV-Mengen. Soll/Ist-Vergleiche können sich auf die Gesamtbaustelle, einzelne Bauabschnitte, Arbeitsvorgänge gemäß BAS (Bauarbeitsschlüssel) oder einzelne LV-Positionen beziehen. Als Men-

110

gen sind Arbeits- und Gerätestunden, -tage bzw. -monate sowie Stoffe zu erfassen. Als Werte sind Kosten, Leistungen und Ergebnisse zu ermitteln. Die Vergleiche sind zweckmäßigerweise periodisch während der gesamten Dauer der Leistungserstellung anzustellen, um bei Abweichungen noch steuernd eingreifen zu können. Nach abgeschlossener Leistung dienen sie lediglich zur Gewinnung von Kennzahlen. Die Ermittlung von Ist-Zahlen setzt ein entsprechendes Berichtswesen voraus. Dazu gehören z. B.

Abb. 56 Soll-IstVergleich der Lohnkosten für Schalarbeiten und Ursachenanalyse

C. J. Diederichs et al.

• Lohnberichte für die tägliche Berichterstattung der Arbeitsstunden, ggf. nach BAS, • Baugeräteberichte für die Berichterstattung der Gerätestunden und der vom Gerät erbrachten Bauleistungen, • Lieferscheine bzw. Rechnungen für die Stoffe sowie • Leistungsmeldungen mit den tatsächlich erbrachten Leistungsmengen. Abb. 56 zeigt einen Lohnkostenvergleich für Schalarbeiten mit Ursachenanalyse.

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

4.6

Kennzahlenrechnung

Jedes Bauunternehmen muss für sich entscheiden, welche Kennzahlen es benötigt. Dies gilt auch für diejenigen, die anhand der Daten der KLR Bau (2016) ausgewählt und gebildet werden können. Dabei ist jeweils der Verwendungszweck zu berücksichtigen, der in der betriebsinternen Vorgabe, im Zeitreihenvergleich oder im zwischenbetrieblichen Branchenvergleich (Benchmarking) liegen kann. Es empfiehlt sich, Kennzahlen der KLR Bau (2016) zunächst nach den Bereichen Bauauftragsrechnung, Baubetriebsrechnung und Soll/Ist-Vergleichsrechnung zu gliedern. Kennzahlen im Rahmen der Bauauftragsrechnung sind im Wesentlichen Aufwands- und Leistungswerte, Mittellöhne und Lohnkosten, bezogen auf die Herstellkosten. Durch die Bauauftragsrechnung werden keine neuen Kennzahlen gebildet. Vielmehr arbeitet sie mit Kennzahlen aus der KLER und insbesondere aus der Soll/IstVergleichsrechnung. Kennzahlen der Baubetriebsrechnung sind nach Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung zu unterscheiden. Im Rahmen der Kostenrechnung ergeben sich • Kennzahlen der Kostenarten des Gesamtbetriebs aus der Relation der in der KLER ermittelten Kosten zueinander (z. B. Anteil der Löhne und Gehälter an den Gesamtkosten), • Kennzahlen der Kosten der Verwaltung (z. B. Anteil der Gehaltskosten an den gesamten Verwaltungskosten), • Kennzahlen der Kosten der Hilfsbetriebe (z. B. Entwicklung des Geräteausnutzungsgrades zwischen Berichtsjahr und Vorjahr) und • Kennzahlen der Kosten der Baustellen (z. B. Löhne und Gehälter/Arbeitsstunden). Im Rahmen der Leistungsrechnung sind Kennzahlen zu bilden für • die Leistungsarten des Gesamtbetriebs aus den anteiligen Relationen und in Relation zur Gesamtleistung (z. B. Anteil der Leistungen einzelner Bausparten an den gesamten Bauleistungen),

111

• die Leistungen der Verwaltung und der Hilfsbetriebe (z. B. innerbetrieblich verrechnete Leistungen/Gesamtkosten der Verwaltung und der Hilfsbetriebe) und • die Leistungsstruktur der Baustellen (z. B. Anteil der Nachunternehmerleistungen an der gesamten Bauleistung) sowie für die Arbeitsproduktivität (z. B. Leistung je Beschäftigten und Jahr). Kennzahlen der Ergebnisrechnung erstrecken sich auf • die Betriebsergebnisrechnung (z. B. Gesamtergebnis der eigenen Baustellen in Prozent der Gesamtleistung der eigenen Baustellen), • die Ergebnisrechnung der Verwaltung und der Hilfsbetriebe (z. B. Ergebnis eines Hilfsbetriebs in Prozent der Leistungen eines Hilfsbetriebes) und • die Ergebnisrechnung der Baustellen (z. B. Ergebnis in Prozent der Gesamtleistung vom Jahresbeginn bis zum Stichtag). Kennzahlen der Soll/Ist-Vergleichsrechnung betreffen i. d. R. nur den Baustellenbereich. Dabei geht es vorrangig um die Ermittlung von Soll/IstAbweichungen für • den Mittellohn im Berichtszeitraum, • die Arbeitsstunden im Berichtszeitraum sowie • die Aufwands- und Leistungswerte.

4.7

Bewertung der Bauaufträge mit den Zahlen der Baubetriebsrechnung eines Jahres

Grundsatz für die Bewertung von Bauaufträgen ist das Imparitätsprinzip nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB. Bis zur Abnahme wird der Bauauftrag als unabgerechneter Bau bei der Position „Erhöhung oder Minderung des Bestandes an nicht abgerechneten Bauten“ verbucht, bei Gewinnaufträgen zu Herstellkosten und bei Verlustaufträgen zu dem niedrigeren beizulegenden Wert. Erst nach der Abnahme darf der Auftragswert als Umsatzerlös

112

C. J. Diederichs et al.

in die Gewinn- und Verlustrechnung übernommen werden. Droht eine Schlussrechnungskürzung durch den Auftraggeber aus Minderung wegen Mängeln, ist diese bei den Umsatzerlösen als Erlösminderung abzusetzen. Ein vom Bauleiter als „sicher“ beurteilter Nachtrag kann in der GuV nur dann als Umsatzerlös verbucht werden, wenn vom Auftraggeber eine schriftliche Bestätigung der gestellten Nachtragsrechnung vorliegt. Außerdem ist das Unternehmen verpflichtet, bei Verbuchung eines Gewinnauftrags Rückstellungen für die noch zu erwartenden Kosten wie Baustellenräumung und Gewährleistungsrisiken zu bilden. Beispiel eines abgerechneten Gewinnauftrags, der im Bilanzjahr begonnen, beendet und abgerechnet wurde (vgl. Leimböck 1997, S. 40–41): Zahlen der Baubetriebsrechnung: Bauleistung Kosten Gewinn Zahlen des Jahresabschlusses: aktivierungspflichtige Herstellkosten aktivierungsfähige Kosten Summe der Aufwendungen Bilanzwerte: Forderungen an den Bauherrn Rückstellungen 2 % v. 4800 € Gewinn- und Verlustrechnung: Umsatzerlöse Aufwendungen Rückstellungen Gewinn

5

4 800 T€ 4 484 T€ +316 T€ 4 100 T€ 384 T€ 4 484 T€ 4 800 T€ 96 T€ 4 800 T€ 4 484 T€ 96 T€ +220 T€

Unternehmensfinanzierung

Wirtschaftlicher Zweck jedes Unternehmens ist es, durch Kombination von Produktionsfaktoren Waren oder Dienstleistungen zu erzeugen und diese gewinnbringend am Markt zu verwerten. Den Ausgaben für die Beschaffung der Produktionsfaktoren stehen Einnahmen aus der Leistungsverwertung gegenüber. Da die Ausgaben i. d. R. vor den Einnahmen anfallen, ist im Unternehmen ständig eine Geldmenge gebunden, die von der Kapitalbindungsdauer (Zeitspanne zwischen Ausgaben und Einnahmen) abhängt. Bei Gründung

eines Unternehmens muss diesem zunächst von außen Kapital zur Verfügung gestellt werden, um die Unternehmensprozesse in Gang zu setzen. Der Begriff Finanzierung umfasst alle Maßnahmen der Mittelbeschaffung und Rückzahlung und damit der Gestaltung der Zahlungs-, Informations-, Kontroll- und Sicherungsbeziehungen zwischen Unternehmen und Kapitalgebern. Kapital (Passiva der Bilanz) bezeichnet alle einem Unternehmen zur Verfügung stehenden Finanzmittel zur Finanzierung der Vermögenswerte (Aktiva der Bilanz). Das Kapital ist grundsätzlich nach Eigen- und Fremdkapital zu unterscheiden. Eigenkapital sind die im Unternehmen eingesetzten finanziellen Mittel, die vom Unternehmer oder Gesellschaftern des Unternehmens selbst eingebracht worden sind. Fremdkapital sind die dem Unternehmen von Dritten, d. h. von Nichteigentümern und damit Gläubigern, zur Verfügung gestellten Mittel.

5.1

Finanzierungsziele

Die strategischen Finanzierungsziele jedes Unternehmens sind i. d. R. auf die Bewahrung der Unabhängigkeit und Flexibilität ausgerichtet. Die taktischen und operativen Finanzierungsziele bestehen in der Bewahrung der Liquidität und Finanzierungssicherheit sowie der Rentabilität. Die Sicherstellung der erforderlichen Liquidität bezeichnet die Fähigkeit eines Unternehmens, aktuellen und zukünftigen Zahlungsverpflichtungen im Rahmen des normalen Geschäftsverkehrs fristgerecht und betragsgenau nachkommen zu können. Durch eine im jeweiligen Planungszeitraum ausreichende Liquidität steht dem Unternehmen nicht weniger, aber auch nicht mehr als das erforderliche Kapital zur Verfügung, um die Unternehmens- und Betriebsprozesse zu finanzieren. Eine betragsmäßige und zeitliche Koordinierung der Einzahlungs- und Auszahlungsströme ist für den störungsfreien Ablauf der Prozesse durch ständig gegebene Zahlungsfähigkeit des Unternehmens unerlässlich. Die Rentabilität wird ermittelt aus dem Wertverhältnis von erzieltem Jahresüberschuss und eingesetztem Kapital. Dabei lassen sich unterscheiden:

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

• Eigenkapitalrentabilität = 100  Jahresüberschuss/Eigenkapital, • Gesamtkapitalrentabilität = 100  (Jahresüberschuss + Fremdkapitalzinsen)/Gesamtkapital, • Umsatzrentabilität = 100  Jahresüberschuss/Jahresumsatz und • Betriebskapitalrentabilität = 100  Betriebsergebnis/betriebsnotwendiges Kapital. Das strategische Ziel der Unabhängigkeit und Flexibilität wird dadurch bestimmt, dass jede Aufnahme externen Kapitals neue oder verstärkte Abhängigkeitsverhältnisse von den jeweiligen Kapitalgebern schafft, z. B. zu den finanzierenden Banken. Bei Eigenkapitalgebern entsteht ein unmittelbarer Einfluss auf die Unternehmensführung. Strategische und taktische Aufgabe der Unternehmensführung im Bereich der Unternehmensfinanzierung und Liquiditätssicherung ist daher die Erhaltung der Kredit- und Beteiligungswürdigkeit zur Sicherung von Finanzierungspotenzialen. Das Verhältnis zwischen den taktischen und operativen Rentabilitäts- und Liquiditätszielen wird dadurch gekennzeichnet, dass die Rentabilität als maßgebliches Oberziel und die Liquidität als existenzielle Nebenbedingung jeder unternehmerischen Tätigkeit anzusehen sind. Operative Aufgabe ist daher die Koordination von Einnahmen und Ausgaben zur kurz- und mittelfristigen Liquiditätssicherung. Das Finanzierungsziel der Unternehmenssicherung ist eng verwandt mit dem Ziel der Liquiditätssicherung und steht in komplementärer Beziehung zum Rentabilitätsziel. Zwar steigt die Eigenkapitalrendite linear mit dem Verschuldungsgrad, solange die Gesamtkapitalrendite größer ist als der Fremdkapitalzins (LeverageEffekt). Ein hoher Verschuldungsgrad steigert aber das Liquiditätsrisiko. Daher achten Fremdkapitalgeber darauf, dass das Unternehmensrisiko durch Eigenkapital abgedeckt wird. Die Geschäftsführung wiederum ist auf Sicherheit der Kreditkonditionen bedacht, die durch Laufzeit, Zinshöhe, Disagio und zu leistende Darlehenssicherheiten bestimmt werden. Die von der Deutschen Bundesbank (2018b, S. 16 und 162) für das Jahr 2015 festgestellten

113

Verhältniszahlen aus Jahresabschlüssen deutscher Bauunternehmen verdeutlichen, dass das Jahresergebnis aller Unternehmen vor Gewinnsteuern mit 2,8 % der Gesamtleistung bzw. mit 4,6 % inkl. Zinsaufwendungen der Bilanzsumme niedriger war als dasjenige der Unternehmen des Baugewerbes mit 4,8 % bzw. 4,9 %.

5.2

Einflussfaktoren auf die Finanzierungs- und Liquiditätssituation

In jedem Unternehmen wird die Finanzierungsund Liquiditätssituation täglich durch zahlreiche Einflussfaktoren verändert, die zu einer Abweichung zwischen den Wirtschaftsplänen (Soll) und der tatsächlichen Entwicklung (Ist) führen. Für die Bauwirtschaft sind insbesondere folgende branchenspezifischen Einflussfaktoren zu nennen: • Marktmacht der Lieferanten: Aus der Sichtweise eines Bauunternehmens können die Lieferanten in drei Gruppen unterschieden werden: Lieferanten von materiellen Gütern, Lieferanten von Dienstleistungen und Lieferanten von Arbeitskräften (vgl. Porter 2013, S. 34). Die Marktmacht der Lieferanten von materiellen Gütern, wie z. B. in der Baustoffindustrie, ist wegen der großen Anzahl von Unternehmen auf Angebotsseite eher als „gering“ zu bewerten, wohingegen in regionalen Teilmärkten Oligopole bestehen, die die Marktmacht der Lieferanten stärken. Dienstleistungen werden größtenteils durch Ingenieure und Architekten erbracht. Deren Marktmacht ist relativ gering, da z. B. Planungsleistungen ebenfalls durch Bauunternehmen erbracht werden (Totalunternehmer). Die Lieferanten von Arbeitskräften bilden die dritte Gruppe der Lieferanten und können in Abhängigkeit von der Konjunkturlage über eine erhebliche Verhandlungsmacht verfügen (vgl. Trost 2005, S. 27–28). • Marktmacht der Abnehmer: Ein Indiz für die Marktmacht der Kunden bzw. Abnehmer ist die Entwicklung der Preise der Bauindustrie. Von 1995 bis 2017 stiegen in

114

Deutschland die Preise für Leistungen des Bauhauptgewerbes um 27 %, hingegen für das Ausbaugewerbe um 46 % (vgl. Hauptverband der Deutschen Bauindustrie 2018). Diese Preissteigerungen sind ein Zeichen für die hohe Nachfrage insbesondere nach Ausbauleistungen. Die aktuell im Jahr 2018 hohe Nachfrage nach Bauleistungen führt zu einer komfortablen Verhandlungsposition der Bauunternehmen gegenüber den Abnehmern bzw. Auftraggebern. • Bedrohung durch neue Wettbewerber: Strukturell ist für die Bauindustrie insbesondere für Standardbauten die Bedrohung durch neue Wettbewerber als hoch anzusehen, da für die Gründung eines Baugeschäftes nur relativ wenig Kapital erforderlich ist. Zusätzlich sind weitere Konkurrenten durch die EU-Erweiterung, insbesondere durch die Osterweiterung der Staaten der sogenannten LuxemburgGruppe (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern) im Jahr 2004 sowie durch den Eintritt der Länder Bulgarien und Rumänien im Jahr 2007 auf den Baumarkt entstanden. Allerdings war die Auswirkung dieser neuen Konkurrenten auf die deutsche Bauwirtschaft nur punktuell festzustellen, da auch die Nachfrage in den Beitrittsländern recht hoch war. Deutsche Bauunternehmen sehen dennoch ein hohes Risiko durch neue Wettbewerber. • Bedrohung durch Ersatzprodukte: Im Gegensatz zur Bedrohung durch neue Wettbewerber hat die Bedrohung durch Ersatzprodukte einen geringen Stellwert in der Bauwirtschaft, da zum ausgeschriebenen Bauwerk i. d. R. kein Ersatzprodukt existiert. Es bestehen jedoch Substitutionsgefahren auf der Baustoffebene für die Baustoffunternehmen (z. B. bei Mauerwerksteinen: Ziegel, Kalksandstein, Porenbeton, . . .) wie auch bei Bauteilen der jeweiligen Zulieferbranchen. • Wettbewerbsintensität zwischen den deutschen Bauunternehmen: Die Wettbewerbsintensität ist in vielen Teilmärkten strukturell recht hoch, da aufgrund des Geschäftsmodells mit Ausschreibung und

C. J. Diederichs et al.

Angebot nur ein sehr geringes Differenzierungspotenzial für den einzelnen Anbieter realisierbar ist. Es besteht lediglich meistens die Möglichkeit von Sondervorschlägen. Aufgrund der hohen Kapazitätsauslastung in vielen Bereich der Bauindustrie im Jahre 2018 ist diese allerdings zu einem solchen Engpassfaktor geworden, dass die Wettbewerbsintensität in dieser Zeit gibt es sich deutlich abgenommen hat. Neben den branchenspezifischen Einflussfaktoren beeinflussen auch unternehmensspezifische Faktoren die Finanzierungs- und Liquiditätsposition eines Unternehmens, wie z. B.: • die Rechtsform und Größe des Unternehmens mit dem für die Bauwirtschaft typischen Anteil der überwiegend kleinen Unternehmen, • mangelnde Geschäftsfeldflexibilität bei Nachfrageschwankungen, da die Entwicklung neuer Geschäftsfelder, die als Marktnischen angesehen werden, Vorinvestitionen und damit entsprechende Finanzmittel erfordert, sowie • der Unternehmensstandort, da der Markt der kleinen Unternehmen häufig auf einen Aktionsradius von ca. 50 km räumlich begrenzt ist. Des Weiteren sind auftragsspezifische Einflussfaktoren relevant, diese ergeben sich aus • dem Auslastungsrisiko durch erteilte Aufträge und vorhandene Kapazitäten mit zeitlicher Oszillation zwischen Unter- und Überauslastung sowie • dem Kalkulations- und Ausführungsrisiko durch Abweichungen zwischen vorkalkulatorischer Aufwandserwartung und durch die tatsächlichen Produktionsbedingungen erforderlichen Aufwänden mit der Schwierigkeit der Durchsetzung von Vergütungsänderungen aus Leistungsänderungen und Zusatzleistungen oder Schadensersatzansprüchen aus Behinderungen und dem daraus erwachsenden Liquiditätsrisiko der Vorfinanzierung erbrachter, aber (noch) nicht vergüteter Planungs- und Bauleistungen bzw. durch Mehrkosten entstandener Schäden.

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

5.3

Finanzierungsformen

Finanzierungsformen lassen sich nach der Herkunft des Kapitals, der Rechtsstellung der Kapitalgeber, dem Finanzierungszweck und der Dauer der Kapitalbereitstellung unterscheiden. Einen Überblick über die Alternativen der Innen- und Außenfinanzierung zeigt Abb. 57. Innenfinanzierung Die Innenfinanzierung ist überwiegend eine Überschussfinanzierung aus erwirtschaftetem Cashflow (Gewinn + Abschreibungen + Rückstellungen). Der Cashflow ist der Mittelzufluss aus dem betrieblichen Umsatzprozess und wird aus der Kapitalflussrechnung abgeleitet. Die Innenfinanzierung unterscheidet sich von der Außenfinanzierung grundsätzlich dadurch, dass keine Fremdkapitalzinsen gezahlt, keine Sicherheiten eingebracht werden müssen bzw. in Anspruch genommen werden können und sie frei ist von sonstigen Vorgaben der Kapitalgeber. Selbstfinanzierung Selbstfinanzierung liegt dann vor, wenn entstandene Gewinne thesauriert, d. h. nicht ausgeschüttet werden, sondern im Unternehmen verbleiben. Sie ist daher nur möglich bei positivem Geschäftsergebnis, d. h. höheren Erträgen als Aufwendungen im betrachteten Geschäftsjahr. Vorteile der Selbstfinanzierung im Sinne der strategischen Unternehmensführung liegen darin, dass weder neue Mitspracherechte noch weitere

Abb. 57 Finanzierungsalternativen für Unternehmen

115

Ausschüttungsverpflichtungen geschaffen werden. Es ist zwischen offener und stiller (verdeckter) Selbstfinanzierung zu unterscheiden. Bei der offenen Selbstfinanzierung werden die nicht ausgeschütteten Gewinne den verschiedenen Rücklageposten zugewiesen oder bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften den entsprechenden Kapitalkonten zugewiesen. Bei der stillen (verdeckten) Selbstfinanzierung werden durch abschlusspolitische Maßnahmen in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung stille Reserven in Höhe der nicht ausgewiesenen Gewinne gebildet, deren Besteuerung mit Unternehmens- und Gesellschaftersteuern erst zum Zeitpunkt ihrer Auflösung und Ausschüttung stattfindet. Rechtliche Basis für die Bildung stiller Reserven ist die nach HGB mögliche Unterbewertung von Aktiva und/oder Überbewertung von Passiva. Die Bilanzierung und Bewertung nach HGB ermöglicht die Nichtwahrnehmung von Aktivierungs- und Ausschöpfung von Passivierungswahlrechten sowie die Bewertung von Vermögensgegenständen zu bestimmten Wertuntergrenzen und von Verbindlichkeiten zu bestimmten Obergrenzen. Abrechnungsreserven entstehen in den Aktiva durch nicht abgerechnete (unfertige) Bauleistungen. Bei den Passiva wird durch Bildung überhöhter Rückstellungen, z. B. für drohende Vertragsstrafen, Schadensersatz- oder Gewährleistungsansprüche sowie potenzielle Verlustaufträge, eine stille Selbstfinanzierung bewirkt. Mit den Ermessens- und Gestaltungsspielräumen für

116

die Bilanzierung dieser Risiken kann der Gewinnausweis des Unternehmens über mehrere Geschäftsjahre hinweg durch Bildung oder Auflösung stiller Reserven verstetigt werden. Finanzierung aus Abschreibungen Die Finanzierung aus Abschreibungsrückflüssen wird durch Umschichtung der in absetzbaren Investitionen gebundenen Abschreibungsgegenwerte ermöglicht. Der wirtschaftliche Zweck von Abschreibungen besteht darin, Wertminderungen des Anlagevermögens periodenbezogen als Aufwand zu erfassen und damit den Werteverzehr über die Nutzungsphase nach den Vorgaben des Steuerrechts (degressiv oder linear) mit den Abschreibungsdauern nach den AfA-Tabellen (Absetzung für Abnutzung) zu verteilen. Abschreibungen des Anlagevermögens führen in der Bilanz zur Minderung der Aktiva. Sie sind in der Gewinn- und Verlustrechnung als Kosten auf der Aufwandsseite zu verbuchen. Der Wert der Abschreibungen geht in die Preiskalkulationen für Waren und Dienstleistungen ein. Damit entspricht ein Teil des Preises dem Wert des Nutzleistungsabgangs in Höhe der gebildeten Abschreibung. Werden diese Waren und Dienstleistungen nun verkauft und fließen dem Unternehmen dafür Zahlungen zu, so stehen diese Abschreibungsgegenwerte dem Unternehmen als aus dem Umsatzprozess resultierende Forderungen nach Zahlungseingang zur Verfügung. Da diese liquiden Mittel bis zum Ersatzzeitpunkt des jeweiligen Anlagegegenstands anstelle der Erhöhung des Bankguthabens auch anderweitig investiert werden können, entsteht auf diese Weise ein Kapazitätserweiterungseffekt (Lohmann-Ruchti-Effekt). Je nach gewähltem Abschreibungsverfahren hat die Unternehmensführung daher die Möglichkeit, entweder Finanzierungsreserven durch Erhöhung des Bankguthabens bis zum Ersatzzeitpunkt zu bilden, oder aber das Unternehmenswachstum zwischenzeitlich aus laufend zufließenden Abschreibungsgegenwerten zu finanzieren, sofern eine entsprechende Nachfragesteigerung dieses sinnvoll erscheinen lässt und mit den Abschreibungen ein zumindest ausgeglichenes Ergebnis erzielt wird.

C. J. Diederichs et al.

Finanzierung aus Rückstellungen Rückstellungen sind dem Grunde und der Höhe nach sowie hinsichtlich des Zeitpunkts ihrer Fälligkeit ungewisse Verbindlichkeiten aus Rechtsbeziehungen mit Dritten. Rückstellungen müssen jährlich im Rahmen der Bilanzerstellung bewertet, verändert oder nach Wegfall eines etwaigen Anspruchs dem Grunde nach aufgelöst werden. Zu unterscheiden sind vor allem Urlaubsrückstellungen aus noch nicht abgegoltenen Urlaubsansprüchen der Mitarbeiter, Gewährleistungsrückstellungen aus abgeschlossenen Aufträgen während der Dauer der Gewährleistungsfristen, Rückstellungen für unterlassene Instandhaltungen von Objekten, für Prozess- und Nachtragsrisiken, Pensionszahlungen und Steuerverbindlichkeiten. Die gebildeten Rückstellungen stehen dem Unternehmen als liquide Mittel zur Verfügung, solange die entsprechenden Verbindlichkeiten nicht eingetreten sind. Die Unsicherheit über die Höhe der Rückstellungen schafft einen gewissen Bewertungsspielraum. Überhöhte Ansätze führen daher zur stillen Selbstfinanzierung. Seitens der Finanzämter werden jedoch strenge Prüfmaßstäbe angelegt. So werden z. B. bei pauschalem Ansatz nur 0,5 % p. a. der Schlussabrechnungssumme als Gewährleistungsrückstellung anerkannt. Voraussetzung der Finanzierung aus Rückstellungen ist auch, dass mit den Investitionen aus Rückstellungen ein zumindest ausgeglichenes Ergebnis erwirtschaftet wird. Finanzierung durch Kapitalfreisetzung Die Finanzierung durch Kapitalfreisetzung oder auch Vermögensumschichtung umfasst alle Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, einen ursprünglich notwendigen Kapitalbedarf in Höhe der Bilanzsumme für das betriebsnotwendige Kapital zu senken. Kapitalfreisetzungen entstehen aus der planmäßigen oder außerplanmäßigen Desinvestition von Vermögensgegenständen, z. B. Verkauf von Grundstücken, Reduzierung der Lagerhaltung oder Auflösung von Finanzanlagen. Außerplanmäßige Desinvestitionen stellen bei Aufzehrung sämtlicher anderen Liquiditätsreserven eine letzte Alternative dar, wobei es wegen des erheblichen Zeitdrucks häufig zu Verkäufen unter Wert kommt. Durch das „Sale-and-Lease-BackVerfahren“ kann in derartigen Situationen die Wei-

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

ternutzung betriebsnotwendiger Vermögensgegenstände unter Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes gesichert werden. Finanzierung durch Rationalisierung und Cash-Management Darunter lassen sich alle Maßnahmen zusammenfassen, die auf die Verringerung der Kapitalbindung durch Erhöhung des Kapitalumschlags abzielen. Durch Beschleunigung der Einnahmen von Debitoren und Verzögerung der Ausgaben an Kreditoren durch das Cash-Management können im Rahmen der vertraglichen und gesetzlichen Möglichkeiten bestehende Liquiditätspotenziale genutzt werden. Außenfinanzierung Bei der Außenfinanzierung wird einem Unternehmen Kapital von verschiedenen Finanzierungsträgern zugeführt. Je nach Rechtsstellung der Kapitalgeber ist zwischen Beteiligungs- und Kreditfinanzierung zu unterscheiden. Subventionsfinanzierungen der öffentlichen Hand sind nur in Sonderfällen von Bedeutung und in marktwirtschaftlichen Ordnungen als nicht systemkonform möglichst ganz zu vermeiden. Das gilt trotz der globalen Finanz- und Immobilienmarktkrise im Jahre 2009 ff. auch weiterhin. Sie werden daher nicht weiter behandelt. Bei den Finanzierungsträgern (Kapitalgebern) ist zu unterscheiden nach: • Privatpersonen • Unternehmen • Staatlichen Institutionen und Körperschaften des Bundes, der Länder und der Kommunen • Kredit- und Finanzinstituten • Kapitalanlagegesellschaften • Finanzmärkten (Geld-, Renten- und Aktienmarkt) Nachfolgend werden die verschiedenen Formen der Beteiligungs- und der Kreditfinanzierung näher erläutert. Ferner wird der Komplex der Sicherheiten behandelt. Beteiligungsfinanzierung Bei einer Beteiligungs- oder auch Einlagenfinanzierung wird einem Unternehmen Beteiligungskapital dauerhaft zur Verfügung gestellt.

117

Beteiligungsfinanzierung ohne Börsenzutritt Die meisten deutschen Unternehmen der Bauwirtschaft haben aufgrund ihres mittelständischen Charakters keinen Zugang zum organisierten Kapitalmarkt (Börse). Das Beteiligungspotenzial wird durch die Rechtsform weiter eingegrenzt. Der Einzelunternehmer kann dem Unternehmen aus seinem Privatvermögen jederzeit Kapital zuführen oder auch entziehen. Bei der OHG können die bisherigen Gesellschafter ihre Einlagen erhöhen oder es können neue Gesellschafter aufgenommen werden. Bei der KG können analog die Kommanditisten ihre Einlage erhöhen oder aber es werden neue Kommanditisten in die KG aufgenommen. Bei einer GmbH bzw. UG (haftungsbeschränkt) können die Gesellschafteranteile erhöht oder aber neue Gesellschafter aufgenommen werden. Dies gilt analog für die GmbH & Co. KG. Stille Gesellschafter bringen eine Einlage ein, ohne nach außen in Erscheinung zu treten. Sie erhalten üblicherweise durch den Gesellschaftsvertrag eine Gewinnbeteiligung. Ihre Beteiligung am Verlust wird i. d. R. ausgeschlossen und ihre Haftung auf die Höhe ihrer Einlage beschränkt. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bietet sich bei einer, häufig zeitlich begrenzten, Interessenverfolgung gleichberechtigter Partner an. Sie ist in der Bauwirtschaft in der Form von Arbeitsgemeinschaften (ARGEN) zur Abwicklung größerer Bauaufträge zwecks Bündelung der Kapazitäten und Risikoverteilung weit verbreitet. Die Möglichkeit der Beteiligungsfinanzierung nicht emissionsfähiger Unternehmen besteht damit vorrangig in der Aufnahme neuer Gesellschafter auf der Basis existierender Vertrauensverhältnisse. Diese entstehen vielfach zwischen den bisherigen Gesellschaftern und bewährten Führungskräften sowie leistungsstarken Mitarbeitern des Unternehmens, bei denen durch eine Mitarbeiter-Kapitalbeteiligung eine gesteigerte Mitarbeitermotivation und Identifikation mit dem Unternehmen erreicht werden kann. Durch Ausgabe von Aktien, die nicht an der Börse gehandelt werden, können auch sogenannte „kleine Aktiengesellschaften“ gegründet werden. Für sie gelten auch die Vorschriften des AktG, jedoch nicht des börsenmäßigen Handels nach den §§ 32–47 BörsG.

118

Beteiligungsfinanzierung mit Börsenzutritt Bei Aktiengesellschaften (AG) stellt das durch einen Börsengang bzw. durch eine Kapitalerhöhung gezeichnete Kapital eine Beteiligungsfinanzierung dar. Es entspricht der Idee der AG, dass das gezeichnete Kapital dem Unternehmen dauerhaft zur Verfügung steht. Gemäß Aktiengesetz (AktG) müssen verschiedene Regelungen im Zusammenhang mit dem gezeichneten Kapital beachtet werden. Die Beteiligungsfinanzierung von Aktiengesellschaften erfolgt durch Ausgabe von Aktien, d. h. verbrieften Anteilsscheinen der Eigentümer am Grundkapital des Unternehmens. Die breite Streuung des Kapitals ermöglicht den problemlosen und kurzfristigen Verkauf der Aktien im Börsenhandel. Aufgrund der ausgeprägten Fungibilität und der geringen Höhe der Mindestbeteiligung (1 €) sind Kapitalerhöhungen relativ einfach durchzuführen. Bei der Ausgestaltung von Aktien ist nach den mit dem Eigentum verbundenen Rechten und der Übertragbarkeit der Aktien zu differenzieren. Stammaktien bieten dem Aktionär grundsätzlich alle Rechte nach AktG, d. h. sowohl das Mitgliedschaftsrecht (Stimm- und Auskunftsrecht, Recht der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen) als auch finanzielle Rechte auf Dividendenzahlungen, Bezugsrechte und Liquidationserlöse. Vorzugsaktien schließen das Stimmrecht der Aktionäre in der Hauptversammlung aus, beinhalten jedoch als Ausgleich für die Stimmrechtseinschränkung Vorteile bei der Gewinnausschüttung durch höhere Dividendenzahlungen. Vorzugsaktien werden häufig bei Sanierungen ausgegeben, wenn neue Geldgeber durch Bevorzugung gegenüber den bisherigen Aktionären gewonnen werden können. Für die bisherigen Kapitaleigner haben sie den Vorteil, die Einflussnahme Dritter zu begrenzen, z. B. bei Börsengängen von Familienunternehmen. Nach der Art der Aktienübertragung ist nach Inhaber- oder Namensaktien zu unterscheiden. Die Finanzierung durch einen Börsengang bietet folgende Vorteile: • Die bisherigen Eigentümer können sich ganz oder teilweise aus dem Unternehmen zurückziehen.

C. J. Diederichs et al.

• Eine Öffnung der Gesellschaft mit Verbreiterung des Aktionärskreises bedeutet gleichzeitig auch eine Teilung des Unternehmensrisikos. • Die Nachfolge kann durch einen Verkauf sämtlicher oder einiger Aktienpakete geregelt werden. • Eine Beteiligung der Mitarbeiter wird erleichtert. Die Vergrößerung des gesamten Aktienbestandes wird als Kapitalerhöhung bezeichnet. Diese wird dann in Erwägung gezogen, wenn eine Fremdfinanzierung nicht möglich oder zu teuer ist bzw. die einbehaltenen Gewinne nicht ausreichen, um das Unternehmenswachstum zu finanzieren. Die strengen Publizitätserfordernisse und Gläubigerschutzbestimmungen tragen zu einer Erhöhung des Kreditfinanzierungspotenzials bei. Börsennotierte Aktiengesellschaften haben daher bedeutende Finanzierungsvorteile gegenüber ihren nicht emissionsfähigen Konkurrenten. Genussscheine Beim Genussschein handelt es sich um ein Wertpapier, mit dem sogenannte Genussrechte verbrieft sind. Zu diesen Wertpapieren gibt es allerdings keine rechtliche Regelung. In der Praxis sind es meistens Gläubigerrechte mit solchen Teilrechten, die üblicherweise nur Eigentümern gewährt werden. Im Vordergrund stehen Ansprüche auf • Anteil am Gewinn, i. d. R. nicht am Verlust, • Gewährung von Bezugsrechten und • Anteil am Liquidationserlös. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Ausgestaltungen von Genussscheinen, die je nach Ausprägung mehr den Charakter von Eigen- oder von Fremdkapital haben. Die Emission von Genussscheinen ist nicht an eine bestimmte Rechtsform des Unternehmens gebunden. Kreditfinanzierung Kreditfinanzierung oder auch Fremdfinanzierung liegt vor, wenn einem Unternehmen Kapital durch Gläubiger zugeführt wird, die durch diese Trans-

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

aktion kein Eigentum am Unternehmen erwerben, sondern ihm Fremdkapital für eine bestimmte Dauer zur Verfügung stellen. Für den Fremdkapitalgeber entstehen daraus üblicherweise keine Mitsprache-, Kontroll- und Entscheidungsbefugnisse. Kreditwürdigkeitsprüfung Die Gewährung und Ausgestaltung der verschiedenen Kreditarten nach Kreditzins, Laufzeit und Tilgung ist abhängig von einer intensiven Bonitätsprüfung des Kreditnehmers durch den Kreditgeber. Durch ein sogenanntes Rating wird die Bonität, d. h. die Zahlungswilligkeit und künftige Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers in Form einer Skala, z. B. nach Ratingklassen von 1 bis 10, bewertet. Die Bestandteile eines Unternehmensratings lassen sich in einen quantitativen und einen qualitativen Bereich unterteilen. Zum quantitativen Bereich gehört die klassische Bilanzanalyse und Zukunftsprognose. Im qualitativen Bereich werden Bewertungen u. a. zur Qualität des Managements und zur zukünftigen Branchenentwicklung vorgenommen. Neben dem Ratingergebnis hängt die Vergabe von Krediten von den nachhaltigen Sicherheiten ab. Unternehmensrating nach Basel II bzw. Basel III Basel III (Richtlinie des „Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht“) bezeichnet die Vorschriften des Basler Ausschusses zur „Stärkung von Qualität und Quantität des Eigenkapitels der Banken“ (Bundesministerium der Finanzen 2010). Sie ist eine Weiterentwicklung bereits bestehender gesetzlicher Regelungen für das Kreditgeschäft der Banken und knüpft an die bereits bestehenden Grundsätze von Basel II und Basel I aus den Jahren 2004 und 1988 an. Basel I wurde in über 100 Ländern in nationales Recht umgesetzt und beinhaltete die Harmonisierung der rechtlichen Grundlagen für die Bankenaufsicht und die Definition international geltender Eigenkapitalvorschriften für die Kreditinstitute. Gemäß Basel I müssen Kredite an Nichtbanken und damit auch an mittelständische Unternehmen unabhängig von der Bonität der Schuldner von der kreditausreichenden Bank mit

119

8 % des Kreditvolumens durch Eigenkapital unterlegt werden (Paul und Stein 2002, S. 29). Die Eigenkapitalunterlegung orientiert sich dabei nicht an der Bonität der einzelnen Schuldner. Die Richtlinien von Basel II traten zum 01.01.2007 in Kraft. Den Richtlinien von Basel II sind direkt nur international tätige Kreditinstitute unterworfen. Ein von drei Säulen getragener Ansatz soll die Stabilität des internationalen Finanzsystems stärken: • Mindesteigenkapitalanforderungen für Banken zur Unterlegung ihrer Kredit- und sonstigen Risiken • Intensivierung der Risikoüberwachung bei Kreditinstituten durch die Bankenaufsicht • Verbesserung der Transparenz durch intensivere Veröffentlichungspflichten der Banken Die Umsetzung von Basel III durch die Europäische Union erfolgte über die neue Eigenkapitalrichtlinie (Capital Requirements Directive, kurz: CRD IV) und die dazugehörige Kapitaladäquanzverordnung (Capital Requirement Regulation, kurz: CRR). Die europäischen Verordnungen sind mit der Veröffentlichung des sogenannten CRD-IV-Umsetzungsgesetzes vom 28.08.2013 in nationales Recht umgesetzt worden. Die Kapitalanforderungen durch die Basel III-Regeln sollen bis 2019 schrittweise aufgebaut werden (vgl. Bundesministerium der Finanzen 2010). Diese neuen Eigenkapitalregeln sollen dazu führen, dass Banken sich im Krisenfall aus eigener Kraft stabilisieren können. Hierzu ist das Eigenkapitel der Banken zur Absicherung der Risiken in Höhe von 8 % vorzuhalten. Dieses setzt sich aus 4,5 % hartem und 1,5 % weichem Kernkapital sowie 2 % Ergänzungskapital zusammen. Durch weitere Puffer sollen die Banken ihre Risiken aus eigener Kraft und ohne staatliche Hilfe besser auffangen können. Dieser Zusatzpuffer soll aus 2,5 % Kapitalerhaltungspuffer und bis zu 2,5 % antizyklischem Kapitalpuffer bestehen. Das nachfolgende Beispiel soll die Vorgehensweise beim Unternehmensrating und der Kreditzinsberechnung näher erläutern.

120

C. J. Diederichs et al.

Beispiel zum Unternehmensrating und zur Kreditzinsberechnung Ein Unternehmen beantragt einen Kredit in Höhe von 8,5 Mio. € mit einer Laufzeit von 10 Jahren, jährlicher Tilgung durch gleichbleibende Raten in Höhe von 0,85 Mio. € bei Stellung einer Sicherheit von 0,3 Mio. €. Die Bilanz und die Gewinnund Verlustrechnung des Beispielunternehmens zeigen die Tab. 17 und 18.

Tab. 17 Bilanz des Beispielunternehmens Aktiva Anlagevermögen Immaterielle Vermögensgegenstände Sachanlagen Finanzanlagen Summe Anlagevermögen Umlaufvermögen Vorräte Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Erzeugnisse, Waren Nicht abgerechnete (unfertige) Bauleistungen Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände Forderungen aus Lieferungen und Leistungen Sonstige Vermögensgegenstände (einschl. Rechnungsabgrenzungsposten) Schecks, Kassenbestand, Bundesbank- und Postbankguthaben, Guthaben bei Kreditinstituten Summe Umlaufvermögen Summe Aktiva Passiva Wirtschaftliches Eigenkapital Rückstellungen (um 10.000,- höher als im Vorjahr) Verbindlichkeiten Langfristige Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten Sonstige Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten Erhaltene Anzahlungen Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen Sonstige Verbindlichkeiten Summe Verbindlichkeiten Summe Passiva

€ 0 802.970 4399 807.369

Mit diesen Zahlen wird in Tab. 19 ein BilanzRating vorgenommen. Als Ergebnis für das Bilanz-Rating ergibt sich auf einer Skala von 1 (sehr gut) bis 10 (sehr schlecht) der Wert 4,0 durch Messung und Bewertung von Kennzahlen aus der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung. Das Management-Rating ergibt sich aus der Bewertung nicht monetär messbarer Größen (intangibler Effekte). Ein Beispiel dafür zeigt Tab. 20. Ergebnis des Management-Ratings ist 4,65. In Tab. 21 wird in Abhängigkeit vom Bilanz-Rating eine Gewichtung zwischen den Ratingergebnissen für die Bilanz und das Management vorgenommen. Damit ergibt sich ein Gesamt-Ratingergebnis aus Bilanz- und Management-Rating von 4,0  0,6 + 4,65  0,4 = 4,26. Zur Berechnung des Kreditzinses sind die von der Rating-Klasse abhängigen Sach- und Perso-

36.631 317.692

807.963 159.292 359.228

1.681.006 2.488.375 € 648.503 326.604

392.648 171.795 0 495.059 453.766 1.513.268 2.488.375

Tab. 18 Gewinn- und Verlustrechnung des Beispielunternehmens Gewinn- und Verlustrechnung Betriebliche Gesamtleistung ./. Materialaufwendungen (Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe, Waren) ./. Nachunternehmerleistungen u. Ä. = Rohergebnis 1 ./. Personalaufwendungen = Rohergebnis 2 ./. Aufwendungen für Baugeräte ./. Aufwendungen für Fahrzeuge ./. Aufwendungen für Baustellen- und Betriebsausstattung ./. Diverse betriebliche Aufwendungen ./. Steuern (Gewerbesteuer) ./. Abschreibungen + Zinsen und ähnliche Erträge inkl. Lieferantenskonti = Betriebsergebnis ./. Sonstige und außerordentliche Aufwendungen + Sonstige und außerordentliche Erträge = Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag Betriebsergebnis ./. Kalkulatorischer Unternehmerlohn = Betriebswirtschaftliches Ergebnis aus Bauleistung

€ 7.888.546 2.102.290 1.401.529 4.384.727 3.159.490 1.225.237 96.966 123.510 67.013 171.079 44.624 195.807 2450 528.688 28.653 30.120 530.155 528.688 124.675 404.013

7

6

5

4

3

Bilanz-Rating-Ergebnis

Anlagenintensität = (Anlagevermögen/ Bilanzsumme)  100 Eigenkapitalquote = (wirtschaftliches Eigenkapital/ Bilanzsumme)  100 Anlagendeckung (Deckungsgrad 1) = (wirtschaftliches Eigenkapital/Anlagevermögen)  100 Anlagendeckung (Deckungsgrad 2) = (wirtschaftliches Eigenkapital + langfristiges Fremdkapital/Anlagevermögen)  100 Liquiditätsgrad= ((flüssige Mittel + kurzfristige Forderungen)/kurzfristige Verbindlichkeiten)  100 Eigenkapitalrentabilität = (betriebswirtschaftliches Ergebnis aus Bauleistung/wirtschaftliches Eigenkapital)  100 Cashflow-Verschuldungsrate = (Cashflow/ Fremdkapital)  100

1

2

Kennzahl

Nr.

Tab. 19 Bilanz-Rating (modellhafte Bewertung)

=100

10

20

20

10

10

20

10

Gewichtung in %

4,00

33,23

62,3

118,37

128,96

80,32

26,06

32,45

ISTWerte in %

>20

>25 >110 >120 >130 >80 >70

>30 >120 >130 >140 >90 >80

>60

>70

>120

>110

>100

3 >20

Ratingklassen 1 2 >0 >15

>50

>60

>110

>95

>95

>15

4 >25

>40

>50

>100

>90

>90

>11

5 >30

>30

>40

>90

>85

>85

>8

6 >35

>25

>30

>80

>80

>80

>6

7 >40

>20

>20

>70

>75

>75

>4

8 >45

>15

>10

>60

>70

>70

>2

9 >50

>10

4:1 (2015) aufweisen (vgl. Deutsche Bundesbank 2018b, S. 16 und 162) (Tab. 27). Insolvenzvermeidung Im Mittel wurden in den Jahren 2000 bis 2017 in Deutschland jährlich 30.218 Unternehmen insolvent (eröffnete und mangels Masse abgelehnte Insolvenzverfahren zuzüglich eröffneter Vergleichsverfahren abzüglich Anschlussinsolvenzen). Im Jahr 2017 meldeten deutsche Amtsgerichte eine Anzahl von insgesamt 20 093 Unternehmensinsolvenzen, was einem Rückgang von etwa 6,6 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Dieser Wert liegt dabei über 30 % unter dem Durchschnittswert der Jahre 2000. Dieser Rückgang der Insolvenzen zeigt sich auch im Baugewerbe seit dem Jahr 2009. Trotz dieses Rückgangs ist das Baugewerbe der Wirtschaftsbereich mit der drittgrößten Anzahl an Insolvenzen (vgl. Statistisches Bundesamt 2018e, S. 3). Es gilt daher, Erfolgsfaktoren zu finden, die den Führungskräften ermöglichen, möglichst frühzeitig

unternehmensgefährdende Entwicklungen zu erkennen und zu beseitigen. Das Insolvenzrecht in Deutschland ist ein Teilgebiet des Zivilrechts und befasst sich auf materiell- und verfahrensrechtlichem Gebiet mit den Rechten des Gläubigers bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Das gesamte Insolvenzrecht beruht primär auf der Insolvenzordnung (InsO). Weitere rechtliche Festsetzungen sind das Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung (EGInsO), die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates der Europäischen Union sowie die Paragrafen §§ 1975 ff. des BGB. Die wichtigste Rechtsquelle ist die Insolvenzordnung (InsO 2017). Sie verfolgt gem. § 1 InsO das Ziel, die Gläubiger eines Schuldners im Insolvenzverfahren gemeinschaftlich zu befriedigen. Dieses Ziel wird erreicht, „indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird“ (§ 1 InsO). Im Insolvenz-

134

verfahren hat der Schuldner demnach die Möglichkeit, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien. Grundlegend zu unterscheiden ist das Regelinsolvenzverfahren und das Verbraucherinsolvenzverfahren. Wesentlich ist hierbei das Regelinsolvenzverfahren für juristische Personen oder natürliche Personen, die mehr als 20 Gläubiger haben. Das Verbraucherinsolvenzverfahren ist für natürliche Personen bestimmt, die gem. § 304 Abs. 1 InsO keine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Die Eröffnungsvoraussetzungen und das Eröffnungsverfahren selbst regeln die §§ 11–34 InsO. Beteiligte am Verfahren sind die Schuldner, gegen die sich das Verfahren richtet, die Gläubiger, das Insolvenzgericht sowie der Insolvenzverwalter. Das Insolvenzverfahren wird nur auf Antrag eröffnet. Neben dem Schuldner ist jeder Gläubiger berechtigt, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen (§ 13 Abs. 1 InsO). Bei einer Analyse der Insolvenzursachen ist durch Vergleich von Forschungsergebnissen immer wieder festzustellen, dass vorrangig interne, von den Unternehmen selbst zu steuernde Faktoren die Insolvenz verursachen und in der Mehrheit der Fälle ausschlaggebend für eine Unternehmenskrise sind. Vorrangige interne Insolvenzursachen sind: • Qualifikationsmängel in der Unternehmensführung, • unzureichendes Unternehmens- und Auftragscontrolling, • zu geringe Eigenkapitalausstattung und mangelhafte Finanzierung, • unzureichende Arbeitsvorbereitung und Ablauforganisation und unzureichendes Personalmanagement, • zu geringe Kundenorientierung und fehlendes Marketing sowie • unzulängliche Nachfolgeregelungen. Externe Ursachen, die nur in einer Minderheit der Fälle zu Insolvenzen führen, sind vor allem • Forderungsausfälle und schlechte Zahlungsmoral der Auftraggeber,

C. J. Diederichs et al.

• Änderung des Nachfrageverhaltens der Kunden und dadurch bedingter Strukturwandel sowie • das Entscheidungsverhalten von Banken. Der Krisenverlauf eines Unternehmens kann in 4 Phasen eingeteilt werden: • Die strategische Krise ist nur schwer zu diagnostizieren. Die Kundenorientierung verschlechtert sich. Die Qualifikation der Mitarbeiter hält nicht Schritt mit derjenigen der Konkurrenz. Das Know-how und die technische Ausstattung veralten. • In der Rentabilitätskrise sind erste Gewinnrückgänge zu verzeichnen. Die Liquidität ist jedoch noch ausreichend. • Die Schieflage des Unternehmens wird von der Geschäftsleitung häufig erst in der Ertragskrise erkannt, wobei Verluste häufig noch nicht aufgedeckt werden. Die Geschäftspartner sind noch unwissend. • In der Liquiditätskrise werden die Auskünfte von Banken und Auskunfteien schlechter. Das Zahlungsverhalten der Kunden verschlechtert sich, Bankkredite werden nicht mehr gewährt. Das Unternehmen kann seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr fristgerecht und betragsgenau nachkommen. Durch Insolvenzprophylaxe sind rechtzeitig vorbeugende Maßnahmen einzuleiten, um drohende Unternehmenskrisen bzw. Insolvenzen zu vermeiden. Quantitative Warnsignale sind Kennzahlen, mit denen die Situation des Unternehmens beschrieben werden kann und für deren Beurteilung Vergleichsmaßstäbe vorhanden sind. Kennzahlen früherer Perioden führen zu einem Zeitreihenvergleich, durch den das dynamische Betriebsgeschehen und Entwicklungstendenzen verdeutlicht werden können. Durch den Soll-/IstVergleich werden aktuelle Kennzahlen mit SollVorgaben verglichen. Aus den Abweichungen sind die Notwendigkeit und der Umfang erforderlicher Anpassungsmaßnahmen abzuleiten. Der Betriebsvergleich mit den Kennzahlen ähnlich strukturierter Betriebe der gleichen Bran-

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen

che ermöglicht die Erkennung eigener Schwachstellen und besserer Markteinschätzung. Aus dem Betriebsvergleich sind durch das Benchmarking Verbesserungsprozesse und -methoden zu entdecken, nachzuvollziehen und in geeigneter Weise im Unternehmen zu implementieren. Qualitative Warnsignale deuten ebenfalls auf eine Krise hin, sind jedoch weitaus schwieriger zu erkennen als quantitative Warnsignale. Der Unternehmer muss ein „Gespür“ dafür entwickeln, solche Warnsignale, die auf interne und externe Probleme schließen lassen, frühzeitig zu erkennen. Die Beobachtung der Konkurrenz trägt dazu bei, neue Trends in diesen Unternehmen frühzeitig zu erkennen und Auskünfte über die Geschäftsfähigkeit, die Auftragsstruktur und den Kundenstamm zu erhalten. Durch Beobachtung der Bonität und des Zahlungsverhaltens der Kunden können frühzeitig Schwierigkeiten erkannt und Forderungsausfälle vermieden werden.

135

Die in Abb. 58 dargestellte Früherkennungstreppe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie bietet eine Hilfestellung, interne Schwächen frühzeitig zu erkennen. Das BMWi empfiehlt: „Wenn Sie in den Bereichen 1 bis 3 ‚nein‘ sagen müssen, ist das Thema wichtig, aber Sie haben noch genügend Zeit zu überlegen und zu handeln. Wenn Sie in den Bereichen 4 bis 6 ‚nein‘ sagen müssen, ist das Thema sehr wichtig. Sie müssen rasch handeln und Verbesserungen durchführen. Wenn Sie bereits in den Bereichen 7 bis 9 ‚nein‘ sagen müssen, ist das Thema äußerst kritisch. Der Fortbestand Ihres Unternehmens ist gefährdet!“

Erfolgsfaktoren zur Insolvenzprophylaxe sind darauf ausgerichtet, durch kontinuierliche, strategische, taktische und operative Verbesserungsprozesse (KVP) interne Insolvenzursachen zu vermeiden und externe Insolvenzrisiken so weit wie möglich zu reduzieren. Abb. 59 zeigt die mögliche Beeinflussung von Insolvenzursachen durch unternehmerische Erfolgsfaktoren.

Abb. 58 Früherkennungstreppe. (Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie o. J.)

136

C. J. Diederichs et al.

Abb. 59 Beeinflussung von Insolvenzursachen durch Erfolgsfaktoren

Literatur Gesetze, Verordnungen, Vorschriften, Normen und Richtlinie AAG (2005/2018) Gesetz über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (Aufwendungsausgleichsgesetz) AEntG (2009/2017) Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer- Entsendegesetz) AGG (2006/2013) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz AktG (1965/2017) Aktiengesetz AltTZG (1996/2017) Altersteilzeitgesetz AO (2002/2018) Abgabenordnung ArbGG (1953/2018) Arbeitsgerichtsgesetz ArbPlSchG (1980/2015) Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) ArbSchG (1996/2015) Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz) ArbStättV (2004/2017) Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung) ArbZG (1994/2016) Arbeitszeitgesetz ArztBAVG (1986/2017) Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung ASiG (1973/2013) Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz)

AufenthG (2008/2018) Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet AÜG (1995/2017) Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) AVE-Bekanntmachung (2006) Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen BaustellV (1998/2018) Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (Baustellenverordnung) BBankG (1957/2013) Gesetz über die Deutsche Bundesbank BBiG (2005/2017) Berufsbildungsgesetz BDSG (2017/2018) Bundesdatenschutzgesetz BEEG (2007/2018) Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz BetrAVG (1974/2018) Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) BetrKV (2004/2012) Verordnung über die Aufstellung von Betriebskosten (Betriebskostenverordnung) BetrVG (2001/2018) Betriebsverfassungsgesetz BGB (2002/2018) Bürgerliches Gesetzbuch BilMoG (2009) Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz BilRUG (2015) Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz BImSchG (2002/2017) Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz) BiRiLiG (1985) Bilanzrichtlinien-Gesetz BörsG (2007/2017) Börsengesetz (BGBl. I 2017 S. 1693) BRTV Bundesrahmentarifvertrag BurlG (1963/2013) Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz)

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen DrittelbG (2004/2015) Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz) EBRG (2011/2017) Gesetz über Europäische Betriebsräte (Europäische Betriebsräte-Gesetz) EGBGB (1994/2019) Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Entgelttarifverträge für Angestellte und Poliere Entgelttarifverträge für gewerbliche Arbeitnehmer EntgFG (1994/2015) Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) Entsenderichtlinie (1996) EStG (2009/2018) Einkommensteuergesetz EU-Vertrag (2009/2013) Vertrag über die Europäische Union Gemeinsame Erklärung zur Durchsetzung und Kontrolle der Mindestlöhne im Baugewerbe (29.10.2003) GenG (2006/2017) Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Genossenschaftsgesetz) Gesetz zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe (2001) GewO (1999/2018) Gewerbeordnung (BGBl. I 2018 S. 2666) GewStG (2002/2018) Gewerbesteuergesetz GG (1949/2017) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GKG (2004/2018) Gerichtskostengesetz GmbHG (1892/2017) Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GWB (1998/2018) Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Haushaltsordnungen des Bundes, der Länder und der Kommunen zu Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Nutzen-Kosten-Untersuchungen (i. d. R. § 7) HAG (1964/2018) Heimarbeitsgesetz HGB (1897/2018) Handelsgesetzbuch HGBEG Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch HOAI (2013) Honorarordnung für Architekten und Ingenieure IAS, IFRS (2018) International Accounting Standards und International Financial Reporting Standards InsO (1994/2017) Insolvenzordnung JArbSchG (1976/2018) Gesetz zum Schutz der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) KAG Kommunalabgabengesetze der Länder KindArbSchV (1998) Verordnung über den Kinderarbeitsschutz (Kinderarbeitsschutzverordnung) KonTraG (1998) Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich KSchG (1951/2017) Kündigungsschutzgesetz KWG (1961/2018) Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz) LadSchlG (2003/2015) Gesetz über den Ladenschluss LHO Landeshaushaltsordnungen der Länder Materielle Sozialkassen- und Verfahrenstarifverträge MiLoG (2014/2017) Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz) MitbestG (1976/2015) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) MMitBestG (1951/2015) Montan-Mitbestimmungsgesetz (Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbe-

137 stimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie) MoMiG (2008) Gesetz zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (BGBl. I S. 2008, S. 2026) MontanMitbestG (1951/2015) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie MuSchG (2017/2018) Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) NachwG (1995/2014) Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen (Nachweisgesetz) PartGG (1995/2015) Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe (Partnerschaftsgesellschaftsgesetz) PflegeZG (2008/2016) Gesetz über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz) Rahmentarifvertrag für Leistungslohn im Baugewerbe (2015) Rahmentarifverträge für Angestellte und Poliere Rahmentarifverträge für Auszubildende Rahmentarifverträge für gewerbliche Arbeitnehmer RVO (1964/2012) Reichsversicherungsordnung Schlichtungsabkommen für das Baugewerbe in der BRD (1979/1993) SchwarzArbG (2004/2017) Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz) SGB I bis XII Sozialgesetzbücher SprAuG (1989/2006) Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz) StabG (1967/2015) Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Tarifsammlung für die Bauwirtschaft 2018/2019 (2018), Hrsg. Brettschneider S, Wulf N, Otto Elsner Verlagsgesellschaft, Berlin Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV 2013/2014) Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe (2013) TVG (1969/2018) Tarifvertragsgesetz TzBfG (2001/2019) Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse (Teilzeit- und Befristungsgesetz) UmwG (1995/2019) Umwandlungsgesetz UstG (2005/2019) Umsatzsteuergesetz UWG (2004/2016) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb VgV (2016/2018) Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge VOB (2016) Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Winterbauförderung, Saison-Kurzarbeitergeld WissZeitVG (2007/2017) Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (Wissenschaftszeitvertragsgesetz) WO (2001/2004) Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung) ZPO (2005/2018) Zivilprozessordnung

138

Bücher Berner F, Kochendörfer B, Schach R (2014) Grundlagen der Baubetriebslehre 2 – Baubetriebsplanung, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York Brettschneider S, Wulf N (Hrsg) (2018) Tarifsammlung für die Bauwirtschaft 2018/2019. Otto Elsner Verlagsgesellschaft, Berlin Brömer K (2015) Bauwirtschaft und Konjunktur – Bedeutung und Auswirkung staatlicher Nachfragesteuerung auf die Bauwirtschaft. Springer, Berlin/Heidelberg/ New York Bundesagentur für Arbeit (2018) Arbeitsmarkt – Monatsbericht Dezember 2018. Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg Cezanne W (2005) Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 6. Aufl. Oldenbourg, München Diederichs CJ (1992) Bauwirtschaftslehre als Branchenbetriebswirtschaftslehre. In: FB 8 – Architektur – der TU Berlin (Hrsg) Trends der Baubetriebswirtschaftslehre. Vorträge am 12.06.1992 anlässlich des 65. Geburtstages von o. Prof. Dr. oec. Karlheinz Pfarr, Schriftenreihe des FB 8 Architektur, Bd 6. Berlin Diederichs CJ (2005) Führungswissen für Bau- und Immobilienfachleute, Band 1: Grundlagen, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York Diederichs CJ (2006) Immobilienmanagement im Lebenszyklus, Bd 2, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/ New York Diederichs CJ (2012) Bauwirtschaftslehre, in: Zilch K, Diederichs CJ, Katzenbach R, Beckmann K, Handbuch für Bauingenieure, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York, S. 379–568 Europäische Kommission (2002) Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards Fischbach R, Wollenberg K (2007) Volkswirtschaftslehre – Einführung und Grundlagen mit Lösungen, 13. Aufl. Oldenbourg, München Getto P (2002) Entwicklung eines Bewertungssystems für ökonomischen und ökologischen Wohnungs- und Bürogebäudeumbau. DVP, Wuppertal Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) (2015) BGL Baugeräteliste 2015. Bauverlag BV, Wiesbaden HDB (Hrsg) (2016) Baustatistisches Jahrbuch 2016, 55. Aufl. Graphia-Huss, Frankfurt am Main HDB, ZDB (Hrsg) (2016) KLR Bau – Kosten-, Leistungsund Ergebnisrechnung der Bauunternehmen, 8. Aufl. Verlagsgesellschaft Rudolf Müller, Köln Hochtief AG Konzernbericht (2017) Kombinierter Finanzund Nachhaltigkeitsbericht vom 21.02.2018. Hochtief AG, Essen Hofstadler C (2013) Produktivität im Baubetrieb – Bauablaufstörungen und Produktivitätsverluste. Springer, Berlin/Heidelberg/New York Institut der deutschen Wirtschaft (2016) IW-Trends – Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, Heft 3/2016, Köln, S 42

C. J. Diederichs et al. Kattenbusch M, Kuhne V, Noosten D, Ernesti W, Holch H, Kuhlenkamp D, Stiglocher H, Keren F, Klein H, Kugelmann A, Neuenhagen H, Ohland E (2017) Plümecke – Preisermittlung für Bauarbeiten, 28. Aufl. Verlagsgesellschaft Rudolf Müller, Köln Krause T, Ulke B (2016) Zahlentafeln für den Baubetrieb, 9. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York Krugmann P, Wells R (2017) Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart Leimböck E, Klaus UR, Hölkermann O (2015) Baukalkulation und Projektcontrolling – unter Berücksichtigung der KLR Bau und der VOB, 13. Aufl. Springer, Berlin/ Heidelberg/New York Leimböck E, Iding A, Meinen H (2017) Bauwirtschaft – Grundlagen und Methoden, 3. Aufl. Springer, Berlin/ Heidelberg/New York Malkwitz A (1995) Frühindikatoren für die Ergebnissteuerung im Bauunternehmen. DVP, Berlin Malkwitz A, Koenen A, Karl CK (2011) Bauvertragsrecht kompakt. Oldenbourg, München Neubäumer R, Hewel B, Lenk T (2017) Volkswirtschaftslehre – Grundlagen der Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik, 6. Aufl. Springer, Berlin/ Heidelberg/New York Paul S, Stein S (2002) Rating, Basel II und die Unternehmensfinanzierung. Bank, Köln Pellens B, Fülbier RÜ, Gassen J, Sellhorn T (2017) Internationale Rechnungslegung – IFRS 1 bis 16, IAS 1 bis 41, IFRIC-Interpretationen, Standardentwürfe, 10. Aufl. Schäffer Poeschel, Stuttgart Pfarr K (1983) Geschichte der Bauwirtschaft. Deutscher Consulting, Essen Pfarr K (1984) Grundlagen der Bauwirtschaft. Deutscher Consulting, Essen Porter ME (2013) Wettbewerbsstrategie: Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten, 12. Aufl. Campus, Frankfurt/New York Premer M (2015) Grundzüge der Volkswirtschaftslehre – Makroökonomik und Mikroökonomik, 2. Aufl. Walter de Gruyter, Berlin Schrüfer K (2010) Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 3. Aufl. BWV, Berlin Sell FL, Kermer S (2017) Aufgaben und Lösungen in der Volkswirtschaftslehre. Arbeitsbuch zu Engelkamp/ Sell, 4. Aufl. Springer Gabler, Wiesbaden Sicherer K (2016) Bilanzierung im Handels- und Steuerrecht, 4. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York Siebers R, Malkwitz A, Helmus M, Meins-Becker A (2018) Baubetrieb im Stahlbau, 1. Aufl. Beuth, Berlin/Wien/Zürich Thommen J-P, Achleitner A-K, Gilbert DU, Hachmeister D, Kaiser G (2017) Allgemeine Betriebswirtschaftslehre – Umfassende Einführung aus managementorientierter Sicht, 8. Aufl. Springer Gabler, Berlin/Heidelberg/New York Trost M (2005) Leistungswettbewerb in der Bauwirtschaft – Die Dimensionen einer Strategie des nicht preisbasierten Wettbewerbs. Bauhaus-Universität Weimar. Fakultät für Architektur, Weimar Vornholz G (2014) VWL für die Immobilienwirtschaft, 2. Aufl. Walter de Gruyter, Berlin

Bauwirtschaftslehre – Grundlagen Weitz BO, Eckstein A (2015) VWL Grundwissen, 4. Aufl. Haufe-Lexware, Planegg/München Wildmann L (2016) Wirtschaftspolitik – Module der Volkswirtschaftslehre, 3. Aufl. Walter de Gruyter, Berlin Wöhe G, Kußmaul H (2012) Grundzüge der Buchführung und Bilanztechnik, 8. Aufl. Vahlen, München Wöhe G, Döring U, Brösel G (2016) Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 26. Aufl. Vahlen, München Woll A (2011) Volkswirtschaftslehre, 16. Aufl. Vahlen, München Wöltje J (2016) IFRS, 7. Aufl. Haufe-Lexware, Planegg/ München

Online-Dokumente Bundesministerium der Finanzen (2010) Was ist Basel III? https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/ Standardartikel/Service/Einfach_erklaert/2010-11-04einfach-erklaert-basel-III-flash-infografik.html. Zugegriffen am 05.09.2018 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. (o. J.) Die „Früherkennungstreppe“. https://www.existenzgru ender.de/SharedDocs/Downloads/DE/Checklisten-Ue bersichten/Krisenvorbeugung-Krisenmanagement/01_ uebersicht-Frueherkennungstreppe.pdf?__blob=publi cationFile. Zugegriffen am 05.09.2018 Deutsche Bundesbank (2018a) Die deutsche Zahlungsbilanz für das Jahr 2017. https://www.bundesbank.de/ resource/blob/723250/8d34f1eb5c2d097cce99e24b753 46358/mL/2018-03-zahlungsbilanz-data.pdf. Zugegriffen am 01.11.2018 Deutsche Bundesbank (2018b) Verhältniszahlen aus Jahresabschlüssen deutscher Unternehmen von 2014 bis 2015. https://www.bundesbank.de/resource/blob/ 739434/c5c83e4d6690db3b6d7dbf0b1b257517/mL/ statso-6-2018-05-2014-2015-data.pdf. Zugegriffen am 01.08.2018 DIW Berlin (2017) Strukturdaten zur Produktion und Beschäftigung im Baugewerbe – Berechnungen für das Jahr 2016. https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Vero effentlichungen/BBSROnline/2017/bbsr-online-15-2017neu-dl.pdf;jsessionid=EB16D2A9B26E729091978A98C 904D5AA.live11292?__blob=publicationFile&v=3. Zugegriffen am 03.08.2018 DIW Berlin (2018) Publikationsverzeichnis. https://www. diw.de/de/diw_01.c.100308.de/publikationen_veransta ltungen/publikationen/publikationen.html. Zugegriffen am 01.10.2018

139 European International Contractors (2018) International contracts statistics. https://www.eic-federation.eu/servi ces/statistics. Zugegriffen am 03.09.2018 Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung (2017) Wirtschaftsfaktor Immobilien 2017. https:// www.gif-ev.de/dms/_file/view,125/DV%20Gutachten %20Immobilienwirtschaft%202017.pdf. Zugegriffen am 01.12.2018 Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (2017) Bauinvestitionen. https://www.bauindustrie.de/zahlen-fak ten/statistik-anschaulich/international/bauinvestitionen/. Zugegriffen am 24.11.2018 Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (2018) Preisentwicklung im Baugewerbe. https://www.bauindust rie.de/zahlen-fakten/bauwirtschaft-im-zahlenbild/preis entwicklung-im-baugewerbe_bwz/. Zugegriffen am 01.12.2018 Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2018 Statistisches Bundesamt (2018a) GENESIS-Online Datenbank. https://www-genesis.destatis.de/genesis/online. Zugegriffen am 01.12.2018 Statistisches Bundesamt (2018b) Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen – Wichtige Zusammenhänge im Überblick. https://www.destatis.de/DE/Publikationen/ Thematisch/VolkswirtschaftlicheGesamtrechnungen/ ZusammenhaengePDF_0310100.pdf?__blob=publicati onFile. Zugegriffen am 13.11.2018 Statistisches Bundesamt (2018c) Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen – Inlandsproduktberechnung – Lange Reihen ab 1970. https://www.destatis.de/DE/ Publikationen/Thematisch/VolkswirtschaftlicheGesam trechnungen/Inlandsprodukt/Inlandsproduktsberechnung LangeReihenPDF_2180150.pdf?__blob=publicationFile. Zugegriffen am 15.11.2018 Statistisches Bundesamt (2018d) Arten der Arbeitslosigkeit. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Gesamt wirtschaftUmwelt/Arbeitsmarkt/Methoden/Begriffe/Arb eitslosigkeitArten.html. Zugegriffen am 17.11.2018 Statistisches Bundesamt (2018e) Konjunkturindikatoren. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/ Konjunkturindikatoren/Konjunkturindikatoren.html. Zugegriffen am 01.11.2018 Statistisches Bundesamt (2018f) Finanzen und Steuern – Umsatzsteuerstatistik (Voranmeldungen). https://www. destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/FinanzenSte uern/Steuern/Umsatzsteuer/Umsatzsteuer2140810167004. pdf?__blob=publicationFile. Zugegriffen am 01.11.2018 WISO-Net (2018) Literaturdatenbank für Hochschulen. https://www.wiso-net.de/dosearch. Zugegriffen am 14.03.2018

Unternehmensführung Claus Jürgen Diederichs, Alexander Malkwitz und Dirk Schlüter

Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2 Vision, Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3 Unternehmensziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4 Shareholder-Value-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5 Produkt-Markt-Segmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 6 Strategische Optionen und Wettbewerbsposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 7 Operative Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 8 Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

Abkürzungen

Ä ArbSchG ARGE BaustellV BewG BGBI BWI-Bau

Änderung Arbeitsschutzgesetz Arbeitsgemeinschaft Baustellenverordnung Bewertungsgesetz Bundesgesetzblatt Institut der Bauwirtschaft

C. J. Diederichs (*) Bauwirtschaft und Baumanagement, Universität Wuppertal, München, Deutschland E-Mail: [email protected] A. Malkwitz · D. Schlüter Institut für Baubetrieb und Baumanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland E-Mail: [email protected]; dirk. [email protected]

DCFA DVFA/ SG EDV EG EMASVO ErwV EStG EU EWG F+E FH GU HDB

Discounted-Cash-Flow-Methode Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft (Schmalenbach-Gesellschaft) Elektronische Datenverarbeitung Europäische Gemeinschaft Environmental Management Audit Scheme-Verordnung Erweiterungsverordnung Einkommenssteuergesetz Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Forschung und Entwicklung Fachhochschule Generalunternehmer Hauptverband der Deutschen Bauindustrie

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. J. Diederichs, A. Malkwitz (Hrsg.), Bauwirtschaft und Baubetrieb, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27916-5_8

141

142

HFA

HGB IDW KLER KLR KStG KVP QM QMS QS RM RMS SCC SGF SGU TQM TU TV UAG ZDB

C. J. Diederichs et al.

Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. Handeisgesetzbuch Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., Düsseldorf Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung Kosten und Leistungsrechnung Körperschaftssteuergesetz Kontinuierlicher Verbesserungsprozess Qualitätsmanagement Qualitätsmanagementsystem Qualitätssicherung Risikomanagement Risikomanagementsystem Sicherheits-Certifikat-Contraktoren strategische Geschäftsfelder Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltschutz Total Quality Management Totalunternehmer Tarifvertrag Umweltauditgesetz Zentralverband des Deutschen Baugewerbes

Abb. 1 Handlungsbereiche der Unternehmensführung. (Quelle: Institut für Baubetrieb und Baumanagement 2018, Universität Essen)

1

Einleitung

Die Unternehmensführung wird sowohl auf interne als auch auf externe Einflussfaktoren ausgerichtet, stets mit dem Ziel eines langfristigen Erfolgs. Eine langfristig ausgerichtete strategische Unternehmensführung gibt unter anderem Antworten auf die folgenden Kernfragen (Gabler Wirtschaftslexikon 2014, S. 3042): • Welche Vision und welche Mission werden verfolgt? • Welche langfristigen Unternehmensziele werden verfolgt? • Wie wird Shareholder-Value geschaffen? • In welchen Geschäftsfeldern soll das Unternehmen tätig sein? • Wie kann die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gesteigert werden? • Wie werden die notwendigen Kernkompetenzen des Unternehmens entwickelt? • Wie kann das Unternehmen operativ geführt werden? Aus diesen Kernfragen ergeben sich die in Abb. 1 dargestellten, Handlungsbereiche der Unternehmensführung.

Unternehmensführung

2

143

Vision, Mission

Die Unternehmensvision, die -mission und die Ziele eines Unternehmens sind Bestandteile der normativen Unternehmensführung und stellen die Grundlage für die marktorientierte Unternehmensentwicklung und damit für die strategische und operative Unternehmensführung dar. Der systematische Ablauf sieht bei der Formulierung zunächst die Unternehmensvision vor, woraus die Unternehmensmission beschrieben wird. Aus der Unternehmensmission können dann die Unternehmensziele entwickelt werden. Zur Ableitung von konkreten Unternehmenszielen sind umfassende Zielsysteme zu verwenden, damit nicht relevante Kategorien ausgelassen werden. Als Beispiel ist nachfolgende Zielstrukturierung dargestellt (Abb. 2). Danach werden die Unternehmensziele wie folgt sortiert: Die Vision eines Unternehmens ist ein Fernziel und vermittelt die langfristige Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten (Kappeller und Mittenhuber 2003, S. 374). Zur Formulierung einer Unternehmensvision muss eine klare Vorstellung vorhanden sein, wo das Unternehmen in einem zeitlichen Horizont von in etwa 5–10 Jahren stehen will. Nachdem die zukünftige Ausrichtung der Unternehmung eindeutig definiert ist, muss beschrieben werden, welche Meilensteine und Arbeitspakete zu dessen Erreichung notwendig sind. Hierbei ist es besonders wichtig, sowohl

Führungskräfte als auch Mitarbeiter mit der angestrebten Zukunft vertraut zu machen und ein einheitliches Verständnis für Veränderungen zu erzeugen. Damit sorgt das Unternehmen für Akzeptanz der Veränderungen bei den Mitarbeitern und gibt ihnen zudem eine Orientierung, welchen Beitrag jeder einzelne Mitarbeiter zu den Veränderungen leisten kann. Zur Formulierung der Unternehmensvision wurden in der Literatur Erfolgsregeln aufgestellt (Kappeller und Mittenhuber 2003, S. 375) wonach eine Vision Ziel- und Richtungscharakter besitzen (Richtung) und somit die Entwicklung einer Branche des nächsten Jahrzehnts in die Gegenwart projizieren sollte (Weitsichtigkeit). Damit unternehmerische Veränderungen, die durch die Umsetzung der Vision entstehen, von den Mitarbeitern akzeptiert werden, ist es notwendig, dass die Vision für jeden, der in Kontakt mit dem Unternehmen steht, verständlich (Sinnhaftigkeit) und realistisch (Erreichbarkeit) kommuniziert wird (Verbreitung). Somit können die Unternehmen es schaffen, dass die Mitarbeiter sich mit den Zielen des Unternehmens identifizieren (Identifikation) und motiviert an der Zielerreichung arbeiten (Veränderbarkeit). Die Mission eines Unternehmens ist die schriftliche Umsetzung der Vision in Unternehmensgrundsätze und Unternehmensleitlinien (Hungenberg und Wulf 2015, S. 26). Sie dient somit als Bindeglied zwischen dem normativen

Vision Mission

Leistungsziele • Leistungsangebot • Qualitäten • Mengen

Monetäre Ziele Marktziele Ertragsziele z. B. Liquidität, z. B. Marktanteil, Gewinne, Rendite Reputation

Sozial- u. Umweltziele Wettbewerbsziele z. B. Wettbewerbs fähigkeit, Kundenzufriedenheit

Abb. 2 Systematik von Unternehmenszielen. (Quelle: Carl et al. 2017, S. 4)

• Mitarbeiter • Gesellschaft • Umwelt

144

C. J. Diederichs et al.

und dem strategischen Management. Durch die Formulierung einer Mission sollen die in der Vision formulierten Ziele und Normen sichtbar werden, so dass ein eindeutiges Bild über den eigentlichen Unternehmenszweck entsteht. Wird durch die Formulierung der Vision zumeist der eigentliche Kundennutzen noch nicht direkt sichtbar, so ändert sich dies nun. Durch die Formulierung der Unternehmensgrundsätze und -leitlinien wird auch für den Kunden transparent, welche seiner spezifischen Problemstellungen durch das Unternehmen gelöst werden können. Die Mission soll definieren, in welchem Geschäft das Unternehmen tätig werden will (wo wollen wir arbeiten?) und somit das Spektrum der strategischen Planung einschränken. Zudem sollen die Kompetenzen des Unternehmens herausgestellt werden (wie wollen wir arbeiten?), so dass potenzielle Kunden einen direkten Nutzen erkennen können. Des Weiteren sind durch die Mission die Werte eines Unternehmens (warum wollen wir arbeiten?) zu beschreiben, da auf dieser ethischen Basis und der Unternehmensphilosophie die eigentliche unternehmerische Tätigkeit aufbauen sollte. Die Mission beschreibt unternehmerische Zielstellungen im Allgemeinen und ist somit die Basis für die Formulierung der spezifischen Unternehmensziele.

3

Unternehmensziele

Die Unternehmensziele beschreiben konkrete Vorgaben, worauf sich das Handeln des Unternehmens in den einzelnen Geschäftsfeldern, ausrichten soll (Girmscheid 2010, S. 24). Unternehmensziele müssen konkret formuliert sein, einen Sachbezug aufweisen, wie z. B. die Steigerung des Umsatzes oder die Senkung der Stückkosten, und quantitativ bestimmt werden (Diederichs 2012, S. 569–575). Die Unternehmensziele können zur Orientierung bei der Auswahl von Steuerungsmaßnahmen dienen und somit das Handeln unterschiedlicher Instanzen hinsichtlich der Vision und Mission des Unternehmens synchronisieren. Damit haben sie eine Legitimationsfunktion für interne und externe Maßnahmen zur Zielerreichung (Macharzina und Wolf 2017, S. 205).

Wie einleitend beschrieben, können Unternehmensziele, entsprechend Ihrer Systematik, in Leistungsziele, monetäre Ziele sowie Sozial- und Umweltziele unterteilt werden (Carl 2008, S. 4). Leistungsziele beziehen sich auf das Leistungsangebot sowie die beabsichtigte Qualität und die Mengen der angebotenen Produkte. Somit sollen die Leistungsziele die Bedarfe der Zielgruppen in den jeweiligen Geschäftsfeldern decken und so zur Umsetzung der Mission beitragen. Sie leisten somit einen wesentlichen Beitrag zur Zielerreichung externer Interessensgruppen (Stakeholder) der Unternehmen, wie z. B. Kunden, Lieferanten und regulatorische Gruppen (Behörden und andere staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Institutionen). Diese haben zumeist die Erwartung eines guten Preis-Leistungsverhältnisses und häufig umfangreicher Nebenleistungen bzw. günstiger Lieferkonditionen und rascher Zahlung der Rechnungen. Monetäre Ziele beziehen sich auf Ertrags-, Markt- und Wettbewerbsziele. Ertragsziele, häufig auch ökonomische Ziele genannt, können sich auf Kennzahlen wie den Gewinn, die Rentabilität oder den Cash- Flow beziehen. Sie sind zumeist eine bestimmte Zielgröße für die Kapitalgeber (Shareholder) der Unternehmen, die das Verhältnis zwischen beabsichtigtem Ertrag bei gegebenem Risikogehalt determinieren. Marktziele können sich sowohl auf ökonomische als auch nichtökonomische Ziele beziehen. Ökonomische Marktziele, wie z. B. die Steigerung der jährlichen Bauleistung um einen definierten Prozentsatz, sind dabei eindeutig quantifizierbar, wohingegen nichtökonomische Ziele, wie z. B. Prestige, qualitative Zielgrößen darstellen. Wettbewerbsziele, wie z. B. die Steigerung der Kundenzufriedenheit, beziehen sich auf die Positionierung des Unternehmens im Vergleich zur Konkurrenz. Sozial- und Umweltziele lassen sich prinzipiell in Ziele interner Interessensgruppen sowie Ziele der mit dem Unternehmen in Kontakt stehenden Gesellschaft unterteilen. Interne Interessensgruppen (z. B. Manager, Arbeitnehmer, Eigenkapitalgeber) verfolgen vorrangig Sicherheitsziele, wie z. B. Existenzsicherung durch Einkommenserwerb oder gute Arbeitsbedingungen. Gesellschaftsbezogene Ziele können sich auf den Res-

Unternehmensführung

145

sourcenschutz oder ökologisch unbedenkliche Arbeitsplätze beziehen. Bei der Formulierung der Zieldimension jedes einzelnen Elements im Zielsystem sind die Beziehungen zwischen den Elementen zu berücksichtigen. Die Zielbeziehungen beschreiben die Tatsache, dass verschiedene Unternehmensziele in unterschiedlichen Beziehungen zueinander auftreten: Zielkomplementarität, Zielneutralität und Zielkonkurrenz (Zielkonflikt) (Girmscheid 2010, S. 25). Die Zielkomplementarität meint, dass die Förderung eines Ziels im Zielsystem in geringerem, gleichem oder höherem Maße andere Ziele fördert. Zielneutralität bedeutet, die Förderung eines Ziels lässt die anderen Ziele unbeeinflusst, und Zielkonkurrenz bedeutet, die Zielförderung eines Ziels reduziert die Erreichbarkeit eines anderen Ziels und umgekehrt. Auf Grundlage der Zielbeziehungen werden die Ziele der Unternehmen geplant. Bei der Planung der Ziele wird in der Literatur eine zeitliche Gliederung vorgenommen (Carl 2017, S. 7). Die strategisch langfristigen Ziele, die dafür sorgen sollen, dass die richtigen Dinge getan werden, beziehen sich auf einen Zeithorizont von 5–10 Jahren, taktisch-mittelfristige Ziele, um in naher Zukunft zu erfüllende Aufgaben sorgfältig und rechtzeitig vorzubereiten, auf einen Planungshorizont von 2–5 Jahren und operative, kurzfristige

Abb. 3 Pentagon der Teilziele. (Quelle: Diederichs 2012, S. 571)

Ziele, die sicherstellen, dass die laufenden Dinge richtig getan werden, auf etwa 1–2 Jahre. Anhand der Beziehungen im Zielsystem und der zeitlichen Planung lassen sich Teilziele herleiten, die zur Zielerfüllung erreicht werden sollen. Zur Steuerungseignung und Kontrollierbarkeit der Bestimmungselemente der definierten Teilziele sind Zieldimensionen zu definieren, welche aus Bestimmungselementen bestehen (Töpfer 2007, S. 434). Diese Bestimmungselemente sind als Balanced Score Card im Pentagon der Teilziele nachfolgend dargestellt und gelten im Sinne strategischer Unternehmensziele auch für Bauherren, Bauunternehmen und Planungsbüros (Abb. 3). Zur Operationalisierung der Ziele soll für jede Zielkategorie ein Katalog von Unterzielen auf einer oder mehreren Ebenen definiert werden, die erst aufgrund ihrer Konkretisierung eine Messung des jeweiligen Erfüllungsgrades (Ist-Kennzahlen), den Vergleich mit Soll-Vorgaben und aus den Abweichungen die Ableitung von Maßnahmen zur Teilzielerreichung erlauben. Einen vereinfachten Zielkatalog zeigt Tab. 1. Die Finanzperspektive umfasst die ökonomischen Ertragsziele angemessenen Gewinns und Cash-Flows in % der Bauleistung und der Rendite in % des eingesetzten Eigen- und Fremdkapitals zur Sicherstellung einer kontinuierlichen Innenfinanzierung. Sie dient v. a. den internen Interes-

Finanzperspektive

Mitarbeiter-/ Potentialperspektive

Kundenperspektive Marktorientierte Unternehmensentwicklung - Vision und Strategie

Prozessperspektive

Umweltperspektive

Für die fünf Perspektiven sind jeweils zu planen und zu steuern: – – – –

Ziel definition Ist-Kennzahlen Soll-Vorgaben Maßnahmen zur Zielerreichung

Elemente der Zielperspektiven der BSC (2) Finanzperspektive Umsatz-/Leistungsrendite Cash-flow Rendite

Liquidität 1., 2. und 3. Grades

Kundenperspektive Kundenzufriedenheit (Kundenbefragung) Leistung für Altkunden Marktanteile

Mängelbeseitigungs-/Gewährleistungsaufwand Mitarbeiter-/Potenzialperspektive Mitarbeiterzufriedenheit (Mitarbeiterbefragung) Schulungs-/Weiterbildungsstunden Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter Altersstruktur Ausfallstunden durch Krankheit davon Ausfallstunden durch Betriebsunfälle Kündigungen

Nr. (1) 1 1.1 1.2 1.3

1.4

2 2.1 2.2 2.3

2.4 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7

Note 1 bis 5 % der Gesamtstunden p.a. Jahre Jahre % der Gesamtstunden p.a. % der Gesamtstunden p.a. % der Mitarbeiter p.a.

Note 1 bis 5 % der Gesamtleistung p.a. % der Branchen-/ Regionsleistung p.a. % der Gesamtleistung p.a.

% der Gesamtleistung p.a. % der Gesamtleistung p.a. % des eingesetzten Kapitals (EK und FK) % der kurzfristigen Verbindlichkeiten

Einheit (3)

Tab. 1 Zielkatalog einer BSC mit Gewichtungsvorschlag. (Quelle: Diederichs 2012, S. 572)

20

20

5 5 2 2 2 2 2

2

10 4 4

5

Gewicht (4) (5) 40 10 10 15

IstKennzahl (6)

SollVorgabe (7)

Maßnahmen (8)

146 C. J. Diederichs et al.

Prozessperspektive Innovation durch neue Geschäftsfelder Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9001 ff mit aktuellem Zertifikat Umweltmanagementsystem nach DIN EN ISO 14001 ff mit aktuellem Zertifikat Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltschutzmanagementsystem mit aktuellem Zertifikat Umweltperspektive Umweltzertifizierung von Bauwerken/Gebäuden nach LEED1 oder DGNB2 Bauwerke/Anlagen zur Energieeinsparung Bauwerke/Anlagen zur Senkung des CO2-Austoßes Abfallbehandlung nach Landes-Abfallwirtschaftsgesetz

2

LEED Leadership in Energy and Environmental Design Rating System DGNB Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V.

1

5.2 5.3 5.4

5 5.1

4.4

4.3

4 4.1 4.2

% der Gesamtleistung p.a. % der Gesamtleistung p.a. Gebührenersparnis €

% der Gesamtleistung p.a.

Note 1 bis 5

Note 1 bis 5

% der Gesamtleistung p.a. Note 1 bis 5

10

10

2 2 2

4

2

2

4 2

Unternehmensführung 147

148

sengruppen, aber auch der Gesellschaft durch entsprechendes Steueraufkommen. Die laufende Beachtung der Liquidität stellt eine der unternehmerischen Nebenpflichten dar. Die Kundenperspektive dient der Erfassung von Kennzahlen zum Erreichen der Kundenziele, d. h. Erhebung der Kundenzufriedenheit durch Kundenbefragungen, die Messung des Altkundenanteils und der Marktanteile in der Branche, differenziert nach Regionen, zur Feststellung der Positionierung gegenüber den Wettbewerbern. Eine wichtige Kennzahl ist auch der Mängelbeseitigungs-/Gewährleistungsaufwand als Maßstab für die Qualität der Leistung einerseits mit Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit andererseits. Die Mitarbeiter-/Potenzialperspektive folgt dem Grundsatz, dass das Personal jedes Unternehmens das wichtigste „Kapital“ darstellt. Das Mitarbeiterpotential wird deutlich aus Erkenntnissen über die Mitarbeiterzufriedenheit, deren Qualifizierung durch Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie Informationen über die Betriebszugehörigkeit, die Altersstruktur, Ausfallstunden durch Krankheit und davon durch Betriebsunfälle sowie über Fluktuationsquoten. Die Prozessperspektive findet Ausdruck in den bestehenden Managementsystemen für Qualität, Umwelt, Sicherheit/Gesundheit/Umweltschutz und deren Beurteilung in den jährlichen externen Audits. Die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen wird auch maßgeblich bestimmt durch Kreativität und Innovation zur Entwicklung neuer Geschäftsfelder und damit neuer Marktanteile. Die Umweltperspektive findet Ausdruck in der Umweltzertifizierung von Bauwerken/Gebäuden, z. B. nach dem Leadership in Energy und Environmental Design Rating System (LEED) oder nach den Ansätzen der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V. (DGNB). Beiträge zu Nachhaltigem Bauen leisten ferner Bauwerke bzw. Anlagen zur Energieeinsparung und zur Senkung des CO2-Austoßes. Die Behandlung von Abfällen mit dem Ziel der Vermeidung vor der Verwertung vor der Beseitigung ist in Deutschland seit vielen Jahren gesetzlich geregelt, z. B. nach den Lan-des-Abfallwirtschaftsgesetzen.

C. J. Diederichs et al.

Jedes bewusste, zielgerichtete menschliche Handeln vollzieht sich in einem Regelkreis der Planung, Entscheidung, Durchführung und Kontrolle, der dann in weiteren Durchläufen wiederum die Anpassungsplanung zur Minimierung aufgetretener Soll/Ist-Abweichungen mit der Entscheidung über entsprechende Maßnahmen folgt. Erfüllung und Bewertung der Zielerreichung Bei der Messung der Erfüllung der Unternehmensziele ist darauf zu achten, dass die multidimensionalen Elemente des Zielkatalogs quantifiziert werden. In Abhängigkeit von der Art des jeweiligen Teilziels bieten sich die kardinale, ordinale oder nominale Skalierung zur Quantifizierung der Zielerreichungsgrade an (Diederichs 2005, S. 243 ff.). Die auszuwählende Messskala richtet sich insbesondere nach der Operationalität des jeweiligen Teilziels und der Qualität der vorhandenen Daten. Daher sind allgemein formulierte Teilziele weiter in konkret messbare Unterziele aufzuspalten. So ist die Veränderung der Bauleistung, des Auftragseingangs oder der Mitarbeiterzahl gegenüber dem Vorjahr sehr einfach den Daten der Buchhaltung, der Akquisition und der Personalstatistik zu entnehmen. Dagegen ist z. B. das Ansehen in der Öffentlichkeit und seine Veränderung gegenüber dem Vorjahr bzw. der Vergleich mit der Konkurrenz schon erheblich schwieriger festzustellen. Hier sind geeignete Vergleichsmaßstäbe z. B. durch Kundenumfragen oder das Zählen der Bewerberanfragen von Nachwuchskräften zu schaffen. Zielsetzung der regelmäßigen Messung, inwieweit die Unternehmensziele erfüllt sind, ist der Zeitreihen- und Branchenvergleich bzw. der Vergleich mit den schärfsten Konkurrenten. Nach Messung der Erfüllung der Unternehmensziele ist die Bedeutung der jeweiligen Messgrößen zu bewerten. Dazu ist es erforderlich, Vergleichsmaßstäbe mit Norm- oder Sollwerten oder auch oberen und unteren Schwellenwerten festzulegen. Im Rahmen einer empirischen Erhebung erfragte Malkwitz (1995, S. 51–54) für 88 ergebnisrelevante Einflussfaktoren Normwerte sowie kritische und positive Schwellenwerte bei Führungskräften in den Niederlassungen einer großen

Unternehmensführung

deutschen Bauaktiengesellschaft und schuf damit Bezugsgrößen für die Bewertung der Messergebnisse ergebnisorientierter Teilziele. Damit wurde bereits für einige Elemente des mehrdimensionalen Zielsystems die Basis für eine gleichnamige Bewertung mit Nutzenpunkten z. B. zwischen 1 für die kritische Schwelle, 10 für die positive Schwelle und 5 für den Normalwert bei linearer Abhängigkeit geschaffen. Für die Messergebnisse der übrigen Teilziele sind ebenfalls Transformationsfunktionen zwischen Nutzenpunkten und Messskalen zu schaffen, damit eine durchgängige Bewertung möglich wird. Somit ist die Voraussetzung zur Anwendung der Nutzwertanalyse unter Einbeziehung der Zielgewichte gegeben. Nach Multiplikation der Zielgewichte mit den jeweils erreichten Nutzenpunkten und deren Addition erhält man eine Summe gewichteter Nutzenpunkte, die für sich allein noch keine Entscheidungshilfe bieten. Erst mittels Zeitreihenvergleich oder Vergleich mit konkurrierenden Unternehmen ist eine Interpretation des Ergebnisses hinsichtlich der Erfüllung des Zielkatalogs möglich. Dabei bietet auch die Betrachtung der Abweichungen zwischen erreichten und den Normwerten entsprechenden Nutzenpunkten der einzelnen Unterziele Hinweise auf Entscheidungs- und Handlungserfordernisse. Bei Sortierung nach der Größe der gewichteten Abweichungen können dann Prioritäten für Entscheidungen und Maßnahmenkataloge oder Aktionspläne abgeleitet werden, die wiederum zu Veränderungen der Unternehmenskonzeption führen können. Damit wird der Regelkreis der unternehmerischen Zielplanung, -verfolgung und -umsetzung geschlossen. Corporate Governance Modelle und Grundsätze guter Unternehmensführung Für die Zusammenarbeit der internen und externen Interessensgruppen im Wirkungskreis einer Unternehmung sollten Regeln und Richtlinien definiert werden, welche die Art des Umgangs mit den Mitarbeitern, Auftraggebern, Nachunternehmern und Mitbewerbern konkret ausgestalten. Somit wird eine Unternehmensverfassung

149

geschaffen die in der Literatur als Corporate Governance bezeichnet wird. Die Corporate Governance kennzeichnet die grundsätzliche Ausgestaltung sowie die speziellen Rahmenbedingungen für die Strukturen und Prozesse der Führung, Verwaltung und Überwachung von Unternehmen. Gegenstand ist die Organisation der Leitung und Kontrolle eines Unternehmens mit dem Ziel, Interessenskonflikte der Stakeholder abzumildern und vor allem Informationsasymmetrien abzubauen (Töpfer 2007, S. 213). Corporate Governance ist in Deutschland eine Verpflichtung der Unternehmensführung, welche im Wesentlichen die drei folgenden Hauptziele verfolgt (Töpfer 2007, S. 213): • Aussagefähige Aufbereitung und zeitnahe Weitergabe von Informationen zu allen wichtigen Geschäftsvorgängen im Unternehmen. • Transparenz in allen wesentlichen Prozessen, Entscheidungen und Ergebnissen, so dass alle Interessensgruppen Beschlüsse der Unternehmensleitung nachvollziehen können. • Kontrolle, so dass die Unternehmen nicht gegen das kodifizierte Recht verstoßen. Durch die Corporate Governance werden somit Richtlinien einer guten Unternehmensführung aufgestellt, häufig auch als Unternehmensleitbild bezeichnet. Für ein Bauunternehmen könnte dieses z. B. Ausdruck in den folgenden Leitsätzen finden: • Wir wollen mit der Erfüllung der Kundenbedürfnisse zufriedene Auftraggeber erhalten und bewahren. • Wir achten sorgfältig auf die Erfüllung der Qualitätsanforderungen. • Die Förderung unserer Mitarbeiter und die Sicherung ihrer Arbeitsplätze sind gleichrangige Ziele neben dem wirtschaftlichen Erfolg. • Wir wollen unsere Unabhängigkeit bewahren. • Wir fördern den Umweltschutz durch umweltfreundliche Bauweisen und Baustoffe sowie den Einsatz von Recyclingmaterial. • Wir sind auf ein hohes Ansehen in der Öffentlichkeit bedacht, u. a. durch Corporate Identity.

150

Wenn ein solches Unternehmensleitbild veröffentlicht wird, dient es der Stärkung des Ansehens nach innen und nach außen, sofern die Unternehmensführung ihre Handlungen zielkonform darauf abstimmt. Unternehmen sind Interessenszentren verschiedenster Aktivitäten von Eigen- und Fremdkapitalgebern (Shareholder), Unternehmensleitern, Arbeitnehmern, Kunden, Lieferanten, Staat und Gewerkschaften (Stakeholder). Der wirksame Einfluss auf Zielsetzungen und Strategien der Zielerreichung ist nach Maßgabe der Rechtsordnung und der faktischen Einflussmöglichkeiten bestimmten Personen oder Personengruppen vorbehalten. Über diese können ethische Werte zum Tragen gebracht werden, die wiederum gruppenspezifischen Wertungen unterliegen. Der Sinn von Unternehmensleitbildern besteht nun darin, die Konkretisierung von Werten zu offerieren, z. B. in Organisationsmodellen oder Erfolgsverwendungsmaßnahmen. Das Unternehmensleitbild ist dann als effizient zu bezeichnen, wenn es ein ethisches Gleichgewicht zwischen Wertofferte der Unternehmensführung und Wertakzeptanz bei den Interessengruppen einstellt. Bei jedem Unternehmen handelt es sich um eine Wirtschaftseinheit, die nach Maßgabe selbstständiger und auf Erfolg bedachter Entscheidungen Marktbedarf zu decken sucht und die damit verbundenen Risiken eingeht. Sie muss ihren Bestand wahren, stets liquide sein und mit den Innovationen der Technik und der Märkte Schritt halten. Von den wirtschaftenden Menschen wird sie nicht nur als Einkommensquelle empfunden. Sicherheit des Arbeitsplatzes, Status und Aufstiegsmöglichkeiten sowie Selbstverwirklichungsfreiräume genießen einen hohen Stellenwert. Die Gestaltungsbereiche der Unternehmensleitbilder bewegen sich somit im Spannungsfeld der Wertkonkretisierung durch Ziele und Zielerreichungsmaßnahmen der Entscheidungsträger sowie deren Wertung durch die beteiligten Interessengruppen. Daraus ergibt sich die Forderung nach einer Philosophie der gegenseitigen Akzeptanz. Jedes Unternehmensleitbild besteht aus der Beschreibung des normativen Rahmens eines

C. J. Diederichs et al.

Unternehmens, aus Merkmalen zur Soll-Identität des Unternehmens, aus einer Motivationsfunktion zur Identifikation der Mitarbeiter sowie einer Legitimationsfunktion zur Aufklärung über bestimmte unternehmerische Handlungen (Gabler Wirtschaftslexikon 2014, T-Z, S. 3260). Dabei adressiert ein Unternehmen sein Leitbild an unterschiedliche Menschenbilder. Charakteristische Exponenten sind • der Leistungsmensch, der in einer Unternehmung Karriere machen will, und • der Privatmensch, der infolge der Dominanz seiner persönlichen Lebensinteressen sowohl an langfristig hohem Einkommen als auch an der Sicherheit des Arbeitsplatzes interessiert ist. Ob der einzelne Mitarbeiter das gewählte Leitbild fördernd bejaht, nur akzeptiert oder gar ablehnt, ist eine Frage seiner persönlichen Wertung der mit dem Unternehmensleitbild offerierten Werte, da der Mensch im Mittelpunkt des von ihm zu wertenden Geschehens steht. Die Unternehmenskonzeption ist die schriftliche Fixierung der mittel- und langfristigen Unternehmensziele sowie der Gestaltungs- und Entscheidungsgrundsätze. Sie dient als Grundlage für eine zielorientierte Unternehmenspolitik. Die Unternehmenskonzeption soll die tatsächlichen individuellen Ziele des Unternehmens enthalten. An ihrer Gestaltung sind nicht nur der Unternehmer, sondern auch die Gesellschafter und die leitenden Mitarbeiter unter Einbeziehung ihrer individuellen Lebens- und Berufsziele zu beteiligen, um Zielkomplementaritäten oder -konkurrenzen erkennen zu können. Aus der Unternehmenskonzeption können die Regeln der Geschäftspolitik abgeleitet und Mitarbeitern und Kunden zugänglich gemacht werden. Sie dienen dann der Stärkung des Ansehens des Unternehmens nach innen und nach außen. Die Unternehmenskonzeption soll dazu dienen, Übereinstimmung, Sicherheit und Vertrauen innerhalb des Unternehmens und nach außen zu festigen und damit das Unternehmen frei von inneren Spannungen und Reibungen zu einer möglichst hohen Leistungsfähigkeit zu entwickeln.

Unternehmensführung

Die Unternehmenskonzeption ist damit Basis einer zielorientierten Unternehmenspolitik. Sie gibt den Rahmen vor, innerhalb dessen sich alle Entscheidungen, Handlungen und Maßnahmen des Managements vollziehen, und macht dadurch den Mitarbeitern auch die Freiräume deutlich, innerhalb derer sie selbstständig agieren können und sollen. Hierin zeigt sich die Verwandtschaft mit den Zielen des Qualitätsmanagements und der Qualitätspolitik, die durch die Regelwerke der Normenreihe DIN EN ISO 9001:2015 eine branchenneutrale formale Ausgestaltung erfahren haben.

4

Shareholder-Value-Ansatz

Die Entwicklung des Shareholder-Value Ansatzes stammt aus den frühen 80er-Jahren und wurde maßgeblich in den Vereinigten Staaten geprägt (Rappaport 1999, S. 1). Viele Unternehmen verwendeten in dieser Zeit Teilausschnitte des Shareholder-Value Ansatzes, wie z. B. die diskontierte Cash-flow Analyse, und richteten somit den Fokus bei der Festlegung der Zielgröße für unternehmerischen Erfolg einzig auf den Gewinn. Voll-

151

ständig akzeptiert wurde der Shareholder-Value Ansatz erst durch Veröffentlichung von Creating Shareholder-Value im Jahr 1986 (Rappaport 1986, S. 13). Shareholder-Value bedeutet dabei den Wert, der für die Eigentümer des Unternehmens erzeugt wird. Diese Werterzeugung ist definiert als derjenige Ertrag, der die erforderlichen Kapitalkosten deckt oder überschreitet. Bei der klassischen Gewinnberechnung werden zwar Zinszahlungen berücksichtigt, die für Fremdkapital gezahlt werden (also die Kosten des Fremdkapitals), aber keine Kosten des Eigenkapitals. Es wird also stillschweigend so getan, als wären mit dem Eigenkapitaleinsatz gar keine Kosten verbunden. Da im Shareholder-Value Ansatz nun dem Eigenkapital Kosten zugerechnet werden, müssen also aus dem Gewinn auch die Eigenkapitalkosten gedeckt werden. Dies bedeutet wiederum, dass ein Wert nicht schon erzielt wird, wenn ein Gewinn erwirtschaftet wurde, sondern erst dann, wenn dieser Gewinn höher ist als die gesamten Kapitalkosten (Abb. 4). Der Shareholder-Value beschreibt also die Werterzeugung einer Unternehmung für seine Eigentümer. Damit wird auch klar, dass neben der Erzielung eines möglichst hohen Gewinnes der

Abb. 4 Ermittlung des Shareholder-Value. (Quelle: Bühner 1994, S. 9–75)

152

effiziente und minimierte Kapitaleinsatz ein ebenso wichtiges Ziel der Unternehmensführung darstellt. Denn ein Shareholder-Value kann auch dadurch verbessert werden, dass der Kapitaleinsatz und damit die Kapitalkosten reduziert werden. Die Wirkungsbeziehungen der Wertsteigerung des Shareholder-Values sind in der nachfolgenden Abb. 5 dargestellt. Der Shareholder-Value ist somit eine aus der beschriebenen Zielformulierung abgeleitete Unternehmenskennzahl, bei der das Management den Unternehmenswert für die Eigentümer steigern soll. Dem Shareholder-Value Ansatz liegt dabei die Überlegung zugrunde, dass bei Verbleib einer positiven Summe über alle abgezinsten Cashflows ein positiver Unternehmenswert und somit auch ein Eigentümerwert vorliegt. Daraus ergibt sich der Cashflow als die Basis für den Shareholder-Value. Der Cashflow beschreibt die (prognostizierte) Differenz zwischen zukünftigen Ein- und Auszahlungen (Rappaport 1999, S. 40) der Unternehmen und wird häufig mit dem Jahresüberschuss eines Unternehmens verwechselt. Der Unterschied hierbei liegt jedoch darin, dass bei der Berechnung des Cash-

C. J. Diederichs et al.

flows nicht zahlungswirksame Posten der Gewinn- und Verlustrechnung der Unternehmen, wie z. B. Rückstellungen oder Abschreibungen, nicht berücksichtigt werden. Eine vergleichende Gegenüberstellung zur Ermittlung von Jahresüberschuss und Cashflow ist in Abb. 6 dargestellt. Wie vorangehend beschrieben, weichen die Rechnungen bei den nicht zahlungswirksamen Positionen (Rückstellungen und Abschreibungen) voneinander ab. Der Cashflow beinhaltet somit zunächst keine Positionen, die nicht mit einem direkten Zahlungsvorgang zusammenhängen. Daher wird in der Praxis zur Cashflow-Ermittlung der Jahresüberschuss vielfach um die nicht zahlungswirksamen Positionen korrigiert. Zur Berechnung des Shareholder-Value wird dieser Cashflow dann um zu leistende Zinszahlungen korrigiert, woraus der sogenannte freie Cashflow berechnet werden kann, der zur Ausschüttung an die Anteilseigner der Unternehmung zur Verfügung steht. Die Höhe der Zinszahlungen ergibt sich aus der Kapitalstruktur der Unternehmen. Die Kapitalstruktur von Unternehmen setzt sich aus dem Eigen- und dem Fremdanteil zusammen. Das Eigenkapital ist als Vermögen den Ei-

Abb. 5 Wirkungsbeziehungen der Wertsteigerung im Shareholder-Value. (Quelle: vgl. Rappaport 1995, S. 39 ff.)

Unternehmensführung Abb. 6 Ermittlung von Jahresüberschuss und Cashflow im Vergleich. (Quelle: Prangenberg et al. 2005, S. 19)

153

Ermittlung des Jahresüberschusses:

Ermittlung des Cashflow: (T €)

(Gewinn- und Verlustrechnung)

(T €)

Umsatzerlöse

2000

Umsatzerlöse

2000

– Materialaufwand

650

– Materialaufwand

650

600

– Personalaufwand

600

– Personalaufwand + Erträge aus der Auflösung von Rückstellungen

30

– Aufwendungen zur Bildung von Rückstellungen

150

– Abschreibungen

100

– Zinsaufwand

80

– Zinsaufwand

80

– Steuern

270

– Steuern

270

= Jahresüberschuss

180

= Cashflow

400

gentümern des Unternehmens zuzurechnen und steht dem Unternehmen unbefristet zur Verfügung (Jung 2016, S. 715). Das Fremdkapital oder „Kreditkapital“ ist das Kapital, das Dritte dem Unternehmen für eine bestimmte Zeit zur Verfügung stellen. Fremdkapital kann z. B. in Form von Anleihen oder Krediten in ein Unternehmen eingebracht werden. Die Kapitalkosten bestehen somit aus einem Eigen- und einem Fremdkapitalkostenanteil (Töpfer 2005, S. 1024). Die Eigenkapitalkosten, also die Kosten für das Kapital von Eigenkapitalanlegern, erfordern neben dem risikolosen Mindestzinssatz noch einen Aufschlag für ihr unternehmerisches Risiko. Die Eigenkapitalkosten können somit auch durch die Addition von risikofreiem Zinssatz und der Risikoprämie des Eigenkapitals definiert werden. Der risikofreie Zinssatz ergibt sich in der Regel aus den Zinssätzen von Staatsanleihen mit bester Bonität bei langfristigen Laufzeiten. Die Ermittlung der Risikoprämie ergibt sich aus dem Produkt eines beta-Faktors mit der Differenz aus erwarteter Marktrendite und risikofreiem Zinssatz. Eingeteilt wird der beta-Faktor in 1,0 (Risiko des Unternehmens entspricht dem Gesamtmarkt), 1,0 (Risiko des Unternehmens ist höher als auf dem Gesamtmarkt). Fremdkapitalkosten entstehen durch Zinskosten für Kredite, Anleihen oder Bürgschaften von Fremdkapitalgebern (z. B. Banken). Die Höhe der Fremdkapitalkosten (bzw. des Zinssatzes) kann zwischen Kapitalgebern und -nutzern individuell

verhandelt werden. Die Höhe des Zinssatzes wird dabei im Wesentlichen vom Verschuldungsgrad des Unternehmens und dem damit verbundenen Risiko der Fremdkapitalgeber, ihr eingesetztes Geld zurück zu erhalten, beeinflusst. Zur Beurteilung dieses Risikos werden von unabhängigen Agenturen Unternehmensratings durchgeführt, welche die Beurteilung von Finanztiteln zur Aufgabe haben und sich dabei auf die Bonität der Unternehmen fokussieren. Unter Finanztiteln wird in diesem Zusammenhang zwischen langfristigen (z. B. in-/ausländische Bankschuldverschreibungen, private und öffentliche Pfandbriefe, kommunale Schuldverschreibungen, Industrieobligationen, Staatspapiere, . . .) und kurzfristigen (z. B. Commercial Papers, Einlagenzertifikate, usw.) Finanztiteln unterschieden. Zu den wichtigsten Ratingagenturen zählen Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch. Eine beispielhafte Rating-Bewertung ist in der nachfolgenden Abb. 7 dargestellt. Die Höhe der Kapitalkosten wird aus dem gewichteten Mittel der Kosten aus Eigen- und Fremdkapital ermittelt. Eigenkapital hat den Vorteil, dass es den Unternehmen unbefristet zur Verfügung steht und somit die Liquidität eines Unternehmens absichert (Jung 2016, S. 715). Hingegen sind die „Kosten“ des Eigenkapitals (risikofreier Zins + Risikoprämie) häufig höher als die verhandelbaren Zinsen für das Fremdkapital. In der Unternehmensfinanzierung sind somit die Eigenund Fremdkapitalanteile genau auszutarieren und daraus die Gesamtkapitalkosten zu ermitteln.

154

C. J. Diederichs et al.

Abb. 7 Rating-Beispiele. (Quelle: Deutscher Sparkassen- und Giroverband)

Ein hierzu genutztes Instrument ist die Ermittlung der „Weighted Average Cost of Capital (WACC)“, welches den gewichteten Kapitalkostensatz in Prozent für das investierte Kapital eines Unternehmens ermittelt. Eine beispielhafte Ermittlung des gewichteten Kapitalkostensatzes ist in der nachfolgenden Abb. 8 dargestellt. Danach besteht der gewichtete Kapitalkostensatz aus den Eigenkapital- und den Fremdkapitalkosten. Die Fremdkapitalkosten entsprechen dem verhandelten Zinssatz und sind steuerlich abzugsfähig. Dies ist u. a. einer der Gründe dafür, dass Fremdkapitalkosten häufig geringer sind als Eigenkapitalkosten. Im nachfolgenden Berechnungsbeispiel ist die Ermittlung der gewichteten Kapitalkosten nach Steuern dargestellt (Abb. 9). Der Wert eines Unternehmens setzt sich somit zusammen aus dem Wert der Anteilseigner und dem Marktwert des Fremdkapitals. Der Anteils-

eignerwert lässt sich ermitteln, indem vom Unternehmenswert der Marktwert des Fremdkapitals abgezogen wird. Damit die Unternehmen den Anteilseignern einen langfristigen ShareholderValue gewährleisten können, ist die Dauer der Kapitalbindung zu planen. Hierzu ist zunächst die Höhe des betriebsnotwendigen Kapitals zu ermitteln, welches zur Erreichung des Betriebszwecks zwingend erforderlich ist. Das betriebsnotwendige Kapital setzt sich in aller Regel aus einem Eigen- und Fremdkapitalanteil zusammen und bildet die Basis für die Ermittlung der langfristigen gewichteten Kapitalkosten. Dem gegenüber unterscheidet sich das für den Betrieb nicht benötigte Kapital, häufig auch betriebsfremdes Kapital, da es Aufwendungen abdeckt, die nicht unmittelbar dem Betriebszweck dienen. Hierunter können z. B. Anlagen in Wertpapiere oder Immobilien verstanden werden. Der Shareholder-Value ergibt sich schließlich aus dem der Kapitalstruktur

Unternehmensführung

155

Schritt 4: Gewichtete Kapitalkosten (Fremdkapitalkosten = längerfristiger Marktzins)

Eigenkapital Fremskapital Kapitalkosten

Rendite für risikolose Anlagen + Risikoprämie des Eigenkapitals = Eigenkapitalkosten

Gewichtung (%) 40 60

Kosten (%) 16,00 6,00

Kostensatz (%) 6,00 10,00 16,00

Schritt 3: Eigenkapitalkosten

Kostensatz (%) unternehmensspezifischer Risikofaktor x durchschnittliche Marktrisikoprämie = Risikoprämie des Eigenkapitals

Schwankung der Aktienrendite : Schwankung der Marktrendite = unternehmensspezifischer Risikofaktor

Schritt 2: Eigenkapitalrisikoprämie

1,50 6,67 10,00

Faktor 1,50 1,00 1,50

Gewichtete Kosten (%) 6,40 3,60 10,00

Schritt 1: spezifischer Risikofaktor “ß”

Abb. 8 Ermittlung der gewichteten Kapitalkosten. (Quelle: Rappaport 1999, S. 44 ff.)

Abb. 9 Ermittlung der gewichteten Kapitalkosten nach Steuern. (Quelle: Rappaport 1999, S. 44 ff.)

entsprechenden Anteil am Unternehmenswert (Prangenberg et al. 2005, S. 25).

5

Produkt-Markt-Segmentierung

Unternehmen sind in der Bauindustrie üblicherweise in unterschiedlichen Geschäftsbereichen tätig, z. B. im Hochbau und Tiefbau, oder in Deutschland

und Europa. Dabei bieten die Unternehmen den Kunden in den Zielmärkten unterschiedliche Dienstleistungen und Produkte an, wie z. B. die Bautätigkeit oder das Projektmanagement, und beabsichtigen somit, Unternehmensziele zu erreichen. Um nun Strategien zu erarbeiten, damit die Zielerreichung gelingt, sind die Produkte und Zielmärkte zu bewerten und zu segmentieren. Dies erfolgt durch die Produkt-Markt-Segmentierung.

156

Durch die Produkt-Markt-Segmentierung werden die Funktionen und Eigenschaften der Produkte, je Geschäftsfeld eines Unternehmens, auf die Erfüllung der unternehmerischen Messgrößen untersucht (Macharzina und Wolf 2015, S. 359). Mit Funktionen der Produkte wird der Nutzen für den Endkunden beschrieben, z. B. Terminplanung durch Projektmanagement, und die Eigenschaften beziehen sich primär auf den Anspruch und die Komplexität der Durchführbarkeit, z. B. Einsatz von geläufiger Terminplanungssoftware. Abgegrenzt werden Produkt-Markt-Segmente, die jeweils eine andere Wertschöpfungskette erfordern, also andere Märkte oder andere Kunden bedienen. Der richtigen Segmentierung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da eine zu enge Segmentierung mögliche Kundengruppen und Wettbewerber unberücksichtigt lassen kann, wohingegen eine zu weite Fassung dazu führen kann, dass Teilmärkte mit heterogenen Anforderungen zusammengefasst werden (Hungenberg und Wulf 2011, S. 112–113). Bei der Produkt-Markt-Segmentierung soll somit eine Kunden- und Wettbewerbsperspektive eingenommen werden, die durch die folgenden Kriterien operationalisiert wird: Ein Geschäftsfeld bedient eine oder mehrere Kundengruppen mit genau definierten Bedürfnis-

C. J. Diederichs et al.

sen. Ein Geschäftsfeld bietet ein bestimmtes Produkt oder eine Gruppe relativ homogener Produkte an, mit deren Hilfe die Bedürfnisse der bedienten Kundengruppe befriedigt werden können. Ein Geschäftsfeld steht in Konkurrenz zu einer Anzahl von identifizierbaren Wettbewerbern, die aus Sicht der Kunden vergleichbare (austauschare) Produkte anbieten. Durch die Produkt-Markt-Segmentierung wird das Unternehmen somit in einzelne Teile zerlegt, welche in der Unternehmensorganisation schließlich als sog. Profit-Center ausgestaltet werden. Diese einzelnen Teile werden nachfolgend als strategische Geschäftsfelder (SGF) bezeichnet. Diese lassen sich unterteilen in Produkte (Aktivitäten auf der Wertschöpfungskette), Kunden (Segmente) oder Regionen (geografische Ausrichtung) und sind nachfolgend exemplarisch dargestellt (Abb. 10). Bei der Strukturierung nach Produkten wird die Einteilung nach den Produkt- und Leistungsmerkmalen vorgenommen, welche die Bedürfnisse einer Kundengruppe erfüllen. Die Strukturierung erfolgt dabei unabhängig von geografischen, demografischen und psychografischen Kriterien. Bei der Einteilung nach Kundengruppen werden die angebotenen Produkte und Leistungen nach sinnvollem Nutzerverhalten segmentiert. Hierbei

Abb. 10 Vielfalt der Markteinteilung von Unternehmen der Bauindustrie. (Quelle: Berger 2016, S. 16)

Unternehmensführung

stehen demografische und psychografische Kriterien im Mittelpunkt. Bei der Einteilung nach Regionen werden das Produkt- und Nutzerverhalten anhand geografischer Strukturen analysiert und in einzelne SGF eingeteilt.

5.1

Marktattraktivität

Zur Bewertung der Position eines Unternehmens ist zunächst die Attraktivität der SGF, in denen das Unternehmen tätig ist, relevant. Daher startet die strategische Ausrichtung von Unternehmen in der Regel mit der Analyse der Attraktivität der relevanten Märkte. Hierdurch wird es möglich, dynamische Entwicklungen in den spezifischen Produkt-MarktSegmenten, wie z. B. Einflussfaktoren aus der Unternehmensumwelt oder der Produktion, zu beurteilen. Die Marktattraktivität wird durch die Bewertung des Marktwachstums und der Marktgröße beschrieben. Maßgebliche Bewertungskriterien sind in der nachfolgenden Abb. 11 dargestellt. Das Marktwachstum als Steigerungspotenzial der mengenmäßigen Nachfrage ist der am häufigsten verwendete Maßstab der Marktattraktivität, der stets im Zusammenhang mit der Marktgröße zu sehen ist. Das Marktwachstum wird für jedes im Rahmen der erfolgten Produkt-Markt-Segmentierung ermittelte Marktsegment gesondert festgestellt. Seine Chancen und Risiken werden definiert. Dabei sind insbesondere die Entwicklungen in den Zielmärkten sowie das Nachfrageverhalten der

Abb. 11 Bewertungsfaktoren und -kriterien der Marktattraktivität. (Quelle: Institut für Baubetrieb und Baumanagement 2018, Universität Essen)

157

Kunden zu beurteilen. Auch die Lebensdauern der Produkte spielen eine Rolle, da bei Produkten, die schnell entwickelt und an den Markt gebracht werden können (kurze Lebensdauer), häufig ein schnelleres Marktwachstum zu beobachten ist als bei Produkten mit langen Lebensdauern. Die Marktreife der Produkte soll bewertet werden, um festzustellen, ob ein Produkt soweit entwickelt ist, dass es im Zielmarkt auf Nachfrage stößt. Im Zuge der Bewertung des Marktwachstums wird dabei festgestellt, ob mögliche Neuerungen des entwickelten Produktes zu einem gesteigerten Absatz führen können und ob ggf. die Möglichkeit besteht, vollkommen neue Produkte im Markt zu platzieren (Nischen). Als Beispiel lag das Marktwachstum der Deutschen Bauindustrie in den Jahren 2010–2015 bei durchschnittlich 1,3 % und wird für die Jahre 2015–2020 auf durchschnittlich 1,5 % prognostiziert (Berger 2016, S. 9). Unter Analysten gelten Branchen mit einem durchschnittlich jährlichen Marktwachstum unter 10 % als nicht profitabel (Kearney 2013, S. 8). Die deutsche Bauindustrie ist hier auf den ersten Blick zwar einzuordnen, jedoch können einzelne Marktsegmente mit einer sehr hohen Profitabilität die Gesamtposition optimieren. Die Kennzahl, um das Marktwachstum zu bestimmen, ist die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (Compound Annual Growth Rate CAGR). Die Marktgröße beschreibt primär den Bestand und den Absatz der Produkte in den Märkten der Unternehmen. Damit gemeint sind sämtliche Produkte, die weltweit in dem jeweiligen Markt verfügbar sind, z. B. die weltweite Hochbauleistung von Bauunternehmen. Entwicklungen in der vorund nachgelagerten Wertschöpfungskette sollen analysiert werden, um daraus die zukünftige Nachfrage der bestehenden Produkte zu ermitteln. Ein Beispiel hierzu können steigende Absatzzahlen eines Produktionsbetriebs sein, der daraus resultierend vermutlich zukünftig einen steigenden Bedarf an zu bauenden Produktionsstätten hat. Die Attraktivität eines Marktes hängt direkt mit seinen Wettbewerbskräften zusammen. Zur Bewertung der Wettbewerbskräfte ist das 5-Forces Modell nach Porter (2008, S. 36) üblich. Diese 5 Kräfte sind nach Porter die Bedrohung durch

158

C. J. Diederichs et al.

neue Konkurrenten, Verhandlungsmacht der Abnehmer, Bedrohung durch Ersatzprodukte und -dienste, die Verhandlungsmacht der Lieferanten sowie die Rivalität unter den bestehenden Unternehmen. Je ausgeprägter die Wettbewerbskräfte sind, desto höher ist die Wettbewerbsintensität eines Marktes zu bewerten. Branchen mit einer hohen Wettbewerbsintensität sind gekennzeichnet durch einen hohen Innovationsdruck, um bestehenden Wettbewerbern Marktanteile wegzunehmen und sich selbst vor Ersatzprodukten zu schützen. Zudem herrscht oft ein harter Preiskampf, welcher vielfach aus einer hohen Verhandlungsmacht von Abnehmern und Lieferanten resultiert. Die Bauindustrie kann somit als ein Markt mit hoher Wettbewerbsintensität bezeichnet werden (Abb. 12). Der Einstieg in einen neuen Markt und somit die Bedrohung durch neue Konkurrenten ist zunächst abhängig vom dazu notwendigen Kapitalbedarf sowie durch evtl. staatliche Regulierungen. Bei der Produktion spielen dann insbesondere die Möglichkeit, sich durch eigene Produkte zu differenzieren und durch Betriebsgrößenersparnisse Kosten zu sparen, eine bedeutende Rolle. Zudem sind mögliche Umstellungskosten auf alternative Produkte und der Zugang zu Vertriebskanälen

Einflussfaktoren auf die Rentabilität (Porter 2008, S. 36 ff.). Je höher die Kapazitäten durch neue Unternehmen in einem Markt werden, desto mehr sinken das Preisniveau und die Rentabilität. Eine Verhandlungsmacht der Abnehmer ist gegeben, wenn sich Unternehmen in einem Markt stark über Produkte differenzieren und Umstellungen auf alternative Produkte nur über hohe Umstellungskosten realisiert werden können. Zudem wirkt sich eine starke Abnehmerkonzentration, z. B. regional oder funktional, auf die Rentabilität eines Marktes aus, da hierdurch das Verlangen nach niedrigen Preisen oder höherer Qualität steigt. Die Bedrohung durch Ersatzprodukte und -dienste ist abhängig vom Preis-/Leistungsverhältnis im Markt, Umstellungskosten sowie auch von der Kundentreue gegenüber etablierten Produkten. Je höher die Substitutionsgefahr durch Ersatzprodukte und -dienste ist, desto mehr ist ein mögliches Gewinnpotenzial begrenzt. Lieferanten haben immer dann eine starke Verhandlungsmacht, wenn ein Markt durch eine hohe Produktdifferenzierung und eine hohe Bedeutung des Einkaufs gekennzeichnet ist. Dies ist z. B. in der Bauindustrie dann der Fall, wenn ein Bauun-

Potentielle neue Konkurrenten Bedrohung durch neue Konkurrenten Wettbewerber in der Branche

Verhandlungsmacht der Abnehmer Abnehmer

Verhandlungsmacht der Lieferanten Lieferanten

Rivalität unter den bestehenden Unternehmen Bedrohung durch Ersatzprodukte und -dienste Ersatzprodukte

Abb. 12 Wettbewerbskräfte für Unternehmen. (Quelle: Porter 2008, S. 36)

Unternehmensführung

159

ternehmen im Generalunternehmergeschäft tätig ist und einen hohen Anteil seiner Wertschöpfung an Subunternehmer vergibt. Neben den vorgenannten Faktoren beeinflussen insbesondere hohe Umstellungskosten sowie eine mögliche regionale oder funktionale Konzentration von Lieferanten die Preisgestaltung und somit die Rentabilität eines Marktes. Die Rivalität unter den bestehenden Unternehmen ergibt sich aus der reinen Anzahl der Wettbewerber im Markt und bestehenden Austrittsbarrieren. Daneben ist der Grad der Rivalität abhängig von dem Wachstum des Marktes und der Möglichkeit, sich durch eigene Produkte zu differenzieren. Rivalität im bestehenden Wettbewerb kann somit zu Preis- und Leistungskämpfen führen, was sich in aller Regel in einer sinkenden Markt-Rentabilität niederschlägt. Beispiele der Attraktivität für relevante Märkte der Bauindustrie sind in Abb. 13 exemplarisch dargestellt.

5.2

Ressourcenposition

Neben der Bewertung der Attraktivität der Märkte ist es genauso wichtig, die Position des eigenen Unternehmens im Wettbewerb zu bewerten. Diese Bewertung muss alle Dinge umfassen, die wett-

Umweltschutz

Energieeinsparung

Modernisierung, Sanierung

Schlüsselfertigbau

Wohnumfeldverbesserung

Seniorenwohnungen

öffentl. Kultur- und Freizeiteinrichungen

öffentl. Verwaltungsbauten

Sozialwohnungen

mittel

67

33

gering

Marktattraktivität

hoch

100

0 0

gering

33

mittel

67

hoch

100

Relative Wettbewerbsvorteile

Abb. 13 Positionierung der SGF eines Hochbauunternehmens in der Portfoliomatrix. (Quelle: Diederichs 2012, S. 579)

bewerbsrelevant sind und somit die Ressourcenposition eines Unternehmens bestimmen. Als Ressourcen bezeichnet man alle materiellen und immateriellen Güter, Vermögensgegenstände sowie Einsatzfaktoren, über die ein Unternehmen verfügt. Prinzipiell werden diese Ressourcen eines Unternehmens bewertet, um so die Marktposition, das Produktionspotenzial, die Qualifikation des Personals und das Akquisitionsniveau eines Unternehmens zu bestimmen (Abb. 14). Materielle Ressourcen von Unternehmen der Bauindustrie können z. B. Baumaschinen oder Standorte sein. Immaterielle Ressourcen sind insbesondere das fachliche Wissen der Mitarbeiter sowie z. B. Patente oder das Unternehmensimage (Hungenberg und Wulf 2011, S. 192). Die Marktposition wird anhand des jeweiligen Marktanteils eines Unternehmens bestimmt. Dabei ist ein beeinflussender Faktor des Marktanteils der Umsatz, den ein Unternehmen im Markt erzielt. Der Marktanteil kann jedoch auch anhand des Kundenstamms eines Unternehmens ermittelt werden. Das relative Produktionspotenzial zeigt sich in Kosten- und Standortvorteilen, Innovationen und technischem Know-how durch Forschung und Entwicklung. Zur Qualifikation des Personals, dem wichtigsten „Kapital“ jeder Unternehmung, zählen die Professionalität der Führungskräfte, die Mitarbeiterqualifikation (einschl. Schulung und berufsbegleitender Weiterbildung) sowie das relative Lohn- und Gehaltsniveau. Bei steigender horizontaler Integration der der eigentlichen Produktion vor- und nachgelagerten Bereiche haben die Vorund Nachunternehmerbeziehungen zunehmendes Gewicht. Wettbewerbsvorteile durch Akquisition entstehen einerseits bei Kunden- und Geschäftsfelddifferenzierung, andererseits durch die Organisation des Zugangs zu den für die Auftragsbeschaffung wichtigen Entscheidungsträgern wie Investoren, Projektentwicklern und Architekten. Kernfrage ist in diesem Zusammenhang immer wieder die Sicherstellung einer möglichst weitgehenden flächendeckenden Präsenz mit Hilfe eines entsprechenden Niederlassungsnetzes. Die Abwägung zwischen zentraler Lenkung und dezentraler

160

C. J. Diederichs et al.

Abb. 14 Vorgehensweise Bestimmung der Ressourcenposition. (Quelle: Institut für Baubetrieb und Baumanagement 2018, Universität Essen)

Akquisition ist eine der Kernfragen der strategischen Unternehmensführung. Durch die Bewertung von Marktattraktivität und Ressourcenposition ergibt sich die Wettbewerbsposition des Unternehmens. Aus der Wettbewerbsposition können im darauf folgenden Schritt konkrete strategische Optionen erarbeitet werden.

6

Strategische Optionen und Wettbewerbsposition

Die strategischen Optionen sind für die einzelnen SGF spezifisch zu erarbeiten und auf die Gesamtunternehmensstrategie abzustimmen. Hierdurch wird die grundsätzliche Positionierung des Unternehmens und seiner Einzelgeschäfte im Markt (Hungenberg und Wolf 2011, S. 105) sowie zu den Wettbewerbern (Wettbewerbsposition) bestimmt. Das Instrument der Strategiegestaltung auf Unternehmensebene ist die Portfolioplanung. In der Portfolioplanung werden die Geschäftsfelder der Unternehmen als Anlagemöglichkeiten betrachtet, die es hinsichtlich der unternehmerischen Zielvorgaben zu bewerten gilt, so dass eine für Anleger und Mitarbeiter möglichst optimale Zusammenstellung entsteht (Hungenberg und Wolf 2011, S. 114). Diese Bewertung entsteht bei der Erarbeitung der strategischen Optionen. In der Zusammenfassung zahlreicher Versuche, strategische Optionen zu strukturieren, werden im

Folgenden die Normstrategien des Portfoliomanagements zusammengeführt. In Abhängigkeit von der Marktattraktivität der Geschäftsfelder der Branche und den relativen Wettbewerbsvorteilen der Geschäftsfelder des Unternehmens in Bezug auf seine Konkurrenten werden i. allg. drei Normstrategien unterschieden (Diederichs 2012, S. 579): • die Investitions- und Wachstumsstrategie, • die Abschöpfungs- und Desinvestitionsstrategie sowie • die selektive Strategie der Offensive, des Übergangs oder der Defensive (Abb. 15).

Für SGF mit hoher Marktattraktivität und auch großen relativen Wettbewerbsvorteilen kommen Investitions- und Wachstumsstrategien in Betracht. In der Regel handelt es sich um expandierende Marktsegmente, in denen die herausragende Wettbewerbsposition mittels autonomer Innovationsstrategien errungen wurde (Matrixfelder der Mittelbindung). Die strategischen Maßnahmen müssen darauf ausgerichtet sein, die solide Wettbewerbsposition weiter zu stärken und auszubauen, um Konkurrenten davon abzuhalten, den erzielten Marktvorsprung zu mindern. SGF mit niedriger Marktattraktivität und geringen relativen Wettbewerbsvorteilen erfordern Abschöpfungs- und Desinvestitionsstrategien, da sie keine hohen Gewinnchancen haben. Sie sind daher so rasch wie möglich abzustoßen (Matrixfelder der Mittelfreisetzung) und die freigesetzten finanziellen, personellen und materiel-

Unternehmensführung

161

Portfoliomatrix 100

Invest- und Wachstumsstr.

Offensivstr.

3.1

67

Invest- und Wachstumsstr.

1

mittel

Abschöpfstr. Übergangsstr. Invest- und Wachtums3.2 str.

33 gering

3 Selektive Strategien 3.1 Offensive Strategien • Wachstum 3.2 Übergangsstrategien • Expansion • Konsolidierung 3.3 Defensivstrategien • Kostenführerschaft • Konzentration auf Schwerpunkte • Preispolitik • Rückzug

Marktattraktivität

2 Abschöpfungs- und Desinvestionsstrategie • Abschöpfung, Rückzug, Desinvestition

hoch

1 Investitions- und Wachstumsstrategie • Expansion

3.3

2 Desinveststr. Abschöpfstr.

0 0

gering

33

mittel

67

Defensivstr. hoch

100

Relative Wettbewerbsvorteile Abb. 15 Normstrategien der Portfoliomatrix. (Quelle: Diederichs 2012, S. 579)

len Ressourcen in neuen Geschäftsfeldern mit hoher Marktattraktivität und großen relativen Wettbewerbsvorteilen gewinnbringender einzusetzen. SGF, die in der Portfoliomatrix auf der Diagonale von links oben nach rechts unten einzuordnen sind, erfordern selektive Strategien. Bei hoher Marktattraktivität und geringen relativen Wettbewerbsvorteilen müssen mit Hilfe einer Offensivstrategie Wettbewerbsvorteile gegenüber den wichtigsten Konkurrenzunternehmen aufgebaut werden, z. B. durch Preisführerschaft oder Konzentration auf Schwerpunkte. Eine mittlere Position von SGF sowohl hinsichtlich der Marktattraktivität als auch der relativen Wettbewerbsvorteile ist auf Märkten mit vielen Nachfragern und Anbietern typisch. Sie erfordert i. d. R. eine Übergangsstrategie mit dem Ziel der Cash-flow-Maximierung. Unternehmen werden stets bestrebt sein, viele strategische Geschäftsfelder in solchen Matrix-Feldern anzuordnen, die eine Investitions- und Wachstumsstrategie rechtfertigen. Diese haben jedoch einen hohen Finanzbedarf, der über Cash-flow-generierende Geschäftseinheiten zu decken ist. Ferner ist darauf zu achten, dass in Zukunft potenziell erfolgreiche Nachwuchsgeschäftsfelder vorbereitet werden.

Strategische Maßnahmen Zur Umsetzung der Normstrategien bedarf es zunächst einer Umsetzungsplanung. Die Aufgabe dieser strategischen Planung ist die Formulierung von Wettbewerbsstrategien, um die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens zu sichern. Wettbewerbsstrategien werden üblicherweise unterschieden in Differenzierung vom Wettbewerb durch Besonderheit des Angebots, der Kostenführerschaft sowie der Konzentration auf Schwerpunkte (Abb. 16). Durch die Differenzierung als strategische Option soll der Wettbewerbsvorteil durch ein besonderes Angebotsspektrum erreicht werden. Hierzu ist es notwendig, durch eine intensive Kundenorientierung und eine stetige Anpassung des Leistungsprogramms die Differenzierung aufrecht zu erhalten. Dabei besteht die Gefahr, dass der Wettbewerb die Besonderheiten im Angebot erkennt und nachahmt. In der Bauindustrie ist die Differenzierung im Wettbewerb, aufgrund der hohen Vergleichbarkeit der Bauleistungen, nur sehr schwer zu realisieren. Damit das Marktrisiko beherrschbar bleibt, empfiehlt es sich, etwaige Leistungsangebote optional anzubieten. Die Kostenführerschaft strebt eine Gewinnerzielung auch bei niedrigem Preisniveau aufgrund geringer Kosten an. Hierzu ist die Maxi-

162

C. J. Diederichs et al.

Abb. 16 Wettbewerbsstrategien im Kontext der Marktsegmente. (Quelle: Institut für Baubetrieb und Baumanagement 2018, Universität Essen)

mierung der Produktivität ein unerlässlicher Faktor. Dies wird erzielt, indem kontinuierlich an der Verbesserung der Arbeitsabläufe und an innovativen Verfahren gearbeitet wird. Ein Beispiel hierzu kann die Methode des Building Information Modelling sein. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass durch Implementierung der Innovationen Kostenvorteile egalisiert werden. Da die Bauindustrie ein stark fragmentierter Markt ist und die eingesetzten Bauverfahren und Herstellungsmethoden sich oft ähneln, ist auch die Kostenführerschaft schwer zu erreichen. Zudem erschwert eine geringe Markttransparenz sowie die Tatsache, dass durch Ausschreibungen die Preisbildung punktuell beeinflusst wird, die Möglichkeit, sich über den Preis vom Wettbewerb zu differenzieren. Konzentration auf Schwerpunkte meint die Fokussierung auf wenige Zielmarktsegmente, um in diesen Bereichen die Kostenführerschaft und Differenzierung zu erreichen. Hierzu müssen jedoch die vorangehend genannten Anforderungen zur Differenzierung und Kostenführerschaft kombiniert betrachtet werden. Das Ziel dieser Wettbewerbsstrategie ist es, durch Spezialisierung Effizienzvorteile gegenüber Wettbewerbern mit einem breitem Leistungsangebot zu erzielen. Für die Bauwirtschaft stellt diese Wettbewerbsstrategie einen vielversprechenden Ansatz dar. Sie kann ihre individuellen Kernkompetenzen und Marktaktivitäten gezielt einsetzen und zur Kundenorientierung nutzen.

Die vorgestellten Komponenten beeinflussen die Marktattraktivität bzw. die Wettbewerbsvorteile unterschiedlich stark. Zur Veranschaulichung der Auswirkungen wird im nun folgenden Beispiel die Positionsbestimmung der strategischen Geschäftsfelder in einer Portfoliomatrix berücksichtigt. Hierzu werden die einzelnen Komponenten wie bei einer Nutzwertanalyse zunächst gewichtet, sodann hinsichtlich ihrer Erfüllung gemessen und anschließend mit Hilfe von Transformationsfunktionen bewertet (Diederichs 2005, S. 243–246). Die Einstufung der SGF in einer Portfoliomatrix soll am Beispiel eines Stahlbauunternehmens und unter Einbeziehung der Ergebnisse einer empirischen Untersuchung gezeigt werden (Bäumler 1996, S. 160–165). Das Stahlbauunternehmen habe 2018 eine Jahresbauleistung von 50 Mio. € erzielt. Davon seien 80 % auf die drei umsatzstärksten strategischen Geschäftsfelder (SGF) entfallen: • SGF-1 Industriehallenbauten für gewerbliche Investoren, 25 Mio. €; • SGF-2 Stahlskelettbauten für Verwaltungsgebäude, 10 Mio. €; • SGF-3 Verbundbauten für gemischt genutzte Gebäude, 5 Mio. €. Ferner wird als künftig geplantes Geschäftsfeld aufgenommen: • SGF-4 Fassadenbau, 0 Mio. €.

Unternehmensführung

163

Das Ergebnis der durchgeführten Nutzwertanalysen für die vier Geschäftsfelder in gewichteten Nutzenpunkten von max. jeweils 1000 zeigt der obere Teil der nachfolgenden Abbildung. Bei SGF-4 Fassadenbau kann es sich naturgemäß nur um vermutete relative Wettbewerbsvorteile handeln, da dessen Einführung noch bevorsteht. Die Schwerpunktbestimmung aus den drei Geschäftsfeldern SGF-1 bis 3 in Abb. 17 ermöglicht die Positionierung des Gesamtunternehmens. Es ergibt sich eine Marktattraktivität von 556 bei einem Wettbewerbsvorteil von 705 Punkten. Auf der Basis der gewählten Wettbewerbsstrategie sind für die ausgewählten strategischen Alternativen spezifische strategische Maßnahmen und Direktiven für die Funktionsbereiche des Unternehmens zu veranlassen und durchzusetzen. Ziel des Abstimmungsprozesses zwischen der Unternehmensführung und den Leitern innerhalb der Funktionsbereiche muss es sein, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen

Nr.

1 2 3 4 5

Strategische Geschäftsfelder (SGF)

• der vollen Entfaltung des Handlungsspielraums der Führungskräfte, die das Recht und die Pflicht haben, innerhalb ihres Verantwortungsbereichs Entscheidungen zu treffen, und • der Koordination zwischen den Führungskräften im Hinblick auf die zu erreichenden Unternehmensziele. Den Zusammenhang zwischen Teilzielen des Unternehmens, Normstrategien der Portfoliomatrix für die einzelnen Geschäftsfelder und strategischen Maßnahmen in den einzelnen Funktionsbereichen zeigt Abb. 18. Marketing Unter Marketing ist die konsequente Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten auf aktuelle und potenzielle Märkte zu verstehen (Meffert et al. 2018). Der Marketingmix aus Produkt-, Kommunikations-, Distributions- sowie Preis- und Konditionspolitik hat die Aufgabe, die gesetzten Ziele

Gewichtete Attraktivitäts-/ Vorteilspunkte

Bauleistung 2008 (Mio. €)

Industriehallen Stahlskelettbauten, Verwaltungsgebäude Verbundbau für gemischt genutzte Gebäude Fassadenbau Gesamtunternehmen

Marktattraktivität

relative Wettbewerbsvorteile

25 10 5 0

504 695 540 785

734 720 528 164

40 (= 80 % der ges. Bauleistung 1998)

556

705

4X 2

67

mittel

5 1

33

gering

Marktattraktivität

hoch

100

0 0

gering

33

mittel

67

hoch

100

Relative Wettbewerbsvorteile

Abb. 17 Positionierung der strategischen Geschäftsfelder SGF 1 bis 4 in der Portfoliomatrix. (Quelle: Diederichs 2012, S. 578)

164

C. J. Diederichs et al.

Marktattraktivität

Offensivstrategien

Abschöpfstrategien

Desinvest.strategien

Invest- u. Invest- u. Wachstums- Wachstumsstrategien strategien Invest- u. ÜbergangsWachstumsstrategien strategien Abschöpfstrategien

Defensivstrategien

Relative Wettbewerbsvorteile

Teilziele des Unternehmens Wettbewerbs-, Markt- und Ertragsziele Schaffung zukünftiger Abschöpfungs vorh. Gewinnpotentiale Gewinnpotentiale und Marktanteile und Marktanteile

Freisetzung von Finanzmitteln

Norm-Strategien Offensivstr. Investions- und Wachstumsstr. • Übergangsstr.

Abschöpfungsstr. Defensivstr. • Übergangsstr.









Funktionsbereiche



Desinvestitionsstr.

Strategische Maßnahmen

Marketing F+E Produktion und Beschaffung Personal Finanzen und Rechnungswesen Kooperation/Fusion/Akquisition

Abb. 18 Teilziele des Unternehmens, Normstrategien und relevante Funktionsbereiche. (Quelle: Diederichs 2012, S. 581)

durch Umsetzung der gewählten Strategien in operative Maßnahmen sicherzustellen (Abb. 19). Seine Notwendigkeit ist leicht vermittelbar. Um ein Produkt absetzen zu können, muss es zunächst bekannt sein (Kommunikation), sich außerdem von anderen Produkten unterscheiden (Produkt, Preis) und letztlich auch verfügbar sein (Distribution). Die Umsetzung des Marketingmix hat daher nicht nur Auswirkungen auf die Teilfunktion Auftragsbeschaffung, sondern auch auf die Produkteigenschaften, Preis- und Lieferkonditionen sowie die Kommunikationspolitik (Marhold 1992, S. 21–26; Weng 1995, S. 184–187). Nach einer erfolgten Bestandsaufnahme und vor Auswahl geeigneter Strategien sind zur offensiven Marktbeeinflussung mittels Marketing folgende Marketingstrategien in fünf Fragenkomplexen zu erörtern: • Wahl der Strategischen Geschäftsfelder (Was?). Jedes Unternehmen muss immer wieder entscheiden, welche Produkte oder Dienstleistungen es welchen Kunden bzw. Nachfragegruppen anbieten will. Dies ist Aufgabe des Portfoliomanagements.

• Marktstimulierung (Wie?). Der strategische Ansatz zur Steigerung der relativen Wettbewerbsvorteile des Unternehmens für die ausgewählten strategischen Geschäftsfelder besteht in den Alternativen der Preisführerschaft oder der Konzentration auf Schwerpunkte. Mit der Preisführerschaft verfolgt ein Unternehmen das Ziel, der preiswürdigste Hersteller auf seinem Gebiet innerhalb der Branche zu werden. Bei der Konzentration auf Schwerpunkte bedient das Unternehmen seine Kunden im ausgewählten Geschäftsfeld mit einem von anderen Konkurrenten nicht erreichten Kundennutzen, z. B. Produkt- oder Servicequalität. • Timing des Marktein- und -austritts (Wann?). Portfoliomanagement erfordert stets Überlegungen zur Errichtung neuer, zur Veränderung bestehender oder zur Einstellung bestehender strategischer Geschäftsfelder bzw. der zugehörigen Produkte und Dienstleistungen. Die Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen birgt erhebliche Risiken, aber auch große Chancen, wenn die erwartete Marktentwicklung bestätigt wird.

Unternehmensführung

165

Investitions- und Wachstumsstrategien

Normstrategien Selektive Strategien

Abschöpfungs- und Desinvestitionsstrategien

Marketingmix

Vergrößern Erweitern

Wachstum in Teilmärkten/ Position sichern

Rückzug

1 Produktpolitik

• Diversifikation • Innovation

• Schwerpunktbildung • Bereinigung

• Produktbegrenzung • Aufgabe von Produkten

2 Preis- und Konditionenpolitik

• Preisführerschaft • BOT

• Selektive Preisbildung

• Abschöpfungspreis • Preisstabilität

3 Kommunikationspolitik

• Produktwerbung • Firmenwerbung • Corporate Identity

• Selektive Produktwerbung • Unterstützung der Abschöpfungspreispolitik • Selektive Firmenwerbung • Reduzierung d. Kommunikation

4 Distributionspolitik

• Gründung NL. ZNL. Fil. • Straffung d. NL-Struktur

• Schließung von NL

Abb. 19 Marketingmaßnahmen. (Quelle: Meffert et al. 2018)

• Marktareal (Wo?). Die Frage, in welcher regionalen Ausdehnung ein Unternehmen seine Produkte oder Dienstleistungen anbieten will, muss im Spannungsfeld des Wunsches nach flächendeckender Präsenz einerseits und begrenzten finanziellen Möglichkeiten andererseits, der jeweiligen Marktattraktivität sowie der vorhandenen bzw. zu erwartenden Markteintrittsbarrieren beantwortet werden. • Strategische Allianzen (Mit wem?). Die Frage der Auswahl von Kooperationspartnern ist von hoher Bedeutung für die Wahl der Geschäftsfelder, die horizontale Integration bei angestrebter Marktausweitung in bestehenden Geschäftsfeldern und bei vertikaler Integration durch Hinzunahme neuer Geschäftsfelder aus vor- und nachgelagerten Bereichen der bisherigen Produkt- oder Dienstleistungspalette.

dann beantworten, wenn zuvor die strategischen Stoßrichtungen festgelegt wurden. F+E-Tätigkeit gewinnt in dem Maß an Bedeutung, in dem sie zu strategisch gewollten Aktionsleistungen führt. Die Prioritäten der F+E-Felder lassen sich ebenfalls in einer Portfoliomatrix ordnen (Hirschfeld 1996, S. 445–462; Diederichs 1988, S. 91–95, 1989, S. 304–310).

Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen Technische Innovationen können eine Quelle großer Möglichkeiten, aber auch starke Bedrohungen für ein Unternehmen sein. Sie sind daher mit Augenmaß in die Strategienentwicklung auf Unternehmensebene einzubeziehen. Fragen z. B. nach dem Nutzen der F+E-Programme, der Höhe des F+E-Budgets, der internen oder externen Abwicklung von F+E-Projekten, der Zentralisierung oder Dezentralisierung von F+E-Maßnahmen sowie nach dem zweckmäßigsten Verhältnis zwischen Innovation und Imitation lassen sich nur

Maßnahmen im Personalbereich Das Personal ist das wichtigste „Kapital“ jedes Unternehmens. Viele Mitarbeiter erwarten ihre Förderung und ihren Aufstieg innerhalb eines und nur eines Unternehmens. Unternehmensleitungen beschränken sich dagegen häufig darauf, die Förderung ihrer Mitarbeiter am akuten Bedarf zu orientieren. Wenn es gelingt, die strategische Unternehmensplanung mit der individuellen Karriereplanung der Mitarbeiter in Einklang zu bringen, gewinnt ein Unternehmen allein daraus einen wichtigen Wettbewerbsvorsprung gegenüber den

Maßnahmen im Produktionsbereich Der Wert eines Unternehmens besteht maßgeblich in der Gesamtheit seiner Produktionskenntnisse und -fähigkeiten, d. h. dem durch Fachkunde, Erfahrung, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit bewiesenen Leistungspotenzial. Strategische Fragestellungen für alternative Maßnahmen im Produktionsbereich enthält auszugsweise Abb. 20.

166

C. J. Diederichs et al.

Nr.

Fragen

Alternative Maßnahmen

1

Ausmaß der vertikalen Integration

• Produktion im eigenen Unternehmen (Eigenfertigung) • Kauf von außen (Fremdbezug)

2

Ausmaß der horizontalen Integration

• Ausführung von Komplettleistungen (SF-Bau u. Finanzierung u. Vermarktung/ Verwaltung/Betrieb) • Konzentration auf Schwerpunkte (einzelne Gewerke/Leistungsbereiche)

3

Produktionsverfahren, Technologien

• hoher Mechanisierungs- und Automatisierungsgrad • handwerkliche Fertigung

4

Größe und Standorte der Fertigungsbetriebe

• • • • •

5

Ersatzbeschaffung u. Instandhaltung

• Planung von Ersatz- und Rationalisierungsinvestitionen • vorbeugende Instandhaltung • Ausmusterung/Reparatur bei Ausfall/Störungen

Kapazitätserweiterung im Vorlauf zur |Nachfragesteigerung Kapazitätsanpassung auf konstantem Niveau Kapazitätsdrosselung im Vorlauf zur Nachfragesättigung Dezentralisation durch Niederlassungen und Filialen Konzentration auf zentralen Standort

Abb. 20 Maßnahmen im Produktionsbereich. (Quelle: Diederichs 2012, S. 582)

Konkurrenten, die nicht auf diese Übereinstimmung achten. Das aus dieser These abzuleitende Ziel setzt ein konsequentes Personalmanagement und darin eine sorgfältige Personalentwicklung auf allen hierarchischen Ebenen voraus. Bei gleichem Entgeltniveau ist die Effektivität und Effizienz der menschlichen Arbeitsleistung dennoch sehr verschieden. Eine dem Prinzip der Lohn- und Gehaltsgerechtigkeit folgende Lohnund Gehaltspolitik des Unternehmens ist maßgebliches Kriterium seiner Attraktivität für die besten Fach- und Führungskräfte. Der Spielraum für die Unternehmensführung ist jedoch eng begrenzt durch die Ertragssituation sowie die Bindung an Lohn- und Gehaltstarife einerseits sowie die Konkurrenz aus Niedriglohnländern der EU und Osteuropas andererseits. Maßnahmen zum Finanz- und Rechnungswesen Zu den Aufgaben des Rechnungswesens gehört die Gestaltung des Jahresabschlusses im Rahmen der steuerrechtlich zulässigen Möglichkeiten zur Förderung der verfolgten Unternehmensstrategien. Rechtfertigen Cash-flow-Erwartungen langfristige Investitions- und Wachstumsstrategien eines oder mehrerer Geschäftsfelder, so wird das Unternehmen tendenziell versuchen, seine Bilanzierungswahlrechte zu einem Vorziehen von Liquidität zwecks Finanzierung dieser Strategien zu nutzen.

Mit der strategischen Geschäftsfeldplanung sind sorgfältige Abschätzungen des Kapitalbedarfs, die Überprüfung von Alternativen zur Finanzierung und Liquiditätssicherung sowie zur Absicherung von Liquiditätsrisiken eng verknüpft. Maßnahmen zur Kooperation, Fusion und Akquisition In allen industriellen Unternehmen, deren Größe eine bestimmte Schwelle übersteigt, besteht die Notwendigkeit der internationalen Ausdehnung. Internationalisierung bedeutet nicht nur Aufbau von Produktionsstandorten und Vertriebssystemen im In- und Ausland, sondern auch JointVentures, Kooperationsabkommen und die Bildung von internationalen Konsortien. Das Ziel der Internationalisierung ist nicht vorrangig der Absatz von Gütern und Dienstleistungen im Ausland, für die der Inlandsmarkt zu klein geworden ist, sondern v. a. der Zugang zu neuen herausfordernden Aufgabenstellungen, technologischen und organisatorischen Gestaltungsmöglichkeiten sowie die Einbindung in ein flexibleres Kooperations- und Informationssystem. Strategische Maßnahmen bei Investitions-, Wachstums- und Offensivstrategien Das Spektrum möglicher Verhaltensweisen der Unternehmensführung wird von der Lage der

Unternehmensführung

167

bestimmten Geschäftsfelder einer Unternehmung in der Portfoliomatrix, den gezeigten Stoßrichtungen der Normstrategien und dem strategischen Maßnahmenkatalog in den einzelnen Funktionsbereichen bestimmt. Die in Verfolgung dieser strategischen Alternativen zu planenden und in Abstimmung mit den einzelnen Funktionsbereichen durchzusetzenden Aktionsprogramme sind entsprechend zu differenzieren, wobei sich sowohl bei der Investitionsund Wachstumsstrategie als auch bei der Offensivstrategie nur graduelle Unterschiede ergeben (Abb. 21). Strategische Maßnahmen bei Konsolidierung oder Rückzug Bei sorgfältiger Geschäftsfeldanalyse ist rechtzeitig zu erkennen, dass für einige Geschäftsfelder – oder auch für das gesamte Unternehmen – eine Phase der Konsolidierung oder gar der Rückzug angezeigt ist. Die Konsolidierung dient der Wahrung und Festigung der gegenwärtigen Position. Dazu empfiehlt es sich, eine Konzentration auf Schwerpunkte vorzunehmen, Kostensenkungsprogramme einzuleiten und das Distributionsnetz

zu straffen. Innovative Anstrengungen werden vorrangig zur Produktivitätssteigerung genutzt. Zur Kostensenkung kann eine Ausweitung des Wettbewerbs im Lieferantenkreis beitragen. Personalpolitik wird sich v. a. der Förderung der Mitarbeiterqualifikationen, der Ergänzung fehlender Kenntnisse und der Leistungsorientierung der Mitarbeiter widmen. Mit der Konsolidierung wird auch der Versuch einhergehen, die Fremdkapitalquote zu reduzieren. Die Knüpfung strategischer Netzwerke durch Kooperationsmöglichkeiten liefert einen weiteren Beitrag. Wird jedoch für einzelne Geschäftsfelder oder das ganze Unternehmen der Rückzug beschlossen, so sind bestehende Aufträge abzuwickeln oder Vertragsverhältnisse aufzulösen, wobei in beiden Fällen eine Einigung über ausstehende Gewährleistungsverpflichtungen bzw. etwa entstehende Schadenersatzansprüche erzielt werden muss. Die für die Kunden konfliktfreieste Lösung stellt die Übernahme bestehender Verträge durch eine Nachfolgeorganisation dar. Sachanlagen, Patente und Lizenzen, laufende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, bestehende Kontakte und qualifizierte Mitarbeiter stel-

Nr.

Funktionsbereich

Strategische Maßnahmen

1

Marketing 1.1 Produktpolitik 1.2 Kontrahierungspolitik 1.3 Kommunikationspolitik 1.4 Distributionspolitik

• • •

Diversifizieren, horiz. und vert. Integration Preis- und Konditonendifferenzierung Produkt- und Firmenwerbung Gründung von Niederlassungen, Filialen

2

Forschung und Entwicklung

• •

F + E-Aktivitäten intern und extern ausbauen Lösungen für Marktnischen entwickeln

3

Produktion



Erhöhung der Mechanisierung + Automation Steigerung der Ressourcenverfügbarkeit





4

Beschaffung

• •

5

Personal

• • •

6

Finanzierung und Rechnungswesen

• •

7

Kooperation, Fusion, Akquisition



Ausweitung und Steigerung des Wettbewerbs im Lieferantenkreis Verbesserung der Logistikorganisation Personalentwicklung, Nachwuchvorsorge Verstärkung der Aus- und Weiterbildung leistungsorientierte Mitarbeitervergütung Investition in Personal, Maschinen und Geräte, Innovationen, Ausund Weiterbildung Verwendung aktueller Gewinne zur Finanzierung der Wachstumsund Offensiv-Strategien Erwerb fehlender kritischer Ressourcen durch Knüpfung strategischer Netzwerke (U.-erwerb, -fusion, -beteiligung, Arbeitsgemeinschaften)

Abb. 21 Strategische Maßnahmen der Funktionsbereiche bei Investitions-, Wachstums- und Offensivstrategien. (Quelle: Diederichs 2012, S. 584)

168

len Potenziale dar, die keineswegs verschleudert werden dürfen, sondern unter den marktwirtschaftlichen Gesetzen des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage ihren Marktwert haben. Ziel muss es daher stets sein, das ganze Unternehmen oder zusammenhängende Unternehmensteile in solche Organisationen einzubinden, deren Geschäftsfeldpositionierung in der Portfoliomatrix Investitions- und Wachstumsstrategien rechtfertigt. Wachstumsmotive und Wachstumsmöglichkeiten in der Bauindustrie Das Hauptmotiv für Wachstum eines Unternehmens ist die Sicherung des langfristigen Unternehmenserfolgs durch Vergrößerung der eigenen Marktmacht. Aus diesem allgemein gültigen Motiv können einige weitere Wachstumsmotive abgeleitet werden, die jedoch von der jeweiligen unternehmensspezifischen Situation abhängig sind. In der Literatur ist z. B. die Rede von einer besseren Nutzung von Economies-of-ScaleEffekten, der allgemeinen Stabilisierung und Überlebenssicherung, leichterem Kapitalmarktzugang, mehr unternehmerischer Flexibilität, Verringerung des Substitutionsrisikos von Produkten und Dienstleistungen, Sicherung von Arbeitsplätzen, Prestige- und Selbstverwirklichungsbedürfnis von Managern oder der Steigerung des verteilungsfähigen Unternehmenswerts (Macharzina und Wolf 2015, S. 270). Die bessere Nutzung der Economies-of-ScaleEffekte bedeutet die Vergrößerung der Ausbringungsmenge bei konstanten Fixkosten (nach Gabler, online-Abruf). Ein Bauunternehmen könnte hierzu z. B. überlegen, ob es vor- oder nachgelagerte Leistungen in der Wertschöpfungskette Bau zur eigentlichen Bauausführung (Planung, Facility Management) mit anbietet, ohne die AGK zu erhöhen. Die Motive Stabilisierung und Überlebenssicherung, unternehmerische Flexibilität und die Verringerung des Substitutionsrisikos beziehen sich auf das dynamische Verhalten in den Zielmärkten. Besonders in der Bauindustrie, in der zum Teil hoch spezialisierte Anbieter einen begrenzten Nachfragemarkt bedienen (Voigt 2010, S. 24) und somit die Renditen aus dem Kerngeschäft, also der Bauausführung, immer

C. J. Diederichs et al.

mehr die Angebotskosten verlorener Projekte und Fixkosten tragen müssen, erscheint eine verbreiterte Risikostreuung als sinnvoll. Daher versuchen einige Bauunternehmen, in angrenzenden Branchen neue Geschäftsmodelle zu etablieren, um so zu vermeiden, vom Markt zu verschwinden. Prinzipiell können die Bauunternehmen intern oder extern in drei Richtungen wachsen: horizontal, vertikal und diagonal (Abb. 22). Wachstum in horizontaler Richtung bedeutet, dass versucht wird, den Umsatz zu steigern mit gleichen oder ähnlichen Produkten, z. B. indem der Architekt neben dem eigentlichen architektonischen Entwurf auch die Planung der Haustechnik mit anbietet. Beim vertikalen Wachstum werden vor- und nachgelagerte Wertschöpfungsstufen mit in das eigene Leistungsbild integriert, wie im vorangehende Beispiel bei der Kombination von Planung und Bauausführung. Diagonales Wachstum gilt als sehr schwierig, da neue Märkte mit neuen Produkten erobert werden. Insbesondere bei der aktuell stark thematisierten Digitalisierung der Baubranche sind aber auch solche Entwicklungen zu betrachten. So bauen z. B. Anlagenbauunternehmen Digitalisierungssparten auf, um Apps zu entwickeln, die bei der anschließenden Montage den Handwerkern auf der Baustelle als Hilfe bzw. Kommunikationstool zur Verfügung stehen. Untersuchungen haben gezeigt, dass erfolgreiche Unternehmen insbesondere immer dann schnell und trotzdem nachhaltig wachsen, wenn diese über innovative Produkte verfügen (Pleschak 2003, S. 2 ff.).

Abb. 22 Prinzipielle Wachstumsmöglichkeiten. (Quelle: Macharzina und Wolf 2015, S. 277)

Unternehmensführung

Dabei konzentrieren sich die Unternehmen primär auf ihr Kerngeschäft. Für die Unternehmen der Bauindustrie erscheint dabei das Prinzip von virtuellen Unternehmen als erfolgsversprechend. Bei gleichbleibender Fokussierung auf das Kerngeschäft ist es denkbar, temporäre Partnerschaften in perspektivisch lukrativen Märkten einzugehen und so das Unternehmenswachstum zu steigern. Die konkrete Ausgestaltung wird dabei durch die spezifischen Wachstumsstrategien geplant. Wachstumsstrategien Für die Unternehmen der Bauindustrie besteht prinzipiell die Möglichkeit des internen oder externen Wachstums. Dabei können sie mit bestehenden oder neu entwickelten Produkten entweder in bestehenden oder neuen Märkten wachsen. Das konkrete Wachstum in den jeweiligen Märkten ist zunächst vom Management genau zu durchzuplanen und in konkrete Zielvorgaben bzw. Strategieformulierungen zu übersetzen. Die unterschiedlichen strategischen Alternativen sind in Abb. 23 dargestellt Marktdurchdringung meint eine intensive Bearbeitung der bestehenden Märkte mit den gegenwärtigen Leistungen und Produkten. Für ein Bauunternehmen kann dies z. B. die Erweiterung des Kundenstamms durch gezielte Neukundenansprache bedeuten, anstatt die Geschäfte hauptsächlich mit Stammkunden durchzuführen. Für die Stammkunden bieten sich hingegen häufig Preissenkungen oder Mengenrabatte an, um bei diesen den Absatz zu steigern. Beim Wachstum durch Marktdurchdringung haben die Unternehmen den Vorteil, dass sie Chancen und Risiken kennen und gut einschätzen können. Bei dieser Form des Wachstums ist häu-

Abb. 23 Marktstrategien nach Ansoff. (Quelle: Macharzina und Wolf 2015, S. 270 f.)

169

fig ein erheblicher Marketingaufwand zu betreiben, der den Kundennutzen (z. B. durch Preissenkungen) eindeutig herausstellt und kommuniziert. Wachstum durch Markterschließung wird erzielt, indem mit bestehenden Produkten neue Märkte erschlossen werden. Die Erschließung neuer Märkte kann sich dabei sowohl auf Technologien und Dienstleistungen (z. B. Projektmanagementleistungen neben dem Infrastrukturbau nun auch für den Anlagenbau anzubieten) als auch für regionale Märkte (Ausweitung des Hochbaugeschäfts von Deutschland auf die USA) beziehen. Das Risiko beim Wachstum durch Markterschließung liegt zunächst in den höheren Investitionskosten (z. B. für neuen Bürostandort in den USA) als bei der Strategie der Marktdurchdringung. Das Management muss hier das langfristige Wachstumspotenzial des neuen Zielmarktes genau bewerten und dies den bestehenden Risiken sowie dem nötigen Umsetzungsaufwand gegenüberstellen. Marktentwicklung meint die Entwicklung eines neuen Produktes oder einer neuen Dienstleistung in einem bestehenden Markt. Hier wird durch das Management in aller Regel die Strategie verfolgt, das bisherige Technologie- und Dienstleistungsangebot zu erweitern oder bestehende Produkte zu verbessern. Diversifikation bedeutet Wachstum mit neuen Produkten in neue Märkte. Unterschieden werden muss hierbei zwischen fokussiert, relational und konglomerat diversifizierten Unternehmen (Hungenberg und Wolf 2015, S. 274). Fokussiert diversifizierte Unternehmen konzentrieren sich auf sehr ähnliche Marktleistungen mit dem Ziel, hieraus Effizienz- und Know-how Vorsprünge zu erarbeiten und sich so eine verbesserte Wettbewerbsposition zu verschaffen. Bei relational diversifizierten Unternehmen bestehen zwischen den Produkten und Märkten zwar Unterschiede, jedoch weisen die eigentlichen Leistungserstellungsprozesse Ähnlichkeiten auf. Ein Beispiel hierfür kann z. B. ein Baustofflieferant sein, der zwar unterschiedliche Bauunternehmen (Hoch-, Tief-, Anlagenbau) beliefert, dessen Kernkompetenz jedoch weiterhin der Handel mit Baumaterialien bleibt. Das Ziel hierbei ist, bestehende Kernkompetenzen in neue Märkte zu übertragen und sich somit einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten.

170

C. J. Diederichs et al.

Das Produkt- und Dienstleistungsangebot von konglomerat diversifizierten Unternehmen ist inhaltlich sehr heterogen. Hierbei wird das Ziel einer kontinuierlichen, stabilen Entwicklung des Gesamtunternehmens durch wechselseitigen Ausgleich von Risiken in einzelnen Geschäftsfeldern angestrebt. Die Unternehmen können dabei entweder durch den Aufbau eigener Ressourcen (intern) oder aber z. B. durch strategische Allianzen oder Unternehmenszukäufe wachsen (extern). Ausgehend von der strategischen Planung werden in der operativen Unternehmensführung zunächst konkrete Einzelmaßnahmen für die jeweiligen Produkt-Markt-Segmente beschrieben. Danach werden vorhandene Infrastrukturen und Ressourcen auf Vereinbarkeit mit den strategischen Zielen geprüft. Begleitet werden soll der strategische und operative Prozess durch eine Steuerungseinheit bzw. ein Controlling. Dies kann sowohl unternehmensintern als auch extern, z. B. in Form eines Beraters, geschehen.

7

Operative Unternehmensführung

Nach Planung der strategischen Optionen sowie konkreten strategischen Maßnahmen vollzieht die operative Unternehmensführung Handlungen zu dessen Umsetzung. Die operative Unternehmensführung hat einen kurzfristigen Planungshorizont und entscheidet über konkrete Maßnahmen in den SGF. Die wesentlichen Handlungsfelder der operativen Unternehmensführung sind in Abb. 24 dargestellt.

7.1

Personalmanagement und Organisationsentwicklung

In der Kongruenz der Unternehmensziele und der Individualziele der Mitarbeiter liegen die Chancen der Unternehmen. Es gilt jedoch auch der Umkehrschluss, dass u. a. in der Divergenz zwischen den Unternehmens- und Individualzielen Ursachen für Misserfolge von Unternehmen zu suchen sind. Das Fazit hieraus ist, dass erfolgreiche Unternehmensführung maßgeblich vom Personalmanagement und der Organisationsentwicklung bestimmt wird.

Personalmanagement Als ein wichtiges Handlungsfeld der operativen Unternehmensführung gilt das Personalmanagement, denn sind es Menschen, die die arbeitsteiligen Aufgaben in den Unternehmen erbringen, um die Produkte zu entwickeln, zu erstellen und zu vermarkten. Nach Scholz (2014, S. 3 ff.) umfasst Personalmanagement die Summe aller betrieblichen Maßnahmen, die darauf abzielen, alle in einem Unternehmen anfallenden Aufgaben mit dem nach Qualifikation, Anzahl, Ort, Zeit und Motivation benötigten Personal zu verbinden. Aufgabe des Personalmanagements ist daher, den Produktionsfaktor Arbeit (kreativ, dispositiv und ausführend) bedarfsgerecht bereitzustellen. Dazu gehören als erste Dimension: • Personalbestandsanalyse als informatorische Basis für die Personalarbeit; • Personalbedarfsbestimmung zur Ermittlung des im Zeitablauf erforderlichen Sollpersonalbedarfs; • Personalveränderung mit – Personalbeschaffung über die Anpassung des Personalbestands an den aktuellen Bedarf durch Neueinstellung oder interne Rekrutierung, – Personalentwicklung, indem die Qualifikation der Mitarbeiter gefördert wird, und – Personalfreisetzung durch Nichtwiederbesetzung freigewordener Stellen oder Entlassungen; • Personaleinsatzmanagement über die Zuordnung vorhandener Mitarbeiter zu definierten Positionen; • Personalführung durch Integration von Unternehmens- und Individualzielen; • Personalkostenmanagement, indem das Personalmanagement mit den übrigen Teilen der Unternehmensplanung, insbesondere der Finanz- und Budgetplanung, verbunden wird; • Integrationsfelder: – Personalmarketing durch kundenorientierte Zusammenführung von Personalbeschaffung, -entwicklung und -freisetzung, – Personalcontrolling mit Hilfe betriebswirtschaftlicher und strategischer Überlegungen sowie

Unternehmensführung

171

Abb. 24 Handlungsfelder der operativen Unternehmensführung

– Personalinformationsmanagement, indem auf gemeinsame Daten zur managementorientierten Ausgestaltung der EDV im Personalwesen abgestimmt zugegriffen wird. Die zweite Dimension des personalwirtschaftlichen Grundansatzes ist eine Differenzierung nach den Managementebenen • operativ, d. h. mit einem kurzfristigen Planungshorizont überwiegend auf unterer Hierarchieebene, mitarbeiter- und stellenorientiert; • taktisch, d. h. mit mittelfristigem Planungshorizont, mittlerer organisatorischer Einbindung, gruppenorientiert in Vermittlerfunktion zwischen operativer und strategischer Ebene; • strategisch, d. h. mit langfristigem Planungshorizont, hoher hierarchischer Einbindung, unternehmensorientiert mit deutlichem Bezug zu den Erfolgspotenzialen des Unternehmens. Die dritte Dimension beschreibt zwei Ausgestaltungsformen: • das informationsorientierte Personalmanagement, das Aussagen zur qualitativen und quan-

titativen Personalplanung aus Anforderungsund Fähigkeitsprofilen sowie aus Informationen der Personaleinsatzsteuerung liefert, und • das verhaltensorientierte Personalmanagement, das sich an den Bedürfnissen, Motiven und Werten orientiert, die das Verhalten der Mitarbeiter steuern, v. a. im Feld der Personalführung. Ausprägung des Personalmanagements in Bauunternehmen Das Personalmanagement in Bauunternehmen sieht sich aktuell mit Herausforderungen konfrontiert, die aus einer Überalterung der Fachkräfte sowie einem generellen Mangel an Fachkräften im Bausektor resultieren (Dummert 2014, S. 3). Daneben spielt die zunehmende Durchdringung der Digitalisierung sowie der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologie auch im Bauwesen eine Rolle. Es ist Aufgabe des Personalmanagements, diese Technologien in die tägliche Arbeit zu integrieren und dem Personal möglichst moderne und attraktive Arbeitsplätze zu bieten. Auch aus der Altersstruktur der Bauingenieure lässt sich das Ergebnis des Personalmanagements im Bereich der gewerblichen Arbeitnehmer des Bauhauptgewerbes der vergangenen Jahre able-

172 Abb. 25 Altersstruktur der erwerbstätigen Bauingenieure. (Quelle: Dummert 2014, S. 4)

C. J. Diederichs et al. Erwerbstätige mit Abschluss an einer Fachhochschule oder Universität der Hauptfachrichtung Bauingenieurwesen* (HFR 2003) nach Altersklassen 2000, 2011, 2012 und 2013

33%

41%

42%

29% 32%

32%

22%

20%

44% davon im Alter von ...bis unter ...Jahren 50 oder älter 40 - 50 31% 30 - 40 bis unter 30

29% 20%

8%

5%

6%

6%

2000

2011

2012

2013

sen. Die Abb. 25 zeigt dazu exemplarisch, dass im Jahr 2013 44 % der Bauingenieure 50 Jahre oder älter waren. Die Zukunft der Arbeit steht auch im Bauwesen ganz im Zeichen der Digitalisierung. Heutzutage nutzt ein Großteil der Menschen moderne IKT, wie z. B. Smart Phones. Durch das Internet ist es möglich, nahezu überall auf der Welt zu arbeiten und zu kommunizieren. Diese Flexibilität ist es, die es Mitarbeitern ermöglicht, Beruf, Privatleben und Weiterbildung besser miteinander kombinieren zu können. Die Digitalisierung im Bauwesen stellt aber auch Herausforderungen an das Personalmanagement, welche insbesondere in der Rekrutierung von Mitarbeitern mit digitalem Fachwissen sowie in der Aus- und Weiterbildung des Stammpersonals liegen. Nach heutigen Erkenntnissen bezieht sich dies insbesondere auf Komplexitäts-, Abstraktions- und Problemlösungskompetenzen sowie Anforderungen nach selbstgesteuertem Handeln, kommunikativen Kompetenzen und Fähigkeiten zur Selbstorganisation (Botthof und Hartmann 2015, S. 27). Personalstrategien Unter der Zielsetzung einer branchenweiten Professionalisierung der unternehmerischen Personalarbeit wurden von Möller (1998) zwei Personalstrategien entwickelt, die einander ergänzen: • die Personalentwicklungsstrategie, bei der der Aspekt der Personalqualität im Vordergrund steht, und

• die Personalkapazitätsstrategie, die auf Deckung des qualitativen und quantitativen Personalbedarfs abzielt. Die Personalentwicklungsstrategie will den Personalbedarf durch Steuerung der Personalqualität bei gegebener Personalkapazität realisieren. Damit soll der Personalbedarf mittels unternehmensinterner Mitarbeiterpotenziale gedeckt und die externe Personalbeschaffung minimiert werden. Unter Beachtung der zu gewährleistenden Kongruenz zwischen Unternehmenszielen und individuellen Mitarbeiterzielen bekommen die Festigung sowie das Erlangen jener Qualifikationen oberste Priorität, die die Mitarbeiter benötigen, um gegenwärtige und zukünftige Leistungsanforderungen zu bewältigen. Der Zusammenhang zwischen Personal- und Organisationsentwicklung ist zunächst dadurch gegeben, dass die Personalentwicklung vorrangig individuelle Faktoren wie Qualifikation und Mitarbeiterverhalten fördern will, während die Organisationsentwicklung unternehmerische und betriebliche Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation verbessern will. Personalentwicklungsergebnisse lösen jedoch Impulse für die Weiterentwicklung von Organisationen und umgekehrt Organisationsänderungen Verhaltensänderungen der betroffenen Mitarbeiter aus. Die optimale Synergie von Personal- und Organisationsentwicklung führt zum Idealzustand der lernenden Organisation, die eigenständig organisatorische

Unternehmensführung

Konsequenzen aus personellen Entwicklungen und personelle Konsequenzen aus organisatorischen Verbesserungen zieht. Voraussetzung für die Anwendung einer Personalentwicklungsstrategie ist das Vorhandensein eines ausreichenden Entwicklungspotenzials bei der Belegschaft. Herausragende und sinnvoll aufeinander aufbauende Maßnahmen der Personalentwicklung sind die Mitarbeiterbeurteilung, die berufsbegleitende Weiterbildung sowie die motivationsstärkende Förderung, Vergütung und Mitarbeiterbeteiligung, um aus Mitarbeitern Mitunternehmer zu machen. Die strategische Personalentwicklung ist auf längerfristigen Personalbedarf aus Unternehmenssicht zu orientieren. Gleichzeitig sind die Karrierewünsche und die Interessen der Mitarbeiter angemessen zu berücksichtigen. Die Karriereplanung ist ein wichtiger Bestandteil der strategischen Personalentwicklung. Zur taktischen Personalentwicklung gehört die Planung von Führungsseminaren und anderen Förderungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Selbstentwicklungsmöglichkeiten. Im Rahmen der operativen Personalentwicklung werden stellenbezogene Kenntnisse und Fähigkeiten über kurzfristig angelegte externe oder interne Schulungsprogramme sowie die Ausbildung am Arbeitsplatz vermittelt. Grundlage der Mitarbeiterbeurteilung ist das regelmäßige Mitarbeitergespräch über das Eignungsprofil und die Entwicklungsbedürfnisse. Bei Unternehmen, die keine Laufbahnpläne mit Mitarbeitern besprechen, besteht die Gefahr, dass qualifizierte Nachwuchskräfte zu anderen Unternehmen abwandern. Die prozessorientierten Aufgabenschritte der Personalentwicklung zeigt die Abb. 26. Die übliche Methode zur Ermittlung des Entwicklungspotenzials ist das Expertenurteil der Vorgesetzten oder aber auch das Assessment-Center, ein komplexes, standardisiertes, eintägiges oder mehrtägiges Verfahren zur Ermittlung und Feststellung von Verhaltensleistungen, meist in Gruppen von sechs bis acht Personen. Bei den einzelfallspezifischen Maßnahmen wird unterschieden zwischen Personalentwicklung into the job als Hinführung zu einer neuen Tätigkeit, on the job als direkte Maßnahme am

173

1. Bestimmen der Fähigkeitslücken

2. Ermitteln des Entwicklungspotentials

3. Ermitteln des Entwicklungsvolumens

4. Festlegen des einzelfallspezifischen Adressatenkreises

5. Festlegen der einzelfallspezifischen Maßnahmen

6. Durchführen der Entwicklungsmaßnahme

7. Kontrolle der Personalentwicklung

Abb. 26 Arbeitsschritte der Personalentwicklung. (Quelle: Diederichs 2012, S. 590)

Arbeitsplatz, near the job als arbeitsplatznahes Training und off the job als Weiterbildung, along the job als laufbahnbezogene Entwicklung und out of the job als Ruhestandsvorbereitung. In Anlehnung an Portfolios zur Einordnung von Geschäftsfeldern werden auch Personalportfolios in einer zweidimensionalen Matrix der gegenwärtigen Leistung sowie des Leistungs- und Entwicklungspotenzials als Grundlage für gruppenspezifische Personalentwicklung angewandt (Abb. 27). Wichtiger Bestandteil der Personalentwicklung ist die laufbahnbezogene Weiterbildung into und along the job. Hierzu werden seitens der größeren Bauunternehmen Traineeprogramme angeboten, mittels derer z. B. Absolventen des Bauingenieurstudiums auf spätere Führungsaufgaben vorbereitet werden. In einem Zeitraum von 18 bis 24 Monaten durchlaufen die Trainees alle wichtigen Stationen wie Technisches Büro, Kalkulation, Arbeitsvorbereitung, Vertragswesen, Projekt-/Bauleitung und Abrechnung. Sie werden als Führungsnachwuchskraft so mit täglicher Arbeit betraut, dass sie selbstständig jeden Teil bearbeiten und durch

174

C. J. Diederichs et al.

MA-Kategorie

hoch

Nachwuchskraft (Fragezeichen)

Spitzenkraft (Star)

gering

Leistungs- und Entwicklungspotential

„Unkraft“ (Problemmitarbeiter)

Fachkraft (Routinier)

gering

hoch

Normstrategien

Nachwuchskraft Aufbauen: systematische Einführung in die Unternehmenspraxis und gezielte Schulung durch Job Enlargement

Gegenwärtige Leistung

Spitzenkraft

Ausbauen: Beförderung einplanen und Erfahrungshintergrund verbreitern durch Job Rotation

Fachkraft

Ernten:

„Unkraft“

Abbauen: Arbeitsplatzwechsel einleiten, ggf. Kündigung veranlassen

Vorhandene Fähigkeiten voll ausnutzen und überlegen, ob Führungsschulung angebracht ist

Abb. 27 Personalportfolio. (Quelle: Diederichs 2012, S. 590)

die Korrektur ihrer eigenen Arbeit lernen. Dabei werden sie aktiv in die Entscheidungsprozesse mit einbezogen, um durch das Entscheidenlassen zu lernen, richtige Entscheidungen zu treffen. Das Traineeprogramm in den einzelnen Ausbildungsstationen wird ergänzt um Seminare, u. a. über Grundlagenwissen für Projekt-/Bauleiter, Abwicklung von Rohbau- und schlüsselfertigen Bauvorhaben, Mitarbeiterführung und Kommunikations-/Argumentationstraining sowie EDVAnwendung in der Bauunternehmung. Weitere Formen der Personalentwicklung bieten gebührenbasierte WeiterbildungsMasterstudiengänge an Universitäten, Hochschulen und Instituten, u. a. in Augsburg, Berlin, Bochum, München, Nürtingen, Regensburg, Stuttgart, Weimar und Wuppertal (z. B. www.rem-cpm.de und www.baubetrieb.de). Ein wesentliches Element der Personalentwicklung ist die Mitarbeitermotivation. Scholz (2014, S. 5 ff.) hat in seinem Grundlagenwerk u. a. auch die Inhalts- und Prozesstheorien der Motivation untersucht. Bei einer Gegenüberstellung der Bedürfnishierarchie von Maslo, der Satisfaktoren (Motivatoren) und Dissatisfaktoren (Hygienefaktoren) von Herzberg sowie der vier Grundmotive von McClelland gelangt Scholz (2014) zu der Bewertung (Abb. 28), dass die Bedürfnisse nach Maslo sukzessive von der Basis der Bedürfnispyramide zur Pyramidenspitze abgearbeitet, nach Herzberg gleichzeitig berücksichtigt und nach McClelland als ständig wechselndes Zusammenspiel der vier Grundbedürfnisse zu interpretieren sind. Stellvertretend für die zahlreichen Methoden und Instrumente zur Förderung der Motivations-

faktoren wird verwiesen auf die anforderungsund leistungsabhängige Entgeltdifferenzierung und die allseits zu beobachtende Förderung der Leistungsentlohnung anstelle der Vergütung nach Zeitaufwand. In Ergänzung zur Personalentwicklungsstrategie verfolgt die Personalkapazitätsstrategie das Ziel, Erfolge aus hoher Kapazitätsauslastung bei gegebener Personalqualität zu realisieren, indem Personalbedarf und -bestand zu möglichst großer dauerhafter Deckungsgleichheit gebracht werden. Dabei sind drei Alternativen zu unterscheiden: • die Auslastungsstrategie, • die Arbeitszeitstrategie und • die Strategie der Mindestkapazitäten. Bei der Auslastungsstrategie ist es Aufgabe der Auftragsakquisition, den vorhandenen Personalbestand bestmöglich auszulasten. Dies ist die im Baugewerbe „klassische“ Strategie der Personalarbeit. Bei der Arbeitszeitstrategie werden Bedarfsschwankungen durch kurz-, mittel- oder langfristige Anpassung der individuellen Arbeitszeiten der Mitarbeiter ausgeglichen. In der stationären Industrie entwickelte Arbeitszeitmodelle haben einen mehrjährigen Zeithorizont mit einer Durchschnittsdauer von 40 Std./Woche, wobei je nach Bedarf z. B. 30 Wochenstunden nicht unterschritten und 50 Wochenstunden nicht überschritten werden dürfen. Die Ausgestaltung derartiger Modelle muss die Unternehmensbedürfnisse nach Kapazitätsflexibilität mit den Mitarbeiterbedürfnissen nach mittelfristiger Arbeitszeitdisposition

Unternehmensführung

175

Anerkennungsbedürfnis soziale Bedürfnisse

Herzberg

McClelland

Arbeit selbst, Verantwortung, Beförderung

Leistungsstreben

Beziehungen zu Vorgesetzten, Untergebenen u. Mitarbeitern

Sicherheitsbedürfnisse

Sicherheit

physiologische Bedürfnisse

Arbeitsbedingungen, Gehalt

wechselnd

Selbstverwirklichung

gleichzeitig

Maslow

Machtstreben Zugehörigkeitsstreben Vermeidungsstreben

Abb. 28 Gegenüberstellung Motivationsfaktoren. (Quelle: Scholz 2014)

miteinander kombinieren. Modelle der langfristigen Arbeitszeitflexibilisierung können nur zwischen den Vertragspartnern vereinbart werden. Die Strategie der Mindestkapazitäten dient der Konsolidierung bei minimiertem Personalbestand. Mit der eigenen Mindestkapazität sollen die Grundleistungen abgedeckt werden, die als Auftragseingänge sicher prognostiziert werden können. Bedarfsspitzen werden durch Zukauf von externen Leistungen über Werkverträge abgedeckt. Bei einer Reduzierung der eigenen Produktionskapazitäten auf Null (Extremfall der Strategie der Mindestkapazitäten) wird der Bauunternehmer zum Generalübernehmer, da er keine eigenen Bauleistungen mehr erbringt. Damit geht jedoch auch die Möglichkeit der Personalentwicklung auf den Gebieten verloren, die Kernkompetenzen der Bauunternehmen darstellen. Möller (1998, S. 135) entwickelte ein Modell für bedarfsdeckendes Personalmanagement in Bauunternehmen, in dem er ein dreidimensionales Koordinatensystem definierte mit einer Prozessachse für die Planungs- und Bauabwicklung (von t0 = Start über t1 = Vergabe bis t2 = Abnahme), einer Institutionenachse für die Leitungsebenen der Unternehmung und einer Funktionenachse für die Personalmanagementaufgaben, die er weiter nach operativen, taktischen und strategischen Maßnahmen differenzierte (Abb. 29). Dieses Koordinatensystem bildet den Rahmen zur Behandlung aller Personalmanagementfunktionen der Personalbestandsanalyse, -bedarfsbestimmung, -beschaffung, -entwicklung, -freisetzung, des Personaleinsatzes, der Personalführung

und der Integrationsfelder. Die Summe der abzuwickelnden Projekte erzeugt den Personalbedarf zum Zeitpunkt t. Hier wird das Personalziel definiert. Die Personalmanagementfunktionen decken den geweckten Bedarf durch die jeweiligen Leitungsebenen des Unternehmens. Je nach Unternehmensgröße und Geschäftsfeld sind die Zeiträume über die kurz-, mittel- und langfristige Planung individuell zu definieren. Die eigenen personellen Kapazitäten bilden den Schwerpunkt der Modellanwendung. Ziel ist eine prozessorientierte Personalstruktur. Organisationsentwicklung Die Organisationsentwicklung von Unternehmen dient der Verbesserung der organisatorischen Leistungsfähigkeit zur Erreichung der strategischen Ziele des Unternehmens und der Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens für die Mitarbeiter. Dieses Ziel wird mit einer Strategie des geplanten und systematischen Wandels erreicht, der durch die Beeinflussung der Organisationsstruktur, der Unternehmenskultur und des individuellen Verhaltens zustande kommt im Sinne einer selbstlernenden Organisation. Traditionelle Organisationsstrukturen der Bauunternehmen Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Aufbauorganisationen von Bauunternehmen, die nach Kleinunternehmen (bis 49 Mitarbeiter), mittelständischen Unternehmen (50 bis 499 Mitarbeiter) und Großunternehmen (500 und mehr Mitarbeiter) unterschieden werden.

176

C. J. Diederichs et al. I. Prozesse (t) „erzeugen“ den Bedarf

t = t2

strategisch 1 Personalbestandsanalyse 2 Personalbedarfsbestimmung 3 Personalbeschaffung 4 Personalentwicklung 5 Personalfreisetzung 6 Personaleinsatzmanagement 7 Personalführung 8 Personalkostenmanagement

t = t1 taktisch

Betrachtungszeitpunkt t = t0

operativ 12345678 12345678 12345678 operativ

Anzahl (n) der Projekte

taktisch

strategisch

III. PM-Funktionen „decken“ den Bedarf

E D A Geschäftsführung B Projekt-/Oberbauleitung C Bauleitung D Polier E Vor-/Facharbeiter

C B A II. Struktur Leitungsebenen „erfüllen“ die Funktion

Abb. 29 Modell für bedarfsgerechtes Personalmanagement in Bauunternehmen. (Quelle: Möller 1998, S. 135)

Die traditionelle Aufbauorganisation der 70.730 (2016) Kleinunternehmen des Bauhauptgewerbes in Deutschland (Die Deutsche Bauindustrie, Baudatenkarte 2017, online-Abruf) weist überwiegend eine Gliederung nach dem Verrichtungsprinzip auf (Trennung von kaufmännischen und technischen Tätigkeiten). Die unternehmerischen Aufgaben werden unterteilt in die Auftragsbeschaffung und Kalkulation, die Arbeitsvorbereitung, Bauleitung und Abrechnung, den Einkauf und die Maschinen-/Geräteverwaltung sowie die Administration. Abb. 30 zeigt beispielhaft das Organigramm eines Bauunternehmens mit ca. 25 gewerblichen und 3 angestellten Mitarbeitern, das von einem Bauunternehmer geführt wird. Der Aktionsradius des Unternehmens beträgt 50 km. Die Aufgaben der Unternehmensführung sind auf den Inhaber als technischen Leiter und einen kaufmännischen Angestellten als kaufmännischen Leiter verteilt. Die kaufmännische Leitung ist Stabsstelle für die Geschäftsführung, da sie keine Entscheidungsoder Weisungsbefugnis hat. Neben dem Inhaber übernimmt ein Bautechniker technische Leitungsaufgaben. Beide sorgen für die Akquisition, Kalkulation, Abrechnung und weitgehend auch für

die Bauleitung der im Durchschnitt laufenden zehn Bauaufträge. Kompetenzüberschneidungen werden dadurch vermieden, dass jeder seine Baustelle vom Angebot bis zur Abnahme selbst betreut. Traditionell ist damit die Geschäftsführung nach dem Verrichtungsprinzip gegliedert. Die technischen Aufgaben werden weiter nach dem Objektprinzip gegliedert, d. h., die Mitarbeiter werden den jeweiligen Aufträgen zugewiesen. Je nach Größe des Auftrags übernimmt entweder ein Polier oder ein Vorarbeiter die Bauführung. Überschreitet der Auftragseingang die vorhandenen personellen Stammkapazitäten, so werden im gewerblichen Bereich zusätzliche Saisonkräfte eingestellt. Der zusätzliche Bedarf an Baustellenaufsichten wird dann mit Hilfe von Stammvorarbeitern abgedeckt. Die geringe Tiefe und Breite der Aufbauorganisation ermöglichen eine schnelle Weitergabe der Anordnungen der Unternehmensleitung an die Mitarbeiter. Die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen werden ohne besondere organisatorische Maßnahmen gut verteilt. Die traditionelle Aufbauorganisation der etwa 2054 (2016) mittelständischen Unternehmen des Bauhauptgewerbes mit 50 bis zu 499 Mitarbeitern

Unternehmensführung

177

Abb. 30 Aufbauorganisation eines Kleinunternehmens. (Quelle: Diederichs 2012, S. 593)

ist i. d. R. geprägt durch gleichrangige Anwendung des Verrichtungs- und Objektprinzips. Die Auftragsbeschaffung ist organisatorisch häufig ein Gebilde eigener Art, da neben der Unternehmensleitung und dem Kalkulator häufig die Bauleitung und die Arbeitsvorbereitung mitwirken. Die Leitung von Großaufträgen wird vielfach Führungskräften gleichrangig neben technischen und kaufmännischen Leitungsaufgaben zugeordnet. Dies kann zu komplizierten und unübersichtlichen Organisationsstrukturen führen mit Aufgaben- und Kompetenzüberschneidungen wegen der fließenden Abgrenzung der Verantwortungsbereiche. Mittelständische Unternehmen haben daher häufig den Nachteil, dass sie für die einfache und betriebssichere Organisation des Kleinunternehmens schon zu groß und für die systematisch eindeutige und detaillierte Gliederung der Aufgaben und deren Übertragung auf einzelne Stelleninhaber der Großunternehmen noch zu klein sind. Abb. 31 zeigt das Organigramm eines mittelständischen Bauunternehmens mit 250 Mitarbeitern, davon 190 Gewerblichen und 60 Angestellten. 2016 erwirtschafteten diese mittelständischen Bauunternehmen einen Umsatz in Höhe von 12.594 Mio. EUR (Die Deutsche Bauindustrie, Baudatenkarte 2017, online-Abruf). Der Aktionsradius um den Stammsitz sowie eine Niederlassung West und eine Niederlassung Ost beträgt jeweils rund 80 km. Die Aufbauorganisation ist streng nach dem Liniensystem organisiert. Jede Stelle innerhalb der Unternehmung erhält nur von jeweils einem Vorgesetzten Anweisungen. Entscheidungen wer-

den nur von einer Person getroffen, nachdem man vorher im Team darüber diskutiert hat. Die Geschäftsführung besteht aus einem Bauingenieur und einem Baukaufmann mit entsprechender direkter Weisungsbefugnis an die technischen Leiter und den kaufmännischen Leiter. Die Geschäftsführung richtet Anweisungen ausschließlich an die Abteilungsleiter, um den Weg der Linienorganisation strikt einzuhalten. In erster Instanz ist die Unternehmung nach dem Verrichtungsprinzip (technische und kaufmännische Seite) und weiter nach dem Raumprinzip (Stammsitz und zwei Niederlassungen) gegliedert. Die Arbeitsergebnisse z. B. der Arbeitsvorbereitung werden nur über die Oberbauleiter an die Bauleiter übermittelt, um auch hier die Linienorganisation zu wahren. Die Vertretungsfrage ist im firmenspezifischen Organigramm festgelegt. Der Vorteil eindeutiger Zuständigkeiten für den Regelfall muss um Sonderregelungen für den Ausnahmefall ergänzt werden, um die notwendige Flexibilität zur Wahrnehmung der Chancen zur Weiterentwicklung zu schaffen. Die gleichrangige Anwendung des Verrichtungs-, Raum- und Objektprinzips kennzeichnet die traditionelle Organisationsstruktur der etwa 45 (2016) Großunternehmen des Bauhauptgewerbes in Deutschland mit  500 Mitarbeitern. Nach dem Verrichtungsprinzip stehen technische und kaufmännische Aufgaben, das Technische Büro und die Kalkulation, nach dem Objektprinzip Großaufträge und Fertigteilbau sowie nach dem Raumprinzip Niederlassungen und Auslandstätigkeiten rangmäßig auf einer Ebene. Dabei kann es Aufgaben-, Kompetenz- und Verantwortungsbereichsüberschnei-

178

C. J. Diederichs et al.

Geschäftsführung

Technischer Außendienstleiter

Niederlassung Ost

Technischer Innendienstleiter

Kaufmännischer Leiter

Niederlassung 1

Kalkulation

Rechnungswesen

Bauhof

Arbeitsvorbereitung Rohbau

Personal

Arbeitsvorbereitung SF-Bau

Bauhofverwaltung

EDV

Einkauf

Oberbauleiter 1

Oberbauleiter 2

Oberbauleiter 3

Bauleiter 1.1 Bauauftrag 1.1 Bauleiter 1.2 Bauauftrag 1.2 Bauleiter 2.1 Bauauftrag 2.1

Argen Bauleiter 2.2 Bauauftrag 2.2 Bauleiter 3.1 Bauauftrag 3.1 Bauleiter 3.2 Bauauftrag 3.2

Abb. 31 Aufbauorganisation eines mittelständischen Unternehmens. (Quelle: Diederichs 2012, S. 594)

dungen geben, wenn z. B. der Bauleiter eines Großauftrags sowohl von der Unternehmens- als auch der Niederlassungsleitung, der Projektleitung des Großauftrags und der Oberbauleitung Weisungen erhält. Die Hauptniederlassungen der großen deutschen Bauaktiengesellschaften werden in der 2. Ebene nach dem Raumprinzip in Niederlassungen, Zweigniederlassungen und z. T. auch Geschäftsstellen und nach dem Spartenprinzip auch in Sparten-Niederlassungen (z. B. Projektentwicklung, Spezialtiefbau) gegliedert. Verschiedene Funktionen sind aus den Zweigniederlassungen und Niederlassungen ausgegliedert und als Stabsstellen bei den Hauptniederlassungen oder auch in der Zentrale zusammengefasst. Wachsenden Märkten in einzelnen Regionen passt sich das Unternehmen an, indem es sein Niederlassungsnetz verdichtet. Die Spartenniederlassungen haben für die Gesamtregion der Hauptniederlassung volle Kompetenz und Verantwortung im Rahmen der übertragenen Aufgaben. Sie müssen aber bei der Verfolgung ihrer Ziele die Hilfe der regionalen Zweigniederlassung in Anspruch neh-

men, die am Ergebnis beteiligt wird, sofern sie akquisitorisch oder durch Personalbereitstellung zur erfolgreichen Auftragsbeschaffung oder Baudurchführung beiträgt. Der operative Bereich des Unternehmens hat wieder die klassische hierarchische Ordnung über den Oberbauleiter, der mehrere Baustellen betreut, zum Bauleiter, der je nach Auftragsgröße eine oder mehrere Baustellen leitet, bis zum Polier und Vorarbeiter. Innerhalb der Sparten eines Unternehmens kann es im Zusammenwirken mit den regionalen Niederlassungen zu Bereichsegoismen mit heftiger Konkurrenz um personelle und materielle Ressourcen kommen. Die Unternehmensleitung sowie in den Unternehmen eingerichtete Lenkungskreise müssen diesen Egoismustendenzen entgegenwirken. In der Realität sind Sollstrukturen für die Aufbauorganisation von Bauunternehmen nicht auffindbar, sondern lediglich Handlungssysteme als Resultat aus konzipierten Sollstrukturen und realem menschlichen Verhalten. Daher können keineswegs Patentrezepte empfohlen werden,

Unternehmensführung

sondern nur ausbaufähige organisatorische Konzepte, die modellhaft die wesentlichen Elemente beinhalten. Kleinunternehmen lassen sich organisatorisch nach dem Verrichtungsprinzip gliedern, wobei die Führungsaufgaben auf ein bis zwei Personen konzentriert werden. Diese übernehmen i. d. R. auch die Leitung der Bauausführung, indem sie mit den Bauführern direkt zusammenarbeiten. Die Inhaber bzw. Geschäftsführer kleiner Bauunternehmen sind grundsätzlich als „Universalmanagergenies“ zu bezeichnen, da sie die Aufgaben der Unternehmensführung (planen, entscheiden, kontrollieren, anpassen) für alle Verrichtungen (technische und kaufmännische Leitung, Auftragsbeschaffung, Kalkulation, Arbeitsvorbereitung, Oberbauleitung, Abrechnung, Personalführung und Administration) in Personalunion von ein bis max. zwei Inhabern bzw. Geschäftsführern vereinen. In der Flexibilität dieses unternehmerischen Einsatzes liegen einerseits die Chancen, in der großen Lücke bei Ausfall durch Krankheit oder sonstige Umstände die großen Risiken. Für mittelständische Unternehmen ist eine funktionsorientierte Organisationsstruktur mit Einführung einer mittleren Leitungsebene angebracht, um damit die oberste Leitungsebene von unnötig vielen Einzelfällen zu entlasten. Um den Projekt- bzw. Bauleitern an Ort und Stelle einen direkten Ansprechpartner zu bieten, kann je nach Unternehmensgröße der technische Leiter die Oberbauleitung mit übernehmen, oder aber es werden Oberbauleiterstellen besetzt, die der technischen Leitung direkt unterstellt und den Projekt- bzw. Bauleitern gegenüber weisungsberechtigt sind. Als formale Organisationsstruktur empfiehlt sich die Linienorganisation mit informalen Informationswegen zur Abkürzung der Hierarchiewege. Diese informale Struktur wird mitbestimmt vom Netzwerk zwischenmenschlicher Beziehungen der Mitarbeiter und entsteht meist spontan, so dass seitens der Geschäftsführung vorrangig nur auf das zielkonforme Funktionieren geachtet werden muss. Je nach Größe des Unternehmens empfiehlt sich auch die Einrichtung von Koordinations- oder Projektgruppen. Für die Großunternehmen ist eine Organisationsstruktur zu empfehlen, die zunächst nach dem

179

Raumprinzip in Niederlassungen gliedert, auf der nächsten Ebene in Sparten aufteilt – z. B. Hochbau, Schlüsselfertigbau, Ingenieurbau, Straßenbau und Umwelttechnik (divisionale Gliederung) – mit dem entsprechenden Zentrierungsprozess der jeweils erforderlichen Ressourcen. Unterhalb der Raumund Spartengliederung werden die verrichtungsorientierten und an dem Stablinienprinzip orientierten Gliederungsformen als Subsysteme integriert. Dadurch entsteht auch in größeren Bauunternehmen eine obere, mittlere und untere Leitungsebene. Die formale Gliederung nach Niederlassungen und Sparten mit der Gefahr überzogenen ProfitCenter-Denkens reicht allerdings nicht aus, um alle gesamtunternehmerischen Zusammenhänge ganzheitlich einzuordnen und die Existenz der einzelnen Bereiche angemessen zu fördern. So lässt sich eine Aufbauorganisation mit Koordinationsgruppen als neuem Typus eines Leitungsstabes entwickeln. Diese Stabsstellen haben i.allg. informierende und beratende Funktion. Aufgrund ihrer Fachkompetenz erhalten sie jedoch häufig eine ihnen von den Linienpositionen zugesprochene Leitungsautorität, die sich aus der personalräumlichen Nähe zur Unternehmensleitung ableiten lässt. Damit treten Leitungsstäbe zwischen Unternehmensleitung und nachgeordnete Instanzen. Koordinationsgruppen, die für übergeordnete Projekte zuständig sind, können auch als reine Projektorganisation agieren. Sie werden auch als „Task Force“ bezeichnet. Dabei werden die Mitarbeiter für die Dauer des Projekts aus den weiterhin innerhalb der Sparte bestehenden Funktionsabteilungen vollkommen herausgelöst und in einem Projektteam zusammengefasst, wobei die bisherige disziplinarische Unterstellung erhalten bleibt. Die bisherigen Rangunterschiede der Mitarbeiter sind während der Projektdauer aufgehoben. Nach dem Projektabschluss wird den Mitarbeitern im Unternehmen wiederum ein anderes Aufgabengebiet übertragen. Der Projektleiter besitzt außerordentliche Kompetenz und die alleinige Verantwortung für das Projekt und dessen Durchführung. Alle am Projekt beteiligten Mitarbeiter werden unter seiner Leitung zu einer Projektgruppe als Subsystem zusammengefasst. Personalstrategien und Organisationsentwicklungen rütteln in erheblichem Maße an traditio-

180

C. J. Diederichs et al.

nellen Unternehmensstrukturen und berühren den Führungsstil v. a. auf taktischer und strategischer Managementebene. Daher empfiehlt sich eine laufende Überprüfung der Führungskonzeption im Hinblick auf eine stärkere Eigenständigkeit der Mitarbeiter durch Zielvereinbarung, Erweiterung der Entscheidungsbefugnisse und Übertragung ganzheitlicher Aufgaben.

7.2

Beschaffung von Baustoffen, Gerät Material und Verbrauchsstoffen

Grundlagen und Relevanz der Beschaffung Die Beschaffung und der Einkauf nehmen auch bei Bauunternehmen einen hohen Stellenwert ein. Dies gilt nicht nur für die traditionelle Beschaffung von Lieferleistungen wie Bau- und Betriebsstoffen, Baumaschinen und Baugeräten, sondern auch für die Beschaffung von Planungs- und Bauleistungen infolge der zunehmenden Projektentwickler- und Generalunternehmertätigkeiten. Insbesondere für Generalunternehmer ist, bedingt durch die hohe Quote an externer Wertschöpfung im Leistungserstellungsprozess, die Beschaffung von Leistungen ein wirkungsvoller Hebel, um das Projektergebnis zu verbessern. In der Literatur gibt es für den Begriff der Beschaffung unterschiedliche Definitionen, eine einheitliche und exakte Begriffsbestimmung ist jedoch nicht vorfindbar. Die Beschaffung umfasst sämtliche unternehmens- und/oder marktbezogen umfassenden Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, einem Unternehmen die benötigten, aber nicht selbst hergestellten Produkte verfügbar zu machen (Leinz 2004, S. 9). Beschaffung ist die Zusammenfassung aller Tätigkeiten, die der Versorgung eines Unternehmens mit Material, Dienstleistungen, Betriebsund Arbeitsmitteln sowie Rechten und Informationen aus Güter- und Dienstleistungsmärkten dienen. Die Versorgung mit Kapital und Mitarbeitern wird dagegen eigenständigen Funktionsbereichen zugeordnet und wird in das Aufgabengebiet Beschaffung nicht integriert. Aus den Besonderheiten der Bauindustrie ergeben sich Rahmenbedingungen, die für die

Beschaffung bedeutende Einflussfaktoren darstellen. So kann, insbesondere bei großen und komplexen Projekten, von einer oligopolistischen Marktstruktur gesprochen werden, bei der spezialisierte Anbieter einen begrenzten Nachfragemarkt bedienen (Voigt 2010, S. 24) und somit vielfach ein Preisdruck zwischen den Wettbewerbern entsteht. Resultierend aus der Tatsache, dass bei Generalunternehmern die Nachunternehmerleistungen vielfach nahezu 50 % der Kosten am Bruttoproduktionswert ausmachen, können durch Einsparungen in der Beschaffung wertvolle Kostenund damit auch Wettbewerbsvorteile entstehen. Bei der Beschaffung von Nachunternehmerleistungen sind deren verfügbare Kapazitäten sowie Insolvenzrisiken zu bewerten. Bei internationalen Projekten ist i. d. R. gesetzlich eine bestimmte Quote an ortsgebundenen Nachunternehmern vorgegeben. Bei der Beschaffung von Rohstoffen sind insbesondere bei volatilen Beschaffungsmärkten, wie z. B. dem Stahlmarkt, Preisunsicherheiten zu berücksichtigen (Abb. 32). Beschaffungsprozess und Beschaffungsstrategien Der Beschaffungsprozess ist strategisch und operativ zu planen und zu dokumentieren. Firmeninterne Kriterien, nach denen Lieferanten und Nachunternehmer ausgewählt werden, sind festzulegen, Ansprüche und Forderungen an die Lieferanten sind eindeutig in den Beschaffungsunterlagen zu beschreiben sowie Maßnahmen zur Nachweisführung zu vereinbaren. Das oberste Ziel der Beschaffung in einem Bauunternehmen ist die Sicherung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, durch Reduktion der Gesamtkosten und durch Erhöhung der Leistungsfähigkeit (Leinz 2004). Dies soll erreicht werden, indem die richtigen Güter in der richtigen Menge in der richtigen Qualität zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte verfügbar sind (Weigel und Rücker 2015, S. 2–3). Sämtliche Aktivitäten der Beschaffung bedürfen einer umfassenden Planung. Nachunternehmer müssen für die Generalunternehmer als langfristige, strategische Partner reifen. Dabei ist in der Organisation der Beschaffung prinzipiell zu

Unternehmensführung

181

Abb. 32 Relevanz der Beschaffung für Bauunternehmen. (Quelle: Institut für Baubetrieb und Baumanagement, Universität Essen, 2018)

unterscheiden zwischen operativen und strategischen Tätigkeiten sowie dem Projekteinkauf. In der operativen Beschaffung werden die klassischen Funktionen für das Tagesgeschäft, also das Bauen, durchgeführt. Aufgaben können z. B. routinierte Bestellvorgänge oder die Terminverfolgung von Lieferungen sein. Die strategische Beschaffung gibt dabei zumeist konkrete Vorgaben, wie z. B. Kosteneinsparpotenziale, die durch die operative Beschaffung innerhalb eines Geschäftsjahres generiert werden sollen. Im Rahmen des strategischen Einkaufs finden zumeist vorgelagerte Überlegungen statt, wie z. B. die Festlegung der Beschaffungsprinzipien des Unternehmens in Form von Lieferanten-, Warengruppen und Risikostrategien. Des Weiteren werden in aller Regel durch den strategischen Einkauf Rahmenverträge mit Lieferanten ausgehandelt und auch die Erschließung neuer Märkte mit geplant, wie z. B. das Servicegeschäft für Bauunternehmen. Die Vorgaben für den strategischen Einkauf werden von der Unternehmensstrategie abgeleitet. Der Projekteinkauf wird für jedes Bauprojekt individuell gestaltet und kann z. B. auch vom Projektleiter ausgeführt werden, der über ein

gewisses Budget frei verfügen kann. Der Projekteinkauf soll prinzipiell alle Einkaufsaktivitäten im Rahmen eines Projektes koordinieren und somit Ansprechpartner sowohl für den unternehmensinternen operativen Einkauf als auch für die Lieferanten sein. Dadurch soll erreicht werden, dass Nachunternehmer sich im Rahmen eines Projektes und auch darüber hinaus möglichst in die Organisation integrieren und sich langfristige Kooperationen einstellen. Mögliche positive Effekte sind z. B., dass Innovationen und Verbesserungen von Nachunternehmern genutzt werden können. Zudem kann durch eine strategische Auswahl der Nachunternehmer der Zutritt zu bestimmten, schwer erschließbaren Märkten gelingen. Beabsichtigt wird hierdurch, dass der Generalunternehmer seine Wettbewerbsfähigkeit erhöht und die Nachunternehmer ihr Leistungspotenzial verbessern, z. B. durch Mitarbeit an großen und komplexen Projekten. Mögliche Ansatzpunkte der strategischen Beschaffung sind in Abb. 33 aufgeführt: Unabhängig davon, welcher der strategischen Ansatzpunkte ausgeführt werden soll, ist eine transparente Datenbasis unerlässlich. Insbesondere sind Daten über Lieferanten, Einkaufspreise,

182

C. J. Diederichs et al.

Abb. 33 Ansatzpunkte der strategischen Beschaffung. (Quelle: Weigel und Rücker 2015, S. 3)

Lieferkonditionen und -modalitäten, Produktspezifikationen und Einkaufsvolumina zu erheben. Besondere Bedeutung hat bei den nachfolgend genannten Initiativen die Festigung der Kundenbeziehung. Eine Volumenkonzentration ist im Rahmen des strategischen Einkaufs dann geboten, wenn unterschiedliche Tätigkeiten gleichartige Beschaffungsprinzipien vorweisen und es sich empfiehlt, die Leistungen projektübergreifend über einen Lieferanten oder Nachunternehmer zu beziehen. Ein Beispiel dafür ist die vielfach getätigte Vergabe der Rohbauleistung an einen Nachunternehmer. Bei der Prozessverbesserung geht es maßgeblich darum, divisions- und regionenübergreifende Synergien zu identifizieren und zu nutzen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Implementierung einer Global Sourcing Abteilung. Hierdurch sollen die von der Unternehmensführung vorgegebenen Beschaffungsrichtlinien global und fachbereichsübergreifend umgesetzt werden. Markt-/Preisauswertungen dienen dazu, eine solide Datenbasis, z. B. über Lieferanten oder Beschaffungsmärkte, zu generieren und diese für Prognosen über zukünftige Entwicklungen in den jeweiligen Zielmärkten zu nutzen. Diese Datenbasis ist als Grundlage für die strategische Ausrichtung der Einkaufaktivitäten essenziell, denn nur so können frühzeitig kurz-, mittel- und langfristige Initiativen geplant und umgesetzt werden.

Sind konkrete Ansatzpunkte gefunden, gilt es, den eigentlichen Beschaffungsprozess zu gestalten. Der prinzipielle Beschaffungsprozess ist dabei der Abb. 34 zu entnehmen: Beschaffungsstrategien Damit Bauunternehmen auch zukünftig erfolgreich Dienstleistungen und Güter beschaffen können, müssen konkrete strategische Handlungsoptionen geplant werden. Bei der Gestaltung der Beschaffung sind interne und externe Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Zu den internen Einflussfaktoren zählen u. a. die Bedeutung einer Leistung zur Erfüllung der gemeinsamen Zielvorgabe, die Verfügbarkeit über eigene Kapazitäten im Unternehmen sowie das zur Verfügung stehende Kapital. Externe Einflussfaktoren sind die Verfügbarkeit benötigter Kapazitäten in den jeweiligen Beschaffungsmärkten sowie das Preis-/Leistungsverhältnis durch Fremdvergabe (Leinz 2004, S. 32 ff.). Die internen und externen Einflussfaktoren beeinflussen die Entscheidung, ob eine Leistung selbst erbracht oder eingekauft wird. Dabei hat die Entscheidung, Leistungen an Nachunternehmer zu vergeben, einige prinzipielle Vor- und Nachteile. Vorteile sind z. B. der flexible Ausgleich von Leistungsschwankungen und die damit verbundene Ressourcenauslastung, die Nutzung des Marktpreis-Wettbewerbs sowie die

Unternehmensführung

183

Beschaffungsprozess

Strategischer Beschaffungsprozess

Anbahnung

Bedarfsermittlung

Anfrage

Vereinbarung

Lieferanten -auswahl

Auftragserteilung

Operativer Beschaffungsprozess

Abwicklung

Bestellüberwachung

Wareneingang

Kontrolle

Rechnungs -prüfung

Zahlung

Abb. 34 Prinzipieller Beschaffungsprozess. (Quelle: Weigel und Rücker 2015, S. 2)

Abb. 35 Make-or-buyPortfolio. (Quelle: Institut für Baubetrieb und Baumanagement, Universität Essen, in Anlehnung an Leinz 2004, S. 63)

eigene Konzentration auf Geschäfte mit einer höheren eigenen Wertschöpfung. Allerdings bestehen durch die Vergabe von Leistungen an Nachunternehmer auch Nachteile, wie z. B. keine direkten Zugriffsrechte auf die ausführenden Ressourcen, sowie eine nur indirekte Steuerungs- und Kontrollmöglichkeit (Girmscheid 2010, S. 854). Gemäß Abb. 35 sollen die Unternehmen bei einer hohen internen und externen Komplexität die Leistung nach Möglichkeit selbst durchführen. Leistungen mit einer geringen Komplexität sollen eher an Nachunternehmer vergeben werden. Diese Verringerung der Komplexität wird im Bauwesen

vielfach durch Standardisierung bzw. Modularisierung der Beschaffungsobjekte angestrebt. Dabei befinden sich die Bauunternehmen immer im Spannungsfeld zwischen einer vollständigen individuellen Einzelfertigung und dem Wunsch, durch Beschaffung von Leistungen Skalen-Effekte zu generieren, z. B. für das Baumaterial. Ziele der Standardisierung können sowohl die Verbesserung der Produktivität und der Qualität als auch die Reduzierung der Baukosten und der Bauzeit sein. Dies soll durch Standardisierung von Komponenten und Baugruppen, von Prozessen in der Projektabwicklung, durch Vorfertigung

184

oder Modularisierung erreicht werden. Vorteile der Standardisierung sind, neben den positiven Zeit- und Kosteneffekten, eine Verbesserung der Risikokontrolle durch Verringerung der Schnittstellen in der Wertschöpfung, sowie ein geringerer Planungsaufwand. Ein hohes Maß an Standardisierung eignet sich nur bedingt für komplexe Gewerke, wie z. B. den Tiefbau. Mit der Standardisierung steigt die Abhängigkeit von Lieferanten. Besonders bei internationalen Projekten ergeben sich weitere strategische Handlungsoptionen hinsichtlich der Beschaffungsmärkte. So kann prinzipiell zwischen lokaler (Local Sourcing), nationaler (National Sourcing) und globaler (Global Sourcing) Beschaffung differenziert werden. Neben den verfügbaren Kapazitäten im Beschaffungsmarkt können auch länderspezifische Vorgaben das Vorgehen beeinflussen. So kann es sein, dass in bestimmten Entwicklungsländern eine bestimmte Vergabequote an heimische Nachunternehmer zu beachten ist. Mit der lokalen Beschaffung ist der Einkauf von Materialien und Leistungen bei Anbietern in der unmittelbaren Nähe der Baustelle gemeint. Die nationale Beschaffung kauft Leistungen im eigenen Land ein, wohingegen die globale Beschaffung den weltweiten Vergleich und Einkauf von Nachunternehmerleistungen forciert. Mit der Ausweitung der Beschaffungsaktivitäten auf eine globale Ebene beabsichtigen die Bauunternehmen die Generierung von Kostenvorteilen und Risikoreduktion, z. B. durch niedrigere Löhne, durch geringere Standards beim Umweltschutz oder durch die Steigerung des Wettbewerbs. Gestaltung der Beschaffungsstruktur im Unternehmen Nachfolgend wird auf die unterschiedlichen Organisationsformen der Beschaffung im Unternehmen eingegangen. In vielen Unternehmen ist der Einkauf bereits in der ersten, mindestens aber in der zweiten Führungsebene positioniert (Weigel und Rücker 2015, S. 31–33). Strukturen und Verantwortlichkeiten der Beschaffung werden durch die unternehmensweit geltende Aufbauorganisation geregelt. In der Aufbauorganisation werden Stellen der Beschaffung als einzelne organisatorische Einheiten gebildet und so in Beziehung zuei-

C. J. Diederichs et al.

nander gesetzt, dass Kompetenzen und Kommunikationswege zwischen den Aufgabenträgern effizient und innovativ gestaltet werden. In kleineren Unternehmen mit lediglich einer produzierenden Einheit wird oft der Ansatz des zentral organisierten Einkaufs verfolgt, bei größeren Unternehmen bzw. Konzernstrukturen ist eher eine Dezentralisation des Einkaufs ratsam. Innerhalb der zentralen Einkauforganisation eines Bauunternehmens werden für alle notwendigen Beschaffungsbedarfe (z. B. Nachunternehmer, Materialien, . . .) die Kompetenzen gebündelt. Durch diese Art der Organisation dürfen nur durch die zentrale Einkaufsorganisation Einkaufsaktivitäten durchgeführt werden. Jedoch kann auch bei einer zentralen Einkaufsorganisation z. B. ein Projektleiter über ein gewisses Budget verfügen, mit dem er ohne Hinzuziehung des Einkaufs Materialien oder Leistungen einkaufen kann. Mögliche positive Effekte, die sich durch eine zentral organisierte Beschaffung ergeben, können der nachfolgenden Übersicht entnommen werden (Tab. 2): Neben den genannten positiven Effekten können durch die Zentralisation der Beschaffung jedoch auch einige negative Effekte entstehen (Tab. 3): Die einzelnen Vor- und Nachteile eines dezentralen Einkaufs lassen sich aus dem Gegenteil der vorgenannten Merkmale ableiten. Eine beispielhafte Aufbauorganisation der dezentralen und der zentralen Beschaffung kann Abb. 36 entnommen werden. Eine weitere Art der organisatorischen Ausgestaltung der Beschaffung kann die Gliederung nach Beschaffungsobjekten, Regionen oder Tätigkeiten darstellen (Leinz 2004, S. 57 ff.). Beschaffungsobjekte können nach Gewerkegruppen oder Material, nach der Art der Verwendung, nach Bedarfsträgern, nach dem Wert der eingekauften Leistung oder nach der jeweiligen Sparte im Unternehmen gegliedert werden. Hierdurch soll ein hoher Wissenstand im jeweiligen Spezialgebiet entstehen. Die Gliederung ausschließlich nach Regionen macht immer dann Sinn, wenn Rohstoffvorkommen, Nachunternehmer und Lieferanten eine lokale Rolle spielen. Hierdurch verspricht sich das einkaufende Unternehmen in aller Regel eine

Unternehmensführung

185

Tab. 2 Positive Effekte einer zentral organisierten Beschaffung. (Quelle: Weigel und Rücker 2015, S. 33–35) ● Bessere Konditionen mit Lieferanten durch Bündelungseffekte ● Steigerung der Machtposition und Akzeptanz des Einkaufs im Unternehmen ● Durchführung der Einkaufsaktivitäten von Fachleuten

Volumenbündelung Steigerung der Professionalität Homogene Lieferantenstruktur Klare Verantwortlichkeiten

● Verhindert, dass gleichartige Leistungen im Unternehmen von unterschiedlichen Lieferanten bezogen werden ● Eindeutige, unternehmensweite Verantwortlichkeiten ● Einhaltung von Prozessen und Richtlinien ● Eindeutige und schnellere Kommunikation ● Zentrale Abwicklung kann Standardisierung in den Prozessen bewirken

Effiziente Beschaffungsprozesse Einheitliche Kontrolle

● NUtzung von unternehmensübergreifenden Kennzahlen

Tab. 3 Negative Effekte einer zentral organisierten Beschaffung. (Quelle: Weigel und Rücker 2015, S. 34–35) Bürokratie Räumliche Distanz Zielkonflikte Mangelnde Akzeptanz Kulturelle Besonderheiten

Vertrieb

● Abhängig von der Unternehmensgröße, da Bedarfe über viele Stellen vom Bedarfsträger an den Einkauf gelangen ● Betriebsferne durch große Distanz zwischen Bedarfsträger und Einkauf ● Nachteile in Bezug auf den Informationsfluss und die Flexibilität ● Durch mangelnde Zurechenbarkeit von Erfolgen und Misserfolgen zwischen der Beschaffung und der ausführenden Einheit ● Einkauf als Fremdkörper ● Unterschiede zwischen Einkauf und ausführenden Einheiten in Kultur, Mentalität und Sprache können schnell zu Missverständnissen führen

Zentraler Einkauf

Dezentraler Einkauf

Geschäftsleitung

Geschäftsleitung

Einkauf

Werk 1

Produktion

Administration

Werk 2

Werk 3

Vertrieb

Produktion

Administration

Werk 1

Werk 2

Werk 3

Einkauf

Einkauf

Einkauf

Abb. 36 Vergleich zentraler und dezentraler Einkauf. (Quelle: Weigel und Rücker 2015, S. 35)

Reduktion der Kosten und eine schnelle, effiziente Kommunikation am Ort der Baustelle. Die Gliederung der Beschaffung nach Tätigkeiten beinhaltet eine aufgabenbezogene Zuordnung der unterschiedlichen Beschaffungsaktivitäten. Dies

können z. B. die Beschaffungsmarktforschung, Anfragen, Bestellungen, Terminkontrollen oder Qualitätsprüfungen sein. Hierdurch soll sich die Qualität der beschafften Leistungen und Materialien verbessern.

186

7.3

C. J. Diederichs et al.

Managementsysteme für Qualität, Arbeitssicherheit und Umweltschutz

Die kontinuierliche Verbesserung der Prozessabläufe im Unternehmen und auf den Baustellen ist eine ständige Herausforderung für die Unternehmensführung. Die Qualität, mit der ein Unternehmen Leistungen erbringt, wird maßgeblich von den Kunden und zusätzlich von den Mitarbeitern, Nachunternehmern, Mitbewerbern und Behörden bestimmt. Ziele integrierter Managementsysteme Managementsysteme haben zum Ziel, die Prozessabläufe im Unternehmen so zu strukturieren, dass sie die Unternehmensziele fördern, u. a. durch • • • •

Erwirtschaften einer angemessenen Rendite, Erfüllen von Kundenwünschen, Sicherstellen von Wettbewerbsvorteilen und Einhalten gesetzlicher Bestimmungen.

Teilziele, die die Qualität, die Arbeitssicherheit und den Umweltschutz fördern sollen, sind v. a. • Schutz der Mitarbeiter vor Gefahren, • attraktive Arbeitsplätze und • Vermeidung von schädlichen Umwelteinflüssen. Das Einleiten von Maßnahmen zur Förderung der Unternehmensziele, die regelmäßige Kontrolle der Zielerreichung und das Realisieren von Verbesserungsmaßnahmen sind die wesentlichen Inhalte von Managementsystemen. Um die Wirksamkeit des Systems nach außen darstellen zu können, kann sich ein Unternehmen externen Prüfungen (Audits) unterziehen. Regelwerke Der Aufbau von Managementsystemen orientiert sich an Standardisierungen. Diese können den Status von Verordnungen, Normen oder Checklisten haben. Ziel dieser Standardisierungen ist es, Managementsysteme über ein Zertifikat bzw. eine Teilnahmeerklärung prüfbar und somit transparent zu machen.

Qualität Seit 2000 gilt die aktualisierte prozessorientierte Normenreihe DIN EN ISO 9001:2015. Sie ist auf Qualitätsmanagement (QM) und Qualitätssicherung (QS) ausgerichtet. Für das QM bedeutet dies, dass ein Unternehmen darzulegen hat, welche Regeln zur Planung, Arbeitsvorbereitung, Beschaffung und Bauausführung existieren. Qualität ist der „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale eines Objekts Anforderungen erfüllt“. Das QM-System befasst sich u. a. mit den Kunden- bzw. Lieferantenbeziehungen und ist damit wesentlicher Teil des Gesamtmanagementsystems. Die Erweiterung des Qualitätsbegriffs auf das ganze Unternehmen ist Voraussetzung für Total Quality Management (TQM). TQM bedeutet nach DIN EN ISO 8402:1995-08 umfassendes Qualitätsmanagement, d. h. die auf die Mitwirkung aller ihrer Mitglieder gestützte QMMethode einer Organisation, die die Qualität in den Mittelpunkt stellt und über die Zufriedenheit der Kunden auf langfristigen Geschäftserfolg sowie auf Nutzen für die Mitglieder der Organisation und für die Gesellschaft zielt. In dieser Definition ist bereits der Brückenschlag zur Arbeitssicherheit und zum Umweltschutz enthalten. Umweltschutz Analog zur 9001er-Serie wurden für das Umweltmanagement im Jahre 1996 Teile der DIN EN ISO-14001ff verabschiedet (aktuelle Fassung DIN EN ISO 14001:2015-11). Der Schwerpunkt der ISO 14001 liegt in der Erfassung, Bewertung und Vermeidung der Umweltauswirkungen einer Organisation durch vorsorgenden Umweltschutz. Im Vergleich zu den Vorgängerversionen kommt in der derzeit gültigen Revision 2015 dem Umweltmanagement innerhalb eines Unternehmens eine höhere Bedeutung zu. Darüber hinaus wird die Rolle der Führungskräfte eines Unternehmens stärker betont, ebenso wie pro-aktive Initiativen zum Schutz der Umwelt, zum Beispiel durch den Einsatz nachhaltiger Ressourcen und die Vermeidung von Klimarisiken. Dieses Ziel verfolgt auch die Verordnung Environmental Management Audit Scheme, dessen novellierte Anhänge I-III mit der Verordnung (EU) 2017/1505 am 29.08.2017 veröffentlicht

Unternehmensführung

wurden. Anhang IV und das Nutzerhandbuch sollen 2018 veröffentlicht werden. Im Anhang I sind dazu Maßgaben zur Umweltprüfung überarbeitet worden, die sich aus der Novellierung der DIN EN ISO 14001:2015-11 ergeben. Sie betreffen insbesondere den Kontext der Organisation, die Erfassung der interessierten Parteien und ihrer Erfordernisse und Erwartungen, die Ermittlung von Chancen und Risiken sowie die stärkere Berücksichtigung von Umweltaspekten entlang des Lifecycle. Die Umweltprüfung kann als die erstmalige Bestandsaufnahme und Bewertung der Umweltaspekte angesehen werden (EMAS Novelle 2017/2019). Anhang II, das Umweltmanagementsystem, stellt den Anforderungen der ISO 14001 (Spalte A) die darüber hinausgehenden Anforderungen der EMAS gegenüber, wie z. B. die Pflicht zur Benennung eines Managementbeauftragten oder das Erfordernis der Rechtskonformität, Umweltleistungsverbesserung und Umweltberichterstattung. Anhang III, die Umweltbetriebsprüfung, meint die systematische, dokumentierte, regelmäßige und objektive Bewertung der Umweltleistung einer Organisation, des Managementsystems und der Verfahren zum Schutz der Umwelt. Außerdem wird die Überprüfung der Rechtskonformität und die Berichterstattung interner Auditergebnisse an die Leitungsebene der Organisation stärker betont. Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz Am 12. März 2018 wurde die neue Norm für Arbeits- und Gesundheitsschutz ISO 45001:2018 veröffentlicht. Bereits 1989 wurde die Richtlinie zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes für Arbeitnehmer bei der Arbeit (89/391/ EWG) erlassen. Sie wurde für Deutschland durch das 1996 verabschiedete Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG vom 07.08.1996, l. Ä. 31.08.2015, BGBl I S. 1474) in nationales Recht umgesetzt. Zusammen mit der sog. „Baustellenrichtlinie“ (92/57/ EWG), die mit der Baustellenverordnung 1998 in nationales Recht umgesetzt wurde (BaustellV vom 10.06.1998, l. Ä. 27.06.2017 BGBl I S. 1966), regelt das Arbeitsschutzgesetz die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz in

187

der Bauwirtschaft. Diese Gesetze haben für die Einrichtung eines Managementsystems jedoch nicht den Praxisbezug wie die zuvor beschriebenen Normen für Qualitäts- und Umweltmanagement. Ausgelöst durch die Mineralölindustrie, begann in den Niederlanden die Entwicklung eines Zertifzierungssystems nach SCC (SicherheitsCertifikat-Contraktoren), das 1993 durch den dortigen Akkreditierungsrat zugelassen wurde (aktuelle Version 2011). Nach der Übertragung und Anpassung an die deutschen Verhältnisse in Form eines SCC-Fragenkatalogs fordern die deutsche Mineralöl- und die petrochemische Industrie zunehmend ein sog. „Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltschutz-Managementsystem“ (SGU-Managementsystem). Die Anforderungen sind in jenem SCC-Fragenkatalog definiert. Unternehmen, die ein SGU-Managementsystem eingeführt haben, können sich dieses von einer akkreditierten Zertifizierungsgesellschaft zertifizieren lassen. Die SCC-Zertifizierung ist keine Konkurrenz zu den berufsgenossenschaftlichen Vorschriften. Sie soll vielmehr helfen, die Umsetzung der Vorschriften und das Prüfen der Umsetzung zu erleichtern. Unternehmen, die die Forderungen der Berufsgenossenschaften einhalten und dies dokumentieren können, erfüllen bereits wesentliche Voraussetzungen für eine Zertifizierung nach dem SCC-Fragenkatalog. Derartige sektorale Zertifikate bergen die Gefahr in sich, dass andere Wirtschaftsbereiche, die als Auftraggeber auftreten, wiederum andere Anforderungen an ein Arbeitsschutzmanagementsystem stellen und damit die Unternehmen einem regelrechten Zertifizierungsdruck ausgesetzt werden. Dies kann zur Folge haben, dass die Anforderungen unübersichtlich werden und damit die Akzeptanz bei den Mitarbeitern infolge immer neuer Regeln sinkt. Einführung prozessorientierter Managementsysteme Managementsysteme sollen sich an den betrieblichen Erfordernissen orientieren. Für ein Unternehmen ist eine prozessorientierte Vorgehensweise sinnvoll. Prozesse sind abteilungsübergreifende

188

Abläufe, die einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der Unternehmensziele leisten. Sie lassen sich mit Hilfe von Regeln beschreiben. Das alleinige Beschreiben der Ablauforganisation in einem Organisationshandbuch ergibt allerdings noch kein Managementsystem. Erst wenn alle Prozesse auf die Unternehmensziele ausgerichtet sind, kann von einem Managementsystem gesprochen werden. Die Festlegung, was als eigenständiger Prozess gilt, ist subjektiv und von den Unternehmenszielen abhängig. Bauunternehmen, die für öffentliche Auftraggeber arbeiten, werden z. B. dem Marketing und auch der Beratung vor Auftragserteilung nur geringe Aufmerksamkeit schenken. In Bauunternehmen, die hauptsächlich für Kunden aus der Industrie tätig sind, haben dagegen beide Prozesse große Bedeutung. Grundlage eines prozessorientierten Managementsystems ist der Gedanke, dass standardisierte Prozesse zu wiederholbaren Ergebnissen führen. Wenn es gelingt, Ziele und Regeln von erfahrenen Mitarbeitern für die wichtigen Prozesse transparent zu machen und sie verbindlich im Unternehmen einzuführen, ist die Grundlage für eine Leistungssteigerung des gesamten Unternehmens geschaffen. Die Kundenorientierung ist ein weiterer bedeutender Grundsatz in der Theorie prozessorientierter Managementsysteme. Jeder Prozess hat einen Lieferanten und einen Kunden. Der Lieferant erzeugt eine Leistung, die ein Kunde für seine Arbeit benötigt. Der Begriff „Kunde“ wird allerdings um eine innerbetriebliche Dimension erweitert: Kunden sind nicht nur externe, sondern auch interne Abnehmer von Prozessleistungen. In einem prozessorientierten Managementsystem betrachtet jeder den Mitarbeiter, der die Arbeitsergebnisse für den folgenden Prozessschritt benötigt, als seinen Kunden, den er zufriedenzustellen hat mit allen relevanten Parametern, der richtigen Materie und Information zum richtigen Zeitpunkt in der gewünschten Qualität. Es gibt mehrere Möglichkeiten, relevante Prozesse für den Aufbau des Managementsystems im eigenen Bauunternehmen auszusuchen. Die Normen zum Qualitätsmanagement (DIN EN ISO 9001: 2015) und Umweltmanagement (DIN EN ISO 14001: 2015) enthalten Elemente, die von vielen Bauunternehmen zum Aufbau ihrer Managementsysteme genutzt werden. Nachteilig an

C. J. Diederichs et al.

dieser elementbezogenen Vorgehensweise sind allerdings die Bezeichnungen, die durch diese Normenreihen für die Prozesse eingeführt werden. Designlenkung, Prozesslenkung, interne Audits und Verantwortung der Leitung sind Begriffe, mit denen sich viele Mitarbeiter nicht identifizieren können. Jedes Bauunternehmen hat jedoch die Möglichkeit, eigene Bezeichnungen für diese Prozesse zu verwenden. Alternativ können Prozesse mit Hilfe der Unternehmensziele ausgesucht und gewichtet werden. Ein Prozess ist umso bedeutender für ein Unternehmen, je mehr er zum Erreichen der Unternehmensziele beiträgt. Ausgehend von dieser Definition, lassen sich die wichtigen Prozesse im Unternehmen identifizieren, indem die Geschäftsleitung den Beitrag jedes einzelnen Prozesses zur Verwirklichung der Unternehmensziele analysiert. Um diese Analyse zu erleichtern, wird ein prozessorientiertes Modell eines Bauunternehmens vorgestellt (Abb. 37). Prozesse in Bauunternehmen gliedern sich in Managementprozesse, Kern- bzw. Leistungserstellungsprozesse und Dienstleistungs- bzw. Supportprozesse. Kernprozesse sind einerseits auf externe Kunden (Bauherren oder potenzielle Auftraggeber), andererseits auf interne Kunden, das sind die Abnehmer der Prozessergebnisse, ausgerichtet. Dienstleistungsprozesse stehen wiederum im Kundenverhältnis zu den Kernprozessen, d. h., Dienstleistungsprozesse dienen im Sinne von Kundenaufträgen den Kernprozessen. Die Dienstleistungsprozesse gewährleisten damit die Funktionsfähigkeit der Kernprozesse und haben ausschließlich interne Stellen als Kunden. Für die Steuerung der Kern- und Dienstleistungsprozesse ist ein Zielfindungs- und Umsetzungsprozess notwendig, dieser wird zumeist innerhalb der Managementprozesse erarbeitet Innerhalb dieses Prozesses wird die strategische Bauunternehmensplanung vorgenommen. Ein Bauunternehmen im Hochbau besitzt z. B. die folgenden Kernprozesse mit direktem Kundenkontakt: • Akquisition: Ankündigung und Anbieten von Dienstleistungen und Produkten des Bauunternehmens potenziellen Kunden gegenüber,

Unternehmensführung

189

Abb. 37 Prozessmodell der Wertschöpfungskette eines Bauunternehmens. (Quelle: Girmscheid 2016, S. 33)

• Angebotserstellung: Abgabe eines kundenspezifischen Angebots und Darstellen des Kundennutzens, • Bauausführung: Bauwerkserstellung in der vom Kunden gewünschten Qualität, • Contracting: laufende Kundenbetreuung und Mängelbeseitigung während und nach der Gewährleistungsfrist. Die Dienstleistungsprozesse versorgen die Kernprozesse z. B. mit den Faktoren Personal, Information, Betriebs- und Finanzmittel. Zu den Dienstleistungsprozessen gehören • Personalbereitstellung: Bereitstellen von Mitarbeitern durch Personalmanagement • Liquiditätssicherung: Sicherung der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens • Ressourcenbereitstellung: Bereitstellen von Betriebsmitteln, Werkstoffen und Fremdleistungen durch das Beschaffungsmanagement, • Informationsversorgung: Aufbau und Pflege von Informations- und Kommunikationssystemen. Je nach Bedarf können Prozesse in Teilprozesse gegliedert werden. Der Prozess „Bauausführung“ kann z. B. in Bauvorbereitung, Baupro-

duktion sowie Prüfungen und Abnahmen aufgeteilt werden. Beim Prozess „Ressourcen bereitstellen“ lassen sich die Teilprozesse Einkauf, Vergabe von Fremdleistungen und Logistik bilden. Bei diesem Modell werden Qualität, Arbeitssicherheit und Umweltschutz nicht additiv als eigenständige Prozesse erfasst, sondern als Leitlinie in alle Prozesse integriert.

7.4

Controlling in der Bauwirtschaft

Die betriebswirtschaftlichen Ausschüsse des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie und des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes haben frühzeitig die Bedeutung des Controlling für die Bauwirtschaft erkannt und bereits 1978 in 1. Auflage und 2016 in 8. Auflage die KLR Bau Kosten- und Leistungsrechnung der Bauunternehmen veröffentlicht (HDB und ZDB 1978/ 2016, S. 1 ff.). Inhalte der einzelnen Teile sind: 1. Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung im Überblick 2. Bauauftragsrechnung (Kalkulation) 3. Baubetriebsrechnung 4. Anhang

190

C. J. Diederichs et al.

Damit liegt seit 40 Jahren ein geschlossenes Grundlagenwerk vor, das die Philosophie und die Methoden des Baustellencontrolling in allgemeiner Form und anhand von Beispielen erläutert. Grundlagen des Controlling Der Begriff des Controlling ist seit etwa 1970 in Deutschland vertreten und hat seinen Ursprung in der amerikanischen Wirtschaft (Girmscheid 2010, S. 808). Während der Fokus des Controlling früher in der Buchhaltung, der Finanzplanung, der Kostenrechnung und der Kalkulation lag, so bezeichnet es heute die wirtschaftlich zielgerichtete Beherrschung, Lenkung, Steuerung und Regelung von Prozessen innerhalb eines Unternehmens. Hierbei werden durch die Auswertung von Kennzahlen Controlling Istwerte Sollwerte

Analyse

Steuerung

Abb. 38 Ablauf des Controlling Prozesses. (Quelle: Girmscheid 2010, S. 808) Abb. 39 Zwei Controllingkreisläufe zum Controlling der Strategieumsetzung. (Quelle: Girmscheid 2010, S. 813)

(Soll-Ist-Vergleichsrechnung) Veränderungen veranschaulicht, um auf diese mit geeigneten Maßnahmen zu reagieren (Abb. 38): Das Controlling ist als Supportprozess der Unternehmensführung einzugliedern. Diese legt die strategischen Ziele des Unternehmens und das Controllingsystem fest, mit dem diese Ziele erreicht werden sollen. Es ist zwischen strategischem und operativem Unternehmenscontrolling sowie dem Projektcontrolling zu differenzieren. Während das strategische und das operative Controlling kontinuierliche Prozesse sind, um die strategischen Ziele eines Unternehmens zu erreichen, so ist das Projektcontrolling (Durchführungscontrolling) ein Teilbereich des operativen Controlling und eine Teilaufgabe des Projektmanagements. In Abb. 39 werden die kontinuierlichen Prozesse des strategischen und operativen Controlling zur Strategieumsetzung eines Unternehmens veranschaulicht. Das Projektcontrolling (Durchführungscontrolling) hingegen bildet das Fundament des operativen Controlling und somit auch das Fundament der Umsetzung der strategischen Unternehmensziele (Girmscheid 2010, S. 813). Dieser Leistungserstel-

Unternehmensführung

191

Abb. 40 Projektcontrolling im Leistungserstellungsprozess. (Quelle: Girmscheid 2010, S. 808)

lungsprozess ist maßgeblich für den Erfolg eines Bauunternehmens verantwortlich. Die Abb. 40 zeigt das Projektcontrolling in allen Phasen der Leistungserstellung. Projektcontrolling, als Teilgebiet des Projektmanagements umfasst die Bereiche Planung, Überwachung und Steuerung. Zu dem Bereich Projektplanung gehören die Leistungs-, Qualitäts-, Kosten- und Terminplanung sowie auch die Koordination der Verträge. Zu dem Bereich Projektsteuerung gehören alle Maßnahmen, die im Projektverlauf in Bezug auf Leistungen, Qualität, Kosten, Termine und Verträge zum Korrigieren von Plan- und Zielabweichungen getroffen werden.

die Bauleitung neben den Aufgaben des täglichen Bauablaufes auch für die Ermittlung/Abschätzung des Leistungsstandes und die Übereinstimmung der ermittelten Kosten mit der Buchhaltung zuständig ist. Hierbei liegt der Fokus auf den Kostenarten Löhne, Stoffe, Geräte, Nachunternehmerleistungen und Baustellengemeinkosten. Die ermittelten Ist-Werte sind tabellarisch für die Intervalle:

Baustellencontrolling Das Baustellencontrolling umfasst die monatliche Berichterstattung in Bezug auf Kosten, Leistungen und Ergebnisse einer Baustelle. In dieser Berichterstattung werden die Ist-Werte einer Baustelle zum jeweiligen Berichtszeitpunkt erfasst. Diese dienen als Grundlage für die darauffolgende Soll-Ist-Vergleichsrechnung. Unabhängig von der Größe der Baustelle ist die Bauleitung verantwortlich für die Berichterstattung. Dies bedeutet, dass

darzustellen. Ferner ist es Aufgabe der Bauleitung, vor Baubeginn die Entwicklung von Kosten, Leistungen und Ergebnissen bis zum Bauende zu schätzen. Diese Schätzungen dienen als erste Vergleichswerte, um die jeweiligen Monatsberichte einordnen zu können. An dieser Stelle findet auch die Soll-Ist-Vergleichsrechnung Anwendung. Ist diese erfolgt, so werden die Monatsberichte an den zuständigen Oberbauleiter übergeben. Dessen Aufgabe ist es, die Kosten-, Leistungs- und Ergeb-

• • • • •

von Baubeginn bis Vormonat, von Beginn des Geschäftsjahres bis Vormonat, im Berichtsmonat, von Baubeginn bis Stichtag und von Beginn des Geschäftsjahres bis Stichtag

192

C. J. Diederichs et al.

nisrechnungen für die von ihm betreuten Baustellen zusammenzufassen und zu prüfen. Werden bei der Überprüfung Risiken erkannt, ergänzt der Oberbauleiter seinen Bericht mit zu veranlassenden Gegenmaßnahmen. Der Bericht des Oberbauleiters wird an den Niederlassungsleiter weitergereicht. Dieser fasst ebenfalls die Berichte aller Oberbauleiter zusammen, überprüft diese und leitet in Absprache mit den zuständigen Oberbauleitern Gegenmaßnahmen ein. Die Berichte des Niederlassungsleiters werden an die Hauptverwaltung weitergereicht. Es ist sicherzustellen, dass Berichte des Bauleiters bis zum 5., des Oberbauleiters bis zum 10. und des Niederlassungsleiters bis zum 15. des Folgemonats vorliegen. Die aus dem Berichtswesen gewonnenen Daten dienen als Grundlage für die Kalkulation von zukünftigen Projekten und geben Aufschluss über den zu erwartenden Gewinn oder Verlust der erfassten Baustellen.

7.5

Risikomanagement

Durch Erweiterung des § 91 AktG durch einen neuen Abs. 2 wurde mit Wirkung vom 01.05.1998 ein „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich“ (KonTraG) geschaffen. § 91 AktG lautet nunmehr: „§ 91. Organisation; Buchführung (1) Der Vorstand hat dafür zu sorgen, dass die erforderlichen Handelsbücher geführt werden. (2) Der Vorstand hat geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.“

Damit werden nicht nur Aktiengesellschaften verpflichtet, Risikomanagementsysteme einzuführen im Sinne von Risikofrüherkennungssystemen. Weder der Wortlaut des Gesetzes noch die Begründung geben Aufschluss darüber, wie die geforderten Risiko-Erkennungsmaßnahmen konkret auszugestalten sind. Lück (1998) schlug daher vor, das Risikomanagementsystem aus einem internen Überwachungssystem, einem Controlling und einem Frühwarnsystem zusammenzusetzen.

Das Interne Überwachungssystem soll aus organisatorischen Sicherungsmaßnahmen, internen Kontrollen und der internen Revision bestehen, um die Zuverlässigkeit der betrieblichen Prozesse zu gewährleisten. Controlling soll die zielorientierte Koordination von Planung, Informationsversorgung, Kontrolle und Steuerung umfassen. Mit Hilfe von Frühwarnsystemen sollen Risiken so rechtzeitig erkannt werden, dass Reaktionen des Unternehmens zur Abwehr der Risiken möglich sind. Die Frühwarnsysteme sollen daher neben der Erkennung von Risiken auch geeignete Maßnahmen zur Risikobewältigung bereitstellen. In gut geführten Bauunternehmen werden die Anforderungen des neu eingeführten § 91 Abs. 2 AktG seit langem erfüllt, u. a. durch • monatliche Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung (KLER) • 12 bis 36-monatige Ergebnisvorausschau • Bonitätsprüfung der Auftraggeber • Prüfung der Fachkunde, Erfahrung, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Nachunternehmer (FELZ) • Vertragsprüfung unter Hinzuziehung von Fachanwälten für Baurecht • Vorgabe von Vergabegrenzwerten auf der Basis von Arbeitskalkulationen • monatliche Überprüfung der Terminpläne sämtlicher Baustellen mit Soll-/Ist-Vergleich, Abweichungsanalyse und ggf. Einleitung von Anpassungsmaßnahmen • Debitoren- und Kreditorenüberwachung. Allerdings wird dem Druck von Auftraggeberseite, klassische Auftraggeberrisiken zu übernehmen, von den Bauunternehmen zunehmend nachgegeben. Die Begründung dafür ist einerseits in einer gezielten Erweiterung des Dienstleistungsangebots der Bauunternehmen, andererseits aber in einer verstärkten Konkurrenzsituation zu sehen, wenn sich die Nachfrage auf dem Bausektor abschwächt. Der Generalunternehmer (GU) – und mehr noch der Totalunternehmer (TU) – ist für die Planung, Steuerung und Ausführung der übertragenen Pauschalvertragsleistungen verantwortlich.

Unternehmensführung

Bauunternehmen wagen sich dabei in Leistungsbereiche vor, die nicht zu ihrem originären Leistungsspektrum gehören und in denen sie daher nur auf wenige eigene Erfahrungen zurückgreifen können. Die Komplexität der Aufgaben birgt erhebliche Risiken und erfordert deren systematische Analyse vor Vertragsunterzeichnung. Viele Unternehmen haben dies erkannt und mit der Einführung von Risikomanagementsystemen (RMS) reagiert. Risiken stehen jedoch stets auch Chancen (z. B. mögliche Vergabegewinne) gegenüber, die der GU und der TU zu verwirklichen suchen (Busch 2003, S. 54). Aufgabe des Risikomanagements (RM) ist es, die Effizienz der Aufbau- und Ablauforganisation zu durchleuchten und auf etwaige Defizite hin zu untersuchen. Eine projekt- bzw. auftragsspezifische Risikobegrenzung verlangt Methoden, die eine rechtzeitige Erkennung und Vermeidung drohender bzw. eine Behandlung aufgetretener Risiken ermöglicht. Da zwischen dem Qualitätsmanagement (QM) und dem Risikomanagement (RM) enge Verzahnungen bestehen, empfiehlt sich eine integrative Implementierung. Einführung eines Risikomanagementsystems (RMS) Grundsätzlich wird ein ganzheitlicher Ansatz zur Einführung eines RMS empfohlen. „Ganzheitlich“ bedeutet, dass dabei einerseits den individuellen Anforderungen des Unternehmens mit seiner Personalsituation und andererseits den Anforderungen des jeweiligen Auftrags Rechnung getragen wird. Mit der Einführung eines RMS sind Bedingungen zu schaffen, die das rechtzeitige Erkennen und den Umgang mit den Risiken ermöglichen. Gegenstand des RMS sind vorrangig die Aufbau- und Ablauforganisation mit ihren Schnittstellen sowie das Informationsund Kommunikationssystem. Erster Schritt der Einführung eines RMS ist die Durchführung einer unternehmensinternen Risikoanalyse, ggf. unter Einbeziehung externer Berater. Je transparenter und nachvollziehbarer die innerbetriebliche Aufbau- und Ablauforganisation allgemein zugänglich installiert und von den Mitarbeitern „gelebt“ werden, desto besser

193

können sowohl unternehmens- als auch projektspezifische Risiken rechtzeitig erkannt und in angemessener Weise behandelt werden. Die Aufbau- und Ablauforganisation, d. h. die Unternehmensstruktur und die Prozesse zum Erreichen der Unternehmensziele, sind in vielen Bauunternehmen durch ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) geregelt und dokumentiert. Handlungsbedarf ist in diesen Fällen besonders dann gegeben, wenn wesentliche Abweichungen zwischen der Dokumentation im QMS und der tatsächlich vorhandenen Aufbau- und Ablauforganisation bestehen und dadurch die Qualität der Prozessergebnisse und das Erreichen der Unternehmensziele gefährdet sind. In Abstimmung mit dem QM-Beauftragten sind dann Maßnahmen zu veranlassen, um die Einhaltung und ggf. Verbesserung der QM-Regeln zu gewährleisten. In Abb. 41 sind die Prozesse einer Projektbzw. Auftragsabwicklung dargestellt. Darin sind die für das RMS signifikanten Dokumentationen

Angebotsauswahl

Angebotsbearbeitung

Σ

Vertragsprüfung

Vertragsabschluss

Σ

Arbeitsvorbereitung

Bauausführung

Bauende

Gewährleistung Σ

Resumé Risikoplan Rückführung

Abb. 41 Dokumentationen zum Risikomanagement. (Quelle: Diederichs 2012, S. 610)

194

den relevanten Prozessen zugeordnet. Diese sind Grundlage der Risikominimierung, z. B. durch Einführung von „Prozesshürden“. Diese dürfen erst dann als überwunden gelten, wenn gezielte Fragen zu den möglichen Risiken und Chancen so beantwortet werden können, dass die Chancen höher als die Risiken eingestuft werden. Solche Prozesshürden sind mindestens vor Angebotsbearbeitung, vor Vertragsunterzeichnung, vor Abschluss der Arbeitsvorbereitung und vor dem Ende des Projektabschlussgesprächs zur Sicherung der Erkenntnisse aus abgeschlossenen Aufträgen aufzustellen. Für die einzelnen Dokumentationen werden i. Allg. Formblätter und Checklisten zur Arbeitserleichterung und zur Sicherstellung der Weitergabe von Informationen verwendet. Im zweiten Schritt der Einführung eines RMS ist ein zuverlässiges Informations- und Kommunikationssystem zu schaffen. Es muss den Austausch und die Weitergabe von Informationen an allen Schnittstellen gewährleisten. Diese Schnittstellen sind in enger Zusammenarbeit mit den prozessverantwortlichen Mitarbeitern abzustimmen. Im dritten Schritt sind im Rahmen der Vertragsverhandlungen erkannte Risiken zu bewerten und als „Resumé“ zu dokumentieren. Je nach Bedeutung der einzelnen Risiken ist der Auftrag ggf. nachzuverhandeln oder aber auch abzulehnen. Im Fall der Auftragsannahme sind die bewusst eingegangenen Risiken deutlich darzustellen und in geeigneter Form den für die Auftragsabwicklung verantwortlichen Stellen unmissverständlich und mit Vorgaben für die Risikobehandlung mitzuteilen. Projektbezogene Anforderungen sind festzuhalten und den prozessverantwortlichen Führungskräften zu vermitteln. Im vierten Schritt ist im Rahmen der Arbeitsvorbereitung ein „Risikoplan“ zu erarbeiten, um die eingegangenen Risiken beherrschbar zu machen. Dieser muss für die jeweils risikorelevanten Vorgänge oder Ereignisse des Ablaufplans der Ausführung Handlungsvorschläge oder -anweisungen zur Risikovermeidung bzw. -begrenzung beinhalten. Ein derart gekoppelter Risikoplan ermöglicht damit ein Risikocontrolling während der Auftragsabwicklung, u. a. im Rahmen der Baubesprechungen.

C. J. Diederichs et al.

Im fünften Schritt ist am Ende der Auftragsabwicklung ein Abschlussgespräch über die eingetretenen Risiken und deren Folgen sowie die vermiedenen Risiken und die daraus gewonnenen Einsichten zu führen. Diese Erkenntnisse sind systematisch aufzubereiten und für eine Verwertung in später folgenden Projekten bzw. Aufträgen zu dokumentieren. Erkenntnisse aus Gewährleistungsrisiken sind ggf. anschließend einzubeziehen. Diese Rückführung von Erfahrungen und deren Nutzung bei künftigen Aufträgen sind wichtige Bestandteile eines RMS im Rahmen einer „lernenden Organisation“. Damit sind die Erfahrungen und Erkenntnisse aus Fehlern durchgeführter Projekte für künftige Aufträge Nutzen stiftend. Darüber hinaus erlaubt die durchgängige Dokumentation die Analyse von Bauaufträgen auch zu einem späteren Zeitpunkt, z. B. im Rahmen der Erstellung einer Erfahrungsdatenbank. Die Dokumentation ist ferner Grundlage für kontinuierliche Prozessverbesserungen (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess KVP).

8

Unternehmensbewertung

Das Ziel der Unternehmensbewertung ist die Ermittlung des Wertes eines „Unternehmens als Ganzes“, d. h. die Bewertung der wirtschaftlichen Unternehmenseinheit als Zusammenfassung von Personen, Sachen und Rechten mit der wirtschaftlichen Zielsetzung, Gewinne zu erzielen. Gründe für eine Unternehmensbewertung entstehen in aller Regel aus einer Änderung der Eigentumsverhältnisse, wie z. B. beim Kauf oder Verkauf von Unternehmen/ Unternehmenseinheiten oder bei der Fusion zweier Unternehmen. Weitere Gründe für Unternehmensbewertungen können Abb. 42 entnommen werden. Bei der Definition des Begriffs „Unternehmenswert“ geht die Theorie von der entscheidungsorientierten Preisbildung aus, wobei die subjektiven Interessen der an einer Unternehmenstransaktion interessierten Parteien (Käufer und Verkäufer) die Wertargumentation für die Entscheidung liefern (Dörner 1981, S. 1245 ff.). Der objektivierte Unternehmenswert drückt den Wert des im Rahmen des vorhandenen Unter-

Unternehmensführung

195

Änderungen der Eigentumsverhältnisse

Ohne Änderungen der Eigentumsverhältnisse

Kauf / Verkauf eines Unternehmens oder einer Beteiligung → Ermittlung des Kaufpreises

Wertorientierte Unternehmensführung (Shareholder value)

Fusion zweier Unternehmen → Ermittlung des Umtauschverhältnisses der Anteile

Kreditwürdigkeitsprüfung

Börseneinführung → Bestimmung des Emmissionspreises

Bewertungen im Rahmen von Ehescheidungen oder Erbauseinandersetzungen

Ausscheiden eines Gesellschafters → Bestimmung der Abfindung

Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen

Abb. 42 Gründe für Unternehmensbewertungen. (Quelle: Kuhner und Maltry 2017, S. 9)

nehmenskonzeptes fortgeführten Unternehmens aus und ist i. d. R. der Verkäuferwert. Er will einen möglichst hohen Preis erzielen, damit er das Kapital, das er im Unternehmen meist für viele Jahre investiert hat, nach dem Verkauf in andere Anlageformen einbringen kann. Der subjektive Entscheidungswert des Käufers erfasst das zu bewertende Unternehmen in einem mehr oder weniger veränderten Fortführungskonzept. Der Käufer eines Unternehmens bzw. einer Beteiligung legt seine Kaufpreisvorstellung im Rahmen seiner mittel- bzw. langfristigen Unternehmensstrategie jeweils nach persönlicher Einschätzung fest (Leimböck 1997, S. 139 ff.). Der Unternehmenswert liegt dann im Einigungsbereich, der von den Preisvorstellungen des Verkäufers und des Käufers bestimmt wird und der für beide Verhandlungspartner den Argumentationsspielraum im Rahmen der Preisverhandlung darstellt. Die im Verhandlungswege festgelegten Unternehmenswerte (Einigungswerte) sind einerseits von den subjektiven Werteinschätzungen der verhandelnden Parteien (Verkäufer, Käufer) abhängig, andererseits von den Verhandlungspositionen wie Finanzkraft und Liquiditätsdruck. Damit wird deutlich, dass die Methoden der Unternehmensbewertung allenfalls Richtwerte bzw. Entscheidungsspielräume liefern können, innerhalb derer eine Einigung zwischen den Parteien erzielbar ist.

Grundsätze der Unternehmensbewertung Zur Durchführung einer Unternehmensbewertung gelten Grundsätze, die von den bewertenden Parteien bei der finalen Preisbildung zu berücksichtigen sind. Dazu ist zunächst die Maßgeblichkeit des Bewertungszwecks zu beachten. Unterschiedliche Bewertungsanlässe (objektivierter Unternehmenswert, subjektivierter Unternehmenswert) erfordern unterschiedliche Annahmen für die Basisgrößen der Bewertung (Peemöller 2015, S. 34). Ferner spielt das Zusammenwirken der einzelnen Unternehmenseinheiten zum Stichtag der Bewertung eine Rolle. Durch die Bewertung künftiger Überschüsse werden die zukünftigen ausschüttungsfähigen Überschüsse ermittelt und auf den Bewertungsstichtag diskontiert. Dabei darf ein nicht-betriebsnotwendiges Vermögen nicht berücksichtigt werden, da dies auf die eigentlichen unternehmerisch erzielten Überschüsse keine Auswirkung hat. Weitere Grundsätze einer Unternehmensbewertung sind die Unbeachtlichkeit der bilanziellen Vorsicht sowie die Nachvollziehbarkeit der Bewertungsansätze. Wertbegriffe der Unternehmensbewertung Die Wertbegriffe in der Bandbreite zwischen objektiviertem Wert, subjektivem Entscheidungswert, Schiedswert und Einigungswert stützen sich auf die zwischenzeitlich gefestigte Erkenntnis, dass der Ertragswert seit vielen Jahren als der einzige und endgültige Wert des Unternehmens anerkannt wird. Der Käufer eines Unternehmens

196

will nicht die einzelnen Vermögensgegenstände, sondern das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit erwerben, um v. a. Gewinne zu erzielen. Der Substanzwert kann dagegen nur als der Ausgabenumfang definiert werden, der dem Erwerber des Unternehmens erspart bleibt, wenn er dieses kauft anstatt ein gleichartiges Unternehmen aufzubauen. Substanz- und Firmenwert Der Substanz- oder auch Reproduktionswert ergibt sich aus der Addition der einzelnen bilanzierungsfähigen Vermögensteile nach Abzug der Schulden, bewertet zu Tageswerten. Der Gesamtwert eines Unternehmens wird nicht allein durch den Substanzwert dargestellt, weil außer den bilanzmäßig erfassten Werten auch die Werte aus der Kombination von einzelnen Vermögensgegenständen oder nicht aktivierbaren Fähigkeiten, z. B. des Personals, zum Unternehmenswert gehören, die den über den Substanzwert hinausgehenden Firmenwert ausmachen. Der Firmenwert ist damit der Betrag, den ein Käufer bei Übernahme eines Unternehmens als Ganzes unter Berücksichtigung künftiger Ertragserwartungen über den Substanzwert hinaus zu zahlen bereit ist (Unternehmensmehrwert). Damit entspricht der Firmenwert der Differenz von Ertrags- und Substanzwert. Firmenwertbildende Faktoren sind u. a. hoher Auftragsbestand, gutes Management, qualifizierter Mitarbeiterstab, gute Betriebsorganisation und rationelle Produktionsverfahren. Bei der Ermittlung des Substanzwertes geht man davon aus, dass das Unternehmen weitergeführt werden soll. Diese Annahme impliziert, dass der Substanzwert auch als Zeit- oder Verkehrswert im Sinne des steuerlichen Teilwertes verstanden wird. Nach § 10 Satz 2 BewG ist der Teilwert der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Unternehmens im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde unter der Voraussetzung, dass der Erwerber das Unternehmen fortführt. Bei der Ermittlung des Substanzwertes sind gegenüber den bilanziellen Vermögenswerten folgende Korrekturen vorzunehmen:

C. J. Diederichs et al.

• Es sind auch diejenigen Werte aufzunehmen, die z. B. aufgrund eines Aktivierungsverbots (wie selbst hergestellte immaterielle Wirtschaftsgüter) oder eines Aktivierungswahlrechts (wie entgeltlich erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter) nicht in der Bilanz aufgeführt sind. • In den Substanzwert sind auch die stillen Reserven aufzunehmen, die in den bilanziellen Vermögenswerten nicht enthalten sind. Dies gilt analog mit umgekehrtem Vorzeichen auch für überhöht angesetzte Positionen mit Wertberichtigungsbedarf. Die Hilfswertfunktionen des Substanzwertes sind wie folgt definiert: • den Zeitwert des eingesetzten Kapitals zu bestimmen, • den Finanzbedarf für die Zukunftsertragsrechnung zu liefern, • den Rentabilitätsmaßstab für den Ertragswert zu liefern, • die Konkurrenzrisiken erkennen zu helfen und • die rechnerischen Grundlagen für die Daten der Ertragswertrechnung zu liefern, die vom Substanzwert abhängen wie Abschreibungen und Zinsen. Bei Schlussfolgerungen aus dem Verhältnis zwischen Substanz- und Ertragswert muss beachtet werden, dass der Substanzwert stichtagsbezogen ist und im Anlagevermögen Vermögensteile mit unterschiedlicher Abnutzungsdauer enthält, während der Ertragswert eine zeitraumbezogene dynamische Größe ist. Ertragswert Der Ertragswert wird bei der Bewertung einer Unternehmung als Ganzes in der Fachwelt seit vielen Jahren als alleiniger Wertmaßstab anerkannt. Der Ertragswert stellt durch Abzinsung der Überschüsse zum Bewertungsstichtag den gegenwärtigen Wert eines Unternehmens dar (Kuhner und Maltry 2017, S. 52). Bei der Ermittlung des Ertragswertes eines Unternehmens ist zu unterscheiden, ob die jährlichen Einnahmenüberschüsse für einen endlichen

Unternehmensführung

oder unendlichen Prognosezeitraum mit wechselnden oder konstanten Werten angesetzt werden. Ferner ist der für die Renditeerwartungen maßgebliche Zinssatz festzulegen. Daraus ergeben sich drei sog. „Schwierigkeitskomplexe“ nach Leimböck (2001, S. 147–149): Schwierigkeitskomplex I. Er beinhaltet das praktische Problem, ob und inwieweit aus dem Rechnungswesen des Unternehmens die für die Errechnung des Unternehmenswertes relevanten Einnahmenüberschüsse ermittelt werden können. Dazu sind bei Bauunternehmen folgende Korrekturposten zu beachten: • Gewinnreserven in unabgerechneten eigenen Bauten, • künftige Verluste im Auftragsbestand, • Abgrenzung anteiliger ARGE-Ergebnisse, • Gewinnreserven bei unabgerechneten ARGEBaustellen, • Abgrenzung der Erträge aus dem Abgang von Gegenständen des Anlagevermögens, • Abgrenzung der Erträge aus Auflösungen von Rückstellungen, • Berichtigung der Rückstellungen für Gewährleistungen, • steueraufschiebende Gewinnzuweisung in den Sonderposten gemäß § 6b EStG, • Bildung oder Auflösung von Bewertungsreserven, • Abgrenzung des außerordentlichen Ergebnisses. Schwierigkeitskomplex II. Er umfasst das Prognoseproblem bei unsicheren Erwartungen über die Einnahmen- und Ausgabenströme. Dieses Problem ist für Bauunternehmen aus folgenden Gründen besonders gravierend: • Der Baumarkt ist in hohem Maße konjunkturempfindlich und steht im 21. Jahrhundert vor außerordentlichen Strukturanpassungsproblemen. • Bauleistungen sind im Gegensatz zu Leistungen der stationären Industrie nach wie vor personalintensiv. Die Personalkosten sind damit

197

maßgeblicher Bestimmungsfaktor für die Einnahmenüberschüsse. Bei Unterbeschäftigung entstehen durch hohe Personalfixkosten rasch hohe Verluste. • Der Umsatz eines Bauunternehmens setzt sich aus einer begrenzten Anzahl parallel zu bearbeitender Aufträge zusammen. Bei jedem einzelnen Auftrag können die Gewinnsituation und das Risiko von Verlusten nicht eindeutig prognostiziert werden. • Jede Baustelle ist eine neu zu installierende „Fabrik“, deren Wirtschaftlichkeit maßgeblich abhängig ist von der Qualifikation des Baumanagers. • Die Globalisierung des Baumarktes im zusammenwachsenden Europa hat für das einzelne Bauunternehmen z. T. unvorhersehbare Folgen für die Gewinn- bzw. Verlustentwicklung. Die Prognoseunsicherheit erstreckt sich auch auf den Planungshorizont. Bei begrenztem Betrachtungszeitraum sind die Einnahmenüberschüsse nur für die betrachteten Jahre abzuschätzen. Am Ende des Betrachtungszeitraums hat das Unternehmen jedoch mindestens noch einen Liquidationswert, der als Barwert in die Rechnung einbezogen werden muss. Berücksichtigt man die Veräußerbarkeit nicht betriebsnotwendiger Vermögensteile, so ergibt sich der Unternehmenswert bei begrenztem Betrachtungszeitraum zu Unternehmenswert = Barwert der zukünftigen Einnahmenüberschüsse aus laufendem Betrieb + Barwert der Nettoveräußerungserlöse des nicht betriebsnotwendigen Vermögens + Barwert der Liquidationserlöse ./. Barwert der Liquidationsausgaben. Gemäß IDW S 1 i. d. F. 2008 mit Stand vom 04.07.2016, erschienen Mai 2017, Ziff. 5.3, wird vorgeschlagen, die Prognoseunsicherheit durch eine Phasenmethode einzuengen, d. h. den Planungszeitraum in mehrere Phasen zu zerlegen, z. B.: 1. Detailplanungsphase von 3 bis 5 Jahren mit detaillierten Einzelplanansätzen 2. Grobplanungsphase ab 6. Jahr mit langfristigen Fortschreibungen von Trendentwicklun-

198

C. J. Diederichs et al.

gen mit konstanten oder konstant sich verändernden Raten (wachsend oder auch fallend). Da aber in der Bauwirtschaft die Prognose von Einnahmenüberschüssen mit großen Unsicherheiten behaftet ist, schlägt Leimböck (2001, S. 148) die Errechnung des Ertragswertes nach dem Prinzip der ewigen Rente vor. Die Ertragswertformel lautet dann EW ¼ EÜ =i EW = Ertragswert des Unternehmens, EÜ = nachhaltiger und gleichbleibender Einnahmenüberschuß, i = p/100, p = Kapitalisierungszinssatz. Schwierigkeitskomplex III. Darunter wird die Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes bei Anwendung der Barwertmethode bezeichnet. Aus obiger Formel ist ersichtlich, dass bei steigendem Kapitalisierungszinssatz der Unternehmenswert sinkt und umgekehrt. Ein Käufer wird als Ausgangsbasis sicherlich zunächst die Rendite einer entsprechenden alternativen Investition heranziehen, z. B. die Rendite festverzinslicher Wertpapiere. Er wird dann eine Risikoprämie als Zuschlag zum Basiszins geltend machen, die sich z. B. an dem allgemeinen Unternehmenswagnis orientiert (z. B. 2,0 %). Ein Verhandlungsspielraum ergibt sich darüber hinaus aus dem Verkäufer- bzw. Käuferinteresse. Wenn ein Verkäufer unbedingt verkaufen will, z. B. um die Unternehmensnachfolge zu regeln, wird er einer weiteren Erhöhung des Kapitalisierungszinssatzes um z. B. weitere 2,5 % zuneigen. Wenn der Käufer das Unternehmen unbedingt erwerben will, um z. B. durch Fusion eine bessere relative Wettbewerbsposition am Baumarkt zu erreichen, wird er geneigt sein, den Zinssatz auch aus Käuferinteresse um z. B. 1,5 % zu senken. Danach setzt sich der Zinssatz aus folgenden Anteilen zusammen: Kapitalisierungszinssatz = Kapitalmarktzins (z. B. für festverzinsliche Wertpapiere) + Risikozuschlag zur Abdeckung des allgemeinen Unternehmenswagnisses + Zuschlag für das Verkäuferinteresse ./. Abschlag für das Käuferinteresse.

Bewertungsverfahren Nach IDW S 1 i. d. F. 2008, Ziff. 2.1 wird der Unternehmenswert grundsätzlich als Zukunftserfolgswert ermittelt. In der Unternehmensbewertungspraxis haben sich als gängige Verfahren das Ertragswertverfahren und die Discounted Cash Flow-Verfahren herausgebildet. Eine Übersicht gängiger Bewertungsverfahren enthält Abb. 43. Bei der Ermittlung des Unternehmenswertes für kleine und mittlere Unternehmen ist die Höhe der künftigen finanziellen Überschüsse maßgeblich vom persönlichen Engagement und den persönlichen Kenntnissen, Fähigkeiten und Beziehungen der Eigentümer abhängig. Daher hat die Bewertung des Managementfaktors (Unternehmerlohn unter Berücksichtigung sämtlicher personenbezogener Wertfaktoren) besondere Bedeutung. Nach Ziff. 8.3.4 IDW S 1 i. d. F. 2008 wird in der Praxis auf vereinfachte Preisfindungen durch Anwendung von Ergebnismultiplikatoren zurückgegriffen. Dabei ergibt sich der Preis für das Unternehmen als Produkt eines repräsentativ angesehenen Ergebnisses vor Steuern mit einem branchen- bzw. unternehmensspezifischen Faktor. Dieser ist insbesondere Ausdruck der aktuellen Kapitalkosten, der Risikoneigung potenzieller Erwerber sowie des Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Markt für Unternehmenstransaktionen. Solche vereinfachten Preisfindungen können jedoch lediglich Anhaltspunkte bei der Plausibilitätskontrolle der Ergebnisse der Bewertung nach Ertragswert- oder DCF-Verfahren bieten. Substanzwert Der Substanzwert ist der Gebrauchswert der betrieblichen Substanz. Er ergibt sich als Rekonstruktionsoder Wiederbeschaffungswert aller im Unternehmen vorhandenen immateriellen und materiellen Werte und Schulden. Er entspricht damit vorgeleisteten Ausgaben, die durch den Verzicht auf den Aufbau eines identischen Unternehmens erspart bleiben. Das Alter der Substanz ist durch Abschläge vom Rekonstruktionsneuwert zu berücksichtigen, die sich aus dem Verhältnis der Restnutzungsdauer zur Gesamtnutzungsdauer ergeben (Rekonstruktionszeitwert). Da dem Substanzwert als (Netto-) Teilrekonstruktionszeitwert der direkte Bezug zur künftigen finanziellen Überschüssen fehlt, kommt

Unternehmensführung

199

Abb. 43 Bewertungsverfahren. (Quelle: Institut für Baubetrieb und Baumanagement in Anlehnung an Kuhner und Maltry 2017, S. 56)

ihm bei der Ermittlung des Unternehmenswerts keine eigenständige Bedeutung zu (IDW S 1 i. d. F. 2008, Ziff. 8.4). Die Substanzwert-Methode wird vielfach bei der Bewertung von kleineren Unternehmen mit einer einfachen Produktion angewandt. Ertragswertverfahren Das Ertragswertverfahren ermittelt den Unternehmenswert durch Diskontierung der den Unternehmenseignern künftig zufließenden finanziellen Überschüsse, die aus dem für die Zukunft geplanten Jahresergebnis der zugrunde liegenden Planungsrechnung abgeleitet werden (IDW S 1 i. d. F. 2008, Ziff. 7.2). Basis des Ertragswertverfahrens ist damit der jährliche Gewinn. Nach Bereinigung der Vergangenheitserfolgsrechnung sind die künftigen finanziellen Überschüsse, ausgehend von den Aufwands- und Ertragsplanungen zu prognostizieren. Die künftigen Erträge umfassen vorrangig die Umsatzerlöse nach der betrieblichen Umsatzplanung des Unternehmens. Dabei ist auch abzuschätzen, wie die branchenbezogene konjunkturelle Entwicklung in der Zukunft voraussichtlich sein wird, ob Anzeichen für eine vom Branchentrend abweichende Unternehmensentwicklung bestehen und

welche besonderen Einflüsse bei der Umsatzprognose berücksichtigt werden müssen. Analog sind die einzelnen Aufwandsarten wie Personal- und Sachaufwand zu prognostizieren und sowohl die Ertrags- als auch Aufwandsprognosen durch Plausibilitätsüberlegungen und Sensitivitätsanalysen kritisch zu hinterfragen. Bei schwankendem Finanzierungsvolumen des Unternehmens sind die künftigen Zinsaufwendungen und -erträge zu prognostizieren. Dabei kann das Zinsergebnis aus einer saldierten Netto-Finanzposition und einem durchschnittlichen langfristigen Zinssatz abgeleitet werden. Vorhandenes nicht betriebsnotwendiges Vermögen erfordert ggf. gesonderte Beachtung. Die prognostizierten finanziellen Überschüsse aus dem Unternehmen sind mit dem Kapitalisierungszinssatz auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen, um sie mit der dem Investor zur Verfügung stehenden Anlagealternative vergleichbar zu machen. Der Kapitalisierungszinssatz repräsentiert die Rendite aus einer zur Investitionen des zu bewertenden Unternehmens adäquaten Alternativanlage. Ausgangsgrößen für die Bestimmung von Alternativrenditen sind insbesondere Kapitalmarktrenditen für Unternehmensbeteiligungen. Diese Renditen für Unternehmensanteile setzen sich aus einem

200

C. J. Diederichs et al.

Abb. 44 Ertrags- und Aufwandsprognose für eine Ertragswertermittlung

Basiszinssatz und einer von den Anteilseignern geforderten Risikoprämie wegen der Übernahme unternehmerischen Risikos zusammen. Für den objektivierten Unternehmenswert ist bei der Bestimmung des Basiszinssatzes von dem landesüblichen Zinssatz für eine risikofreie Kapitalmarktanlage auszugehen, z. B. einer 30-jährigen Bundesanleihe. Der Risikozuschlag trägt der Tatsache Rechnung, dass der Kapitaleinsatz in einem Unternehmen grundsätzlich mit einer geringeren Sicherheit verbunden ist als die Anlage in einer Anleihe der öffentlichen Hand. Das zu berücksichtigende Risiko lässt sich in das allgemeine und spezielle Risiko aufteilen. Das allgemeine Risiko umfasst nach herrschender Meinung die nicht unternehmensbezogenen generellen Risiken, die sich u. a. aus der Branche, dem Marktumfeld und der Konjunktur ergeben. Die speziellen Risiken entstehen aus unternehmensspezifischen Unsicherheitsfaktoren, die sich jeweils auf das individuelle Bewertungsobjekt beziehen. Allgemeine Risikofaktoren für die Immobilien- und Baubranche waren z. B. die Immobilienmarktkrise im Jahre 2009 sowie die durch die globale Finanzmarktkrise ausgelösten Kreditrestriktionen der Banken. Spezielle Risiken bestehen z. B. in der Geschäftsfeldausrichtung und dem Stand der Entwicklung neuer Geschäftsfelder, Abhängigkeiten aus der Kundenstruktur und den Akquisitionskontakten der Alteigentümer. Beispiel Für ein im Bundesgebiet seit drei Jahrzehnten gut etabliertes Consultingbüro ist für Zwecke der

Regelung der Unternehmensnachfolge der Unternehmenswert zu bestimmen. Die Ermittlung der prognostizierten Erträge und Aufwendungen über einen 10-jährigen Prognosezeitraum zeigt Abb. 44: Der Kapitalisierungszinssatz ergibt sich aus folgenden Ansätzen: Basiszinsatz (30-jährige Bundesanleihe) (am 19.06.2018 nur 1,174 %) Risikozuschlag aus Branchen- und Unternehmensrisiken Risikoadjustierter Zinssatz Steuerbelastung der Gesellschafter (24,5 %) Kapitalisierungszinssatz Gerundet

3,7 %

10,0 % 13,7 % ./. 3,5 % 10,2 % 10,5 %

Der Ertragswert des Unternehmens errechnet sich durch Anwendung folgender Formel: E¼

n  X t¼1

 Pt P t þ ð1 þ i Þ i  ð1 þ iÞnþ1

E = Ertragswert Pt = Periodenerfolg nach persönlicher Ertragsteuerbelastung der Jahre 2018 bis 2027 P = nachhaltiger Periodenerfolg der Jahre ab 2028 i = Kapitalisierungszinssatz, hier 10,5 % n = Dauer der Detailplanungsphase, hier 10 Jahre

Unternehmensführung

Unter Verwendung der Ergebnisse aus Spalte 11 der Abb. 44 errechnet sich ein Unternehmenswert von 5 493 T€. Dieser Wert ist auch vor dem Hintergrund von für Consultingunternehmen erzielbaren und realisierten Kaufpreisen in Höhe von 80 % bis 120 % des aktuellen Jahresumsatzes plausibel. Bei der Veräußerung von Consultingunternehmen werden Kaufpreise zwischen € 0,80 bis € 1,20 je 1,00 € Umsatz gezahlt. Der sich hier ergebende Kaufpreis von € 1,10 je 1,00 € Umsatz bestätigt die Plausibilität der Unternehmenswertermittlung. Da der im Jahresabschluss ausgewiesene Bilanzgewinn nur in Ausnahmefällen zugleich auch das erzielte Jahresergebnis ist – die Unternehmen sind im Rahmen steuerrechtlicher Möglichkeiten in der Lage, den Bilanzgewinn zu steuern –, bedeutet dies, dass sie im Jahresabschluss i. d. R. einen geringeren als den erzielten Gewinn ausweisen. Bei Bauunternehmen wird ein unmittelbarer Vergleich zwischen dem im Jahresabschluss ausgewiesenen und dem tatsächlich erwirtschafteten Gewinn durch folgende Punkte erschwert: • Der Jahresabschluss weist nur einen Gewinn aus abgerechneten Bauleistungen aus. Es gilt das Imparitätsprinzip aus unabgerechneten Bauleistungen. • Im Gewinn des Jahresabschlusses sind aperiodisch anfallende und aus bilanzpolitischen Gründen gewählte Positionen enthalten wie die Bildung bzw. Auflösung von Rückstellungen und passiven Rechnungsabgrenzungen sowie Erträge aus dem Abgang von Gegenständen des Anlagevermögens. • Es bestehen zahlreiche Wahlrechte bei der Bewertung von Bilanzposten. Daher sind die vorgenannten Korrekturposten in den Jahresabschlüssen der letzten drei Jahre zu berücksichtigen, um zu einem sachgerechten Ergebnis zu gelangen. Discounted Cash Flow-Verfahren (DCFVerfahren) DCF-Verfahren bestimmen den Unternehmenswert durch Diskontierung von Cash-Flows. Diese stellen erwartete Zahlungen an die Kapitalgeber dar. Dabei werden verschiedene Verfahren unterschieden:

201

• • • •

WACC-Ansatz (Weighted Average Cost of Capital) APV-Ansatz (Adjusted Present Value) TCF-Ansatz (Total Cash Flow) FTE-Ansatz (Flow to Equity)

Nach dem WACC-Ansatz und dem APV-Ansatz wird der Marktwert des Eigenkapitals indirekt als Differenz aus dem Gesamtkapitalwert und dem Marktwert des Fremdkapitals ermittelt. Nach dem Konzept der direkten Ermittlung des Wertes des Eigenkapitals (FTE-Ansatz) wird der Marktwert des Eigenkapitals durch Abzinsung der um die Fremdkapitalkosten vermehrten Cash-Flows mit der Rendite des Eigenkapitals (Eigenkapitalkosten) berechnet (IDW S 1 i. d. F. 2008, Ziff. 7.3.1). Das Konzept des WACC-Ansatzes wird unter Ziff. 7.3.2 der IDW S 1 i. d. F. 2008 beschrieben. Der Gesamtkapitalwert ergibt sich nach dem WACC-Ansatz durch Diskontierung der Free Cash Flows (vor Zinsen). Dabei werden die Free Cash Flows der Detailplanungsphase detailliert prognostiziert. Für die sich daran anschließende zweite Phase wird ein Residualwert angesetzt. Die Diskontierung erfolgt mit den gewogenen Kapitalkosten. Zu dem Gesamtkapitalwert wird der Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens hinzugerechnet. Der WACC-Ansatz unterstellt, dass der Gesamtkapitalwert unabhängig ist von der Art der Finanzierung, abgesehen von Steuereinflüssen. In einem zweiten Schritt ist der Gesamtkapitalwert auf das Eigen- und auf das Fremdkapital aufzuteilen. Den Marktwert des Fremdkapitals erhält man, indem die Free Cash Flows an die Fremdkapitalgeber mit einem das Risikopotenzial dieser Zahlungsströme widerspiegelnden Zinssatz diskontiert werden. Die Differenz aus Gesamtkapitalwert und Marktwert des Fremdkapitals entspricht dem Marktwert des Eigenkapitals und damit dem Unternehmenswert. Die künftigen Free Cash Flows sind jene finanziellen Überschüsse, die unter Berücksichtigung gesellschaftsrechtlicher Ausschüttungsgrenzen allen Kapitalgebern des Unternehmens zur Verfügung stehen nach Investitionen und Unternehmenssteuern, jedoch vor Zinsen sowie nach Veränderungen des Nettoumlaufvermögens. Bei indirekter Ermittlung ergeben sich die Free Cash Flows aus Plan-Gewinn- und Verlustrechnungen wie folgt:

202

Free Cash Flow = Jahresergebnis + Fremdkapitalzinsen  Unternehmenssteuer-Ersparnis infolge der Abzugsfähigkeit der Fremdkapitalzinsen + Abschreibungen und andere zahlungsunwirksame Aufwendungen (z. B. Erhöhung der langfristigen Rückstellungen)  zahlungsunwirksame Erträge  Investitionsauszahlungen abzüglich Einzahlungen aus Desinvestitionen  Verminderung / Erhöhung des Nettoumlaufvermögens Der Residualwert wird unter der Annahme der Fortführung oder der Veräußerung des Unternehmens ermittelt. Maßgeblich ist der jeweils höhere Wert. Der Fortführungswert entspricht dem Barwert der Free Cash Flows nach Ablauf des Detailprognosezeitraums. Dabei werden die gewogenen Kapitalkosten i. d. R. als konstant angenommen. Bei unterstellter Veräußerung des Unternehmens ist der voraussichtliche Veräußerungswert des Unternehmens als Ganzes abzüglich der damit verbundenen Kosten anzusetzen. Die gewogenen Kapitalkosten hängen von der Höhe der Eigen- und der Fremdkapitalkosten sowie vom Verschuldungsgrad ab. Die Kapitalkosten der Fremdkapitalgeber errechnen sich als gewogener durchschnittlicher Kostensatz der einzelnen Fremdkapitalformen. Zur Bestimmung der Eigenkapitalkosten im Rahmen der Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte empfiehlt es sich, auf die für das Ertragswertverfahren dargestellten Grundsätze zurückzugreifen. Vorstehende Ausführungen machen deutlich, dass die Anwendung von DCF-Verfahren für die Unternehmensbewertung in jedem Falle der Unterstützung durch einen Wirtschaftsprüfer bedarf.

C. J. Diederichs et al. Arbeit (Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG vom 07.08.96, BGBl. I S. 1246, l.Ä. 16.12.97) Richtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit Richtlinie 92/57/EWG vom 24. Juni 1992 über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz Verordnung (EWG) Nr. 1836/93 des Rates von 29. Juni 1993 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS-VO) Verordnung nach dem Umweltauditgesetz über die Erweiterung des Gemeinschaftssystems für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung auf weitere Bereiche vom 03.02.1998 (UAG-Erweiterungsverordnung – UAG. ErwV), BGBl. I, S 338 Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (Baustellenverordnung-BaustellV) vom 10. Juni 1998, BGBl. I, S 1283

Normen, Richtlinien DIN EN ISO 14001: 2015-11 Umweltmanagementsysteme – Anforderungen DIN EN ISO 8402: 1995-08 Qualitätsmanagementsysteme – Begriffe DIN EN ISO 9001: 2015-11 Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (2008) Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F. 2008). IDW-Verlag ISO 45001:2018 Arbeits- und Gesundheitsschutz Umweltgutachterausschuss beim BMU (Hrsg) EMAS Novelle 2017/2019

Kommentare, Lexika Gabler (2019) Gabler-Wirtschaftslexikon, 19. Aufl. Gabler, Wiesbaden

Bücher

Literatur Gesetze/Verordnungen/Vorschriften Bewertungsgesetz – BewG (1991, 1997) Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der

Arnold S (2002) Bauaufträge erfolgreich akquirieren, 2. Aufl. Vieweg+Teubner, Wiesbaden Bäumler O (1996) Verbesserung der Wettbewerbssituation von Stahlbauunternehmen durch strategische Unternehmensführung unter besonderer Berücksichtigung des Marketing. Dissertation, Bergische Universität, DVP-Verlag, Wuppertal Botthof A, Hartmann E (2015) Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0. Springer Vieweg (2015), Wiesbaden

Unternehmensführung Bühner R (1994) Unternehmerische Führung mit Shareholder Value. In: Der Shareholder-Value-Report: Erfahrungen, Ergebnisse, Entwicklungen, Landsberg/Lech. Springer, Berlin/Heidelberg Busch TA (2003) Risikomanagement in Generalunternehmungen, Diss. ETH Zürich, Schweiz Carl N (2008) BWL kompakt und verständlich: Für Studierende von Ingenieur- und IT-Studiengängen sowie für Fach- und Führungskräfte ohne BWL-Studium, 3. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg Carl N (2017) BWL kompakt und verständlich: Für Studierende von Ingenieur- und IT-Studiengängen sowie für Fach- und Führungskräfte ohne BWL-Studium, 4. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg Diederichs CJ (1996) Handbuch der strategischen und taktischen Bauunternehmensführung. Bauverlag, Wiesbaden/Berlin Diederichs CJ (2005) Führungswissen für Bau- und Immobilienfachleute, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg Diederichs CJ (2012) Bauwirtschaft und Baubetrieb in: Handbuch für Bauingenieure, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg Dörner W (1981) Die Unternehmensbewertung. In: Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (Hrsg) Wirtschaftsprüfer-Handbuch 1981. IDW-Verlag, Düsseldorf Girmscheid G (2010) Strategisches Bauunternehmensmanagement: Prozessorientiertes integriertes Management für Unternehmen in der Bauwirtschaft, 2. Aufl. Springer VDI, Heidelberg Girmscheid G (2016) Projektabwicklung in der Bauwirtschaft – prozessorientiert: Wege zur Win-Win-Situation für Auftraggeber und Auftragnehmer, 5. Aufl. Springer VDI, Heidelberg HDB – Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V./ZDB – Zentralverband Deutsches Baugewerbe e.V. (2016) Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung der Bauunternehmen (KLR Bau), 8. Aufl. Verlagsgesellschaft Rudolf Müller, Köln Hirschfeld M (1996) Forschung und Entwicklung (F + E). In: Diederichs CJ (Hrsg) Handbuch der strategischen und taktischen Bauunternehmensführung. Bauverlag, Wiesbaden/Berlin Hungenberg H, Wulf T (2011) Grundlagen der Unternehmensführung: Einführung für Bachelorstudierende, 4. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg Hungenberg H, Wulf T (2015) Grundlagen der Unternehmensführung: Einführung für Bachelorstudierende, 5. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg Institut für Baubetrieb und Baumanagement (2018) Vorlesung Unternehmensführung, Malkwitz A, Universität Essen Jung H (2016) Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 13. Aufl. Oldenbourg, Berlin Kappeller W, Mittenhuber R (2003) ManagementKonzepte von A-Z: bewährte Strategien für den Erfolg Ihres Unternehmens, 1. Aufl. Gabler, Wiesbaden Kuhner C, Maltry H (2017) Unternehmensbewertung, 2. Aufl. Springer Gabler, Berlin Leimböck E (2001) Bilanzen und Besteuerung der Bauunternehmen. Mit einem durchgängigen Beispiel. Bauverlag BV, Gütersloh

203 Leinz J (2004) Strategisches Beschaffungsmanagement in der Bauindustrie. Gabler, Wiesbaden Macharzina K, Wolf J (2015) Unternehmensführung, Das internationale Managementwissen Konzepte – Methoden – Praxis, 9. Aufl. Springer-Gabler, Wiesbaden Macharzina K, Wolf J (2017) Unternehmensführung, Das internationale Managementwissen – Konzepte – Methoden – Praxis, 10. Aufl. Springer-Gabler, Wiesbaden Malkwitz A (1995) Frühindikatoren für die Ergebnissteuerung in Bauunternehmen. Dissertation Bergische Universität Wuppertal, DVP-Verlag, Wuppertal Marhold K (1992) Marketing-Management für mittelständische Bauunternehmen. Dissertation Bergische Universität Wuppertal, DVP-Verlag, Wuppertal Meffert H (1988) Strategische Unternehmensführung und Marketing, Beiträge zur marktorientierten Unternehmenspolitik, 2. Aufl. Gabler, Wiesbaden Meffert H et al (2018) Mookhup linger. Gabler, Wiesbaden Möller T (1998) Personalmanagement in Bauunternehmen. Dissertation Bergische Universität Wuppertal, DVP-Verlag, Wuppertal Peemöller VH (2015) Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 3. Aufl. Verlag Neue Wirtschafts-Briefe Pleschak F (2003) Wachstum durch Investition: Strategien, Probleme und Erfahrungen F und E intensiver Unternehmen. Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden Porter ME (1990) Wettbewerbsstrategien, 5. Aufl. Campus, Frankfurt am Main Porter ME (2008) Wettbewerbsstrategien: Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten, 11. Aufl. Campus, Frankfurt am Main Prangenberg A et al (2005) In: Böckler-Stiftung H (Hrsg) Der Shareholder-Value-Ansatz (2005). Arbeitshilfe für Aufsichtsräte, 4., überarb. Aufl. Düsseldorf Rappaport A (1986) Creating Shareholder Value: the new standard for business performance. Simon & Schuster Rappaport A (1995) Shareholder Value: Wertsteigerung als Maßstab für die Unternehmensführung. Schäffer Poeschel Verlag, Stuttgart Rappaport A (1999) Shareholder Value: Ein Handbuch für Manager und Investoren, 2. Aufl. Schäffer Poeschel Verlag, Stuttgart Scholz C (2014) Personalmanagement – Informationsorientierte und verhaltenstheoretische Grundlagen, 6. Aufl. Verlag Franz Vahlen, München Töpfer A (2005) Betriebswirtschaftslehre: Anwendungsund prozessorientierte Grundlagen, 1. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg Töpfer A (2007) Betriebswirtschaftslehre: Anwendungsund prozessorientierte Grundlagen, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg Voigt K-I (2010) Risikomanagement im Anlagenbau, 1. Aufl. Erich Schmidt Verlag, Berlin Weigel U, Rücker M (2015) Praxisguide Strategischer Einkauf: Know-how, Tools und Techniken für den globalen Beschaffer, 2. Aufl. Springer Gabler, Wiesbaden Weng E R (1995) Entwicklung von Strategien für zielgruppenorientiertes Absatzmarktverhalten mittelständischer Bauunternehmen. Dissertation Bergische Universität Wuppertal, DVP-Verlag, Wuppertal

204 Zilch K, Diederichs CJ, Katzenbach R, Beckmann KJ (Hrsg) (2012) Handbuch für Bauingenieure, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg

Aufsätze in Zeitschriften Berger R (2016) Hypo Vereinsbank, Bauwirtschaft im Wandel Diederichs CJ (1988) Expertensysteme zur Lösung bauwirtschaftlicher und baubetrieblicher Probleme. Bauwirtschaft (2):91–95 Diederichs CJ (1989) Die Bedeutung von Forschung und Entwicklung für die Bauunternehmensführung. Bauwirtschaft (4):304–310

C. J. Diederichs et al. Dummert S (2014) Der Arbeitsmarkt im Bausektor, Branchenbericht der Bundesagentur für. Arbeit und Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Kearney A T (2013) Optimales Wachstum – Was ist das? Was bringt es? Wie kann man es erreichen? Lück W (1998) Elemente eines Risikomanagements – Die Notwendigkeit eines Risikomanagementsystems durch den Entwurf eines Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) –, Der Betrieb (DB), Heft 1/2

Links Baudatenkarte 2017. http://www.bauindustrie.de/media/ documents/Baudatenkarte_2017.pdf. Zugegriffen am 23.04.2018

Projektentwicklung und Immobilienmanagement Claus Jürgen Diederichs und Norbert Preuß

Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2 Projektentwicklungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3 Aufgabenfelder/Module der Projektentwicklung i. e. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 4 Wirtschaftlichkeitsberechnungen (WB) und Nutzen-KostenUntersuchungen (NKU) ................................................................. 225 5 Real Estate Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 6 Immobilienbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

1

Einleitung

Nach Diederichs (2006, S. 2) sind im Lebenszyklus von Immobilienprojekten bei ganzheitlicher Betrachtung drei eigenständige und durch markante Ereignisse voneinander abgegrenzte Phasen zu unterscheiden, die aufeinander folgen, sich jedoch teilweise auch überlagern (Abb. 1):

C. J. Diederichs (*) Bauwirtschaft und Baumanagement, Universität Wuppertal, München, Deutschland E-Mail: [email protected] N. Preuß Executive Project Services, Preuss Project Partner GmbH, München, Deutschland E-Mail: [email protected]

• die Projektentwicklung im engeren Sinne (PE i. e. S.), • das Projektmanagement (PM) für Planung und Ausführung, • das Facility Management (FM) für die Immobilien- und Gebäudebewirtschaftung. Projektentwicklung kann statisch ohne Zeitbezug zur Projektentwicklung selbst und mit Fokussierung auf Produktionsfaktoren und dynamisch mit Berücksichtigung des Einflusses der Zeit betrachtet werden (Bone-Winkel et al. 2016, S. 175). Hauptmotiv der Projektentwickler ist die Vereinigung der Immobilienmanagement-Aktivitäten in einer Hand und die Abschöpfung der Gewinne aus den einzelnen Wertschöpfungsstufen. Weitere Motive sind die angemessene Verwendung nicht adäquat genutzter Grundstücke, die Einfluss-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. J. Diederichs, A. Malkwitz (Hrsg.), Bauwirtschaft und Baubetrieb, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27916-5_9

205

206

C. J. Diederichs und N. Preuß

nahme auf die Mieterstruktur und die Verbesserung der städtischen und auch regionalen Umweltbedingungen (Diederichs 2006, S. 5)

2

Projektentwicklungsmodelle

Nachfolgende auf die Produktionsfaktoren des Projektentwicklungsprozesses sowie auf die Zielstellung der Funktionalität der Immobilie abstellende Definition hat im deutschsprachigen Raum weite Verbreitung erlangt und ist aus diesem Grund Basis der nachfolgenden Ausführungen: „Durch Projektentwicklungen (im weiteren Sinne) sind die Faktoren Standort, Projektidee und Kapital so miteinander zu kombinieren, dass einzelwirtschaftlich wettbewerbsfähige, Arbeitsplatz schaffende und sichernde sowie gesamtwirtschaftlich sozial- und umweltverträgliche Immobilienobjekte geschaffen und dauerhaft rentabel genutzt werden können“ (Diederichs 1994, S. 43).

Projektentwicklung im weiteren Sinne (PE i. w. S.) umfasst den gesamten Lebenszyklus der Immobilie vom Projektanstoß bis hin zur Umwidmung oder dem Abriss am Ende der wirtschaftlich vertretbaren Nutzungsdauer (Abb. 1). Projektentwicklung im engeren Sinne (PE i. e. S.) umfasst die Phase vom Projektanstoß bis zur Entscheidung entweder über die weitere Verfolgung

der Projektidee durch Erteilung von Planungsaufträgen oder über die Einstellung aller weiteren Aktivitäten aufgrund zu hoher Projektrisiken. Nach der Projektentwicklung (i. e. S.) und der Entscheidung über die Fortführung des Projektes, z. B. durch einen Planungsauftrag für mindestens die Leistungsphase 2 (Vorplanung) gemäß HOAI, beginnt das Projektmanagement, das die Phasen der Planung und Ausführung der Immobilie bis zur Abnahme/Übergabe umfasst. Teilweise noch überlappend mit der Planung und in höherem Maße mit der Bauausführung setzt für die Betreuung des Gebäudebestandes ein komplexes Aufgabenfeld ein, das Facility Management. Übereinstimmende Aussage der verschiedenen Definitionen zum Facility Management ist die Forderung nach Erfüllung einer effektiven (tatsächlichen) und effizienten (wirtschaftlichen) Bewirtschaftung von Gebäuden und Anlagen zur Unterstützung der Kernkompetenzen und Wertschöpfungsprozesse der Nutzer. Gemäß Abb. 2 sind grundsätzlich drei verschiedene Ausgangssituationen zu unterscheiden, die den Anlass und Auslöser für Projektentwicklungen darstellen:

• vorhandener Standort mit zu entwickelnder Projektidee und zu beschaffendem Kapital (Start A), ggf. auch Kapital vor Projektidee,

Abb. 1 Ganzheitliches Immobilienmanagement Projektentwicklung im weiteren Sinn PE i. w. S.

Projektinitiierung

Projektkonzeption

Projektentwicklung im engeren Sinn PE i. e. S.

Projektrealisation

Projektmanagement für Planung und Ausführung PM

Objektnutzung

Umnutzung Modernisierung

Facility Management/ Immobilien bewirtschaftung FM

Ruckbau/ Verwertung

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

207

Projektentwicklungsmodell und -prozesse

rt C

ek

ti d

rt do

al

t an

p it

rS

Ka

ne de an rh

nd

en

eP

vo

rt

rt A

rh a

vo

Ka

do

Standort

an

Projekt

e de rt B St apital

en

k ti

nd St

S ta

rha

o je Pr

vo

ro j

S ta

ee

Projektidee

es

A Marktrecherche für Projektidee (Exit 1) B Standortanalyse, -prognose C Grundstücksakquisition/ -sicherung D Nutzungskonzeption, Nutzerbedarfsprogramm E Stakeholderanalyse, Projektorganisation (Exit 2) F Vorplanungskonzept G Kostenrahmen für Investition und Nutzung H Ertragsrahmen I Terminrahmen J Rentabilitäts- mit Sensitivitätsanalyse (Exit 3) K Risikoanalyse, -prognose (Exit 4) L Vermarktung Standort M Steuern N Projektfinanzierung (Exit 5) O Entscheidungsvorbereitung (Exit 6)

Kapital

Kapital Projektidee

Zeit Abb. 2 Projektentwicklungsmodelle. (Quelle: Diederichs 2006, S. 7)

• vorhandenes Kapital mit zu entwickelnder Projektidee und zu beschaffendem Standort (Start B), ggf. auch Standort vor Projektidee, • vorhandene Projektidee oder Vorhandensein eines konkreten Nutzerbedarfs mit zu beschaffendem Standort und Kapital (Start C), ggf. auch Kapital vor Standort. Der erste Fall A (Projektidee für vorhandenen Standort, Start A siehe Abb. 2) stellt eine häufige und zugleich schwierige Aufgabe dar. So ist davon auszugehen, dass in der Immobilienpraxis mehr als 2/3 der Projektentwicklungen vom Grundstück ausgehen, z. B. bei allen Unternehmen, die für ihre nicht mehr betriebsnotwendigen Grundstücke adäquate Nutzungsmöglichkeiten suchen. Der zweite Fall B (Projektidee für vorhandenes Kapital und zu beschaffenden Standort) ist Aufgabenstellung institutioneller Investoren und Kapitalsammelstellen wie Versicherungen und Pensionskassen, Offener und Geschlossener Immobilienfonds, Leasinggesellschaften und ausländischer Investoren. Der dritte Fall C (Projektidee noch ohne Standort und Kapital) fordert vom Projektentwickler, einen konkreten Nutzerbedarf an einem geeigneten Standort zu decken. Typische Beispiele dieser Aufgabenstel-

lung sind die Projektentwicklungen von ShoppingCentern, die nach der Wiedervereinigung „auf der grünen Wiese“ in Ostdeutschland entstanden. Unter wirtschaftlicher Betrachtung des Faktors „Zeit“ ist die Projektentwicklung auch „als Produktion von Raum-Zeit-Einheiten zu begreifen, die in Geld-Zeit-Einheiten transferiert werden können“ (Bone-Winkel et al. 2016, S. 175). Grundsätzlich ist bei der Abstimmung der Faktoren davon auszugehen, dass diese nur zeitlich begrenzt verfügbar sind, da beispielsweise Kapitalgeber Alternativinvestitionen tätigen können oder das Grundstück anderweitig veräußert oder genutzt wird, sofern seitens des Entwicklers keine Absicherung erfolgt ist. Auch die Projektidee ist für das individuelle Projekt theoretisch nur zeitlich begrenzt verfügbar. In diesem Sinne hat die Zeit, in welcher die Faktoren aufeinander abgestimmt werden und das Projekt realisiert wird, eine besondere Bedeutung. Die zuvor dargestellten Ausgangssituationen der Projektentwicklung sind in diesem Zusammenhang unter dem Einfluss des Faktors Zeit zu betrachten. Baugrundstücke haben theoretisch eine unbefristete Nutzungsdauer, solange keine Risiken entstehen, z. B. aus Altlasten, Gesetzgebung oder politischen Wirren, die eine wirtschaftliche Nutzung des Baugrundstücks nicht mehr zulassen. Im

208

C. J. Diederichs und N. Preuß

Ka

St an N do ut rt zu ng

Nutzung

rt do

St an

N ut zu n

g

su ch t

br

au

ch t

ng zu l ut ita N ap ht uc tK ls ch ta su pi ng zu ut N

ImmobilienProjekt

Standort

Kapital

a St te

or

Ka p Ve ita rw l su en ch du t n ng eu en e

nd rfo rd ng

ru

de

än

er tV

er

Zeit

Abb. 3 Projektentwicklungsmodell der Dynamischen Projektentwicklung. (Quelle: Schulte und Bone-Winkel et al. 2016, S. 176)

Zeitablauf kann sich durch externe Veränderungen auch der nachhaltig Ertrag bringende Nutzen für ein Grundstück ändern. In welcher Reihenfolge in den drei Fällen, ausgehend vom jeweils vorhandenen Faktor, die anderen Faktoren beschafft und eingebunden werden, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab (Diederichs 2006, S. 8). Der Faktor Zeit ist für Projektentwicklungen derart ausschlaggebend, dass er gleichbedeutend mit den Faktoren „Standort“, „Kapital“ und „Projektidee“ anzusehen ist. Damit können die Zusammenhänge zwischen den Faktoren aus Abb. 2 erweitert werden (Abb. 3).

3

Aufgabenfelder/Module der Projektentwicklung i. e. S.

Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Projektentwicklung i. e. S., die dazu dient, die Entscheidung zur Fortführung des Projektes in der Planung und Realisierung vorzubereiten oder zu der Erkenntnis zu gelangen, dass der Abbruch aller weiteren Aktivitäten anzuraten ist.

Im Rahmen einer Projektentwicklung i. e. S. ist es Aufgabe des interdisziplinär zu besetzenden Projektentwicklerteams aus den verschiedenen Fachdisziplinen (u. a. Architekten, Bauingenieure, Marketingfachleute, Kaufleute, Steuerberater, Juristen), Projektentwicklungen zu konzipieren und zur Entscheidung zu bringen. Wird das Ergebnis akzeptiert, so folgen mit der Projektstufe 2 die Planungsaufträge an Architekten und Fachplaner. Anderenfalls wird die Projektentwicklung zur Überarbeitung zurückgegeben oder aber gänzlich gestoppt. Die wichtigsten 15 Aufgabenfelder oder Module in der Projektentwicklung i. e. S. werden nachfolgend als Teilleistungen definiert und anschließend in knapper Form kommentiert. In der Abb. 4 wird die zeitliche und inhaltliche Reihenfolge der Teilleistungen deutlich.

3.1

A Marktrecherche für Projektidee (Exit 1)

Zur Auswahl und Erhebung relevanter Marktindikatoren auf Gesamt- und Teilmarktebene sind im Wesentlichen folgende Teilleistungen erforderlich:

Abb. 4 Prozesskette der Aufgabenfelder. (Quelle: Diederichs 2006, S. 9)

Projektentwicklung und Immobilienmanagement 209

210

1. Nachfrageranalyse 1.1 Flächenbedarf 1.2 Potenzialanalyse zur Erhebung sektorenspezifischer Kenngrößen 2. Angebotsanalyse 2.1 Flächenbestand 2.2 Flächenplanung 3. Preisanalyse 4. Wechselseitige Betrachtung von Markt- und Standortsituation unter Einbeziehung der Marktlage des Nutzungssektors, der projektspezifischen Marktchancen, der Ertragsaussichten, der Rendite und des Mietermix 5. Entscheidungsvorschlag zum weiteren Vorgehen Aufgabe der Marktanalyse und -prognose ist es, alle aktuellen und künftig zu erwartenden marktwirksamen qualitativen und quantitativen Fakten und Informationen der Nachfrage und des Angebots zu erheben, die Einfluss auf die geplante Immobilieninvestition haben können. Jede Marktrecherche erfordert eine Analyse des gegenwärtigen und Prognose des voraussichtlichen Nachfrager-/Kunden- und Anbieter-/Konkurrenten-Verhaltens. Für die Analyse und Prognose der Nachfrage (Kunden/Nutzer) stehen nur wenige konkrete und verwendbare Daten zur Verfügung wie z. B. Marktberichte der großen Maklerhäuser, Beratungsunternehmen und Kommunen. Die Angebots- und damit Konkurrenzanalyse und -prognose untersucht die Qualität und Quantität des bereits vorhandenen, im Bau befindlichen und geplanten Immobilienangebotes in dem relevanten Marktsegment (Büro, Hotel, Gewerbe, Wohnen). Die Preisanalyse und -prognose erstreckt sich sowohl auf die Nachfrage- als auch auf die Angebotsseite. Neben der Erhebung von Bestands-, Durchschnitts- und Spitzenmieten sowie Bodenrichtwerten erfordern insbesondere Prognosen der Preisentwicklung besondere Beachtung, da diese mit entsprechenden Szenarien in die Sensitivitätsanalyse eingehen. Sofern sich aus der wechselseitigen Betrachtung der Markt- und Standortsituation, d. h. der Nachfrage, des Angebotes und der Preise, zeigt, dass eine Weiterführung der Projektentwicklung i. e. S. Erfolg versprechend ist, so wird

C. J. Diederichs und N. Preuß

der Entscheidungsvorschlag zum weiteren Vorgehen die Empfehlung zur Abarbeitung der weiteren Aufgabenfelder der Projektentwicklung i. e. S. enthalten. Andernfalls ist bereits zu diesem Zeitpunkt die Einstellung aller weiteren Aktivitäten (Exit 1) zu dieser Projektentwicklung und ggf. eine neue Marktrecherche für eine andere Projektidee bzw. Nutzungskonzeption zu empfehlen.

3.2

B Standortanalyse und -prognose

Zielsetzung der Standortanalyse und -prognose ist eine objektive, methodisch aufgebaute und fachlich fundierte Untersuchung von direkt und indirekt mit der künftigen Entwicklung einer Immobilie im Zusammenhang stehenden Informationen mit regionalen und überregionalen Faktoren. Bei der Standortwahl für eine Projektentwicklung wird unterschieden zwischen folgenden Ausgangslagen: • der Suche nach einem optimalen noch fiktiven Standort für eine vorhandene Projektidee, • einem bereits fixierten Standort für eine noch zu definierende Idee und • verschiedenen vorhandenen Standortalternativen hinsichtlich ihrer Eignung zur Realisierung eines bestimmten Nutzungskonzeptes. Zur Beschreibung eines vorhandenen Standortes oder zur Beschreibung der Standortanforderungen an einen noch zu beschaffenden Standort sind im Wesentlichen folgende Teilleistungen erforderlich: 1. Definition der räumlichen Rahmenbedingungen des Projektes 2. Auswahl und Erhebung relevanter harter Standortfaktoren auf Makro- und Mikroebene 3. Auswahl und Erhebung relevanter weicher Standortfaktoren auf Makro- und Mikroebene 4. Wechselseitige Betrachtung von Standort- und Marktsituation 5. Entscheidungsvorschlag (mittels Nutzwertanalyse und/oder Portfolio-Matrix) 6. Auswahl standortgeeigneter Nutzungen für vorhandene Standorte oder nutzungsgeeigneter Standorte für noch zu beschaffenden Standort

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

Zu unterscheiden ist zwischen harten Standortfaktoren mit hoher Beeinflussbarkeit und weichen Standortfaktoren mit niedriger Beeinflussbarkeit durch Investoren. Harte Standortfaktoren lassen sich in drei Bereiche untergliedern: • Geografische Lage, Grundstücksstruktur • Verkehrsstruktur • Wirtschaftsstruktur, Umfeldnutzungen Weiche Standortfaktoren erstrecken sich im Wesentlichen auf zwei Bereiche: • Soziodemografische Struktur • Image, Investitionsklima Bei Renditeimmobilien kann der Anspruch an die Grundstücks- und damit Standort- und Lagequalität nie zu hoch gestellt werden. Daraus ergeben sich nach den Spielregeln des Marktes entsprechende Konsequenzen für den Grundstückspreis.

3.3

C Grundstücksakquisition und -sicherung

Gegenstand und Zielsetzung einer sorgfältig vorbereiteten Grundstücksakquisition und -sicherung ist es, durch die rechtzeitige Bereitstellung eines geeigneten Grundstücks für eine erfolgreiche Projektentwicklung zu sorgen. Auf der Basis der Ergebnisse der Standortanalyse und -prognose für den Mikrostandort ist nach Möglichkeit eine Grundstücksoption durch notariell beurkundetes Verkaufsangebot zu beschaffen. Bei noch nicht gesicherter Bebaubarkeit des Grundstücks empfiehlt sich die Aufnahme einer Rücktrittsklausel in den notariell zu beurkundenden Kaufvertrag, falls die zu beantragende Baugenehmigung versagt oder nicht innerhalb einer bestimmten Frist erteilt, wegen Widerspruchs gegen die Baugenehmigung zurückgenommen wird oder nicht innerhalb einer bestimmten Frist die sofortige Vollziehbarkeit der Baugenehmigung unanfechtbar geworden ist. Um im Falle einer Entscheidung für die Projektweiterführung rechtzeitig über ein adäquates Grundstück verfügen zu können, sind im Wesentlichen folgende Teilleistungen erforderlich:

211

1. Grundstücksakquisition 1.1 Identifizierung von geeigneten Grundstücken 1.2 Untersuchung der Einflussfaktoren für die Grundstückskaufentscheidung 1.3 Einsicht in die Grundbücher 1.4 Klärung der Möglichkeiten des Grundstückserwerbs 2. Grundstückssicherung 2.1 Sicherung der Bebaubarkeit nach BauGB 2.2 Abstimmen der Regelungen für den Grundstückskauf- oder Erbpachtvertrag Die Grundstückssicherung wird im Idealfall grundsätzlich so gestaltet, dass die Kaufpreiszahlung erst unmittelbar vor Baubeginn fällig wird. Eine Exitsituation ist i. d. R. nicht gegeben.

3.4

D Nutzungskonzeption und Nutzerbedarfsprogramm

Gegenstand und Zielsetzung des Nutzerbedarfsprogamms (NBP) ist es, den (voraussichtlichen) Nutzerwillen in eindeutiger und erschöpfender Weise zu definieren und zu beschreiben, um damit die Messlatte der Projektziele zu schaffen, die Projekt begleitend über alle Projektstufen hinweg verbindliche Auskunft darüber gibt, ob und inwieweit mit den Planungs- und Ausführungsergebnissen die Projektziele erfüllt werden (Diederichs 1995, S. 48). Das NBP ist nach Grundstücksauswahl und -sicherung mit notarieller Beurkundung als „Pflichtenheft“ für die nachfolgend einzubindenden Planungsbeteiligten zu erstellen. Nutzungskonzeptionen entstehen aus Projektideen. Bei Projektideen mit noch zu beschaffendem Standort und Kapital bestehen die größten, bei einer Bestandsimmobilie die geringsten Freiheitsgrade. Dazu sind aktuell verfügbare Quellen für Projektideen zu nutzen (Marktbeobachtungen, standortkundige Nutzer, Prognosen über künftige Nutzungsstrukturen, Informationen über zeitgemäße städtische Lebensformen etc.). Das Funktionsprogramm regelt die Zuordnung einzelner Arbeits- und Betriebsbereiche mit Arbeits- und Materialflüssen.

212

Das Raumprogramm enthält die Zusammenstellung der erforderlichen Nutzungsflächen und -räume für die unterzubringenden Unternehmensbereiche. Planungsziele sind u. a. die Optimierung der Flächenproportionen durch möglichst hohe Anteile der Hauptnutzflächen an der Bruttogrundfläche und Anpassungsfähigkeit durch Flexibilität und Variabilität. Durch das Ausstattungsprogramm wird die Ausrüstung mit Betriebs- und Gebäudetechnik sowie die Einrichtung mit Maschinen, Geräten und Inventar im Einzelnen festgelegt. Zur Erstellung einer wirtschaftlich tragfähigen Nutzungskonzeption mit zugehörigem Nutzerbedarfsprogramm nach DIN 18205: 2016-11 inkl. Funktions-, Raum- und Ausstattungsprogramm sind im Wesentlichen folgende Teilleistungen erforderlich: 1. Nutzungskonzeption 1.1 Generieren von Projektideen für eine sachund zeitgerechte Nutzung 1.2 Beschaffen der erforderlichen Basisinformationen

C. J. Diederichs und N. Preuß

1.3 Erarbeiten und Darstellen der Vorgaben des Nutzers/Investors 2. Nutzerbedarfsprogramm nach DIN 18205: 2016-11 2.1 Definition der Projektziele 2.2 Überprüfen von Bedarfsdeckungsalternativen (z. B. durch Umbau, Erweiterung, Neubau oder Umzug) 2.3 Organisationsuntersuchung aus der Sicht des künftigen Nutzers 2.4 Bedarfsplanung nach DIN 18205: 2016-11 3. Funktions-, Raum- und Ausstattungsprogramm zur Umsetzung der Bedarfsanforderungen und zur Schaffung von Grundlagen für die Planungskonzeption. Die Zielstellung der Bedarfsplanung gem. DIN 18205: 2016-11 besteht darin, Bedürfnisse, Anforderungen und Ziele des Bedarfsträgers, wie Bauherr, Betreiber oder Nutzer, frühestmöglich zu identifizieren und in einem Lösungsrahmen des Projektes zusammenzuführen. Die einzelnen Prozessschritte sind grafisch im Kontext

Abb. 5 Prozessschritte der Bedarfsplanung im Gebäudelebenszyklus. (Quelle: DIN 18205: 2016-11, S. 7)

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

zum Gebäudelebenszyklus in Abb. 5 dargestellt (DIN 18205: 2016-11, S. 7). Diesbezüglich wird die Bedarfsplanung als Planungsdisziplin noch vor der HOAI-Leistungsphase 1 angeordnet (Hodulak und Schramm 2011, S. 15). Bedarfsplanung ist eine Bauherrenaufgabe. Die Ermittlung und Vermittlung seiner eigenen Bedürfnisse dient seinem eigenen Interesse, da hierdurch das Soll der Planung definiert wird, bevor Planungsaufgaben durch externe Parteien übernommen werden. Für den Bauherrn als Auftraggeber von Planern und anderen Projektbeteiligten stellt eine durchdachte Bedarfsplanung eine optimale Voraussetzung für eine erfolgreiche Projektbearbeitung dar (Kalusche 2009, S. 172).

3.5

E Stakeholderanalyse und Projektorganisation (Exit 2)

Bei positivem Ergebnis der Stakeholderanalyse ist die Konzeption der Projektorganisation ein wich-

213

tiges Aufgabenfeld für die weitere Projektentwicklung.

3.5.1 Stakeholderanalyse Auf dem Projektentwicklermarkt steht jede einzelne Projektentwicklung im Spannungsfeld zwischen Nachfragern nach Projektentwicklungen einerseits und Anbietern andererseits. Aus Abb. 6 wird deutlich, dass der Erfolg des Projektentwicklers stets in Abhängigkeit von den jeweiligen Teilmärkten der Nachfrager und den konkurrierenden Kundenbeziehungen gesehen werden muss. Es kommt daher maßgeblich darauf an, die relative Wettbewerbsfähigkeit des Projektentwicklungsunternehmens durch Benchmarks zu vergleichen und durch kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP) Spitzenleistungen zu erzielen. Stakeholder sind: 1. alle am Projekt beteiligten Shareholder (Anspruch auf Rendite),

Abb. 6 Projektentwicklung im Spannungsfeld zwischen Nachfragern und Anbietern. (Quelle: Diederichs 2012, S. 630)

214

2. die Nutzer (Anspruch auf Erfüllung des Nutzerbedarfsprogramms), 3. die Auftraggeber (Anspruch auf Qualitäts-, Kosten- und Terminsicherheit), 4. die Mitarbeiter (Anspruch auf Beschäftigung und Sicherheit des Arbeitsplatzes) 5. die Lieferanten (Anspruch auf fristgerechte und betragsgenaue Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen), 6. die Kreditgeber (Anspruch auf fristgerechte und betragsgenaue Zins- und Tilgungszahlungen), 7. der Staat (Anspruch auf Steuergelder sowie auf Konformität mit dem geltenden Bauplanungsund Bauordnungsrecht, Wahrung der Belange der Allgemeinheit gegenüber den Interessen Einzelner). 8. die Natur als Standort, Rohstofflieferant und Aufnahmemedium für Abfälle (Anspruch auf Umweltschutz) und 9. die Öffentlichkeit, vertreten durch politische Organisationen, Parteien, Verbände, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und Medien (Anspruch auf Wahrung der Interessen der Öffentlichkeit, der Nachbarn und der Arbeitnehmer). Die Ergebnisse der Stakeholderanalyse müssen den Projektentwickler befähigen, eindeutig die Frage zu beantworten, ob er mit ausreichender Unterstützung für sein Projekt durch alle Stakeholder rechnen kann oder ob seitens einzelner Interessengruppen große Widerstände zu erwarten sind, die sogar zum Scheitern des Projektes führen können. In Abhängigkeit von diesem Ergebnis kommt es gegebenenfalls bereits zu einem Stopp aller weiteren Aktivitäten und damit zu einem Abbruch der Projektentwicklung (Exit 2) bzw. zu einer Iterationsschleife in den Aufgabenfeldern A bis E. Bei positivem Ergebnis ist die Projektorganisation für die weitere Planung und Abwicklung zu konzipieren.

3.5.2 Projektorganisation Gegenstand und Zielsetzung der Projektorganisation sind eine eindeutige Projektstruktur, Aufbauund Ablauforganisation. Durch die Projektstruk-

C. J. Diederichs und N. Preuß

tur soll eine hierarchische Aufgliederung des Gesamtprojektes in Teilprojekte und Teilprojektabschnitte erreicht werden, um eine Grundlage für Planungs- und Bauabschnitte, für Kosten und Termine und damit für Budgets und Nutzungszeitpunkte sowie für Kosten- und Termingliederungen zu schaffen. Zielsetzung der Aufbauorganisation ist es, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen der Projektbeteiligten so festzulegen, dass weder Leistungsüberschneidungen noch Leistungslücken entstehen, sondern eine reibungslose Projektabwicklung gewährleistet wird. Grundsätze sind eine eindeutige Aufgabenzuordnung mit Definition der Verknüpfungspunkte (Schnittstellen), die Festlegung von Weisungs-, Entscheidungs- und Zeichnungsbefugnissen sowie Informationspflichten, die Ausgewogenheit von Leistung und Vergütung und die Bestimmung von Haftungs- und Gewährleistungsansprüchen. Zielsetzung der Ablauforganisation ist die Erreichung der Termin- und Kapazitätsziele durch Maßnahmen zur Regelung der Arbeitsabläufe im Sinne von Regelkreisen mit den Prozessen Planung, Abstimmung, Entscheidung, Soll-Ist-Vergleich, Abweichungsanalyse, Anpassungsmaßnahmen und Steuerung. Eine typische Aufbauorganisation mit Einzelleistungsträgern d. h. jeweils einzeln vom Bauherrn/Auftraggeber beauftragten Architekten, Fachplanern und ausführenden Firmen zeigt Abb. 7.

3.6

F Vorplanungskonzept

Durch das Vorplanungskonzept gemäß Anlage 10 § 34 Abs. 1 HOAI (2013), Leistungsphasen (Lph.) 1 und 2, soll durch den Lageplan M 1:1000, Grundrisspläne, Ansichten und Schnitte M 1:200 sowie einen Erläuterungsbericht die Umsetzbarkeit der Nutzungskonzeption auf dem vorgesehenen Grundstück nachgewiesen werden. Dieser Nachweis erstreckt sich einerseits auf die Unterbringung des Raum- und Funktionsprogramms und die damit verbundene Gebäude- und Geschossbelegung sowie auf die Zulässigkeit der

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

215

Abb. 7 Aufbauorganisation der Projektbeteiligten mit Einzelleistungsträgern. (Quelle: Diederichs 2012, S. 631)

Bebauung nach den §§ 12, 30, 33, 34 und 35 BauGB i. V. m. § 9 BauGB und der BauNVO. Zur konzeptionellen planerischen Umsetzung des Nutzerbedarfsprogramms durch das Vorplanungskonzept gehören folgende Teilleistungen: 1. Erarbeiten eines Vorplanungskonzeptes zur Nutzungskonzeption zum Nachweis der planerischen Umsetzbarkeit des Nutzerbedarfsprogramms auf dem vorgesehenen Grundstück und der Erfüllung des Funktions- und Raumprogramms durch eine Gebäude- und Geschossbelegung 2. Darstellung der Ergebnisse durch 2.1 Lageplan M 1:1000 oder M 1:500 2.2 Grundrisse, Schnitte und Ansichten M 1:200 oder M 1:100 2.3 Erläuterungsbericht zu den wesentlichen städtebaulichen, gestalterischen, funktionalen, technischen, wirtschaftlichen, bauphysikalischen, energiewirtschaftlichen, sozialen und öffentlich-rechtlichen Zusammenhängen sowie Nachweis der baurechtlichen Umsetzbarkeit des Projektes auf dem vorgesehenen Grundstück

Mit dem Vorplanungskonzept und dem zugehörigen Erläuterungsbericht müssen folgende Fragen eindeutig beantwortet werden: 1. Werden die Vorgaben des Nutzerbedarfsprogramms sowie des Raum-, Funktions- und Ausstattungsprogramms erfüllt? 2. Besteht Konformität zwischen den Vorplanungsunterlagen, dem Erläuterungsbericht und dem Kostenrahmen für die Gesamtinvestition? 3. Ist das Projekt auf dem vorgesehenen Baugrundstück nach geltendem Baurecht ohne besondere Anforderungen im Hinblick auf Art und Maß der baulichen Nutzung zu realisieren? 4. Ist die Grundkonzeption des Tragwerks geklärt (Bezug auf Tiefgaragenraster, ausreichende Unterstützung tragender Wände im jeweils darunter liegenden Geschoss, Gründung, erforderlicher Verbau, Wasserhaltung etc.)? 5. Ist die Grundkonzeption der TA geklärt (Versorgungsträger, Medientrassen, Notwendigkeit von Raumlufttechnik mit Auswirkungen auf Geschosshöhen, Flächen für TA-Zentralen, Maschinenaufstellungsflächen etc.)?

216

3.7

C. J. Diederichs und N. Preuß

G Kostenrahmen für Investitionen und Nutzung

Der Investitions- oder (betriebswirtschaftlich unscharf) auch „Kosten“-Rahmen hat zentrale Bedeutung für den Projektentwickler. Er ist stets differenziert nach Neubau und Umbau/Modernisierung zu erstellen. Der Kostenrahmen für die Kgr. 100 der DIN 276:2018-12 Grundstück ergibt sich aus der aktuellen Grundstücksgröße sowie den örtlichen Grundstückspreisen, wobei zum Kaufpreis noch die Grundstücksneben- und Freimachungskosten hinzuzurechnen sind (Kgr. 120 und 130 der DIN 276:2018-12). Kostenkennwerte für die weiteren Kostengruppen 200 bis 800 der DIN 276:2018-12 sind aus Vergleichsprojekten sowie aktuellen Veröffentlichungen zu gewinnen. Jede Kostenangabe erfordert stets die Nennung von mindestens 3 Merkmalen: • Kostengruppenumfang nach DIN 276, der in der Kostenangabe enthalten sein soll, • Preisindexstand des Kostenkennwertes sowie • Hinweis, ob es sich um Netto- ohne oder Bruttowerte mit Umsatzsteuer handelt. Zusätzlich zur Ermittlung des Kostenrahmens für die Erstinvestitionen ist eine Abschätzung der Nutzungskosten vorzunehmen nach DIN18960:2008-02. Für die Nutzungskostengruppen sind wiederum Kennwerte aus vergleichbaren Projekten sowie aus aktuellen Veröffentlichungen heranzuziehen wie u. a. den GEFMA-Richtlinien 200 Kosten im FM oder nach der Betriebskostenverordnung (BetrKV 2004, 2012). Das Ergebnis der Untersuchungen zu Investitionen und Nutzungskosten ist in einem Erläuterungsbericht über getroffene Annahmen, Bezugsmengen, Randbedingungen zu den Kostendaten inklusive Risiko-/Sensitivitätsanalyse zusammenzufassen. Die Kostenermittlungen sind durch grafische Darstellungen zur Erläuterung der Kostenstrukturen in geeigneter Weise zu ergänzen.

3.8

H Ertragsrahmen

Gegenstand und Zielsetzung des Ertragsrahmens ist es, nach den Kosten auch die Ertragsseite abzuschätzen für die anschließend folgende Rentabilitätsanalyse und -prognose. Die Erträge aus Vermietung sind unter Berücksichtigung des Mietausfallwagnisses und unter Abzug der nicht umlagefähigen Bewirtschaftungskosten wie Verwaltungs- und Instandhaltungskosten zu ermitteln. Dabei sind die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen des Mietrechts bei Wohnraum- und Gewerberaummiete zu beachten. Für die Abschätzung des Ertrages zum Zeitpunkt des Verkaufs sind die Verfahren der Verkehrswertermittlung nach den Grundsätzen der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV 2010) heranzuziehen: • für den Grundstückswert das Vergleichswertverfahren • für gewerblich genutzte Gebäude und Mietshäuser das Ertragswertverfahren • für selbst genutzte Ein- und Zweifamilienhäuser das Sachwertverfahren Zur Abschätzung der zu erwartenden Erträge aus Vermietung oder Verkauf sind im Wesentlichen folgende Teilleistungen erforderlich: 1. Abschätzen der nachhaltig erzielbaren Erträge aus Vermietung durch Auswertung von relevanten Mietpreisspiegeln und Marktberichten 2. Abschätzen der nachhaltig erzielbaren Erträge durch Verkauf, orientiert an einer Verkehrswertermittlung nach ImmoWertV In diesem Zusammenhang ist u. a. stets zu beachten, dass die Ermittlung des Verkehrswertes einer Immobilie einerseits und die Einigung über den Preis dieser Immobilie zwischen Käufer und Verkäufer andererseits zwei verschiedene Themen sind.

3.9

I Terminrahmen

Der Terminrahmen gibt erstmalig einen Überblick über den vorgesehenen zeitlichen Ablauf des Pro-

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

jektes. Er steckt mit nur wenigen Vorgängen und Ereignissen/Meilensteinen ( 15) die Dauern der 5 Projektstufen Projektvorbereitung, Planung, Ausführungsvorbereitung, Ausführung und Nutzung sowie die Entscheidungszeitpunkte bzw. Meilensteine für das Projekt ab. Ausgehend vom aktuellen Zeitpunkt werden für jedes Projekt oder Teilprojekt mindestens folgende Meilensteine fixiert: • Beginn der Projektentwicklung, • Entscheidung zum Planungsauftrag, • Baueingabe, • Baugenehmigung, • Baubeginn, • Fertigstellung des Rohbaus und der wetterfesten Gebäudehülle und damit der Möglichkeit zum Beginn der Bauheizung, • Fertigstellung Technische Ausrüstung, • Fertigstellung Innenausbau, • Baufertigstellung, • Beginn der Abnahme-, Inbetriebnahme- und Übergabephase und • Nutzungsbeginn. Als Ergebnis ist ein grafisch ansprechend gestalteter Meilensteinplan zu liefern und durch einen Erläuterungsbericht zu ergänzen. Darin sind die getroffenen Annahmen, die gewählten Bezugsdaten, Planungs- und Baufortschrittskennwerte sowie die Ergebnisse der Risiko-/Sensitivitätsanalyse zu den ausgewiesenen Abwicklungszeiträumen zu beschreiben. Vorgegebene Fertigstellungs- bzw. Eröffnungstermine (z. B. Messetermine, Produktionsstart,

217

Eröffnung zum Weihnachtsgeschäft) sind – sofern realistisch erreichbar – zwingend zu beachten.

3.10

J Steuern

Die Rentabilität und Finanzierung von Projektentwicklungen wird maßgeblich durch fällige und gestundete Steuern beeinflusst. Zielsetzung der steuerlichen Untersuchungen ist es, die Auswirkungen der verschiedenen Steuerarten auf die Rentabilität von Projektentwicklungen zu überprüfen und mögliche Steuervorteile durch Sonderabschreibungen zu nutzen. Dieser Komplex beinhaltet damit auch die Untersuchung und Darlegung der Auswirkungen von Steuereffekten auf die Projektfinanzierung, wobei im konkreten Einzelfall stets im Immobilien-, Unternehmens- und Gesellschaftersteuerrecht erfahrene Berater einzubinden sind. Bei den Steuerarten im Immobilienbereich ist gemäß Abb. 8 hauptsächlich zwischen Besitzund Verkehrsteuern zu unterscheiden. Wesentliche Aufgaben der steuerlichen Untersuchungen sind: 1. Überprüfen der für die Projektfinanzierung in Abhängigkeit von der Finanzierungsform relevanten Steuerarten 2. Untersuchen und Darlegen der Veränderung der Projektfinanzierung und der Projektrentabilität durch Steuereffekte

Abb. 8 Überblick über die Steuerarten im Immobilienbereich. (Quelle: Brauer 2018, S. 325)

218

3.11

C. J. Diederichs und N. Preuß

K Rentabilitäts- mit Sensitivitätsanalyse und -prognose (Exit 3)

Zielsetzung der Investoren in Projektentwicklungen ist die Maximierung der Rentabilität bei Wahrung der Liquidität und Minimierung des Risikos. Die operative „Performance“ besteht in der jährlich erzielten Ausschüttungsrendite und der jährlichen Wertveränderung der Immobilie. Die Liquidität wird durch die Marktgängigkeit (Fungibilität) und die Sicherheit durch das Wertänderungsrisiko der Immobilie bestimmt. Zur Erstellung der Rentabilitätsanalyse und -prognose mit Sensitivitätsanalyse sind im Wesentlichen folgende Teilleistungen erforderlich: 1. Erstellen einer Rentabilitätsanalyse nach der einfachen Developer-Rechnung und Bewertung 2. Erstellen einer Rentabilitätsprognose für den erwarteten Nutzungszeitraum mit Hilfe dynamischer Wirtschaftlichkeitsberechnungen 3. Durchführen einer Sensitivitätsanalyse durch Veränderung von Mieterträgen bzw. Verkaufspreis, Gesamtinvestitions- und Nutzungskosten Die einfache Developer-Rechnung ist ein in der Immobilienpraxis häufig angewandtes Verfahren zur Ermittlung der Rendite eines Projektes. Dabei werden die jährlichen Mieterträge der Gesamtinvestitionssumme gegenübergestellt (Quotient von Jahresmieteinnahmen und AnfangsinvesAbb. 9 Beispiel 1 – Einfache Developerrechnung einer Gewerbeimmobilie. (Quelle: Diederichs 2012, S. 635)

tition) und aus dem Kehrwert der anfänglichen Ausschüttungsrendite der Vervielfältiger oder auch Mietenmultiplikator bestimmt. Dynamische Wirtschaftlichkeitsberechnungen untersuchen durch Berücksichtigung von Zeitreihen für die Zahlungsströme der Ein- und Ausgaben sowie Ab- oder Aufzinsung auf einen festen Bezugszeitpunkt die Vorteilhaftigkeit von Investitionen für die gesamte Nutzungsdauer bzw. bis zu einem bestimmten Planungshorizont. Kriterien der Vorteilhaftigkeit sind die Höhe der Kapitalwerte, der internen Zinsfüße und der Annuitäten (Diederichs 2005, S. 233–239). Im Beispiel 1 zur einfachen Developerrechnung wird die Gesamtinvestitionssumme durch die jährlichen Mieterträge dividiert und daraus der Vervielfältiger oder auch Mietenmultiplikator bestimmt (Abb. 9). Erwartet ein Investor einer Gewerbeimmobilie z. B. eine Rendite von über 5 %, so lässt sich ein Verkauf des Projektes mit einem Vervielfältiger von 19 realisieren (100/19 = 5,26 %). Der Projektentwicklergewinn (Trading Profit) ergibt sich als Differenz aus dem Verkaufserlös und der Investitionssumme. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich der ausgewiesene Wert von 15,59 % der Gesamtinvestition auf die gesamte Projektdauer verteilt (in diesem Fall etwa 3 Jahre). Es ist jedoch kritisch darauf hinzuweisen, dass die einfache Developerrechnung die Investitions-

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

phase zwar zutreffend abbildet, die Schwächen des Ansatzes jedoch in der Ermittlung des erzielbaren Verkaufserlöses liegen. Solange Investoren bereit sind, auf der Basis von Mietenmultiplikatoren Objekte zu erwerben, stellt dies kein Problem dar. Wenn die Investoren allerdings mit detaillierten Wirtschaftlichkeitsberechnungen arbeiten, dann reicht diese Betrachtungsweise nicht aus. Stattdessen sind dynamische Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu empfehlen. Im Beispiel 2 zur einfachen Developerrechnung (Abb. 10 und 11) für ein Bürogebäude mit Sensitivitätsanalyse geht es darum, aus den vorgegebenen Eckdaten für den Neubau eines innerstädtischen Bürogebäudes mit 8500 m2 Mietfläche, den Kosten der Gesamtinvestition von 28 Mio. € und einem angestrebten Entwicklungsgewinn von 4,2 Mio. € den Brutto- und Nettoertrag des Projektentwicklers sowie die Verzinsung des Eigenkapitals (Internal Rate of Return IIR) zu ermitteln. Anschließend wird in einer Sensitivitätsanalyse u. a. gezeigt, dass: • eine Veränderung der Mieteinnahmen um  10 % zu einer Erhöhung/Verminderung des Entwicklungsgewinns um 1.998.000 €  10 %  16,12 =  3.220.800 € führt, • eine Erhöhung/Verminderung des Vervielfältigers von 16,12 um  1 den Projektentwicklergewinn bei gleichbleibender Miete um  1.998.000 € erhöht bzw. vermindert und • der Projektentwicklergewinn von erwarteten 15 % der Gesamtinvestition im worst case auf 2,92 % sinken kann. Dabei ist zu beachten, dass eine Erhöhung der Gesamtinvestition (GI) den Gewinn ebenfalls verringert. Der interne Zinsfuß für das Eigenkapital, das am Anfang mit 5,6 Mio. € zur Verfügung gestellt wird und nach 24 Monaten inklusive Projektentwicklergewinn von 4,2 Mio. € mit 9,8 Mio. € zurückfließt, beträgt 32,29 % p. a. (1,32292 = 1,75).

3.12

L Risiko- und Chancenanalyse und -prognose (Exit 4)

Durch die Risiko- und Chancenanalyse und -prognose sollen die Ergebnisse der Projektentwick-

219

lung und insbesondere die Rentabilitäts- sowie Sensitivitätsanalyse und -prognose kritisch hinterfragt werden. Der Begriff „Risiko“ bedeutet in der Projektentwicklung die Möglichkeit der Abweichung von erwarteten Projektzielgrößen aus den behandelten Aufgabenfeldern A bis L der Projektentwicklung. Dabei stellen positive Abweichungen Chancen und negative Abweichungen Risiken dar. Dabei ist zu beachten, dass die Risiken aus den einzelnen Aufgabenfeldern zahlreiche gegenseitige Abhängigkeiten aufweisen. Im Ergebnis wirken sie sich letztlich stets auf die Unterschreitung der erwarteten Rentabilität und Werthaltigkeit aus. Risiken entstehen aus der Unsicherheit über Entscheidungsprämissen bzw. über den Eintritt zukünftiger Ereignisse mit der Folge einer negativen Abweichung von einer festgelegten Zielgröße (Ertrag, Rendite, Investitionssumme etc.). Zur Erzielung der erwarteten Rendite muss das Projekt durch die Vermarktung ab dem geplanten Nutzungsbeginn die vorausgesetzten Erträge erwirtschaften, ohne dass es zu Kostensteigerungen gekommen ist, die das vorgegebene Kostenbudget überschreiten. Zusätzlich müssen auch die erwarteten Konditionen der Projektfinanzierung realisiert werden. Zu beachten ist, dass Risiken auch stets Chancen gegenüberstehen. Im Zusammenhang mit den mittel- und langfristigen Chancen und Risiken der Projektentwicklung ist die Qualität des Immobilienstandortes Bundesrepublik Deutschland von zentraler Bedeutung. Das unternehmerische Hauptmotiv der Projektentwicklung im weiteren Sinne besteht darin, durch Vereinigung der ImmobilienmanagementAktivitäten in einer Hand, preiswerten Einkauf der Immobilie vor der Projektentwicklung sowie günstigen Verkauf der Immobilie nach deren Erstellung oder während der Nutzungsphase die Handelsspannen in den einzelnen Stadien vor und nach der eigentlichen Bauausführung einzubeziehen und als Development-Gewinne abzuschöpfen (Diederichs 1994, S. 55). Damit bietet die Projektentwicklung erhebliche Chancen mit einzel- und gesamtwirtschaftlicher Bedeutung, aber auch Risiken, die nicht übersehen werden dürfen und denen mit geeigneten Risikotherapien zu begegnen ist.

220

C. J. Diederichs und N. Preuß

Abb. 10 Beispiel 2 – Einfache Developerrechnung mit Sensivitätsanalyse. (Quelle: Diederichs 2012, S. 636)

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

221

Abb. 11 Beispiel 2 – Einfache Developerrechnung mit Sensivitätsanalyse (Fortsetzung). (Quelle: Diederichs 2012, S. 637)

Die Wahrnehmung von Chancen und die Beherrschung von Risiken erfordern die Etablierung eines systematischen Chancen- und Risikomanagementsystems mit einem Regelkreis aus den Prozessen Risikoidentifikation, -bewertung, -klassifizierung, -bewältigung, -kostenermittlung und -controlling. Im Rahmen der Risikobewältigung ist zu untersuchen und zu entscheiden, wie mit identifizierten, bewerteten und klassifizierten Risiken umzugehen ist, d. h. welche aktiven und passiven Maßnahmen geplant und umgesetzt werden sollen (Busch 2003, S. 63 ff.). Grundsätzlich kommen 5 Strategien zur Risikobewältigung in Betracht, die sämtlich darauf

abzielen, häufig auch in Kombination, ein möglichst geringes Restrisiko zu erreichen: • • • • •

Eliminieren, Vermeiden Vermindern Übertragen, Transferieren Versichern Akzeptieren, Übernehmen

Zielsetzung der Risikovermeidung ist es, die Tragweite oder die Eintrittswahrscheinlichkeit auf den Nullpunkt zu bringen. Sie bietet von allen Handlungsalternativen die größte Sicherheit, ist aber auch mit sehr hohen Kosten ver-

222

C. J. Diederichs und N. Preuß

bunden. Daher ist darauf zu achten, dass die Kosten der Risikovermeidung deutlich unterhalb der Kosten eines möglichen Schadenseintritts bleiben. Zielsetzung der Risikoverminderung ist es, durch organisatorische, technische oder betriebliche Maßnahmen das Risiko auf ein akzeptables Restrisiko zu reduzieren. Dabei ist wiederum das Ausmaß der Risikoverminderung gegen die Kosten der Verminderungsmaßnahmen abzuwägen. Bei der Risikoübertragung versucht der Projektentwickler, das eigene Risiko durch Verträge auf andere Projektbeteiligte ganz oder teilweise abzuwälzen, z. B. auf den Investor, den Construction Manager, den Anteilseigner in der Projektentwicklungsgesellschaft oder den Finanzierungspartner. Anstelle der Risikoübertragung auf Dritte kommt auch die Risikoübertragung auf Versicherungsunternehmen in Betracht, sofern das entsprechende Risiko versicherbar ist. Dabei geht es vor allem um Risiken mit hoher Tragweite im Falle des Risikoeintritts.

3.13

M Vermarktung

Immobilienmarketing bezeichnet die Gesamtheit aller zielgerichteten und systematischen Maßnahmen, die der Entwicklung, Preisfindung und Vermarktung von Immobilien oder auch immobilienabhängigen Dienstleistungen dienen, um Austauschprozesse zwischen Mietern/Käufern einerseits und Vermietern/Verkäufern andererseits herbeizuführen. Typische ImmobilienmarketingElemente sind: • Grundsteinlegung, Richtfest, Einweihung, Tag der offenen Tür • Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations) • Kontakte zur regionalen und überregionalen Presse, zu Rundfunk und Fernsehen Durch Vermietung vor Baubeginn soll das Investitionsrisiko minimiert werden. Daher wird eine Vorvermietungsquote von 40 % bis 60 % angestrebt. Bei einem Verkauf soll der Käufer durch eine Kombination von Rendite, Wertsteigerung und Steuervorteilen einerseits mit einer guten Finan-

zierung andererseits eine attraktive Verzinsung für das von ihm eingesetzte Eigenkapital erhalten (leverage effect). Dabei ist zu beachten, dass der Gewinn des Projektentwicklers i. w. S. komplett im Verkauf steckt. Zu den Aufgaben der Vermarktung gehören damit die Konzeption des Immobilienmarketings sowie die Auswahl externer Dienstleister für Marketing- und PR-Maßnahmen, das Management der Vermietung und des Mieterausbaus, die Mieterbetreuung unter Einbindung externer Makler sowie die Organisation des Verkaufs durch Direktvertrieb oder auch Einbindung externer Makler.

3.14

N Projektfinanzierung (Exit 5)

Immobilieninvestitionen binden langfristig hohe Kapitalbeträge, die nur selten voll aus Eigenkapital finanziert werden können. Es gilt daher folgender Kernsatz der Immobilienfinanzierung (Follak und Leopoldsberger 2016), wonach die Erträge aus der Immobilie den Kapitaldienst und der Wert der Immobilie die Besicherung gewährleisten müssen. Unternehmenskredite werden dagegen i. d. R. aus anderen Quellen als der Investition selbst bedient und besichert. Gegenstand und Zielsetzung des Aufgabenpaketes Projektfinanzierung ist es, die für den Investor bestgeeignete Finanzierungsform herauszufinden, zu möglichen Anbietern der Projektfinanzierung Kontakt aufzunehmen, Finanzierungsangebote von Kreditgebern einzuholen, Verhandlungen mit ausgewählten Anbietern vorzubereiten und diese bis zur Unterschriftsreife zu führen. Unter dem Begriff der klassischen Immobilienfinanzierung wird die Finanzierung über grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen verstanden. In der prozentualen Höhe der Beleihungsgrenze unterscheiden sich die Finanzierungsinstitute deutlich. Für die Beurteilung der Schuldendienstfähigkeit und damit die Bewilligung eines Kreditantrags ist bei der Projektfinanzierung der voraussichtliche wirtschaftliche Erfolg des zu finanzierenden Projektes entscheidend. Es wird erwartet, dass sich Zins und Tilgung aus dem prognostizierten Cashflow des finanzierten Projektes erwirtschaften lassen und darüber hinaus zusätzlich ein Überschuss

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

für den Investor erzielt wird. Durch Sensitivitätsanalysen wird der Einfluss der Renditefaktoren Mieterträge, Projektkosten, Zins- und Tilgungssätze etc. auf die Cashflow-Entwicklung im besten, wahrscheinlichsten und schlechtesten Fall durchgespielt. Kreditgeber orientieren ihre Entscheidung i. d. R. am wahrscheinlichsten oder schlechtesten Ergebnis. Für die Projekt- und Immobilienfinanzierung existieren zahlreiche klassische Finanzierungsformen. In jüngerer Zeit werden zunehmend neue Finanzierungsprodukte angeboten, die von den Prinzipien des Eigenkapitaleinsatzes, der Mischfinanzierung, der Gesellschaftsanteile und der Risikoverteilung bestimmt werden (Abb. 12). Durch Analyse und Bewertung der vielfältigen Finanzierungsformen ist das für die konkret erforderliche Projektfinanzierung bestgeeignete Maßnahmenbündel auszuwählen, das sowohl den Projektentwickler als auch Eigen- und Fremdkapitalgeber zufrieden stellt und gleichzeitig der Transaktionsstruktur Rechnung trägt. Der Finanzierungsformen-Mix ist daher stets für die Bedürfnisse der konkreten Projektfinanzierung maßzuschneidern. Zur Erleichterung der Auswahlentscheidung ist daher eine Bewertungsmatrix zu erstellen. Diese soll den beteiligten Institutionen ermöglichen, eine ihren Interessen möglichst nahekommende Finanzierungsstruktur auszuwählen. Abb. 13 zeigt das Schema einer Bewertungsmatrix der Finanzierungsformen aus der Sicht des Investors bei Beschränkung auf die Finanzierungsformen Eigenkapital, Realkredit, Leasing und Convertible Mortgage. Im Ergebnis zeigt sich, dass aus den ausgewählten Finanzierungsformen mit den vorgegebenen Zielkriterien die Alternative Leasing mit 345 gewichteten Nutzenpunkten Rang 1 erreicht, dicht gefolgt von der Alternative Eigenkapital mit 335 gewichteten Nutzenpunkten auf Rang 2.

3.15

O Entscheidungsvorlage (Exit 6)

Die Untersuchungsergebnisse aus der Projektentwicklung i. e. S. müssen in einem Entscheidungsmodell zusammengefasst werden, um die

223

Entscheidung zur Fortführung der Projektentwicklung durch Erteilung von Planungsaufträgen für die Leistungsphasen 2 ff. nach HOAI (Vorplanung, Entwurfsplanung etc.) wegen nachhaltiger Erfolgsaussichten oder aber über den Abbruch der Projektentwicklung wegen zu hoher Risiken vorzubereiten. Dabei ist auch zu beachten, dass die Projektentwicklung häufig zeitparallel für verschiedene Projektentwicklungsideen in Form unterschiedlicher Nutzungsalternativen (Büro, Gewerbe, Hotel, Wohnen etc.) durchgeführt wird. Es ist daher ein konsekutives, zeitlich gestaffeltes Entscheidungsmodell mit Iterationsschleifen für Projektentwicklungsalternativen zu schaffen. Im chronologischen Ablauf ergeben sich die Entscheidungszäsuren für die Fortsetzung (Go) oder den Abbruch (Exit) der Projektentwicklung (Abb. 14). Abb. 15 zeigt den K.O.-Barren der Projektentwicklung, dessen „Raum“ P3 nicht „betreten“ werden darf. Weiterhin zeigt das Beispiel den Raum P2 der erwarteten Werte (expected case) (x = 7, y = 5, z = 10) und den Raum P1 der optimistischen Werte (best case) (x = 10; y = 4, z = 12). Schließlich ist analog Abb. 13 der Entscheidungsrahmen durch eine Nutzwertanalyse zur Beurteilung der nicht monetär bewertbaren Faktoren von Projektentwicklungsalternativen zu ergänzen. Einen Vorschlag dazu enthält Abb. 16. Es ist dann derjenigen Projektentwicklungsalternative der Vorzug zu geben, die bei gleicher oder ähnlicher Positionierung im Koordinatensystem der Rentabilitäts- und Risikoanalyse den höchsten Wert der gewichteten Nutzenpunkte erhält und dabei auch einen vorgegebenen Mindestwert von z. B. 667 von 1000 möglichen Punkten überschreitet. Wird der Mindestwert nicht erreicht, ist die Projektentwicklung zu überarbeiten (Iterationsschleife 6) oder aber endgültig abzubrechen. Wird der Mindestwert erreicht, so ist die Projektentwicklung i. e. S. durch einen Erläuterungsbericht mit den Ergebnissen aus den 15 Aufgabenfeldern A bis O abzuschließen und eine positive Fortführungsempfehlung an das Entscheidergremium auszusprechen. Ergänzend empfiehlt es sich, das Vorplanungskonzept im Hinblick auf die ökonomische, ökologische und soziokulturelle Qualität zu untersuchen. Dazu stehen die Ansätze der Deutschen

224

C. J. Diederichs und N. Preuß

Abb. 12 Klassische und neue Formen der projektund Immobilienfinanzierung. (Quelle: Diederichs 2012, S. 640)

Gesellschaft für nachhaltiges Bauen e.V. (DGNB), das Bewertungssystem BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Methodology), das Rating System LEED

(Leadership in Energy and Environmental Design) und auch die Bewertungssysteme für den Neubau von Hochbauten (Getto 2002) und für die Modernisierung von Hochbauten (Streck 2004) an.

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

225

Abb. 13 Nutzwertanalyse der Finanzierungsformen aus Sicht eines Investors für ein Bürogebäude (Auszug). (Quelle: Diederichs 2012, S. 641)

Dabei handelt es sich um Systeme zur Überprüfung der Frage, die Projektziele im Hinblick auf Nutzeranforderungen, Investition, Nutzungskosten, Umwelt und damit im Hinblick auf die Nachhaltigkeit eingehalten werden. Die Systeme sind so angelegt, dass bereits das Vorplanungskonzept bewertet werden kann, um zu entscheiden, ob die Planung weiter fortgeführt werden soll. Weitere Bewertungsschritte sind jeweils vorgesehen am Ende der Genehmigungsplanung vor Einreichung der Bauvorlagen an das Bauordnungsamt und vor Baubeginn unter Einbeziehung der zwischenzeitlichen Ausführungsplanung und Leistungsbeschreibungen.

3.16

Zusammenfassung

Jeder Lebenszyklus einer Immobilie beginnt mit der Projektentwicklung i. e. S. Aufgrund der entscheidenden Bedeutung dieser Projektstufe, in der einerseits die größten Freiheitsgrade im Hinblick auf Qualitäten, Kosten, Termine und Organisation und damit das höchste Maß an Beeinflussbarkeit bestehen, muss an den aufgezeigten sechs Exitstationen während des Projektentwicklungsprozesses i. e. S. entschieden werden, ob Iterationsschleifen Erfolg versprechend sind oder

der vorzeitige Abbruch der Projektentwicklung i. e. S. zu empfehlen ist. Am Ende muss mit der Entscheidungsvorlage stets entschieden werden, ob das Ergebnis der Untersuchungen eine Fortführung der weiteren Planung und anschließenden Ausführung rechtfertigt oder ob eine Schadensbegrenzung durch Wahrnehmung der letzten aufgezeigten ExitMöglichkeit die bessere Alternative darstellt. Aus einzelwirtschaftlicher Sicht tragen Projektentwicklungen auf operativer Ebene zur Stabilisierung und Erhöhung des Unternehmenserfolges der daran beteiligten Unternehmen bei. Auf strategischer Ebene können sie Wettbewerbsvorteile für wichtige Geschäftsfelder der Unternehmen schaffen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht dient die Projektentwicklung der Wirtschaftsförderung und Lageverbesserung durch Steigerung der regionalen Standortqualität.

4

Wirtschaftlichkeitsberechnungen (WB) und Nutzen-KostenUntersuchungen (NKU)

Öffentliche, gewerbliche und private Bauinvestitionen haben stets einen besonderen Stellenwert für den Initiator, da sie mit hohen Investitionsausgaben verbunden sind, Investitionsentscheidun-

226

C. J. Diederichs und N. Preuß

Abb. 14 Konsekutives Entscheidungsmodell für Projektentwicklungen mit Iterationsschleifen. (Quelle: Diederichs 2012, S. 642)

gen nach Baubeginn kaum mehr rückgängig gemacht werden können und mit der Übergabe und Inbetriebnahme Folgekosten in häufig beachtlicher Größenordnung entstehen.

In den Haushaltsordnungen des Bundes, der Länder und der Kommunen wird daher gefordert, für geeignete Maßnahmen von erheblicher finanzieller Bedeutung Wirtschaftlichkeitsberechnun-

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

227

Abb. 15 Koordinatensystem der Rentabilitäts- und Risikoanalyse. (Quelle: Diederichs 2012, S. 643)

Abb. 16 Nutzwertanalyse zur Beurteilung nicht monetär bewertbarer Teilziele der Projektentwicklung. (Quelle: Diederichs 2012, S. 643)

gen (WB) oder Nutzen-Kosten-Untersuchungen (NKU) anzustellen. Die gesetzliche Grundlage zum Erfordernis der Betrachtung ist der Bundeshaushaltsordnung (BHO) zu entnehmen (BHO

1969, 2017). Demnach sind gem. § 7 Abs. 2 Satz 1 BHO für alle finanzwirksamen Maßnahmen angemessene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen. In geeigneten Fällen ist privaten

228

Anbietern die Möglichkeit zu geben darzulegen, ob und inwieweit sie staatliche Aufgaben nicht ebenso gut oder besser erbringen können. In diesem Zusammenhang ist bei Großprojekten vom Kriterium einer finanziell bedeutsamen Maßnahme auszugehen. Wirtschaftlichkeit wird als das günstigste Verhältnis zwischen verfolgtem Zweck und eingesetzten Mitteln definiert. Dieser Grundsatz der Wirtschaftlichkeit ist stets bei Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand zu beachten (§ 7 Bundeshaushaltsordnung BHO 2017). Der Gegenstand von WB oder NKU kann sich auch auf die Überprüfung alternativer Beschaffungsvarianten oder Finanzierungsformen erstrecken, z. B. den Vergleich zwischen Eigenbau, Anmietung, Kauf, Leasing, Mietkauf und Öffentlich private Partnerschaft bzw. zwischen Eigen-, Fremd- oder Mischfinanzierung. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU 2014) hat hierzu einen Leitfaden WU Hochbau, 3. Auflage August 2014 herausgegeben (Verfasser DU Diederichs Projektmanagement AG & Co. KG, Wuppertal). Dieser setzt inhaltlich bei der Aufstellung der Entscheidungsunterlage – Bau (ES – Bau) unmittelbar nach der Bedarfsplanung an und endet mit der Vorentscheidung für eine Beschaffungsvariante. Ein weiteres besonderes Untersuchungsfeld ist der Vergleich zwischen Eigen- oder Fremdleistung. Die Zielsetzungen von WB und NKU bestehen allgemein darin, Fragestellungen folgender Art zu beantworten: • Ist ein bestimmtes Investitionsvorhaben unter den verschiedenen einzel- und gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten und auch unter Berücksichtigung des damit verbundenen Risikos für den Investor vorteilhaft (Beurteilung einer Einzelmaßnahme bzw. Entscheidung zwischen Mit-Fall und Ohne-Fall)? • Welche von mehreren gleichartigen Investitionen ist die für den Investor günstigste (Festlegung einer Rangordnung zwischen mehreren gleichartigen Maßnahmen, d. h. Lösung des Wahlproblems)? • Welche unter mehreren sich gegenseitig ausschließenden Alternativen ist zu bevorzugen (Auswahl der besten Alternative)?

C. J. Diederichs und N. Preuß

• Welches ist die optimale Größe einer vorgesehenen Investitionsmaßnahme (Bestimmung der optimalen Größe)? • Wann soll eine vorhandene Anlage durch eine moderne Anlage ersetzt werden (Lösung des Ersatzproblems)? Darüber hinaus bestehen zahlreiche weitere Fragestellungen zu bauwirtschaftlichen Investitionsentscheidungen (Diederichs 1985, S. 133, 170, 193–199, 212–213). Die zahlreichen Verfahren der Investitionsrechnung lassen sich zunächst in drei Untergruppen einteilen • monovariable Wirtschaftlichkeitsberechnungen, • multivariable Nutzen-Kosten-Untersuchungen und • programmierte Verfahren. Monovariable Wirtschaftlichkeitsberechnungen (WB) stellen Methoden dar, mit deren Hilfe die Vorteilhaftigkeit einzelwirtschaftlicher Investitionsmaßnahmen geprüft und im Hinblick auf die betrieblichen Zielsetzungen des jeweiligen Investors bewertet werden kann. Die zu untersuchenden Nutzen-Kosten-Faktoren sind als Einnahmen und Ausgaben stets monetär zu bewerten. Nicht in Zeiteinheiten bewertbare Faktoren können ergänzend nur verbal diskutiert werden. Multivariable Nutzen-Kosten-Untersuchungen (NKU) ermöglichen dagegen auch die Einbeziehung nicht monetär bewertbarer Nutzen-KostenFaktoren. Die Messgrößen unterschiedlichster Dimension werden mit Hilfe von Nutzenpunkten gleichnamig gemacht, wobei die Bedeutung der einzelnen Faktoren durch entsprechende Gewichtung berücksichtigt wird. NKU finden daher vor allem Verwendung, wenn durch Investitionsmaßnahmen nicht nur monetäre bzw. einzelwirtschaftliche, sondern auch multivariable bzw. gesellschaftliche Faktoren berührt werden. Programmierte Verfahren finden Anwendung bei komplexen Optimierungsrechnungen unter Vorgabe von Nebenbedingungen, die auch in Form von Ungleichungen gegeben sein dürfen, z. B. der linearen Programmierung und der Simulation von Nutzungs-, Finanzierungs-, Investiti-

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

229

Abb. 17 Verfahren der Investitionsrechnung. (Quelle: Diederichs 2012, S. 524)

ons- und Betreibermodellen. Sie erfordern einen wesentlich höheren Rechenaufwand als die traditionellen Methoden. Abb. 17 zeigt eine Übersicht der unterschiedlichen Verfahren.

4.1

Finanzmathematische Grundlagen

Die dynamischen Verfahren der WB und auch die KNA und die KWA im Rahmen von Nutzen-Kosten-Untersuchungen sowie Finanzierungsfragen erfordern es, sich mit den finanzmathematischen Grundlagen der Zinseszins- und Rentenrechnung vertraut zu machen. Der Zinseszinsrechnung liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Zahlungsversprechen für die Zukunft infolge des Abzinsungseffektes niedriger zu bewerten ist als ein gleichgroßer Gegenwartswert. Umgekehrt ist eine in der Vergangenheit empfangene Zahlung infolge des Aufzinsungseffektes höher zu bewerten als eine gleich hohe Zahlung zum Gegenwartszeitpunkt. Verständigt man sich auf die Verwendung der nachfolgend erläuterten Begriffe, so sind die in Abb. 18 dargestellten sechs möglichen Fälle bei Anwendung der Zinseszins- und Rentenrechnung zu unterscheiden.

Der Zins wird dabei „außer als Preis auch für die entgangene anderweitige Nutzungsmöglichkeit des Geldes, [. . .] als Entgelt für Konsumverzicht und als Ausdruck der Liquiditätspräferenz interpretiert“ (Busse von Colbe et al. 2015, S. 30). Begriffe Zur Lektüre des nachfolgenden Kapitels wird die Kenntnis der nachfolgenden Begriffe vorausgesetzt. K0 = Anfangsbetrag des Kapitals, auch Gegenwartswert oder Barwert genannt Kn = Endwert des Kapitals nach n Verzinsungsperioden n = Anzahl der Zinsperioden p = Zinssatz in % als Preis für die Überlassung von Kapital proportional zur Höhe des Kapitalbetrages und zur Zeitdauer der Überlassung; es sind folgende weiteren Beziehungen gebräuchlich: i = p/100 = Zinssatz als Dezimalzahl r = 1 + i = Basiswert des Aufzinsungsfaktors A = Annuität bzw. jährlich gleichbleibende Zahlung oder Rente

Von nachschüssiger Verzinsung spricht man, wenn die Zinsen jeweils am Ende der Zinsperiode

230

C. J. Diederichs und N. Preuß

Abb. 18 Die sechs möglichen Fälle bei Anwendung der Zinseszins- und Rentenrechnung bei nachschüssiger Verzinsung. (Quelle: Diederichs 2012, S. 525)

abgerechnet werden. Dies ist die gebräuchlichste Form der Zinsabrechnung. Sie ist daher auch den Erläuterungen zugrunde gelegt, sofern nichts Gegenteiliges ausdrücklich vermerkt ist. Von vorschüssiger (antizipativer) Verzinsung spricht man, wenn die Zinsen zu Beginn der Zinsperiode abgerechnet werden. Dies ist üblich beim An- und Verkauf von Wechseln.

Beispiel Für einen Wechsel mit einer Wechselsumme von 1000 € und einem Zinssatz von 2 % für die Laufzeit von 3 Monaten ist der Ankaufswert gesucht.

Es gilt die Beziehung: K 0 ¼ K n  ði  K n Þ ¼ K n  ð1  i Þ K0 ¼ 10:000  ð1,0  0,02Þ ¼ 980 €

4.1.1 Endwert eines Anfangskapitals Ein Kapital K0 wächst in einer Zeitperiode bei nachschüssiger Verzinsung auf den Betrag K1 = K0  (1 + i)1 = K0  r1 an. Werden die Zinsen nach Ablauf jeder Zinsperiode dem Kapitalbetrag K0 zugeschlagen, so ergibt sich folgende Kapitalentwicklung:

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

K2 ¼ K0  r

2

Kn ¼ K0  rn Der Faktor rn = (1 + i)n = (1 + p / 100)n wird als Aufzinsungsfaktor bezeichnet, der sowohl mit wachsendem Zinssatz p als auch mit der Anzahl der Zinsperioden n wächst. Beispiel Gesucht ist der Endwert Kn für ein Anfangskapital K0 = 10.000 € bei einem Zinssatz p von 8 % p. a. nach einer Laufzeit von n = 15 Jahren. Kn ¼ 10:000  3,1722 ¼ 31:722 €

4.1.2 Barwert eines Endkapitals Der Barwert K0 ist der Wert eines Endkapitals Kn, abgezinst auf einen bestimmten vorherigen Bezugszeitpunkt 0. Der Barwert zum Zeitpunkt der Betrachtung „heute“ wird auch als Gegenwartswert bezeichnet. Als Abzinsen wird der Vorgang bezeichnet, mit dem der Wert einer zukünftigen Zahlung (allgemein: zu einem Zeitpunkt vor der Zahlung) ermittelt wird. Der Abzinsungsfaktor vn ist der Kehrwert des Aufzinsungsfaktors rn. Er wird sowohl mit wachsendem Zinssatz p als auch mit der Anzahl der zugrunde gelegten Zinsperioden n kleiner. vn ¼ 1=rn ¼ 1=ð1 þ p=100Þn

Beispiel Gesucht ist der Barwert K0 einer Lebensversicherungssumme über 100.000 € bei einem Zinssatz von 6 % p. a., fällig nach 25 Jahren. K0 ¼ 100:000  0,2330 ¼ 23:300 € Bei vorschüssiger Verzinsung errechnet sich der Abzinsungsfaktor aus (1i)n. Diese Formel findet vornehmlich bei der degressiven Abschreibung (Abschreibung vom jeweiligen Restbuchwert bei gleichbleibendem Abschreibungssatz p) Anwendung.

231

4.1.3 Barwert einer jährlichen Rente Ist am Ende einer jeden von n Zinsperioden eine Einlage (Rente) zu zahlen, so bezeichnet man den Barwert, den die Summe der Einlagen (Renten) unter Berücksichtigung von Zinseszinsen zum Bezugszeitpunkt (Beginn der ersten Zinsperiode) hat, als Rentenbarwert. Dieser wird mit Hilfe des Rentenbarwertfaktors an (auch Vervielfältiger genannt) ermittelt.

an ¼

1  vn r n  1 ð 1 þ i Þ n  1 ¼ n ¼ r  i ð1 þ iÞn  i i

Mit wachsendem n strebt vn gegen Null. Der Rentenbarwertfaktor einer ewigen Rente wird damit zu:

an!1 ¼

1 i

Beispiel Gesucht ist der Barwert K0 einer jährlichen Zahlung A von 12.000 € über einen Zeitraum von n = 20 Jahren bei einem Zinssatz von 6 % p. a. K0 ¼ 12:000  11,4699 ¼ 137:639 € Summe der Einzahlungen ¼ 12:000  20 ¼ 240:000 € Beispiel Gesucht ist der Barwert einer ewigen Rente von 12.000 € pro Jahr bei einem Zinssatz von 6 % p. a. K0 ¼ 12:000=0,06 ¼ 200:000 €

4.1.4 Annuität eines Anfangskapitals Bei Anleihen und Hypotheken ist i. d. R. eine planmäßige Tilgung vorgesehen. Dabei wird vielfach vereinbart, dass Zins- und Tilgungszahlungen der Schuld in gleichbleibenden Raten erfolgen. Eine Jahresrate wird als Annuität A bezeichnet. Der Barwert der Annuitäten muss mindestens dem Anfangsbetrag der Schuld entsprechen.

232

C. J. Diederichs und N. Preuß

n

Restschuld nach n Jahren Kn

Annuität Annuität

6 % Zinsen für das n. Jahr

Tilgung am Ende des n. Jahres Tn

Jahre









1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

(10.000) 9332 8624 7874 7078 6235 5341 4393 3389 2324 1196 0

1268 1268 1268 1268 1268 1268 1268 1268 1268 1268 1268

600 560 518 472 425 374 320 264 203 140 72

668 708 750 796 843 894 948 1004 1065 1128 1196

13.948

3948

10.000

Summe

Abb. 19 Tilgungsplan für ein Darlehen. (Quelle: Diederichs 2012, S. 528)

= Annuität = K0 x 1/an bei nachschüssigen Zins- und Tilgungszahlungen K0 = Anfangsbetrag der Schuld n = Zahl der Jahre, in denen die Schuld getilgt werden soll 1/an = Annuitätsfaktor (Wiedergewinnungsfaktor), der dem Kehrwert des Rentenbarwertfaktors (Vervielfältiger) entspricht

A A

1 i rn  i ð1 þ iÞn  i ¼ ¼ ¼ an 1  v n rn  1 ð1 þ iÞn  1 Will man aus einer vorgegebenen Annuität die Gesamttilgungsdauer n errechnen, so ist folgende Formel anzuwenden: n¼

logA  logn ðA  ði  K o ÞÞ logr

Beispiel Eine Schuld mit einem Anfangsbetrag K0 von 10.000 € soll bei einer jährlichen Verzinsung von 6 % in 11 gleichen Jahresraten nachschüssig verzinst und getilgt werden. Gesucht ist die Annuität A. Ferner ist der Tilgungszeitraum n anhand obiger Formel zu überprüfen.

A ¼ K0 

1 a11

A ¼ 10:000  0,1268 ¼ 1268 € p: a:



log 1268  log ð1268  ð0,06 x 10:000ÞÞ log1,06



3,10312  2,82478 ¼ 11 Jahre 0,02531

In der kaufmännischen Praxis werden zur Gewinnung einer Übersicht über die planmäßige Entwicklung der Schuld Tilgungspläne aufgestellt. Diese Pläne sind auch für die Bilanzierung von Interesse. Für das obige Zahlenbeispiel ergibt sich der Tilgungsplan gem. Abb. 19.

4.1.5 Endwert einer jährlichen Rente Ist am Ende einer jeden von n Zinsperioden eine Einlage A (Rente) zu zahlen, so bezeichnet man den Endwert, den die Summe der Einlagen (Renten) unter Berücksichtigung von Zinseszinsen am Ende der letzten Zinsperiode hat, als Rentenendwert Kn.

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

K n ¼ A  en en = Rentenendwertfaktor, der sich aus dem Rentenbarwertfaktor an durch Multiplikation mit dem Aufzinsungsfaktor rn ergibt en ¼

an  r n ¼

r n  1 ð1 þ i Þn  1 ¼ i i

Beispiel Wie groß ist der Endwert Kn einer jährlichen Zahlung von 12.000 € bei einem Zinssatz von 5 % p. a. nach 20 Jahren?   K n ¼ 12:000  1,0520  1 =0,05 ¼ 12:000  33,066 ¼ 396:792 €

4.1.6 Annuität eines Endkapitals Analog zur Annuität eines Anfangskapitals ergibt sich die Annuität A, um zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Endkapital zur Verfügung zu haben, mit Hilfe des Wiedergewinnungsfaktors für den Endwert, der den Kehrwert des Rentenendwertfaktors darstellt oder aber auch den Wiedergewinnungsfaktor für das Anfangskapital, multipliziert mit dem Abzinsungsfaktor.

233

4.1.7 Zinssatzarten Im Zusammenhang mit Finanzierungsfragen und auch mit dynamischen Wirtschaftlichkeitsberechnungen sind verschiedene Arten des Zinssatzes von Bedeutung. Im Einzelnen werden der Nominal- und der Effektivzinssatz, der konforme Zinssatz und die unterjährige Verzinsung behandelt. Der Nominalzins pnom ist der auf den Nennwert eines Kapitals bezogene Zinssatz, z. B. 8 % auf den Nennwert einer Kommunalanleihe. Wesentlich wichtiger ist jedoch der Effektivzinssatz, der i. d. R. mit der Nominalverzinsung nicht übereinstimmt. Er wird von folgenden Faktoren bestimmt: • dem Kurswert oder Auszahlungskurs, • dem Nominalzinssatz, • den Zinsterminen (jährlich, halbjährlich, vierteljährlich oder monatlich) und • den Zinszeitpunkten (nach- oder vorschüssig). Zur genaueren Errechnung des Effektivzinssatzes sind z. T. komplizierte Formeln der Zinseszinsrechnung erforderlich. Eine Näherungsformel bei nachschüssiger Verzinsung und jährlichen Zins- und Tilgungszahlungen lautet: peff ¼

1 ¼ Wiedergewinnungsfaktor f u€r das Endkapital en 1 1 i i ¼ ¼  vn ¼ n e n an r  1 ð1 þ iÞn  1

Beispiel Gesucht ist die Höhe der jährlichen Zahlung A, um bei einer Verzinsung von 6 % p. a. nach 20 Jahren einen Endkapitalbetrag Kn von 100.000 € zur Verfügung zu haben. A ¼ Kn  A ¼ 100:000  

1 en

0,06  1,0620  1

¼ 100:000  0,0272 ¼ 2720 €

pnom  100 Kurswert ð%Þ þ

100 :=: Kurswert ð%Þ Laufzeit n in Jahren

Beispiel Gesucht ist die Höhe des Effektivzinssatzes peff bei einem Nominalzins pnom von 6,25 % p. a., einem Kurswert oder Auszahlungskurs von 92 % und einer Laufzeit von 5 Jahren. 6,25 100 :=: 92  100 þ ¼ 6,7935 þ 1,6 92 5 ¼ 8,3935 %

peff ¼

Ist vereinbart, dass die Zinsen in kleineren als jährlichen Zeitabständen abgerechnet werden, z. B. monatlich, so bezeichnet man den dem Jahreszins entsprechenden Zins als konformen Zinssatz pkonf. Er wird berechnet mit Hilfe der Gleichung:

234

C. J. Diederichs und N. Preuß

jðmÞ  100 m   p 1=m  1  100 ¼ 1þ 100

pkonf ¼

m = Anzahl der Zinsabrechnungen p. a. Beispiel Gesucht ist der vierteljährliche konforme Zinssatz bei einem Jahreszins von p = 8 %. jð4Þ  100 4 " # 14 8 ¼ 1þ ¼  1  100 100

pkonf ¼

telaufnahme als auch differenzierte Zinssätze. Daher muss man sich für praktische Zwecke mit einer näherungsweisen Bestimmung des kalkulatorischen bzw. des Soll- und Habenzinssatzes begnügen. Der kalkulatorische Zinssatz hat im Wesentlichen drei Funktionen zu erfüllen: 1. Er ist Ausdruck der vom Investor geforderten Mindestverzinsung des in der Investition gebundenen Kapitals. 2. Er steht stellvertretend für die Finanzierungskosten des Eigen- und Fremdkapitals. 3. Er macht als Diskontierungsfaktor die Ein- und Auszahlungsströme vergleichbar.

4.2

¼ 1,9427 % Bei Kreditgeschäften, die weniger als ein Jahr dauern, spricht man von unterjähriger Zinsabrechnung. Der Zinssatz ergibt sich dabei nach kaufmännischer Übung aus dem Jahreszins, multipliziert mit der Laufzeit in Tagen und dividiert durch 360, da das Jahr mit 360 Tagen und dementsprechend alle Monate einheitlich mit 30 Tagen angesetzt werden. Beispiel Gesucht ist der Zinsbetrag eines Kapitals von 10.000 €, das für die Zeit vom 01.02. bis einschließlich 10.06. zu einem Jahreszins von 9 % ausgeliehen wird. Zinsbetrag ¼ 10:000  0,09 

4.1.8

130 ¼ 325 € 360

Wahl des kalkulatorischen Zinssatzes Um die Vorteilhaftigkeit einer Investition mit Hilfe dynamischer Wirtschaftlichkeitsberechnungen oder auch der Kosten-Nutzen-Analyse bzw. der Kostenwirksamkeitsanalyse beurteilen zu können, ist es erforderlich, einen kalkulatorischen Zinssatz festzulegen. In der Realität kann man nicht von der Existenz eines vollkommenen Kapitalmarktes ausgehen. Es gibt vielmehr sowohl Beschränkungen für die Mit-

Rentabilitäts- und Wirtschaftlichkeitsberechnungen für Immobilien

Bei WB ist zu unterscheiden zwischen den statischen (einperiodigen) und dynamischen (mehrperiodigen) Verfahren. Allgemein spricht man von einer Investition, wenn die heutige Hingabe von Geld (= Auszahlung) in der Erwartung erfolgt, mit diesem Mitteleinsatz einen höheren Geldrückfluss (= Einzahlungen) in der Zukunft zu realisieren. Unter Finanzierung wird „die Bereitstellung finanzieller Mittel, die zur Durchführung einer Investition benötigt werden“, verstanden (Wöhe et al. 2016, S. 466).

4.2.1

Statische Investitionsrechenverfahren Statische Verfahren vernachlässigen den zeitlich unterschiedlichen Anfall der durch eine Investitionsmaßnahme verursachten Einnahmen und Ausgaben. Stattdessen werden Durchschnittswerte einer charakteristischen Zeitperiode verwendet. Sie eignen sich für Investitionen geringen Umfangs mit nur einzelwirtschaftlicher Wirkung und sind immer dann zu bevorzugen, wenn • keine differenzierten Daten für die gesamte Nutzungsdauer vorliegen bzw. der Aufwand für ihre Beschaffung nicht gerechtfertigt ist (Wirtschaftlichkeit der WB), • eine einfache WB schnell durchgeführt werden soll und

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

235

Abb. 20 Lösung des Auswahlproblems mit statischen Wirtschaftlichkeitsberechnungen bei der Bestimmung eines Investitionsprogramms. (Quelle: Kretschmar 1981, S. 1410)

• über Investitionsmaßnahmen oder Teile davon mit geringer Bedeutung bzw. niedrigen Kosten zu entscheiden ist. Verfahren der statischen Wirtschaftlichkeitsberechnungen sind die Kostenvergleichs-, die Gewinnvergleichs-, die Rentabilitäts- und die Statische Amortisationsrechnung. Sie dienen in erster Linie zur Beurteilung kleinerer Erweiterungs-, Rationalisierungs- oder Ersatzinvestitionen. Mit ihrer Hilfe lässt sich nur eine Aussage bezüglich der relativen Vorteilhaftigkeit von sich gegenseitig ausschließenden Alternativen gewinnen. Die absolute Vorteilhaftigkeit einer Einzelmaßnahme ist wegen der dann fehlenden Vergleichsmöglichkeit nicht überprüfbar. Da die vorgenannten Verfahren jeweils nur ein Wirtschaftlichkeitskriterium untersuchen, ist in der Praxis eine kombinierte Anwendung zu empfehlen. Erst dann können die betriebswirtschaftlich relevanten Kriterien der Kostenersparnis, des Gewinns, der Verzinsung des durchschnittlich eingesetzten Kapitals, des Vergleichs mit anderweitiger Kapitalverwendung und des Risikos sowie der Auswirkungen auf die Liquidität gemeinsam berücksichtigt werden. In Abb. 20 werden anhand eines Beispiels mit drei Investitionsalternativen zugleich ein Kostenvergleich, ein Gewinnvergleich, eine Rentabilitätsrechnung und eine Amortisationsrechnung vorgeführt.

Da die Nutzungsdauer und der Kapitaleinsatz unterschiedlich sind, hängt die Auswahl einer Alternative auch von den Annahmen über die mit der Differenzinvestition zu erzielenden Erfolge ab. Führt die nach Ablauf der Nutzungsdauer der Investitionsalternative III mögliche Kapitalanlage nicht mehr zu einem Jahresgewinn von 15.000, kann man nur den Gesamtgewinn aller Perioden heranziehen (90.000 zzgl. 4 x Gewinn der zukünftigen Differenzinvestitionen) im Vergleich zu 130.000 und 80.000 € der Alternativen I und II. Da hier auch der Kapitaleinsatz unterschiedlich und das Kapital i. d. R. Engpassfaktor ist, so ist die Rechnung um die Rentabilitätsziffer zu ergänzen. Beträgt das Gesamtbudget z. B. 150.000, so wären drei Anlagen des Typs II zu wählen. Kommt allerdings nur die Beschaffung von einer Einheit des Typs II in Frage und schließen sich die Alternativen nicht gegenseitig aus, so würde sich das Investitionsprogramm aus den Objekten I und II zusammensetzen. Dieses Programm ist jedoch nur dann optimal, wenn entweder die Nutzungsdauern der Objekte gleich lang sind oder aber man die betreffende Investition beliebig oft wiederholen kann. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so muss man die in Zukunft zu erwartenden Renditen der Differenzinvestitionen miteinbeziehen. Als Grundlage für die Schätzung des Risikos ist die Amortisationsdauer zusätzlich heranzuziehen. Alternative III hat zwar die kürzeste Amorti-

236

sationsdauer, aber auch die geringste Rückflussanzahl (Verhältnis zwischen Nutzungs- und Amortisationsdauer). Es zeigt sich, dass erst eine gemeinsame Betrachtung der jährlichen Kosten, Gewinne und Rentabilitäten sowie zusätzlich der Amortisationsdauern zur Beurteilung des Risikos eine umfassende Beurteilung der Vorteilhaftigkeit von Investitionen mit Hilfe statischer Wirtschaftlichkeitsberechnungen zulässt.

4.2.2

Dynamische Investitionsrechenverfahren Den dynamischen Wirtschaftlichkeitsberechnungen ist gemeinsam, dass sie im Gegensatz zu den statischen Verfahren nicht mit Durchschnittswerten arbeiten, sondern durch Berücksichtigung von Zeitreihen für die Zahlungsströme der Ein- und Ausgaben sowie Ab- oder Aufzinsung auf einen festen Bezugszeitpunkt die Vorteilhaftigkeit von Investitionen für die gesamte Nutzungsdauer bzw. bis zu einem bestimmten Planungshorizont untersuchen. Kriterien der Vorteilhaftigkeit sind die Höhe der Kapitalwerte, der internen Zinsfüße oder der Annuitäten. Mit allen Verfahren können sowohl einzelne Investitionen beurteilt als auch Auswahlprobleme zwischen verschiedenen Alternativen gelöst werden. Die Ausgaben setzen sich zusammen aus den Anschaffungsausgaben, den variablen Ausgaben für Löhne, Stoffe, Geräte und Fremdleistungen sowie den laufenden fixen Ausgaben zur Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft. Die Einnahmen sind das Ergebnis der Bewertung der mit der Investitionsmaßnahme erzielten Leistungen. 4.2.3 Kapitalwertmethode Ziel der Kapitalwertmethode ist die Ermittlung des Kapitalwertes einer Einzelinvestition oder alternativer Investitionen. Der Kapitalwert ist definiert als Differenz der Barwerte von Einnahmen- und Ausgabenreihen. Barwerte sind die auf einen gemeinsamen Bezugszeitpunkt ab- oder aufgezinsten Einnahmen und Ausgaben. Die Ab- bzw. Aufzinsung wird zu einem kalkulatorischen Zinssatz vorgenommen, der den Renditeerwartungen des Investors Rechnung tragen muss.

C. J. Diederichs und N. Preuß

Die Art der Ermittlung und damit seiner Höhe hängt von den jeweiligen betrieblichen Anlageund Finanzierungsmöglichkeiten ab. Bei fixem Eigenkapitalbestand, der in jedem Fall benötigt wird, und bei Fremdkapitalaufnahmemöglichkeit zu konstantem Zins entspricht der Kalkulationszinssatz mindestens dem Fremdkapitalzinssatz. Dabei ist ferner zu unterscheiden, ob bei den Einnahmen- und Ausgabenreihen mit konstanten Preisen oder mit laufenden Preisen unter Einbeziehung von Indexsteigerungen gerechnet wird. Bei konstanten Preisen ist der Nominalzins anzusetzen. Bei laufenden Preisen ergibt sich eine Näherungslösung, wenn die jährliche Preissteigerung (z. B. 2 %) vom kalkulatorischen Zinssatz abgezogen wird, d. h. 6 %  2 % = %. Eine genaue Lösung erhält man durch Aufzinsung mit 2 % und Abzinsung mit 6 %. Da der Soll- und Habenzins (Aufnahme- und Anlagezins) üblicherweise voneinander abweichen, ist zu empfehlen, anstelle eines gespaltenen Zinssatzes mindestens den höheren Zins (i. d. R. den Sollzins) als einheitlichen kalkulatorischen Zins zu wählen. Sorgfältig zu unterscheiden ist auch, ob der geforderte Mindestzinssatz brutto vor Steuern oder netto nach Steuern zu verstehen ist. Bei Kapitalgesellschaften ergibt sich z. B. bei einer geforderten Nettoverzinsung von 6 % eine erforderliche Bruttoverzinsung von etwa 12 % bei einem durchschnittlichen Einkommensteuersatz von 45 % sowohl der Fremd- als auch der Eigenkapitalgeber. Die Errechnung des Kapitalwertes einer Einzelinvestition setzt voraus, dass ihre Einnahmen und Ausgaben bzw. Saldi isoliert und bis zum Planungshorizont sowohl der Höhe als auch der zeitlichen Verteilung nach prognostiziert werden können. Beim Alternativenvergleich einschließlich Ersatzproblem ist sicherzustellen, dass die Alternativen vollständig sind, d. h., dass das jeweils gebundene Kapital jeweils gleich hoch und der Betrachtungszeitraum gleich lang sind. Dies wird beim Ersatzproblem dadurch gewährleistet, dass die Betrachtung nach einem für alle Alternativen gleichen Zeitraum abgebrochen und für dann noch funktionsfähige Anlagen mit Restwerten gearbeitet wird. Investitionsalternativen mit unter-

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

schiedlicher Kapitalbindung (im Anschaffungspreis, in der Nutzungsdauer und der zeitlichen Verteilung der Einnahmen und Ausgaben) werden durch Differenzinvestitionen vergleichbar gemacht. Führt man die Differenzinvestitionen nicht in den rechnerischen Vergleich ein, so wird davon ausgegangen, dass sie einen Kapitalwert von 0 erbringen. Nach der Kapitalwertmethode ist die absolute Vorteilhaftigkeit einer Einzelinvestition wie folgt zu beurteilen: • Ist der Kapitalwert positiv, so wird durch die Investition eine höhere Verzinsung des eingesetzten Kapitals erzielt als mit dem kalkulatorischen Zinsfuß vorausgesetzt, d. h., es wird darüber hinaus ein Vermögenszuwachs erwirtschaftet. • Ist der Kapitalwert negativ, so erreicht die Investition die geforderte kalkulatorische Verzinsung des Kapitaleinsatzes nicht. • Ist der Kapitalwert gleich Null, wird die Mindestverzinsung zum kalkulatorischen Zinssatz genau erreicht. Für die Beurteilung der relativen Vorteilhaftigkeit von alternativen Investitionsmaßnahmen gilt, dass eine Investition A vorteilhafter ist als eine Investition B, wenn der Kapitalwert von A höher ist als der von B. Die Realisierung von A ist dann zu befürworten, wenn A außerdem dem Kriterium der absoluten Vorteilhaftigkeit genügt, d. h. einen positiven Kapitalwert besitzt. Soll eine im Betrieb befindliche alte Anlage darauf überprüft werden, wann sie durch eine neue Anlage ersetzt werden sollte, so handelt es sich um das Ersatzproblem. Ein sofortiger Ersatz der alten Anlage ist dann vorteilhafter als erst nach Ablauf ihrer Restnutzungsdauer, wenn der Kapitalwert einer neuen Anlage zzgl. des Liquidationserlöses der alten Anlage größer ist als der Kapitalwert der alten Anlage. Die Formel zur Berechnung des Kapitalwertes lautet:

237

KW = Kapitalwert aus jährlichen Einnahmen Et und Ausgaben At, dem Anschaffungspreis AP und dem Restwert RWn Et = Einzahlungen in der Periode t At = Auszahlungen in der Periode t, d. h. laufende Kosten ohne Abschreibung und Zins (kalkulatorische Abschreibung und kalkulatorische Zinsen sind nicht anzusetzen, da der Anschaffungspreis (der Kapitaleinsatz) zum Zeitpunkt seines Anfalls (seiner Ausgabewirksamkeit) bereits in voller Höhe und die gewünschte Mindestverzinsung durch Ab- oder Aufzinsung mit dem kalkulatorischen Zinssatz berücksichtigt werden) p = kalkulatorischer Zinssatz i = p/100 r = (1 + i) vt = Abzinsungsfaktor t = jeweilige Zinsperiode 1 νt = r1t ¼ 1 p t ¼ ð1þi Þt ð1þ100Þ n = Anzahl der betrachteten Zinsperioden bzw. Nutzungsdauer der Investition (letztes Jahr von t) RW = Restwert = Restverkaufserlös (nicht Restbuchwert) AP = Anschaffungspreis Bei der praktischen Anwendung empfiehlt es sich, die Einnahmenüberschüsse (Et – At) getrennt zu betrachten, damit die Unterschiede im zeitmäßigen und wertmäßigen Anfall von Einnahmen und Ausgaben deutlich werden. Für die Barwertermittlung wird als gemeinsamer Bezugszeitpunkt i. d. R. der Gegenwartszeitpunkt oder das Jahr der Investitionen gewählt. Bei konstanten jährlichen Einnahmen oder Ausgaben können Barwerte auch durch Multiplikation der konstanten Jahresraten mit dem Rentenbarwertfaktor an ermittelt werden: BW = konstante Jahresrate (Einnahmen oder Ausgaben)  an BW = Barwert = Gegenwartswert

KW ¼

t¼1

n

ð1þiÞ 1 an ¼ rrn 1  i ¼ ð1þiÞn  i n

n X

ðE t  At Þ  νt þ RW  νn  AP

an = Rentenbarwertfaktor (Vervielfältiger)

238

C. J. Diederichs und N. Preuß

Projekt I Projekt II Nettozahlungen1 Nettozahlungen1 Nettozahlungen1 Nettozahlungen1 ZahAbzinlungs- sungsfakto(Zeitwert) (Barwert) (Zeitwert) (Barwert) zeitren vt für punkt i = 0,10 0 1,0000 -100.000 -100.000 -60.000 -60.000 1 0,9091 30.000 27.273 25.000 22.728 2 0,8264 40.000 33.056 25.000 20.660 3 0,7513 30.000 22.539 25.000 18.782 4 0,6830 20.000 13.660 5 0,6209 20.000 12.418 Kapitalwerte = Summe der +8946 +2170 Barwerte der Nettozahlungen 1 Nettozahlungen = Einzahlungs- oder Auszahlungsüberschüsse Abb. 21 Vergleich der Kapitalwerte von zwei Projekten I und II. (Quelle: Diederichs 2005, S. 236)

Der wesentliche Vorteil der Kapitalwertmethode liegt in der angemessenen Berücksichtigung des Zeitfaktors mit langfristiger Betrachtungsweise anstelle der Verwendung von Durchschnittswerten bei der statischen Investitionsrechnung. Nachteilig ist die aufwändigere Datenbeschaffung gegenüber den statischen Verfahren. Weiterhin bleiben – wie bei allen monovariablen Wirtschaftlichkeitsberechnungen – die Wirkungen nicht monetär bewertbarer Einflussfaktoren von der Methode her unberücksichtigt. In einem Beispiel wird die relative Vorteilhaftigkeit von zwei Alternativprojekten I und II anhand ihrer Kapitalwerte untersucht. Der in Abb. 21 dargestellte Vergleich zeigt, dass Projekt I gegenüber Projekt II wegen eines um (8946  2170) = 6776 höheren Kapitalwertes vorzuziehen ist. Beide Projekte sind absolut vorteilhaft, da sie beide einen positiven Kapitalwert aufweisen. Wird beim Projekt II im 3. Jahr eine Nachfolgeinvestition vorgenommen, so erhöht sich bei einem Betrachtungszeitraum von 5 Jahren der Kapitalwert von Projekt II von 2170 um 11.362 auf 13.532. Im Saldo der Einnahmen und Ausgaben des Projektes II in Höhe von 70.000 (Zeitwert) im 5. Jahr ist der Liquidationserlös der Nachfolgeinvestition bereits enthalten. Nunmehr zeigt sich gem. Abb. 22, dass Projekt II gegenüber

Projekt I wegen eines um (13.532  8946) = 4586 höheren Kapitalwertes vorzuziehen ist. Bei Hochbaumaßnahmen des Bundes ist gemäß Ziffer 2.2.2.1 Abschnitt E der RBBau der Leitfaden WU Hochbau des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), 3. Auflage August 2014, zu beachten, erstellt von DU Diederichs Projektmanagement AG & Co. KG Wuppertal, bei dem die Kapitalwertmethode anzuwenden ist (https://www.fib-bund.de/Inhalt/ Leitfaden/Wirtschaftlichkeit/2014-08_LFWU_Ho chbau_3-Auflage_BMUB_2014.pdf).

4.2.4 Interne Zinsfußmethode Bei dieser Methode geht man nicht von der durch den kalkulatorischen Zinssatz p bestimmten Mindestverzinsung aus, mit deren Hilfe man den Kapitalwert ermittelt. Stattdessen sucht man den internen Zinsfuß pi (Diskontierungszinssatz), der zu einem Kapitalwert von Null führt, d. h., bei dem die Barwerte der Einnahmen- und Ausgabenreihen gleich groß sind. Nach der Methode des internen Zinsfußes ist eine Einzelinvestition absolut vorteilhaft, wenn der interne Zinsfuß pi einen bestimmten Mindestwert erreicht, z. B. 5 % über dem aktuellen Kapitalmarktanlagezins. Eine Investition A ist relativ vorteilhafter im Vergleich zu einer Investition B, wenn sie einen

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

239

Projekt II Projekt II Nettozahlungen NachfolgeNachfolge(Barwert) investition Netto- investition zahlungen Nettozahlungen (Zeitwert) (Barwert) 0 1,0000 −100.000 −60.000 1 0,9091 27.273 22.728 2 0,8264 33.056 20.660 3 0,7513 22.539 18.782 −70.000 −52.591 4 0,6830 13.660 30.000 20.490 5 0,6209 12.418 70.000 43.463 Kapitalwerte +8946 +2170 +11.362 Kapitalwert Projekt II inkl. Nachfolgeinvestition + 2170 +13.532

Zahlungszeitpunkt

Abzinsungsfaktoren vt für i = 0,10

Projekt I Nettozahlungen (Barwert)

Abb. 22 Vergleich der Kapitalwerte unter Berücksichtigung einer Nachfolgeinvestition bei Projekt II. (Quelle: Diederichs 2005, S. 236)

höheren internen Zinsfuß aufweist als B. Zusätzlich muss der interne Zinsfuß von A einen vorgegebenen Mindestwert erreichen, damit die Maßnahme auch für sich allein empfohlen werden kann. Beim Ersatzproblem ist ein sofortiger Ersatz der alten Anlage dem Ersatz erst nach Ablauf der Restnutzungsdauer dann vorzuziehen, wenn sich beim sofortigen Ersatz ein höherer interner Zinsfuß errechnet. Die Methode des internen Zinsfußes erfordert die gleichen Voraussetzungen wie die Kapitalwertmethode, da sie auf diesem Verfahren basiert. Ihr Einsatz ist immer dann vorzuziehen, wenn nicht von vornherein ein bestimmter kalkulatorischer Zinssatz in die Berechnung eingeführt werden soll, sondern die Verzinsung des gebundenen Kapitals gefragt ist. Der interne Zinsfuß pi wird ermittelt, indem man die Kapitalwertfunktion = 0 setzt. Bei schwankenden jährlichen Einnahmen und/ oder Ausgaben Et und At gilt die Beziehung:

KW ¼

n X t¼1

KW ¼ 0 mit ðE t  At Þ  νt þ RW  νn  AP

Bei konstanten jährlichen Einnahmen und Ausgaben E und A kann mit Hilfe des Rentenbarwertfaktors vereinfacht werden: KW ¼ ðE  AÞ  an þ RW  vn  AP ¼ 0 Die Auflösung der Gleichungen nach dem internen Zinsfuß pi erfordert den Einsatz eines Tabellenkalkulationsprogramms (Lösung von Gleichungen n. Grades). Dieses ermittelt durch iteratives Einsetzen von Näherungswerten für den internen Zinssatz pi einen Kapitalwert von 0 (Newton’sches Näherungsverfahren und lineare Interpolation (regula falsi)). Aufgabe der dynamischen Amortisationsrechnung (Pay-Off-Methode) ist es, die dynamische Amortisationszeit einer Investition zu identifizieren. Sie beschreibt die Zeit, nach der der Kapitalwert einer spezifischen Investition gleich null ist. Dies bedeutet, dass der Investor zu jenem Zeitpunkt seine Anschaffungsauszahlung sowie dessen Verzinsung durch Einzahlungsüberschüsse zurückgewonnen hat. Unter der Prämisse, dass zum Amortisationszeitpunkt x der Anschaffungspreis A0 den kumulierten abgezinsten Einzahlungsüberschüssen entspricht, gilt nachfolgende Formel:

240

C. J. Diederichs und N. Preuß x X ðEt  At Þ t ¼ A0 t¼1 ð1 þ iÞ

Et = Einzahlungen in der Periode t At = Auszahlungen in der Periode t A0 = Anschaffungspreis x = Amortisationszeitpunkt

4.2.5 Annuitätenmethode Die Annuitätenmethode weist als Erfolgskriterium die Annuität, d. h. den finanzmathematischen Durchschnittsgewinn bzw. -verlust der Investition pro Jahr aus. Sie baut auf der Kapitalwertmethode auf. Die Annuität errechnet sich durch Umwandlung des Kapitalwertes der Investition in eine uniforme Rente von n Jahren durch Multiplikation des Kapitalwertes mit dem reziproken Rentenbarwertfaktor bzw. Wiedergewinnungsfaktor. Dieser Durchschnittsgewinn bzw. -verlust entspricht bei gleichen Einnahmeüberschüssen pro Jahr (Et  At) dem nicht abgezinsten Wert (Et  At), der in die Kapitalwertrechnung einging. Ist zusätzlich – wie meistens – eine Anschaffungsinvestition erforderlich und ein Restwert anzusetzen, so braucht man nur noch für diese die Annuitäten zu ermitteln und von dem Durchschnittsüberschuss bzw. -verlust abzuziehen bzw. ihm hinzuzufügen. Für den Restwert und auch für jährlich schwankenden Einnahmen und Ausgaben sind vorher die Barwerte mit Hilfe der Abzinsungsfaktoren zu ermitteln. Die absolute Vorteilhaftigkeit einer Investition ist immer dann gegeben, wenn ihre Annuität nicht negativ ist. Dies ist definitionsgemäß immer dann der Fall, wenn auch der Kapitalwert nicht negativ ist. Die relative Vorteilhaftigkeit einer Investition A ist gegeben, wenn sie eine höhere Annuität besitzt als die zu vergleichende Investition B. Weitere Voraussetzung ist, dass die Annuität von A positiv ist, es sei denn, dass im Alternativenvergleich die Rangreihe der Vorteilhaftigkeit aufgrund negativer Annuitäten ermittelt werden soll, z. B. der Baunutzungskosten.

Die Formel für die Anwendung der Annuitätenmethode lautet: A ¼ KW =an ¼ KW  1=an = Annuität = jährlich gleichbleibende Einnahme oder Ausgabe KW = Kapitalwert aus jährlichen Einnahmen Et und Ausgaben At, dem Anschaffungspreis AP und dem Restwert RWn A

an

n

ð1þiÞ 1 ¼ rrn 1  i ¼ ð1þiÞn  i n

an = Rentenbarwertfaktor (Vervielfältiger) 1/an = Wiedergewinnungsfaktor 1 an

n

1þiÞ  i ¼ ðð1þi Þn 1

In Abb. 23 wird die ökonomische Vorteilhaftigkeit von drei ausgewählten Bodenbelagsalternativen – Betonwerkstein, Naturwerkstein und Keramik – anhand ihrer Baunutzungskosten miteinander verglichen. Kapitalkosten und kalkulatorische Abschreibung sind mit Hilfe der Annuität zu ermitteln. Als kalkulatorischer Zinssatz p werden 5 % p. a. zugrunde gelegt. Zusätzlich sind die jährlichen Kosten aus Reinigung und Bauunterhalt zu berücksichtigen. Keramik und Betonwerkstein liegen mit 8 % Unterschied auf den Rängen 1 und 2. Der Naturstein auf Rang 3 erfordert um 32,1 % höhere Nutzungskosten gegenüber dem Keramikbelag. Das Ergebnis wird maßgeblich bestimmt durch die Reinigungskosten. Eine reine Ermittlung der jährlichen Nutzungskosten reicht aber vielfach für eine Entscheidung noch nicht aus. In die Beurteilung sind daher weitere nicht monetär bewertbare Faktoren einzubeziehen. Im vorliegenden Fall zählen dazu z. B. die gestalterisch ästhetische Materialwirkung, das Nutzungsverhalten (Abrieb- und Rutschfestigkeit, elektrische Leitfähigkeit, Resistenz gegen Kaugummi, Zigarettenglut, Streusalz) und das bauphysikalische Verhalten (Feuerwiderstand, Schall- und Wärmedämmung, wärmeenergetische Speicherfähigkeit). Instrument zur Einbeziehung dieser Kriterien ist die Nutzwertanalyse. Das Entscheidungsgremium kann dann anhand von vorgelegten Mus-

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

Lfd. Nr.

Kriterien

1

Investitionsausgaben K Index Nov. 2003, ohne MwSt. Nutzungsdauern n Wiedergewinnungsfaktoren 1/an für p = 5 % p. a. Annuität für Zins und Abschreibung Reinigungsleistung Reinigungskosten1 Bauunterhalt 2 % von K Nutzungskosten Zeilen 4+6+7 Rangfolge

2 3 4 5 6 7 8 9

241

Einheit

Bodenbelagsalternativen 1 Beton2 Natur3 Keramik werkstein werkstein 57,116,60,-

/m² Jahre 1

25 0,07095

40 0,05828

20 0,08024

/(m² . a)

4,04

6,76

4,81

m²/Lh /(m² . a) /(m² . a) /(m² . a)

160 54,69 1,14 59,87

140 62,50 2,32 71,58

180 48,60 1,20 54,61

109,6; 2

131,1; 3

100; 1

%; –

Abb. 23 Vergleich der Annuitäten (Nutzungskosten) von drei Bodenbelägen. (Quelle: Diederichs 2005, S. 239)

tern und den Ergebnissen der Annuitätenmethode sowie der Nutzwertanalyse für die nicht monetär bewertbaren Kriterien seine Entscheidung fällen.

Ergebnisse sind für jedes Gebäude/Bauwerk die Eingabewerte der Einnahmen und Ausgaben und die daraus ermittelten VOFI-Renditen rVOFI.

4.2.6

4.3

Vollständiger Finanzplan (VOFIMethode) VOFI bedeutet „Vollständige Finanzpläne“. Die VOFI-Methode unterscheidet sich von den anderen dynamischen Methoden der Investitionsrechnung, wie Kapitalwert- und Annuitäten-Methode, dadurch, dass alle mit der Investition verbundenen Ein- und Auszahlungen auf der Zeitachse mit ihren Zeitwerten (z. B. von t0 bis tn) auf den Planungshorizont tn und nicht auf den Gegenwartszeitpunkt bezogen werden (Sotelo 2016, S. 605). Die Anwendung der VOFI-Methode setzt daher z. B. für Gebäude/Bauwerke voraus, dass für diese die Zahlungsströme der voraussichtlichen Einnahmen aus Mieterträgen und Ausgaben aus Nutzungskosten sowie mögliche Reinvestitionen aus erwirtschafteten Überschüssen je Gebäude/Bauwerk ermittelt und in die VOFIEingaben übertragen werden. In die Zahlungsreihen der Ausgaben gehen auch die geplanten Instandhaltungsaufwendungen ein mit jährlicher Differenzierung für den Planungszeitraum nach Gebäuden/Bauwerken und Anlagengruppen.

Nutzen-KostenUntersuchungen (NKU)

Die Anwendung von Nutzen-Kosten-Untersuchungen (NKU) empfiehlt sich für Investitionen größeren Umfangs, die nicht nur einzelwirtschaftliche (betriebliche), sondern auch gesamtwirtschaftliche (gesellschaftliche bzw. soziale) Nutzen- und Kostenwirkungen haben. Im Wesentlichen haben sich drei Verfahren durchgesetzt: • die Kosten- Nutzen- Analyse (KNA), • die Nutzwertanalyse (NWA) und • die Kostenwirksamkeitsanalyse (KWA). Die beiden letztgenannten Verfahren erlauben auch die Einbeziehung nicht monetär bewertbarer Faktoren in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen. Sie kommen daher durchaus auch zur Beurteilung von nur einzelwirtschaftlich relevanten Alternativen in Betracht, bei denen nicht monetär bewertbare Zielkriterien eine besondere Rolle spielen.

242

NKU verursachen einen erheblich höheren Aufwand als Wirtschaftlichkeitsberechnungen (WB), die damit erst auch durch die Bedeutung des jeweiligen Investitionsvorhabens ihre Rechtfertigung erlangen. Bei komplexen Entscheidungsproblemen empfiehlt sich jedoch deren systematische Anwendung mit der Aufteilung in Verfahrensstufen, der Lösung der Teilprobleme auf jeder Stufe und der anschließenden Zusammenfassung der gewonnenen Teilergebnisse, so dass das Gesamtergebnis eine Hilfe für die zu treffenden Entscheidungen oder für auszuwählende Verhaltensweisen darstellt. Nachfolgend werden 12 Verfahrensstufen genannt, die je nach Komplexität der Investitionsentscheidung im Einzelfall zu durchlaufen sind: 1. Problemdefinition, Klären der Aufgabenstellung, Festlegen des Untersuchungsgegenstandes und des Untersuchungszieles, 2. Aufstellen des Zielsystems mit kosten- und nutzenrelevanten Teilzielen, 3. Gewichten der Teilziele nach ihrer Bedeutung für das Gesamtziel mittels Intervall- oder Verhältnisskalierung, 4. Aufzeigen der K.O.-Kriterien, der Randbedingungen und Bestimmen des Entscheidungsfeldes durch die objektiv gegebenen Umwelteinflüsse, 5. Vorauswahl der in der weiteren Analyse zu untersuchenden möglichen Alternativen, die nicht aufgrund der K.O.-Kriterien auszuschließen sind, 6. Erfassen und Beschreiben der entscheidungsrelevanten Vorteile (Nutzen) und Nachteile (Kosten) der Alternativen, Prognose der Auswirkungen der Maßnahmen während der angenommenen ökonomischen Nutzungsdauern, 7. Messen der Zielerreichungsgrade der Teilziele, Erarbeiten von Messergebnissen mit möglichst kardinaler, ggf. auch ordinaler oder nominaler Skalierung, 8. Bewerten der Zielerreichungsgrade der Teilziele, bei kardinalen Messergebnissen in Geldeinheiten, soweit möglich, sowie aller übrigen Messergebnisse mit Nutzenpunkten unter Anwendung von Transformations- oder Normierungsfunktionen,

C. J. Diederichs und N. Preuß

9. Auswahlvorschlag für die beste Alternative durch Gegenüberstellen der quantifizierten Nutzen- und Kostenalternativen, Zusammenfassen der Einzelbewertungen zu einer Gesamtbewertung – durch ein Verfahren der statischen oder dynamischen WB, sofern nur betriebliche Teilziele relevant, die alle monetär bewertbar sind, – durch eine KNA, sofern betriebliche und gesellschaftliche Kriterien relevant, die alle mit Geldeinheiten bewertbar sind, – durch eine NWA, sofern betriebliche und ggf. auch gesellschaftliche Kriterien relevant, die jedoch überwiegend nur mit Nutzenpunkten bewertbar sind, oder – durch eine KWA, sofern betriebliche und ggf. auch gesellschaftliche Kriterien relevant, wobei die Kostenkriterien in Geldeinheiten und die Nutzenkriterien mit Nutzenpunkten bewertbar sind, 10. Sensitivitätsanalyse durch Bestimmen der Unsicherheitsfaktoren und ihrer Auswirkungen auf die Analyseergebnisse, Verfahren der kritischen Werte, Verfahren zur Ermittlung der Outputänderung bei vorgegebener Inputänderung, 11. Diskussion der nicht quantifizierten Nutzen und Kosten, verbales Beschreiben der möglichen Auswirkungen intangibler Effekte, die ggf. bei der Untersuchung ausschließlich monetär bewerteter Nutzen und Kosten unberücksichtigt geblieben sind, sowie 12. kritische Gesamtbeurteilung des Untersuchungsergebnisses als Grundlage der Auswahlentscheidung, Vorgabe von Empfehlungen für das weitere Vorgehen.

4.3.1 Kosten-Nutzen-Analyse (KNA) Die KNA stellt zur Beurteilung der Vorteilhaftigkeit gesamtwirtschaftlich bedeutsamer Investitionen eine Beziehung zwischen dem Nutzen und den durch die Investition verursachten Kosten her. Sie bietet sich an, wenn alle betrieblichen und gesellschaftlichen Nutzen- und Kostenfaktoren in Geldeinheiten bewertbar sind. Die Vorgehensweise bei der KNA entspricht derjenigen der Kapitalwertmethode. Die entscheidungsrelevanten Nutzen- und Kostenfaktoren der betrachteten

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

Maßnahmen werden erfasst, bewertet und auf einen gemeinsamen Zeitpunkt diskontiert (Barwertermittlung). Anschließend wird wie bei der Kapitalwertmethode der Kapitalwert errechnet, indem man den Barwert aller Kosten von dem Barwert sämtlicher Nutzen subtrahiert. Für die einzelwirtschaftlichen (betrieblichen) Kosten- und Nutzenfaktoren können in der Praxis Marktpreise herangezogen werden (z. B. für Investitionen und Folgekosten). Die monetäre Bewertung von gesamtwirtschaftlichen (gesellschaftlichen/sozialen) Nutzen- und Kostenkomponenten unterliegt dagegen häufig erheblichen Bewertungsspielräumen. Die Kriterien der Vorteilhaftigkeit entsprechen denen der Kapitalwertmethode, allerdings nunmehr unter Einbeziehung auch gesamtwirtschaftlicher Nutzen- und Kostenaspekte: • Eine Investition ist absolut vorteilhaft, wenn sich ein Kapitalwert  0 errechnet. Ist dieser dagegen negativ, so sind die einzel- und gesamtwirtschaftlichen Kostenfaktoren größer als die Nutzenfaktoren. • Eine Investition A ist relativ zu einer Investition B dann vorteilhafter, wenn sich für A ein größerer Kapitalwert errechnet als für B. Zusätzlich ist zu fordern, dass der Kapitalwert von A positiv ist. Durch Einbeziehung gesellschaftlicher Teilziele vermag die KNA durchaus mehr zu leisten als die Methoden der reinen betriebswirtschaftlichen Investitionsrechnungen. Dabei steht die gesamtwirtschaftliche Bedeutung, d. h. die monetär bewertbare Innen- und Außenwirkung der Gesamtmaßnahme, im Vordergrund der Betrachtung und nicht die Behandlung einzelner Teile. Die Anwendung der KNA soll durch das nachfolgende Beispiel erläutert werden. Die Vorteilhaftigkeit eines Schnellstraßenneubaus zwischen zwei Städten A und B, zwischen denen bisher eine Verbindung nur auf Umwegen besteht, soll mit Hilfe einer KNA beurteilt werden. Das Ergebnis einer nur einzelwirtschaftlichen Betrachtungsweise zeigt Ziff. 5 in der Abb. 24. Die Kapitalwertberechnung aus den Straßenbaulastträgerkosten (Investitionen und Kosteneinsparung durch verminderte Instandhaltungs- und Si-

243

cherungsmaßnahmen) ergibt einen negativen Barwert von 498,5 Mio. €. Daher werden unter Ziff. 6 und 7 der Abb. 24 auch die gesamtwirtschaftlichen Nutzen- und Kostenwirkungen in die Betrachtung einbezogen. Unter den getroffenen Annahmen ergibt sich dann eine jährliche Kfz-Betriebskostenersparnis von 108 Mio. € sowie eine jährliche Fahrzeitersparnis von 18,2 Mio. € für die Nutzer. Aus der entstehenden Lärmbelästigung in einem angrenzenden Wohngebiet ist dagegen eine Mietwertminderung von 4,8 Mio. € pro Jahr anzusetzen (Diederichs 2005, S. 241–243). Mit diesen Prämissen ergibt sich gemäß Abb. 25 ein positiver Kapitalwert von 671,6 Mio. €. Danach ist der Bau der Schnellstraße nun nicht mehr abzulehnen wie bei einzelwirtschaftlicher Betrachtungsweise, sondern eindeutig zu empfehlen, da sich gesamtwirtschaftlich ein Vermögenszuwachs in Höhe des positiven Kapitalwertes über die Verzinsung des eingesetzten Kapitals in Höhe von 6 % hinaus einstellt. Problematisch bleiben die Ansätze für die gesellschaftlichen Nutzen- und Kostenkennwerte, deren Veränderung das Ergebnis einer KNA ganz erheblich beeinträchtigen kann (Diederichs 2005, S. 242).

4.3.2 Nutzwertanalyse (NWA) Die NWA kommt zur Anwendung, wenn einige der einzel- oder gesamtwirtschaftlichen Zielkriterien nicht in Geldeinheiten, sondern nur mit Nutzenpunkten bewertet werden können. Sie erlaubt damit auch multivariable Zielsysteme. Alle Teilziele inkl. der nicht in Geldeinheiten bewertbaren gesellschaftlichen, ökologischen, ästhetischen und sonstigen nicht ökonomischen Faktoren werden durch eine Bewertung mit Nutzenpunkten gleichnamig gemacht und entsprechend ihrer Bedeutung für den gesamten Nutzen gewichtet. Die für jedes Kriterium vergebenen Nutzenpunkte werden mit den Gewichtungsfaktoren multipliziert und ergeben damit gewichtete Nutzenpunkte. Aus der Addition ergibt sich der Gesamtnutzwert der betrachteten Maßnahme. Mit einer NWA kann nicht entschieden werden, ob eine Maßnahme für sich allein unter Berücksichtigung eines mehrdimensionalen Zielsystems zu befürworten ist. Sie lässt nur eine

244

C. J. Diederichs und N. Preuß

1. Investitionskosten = Kapitaleinsatz in den Jahren t = 0 bis 2 2. Kosteneinsparungen durch per Saldo verminderte Instandhaltungs- und Sicherungskosten an bestehenden Straßen und neuer Schnellstraße ab t = 3 bis 20 3. Betrachtungszeitraum n = 4. Kalkulatorischer Zinssatz p = 5. Straßenbaulastträgerkosten Jahr 0 1 2 3 • • 20

Art Abzinsungsfaktor p = 6 % 1 Investitionen 0,9434 Investitionen Lärmbelästigung 0,8900 Investitionen 0,8396 Ersparnis Instandhaltung und Sicherung

0,3118 Kapitalwert

dto.

6. Straßennutzerkostenersparnis 6.1 Kfz-Betriebskostenersparnis - Verkürzung der Strecke zwischen A und B - durchschnittliche tägliche Verkehrsmenge Q in beiden Richtungen - spez. Kfz-Betriebskostenersparnis - jährlicher Nutzen aus Kfz-Betriebskostenersparnis 50 . 15.000 . 0,40 . 360 Tage/Jahr = 6.2 Fahrzeitersparnis - Zeitersparnis durch Streckenkürzung - durchschnittliche Besetzung der Fahrzeuge - hypothetische Zahlungsbereitschaft für den Gewinn zusätzlicher Freizeit 6.3 - jährlicher Nutzen aus Fahrzeitersparnis 0,75 . 1,5 . 15.000 . 360 . 3, - = 7. Lärmbelästigung - zusätzliche Lärmbelästigung - spezifische Mietwertminderung - jährliche Mietwertminderung –4000 x 100 x 12 =

−580 Mio. +5 Mio. /Jahr 20 Jahre 6% Zeitwert Mio. − 180 −200

Barwert Mio. −180,00 −188,68

− 200 + 5

−178,00 + 4,20

+ 5

+ 1 ,5 6 − 498,50

50 km 15.000 Kfz/Tag 0,40 /(km . Fahrzeug) +108 Mio. /Jahr 0,75 Std/(Kfz . Tag) 1,5 Personen/Fahrzeug 3,- /(Pers. . Std) +18,225 Mio. /Jahr 4.000 Wohneinheiten 100 /(Wohnung . Monat) −4,8 Mio. /Jahr

Abb. 24 KNA-Schnellstraßenneubau zwischen A und B – Ausgangsdaten. (Quelle: Diederichs 2005, S. 242)

Aussage zu über die relative Vorteilhaftigkeit beim Vergleich alternativer Maßnahmen und ermöglicht das Aufstellen einer Rangfolge. Dies gilt auch für den Vergleich zwischen Mit- und Ohne-Fall, d. h. zwischen Tun und Unterlassen. Die Maßnahme mit dem höchsten Gesamtnutzwert (den höchsten gewichteten Nutzenpunkten) ist – bezogen auf die in die NWA einbezogenen

Teilziele – am vorteilhaftesten und gegenüber den anderen Maßnahmen zu bevorzugen. Die NWA verlangt, dass möglichst viele Teilziele kardinal gemessen und über Transformationsfunktionen mit Nutzenpunkten bewertet werden können. Bei nur ordinaler oder nominaler Mess-/Bewertbarkeit von Teilzielen hat die methodisch nicht ganz einwandfreie, jedoch in

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

Jahr Abzinsungsfaktor p=6% 0 1,0000 1 0,9434 2 0,8900 3 0,8396

Kosten in Mio. Art Investitionen Investitionen Investitionen Lärmbelästigung

4 0,7921 Lärmbelästigung . . . 20 0,3118 Lärmbelästigung Summen der Barwerte Kapitalwerte

245

Zeitwert Barwert Nutzen in Mio. Mio. Mio. Art −180,0 −180,00 −200,0 −188,68 −200,0 −178,00 –4,8 −4,03 Ersparnis aus Instandhaltung Ersparnis KfzBetriebskosten Ersparnis Fahrzeit

Zeitwert Barwert Mio. Mio.

5,000 108,000 18,225 131,225

110,177

−4,8

−3,8 Ersparnis dto.

131,225

103,943

−4,8

−1,50 Ersparnis dto. − 592,94 +671,614

131,225

40,916 +1.264,55

Abb. 25 KNA-Schnellstraßenneubau zwischen A und B – Ergebnisse. (Quelle: Diederichs 2005, S. 243)

der Praxis übliche unmittelbare Bewertung mit Nutzenpunkten ohne vorausgehende Messung des Erfüllungsgrades der Teilziele vielfach stark subjektiven Charakter. Die Betrachtung der finanziellen Konsequenzen als Teilaspekt der NWA besitzt den Vorteil, dass der Entscheidungsträger auch über die wirtschaftlichen Konsequenzen der Maßnahme informiert wird. Die NWA ist keine geschlossene Entscheidungsrechnung, sondern ein offener Entscheidungsrahmen zur Gewährleistung von Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung. Einzelne Inputgrößen sind das Ergebnis subjektiver Beurteilung. Gerade im Hinblick auf diese Daten ist es wichtig zu wissen, ob und inwieweit sich Fehlurteile auf das Ergebnis der NWA auswirken. Diese Frage muss mit Hilfe von Sensitivitätsanalysen sorgfältig geprüft werden. Die Durchführung einer NWA ist relativ aufwändig. Sie sollte sich daher auf komplexe Investitionen mit einer Vielzahl entscheidungsrelevanter, mit einer WB nicht erfassbarer Faktoren beschränken. Durch Begrenzung des Zielkatalogs auf Teilaspekte der relevanten Probleme besteht die Gefahr der Verschleierung von Konfliktpunkten. Der Anschein wis-

senschaftlicher Herleitung kann bei Missbrauch zur Begünstigung irrationaler Entscheidungen führen. Bei der NWA gibt es keine intangiblen Effekte, da auch nur verbal beschreibbare Kriterien, wie z. B. Beeinträchtigung der schönen Aussicht oder Veränderung der städtebaulichen Struktur, durchaus mit Nutzenpunkten bewertbar sind und somit auch in den Zielkatalog einbezogen werden können. Die einzelnen Verfahrensschritte sollen durch das nachfolgende Beispiel verdeutlicht werden: Für die Auswahl einer Gewerbegebietsfläche in einer Kreisstadt soll als Entscheidungshilfe eine NWA erstellt werden (Abb. 27). Bei der Auswahl eines Grundstückes für z. B. ein Amtsgerichtsgebäude, ein Krankenhaus, eine Schule oder einen einzelnen Gewerbebetrieb ist analog vorzugehen. • Aufstellen des hierarchisch strukturierten mehrdimensionalen Zielkatalogmit z. B. bis zu drei Hierarchieebenen und operationale Formulierung der Teilziele kj auf der jeweils untersten Ebene • Gewichten der Teilziele zur Berücksichtigung ihrer relativen Bedeutung für das Gesamtziel durch prozentuale Zielgewichte gj. Es emp-

246

C. J. Diederichs und N. Preuß

Nutzenpunkte

sehr gut

10

1.23 1.25

gut

8 2.2

befriedigend

6

ausreichend

4

mangelhaft

2

Teilziele: 1.23 Tragfähigkeit

0

1.32

N/cm² 50

1.25 Erweiterungsfähigkeit

40

30

20

10

0 %

0

50

100

1.32 Kosten Verkehrserschließung 2.2 Beanspruchung des innerörtlichen Straßennetzes

T 100

300

200

400 m

1000

800

600

400

200

0

Abb. 26 Transformationsfunktionen zur NWA (Auszug). (Quelle: Diederichs 2005, S. 245)

fiehlt sich, diese subjektive Einschätzung nicht nur von der Gruppe vornehmen zu lassen, die die NWA erstellt. Durch schriftliche Befragung aller beteiligten Stellen wird gewährleistet, dass die unterschiedlichen Interessenslagen ihren Niederschlag in der Gewichtung finden. Im vorliegenden Fall werden 100 Gewichtspunkte Gj zunächst auf die drei Teilziele mit 40, 35 und 25 Punkten aufgeteilt. Anschließend werden diese Punktzahlen auf eine bzw. zwei weitere Hierarchieebenen verteilt. • Auswahl der Alternativen Ai: – A1 Gebiet südwestlicher Ortsrand – A2 Gebiet nordwestlicher Ortsrand – A3 Gebiet Nordrand • Messen und Bewerten der Erfüllungsgrade der Teilziele. Die Messergebnisse können nur durch sorgfältige Untersuchungen gewonnen werden. Teilweise ist auch die Einschaltung von Gutachtern erforderlich, z. B. bei der Ermittlung der Tragfähigkeit des Baugrundes.

Zu den Teilzeilen gehören auch geringe Kosten (vgl. Nrn. 1.12, 1.32, 1.41 und 1.42). Dazu sind entsprechende Bewertungen in Geldeinheiten erforderlich. Für die Umformung der mehrdimensionalen Messergebnisse in eindimensionale Nutzenpunkte werden Transformationsfunktionen verwendet, die auszugsweise in Abb. 26 dargestellt sind. Die verbale Erläuterung zu der jeweiligen Punktzahl bietet dabei eine entsprechende Orientierungshilfe. Ergebnis sind die Zielertragswerte kij (Abb. 27). • Ermitteln der Teilnutzwerte Nij durch Multiplikation der Zielertragswerte kij für alle Alternativen mit den Zielgewichten gj. • Ermitteln der Gesamtnutzwerte Ni durch Addition der Teilnutzwerte Nij und Rangbestimmung. Aus der Addition der Teilnutzwerte ergibt sich gemäß Abb. 27 Rang 1 für das

Projektentwicklung und Immobilienmanagement Teilziele kj

Gewichte gj in %

Nr. Kurzbezeichnung 1 1.1 1.11 1.12 1.13 1.2 1.21 1.22 1.23 1.24 1.25 1.3 1.31

Geeignetes Grundst. Grundstücksmarkt Verfügbarkeit geringe Kosten Angebot und Nachfrage Eignung Grundstückstiefe ca. 80 bis 100 m? Gefälle Tragfähigkeit Grundstücksgröße >2.0 ha? Erweiterungsfähigkeit Verkehrserschließung Art

1.32

Kosten

1.4

Wasserversorgung Abwasserbeseitigung Wasserversorgung Kosten

1.41

1.42 2

2.11

2.12

Luftreinhaltung

2.13

Erreichbarkeit der Gewerbegebiete zu Fuß Beanspruchung des innerörtlichen Straßennetzes

2.1

2.2

3 3.1

3.2

Erhaltung der Landwirtschaft Wird die Existenz von Landwirten bedroht? Ersatzbeschaffung landwirtschaftlicher Nutzflächen notwendig? Summen

Kardinale Messung bzw. Bewertung in , soweit möglich, A1: Südwest

A2: Nordwest

A3: Nord

Teilnutzwerte ZielertragsNij werte kij Bewerten mit Nutzenpunkten von 0 bis 10 A1 A2 A3 A1 A2 A3

40 14 5 in 1–2 Jahren in 1–2 Jahren sofort 6 4 /m² 4 /m² 2 /m² 3 Angebot mittel Angebot groß Angebot groß Nachfrage groß Nachfrage groß Nachfrage mittel

6 4 8

6 4 10

10 8 8

30 24 24

30 24 30

50 48 24

10 3 >100 m

60 m 6% 40 N/cm² 2,2 ha

3 0% 1 20 N/cm² 2 4,5 ha

10 4 10

2 6 10

5 8 8

30 4 20

6 6 20

15 8 16

1 >100 %

ca. 50 %

0%

10

6

2

10

6

2

4 über Umgehungsstraße

8

4

6

2

6

4

4 keine Zusatzkosten

über über VerbinOrtsdurchfahrt dungsstr. zur nächsten Gemeinde Ausbau Ausbau 100 T 50 T

10

2

4

40

8

6

4 direkter Anschluss, keine Zusatzkosten 4 neuer Hauptsammler 50 T

Anschluss über Gemeindenetz Zuleitg. 25 T Anschluss an Hauptsammler 10 T

10

2

6

40

8

24

2

10

6

8

40

24

6 Abstand zur Wohnbebauung 200 m mit Waldgürtel als Trennzone wie vor, z. T. in 6 Windrichtung 4 nahe Ortsmitte nahe Ortsrand 800 m von Orts10 mitte von Ortsmitte 5 von Ortsmitte gesamte zur UmgeOrtsdurchfahrt z. Gemeindevebinhungsstraße ca. ca. 100 m dungsstraße ca. 300 m 500 m

2

10

48

16

80

2

8

48

16

64

8

4

40

32

16

2

7

75

30 105

z. T., da guter nein, da Hof aus Ackerboden Altersgründen aufgegeben wird

10

6

10 150

90 150

ca. 40 %

10

6

10 100

60 100

8

8

Abwasserbeseitigung Kosten Beeinflussung der Umweltbedingungen Beeinflussung der Wohnqualität Lärmbelästigung

247

Lage an Quellgebiet Zuleitg. 10 T Verlängerung Hauptsammler 30 T

35 20 Abstand zur 8 Abstand zur Wohnbebauung W.-bebauung ca. 30 m, nicht ca. 50 m, z. T. in Windrich- in Windrichtung tung 8 wie vor wie vor

15

25 15

10

nein, da nur Grünland geringer Qualität nein

nein

100

753 456 794

Abb. 27 NWA für die Auswahl eines Gewerbegebietes. (Quelle: Diederichs 2005, S. 246)

Gebiet am Nordrand (A3) mit 794 gewichteten Punkten, Rang 2 für das Gebiet am südwestlichen Ortsrand (A1) mit 753 gewichteten Punkten und Rang 3 für das Gebiet am nordwestlichen Ortsrand (A2) mit nur 456 gewichteten Punkten.

• Sensitivitätsanalyse und Interpretation des Ergebnisses: Die Alternative A3 weist einen nur um 41 gewichtete Punkte höheren Nutzen aus als A1. A2 ist dagegen mit einem Rückstand von 338 bzw. 297 Punkten weit abgeschlagen. Sie scheidet daher aus den weiteren

248

Betrachtungen aus. Für die Alternativen A1 und A3 ist jedoch durch eine Sensitivitätsanalyse zu untersuchen, ob und inwieweit durch eine Veränderung der Ausgangsgrößen Veränderungen des Gesamtnutzwertes und damit ggf. auch der Rangfolge ausgelöst werden. Dabei ist den Konsequenzen veränderter Gewichtungen und Bewertungen oder auch veränderter Teilziele besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Als Ergebnis der Sensitivitätsanalyse ist ein Entscheidungsvorschlag zugunsten von A1 oder A3 zu erarbeiten (Diederichs 2005, S. 243–246).

4.3.3

Kostenwirksamkeitsanalyse (KWA) Die KWA ist wie die KNA und NWA eine Methode zur Rangbestimmung bei komplexen Entscheidungs- und Handlungsalternativen. Sie erlaubt wie die NWA die Einbeziehung multivariabler Zielsysteme. Als Nachteil der KNA wurde herausgestellt, dass die nicht in Geldeinheiten bewertbaren Faktoren von der Methode her keine Berücksichtigung finden, sondern nur als intangible Effekte verbal diskutiert werden können. Nachteil der NWA ist dagegen, dass der Kostenaspekt u. U. nur unzureichende Beachtung findet. Die KWA vermeidet diese Nachteile dadurch, dass sie die Kostenseite wie bei der KNA und die Nutzenseite wie bei der NWA behandelt. Wie bei der NWA kann auch mit der KWA nicht entschieden werden, ob eine Maßnahme für sich allein gesamtwirtschaftlich von Vorteil ist. Die infolge der Punktebewertung dimensionslose Gesamtwirksamkeit erlaubt keine Beurteilung einer Einzelmaßnahme, sondern nur eine Aussage über die relative Vorteilhaftigkeit von Investitionsalternativen und damit die Aufstellung einer Rangliste. Ein Vergleich zwischen den Alternativen „Mit-Investition“ und „Ohne-Investition“ ist allerdings ebenfalls möglich (Mit-Fall und Ohne-Fall). Die KWA erlangt ihre besondere Bedeutung gegenüber der KNA und NWA somit dadurch, dass sie die Vorteile beider Verfahren nutzt und gleichzeitig deren Nachteile vermeidet.

C. J. Diederichs und N. Preuß

Die Vorteile der KWA decken sich insoweit mit denen der KNA und der NWA. Die KWA kann subjektive Präferenzen unterschiedlicher Herkunft in einem institutionalisierten Verfahren berücksichtigen. Unterschiedliche Bewertungen werden offengelegt. Ihre Auswirkungen sind kontrollierbar. Bewertungskonflikte können in kooperativen Bewertungsprozessen ausgetragen werden. Die Kostenwirkungen erhalten den ihnen gebührenden Stellenwert. Die Gefahr des Selbstzweckes, der Verschleierung von Konfliktpunkten und des Missbrauchs unter dem Anschein wissenschaftlicher Herleitung besteht wie bei der NWA. Für die nicht monetär bewertbaren Teilziele bleiben Veränderungen im Zeitablauf unberücksichtigt, da sie nicht diskontierbar sind. Auch eine KWA kann immer nur eine Entscheidungshilfe bieten. Die Entscheidung selbst muss unter konsequenter Respektierung der politischen oder unternehmerischen Entscheidungsbefugnisse letztlich immer von den Entscheidungsinstanzen getragen werden, von denen die Untersuchung in Auftrag gegeben wurde. Zur Bewahrung ihrer Objektivität sollten sich die Entscheidungsträger daher selbst nicht an der Erstellung der Investitionsrechnung beteiligen. An einem einfachen Beispiel aus dem Industriebau soll die Vorgehensweise bei Anwendung der KWA veranschaulicht werden. Die Aufgabe besteht darin, aus drei Grundrissalternativen für eine Montagehalle diejenige auszuwählen, die unter Einhaltung vorgegebener Kostengrenzen und Mindestwirksamkeiten nach den Kriterien des paarweisen Vergleichs oder des Quotientenvergleichs zu bevorzugen ist. Die Ausgangsdaten mit jährlichen Nutzungskosten, den Zielkriterien kj, die nicht monetär bewertbar sind, und ihre jeweilige Erfüllung durch die drei Alternativen zeigen Abb. 28 und 29. Abb. 30 enthält die zur Ermittlung der Gesamtwirksamkeiten erforderlichen Daten und Ergebnisse: • die Gewichtsprozente gj für die nicht monetär bewertbaren Teilziele, • die mit Hilfe von Transformationsfunktionen ermittelten Zielertragswerte kij durch Zuordnung von Wirksamkeitspunkten zwischen 0 und 10,

Projektentwicklung und Immobilienmanagement Lfd. Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Kriterium Investitionsausgaben netto K, Index 02/2004 Nutzungsdauer Annuität des Barwertes der Investitionsausgaben bei p=5% Bauunterhalt 1 % von K Betriebskosten Baunutzungskosten Zeilen 3 bis 5 Erfüllung Flächenprogramm Verhältnis AUF/BGF Verhältnis VF/BGF Zugänglichkeit zu Arbeitsund Lagerplätzen Anzahl der Hallentore Bedienung durch Kranbahn Montage/Lager/Malerei Flexibilität der Montageplatznutzung Erweiterungsmöglichkeiten Verkehrsbeziehungen Montage/Lager/Malerei

Einheit

249 A1: Langbau 11.059

T

A2: Kompaktbau Lager in der Mitte 10.783

A3: Kompaktbau Lager als Kopfbau

10.944

Jahre T /a

50 606

50 591

50 599

T /a T /a T /a

111 422 1159

108 404 1103

109 350 1058

% % %

90 166 17 gut

84 133 32 befriedigend

91 145 17 gut

St.

30 getrennt

4 getrennt

4 gemeinsam

bedingt gegeben 0 kreuzende Verkehrsströme

gegeben

gut gegeben

50 teilweise kreuzende Verkehrsströme befriedigend

50 klarer Verkehrsfluss

%

Einbindung in die Umgebung

schlecht

gut

Abb. 28 KWA für drei Grundrissalternativen einer Montagehalle – Ausgangsdaten. (Quelle: Diederichs 2005, S. 248)

• die Teilwirksamkeiten Wij aus der Multiplikation von Gewichtsprozenten gj und Zielertragswerten kij sowie • die Gesamtwirksamkeiten Wi durch Addition der Teilwirksamkeiten Wij. Als Ergebnis ist festzustellen, dass die Alternative 3 Kompaktbau mit dem Lager als Kopfbau wegen der niedrigsten Nutzungskosten und der bei weitem höchsten Gesamtwirksamkeit und infolgedessen auch des höchsten Wirksamkeits-/Kosten- Verhältnisses eindeutig vor den beiden anderen Alternativen zu bevorzugen ist. In Abb. 31 ist das Ergebnis des paarweisen Vergleichs und des Quotientenvergleichs grafisch aufgetragen. Aufgrund der relativ großen Unterschiede zwischen den Gesamtwirksamkeiten der drei Alternativen ist im vorliegenden Fall aus einer Sensitivitätsanalyse keine Veränderung der Rangfolge zu erwarten.

4.4

Zusammenfassung

In diesem Beitrag werden die Grundlagen der Investitionsrechnung vorgestellt, wobei die Grund-

lagen der Zinseszins- und Rentenrechnung vorangestellt werden. Nach Einteilung der Investitionsrechnungsverfahren werden zunächst die statischen Wirtschaftlichkeitsberechnungen zusammenfassend behandelt. Anschließend werden aus den dynamischen Verfahren die Kapitalwertmethode, die Methode des internen Zinsfußes und die Annuitätenmethode anhand von Beispielen erläutert. Als Übergang zu gesamtwirtschaftlichen Nutzen/Kosten-Untersuchungen wird zuerst die Kosten-Nutzen-Analyse erläutert, die ebenfalls noch den monovariablen Wirtschaftlichkeitsberechnungen zuzurechnen ist, da sie Anwendung für durchgängig in Geldeinheiten bewertbare Nutzenund Kostenfaktoren findet. Im Anschluss daran werden die multivariablen Verfahren der Nutzwertanalyse und der Kostenwirksamkeitsanalyse vorgestellt und durch Beispiele erläutert, die die Einbeziehung mehrdimensionaler Zielsysteme erlauben. Wegen der Ungewissheit zukünftiger Entwicklungen ist es notwendig, durch Empfindlichkeitsprüfungen die Unsicherheiten in den Investitionsrechnungen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf

250

C. J. Diederichs und N. Preuß 57,60 28,80

28,80

1

9,60

2

9,60

22

Spritzund Lackier.

21

12

19

13

28

20

14

96,00

11

18

27

5

10

17

26

4

9

16

25

3

15

24

Kranbahn

23

6

28,80

28,80 7 8

Lager und Magazin

Abb. 29 Grundriss und Schnitt einer Montagehalle. (Quelle: Diederichs 2005, S. 248)

Lfd. Nr.

Kriterium

Gewicht in %

1 Erfüllung Flächenprogramm 20 2 Verhältnis AUF/BGF 5 3 Verhältnis VF/BGF 10 4 Zugänglichkeit 10 5 Anzahl Hallentore 5 6 Bedienung durch Kranbahn 15 7 Flexibilität 10 8 Erweiterungsmöglichkeit 10 9 Verkehrsbeziehungen 10 10 Einbindung in die Umgebung 5 Summe 100 Wirksamkeits-/Kosten-Verhältnis (Punkte x a/100 T )

Wirksamkeitspunkte von 0 bis 10 A1 A2 A3 5 2 6 1 9 6 9 0 9 9 5 9 0 9 9 4 8 8 3 6 9 0 8 8 3 6 9 0 5 8 Gesamtwirksamkeiten Rang

Teilwirksamkeiten A1 100 5 90 90 0 60 30 0 30 0 405 34,9 3

A2 40 45 0 50 45 120 60 80 60 25 525 47 , 6 2

A3 120 30 90 90 45 120 90 80 90 40 795 7 5, 1 1

Abb. 30 KWA für drei Grundrissalternativen einer Montagehalle – Ergebnisse. (Quelle: Diederichs 2005, S. 249)

die Untersuchungsergebnisse zu überprüfen. Durch Sensitivitätsanalysen kann festgestellt werden, ob und inwieweit sich durch unterschiedliche Annahmen über die Eingangsdaten (Input) die Analyseer-

gebnisse (Output) ändern. Durch das Verfahren der kritischen Werte werden die möglichen Abweichungen der Input-Größen von ursprünglich angesetzten Werten ermittelt, die gerade noch keine Revision der

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

251 Vergleich des Wirksamkeits-/ Kosten-Verhältnisses

Paarweiser Vergleich

800

A3

Budgetgrenze

Wirksamkeits-/Kosten-Verhältnis in Punkten x a/100 T

Budgetgrenze

Gewichtete Wirksamkeitspunkte

80 A3

600

60 A2 A2

400 Mindestwirksamkeit

40 A1

A1

200

20

0

Mindestwirksamkeits-/ Kosten-Verhältnis

0 0 2

4

A1: Langbau

6

8

10 12

14

0 2

Jahreskosten in 100 T

A2: Kompaktbau, Lager in der Mitte

4

6

8

10 12

14

Jahreskosten in 100 T

A3: Kompaktbau, Lager als Kopfbau

Abb. 31 KWA für drei Grundrissalternativen einer Montagehalle – grafische Auswertung. (Quelle: Diederichs 2005, S. 249)

Vorteilhaftigkeitsentscheidung erfordern. Das Verfahren zur Ermittlung der Output-Änderung bei vorgegebener Inputänderung zielt darauf ab, die Auswirkungen bestimmter Änderungen unsicherer Input-Größen zu überprüfen, wenn diese anstelle der wahrscheinlichen Werte untere oder obere Grenzwerte erreichen. Sensitivitätsanalysen lösen das Problem der Entscheidung bei Unsicherheit nicht. Sie gestatten jedoch die Gewinnung „kritischer“ Input-Größen bzw. „wahrscheinlicher Korridore“ für die Output-Größen. Das Ausmass der Unsicherheit von Entscheidungen wird daher innerhalb kritischer oder wahrscheinlicher Grenzen bewusst gemacht. (Diederichs 2005, S. 250)

5

Bestandsoptimierung von Immobilien dienen. Dazu gehören folgende Tätigkeitsfelder: 1. Portfoliomanagement 2. Assetmanagement 3. Facility Management 4. Property Management 5. Corporate Real Estate Management CREM) 6. Private Real Estate Management (PREM) 7. Energiemanagement und Energie-Contracting 8. Flächenmanagement 9. Immobilien-Controlling 10. Immobilien-Benchmarking Diese Tätigkeitsfelder werden unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Immobilienmanagement-Ansätze nachfolgend erläutert.

Real Estate Management 5.1

Real Estate Management bzw. Immobilienmanagement umfasst alle Tätigkeiten, die der Entwicklung, dem Betrieb, der Bewirtschaftung und

Portfoliomanagement

Ein Immobilienportfolio enthält ein Konglomerat aus mehreren Immobilien, die miteinander in Ver-

252

bindung stehen, da sie z. B. einen gemeinsamen Eigentümer oder eine gemeinsame Verwaltung aufweisen oder in bestimmten weiteren Spezifika übereinstimmen. Im Fokus des Portfoliomanagements steht die Entwicklung eines renditeorientierten Immobilienbestandes durch Investitionen und Desinvestitionen. Oberstes Ziel ist die dauerhafte Werthaltigkeit des Portfolios. Hierzu sind langfristige Strategien zur Rendite- und Risikoüberwachung notwendig. Immobilien-Portfoliomanagement bezeichnet daher einen komplexen, kontinuierlichen und systematischen Prozess der Analyse, Planung, Kontrolle und Steuerung von Immobilienbeständen mit dem Ziel, Transparenz für den Immobilieneigentümer über Aufwendungen und Erträge einerseits und die Risiken der Immobilienanlageund Managemententscheidungen andererseits für das gesamte Immobilienportfolio sicherzustellen (Wellner 2003, S. 33–34). Immobilien-Portfoliomanagement wird in der Praxis oft mit Corporate Real Estate Management (CREM) und Public Real Estate Management (PREM) gleichgesetzt. Sowohl für betriebsnotwendige als auch nicht betriebsnotwendige Liegenschaften des Eigentümers müssen Optimierungsmaßnahmen eingeleitet werden, um die Rentabilität z. B. durch Senkung der Betriebsund Instandhaltungskosten und Verringerung der Leerstandsquote zu erhöhen.

5.1.1

Prozess des ImmobilienPortfoliomanagements Der Prozess des Immobilien-Portfoliomanagements besteht nach Abb. 32 aus drei voneinander abzugrenzenden Phasen des Modellinputs (Schritt 1), der strategischen Asset Allocation (Schritte 2–6) und der Ergebniskontrolle (Schritt 7). Das Kreislaufmodell ermöglicht ein simultan ablaufendes Feed-forward und Feed-back zwischen den einzelnen Schritten (Diederichs 2007, S. 31). Zur Strukturierung des Portfolios ist der Immobilienbestand einzuteilen in • marktfähige und nicht marktfähige Immobilien sowie • betriebsnotwendige und nicht betriebsnotwendige Immobilien.

C. J. Diederichs und N. Preuß

Alle Organisationen des privaten und öffentlichen Immobilienmanagements werden bestrebt sein, ihren Immobilienbestand nur auf die marktfähigen betriebsnotwendigen Immobilien zu reduzieren. Weiter ist der Immobilienbestand nach Nutzungs-/Gebäudearten (z. B. Bauwerkszuordnungskatalog nach den Erläuterungen zu Muster 6 der RBBau, 19. Aust.-Lfg. 2018) und ggf. nach Standorten/Liegenschaften zu klassifizieren. Das Gesamtportfolio wird somit hierarchisch in einzelne Sub-Portfolien unterteilt. Die sorgfältige Marktanalyse und -prognose ist für die nachfolgende Bestandsanalyse und -prognose unerlässlich. Hierzu zählen insbesondere die standortbezogenen Entwicklungen der letzten fünf Jahre und die voraussichtliche weitere Entwicklung möglichst der nächsten fünf Jahre zu: • dem Flächenumsatz nach Größenklassen, Nachfragern, Anbietern und Lage, • dem Leerstand nach Zustand (modern, normal, unsaniert) und Lage, • den im Bau und in der Planung befindlichen Flächen nach Fertigstellung und Lage, • dem bestehenden Flächenangebot nach Nutzungsarten und Lage, • den Mieten nach Mietpreisniveau (Höchstpreise, Durchschnittswerte) und Lage sowie • dem Investitionstransaktionsvolumen hinsichtlich Anzahl, Umfang, Käufern und Verkäufern am Standort. Zu den möglichst mit Hilfe eines CAFMSystems zu erfassenden und aktuell zu haltenden Objektdaten gehören: • Lagepläne inkl. ÖPNV-Anbindung, Bestandspläne und Bauwerksbeschreibungen, • Flächenbilanz nach DIN 277 bzw. nach gif (MF-G vom 01.11.2005) sowie Anteile der bebauten und unbebauten Grundstücksflächen, • Verkehrswerte nach der Immobilienwertverordnung (ImmoWertV) und der bewertete Instandhaltungsstau, • Flächenbereitstellungs- und Flächenbewirtschaftungskosten

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

253

Abb. 32 Immobilien-Portfoliomanagement – Prozess für große Immobilienbestände. (Quelle: Diederichs 2007, S. 31)

• nach DIN 18960, Nutzungskosten im Hochbau und GEFMA 200 Kosten im Facility Management, • Mieterträge, • Anzahl der Nutzer und Nutzerstruktur, • Ressourcenverbrauch insbesondere für Wärme-/ Kälteerzeugung, für Strom und Wasser sowie • ggf. Schadstoffausstoß als Kenngröße des „Environmental Footprint“ auf Basis der Angaben der Ver- und Entsorger.

5.1.2

Festlegung des Bewertungssystems Grundsätzlich lassen sich Immobilien anhand von objektabhängigen Kriterien der Marktattraktivität (Marktdimension) und der relativen Wettbewerbsvorteile (Objektdimension) in einer zweidimensionalen Portfolio-Matrix beurteilen. Es hat sich bewährt, in dieser Matrix die Marktattraktivität auf der Ordinate und die relativen Wettbewerbsvorteile auf der Abszisse abzubilden.

254

Die Marktattraktivität wird maßgeblich bestimmt durch das Verhältnis zwischen Immobilienangebot und -nachfrage. Sie wird gemessen aus Kriterien der Nutzer-, Objekt- und Potenzialperspektive. Da es sich bei den Messgrößen dieser Perspektiven überwiegend um multivariable, nicht monetäre Kriterien handelt, empfiehlt es sich, die unterschiedlichen Dimensionen über Transformationsfunktionen auf eine einheitliche Dimension Nutzenpunkte zurückzuführen. Dazu eignet sich die Nutzwertanalyse. Zur Positionierung der Immobilienbestände auf der Ordinate werden die Kriterien der Marktattraktivität im Rahmen der Nutzwertanalyse zunächst gewichtet (Summe = 100 %) und sodann hinsichtlich ihrer Erfüllung gemessen bzw. auf einer Skala von 1 bis 5 Punkten bewertet, ggf. mit Hilfe von Transformationsfunktionen (Diederichs 2005, S. 245). Die relativen Wettbewerbsvorteile der einzelnen Immobilien bestimmen deren Positionen auf der Abszisse der Portfolio-Matrix. Die Messgrößen wie Rendite, Mieterträge sowie Betriebs- und Instandhaltungskosten lassen sich unmittelbar in monetären Einheiten bestimmen. Die Größe der Mietfläche der einzelnen Immobilienobjekte lässt sich als dritte Dimension in der Portfolio-Matrix dadurch darstellen, dass das jeweilige Objekt durch einen proportional größeren oder kleineren Kreis dargestellt wird. Bei der Einteilung in eine vierfeldrige Portfolio-Matrix (BCG-Matrix, benannt nach der Boston Consulting Group) werden vier Quadranten unterschieden: • „stars“ (Sterne) in der rechten oberen Ecke, also Immobilien, die aktuell keiner weiteren Optimierung bedürfen, • „questionmarks“ (Fragezeichen), also Immobilien mit hoher Marktattraktivität, die jedoch hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit zu optimieren sind, • „cash-cows“ (Milchkühe), also Immobilien mit hoher Wirtschaftlichkeit, bei denen jedoch die Marktattraktivität zu optimieren ist und • „poor dogs“ (arme Hunde), also Immobilien, die weder hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit noch der Marktattraktivität akzeptable Werte vorweisen und die ggf. für eine Desinvestition, Projektentwicklung im Bestand und Verwertung in Betracht kommen.

C. J. Diederichs und N. Preuß

Die Marktattraktivität stellt eine Summe von einzelnen Merkmalen aus der Nutzer-, Objektund Potenzialperspektive dar, die z. B. wie folgt in weitere Teilziele mit einer bestimmten Gewichtung in % aufgeteilt werden können: Nutzerperspektive N1 gemäß Vorlage politische/gesetzliche Rahmenbedingungen N2 Standortfaktoren N3 Funktionalität und Flexibilität Objektperspektive O1 Gebäudeanalyse O2 Gebäudeinfrastruktur O3 Innovation/Ökologie O4 Gebäudesicherheit Potenzialanalyse P1 Flächenverbrauch P2 Ressourcenverbrauch Summe

50 5 30 15 40 15 15 5 5 10 4 6 100

Das Säulendiagramm von Abb. 33 zeigt in einem Beispiel, dass die gewichteten Nutzenpunkte im Bereich zwischen 2,79 und 3,48 von max. 5,0 Punkten liegen. Zur Darstellung der relativen Wettbewerbsvorteile in der PortfolioMatrix werden drei monetäre Merkmale analysiert und dargestellt:

• die spezifischen jährlichen Nutzungskosten nach DIN 18960 in €/(m2 MF  a), • die spezifischen monatlichen Mieterträge in €/ (m2 MF  Mt) und daraus • die jährliche VOFI-Rendite in % p. a. des Bruttoinvestitionswertes. Zur Erhebung der Nutzungskosten nach DIN 18960 sind Zeitreihenbetrachtungen sowohl der Vergangenheit (z. B. drei Jahre) als auch der Zukunft (Prognosezeitraum von z. B. 25 Jahren) unter Einbeziehung großer Instandsetzungen anzustellen. Sofern Betriebskosten der einzelnen Gebäude einer Liegenschaft nicht gebäudescharf vorliegen, müssen Verteilungsschlüssel gebildet werden, die eine weitgehend verursachungsgerechte Zuordnung pro m2 Mietfläche und Jahr ermöglichen. Das Ergebnis einer Portfolio-Matrix

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

255

Abb. 33 Marktattraktivität der Objekte zwischen 2,79 und 3,48 von max. 5,00 gewichteten Nutzenpunkten. (Quelle: Diederichs 2007, S. 33)

aus Marktattraktivität und Nutzungskosten (DIN 18960) des Beispiels zeigt Abb. 34. Durch Erhebung der monatlichen Mieterträge je m2 Mietfläche wird deutlich, ob die Miethöhevereinbarungen zwischen dem Immobilieneigentümer (Vermieter) und den Mietern Risiken aus überhöhter Vertragsmiete oder Chancen aus unterschrittener Marktmiete bergen. Die Rendite der einzelnen Gebäude kann nach der VOFI-Methode ermittelt werden. Sie bildet alle mit einer Investition verbundenen Auszahlungen und Einzahlungen während des Betrachtungszeitraumes explizit ab und vergleicht das Endkapital mit dem Anfangskapital (Schulte 2016, S. 240–243). Die Anwendung der VOFI-Methode setzt daher voraus, dass die Zahlungsströme der voraussichtlichen Einnahmen aus Mieterträgen und Ausgaben aus Investitionen und Nutzungskosten sowie mögliche Investitionen aus erwirtschafteten Überschüssen je Gebäude ermittelt werden und in die Berechnung einfließen. Abb. 35 zeigt in einer Portfolio-Matrix für 20 Objekte auf der Ordinate deren Marktattraktivität und auf der Abszisse die unterschiedlichen Lagen bzw. Spreizungen der VOFI-Rendite. Die Einteilung der Quadranten

stellt die ca. Null-Rendite-Linie dar, ohne und mit Einbeziehung einer Afa von ca. 3,7 % p. a.

5.1.3

Strategie- und Maßnahmenplanung In Abhängigkeit von der Marktattraktivität und den relativen Wettbewerbsvorteilen des ImmobilienPortfolios im Vergleich mit Konkurrenz-Portfolios werden i. Allg. drei Normstrategien unterschieden • die Investitions- und Wachstumsstrategie, • die Abschöpfungs- und Desinvestitionsstrategie sowie • die selektive Strategie der Offensive, des Übergangs oder der Defensive. Immobilien im oberen rechten Feld der Portfoliomatrix sind als erfolgreich (stars) und mit geringen Risiken behaftet anzusehen (Matrixfeld der Mittelbindung). Immobilien im linken unteren Matrixfeld haben keine besonderen Erfolgschancen (poor dogs). Sie sind daher so rasch wie möglich abzustoßen, ggf. nach einer Projektentwicklung (Matrixfeld der Mittelfreisetzung).

256

C. J. Diederichs und N. Preuß

Abb. 34 Portfoliomatrix aus Marktattraktivität und Nutzungskosten (DIN 18960). (Quelle: Diederichs 2007, S. 34)

Immobilien im linken oberen oder rechten unteren Matrixfeld erfordern selektive Strategien. Bei hoher Marktattraktivität und geringen relativen Wettbewerbsvorteilen (linkes oberes Feld) müssen durch eine Offensivstrategie Wettbewerbsvorteile gegenüber den Konkurrenzimmobilien z. B. durch Modernisierung und Betriebskostensenkung aufgebaut werden.

5.1.4

Maßnahmenumsetzung und Ergebniskontrolle Wird eine Entscheidung zur Desinvestition eines Gebäudes getroffen (Verkauf, Umwidmung oder Rückbau), so schließt sich eine Due Diligence an. Zur Optimierung zu haltender Immobilien sind Maßnahmenpläne aufzustellen, die auch eine

Erfolgskontrolle erlauben. Als Maßnahmen kommen u. a. in Betracht: • die Senkung der Betriebs- und Instandsetzungskosten, der Zinslast und der Verwaltungskosten sowie • die Steigerung der Mieterträge durch Anpassung an das Marktmietenniveau. Dazu sind die Maßnahmenpläne mit Zielvorgaben, Aufbau- und Ablauforganisation, Kosten und Terminen umzusetzen sowie eine Erfolgskontrolle durch eine Immobilienbewertung vor und nach den Maßnahmen durchzuführen. Die Performanceanalyse überprüft den Erfolg der eingeleiteten Optimierungsmaßnahmen. Sie wird am Gesamtportfolio innerhalb eines fest defi-

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

257

Abb. 35 Portfoliomatrix für 20 Objekte aus Marktattraktivität (Ordinate) und VOFI- Rendite (Abszisse). (Quelle: Diederichs 2007, S. 34)

nierten Intervalls vorgenommen, das im Idealfall ein Jahr beträgt. Hierbei sind die Schritte 1 sowie 3–7 gemäß Abb. 32 in dem definierten Intervall zu wiederholen. Dabei ist das Bewertungssystem (Schritt 2) nach Möglichkeit nicht zu verändern, um einen Vergleich über die Intervallzeiträume zu ermöglichen.

5.2

Asset Management

Asset Management ist eine Bezeichnung aus dem Gebiet der Finanzdienstleistungen und bezeichnet Leistungen für Anlage- und Investmentprozesse, zumeist für Drittparteien. Im Hinblick auf die gestiegene Bedeutung von Immobilien als alternative Anlage ist der Begriff Real Estate Asset

Management in der Fachliteratur bereits weitgehend präsent (Pelzeter und Trübestein 2016, S. 291). Ausschlaggebend für das Asset-Management ist die Vorgabe des Portfoliomanagements hinsichtlich der Immobilien-Strategie, die zu verfolgen ist. Durch das Asset Management sollen die dauerhafte Ertragserzielung bzw. allgemein der nachhaltige Werterhalt und ggf. eine Wertsteigerung durch ein im Vergleich zum Portfoliomanagement eher mittelfristiges Agieren abgesichert werden. Folgende Aufgabenbereiche können dem Real Estate Asset Management zugeordnet werden (https://www.corpus-sireo.com/de-de/glossar/assetmanagement. Zugegriffen am 05.09.2018): • Definition einer Objektstrategie inklusive ständiger Anpassung sowie laufender Umsetzung

258

C. J. Diederichs und N. Preuß

• Vertretung der Eigentümerinteressen • Übernahme von Eigentümeraufgaben • Optimierung und Reduzierung der laufenden Kosten • Erstellen von Wirtschaftsplänen/Businessplänen • Steuerung und Kontrolle von Property Management, Facility Management und ggf. weiteren Dienstleistern • Qualitätsmanagement hinsichtlich der externen Dienstleister auf Objektebene • Laufendes operatives Objekt-Reporting an das Portfoliomanagement • Monitoring der laufenden Objektperformance • Unterstützung des Portfoliomanagements bei Portfolioanalysen und Asset-Reports • Identifizierung von Desinvestitionsmöglichkeiten und Steuerung bzw. Durchführung des Verkaufs

5.3

Facility Management

Im Deutschen Sprachgebrauch werden unter Facilities Anlagen und Einrichtungen sowie unter Management das Führen, Leiten, Bewirtschaften, Beaufsichtigen und Verwalten verstanden. Diese Vieldeutigkeit ist auch kennzeichnend für das Verständnis von Facility Management, seinen Aufgabenträgern, den Kern- und Dienstleistungsprozessen, Methoden und Instrumentarien. Übereinstimmende Aussage aller Definitionen zum Facility Management ist die Forderung nach Erfüllung einer effektiven und effizienten Bewirtschaftung von Gebäuden und Anlagen zur Unterstützung der Kern- und Wertschöpfungsprozesse des Nutzers. Damit hat Facility Management ab Planungsbeginn in strategischer und ab Nutzungsbeginn einer Immobilie bis zur Umwidmung/zum Abriss in operativer Hinsicht dafür zu sorgen, dass durch die Gebäudebewirtschaftung mit technischen, kaufmännischen und infrastrukturellen Prozessen die Nutzeraktivitäten mit sich im Zeitablauf ändernden Anforderungen bestmöglich unterstützt werden. Während bei neu zu errichtenden Gebäuden die Konzeption des Facility Managements bereits in der Projektentwicklungs- und Planungsphase beginnt, ist es bei bestehenden Gebäuden erforderlich, durch

eine Bestandsaufnahme zunächst die erforderlichen Aktivitäten und Kosten der Bewirtschaftung der Immobilie zu ermitteln und zu bewerten. Im Rahmen der anschließenden Optimierung ist darauf zu achten, dass durch das Facility Management das Kerngeschäft und der Wertschöpfungsprozess des Nutzers bzw. seine Nutzungsziele zu jedem Zeitpunkt positiv beeinflusst werden. Das Facility Management zielt auf die Integration von Menschen, Prozessen, Immobilien und Anlagen ab, um den Unternehmenszweck zu unterstützen und nachhaltig zu gewährleisten. Sein Erfolg bemisst sich an dem Beitrag zur Erfüllung des Unternehmenszwecks. Eine wichtige Aufgabe des strategischen Facility Managements ist darin zu sehen, dass frühzeitig alle gebäuderelevanten Daten vom Planungsbeginn an nach logisch aufgebauten und für die Nutzungsphase verwendbaren Strukturen dokumentiert werden. Es ist allgemein bekannt, dass die Bewirtschaftungs-, Verwaltungs-, Betriebs- und Instandhaltungskosten sowie das Mietausfallwagnis zunehmende Bedeutung erlangt haben, da sie häufig bereits die Größenordnung der Aufwendungen aus der Kaltmiete erreichen. Werden dann auch noch die Arbeitsplatzkosten hinzugerechnet, so übersteigt die Warmmiete häufig den Wert der Kaltmiete. Um die Ziele des Facility Managements zu erreichen, ist es unabdingbar, Strategisches Facility Management bereits konzeptionell in die Projektentwicklung und Planung der Immobilie einzubeziehen. Dies gilt auch für die erforderliche Neutralplanung zur Gewährleistung der Nutzungsflexibilität. Zum Informationsmanagement gehört gemäß DIN 32736 die „Gesamtheit der Leistungen zum Erfassen, Auswerten, Weiterleiten und Verknüpfen von Informationen und Meldungen für das Betreiben von Gebäuden und Liegenschaften“ (DIN 32736 (2000-08), S. 3). Die vielfältigen Teilleistungen des operativen Gebäudemanagements erfordern zahlreiche Informationen und deren Austausch zwischen den verschiedenen Bereichen. Im Bereich des Infrastrukturellen Gebäudemanagements werden z. B. die exakten Raumflächen benötigt, um die Gebäudereinigung zu beauftra-

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

gen. Das Kaufmännische Gebäudemanagement benötigt die Flächendaten für die Vermarktung und das Vertragsmanagement. Das Technische Gebäudemanagement stellt die Messwerte und Zählerstände dem Kaufmännischen Gebäudemanagement für die Verbrauchskostenabrechnung zur Verfügung. Für das Benchmarking werden Kennwerte zum Vergleich mit anderen Objekten benötigt. Das Gebäudemanagement benötigt daher ein integriertes Informationsmanagement, das eine einmalige Gewinnung, zentrale Speicherung und Verarbeitung sowie unabhängige vielfache Nutzung durch die verschiedenen Bereiche ermöglicht.

5.4

Property Management

Während das Asset Management strategisch orientiert ist, liegt der Fokus des Property Managements eher im taktisch-operativen Bereich. Die Hauptaufgabe besteht darin, im Interesse des Eigentümers die Immobilie treuhänderisch zu verwalten und Ansprechpartner für Mieter und Nutzer zu sein. Die Aufgabenverteilung zwischen Asset- und Property Management ist allerdings stark abhängig von den Vorgaben des Auftraggebers, der Zusammensetzung des Immobilienportfolios, der tatsächlichen Nutzung der Immobilie, der entsprechenden Nutzer- bzw. Mieterstruktur und den entsprechend entwickelten Dienstleistungsverträgen (Preuß und Schöne 2016, S. 69).

5.5

Corporate und Public Real Estate Management

Gegenstände des Corporate und des Public Real Estate Managements sind der operative und strategische Umgang mit Immobilienbeständen der öffentlichen Hand bzw. erwerbswirtschaftlicher Unternehmen (Pelzeter und Trübestein 2016, S. 292). Die im Bestand existierenden Immobilien werden in diesem Sinne in „Bestandsobjekte“ und „Verwertungsobjekte“ unterschieden. Bestandsobjekte sind zur Erfüllung des Kerngeschäfts notwendig. Dagegen sind Verwertungsobjekte nicht

259

für das Kerngeschäft erforderlich, befinden sich aber trotzdem im Eigentum der öffentlichen Hand bzw. eines erwerbswirtschaftlichen Unternehmens. Da auch für diese Immobilien Bewirtschaftungskosten entstehen, ist es im Sinne der Kostenentlastung des Eigentümers erforderlich, diese entweder mit Ertragserzielung zu vermieten oder zu vermarkten.

5.6

Private Real Estate Management (PREM)

Das Management von Immobilien, die sich im Privatbesitz von einer Person oder einer Familie befinden, wird als „Private Real Estate Management“ bezeichnet. Ob die gegenwärtige oder zukünftige Nutzung in privater oder gewerblicher Intention erfolgt, ist hierbei unerheblich. Während beim Private Real Estate Management dementsprechend die Managementtätigkeit für privates Immobilienvermögen betrachtet wird, befindet sich beim Corporate Real Estate Management der Immobilienbestand in Besitz einer Unternehmung und beim Public Real Estate Management im Besitz der öffentlichen Hand (Pfnür 2011, S. 9).

5.7

Energiemanagement und Energie-Contracting

Energie sparende Maßnahmen werden beim Neubau und der Modernisierung von Gebäuden stets nur dann durchgeführt, wenn sie mit angemessenen Kosteneinsparungen verbunden sind. Nicht nur im öffentlichen Bereich, sondern auch in der Wirtschaft und von den privaten Haushalten wird allgemein anerkannt, dass die Betriebskosten von Immobilien durch Senkung der Energiekosten deutlich verringert werden können. Das Energiemanagement hat dafür zu sorgen, dass der Energieverbrauch und auch die Schadstoffemissionen von Immobilien im Rahmen vereinbarter Zielsetzungen minimiert werden. Diese Aufgabe beginnt bei der Projektentwicklung, setzt sich fort in der Planung und Bauausführung und

260

findet ihre Bewährung im Gebäudebetrieb (Braun et al. 2013, S. 110). Energiemanagement konzentriert sich vor allem auf die Optimierung folgender Bereiche: • die Energieversorgung • die Anlagen zur Raumkonditionierung (Heizung, Lüftung, Kälte) • die natürliche Be- und Entlüftung • die Fassadengestaltung • den winterlichen Wärmeschutz und die sommerliche Kühlung • die Starkstrom- und Beleuchtungsanlagen Bei Neubaumaßnahmen muss erfolgreiches Energiemanagement bereits in der Projektentwicklung einsetzen. Zu den energierelevanten Zielvorgaben kann z. B. eine prozentuale Unterschreitung der Mindestwerte für den Transmissionswärmeverlust und den Primärenergiebedarf nach der Energieeinsparverordnung (EnEV 2016) gehören. Bei der Optimierung energierelevanter Regelparameter ist zu fragen, ob davon im Interesse der Energieeinsparung abgewichen werden kann, ohne die Bedingungen für einen nutzungsgerechten Betrieb nachhaltig zu verschlechtern. So kann z. B. die Erhöhung der max. zulässigen Raumtemperatur im Sommer oder eine variable Luftbefeuchtung im Winter zu deutlichen Reduzierungen der Energiekosten führen.

5.7.1 Einspar-Contracting Traditionell übernimmt der Gebäudeeigentümer die Finanzierung Energie sparender Maßnahmen. Beim Einspar-Contracting übernimmt ein Anlagenbauer der Technischen Ausrüstung oder ein Energieversorgungsunternehmen (Contractor) die Drittfinanzierung. Der Contractor entwickelt ein Energie sparendes System für das jeweilige Objekt und liefert dieses dem Eigentümer (Contractingnehmer) auf eigene Rechnung. Contractingnehmer und Contractor schließen einen Erfolgsbeteiligungsvertrag, mit dem der Contractingnehmer dem Contractor für den vertraglich vereinbarten Zeitraum die tatsächlich erzielten Einsparungen abtritt. Während dieses Zeitraums

C. J. Diederichs und N. Preuß

übernimmt der Contractor üblicherweise die Wartung und Überwachung des installierten Systems. Einsparungen nach dem Vertragsende fließen dann dem Contractingnehmer zu. Das installierte System geht in sein Eigentum über. Sofern der Contractingnehmer das installierte System mit eigenem Personal weiterbetreiben kann, erzielt er entsprechende Einsparungen. Vielfach wird er jedoch mit dem Contractor einen neuen Wartungs- oder auch Betreibervertrag abschließen. Das Einspar-Contracting macht am Markt etwa 8 % der einzelnen Contractingarten aus (Verband für Wärmelieferung e.V. 2017; Hirschner et al. 2013, S. 131).

5.7.2 Energieliefer-Contracting Der Contractingnehmer beauftragt den Contractor mit der Vorfinanzierung, Errichtung und dem späteren Betrieb energietechnischer Anlagen (z. B. Wärme- und Kälteerzeugungsanlagen, Blockheizkraftwerke, Beleuchtungs-, Druckluft-, Mess-, Steuer- und Regelanlagen). Der Preis des Contractors setzt sich aus dem Grundpreis für Investitionen, Wartung, Reparatur, Verwaltung und Versicherung, dem Arbeitspreis für Brennstoffe, Hilfsstoffe und Stromverbrauch, dem Messpreis für Zähler- und Eichkosten sowie für Abrechnung zusammen. Der Contractingnehmer erwartet ein auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes optimales Anlagenmanagement mit preiswerter Energie. Der Contractor ist über einen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren für die Investitionen und den Betrieb der energietechnischen Anlagen verantwortlich. Das rechtlich stark reglementierte Energieliefer-Contracting erfordert die Erfüllung zahlreicher Bedingungen, da der Contractor in einer fremden Immobilie in energietechnische Anlagen investiert, die sich im Eigentum des Contractingnehmers befinden. Dazu müssen energietechnische Anlagen als Scheinbestandteile definiert werden, um Eigentum des Contractors sein zu können, und es müssen zahlreiche Verträge zwischen den Beteiligten abgeschlossen werden. Das Energieliefer-Contracting macht am Markt etwa 83 % der einzelnen Contractingarten aus (Verband für Wärmelieferung e.V. 2017).

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

5.8

Flächenmanagement

Gem. DIN 32736 umfasst das Flächenmanagement „das Management der verfügbaren Flächen im Hinblick auf ihre Nutzung und Verwertung“. (DIN 32736 2000, S. 7) Dementsprechend kann als übergeordnete Aufgabe des FLM die qualitative und quantitative optimale Ausnutzung sämtlicher Flächen verstanden werden (Diederichs 2006, S. 565–569). Da Flächenangaben die entscheidenden Grundlagen für nahezu alle wirtschaftlichen Betrachtungen innerhalb der Immobilienwirtschaft darstellen, ist u. a. bereits in der Projektentwicklung im Entwurfsstadium die gezielte Betrachtung der aus der Planung resultierenden Flächen gefordert und die dementsprechende vorgegebener Flächeneffizienz oder Flexibilität einzuhalten (Zeitner 2017, S. 32). Die DIN 32736 (2000, S. 8), unterteilt das FLM in folgende Teilbereiche: 1. Nutzerorientiertes Flächenmanagement 2. Anlagenorientiertes Flächenmanagement 3. Immobilienwirtschaft orientiertes Flächenmanagement 4. Serviceorientiertes Flächenmanagement 5. Dokumentation und Einsatz Informationstechnischer Systeme im Flächenmanagement.

5.9

Immobilien-Controlling

Obwohl der Begriff Controlling seit etwa 1970 auch im deutschsprachigen Raum verbreitet ist, erzeugt er immer noch Missverständnisse. „Controlling“ bedeutet nicht „Kontrolle“. Es handelt sich vielmehr allgemein um die wirtschaftlich zielgerichtete Beherrschung, Lenkung, Steuerung und Regelung von Prozessen, hier bezogen auf das Betreiben von Immobilien. Controlling ist Managementaufgabe. Immobilien müssen durch ihre Performance (Rendite und Wertsteigerung) den dafür erforderlichen Kapitaleinsatz rechtfertigen. Zur Überprüfung dieser Forderung müssen im Rahmen des Controlling zahlreiche Informationen systematisch gesammelt,

261

ausgewertet, verdichtet und den für das Betreiben der Immobilien verantwortlichen Führungskräften in der für sie jeweils geeigneten Form fristgerecht zur Verfügung gestellt werden. Das Controlling hat für das zur Prozesssteuerung erforderliche Informations- und Kommunikationssystem nach Art, Inhalt, Umfang, Periodizität, Vernetzung und Wirkungsmechanismen bei Soll-/Ist-Abweichungen zu sorgen. Ausgangspunkt des Immobilien-Controlling sind Eigentümerziele, an denen die Immobilien mit Hilfe von Controlling-Systemen auszurichten sind. Eigentümer verfolgen nicht nur rein monetäre Ziele. Es wird jedoch stets ein hoher Zielerreichungsgrad angestrebt (Diederichs 2012, S. 726–729).

5.10

Immobilien-Benchmarking

Benchmarking ist ein kontinuierlicher, ständiger und langfristiger Prozess zum systematischen, strukturierten, formalen, analytischen und organisierten Evaluieren, Verstehen, Beurteilen, Messen und Vergleichen von Immobilien zum Zwecke des Vergleiches, der Verbesserung, zum Erreichen bzw. Überbieten der „Industry Best Practice“, der Entwicklung von Produkt- und Prozessparametern sowie zur Etablierung von Prioritäten, Zielen und Ansprüchen. Das Management des Benchmarkings hat seinen Ursprung in der Industrie. Ziel ist es, von besten Lösungen und innovativen Ideen zu lernen und mittels systematischer Vergleiche Verbesserungspotenziale zu identifizieren und geeignete Maßnahmen einzuleiten. Primär ist beim Benchmarking darauf zu achten, dass die verglichenen Merkmale messbar sind. Daher sind hierbei numerische Größen eindeutig zu favorisieren (Bogenberger und Schöne 2017, S. 32).

5.11

Due Diligence von Immobilienbeständen

Der Immobilienmarkt in Deutschland wurde in den zurückliegenden Jahren von zahlreichen Transaktionen großer Immobilienbestände be-

262

C. J. Diederichs und N. Preuß

herrscht. Wegen der häufig unterschiedlichen Erwartungshaltungen von Käufern und Verkäufern ist es insbesondere für die Käufer notwendig, transparente Informationen über die Chancen und Risiken der Investitionsobjekte und deren nachhaltige Performance aus Wertentwicklung und Rendite sowie Einschätzungen über die Fungibilität bei einer weiteren Vermarktung zu erhalten (Diederichs 2008, S. 29–34).

5.11.1 Gegenstand und Zielsetzungen Der Begriff Due Diligence entstammt dem amerikanischen Kapitalmarkt- und Anlegerschutzrecht und bedeutet in deutscher Übersetzung zunächst nichts anderes als angemessene Sorgfalt. Er findet eine Rechtsgrundlage in § 276 BGB, wonach die Parteien die im Verkehr erforderliche Sorgfalt walten zu lassen haben. Unter Due Diligence ist daher allgemein eine systematische und detaillierte Erfassung, Analyse und Bewertung qualitativer und quantitativer Daten und Informationen über Transaktionsobjekte (Immobilien und Unternehmen) zu verstehen, um den Informationsbedarf der an der Transaktion beteiligten Entscheidungsträger zu decken. Die Due Diligence fand zunächst Anwendung für die Analyse und Bewertung von Unternehmen. In konsequenter Analogie wurde sie rasch auch auf die Analyse und Bewertung von Immobilien (Real Estate) übertragen. Während sich die Projektentwicklung im engeren Sinne zur Entscheidung über Investitionen in Immobilien und Neubauten als Analyse- und Entscheidungsmethode etabliert hat, erfordern Transaktionen von Immobilienbeständen wegen der hohen Komplexität bestehender vertraglicher Bindungen, der Informationsdefizite des Käufers gegenüber dem Verkäufer, der hohen Unsicherheit über die technische Beschaffenheit der Baukonstruktionen, der technischen Anlagen und der Ausstattung sowie der Heterogenität des Immobilienmarktes besonders hohe Aufmerksamkeit und damit Due Diligence zur Vorbereitung der Entscheidungen über geplante Transaktionen. Die Einbindung der Due Diligence Real Estate zwischen Transaktionsidee und Kaufvertrag zeigt Abb. 36.

Abb. 36 Due Diligence Real Estate für Immobilienkäufer und/oder -verkäufer. (Quelle: Diederichs 2008, S. 29)

5.11.2 Anlässe für die Due Diligence Als vorrangige Anlässe für die Due Diligence von Immobilienbeständen sind zu nennen: • umfassende Information von Käufer und Verkäufer über das Transaktionsobjekt, • Erb- und Vermögensauseinandersetzungen, • Zwangsversteigerungs-, Enteignungs- und Entschädigungsverfahren, • Portfolio-Management zur Gewinnung von Gebäudebestandsinformationen, ihre Betriebsnotwendigkeit und ihren Beitrag zur Vermögensrendite • Kreditrating als Entscheidungshilfe für die Gewährung von Krediten und deren Zinskonditionen. Die Due Diligence von Immobilienbeständen ist auch Voraussetzung für die Analyse, Bewertung und Auswahl alternativer und innovativer Finanzierungsformen.

5.11.3 Beteiligte Die Due Diligence von Immobilienbeständen kann heute kaum von einem Experten allein geleistet werden. Notwendig sind stattdessen

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

individuell zusammengesetzte interdisziplinäre Teams aus (Arndt 2006, S. 19–21): • transaktionserfahrenen Koordinatoren, • Architekten, Tragwerksplanern und Fachingenieuren für Gebäudetechnik und Bauphysik, • Rechtsanwälten, • Steuerberatern, • Wertermittlern, • Wirtschaftsprüfern und • Facility Managern. Vorrangige Aufgabe des Koordinators ist es dafür zu sorgen, dass das Team effizient, flexibel und kommunikativ zusammenarbeitet.

5.11.4

Vorbereitung und Durchführung der Due Diligence Je nach Größe des Immobilienbestandes kann eine Due Diligence mehrere Wochen dauern und durch die Anzahl der eingeschalteten Experten auch hohe Kosten verursachen, wobei i. d. R. eine Vergütung nach Zeitaufwand und Tagessätzen vereinbart wird. Somit ist eine detaillierte Vorbereitung und Eingrenzung der Untersuchungsschwerpunkte erforderlich, um den Umfang der Analysen und Bewertungen sowie die daraus entstehenden Kosten abzuschätzen. Im Rahmen der Vorbereitung sind auch alle für die Prüfung relevanten Dokumente und Informationen seitens des Verkäufers und des Käufers zusammenzustellen. Als wertvolles Hilfsmittel haben sich Checklisten für die einzelnen Themengebiete bewährt, die maßgeblich von dem Immobilienbestand und der Art der Transaktion abhängen. Durch eine Vertraulichkeitserklärung wird ein Vorvertrag im Sinne eines Letters of Intent zwischen den potenziellen Vertragspartnern abgeschlossen, der alle Parteien zur Geheimhaltung und Nichtverwendung von Unternehmensgeheimnissen verpflichtet und auch Angaben zum Umfang, Inhalt und zeitlichen Ablauf sowie ggf. eine Fixierung der Kaufpreisvorstellungen sowie die Vergütungs- und Zahlungsmodalitäten enthält. Nach der Sichtung der vom Käufer und Verkäufer beschafften Informationen und Dokumente ist das Due Diligence-Team in der Lage, ein kon-

263

kretes Leistungs- und Honorarangebot zu entwickeln und mit dem Käufer oder dem Verkäufer oder auch beiden einen Due Diligence-Vertrag zu schließen. Es ist stets zwingend erforderlich, durch Liegenschafts- und Gebäudebegehungen sowie Interviews mit Käufer und Verkäufer, Facility Manager und ggf. Mietern Daten und Informationen einzuholen. Diese sind zu analysieren, zu bewerten und die Ergebnisse zwischen den einzelnen Experten auszutauschen und abzugleichen. Das Ergebnis der Untersuchungen ist in verbaler und grafischer Form mit Vorstellung von Handlungsalternativen für den Auftraggeber in einem Abschlussbericht aufzubereiten. Dieser soll den Auftraggeber in die Lage versetzen, eine objektive Bewertung der technischen Beschaffenheit sowie der rechtlichen, steuerlichen, wirtschaftlichen Gegebenheiten und des nachhaltigen Wertes des Transaktionsobjektes zu erhalten. Der Abschlussbericht ist damit wesentliche Entscheidungshilfe für die abschließenden Vertragsverhandlungen zwischen Verkäufer und Käufer, „da er entweder den vorab festgelegten Kaufpreis bestätigt oder ihn durch Zu- oder Abschläge aufgrund des identifizierten Chancen- und Risikopotenzials der Investition verändert“ (Arndt 2006, S. 27).

5.11.5 Technische Due Diligence Zielsetzung der Technischen Due Diligence ist es, einen umfassenden Eindruck von dem Grundstück, dem baulichen Zustand des Gebäudes, den technischen Anlagen und der Art der Bewirtschaftung zu erhalten. Die formale Analyse erstreckt sich auf die inhaltliche Prüfung sämtlicher technischen Unterlagen, die das Grundstück, das Gebäude und die technischen Anlagen betreffen. Zielsetzung der physischen Analyse ist die Feststellung und Beurteilung des allgemeinen Zustands und der Qualität der Immobilie, ihrer Bausubstanz und der technischen Anlagen und Einrichtungen. Dazu werden Architekten, Bauingenieure oder Bausachverständige herangezogen. Es sollen vorhandene Probleme identifiziert und die damit verbundenen Kosten der Beseitigung abgeschätzt werden. Dazu zählen Mängel im Brand-, Wärme-, Schall- und Feuchtigkeitsschutz,

264

bestehender Instandhaltungs- oder Instandsetzungsstau, die Grundrissgestaltung und Flexibilität für Nutzungsänderungen sowie die architektonische Funktionalität und Attraktivität hinsichtlich Gebäudestruktur und Fassadengestaltung. In einer umfangreichen Fotodokumentation sind der Zustand des Gebäudes und ggf. vorhandene Mängel als Beweismittel festzuhalten. Ziel einer Analyse und Bewertung ist es, Art und Effizienz der Bewirtschaftung, des Energieund Flächenmanagements, der Instandhaltung und Instandsetzung sowie die bestehenden vertraglichen Verpflichtungen im Hinblick auf ihre Inhalte und mögliche Optimierungspotenziale zu überprüfen. Zur Technischen Due Diligence gehört auch die Umwelt-Due Diligence, um einerseits den Käufer vor Umweltrisiken zu schützen und andererseits den Verkäufer vor einer nachträglichen rechtlichen Inanspruchnahme zu bewahren. Zur Vermeidung nachträglicher Streitigkeiten sind dazu entsprechende Vertragsklauseln im Kaufvertrag vorzusehen. Die Ergebnisse der formalen und physischen Analyse und Bewertung inkl. des Facility Managements und der Umwelt-Due Diligence sind in einem Teilbericht der Technischen Due Diligence zusammenzufassen und durch die Fotodokumentation zu ergänzen.

5.11.6 Rechtliche Due Diligence Die Rechtliche Due Diligence oder auch Legal Due Diligence dient der Identifikation ökonomischer Risiken, die aus den im Zusammenhang mit der Immobilie abgeschlossenen Verträgen resultieren können. Der Schwerpunkt der Legal Due Diligence liegt auf der Überprüfung sämtlicher im Zusammenhang mit der Immobilie abgeschlossenen oder abzuschließenden Verträge, vor allem des Kaufvertrags, der Miet- und Pachtverträge, Erschließungs-, Planer-, Bau-, Management-, Bewirtschaftungsund sonstiger Dienstleistungsverträge. Zur Überprüfung der rechtlichen Grundstückssituation ist das die Immobilie betreffende Grundbuch mit seinen drei Abteilungen einzusehen (§ 12 GBO). Abteilung I verzeichnet die Eigen-

C. J. Diederichs und N. Preuß

tumsverhältnisse. Aus Abteilung II sind alle auf dem Grundstück bestehenden Lasten und Beschränkungen erkennbar, z. B. Nießbrauch oder Vorkaufsrechte. In Abteilung III sind evtl. vorhandene Hypotheken sowie Grund- und Rentenschulden eingetragen. Aus dem Baulastenverzeichnis, das in Deutschland in den meisten Bundesländern (außer Bayern und Brandenburg, dort wird die Sicherung baurechtskonformer Zustände im Grundbuch vorgenommen) gemäß jeweiliger Landesbauordnung geführt wird, sind etwaige öffentlich-rechtliche Verpflichtungen des Grundstückseigentümers ersichtlich, die zu einem ihre Grundstücke betreffenden Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichten. Wenn ein öffentliches Interesse an der Baulast nicht mehr besteht, hat die zuständige Bauaufsichtsbehörde den Verzicht zu erklären, der mit Löschung der Baulast im Baulastenverzeichnis wirksam wird. Das von den Kreisverwaltungsbehörden geführte Altlastenkataster zum Vollzug des Bodenschutz- und Altlastenrechts gibt Auskunft über Bodenbelastungen aus Bodenverunreinigungen, Grundwasserkontaminationen, Bodendenkmälern und Kriegseinwirkungen. Um die Bebauung eines Grundstücks sicherzustellen, muss Baurecht nach den §§ 30, 33, 34 oder 35 BauGB bestehen, wobei im einfachsten Fall ein bestehender Bebauungsplan nach § 9 BauGB die zulässige Art und das Maß der baulichen Nutzung (ersichtlich aus der Höhe, der Grundflächen-, der Geschossflächen- und Baumassenzahl nach den §§ 18 bis 21 BauNVO) als Höchstgrenzen aufzeigt. Um eine Baugenehmigung für ein Bauvorhaben durch das zuständige Bauordnungsamt zu erhalten, ist die Erschließung des Grundstücks nachzuweisen. Dies kann mit Hilfe eines Erschließungsvertrages geschehen (§ 124 BauGB), durch den die Gemeinde die Erschließung auf einen Dritten überträgt. Dieser Vertrag verpflichtet den Erschließungsträger zur Herstellung aller Verkehrs-, Ver- und Entsorgungsanlagen eines festgelegten Baugebiets sowie zur Kostenübernahme. Er ist hinsichtlich Form, Inhalt, Kostenaufteilung bzw. Erschließungsbeiträgen und Leistungsstand zu überprüfen.

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

Bei Architekten- und Ingenieurverträgen interessieren vor allem die Leistungsbeschreibungen und die Honorarvereinbarungen auf der Basis der HOAI 2013. In Planer- und Bauverträgen haben die werkvertraglichen Vereinbarungen auf der Basis der §§ 631 ff. BGB in Bezug auf evtl. Planungsänderungen und vom Planer nicht zu vertretende Planungsverzögerungen, die Termin- und Fristvereinbarungen sowie der Nachweis eines ausreichenden Haftpflichtversicherungsschutzes besondere Bedeutung. Bei Bauverträgen ist vor allem darauf zu achten, dass das vertragliche Leistungssoll der Bauunternehmer mit der Baubeschreibung übereinstimmt. Bei Pauschalfestpreisvereinbarungen sind gemäß § 2 Nr. 7 VOB/B vertragliche Preisanpassungen auf der Basis des § 2 Nr. 4 bis 6 VOB/B zu gewähren unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten. Ergänzend sind möglichst einfache Vergütungsregelungen für Bauzeitverlängerungen (§ 6 VOB/B) oder Beschleunigungen (§ 2 Nr. 5 VOB/B) aus Gründen, die der Bauunternehmer nicht zu vertreten hat, auf der Basis der bei Auftragserteilung zu hinterlegenden Urkalkulation oder gemäß § 650 b und c BGB zu vereinbaren. Ferner ist auf Zahlungspläne zu achten, die an Leistungsereignisse gekoppelt und dann auch strikt eingehalten werden, um dem Liquiditätsinteresse beider Vertragspartner gerecht zu werden. Besonderes Augenmerk ist auf die baubegleitende Mängelbeseitigung sowie angemessene Sicherheitseinbehalte während der jeweiligen Gewährleistungsfristen zu achten. Es sind grundsätzlich förmliche Abnahmen nach § 12 Abs. 4 Nr. 1 VOB/B mit fachtechnischer Vorbegehung, Funktionsprüfungen und Mängelprotokoll zu vereinbaren. Die fiktive Abnahme durch Fertigstellungsmitteilung oder Benutzung sind auszuschließen. Bei Bestandsimmobilien liegt das Hauptaugenmerk der Legal Due Diligence auf bestehenden Miet- und Pachtverträgen sowie den Vereinbarungen über Miethöhen und -anpassungen, Vertragsdauern, Bonität der Mieter, Umlage der Betriebskosten, Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen, Kündigungsregelungen und

265

Rückbau von Mietereinbauten bei Beendigung des Mietverhältnisses. Ähnliche Prüfungen sind erforderlich für Management-, Betreiber- und Dienstleistungsverträge. Hierzu zählen u. a.: • Wartungsverträge für technische Anlagen, • Gebäudemanagementverträge für die technische, kaufmännische und infrastrukturelle Gebäudebewirtschaftung, • Serviceverträge z. B. mit Sicherheitsfirmen und Cateringunternehmen, • Versicherungsverträge für die Bauherrenhaftpflicht-, Hauseigentümer-, Bauwesen-, Feuer-, Sturm-, Leitungswasser-, Einbruch-, Elementar- und Inventar-Versicherung inkl. der IT-Netzwerke und Server Sämtliche Ergebnisse der Legal Due Diligence beeinflussen die Regelungen zur Absicherung des Käufers oder auch des Verkäufers im abzuschließenden Kaufvertrag. Dazu gehören Klauseln über die Kaufpreisanpassung oder bestimmte Rücktrittsrechte des Käufers beim Nichteintritt vertraglich zugesicherter Eigenschaften oder Fehlern in den vom Verkäufer vorgelegten kaufpreisbestimmenden Unterlagen, Daten und Informationen.

5.11.7 Steuerliche Due Diligence Die Steuerliche Due Diligence (auch Tax Due Diligence) dient der optimalen steuerlichen Transaktionsgestaltung für Käufer und Verkäufer. Dazu sind zunächst wichtige Grundsatzfragen zu beantworten (Arndt 2006, S. 53–54): • die Art des Eigentümers der Immobilie (Einzelperson, Personen- oder Kapitalgesellschaft), • die Transaktionsform (Kauf/Verkauf eines bebauten Grundstücks, Veräußerung /Erwerb von Anteilen an einer Immobilienkapitalgesellschaft), • steuerliche Auswirkungen für den Käufer und den Verkäufer, • gewerblicher Grundstückshandel (bei mehr als drei Immobilientransaktionen innerhalb von fünf Jahren).

266

Steuerrelevante Auswirkungen ergeben sich u. a. auf folgende Faktoren: • die Nutzung von Anschaffungskosten für Abschreibungen, • die steuerlichen Abzugsmöglichkeiten von Finanzierungskosten, • die Nutzung bestehender Verlustvorträge, • die Grunderwerb-, Grund- und ggf. Gewerbesteuer, • die Umsatzsteueroptierung des Käufers/des Verkäufers/der einzelnen Mieter gemäß § 9 UstG. Die im Rahmen der Steuerlichen Due Diligence erkannten Optimierungsmöglichkeiten finden Eingang in den Kaufvertrag mit auf den Einzelfall abgestimmten Steuerklauseln, in denen ggf. bestimmte steuerliche Eigenschaften zugesichert sowie Mitwirkungshandlungen und Verjährungsregelungen vereinbart werden.

5.11.8 Wirtschaftliche Due Diligence Zielsetzung der wirtschaftlichen Due Diligence ist die Durchleuchtung aller mit der Immobilie verbundenen Einnahmen- und Ausgabenströme und damit der durch die Immobilie ausgelösten Vermögens-, Ertrags- und Finanzierungsveränderungen. Voraussetzungen dazu sind zunächst: • eine Analyse des Makro- und Mikrostandortes (Diederichs 2006, S. 30–37), • eine Marktanalyse mit Gegenüberstellung der Flächennachfrage und des Flächenangebotes sowie der am Markt erzielbaren Miet- und Kaufpreise (Diederichs 2006, S. 24–29) sowie • die Beurteilung der nicht monetär bewertbaren Faktoren der Marktattraktivität der Immobilie aus der Nutzer- und Objektperspektive sowie dem Flächen- und Bewirtschaftungspotential (Diederichs 2007, S. 31–35). Kern der Wirtschaftlichen Due Diligence ist sodann die Rentabilitätsanalyse, für die die dynamischen Methoden der Investitionsrechnung heranzuziehen sind (Kapitalwertmethode, interne Zinsfußmethode, VOFI-Kennzahlen).

C. J. Diederichs und N. Preuß

Bei der VOFI-Rentabilität (Sotelo 2016, S. 605–607) geht es darum, ausgehend von einer Anfangsinvestition durch Saldierung der laufenden Einnahmen aus Mieterträgen und Verzinsung erwirtschafteter Überschüsse sowie Ausgaben aus laufenden Kosten sowie Zins- und Tilgungsleistungen einen Vermögensendwert zu bestimmen und danach aus dem Vermögensendwert und dem Anfangswert nach der Zinseszinsformel die VOFI-Rentabilität rVOFI in % p. a. zu ermitteln. Ist die Rentabilität der Bestandsimmobilie nach der VOFI-Methode oder auch der Kapitalwertmethode positiv, so geht es letztlich darum, durch die wirtschaftliche Due Diligence eine Wertermittlung als Einigungsbasis für den Kaufpreis zwischen Verkäufer und Käufer vorzunehmen. Die Verkehrswerte bebauter und unbebauter Grundstücke können nach nationalen gemäß ImmoWertV normierten oder nicht normierten Verfahren sowie nach internationalen Bewertungsverfahren ermittelt werden. Zur Anwendung der in der ImmoWertV geregelten Vergleichs-, Ertrags- oder Sachwertverfahren sind grundsätzlich nur die Gutachter der örtlichen Gutachterausschüsse gemäß §§ 192 ff. BauGB verpflichtet. Andere Gutachter sind nicht an die Regelungen der ImmoWertV gebunden und damit frei in der Wahl des Verfahrens. Da die normierten Verfahren der ImmoWertV jedoch ein anerkanntes Regelwerk darstellen, sind Abweichungen davon im Gutachten zu begründen (vgl. Diederichs 2006, S. 607–646).

5.11.9

Nutzenstiftung der Due Diligence Bei Immobilientransaktionen geht es i. d. R. um Investitionen, die einen zumindest mittelfristigen und häufig langfristigen Kapitaleinsatz erfordern. Die Einigung zwischen Verkäufer und Käufer über die Höhe dieses Kapitaleinsatzes erfordert eine sorgfältige Vorbereitung, um die Performance der Immobilie und die Marktentwicklung für den Zeitraum der voraussehbaren Nutzungsdauer richtig einzuschätzen und damit Fehlinvestitionen zu vermeiden bzw. Unter-Wert-Verkäufe verhindern. Der interdisziplinäre Ansatz der Due Diligence Real Estate aus technischer, rechtlicher, steuer-

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht ermöglicht es sowohl dem Käufer als auch dem Verkäufer, das Chancen- und Risikoprofil des Immobilienobjektes abzubilden, zu analysieren und zu bewerten, um die notwendigen Informationen für die Bestimmung des Kaufpreises und die seiner Absicherung dienenden Klauseln im Kaufvertrag zu bestimmen. Für den Abgleich der interdisziplinären Beiträge und deren Integration in einen zusammenfassenden Bericht mit einem Entwurf des Kaufvertrages und einer Kaufpreisempfehlung eignen sich insbesondere interdisziplinär ausgebildete Fachleute der Bau- und Immobilienwirtschaft, z. B. der Master of Science in Real Estate Management + Construction Project Management (M. Sc. REM + CPM) der Universität Wuppertal.

6

Immobilienbewertung

Im Rahmen der Projektentwicklung, des Projektmanagements und des Facility Managements hat die Immobilienbewertung, genauer die Bewertung bebauter und unbebauter Grundstücke, zentrale Bedeutung. In diesem Kapitel soll eine Hilfestellung dazu geboten werden, für den jeweiligen Anwendungsfall das richtige Verfahren der in Deutschland in der Immobilienwertverordnung (ImmoWertV) normierten Verfahren auszuwählen. Hierbei werden zunächst wichtige rechtliche Grundlagen und Wertbegriffe erläutert sowie die vielfältigen Anlässe für Immobilienbewertungen aufgeführt.

6.1

Rechtliche Grundlagen

Für die Immobilienbewertung nach normierten Verfahren gelten zahlreiche Gesetze, Verordnungen, Richtlinien und Normen. Die wichtigsten werden nachfolgend aufgeführt, differenziert nach Rechts- und Themengebieten. Das Wertermittlungsrecht wird maßgeblich bestimmt durch die Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (ImmobilienwertermittlungsverordnungImmoWertV) vom 19.05.2010 (BGBl. I S. 639)

267

Aus dem Bauplanungsrecht haben für die Immobilienbewertung besondere Bedeutung: • das Baugesetzbuch (BauGB) i. d. F. vom 03.11.2017 (BGBl. I S. 3634), • die Baunutzungsverordnung (BauNVO) i. d. F. vom 21.11.2017 (BGBI I S. 3786) Das steuerliche Bewertungsrecht wird u. a. geregelt durch das: • Bewertungsgesetz (BewG i. d. F. vom 01.02.1991 (BGBl. I S. 230), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 4. November 2016 (BGBI. I S. 2464). Dieses enthält in § 9 Abs. 1 BewG den Bewertungsgrundsatz, dass bei Bewertungen, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, der gemeine Wert gemäß § 9 Abs. 2 zugrunde zu legen ist. Die §§ 19 bis 32 BewG enthalten Regelungen zur Feststellung von Einheitswerten u. a. für Grundstücke für Zwecke der Besteuerung. Die §§ 72 bis 90 BewG regeln die Wertermittlung unbebauter und bebauter Grundstücke nach dem Vergleichs-, Ertrags- und Sachwertverfahren. Für die Bewertung von Grundbesitz für die Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie für die Grunderwerbsteuer gelten die §§ 145 bis 149 BewG. Die sich danach ergebenden Grundstückswerte sind maßgeblich für die Bemessung der Grundsteuer sowie der Erbschaft- und Schenkungsteuer. • Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) i. d. F. vom 26.02.1997 (BGBl. I S. 418, ber. S. 1804), zuletzt geändert durch Artikel 18 des Gesetzes vom 18. Juli 2016 (BGBI I S. 1679; dieses regelt die Bemessung der Grunderwerbsteuer bei Grundstückstransaktionen. • Grundsteuergesetz (GrStG) vom 07.08.1973 (BGBI. I S. 965), zuletzt geändert durch Artikel 38 des Gesetzes vom 19. Dezember 2008 (BGBI I S. 2794). Dieses regelt die Steuerpflicht, die Bemessung, Festsetzung und Entrichtung der Grundsteuer. • Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) i. d. F. vom 27.02.1997 (BGBl. I S. 378), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBI I S. 2730).

268

Dieses regelt die Steuerpflicht beim Erwerb von Todes wegen und bei Schenkungen unter Lebenden, die Wertermittlung, Berechnung der Steuer sowie die Steuerfestsetzung und Erhebung. Für das Rechnungswesen ist das Handelsgesetzbuch (HGB) vom 10.05.1897, letzte Änderung vom 21.06.2019 (BGBl. I S. 846), zu beachten. Es regelt zwar in erster Linie die Rechtsverhältnisse, Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften der Kaufleute und der Handelsgesellschaften, definiert aber auch die Bewertung von Vermögensgegenständen, wie z. B. Grundstücken, die Teil des Sachanlagevermögens in der Bilanz sein können. So heißt es unter § 253 Abs. 3 HGB u. a.: „Bei Vermögensgegenständen des Anlagevermögens, deren Nutzung zeitlich begrenzt ist, sind die Anschaffungs- oder Herstellungskosten um planmäßige Abschreibungen zu vermindern . . . . Ohne Rücksicht darauf, ob ihre Nutzung zeitlich begrenzt ist, sind bei Vermögensgegenständen des Anlagevermögens bei voraussichtlich dauernder Wertminderung außerplanmäßige Abschreibungen vorzunehmen, um diese mit dem niedrigeren Wert anzusetzen, der ihnen am Abschlussstichtag beizulegen ist. Bei Finanzanlagen können außerplanmäßige Abschreibungen auch bei voraussichtlich nicht dauernder Wertminderung vorgenommen werden.“ Mit der EU-Verordnung Nr. 1606/2002 vom 19.07.2002 wurde durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rat verbindlich die Einführung der International Accounting Standards (IAS) bzw. der International Financial Reporting Standards (IFRS) für Konzernabschlüsse börsennotierter Unternehmen ab 2005 vorgeschrieben. Für derartige Unternehmen, die häufig über großen Immobilienbestand verfügen, wird das HGB durch die IAS/IFRS abgelöst. Die IAS/IFRS bemühen sich um eine objektive Darstellung der Vermögens- und Ertragslage (true and fair view), während das HGB durch übermäßige Betonung des Gläubigerschutzes und die zentrale Stellung des Vorsichtsprinzips ein pessimistisch

C. J. Diederichs und N. Preuß

verzerrtes Bild der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens vermittelt (Diederichs 2006, S. 607). Im Rahmen des kreditwirtschaftlichen Bewertungsrechts sind das Kreditwesengesetz (KWG) vom 09.09.1998 BGBl. I S. 2776, zuletzt geändert durch Art. 14 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2446). Besondere Bedeutung hat auch das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) in der Fassung vom 04. Juli 2013 mit der letzten Änderung von Art. 7 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBI. I, S. 2394). Der Versicherungswert einer Immobilie wird in den Verbundenen Wohngebäudeversicherungsbedingungen (VGB 2016) definiert und dessen Bedeutung erläutert.

6.2

Wertbegriffe

Aufgrund der rechtlichen Grundlagen und verschiedenen Anwendungsgebiete haben sich unterschiedliche Wertbegriffe entwickelt. Sie werden nachfolgend definiert und in den Beschreibungen der Bewertungsverfahren wieder aufgegriffen.

6.2.1

Verkehrswert nach § 194 BauGB

„Der Verkehrswert (Marktwert) wird durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre.“

6.2.2

Gemeiner Wert nach § 9 BewG

(1) „Bei Bewertungen ist, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, der gemeine Wert zugrunde zu legen. (2) Der gemeine Wert wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen.“

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

6.2.3 Einheitswert nach § 19 BewG Einheitswerte für inländischen Grundbesitz werden für den Osten (ehemals DDR) nach den Wertverhältnissen zum Hauptfeststellungszeitpunkt 01. Januar 1935 und für den Westen (BRD) zum Hauptfeststellungszeitpunkt 01. Januar 1964 festgestellt durch Einheitswertbescheide der Finanzämter. Der Einheitswert hat Bedeutung für die Grundsteuer, die Gewerbesteuer bei vorhandenen Betriebsgrundstücken und für die Zweitwohnungsteuer. Für die Umrechnung von DM in Euro war ab 1990 für die Abrundung § 30 BewG zu beachten. 6.2.4

Buchwert nach § 253 Abs. 1 HGB

„Vermögensgegenstände sind höchstens mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen, vermindert um Abschreibungen nach den Abs. 3 bis 5.“

6.2.5 Marktwert nach der Richtlinie 91/674/EWG des Rates vom 19.12.1991, Art. 49 Abs. 2, l.Ä. durch Richtlinie 2003/51/EG vom 18. Juni 2003 „Unter dem Marktwert ist der Preis zu verstehen, der zum Zeitpunkt der Bewertung aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages über Bauten oder Grundstücke zwischen einem verkaufswilligen Verkäufer und einem ihm nicht durch persönliche Beziehung verbundenen Käufer unter der Voraussetzung zu erzielen ist, dass das Grundstück offen am Markt angeboten wurde, dass die Marktverhältnisse einer ordnungsgemäßen Veräußerung nicht im Wege stehen und dass eine der Bedeutung des Objektes angemessene Verhandlungszeit zur Verfügung steht.“

6.2.6 Zeitwert nach IAS 16 Ziffer 32 vom 03.11.2008, l.Ä. durch Art. 1 ÄndVO (EG) 70/2009 vom 23.01.2009 (ABl. Nr. L 21 S. 16) „Der beizulegende Zeitwert von Grundstücken und Gebäuden wird in der Regel nach den auf dem Markt basierenden Daten ermittelt, wobei man sich normalerweise der Berechnungen hauptamtlicher Gutachter bedient. Der beizulegende Zeitwert für

269 technische Anlagen sowie Betriebs- und Geschäftsausstattung ist in der Regel der durch Schätzungen ermittelte Marktwert.“

6.2.7

Beleihungswert nach § 16 Abs. 2 PfandBG

„Der Beleihungswert darf den Wert nicht überschreiten, der sich im Rahmen einer vorsichtigen Bewertung der zukünftigen Verkäuflichkeit einer Immobilie und unter Berücksichtigung der langfristigen, nachhaltigen Merkmale des Objektes, der normalen regionalen Marktgegebenheiten sowie der derzeitigen und möglichen anderweitigen Nutzungen ergibt. Spekulative Elemente dürfen dabei nicht berücksichtigt werden. Der Beleihungswert darf einen auf transparente Weise und nach einem anerkannten Bewertungsverfahren ermittelten Marktwert nicht übersteigen. Der Marktwert ist der geschätzte Betrag, für welchen ein Beleihungsobjekt am Bewertungsstichtag zwischen einem verkaufsbereiten Verkäufer und einem kaufbereiten Erwerber, nach angemessenem Vermarktungszeitraum, in einer Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr verkauft werden könnte, wobei jede Partei mit Sachkenntnis, Umsicht und ohne Zwang handelt.“

6.2.8

Versicherungswert nach § 88 VVG

„Soweit nichts anderes vereinbart ist, gilt als Versicherungswert, wenn sich die Versicherung auf eine Sache oder einen Inbegriff von Sachen bezieht, der Betrag, den der Versicherungsnehmer zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles für die Wiederbeschaffung oder Wiederherstellung der versicherten Sache in neuwertigem Zustand unter Abzug des sich aus dem Unterschied zwischen alt und neu ergebenden Minderwertes aufzuwenden hat.“

Diesbezüglich wird der Versicherungswert an den Wert des versicherten Interesses gebunden. Da der Boden bzw. das Grundstück selbst als unzerstörbar gilt, liegt der Fokus auf der Ermittlung des Versicherungswertes des Gebäudes (Pfnür 2011, S. 55). Bezüglich der Neuwertsicherung wird in der Regel der ortsübliche Neubauwert als Versicherungssumme angenommen, wodurch die Entwicklung von Neubaukosten an dem spezifischen Standort bei der Versicherungssumme zu berücksichtigen ist. (Leopoldsberger et al. 2015, S. 432).

270

6.3

C. J. Diederichs und N. Preuß

Anlässe einer Immobilienbewertung

Im Rahmen des Immobilienmanagements gibt es zahlreiche Anlässe, die eine Immobilienbewertung erforderlich machen. Sie lassen sich einteilen in die Verwendung für Grundstückstransaktionen und für die Bestandsbewertung. Zu den Grundstückstransaktionen zählen: • der An- und Verkauf mit der Notwendigkeit der Ermittlung eines (Markt-) Kaufpreises oder Verkaufspreises, • die Enteignung mit der Notwendigkeit der Entschädigung, die sich nach § 95 Abs. 1 BauGB nach dem Verkehrswert des zu enteignenden Grundstücks bemisst. Dies ist Aufgabe des Gutachterausschusses nach § 192 BauGB für die in § 193 Abs. 1 BauGB auch angeführten weiteren Fälle. • Versteigerungen im Wege der Zwangsvollstreckung, • Vermögensauseinandersetzungen und • Firmenübernahmen. Zahlreiche Anlässe erfordern eine Bestandsbewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, die keine Grundstückstransaktion auslösen: • Im Rahmen der Handels- und Steuerbilanz nach HGB und IAS/IFRS ist der Marktwert von Immobilien zu ermitteln, auch bei der Identifizierung von stillen Reserven. • Die Bemessung von Grunderwerb-, Grund-, Erbschaft- und Schenkungssteuern richtet sich nach gesetzlich geregelten Wertermittlungen. • In der Kreditwirtschaft ist zur Prüfung zulässiger Kredithöhen der jeweilige Beleihungswert der Immobilie zu ermitteln. • Die Versicherungswirtschaft benötigt zur Versicherung von Gebäuden den jeweiligen Versicherungswert. Zur Bemessung der Performance (Rendite und Wertveränderung von Immobilien, z. B. der Immobilienportfolios Offener Immobilienfonds) ist die Beobachtung der Entwicklung des Verkehrswertes der einzelnen Immobilien zu Transaktionswerten erforderlich.

Die zahlreichen Anwendungsfälle machen deutlich, dass Immobilienbewertungen nach unterschiedlichen Verfahren vorgenommen werden müssen. Herausragende Bedeutung haben sicherlich Immobilienwertermittlungen im Rahmen von Grundstückskäufen und -verkäufen sowie die Ermittlung von Beleihungswerten im Rahmen der Kreditfinanzierung. Seit Einführung der Bilanzierungsvorschriften nach IAS/IFRS im Jahr 2005 gewinnt die Immobilienbewertung auch im Rahmen der Bilanzierung besondere Bedeutung in Deutschland, da die internationalen Bilanzierungsrichtlinien eine regelmäßige jährliche Bewertung des Immobilienvermögens im Anlagevermögen vorschreiben. Hinsichtlich des Bewertungszwecks ist zwischen objektivistischen und subjektivistischen Immobilienwertermittlungen zu unterscheiden. Sofern der Immobilienwert vorrangig als Grundlage einer rechtlichen und vertraglichen Regelung dient, ist die Wertermittlung möglichst objektiv vorzunehmen, so z. B. beim Verkehrswert, bei steuerbilanziellen oder handelsbilanziellen Werten. Subjektivistische Wertermittlungen berücksichtigen persönliche und situative Faktoren wie z. B. für Beleihungswerte, Kapitalwerte, Optionswerte oder Nutzwerte (Pfnür 2011, S. 50).

6.4

Verfahren und Methoden der Immobilienbewertung

Die Verkehrswerte bebauter und unbebauter Grundstücke können nach nationalen und gemäß ImmoWertV normierten oder nicht normierten Verfahren sowie nach internationalen Bewertungsverfahren ermittelt werden. Zur Anwendung der in der ImmoWertV geregelten Vergleichs-, Ertrags- oder Sachwertverfahren sind grundsätzlich nur die Gutachter der örtlichen Gutachterausschüsse gemäß §§ 192 ff. BauGB verpflichtet. Sie müssen unter Anwendung eines oder mehrerer normierter Verfahren einen Verkehrswert feststellen. Andere Gutachter sind nicht an die Regelungen der ImmoWertV gebunden und damit frei in der Wahl der Bewertungsverfahren. Da die normierten Verfahren der ImmoWertV ein anerkanntes Regelwerk darstellen, sind Abweichungen davon im Gutachten zu begründen.

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

Gemäß § 8 Abs. 1 ImmoWertV sind zur Ermittlung des Verkehrswerts das Vergleichswertverfahren (§ 15), das Ertragswertverfahren (§§ 17 bis 20), das Sachwertverfahren (§§ 21 bis 23) oder mehrere dieser Verfahren heranzuziehen. Der Verkehrswert ist aus dem Ergebnis des herangezogenen Verfahrens unter Berücksichtigung der Lage auf dem Grundstücksmarkt (§ 3 Abs. 2) zu bemessen. Sind mehrere Verfahren herangezogen worden, ist der Verkehrswert aus den Ergebnissen der angewandten Verfahren unter Würdigung ihrer Aussagefähigkeit zu bemessen. Gemäß § 7 sind die Verfahren unter Berücksichtigung der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bestehenden Gepflogenheiten und der sonstigen Umstände des Einzelfalls zu wählen. Die Wahl ist zu begründen. Für die Verkehrswertermittlung unbebauter Grundstücke und des Bodenwertanteils bebauter

271

Grundstücke kommt gem. § 16 ImmoWertV i. d. R. das Vergleichswertverfahren zur Anwendung. Für die Verkehrswertermittlung bebauter Grundstücke wird bei Fremdnutzung üblicherweise das Ertragswertverfahren und bei unrentierlicher Eigennutzung das Sachwertverfahren angewandt. Die Verfahren und Methoden der Immobilienbewertung zeigt Abb. 37; die Wahl des Werteermittlungsverfahren Abb. 38.

6.4.1 Vergleichswertverfahren Das Vergleichswertverfahren ist das Regelverfahren für die Bodenwertermittlung unbebauter und bebauter Grundstücke. (§ 15 ImmoWertV) Liegen genügend Vergleichspreise vor, so ist es nicht nur die einfachste, sondern auch die zuverlässigste Methode. Beim unmittelbaren Preisvergleich wird der Bodenwert aus Kaufpreisen vergleichbarer Grund-

Abb. 37 Nationale normierte und nicht normierte sowie internationale Bewertungsverfahren und -methoden. (Quelle: nach Diederichs 2012, S. 744)

272

C. J. Diederichs und N. Preuß

Abb. 38 Wahl des Wertermittlungsverfahrens. (Quelle: Kleiber 2017, S. 956)

stücke durch Mittelwertbildung aus den Preisen in €/m2 Grundstücksfläche der Vergleichsgrundstücke abgeleitet. Dabei sind Abweichungen im Zustand des zu bewertenden Grundstücks und in den allgemeinen Wertverhältnissen am Wertermittlungsstichtag gemäß § 3 ImmoWertV zu berücksichtigen. Nach § 11 ImmoWertV sollen vorhandene Indexreihen, die die Änderungen der allgemeinen Wertverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt erfassen, und nach § 12 ImmoWertV Umrechnungskoeffizienten, die die Wertunterschiede aus Abweichungen bestimmter wertbeeinflussender Merkmale sonst gleichartiger Grundstücke erfassen, insbesondere aus dem unterschiedlichen Maß der baulichen Nutzung, herangezogen werden. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse gemäß § 7 ImmoWertV wie z. B. besondere Bindungen verwandtschaftlicher, wirtschaftlicher oder sonstiger Art sind auszuschließen. Bei Anwendung des Vergleichswertverfahrens sind nach § 15 Abs. 1 ImmoWertV Kaufpreise solcher Grundstücke heranzuziehen, die hinsichtlich der ihren Wert beeinflussenden Merkmale (§§ 5 und 6) mit dem zu bewertenden Grundstück hinreichend übereinstimmen. Finden sich in der Nachbarschaft des Grundstücks nicht genügend Kaufpreise, so können auch Vergleichsgrundstücke aus vergleichbaren Gebieten herangezogen werden.

Nach § 5 ImmoWertV wird unterschieden zwischen Flächen der Land- und Forstwirtschaft (Abs. 1), Bauerwartungsland (Abs. 2), Rohbauland (Abs. 3) und baureifem Land (Abs. 4). Als weitere Zustandsmerkmale unterscheidet § 6 ImmoWertV Art und Maß der baulichen Nutzung (Abs. 1), Wert beeinflussende Rechte und Belastungen (Abs. 2), den abgabenrechtlichen Zustand des Grundstücks (Abs. 3), die Lagemerkmale der Verkehrsanbindung, der Nachbarschaft u. a. (Abs. 4), die tatsächliche Nutzung, die Grundstücksgröße und Bodenbeschaffenheit, die Eignung als Baugrund; bei bebauten Grundstücken zusätzlich die Gebäudeart, die Bauweise und Baugestaltung, den baulichen Zustand, die energetischen Eigenschaften, das Baujahr und die Restnutzungsdauer (Abs. 5). In Abs. 6 wird die Restnutzungsdauer definiert als Zahl der Jahre, in denen die baulichen Anlagen bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung voraussichtlich noch wirtschaftlich genutzt werden können. Das Vergleichswertverfahren findet auch Anwendung bei bebauten Grundstücken, die mit weitgehend typisierten Gebäuden, z. B. Wohngebäuden, bebaut sind und bei denen sich der Immobilienmarkt an einer ausreichenden Anzahl von Vergleichspreisen orientieren kann. Das Schema für die Ermittlung des Verkehrswertes im Vergleichsverfahren zeigt Abb. 39.

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

273

Abb. 39 Schema des Vergleichswertverfahrens nach ImmoWertV. (Quelle: Kleiber 2017, S. 1363)

Die Vorteile des Vergleichswertverfahrens bestehen darin, dass es sich um ein einfaches, leicht verständliches und zuverlässiges Wertermittlungsverfahren handelt, das für die Bodenwertermittlung herausragende Bedeutung hat. Durch seine Orien-

tierung an den Verhältnissen des Grundstücksmarktes erzielen Gutachten auf Basis des Vergleichswertverfahrens eine hohe Akzeptanz. Voraussetzung für die Anwendung des Verfahrens ist allerdings, dass eine ausreichende Anzahl geeigneter Vergleichs-

274

preise, Vergleichsfaktoren, Preisindizes und Umrechnungskoeffizienten verfügbar ist (Leopoldsberger et al. 2015, S. 441).

6.4.2 Ertragswertverfahren Bei Anwendung des Ertragswertverfahrens ist nach § 17 ImmoWertV der Wert der baulichen Anlage, insbesondere der Gebäude, getrennt von dem Bodenwert auf der Grundlage des Ertrages nach den §§ 17 bis 20 zu ermitteln. Nach § 16 Abs. 1 ist der Bodenwert i. d. R. im Vergleichswertverfahren (§§ 15 und 16 ImmoWertV) zu ermitteln. Der Ertragswert wird dann gemäß § 17 Abs. 2 ImmoWertV in zwei unterschiedlichen Rechenschritten ermittelt werden. 1. „aus dem nach § 16 ermittelten Bodenwert und dem um den Betrag der angemessenen Verzinsung des Bodenwerts verminderten und sodann kapitalisierten Reinertrag (§ 18 Absatz 1); der Ermittlung des Bodenwertverzinsungsbetrags ist der für die Kapitalisierung nach § 20 maßgebliche Liegenschaftszinssatz zugrunde zu legen; bei der Ermittlung des Bodenwertverzinsungsbetrags sind selbstständig nutzbare Teilflächen nicht zu berücksichtigen (allgemeines Ertragswertverfahren) oder 2. aus dem nach § 20 kapitalisierten Reinertrag (§ 18 Absatz 1) und dem nach § 16 ermittelten Bodenwert, der mit Ausnahme des Werts von selbstständig nutzbaren Teilflächen auf den Wertermittlungsstichtag nach § 20 abzuzinsen ist (vereinfachtes Ertragswertverfahren).“ Das Ertragswertverfahren eignet sich für die Verkehrswertermittlung von Grundstücken, die üblicherweise dem Nutzer zur Ertragserzielung dienen, da es dem Käufer eines derartigen Objektes in erster Linie auf die Verzinsung des von ihm investierten Kapitals ankommt. Damit ist das Ertragswertverfahren die sachgerechte Methode zur Ermittlung des Verkehrswertes für Mietwohn-, Hotel-, Geschäfts-, Fabrik-, Garagen-, gewerblich genutzte und gemischt genutzte Grundstücke. Der Ertragswert stellt die „Summe der Barwerte aller bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung eines Grundstücks marktüblich erzielbaren Rein-

C. J. Diederichs und N. Preuß

erträge einschließlich des Barwertes des Bodenwertes“ dar (Leopoldsberger et al. 2015, S. 441) und wird formelmäßig wie folgt beschrieben:

EW ¼ ðRoE  BewK  z  BW Þ 

ð1 þ zÞn  1 ð1 þ zÞn  z

þ BW EW = Ertragswert BW = Bodenwert zum Wertermittlungsstichtag RoE = Jahresrohertrag n

V

Þ 1 = Vervielfältiger ðð1þz 1þzÞn z

BewK = Bewirtschaftungskosten z = Liegenschaftszinssatz n = Restnutzungsdauer der baulichen Anlagen

Ausgangsbasis des Ertragswertverfahrens ist die Ermittlung des nachhaltig erzielbaren Reinertrages des Grundstücks und seiner Bebauung. Als nachhaltig gelten grundsätzlich diejenigen Erträge, die am Wertermittlungsstichtag unter gewöhnlichen Verhältnissen im Durchschnitt erzielbar sind. Inflationäre Entwicklungen werden nicht berücksichtigt, da die Zukunftserwartungen mit dem aus der Kaufpreissammlung abgeleiteten Liegenschaftszinssatz erfasst werden. Dies ist nach § 14 Abs. 3 ImmoWertV der Zinssatz, mit dem der Verkehrswert von Liegenschaften im Durchschnitt marktüblich verzinst wird. Der Vervielfältiger bzw. Rentenbarwertfaktor errechnet sich aus dem Liegenschaftszinssatz gem. § 14 Abs. 3 ImmoWertV und der Restnutzungsdauer gem. § 6 Abs. 6 ImmoWertV. Als Restnutzungsdauer ist die Anzahl der Jahre anzusehen, in denen die baulichen Anlagen bei ordnungsgemäßer Unterhaltung und Bewirtschaftung voraussichtlich noch wirtschaftlich genutzt werden können. Dabei ist allein die wirtschaftliche Nutzungsdauer und nicht die technische Lebensdauer anzusetzen. Sie kann insbesondere durch Modernisierungen verlängert bzw. durch unterlassene Instandhaltung verkürzt werden (§ 6 Abs. 6 ImmoWertV). Das Schema für die Ermittlung des Verkehrswertes im Ertragswertverfahren zeigt Abb. 40.

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

275

Abb. 40 Ermittlung des Ertragswertes nach ImmoWertV. (Quelle: Kleiber 2017, S. 1771)

6.4.3 Sachwertverfahren Das Sachwertverfahren wird in den §§ 21 bis 23 ImmoWertV beschrieben und eignet sich vor allem für die Verkehrswertermittlung von Immobilien, die nicht auf eine möglichst hohe Rendite des investierten Kapitals abzielen, wie

z. B. Ein- und Zweifamilienhäuser, sondern die zum Zwecke der Eigennutzung gebaut oder gekauft werden. Als Motiv für die Investition in selbstgenutzte Ein- und Zweifamilienhäuser ist vor allem die Geldanlage in krisensichere Sachwerte mit zu erwartender Wertsteigerung zu sehen.

276

Anders als beim Ertragswertverfahren werden beim Sachwertverfahren marktfern die Herstellungskosten errechnet (Leopoldsberger et al. 2015, S. 452). Der Sachwert setzt sich nach § 21 ImmoWertV aus drei Komponenten zusammen: • dem Sachwert der nutzbaren baulichen Anlagen (ohne Außenanlagen) unter Berücksichtigung der Alterswertminderung, • dem Bodenwert (§ 16) unter Beachtung der allgemeinen Verhältnisse auf dem Grundstücksmarkt durch Anwendung von Sachwertfaktoren • dem Sachwert der baulichen Außenanlagen und sonstigen Anlagen, soweit sie nicht vom Bodenwert miterfasst sind. Die Einbeziehung der Sachwertfaktoren dient der Berücksichtigung der allgemeinen Wertverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 ImmoWertV). Der Bodenwert ist wie beim Ertragswertverfahren regelmäßig nach dem Vergleichswertverfahren zu ermitteln (§ 16 ImmoWertV). „Der Sachwert der baulichen Anlagen (ohne Außenanlagen) ist ausgehend von den Herstellungskosten (§ 22) unter Berücksichtigung der Alterswertminderung (§ 23) zu ermitteln“ (§ 21 Abs. 2 ImmoWertV). Für die Ermittlung der Herstellungskosten sieht § 22 Abs. 1 ImmoWertV die gewöhnlichen Herstellungskosten je Flächen-, Raum- oder sonstiger Bezugseinheit vor, vervielfacht mit der jeweiligen Anzahl der entsprechenden Bezugseinheiten der baulichen Anlagen. „Normalherstellungskosten sind die Kosten, die marktüblich für die Neuerrichtung einer entsprechenden baulichen Anlage aufzuwenden wären. Mit diesen Kosten nicht erfasste einzelne Bauteile, Einrichtungen oder sonstige Vorrichtungen sind durch Zu- oder Abschläge zu berücksichtigen, soweit dies dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr entspricht. Zu den Normalherstellungskosten gehören auch die üblicherweise entstehenden Baunebenkosten, insbesondere Kosten für Planung, Baudurchführung, behördliche Prüfungen und Genehmigungen. Ausnahmsweise können die Herstellungskosten der baulichen Anlagen nach

C. J. Diederichs und N. Preuß

den gewöhnlichen Herstellungskosten einzelner Bauleistungen (Einzelkosten) ermittelt werden“ (§ 22 Abs. 2 ImmoWertV). „Normalherstellungskosten“ sind in der Regel mit Hilfe geeigneter Baupreisindexreihen an die aktuellen Preisverhältnisse am Wertermittlungsstichtag anzupassen (§ 22 Abs. 3 ImmoWertV). Die Ermittlung des Sachwertes gem. ImmoWertV lässt sich dem Schema aus Abb. 41 entnehmen.

6.4.4

Beleihungswertermittlung in der Kreditwirtschaft Gem. § 14 PfandBG liegt die Beleihungsgrenze für Hypotheken bei maximal 60 % des von der Pfandbriefbank gem. § 16 PfandBG festgesetzten Beleihungswertes (Müthlein und Hoffmann 2017, S. 3). „Der Beleihungswert darf den Wert nicht überschreiten, der sich im Rahmen einer vorsichtigen Bewertung der zukünftigen Verkäuflichkeit einer Immobilie und unter Berücksichtigung der langfristigen, nachhaltigen Merkmale des Objektes, der normalen regionalen Marktgegebenheiten sowie der derzeitigen und möglichen anderweitigen Nutzungen ergibt. Spekulative Elemente dürfen dabei nicht berücksichtigt werden. Der Beleihungswert darf einen auf transparente Weise und nach einem anerkannten Bewertungsverfahren ermittelten Marktwert nicht übersteigen. Der Marktwert ist der geschätzte Betrag, für welchen ein Beleihungsobjekt am Bewertungsstichtag zwischen einem verkaufsbereiten Verkäufer und einem kaufbereiten Erwerber, nach angemessenem Vermarktungszeitraum, in einer Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr verkauft werden könnte, wobei jede Partei mit Sachkenntnis, Umsicht und ohne Zwang handelt“ (§ 16 Abs. 2 PfandBG). Der Marktwert entspricht demzufolge dem gem. ImmoWertV ermittelten Verkehrswert. Grundpfandrechtlich besicherte Kredite werden diesbezüglich von folgenden Banken bzw. Institutsgruppen gewährt: • • • • • •

Bausparkassen Genossenschaftsbanken Geschäfts- und Kreditbanken Hypothekenbanken Landesbanken Sparkassen

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

277

Vorläufiger Sachwert, marktangepasster vorläufiger Sachwert und Sachwert Gewöhnliche Herstellungskosten der baulichen Anlagen

Gewöhnliche Herstellungskosten der baulichen und sonstigen Außenanlagen

Bodenwert (vorläufiger mit dem Sachwertfaktor kompatibler Bodenwert)

Vorläufiger Sachwert

Marktanpassung durch Anwendung des Sachwertfaktors des Gutachterausschusses

Marktangepasster vorläufiger Sachwert (§ 8 Abs. 2 i.V. m. § 14 Abs. 2 ImmoWertV)

Berücksichtigung besonderer objektspezifischer Grundstücksmerkmale (§ 8 Abs. 3 ImmoWertV)

Sachwert (=Verkehrs- bzw. Sachwert)

Abb. 41 Ermittlung des vorläufigen Sachwerts, des marktangepassten vorläufigen Sachwerts und des Sachwerts gem. ImmoWertV. (Quelle: Kleiber 2017, S. 2007)

• Versicherungen • Leasinggesellschaften Die Beleihungswertermittlung ist Voraussetzung sowohl für die Gewährung grundpfandrechtlich gesicherter Personalkredite als auch personenunabhängiger Realkredite. Realkredite müssen eine den Erfordernissen der §§ 14 (Beleihungsgrenze) und 16 PfandBG entsprechende Sicherheit an Grundstücken für die Forderungen der Institute unabhängig von der Person des Kreditnehmers allein durch den Beleihungsgegenstand gewährleisten (Kapitaldienstgrenze für Ver-

zinsung und Tilgung). Daher ist zunächst die Realkreditfähigkeit des Pfandobjektes zu prüfen.

6.5

Sachverständigenwesen

Immobilienbewertungen werden durch Sachverständige vorgenommen. Diese haben somit einen wesentlichen Einfluss auf die rechnerische und methodische Richtigkeit der Bewertung im Allgemeinen und auf die Plausibilität des ermittelten Wertes im Speziellen (Rottke und Thomas 2017, S. 771).

278

Die Qualität der Immobilienbewertung ist dadurch maßgeblich abhängig von der fachlichen Qualifikation der eingeschalteten Sachverständigen und Gutachter. Sachverständige für die Immobilienbewertung sind in Deutschland vorrangig Architekten und Bauingenieure mit der Tendenz zur Betonung vor allem technischer Aspekte in den Gutachten. Der Begriff des Sachverständigen ist in Deutschland nicht geschützt. Es gibt bisher auch kein Berufsgesetz für Sachverständige. In Deutschland sind Immobiliensachverständige in zahlreichen Berufsorganisationen zusammengeschlossen. Dazu zählen u. a.: 1. Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger e. V. (BVS), 2. Bund der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure (BDVI), 3. Bundesverband der Immobilien-InvestmentSachverständigen (BIIS), 4. Bundesverband Deutscher Grundstücks-Sachverständiger (BDGS), 5. Deutscher Verein für Vermessungswesen (DVW), 6. Immobilienverband Deutschland IVD Bundesverband der Immobilienberater, Makler, Verwalter und Sachverständigen e. V. (IVD) 7. RICS Deutschland e. V. Die Rolle deutscher Immobiliensachverständiger konzentriert sich i. d. R. auf die Erstellung von Gutachten ohne direkte Beteiligung am Kauf bzw. Verkauf oder an der Vermietung des zu bewertenden Objektes. Damit wird einerseits die Unabhängigkeit gewahrt, andererseits besteht jedoch die Gefahr der unzureichenden Marktnähe. Die britischen Chartered Surveyors sind neben ihrer Gutachterfunktion auch als Makler und Berater tätig, vor allem als Angestellte in den Grundstücksabteilungen von Unternehmen, Behörden, Verbänden und in Immobilienberatungsunternehmen, während die deutschen Gutachter meistens als Einzelpersonen auftreten. Nach Kleiber (2017, S. 186–188) gelten folgende inhaltlichen Anforderungen im Rahmen der Allgemeinen Grundsätze der Gutachtenserstattung:

C. J. Diederichs und N. Preuß

• • • • • • • •

Konzentrationsgebot Objektivitätsgebot Kompetenzeinhaltungsgebot Sachaufklärungsgebot Sorgfaltspflicht Klarheits- und Transparenzgebot Begründungsgebot Höchstpersönlichkeit

Als Fazit ist damit ein Sachverständiger grundsätzlich verpflichtet, sein Gutachten unter Beachtung der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht zu erstellen. Für private Auftraggeber wird er grundsätzlich im Rahmen eines Werkvertrages tätig und schuldet ein objektiv mangelfreies, für die Zwecke des Auftraggebers verwendbares Gutachten.

6.6

Gutachterausschusswesen

Gutachterausschüsse sind unabhängig und setzen sich aus privaten Fachleuten, die Gutachten über Immobilien erstellen, zusammen. Die Geschäftsstelle der Gutachterausschüsse ist zumeist an einer kommunalen Behörde angesiedelt. Die Aufgaben der Gutachterschüsse lassen sich wie folgt charakterisieren: • Pflege und Aktualisierung der Kaufpreissammlung • Bestimmung von Bodenrichtwerten • Entwicklung von Liegenschaftszinssätzen, Umrechnungskoeffizienten, Vergleichsfaktoren oder Mietpreisspiegeln • Verfassung von Gutachten Notare sind diesbezüglich verpflichtet, eine Ausfertigung eines jeden Grundstücksvertrages an die Geschäftsstelle des Gutachterausschusses zu senden, sodass eine umfassende Informationsübermittlung der aktuellen Kaufpreise in der spezifischen Region für den Ausschuss gewährleistet wird. Ziel und wichtigste Aufgabe des Ausschusses ist es, die Kaufpreissammlung fortlaufend zu aktualisieren (Stroisch 2015, S. 25).

Projektentwicklung und Immobilienmanagement

Literatur Gesetze, Verordnungen, Vorschriften BauGB (2004, 2017) Baugesetzbuch BauNVO (1990, 2017) Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung) BetrKV (2004, 2012) Betriebskostenverordnung BewG (1991, 2016) Bewertungsgesetz BGB (1896, 2018) Bürgerliches Gesetzbuch BGBl (aktuell 2018) Bundesgesetzblatt BHO (1969, 2017) Bundeshaushaltsordnung EG Nr. 1606/2002 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards EnEV (2007, 2016) Energieeinsparverordnung ErbStG (1974, 2017) Erbschaft- und Schenkungssteuergesetz GBO (1994, 2017) Grundbuchordnung GrEStG (1997, 2016) Grunderwerbsteuergesetz GrStG (1973, 2008) Grundsteuergesetz HGB (1897, 2018) Handelsgesetzbuch HOAI (2013) Honorarordnung für Architekten und Ingenieure ImmoWertV (2010) Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (Immobilienwertermittlungsverordnung) KAGB (1981, 2018) Kapitalanlagegesetzbuch KWG (1998, 2018) Kreditwesengesetz PfandBG (2005, 2017) Pfandbriefgesetz VGB (2016) Allgemeine Wohngebäude-Versicherungsbedingungen für Privatkunden (VGB 2016 Privat – Wert 1914 „Gleitender Neuwert Plus“) Musterbedingungen des GDV (Stand: 26.05.2017 VOB/B (2009, 2016) Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen. Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen VVG (2007, 2017) Versicherungsvertragsgesetz

Normen, Richtlinien BREEAM Building Research Establishment Environmental Assessment Methodology DGNB Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e. V. DIN 18205:2016-11 Bedarfsplanung im Bauwesen DIN 18960:2008-02 Nutzungskosten im Hochbau DIN 276:2018-12 Entwurf Kosten im Bauwesen DIN 277 (2016) Grundflächen und Rauminhalte im Bauwesen. Teil 1 Hochbau, Teil 3 (2005-04) Bezugseinheiten für Kostengruppen nach DIN 276 DIN 32736 (2000) Gebäudemanagement – Begriffe und Leistungen, Ausgabe 2000-08 GEFMA 200 (2004-07) Kosten im Facility Management. Entwurf

279 gif (Hrsg) (2016) Richtlinie zur Berechnung der Mietfläche für gewerblichen Raum (MFG) IAS International Accounting Standards IFRS International Financial Reporting Standards LEED Leadership in Energy and Environmental Design RBBau Richtlinien für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes, 19. Aust.- efg. 2018, Berlin

Bücher Arndt J-K (2006) Due diligence real estate. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken Bogenberger S, Schöne LB (2017) Benchmarking im Lebenszyklusmanagement. Springer, Berlin/Heidelberg/NewYork Bone-Winkel S et al (2016) Projektentwicklung. In: Schulte K-W, Bone-Winkel S (Hrsg) Handbuch Immobilien-Projektentwicklung, 3. Aufl. Rudolf Müller, Köln Brauer K-U (Hrsg) (2018a) Grundlagen der Immobilienwirtschaft, Recht-Steuern-Marketing-Finanzierung-Bestandsmanagement-Projektentwicklung. Springer, Berlin/ Heidelberg/New York Brauer K-U (Hrsg) (2018) Grundlagen der Immobilienwirtschaft: Recht – Steuern – Marketing – Finanzierung – Bestandsmanagement – Projektentwicklung, 9. Aufl. Gabler, Wiesbaden Braun H-P, Reents M, Zahn P, Wenzel P (Hrsg) (2013) Facility Management. Erfolg in der Immobilienbewirtschaftung, 6. Aufl. Vieweg, Wiesbaden Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) (2014) Leitfaden WU Hochbau, 3. Aufl. Verfasser: DU Diederichs Projektmanagement AG & Co. KG, Wuppertal Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) (2018) Richtlinien für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes – RBBau. Deutscher Bundesverlag, Bonn Busch TA (2003) Risikomanagement in Generalunternehmungen. Dissertation, ETH Zürich Busse von Colbe W, Laßmann G, Witte F (2015) Investitionstheorie und Investitionsrechnung, 4. Aufl. Gabler, Berlin/Heidelberg Diederichs CJ (1985) Wirtschaftlichkeitsberechnungen – Nutzen/Kosten-Untersuchungen, Allgemeine Grundlagen und spezielle Anwendungen im Bauwesen. DVP, Wuppertal Diederichs CJ (1994) Nutzerbedarfsprogramm – Messlatte der Projektziele. In: DVP (Hrsg) Bausteine der Projektsteuerung – Teil 1. DVP-Verlag, Wuppertal Diederichs CJ (2005) Führungswissen für Bau- und Immobilienfachleute, Band 1: Grundlagen, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/NewYork Diederichs CJ (2006) Führungswissen für Bau- und Immobilienfachleute, Band 2: Immobilienmanagement im

280 Lebenszyklus, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/ NewYork Diederichs CJ (2012) Bauwirtschaft und Baubetrieb In: Handbuch für Bauingenieure, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/NewYork Follak K P, Leopoldsberger G (2016) Finanzierung von Immobilienprojekten. In: Schulte K-W, Bone-Winkel S (Hrsg) Handbuch Immobilien-Projektentwicklung, 3. Aufl. Rudolf Müller, Köln Getto P (2002) Entwicklung eines Bewertungssystems für ökonomischen und ökologischen Wohnungs- und Bürogebäudeneubau. DVP, Wuppertal Hirschner J, Hahr H, Kleinschrot K (2013) Facility Management im Hochbau. Grundlagen für Studium und Praxis. Vieweg, Wiesbaden Hodulak M, Schramm U (2011) Nutzerorientierte Bedarfsplanung. Prozessqualität für nachhaltige Gebäude. Springer, Berlin/Heidelberg Kalusche W (2009) Was wollen wir bauen? Bedarfsplanung im Bauwesen. In: Motzko C (Hrsg) Festschrift 30-Jahre Institut für Baubetrieb, VDI Reihe 4 Nr. 211, TU Darmstadt, Darmstadt Kleiber W (2017) Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 8. Aufl. Bundesanzeiger, Köln Kretschmar H-J (1981) Investitionsrechnung. In: Wirtschaftsprüfer-Handbuch. IdW, Düsseldorf Leopoldsberger G, Thomas M, Naubereit P (2015) Immobilienbewertung. In: Schulte K-W (Hrsg) Immobilienökonomie, Band I: Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4. Aufl. Oldenbourg, München/Wien, S 453–528 Müthlein T, Hoffmann T (2017) Immobiliengeschäft. Gabler, Wiesbaden Pelzeter A, Trübestein M (2016) Real Estate Asset Management, Property Management und Facility Management. In: Schulte K-W, Bone-Winkel S, Schäfers W (Hrsg) Immobilienökonomie I, 5. Aufl. de Gruyter, Oldenbourg Pfnür A (2011) Modernes Immobilienmanagement, 3. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York Preuß N, Schöne LB (2016) Real Estate und Facility Management, 4. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg Rottke NB, Thomas M (2017) Immobilienwirtschaftslehre – Management, E-Book-Text (PDF-Format). Gabler, Wiesbaden Schulte K-W, Bone-Winkel S (Hrsg) (2016) Handbuch Immobilien-Projektentwicklung, 3. Aufl. Rudolf Müller, Köln

C. J. Diederichs und N. Preuß Sotelo R (2016) Projektentwickler und Investoren – welche Produkte für welche Kunden? In: Schulte K-W, Bone-Winkel S (Hrsg) Handbuch Immobilien-Projektentwicklung, 3. Aufl. Rudolf Müller, Köln Streck S (2004) Entwicklung eines Bewertungssystems für die ökonomische und ökologische Erneuerung von Wohnungsbeständen. DVP, Wuppertal Stroisch J (2015) Immobilien bewerten leicht gemacht – inkl. Arbeitshilfen online. Haufe Lexware GmbH, Freiburg Verband für Wärmelieferung e. V. (VfW) (Hrsg) (2017) VfW-Tätigkeitsbericht 2017, Kapitel 3: Arbeitskreis Einspar-Contracting, S. 22–24, Hannover Wellner K (2003) Entwicklung eines Immobilien-Portfolio-Management-Systems. Dissertation, Universität Leipzig Wöhe G, Döring U, Brösel G (2016) Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 26. Aufl. Vahlen, München Zeitner R (2017) Flächenmanagemen. In: Scholz S, Wellner K, Zeitner R et al (Hrsg) Architekturpraxis Bauökonomie. Springer Fachmedien, Wiesbaden

Zeitschriftenaufsätze Diederichs CJ (1994) Grundlagen der Projektentwicklung. Teile 1 und 2 BW Bauwirtschaft November und Dezember 1994 Diederichs CJ (1995) Grundlagen der Projektentwicklung. Teile 3 und 4 BW Bauwirtschaft Januar und Februar 1995 Diederichs CJ (2007) Immobilien-Portfoliomanagement. Facil Manag 5:31–35 Diederichs CJ (2008) Due Diligence von Immobilienbeständen. Facil Manag 4:29–34

Links https://www.corpus-sireo.com/de-de/glossar/asset-manage ment https://www.fib-bund.de/Inhalt/Leitfaden/Wirtschaftlich keit/2014-08_LFWU_Hochbau_3-Auflage_BMUB_ 2014.pdf

Projektmanagement Claus Jürgen Diederichs und Norbert Preuß

Inhalt 1 Projektmanagementleistungen (Zusammenfassung AHO-Schrift Nr. 9 2020 und 2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 2 Neue Leistungsbilder im Projektmanagement (Zusammenfassung AHO-Schrift Nr. 19 2018) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

Abkürzungsverzeichnis Abs. Absatz AG Auftraggeber; Aktiengesellschaft AHO Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung e.V., Berlin AN Auftragnehmer ARGE Arbeitsgemeinschaft BGB Bürgerliches Gesetzbuch BIM Building Information Modeling d. h. das heißt DIN Deutsches Institut für Normung e.V.

DVP

C. J. Diederichs (*) Bauwirtschaft und Baumanagement, Universität Wuppertal, München, Deutschland E-Mail: [email protected]

TGA u. a. v. H. VE vgl.

N. Preuß Executive Project Services, Preuss Project Partner GmbH, München, Deutschland E-Mail: [email protected]

etc. gem. ggf. GmbH HOAI max. Mio. MPM PM PS PSL

Deutscher Verband der Projektmanager in der Bau- und Immobilienwirtschaft e.V., Berlin et cetera gemäß gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Honorarordnung für Architekten und Ingenieure maximal Million(en) Multiprojektmanagement Projektmanagement Projektsteuerung Projektsteuerung von städtebaulichen Leistungen Technische Gebäudeausrüstung unter anderem vom Hundert Value Engineering vergleiche

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. J. Diederichs, A. Malkwitz (Hrsg.), Bauwirtschaft und Baubetrieb, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27916-5_10

281

282

VOF Ziff.

1

C. J. Diederichs et al.

Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen Ziffer

Projektmanagementleistungen (Zusammenfassung AHO-Schrift Nr. 9 2020 und 2014)

Claus Jürgen Diederichs und Norbert Preuß Im folgenden Kapitel werden die wesentlichen Inhalte der AHO-Schrift Nr. 9, 5. Auflage 2020, zusammengefasst. Damit wird dem Leser in knapper Form ein Einstieg in das Projektmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft ermöglicht.

1.1

Einleitung

1.1.1 Historische Entwicklung Die nachfolgenden Ausführungen enthalten zunächst Auszüge aus dem Anhang C der AHO-Schrift Nr. 9, S. 205–208. Die AHO-Fachkommission „Projektsteuerung“ wurde im September 1993 in Bonn gegründet. Die Zielsetzung bestand darin, unter Fortentwicklung des seinerzeitigen § 31 Abs. 1 HOAI ein praxistaugliches Leistungsbild und eine Honorarordnung zur Projektsteuerung zu entwickeln. Die Projektsteuerung im Bauwesen hatte sich seit den 70er-Jahren als eine eigenständige Leistungsdisziplin bei der Abwicklung von größeren Bauvorhaben etabliert. Der im Jahre 1976 eingeführte § 31 HOAI trug jedoch den Bedürfnissen der Praxis nicht ausreichend Rechnung. Die Vorschrift zählte nur beispielhaft einige Kernleistungen der Projektsteuerung auf, im Wesentlichen zur Abgrenzung von den dem Preisrecht der HOAI unterworfenen Architekten- und Ingenieurleistungen. Die Vergütung für die Projektsteuerung blieb ungeregelt. Die ehemals in § 31 (1) HOAI beispielhaft aufgezählten Leistungen waren nicht geeignet, die auftraggeber- und auftragnehmerseitigen Anforderungen an ein ausreichend differenziertes Leistungsbild für Projektsteuerungsleistungen zu erfüllen. Darüber hinaus enthielt § 31 (1) HOAI

keine Gliederung nach Handlungsbereichen und Projektstufen so dass die sehr praxisrelevante Beauftragung von Teilleistungen (z. B. bei gestuften Beauftragungen) erschwert wurde. Diesen Anforderungen sollte durch die Entwicklung eines eigenständigen Standardleistungsbilds für die Bauprojektsteuerung Rechnung getragen werden, welches für eine möglichst große Anzahl von Bau- und Immobilienprojekten Anwendung finden kann. Passend zu diesem Leistungsbild sollten marktgerechte Honorarvorschläge (in einer Honorarordnung) entwickelt werden. Die AHO-Fachkommission konnte bei ihren früheren Entwürfen auf Leistungs-bilder und Honorarordnungen des Deutschen Verbandes der Projektsteuerer in der Bau- und Immobilienwirtschaft e.V. (DVP) zurückgreifen. Im Hinblick auf die damaligen Widerstände gegen eine selbstständige Leistungsdisziplin Projektsteuerung hatte sich die AHO-Fachkommission weitgehend an die HOAI angelehnt. Die Grundleistungen der Projektsteuerung wurden dabei als neutrale und unabhängige Wahrnehmung von Auftraggeberaufgaben in beratender Stabsfunktion beschrieben. Sie umfassten hiernach die Kernfunktionen der Planungs- und Bauabwicklung in den vier Handlungsbereichen A Organisation, Information, Koordination, Dokumentation; B Qualitäten und Quantitäten; C Kosten und Finanzierung; D Termine und Kapazitäten. Die Differenzierung zwischen Grundleistungen und Besonderen Leistungen wurde vorgesehen, um ein Leistungsbild zu entwickeln, welches einerseits die für die Abwicklung von Standardprojekten notwendigen Grundleistungen enthält und andererseits eine hierauf abgestimmte wirtschaftliche Vergütung ermöglicht. Die 1. Auflage der AHO-Schrift Nr. 9 (1996) Projektsteuerung fand bei öffentlichen und privaten Auftraggebern rasch weite Verbreitung in der Praxis. Daher musste die 1. Auflage mehrfach nachgedruckt und in redigierten Fassungen neu aufgelegt werden (1998, 2000, 2002, 2003), bis mit der 2. Auflage, Januar 2004, eine grundlegende Überarbeitung unter dem Titel Projektmanagementleistungen in der Bau- und Immobilienwirtschaft stattfand. Darin blieb die Grundstruktur des Projektsteuerungs-Leistungsbildes zunächst unverändert,

Projektmanagement

insbesondere die Strukturierung in fünf Projektstufen (Projektvorbereitung/Planung/Ausführungsplanung/Ausführung/Projekt-abschluss) sowie in die vier o. a. Handlungsbereiche. Die Leistungsinhalte wurden mit der 2. Auflage 2004 neu gefasst. Die Praxistauglichkeit und Verständlichkeit wurden erhöht und das Leistungsbild auf die Anforderungen der aktuellen Projektgegebenheiten angepasst. Ferner wurde die Projektsteuerung mehr auf den Erfolg der Bauprojekte ausgerichtet und der Übernahme der Projektleitungsaufgaben besonderes Gewicht verliehen. Neben der Standardlösung einer Unterstützung der bauherrenseitigen Projektleitung durch einen Projektsteuerer (in Stabsfunktion) forderten Auftraggeber zunehmend auch die Übernahme von Projektleitungsaufgaben (in Linienfunktion). Dem Projektsteuerer wurde dementsprechend oft das gesamte Portfolio des Projektmanagements bei Immobilien- und Bauprojekten übertragen. Dies war auch Veranlassung, das Leistungsbild und die Honorarordnung nicht auf reine Projektsteuerungsleistungen zu beschränken, sondern für das gesamte Projektmanagement als Summe von Projektsteuerungs- und Projektleitungsaufgaben zu öffnen. Dementsprechend wurde die AHO-Fachkommission im Mai 2003 auch in Projektsteuerung/Projektmanagement umbenannt. Zur weiteren Erleichterung der Beauftragung von Projektsteuerungsleistungen bei Projektsteuerungs- und Projektleitungsaufgaben wurden in die 2. Auflage ein Kapitel 5 Leitfaden zur Beauftragung von Leistungen des Projektmanagements und ein Kapitel 6 Leitfaden zur Vertragsgestaltung für das Projektmanagement aufgenommen. In der 3. Auflage 2009 wurden die vorher in dem Handlungsbereich A enthaltenen Leistungen in einem fünften Handlungsbereich E Verträge und Versicherungen zusammengeführt. Dieser bereits mit der 1. Auflage geplante Handlungsbereich war möglich durch die zwischenzeitliche Lockerung der Regelungen im Rechtsdienstleistungsgesetz 2007. Das Standardleistungsbild enthält seither fünf Handlungsbereiche. Die Neufassung der Leistungsbilder der HOAI 2013 machte eine neue Abgrenzung der Leistungen der Projektsteuerer von denen der Objektplaner notwendig. Dementsprechend wurde mit der

283

4. Auflage 2014 verdeutlicht, dass seither seitens der Projektsteuerer eine vertiefte Kontrolle der Einzelschritte der Planung erforderlich ist. Die verwendeten Begriffe wurden bei den einzelnen Leistungsanforderungen geschärft, auch im Hinblick auf die HOAI-Reform. Zum Teil sind Leistungsanforderungen auch erweitert worden, um den gesamtheitlichen Beitrag des Projektsteuerers zum Projekterfolg deutlicher herauszustellen. Der Kommentarteil des Hefts wurde gestrafft und grundlegend überarbeitet. Schließlich fand eine Anpassung und Überarbeitung der Leitfäden zur Beauftragung von Leistungen des Projektmanagements und zur Vertragsgestaltung jährig statt. Mit der 5. Auflage der AHO-Schrift Nr. 9 vom März 2020 wurden im Kommentar zu den Grundleistungen der Projektsteuerung zu jeder der fünf Projektstufen die zu liefernden Ergebnisse (Lieferobjekte) für jede einzelne Teilleistung tabellarisch zusammengestellt. Damit wird die in den Beispielsammlungen zu den Grundleistungen der Projektsteuerung zum Ausdruck kommende Ergebnisorientierung der Projektsteuerungsleistungen unterstrichen (Diederichs 2002, 2003a, b, 2005) und einer bisher immer wieder festzustellenden Ergebnisoffenheit entgegengewirkt. Ferner wurden die ursprünglich im Leistungsbild integrierten Besonderen Leistungen in einem neuen Kapitel zusammengefasst und auch durchgängig kommentiert, jeweils mit Verweis auf die 2. Auflage der AHOSchrift Nr. 19 vom Januar 2018 „Ergänzende Leistungsbilder“. Erstmalig wurde auch ein Kommentar zu den Grundleistungen der Projektleitung eingefügt. Ergänzend wurde das Thema Lean Management aufgegriffen mit knapper Erläuterung des Lean-Ansatzes und des agilen Projektmanagements. Zusätzlich enthält die 5. Auflage ein Kapitel Projektmanagement mit BIM. Darin wird zwischen den Grundleistungen der Projektsteuerung unter Anwendung der BIM-Methode, ohne dass damit Vergütungsanpassungen verbunden sind, und der Besonderen Leistung des BIM-Managements im Sinne einer Auftragserweiterung für das Projektmanagement unterschieden. In dem an die aktuelle Rechtsprechung angepassten Leitfaden zur Beauftragung und Vertragsgestaltung von Leis-

284

tungen des Projektmanagements wurden die unterschiedlichen Möglichkeiten zur Einbindung von Projektmanagern beschrieben. Das bisher veröffentlichte Vertragsmuster ist wegen der unterschiedlichen Vertragsmodelle der Praxis entfallen. Ergänzend wird verwiesen auf Eschenbruch (2015).

1.1.2 Vergütungsvorschläge In der 1. Auflage 1996 der AHO-Schrift Nr. 9 war ausschließlich eine Honorierung von Projektsteuerungsleistungen mittels Honorartabellen aus Honorarkurven vorgesehen, die ähnlich den Honoraren der HOAI für Architektenund Ingenieurleistungen entwickelt worden war. Die daraus abgeleiteten Pauschalhonorare für Projektsteuerer (die sich allerdings entsprechend der Fortentwicklung der anrechenbaren Kosten verändern konnten) hatten ihre empirische Bestätigung in gutachterlichen Untersuchungen der WIBERA Wirtschaftsberatung Düsseldorf zur Wirtschaftlichkeit und Organisation der Staatshochbauverwaltung NordrheinWestfalen aus dem Jahre 1983 gefunden. Zudem bestätigte eine von der AHO-Fachkommission durchgeführte Honorarumfrage aus dem Frühjahr 1995 die Tafelwerte der Honorartabellen. Die hiernach berechneten Projektsteuererhonorare in Anlehnung an die anrechenbaren Kosten fanden ihre Bestätigung durch neue empirische Untersuchungen von Mittelstädt (2006). Mit der 2. Auflage wurde der Ansatz, Projektsteuerungsleistungen ausschließlich in Anlehnung an die anrechenbaren Kosten zu vergüten, teilweise aufgegeben. Neben das System der an die anrechenbaren Kosten anknüpfender Vergütungssystematik (analog HOAI) wurde die Vergütung nach Zeitaufwand (nach Personaleinsatzkalkulation) gestellt. Beide Honorierungsformen werden heute als selbstständige Angebote für die Marktteilnehmer bereitgehalten. Ursprüngliche Bemühungen, die Leistungs- und Honorarordnung Projektmanagement in die HOAI zu integrieren, werden von der AHO-Fachkommission nicht weiterverfolgt. Sie ist der Auffassung,

C. J. Diederichs et al.

dass sie den Marktteilnehmern angesichts der projektindividuellen Anforderungen an Projektsteuerungsleistungen mit dem Angebot frei verhandelbarer Honorare mehr dient als mit staatlich verordneten Preisvorgaben. Sie trägt damit auch den europarechtlichen Rahmenbedingungen und den gesetzgeberischen Überlegungen zur Reduktion des Anwendungsbereichs der HOAI Rechnung. Die 3. Auflage 2009 der Leistungs- und Honorarordnung Projektmanagement brachte keine wesentlichen Veränderungen der Vergütungsvorschläge. Die mit den Honorarvorschlägen verbundene Möglichkeit der Vereinbarung von vorläufigen oder endgültigen Pauschalen auf der Basis vorläufig kalkulierter anrechenbarer Kosten oder einer alternativen Preisbildung auf Basis einer Personaleinsatzkalkulation belässt den Marktteilnehmern ausreichende Spielräume für eine sachangemessene Honorarfindung. Das Kostenberechnungsmodell der HOAI für Objektplanungsleistungen wurde auch für die Projektsteuerung übernommen, um das Projektsteuerungshonorar von der weiteren Kostenentwicklung nach der Kostenberechnung zu entkoppeln. Mit der 2. Auflage 2004 wurden die Honorartafelwerte erstmals nach 8 Jahren um 12,5 % und mit der 4. Auflage 2014 nach weiteren 10 Jahren sowie 2020 nach weiteren 6 Jahren um jeweils 10 % angehoben. Die Anpassung berücksichtigt einerseits die Indexentwicklung in den Personal- und Bürokosten und andererseits die zwischenzeitlich durchgeführten Leistungsergänzungen, die in den Vorworten zu den jeweiligen Auflagen beschrieben sind. Da es zwischen Bau- und Projektlaufzeit sowie Pauschalhonorar einen unmittelbaren Zusammenhang gibt, wurde bei der Honorartafel ein Hinweis zur Bauzeit aufgenommen. Die Empfehlungen für die Monatsverrechnungssätze bei Vergütung nach Zeitaufwand wurden geringfügig angepasst. Das entwickelte Leistungsbild und die Honorarordnung Projektmanagement mit den klar strukturierten Grundleistungen und Besonderen Leistungen für klassische Projektkonstellationen decken ein weites Anwendungsfeld für Bau- und Immobilienprojekte ab. Die AHO-Schrift Nr. 9 verzeichnet daher in der Praxis weiterhin eine rege Nachfrage.

Projektmanagement

1.2

Leistungen und Honorare für das Projektmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft

Abschn. 2 der AHO-Schrift Nr. 9, 5. Auflage 2020, S. 9–33, enthält in neun Paragrafen Erklärungen, Empfehlungen und Auflistungen zu Leistungen für die Projektsteuerung und die Projektleitung in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Diese §§ 1 bis 9 werden nachstehend auszugsweise wiedergegeben. Die §§ 7 Nebenkosten, 8 Zahlungen und 9 Umsatzsteuer enthalten Regelungsvorschläge gemäß üblichen Architektenund Ingenieurverträgen. § 1 Anwendungsbereich In § 1 wird in neun Absätzen erläutert, dass das AHO-Heft Nr. 9 Vertragsvorschläge für Projektmanagementleistungen bei Hochbauten, Ingenieurbauwerken, Verkehrsanlagen und Anlagenbauprojekten enthält, das Projektmanagement nach DIN 69901-5:2009-01 alle (technischwirtschaftlichen) Führungsaufgaben, -organisationen, -techniken und -mittel für die Initiierung, Definition, Planung, Steuerung und den Abschluss von Projekten umfasst, Projektmanagement sich aus der Projektleitung in Linienfunktion und der Projektsteuerung in Stabsfunktion zusammensetzt, vom Projektmanagement Leistungen der Projektentwicklung sowie der Planungsbeteiligten nach HOAI 2013 und den weiteren Leistungsbildern in den AHO-Schriften und auch Rechtsberatungsleistungen abzugrenzen sind. Wegen des fortgeschrittenen Veröffentlichungsstandes beziehen sich die weiteren Ausführungen noch auf die AHO-Schrift Nr. 9, 4. Auflage vom Mai 2014. § 2 Leistungsbild Projektsteuerung In § 2 wird in drei Absätzen zunächst darauf hingewiesen, dass die Grundleistungen des Leistungsbildes als vereinbart gelten, sofern vertraglich nicht anders vereinbart, und das Leistungsbild gemäß Abb. 1 und Tab. 1 in fünf Projektstufen und fünf Handlungsbereiche untergliedert ist, Abs. 4 liefert zunächst Definitionen für das Mitwirken, Erstellen/Aufstellen, Abstimmen, Umset-

285

zen, Fortschreiben, Prüfen, Überprüfen, Analysieren und Bewerten, Steuern. Es folgt das Prozessmodell der wesentlichen Projektsteuerungsleistungen (Abb. 1) sowie die tabellarische Auflistung der Grundleistungen und Besonderen Leistungen in den fünf Projektstufen mit jeweils fünf Handlungsbereichen. Exemplarisch wird dieses Leistungsbild für die Preisstufe 1. Projektvorbereitung in Tab. 1 gezeigt. Die Leistungsbilder für die Projektstufen 2 bis 5 sind in AHO-Heft Nr. 9, S. 13–22, abgedruckt. § 3 Leistungsbild Projektleitung In § 2 werden im Abs. 1 acht Grundleistungen der Projektleitung a) bis h) in Linienfunktion beschrieben, die nachfolgend wiedergegeben werden. Abs. 2 verweist auf die Nutzerkoordination als Besondere Leistung, für die in der 2. Auflage der AHO-Schrift Nr. 19 (2018) in Abschn. 11 ein aktualisiertes Leistungsbild mit Kommentar erarbeitet wurde. Abs. 3 verweist darauf, dass der Projektsteuerer bei Wahrnehmung von Projektleitungsaufgaben durch den Auftraggeber mit entsprechenden Vollmachten ausgestattet werden muss. (1) Zu Leistungen der Projektleitung gehören – soweit die Vertragsparteien keine anderweitige Festlegung treffen – folgende Grundleistungen: a) Rechtzeitiges Herbeiführen bzw. Treffen der erforderlichen Entscheidungen, sowohl hinsichtlich Funktion, Konstruktion, Standard und Gestaltung, als auch hinsichtlich Organisation, Qualität, Kosten, Terminen sowie Ver-trägen und Versicherungen b) Durchsetzen der erforderlichen Maßnahmen und Vollziehen der Verträge unter Wahrung der Rechte und Pflichten des Auftraggebers in dessen Namen c) Herbeiführen der erforderlichen Genehmigungen, Einwilligungen und Erlaubnisse im Hinblick auf die Genehmigungsreife d) Konfliktmanagement zur Ausrichtung der unterschiedlichen Interessen der Projektbeteiligten auf einheitliche Projektziele hinsichtlich Qualitäten, Kosten und Terminen, u. a. im Hinblick auf

286

C. J. Diederichs et al.

Abb. 1 Prozessmodell der wesentlichen Projektsteuerungsleistungen. (Quelle: AHO-Heft Nr. 9, S. 12)

Projektmanagement

287

Tab. 1 Grundleistungen und Besondere Leistungen in der Projektstufe 1. Projektvorbereitung. (Quelle: AHO-Heft Nr. 9, S. 13–14) Grundleistungen Besondere Leistungen 1. Projektvorbereitung A Organisation, Information, Koordination und Dokumentation (übrige Handlungsbereiche einbeziehend) 1 Entwickeln, Abstimmen und Dokumentieren der 1 Koordination von speziellen Organisationseinheiten des projektspezifischen Organisationsvorgaben mit Auftraggebers Projektstrukturplanung 2 Erstellen von Vorlagen und besondere Berichterstattung 2 Entwickeln und Abstimmen der Grundlagen für die in Auftraggeber- und sonstigen Gremien Planung der Planung 3 Einrichten eines eigenen 3 Mitwirken bei der Festlegung der Projektziele und der Projektkommunikationssystems Dokumentation der Projektvorgaben 4 Erstellen der aufbau- und ablauforganisatorischen 4 Vorschlagen und Abstimmen der Grundlagen zur Planung, übergreifenden Überwachung Kommunikationsstruktur des Informations-, Berichtsund Steuern von mehreren verknüpften Projekten und Protokollwesens (Programme, Projektportfolios) 5 Vorschlagen und Abstimmen des 5 Konzipieren, Vorbereiten und Abstimmen von Entscheidungsmanagements Risikomanagementsystemen mit besonderen 6 Vorschlagen und Abstimmen des Anforderungen Änderungsmanagements 6 Mitwirken bei den Vorbereitungen besonderer 7 Mitwirken beim Risikomanagement behördlicher Genehmigungsverfahren 8 Mitwirken bei der Auswahl eines (z. B. Planfeststellungsverfahren) Projektkommunikationssystems 7 Erstellen eines Konzepts zur Erfassung aller betroffenen Dritten und der relevanten Öffentlichkeit sowie deren Beteiligung im weiteren Projektablauf B Qualitäten und Quantitäten 1 Überprüfen der bestehenden Grundlagen zur 1 Erstellen und Abstimmen einer Bedarfsplanung Bedarfsplanung auf Vollständigkeit und Plausibilität 2 Durchführen einer differenzierten Anfrage bezüglich 2 Mitwirken bei der Klärung der Standortfragen, bei der der Infrastruktur (Ver- und Entsorgungsmedien, Verkehr Beschaffung der standortrelevanten Unterlagen, bei der etc.) und Beschaffen der relevanten Informationen und Grundstücksbeurteilung hinsichtlich Nutzung in Unterlagen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Hinsicht 3 Vorbereiten und Durchführen von Ideen-, Programm3 Überprüfen der Ergebnisse der Grundlagenermittlung und Realisierungswettbewerben der Planungsbeteiligten 4 Strukturieren der Prozesse zur Formulierung und Umsetzen der Nachhaltigkeitsstrategie in der Aufbau- und Ablauforganisation C Kosten und Finanzierung 1 Mitwirken bei der Erstellung des Kostenrahmens für 1 Erstellen von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen Investitionskosten und Nutzungskosten 2 Verwenden von auftraggeberseitig vorgegebenen 2 Mitwirken bei der Ermittlung und Beantragung von EDV-Programmen mit besonderen Anforderungen in Investitions- und Fördermitteln Bezug auf die Informationsverarbeitung und 3 Prüfen und Freigabevorschläge bezüglich der Dokumentation Rechnungen der Planungsbeteiligten und sonstigen Projektbeteiligten (außer bauausführenden Unternehmen) zur Zahlung 4 Abstimmen und Einrichten der projektspezifischen Kostenverfolgung D Termine, Kapazitäten und Logistik 1 Aufstellen und Abstimmen des Terminrahmens 2 Aufstellen und Abstimmen des Steuerungsterminplanes für das Gesamtprojekt und Ableiten des Kapazitätsrahmens 3 Erfassen logistischer Einflussgrößen unter Berücksichtigung relevanter Standort- und Rahmenbedingungen (Fortsetzung)

288

C. J. Diederichs et al.

Tab. 1 (Fortsetzung) Grundleistungen E Verträge und Versicherungen 1 Mitwirken bei der Erstellung einer Vergabe- und Vertragsstruktur für das Gesamtprojekt 2 Vorbereiten und Abstimmen der Inhalte der Planerverträge 3 Mitwirken bei der Auswahl der zu Beteiligenden, bei Verhandlungen und Vorbereitungen der Beauftragungen 4 Vorschlagen der Vertragstermine und -fristen für die Planerverträge 5 Mitwirken bei der Erstellung eines Versicherungskonzeptes für das Gesamtprojekt

• die Pflicht der Projektbeteiligten zur fachlich-inhaltlichen Integration der verschiedenen Planungsleistungen und • die Pflicht der Projektbeteiligten zur Untersuchung von alternativen Lösungsmöglichkeiten e) Leiten von Projektbesprechungen auf Geschäftsführungs-, Vorstandsebene zur Vorbereitung/Einleitung/Durchsetzung von Entscheidungen f) Führen von Verhandlungen mit projektbezogener vertragsrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Bindungswirkung für den Auftraggeber g) Wahrnehmen der zentralen Projektanlaufstelle; Sorge für die Abarbeitung des Entscheidungs-/Maßnahmenkatalogs h) Wahrnehmen von projektbezogenen Repräsentationspflichten gegenüber dem Nutzer, dem Finanzier, den Trägern öffentlicher Belange und der Öffentlichkeit

§ 4 Honorierung von Projektmanagementleistungen In § 4 wird in Abs. 1 klargestellt, dass die Vertragsparteien die Honorierung von Projektmanagementleistungen frei vereinbaren können, da diese nicht zu den in HOAI 2013 geregelten Leistungen zählen. Die Honorierungsvorschläge in Abs. 2 sehen entweder eine Honorierung nach anrechenbaren Kosten analog zur Systematik in der HOAI oder eine Honorierung nach Zeitaufwand vor. Dabei kann in

Besondere Leistungen

beiden Fällen entweder ein Abrechnungsvertrag oder aber ein Pauschalvertrag vereinbart werden. Abs. 3 verweist auf die Möglichkeit einer Bonus-/ Malus-Honorarvereinbarung, wobei der Anteil der Erfolgsvergütung 10 % der Gesamtvergütung nicht übersteigen sollte. In Abs. 4 wird vorgeschlagen, dass bei Beauftragung mit den Grundleistungen der Projektleitung gemäß § 3 ergänzend zu den Leistungen der Projektsteuerung die Projektleitung mit 50 % des Honorars für die Projektsteuerungsleistungen zusätzlich vergütet werden sollte.

§ 5 Bemessung des Projektsteuerungshonorars nach anrechenbaren Kosten In § 5 wird in Abs. 1 geregelt, dass die anrechenbaren Kosten nach DIN 276-1:2008-12 für die Kostengruppen 100 bis 700 ohne 110, 710, 760 und ohne Umsatzsteuer zu ermitteln sind mit dem Status der Kostenberechnung (LPH 3 nach HOAI). Mitzuverarbeitende Bausubstanz ist angemessen zu berücksichtigen. Die anrechenbaren Kosten mehrerer Bauvorhaben werden addiert. In Abs. 2 werden die Bewertungsmerkmale für die Honorarzonen I bis V in Abhängigkeit von sehr geringen bis sehr hohen Preissteuerungsanforderungen benannt je nach Komplexität der Projektorganisation, spezifischer Projektroutine des Auftraggebers, Besonderheiten in den Projektinhalten, Risiken bei der Projektrealisierung, Terminanforderungen, auch im Hinblick auf die Termineinhaltung, und Kostenanforderungen, auch im Hinblick auf die Budgeteinhaltung.

Projektmanagement

289

Abs. 3 verweist darauf, dass beauftragte Besondere Leistungen der Projektsteuerung auch zusätzlich zu vergüten sind. Bei Projektsteuerungsleistungen für Bauvorhaben im Bestand kann gemäß Abs. 4 das Honorar in einem Korridor zwischen 25 % und 50 % erhöht werden. Gemäß Abs. 5 führt eine bloße Änderung von anrechenbaren Kosten nicht dazu, dass eine Honoraranpassung verlangt werden kann, sondern nur dann, wenn der Auftraggeber geänderte oder zusätzliche Projektsteuerungsleistungen anordnet. Sofern und soweit der Auftraggeber vertraglich vereinbarte Leistungen inhaltlich oder zeitlich ändert, ist die Vergütung entsprechend anzupassen. § 6 Teilleistungen der Projektsteuerung als Einzelleistung In § 6 bestätigt Abs. 1 die Freiheit des Auftraggebers, nur einzelne Projektstufen oder Handlungsbereiche zu beauftragen. Abs. 2 enthält die prozentualen Anteile der Grundhonorare nach der Honorartafel in § 7 in den einzelnen Projektstufen bei Erfüllung der Grundleistungen in allen fünf Handlungsbereichen (vgl. Tab. 2). Sofern einzelne vorangehende Projektstufen nicht beauftragt werden, soll das Honorar um max. 50 % Tab. 2 Honoraranteile in v. H. des Grundhonorars für die Grundleistungen der Projektsteuerung. (Quelle: AHO-Schrift Nr. 9 (2014), S. 28)

Projektstufen 1 Projektvorbereitung 2 Planung (Vor-, Entwurfsund Genehmigungsplanung) 3 Ausführungsvorbereitung (Ausführungsplanung, Vorbereiten der Vergabe und Mitwirken bei der Vergabe) 4 Ausführung (Objektüberwachung) 5 Projektabschluss (Objektbetreuung, Dokumentation) Summe

Bewertung der Grundleistungen in v.H. des Grundhonorars nach § 7 (1) 19 21

22

30 8

100

des Honorars dieser nicht beauftragten Projektstufen erhöht werden. Werden nicht alle fünf Handlungsbereiche übertragen, so soll sich das Honorar gemäß Abs. 3 bei Beauftragung von nur zwei Handlungsbereichen um 25 % und bei nur einem Handlungsbereich um 40 % mindern. § 7 Honorartafel für die Grundleistungen der Projektsteuerung In § 7 wird in Abs. 1 auf die Honorartafel in Abs. 5 verwiesen, die das Grundhonorar (100 v. H.) bei Erfüllung der Grundleistungen der Projektsteuerung in allen fünf Handlungsbereichen und allen fünf Projektstufen mit anrechenbaren Kosten zwischen 0,5 Mio. € und 500 Mio. € mit Von- und Bis- Werten in den fünf Honorarzonen umfasst. Zwischenwerte sind zu interpolieren. Honorare mit anrechenbaren Kosten unterhalb und oberhalb der Tafelwerte sind nach zu erwartendem voraussichtlichen Aufwand zu vereinbaren. Überdurchschnittlich lange Projektlaufzeiten, z. B. durch abschnittsweise Realisierung oder Projektverzögerungen, sind bei den Tafelwerten nicht berücksichtigt. Abb. 2 enthält einen Auszug aus der Honorartafel für anrechenbare Kosten zwischen 0,5 Mio. € und 25 Mio. €. § 8 Das Projektsteuerungshonorar bei Einsatz von Kumulativleistungsträgern (Generalplanern, Generalunternehmern etc.) In § 8 werden Vorschläge für Honorarminderungen um 11 % bis 34 % der Grundhonorare nach den Honorartafeln zu § 7 bei Einsatz von Generalplanern, General- und Totalunternehmern, General- und Totalübernehmern unterbreitet. § 9 Honorierung nach Zeitaufwand Um eine Entkoppelung des Honorars für Projektsteuerungsleistungen von den anrechenbaren Kosten zu erreichen, können sie eine Honorierung nach Zeitaufwand vereinbaren. Dazu werden in Abs. 3 Monatsverrechnungssätze für die Funktionen Projektleiter/in, Projektbearbeiter/in, technisch-wirtschaftliche/r Mitarbeiter/in zwischen 8400 €/ Mt. und 18.800 €/Mt. vorgeschlagen, die sowohl die direkten Personalkosten aus Gehalt, Soziallöhnen und Sozialkosten als auch

290

Abb. 2 Honorartafel zu § 7 – Teil 1. (Quelle: AHO-Schrift Nr. 9 (2014), S. 30)

C. J. Diederichs et al.

Projektmanagement

die indirekten Personalkosten der Geschäftsführung und des Sekretariats, die Allgemeinen Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn enthalten. Dabei ist im Einzelfall zu vereinbaren, ob eine Abrechnung auf Basis des tatsächlich anfallenden Personalaufwands (Abrechnungsauftrag), z. B. beim Bauen im Bestand, oder bei hinreichend bekannten Projektrahmenbedingungen eine Pauschalierung auf der Grundlage eines vorab geschätzten Personalaufwands vorgenommen wird (Pauschalauftrag).

1.3

Kommentar zu den Grundleistungen und Besonderen Leistungen der Projektsteuerung

Der Kommentar in Abschn. 3, S 37–117, enthält Erläuterungen zu den Teilleistungen der Projektsteuerung gemäß § 2 Abs. 5, differenziert auf der zweiten Ebene nach den fünf Projektstufen, auf der dritten Ebene nach den fünf Handlungsbereichen fünf und auf der vierten Ebene innerhalb jedes Handlungsbereichs nach Grundleistungen und Besonderen Leistungen. Diese Kommentierung soll dazu dienen, die inhaltlichen und formalen Anforderungen bei der Bearbeitung der einzelnen Teilleistungen zu verdeutlichen und Anhaltspunkte für die Überprüfung und Bewertung der Vollständigkeit und Mangelfreiheit zu liefern. Vertiefende Ausführungen enthalten die Beispielsammlungen zu den Grundleistungen der Projektsteuerung, Handlungsbereiche A Organisation, Information, Koordination und Dokumentation (Diederichs 2005), B Qualitäten und Quantitäten (Diederichs 2003a), C Kosten und Finanzierung (Diederichs 2003b) und D Termine und Kapazitäten (Diederichs 2002). In diesen Beispielsammlungen werden die einzelnen Teilleistungen jeweils mit Gegenstand und Zielsetzung, methodischem Vorgehen, Flussdiagramm und Beispiel systematisch beschrieben. Eine Aktualisierung dieser Beispielsammlungen steht bisher trotz mehrfacher Versuche aus. Zu den 10 Geboten für den Erfolg des Projektmanagements wird verwiesen auf Diederichs (2013).

291

1.4

Kommentar zur Honorierung der Grundleistungen der Projektsteuerung

Der Kommentar in Abschn. 4, S. 119–124, beschreibt das Vorgehen bei der Honorierung nach Zeitaufwand nach § 9 (Abschn. 4.1) und gibt Hinweise zur historischen Entwicklung der Honorartafel für Grundleistungen der Projektsteuerung nach § 7 (Abschn. 4.2). Für die Honorierung nach Zeitaufwand sind ein Terminrahmen und eine Personaleinsatzplanung erforderlich, wie in Abb. 3 dargestellt. Ein Muster zur Ableitung von Stunden- und Monatsverrechnungssätzen für Mitarbeiter im Projektsteuerungsbüro und ein daraus abgeleitetes Beispiel für die Honorarermittlung für Projektsteuerungsleistungen enthalten die Bilder 8 und 9 in der AHO-Schrift Nr. 9, S. 121–123. Die historische Entwicklung der Honorartafel nach § 7 begann bereits 1975 mit Untersuchungen von Diederichs und Hutzelmeier (1975), die den erforderlichen Honoraraufwand für die Projektsteuerung mit 1 bis 2 v. H. der anrechenbaren Kosten für Projekte zwischen 5 und 50 Mio. € bezifferten. Untersuchungen der WIBERA zwischen 1979–1981 und 1985–1986 wurden von Müller (1983, 1991) veröffentlicht. Eine Fragebogenaktion der AHO-Fachkommission „Projektsteuerung“ im Frühjahr 1995 zu Hochbauprojekten ergab ein durchschnittliches Honorar von 1,5 v. H. der anrechenbaren Kosten. Bei Anwendung der Honorartafel ist zu beachten, dass überproportional lange Bauzeiten nicht berücksichtigt sind. In solchen Fällen müssen die Honorare durch Kalkulation über den Personaleinsatz ermittelt und mit dem Auftraggeber gesonderte Vereinbarungen getroffen werden.

1.5

Leitfaden zur Beauftragung von Leistungen der Projektsteuerung

Das Abschn. 5 beschreibt in sieben Unterabschnitten die bei der Beschaffung von Projektsteuerungsleistungen zu beachtenden Rechtsquellen, Strukturen, Abläufe und Rechtsmittel im Bereich des

Abb. 3 Terminrahmen und Personaleinsatzplanung für das Projektmanagement. (Quelle: AHO-Schrift Nr. 9, S. 120)

292 C. J. Diederichs et al.

Projektmanagement

öffentlichen Vergaberechts. Dabei sind die Ausführungen zum VOF-Vergabeverfahren und das Flussdiagramm zum VOF-Vergabeprozess zu überarbeiten, da die Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) mit Wirkung vom 31.12.2016 abgeschafft wurde und stattdessen für Architekten- und Ingenieurleistungen ein eigenständiger Abschn. 6, §§ 73 bis 82 Vergabeverordnung (VgV) geschaffen wurde. Hierzu wird verwiesen auf das Kapitel Privates Baurecht und darin insbesondere die Abschnitte: 3.7 Allgemeine Vorschriften für Planungswettbewerbe 3.8 Besondere Vorschriften für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen, §§ 73 bis 77 VgV 3.9 Besondere Vorschriften für Planungswettbewerbe für Architekten- und Ingenieurleistungen, §§ 78 bis 82 VgV Im Abschn. 5.7 der AHO-Schrift Nr. 9 werden die Anforderungen an Projektsteuerer im Hinblick auf ihre Fachkunde, Erfahrung, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit beschrieben. Ergänzende Ausführungen finden sich bei Diederichs (2006, S. 493–494). Ergänzend gilt seit dem 01.01.2018 durch die Novelle des Werkvertragsrechts erstmals ein eigenes Architekten- und Ingenieurvertragsrecht im BGB. In den §§ 650p bis 650 t BGB werden vertragstypische Pflichten aus Architekten- und Ingenieureverträgen, anwendbare Vorschriften, das Sonderkündigungsrecht, die Teilabnahme und die gesamtschuldnerische Haftung mit dem bauausführenden Unternehmer geregelt. Ob und inwieweit diese Regelungen auch für Projektsteuerungsverträge gelten, ist künftig noch im Einzelnen aus juristischer Sicht zu überprüfen.

1.6

Leitfaden zur Vertragsgestaltung für das Projektmanagement

In Abschn. 6 wird nach der Vorbemerkung unter Abschn. 6.1 ein Praxisbeispiel eines Projektmana-

293

gementvertrages vorgestellt, das als Leitfaden sowohl für die Vertragsgestaltung von öffentlichen oder gewerblichen Auftraggebern mit Projektsteuerungsunternehmen herangezogen werden kann. Die Gliederung umfasst folgende Punkte:

§ 1 Gegenstand des Vertrages 1.1 Allgemeine Projektbeschreibung 1.2 Stand der Projektrealisierung/Planung/ Genehmigung 1.3 Projektmanagementeinsatzform § 2 Projektziele und Grundlagen des Vertrages 2.1 Projektziele 2.1.1 Kostenziel: Planungs- und Baukosten (Kostengruppe 200 bis 700 gemäß DIN 276-1:2008-12 als Kostenobergrenze) 2.1.2 Terminziel: Fertigstellung bis zum . . .. . .. . .. . .. . .. . .. . .. . .. 2.1.3 Qualitätsziel: . . .. . .. . .. . .. . .. . .. 2.1.4 Etwaige Nachhaltigkeitsanforderungen/Zertifizierungsziele: . . .. . .. . .. . .. . . 2.2 Grundlagen des Vertrages und Vertragsbestandteile 2.2.1 Das Leistungsbild für . . .. . .. . . auf Basis AHO, Anlage 1 zu diesem Vertrag 2.2.2 Die Honorarermittlung vom . . .. . .. . ., Anlage 2 zu diesem Vertrag 2.2.3 Mitarbeiterverzeichnis des Auftragnehmers (Projektteam), Anlage 3 zu diesem Vertrag 2.2.4 Rahmenterminplan vom . . .. . ., Anlage 4 zu diesem Vertrag 2.2.5 Der Zahlungsplan vom . . .. . .. . ..., Anlage 5 zu diesem Vertrag (soweit vereinbart) 2.2.6 Die Projektgrundlagen (Liste der übergebenen Unterlagen) gemäß Anlage 6 zu diesem Vertrag 2.2.7 Ergänzend die Untersuchungen zum Leistungsbild, zur Honorierung und zur Beauftragung von Projektmanagementleistungen der Bau- und Immobilienwirtschaft der AHO-Fach-

294

kommission, Nr. 9 der Schriftenreihe des AHO, Stand . . . 2.2.8 Sonstige Vorschriften . . . 2.2.9 Die Vorschriften des BGB über den Werkvertrag 2.2.10 Die Baustellenverordnung (BaustellV) vom 10.06.1998 2.2.11 Grundlage des Vertrags sind schließlich die allgemein anerkannten Regeln der Technik, die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen und der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit unter Beachtung der Anforderungen des Auftraggebers § 3 Leistungen des Auftragnehmers 3.1 Leistungsbild 3.2 Leistungsstufen 3.3 Beauftragte Handlungsbereiche 3.4 Beauftragte Leistungen aus dem Bereich der Projektleitung 3.5 Beauftragte Besondere Leistungen 3.6 Änderung der Planer- und Unternehmereinsatzform 3.7 Geänderte und zusätzliche Leistungen 3.8 Rechtsdienstleistungen § 4 Zusammenarbeit Auftraggeber/Auftragnehmer und sonstige Projektbeteiligte 4.1 Allgemeine Leistungsanforderungen 4.2 Berichts- und Besprechungswesen 4.3 Beachtung der Anordnungen des Auftraggebers 4.4 Information durch den Auftraggeber 4.5 Finanzierung 4.6 Projektteam des Auftragnehmers 4.7 Projektbüro 4.8 Büroausstattung 4.9 EDV/Projektkommunikationssysteme 4.10 Informationsübermittlung § 5 Vertretung des Auftraggebers durch den Auftragnehmer 5.1 Ausrichtung der Tätigkeit auf die Interessen des Auftraggebers 5.2 Bevollmächtigung § 6 Termine, Fristen, Regelbauzeit 6.1 Beginn der Leistungen des Auftragnehmers 6.2 Beendigung der Leistungen des Auftragnehmers

C. J. Diederichs et al.

6.3 Verlängerung des Leistungszeitraums/Regelleistungszeitraum 6.4 Abnahme § 7 Honorierung 7.1 Vergütungssystem 7.2 Vergütung für geänderte und zusätzliche Projektsteuerungsleistungen 7.2.1 Anzeigepflicht 7.2.2 Honorargrundlagen 7.2.3 Nachtragsvereinbarungen 7.2.4 Abschlagszahlungen 7.2.5 Schlusszahlung 7.2.6 Nebenkosten 7.2.7 Umsatzsteuer § 8 Allgemeine Pflichten des Auftragnehmers 8.1 Vertrauensvolle Zusammenarbeit 8.2 Anforderungen an die Tätigkeit 8.3 Geheimhaltung 8.4 Unterlagen des AN 8.5 Auskünfte des AN § 9 Versicherungen/Haftung 9.1 Umfang des Haftpflichtversicherungsschutzes 9.2 Versicherungsschutz als Zahlungsvoraussetzung 9.3 Haftungsansprüche 9.4 Verjährung von Haftungsansprüchen 9.5 Haftung von ARGE-Mitgliedern § 10 Urheberrecht 10.1 Grundsatz 10.2 Weisungen des AG 10.3 Dateien § 11 Kündigung 11.1 Allgemeine Anforderungen an Kündigungen 11.2 Kündigung durch den AG aus wichtigem Grund 11.3 Kündigung des AG ohne wichtigen Grund § 12 Schlussvorschriften 12.1 Abwerbeverbot 12.2 Erfüllungsort 12.3 Anwendbares Recht/Gerichtsstand 12.4 Schriftform 12.5 Salvatorische Klausel 12.6 Weitere Bestimmungen Ort, Datum Ort, Datum Auftraggeber Auftragnehmer

Projektmanagement

Abschn. 6.3 des Leitfadens enthält Vertragsanlagen für die Honorarermittlung in zwei Alternativen: Alternative 1: Honorarermittlung nach anrechenbaren Kosten Alternative 2: Pauschalhonorarbildung auf Basis einer Personaleinsatzplanung

1.7

Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers bei Beauftragung eines Projektsteuerers mit dem Grundleistungsbild AHO-Heft Nr. 9 (2014)

Die Grundleistungen der Projektsteuerung sowie die im Regelfall erforderlichen Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers bei der Steuerung von Bauprojekten sind im Anhang A in der Form einer Synopse so nebeneinandergestellt, dass der Zusammenhang sofort zu erkennen ist. Die Auflistung der auftraggeberseitigen Mitwirkungsleistungen bei der Anwendung des AHO-Leistungsbildes soll eine Hilfestellung sowohl für den AG, als auch für den Projektsteuerer bieten. Die Synopse wird hier auszugsweise nur für die Projektstufe 1 Projektvorbereitung abgedruckt (vgl. Tab. 3).

2

Neue Leistungsbilder im Projektmanagement (Zusammenfassung AHO-Schrift Nr. 19 2018)

Claus Jürgen Diederichs und Norbert Preuß Die Projektsteuerung in der Bauwirtschaft hat sich seit den 70er-Jahren als eine eigenständige Leistungsdisziplin bei der Abwicklung von größeren Bauvorhaben etabliert. Der im Jahre 1977 eingeführte § 31 HOAI trug den Bedürfnissen der Praxis nicht ausreichend Rechnung. Im Jahre 1993 konstituierte sich die AHO-Fachkommission Projektsteuerung/Projektmanagement mit der Zielsetzung, den seinerzeitigen § 31 Abs.1 HOAI in ein praxistaugliches Leistungsbild und eine Honorarordnung zur Projektsteuerung zu entwickeln. Die 1. Auflage

295

der AHO-Schrift Nr. 9 im Jahre 1996 beinhaltete die Kernfunktionen der Projektsteuerung: Organisation, Information, Koordination und Dokumentation; Qualitäten und Quantitäten, Kosten und Finanzierung und Termine und Kapazitäten. Das AHO-Heft Nr. 9 wurde in der Folge in mehreren Auflagen 2004, 2009 und zuletzt im Mai 2014 an den Entwicklungsstand der Branche angepasst. In den Jahren nach 2010 prägten einige spektakuläre Fehlsteuerungen von Großprojekten im In- und Ausland die fachliche Diskussion. Dies war im Jahre 2013 Anlass für die Bundesregierung, eine sogenannte Reformkommission „Bau von Großprojekten“ einzuberufen, um Ursachen aufzuzeigen, sich mit möglichen Lösungen auseinanderzusetzen und Handlungsempfehlungen für Termin- und Kostentransparenz zu erarbeiten. Die Arbeiten zur 4. Auflage des AHO-Heftes Nr. 9 begannen bereits vor den Aktivitäten der Reformkommission. In der Reflektion auf die Fehlentwicklungen einzelner Projekte wurde 2014 ein Abschn. 1.3 in das AHO-Heft Nr. 9 eingefügt: „Anwendung bei komplexen Projekten“. Für Standardprojektaufgaben bei der Realisierung von Bau- und Immobilienprojekten beinhalten die Grundleistungen der Projektsteuerung einen ausreichenden Handlungskatalog. Bei besonders komplexen Projektanforderungen dagegen, insbesondere den sogenannten Großprojekten, ist zu überprüfen, ob weitere Leistungen projektspezifisch zu berücksichtigen und ggf. an einen Projektmanager zu beauftragen sind. Aus diesen Überlegungen entstanden ergänzende Leistungsausprägungen der Projektsteuerung, die im AHOHeft Nr. 9, S. 8, aufgeführt sind. Die Konkretisierung dieser Leistungen wurde 2014 in Besonderen Leistungen des AHO-Heftes Nr. 9 angesprochen, allerdings nicht in konkrete und differenzierte Leistungsbilder überführt. Dies war die definierte Aufgabenstellung im Rahmen der 2. Auflage des AHO-Heftes Nr. 19, dafür differenzierte Leistungsbilder auszuarbeiten, in ihren Schnittstellen zu anderen Leistungsstrukturen zu definieren und die Leistungen selbst zu kommentieren. Gegenüber der 1. Auflage (September 2004) mit 7 Leistungsbildern wurden in der 2. Auflage 4 Leistungsbilder aktualisiert und 8 Leistungsbil-

296

C. J. Diederichs et al.

Tab. 3 Auftraggeberaufgaben (Quelle: AHO-Schrift Nr. 9 (2014) S. 157–160) Leistungen der Projektsteuerung nach AHO-Leistungskatalog 2014 1. Projektvorbereitung Grundleistungen

A Organisation, Information, Koordination und Dokumentation (handlungsbereichsübergreifend) 1 Entwickeln, Abstimmen und Dokumentieren der projektspezifischen Organisationsvorgaben mit Projektstrukturplanung 2 Entwickeln und Abstimmen der Grundlagen für die Planung der Planung

3 Mitwirken bei der Festlegung der Projektziele und der Dokumentation der Projektvorgaben 4 Vorschlagen und Abstimmen der Kommunikationsstruktur, des Informations-, Berichtsund Protokollwesens

5 Vorschlagen und Abstimmen des Entscheidungsmanagements

6 Vorschlagen und Abstimmen des Änderungsmanagements 7 Mitwirken beim Risikomanagement

8 Mitwirken bei der Auswahl eines Projektkommunikationssystems B Qualitäten und Quantitäten 1 Überprüfen der bestehenden Grundlagen zur Bedarfsplanung auf Vollständigkeit und Plausibilität 2 Mitwirken bei der Klärung der Standortfragen, bei der Beschaffung der standortrelevanten Unterlagen, bei der Grundstücksbeurteilung hinsichtlich Nutzung in privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Hinsicht

Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers (bzw. der Auftraggeber-Gremien) Auftraggeberaufgaben • Auswahl eines Projektsteuerers (kurz PS) gem. Abschn. 5 • Information über auftraggeberseitige Randbedingungen des Projekts - Führungsstruktur des Auftraggebers (AG) - Vorhandene Kommunikationsstrukturen • Katalog der Hauptziele im Hinblick auf - Kosten - Termine - Qualitäten und Quantitäten • Einholung Angebot und Vertragsvorschlag • Erteilung des Auftrags für die Projektsteuerung

Zurverfügungstellen von Informationen zum Unternehmen und zum Projekt sowie Abstimmungen mit der Projektsteuerung; Entscheidungen zur Projektorganisation Entscheidungen über die Beauftragung von Objekt- und Fachplanern sowie anderer Spezialisten und Vorgaben für den Planungsprozess; Notwendige Vollmachten klären und erteilen Projektziele abstimmen und endgültig festlegen, der PS erläutern und mit ihr abstimmen Klärung, Abstimmung und Entscheidung über Art, Wege und Empfänger von Informationen, Berichten und Protokollen, einschließlich eines ProjektKommunikations-Systems (PKS) nach Vorschlägen der PS Abstimmung und Festlegung der Planungsprozesse Einrichten/Bestimmen der zentralen Projektanlaufstelle; Sorge für das Abarbeiten des Entscheidungs- und Maßnahmenkatalogs Abstimmung und Festlegung der Verfahrensweise bei Änderungen Informieren des PS über Projektrisiken; aktive Einbeziehung des PS in das Risikomanagement und Festlegung des Risikomanagementsystems Entscheiden, ob ein eigenes, das des PS, oder ein externes Projektkommunikationssystem eingesetzt werden soll Bedarfsplanung an PS übergeben; falls nicht vorhanden, Bedarfsplanung beauftragen Vollmachten erteilen für die Beschaffung von Unterlagen, ggf. unter Einholung von Vertraulichkeitserklärungen

(Fortsetzung)

Projektmanagement

297

Tab. 3 (Fortsetzung) Leistungen der Projektsteuerung nach AHO-Leistungskatalog 2014 3 Überprüfen der Ergebnisse der Grundlagenermittlung der Planungsbeteiligten

C Kosten und Finanzierung 1 Mitwirken bei der Erstellung des Kostenrahmens für Investitionskosten und Nutzungskosten 2 Mitwirken bei der Ermittlung und Beantragung von Investitions- und Fördermitteln

3 Prüfen und Freigabevorschläge bzgl. der Rechnungen der Planungsbeteiligten und sonstigen Projektbeteiligten (außer bauausführenden Unternehmen) zur Zahlung 4 Abstimmen und Einrichten der projektspezifischen Kostenverfolgung

D Termine, Kapazitäten und Logistik 1 Aufstellen und Abstimmen des Terminrahmens 2 Aufstellen und Abstimmen des Steuerungsterminplans für das Gesamtprojekt und Ableiten des Kapazitätsrahmens 3 Erfassen logistischer Einflussgrößen unter Berücksichtigung relevanter Standort- und Rahmenbedingungen E Verträge und Versicherungen 1 Mitwirken bei der Erstellung einer Vergabe- und Vertragsstruktur für das Gesamtprojekt 2 Vorbereiten und Abstimmen der Inhalte der Planerverträge 3 Mitwirken bei der Auswahl der zu Beteiligenden, bei Verhandlungen und Vorbereitungen der Beauftragungen 4 Vorschlagen der Vertragstermine und -fristen für die Planerverträge 5 Mitwirken bei der Erstellung eines Versicherungskonzeptes für das Gesamtprojekt

der neu erarbeitet. Damit wird mit dem AHO-Heft Nr. 19 2018 eine deutliche Ergänzung zum Heft Nr. 9 2014vorgenommen. Zur Beachtung der spezifischen Anforderungen des Projektmanagements im Anlagenbau wird verwiesen auf die gleichnamige Buchveröffentlichung von Malkwitz A et al. 2017. Im Folgenden werden einige Ausschnitte des AHO-Heftes Nr. 19 vorgestellt.

Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers (bzw. der Auftraggeber-Gremien) Von der PS überprüfte Ergebnisse der Grundlagenermittlung der bis jetzt beauftragten Objektund Fachplaner zur Kenntnis nehmen und ggf. bestätigen oder verwerfen; Entscheidung über die Weiterführung des Projekts treffen Kostenrahmen/Kostengrenzen/Wirtschaftlichkeitsziele festlegen und allen Projektbeteiligten vorgeben Evtl. Spezialisten für die Erlangung von Fördermitteln beauftragen; Evtl. Spezialisten mit Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen beauftragen Geprüfte Rechnungen entgegennehmen, mit Budget vergleichen, kontieren und Rechnungen anweisen Abstimmung mit der PS über die Kostenziele, klären, wie und mit welchen Mitteln die Kostenverfolgung zeitnah dargestellt werden soll, und dies verbindlich vorgeben; Für den Mittelabfluss gilt das Gleiche Terminrahmen abstimmen und festlegen Zwischentermine mit dem PS abstimmen und festlegen

Entscheidungen zu Erschließungs-/Zufahrts- und Lagerflächen bei beengten Baustellenverhältnissen und Entscheidung über mögliche Zusatzkosten treffen Festlegungen zur Vergabe und Vertragsstruktur – Beistellung juristischen Sachverstands für die Vergabeund Vertragsstruktur des Gesamtprojektes Freigabe der Planerverträge Entscheiden über die Bieter, Teilnahme an den Verhandlungen, rechtsverbindliche Beauftragung Kenntnisnahme und ggf. Entscheidung Vorgabe von Randbedingungen zum Versicherungskonzept und endgültige Entscheidung darüber, Abschluss der Verträge

2.1

Projektentwicklung Neubau/ Bestand (Baulandentwicklung)

Claus Jürgen Diederichs, Jürgen Möser und Remus Grolle-Hüging Zur Definition eines Leistungsbildes für die Projektentwicklung ist es zuerst erforderlich, die verschiedenen Arten von Projektentwicklungen von-

298

C. J. Diederichs et al.

einander abzugrenzen, da diese unterschiedliche Ziele verfolgen. Während bei der Flächenentwicklung als Ziel die grundsätzliche Schaffung von Baurecht im Vordergrund steht (vom Acker zum Bauland), ist das Ziel bei der Gebäude- oder Anlagenentwicklung das Erwirken einer Baugenehmigung oder einer Planfeststellung. Des Weiteren unterscheidet sich die Entwicklung von gewerblich genutzten Immobilien von anderen Projekttypen in steuerlicher Hinsicht und auch in der Vermarktung stark voneinander. Im Unterschied zum Projektmanagement verläuft eine Projektentwicklung selten linear und ohne Notwendigkeit von Anpassungen. Je nach Phase der Projektentwicklung können unterschiedliche Tätigkeiten erforderlich werden. Das Leistungsbild gliedert sich deshalb in einzelne Module, die je nach Erfordernis im Projekt geleistet werden. Die jeweilige Umsetzung der einzelnen Leistungsmodule kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Prozess erfolgen. In Abb. 4 sind die 15 Leistungsmodule definiert, die in Heft 19 im Einzelnen differenziert beschrieben und kommentiert werden. Ergänzend wird verwiesen auf das Kapitel Projektentwicklung und Immobilienmanagement.

2.2

Projektsteuerung von städtebaulichen Leistungen (PSL)

Thomas Höcker und Henry Alsbach Unter Projektsteuerung von städtebaulichen Leistungen (PSL) versteht man die Steuerung aller Prozesse zur gesamthaften Entwicklung städtebaulicher Areale. Entwicklung im Sinne des beschriebenen Leistungsbildes umfasst alle formellen Instrumente des Baugesetzbuches „Allgemeines Städtebaurecht“ sowie des Abschnittes „Besonderes Städtebaurecht“. Die Projektsteuerung umfasst im Kern die Aufgabenbereiche Bauleitplanung und Freimachen und grenzt sich von den weiteren Aufgabenbereichen Errichtung, Erschließung und Hochbau einer städtebaulichen Flächenentwicklung ab. Das beschriebene Leistungsbild mit Kommentierung richtet sich an alle,

die mit Hilfe eines Projektsteuerers Areale entwickeln wollen (Abb. 5).

2.3

Stakeholdermanagement mit konzeptionellen Ansätzen

Christian Brunstein, David Krips und Helmut Reinsch Bei komplexen Projekten ist in besonderer Weise darauf zu achten, alle Stakeholder, wie etwa betroffene Dritte und die relevante Öffentlichkeit, in die Projektentwicklung und Projektrealisierung einzubinden, um eine störungsfreie Abwicklung des Projektes in der Zukunft zu ermöglichen. Die Durchführung eines entsprechenden Stakeholdermanagements bedarf eigenständiger konzeptioneller Ansätze, die in einem interdisziplinären Leistungsportfolio bearbeitet werden müssen. Der Erfolg von Großprojekten ist maßgeblich von der Akzeptanz der Öffentlichkeit abhängig. Zunächst sind die Stakeholder zu identifizieren. Dazu sind Individuen, Gruppen und vorhandene Koalitionen zu ermitteln. Weiterhin sind die Ziele, Interessen, Bedürfnisse und Eigenschaften der Stakeholder zu erfassen. In der Analysephase sind Macht und Einfluss sowie Konfliktpotenzial der Stakeholder herauszuarbeiten. In Abhängigkeit von den Ergebnissen sind für die einzelnen Stakeholder Kommunikationsstrategien zu entwickeln und festzulegen. Diese können je nach Macht und Einfluss sowie Konfliktpotenzial sehr unterschiedlich ausfallen. Sie reichen von „Ignorieren“ bis zur „Partizipation“. Die Stufen der Aufmerksamkeit werden im Kommentarteil ausführlich erläutert. Die dann folgende Umsetzungsphase beschäftigt sich nicht nur mit der Wahl der Kommunikationsinstrumente, sondern vor allem mit der Planung sowie deren Durchführung. Im Wesentlichen unterstützen hier die umfangreichen Instrumente des Projektmanagements und stellen eine zielorientierte Abarbeitung sicher. Im laufenden Monitoring werden die bereits genutzten Instrumente der Vorphasen reaktiviert und aktualisiert (Abb. 6).

Abb. 4 Leistungsmodule Projektentwicklung. (Quelle: AHO-Heft Nr. 19 2018, S. 14)

Projektmanagement 299

Abb. 5 PSL und Abgrenzung zu anderen Aufgabenbereichen und Leistungsbildern. (Quelle: AHO-Heft Nr. 19 2018, S. 35)

300 C. J. Diederichs et al.

Projektmanagement

301

Abb. 6 Verfahrensschritte Stakeholdermanagement. (Quelle: AHO-Heft Nr. 19 2018, S. 50)

2.4

Multiprojektprojektmanagement (MPM)

2.5

Risikomanagement

Ulrich Baumgärtner Wilfried Hoffmann, Werner Schneider und Jochen Brand Unter Multiprojektprojektmanagement versteht man den organisatorischen und prozessualen Rahmen für das Management, d. h. die Planung, übergreifende Überwachung und Steuerung mehrerer einzelner Projekte in einer definierten Organisation. Multiprojektprojektmanagement-Projekte sind dabei mehrere verknüpfte Projekte, die auf ein Ziel hin abgestimmt sind. Das MPM umfasst die Schaffung einheitlicher Vorgaben und Prozesse sowie die Koordination zwischen den Projekten. Das MPM kann in Form von Programmen oder Projektportfolios organisiert werden. Diese Projekttypologien entstehen aus der Projektentwicklung durch das Aufteilen in Projekte oder durch die Verknüpfung von Bestandsprojekten mit neuen Projekten. Neben dem Management mehrerer Projekte kommt dem MPM im Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit, die Einbindung von Stakeholdern und übergreifenden Verfahrensbeteiligten besondere Bedeutung zu. In Abb. 7 sind die Grundstrukturen in Anlehnung an die DIN 69909 dargestellt.

Auf Grund von aufgetretenen Problemen in Großprojekten forderte die Reformkommission „Bau von Großprojekten“ von allen Projektbeteiligten einen Kulturwandel, der insbesondere in einer Empfehlung lautet, das Risikomanagement intensiver zu betreiben und die Erfassung von Risiken bereits im Haushalt zu berücksichtigen. Bereits in der Projektvorbereitungsphase muss die Risikostrategie mit dem Auftraggeber abgestimmt werden. Die Risikostrategie legt die Vorgehensweise fest, wie erkannte Risiken behandelt werden. Falls keine Risikostrategie vorliegt, gibt es unterschiedliche Optionen, die in Abb. 8 benannt sind. Das gesamte Leistungsbild über fünf Projektstufen wird differenziert dargestellt und entsprechend kommentiert. In die DIN 276 ist 2006 der Begriff „Kostenrisiken“ aufgenommen worden. Mit dem Kostenrisiko werden Unwägbarkeiten und Unsicherheiten bei Kostenermittlungen und Kostenprognosen berücksichtigt. Unter Abschn. 3.3.9 der DIN 276-1:2008-12 empfiehlt die Norm, dass in Kostenermittlungen vorhersehbare Kostenrisiken benannt werden. Die meisten Bauherren fordern die Auflistung der vorhersehbaren Kostenrisiken

302

C. J. Diederichs et al.

Abb. 7 Rollen des MPM gem. DIN 69909, Abgrenzung zum PM gem. AHO, Heft 9. (Quelle: AHO-Heft Nr. 19 2018, S. 62)

weder qualitativ noch quantitativ ein, so dass auch die Planer den Aufwand dafür unterlassen. Ein erfahrener Projektsteuerer wird darauf achten, diesen Punkt bereits bei Vertragsabschluss zu konkretisieren, um spätere Diskussionen zu vermeiden. Um die ganze Bandbreite der Risiken zu erkennen und weiter zu verfolgen, müssen alle Projektbeteiligten eingebunden werden. Die Schnittstellen zu Planern, ausführenden Firmen und Sonderfachleuten müssen durch ergänzende Regelungen vertraglich konkretisiert bzw. vereinbart werden. Als Grundleistung wirkt der Projektsteuerer als ein Fachexperte mit, indem er die Gefahren und Chancen aus seinem Bereich zum Risikomanagement des Auftraggebers beisteuert und Maßnahmen vorschlägt. Seine Mitwirkung ist ähnlich der Leistung der Planer, der ausführenden Firmen oder der Sonderfachleute. Nicht delegierbar bleiben beim Auftraggeber die Entscheidungen zur generellen Risikostrategie sowie die Entscheidung über die jeweils umzusetzenden Maßnahmen bei der Risikobehandlung.

2.6

Projektcontrolling – für Anteilseigner, Investoren und deren Aufsichtsgremien

Norbert Preuß und Rainer Schofer Bei großen Projekten mit mehreren Entscheidungsebenen kann es sinnvoll sein, ein übergeordnetes, unabhängiges Controlling zu beauftragen, welches Anteilseigner, Gesellschafter und/oder Aufsichtsgremien im Rahmen ihrer Mandate unterstützt und diesen gegenüber auch auskunftspflichtig ist. Die im Leistungsbild beschriebenen Projektcontrollingleistungen beinhalten die verantwortliche Beratung eines Projektträgers, z. B. im Rahmen von Lenkungsausschüssen und Aufsichtsgremien. Diese Funktion grenzt sich ab von der Projektleitungsfunktion des Bauherrn sowie der des Projektsteuerers. Die Projektorganisation mit Projektcontrolling und Lenkungsausschuss ist in Abb. 9 dargestellt. Das in fünf Stufen ausgearbeitete Leistungsbild wird in AHO-Heft Nr. 19 ausführlich kommentiert und orientiert sich ausschließlich an der Interessenlage von Aufsichtsgremien.

Abb. 8 Strukturübersicht Leistungsbild Projekt-Risikomanagement. (Quelle: AHO-Heft Nr. 19 2018, S. 91)

Projektmanagement 303

304

C. J. Diederichs et al.

Abb. 9 Projektorganisation mit Projektcontrolling und Lenkungsausschuss. (Quelle: AHO-Heft Nr. 19 2018, S. 101)

Die beschriebenen Projektcontrollingleistungen beinhalten die verantwortliche Beratung eines Projektträgers, z. B. im Rahmen von Lenkungssausschüssen oder Aufsichtsgremien. Diese Funktion grenzt sich ab von der Projektleitungsfunktion des Bauherrn sowie von der des Projektsteuerers.

Nachhaltigkeit, Energieverbrauch, Materialien, Logistik und Workflow (Tab. 4).

2.8

Inbetriebnahmemanagement

Norbert Preuß

2.7

Value Engineering (VE)

Klaus Eschenbruch und Remus Grolle-Hüging Value Engineering ist eine Methode zur Optimierung von Planungs- und Herstellungsprozessen bei der Realisierung von Bau- und Immobilienprojekten. Im Bereich der Bau- und Immobilienprojektrealisierung stehen insbesondere die Untersuchung von Planungsergebnissen im Hinblick auf Optimierungspotenziale, die Suche nach planerischen Lösungsalternativen und die Umsetzung derartiger Lösungsalternativen im Planungsprozess in Vordergrund. Der Value Engineer steuert den auf optimale Lösungsalternativen gerichteten Analyseprozess. Er untersucht und bewertet die Leistungen des Planungsteams auf Optimierungsmöglichkeiten betreffend Wirtschaftlichkeit, Vergabefähigkeit,

Bei hochkomplexen und hoch technisierten Fabrikationsgebäuden der stationären Industrie, einem Flughafen oder einem großen Klinikum ist es erforderlich, die Leistungen eines komplexen Inbetriebnahmemanagements für Großprojekte zu beauftragen mit dem Ziel, parallel zum Planungs- und Errichtungsprozess alle erforderlichen Maßnahmen durchzuführen, um die Betriebsfähigkeit des Projektes zum Inbetriebnahmetermin sicherzustellen. Dazu bietet sich eine Gliederung des Leistungsbildes in Projektstufen und Teilleistungen gemäß Abb. 10. In der ersten Phase wird die Inbetriebnahmeorganisation vorbereitet. Anschließend erfolgt die konkrete Inbetriebnahmeplanung mit Ableitung von Einzelinbetriebnahmeplänen auf Basis der Rahmenterminplanung und Vernetzung zu

VE-Prozess abstimmen

Bedarfsplanung prüfen

Im VE-Projektleitfaden dokumentieren

Schritt 2

Schritt 3

Schritt 4

Schritt 5

Konzepte sichten

VE-Ziele abstimmen

Im VE-Prüfbericht dokumentieren Ergebnisumsetzung prüfen

Planer-Workshop durchführen Vorplanung überprüfen

Projektstufe 2 LP 2

Projektstufe 1 LP 1

Prozessschritte Leistungsphase/ HOAI Schritt 1 Planer-Workshop durchführen Entwurfsplanung überprüfen Ergebnisse synchronisieren Im VE-Prüfbericht dokumentieren Ergebnisumsetzung prüfen

Projektstufe 2 LP 3

Tab. 4 Prozessschritte des Value Engineering. (Quelle: AHO-Heft Nr. 19 2018, S. 122)

VE-Projektleitfaden ergänzen Planungsergebnisse überprüfen Ergebnisumsetzung überprüfen Im VE-Prüfbericht dokumentieren

VE-Prüfinhalte festlegen

Projektstufe 3 LP 5–7

Beraten zur Einhaltung der VE-Ziele

Projektstufe 4 LP 8

Projektmanagement 305

306

C. J. Diederichs et al.

Abb. 10 Projektstufen und Teilleistungen des Inbetriebnahmemanagements. (Quelle: AHO-Heft Nr. 19 2018, S. 132)

Projektmanagement

einem Generalinbetriebnahmeterminplan als übergeordnetem Steuerungselement. Die Inbetriebnahmeplanung ist Grundlage für die Koordination der Inbetriebnahmevorbereitung zwischen allen Beteiligten. Die operative Inbetriebnahme erfordert die Schulung und den Probebetrieb als Grundvoraussetzung, die leistungstechnisch in einer eigenen Stufe zusammengefasst ist. Dies gilt auch für die Umzugsplanung, die bei Bedarf in einer eigenen Stufe mit Aufgaben erfasst ist. In der Projektstufe operative Inbetriebnahme/Umzug werden die Ergebnisse aller vorhergehenden Prozesse umgesetzt. In aller Regel wird es sinnvoll sein, die in der Inbetriebnahme entstandenen Erkenntnisse bei der Betriebsaufnahme mit einem Nachlauf zu berücksichtigen und den Inbetriebnahmemanager mit zu definierenden Leistungen in der Organisation noch einen Zeitraum mitzuführen. Diese Projektstufen unterscheiden sich bewusst vom technischen Inbetriebnahmemanagement, welches sich an die Phasen der Projektstufen der Projektsteuerung bzw. die Planungsphasen anlehnt.

2.9

Technisches Inbetriebnahmemanagement in Anlehnung an VDI 6039

Wilfried Hoffmann, Christoph Böttinger, Kai Eiden, Jörg Hennefeld und Sebastian Hölzlein Nach VDI 6039 bedingt der zunehmend hohe Anteil der technischen Gebäudeausrüstung im Hochbau eine systemübergreifende Inbetriebnahmeplanung. Die Technik muss als Ganzes und damit als ein geschlossenes technisches Anlagensystem verstanden werden und darf sich nicht nur auf Einzelgewerke beschränken. Die zielorientierte, systematische Inbetriebnahme der TGA muss im gesamten Planungs- und Ausführungsprozess detailliert berücksichtigt werden. Die dargestellten Leistungen des technischen Inbetriebnahmemanagements beschränken sich auf die technische Gebäudeausrüstung in den Kostengruppen 400 und 500 nach DIN 276. Die Leistun-

307

gen selbst sind von den Leistungen der Planungsbeteiligten zu unterscheiden, wie sie z. B. in der HOAI beschrieben sind. Die Leistungen des Prozessmodells gemäß Abb. 11 ergänzen das dargestellte Leistungsbild des Inbetriebnahmemanagements als umfassender Teil des Projektmanagements im Hinblick auf die besonderen Anforderungen bei der technischen Ausrüstung.

2.10

Projektmanagement bei Infrastrukturvorhaben

Christian Brunstein Der Fokus von AHO-Heft Nr. 9 lag zunächst vorrangig auf Hochbauprojekten, hat sich jedoch in der Vergangenheit im Sinne einer allgemein gültigen Handlungsanweisung weiterentwickelt. In einem DVP-Arbeitskreis „Projektmanagement bei Infrastrukturvorhaben“ wurden die bestehenden Projektmanagementleistungen im Hinblick auf die Anforderungen bei Infrastrukturprojekten präzisiert (DVP 2014 „Projektmanagement bei Infrastrukturvorhaben“). Unter dem Begriff Infrastruktur werden vielfach „Leitungsnetze“ „verstanden“. Neben der Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Infrastruktur ist auch zwischen technischer (Verkehr, Ver- und Entsorgung) und sozialer Infrastruktur zu unterschieden. Das Leistungsbild bezieht sich ausschließlich auf die technische Infrastruktur mit baufachlichem Bezug wie: Straßen, Schienenwege, Wasserstraßen, Wasserverkehrsanlagen, Flughäfen bzw. Luftverkehrsanlagen, Energieversorgung (Stromerzeugung), Transport und Verteilung, Wasserversorgung, Gasversorgung, Fernwärme, Abwasserversorgung, Kommunikationsversorgung (Rundfunk, Internet, Festnetztelefonie, Mobilfunk). In Abb. 12 sind die bei Infrastrukturprojekten relevanten Teilleistungen dargestellt, bezogen auf AHO-Heft Nr. 9, Handlungsbereich A. Die anderen Handlungsbereiche werden hier nicht gesondert dargestellt, da die erforderlichen Leistungen, beispielsweise das Kosten-, Terminoder Vertragsmanagement, bei allen Projekttypen

308

C. J. Diederichs et al.

Abb. 11 Prozessmodell der Leistungen des Technischen Inbetriebnahmemanagements. (Quelle: AHO-Heft Nr. 19 2018, S. 164)

Projektmanagement

Abb. 12 Infrastrukturrelevante Teilleistungen, Handlungsbereich A. (Quelle: AHO-Heft Nr. 19 2018, S. 193)

309

310

C. J. Diederichs et al.

erforderlich werden. Gleichwohl sind die Besonderheiten im Infrastrukturbereich, wie zum Beispiel die langen Laufzeiten bei diesen Leistungen, bei der Kalkulation vom Projektsteuerer zu berücksichtigen und vom AG zu beauftragen. Da einige bei Infrastrukturvorhaben relevante Teilleistungen in AHO-Heft Nr. 9 nach wie vor nicht in einer ausreichenden Tiefe dargestellt sind, dient das Abschnitt in AHO-Heft Nr. 19 der Präzisierung des Leistungsbildes der infrastrukturrelevanten Teilleistungen und gibt auch Hinweise zur Honorierung.

2.11

Nutzerprojektmanagement

Norbert Preuß Der Nutzer einer Immobilie ist entweder bei Beginn einer Projektentwicklung bereits bekannt oder besteht aus einer anonymen Zielgruppe für das zukünftige Projekt. Bei eigengenutzten Immobilien, z. B. für ein Verwaltungsgebäude mit Büroarbeitsplätzen und vielfältigen Funktionsbereichen eines Unternehmens sind die Nutzer bereits bekannt und können im Hinblick auf ihre spezifischen Anforderungen und Wünsche bereits in der vor Planungsbeginn erforderlichen Bedarfsplanung berücksichtigt werden. Die Nutzer treten häufig in Abhängigkeit vom Vermietungserfolg im Verlaufe des Projektes als neue Beteiligte dazu und müssen störungsfrei parallel zur Planung und Ausführung des Projektes integriert werden. Die Nutzerbereiche beinhalten häufig individuelle Ausstattungen, die mit neuen Planungsbeteiligten und eigenen Kommunikationskreisen in den Ablauf integriert werden müssen. Je nach Konstellation und Umfang entstehen dadurch ergänzende Anforderungen an das Projektmanagement insbesondere dann, wenn ein Nutzer selbst zur Interessenwahrnehmung durch Dritte unterstützt wird. Die Steuerung gesonderter Nutzerinteressen im Rahmen des Projektmanagements wird deshalb als Nutzerprojektmanagement bezeichnet. Diese Leistungen

werden in AHO-Heft Nr. 19 in fünf Projektstufen ausgearbeitet und anschließend kommentiert: Der Nutzer will die Planung der Ausstattungen möglichst lange optimieren. Die Verantwortlichen für den Bau brauchen die Entscheidungen zur Ausführung häufig schneller. Die Lösungen dieser partiell gegebenen Interessenkonflikte müssen dann in geeigneten Gremien der Projektaufbauorganisation im Interesse des Projektes und seiner Beteiligten entschieden werden. Die in Abb. 13 beschriebene Leistungsmatrix findet überwiegend Anwendung bei eigengenutzten Projekten. Bei gewerblich genutzten Projekten, wie z. B. Einkaufszentren, ergeben sich andere Abläufe und auch Leistungserfordernisse, die bereits bei den Mietvertragsverhandlungen des Investors im Verhältnis zu potenziellen Mietern beginnen.

2.12

Leistungen der Mieterkoordination bei Handelsimmobilien

Norbert Preuß und Benedikt Schmidt-Waechter Die Mieterkoordination bei Handelsimmobilien bildet das kommunikative und organisatorische Bindeglied zwischen dem Vermieter, den Mietern sowie den verschiedenen Projektbeteiligten (Investor, Planer, Haustechnik- und Fachplaner, Centermanagement, Behörden und bauausführende Unternehmen). Sämtliche technischen, kaufmännischen, gestalterischen und terminlich-organisatorischen Feststellungen im Zusammenhang mit der Planung und Bauausführung des Mieterausbaus müssen geklärt und in den Planungs- und Bauablauf des Gesamtprojektes integriert werden. Die Leistungen werden in der Regel unter Federführung des Investors bzw. der innerhalb dieser Organisation verantwortlichen Stellen des Vermietungsmanagements erbracht. Sie beinhalten auch eine Beratung im Hinblick auf die abzuschließenden Mietverträge und die Umsetzung der darin vereinbarten Randbedingungen im Verhältnis zu zahlreichen Beteiligten (Abb. 14).

Projektmanagement

Abb. 13 Leistungsmatrix Nutzerprojektmanagement. (Quelle: AHO-Heft Nr. 19 2018, S. 233)

311

312

Abb. 14 Leistungsmatrix Mieterkoordination. (Quelle: AHO-Heft Nr. 19 2018, S. 253)

C. J. Diederichs et al.

Projektmanagement

2.13

Ausblick

Mit den bisher geschaffenen Regelwerken des AHO-Heftes Nr. 9 und des AHO-Heftes Nr. 19 besteht eine gute Grundlage, um komplexe Projekte zielsicher zu strukturieren und abzuwickeln. Entscheidend ist und bleibt als Voraussetzung die Verfügbarkeit persönlicher Kompetenz der Leistungsträger und Teams in der operativen Durchsetzung des Projektmanagements. Um diese Kompetenz zu erhalten und zu stärken, bedarf es nachhaltiger Schulungen. Dafür hat der DVP eine spezifische Grundlage mit mehreren Qualifikationsstufen geschaffen, die die Stabilisierung und Weiterentwicklung der Fähigkeiten ermöglicht. Dies gilt auch für die Schulung des BIM-Projektmanagements. In der Zukunft wird für den Projekterfolg zunehmend entscheidend sein, dass die digitalen Möglichkeiten noch mehr genutzt werden zur Effizienzsteigerung der Projektmanagementleistungen einerseits und zur Transparenzerhöhung der Projektsteuerungsergebnisse andererseits.

Literatur Normen, Richtlinien Bürgerliches Gesetzbuch (2018) 82. Aufl. Beck-Texte im dtv, München DIN 276-1 (2008–12) Kosten im Bauwesen – Teil 1: Hochbau DIN 277 (2005) Grundfläche und Rauminhalte von Bauwerken im Hochbau DIN 69901:2009 Projektmanagementsysteme DIN 69909 (2013) Multiprojektmanagement, Management von Projektportfolien, Programmen und Projekten HOAI (2013) Honorarordnung für Architekten und Ingenieure VDI 6039 (2011–06) Facility Management – Inbetriebnahmemanagement für Gebäude – Methoden und Vorgehensweisen für gebäudetechnische Anlagen

313

Bücher und Zeitschriften AHO-Heft Nr. 9 (2014) Leistungsbild und Honorierung – Projektmanagementleistungen in der Bau- und Immobilienwirtschaft, 4. Aufl. Bundesanzeiger, Köln AHO-Heft Nr. 19 (2018) Ergänzende Leistungsbilder im Projektmanagement für die Bau- und Immobilienwirtschaft, 2. Aufl. Bundesanzeiger, Köln AHO-Heft Nr. 9 (2020) Projektmanagement in der Bauund Immobilienwirtschaft -. Standards für Leistungen und Vergütung, 5. Aufl. Bundesanzeiger Verlag, Köln (Reguvis). Diederichs CJ (2013) Bauprojektmanagement – 10 Gebote für den Erfolg, Deutsches Ingenieurblatt, Hefte 7/8 2013, S 40–47 und 9/2013, S 46–51. Fachverlag Schiele & Schön GmbH, Berlin Diederichs CJ (2002) Beispielsammlung zu den Grundleistungen der Projektsteuerung – Handlungsbereich D, Termine und Kapazitäten. DVP, Wuppertal Diederichs CJ (2003a) Beispielsammlung zu den Grundleistungen der Projektsteuerung – Handlungsbereich B, Qualitäten und Quantitäten. DVP, Wuppertal Diederichs CJ (2003b) Beispielsammlung zu den Grundleistungen der Projektsteuerung – Handlungsbereich C, Kosten und Finanzierung. DVP, Wuppertal Diederichs CJ (2003c) Weiterentwicklung deutscher Bauprojektmanagement-Praxis. In: DVP e.V. (Hrsg) Strategien des Projektmanagements – Teil 8. DVP, Wuppertal Diederichs CJ (2003d) Kommentar zum § 31 HOAI. In: Hartmann, R HOAI-Kommentar. WEKA-Fachverlag, Augsburg Diederichs CJ (2005) Beispielsammlung zu den Grundleistungen der Projektsteuerung – Handlungsbereich A, Organisation, Information, Koordination und Dokumentation, 2. Aufl. DVP, Wuppertal Diederichs CJ (2006) Immobilienmanagement im Lebenszyklus – Projektentwicklung, Projektmanagement, Facility Management, Immobilienbewertung, 2., erw. u. ak. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg Diederichs CJ, Hutzelmayer H (1975) Projektsteuerung im Bauwesen – delegierbare Bauherrnaufgaben, Bauwirtschaft, Heft 42 1975, S 1488–1494, Heft 43 1975, S 1635–1640 Eschenbruch K (2015) Projektmanagement und Projektsteuerung, 4. Aufl. Werner, Düsseldorf Malkwitz A, Mittelstädt N, Bierwisch J, Ehlers J, Helbig T, Steding R (2017) Projektmanagement im Anlagenbau. Springer, Berlin/Heidelberg Mittelstädt N (2006) Leitlinie zur projektbezogenen Spezifikation und erfolgsabhängigen Honorarbemessung

314 von extern beauftragten Projektmanagement-Leistungen im Hochbau, Institut für Bauwirtschaft, Universität Kassel Müller W-H (1983) Aufgaben, Honorare und Personalbedarf des öffentlichen Bauherrn bei Planung und Bau, Wibera-Sonderdruck Nr. 148, Düsseldorf Juli 1983 Müller W-H (1991) Honorierung der Projektsteuerung. In: Der Projektsteuerungsvertrag, DVP-Fachtagung am 25.10.1991 in München. DVP, Wuppertal

C. J. Diederichs et al. Preuß N (2013) Projektmanagement von Immobilienprojekten: Entscheidungsorientierte Methoden für Organisation, Termine, Kosten und Qualität, 2., korr. Aufl. Springer Vieweg, Heidelberg Preuß N (2018) Projektmanagementstandards in Deutschland, in: Projektsteuerung 2020, DVP Frühjahrstagung am 20.04.2018 in Frankfurt am Main. Springer Vieweg, Berlin Preuß N, Schöne LB (2016) Real Estate und Facility Management, 4. Aufl. Springer, Berlin

Nachtragsmanagement Claus Jürgen Diederichs

Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 2 Nachtragsprävention und Nachtragsprüfung des Auftraggebers (AG) . . . . . . . 319 3 Nachtragsvorbereitung und Nachtragsdurchsetzung durch den Auftragnehmer (AN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 4 Kommunikation und Dokumentation von SOLL-IST-Abweichungen . . . . . . . . 322 5 Vergütungsänderungen aus Leistungsänderungen und Zusatzleistungen gemäß § 2 Abs. 3 bis Abs. 7 VOB/B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 6 Schadensersatzanspruch aus Behinderungen (§ 6 Abs. 6 VOB/B) und Entschädigung aus unterlassener Mitwirkung des Auftraggebers (§ 642 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 7 Nachtragsmanagement nach § 650 b-c und p-q BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

1

Einleitung

Für Bauwerkverträge (und auch für Planerverträge) ist es typisch, dass die von Auftraggebern ausgeschriebenen und beauftragten Leistungen und die nach Auftragserteilung tatsächlich von den Unternehmern und Planern ausgeführten Leistungen wesentliche Abweichungen aufweisen, sei es aus Mengenänderungen, Teilkündigungen, geänderten oder zusätzlichen Leistungen. Hinzu kommen häufig Verzögerungen und Behinderungen, vor allem C. J. Diederichs (*) Bauwirtschaft und Baumanagement, Universität Wuppertal, München, Deutschland E-Mail: [email protected]

wegen nicht rechtzeitiger Entscheidungen, fehlender Planlieferungen oder fehlender Vorleistungen. Die nachfolgenden Ausführungen gelten vorrangig für das Nachtragsmanagement bei Bauwerkverträgen. Ein Nachtrag resultiert aus einer Abweichung des Bau-IST vom Bau-SOLL. Die Definition dieser Begriffe lautet: Das Bau-SOLL definiert, was wo, wie, wann, unter welchen Bedingungen gebaut werden soll. Es umfasst sowohl den Bauinhalt als auch die Bauumstände. Dementsprechend wird durch Pläne und Leistungsbeschreibungen für das Bau-SOLL dargestellt und beschrieben, was der Auftragnehmer in welcher Menge und Qualität unter welchen Umständen der Bauausführung schuldet.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. J. Diederichs, A. Malkwitz (Hrsg.), Bauwirtschaft und Baubetrieb, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27916-5_70

315

316

Das Bau-IST entspricht der realisierten Leistung. Es umfasst sowohl den tatsächlichen Bauinhalt als auch die tatsächlichen Bauumstände. Dementsprechend bildet das Bau-IST ab, was der Auftragnehmer in welcher Menge und Qualität unter welchen Umständen der Bauausführung tatsächlich realisiert hat. Vertragsbestandteile von Bauwerkverträgen sind entweder nur das BGB mit dem seit dem 01. Januar 2018 geltenden Bauvertragsrecht (§ 650a–§ 650o BGB) sowie Architekten- und Ingenieurrecht (§ 650p bis § 650t BGB) oder häufiger das BGB und vorrangig die VOB/B. Nach der Pressemitteilung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) Nr. 019/18 vom 24.01.2018 soll das neue Bauvertragsrecht im BGB zunächst keine Änderungen bei der VOB/B nach sich ziehen. „Das Fachgremium des DVA [Deutscher Vergabe- und Vertragsausschuss] bevorzuge zwar die Weiterentwicklung der VOB/B, doch müsse zunächst die aktuelle Diskussion zum BGBBauvertrag in der Fachwelt und die Rechtsprechung dazu beobachtet werden. Neuregelungen in der VOB/B wären zum aktuellen Zeitpunkt verfrüht: Die Praxis müsste sich zeitgleich zum Inkrafttreten des gesetzlichen Bauvertragsrecht im BGB auch auf eine veränderte VOB/B einstellen, die erforderliche Rechtssicherheit neuer VOB/B-Regelungen wäre mangels gesicherter Auslegung des BGB-Bauvertrags jedoch nicht gewährleistet. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum neuen gesetzlichen Bauvertragsrecht werde jedoch, insbesondere unter AGB-rechtlichen Aspekten, verfolgt und daraus gegebenenfalls Veränderungsbedarf in der VOB/B abgeleitet.“ Damit besteht seit dem 01. Januar 2018 eine Anspruchskonkurrenz zwischen dem BGB einerseits und der VOB/B andererseits. So richtet sich die Höhe des Vergütungsanspruchs für den infolge einer Anordnung des Bestellers nach § 650b Abs. 2 BGB vermehrten oder verminderten Aufwand des Aufragnehmers nach den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn (§ 650c Abs. 1 BGB). Nach § 6 Abs. 6 Nr. 2 VOB/B bestimmt sich dagegen die Vergütung nach den Grundlagen der Preiser-

C. J. Diederichs

mittlung für die vertragliche Leistung und den besonderen Kosten der geforderten Leistung, wenn vom Besteller eine im Vertrag nicht vorgesehene Leistung vom Auftragnehmer gefordert wird. Diese Anspruchskonkurrenz wird zu zahlreichen Streitigkeiten über die Höhe der Vergütung von Nachtragsleistungen führen, sofern Auftraggeber und Auftragnehmer nicht im Vertrag bereits eine Vergütungsregelung entweder nach BGB oder nach VOB/B individuell vereinbaren. So werden zunächst die bekannten Vergütungsregelungen für Nachtragsleistungen nach § 2 VOB/B und Schadensersatzansprüche aus Behinderung und Unterbrechung nach § 6 VOB/B erläutert und im Anschluss daran die neuen Vergütungsregelungen infolge einer Änderungsanordnung des Bestellers nach § 650c BGB sowie der bekannte Entschädigungsanspruch des Auftragnehmers bei einer unterlassenen Handlung des Bestellers nach § 642 BGB (Abb. 1). Zuvor werden mögliche weitere Ursachen für Konflikte aus Abweichungen zwischen Bau-Soll und Bau-Ist erläutert an dem Schnittmengenmodell aus vier nicht deckungsgleichen Ellipsen der erforderlichen, beauftragten, ausgeführten und bezahlten Leistungen (Abb. 2 und 3). Daraus ist ersichtlich, dass lediglich die Teilfläche 15 konfliktfrei ist. Konflikte ergeben sich • für den Auftraggeber aus den Teilflächen 1, 4, 5, 8, 10, 11, 12 und 14, • für den Auftragnehmer aus den Teilflächen 3, 7, 9 und 13 sowie • für Auftraggeber und Auftragnehmer aus den Teilflächen 2 und 6. Um diese Konflikte zu vermeiden, ist es notwendig, dass seitens der Auftraggeber rechtzeitig Maßnahmen zur Nachtragsprävention und seitens der Auftragnehmer rechtzeitig Maßnahmen für das Nachtragsmanagement eingeleitet werden. International und vermehrt auch in Deutschland wird der Begriff Claim verwendet. Ein Claim ist ein Anspruch (eine Forderung) gegen einen anderen, meistens den Vertragspartner, der aus einem strittigen Sachverhalt resultiert und auf einer Abweichung der geforderten oder bereits ausgeführten Leistung von den Vertragsgrundla-

Nachtragsmanagement

317

Abb. 1 Anspruchsgrundlagen für Nachträge bei Bauwerkverträgen nach VOB/B und nach BGB Abb. 2 Schnittmengenmodell aus erforderlichen, beauftragten, ausgeführten und bezahlten Leistungen. (Quelle: Diederichs 2012, S. 499)

gen beruht. Das Claimmanagement umfasst somit das Erkennen, Geltendmachen und Verhandeln von Ansprüchen bzw. Claims. Häufig wird Claimmanagement gleichgesetzt mit Nachtragsmanagement. Allerdings ist der Begriff Claim allgemeiner, da er generell zusätzliche Forderungen beschreibt, die sich nicht nur auf höhere Vergütung oder längere Bauzeit, sondern auch auf eine Veränderung der Produktionsbedingungen, die Bereitstellung von zusätzlichen Baustelleneinrichtungs- und Lagerflächen o. ä. erstrecken können. Außerdem wird die VOB/B-typische Unterteilung der Nachtragsanspruchsgrundlagen international so nicht verwendet. Beidseitig können die Vertragspartner in Bezug auf das Claimmanagement aggressive oder defensive Strategien verfolgen (Abb. 4). Zielsetzung der Auftraggeber und der Auftragnehmer sollte stets sein, Meinungsverschiedenheiten über die Vergütung von Leistungsänderun-

gen, Zusatzleistungen und Behinderungsfolgen auf dem Verhandlungswege außergerichtlich beizulegen. Bauprozesse sind langwierig (Prozessdauer vor dem Landgericht im Durchschnitt 15 Monate), aufwendig und i. d. R. für jede Partei unbefriedigend. Sowohl bei Vergleichen als auch bei Urteilen liegen die Ergebnisse i. d. R. zwischen 33 % und 64 % des Streitwertes (Diederichs 2004, S. 490–492). Die außergerichtliche Streitbeilegung bietet außerdem die Vorteile der Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen, die Vertraulichkeit des nicht-öffentlichen Verfahrens, die Auswahl kompetenter Streitlöser durch die Parteien selbst Billigkeit eigener Untersuchungen durch den Streitlöser oder der Streitlöser Gremium (Tandem aus einem Bausachverständigen und einem Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht). Durch die zunehmend funktionale und nur pauschale Beschreibung sowie Vergabe von Bauleis-

318

Nr.

C. J. Diederichs

erforderlich

1

beauftragt

ausgeführt

bezahlt

problematisch für: AG AG/AN

2

AN

3 4

AG

5

AG AG/AN

6

AN

7 8

AG AN

9 10

AG

11

AG

12

AG AN

13 14

AG

15

Abb. 3 Schnittmengenmatrix aus erforderlichen, beauftragten, ausgeführten und bezahlten Leistungen. (Quelle: Diederichs 2012, S. 500)

Abb. 4 Aggressives und defensives Claimmanagement

Nachtragsmanagement

tungen im Globalpauschalvertrag entstehen zwischen Auftraggebern (AG) und Auftragnehmern (AN) unterschiedliche Auffassungen über die vertraglich zu erbringende Leistung. Ausgangspunkt ist das Bau-Soll, d. h. die vertraglich geforderte Leistung. Die durch den Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen und die seitens des Auftraggebers dafür zu entrichtende Vergütung werden durch den Vertrag festgelegt. Bei geänderten oder zusätzlichen Leistungen kann der Auftragnehmer unter bestimmten Voraussetzungen eine geänderte oder zusätzliche Vergütung fordern bzw. bei vom Auftraggeber zu vertretenden Leistungsstörungen Ersatz des dadurch bewirkten nachgewiesenen Schadens oder bei fehlenden Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers eine angemessene Entschädigung verlangen.

2

Nachtragsprävention und Nachtragsprüfung des Auftraggebers (AG)

Die Nachtragsprävention und Nachtragsprüfung kann als Synonym zum Anti Claimmanagement bzw. Anti Nachtragsmanagement (ACM) angesehen werden. Das ACM erfordert geplantes und organisiertes Voraussehen, Beobachten, Analysieren, Bewerten Feststellen und Dokumentieren von Forderungen für behauptete Leistungen außerhalb des Vertrags. Das Anti Claimmanagement wird in das Präventive (vor Vertragsunterzeichnung) und das Aktive (nach Vertragsunterzeichnung) Claimmanagement unterteilt. Das ACM setzt voraus, dass sich die Auftraggeberorganisation intensiv mit dem Thema auseinandersetzt. Dazu gehören eine optimale Projektstruktur, gut vorbereitete Ausschreibung und Vergabe, durchgängige Kostenkontrolle und eine professionelle Mehrkostenprüfung der gestellten Nachträge.

2.1

Präventives ACM

Naturgemäß können in den ersten Projektphasen die Kosten am meisten beeinflusst werden. Ziel ist es daher, bis zur Ausschreibung einen Planungs-

319

stand erreicht zu haben, der nach Möglichkeit kaum Differenzen zum späteren Bau-Ist darstellt. Um späteren Auseinandersetzungen vorzubeugen, müssen die Zuständigkeitsbereiche des Auftraggebers und des Auftragnehmers klar definiert werden. Besonderes Augenmerk muss der Auftraggeber auf die Risiken legen, die seiner Sphäre zuzuordnen sind.

2.2

Aktives ACM

Das Aktive ACM beginnt nach Vertragsunterzeichnung und endet theoretisch nach der Abnahme. In der Wirklichkeit verläuft das ACM häufig über die Abnahme hinaus und beinhaltet etwaige Nachforderungen im Zuge der Schlussrechnungsstellung. Gründe für Claims seitens des Auftragnehmers können Ausschreibungsfehler, Planungsänderungen, Anordnungen, fehlende Unterlagen seitens des Auftraggebers oder seiner Erfüllungsgehilfen, wie z. B. Pläne und Genehmigungen oder Versäumnisse durch die Projektorganisation des Auftraggebers sein.

2.3

Nachtragsprävention des Auftraggebers (AG)

Der Leitsatz für die Nachtragsprävention des AG lautet: „Der Auftraggeber hat Leistungsänderungen und Leistungsstörungen vom Versand der Vergabe- und Vertragsunterlagen an zwingend zu vermeiden, um Mehrkosten zu verhindern!“

Dazu dienen folgende Maßnahmen: 1. Sicherung der Finanzierung für das Auftragsbudget, 2. Sorge für die Einschaltung einer fachkundigen, erfahrenen, leistungsfähigen und zuverlässigen Projektleitung und Projektsteuerung, 3. Sorge für die Einschaltung fachkundiger, erfahrener, leistungsfähiger und zuverlässiger Planer mit ausreichender verfügbarer Kapazität, bei öffentlichen AG unter Beachtung der Vorschriften des GWB und der VgV,

320

4. Ausschalten von Projektrisiken, u. a. aus dem Grundstück (Tragfähigkeit, Grundwasser, Altlasten, Kampfmittel, Bodendenkmäler), der Nachbarbebauung, der infrastrukturellen Voraussetzungen sowie der Produktionsbedingungen; 5. rechtzeitige Beibringung der baurechtlichen und ggf. haushaltsrechtlichen Genehmigungen, u. a. aus Bebauungsplan-, Baugenehmigungs- oder Planfeststellungsverfahren, ergänzt um umweltrechtliche, denkmalschutzrechtliche, wasserrechtliche, gewerbeaufsichtliche, verkehrspolizeiliche und flugsicherungsrechtliche Genehmigungsverfahren, 6. Grundstückssicherung im rechtlichen, wirtschaftlichen und technischen Sinne hinsichtlich Vermessung, Wertermittlung, Grundbucheintrag nach Löschung und von Belastungen, Grenzsicherung, Erschließung und Altbebauung, 7. präzise Bestimmung des Bau-Solls durch Leistungsbeschreibung, Ausschreibungspläne, Probestücke sowie sorgfältige Leistungsbzw. Schnittstellenabgrenzung zu den Leistungen anderer Unternehmer (und Planer), 8. sorgfältige Ausarbeitung der Vertragsbedingungen, insbesondere der BVB, aber auch der ZVB und der ZTV unter besonderer Beachtung AGBG-konformer Vollständigkeitsklauseln, 9. Gleichbehandlung aller Bieter während der Ausschreibungsphase (§ 2 Abs. 2 VOB/A) zur Vermeidung von Streitigkeiten aus c.i.c., 10. Überprüfung der Fachkunde, Erfahrung, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Bieter, 11. Sorge für möglichst vollständige Übergabe geprüfter und vom AN bei der Bildung seines Angebotspreises berücksichtigter Ausführungspläne vor Vertragsunterzeichnung, 12. Sorge für eindeutig abgestimmte Planlieferungstermine und deren Einhaltung sowie Dokumentation des Planlaufes durch Planlieferliste, 13. baustellenbezogene Sicherung der Infrastruktur für Wasser, Abwasser, Strom, Telekommunikation, Zufahrtswege, Parkplätze, Lagerplätze, Wohnlager, Sanitäranlagen, Verkehrssicherungs-

C. J. Diederichs

maßnahmen unter Wahrung von Nutzerbelangen zur möglichst geringen Beeinträchtigung der Betriebsbedingungen, 14. Beschaffung der vollständigen erforderlichen Unterlagen zur Vorbereitung der Nachtragsabwehr: – Vergabe- und Vertragsunterlagen, – Terminplan der Ausführung im Soll und im Ist mit Planlieferungsterminen im Soll und im Ist, – Urkalkulation des AN, auch für die Leistungen der Nachunternehmer, in einer Gliederungstiefe, die die Grundlagen der Preisermittlung für die vertragliche Leistung zweifelsfrei verdeutlicht, – Besprechungsprotokolle der Baubesprechungen und relevanten Schriftwechsel, – Bautagesberichte und Stundennachweise des AN, – Bautagebuch des AG, – regelmäßige Leistungsmeldungen, differenziert nach Gewerken, Bauteilen und Ebenen (möglichst monatlich), – Analyse abgeschlossener Projekte im Hinblick auf das Schnittmengenmodell der Abb. 1 und 3, 15. schriftliche Stellungnahme zu mündlichen oder schriftlichen Nachtragsankündigungen des AN, durch schriftliche Beantwortung durch den AG, 16. Schulung der Mitarbeiter mit Erfolgskontrolle durch Testaufgaben.

2.4

Nachtragsprüfung des Auftraggebers (AG)

Dazu gilt folgender Leitsatz: „Der Maßstab für die Qualität der Nachtragsprävention und der Nachtragsprüfung des AG ist das deutliche Abnehmen des Prozentsatzes genehmigter Nachträge im Verhältnis zur Auftragssumme (< 5 %)!“

1. Im Rahmen der Nachtragsprüfung sind folgende Aufgaben wahrzunehmen: 2. Reaktion auf den Nachtragseingang in formaler (schriftlich), inhaltlicher (projektbezogen,

Nachtragsmanagement

3. 4.

5.

6. 7.

8. 9. 10.

3

vertraglich) und strategischer (Geschäftsbeziehung, weitere Nachtragsverhandlungen) Hinsicht, Beschaffung bzw. Anforderung erforderlicher Unterlagen, Kompensation nicht beschaffbarer Unterlagen, z. B. bei fehlender Urkalkulation Ansatz von Regelwerten für AGK 6 %, W 2 % und G je nach Konjunkturlage z. B. 3 % bis 6 %, Prüfung des Anspruchs dem Grunde nach im Hinblick auf die Rechtsgrundlagen (§ 2 oder 6 VOB/B, § 242, § 650b und § 650c BGB, AGBG, Ziff. 4.1 und 4.2 der VOB/C); bei strittiger Anspruchsgrundlage Einschaltung eines Baujuristen; eindeutige Abgrenzung von Nachtragsforderung, relevantem BauSoll und nachträglich geforderter Leistungsabweichung bzw. vom AG zu vertretender Leistungsstörung, Prüfung des Anspruchs der Höhe nach, ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen, Prüfung der Möglichkeit von Gegenforderungen – Verhandlungsmanagement mit Vorbereitung von Ort, Zeit und Ablauf, Eröffnung, These – Gegenthese – Synthese, Abschluss, mit „Siegern auf beiden Seiten“ und Protokollierung, Überprüfung der Vertragsbeziehung zum AN, Ziehen der Konsequenzen aus abgelehnten, anerkannten und strittig bleibenden Nachträgen, Schulung der Mitarbeiter.

Nachtragsvorbereitung und Nachtragsdurchsetzung durch den Auftragnehmer (AN)

Auch für den Auftragnehmer (AN) sind die Phasen vor und nach der Nachtragseinreichung zu unterscheiden.

3.1

Nachtragsstrategie und -vorbereitung durch den Auftragnehmer (AN)

Leitsatz der Nachtragsstrategie des AN muss sein: „Grundlage erfolgreicher Nachforderungen ist die Analyse und Bewertung der Abweichungen zwi-

321 schen den vorausgesetzten, aus den Vertrags- und Vergabeunterlagen erkennbaren, vorkalkulatorischen Produktionsbedingungen und den tatsächlich vorgefundenen bzw. zu beachtenden und einzuhaltenden Produktionsbedingungen!“

Daraus ergeben sich folgende Aufgaben:

1. Abschätzen der Risiken aus wesentlichen Mengenänderungen, differenziert nach erkennbarer erheblicher Mengenüberschreitung oder -unterschreitung bei kostenbestimmenden Teilleistungen oder Leitpositionen unter Einbeziehung von Grund-, Alternativ- und Zulagepositionen, 2. Abschätzen der Risiken und Konformität von Vollständigkeitsklauseln mit den §§ 305–310 BGB bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 3. Analyse der Vergabe- und Vertragsunterlagen, u. a. im Hinblick auf Konformität zwischen Leistungsbeschreibung und Ausschreibungsplänen, Geltungsreihenfolge der Vertragsbestandteile, Eingriff in die VOB/B als Ganzes, 4. Identifikation und Behandlung von gemäß den §§ 305–310 BGB AGBG-widrigen Klauseln (durch Unterschrift, Vermeidung von Individualvereinbarungen und Eliminierung nach Auftragserteilung), 5. Formulierung des Angebotsschreibens (Wettbewerbsvorteile darstellen, vorausgesetzte Produktionsbedingungen beschreiben, ggf. Öffnungsklauseln einbauen), 6. Ausarbeitung von Änderungsvorschlägen und Nebenangeboten nach § 13 Abs. 3 VOB/A unter Beachtung der Vorteile und Risiken, 7. Gestaltung der beim AG zu hinterlegenden Urkalkulation, 8. Dokumentation durch Bautagesberichte, Planeingangsliste, Protokolle und Korrespondenz, 9. Prüfung von nach Vertragsabschluss übergebenen Ausführungsunterlagen auf Vertragskonformität, 10. Sorge für die Erstellung eines Basisablaufplans für die Vertragsleistungen mit Planlieferliste und Bemusterungsterminen, 11. Analyse und Bewertung der Vertragspartner des AG (Projektsteuerer, baubegleitender Rechtsberater, Architekt, Fachplaner, Gutachter, Vorunternehmer),

322

C. J. Diederichs

12. Abwägung von Chancen (Ergebnisverbesserung) und Risiken (Belastung der Geschäftsbeziehungen zum AG) aus potenziellen Nachträgen, 13. Auswertung bereits abgeschlossener Aufträge auf Nachtragsrelevanz und 14. Schulung der Mitarbeiter.

3.2

Nachtragsstellung und -durchsetzung durch den Auftragnehmer (AN)

Der Leitsatz hierfür lautet: „Der Maßstab für die Qualität der Nachtragsoffensive ist die nachweisliche Steigerung der Erfolgsquote eingereichter Nachträge (>80 %)!“

Testnachträge nach dem Motto „Ein Drittel ist zu streichen, ein Drittel ist zu verhandeln und ein Drittel brauchen wir wirklich!“ sind unklug und in hohem Maße imageschädigend. Auftragnehmer sollen Nachträge derart vorbereiten und nur dann einreichen, wenn sie als Auftraggeber diese sowohl dem Grunde und der Höhe nach selbst auch zu 100 % anerkennen könnten. Die Vorschriften der §§ 2 und 6 VOB/B sind eindeutig und bieten keine Handhabe für „Glücksspiele“. Die Regelungen des § 650c BGB sind jedoch nicht eindeutig und daher streitträchtig. Im Einzelnen sind seitens des AN folgende Aufgaben zu erfüllen: 1. Beachten von Ankündigungserfordernissen (§ 2 Abs. 6 und § 6 Abs. 1 VOB/B und § 650b und § 650c BGB), 2. Aufbereiten des Nachtrags mit allen Unterlagen dem Grunde nach, ggf. unter Hinzuziehung eines Baujuristen und Einholung des Anerkenntnisses des AG; der Aufwand für die Vorbereitung von Nachträgen der Höhe nach, die dann wegen fehlenden Anspruchs dem Grunde nach vom AG abgelehnt werden, ist voll als Verlust beim AN zu verbuchen; bei Ablehnung des AG strategische Neuausrichtung, bei Anerkennung durch den AG weiter bei Abschn. 3, 3. Aufbereiten des Nachtrags mit allen Unterlagen der Höhe nach, ggf. unter Einschaltung eines Sachverständigen,

4. Nachtragsanmeldung und -präsentation nach vorheriger Terminvereinbarung (Timing) durch persönliche Übergabe und qualifizierte Erläuterung auf Basis hervorragend aufbereiteter Unterlagen, 5. Stellungnahme zu Gegenargumenten des AG zur Prozessvermeidung, 6. Ziehen der Konsequenzen aus genehmigten, abgelehnten oder strittig bleibenden Nachträgen im Hinblick auf Kosten, Termine, Qualität und Organisation; jeder berechtigte Nachtrag berechtigt den AN auch zu einer entsprechenden Terminverlängerung, es sei denn, dass der AG eine Beschleunigungsanordnung nach § 2 Abs. 5 VOB/B trifft, deren Auswirkung jedoch in die Nachtragsvereinbarung einbezogen werden muss, 7. interne Kritik am Nachtragsmanagementsystem des AN zur Einleitung von Verbesserungsmaßnahmen und 8. Schulung der Mitarbeiter.

4

Kommunikation und Dokumentation von SOLL-ISTAbweichungen

Für den Auftragnehmer ist für ein funktionierendes Nachtragsmanagement neben der Organisation die Kommunikation und Dokumentation von SOLL-IST-Abweichungen unverzichtbar. Ohne eine professionelle Dokumentation kann der Auftragnehmer kaum Nachträge stellen und durchsetzen. Auch in Bezug auf etwaige gerichtliche Auseinandersetzungen stellen die Leitsätze und Urteile des BGH hohe Anforderungen an die Dokumentation.

4.1

Kommunikation

Die Kommunikation zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ist in Bezug auf Nachträge traditionell angespannt. Beide Seiten stehen unter Druck und wollen ihre Ansprüche durchsetzen bzw. Forderungen abwehren. Die Tatsache, dass die Hauptziele des Auftraggebers und des Auftragnehmers divergieren, trägt weiter

Nachtragsmanagement

dazu bei. Seitens des Auftraggebers stehen bei Vertragsunterzeichnung die Kosten im Vordergrund. Die Termine und die Qualität werden erst während der Ausführung und zum Projektabschluss prioritär. Hingegen ist es Hauptziel des Auftragnehmers, zur Unternehmenssicherung während der Auftragsabwicklung die Kosten zu minimieren und damit den kalkulierten Gewinn zu sichern und nach Möglichkeit zu steigern. Daher sind strittige Nachträge zwischen den Parteien häufig sehr konfliktreich (Görres 2015, S. 265). Der Auftragnehmer muss permanent die Geschäftsbeziehungen zu seinem Auftraggeber mit seinen eigenen Interessen abwägen. Der Zeitpunkt für die Stellung eines Nachtrags ist auch bedeutsam. Für den Auftragnehmer ist es einerseits von Vorteil, jede Nachtragschance direkt zu nutzen, um Sicherheit über die Nachtragsvergütung zu erlangen. Andererseits will der Auftragnehmer den Projektfrieden waren und nicht als erste Handlung dem Auftraggeber einen Nachtrag präsentieren. Zwar hat der Auftragnehmer nach § 6 Abs. 1 VOB/B Behinderung unverzüglich schriftlich anzuzeigen sowie nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 VOB/B Bedenken gegen nach seiner Meinung unberechtigte oder unzweckmäßige Anordnung des Auftraggebers geltend zu machen im Rahmen seiner Hinweispflicht. Unstrittige Nachträge resultieren daraus jedoch nicht. Das Thema, wann ein Nachtrag kommuniziert werden soll, wird in der Fachliteratur zwar ausführlich beschrieben (Budde 2013, S. 155; Heilfort 2003, S. 121), jedoch gibt es keine einheitliche Meinung dazu. Je nach Projekt kann es für den Auftragnehmer vorteilhaft sein, einige Nachträge unmittelbar anzukündigen und einige zurückzuhalten, um die weitere Auftragsabwicklung abzuwarten. Der Zeitpunkt für die Stellung strittiger Nachträge ist nach Heilfort (2003, S. 121) auch abhängig vom Stärkeprofil der Partei. Dieses Stärkeprofil liegt auf Seiten des Auftraggebers vor allem in der Ausschreibungsphase vor Vertragsunterzeichnung und am Projektende. Während der Auftragsverhandlung kämpft der Bieter um den Auftrag, am Projektende geht es um die Schlussrechnung und die Schlusszahlung. Zwischen der Vergabe und dem Projek-

323

tende während der Ausführung liegt das Stärkeprofil auf Seiten des Auftragnehmers, da er dann seine überlegene Fachkompetenz ausspielen kann. Daher wird dieser Projektabschnitt für den Auftragnehmer im Normalfall als geeignet für die Nutzung von Nachtragschancen dargestellt (Budde 2013, S. 155; Heilfort 2003, S. 121). Eine wichtige Zielsetzung für das Nachtragsmanagement des Auftragnehmers besteht darin, das Gleichgewicht zwischen Gewinn, Kundenzufriedenheit und Image des Unternehmens zu wahren. Eine geeignete Kommunikationsstrategie zu wählen, ist somit für den Auftragnehmer essenziell, um das Bauprojekt bestmöglich abzuwickeln (Cox 2014, S. 18).

4.2

Dokumentation von SOLL-ISTAbweichungen

Die Dokumentation wird während eines laufenden Bauprojekts häufig als notwendiges Übel angesehen und delegiert. Dies ist unter anderem damit zu erklären, dass die Dokumentation grundsätzlich für die jeweilige Person, meistens der Bau- oder Projektleiter, mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden ist. Der Sinn und Vorteil einer professionellen Dokumentation wird häufig erst bei der Feststellung von Leistungsabweichungen oder bei einer erforderlichen Sachverhaltsaufklärung erkennbar. Ein weiterer Grund für die zu beobachtende Nachlässigkeit bei der Dokumentation ist vielfach das bloße Vertrauen auf mündliche Zusagen, das besonders bei Bauhandwerkern immer noch verbreitet ist. Eine systematische, zeitnahe und möglichst objektive Dokumentation der tatsächlichen Verhältnisse ist somit zwingend erforderlich, vor allem bei lang andauernden Projekten, bei denen z. B. auch das Personal wechselt. Der Umfang der Dokumentation wird maßgeblich von der Größe des Baubetriebs und dem Umfang des Bauvorhabens beeinflusst. Eine Dokumentation s muss daher systematisch geordnet sein und alle Geschäftsvorgänge des Bauauftrages inkl. der Nachträge in technischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht enthalten. Die Glaubwürdigkeit und

324

Nachprüfbarkeit müssen stets gewahrt werden. Hierzu muss die Dokumentation widerspruchsfrei sein. Eine wertneutrale Dokumentation, bei der alle notwendigen Information und Nachweise angeführt werden, fördert die Glaubwürdigkeit. Die Dokumentation soll umfassend, detailliert und aussagekräftig sein. Jedoch soll ein reines Abspeichern und Archivieren von Daten nach der Devise „viel, hilft viel“ vermieden werden. Die Dokumentation muss zeitnah erfolgen, da sonst, besonders bei vermehrt auftretenden Behinderungen, Ursachen und Konsequenzen der Geschehnisse nicht mehr klar aufbereitet werden können. Folgende Dokumentationsmittel sollen angewendet werden: Bautagesberichte und Bautagebuch: In den Bautagesberichten der Auftragnehmer sind für jeden Bauauftrag arbeitstäglich Art und Umfang der ausgeführten Bauarbeiten, Art und Umfang der eingesetzten Arbeitskräfte und Geräte einschließlich des Nachunternehmereinsatzes, äußere Einflüsse auf die Bauleistungen (z. B. Witterungsverhältnisse) sowie sonstige wichtige, den Baufortschritt betreffende Ereignisse (z. B. Planübergaben, Behinderungen oder sonstige Vorkommnisse) zu dokumentieren. Die Bautagesberichte sind dem Auftraggeber oder dem für die Bauüberwachung beauftragten Architekten/Ingenieur spätestens wöchentlich zu übergeben. Bautagesberichte dienen nicht als Grundlage für die Abrechnung von Bauleistungen. Hierfür sind vorrangig die Abrechnungsunterlagen maßgeblich die Pläne, Aufmaße und Stundenlohnzettel. Von den Bautagesberichten der Auftragnehmer ist das Bautagebuch des Auftraggebers zu unterscheiden. Das Bautagebuch bezieht sich stets auf die gesamte Baumaßnahme. Es ist vom Auftraggeber oder den beauftragten bauleitenden Architekten/ Ingenieuren/Fachingenieuren zu führen. Dies ist eine der Grundleistungen der Leistungsphase 8 HOAI 2013. Im Bautagebuch sind vorrangig die Teilleistungen der Objektüberwachung gemäß Vertrag und besondere Ereignisse zu dokumentieren. Die Bautagesberichte der Auftragnehmer und das Bautagebuch des Auftraggebers zählen zu den wichtigsten Baustellendokumenten. Terminplan: Eine der Grundleistungen der Leistungsphase 8 HOAI 2013 ist das „Aufstellen,

C. J. Diederichs

Fortschreiben und Überwachen des Terminplans (Balkendiagramm)“ für die gesamte Baumaßnahme. Dieser Terminplan ist nur dann eines der wesentlichen Steuerungselemente zur zeitlichen Koordination, wenn er kontinuierlich aktualisiert wird vom Soll (0) zum Soll(1) und weiter bis zum Soll(n) am Projektende und parallel der tatsächliche Ist-Bauablauf dokumentiert und hinsichtlich der Abweichungen gegenüber dem Soll(x)Terminplan analysiert und bewertet wird. Daraus ergeben sich jeweils die notwendigen Anpassungsmaßnahmen zur Sicherung der Terminziele (z. B. Erhöhung der täglichen Arbeitszeit, Samstagsarbeit Kapazitätserhöhung, stärkere Überlappung der Ausführungsvorgänge). Schriftwechsel: Alle zwischen den Parteien ausgetauschten Schriftstücke (Briefe, Protokolle, Aktennotizen, E-Mails, Vergabe- und Vertragsunterlagen, Behinderungsanzeigen, Mehrkostenanmeldungen, Besprechungsprotokolle und Bedenkenanmeldungen) müssen auch für Dritte eindeutig und nachvollziehbar sein. Basisdaten wie Datum, Verfasser, Adressat, fortlaufende Nummer und Betreff sind zwingend anzugeben. Dokumentenmanagement: Ein elektronisch unterstütztes Dokumentenmanagement bildet die Grundlage jeder gerichtsfesten Baustellendokumentation. Dabei ist eine genaue Klassifizierung der Dokumente zwingend erforderlich. Ein Dokument verfügt über eine Reihe spezifischer Merkmale, welche es charakterisieren. Dieser Merkmale bedienen sich Dokumentenmanagementsysteme (DMS), um die Dokumente einordnen, verwalten, klassifizieren und ihre Zugriffs- und Bereitstellungsrechte regulieren zu können (Netzsieger GmbH 2018. www.netzsieger.de. Zugegriffen am 31.08.2018): • Physische Eigenschaften (analog, elektronisch) • Formale Eigenschaften (Aufbau, Gestaltung) • Ordnung (Zugehörigkeit, Version, Einordnung in einen Plan) • Inhalt (inhaltliche Zugehörigkeit/Bezug) • Charakter (archivierungswürdig/-pflichtig, Rechtscharakter, Bearbeitungsmöglichkeiten) • Zeit (Erzeugungsdatum, Verfallsdatum, letzter Aufruf/Benutzung)

Nachtragsmanagement

• Urheber (Absender, Ersteller, Autor) • Nutzer (Leser, Bearbeiter, Empfänger) Planlieferlisten und Planvergleiche: Die Dokumentation der Termine von Planeingängen und Planausgängen und von Planvergleichen durch den Auftragnehmer ist Voraussetzung, um die Rechtzeitigkeit oder Verzögerungen bei Planlieferungen nachzuweisen sowie Art und Umfang von Planungsänderungen zu belegen. Von einem DVP-Arbeitskreis IT-Tools wurde im Januar 2007 eine Analyse und Bewertung der Mindeststandards und Schnittstellenanforderungen an Software für die Projektkommunikation, das Kosten-, Termin- und Mängelmanagement, die Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung (AVA) und das Computer Aided Facility Management einerseits und der Anbieter solcher Softwaresysteme andererseits vorgenommen (DVP 2007). Eine Aktualisierung dieser Veröffentlichung ist seitens des DVP derzeit nicht geplant. Stattdessen wurde ein neuer BIM-Arbeitskreis gebildet. Zu den Modulen von Projektkommunikationssystemen zählen (Schneider 2004, S. 5): • Projekt- Informationsmodul mit den wichtigsten Projektdaten • Planmanagementmodul • Reproduktions- und Versandmodul • Projektkommunikationsmodul für den elektronischen Informationsaustausch über E-Mail und das zentrale Projektadressregister l

4.3

Darstellung und Aufbereitung von SOLL-IST-Abweichungen

325

Störungsursachen können aus der Sphäre des Auftraggebers und Auftragnehmers sowie durch Dritte verursacht werden. Abb. 5 stellt diese nach dem jeweiligen Verantwortungsbereich dar. Die sachlich und rechnerisch korrekte Analyse der Ursachen und Auswirkungen dieser Störungen ist wesentlich für die Sphärenabgrenzung der Verantwortung der Parteien und damit die Übernahme der hierdurch entstandenen Mehrkosten durch Auftraggeber und Auftragnehmer (Diederichs und Streckel 2009, S. 1–5). Der Auftragnehmer muss die Störungen gemäß Abb. 5, die ihn an einer ordnungsgemäßen Weiterarbeit hindern oder gehindert haben, detailliert aufzeigen. Die Grundlage für die baubetriebliche Analyse und Bewertung der Störungen bildet die Baustellendokumentation des Auftragnehmers. Die Dokumentation der geltend gemachten Störungen soll folgende Punkte enthalten (Zanner et al. 2019, S. 76): • An- und Abmeldung der Störung (Behinderungsanzeige) • Ursache der Störung • Beginn, Ende und Dauer der Störung • Betroffene Leistungen bzw. Leistungsvorgänge • Geplanter Beginntermin und Ausführungszeitraum der betroffenen Leistung • Auswirkung der Störung (tatsächliche Behinderung) • Bautenstand zum Zeitpunkt der Störung/ Behinderung • Leistungsbereitschaft zum Zeitpunkt der Störung/Behinderung • Vorgenommene Ablaufumstellungen • Störungs-/behinderungsbedingte Mehrleistungen • Zuordnung der Verantwortungssphäre

Der Grad der Konkretisierung von Schaden und Kausalität ist maßgeblich abhängig von der Qualität der Dokumentation des Auftragnehmers. Diese soll so strukturiert werden, dass sie

5

• den Störungsfall möglichst unstrittig ausweist, • die Ursachen benennt, • Hilfestellung für Anpassungsmaßnahmen bietet und • die Mehrkostenberechnung nach Kausalität und Höhe ermöglicht.

Der § 2 „Vergütung“ der VOB/B ist in Abs. 1 und 2 nicht relevant für Vergütungsänderungen aus Leistungsänderungen und Zusatzleistungen,

Vergütungsänderungen aus Leistungsänderungen und Zusatzleistungen gemäß § 2 Abs. 3 bis Abs. 7 VOB/B

326

C. J. Diederichs

Abb. 5 Risikosphärenzuordnung von Störungsursachen. (Quelle: Möhring 2012, S. 11 (Dissertation))

da diese lediglich regeln, welcher Leistungsumfang durch die vereinbarten Preise abgegolten ist (Abs. 1) und dass sich die Vergütung beim Einheitspreisvertrag aus den vertraglich vereinbarten Einheitspreisen und den tatsächlich ausgeführten Mengen der Positionen ergibt (Abs. 2). Die Abs. 3 bis 10 sind jedoch relevant für Vergütungsänderungen (Diederichs 2005, S. 193–206).

5.1

Abweichungen zwischen ausgeführten und ausgeschriebenen Mengen beim Einheitspreisvertrag (§ 2 Abs. 3 VOB/B)

Anwendungsvoraussetzung für § 2 Abs. 3 VOB/B ist, dass die Mengenabweichung nicht durch mengenändernde Eingriffe seitens des AG nach Ver-

tragsabschluss zustande gekommen ist, sondern die Mengenermittlung des Ausschreibers fehlerhaft war. Mengenabweichungen beim Einheitspreisvertrag nach Abs. 3 betreffen damit nur Änderungen zwischen den beim Vertragsabschluss in den Vordersätzen der Leistungsverzeichnisse ausgewiesenen und insoweit unverändert gebliebenen und den tatsächlich auszuführenden Leistungsmengen. Sie betreffen nicht nach Vertragsabschluss seitens des Auftraggebers vorgenommene Änderungen des Bauentwurfs oder andere leistungsändernde Anordnungen, die nach § 1 Abs. 3 und 4, § 2 Abs. 5, 6 und 8 sowie § 8 Nr. 1 VOB/B in der Dispositionsbefugnis des Auftraggebers liegen. Planung ist Aufgabe des Auftraggebers. Deren veränderte Ausführung nach Vertragsabschluss außerhalb der Grenzen von 10 v. H. der ausgeschriebenen Mengen liegt in seinem Risikobereich und damit innerhalb der Grenzen von 10

Nachtragsmanagement

v. H. im Risikobereich des Auftragnehmers. Ob die Menge tatsächlich über 10 % abweicht, muss daher stets geprüft werden. Unter dieser Voraussetzung sind 4 Fälle zu unterscheiden, wobei jedoch das BGH – Urteil VII ZR 34/18 vom 08.08.2019 zur vorkalkulatorischer Preisfortschreibung zu beachten ist: Fall 1: Mengenabweichung 10 % der ausgeschriebenen Menge (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B): im Bereich zwischen 90 % und 110 % der ausgeschriebenen Menge gilt der vertragliche Einheitspreis. Ein Anspruch auf Vergütungsänderung ist daher dem Grunde nach nicht gegeben. Fall 2: Mengenminderung unter 90 % der ausgeschriebenen Menge (§ 2 Abs. 3 Nr. 3, 1. Hs. und Satz 2): Sofern der Auftragnehmer nicht bei anderen Positionen oder in anderer Weise (z. B. durch Zusatzleistungen) einen Ausgleich erhält, ist auf Verlangen (i. d. R. des Auftragnehmers) für die verbleibende Leistung < 90 % der Einheitspreis zu erhöhen, sofern die Bauzeit durch Mengenminderung nicht wesentlich verkürzt werden kann. Die vorkalkulatorisch vorgesehenen Gemeinkosten, Allgemeinen Geschäftskosten sowie auch der kalkulierte Gewinn für diese Teilleistung können auf die verbleibende Menge umgelegt werden. Damit können sämtliche entfallenden Schlüsselkosten (Gemeinkosten der Baustelle + Allgemeinen Geschäftskosten + Gewinn) auf die verbleibende Menge umgelegt werden. In der KLR Bau, 8. Auflage 2016, S. 40, wird empfohlen, nur noch den Begriff „Gewinn“ anstelle von „Wagnis und Gewinn“ zu verwenden, da das allgemeine unternehmerische Wagnis kein echter Preisbestandteil, sondern ein Teil des Unternehmensrisikos sei. Präzise müsse es heißen „Gewinn mit Wagnisanteil“. Zudem sei zu beachten, dass projektspezifische Risiken nicht durch den Wagnisanteil abgedeckt, sondern Bestandteile der EKT und der BGK seien. Im Weiteren wird angenommen, dass das Wagnis die Hälfte des ausgewiesenen Gewinns umfasst, wenn nicht anders angegeben. Beispiel 1: Mengenunter- und -überschreitung Der Einheitspreis der Pos. 2050 Wandbeton C 20/25 ohne Schalung und Bewehrung nur aus Lohn-, Geräte- und Materialkosten in Tab. 2.6 und 2.8 der KLR Bau 2016, S. 51 und 55, beträgt

327

133,65 €/m3 für eine Menge von 120 m3. Er gliedert sich in: Einzelkosten der Teilleistungen (EKT) Löhne 0,7 Lh  34,07 €/Lh = Geräte Material

23,85 10,00 65,00 98,85 €/m3

Schlüsselkosten (Slk) Zuschlag auf Löhne 87,25 % Zuschlag auf Geräte 18,65 % Zuschlag auf Material 18,65 %

20,81 1,87 12,12 34,80 €/m3 133,65 €/m3

Einheitspreis

Die Schlüsselkosten gliedern sich z. B. in G 5 % des EP ⇨ AGK 7 % des EP ⇨ BGK = Slk – AGK – G 34,80 – 9,36 – 6,68

6,68 9,36 18,76 34,80 €

Der neue Einheitspreis ergibt sich aus der Formel: EPneu ¼ EKT þ Slk  MSoll=MIst z. B. für MIst = 84,0 m3 (für 70%) EPneu ¼ 98,85 þ 34,80  120=84 ¼ 148,56 €=m3 : Das Mengenrisiko des AN bei 108,0 m3 (90 %) besteht aus einem Schlüsselkostenverlust für 10 % der ausgeschriebenen Menge, d. h. ð120  108Þ  34,80

¼ 417,60 €

bzw. über die Differenz der Einheitspreise an der Grenze 90 % 108,0  ðð98, 85 þ 34, 80  120=108Þ  133,65Þ ¼ 417,60 €: Unterhalb von 90 % wird dieses Mengenrisiko zugunsten des AN aufgelöst. Aus diesem Beispiel wird bereits deutlich, dass mit fallender Menge der neue Einheitspreis stetig steigt. In Abb. 6 ist

328

C. J. Diederichs

Abb. 6 Veränderung des EP für Wandbeton bei Mengenänderung gemäß § 2 Abs. 3 VOB/B. (Quelle: aktualisiert nach Diederichs 2012, S. 506)

für Pos. 2050 die Veränderung des Einheitspreises grafisch dargestellt. Fall 3: Mengenmehrung über 10 % der ausgeschriebenen Menge hinaus (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B): 110 % der ausgeschriebenen Menge werden mit dem vertraglichen Einheitspreis abgerechnet. Für die darüberhinausgehenden Mengen ist auf Verlangen (i. d. R. des Auftraggebers) ein neuer Einheitspreis unter Berücksichtigung der Mehr- und Minderkosten zu vereinbaren, der im Normalfall niedriger sein wird als der vertragliche Einheitspreis, sofern die vertraglich vereinbarte Bauzeit eingehalten und auch die Kapazitäten nicht erhöht werden müssen (Intensitätsanpassung). Wird eine Kapazitätserhöhung seitens des AG angeordnet, so handelt es sich um eine Leistungsänderung gem.

§ 2 Abs. 5 VOB/B (vgl. Abschn. „Änderungen des Bauentwurfs oder andere Anordnungen des AG (§ 2 Abs. 5 VOB/B)“). Nach dem Beispiel der Pos. 2050 Wandbeton bedeutet dies einen neuen Einheitspreis bei einer auszuführenden Menge von >110 % der ausgeschriebenen Menge: EP ð> 110 %Þ ¼ EKT þ G anteilig EPð> 110 %Þ ¼ 98,85  ð1 þ 0, 03=0,97Þ ¼ 101,91€=m3 Dieser verminderte Einheitspreis ist bei erheblichen Mehrmengen sicherlich kritisch zu hinterfragen. In Sonderfällen (z. B. beim Transport von

Nachtragsmanagement

Aushubmaterial auf eine weiter entfernt liegende Kippe und dort verlangten höheren Kippgebühren) kann es auch zu Mehrkosten und damit einer Erhöhung des neuen Einheitspreises kommen. Fall 4: Ausgleich von Mengenminderungen durch Mengenmehrungen oder in anderer Weise (§ 2 Abs. 3 Nr. 3, 2. Hs. VOB/B): Ein Ausgleich durch Mengenerhöhung oder in anderer Weise tritt nicht schon durch einen Ausgleich der Gesamtpreise ein, sondern erst bei einem Ausgleich • der Unterdeckung in den Schlüsselkosten der Positionen mit Mengen 110 % aus der Differenz zwischen Ist-Mengen und 110 % der ausgeschriebenen Mengen oder einem Schlüsselkostenausgleich „in anderer Weise“, z. B. durch Zusatzleistungen nach § 2 Abs. 6 VOB/B.

Beispiel 2: Mengenausgleich Pos. 2050 Wandbeton aus Tab. 2.6 der KLR Bau 2016, S. 50–51, habe eine Mengenunterschreitung um 30 % und Pos. 2020 Fundamentbeton (EP = 120,96 €/m3, Aufwandswert 0,5 Lh/m3; Lohn 34,07 €/Lh, Lohnzuschlag 87,25 %, Material 65,00 €/m3, Geräte 10,00 €/m3, Zuschlag Material und Geräte 18,65 %) eine Mengenüberschreitung um 33,15 %. Damit wäre nahezu ein Preisausgleich gegeben: 0,30  120  133,65 ¼ 4811,40 €, 0,3315  120  120,96 ¼ 4811,78 €: Dies ist jedoch nicht entscheidend, sondern nur die Saldierung der Schlüsselkosten. Deren Unterdeckung beträgt aus Pos. 2050 Wandbeton: 0,30  120  34,80 ¼ 1252,80 € Die Schlüsselkostenüberdeckung aus Pos. 2020 Fundamentbeton beträgt:

329 aus Löhnen (0,3315–0,1)  120  0,5  34,07  0,8725 = aus Geräten (0,3315–0,1)  120  10  0,1865 = aus Material (0,3315–0,1)  120  65  0,1865 = Summe der Überdeckung

412,90 € 51,81 € 336,76 € 801,47 €

Damit hat der AN einen Anspruch auf den Saldo aus Unter- und Überdeckung von: 1252,80 €  801,47 € ¼ 451,33 €: Dieser Ansatz ist noch um den Gewinnzuschlag auf die EKT für den Fundamentbeton >110 % zu erhöhen: 0,2315  120  ð0,5  34,07 þ 65 þ 10Þ  ð0,03=0,97Þ ¼ 79,07 €: Ein Ausgleich von Mengenunterschreitungen „in anderer Weise“ (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 2. Hs. VOB/B) ist denkbar durch • Bauzeitverkürzung mit entsprechender Reduzierung der zeitabhängigen Gemeinkosten der Baustelle, • Vereinbarung einer im Vertrag nicht vorgesehenen zusätzlichen Leistung gem. § 2 Abs. 6 VOB/B oder • Erteilung eines weiteren Auftrages seitens des AG, der z. B. durch dieselbe örtliche Bauleitung des Auftragnehmers betreut werden kann. Praktisches Vorgehen Die verursachungsgerechte Beurteilung von Einheitspreisänderungen durch Mengenabweichungen setzt die Kenntnis der Bestandteile der Einheitspreise voraus. Daher ist zu empfehlen, durch vertragliche Vereinbarung dafür Sorge zu tragen, dass mit Angebotsabgabe eine versiegelte Mehrfertigung der Urkalkulation beim Auftraggeber hinterlegt wird zwecks Offenlegung im Bedarfsfall unter Anwesenheit des Auftragnehmers. Es dient der Konfliktprävention, wenn die Urkalkulation bei der Auftragsverhandlung vom Bieter vor Hinterlegung erläutert wird, um Spekulationspreise zu vermeiden.

330

C. J. Diederichs

Sobald sich wesentliche Mengenunterschreitungen abzeichnen, ist dem Auftragnehmer zu empfehlen, den Auftraggeber auf den Anspruch nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 1. Hs. und Satz 2 VOB/B hinzuweisen (Vermeidung von Überraschungseffekten bei der Schlussrechnung). Der Auftraggeber seinerseits wird dann auf den Ausgleich durch Mengenüberschreitungen oder in anderer Weise verweisen. Daraufhin ist zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu vereinbaren, dass eine abschließende Feststellung von Unter- und Überdeckungen in den Schlüsselkosten im Zusammenhang mit der Erstellung der Schlussrechnung vorgenommen werden wird. Damit kann auf die Bildung neuer Einheitspreise verzichtet werden, da es letztlich nur auf den Saldo aus Unter- und Überdeckungen in den Schlüsselkosten ankommt. Entsprechende Berechnungen können auf einfache Weise mit Hilfe eines EDV-Programms angestellt werden. Im Ergebnis ist festzustellen, dass es sich bei Anwendung von § 2 Abs. 3 VOB/B nicht um ein Nachtragsproblem, sondern um die Anwendung von Abrechnungsvorschriften in Ergänzung zu § 14 VOB/B handelt.

5.2

Übernahme von Vertragsleistungen des AN durch den AG selbst (Abs. 4)

Werden im Vertrag ausbedungene Leistungen des Auftragnehmers vom Auftraggeber nachträglich selbst übernommen, so entspricht dies einer vom Auftraggeber zu vertretenden Teilkündigung. Dem Auftragnehmer steht dann gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B die vereinbarte Vergütung zu. Er muss sich jedoch anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Kosten erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft und seines Betriebs erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt (§ 648 BGB). Die Forderung, dass die gekündigten Leistungen vom Auftraggeber selbst übernommen werden müssen, ist irrelevant, da eine solche Forderung gemäß § 8 Abs. 1 nicht besteht. § 2 Abs. 4 VOB/B ist damit eigentlich entbehrlich. Aus einer Teilkündigung und auch vollständigen Kündigung durch den AG nach § 8 Abs. 1

VOB/B soll dem Auftragnehmer kein wirtschaftlicher Nachteil, aber auch kein ungerechtfertigter Vorteil entstehen. Somit sind dem AN die bereits kostenwirksam gewordenen Einzelkosten der Teilleistungen und die durch die Teilkündigung nicht reduzierbaren Schlüsselkosten zu erstatten, nicht jedoch noch vermeidbare Kostenanteile, z. B. durch anderweitige Verwendung der Arbeitskräfte, Geräte und Materialien, sofern möglich und zumutbar. Damit soll der Auftragnehmer finanziell so gestellt werden, als wäre die Kündigung nicht erfolgt. Somit ist auch eine Teilkündigung durch den Auftraggeber wie eine Kündigung sämtlicher Restleistungen nach § 8 Abs. 1 VOB/B zu behandeln. Teilkündigungen, die in dem Verhalten des Auftragnehmers oder aber durch Unterbrechungen begründet sind, sind jedoch nach § 8 Abs. 2 bis 5 VOB/B zu behandeln.

5.3

Änderung des Bauentwurfs oder andere Anordnungen des AG (§ 2 Abs. 5 VOB/B)

Das Dispositionsrecht des Auftraggebers billigt diesem auch nach Vertragsabschluss zu, Entwurfsänderungen anzuordnen (§ 1 Abs. 3) oder Anordnungen zu treffen, die zur vertragsgemäßen Ausführung der Leistung notwendig sind (§ 4 Abs. 1 Nr. 3). Werden dadurch die Grundlagen des Preises für eine im Vertrag vorgesehene Leistung geändert, so ist ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren (§ 2 Abs. 5 VOB/B). Durch derartige Entwurfsänderungen oder Anordnungen des AG können Erschwernisse oder Erleichterungen für die gemäß Ausschreibungsunterlagen und vorkalkulatorisch vorausgesetzten Produktionsbedingungen vorgesehenen Leistungen bewirkt werden. Beispiele solcher Änderungen und Anordnungen sind • die Veränderung der geometrischen Form von Bauteilen oder Bauelementen, • die Wahl anderer Baustoffe oder Baumaterialien, • die Veränderung vertraglich vorgesehener Mengenansätze,

Nachtragsmanagement

• die Veränderung vertraglich vereinbarter Termine und Fristen sowie Eingriffe in die terminliche Abwicklung der Vertragsleistungen durch Beschleunigungs- oder Verzögerungsanordnungen (selten) und • die Veränderung bzw. Nichteinhaltung der maßgeblichen technischen und baubetrieblichen Produktionsbedingungen, mit denen der Auftragnehmer nach den Vergabe- und Vertragsunterlagen bei seiner Angebotskalkulation rechnen konnte (z. B. Möglichkeit des Einsatzes von umsetzbaren Großflächenschalungen, Hochziehen von Zwischenwänden aus Mauerwerk zusammen mit der Stahlbetonskelettkonstruktion, Taktfolge Hochbau/Flachbau, mehrfacher Einsatz von Spundbohlen nach der zu erwartenden Baugrundbeschaffenheit). Preisermittlungsgrundlagen sind die in Abb. 7 aufgeführten Ansätze wie Mittellöhne, Aufwandsund Leistungswerte, Einkaufspreise, Abschreibungs-, Verzinsungs- und Reparatursätze, Verrechnungssätze für Poliere und Bauleiter, aber auch die Zuschlagssätze für AGK sowie G (Wagnis in Gewinn enthalten).

331

5.4

Vertraglich nicht vorgesehene zusätzliche Leistungen (§ 2 Abs. 6 VOB/B)

Auch dieser Komplex ist eindeutig dem Bereich „Nachträge“ zuzuordnen. Die Befugnisse des Auftraggebers, nachträglich zusätzliche Leistungen zu verlangen, resultiert wiederum aus der Dispositionsbefugnis des Auftraggebers gemäß § 1 Abs. 4 VOB/B. Nach § 2 Abs. 6 VOB/B hat der Auftragnehmer dann aber auch Anspruch auf besondere Vergütung. Diese bestimmt sich nach den Grundlagen der Preisermittlung für die vertragliche Leistung und den besonderen Kosten der geforderten Leistung. Keine Zusatzleistung im Sinne von Abs. 6 liegt vor, wenn der Auftraggeber vom Auftragnehmer eine völlig neue, mit dem bisherigen Bauvertrag nicht im Zusammenhang stehende Leistung fordert. Die Ausführung einer solchen Leistung kann der Auftragnehmer ablehnen. Er kann auch eine zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderliche Zusatzleistung ablehnen, wenn sein Betrieb auf derartige Leistungen nicht eingerichtet ist (§ 1 Abs. 4 VOB/B).

Abb. 7 Einzelkosten der Teilleistungen und Preisermittlungsgrundlagen. (Quelle: Diederichs 2012, S. 472)

332

C. J. Diederichs

Gemäß § 2 Abs. 6 Nr. 1 VOB/B wird gefordert, dass der Auftragnehmer dem Auftraggeber den Anspruch auf besondere Vergütung ankündigen muss, bevor er mit der Ausführung der Leistung beginnt. Die Berechtigung für dieses formale Erfordernis wird darin gesehen, dass der Auftraggeber nicht durch Ansprüche überrascht werden darf, mit denen er nicht gerechnet hat. Dabei kommt es jeweils darauf an, ob nach den Umständen des Einzelfalles für den Auftraggeber aus objektiver Sicht hinreichend klar erkennbar war, dass die Zusatzleistungen nur gegen Vergütung erbracht werden können. Die Vergütung für die Zusatzleistung bestimmt sich gemäß § 2 Abs. 6 Nr. 2 VOB/B nach den Grundlagen der Preisermittlung für die vertragliche Leistung und den besonderen Kosten der geforderten Leistung. Damit sind wiederum die Preisermittlungsgrundlagen der Angebotskalkulation für die Nachtragskalkulation der Zusatzleistung heranzuziehen. Im Zuge der Nachtragsprüfung ist dann mit dem AG lediglich Einigkeit über die in der Angebotskalkulation nicht enthaltenen Preisermittlungsgrundlagen herbeizuführen.

5.5

Vergütungsänderungen beim Pauschalvertrag (§ 2 Abs. 7 VOB/B)

Bauleistungen sollen gemäß § 4 Abs. 1 VOB/A so vergeben werden, dass die Vergütung nach Leistung bemessen wird (Leistungsvertrag) und nur in geeigneten Fällen für eine Pauschalsumme, wenn die Leistungen nach Ausführungsart und Umfang genau bestimmt ist und mit einer Änderung bei der Ausführung nicht zu rechnen ist (Pauschalvertrag). Obwohl diese Grundvoraussetzung für eine technisch und wirtschaftlich ordnungsgemäße Abwicklung ohne Streitigkeiten aus Nachträgen vielfach nicht eingehalten wird, werden zunehmend Pauschalfestpreisverträge vereinbart mit Vergütung nach Zahlungsplan bei Erreichen definierter Bauzustände. Zielsetzungen von Pauschalverträgen sind von Auftraggeberseite: • Kosten- und Preissicherheit, • Vereinfachung der Abrechnung durch eine „vorgezogene Schlussabrechnung“ vor Beauf-

tragung und Vereinbarung eines an das Erreichen bestimmter Bauzustände gekoppelten Zahlungsplans, • Konzentration von Haftung und Verantwortung durch Bündelung mehrerer Fachlose bei einem Generalunternehmer und • Vergütung durch eine Pauschalsumme. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Pauschalvertrag auf der Basis einer Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis nach § 7b VOB/A (Detailpauschalvertrag) und dem Pauschalvertrag auf Basis einer Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm nach § 7c VOB/A (Globalpauschalvertrag). Diese Unterscheidung wird in § 2 Abs. 7 Nr. 1 VOB/B nicht vorgenommen. Unter§ 2 Abs. 7 Nr. 2 heißt es dagegen, dass auch beim Pauschalvertrag § 2 Abs. 4, 5 und 6 VOB/B für die Bemessung von Vergütungsänderungen aus Leistungsänderungen und Zusatzleistungen anzuwenden sind. Daraus wird zunächst deutlich, dass beim Pauschalvertrag das Risiko für Mengenmehrungen zwischen ausgeschriebenen und tatsächlich auszuführenden Mengen voll zu Lasten des Auftragnehmers und dasjenige für Mengenminderungen voll zu Lasten des Auftraggebers geht. Zur Reduzierung dieses Risikos aus Mengenabweichungen ist beiden Seiten zu empfehlen, bei Leistungsbeschreibungen mit Leistungsverzeichnis seitens des Auftraggebers Mengenprüfungen durch zwei bis drei in die engere Wahl kommende Bieter vornehmen zu lassen und deren Angaben über festgestellte Minder- und Mehrmengen zu überprüfen sowie bei Leistungsbeschreibungen mit Leistungsprogramm seitens der Architekten und Fachplaner Mengenermittlungen zumindest für Leitpositionen (20 % der kostenträchtigsten Positionen, die zu ca. 80 % der Gesamtkosten führen) zum Zwecke der Plausibilitätsprüfung vornehmen zu lassen. Ansprüche aus Teilkündigungen, Entwurfsänderungen oder Anordnungen des Auftraggebers oder aus Zusatzleistungen bleiben jedoch voll erhalten. Die Problematik besteht jedoch in den „Grundlagen der Preisermittlung“. Beim Detailpauschalvertrag sind für die Eigenleistungen die Preiser-

Nachtragsmanagement

mittlungsgrundlagen des Auftragnehmers aus der Urkalkulation ersichtlich und aufgrund der ausgewiesenen Mengen (Vordersätze) in den Ausschreibungsunterlagen auch Plausibilitätsbetrachtungen im Rahmen der Nachtragsprüfung möglich. Beim Globalpauschalvertrag enthalten die Vergabe- und Vertragsunterlagen keine Mengenermittlungen. Die Mengen sind von jedem Bieter im Rahmen der Angebotsbearbeitung selbst zu ermitteln. In der beim Auftraggeber hinterlegten Urkalkulation werden i. d. R. keine Mengen und Einheitspreise ausgewiesen, sondern nur die Angebotssummen für die einzelnen Leistungsbereiche/Gewerke. Dadurch werden Plausibilitätsprüfungen erheblich erschwert. Daher ist vom Auftraggeber eine Gliederungstiefe für die Urkalkulation, auch für die Leistungen der NU, vorzugeben, um zu plausiblen Grundlagen zu gelangen (vgl. Abschn. 2.3). Allerdings werden die Preise für Nachunternehmerleistungen in der Praxis aus der ersten Verhandlungsrunde zwischen Generalunternehmer (GU) und Nachunternehmer (NU) in die Urkalkulation aufgenommen. Die tatsächlichen NU-Preise werden i. d. R. erst nach Auftragserteilung des Auftraggebers an den Generalunternehmer durch Verhandlungen zwischen GU und NU in der zweiten Runde vereinbart, wobei der GU per Saldo meist Vergabegewinne erzielt, gelegentlich aber auch Vergabeverluste erleidet. Um für Nachtragsverhandlungen dennoch über Preisermittlungsgrundlagen zu verfügen, werden die Bieter aufgefordert, Einheitspreise für alle Teilleistungen nicht nur für Grundpositionen zu benennen, sondern auch für Bedarfs-, Alternativ- und Zulagepositionen. Die Konformität dieser Einheitspreise mit der Pauschalsumme ist häufig nicht gegeben. Daher sind diese Listen im Rahmen der Angebotsprüfung kritisch zu hinterfragen. Auftraggeberseitig wird versucht, sich gegen Vergütungsänderungen beim Pauschalvertrag durch sog. Vollständigkeits- oder Komplettierungsklauseln zu schützen, die jedoch häufig AGBG-widrig sind gemäß den §§ 305 ff. BGB, sofern seitens des Auftragnehmers nachgewiesen werden kann, dass es sich um AGB handelt (Hof-

333

mann et al. 2015, S. 115–116). Darüber hinaus muss der Auftragnehmer substantiiert darlegen, „dass die von der vertraglichen Leistungsbeschreibung abweichenden Leistungen, deren zusätzliche Vergütung er verlangt, auf einer durch nachträgliche Änderungswünsche des Auftraggebers verursachten Änderung des Leistungsumfangs und nicht auf einer zur Herstellung der geschuldeten funktionsfähigen Anlage notwendigen Optimierung oder Fehlerbehebung beruhen“ (OLG Schleswig 7 U 13/16, 17.08.2017). Zur Vermeidung von Streitigkeiten aus Vergütungsänderungen beim Pauschalvertrag hat der Auftraggeber daher darauf zu achten, dass durch praktikable und rechtswirksame Vertragsvereinbarungen eine Abgrenzung der von der Pauschalsumme erfassten Vertragsleistungen von Leistungsänderungen oder Zusatzleistungen und deren Bewertung auf einfache und einwandfreie Weise möglich ist. Diese Forderung ist durch den Auftraggeber selbst am besten dadurch zu erfüllen, dass er nach Abschluss des Pauschalvertrages keine Leistungsänderungen oder Zusatzleistungen nach § 2 Abs. 4 bis 6 VOB/B fordert. Im Falle einer Teilkündigung nach Abs. 4 entsteht das Problem der Bewertung von Mengen und Einheitspreisen des entfallenden Teils der Leistung sowie der anschließenden Bewertung der dadurch seitens des Auftragnehmers ersparten Aufwendungen. Im Fall des Abs. 5 entsteht das Problem der Ermittlung der von der Entwurfsänderung oder Anordnung des Auftraggebers betroffenen Leistungspositionen und -mengen sowie des dadurch bewirkten Erschwernis- oder Erleichterungsaufwandes auf der Basis der vorhandenen Preisermittlungsgrundlagen. Bei Abs. 6 besteht das Problem vor allem darin, den Anspruch des Auftragnehmers auf zusätzliche Vergütung für eine nach seiner Meinung geforderte Zusatzleistung vom Anspruch des Auftraggebers auf ein durch die Vergabe- und Vertragsunterlagen vollständig definiertes Bau-SOLL zu trennen. Dies setzt hohe Fairness, Kenntnis sämtlicher Unterlagen und Objektivität auf beiden Seiten voraus. Treffen die Voraussetzungen der Abs. 4 bis 6 nicht zu, so ist nach Abs. 7 Nr. 1 Satz 2 bei

334

erheblichen Abweichungen der ausgeführten Leistungen von den vertraglich vorgesehenen Leistungen zu prüfen, ob ein Festhalten an der Pauschalsumme wegen Störung der Geschäftsgrundlage unzumutbar geworden ist (§ 313 BGB). In diesem Falle hat der Auftraggeber dem Auftragnehmer auf dessen Verlangen einen Ausgleich unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu gewähren. Für die Anwendung von § 313 BGB gilt jedoch, dass dieser als „letzter Strohhalm“ nur dann heranzuziehen ist, wenn das Festhalten am Vertrag zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde. Führen die Ansprüche nach Abs. 4, 5 und 6 nicht zum Ziel, so kommen vor § 313 BGB noch weitere Rechtsbehelfe in Betracht wie die Anfechtung der Angebotserklärung nach den §§ 119–124 BGB, eine Vertragsauslegung nach § 157 BGB, eine Kündigungsmöglichkeit nach § 9 Abs. 1 VOB/B, ein Anspruch aus Verschulden bei Vertragsabschluss (culpa in contrahendo) nach den §§ 311 Abs. 2 und 241 Abs. 2 BGB wegen unzutreffender Angaben in den Vergabe- und Vertragsunterlagen, aus positiver Forderungsverletzung nach den §§ 276, 280, 287 und 325 BGB, ein Schadensersatzanspruch aus Behinderung nach § 6 Abs. 6 VOB/B oder aber ein Verstoß gegen § 307 BGB. Grundsätzlich ist ein unzumutbares Festhalten an der Pauschalsumme erst bei einer erheblichen Abweichung der Gesamtleistung von der vertraglich vorgesehenen Leistung diskutabel. Ändern sich nur einzelne Positionen um z. B. mehr als  30 bis 40 %, die Gesamtleistung aber um weniger als  20 %, so bleibt die Pauschale unverändert. Die Kosten des Auftragnehmers sind bei der Beschreibung des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung grundsätzlich unbeachtlich. Das Risiko, dass sich die Kosten ganz anders entwickeln können als für die Preisermittlung angenommen worden war, hat grundsätzlich der Auftragnehmer zu tragen. Daher hat er im Falle bloßer, wenn auch überraschender und weitgehender Kostenänderungen i. Allg. wenig Hilfe zu erwarten. Nur in besonderen und außerhalb des Baugewerbes liegenden Ausnahmefällen, die zu einer völlig unvorhersehbaren außergewöhnlichen Kostensteigerung führen, z. B. sprunghafter

C. J. Diederichs

Anstieg der Energie- oder Kupferpreise, kann eine Anpassung des Pauschalpreises wegen Änderung der Geschäftsgrundlage infolge bloßer Kostenerhöhung auf Seiten des AN in Betracht kommen, wobei dieser Anspruch gegenüber öffentlichen Auftraggebern nicht vom Auftragnehmer selbst, sondern nur über die Bauverbände geltend gemacht und durchgesetzt werden kann (Diederichs 2005, S. 204–206).

6

Schadensersatzanspruch aus Behinderungen (§ 6 Abs. 6 VOB/B) und Entschädigung aus unterlassener Mitwirkung des Auftraggebers (§ 642 BGB)

Die zur Ermittlung von Schadensersatzansprüchen aus Behinderungen wegen gestörten Bauablaufs erforderlichen Nachweise stellen häufig eine große Herausforderung für baubetriebliche Sachverständige und auch für Fachanwälte für Baurecht dar.

6.1

Stand der Rechtsprechung

Die Rechtsprechung hat die dahingehenden Anforderungen in diversen Urteilen ausgeführt. Hier sind vor allem die BGH-Urteile von 2002 und von 2005 zu beachten sowie das Urteil des OLG Köln von 2015. Zu weiteren einschlägigen BGH-Urteilen wird verwiesen auf Streckel 2012, S. 176. In den Leitsätzen des BGH-Urteils VII ZR 224/00 vom 21.03.2002 heißt es (Fettdruck durch Verfasser: „a) Der Auftragnehmer muss eine Behinderung, aus der er Schadensersatzansprüche ableitet, möglichst konkret darlegen. Dazu ist in der Regel auch dann eine bauablaufbezogene Darstellung notwendig, wenn feststeht, dass die freigegebenen Ausführungspläne nicht rechtzeitig vorgelegt worden sind. b) Allgemeine Hinweise darauf, dass die verzögerte Lieferung freigegebener Pläne zu Bauablaufstörungen und zu dadurch bedingten Produktivitätsverlusten geführt habe, die durch Beschleunigungsmaßnahmen ausgeglichen worden seien, genügen den Anforderungen an die Darlegungslast einer Behinderung nicht.

Nachtragsmanagement

Sie sind auch keine geeignete Grundlage für eine Schadensschätzung“. Die BGH-Urteile von 2005 ergänzen weiter, dass zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität zu unterscheiden ist. In den Entscheidungsgründen zum BGH-Urteil VII ZR 141/03 vom 24.02.2005 heißt es unter II.: „1. Nach § 6 Nr. 6 hat der Auftragnehmer Anspruch auf Ersatz des nachweislich entstandenen Schadens, wenn der Auftraggeber eine Behinderung der Bauausführung zu vertreten hat. Entgangener Gewinn kann nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit verlangt werden. Der Auftragnehmer hat in einem Prozess unter anderem schlüssig darzulegen, dass er durch eine Pflichtverletzung des Auftraggebers behindert worden ist. (. . .) Es reicht grundsätzlich nicht aus, eine oder mehrere Pflichtverletzungen vorzutragen. Der Auftragnehmer muss vielmehr substantiiert zu den dadurch entstandenen Behinderungen seiner Leistung vortragen. Dazu ist in der Regel eine konkrete, bauablaufbezogene Darstellung der jeweiligen Behinderung unumgänglich. Demjenigen Auftragnehmer, der sich durch Pflichtverletzungen des Auftraggebers behindert fühlt, ist es zuzumuten, eine aussagekräftige Dokumentation zu erstellen, aus der sich die Behinderung sowie deren Dauer und Umfang ergeben. (. . .) 2. (. . .) Tatsachen, aus denen die Verpflichtung zum Schadensersatz hergeleitet wird, sind als konkreter Haftungsgrund nach den Grundsätzen des § 286 ZPO nachzuweisen. Lediglich für solche Umstände, die allein für die Entstehung und den Umfang des Schadens von Bedeutung, insbesondere der Berechnung seiner Höhe zugrunde zu legen sind, gilt § 287 ZPO. Die Frage, ob eine Pflichtverletzung des Auftraggebers zu einer Behinderung des Auftragnehmers geführt hat, betrifft die haftungsbegründende Kausalität und damit den konkreten Haftungsgrund. (. . .) Ob und inwieweit eine verzögerte Planlieferung zu einer Behinderung führt, ist nach allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast, § 286 ZPO, zu beurteilen. Weder der Umstand, dass überhaupt eine Behinderung vorliegt, noch die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Behinderung ist einer einschätzenden Bewertung im Sinne des § 287 ZPO zugänglich. (. . .)

335

3. Zu Recht vermisst das Berufungsgericht widerspruchsfreie detaillierte Angaben dazu, aufgrund welcher Planverzögerungen welche vorgesehenen Arbeiten nicht durchgeführt werden konnten und wie sich die Planverzögerungen konkret auf die Baustelle ausgewirkt haben. (. . .)“ In den Entscheidungsgründen zum BGH-Urteil VII ZR 225/03 vom 24.02.2005 heißt es unter II.2. b) aa): „(. . .) Soweit die Behinderung darin besteht, dass bestimmte Arbeiten nicht oder nicht in der vorgesehenen Zeit durchgeführt werden können, ist die sich daraus ergebende Bauzeitverzögerung ebenfalls nach allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast zu beurteilen. Der Auftragnehmer hat deshalb darzulegen und den nach § 286 ZPO erforderlichen Beweis dafür zu erbringen, wie lange die konkrete Behinderung andauerte. Dagegen unterliegen weitere Folgen der konkreten Behinderung der Beurteilung nach § 287 ZPO, soweit sie nicht mehr zum Haftungsgrund gehören, sondern dem durch die Behinderung erlittenen Schaden und damit dem Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität zuzuordnen sind. Es unterliegt deshalb der einschätzenden Bewertung durch den Tatrichter, inwieweit eine konkrete Behinderung von bestimmter Dauer zu einer Verlängerung der gesamten Bauzeit geführt hat, weil sich Anschlussgewerke verzögert haben“. Nach Auffassung des BGH trägt der Auftragnehmer somit die alleinige Darlegungs- und Beweispflicht für Störungen aus der Sphäre des Auftraggebers und für deren Auswirkungen auf den Bauablauf. Das OLG Köln entschied durch Urteil 17 U 35/14 am 08.04.2015 in den Entscheidungsgründen unter Ziffer III.: „(. . .) Jedenfalls folgt der erkennende Senat den Ausführungen im Urteil des 24. Zivilsenats vom 28. Januar 2014 (...), wonach es für die Darlegung des „nachweislich entstandenen Schadens“ bzw. der „angemessenen Entschädigung“ – auch bei Großbaustellen – „einer konkreten bauablaufbezogenen Darstellung“ bedarf. Dazu gehört u. a. eine genaue Aufstellung darüber, welche Arbeitskräfte und -mittel (Maschinen o. ä.) entgegen einer konkreten Planung weder an dieser Baustelle der Beklagten

336

C. J. Diederichs

noch auf anderen Baustellen oder sonst anderweitig eingesetzt werden konnten und welche sonstigen ganz bestimmten Nachteile und Verluste die Klägerin gerade wegen der jeweiligen Bauzeitverzögerung erlitten hat. Die Klägerin muss also im Einzelnen darlegen, wie sie den Ablauf des gesamten Bauvorhabens bei der Beklagten geplant hat und wann es bei konkreten Personen oder Gruppen bzw. Baumaschinen und -geräten zu welchen Produktionsstillständen gekommen ist, die durch rechtzeitig geplante und vorgezogene anderweitige Maßnahmen und Aufträge nicht ausgeglichen werden konnten“. Aus diesen und weiteren Urteilen sind folgende vier Grundsätze an die Nachweise der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität ableitbar (Möhring 2012, S. 72; Ingenstau und Korbion 2017, S. 1406–1408): 1. Vom Auftragnehmer ist jede einzelne Behinderung nach § 6 Abs. 1 VOB/B dem Auftraggeber unverzüglich schriftlich anzuzeigen. Art, Ort, Beginn, Dauer, Ursache und Verursacher sind durch Dokumentationen nachzuweisen. 2. Eine Behinderung kann nur bei einer entsprechenden schuldhaften Pflichtverletzung oder einer fehlenden Mitwirkungshandlung des Auftraggebers dessen Verantwortungsbereich zugeordnet werden. 3. Die konkreten Auswirkungen jeder einzelnen Behinderung sind vom Auftragnehmer am zugehörigen betroffenen Vorgang im Bauablaufplan darzulegen. Ausgeführte Ausgleichs- oder Gegenmaßnahmen sind zu berücksichtigen. 4. Der Ursachenzusammenhang zwischen dem störenden Ereignis, der eingetretenen Behinderung und der konkreten Auswirkungen auf den Bauablauf ist anhand einer bauablaufbezogenen Darstellung durch ständigen Vergleich der tatsächlichen Ist-Bauabläufe und störungsmodifizierten Soll-Bauabläufe nachzuweisen.

6.2

Kausalitätsnachweis

Der von der Rechtsprechung geforderte Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität nach § 286 ZPO und der haftungsausfüllenden Kausalität

nach § 287 ZPO stellt hohe Anforderungen an den Auftragnehmer, der wegen einer behaupteten Behinderung Schadensersatzansprüche nach § 6 Abs. 6 VOB/B oder Entschädigungsansprüche nach § 642 BGB geltend machen will. Der Begriff Kausalität stammt von dem lateinischen Wort causa ab bezieht sich auf den Ursachen- und Wirkungszusammenhang zwischen Aktion und Reaktion. Nach der Conditio-sine-qua-non-Formel tritt ein Schadensereignis nur dann ein, wenn ein Behinderungsereignis vorangegangen ist (Äquivalenztheorie). Dabei sind jedoch stets die unstreitigen Umstände zu berücksichtigen, die gegen ein Schadensereignis sprechen. Wenn z. B. geprüfte Bewehrungspläne nicht rechtzeitig geliefert werden, die Baufirma jedoch das Risiko auf sich nimmt, nach ungeprüften Plänen zu arbeiten, dann tritt kein Schadensereignis ein, sofern die verspätet gelieferten geprüften Bewehrungspläne keine Änderung der bereits erbrachten Bauleistungen erfordern. Um die haftungsbegründende Kausalität nachzuweisen, müssen jede Behinderung, bevor sie in der bauablaufbezogenen Darstellung verwendet wird, einzeln im Hinblick auf die konkrete Dauer der Behinderung, deren Verursacher und die Konsequenzen für die betroffenen Vorgänge untersucht und bewertet werden. Die haftungsausfüllende Kausalität beschreibt die Auswirkung einer vorhandenen Behinderung auf den Bauablauf sowie den dadurch verursachten Schaden (s. Abb. 8).

6.3

Baubetriebliches Nachweisverfahren

Die baurechtlichen Anforderungen an die haftungsbegründende Kausalität und Behinderungen wurden von der BGH-Rechtsprechung mehrfach eindeutig definiert. Für den baubetrieblichen Nachweis existieren zahlreiche nationale und internationale Verfahren. Die bestehenden netzplanbasierten Verfahren in Deutschland und im angloamerikanischen Raum zur Analyse der Störungswirkungen von Behinderungen, auch unter Betrachtung multikausaler Störungsüberlagerungen (addierte, doppelte, hypothetische Kausalität) wurden von Streckel (2012, S. 62–98) nach den

Nachtragsmanagement

337

Abb. 8 Abgrenzung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität. (Quelle: Vygen et al. 2015, S. 526)

vorstehend beschriebenen Anforderungen analysiert und dahingehend bewertet, ob und inwieweit sie eine Abgrenzung der Einzelwirkungen und eine Abgrenzung der Verursachung im Fall multikausal gestörter Bauabläufe ermöglichen. Im Ergebnis stellt sie fest, dass die von ihr untersuchten Verfahren den baurechtlichen Anforderungen nur bedingt gerecht werden. Anstatt der Gegenüberstellung und des Vergleichs tatsächlich gestörten IST-Ablaufs und des hypothetisch ungestörten SOLL-Bauablaufs wird häufig ein Vergleich nur zwischen einem hypthetisch gestörten SOLL’-Ablauf und einem hypothetischen ungestörten SOLL-Ablauf vorgenommen und der IST-Ablauf vernachlässigt. Die Einzelwirkungen multikausaler Störung Überlagerung mit mehrfacher Verursachung werden bei den einzelnen methodischen Ansätzen unterschiedlich und oftmals fehlerhaft voneinander abgegrenzt. Im Ergebnis schlägt Streckel (2012, S. 99–113) zur Ermittlung und Abgrenzung der zeitlichen Störungswirkungen einen schrittweisen Vergleich des IST-Ablaufs mit dem hypothetisch ungestörten SOLL-Ablauf und eine Dreiteilung des Ausführungszeitraums in folgende Phasen vor:

Phase III

Die Abb. 9 verdeutlicht den schrittweisen Vergleich des IST-Ablaufs mit dem hypothetisch ungestörten SOLL-Ablauf durch von Störung zu Störung fortschreitende Dreiteilung des Ausführungszeitraums und die in den einzelnen Phasen zu betrachtenden Abläufe. Diese Dreiteilung ermöglicht eine zutreffende Beurteilung der durch jede einzelne Störung bewirkten Änderungen des Bauablaufs und damit eine Abgrenzung der einzelnen Wirkungen mehrerer sequenziell eintretender Fortschrittsabweichungen. Die getrennte Betrachtung aller Störungen erlaubt auch eine differenzierte Bewertung von Behinderungen auf der einen und Beschleunigungen auf der anderen Seite. Die folgende Abb. 10 zeigt ein Flussdiagramm zum Nachweis von Schadensersatzansprüchen aus Behinderungen dem Grunde nach (haftungsbegründende Kausalität) und der Höhe nach (haftungsausfüllende Kausalität):

6.4 Phase I Phase II

Zeitraum vor dem Eintritt der betrachteten Abweichung infolge Störung i Zeitraum ab dem Eintritt der betrachteten Abweichung bis zum Eintritt der folgenden Abweichung infolge Störung i+1

Zeitraum ab dem Eintritt der folgenden Abweichung infolge Störung i+1

Beispiel eines baubetrieblichen Nachweisverfahrens

Zielsetzung der nachfolgenden Ausführungen ist es, Verständnis für die zu betrachtenden Abläufe zu gewinnen. Ausgehend von einer Darstellung der rechtlichen und baubetriebswissenschaftlichen Aus-

338

C. J. Diederichs

Abb. 9 Schrittweiser Vergleich des Ist-Ablaufs mit dem hypothetischen SOLL-Ablauf durch Dreiteilung des Ausführungszeitraums. (Quelle: Streckel 2012, S. 100)

gangslage werden hierzu eine Bewertung der Anforderungen aus baubetriebswissenschaftlicher Sicht vorgenommen und die gewonnenen Ergebnisse an einem einfachen Beispielprojekt verdeutlicht (nach Diederichs 2012, S. 517–522).

6.4.1

Analyse und Bewertung von Leistungsänderungen und Leistungsstörungen Bei Leistungsänderungen und Leistungsstörungen ist stets zu fragen, ob es sich um vom Auftraggeber zu verantwortende Änderungen oder Störungen der ordnungsgemäßen Ausführung der Leistung (z. B. Nachtragsleistungen, Mengenmehrungen oder Behinderungen), einen vom Auftragnehmer zu vertretenden Verzug oder einen von keinem der beiden Vertragspartner bewirkten Umstand handelt. Zur visuellen Abgrenzung zwischen Behinderungen des Auftraggebers einerseits und Verzug des Auftragnehmers andererseits führte Diede-

richs bereits 1987 den Begriff der „Umhüllenden“ durch grafische Dokumentation der Nachlaufentwicklung eines IST-Ablaufes und deren Ursachen gegenüber dem geplanten SOLL-Ablauf ein (Diederichs 1987, S. 127). Entsprechend den vom BGH (VII ZR 224/00 vom 21.03.2002 sowie VII ZR 141/03 vom 24.02.2005) definierten Anforderungen an die Darlegung der Kausalität ist der Ist-Bauablauf und nicht der geplante oder kalkulierte Bauablauf maßgebend. Abweichend hiervon wird in baubetriebswissenschaftlichen Untersuchungen oftmals der vom Auftragnehmer geplante, die vereinbarten Vertragstermine beachtende Bauablauf zugrunde gelegt, ohne Fortschreibung und Anpassung an den IST-Bauablauf. Durch eine Bauablaufplanung wird ein zeitliches Modell eines Bauprojekts erstellt, das die Reihenfolge, Anordnungsbeziehungen und Dauern der einzelnen Projektvorgänge abbildet. Dieses Modell stellt die gedankliche Vorwegnahme eines

Nachtragsmanagement

339

Feststellung des BaulST

Feststellung des BauSOLLs

Feststellung der SOLL-IST-Abweichung Klassifikationder Abweichungsart

Mengenabweichung

Bauzeitverzögerung

Leistungsmodifikation

Dokumentation der hindernden Umstände

Verursachung

Risikosphäre des Auftragnehmers

Risikosphäre des Auftraggebers

Höhere Gewalt

Anpassungsdisposition

Baubetriebliche Dokumentation der Störungssituation unverzügliche Behinderungsanzeige

Anspruchsvorbehalt der Ausführungsfristverlängerung

Dokumentation der Behinderungsfolgen

Vorbehalt der Geltendmachung monetärer Ansprüche

Anpassungsdisposition

Fortschreibung der Bauablaufplanung Feststellung der Ausführungsfristverlängerung

Feststellung des monetären Anspruchs

Abb. 10 Flussdiagramm zum Nachweis von Schadensersatzansprüchen aus Behinderungen. (Quelle: nach Würfele et al. 2012, S. 434 Rd. 1900 f.)

340

in der Zukunft liegenden Bauprozesses dar und ist naturgemäß mit Unsicherheiten behaftet. Zur raschen Erkennung und Behandlung auftretender Leistungsstörungen während der Auftragsausführung sind vorab Planvorlaufzeiten zu vereinbaren, die Art der Auftragsabwicklung möglichst detailliert in einem Basisablaufplan festzulegen und dieser zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer als Grundlage der Auftragsabwicklung zu vereinbaren. Die für die Ermittlung der Vorgangsdauern verwendeten Aufwands- und Leistungswerte unterliegen zahlreichen Einflussgrößen aus der Komplexität der Bauaufgabe, dem Leistungsvermögen der Bauarbeiter und den Produktionsbedingungen. Zudem gibt es i. d. R. mehrere Möglichkeiten für die Festlegung der Ablauffolge. Daher stimmen häufig selbst bei einem ungestörten Bauablauf, auch aufgrund der verbleibenden Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers, weder die im SOLL-Bauablauf erwartete Ablauffolge noch die erwarteten Vorgangsdauern mit der IST-Ausführung überein. Weitere Folge ist, dass auch die aus den Vorgangsdauern und Anordnungsbeziehungen ermittelten kritischen Wege und Pufferzeiten der nichtkritischen Vorgänge Änderungen unterworfen sind. Eine Änderung der Gesamtdauer führt auch zu Änderungen der Gesamtpufferzeiten der nichtkritischen Vorgänge und ggf. einer Änderung des kritischen Weges. Eine Untersuchung von Bauzeitabweichungen auf der alleinigen Grundlage des SOLL-Bauablaufs ohne Beachtung des tatsächlichen IST-Bautenstands zum Zeitpunkt des Störungseintritts, des dann vorhandenen kritischen Weges und der dann vorhandenen Pufferzeiten der nicht-kritischen Vorgänge führt dazu, dass die einer Störung im theoretischen SOLL’i-Bauablauf zugeschriebenen Einflüsse nicht den tatsächlichen Auswirkungen entsprechen.

6.4.2

Vergleich des IST-Bauablaufs mit dem störungsmodifizierten SOLL’-Bauablauf Jede Behinderungsanzeige erfordert einen Kausalitätsnachweis. Dieser ist auch deswegen erforderlich, weil Leistungsstörungen oder hindernde Umstände nicht nur zeitlich nacheinander (sequenziell), sondern vielfach auch sich überlagernd (zeitparallel) auftreten.

C. J. Diederichs

Aus der Vielfalt der möglichen hindernden Umstände steht zu einem bestimmten Zeitpunkt jedoch stets nur eine Ursache, ggf. ein Ursachenkomplex, mit der bewirkten Vergütungs- bzw. Entschädigungs- bzw. Schadenshöhe in konkretem und adäquatkausalem Zusammenhang (Diederichs 1998, S. 123). Für die rechtliche Aufbereitung von Störfällen ist es für alle möglichen Anspruchsgrundlagen erforderlich, den IST-Bauablauf mit dem störungsmodifizierten SOLL’i -Bauablauf zu vergleichen, der sich ohne die im Hinblick auf die jeweilige Anspruchsgrundlage relevante Leistungsstörung i zum Störungszeitpunkt ergeben hätte. Es reicht daher nicht aus, dass bei baubetriebswissenschaftlichen Untersuchungen der IST-Bauablauf vielfach nur zur Plausibilisierung der im störungsmodifizierten SOLL’i-Bauablauf ermittelten theoretischen Gesamtverzögerung herangezogen wird. Grundlage für die Entwicklung des jeweiligen störungsmodifizierten SOLL’i-Bauablaufplans ist der an den IST-Bauablauf angepasste SOLLBauablauf zum Zeitpunkt der jeweiligen Störung i. Es wird dann der zu diesem Zeitpunkt geplante SOLL’i-Bauablauf zugrunde gelegt. Da der IST-Bauablauf die Auswirkungen sämtlicher eingetretenen Störungen, der SOLL’i-Bauablauf nur die Auswirkungen der vor der betrachteten Störung eingetretenen Störungen enthält, könnten aus einem Vergleich über die gesamte Bauzeit nur die kumulierten Auswirkungen aller nach dem betrachteten Zeitpunkt eingetretenen Störungen entnommen werden. Der Vergleich des ISTBauablaufs und des SOLL’i-Bauablaufs darf sich daher bei mehreren Störungen nur auf den Zeitraum von der vorangehenden Störung i-1 bis zur eingetretenen Störung i erstrecken. Damit wird jeweils nur ein Teil des realen Ist-Bauablaufs dem Soll’i-Bauablauf gegenübergestellt. Abb. 11 zeigt zeitlich nacheinander, dass • die Verlängerung der Projektdauer von 14 auf 15 Arbeitstage um nur 1 Arbeitstag auf Störung 1 (S 1) des Auftragnehmers bei Vorgang D wegen seines freien Puffers von 3 Arbeitstagen zurückzuführen ist, • Störung 2 (S 2) des Auftraggebers von 2 Arbeitstagen nur eine Verlängerung der Pro-

Nachtragsmanagement

341

Abb. 11 Störungsmodifizierter Soll´1-Ablauf ab 5. Arbeitstag Soll´2-Ablauf ab 11. Arbeitstag Soll´3-Ablauf ab 17. Arbeitstag. (Quelle: Diederichs 2012, S. 519)

342

jektdauer von 15 auf 16 Arbeitstage und damit um 1 Arbeitstag bewirkt, da sich 1 Arbeitstag mit der Folge aus S 1 überlagert, und • Störung 3 (S 3) des Auftragnehmers bei Vorgang E um 3 Arbeitstage eine Verlängerung der Projektdauer von 16 auf 18 Arbeitstage nur um 2 Arbeitstage wegen der Überlagerung mit der Folge aus S 2 des Auftraggebers um 1 Arbeitstag bewirkt. Damit sind von der Gesamtverzögerung von 4 Arbeitstagen dem Auftraggeber konkret 1 Arbeitstag und dem Auftragnehmer (1 + 2) = 3 Arbeitstage zuzuordnen. Diese Vorgehensweise erlaubt sowohl eine zutreffende Beurteilung der durch jede einzelne Störung bewirkten Änderung des Bauablaufs als auch eine Abgrenzung der Auswirkungen mehrerer aufeinander folgender oder auch zeitparalleler Störungen. Durch den Vergleich zwischen IST-Bauablauf und SOLL’i-Bauablauf werden entsprechend den Forderungen des BGH auch diejenigen unstreitigen Umstände berücksichtigt, die gegen eine Behinderung sprechen, wie z. B. die Lieferung von Vorabzügen, nach denen tatsächlich zu den vorgesehenen Zeiten gearbeitet wurde, oder die wahrgenommene Möglichkeit, einzelne Bauabschnitte vorzuziehen, im Sinne auftragnehmerseitiger Kapazitätsauslastung. In Abb. 12 ist die Abgrenzung zwischen Behinderungen des AG und Verzügen des AN durch grafische Dokumentation der Nachlaufentwicklung eines Ist-Ablaufes gegenüber dem geplanten Soll-Ablauf und deren Ursachen dargestellt. Daraus ist in schematischer Vereinfachung ablesbar, dass aus der Fristüberschreitung von insgesamt 54 Arbeitstagen (AT) 20 + 19 = 39 AT dem AG wegen von ihm zu vertretender Behinderungen und 15 AT dem AN wegen von ihm zu vertretender Verzüge zuzuordnen sind. Hinsichtlich der witterungsbedingten Beschleunigung um 5 AT sind nach § 6 Nr. 2 Abs. 2 und § 2 Nr. 5 ggf. gesonderte Betrachtungen anzustellen. Maßgeblich für den Ursachenzusammenhang und deren Abgrenzung ist somit die sich aus Abb. 12 ergebende „Umhüllende“ der Terminabweichungen. Die darunter schlüpfenden, vom AG zu vertretenden Behinderungen und vom AN zu vertretenden Verzüge sind damit für einen Schadensnachweis nicht mehr relevant.

C. J. Diederichs

6.4.3

Schadensermittlung für einzelne Schadensereignisse Sofern sich eine Behinderung auf einzelne klar abgrenzbare Schadensereignisse beschränkt, empfiehlt sich eine konkret auf diese Ereignisse bezogene Schadensermittlung. Beispiel Durch eine verspätete Schalplanlieferung wird eine Schalkolonne mit 4 gewerblichen Arbeitnehmern für 2 AT an der Weiterarbeit gehindert. Diese können nicht in anderen Bauabschnitten eingesetzt oder mit anderen Arbeiten z. B. des Betoneinbaus betraut werden. Bleiben alle übrigen Arbeiten und Kostenarten davon unberührt, so entsteht mindestens ein Vermögensnachteil von z. B. 4 Arbeiter  9 Lohnstunden/Arbeitstag  2 Arbeitstage  34,07 €/Lohnstunde (Mittellohn ASL ohne Zuschlag Z) = 2 453,04 €. Ob eine verspätete Planlieferung von 2 AT vom AN bereits als Behinderung geltend gemacht wird, ist in der Praxis im Einzelfall abzuwägen, da jede schriftliche Behinderungsanzeige nach § 6 Abs. 1 VOB/B eine Schuldzuweisung und damit einen „Angriff“ auf den Auftraggeber darstellt. Solche Anzeigen bewirken daher häufig eine Belastung der „klimatischen Beziehungen“ zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Daher ist in jedem Falle anzuraten, zunächst durch eindringliche mündliche Ermahnungen die geschuldete Mitwirkungsleistung des Auftraggebers anzumahnen, ohne durch ein schriftliches, für Controlling-/Revisionsinstanzen des AG auffälliges und den Auftraggeber belastendes Dokument die Atmosphäre zu trüben. Zeigt sich jedoch, dass solche Ermahnungen erfolglos bleiben, so muss zwangsläufig geschrieben werden, um den formalen Anforderungen der § 6 Abs. 1 VOB/B Genüge zu tun.

6.4.4

Schadensermittlung durch Gesamtbetrachtung und Abgrenzungsrechnung nach § 287 ZPO Beim Schadensnachweis durch eine Gesamtbetrachtung werden nicht einzelne Schadensereignisse oder hindernde Umstände isoliert betrachtet, sondern das Gesamtvertragswerk wird einer Gesamtschau unterzogen (Diederichs 1998, S. 1–28).

J

F I

1

2

M

P

A

M II

20 AT

J 2002

S

P

J

A III

35 AT

S

S

d.

O

N IV

D

J

T

S

F I

P

M

40 AT

A

M J II 2003

Beschleunigung

Abb. 12 Abgrenzung zwischen auftraggeberseitiger Behinderung und auftragnehmerseitigem Verzug. (Quelle: Diederichs 2012, S. 520)

Monat Quartal Jahr

20

40

3

d.

60

g

80

hin

Be

g rzu Ve

1 20 AT AG-seitige Behinderung 2 15 AT AN-seitiger Verzug 3 19 AT AN-seitige Behinderung

hin Be

ng teru Wit

P = Primäre Ursachen S = Sekundäre Ursachen T = Tertiäre Ursachen

rzu Ve

100

AT

J

S

A III

P

S

54 AT

Stichtag 04.10.2003

O

Nachtragsmanagement 343

344

C. J. Diederichs

Diese ist immer dann erforderlich, wenn sich verschiedenartige Störungen aus Behinderungen durch den Auftraggeber, Verzug des Auftragnehmers und Beschleunigungsmaßnahmen zur Bauzeitverkürzung überlagern, damit den Vertragsparteien und ggf. den Gerichten trotz der komplexen Auswirkungen eine hinreichend genaue Grundlage für die Schadensbemessung nach den Anforderungen der Differenzhypothese zur Verfügung steht. Da der durch Behinderung schuldhaft vom Auftraggeber verursachte Schaden keineswegs aus der einfachen, aber falschen Formel Schaden ¼ Ist-Kosten  Soll-Kosten ermittelt werden kann, sind Abgrenzungsuntersuchungen durch „Annäherung des Soll von unten“ und „Annäherung des Ist von oben“ sowie eine Differenzbildung zwischen angenähertem Ist und Soll unter Einbeziehung der Kausalitätsbedingung erforderlich.

6.4.5 Annäherung des SOLL von unten Durch die Annäherung des Soll von unten und die damit verbundenen Abgrenzungsrechnungen soll nach den Anforderungen der Differenzhypothese die abstrakte Vermögenslage vor Schadenseintritt ermittelt werden. Dazu sind Unter-Wert- oder Über-Wert-Ansätze in der Urkalkulation, Leistungsänderungen und Zusatzleistungen nach § 2 Abs. 3 bis 9 VOB/B inklusive strittiger Nachträge sowie Aufwandsänderungen aus Leistungsstörungen und eingeleiteten Beschleunigungsmaßnahmen zu überprüfen und abzugrenzen. Unter-Wert-Ansätze oder Über-Wert-Ansätze in der Urkalkulation ðSoll ½AN 

! Soll ½0Þ

Diese Abgrenzung umfasst den Vergleich der Urkalkulation des Auftragnehmers Soll [AN] und seiner Ablaufdaten (Aufwands- und Leistungswerte, Kapazitätseinsatz und Baufortschritte) zum Zeitpunkt der Auftragserteilung mit den Sollwert-Ermittlungen (0) eines objektiven und neutralen Sachverständigen. Die Überprüfung der Frage, ob eine Kalkulation unter oder über Wert vorliegt, ist notwendig, um zu

vermeiden, dass in den Schadensnachweis solche Beträge einfließen, die auch ohne Behinderungen zur Über- oder Unterschreitung der kalkulatorischen Kostenerwartung geführt hätten. Für einen solchen Vergleich sind die IST-Ablaufdaten eines ungestörten Bauabschnitts (Regelstrecke) heranzuziehen. Wird bei der Überprüfung festgestellt, dass Kalkulationswerte unauskömmlich angesetzt sind, so sind sie auf ein angemessenes Maß zu erhöhen, das den kalkulatorischen Verbrauchserwartungen nach allgemeinen Erfahrungen entspricht. Dies gilt umgekehrt auch für Über-Wert-Ansätze, die in der Praxis jedoch nur selten vorkommen. Leistungsänderungen aus § 2 Abs. 3 bis 9 VOB/B inklusive strittiger Nachträge (Soll [0] ! Soll [1]) Die Sollwerte der Urkalkulation werden durch Abweichungen zwischen beauftragten und tatsächlich auszuführenden Leistungen häufig verändert. Die Sollwertermittlungen des Soll [0] sind daher zum Soll [1] zu aktualisieren in Fortschreibung der beauftragten zu den tatsächlich auszuführenden Leistungen inklusive der strittigen Nachträge. Dadurch wird verhindert, dass eine aus strittigen Nachträgen resultierende Differenz zwischen Istund Soll-Kosten mit einem anderen „Etikett“ dem Behinderungsschaden hinzugerechnet wird. Aufwandsänderungen aus Leistungsstörungen und Beschleunigungsmaßnahmen zur Reduzierung drohender Bauzeitüberschreitungen ðSoll ½1 ! Soll ½2Þ In dieser Stufe werden die Ablaufstörungen und evtl. Anpassungsmaßnahmen zur Reduzierung drohender Bauzeitüberschreitungen in das Soll [1] eingebaut und es wird daraus das Soll [2] entwickelt zur Erfassung und Abgrenzung der Auswirkungen auf die Ausführungsfristen, die Baufortschritte und die Soll-Kosten. Dabei ist zu unterscheiden nach • vom Auftraggeber zu vertretenden Behinderungen (Soll [1] ! Soll [2.1]), • vom Auftraggeber angeordneten Beschleunigungsmaßnahmen (Soll [2.1] ! Soll [2.2]), • weder vom Auftraggeber noch vom Auftragnehmer zu vertretenden Leistungsstörungen

Nachtragsmanagement

(Soll [2.2] ! Soll [2.3]) nach § 6 Abs. 2 Satz 1b) und c) VOB/B sowie • vom Auftragnehmer zu vertretenden Leistungsstörungen (Soll [2.3] ! Soll [2.4]).

345

Ergebnis führt vom abgegrenzten Ist [0] zum idealisierten Ist [1] und entspricht im Ergebnis der Annäherung des Ist von oben.

6.4.7 Maßgeblich für das abgegrenzte, durch vom AG zu vertretende Störungen modifizierte Soll zur Differenzbildung mit dem abgegrenzten Ist ist das Soll [2.2].

6.4.6 Annäherung des IST von oben Bei der Abgrenzung der Ist-Kosten zur Ableitung der konkreten Vermögenslage nach Schadenseintritt ist einerseits zu überprüfen, ob in den Ist-Kosten Beträge enthalten sind, die mit dem beauftragten Leistungsumfang nichts zu tun haben, und andererseits zu fragen, ob der Auftragnehmer seiner Schadensminderungspflicht nachgekommen ist. Abgrenzung von neutralen Aufwendungen  Leistungen f ü r Dritte ðIst ½AN  ! Ist ½0Þ Baustellen sind die Betriebe der Bauunternehmen. Nicht selten entwickelt sich aus einem Baubüro auf einer Baustelle durch Hereinnahme und zeitparallele Abwicklung eines weiteren Auftrags die Keimzelle einer Niederlassung. Neutrale Aufwendungen entstehen somit aus Leistungen für Dritte mit der Konsequenz der erforderlichen Abgrenzung und Ist-Kostenminderung. Abgrenzung von möglichen Maßnahmen des AN zur Schadensminderung(Ist [0] ! Ist [1]) In diesem Schritt ist zu prüfen, ob dem Auftragnehmer über die wahrgenommenen Maßnahmen zur Schadensminderung und die dadurch vermiedenen Aufwendungen hinaus weitere Maßnahmen zur Schadensminderung durch Kosten dämpfende Dispositionen für Personal, Maschinen und Geräte oder auch Einkauf von Baustoffen möglich gewesen wären. Dabei sind die jeweiligen baustellenspezifischen Möglichkeiten unter Beachtung der gesetzlichen und tariflichen Vorschriften des Arbeitsrechtes sowie der Konflikt aus notwendiger Wahrung der Einsatzbereitschaft bzw. sogar der Beschleunigungsnotwendigkeit und der Schadensminderungspflicht zu beachten. Das

Schadensabschätzungen nach § 287 ZPO durch Differenzbildung zwischen Ist [1] und Soll [2.2] Der Nachweis der Schadenshöhe i. S. einer Schadensabschätzung aus Behinderungen nach § 287 ZPO wird anschließend vorgenommen durch Vergleich zwischen den Kostendaten • des idealisierten Ist [1] nach Annäherung von oben und • des behinderungs-/beschleunigungsmodifizierten Soll [2.2] nach Annäherung von unten. Werden Schadensersatzansprüche von Nachunternehmern (NU) aus Behinderungen durch den Auftragnehmer geltend gemacht, so setzt dies voraus, dass die NU gegenüber dem Auftragnehmer in der hier vorgestellten Art und Weise jeweils Schadensnachweise erbringen, der Auftragnehmer diese prüft und anschließend dem Auftraggeber gegenüber geltend macht. Entgangener Gewinn Nach § 6 Abs. 6 VOB/B besteht ein Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns auf die Selbstkosten eines Schadensersatzanspruches nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Da nur in äußerst seltenen Fällen ein Auftragnehmer seinem Auftraggeber Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorwerfen wird, wird der Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns auch nur in äußerst seltenen Fällen durchzusetzen sein. Mehrwertsteuer Die Frage, ob ein Schadensersatzanspruch aus § 6 Abs. 6 VOB/B der Umsatzsteuer unterliegt, ist vom Bundesgerichtshof (BGH) dahingehend entschieden worden, dass auf Schadensersatzansprüche nach § 6 Abs. 6 VOB/B infolge von behinderungsbedingten Kosten keine Umsatzsteuer anfällt, da kein echter Leistungsaustausch stattfindet (BGH VII ZR 280/05 vom 24.01.2008).

346

7

C. J. Diederichs

Nachtragsmanagement nach § 650 b-c und p-q BGB

Am 01.01.2018 ist das neue Werk-, Bauvertrags-, Architekten- und Ingenieurvertragsrecht des BGB in Kraft getreten. Die Reform des Werkvertragsrechts im BGB und die erstmalige Normierung des Bauvertrags sowie weiterer Vertragsformen wie Verbraucherbau-, Architekten-, Ingenieurund Bauträgerverträge stellt somit weitreichende Änderungen des BGB für das Bau- und Architektenrecht dar. Zielsetzungen dieser Reform waren vor allem, den Bauvertrag und den Architektenvertrag nunmehr gesetzlich zu definieren und zu regeln sowie den Verbraucherschutz in diesem Rechtsgebiet zu stärken. Zu umfassenden Ausführungen zum Bauvertragsrecht wird verwiesen auf das Kapitel Privates Baurecht. Das Werkvertragsrecht ist im BGB vom 18.08.1896, letzte Änderung am 12.07.2018 (BGBL. I S 1151) in Buch 2. Recht der Schuldverhältnisse, §§ 241–853, Abschn. 8. Einzelne Schuldverhältnisse, §§ 433–853, Titel 9. Werkvertrag und ähnliche Verträge, §§ 631–651, geregelt. Für das Nachtragsmanagement sind primär die §§ 650 b Änderung des Vertrages; Anordnungsrecht des Bestellers, 650 c Vergütungsanpassungen bei Anordnungen nach 650 b Abs. 2 sowie 650 d Einstweilige Verfügung zu beachten.

7.1

Vereinbarkeit der VOB/B mit dem AGBG (§§ 305–310 BGB)

Nach der Pressemitteilung des BMU vom 24.01.2018 zieht das neue Bauvertragsrecht im BGB zunächst keine Änderungen der VOB/B nach sich, wie einleitend bereits erwähnt. Sofern die VOB/B vertraglich als Ganzes vereinbart wird, gelten bei Anordnung einer Leistungsänderung durch den Auftraggeber § 2 Abs. 5 VOB/B und bei Anordnung einer Zusatzleistung § 2 Abs. 6 VOB/B anstelle der Vergütung nach § 650 c Abs. 1 BGB. Wird die VOB/B jedoch nicht als Ganzes vereinbart, unterliegen die vereinbarten Teile der Inhaltskontrolle nach dem AGBG (§§ 305–310 BGB).

Diese Situation ist auf die Entstehungsgeschichte des neuen Bauvertragsrechts zurückzuführen. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung gemäß Drucksache 18/8486 vom 18.05.2016 war im § 650c Vergütungsanpassung bei Anordnungen nach § 650b Abs. 2 ein Abs. 4 mit folgendem Wortlaut enthalten: „(4) Die Parteien können eine andere Vereinbarung für die Vergütungsanpassung treffen. Wird die Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) in der jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung gegenüber einem Unternehmer, einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem öffentlichrechtlichen Sondervermögen als Allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, findet § 307 Abs. 1 und 2 in Bezug auf eine Inhaltskontrolle von Bestimmungen zur Berechnung der Vergütungsanpassung abweichend von § 310 Abs. 1 Satz 3 auch dann keine Anwendung, wenn nur die Bestimmungen der VOB/B zum Anordnungsrecht und zur Vergütungsanpassung ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt in den Vertrag einbezogen sind.“

In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es unter B. Besonderer Teil zu § 650c BGB-E, Abs. 4 u. a. (BT-Drucksache 18/8486 vom 18.05.2016, S. 57: „Das neue Privileg ermöglicht es den Parteien im Bereich der öffentlichen Hand und gewerblichen Aufträge, gemäß § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B und der dazu entstandenen Praxis den neuen Preis weiterhin unter Fortschreibung der Auftragskalkulation/ Urkalkulation zu berechnen, wenn sie zumindest die Bestimmungen der VOB/B zum Anordnungsrecht und zur Vergütungsanpassung ohne Abweichungen insgesamt vereinbart haben. Vereinbaren die Parteien sonstige Abweichungen von der VOB/B oder machen sie von deren Öffnungsklauseln Gebrauch, schließt dies die Privilegierung nicht aus. Mit dieser Regelung soll ermöglicht werden, dass die im Rahmen von VOB/B-Verträgen seit vielen Jahren praktizierte und von den Beteiligten auch akzeptierte Praxis der Preisfortschreibung fortgeführt werden kann, obwohl sie vom gesetzlichen Leitbild des § 650c BGB-E abweicht.“

In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) wurde gemäß BT-Drucksache 18/11437 vom 08.03.2017, S. 16, empfohlen, dass § 650c Abs. 4 BGB-E entfällt. In der Begründung dazu heißt es in der Drucksache auf S. 42:

Nachtragsmanagement „Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz schlägt vor, die in § 650c Abs. 4 BGB-E vorgesehene besondere AGB-rechtliche Privilegierung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) zu streichen. Es wird als nicht gerechtfertigt angesehen, eine Privilegierung der VOB/B allein daran zu knüpfen, dass die Bestimmungen der VOB/B zum Anordnungsrecht und zur Vergütungsanpassung ohne Abweichungen insgesamt in den Vertrag einbezogen sind. Das Gegenseitigkeitsverhältnis des Anordnungsrechts des Bestellers und des Rechts des Unternehmers auf Vergütungsanpassung sowie die paritätische Besetzung des Deutschen Vergabeausschusses reichen zur Rechtfertigung der Privilegierung nicht aus. Es soll vielmehr dabei bleiben, dass die VOB/B nur dann privilegiert wird, wenn sie ohne Abweichungen insgesamt vereinbart wird (§ 310 Abs. 1 Satz 3 BGB). Ein „Rosinenpicken“ verhandlungsstarker Besteller, die so etwa die Anwendbarkeit der vorläufigen Abschlagszahlungsregelung nach § 650c Abs. 3 BGB-E vermeiden könnten, wird durch die Streichung des Abs. 4 verhindert.“

Der Bundestag ist mit dem Beschluss des Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts, zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes . . . vom 28. April 2017 (BGBl. 2017 I Nr. 23 vom 04. Mai 2017) der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz gefolgt. § 650c Abs. 4 BGB-E ist ersatzlos entfallen. Damit gilt die VOB/B nur dann, wenn sie als Ganzes vereinbart wird. Sofern die VOB/B jedoch nur in Teilen vereinbart wird, muss im Einzelfall eine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB vorgenommen werden.

7.2

Änderung des Vertrages; Anordnungsrecht des Bestellers (§ 650b BGB)

Nach § 650b BGB hat nun der Besteller das Recht auf nachträgliche Änderungen des Werkerfolgs. In Abs. 1 wird unterschieden zwischen „1. eine Änderung des vereinbarten Werkerfolgs (§ 631 Abs. 2) oder 2. eine Änderung, die zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs notwendig ist“. Damit treten an die Stelle der Unterscheidung nach § 2 Abs. 5 VOB/B „Änderung des Bauentwurfs oder andere Anordnungen des Auftraggebers“ und nach § 2 Abs. 6 VOB/B „Forderung

347

einer im Vertrag nicht vorgesehenen Leistung“ allein Änderungen, die danach unterschieden werden, ob sie eine Änderung des vereinbarten Werkerfolgs bewirken sollen, sei es durch Leistungsänderung, wie z. B. Rundbogenfenster statt Rechteckfenster (§ 2 Abs. 5 VOB/B), oder durch vertraglich nicht vorgesehene Zusatzleistung, wie z. B. Erhöhung eines Verwaltungsgebäudes um ein weiteres Stockwerk (§ 2 Abs. 6 VOB/B), oder ob sie zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs zwingend notwendig sind, weil z. B. im Leistungsverzeichnis der Bewehrungsgehalt für Fundamente mit 70 kg Stahl/m3 Beton viel zu niedrig angegeben wurde und nach Angabe des Prüfstatikers stattdessen 120 kg Stahl/m3 Beton erforderlich sind (§ 2 Abs. 5 VOB/B). Der Begriff der Änderung in § 650b BGB ist damit weiter als nach dem bisherigen Sprachgebrauch der VOB/B gezogen. Geänderte und zusätzliche Leistungen werden in einen Einheitstatbestand der Änderung zusammengefasst (von Rintelen 2018a, Rd. 36 S. 717). Änderungen nach § 650 Abs. 1 Nr. 2 BGB dienen nur dazu, den vereinbarten Werkerfolg zu erreichen. Sie bewegen sich damit innerhalb des Erfolgssolls des Vertrages. Hauptanwendungsfälle sind Sachverhalte, in denen die ursprüngliche Leistungsbeschreibung des Bestellers Lücken aufweist oder fehlerhaft ist, so dass ihre Umsetzung nicht zur Herstellung eines funktionstüchtigen Bauwerks führen würde (von Rintelen 2018a, Rd. 55 S. 720). Die Frage, ob sich die Änderungen nach § 650b Abs. 1 BGB ausdrücklich auf eine Änderung des Werkerfolgs beschränken oder auch eine Änderung der Bauumstände, insbesondere der Bauzeit, umfassen können, ist in der Literatur umstritten. Nach von Rintelen (2018a, Rd. 66 S. 723) unterfallen die Bauumstände im Grundsatz gerade nicht dem Dispositionsrecht des Bestellers, sondern dem des Unternehmers. Es obliege dem Unternehmer festzulegen, wie er den versprochenen Werkerfolg herbeiführe. Ein Anpassungsanspruch des Bestellers bestehe dann, wenn das Beschleunigungsbedürfnis des Bestellers das Dispositionsrecht des Unternehmers deutlich übersteige, dieser die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung habe und die ihm angebotene Vergütung angemessen sei (Rd. 68). Der Besteller könne also nicht nur

348

C. J. Diederichs

z. B. eine Beschleunigung fordern, sondern müsse auch eine angemessene Vergütung anbieten. Aus der bauvertraglichen Kooperationspflicht folge auch, dass der Werkunternehmer auf Anforderung auch ein Angebot zu angemessenen Bedingungen unterbreite. Denn nur der Unternehmer sei in der Lage, den angemessenen Preis auf Basis von Kosten und Risiken zu ermitteln (Rd. 69). Daraus folgt, dass Voraussetzung für eine Änderung durch eine Beschleunigungsanordnung nach § 650b Abs. 1 Nr. 2 ist, dass die Einhaltung vertraglicher Zwischen- und Endtermine ausdrücklich als vereinbarter Werkerfolg im Bauvertrag enthalten ist. Der Ablauf des Regelungssystems des Anordnungsrechts ist in nachfolgender Abb. 13 dargestellt. Der Ablauf des Anordnungsrechts nach § 650b BGB kann in sechs Vorgänge unterteilt werden:

Anzeige der Unzumutbarkeit mit Beweislast des AN Vorgang 3: Anstreben des Einvernehmens der Parteien über Änderung und infolge der Änderung an den AN zu leistende Mehr- oder Mindervergütung Vorgang 4: Ablauf der Einigungsfrist von 30 Tagen; wenn sich der AN weigert, ein Nachtragsangebot vorzulegen, kann der AG unmittelbar nach § 650 Abs. 2 BGB von seinem Änderungsrecht Gebrauch machen (Rd. 90) Vorgang 5: Anordnung der Änderung durch den AG in Textform (Brief, Fax, E-Mail); der AN ist verpflichtet, der Anordnung des AG nachzukommen, wenn ihm die Ausführung zumutbar ist Vorgang 6: ggf. Beantragung einer Einstweiligen Verfügung nach § 650 d BGB durch den AN, sofern es zu Streitigkeiten über das Anordnungsrecht des AG kommt.









• Vorgang 1: Änderungsbegehren des AG; bei Planung durch AG auch Vorlage der Planung durch AG • Vorgang 2: Angebotspflicht des AN, sofern Ausführung der Änderung zumutbar; sonst

Die zahlreichen Literaturhinweise in von Rintelen (2018), a. a. O., mit den zitierten teilweise unterschiedlichen Auffassungen der Autoren machen deutlich, dass das neue Bauvertragsrecht

B = Besteller (AG) U = Unternehmer (AN) FLB = Funkonale Leistungsbeschreibung

Änderung des Vertrages: § 650b (BGB) Änderungsbegehren des B (ÄB) Gewillkürte Änderung (Nr. 1)

Keine Ausführungspflicht für U

Ausführung der Änderung für U zumutbar Planung B

Planung U

Planung U (FLB)

Planübergabe erfolgt?

Ja

Angebot des U

Nein Einvernehmen 30 Tage nach Zugang ÄB nur über die Änderung (keine Vergütung für Mehraufwand: § 650c I 2)

Einvernehmen 30 Tage nach Zugang ÄB über die Änderung und die zu leistende Mehr- oder Mindervergütung ja Vergütung: Einvernehmen oder nach § 650c Keine Vergütung iFd § 650c I 2

nein

nein

ja

nach: Oberhauser, in: Dammert/Lenkeit/Oberhauser/Pause/Stretz,Das neue Bauvertragsrecht, 2017, S. 20.

Ausführung der Änderung für U unzumutbar

Für Werkerfolg notwendige Änderung (Nr. 2)

Anordnung d.B. in Texorm („kann“) Ausführungspflicht für U

ja

nein

Ausführungspflicht für U (keine Vergütung)

© Dr. Andreas Koenen

Das Regelungssystem des Anordnungsrecht mit Vergütingsanpassung im BGB: Kompliziert aber beherrschbar.

Abb. 13 Das Regelungssystem des Anordnungsrechts nach § 650b BGB. (Quelle: Koenen und Trippacher 2018, S. 26)

Nachtragsmanagement

der rechtlichen Auslegung bedarf. Eine Rechtsprechung des BGH ist dazu voraussichtlich erst ab 2023 zu erwarten.

7.3

Vergütungsanpassung nach § 650c Abs. 1 und 2 BGB bei Anordnungen nach § 650b Abs. 2 BGB

In § 650 c Abs. 1 Satz 1 heißt es: „Die Höhe des Vergütungsanspruchs für den infolge einer Anordnung des Bestellers nach § 650b Absatz 2 vermehrten oder verminderten Aufwand ist nach den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn zu ermitteln.“ Weiter heißt es in § 650 c Abs. 2 Satz 1: „Der Unternehmer kann zur Berechnung der Vergütung für den Nachtrag auf die Ansätze in einer vereinbarungsgemäß hinterlegten Urkalkulation zurückgreifen“. Dies bedeutet, dass der Auftragnehmer nun die Wahl hat, seinen Vergütungsanspruch für einen Nachtrag infolge einer Änderungsanordnung des Auftraggebers entweder nach tatsächlich erforderlichen Kosten oder nach den Ansätzen in der hinterlegten Urkalkulation zu ermitteln. Dabei ist zu beachten, dass sich dieses Wahlrecht auf jeden Nachtrag als Ganzes erstreckt und nicht auf einzelne Positionen innerhalb eines Nachtrags. Dazu heißt es in der BT-Drucksache 18/8486 2016, S. 56 u. a. „Um Spekulationen bei der Preisgestaltung zu verhindern, kann der Unternehmer das Wahlrecht für jeden Nachtrag nur insgesamt ausüben („Vergütung für den Nachtrag“). Je nachdem, wie er sich entschieden hat, hat er konsequent entweder die Urkalkulation fortzuschreiben oder die tatsächlich erforderlichen Mehr- oder Minderkosten für die nachträglich angeordnete Leistung darzulegen.“ Die Gesetzesvorgaben von § 650c Abs. 1 und 2 BGB werfen eine Fülle von baurechtlichen und baubetrieblichen Fragen auf, die zu zahlreichen Fachveröffentlichungen (von Rintelen 2018b, S. 766–785; Leupertz 2018, S. 1488–1498; Lindner 2018, S. 1038–1049; Koenen 2018, S. 1033–1038; Langen 2018, S. 1505–1508; Bötzkes 2018, S. 1–8; Retzlaff 2017, S. 1796–1814) geführt haben, deren Richtigkeit sich frühestens erst in

349

ca. fünf Jahren, d. h. in ab 2023 zu erwartenden BGH-Entscheidungen erweisen wird. Dies gilt insgesamt für das seit dem 01.01.2018 geltende Bauvertrags- sowie Architekten- und Ingenieurvertragsrecht nach BGB. Nachfolgend werden daher einige Anregungen zu der möglichen Vorgehensweise bei der Bemessung von Vergütungsansprüchen infolge von Anordnungen des Auftraggebers, vorrangig aus sachverständiger und baubetrieblicher Sicht, gegeben. Langen (2018, S. 1506) führt aus, dass die Ermittlung der Nachtragsvergütung nach tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge aufgrund der von der VOB/B geprägten Praxis Neuland sei und ihre Praxistauglichkeit sich erst noch erweisen müsse. Nach § 8a EU VOB/A ist in den Vergabeunterlagen öffentlicher Auftraggeber vorzuschreiben, dass die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Vertragsbestandteile des Vertrags werden. Nach § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 bleiben die Allgemeinen Vertragsbedingungen grundsätzlich unverändert. Damit ist die VOB/B stets im Ganzen zu vereinbaren und unterliegt dann nach allgemeiner Ansicht in der Baurechtsliteratur nicht der Inhaltskontrolle nach dem AGBG (§§ 305 ff. BGB). Damit gelten für die Vertragspartner öffentlicher Auftraggeber bis auf weiteres die Rechte des Auftraggebers, Änderungen des Bauentwurfs anzuordnen (§ 1 Abs. 3 VOB/B) und dem Auftragnehmer nicht vereinbarte Leistungen zu übertragen, die zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich werden (§ 1 Nr. 4 VOB/B). Für die Vergütung derartiger Leistungsänderungen oder Zusatzleistungen gelten damit weiterhin die Regelungen des § 2 Abs. 4 bis 10 VOB/B. Lindner (2018, S. 1048) weist darauf hin, dass das seinerzeit für das Bauvertragsrecht fachlich zuständige BMUB vermeiden wollte, mit den eigenen Bauverträgen in den Anwendungsbereich der vom Bundesgesetzgeber geschaffenen Neuregelungen im BGB, insbesondere der §§ 650b und 650c, zu geraten. So heißt es im VHB Bund 2017 unter Ziffer 4.2.6 der Allgemeinen Richtlinien Vergabeverfahren (Formblatt 100):

350 „Wiederholungen oder Abweichungen von der VOB/B und VOB/C bzw. VOL/B, den Besonderen, den Zusätzlichen und Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen sowie Widersprüche in den Vergabeunterlagen sind auszuschließen. Sofern Regelungen in Ergänzung der BVB/ZVB/ZTVB in den Vertrag (z. B. in WBVB oder LV) aufgenommen werden sollen, dürfen diese keine inhaltliche Abweichung von der VOB/B enthalten, da andernfalls der Vertrag einer AGB-rechtlichen Klauselkontrolle unterworfen werden (§ 310 Abs. 3 Satz 1 BGB) und teilweise unwirksam werden könnte. An die Stelle der unwirksamen Regelungen des VOB/BVertrages würden in diesem Fall die gesetzlichen Regelungen des BGB treten, z. B. mit der Folge, • dass Leistungsänderungen nicht mehr ohne vorherige Verhandlung mit dem Auftragnehmer angeordnet werden können (d. h. ggf. 30 Tage Baustillstand), • dass die Nachtragsvergütung nicht mehr anhand der Urkalkulation fortgeschrieben, sondern anhand der tatsächlich erforderlichen Kosten neu ermittelt werden muss, oder • dass der Auftragnehmer für eine Nachtragsleistung (sofern man sich über deren Vergütung noch nicht geeinigt hat) eine Abschlagszahlung von 80 % seines Nachtragsangebots fordern kann, auch wenn er hierin die Kosten der Leistung überhöht angesetzt hatte. Da solche o. ä. Folgen einer AGB-rechtlichen Überprüfung des VOB/B-Vertrages Bauausführung und Mittelverwendung behindern können, ist eine VOB/B-konforme Gestaltung der Vertragsunterlagen erforderlich.“

In den nächsten Jahren wird es sicherlich zu einer Anpassung der VOB/B an das neue Bauvertragsrecht kommen. Der Zeitpunkt lässt sich jedoch zum Stand Mai 2020 nicht abschätzen. Welche Probleme ergeben sich nun bei der Bemessung von Vergütungsansprüchen der Auftragnehmer infolge von Anordnungen gewerblicher oder privater Auftraggeber, die in aller Regel die VOB/B nicht als Ganzes vereinbaren? Dazu ist zunächst grundsätzlich anzumerken, dass Probleme nur dann entstehen, wenn die Vertragsparteien binnen 30 Tagen nach Zugang des Änderungsbegehrens beim Auftragnehmer kein Gesamteinvernehmen über die Änderung und die infolge der Änderung zu leistende Mehr- oder Mindervergütung erzielen, der Auftraggeber die Änderung in Textform anordnet und dem Unternehmer die Ausführung zumutbar ist (§ 650b BGB).

C. J. Diederichs

Dann und nur dann können baubetriebliche Probleme aus folgenden offenen Fragen aus § 650c Abs. 1 und 2 BGB entstehen: Was sind tatsächlich erforderliche Kosten? Was sind angemessene Zuschläge für Allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn und was gilt für Baustellengemeinkosten? Welche Struktur und Gliederungstiefe muss eine vereinbarungsgemäß hinterlegte Urkalkulation haben, damit danach die Vergütung für Nachträge berechnet werden kann? Was gilt für Bauablaufstörungen, z. B. durch fehlende Genehmigungen, fehlende Pläne, fehlende Entscheidungen des Auftraggebers oder fehlende Vorleistungen anderer Unternehmer? Nachfolgend wird versucht, in knapper allgemein verständlicher Form Antworten auf diese Fragen zu geben.

7.3.1

Was sind tatsächlich erforderliche Kosten? Gemäß § 650 Abs. 1 BGB ist die Höhe des Vergütungsanspruchs für den infolge einer Anordnung des Bestellers nach § 650b Abs. 2 vermehrten oder verminderten Aufwand nach den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn zu ermitteln. Hierzu heißt es in der BT-Drucksache 18/8486: „Bei der Ermittlung des veränderten Aufwandes nach den tatsächlichen Kosten ist die Differenz zwischen den hypothetischen Kosten, die ohne die Anordnung des Bestellers entstanden wären, und den Ist-Kosten, die aufgrund der Anordnung tatsächlich entstanden sind, zu bilden. Diese Differenz ist die Grundlage für die Vergütung für den veränderten Aufwand.“ Daraus kann der Eindruck entstehen, dass tatsächlich entstandene Ist-Kosten anzusetzen sind, ohne das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Erforderlichkeit zu beachten. Zur Erforderlichkeit heißt es bei von Rintelen (2018, S. 775), dass das Gesetz den Besteller vor unnötigem Aufwand schützen wolle. Die tatsächlichen Kosten seien deshalb im Rahmen der Erforderlichkeit zu berücksichtigen, bei der es nur auf eine Gesamtbetrachtung ankomme. Maßgeblich sei die Gesamtvergütung für die Änderungsleistung (vgl. BGH,

Nachtragsmanagement

Urt. v. 20.12.2016 – VI ZR 612/15). Ergänzend heißt es bei Leupertz (2018, S. 1493), dass die tatsächlichen Kosten auch erforderlich sein müssten. Damit sei gewährleistet, dass der Unternehmer diejenigen Kosten nicht erstattet bekomme, die durch eine in seine Verantwortung fallende unwirtschaftliche Arbeitsweise und Einkaufspraxis entstehen. Zusammenfassend formuliert Lindner treffend (2018, S. 1043): „Tatsächlich erforderliche Kosten sind direkte Kosten (Lohn, Geräte, Material, Sonstiges, Nachunternehmer, ggf. auch BGK), deren Entstehung unter Berücksichtigung der konkreten Situation des Unternehmers sowie der Baustelle zum Zeitpunkt der Ausführung des Nachtrags aus objektiver Sicht technisch sinnvoll und wirtschaftlich vernünftig ist.“

7.3.2

Was sind angemessene Zuschläge für Allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn und was gilt für Baustellengemeinkosten? In der BT-Drucksache 18/8486, S. 56, heißt es dazu lediglich, dass der bloße Verweis des Unternehmers auf die Urkalkulation nicht genüge, um die Angemessenheit der Zuschlagssätze darzulegen. Innerhalb einer Nachtragsberechnung dürfe es keine Kombination zwischen den tatsächlich erforderlichen Kosten einerseits und den kalkulierten Kosten andererseits geben, um keine Anreize für spekulative Kostenverschiebungen zu schaffen. Damit scheide im Rahmen des Abs. 1 ein Rückgriff auf die hinterlegte Urkalkulation aus. Die Anwendung eines Vertragspreisniveaufaktors würde dazu führen, dass die ursprünglich einkalkulierte Gewinn- oder Verlustspanne auch bei der Berechnung der Vergütung für die Nachträge zugrunde zu legen wäre, was zu einer Potenzierung der Gewinne oder Verluste der Ausgangskalkulation führen würde. Stattdessen solle die im Wettbewerb für die Ausgangsleistungen zustande gekommene anteilige Gewinn- oder Verlustspanne für die jeweilige Bezugsposition in ihrer ursprünglichen Höhe als Absolutbetrag erhalten bleiben und dadurch das Preisrisiko für die Vertragsparteien begrenzt werden. Dies bedeutet im Klartext, dass der Gesetzgeber wohl den Ansatz Allgemeiner Geschäftskosten für Nachtragsleis-

351

tungen zulassen will, nicht aber für Gewinne, die zudem durch das Wagnis der Nachtragsleistungen reduziert werden können. Dies ist praxisfremd und wird zu Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien führen, sofern sie zur Streitvermeidung keine vertragliche Regelung vereinbaren. Von Rintelen (2018, S. 776) empfiehlt daher auch, die Zuschlagssätze für Allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn bereits im Vertrag für Nachträge festzulegen und sie damit jedem Streit zu entziehen. Allgemeine Geschäftskosten (AGK) werden durch das Unternehmen als Ganzes verursacht. Sie können den einzelnen Aufträgen nur mit Hilfe von Zuschlagssätzen zugerechnet werden. Diese schwanken zwischen 6 % und 8 % der Auftragssumme (Diederichs 2005, S. 164–165). In Tab. 2.8: Ermittlung der Angebotssumme des Beispiel-Projekts „Stützwand“ in der KLR Bau (2016, S. 55) werden für AGK 7,00 % der Angebotssumme angesetzt. Bei jedem Nachtrag aufgrund einer Anordnung des Auftraggebers nach § 650 Abs. 2 BGB ist daher zu prüfen, ob durch diesen Nachtrag Mehrkostenanteile der AGK entstehen durch die Unternehmensleitung und -verwaltung, den Bauhof, Rechts- und Steuerberatung sowie Versicherungen. Im Ergebnis dieser Prüfung wird häufig festzustellen sein, dass der AGK-Zuschlag für den Nachtrag eher niedriger anzusetzen ist als der AGK-Zuschlag für den Hauptauftrag, abweichend von der Preisfortschreibung nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B. Der Zuschlag für Wagnis und Gewinn (W+G) wird ebenfalls in einem Prozentsatz, bezogen auf die Auftragssumme, bemessen. Der Gewinn entspricht dem geplanten Auftragsergebnis und trägt damit zum wirtschaftlichen Unternehmensergebnis bei. In der KLR Bau (2016, S. 40) wird empfohlen, nur noch den Begriff „Gewinn“ (G) anstelle von „Wagnis und Gewinn“ zu verwenden. Im kalkulatorischen Sinn sei das allgemeine unternehmerische Wagnis kein echter Preisbestandteil, sondern ein Teil des Unternehmensrisikos. Ein nicht eingetretenes Wagnis vergrößere, ein eingetretenes Wagnis verringere den Gewinn und sei damit von diesem nicht zu unterscheiden, da völlig offen sei, ob Risiken sich verwirklichten. Zudem sei zu beachten, dass pro-

352

jektspezifische Risiken nicht durch den Wagnisanteil abgedeckt, sondern Bestandteile der EKT bzw. der BGK seien. In Tab. 2.8: Ermittlung der Angebotssumme des Beispiel-Projekts „Stützwand“ in der KLR Bau (2016, S. 55) werden für G 5,00 % der Angebotssumme angesetzt. Einigen sich die Vertragsparteien nicht auf eine Preisfortschreibung für den (W+) G-Zuschlag, so wird der Auftragnehmer sicherlich auf einem Ansatz von mindestens 2 % bis 3 % der Nachtragssumme zur Abdeckung des allgemeinen unternehmerischen Wagnisses bestehen wollen. Ein Zuschlag für Baustellengemeinkosten (BGK) ist in § 650c Abs. 1 nicht vorgesehen. Baustellengemeinkosten entstehen durch das Betreiben der Baustelle als Ganzes und lassen sich keiner Teilleistung direkt zuordnen, sofern im Leistungsverzeichnis dafür keine besonderen Positionen vorhanden sind, z. B. für das Einrichten und Räumen der Baustelle sowie das Vorhalten der Baustelleneinrichtung. Sie werden gesondert berechnet und bei der Bildung der Einheitspreise den EKT als Bestandteil der Kalkulationszuschläge zugerechnet (Diederichs 2005, S. 162). Zu den zeitabhängigen BGK zählen Vorhaltekosten (Abschreibung, Verzinsung und Reparatur) für Baumaschinen und Baugeräte, Kosten der örtlichen Bauleitung, Betriebskosten und allgemeine Baukosten. Zu den zeitunabhängigen BGK zählen Kosten der Baustelleneinrichtung und -räumung, der Baustellenausstattung, der technischen Bearbeitung und Kontrolle sowie aus Bauwagnis und besonderen Maßnahmen, z. B. für den Winterbau. Da durch Nachtragsleistungen regelmäßig auch BGK verursacht werden, sind diese für jeden Nachtrag zusätzlich zu den EKT gesondert zu ermitteln und den tatsächlich erforderlichen Kosten zuzurechnen.

7.3.3

Welche Struktur und Gliederungstiefe muss eine vereinbarungsgemäß hinterlegte Urkalkulation gemäß § 650c Abs. 2 BGB haben, damit danach die Vergütung für Nachträge berechnet werden kann? Bei der Erstellung von Angebotskalkulationen durch Bauunternehmen ist eine Vielfalt hinsicht-

C. J. Diederichs

lich Struktur und Gliederungstiefe festzustellen. Sehr häufig erstellen insbesondere kleine Unternehmen im Ausbauhandwerk keine Angebotskalkulationen, sondern tragen aufgrund ihrer Erfahrungen und je nach Wettbewerbssituation ihre Einheits- und Gesamtpreise in die ihnen übermittelten Leistungsverzeichnisse ein. Eine weitere Gruppe erstellt Kalkulationen mit vorbestimmten Zuschlagssätzen entweder auf nur zwei Kostenarten der EKT (Lohn und SoKo) oder auf fünf Kostenarten der EKT (Lohn, Material, Geräte, SoKo, NU) (vgl. KLR Bau 2016, S. 42–51). Eine dritte Gruppe, vorrangig tätig im komplexen Rohbau, Stahlbau oder Tunnelbau bei Hochbauten, Ingenieurbauwerken, Verkehrswegen und im Anlagenbau, nimmt eine Kalkulation über die Angebotsendsumme vor, d. h. mit angebots-/auftragsspezifischer Ermittlung der Baustellengemeinkosten (vgl. KLR Bau 2016, S. 52–57). Wollen daher die Vertragsparteien gemäß § 650c Abs. 2 BGB zur Berechnung der Vergütung für Nachträge auf die Ansätze in einer vereinbarungsgemäß hinterlegten Urkalkulation zurückgreifen, so hat der Auftraggeber in der Ausschreibung das Kalkulationsverfahren (mit vorbestimmten Zuschlägen oder über die Angebotsendsumme) und die Anzahl der Kostenarten der EKT (zwei oder fünf, ggf. weitere) und die Struktur des Kalkulationsschlussblattes vorzugeben. Ferner muss er sich vor Auftragserteilung davon überzeugen, dass diese Anforderungen erfüllt wurden, bevor die Urkalkulation hinterlegt wird. Dazu sollte die Urkalkulation Teil der Angebotserläuterung sein und nicht versiegelt, sondern offen hinterlegt werden.

7.3.4

Was gilt für Bauablaufstörungen, z. B. durch fehlende Genehmigungen, fehlende Pläne, fehlende Entscheidungen des Auftraggebers oder fehlende Vorleistungen anderer Unternehmer? Hierzu wird zunächst verwiesen auf Leitsätze aus zwei jüngsten BGH-Urteilen, die allerdings beide Bauverträge betrafen, die viele Jahre vor dem 01.01.2018 abgeschlossen wurden.

Nachtragsmanagement

BGH-Urteil vom 08.11.2017 – ZR 237/15 1. Macht der Auftragnehmer Ansprüche wegen eines gestörten Bauablaufs geltend, hat er die Behinderungen und die sich daraus ergebenden Störungen möglichst konkret darzulegen. Hierfür ist in der Regel eine bauablaufbezogene Darstellung der jeweiligen Behinderungen unumgänglich. 2. Eine abstrakte Schadensberechnung anhand der Allgemeinen Geschäftskosten und Baustellengemeinkosten für die verlängerte Bauzeit genügt nicht. Vielmehr muss in einer Art Bilanz konkret dargetan werden, welche Differenz der Vermögenslage sich bei einem Vergleich des ungestörten mit dem verzögerten Bauablauf ergibt. Hierzu sind für den gesamten Zeitraum bis zur tatsächlichen Beendigung des Auftrags die erwarteten und die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben gegenüberzustellen. BGH-Urteil vom 10.01.2018 – ZR 58/16 Macht der Auftragnehmer Schadensersatz wegen Bauzeitverlängerung geltend, muss er die Bauzeitstörungen durch die Behinderungen im Einzelnen darlegen und unter Darstellung des gesamten Bauablaufs ohne oder mit dem jeweiligen Hindernis vortragen, dass sich hieraus eine Verlängerung der Gesamtbauzeit ergibt. Diese Ausführungen machen deutlich, dass der BGH bisher an den vorstehend im Unterkapitel 6 beschriebenen Anforderungen festhält. Im Bericht des Arbeitskreises X – Baubetrieb des 7. Deutschen Baugerichtstages führen Gralla und Kattenbusch (2018, S. 1566–1573) dazu aus, dass sich der AK X mit der Ausgestaltung von (Regelungs-)Standards für die Bewertung von Einwirkungen auf den Bauablauf befasse. Begründung sei, dass die Darstellung und Bewertung der Auswirkungen von gestörten Bauabläufen stets ein großes Streitpotenzial zwischen den Projektbeteiligten darstelle und daher regelmäßig Gegenstand langjähriger gerichtlicher oder außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren sei. Es bestehe Handlungsbedarf hinsichtlich einer Standardisierung der schlüssigen bzw. plausiblen Darstellung von gestörten Bauabläufen, um einerseits die Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung zur [haftungsbegründenden und haf-

353

tungsausfüllenden] Kausalität zu erfüllen und andererseits eine wirtschaftlich objektive Bewertung zu ermöglichen. Es müssten Standards entworfen werden, um „die Bewertung von Bauabläufen aus einer rein „rechtlichen“ in eine auch für beide Seiten „wirtschaftliche“ Abrechnung zu transferieren.“ Dazu wird empfohlen, die vorhandenen nationalen und internationalen Standards zur Abbildung, Dokumentation und Bewertung von Bauabläufen auszuwerten und auf Grundlage der Ergebnisse hierzu ein eigenständiges technisches Regelwerk zu erstellen. Das Arbeitspaket soll gemeinschaftlich vom Deutschen Baugerichtstag und der Deutschen Gesellschaft für Baurecht im unterjährig tagenden Arbeitskreis „Baurecht und Baubetrieb“ mit der Zielsetzung erarbeitet werden, um bis zum 8. Deutschen Baugerichtstag im Jahr 2020 einen Richtlinienvorschlag vorzulegen. Streckel (2012, S. 72–84) untersuchte und bewertete dazu bereits die angloamerikanischen Verfahren Impacted As-Planned Analysis, Time Impact Analysis, Collapsed As Built und Window Analysis.

7.4

Wie ist bei Architekten- und Ingenieurverträgen nach § 650p und q BGB vorzugehen?

Gemäß § 650q Abs. 1 BGB gilt für Architektenund Ingenieurverträge u. a. § 650b entsprechend. Damit kann der Auftraggeber Änderungen des vereinbarten Werkerfolgs (§ 650b Abs. 1 Nr. 1) oder erfolgsnotwendige Änderungen zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs (§ 650b Abs. 1 Nr. 2) begehren. Der Auftragnehmer ist dann verpflichtet, ein Angebot über die Mehroder Mindervergütung zu erstellen (§ 650b Abs. 1 Satz 2), bei dem Begehren einer Änderung des vereinbarten Werkerfolgs jedoch nur, wenn dem Auftragnehmer die Ausführung der Änderung zumutbar ist. Wenn die Vertragsparteien binnen 30 Tagen nach Zugang des Änderungsbegehrens beim Auftragnehmer kein Gesamteinvernehmen über die Änderung und die infolge der Änderung zu leistende Mehr- oder Mindervergütung erzielen und der Auftraggeber daraufhin die Änderung

354

in Textform anordnet (§ 650b Abs. 2), dann und nur dann kommen die Regeln zur Vergütungsanpassung nach § 650q Abs. 2 zur Anwendung. Gemäß § 650q Abs. 2 Satz 1 gelten dann für die Höhe der Mehr- oder Mindervergütung die Regeln der HOAI, sofern die infolge der Anordnung zu erbringenden oder entfallenden Leistungen vom Anwendungsbereich der HOAI erfasst werden. „Im Übrigen ist die Vergütungsanpassung für den vermehrten oder verminderten Aufwand aufgrund der angeordneten Leistung frei vereinbar“ (§ 650q Abs. 2 Satz 2). Erst dann gilt § 650c entsprechend, soweit die Parteien keine Vereinbarung treffen (§ 650q Abs. 2 Satz 3). Dies bedeutet dann eine Ermittlung des vermehrten oder verminderten Aufwands nach den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für Allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn oder aber den Rückgriff auf die Ansätze in einer vereinbarungsgemäß hinterlegten Urkalkulation. Zu fragen ist, ob erst hier § 650c Abs. 1 Satz 2 zur Anwendung kommt, wonach dem Auftragnehmer kein Anspruch auf Vergütung für vermehrten Aufwand zusteht, wenn der Auftraggeber eine erfolgsnotwendige Änderung zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs begehrt. Zahlreiche widersprüchliche Ausführungen gibt es in der Baurechtsliteratur zu zwei neuen Begriffen in § 650p Abs. 2 BGB, der Planungsgrundlage und der Kosteneinschätzung (Zahn 2018, S. 950–951): „Soweit wesentliche Planungs- und Überwachungsziele noch nicht vereinbart sind, hat der Unternehmer zunächst eine Planungsgrundlage zur Ermittlung dieser Ziele zu erstellen. Er legt dem Besteller die Planungsgrundlage zusammen mit einer Kosteneinschätzung für das Vorhaben zur Zustimmung vor.“

Gemäß Begründung in der BT-Drucksache 18/8486, S. 67, soll mit dieser Vorschrift „Fällen Rechnung getragen werden, in denen sich der Besteller noch mit vagen Vorstellungen von dem zu planenden Bauvorhaben oder der Außenanlage an den Architekten oder Ingenieur wendet, . . . .“ In dieser Phase sei lediglich eine Grundlage, etwa eine erste Skizze oder eine Beschreibung des zu

C. J. Diederichs

planenden Vorhabens geschuldet, auf der dann die Planung aufbauen kann. Die Kosteneinschätzung solle dem Auftraggeber eine grobe Einschätzung der zu erwartenden Kosten für seine Finanzierungsplanung geben. Planungsgrundlage und Kosteneinschätzung zusammen sollten den Auftraggeber in die Lage versetzen, eine fundierte Entscheidung zu treffen, ob er dieses Bauprojekt oder die Außenanlage mit diesem Planer realisieren oder von seinem Sonderkündigungsrecht nach § 650r BGB Gebrauch machen wolle. Mit der Neuregelung solle zugleich einer in der Praxis vielfach zu weitgehenden Ausdehnung der unentgeltlichen Akquisition zu Lasten des Architekten entgegengewirkt werden. Durch die vertragliche Pflicht zur Mitwirkung an der Ermittlung von Planungs- und Überwachungszielen stelle der Gesetzgeber klar, dass zum Zeitpunkt der grundlegenden Konzeption des Bauprojekts durchaus bereits ein Vertrag geschlossen sein könne. Ein Bezug auf die HOAI sei aus rechtssystematischen Gründen bewusst nicht vorgenommen worden, da es sich bei der HOAI um eine Gebührenordnung handele. Planungsgrundlage und Kosteneinschätzung können nur dann eine verlässliche Basis für die Entscheidung des Auftraggebers sein, die weitere Planung zu beauftragen und das Projekt zu realisieren oder aber alle weiteren Aktivitäten zu stoppen (Exit), wenn sie Teile einer beauftragten vollständigen Projektentwicklung im engeren Sinne mit den 15 Aufgabenfeldern von A Marktrecherche bis O Entscheidungsvorlage sind. Darin beinhalten die Planungsgrundlage die Aufgabenfelder D Projektidee und Nutzungskonzeption und F Vorplanungskonzept und die Kosteneinschätzung das Aufgabenfeld G Kostenrahmen für Investitionen und Nutzung (Diederichs 2006, S. 5–138). Vom Arbeitskreis IV – Architekten- und Ingenieurrecht des 7. Deutschen Baugerichtstages 2018 wurden zur Frage, ob sich ergänzende normative Regelungen für die Inhalte und Honorierung der sog. Zielfindungsphase i. S. d. § 650p BGB empfehlen, folgende Thesen mit deutlicher oder überwältigender Mehrheit angenommen (Fuchs und Seifert 2018, S. 1539–1548): These 5: Es soll klargestellt werden, dass die sog. Zielfindungsphase gem. § 650p Abs. 2 BGB

Nachtragsmanagement

ausschließlich Leistungen umfasst, die zeitlich und inhaltlich vor der Grundlagenermittlung nach den Leistungsbildern der AHO A liegen. These 7: Die sog. Zielfindungsphase gem. § 650p Abs. 2 BGB wird ausschließlich bezogen auf den Fall, dass wesentliche Planungs- und Überwachungsziele (Vorgaben) des Bestellers, die zur Klärung der Aufgabenstellung notwendig sind, nicht vorliegen. These 9: § 650p Abs. 2 BGB ist dahingehend zu ergänzen, dass die Mitwirkung des Bestellers an der Ermittlung der Planungs- und Überwachungsziele vorgesehen wird. These 10: In § 650p Abs. 2 BGB soll klargestellt werden, dass die Kosteneinschätzung auf der Grundlage von Finanzierungsüberlegungen oder den sonstigen Planungsvorgaben des Bestellers erstellt werden kann.

7.5

Empfehlung zur Streitvermeidung

Es ist dringend zu empfehlen, durch die Vereinbarung von individuellen Verfahrens- und Rechenvorschriften bereits beim Vertragsabschluss zwischen den Vertragsparteien für Leistungsabweichungen vom Hauptvertrag nach den Fallunterscheidungen der §§ 2 und 6 VOB/B Streitigkeiten über die Vergütung von Nachträgen nach neuem Recht zu vermeiden, ggf. durch Hinzuziehung von außergerichtlichen Streitlösern. Werden solche Individualvereinbarungen nicht zwischen den Vertragsparteien abgeschlossen, ist nicht auszuschließen, dass sich das neue Bauvertrags-, Architekten- und Ingenieurvertragsrecht vorrangig als Konjunkturprogramm für staatliche Gerichte, Baujuristen und Bausachverständige erweisen wird.

Literatur Gesetze, Verordnungen, Vorschriften AGBG (2000, 2001) Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen BGB (1896, 2018) Bürgerliches Gesetzbuch BGH-Urteile: VII ZR 141/03 vom 24.02.2005, VII ZR 224/00 vom 21.03.2002, VII ZR 225/03 vom

355 24.02.2005, VII ZR 280/05 vom 24.01.2008, VI ZR 612/15 vom 20.12.2016 BT-Drucksache 18/8486(18.05.2016) Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung (➔ Links) BVB Besondere Vertragsbedingungen GWB (2009) Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen HOAI (2013) Honorarordnung für Architekten und Ingenieure ImmoWertV (2010) Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (Immobilienwertermittlungsverordnung) OLG Köln 17 U 35/14 am 08.04.2015 OLG Schleswig 7 U 13/16, 17.08.2017 VgV (2016, 2018) Vergabeverordnung, Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge VOB/A (2009, 2016) Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen. Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen VOB/B (2009, 2016) Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen. Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen VOB/C (2009, 2016) Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen. Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen ZPO (2005, 2018) Zivilprozessordnung ZVB Zusätzliche Vertragsbedingungen

Bücher Budde R (2013) Das PRO:CLAIM-Konzept: Claims erfolgreich verhandeln; Kooperation statt Konfrontation. Pro Business, Berlin Cox C (2014) Kommunikation in der Bauwirtschaft, Bauen in der Öffentlichkeit: eine kommunikative Herausforderung an der Schnittstelle Auftraggeber, Generalunternehmer und Öffentlichkeit. Schriftenreihe/Institut für Baubetrieb und Baumanagement, DVP, Berlin Diederichs CJ (2005) Führungswissen für Bau- und Immobilienfachleute, Band 1: Grundlagen, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York Diederichs CJ (2006) Immobilienmanagement im Lebenszyklus, 2. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York Diederichs CJ (2012) Bauwirtschaft und Baubetrieb. In: Handbuch für Bauingenieure, 2. Aufl. Springer, Berlin/ Heidelberg/New York DVP (Hrsg) (2007) Analyse und Bewertung von Software für das Projektmanagement. DVP, Berlin Görres L (2015) Projekt-Management von Großprojekten in der Vorvertragsphase, Dissertation, Bd Nr. 6, Schriftenreihe Institut für Baubetrieb Universität der Bundeswehr München, Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schwarz (Hrsg), München Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V., Zentralverband Deutsches Baugewerbe e.V. (Hrsg) (2016) Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung der Bauunternehmen (KLR Bau), 8. Aufl. Rudolf Müller, Köln

356 Heilfort T (2003) Ablaufstörungen in Bauprojekten : Einflussfaktoren für die Terminsicherung im Bauprojektmanagement, Aus Forschung und Praxis 3. Expert, Renningen Hofmann O, Frikell E, Schwamb T (2015) Unwirksame Bauvertragsklauseln nach dem AGB-Gesetz, 10. Aufl. VOB-Verlag Ernst Vögel OHG, Stamsried Ingenstau H, Korbion H (2017) VOB Teile A und B: Kommentar, 20. Aufl. Werner, Köln Leupertz S (2018) § 650c BGB Vergütungsanpassung bei Anordnungen nach § 650b Absatz 2. In: Messerschmidt B, Voit W Privates Baurecht – Kommentar zu §§ 631 ff. BGB, 3. Aufl. C.H. Beck, München Möhring F (2012) Ablaufbezogenes Dokumentationsverfahren zum Nachweis der adäquaten Kausalität bei Bauablaufstörungen mit Schwerpunkt Haftungsgrund im Leistungsbereich Landschaftsbau, Dissertation, Universität Kassel, Kassel University press, nach Mitschein A (1999), Die baubetriebliche Bewertung gestörter Bauabläufe aus Sicht des Auftragnehmers, S 72 Rintelen C von (2018a) Kommentar zu § 650b BGB, In: Kniffka R (Hrsg) Bauvertragsrecht – Kommentar zu §§ 631–650v BGB unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH, 3. Aufl. C.H. Beck, München Rintelen C von (2018b) Kommentar zu § 650c BGB Vergütungsanpassung bei Anordnungen nach § 650b Abs. 2. In: Kniffka R (Hrsg) Bauvertragsrecht – Kommentar zu §§ 631–650v BGB unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH, 3. Aufl. C.H. Beck, München Schneider W (2004) Implementierung und Anwendung von Projektkommunikationssystemen, In: AHO (Hrsg) Neue Leistungsbilder zum Projektmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft, AHO-Schrift Nr. 19. Bundesanzeiger Verlag, Köln Streckel S (2012) Analyse der Auswirkungen gestörter Bauabläufe und der Anteile ihrer Verursachung durch Auftraggeber. Auftragnehmer und Dritte, DVP, Berlin Vygen K, Joussen E, Lang A, Rasch D (2015) Bauverzögerung und Leistungsänderung, 7. Aufl. Werner, Köln Würfele F, Gralla M, Sundermeier M (2012) Nachtragsmanagement, 2. Aufl. Luchterhand Fachverlag, München Zahn A (2018) In: Kniffka R (Hrsg) Bauvertragsrecht – Kommentar zu §§ 631–650v BGB unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH, 3. Aufl. C.H. Beck, München Zanner C, Saalbach B, Viering M (2019) Rechte aus gestörtem Bauablauf nach Ansprüchen, 2. Aufl. Vieweg, Wiesbaden, erscheint 2019

C. J. Diederichs

Zeitschriftenaufsätze Bötzkes F A (2018) Was sind tatsächlich erforderliche Kosten gem. § 650c BGB? ibr-online vom 14.08.2018, S 1–8 Diederichs C J (1987) Sonderprobleme der Kalkulation (Teil 4), Bauwirtschaft Heft 5/1987, S 123–127 Diederichs C J (1998) Schadensabschätzung nach § 287 ZPO bei Behinderungen gemäß § 6 VOB/B. Beilage zu BauR 1/1998 Diederichs C J (2004) Der Bauprozess und der Bausachverständige aus der empirischen Sicht der Gerichte und der Industrie- und Handelskammern, NZBau, Heft 9/ 2004, S. 490–492, C. H. Beck, München/Frankfurt am Main/Berlin Diederichs CJ, Streckel S (2009) Beurteilung gestörter Bauabläufe – Anteile der Verursachung durch Auftraggeber und Auftragnehmer, NZBau 1/2009, S 1–5, C. H. Beck, München/Frankfurt am Main/Berlin Fuchs H, Seifert W (2018) Arbeitskreis IV, BauR 9a/2018, Deutscher Baugerichtstag am 04./05.05.2018 in Hamm, S 1539–1548 Gralla M, Kattenbusch M (2018) Arbeitskreis X, BauR 9a 2018, Deutscher Baugerichtstag am 04./05.05.2018 in Hamm, S 1566–1573 Koenen A (2018) Das neue Bauvertragsrecht: Anfang vom Ende der VOB/B? BauR 7 2018, S 1033–1038 Koenen A, Trippacher T (2018) Das neue Bauvertragsrecht. In: Netzwerk Bauanwälte GbR (Hrsg) Baurecht aktuell, Das Magazin des Netzwerks Bauanwälte Sonderausgabe 2018, Essen Langen W (2018) Regelungen der VOB/B zur Vergütung geänderter Leistungen vor dem Hintergrund des § 650c Abs. 1 und 2 BGB, BauR 9a/2018, Deutscher Baugerichtstag am 04./05.05.2018 in Hamm, Arbeitskreis Ib, S 1505–1508 Lindner M (2018) Ist § 650c BGB eine sichere Grundlage für Nachträge? BauR 7(2018):1038–1049 Retzlaff B (2017) § 650c Vergütungsanpassung bei Anordnungen nach § 650b Absatz 2 BGB, BauR 10a/2017, Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, S 1796–1814

Links http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/084/1808486.pdf https://www.ibr-online.de https://www.netzsieger.de. Zugegriffen am 31.08.2018

Digitales Planen und Bauen Alexander Malkwitz und Dirk Schlüter

Inhalt 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 2 Digitale Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 3 Prozesse und Organisation im digitalen Planen und Bauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 4 Modellqualitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 5 Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 6 Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 7 Ausblick im digitalen Planen und Bauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 8 Einführung digitaler Methoden bei Unternehmen der Bauwirtschaft . . . . . . . . 384 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

Abkürzungen

3D AIA

dreidimensional Auftraggeber-Informations-Anforderungen BAP BIM Abwicklungsplan BIM Building Information Modeling CAFM Computer-Aided Facility Management IFC Industry Foundation Classes LOD Level of Detail, Level of Development TGA Technische Gebäudeausrüstung A. Malkwitz (*) · D. Schlüter Institut für Baubetrieb und Baumanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]

Die Digitalisierung der Bauwertschöpfungskette ist eine große Chance, ist doch die Erwartung, dass dadurch erhebliche Effizienzverbesserungen möglich sein werden. Es geht darum, die Prozesse und Informationen entlang der Bauwertschöpfungskette digital abzubilden. Der Begriff Bauwertschöpfungskette umfasst dabei alle Wertschöpfungsschritte, die notwendig sind für Realisierung und Betrieb von Bauinvestitionen also von der Idee oder Projektinitiierung über Planung und Ausführung bis hin zum Betrieb. Dies wird oft auch mit dem aus dem Englischen entlehnten Begriff Building Information Modeling (abgekürzt BIM) bezeichnet. Building Information Modeling oder die Methode BIM bezeichnete dabei ursprünglich lediglich die Modellierung von Bauwerksinformationen und im engeren Sinne die Erstellung von dreidimensionalen Bauwerksmodellen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. J. Diederichs, A. Malkwitz (Hrsg.), Bauwirtschaft und Baubetrieb, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27916-5_11

357

358

A. Malkwitz und D. Schlüter

Initiierung

Planung

1 Einführung/ 2 Digitale Modellierung

Bau

Betrieb

Grundlagen/ Nutzungsmöglichkeiten AIA

3 Organisation/ Prozesse

Prozessstrukturierung/ Umsetzungsplanung

BAP

Kollis.-K./ Modellbasierte Planung/ Konsistenzprüfungen

Digitales Abbild Bauwerk

As- Built Modell

Model Check

Fortschreibung

Fortschreibung

4 Qualitäten Modellbasierte Massenermittlung und LV

Massenmodell

Modellbasiertes Kostenmanagement

Kostenmodell

5 Kosten Modellbasierte Massenermittlung und LV

Massenmodell

Terminmodell Modellbasiertes Terminmanagement

6 Termine

7 Ausblick

Zukünftig mögliche Anwendungen/ Einführung im Unternehmen

Abb. 1 Erfolgsfaktoren und Kapitelstruktur

Um die Effizienzpotenziale zu realisieren, sind die wesentlichen Erfolgsfaktoren bei der Abwicklung von Bauprojekten zu optimieren. Dabei ist nicht erstaunlich, dass entlang der Bauwertschöpfungskette auch in der digitalen Welt die gleichen Erfolgsfaktoren entscheidend sind wie bisher: die Organisation und Prozesse, Qualitäten, Kosten und Termine. Entlang dieser Faktoren ist daher auch dieses Kapitel gegliedert (Abb. 1).

1

Einführung

1.1

Grundlagen und Potenziale digitaler Methoden in der Bauwertschöpfungskette

Der wesentliche Antrieb die Bauwertschöpfungskette zu digitalisieren, liegt in der Motivation, die Realisierung und den Betrieb von Bauwerken und Infrastrukturen effizienter zu gestalten. Trotz der meist sehr umfangreichen Erfahrung und des hohen Arbeitseinsatzes der Beteiligten bei der Realisierung von Bauprojekten führen oftmals vielfäl-

tige Abstimmungsprobleme, Planungsinkonsistenzen, fehlende Informationen und Festlegungen bei vielen Projekten zu erheblichen Überschreitungen von Budgets und Fertigstellungsterminen. Obwohl je Projekt recht spezifische Ursachen zu diesen Überschreitungen führen, können doch einige Kernursachen identifiziert werden. Dazu gehört zum Beispiel die Verwendung ganz unterschiedlicher Informationsquellen und unterschiedlicher, teilweise inkonsistenter Dokumente, die die einzelnen Beteiligten verwenden. Es existiert meist keine einheitliche Datenbasis, die von allen Beteiligten genutzt wird. Zusätzlich haben einzelne Beteiligte oft nicht alle notwendigen Informationen vorliegen, obwohl diese evtl. an anderer Stelle im Projekt vorhanden sind. Ein erstes Potenzial der Digitalisierung ist daher die technische Möglichkeit eine einheitliche Informationsbasis zu entwickeln und diese allen Beteiligten zur Verfügung zu stellen. Diese einheitliche Datenbasis kann in einem ersten Schritt z. B. die wesentlichen physischen Bauwerksinformationen (Geometrien, Materialqualitäten und -quantitäten etc.) enthalten. Um eine konsistente

Digitales Planen und Bauen

Verknüpfung der Bauwerksgeometrien und zugehörigen Bauwerksmassen sicherzustellen (anstelle der Erstellung von Plandokumenten und separaten Leistungsverzeichnissen) ist die Erstellung eines digitalen dreidimensionalen Gebäudemodelles in vielen Projekten hilfreich. Dieses Modell wird oft als Kernelement bei der Digitalisierung der Bauwertschöpfungskette angesehen. Mit einem solchen Modell kann der Planungsstand den Beteiligten transparent dargestellt werden und im Modell können dazu konsistent zum Beispiel die Bauwerksmassen angegeben werden. Dabei besteht ein solches Bauwerksmodell aus Elementen, d. h. Wänden, Decken, Türen etc. die im Modell auch so definiert sind, d. h. zum Beispiel anstelle in einem Plan zwei Linien darzustellen, wird nun eine Wand im Modell angelegt, die auch als Wand eindeutig festgelegt wird. An diese einzelnen Modellelemente können nun beliebige weitere Informationen angehängt werden. Dies können je nach Bedarf ganz unterschiedliche Informationen sein. Man kann etwa an Materialinformationen aber auch Termininformationen oder

359

Kosteninformationen denken. Da diesem Modell eine Datenbank zugrunde liegt, sind der Informationsstruktur erstmal aus Systemsicht grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Es entsteht eine digitale Informationsgrundlage von planungs- und ausführungsrelevanten Informationen die von allen Beteiligten genutzt wird. Dieses Prinzip ist in der nachfolgenden Abb. 2. (Malkwitz und Ehlers 2014, S. 3) dargestellt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Nutzung ist dabei, dass die „Wahrheit“ ausschließlich in dem Bauwerksmodell bzw. der Datenbank zu finden ist. Sämtliche Beteiligte nutzen ausschließlich die bereitgestellten Daten aus dem Bauwerksmodell und erweitern es wiederum mit eigenen, gewerkespezifischen Daten. Somit entsteht eine synchronisierte Informationsgrundlage als Grundlage einer transparenten Zusammenarbeit. Die synchronisierte Informationsaufbereitung im Bauwerksmodell hat den Vorteil, dass z. B. Redundanzen in der Informationserhebung vermieden werden und außerdem alle Beteiligten die gleichen Informationen nutzen und weiter verarbei-

Abb. 2 Das BIM Modell im Gesamtsystem des Digitalen Planen und Bauens. (Quelle: Malkwitz und Ehlers 2014, S. 3)

360

ten. Wird dieses Vorgehen konsequent von allen Beteiligten in der Bauwertschöpfungskette angewandt, so entsteht ein digitales Abbild, der „digitale Zwilling“ des realen Bauprojektes. Dies stellt heute noch einen noch nicht erreichten Idealzustand dar, aber dies ist eine valide Zielvorstellung. Dabei soll die Digitalisierung bereits früh im Projekt eingeführt werden. Dies bedeutet, dass nach Start des Projektes bereits die Bedarfe des Auftraggebers digital erfasst werden. Die Planung im Projekt geschieht dann modellbasiert. Dabei kann das Modell zunächst mit einem sehr geringen Detailgrad dargestellt werden. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass trotzdem der Aufwand in frühen Phasen üblicherweise höher ist als in der klassischen Projektabwicklung. Allerdings sind auch die Änderungskosten in frühen Projektphasen niedriger, so dass es insgesamt zu einem Kostenvorteil kommen wird (Abb. 3). Durch die Einführung der Digitalisierung in der Bauwertschöpfungskette und der Darstellung eines Bauwerksmodelles wird die Planung tendenziell früher entwickelt werden. Einige Beteiligte sehen dies als Problem, da der Auftraggeber dann in frühen Phasen höhere Kosten zu tragen hat. Auf der anderen Seite gibt es auch die Sichtweise, dass ein Zurückkehren zu einer Philosophie des „Zuerst Planens und dann Bauens“ anstelle einer baubegleitenden Planung viele Probleme in späteren Projektphasen reduzieren wird und insgesamt vorteilhaft ist.

A. Malkwitz und D. Schlüter

Mit der Digitalisierung werden eine Reihe weiterer Vorteilen erwartet, wie z. B. eine Qualitätssteigerung bei der Planung, weniger nachträgliche Änderungsbedarfe, störungsfreiere Produktionsprozesse und reduzierte Kosten entlang der gesamten Bauwertschöpfungskette also auch und insbesondere des Betriebs (vgl. Malkwitz und Ehlers 2014, S. 6). Da die Kosten des Betriebs auf die gesamte Lebensdauer eines Bauwerkes bezogen den größten Kostenblock ausmachen, sind bei der Optimierung die Betriebskosten besonders in den Fokus zu nehmen. Dies wurde auch schon in der Vergangenheit durch Lebenszykluskostenanalysen versucht zu adressieren. Nun kann durch die Digitalisierung der gesamten Bauwertschöpfungskette diese Optimierung konsequent vorangetrieben werden. Die Betriebskosten eines Bauwerks lassen sich in der Planungsphase stark beeinflussen. Durch die beschriebene integrierte Zusammenarbeit der Beteiligten rückt damit die Planungsphase stärker in den Fokus, da Auswirkungen von Entscheidungen auf nachgelagerte Prozesse früh transparent werden. Allerdings müssen dafür Betriebsgesichtspunkte bereits in der Planungsphase eingebracht werden, was heute sowohl organisatorisch als auch geschäftsmodellbedingt nicht immer möglich ist (z. B. wenn ein Investor noch nicht weiß wer oder wie ein Objekt später genutzt werden wird). Trotzdem wird nun eine Planung mit Auswirkung auf den Gebäudebetrieb besser möglich. Demnach

Abb. 3 Aufwand im Projektverlauf. (Quelle: BBSR 2011, S. 24)

Digitales Planen und Bauen

361

leistungen bei gleichzeitiger Vernetzung der Produkte und Dienste über das Internet (vgl. Sendler et al. 2013, S. 1). Aus den Definitionen ist zu erkennen, dass das Innovationspotenzial insbesondere auch durch die Vernetzung menschlicher und maschineller Akteure entsteht. Auch in Bauprojekten können daher durch Produktionsmethoden wie die Robotik neue Chancen und Potenziale erschlossen werden.

1.1.1

Abb. 4 Typische Kostenverteilung der Lebenszykluskosten. (Quelle: In Anlehnung an Gantenbein (2003), S. 91)

werden im Idealfall die Kosten über die Projektzeit bis hin zur Nutzungsphase minimiert, und je früher diese Aspekte eingebracht werden, umso mehr Zeit bleibt für die Optimierung und zur Identifizierung weiterer Kostensenkungspotenziale (Abb. 4). Über die oben beschriebenen Optimierungen hinaus können aber auch weitere Ansätze angedacht werden. Die bloße Verfügbarkeit von Informationen reicht nicht aus, um Innovationspotenziale aus den komplexen Planungs- und Bauprozessen vollständig zu erschließen. Die Verknüpfung des Bauwerksmodelles mit automatisierten Produktionsmethoden kann ein weiterer Schritt sein und den Weg in eine digitale Produktion aufzeigen, in anderen Industrien auch häufig als 4. Industrielle Revolution, Industrie 4.0, oder ähnlich bezeichnet. Roth (2016, S. 5) beschreibt Industrie 4.0 als die digitale Vernetzung aller menschlichen und maschinellen Akteure um mit intelligenten Produkten und Dienstleistungen den Kundennutzen zu optimieren (vgl. Roth 2016, S. 6). Sendler et al. (2013, S. 1) definieren Industrie 4.0 als die vollständige digitale Durchdringung einer Industrie, ihrer Produkte und Dienst-

Anwendungsmöglichkeiten der Digitalisierung der Bauwertschöpfungskette Aufbauend auf der Modellierung des Bauwerkes können ganz unterschiedliche, zusätzliche Anwendungsmöglichkeiten der Digitalisierung im Bauwerkslebenszyklus realisiert werden. Es gibt dabei recht unterschiedliche Definitionen von sogenannten Anwendungsfällen. Einige Anwendungsfälle wurden dabei schon vor einiger Zeit z. B. von der Penn State University aufgestellt und den einzelnen Phasen der Bauwertschöpfungskette zugeordnet, welches eine sehr übersichtliche Darstellung ermöglicht. In der nachfolgenden Abb. 5 sind in Anlehnung an die von der Penn State University entwickelten prinzipiellen Anwendungsfälle einige beispielhaft dargestellt. Die fett markierten Anwendungsfälle stellen dabei die vielleicht zur Zeit relevantesten Anwendungsfälle dar. Zur Überprüfung der Planung können z. B. Kollisionskontrollen und Model Checks eingesetzt werden. Bei den Kollisionskontrollen lassen sich etwa geometrische Kollisionen verschiedener Fachplanungen identifizieren und in der Folge dann beheben. Bei Anwendung von Model Checks können Inkonsistenzen im aktuellen Planungsstand systematisch erkannt werden. Diese Prüfungen orientieren sich an den zuvor festgelegten Anforderungen und werden üblicherweise periodisch vorgenommen. Damit kann die Qualität der Planung besser geprüft und sichergestellt werden. Während der Bauausführung können die ausführenden Unternehmen z. B. ihre Bauablaufplanung auf der Informationsbasis des Bauwerksmodells aufsetzen und den Fortschritt des Projektes anhand von Fertigstellungsmeldungen oder Abnahmeprotokollen am Bauwerksmodell berich-

362

Initiierung

A. Malkwitz und D. Schlüter

Planung

Bau

Betrieb

Modellierung örtlicher Gegebenheiten Kostenkalkulation Projektfortschrittskontrolle Kostenkontrolle Informationsbedarfe Nutzer … Energieverbrauchsbetrachtung Montageplanung Nachhaltigkeitsbewertung Massenermittlung und LV Erstellung Kollisionskontrollen und Model Checks … Baustellendokumentation Bauablaufplanung 3D Bauüberwachung Supply Chain Überwachung Virtual Reality As-Built BIM Modell Planung von Wartungszyklen Monitoring …

Abb. 5 Prinzipielle Anwendungsmöglichkeiten. (Quelle: In Anlehnung an CIC Research Group, Penn University, BIM Project Planning Execution Guide, 2010, S. 9)

ten. Durch die konsequente digitale Erfassung und Dokumentation des Baufortschritts entsteht am Ende der Bauausführung das As-Built Bauwerksmodell. Hierin ist nun idealtypisch die tatsächlich realisierte Bauausführung dokumentiert, so dass ein detaillierter Informationsstand für das Facility Management bzw. den Gebäudebetrieb vorliegt, mit dessen Hilfe z. B. Wartungszyklen geplant werden können oder Energieverbräuche optimiert und überwacht werden können. Auch ein Kostencontrolling kann verbunden mit dem Bauwerksmodell aufgesetzt werden. Bauwerkslebenszyklus umfassend bietet diese Methode auch die Möglichkeit, Auswirkungen planerischer Entscheidungen auf die Baukosten transparent werden zu lassen. Für die Phase der Projektabwicklung ist zudem ein integriertes Terminmanagement relevant, da durch Verknüpfung des BIM Modells mit der Terminplanung Auswirkungen von Entscheidungen auf die Ausführungstermine sichtbar werden. Durch die Methode der digitalen Modellerzeugung werden also eine Reihe von Anwendungen ermöglicht, die je Projekt unterschiedlich ausgewählt werden können, je nachdem mit welchen Anwendungen ein zusätzlicher Nutzen im Bauwerkslebenszyklus realisiert werden kann.

1.1.2

Einflüsse der Digitalisierung auf die Projektkultur Der gemeinschaftliche Projekterfolg soll als das zentrale Ziel sämtlicher Projektbeteiligten verstanden werden, worauf sich alle physischen und virtuellen Prozesse ausrichten sollen. Eine solche Vorgehensweise wird sinngemäß in der Literatur als Kollaboration bezeichnet (vgl. Leimeister 2014, S. 6). Die kooperative Arbeitsweise stellt in der alltäglichen Arbeit eine gänzlich veränderte Zusammenarbeit dar, kann doch nicht mehr relativ unabhängig voneinander am Projekt gearbeitet werden, sondern es wird eine kontinuierliche Offenlegung und Prüfung des eigenen Arbeitsstandes erforderlich werden (Abb. 6). Außerdem ist die heutige Projektabwicklung doch häufig von Konflikten und unterschiedlichen Interessen geprägt. Traditionelle Projektprozesse gehen eher von einer sequenziellen und getrennten Bearbeitung aus, jetzt werden im Rahmen einer kontinuierlichen Planungsüberprüfung in festen Rhythmen die aktuellen Planungsstände kontinuierlich überprüft und dann nach Feedback weiterentwickelt. Die Anwendung von digitalen Methoden wirkt sich auch auf die Art und Weise des Informationsaustausches im Projekt aus (Abb. 7). Heute wer-

Digitales Planen und Bauen

363

Kommunikation

Kritikfähigkeit

Zuverlässigkeit

Kompromissbereitschaft

Verantwortungsbewusstsein

Öffentliche und private Auftraggeber

Architekten

Projektmanager

Tragwerks -planer

Bauunternehmen

Eigene Ziele an gemeinsamen Zielen ausrichten

Transparenz

BIM

Vertrauen TGA Planer

Digitale Kompetenzen Nachunternehmer …

Betreiber



Abb. 6 Voraussetzungen einer kooperativen Zusammenarbeit. (Quelle: M+P, in ITGA 2017, S. 20)

den Projektinformationen und Pläne zwischen ausführenden Unternehmen und den anderen Projektbeteiligten oft noch per Mail oder über zentrale Projektplattformen (meist als pdf oder CAD Dateien) ausgetauscht. Bei der Arbeit mit Bauwerksmodellen werden Informationen und Daten des Bauwerksmodelles „zentralisiert herunterund hochgeladen“. Durch die Bearbeitung des Modelles erweitern sie den Informationsstand im Bauwerksmodell. Damit der Datenaustausch funktioniert, muss jedoch die Beschaffenheit der Daten diesen Austausch zulassen. Die Gebäudemodelle werden aber nicht nur während der Planungsphase fortgeschrieben. Erst konsistente, über sämtliche Projektphasen fortgeschriebene Informationen im Gebäudemodell ermöglichen eine detaillierte Datenbereitstellung für die nachfolgenden Phasen im gesamten Lebenszyklus eines Bauwerkes.

Durch die Übergabe des bzw. der Gebäudemodelle am Ende der Projektabwicklung an den Auftraggeber bekommt dieser ein Informationsmodell, welches das Bauwerk dokumentiert (wobei heute und sicher auch noch in einiger Zukunft nur ein Teil der Bauwerkinformationen vollständig im Gebäudemodell enthalten sein wird) und es wird ihm ermöglicht, die Informationen aus der Bauphase auch in der Betriebsphase zu nutzen. Besonders profitieren kann davon auch das Facility Management, denn zur effizienten Nutzung einer Immobilie ist eine kontinuierliche Dokumentation von Gebäudedaten unabdinglich (vgl. Malkwitz et al. 2016, S. 102, 103). Heutzutage liegen den Gebäudeeigentümern bzw. -nutzern häufig nur unvollständige Unterlagen vor, welche die Immobilie nicht in 100 % richtiger Form abbilden (vgl. Malkwitz und Schneider 2016, S. 92 ff.).

A. Malkwitz und D. Schlüter

Semantisches Modell

Modellierung

364

Mit BIM Software werden separate Modelle erzeugt, diese als Datei gespeichert und per E-Mail verschickt

Mit BIM Software werden separate Modelle erzeugt und diese als Datei in einer zentralen Datenbank abgelegt

Zentrale 3D Gebäudemodellverwaltung durch BIM Software

zukünftig

2D-Zeichnung

heute 2D-Pläne werden per E-Mail ausgetauscht

2D-Pläne werden als Datei in einer zentralen Datenbank abgelegt

Dateibasierter Datenaustausch

Zentralisierte Datenverwaltung

Zentralisierte Modellverwaltung

Datenaustausch Abb. 7 Aktuelle und zukünftige Form des Informationsaustausches. (Quelle: In Anlehnung an Borrmann 2012)

2

Digitale Modellierung

2.1

Fachmodelle und Modellelemente

Die digitale Modellierung des Bauwerks erfolgt wie heute auch, durch Architekten und Fachplaner. Dabei arbeiten die Architekten und Fachplaner aber nicht an einem einzigen Bauwerksmodell oder an einer einzigen Datei. Vielmehr werden verschiedene Modelle erstellt. So erstellt jeder Fachplaner ein eigenes Modell seines Gewerkes. Diese Modelle werden Fachmodelle genannt. Als wesentliche Fachmodelle gibt es unter anderem: • Architekturmodell • TGA (Technische Gebäudeausrüstung) Modelle bzw. Heizungs-, Sanitär-, Elektro-, . . . – modell • Tragwerksmodell • Bau- und Montagemodell • usw. Diese Modelle werden manchmal auch Bearbeitungsmodelle genannt. Daneben existieren

Auswertungsmodelle, an denen Analysen oder Bewertungen erarbeitet werden (BBSR 2013, S. 53). Zu bestimmten Zeitpunkten können z. B. verschiedene Fachmodelle integriert werden, um etwa zu bewerten, ob diese Fachmodelle überschneidungsfrei sind (siehe auch Abschn. 2.3 Koordinationsmodell) und zueinander passen. Die Erstellung der Fachmodelle erfolgt objektbasiert. Im Rahmen der Fachmodelle werden einzelne Bauteile oder Elemente als separate Modellelemente angelegt. Dies bedeutet, dass einzelne Bauelemente (z. B. eine Wand, eine Stütze, eine Tür etc.) als einzelne Modellelemente angelegt werden. Jedes Modellelement kann dann beliebig detailliert beschrieben werden und z. B. Geometrien, Material, Typ, sonstige Parameter, . . . dem Modellelement direkt zugeordnet werden. Damit sind alle Modelelemente genau definiert.

2.2

Fertigstellungsgrade/Level of Development

Um den jeweiligen Fertigstellungsgrad der Planung zu beschreiben, werden verschiedene Niveaus definiert, die eine Planung zu einem definierten Zeit-

Digitales Planen und Bauen

punkt im Projekt erreichen muss oder erreicht hat. Diese Niveaus werden international als Level of Detail oder auch als Level of Development (LOD) bezeichnet. In Deutschland scheint sich der Begriff Fertigstellungsgrad durchzusetzen. Dies bedeutet, dass abhängig von der Ausgestaltung des Modells und der Komplettheit der Informationen in diesem Modell ein spezifischer Planungsstand für ein Bauprojekt einen Level of Development erhält. Dazu gehören Informationen wie etwa die geometrischen Abmessungen, Detailgrad, Lage, Materialangaben, Schnittstellen, usw. Dabei hebt der Begriff Level of Detail auf den reinen geometrischen Detaillierungsgrad der Planung ab, während der Begriff Level of Development umfassender ist und den Entwicklungsstand der Planung insgesamt adressiert (also neben der reinen Detaillierung auch eine Bewertung des allgemeinen Qualitätsniveaus oder des Inhaltes der Planung). Da der reine Detaillierungsgrad nur ein Aspekt ist und für eine Beurteilung einer Planung meist nicht aussagefähig genug ist, sollte der Level of Development genutzt werden. Eine pragmatische Definition von Level of Development (LOD) ist vom American Institut of Architects (in BIM Forum, 2017, S. 7, Level of Development Specification, S. 8) schon ab 2008 entwickelt worden. Hierbei wird die Planung in die Level of Developments LOD 100 („. . . model element represented with a symbol or other generic representation . . .“) bis LOD 500 („. . . model element is a field verified representation . . .“) (BIM Forum, 2017, S. 9–10, Level of Development Specification, S. 8 ff.) unterschieden. Darauf aufbauend werden zur Zeit Systeme entwickelt, die zusätzliche Kriterien enthalten, wie etwa die Häufigkeit der bereits durchgeführten Model Checks/Kollisionsprüfungen, Grad der Verknüpfung mit Terminplanung oder der Kostenplanung, usw. Diese Systeme messen die Qualität der Planung genauer und können eine noch bessere Aussage über die Qualität der Planung erlauben, können auf der anderen Seite je nach Anzahl der weiteren Parameter aber auch recht aufwändig zu planen und nachzuhalten sein. Der Fertigstellungsgrad der Planung nimmt entlang des Projektfortschritts zu. Zur Planung des Projektfortschrittes werden die zu erreichenden Fertigstellungsgrade je Leistungsphase definiert. Dabei werden die Fertigstellungsgrade je Fachplanung

365

recht unterschiedlich im Projektverlauf entwickelt werden. Daher muss der Fertigstellungsgrad je Fachplanung separat eingeplant werden und danach ein gesamter und koordinierter Planungsterminplan erstellt werden (Abb. 8).

2.3

Koordinationsmodell

Die einzelnen Fachmodelle werden grundsätzlich unabhängig voneinander bearbeitet. Um aber eine Koordination der einzelnen Fachplanungen zu erreichen, müssen diese Planungen in gewissen Zeitabständen integriert werden. Um dies zu erreichen, werden üblicherweise die einzelnen Fachmodelle z. B. das Architekturmodell, das TGA Modell, . . . hochgeladen und in einem Modell integriert. Dieses Modell wird BIM Koordinationsmodell genannt (Abb. 9). Mit Hilfe dieses BIM Koordinationsmodells kann jetzt der kombinierte Planungsstand transparent dargestellt und bewertet werden. Insbesondere können so Inkonsistenzen zwischen den einzelnen Fachplanungen erkannt und identifiziert werden oder es können fehlende Planungsinformationen erkannt werden. Auf diesesr Basis kann dann auch eine softwaregestützte Qualitätsprüfung der Planung vorgenommen werden.

2.4

Austauschformate

Um das Koordinationsmodell fehlerfrei und ohne Datenverluste erzeugen zu können, sind Schnittstellen sowie Austauschdatenformate zu definieren, die von den Projektbeteiligten verbindlich genutzt werden. Denn ansonsten ist die Integration der Fachmodelle nicht möglich. Die Verknüpfung der Fachmodelle erfolgt daher über eine definierte Datenschnittstelle. Diese kann z. B. das IFC Format oder ein natives Softwareformat sein. Das Datenformat IFC wird schon seit vielen Jahren entwickelt und hat zum Ziel, die computer-interpretierbare Darstellung von Informationen im Bauwesen und im Facility Management zu schaffen und somit einen neutralen Mechanismus bereitzustellen, der in der Lage ist, Bauwerke und ähnliche Anlagen der bebauten Umgebung während ihres Lebenszyklus zu

366

Abb. 8 (Fortsetzung)

A. Malkwitz und D. Schlüter

Digitales Planen und Bauen

Abb. 8 (Fortsetzung)

367

368

A. Malkwitz und D. Schlüter

Abb. 8 Fertigstellungsgrade von Fachmodellen im Vergleich zu Zeichnungsmaßstäben. (Quelle: BBSR BIM Leitfaden für Deutschland 2013, S. 59–61)

beschreiben (vgl. DIN EN ISO 16739 2013, S. 5). Die Beschreibung erfolgt anhand des IFCDatenschemas, wodurch Daten nach einem genau festgelegten Muster aufbereitet und gespeichert

werden. Die Erarbeitung der unterschiedlichen Schemata basiert auf dem vom buildingSMART entwickelten Industriestandard IFC mit der derzeit aktuellsten Version IFC4 (vgl. DIN EN ISO

Digitales Planen und Bauen

369

Abb. 9 Bauwerksmodelle und das BIM Koordinationsmodell. (Quelle: Malkwitz 2016, S. 5)

16379). Hierdurch soll eine softwarebasierte Nutzung der Daten möglich werden. IFC ist somit eine Definitionssprache und definiert, in welchem Format Informationen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes verarbeitet, ausgetauscht und gespeichert werden. Durch die konsequente Anwendung können Informationen und Objekte in unterschiedlichen Softwareprogrammen bearbeitet werden und trotzdem ausgetauscht und weiterverarbeitet werden. Abgebildet werden können in IFC z. B. Informationen über Bauteile, Gebäudestrukturen (z. B. Fenster oder Wände) und zugehörige Eigenschaften oder Verbindungen zwischen Objekten. Ein Objekt wird in IFC schließlich identifiziert durch eine eindeutige ID (GUI – general unified Identification), einen Objekttyp oder zugehörige Attribute (z. B. Material, Farbe, Preis) und kann hierüber ausgetauscht werden. Zu Projektbeginn wird das Austauschformat festgelegt. Die definierten Schnittstellen zum Datenaustausch und die dabei einzuhaltenden Standards für das Gesamtprojekt sind klar zu definieren und mit allen Projektbeteiligten verbindlich zu vereinbaren.

3

Prozesse und Organisation im digitalen Planen und Bauen

3.1

Typische Prozesse während der Planungs- und Bauphase

Im Folgenden werden am Beispiel der Auftraggeber-Informations-Anforderungen und des BIM Abwicklungsplanes die typischen Planungsaufgaben in einem BIM Projekt beschrieben. Grundsätzlich werden natürlich die gleichen Prozesse abgearbeitet wie bei der klassischen Projektabwicklung, daher werden die spezifischen Prozesse anhand der Projektphasen veranschaulicht (Abb. 10). Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA’s) Der Auftraggeber beschreibt zu Projektbeginn seine Ziele, woraus sich die Anforderungen an das Projekt und den Informationsbedarf im Projekt ableiten. Diese Informationsanforderungen werden als Grundlage eines BIM-Projektes geschlossen dokumentiert und Auftraggeber-Informations-An-

Grundlagenermittlung

2

Vorplanung

3 Genehmigungsplanung

5 Ausführungsplanung

6 Vergabevorbereitung

7 Mitwirkung bei der Vergabe

Detaillierung gewerkespezifischer BAP

Erarbeitung zunehmender Fertigstellungsgrade in 3D Fachmodellen

Entwurfsplanung

4

Abb. 10 BIM Prozesse und Aufgaben entlang der Projektphasen. (Quelle: in Anlehnung an ITGA 2017, S. 53)

ausführende Unternehmen

Definition AIA und BAP

Planer

1

Projektphasen 8

Objektbetreuung

As-Built Modell

Bauausführung

Montageplanung in Fachmodellen

Objektüberwachung

9

370 A. Malkwitz und D. Schlüter

Digitales Planen und Bauen

forderungen oder abgekürzt AIAs (aus dem engl. Employer’s Information Requirements, EIR) genannt. Die Auftraggeber-Informations-Anforderungen sollen zunächst die übergeordneten Projektinformationen, wie z. B. die beabsichtigte Nutzung einer Immobilie oder einzuhaltende Standards enthalten. Der notwendige Fertigstellungsgrad in den Entwicklungsstufen der Fachmodelle und des BIM Koordinationsmodells wird ebenfalls i. d. R. beschrieben. Außerdem spezifiziert der Auftraggeber das BIM spezifische Anforderungsprofil für die Ausschreibung, z. B. in Form von zu verwendender Soft- und Hardware und benötigter Kompetenzen. Auftraggeber- Informations- Anforderungen definieren damit die technischen Modellfestlegungen, sowie die Rollen und Prozesse im Projekt (Abb. 11). Im Rahmen der aktuellen Standardisierungsarbeit können zukünftig Standardisierungen für die Inhalte und die Struktur von AuftraggeberInformations-Anforderungen erwartet werden z. B. durch das Blatt 10 der VDI Richtlinie 2552 „Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) und BIM Abwicklungspläne (BAP)“, oder z. B. durch den ISO Standard Information Delivery Manual (vgl. ISO 19650-2:2018).

Abb. 11 Exemplarischer Inhalt der Auftraggeber-Informations-Anforderungen. (Quelle: British Standards Institution (BSI) PAS 1192–2, 2013, S.10)

371

Die Auftraggeber-Informations-Anforderungen werden Teil der Ausschreibungsunterlagen und im Rahmen des Angebotsverfahrens müssen die ausführenden Unternehmen die spezifizierten Anforderungen anbieten. BIM Abwicklungsplan (BAP) Nachdem die Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIAs) die Informationsanforderungen an das Projekt definieren wird nun auf dieser Basis die konkrete Abwicklung des BIM Projektes geplant. Diese Planung wird im sogenannten BIM Abwicklungsplan (BAP) dokumentiert. Fraglich ist dabei was in einem solchem BIM Abwicklungsplan inhaltlich enthalten sein sollte. Dabei liegen erste Strukturierungen – so etwa von der Penn University (Penn, 2010) bereits mehr als 10 Jahre zurück und haben auch schon Eingang zum Beispiel in die englische Norm PAS1192 gefunden. Daneben wird seit einigen Jahren auch in Deutschland im rahmen der Normierungs- und Standardisierungsarbeit an einer standardisierten Beschreibung des BIM Abwicklungsplanes gearbeitet. So etwa im Rahmen der DIN Norm 19650 oder auch im Rahmen von Blatt 10 der VDI Richtlinie 2552. Danach sind neben allgemeinen Projektinformationen zunächst die Ziele der Anwendung der Methode BIM klar zu beschrieben und vor allem auch, welchen Nutzen die Anwendung der BIM Methode erbringen soll. Dies ist auch aus Sicht der Autoren wichtig, damit alle sich klar sind warum die Methode BIM hier angewendet wird und wie sie ausgestaltet werden muss, um den angestrebten Nutzen erreichen zu können. Damit wird auch allen Beteiligten klar, dass die Anwendung der Methode BIM keinen Selbstzweck darstellt (Abb. 12). Wichtiger Teil des BIM Abwicklungsplanes ist die Beschreibung des zu erarbeitenden Bauwerksmodelles. Dazu gehören die Vorgabe welche Fachmodelle mit welchen Inhalten zu modellieren sind, welche Dateiformate zu verwenden sind, wie das Koordinationsmodell gestaltet wird und alle weitere Informationen die zur Erstellung notwendig sind. Zusätzlich zu der reinen Beschreibung des Bauwerksmodelles werden alle Prozessschritte beschrieben, die zur Entwicklung und Entstehung des Bauwerksmodelles notwendig und von den Beteiligten einzuhalten sind. Dazu gehört auch

372

A. Malkwitz und D. Schlüter

Abb. 12 Exemplarischer Inhalt eines BIM Abwicklungsplans. (Quelle: In Anlehnung an British Standards Institution 2013 und CIC Research Group 2010)

wer welche Verantwortlichkeit im Rahmen der einzelnen Prozessschritte übernimmt. Dazu gehören etwa die Prozessschritte der Modellierung, der Prüfung der Fachmodelle, das Zusammenführen der Fachmodelle zu Koordinationsmodellen, die Ausführung von Kollisionsprüfungen und weiteres. Da konsistente Datenaustauschformate für einen erfolgreichen Ablauf der Prozesse essentiell sind, müssen auch diese konkret definiert werden und von allen Beteiligten genutzt und verwendet werden, da ansonsten die Integration der verschiedenen Fachmodelle nicht oder nur fehlerhaft gelingt. Diese Strukturen stellen dabei nur einen Rahmen dar und können natürlich im konkreten Projekt adaptiert werden. Weitere Inhalte könne natürlich projektspezifisch ergänzt werden. Im BIM Abwicklungsplan müssen alle Regelungen enthalten sein, die notwendig sind, um das Projekt mit der Methode BIM abwickeln zu können.

3.2

Typische Projektorganisation sowie Rollen und Verantwortlichkeiten während der Planungs- und Bauphase

In einem BIM Projekt werden neben den klassischen Rollen, oft zusätzlich die Rollen des BIM

Managers und der BIM Koordinatoren eingeplant (Abb. 13). Rolle und Verantwortlichkeit des BIM Managers Die Rolle des BIM Managers bezieht sich in der Vorbereitungsphase auf die konkrete Planung von einzusetzender Soft- und Hardware im Projekt sowie das Aufsetzen des gesamten BIM Abwicklungsprozess inkl. Meilensteinen, Prozessschritten, Verantwortlichkeiten sowie des In- und Outputs je Prozessschritt. Die Prozessplanung ist dabei abhängig von den konkreten BIM Anwendungsfällen. In der Ausführungsphase muss der BIM Manager einen reibungslosen Informationsfluss zwischen den unterschiedlichen Beteiligten im Projekt sicherstellen. Er muss dabei auch sicherstellen, dass alle Daten zwischen den einzelnen Fachmodellen verlustfrei transferiert und in das Koordinationsmodell integriert werden. Während der Projektdurchführung stellt der BIM Manager durch kontinuierliche Daten- und Qualitätsprüfung den Status der erbrachten Arbeitsergebnisse fest und vergleicht diesen mit den im BIM Abwicklungsplan festgelegten zu erreichenden Arbeitsergebnissen. Die BIM Koordinatoren der ausführenden Unternehmen werden vom BIM Manager während der gesamten Projektlaufzeit koordiniert.

Digitales Planen und Bauen

373

Auftraggeber

BIM Manager

Projektsteuerung/Architekt

Planer

DatenAnforderung Überprüfung, Sicherstellung, …

Bauwerksmodell

Auftragnehmer Erstellung Planung, Daten, …

BIM Fachplanung Koordinator Rohbau

Fachplanung …

BIM Koordinator

Ausführung Rohbau

BIM Koordinator

Ausführung …

BIM Koordinator

Abb. 13 Exemplarischer Organisationsaufbau im BIM Projekt. (Quelle: M+P, in ITGA 2017, S. 51)

Rolle und Verantwortlichkeit der BIM Koordinatoren Die BIM Koordinatoren sind auf Seiten der jeweiligen Fachplaner und ausführenden Unternehmen organisiert. BIM Koordinatoren prüfen zum Beispiel im Rahmen der Eigenüberwachung den eigenen Planungsstand hinsichtlich der Korrektheit der Datenformate, der Vollständigkeit der Informationen sowie des erreichten Fertigstellungsgrades. Die Sicherstellung aller Modellvoraussetzungen für einen fehlerfreien Datenaustausch und der verlustfreien und richtigen Übertragbarkeit der Daten in das Koordinationsmodell ist ebenfalls sicher zu stellen. Außerdem müssen die genutzten BIM Softwareprodukte betreut werden und die Verfügbarkeit der Software und Datenübertragung gewährleistet werden.

4

Modellqualitäten

4.1

Konsistenz der Datengrundlage

Ein wichtiger Prozess ist die Koordination der Entwicklung der einzelnen Fachmodelle, deren Integration in das Koordinationsmodell und die Sicherstellung der vereinbarten Modellqualitäten entlang der Projektlaufzeit. Prinzipiell kann der Datenfluss von Projektinformationen in 3 Schritte unterteilt werden. Im

ersten Schritt werden Daten erzeugt, z. B. durch die Erstellung von Fachmodellen, Attributierung von Fachmodellen aber auch von Verträgen, Protokollen oder Terminplänen. Im zweiten Schritt werden die Daten aufbereitet, in konventionell abgewickelten Projekten z. B. in Form von Excel Tabellen. Im dritten Schritt stehen die Daten schließlich zur Nutzung für den Anwender bereit, z. B. für das Berichtswesen oder die technische Dokumentation (vgl. Tulke und Schaper 2015, S. 237 ff.). Insbesondere bei Ausführung der Schritte 2 und 3 ist die richtige Formatierung für die Konsistenz der Daten im Rahmen der kooperativen Zusammenarbeit in Projekten entscheidend. Heute stehen die erzeugten Daten in verschiedenen Datenformaten für weitere projektspezifische Anforderungen zur Verfügung und sind so teilweise durch andere Software oder andere Nutzer nicht direkt nutzbar. So können z. B. beim Austausch der Daten zwischen Projektbeteiligten Kommunikationsprobleme und Informationsverluste entstehen. Eine durchgängige Datennutzbarkeit ist daher für die Realisierung von BIM Projekten der entscheidende Erfolgsfaktor. Daher müssen Daten so aufbereitet und konvertiert werden, dass diese durchgängig genutzt werden können. So sind z. B. Daten aus 3D gescannten Punktwolken zunächst in 3D BIM Objekte umzuwandeln, bevor sie z. B. im Architekturmodell genutzt werden können. Durch diese Aufbereitung der Daten stehen diese dann auch für andere Nutzer

374

A. Malkwitz und D. Schlüter

zur Verfügung. Daher müssen am Projektbeginn Konventionen vereinbart werden, in welchen Formaten Daten erzeugt und verarbeitet werden. Diese Konventionen werden idealerweise vollumfänglich in den Auftraggeber-Informations-Anforderungen definiert. In den nachfolgenden Anwendungsfällen werden dann nur die aufbereiteten Daten weiterverarbeitet und die ursprünglichen Daten nur noch bei Bedarf abgerufen. Durch diese Arbeitsweise entsteht eine Datenkonsistenz entlang des gesamten Bauwerkslebenszykluses, welche auch sicherstellt, dass keine Informationen oder Daten verloren gehen und wieder neu erarbeitet werden müssen. Hierbei wird sich auch eine verbesserte Informationsqualität einstellen.

4.2

Kollisionsprüfungen und regelbasierte Qualitätsprüfung der Planung

Sind die erzeugten Daten und Fachmodelle konsistent, können damit Qualitätsprüfungen der Modelle vorgenommen werden. Um kontinuierlich die Qualität der Modelle nachzuverfolgen und frühzeitig Maßnahmen bei Qualitätsproblemen ergreifen zu können, werden in BIM Projekten üblicherweise kontinuierlich Validierungsprozesse durchlaufen. Neben Qualitätsmängeln in den einzelnen Fachmodellen können auch Planungskoordinierungsfehler in einem möglichst frühen Projektstadium erkannt werden. Abb. 14 Realisierter Kollisionspunkt. (Quelle: Schaper und Tulke 2015, S. 433)

Kollisionsprüfungen Dazu können sogenannte Kollisionsprüfungen (engl. Clash detection) durchgeführt werden. Im Rahmen einer Kollisionskontrolle werden die Geometrien der einzelnen 3D Fachmodelle zueinander geprüft, d. h. es wird geprüft ob die Fachmodelle geometrisch zueinanderpassen. Dazu werden die Fachmodelle im BIM Koordinationsmodell zusammengeführt und es werden diejenigen Bereiche ermittelt, in denen Kollisionen verschiedener Planungen auftreten. Zur Integration werden spezifische Softwareanwendungen herangezogen, die auf Basis einer einheitlichen Identifikationsstruktur der Bauteile computerbasiert Kollisionen feststellen. In der nachfolgenden Grafik ist das Ergebnis einer Kollision von zwei Baukörpern dargestellt (Abb. 14). Damit die einzelnen Fachmodelle zusammengeführt werden können, sind einige Anforderungen sicherzustellen. Zu diesen Anforderungen gehören z. B. die Ausrichtung aller Fachmodelle an einem einheitlichen Koordinatensystem, die Verwendung einheitlicher Maßeinheiten und die Ableitung einzelner Fachmodelle auf Basis des Architekten-Basismodells. Ebenso sollten Objekte und Attribute einheitlich benannt werden, um die geplante Informationsverkettung der Modelle zu gewährleisten. Dies gilt sowohl für die Benennung einzelner Bauteile, als auch für die Definition von Kategorien und Klassen. So können je nach Software

Digitales Planen und Bauen

375

Sonderzeichen oder Umlaute eine falsche Sortierung bewirken oder der automatischen Verknüpfung mehrerer Daten entgegenstehen. Die Fachmodelle werden anschließend im Koordinationsmodell integriert und eine Kollisionsprüfung durchgeführt. Die Kommunikation des Ergebnisses erfolgt in einem Ergebnisbericht der Kollisionsprüfung, häufig auch als Clash Report bezeichnet. In nachfolgenden Besprechungen mit den jeweils an einer Kollision Beteiligten wird dann die weitere Bearbeitung der einzelnen Kollision besprochen und verbindlich vereinbart. Dadurch können Kollisionen bereits im Planungsstadium gelöst werden und die Planungen sind bereits früher besser abgestimmt. Alle Fachplaner erhalten dabei auch einen Überblick welche Schnittstellen und Zwangspunkte in der eigenen Planung vorliegen. Die Kollisionsprüfung kann

anschließend in einem bestimmten Zeitabstand wiederholt werden, idealerweise so lange, bis eine fehlerfreie Modellprüfung erfolgt. Model checks Neben der reinen Kollisionsprüfung können auch regelbasierte Prüfungen durchgeführt werden, sogenannte Model checks. Hierzu können Planungsregeln in einer computerauswertbaren Form angelegt werden, wie z. B. Brandschutzvorgaben, Fluchtwegbreiten und -längen, . . .. Es sind am Markt spezifische Softwarelösungen vorhanden, die spezielle Model Checks ermöglichen. Die softwarebasierte Prüfung ermöglicht eine automatisierte Überprüfung der Planungsregeln. Durch Soll/Ist Vergleiche erstellt die Software anschließend eine Übersicht der Modellelemente, bei denen die definierten Regeln nicht eingehalten wurden (Abb. 15).

OSHA/Best Practices

Rule

Table-based Parameters

Natural Language Rules

Parameterized Rules

(1) Rule Interpretation Logic-based mapping.

Mapping

(3) Rule Execution Automation and customization.

Model

Building Model

(2) BIM Model Preparation Geometry, name, type, attributes, etc.

(4) Rule Checking Report Mapping

Platform

BIM Tools

Graphical reporting, solution table, Q.T.O., etc.

IFC Tools

Revit, Navisworks, Tekla CM

Solibri Model Checker

(5) Corrective Actions

Communication

Visualization, Work Task Assignments, Installation and Removal, etc.

Field

Protective Safety Equipment

Abb. 15 Exemplarischer Ablauf einer Model check Prüfung. (Quelle: Zhang et al. 2013, S. 189)

376

A. Malkwitz und D. Schlüter

Wie bei der Entflechtung der geometrischen Kollisionen können auch nach einem Model check Lösungen für die aufgetretenen Regelverletzungen bearbeitet werden. Dadurch ist eine Erhöhung der Planungsqualität in frühen Projektphasen möglich. Anschließend wird die Planung in den Fachmodellen überarbeitet und kann dann zum erneuten Model check hochgeladen werden.

4.3

Fortschreibung in der Bauphase und Erstellung der As-Built Dokumentation

Nach der Planungsphase kann das Bauwerksmodell auch in den Folgephasen genutzt werden. In der Bauausführung können die ausführenden Unternehmen das BIM Modell für die Erstellung ihrer Arbeitsvorbereitung und Ablaufplanung bzw. Montageplanung nutzen. Es ist auch möglich, ganz herkömmliche 2D Zeichnungen aus dem 3D Modell zu erzeugen, um so z. B. die bisher üblichen Plandokumente für die Ausführung bereit zu stellen. Die Auswirkungen von Planungsänderungen können durch Verknüpfung des Bauwerksmodells, z. B. mit einer Terminplanungssoftware, analysiert werden und somit als gemeinsame Entscheidungsgrundlage der weiteren Bauablaufplanung für Auftraggeber und ausführende Unternehmen dienen. Änderungen werden durch Fortschreibung der Revisionsstände am Bauwerksmodell dokumentiert. Durch die digitale Erfassung und Dokumentation des Planungsstandes existiert bei Projektende das As-Built Modell bzw. die As-Built Projektdokumentation Dieses As-Built Modell liefert schließlich einen detaillierten Informationsstand über das Gebäude und kann im Facility Management des Bauherren oder späterer Nutzer verwendet werden.

4.4

Fortschreibung und Nutzung in der Betriebsphase

Prinzipiell stellt für den Auftraggeber die vollständige, digitalisierte As-Built Dokumentation

einen großen Mehrwert für die anschließende Betriebsphase dar, z. B. um Daten aus der Projektphase konsistent in Facility Management Software zu integrieren und so weiterzuverwenden. Dem Facility Management stehen dabei zwei grundsätzliche Möglichkeiten der Modellpflege zur Verfügung. Erstere besteht in der Nutzung des As-Built Modells während der Betriebsphase des Gebäudes, was allerdings aufgrund der enormen Datenmenge unvorteilhaft sein kann. Das Gebäudemodell umfasst viele Daten, die primär für die Erstellung des Bauwerkes wichtig sind, für die Betriebsphase jedoch nur von sekundärer Bedeutung sind. Deshalb kann es, zweitens, sinnvoll sein, aus den Daten ein separates Lebenszyklus-Modell zu entwickeln, welches lediglich die für den Betrieb relevanten Daten beinhaltet. Beispielsweise könnten Daten zur Bewehrung oder zum Bodenaufbau nicht mit in das Lebenszyklus-Modell übernommen werden, wo hingegen Daten zu den verbauten Rohrleitungen und verlegten Kabeln eine Rolle spielen können, z. B. bei vorausschauenden Wartungsarbeiten. Es können ebenfalls Lebenszyklus-Teilmodelle einzelner Geschossebenen und separater Gebäudeteile erstellt werden, falls weitere Flexibilität erwünscht ist oder Aufgaben im Facility Management unterteilt werden sollen. Die darin bereitgestellten Informationen können dann dem Facility Management übergeben werden, bzw. es besteht die Möglichkeit die Informationen in eine CAFM Software (Computer-Aided Facility Management) zu integrieren. Als wesentliche Vorteile sehen Facility Manager einen vereinfachten Datentransfer von der Bauausführung in die Betriebsphase, einen optimierten Informationsfluss für das CAFM und eine einfache Möglichkeit Informationen aus der CAFM Software modellorientiert zu visualisieren (Malkwitz et al. 2016, S. 54). Darüber hinaus werden Bauteile, z. B. Fenster oder Wände, in das CAFM System übertragen und dort um weitere Informationen, wie z. B. Wartungszyklen, erweitert (vgl. Malkwitz et al. 2016, S. 55). Durch die Nutzung und konsequente Erweiterung der Informationen in der Betriebsphase werden jedoch auch erhöhte Anforderungen an das weitere Informationsmanagement

Digitales Planen und Bauen

gestellt, denn der Informationszuwachs ist in aller Regel während der Betriebsphase eines Bauwerkes am höchsten.

5

Kosten

5.1

Modellbasierte Massenermittlung

Wesentliche Steuerungsgröße im Projektmanagement sind die Kosten eines Bauwerkes. Auch Kostenwerte können in einem Bauwerksmodell als Attribute zugefügt werden und damit einzelne Modellelemente und zusammengefasst ganze Projekte kostenmäßig erfasst, bewertet und gesteuert werden. Im Prinzip spielt es für ein Bauwerksmodell keine Rolle, ob die einem Modellelement zugefügten Daten geometrischer Natur, Materialkennwerte oder ähnliches oder Kosteninformationen enthält. In frühen Phasen eines Projektes werden üblicherweise zunächst Kostenrahmen und Kostenschätzungen (gem. DIN 276) erarbeitet, die auf Basis genereller Bauwerksparameter (z. B. umbauter Raum) vorgenommen werden. In späteren Phasen erfolgt die Berechnung und Ermittlung der Kosten mithilfe der Bauwerksmassen und der zugehörigen kalkulierten bzw. später verhandelten oder abgerechneten Einheitspreise. Daher sind hierbei zunächst die kostenrelevanten Massen zu ermitteln. Nun zeigt sich der Vorteil der modellbasierten Arbeitsweise, da die Massen der Modellelemente bzw. des Bauwerkes im Modell bereits hinterlegt sind. So können aus dem Bauwerksmodell heraus die tatsächlichen Massen je Modellelement für die Kostenermittlung genutzt werden. Vorteil des Modells ist es dabei, dass exakt die Massen berechnet werden die das Modell darstellt, d. h. spekulative Massenansätze, die in Leistungsverzeichnissen vorkommen, gibt es nicht. Es gibt auch keine doppelten Ansätze oder keine fehlenden Ansätze mehr. Auch Massendifferenzen zwischen einem Leistungsverzeichnis und dem aktuellen Planstand sind nicht mehr möglich. Allerdings muss beachtet werden, dass die vom Modell zunächst berechneten tatsächlichen Massen nicht unbedingt für die Kosten relevant sind. Sofern

377

etwa die VOB/B und VOB/C vereinbart ist, weichen die Massen, die zur Abrechnung von Bauleistungen genutzt werden und damit für die Kostenermittlung genutzt werden, von den tatsächlichen Massen oft ab (z. B. durch Regeln für Abzugsflächen, Übermessungen o. ä.). Derartige Regeln sind idealerweise ebenfalls zu Beginn eines BIM Projektes als Berechnungsvorschrift anzulegen, so dass die Software neben den tatsächlichen Massen auch die Abrechnungsmassen je Modellelement ermitteln kann. Es sind in einem solchen Fall also verschiedene Massenansätze pro Modellelemente zu hinterlegen. In aller Regel werden die Mengenlisten als Datei gespeichert und können dann in AVA Programmen weiterverwendet werden.

5.2

Modellbasierte Kostenermittlung

Die Verknüpfung der Bauteilmassen aus den jeweiligen Fachmodellen mit den Kostenkennwerten ermöglicht anschließend das modellbasierte Kostenmanagement. Durch die Attributierung des Bauwerksmodells mit „Kosten“ ist es möglich das Bauwerksmodell mit Kostenkennwerten zu verknüpfen und damit eine Kostenermittlung für die mit Kostenparameter hinterlegten Bauwerksteile aufzustellen. Je nach System werden die kostenspezifischen Attribute entweder direkt im Bauwerksmodell oder in einer separaten AVA (Ausschreibung, Vergabe, Abrechnung) Software als Kalkulationsoder Aufwandswerte hinterlegt und dann den entsprechenden Modellelementen zugewiesen. Die Verknüpfung zwischen der BIM Software und der AVA Software kann dabei z. B. durch die IFC Schnittstelle erfolgen. Durch die Verknüpfung werden dabei immer die Kosten für den aktuellen Planungsstand automatisch ermittelt. Dabei werden sich die Kosten automatisch ändern, wenn sich z. B. das Modell und die Massen ändern. Ändert zum Beispiel ein Planer die Deckenstärke einer Geschossdecke, ändern sich automatisch auch die zugehörigen Kosten und die kostenmäßigen Auswirkungen von Planungsänderungen können sofort transparent dokumentiert werden.

378

A. Malkwitz und D. Schlüter

Wird das Bauwerksmodell bereits in einem frühen Projektstadium mit Kostenkennwerten verbunden hat dies viele Vorteile. So wird es möglich, z. B. unterschiedliche Ausführungsoder Ausschreibungsvarianten kostenmäßig zu bewerten. Durch eine von Projektbeginn an kontinuierliche Fortschreibung der tatsächlich erbrachten Mengen und der tatsächlichen Vergabepreise können die Soll-Vorgaben aus der Kalkulation mit den Ist-Werten der Bauausführung abgeglichen und anschließend Projektkosten verfolgt werden. Ebenfalls sind Kostenprognosen in Verbindung mit Planungsänderungen schnell und transparent darstellbar. Dazu können Kostenkennwerte vorab als Schwellenwerte definiert werden, bei deren Überschreitung eine Warnmeldung gegeben wird. Somit können kalkulierte Kosten mit den tatsächlichen Budgets verglichen werden. Durch die Soll-Ist Vergleiche haben sowohl die Auftraggeber als auch die ausführenden Unternehmen eine transparente Information, wann welche Ansätze geändert wurden und wer dies geändert hat. Damit können Konflikte während der Projektabwicklung leichter faktenbasiert analysiert und beigelegt werden. Diese Kostenattribute können auch genutzt werden, um für die Leistungserbringer eine automatisierte Abrechnung zu erstellen, insbesondere sofern Einheitspreisverträge abgeschlossen wurden. Dazu wird die Verknüpfung zwischen dem Bauwerksmodell und der AVA Software um Kostenkennwerte bzw. um die mit dem Bauunternehmen vereinbarten Preise erweitert und somit eine echtzeitnahe Projektdokumentation als Abrechnungsbasis geschaffen. Das modellbasierte Kostenmanagement befindet sich zur Zeit noch in der Entwicklung und ist noch nicht umfänglich eingeführt. Es wird sich in der nächsten Zeit zeigen, inwieweit die Systeme weiterentwickelt werden und wie die Systeme letztendlich realisiert und im Projekt genutzt werden.

6

Termine

In einem Bauwerksmodell können auch Termininformationen mit den Modellelementen verknüpft werden. Werden Ausführungsdauern und

die technische Arbeitsabfolge, also die Anordnungsbeziehungen den Modellelementen hinzugefügt, entsteht ein modellbasierter Terminplan. Hierzu ist das Bauwerksmodell mit Daten der Terminplanung anzureichern bzw. mit der verwendeten Terminplanungssoftware zu verknüpfen. Dabei sollte sich die Struktur der Terminplanung an der Modellierungsstruktur der Bauwerksmodelle orientieren. Dies erscheint auf den ersten Blick vielleicht einfach und direkt implementierbar, allerdings sind einige Besonderheiten zu beachten. Schon Tulke (2010) hat gezeigt, welche Einzelprobleme bei der Einplanung der Termine in ein Bauwerksmodell beachtet werden müssen, um einen belastbaren Terminplan zu erhalten. Bestimmung der Vorgangsdauern Während am Anfang eines Projektes die Terminabfolge des Projektes nur sehr grob abgeschätzt wird, werden die Terminplanungen im Laufe des Projektes immer detaillierter. Dies wirkt sich auch auf die modellbasierte Ermittlung der Vorgangsdauern aus. Am Anfang werden diese eher grob geschätzt werden also z. B. für den Rohbau, den Ausbau usw.) und erst später anhand von Massen und Aufwandswerten genauer geplant. Daher gibt es auch unterschiedliche Methoden diese im Bauwerksmodell zu integrieren. Die einfachste Methode ist, den Modellelementen eine auf Erfahrung beruhende oder separat berechnete Vorgangsdauer zuzuordnen. Liegen Bauwerksgeometrien vor, können Vorgangsdauern auch anhand grober geometrischer Informationen (z. B. Umbauter Raum, . . .) ermittelt und zugeordnet werden. Liegen schließlich Ausführungspläne vor, können Termine anhand von Bauteilmassen und Aufwandswerten den einzelnen Modellelementen zugeordnet werden. Hierbei kann das modellbasierte Arbeiten sicherlich den größten Vorteil erbringen (siehe auch Tulke 2010, S. 15) (Abb. 16). Verknüpfung von Bauwerksmodell und Terminplan Bei der Verknüpfung der Bauwerksmodelle mit der Terminplanung ist es am einfachsten, wenn die Modellelemente auch im Terminplan einzeln abgebildet werden. Allerdings ist dies nicht immer möglich, da die einzelnen Modellelemente meist einen

Digitales Planen und Bauen

379

Nutzen aus modellbasiertem Arbeiten

Methode

basierend auf

Ausgangsinformationen

A

Detailmengen

Bauteilmengen, detaillierte Aufwandswerte

B

Gebäudegeometrie

Gebäude- bzw. Raumkubaturen und -flächen, grobe Aufwandswerte

C

Kostenbudget

Kosten je Gewerk, Faktor für Personalanteil

D

Erfahrung

Projektbeschreibung, Visualisierungen

100%

0% Reifegrad der Planung

Abb. 16 Methoden zur Bestimmung der Vorgangsdauer, benötigte Ausgangsinformation und zugehörigen Nutzen modellbasierten Arbeitens. (Quelle: Tulke 2010, S. 17)

Abb. 17 Notwendigkeit von Objektteilung je nach Ausgangsgranularität und Anfrageziel. (Quelle: Tulke 2010, S. 24)

z. B. Wandobjekte

Modellteil der durch einen Terminplanvorgang adressiert wird

Teil eines Objektes adressiert

genau ein Objekt adressiert

mehrere Objekte adressiert

mehrere Objekte und Objektteile adressiert

Objektteilung erforderlich

sehr hohen Detaillierungsgrad darstellen. Es kann also vorkommen, dass mehrere Modellelemente in einem Terminplanungsvorgang abgebildet werden, zum Beispiel wenn die Ausführung der Betonarbeiten für ein Geschoß in einem Terminplanungsvorgang geplant wird. Auf der anderen Seite kann es auch vorkommen, dass ein Modellelement in mehreren Terminplanungsvorgängen abgebildet wird, zum Beispiel wenn eine Wand als ein Modellelement über mehrere Etagen hinweg angelegt wurde und nun die einzelnen Fertigungsabschnitte geschoßorientiert terminlich geplant werden sollen (Abb. 17).

Visualisierung und Simulation der Bauwerkserstellung Neben der Planung der Termine ist es durch Visualisierungssoftware möglich, den aktuellen Bauablauf quasi als Film darzustellen. Dabei werden entsprechend der im Modell hinterlegten terminlichen Abfolge die einzelnen Modellelemente entsprechend ihrer terminlichen Festlegung chronologisch angezeigt, es ergibt sich der optische Eindruck und die Simulation des Bauwerkserstellungsprozesses, so wie er in dem Modell eingeplant wurde.

380

A. Malkwitz und D. Schlüter

Inkonsistenzen können dabei gut erkannt werden. Bei Bedarf können auch Hochbaukräne inkl. deren Aufbau und Abbau integriert und gezeigt werden. Dann kann auch die Arbeitsvorbereitung Ihre Planungen auf Konsistenz prüfen und bei Bedarf Optimierungen vornehmen bzw. verschiedene Arbeitsabläufe simulieren. Dies kann dann auch direkt auf der Baustelle erfolgen. Voraussetzung hierfür ist der Zugang aller Beteiligten zu entsprechender Technik, beispielsweise einer Viewer-Station oder mobilen Tablets oder Datenbrillen. Generell besteht auch bei der Entwicklung von modellbasierter Terminplanung im Rahmen von Projekten noch zum Teil erheblicher Entwicklungsbedarf. Daher werden heute diese Anwendungen nur selten bzw. lediglich im Rahmen von Pilotprojekten getestet. Bei der weiteren Entwicklung und Erfahrung mit digitalen Werkzeugen bei der Projektdurchführung ist dies aber ein Anwendungsfall, dessen Nutzung große Vorteile mit sich bringen wird.

7

Ausblick im digitalen Planen und Bauen

In den vorangehenden Kapiteln wurde die grundlegenden Anwendungen beschrieben, um Projektprozesse zu digitalisieren. Wurde zunächst eine integrative dreidimensionale Planung bereits als Innovation verstanden, entwickeln sich nun weitere Anwendungen. Hierbei wächst auch zunehmend das Verständnis der Projektbeteiligten am Bauwerkslebenszyklus für eine ganzheitliche digitale Wandlung, für die konsequente Anwendung digitaler Anwendungen entlang des gesamten Lebenszyklus. Einige weitere Anwendungsmöglichkeiten und Entwicklungsrichtungen werden im folgenden Kapitel kurz dargestellt.

haben kann sich innerhalb des Modelles zu befinden und den Eindruck gewinnen kann, man würde im Modell stehen und sich im Modell bewegen. Diese Technologie, die im Übrigen in anderen Bereichen wie zum Beispiel bei Computerspielen bereits seit vielen Jahren in der Anwendung ist, kann entlang der Bauwerkwertschöpfungskette vielfach vorteilhaft eingesetzt werden. So können etwa Virtual Reality Anwendungen das BIM Modell für bauausführende Unternehmen während der Montage auf der Baustelle verfügbar machen. Dabei sind diese Anwendungen insbesondere für Monteure auf der Baustelle hilfreich, weil sie durch Virtual Reality den aktuellsten Planungsstand als dreidimensionales Modell auf der Baustelle betrachten können und ein noch besseres Verständnis der Bauaufgabe und des geplanten Bauwerkes gewinnen können. Häufig erlebt man, dass bereits eine plausible dreidimensionale Darstellung aus dem Modell heraus zum schnelleren Verständnis und Durchdringen der eigenen Bauaufgabe führt. Aber auch Planer können das Bauwerksmodell dadurch noch besser begreifen und bestehende Mängel oder mögliche Optimierungschancen erkennen (Abb. 18). Viele mögliche Anwendungen von Virtual Reality Technologien auf der Baustelle befinden sich noch im Experimentier- und Erprobungsstadium. So sind etwa digital zur Verfügung gestellte Bauablaufsimulationen denkbar, wie auch daraus abgeleitete Arbeitsanweisungen, die der Monteur direkt z. B. auf sein Tablet gespielt bekommt. Eine andere Anwendung kann die Projektion von Montageinformationen zu Einbauort und -lage von TGA Komponenten sein, was wiederum zur besseren Treffsicherheit richtiger Ausführung in der Montage beitragen kann.

7.2 7.1

Virtual Reality Anwendungen

Virtual Reality bezeichnet die Darstellung eines Bauwerksmodelles als virtuelles Modell. Dies bedeutet, dass mithilfe zusätzlicher Hilfsmittel, z. B. sogenannter Virtual Reality Brillen, das Modell so erlebbar wird, das man das Gefühl

Augmented Reality

Über reine Virtual Reality Anwendungen hinaus gibt es auch die Möglichkeit der sogenannten Augmented Reality Anwendungen („erweiterte“ Realität). Meist wird unter Augmented Reality die visuelle Darstellung von Informationen vor dem Hintergrund der tatsächlichen Umwelt verstanden, also die Ergänzung von Bildern oder Videos

Digitales Planen und Bauen

381

Abb. 18 Beispiel: Baustellensituation und Virtual Reality. (Quelle: Kassem et al. 2017, S. 4)

Abb. 19 Beispiel Augmented Reality. (Quelle: Van Treeck et al. 2016, S. 56)

mit computergenerierten Zusatzinformationen oder virtuellen Objekten mittels Einblendung/ Überlagerung. Während also bei der virtuellen Realität ausschließlich das Modell betrachtet wird, wird bei der erweiterten Realität das Modell mit weiteren Informationen angereichert, also zum Beispiel mit Bildern aus der realen Welt. Dabei kann in Bezug auf den Baubereich etwa die Kombination der Realität mit dem Bauwerksmodell gemeinsam dargestellt werden. Dabei erscheint zum Beispiel eine aktuelle Planung vor dem bereits realen Hintergrund eines bestehenden Gebäudes oder des bereits ausgeführten Gewerkes. Man kann sich vorstellen, das etwa das TGA Fachmodell gemeinsam mit einer Aufnahme des bereits realisierten Rohbaus dargestellt wird. Man kann

dann erkennen, ob etwa Aussparungen richtig hergestellt wurden und ob das TGA Fachmodell kollisionsfrei in den Rohbau eingebaut werden kann. Um dies zu erreichen, müssen die verschiedenen Datenformate den Anforderungen entsprechend aufbereitet und an das BIM Modell angebunden werden. Damit ist z. B. auch die Anreicherung der BIM Daten mit externen Daten gemeint, die nicht aus dem BIM Modell, sondern aus externen Quellen stammen (Abb. 19).

7.3

Sensorik

Durch die konsistente Datengenerierung, -aufbereitung und -weiterverarbeitung von Bauwerksin-

382

formationen am BIM Modell entsteht eine für Informations- und Kommunikationstechnologie auswertbare Wissensbasis. Hierauf kann eine zusätzliche Datengewinnung aufgesetzt werden. Damit gemeint ist der Einbau von Hardware bzw. Sensorik an Bauteilen zur Datenerfassung und die Anbindung dieser an das BIM Modell zur Datenauswertung. Nach Heinrich kann dabei ein Sensor wie folgt definiert werden: „Ein Sensor ist eine in sich abgeschlossene Komponente in einem technischen System, die an ihrem Eingang durch einen geeigneten Messfühler mit der Messgröße in Verbindung steht und diese in ein elektrisches Signal umformt“ (Heinrich et al. 2017, S. 37). Damit können auch Informationen von der Baustelle und aus den Bauwerken selbst generiert werden oder Nutzungsinformationen während der Betriebsphase generiert werden. Dazu ist es notwendig, Sensoren im Bauwerk oder in den Bauteilen einzubauen, die dann Informationen liefern, welche in das Bauwerksmodell integriert werden. Je nach gesammelten Daten sind sehr interessante Zusatzoptionen hin zu einem „smarten“ und „intelligenten“ Gebäude möglich. Dies ist insbesondere auch für die Betriebsphase wertvoll und kann den Wert eines Gebäudes für Nutzer und Eigentümer steigern. Ein Beispiel kann sein zu erfassen, wann sich Personen in einzelnen Räumen eines Gebäudes befinden. Mit diesen Informationen können dann Nutzungsintensitäten von Räumen oder Bauwerksteilen analysiert werden, die für die Optimierung der Nutzung genutzt werden können. So können in der Folge zum Beispiel nach Auswertung der Nutzung von Besprechungsbereichen in einem Bürogebäude, Besprechungsräume anders zugeschnitten, vergrößert oder verkleinert werden je nachdem wie diese genutzt werden. Eine Effizienzsteigerung des gesamten Gebäudes kann damit möglich werden. Auch Bewegungsszenarien sind möglich aufgrund der Informationen wie viele Personen sich im Gebäude wo befinden. Es können auch Temperatursensoren entstehende Überhitzungen viel spezifischer und genauer messen und es kann evtl. sofort gegengesteuert werden. Durch die Ausrüstung von Bauteilen mit Sensoren, die zu festgelegten Zeitpunkten auch Daten

A. Malkwitz und D. Schlüter

über z. B. ihren Ort senden können, besteht auch die Möglichkeit Bauteile auf ihrem Weg zur Baustelle und auf der Baustelle nachzuverfolgen. Dies kann die Baustellenlogistik erheblich optimieren, indem eine hohe Transparenz bzgl. der Lage der einzelnen Baustoffe und Bauteile auf ihrem Weg zur Baustelle geschaffen wird. Dabei können sämtliche Teilprozesse des Transportierens, Umschlagens, Lagerns und Kommissionierens von Baumaterialien und Ressourcen zur Ver- und Entsorgung der Baustelle sowie auf der Baustelle selbst nachverfolgt werden. Bei voller Funktionalität der Schnittstellen wird es möglich z. B. die Produktion und Lieferung von Fertigteilen nachzuverfolgen und die Termine mit den geplanten Terminen kontinuierlich abzugleichen. Wird gleichzeitig mit einer modellbasierten Terminplanung gearbeitet, können terminliche Abweichungen schnell festgestellt und frühzeitig Umplanungs- oder Beschleunigungsmaßnahmen ergriffen werden. Da die Spur (engl. Tracing) der Bauteile durch die angeschlossene Sensorik bis hin zum Einbau nachverfolgt werden kann, ist es möglich diese mit den Plandaten wie zum Beispiel Materialqualitäten der Materialmassen abzugleichen. Dies kann z. B. während der Bauausführung einen Mehrwert darstellen, um Soll-Daten mit Ist-Daten zu vergleichen und transparent zu dokumentieren. Es ist ideal, wenn bereits in der Planungsphase festgelegt werden kann, welche Sensoren eingebaut werden sollen oder der Auftraggeber sogar vorab festlegen kann, welche Daten er in der Betriebsphase seines Gebäudes wünscht, damit die Sensorik entsprechend konfiguriert, eingeplant und eingebaut werden kann. Oft wird dies insbesondere bei den langen Nutzungszeiten von Bauwerken jedoch nicht möglich sein. Neue und andere Informationsbedarfe, neue Technologien für Sensoren etc. werden nach Nutzungsbeginn entstehen. Dazu müssen Sensoren auch während der Betriebsphase nachgerüstet werden können, was für die Sensoren meistens kein Problem darstellt, da heute in aller Regel Sensoren kabellos verbaut werden. Allerdings muss das Bauwerksmodell bzw. die zugrunde liegenden Datenbanken so offen entworfen sein, dass diese zusätzlichen Informationen auch während der Betriebsphase einfach und kostensparend eingebaut werden können.

Digitales Planen und Bauen

383

Sensorart

Beschreibung

Laserdistanzmessung

Messung der Laufzeit eines Lichtimpulses. Wird im Bauwesen zur Messung von Entfernungen, in der Laserabtastung und in Ladar(laser detection and ranging) – Systemen eingesetzt.

Ultraschallsensor

Messung der Laufzeit eines Schallimpulses. Wird im Bauwesen zur Messung von Entfernungen eingesetzt.

Drehgeber

Messung von Winkel und Drehzahl. Drehgeber werden beispielsweise in Baumaschinen und Fahrzeugen eingesetzt.

Kraftaufnehmer

Messung der Krafteinwirkung auf ein Bauteil. Es können sowohl Druck, als auch Zugkräfte gemessen werden.

Kamera

Kamerasysteme wurden ursprünglich nicht als Sensoren konzeptioniert. Durch moderne Auswertungsverfahren kann durch die durch die Kamera erzeugten Bilder, weitere Informationen abgeleitet werden.

Abb. 20 Ausgewählte Sensorikarten im Bauwesen. (Quelle: Heinrich et al. 2017, S. 29–115)

Sensoren können unterschiedliche Daten aufnehmen und messen, daher gibt es unterschiedliche Sensorikarten. Neben der Festlegung der zu messenden Größen sind auch weitere Parameter wie etwa des Intervalls der Datenerfassung, die Auslegung des eigentlichen Messgegenstandes (z. B. Standort), Datengenauigkeit etc. festzulegen. Dies wird auch als Konfiguration der Sensorik bezeichnet (Abb. 20). Bei der Auswahl der geeigneten Technologie zur Datenerfassung insbesondere auf der Baustelle sollten einige baustellenbezogene Anforderungen berücksichtigt werden. Aus der Produktion im Freien resultiert zum Beispiel ein hoher Verschmutzungsgrad oder direkte Witterungseinflüsse. Daneben können Sensoren häufig mit anderen Baustoffen, wie z. B. Mörtel, in Berührung kommen, die Beschädigungen oder Fehlfunktionen auslösen (Spengler et al. 2016, S. 6 f.).

7.4

Robotik

Eine wesentliche weitere Chance und Anwendungserweiterung in der Digitalisierung der Bauwertschöpfungskette ist die bereits in anderen Branchen wie dem Maschinenbau oft realisierte Verknüpfung der Modelle mit der Produktion und Fertigung. Bei einer solchen Verknüpfung mit der Baufertigung auf der Baustelle ist die Idee, das Bauwerksmodell mit einer automatisierten Fertigung z. B. mit einer Robotik dergestalt zu verbinden, dass die Daten des Bauwerksmodells direkt zur Fertigung genutzt werden. Bereits seit einigen Jahren werden verschiedene Roboterplattformen entwickelt. Dabei werden ganz unterschiedliche grundsätzliche Aufbauarten und Systeme entwickelt. Grundsätzlich kann dabei unterschieden werden zwischen Systemen die in einem Vorfertigungswerk Elemente automatisiert fertigen, die dann zur Baustelle transpor-

384

A. Malkwitz und D. Schlüter

Abb. 21 Robotik Basisplattformen zur (teil-) autonomen Gebäudeerstellung. (Quelle: Malkwitz et al. 2019, S. 2)

Portalroboter

Autonome Baumaschinen

Roboterarme

Basisplattform zur (teil-) autonomen Gebäudeerstellung

Drohnen

tiert und dort montiert werden und Systemen, die direkt auf der Baustelle fertigen. Eine Übersicht ist in den folgenden Abbildungen dargestellt (Abb. 21 und 22). Zum Beispiel befindet sich ein besonderer Typ von Seilroboter, welcher direkt auf der Baustelle zum Einsatz kommen soll, an der Universität Duisburg-Essen in der Erforschung. Der Seilroboter besteht aus einen Grundrahmen, an dem mittels Stahlseilen der eigentliche Roboter angebracht ist. Die Seile werden über eine Software dergestalt bewegt, dass sich der Roboter an jedem beliebigen Ort innerhalb des Grundrahmens bewegen kann. Am Roboter selber sitzt dann die Aufnahmeeinrichtung bzw. das Greifer Modul mit dessen Hilfe Gegenstände gegriffen und versetzt werden können. Über die Steuerung werden nun entsprechend dem Bauwerksmodell die einzelnen Elemente gegriffen und an den geometrisch im Modell vorgegebenen Ort transportiert und dort versetzt (Abb. 23). Dieser Seilroboter erstellt in einem ersten Schritt automatisiert Mauerwerk. In weiteren Schritten

Seilroboter

können dann auch weitere Gewerke bzw. Bauteile versetzt werden, wie etwa Betonfertigteile oder sogar Bauelemente wie Türen oder Fenster.

8

Einführung digitaler Methoden bei Unternehmen der Bauwirtschaft

8.1

Bewertung der BIM Bereitschaft

Zur erfolgreichen Umsetzung neuer Produkte, Anwendungen und Methoden, wie z. B. auch digitaler Methoden und der Methode BIM in einem Unternehmen ist eine sorgfältige Planung der Einführungsprozesse erforderlich. Gerade die erheblichen Veränderungen der Prozesse, wie auch der notwendigen Kompetenzen erfordert einen systematischen Einführungsprozess. Bei diesem Einführungsprozess, der üblicherweise über Jahre geplant werden muss, ist die Beschaffung der richtigen Software und die Schulung der Mitarbeiter bzgl. der Software nur ein Element.

Digitales Planen und Bauen

System

385

Beschreibung

Auf Baustelle/ Im Fertigteilwerk

Hadrian Portalroboter Fertigungsverfahren: Mauerwerk

Roboter auf Trägerfahrzeug, soll auf Geschossdecken/Bodenplatten

Auf Baustelle

weitgehend selbständig arbeiten

SAM

SAM (Semi-Automated Mason) ist ein

Roboterarm

Verlegungsroboter für Backsteine, hebt

Fertigungsverfahren: Mauerwerk und platziert Backsteine im Mauerwerksbau

Auf Baustelle

(URL: http://www.constructionrobotics.com) Seilroboter

Seilroboter nutzt ein System verspannter

Seilroboter

Seile, erlaubt große Arbeitsräume, sehr

Fertigungsverfahren: Mauerwerk schnelle Bewegungen, genaues Positionieren. (URL: https://www.unidue.de/mechatronik/forschung/mauern.ph

Auf Baustelle möglich

p; https://www.unidue.de/baubetrieb/forschung.php) Spiderbot

Druckkopf an vier von oben kommenden

Seilroboter

Seilen, wird durch Schwerkraft nach unten

Fertigungsverfahren: Contour

gezogen. Überfahren von großen Flächen Im Fertigteilwerk

Crafting

möglich, nachteilige Schwingungen bei

-> Auf Baustelle

schnellen Bewegungen. (URL:

prinzipiell möglich

http://matter.media.mit.edu/tools/details/ spiderbot) Apis Cor

Apis Cor kann kleinere Gebäude komplett

Modifizierter Roboterarm

vor Ort zu drucken. Das verwende

Fertigungsverfahren: Contour

Verfahren ist ähnlich eines 3D Druckers.

Crafting

(URL: http://apis-cor.com/)

Kamermaker 2.0

Roboter in temporärer Fertigungshalle auf

Portalroboter

der Baustelle, in der Einzelteile gefertigt

Auf Baustelle

Fertigungsverfahren: Contour

werden, die gesondert an Einbauort

(Mit

Crafting

transportiert werden. (URL:

Einschränkungen)

Auf Baustelle

http://3dprintcanalhouse.com/)

Abb. 22 Robotersysteme im Bauwesen. (Quelle: Malkwitz et al. 2019, S. 2)

In einem ersten Schritt empfiehlt es sich zu bewerten, wie das Unternehmen zur Zeit aufgestellt ist und welche Änderungen im Unternehmen vorgenommen werden müssen und wie investiert werden muss. Dafür ist zunächst die aktuelle Ausgangssituation im Unternehmen und damit die vorhandene BIM Bereitschaft im Unternehmen zu analysieren (Abb. 24).

Zunächst ist es wichtig die vorhandenen Kompetenzen der Mitarbeiter zu bewerten und daraus ein Weiterbildungsprogramm zu entwickeln. Dies umfasst oft zum Beispiel die Kenntnisse von spezifisch einzusetzender Software oder Grundlagenkenntnisse in der Arbeit mit Datenbanken und Datenschnittstellen. Neben den rein technischen Kriterien sind dabei auch weiche Faktoren zu be-

386

A. Malkwitz und D. Schlüter

Abb. 23 Prototyp eines Seilroboters für Mauerwerk. (Quelle: Bruckmann et al. 2018, S. 63–83)

 Motivation für Neuerungen

 Datenstandards  IT- Infrastruktur

 Rollen/Funktionen

 Arbeiten mit Datenservern/Cloud

 Kompetenzen  Verantwortung

Mitarbeiter

Technologie

 Arbeiten mit Austauschplattformen

Methode BIM

 Prozess- Standards

Prozesse

Richtlinien

 Vergabe

 Kommunikation

 Verträge

 Risikomanagement

 Richtlinien

 Planungskoordination

 Standards

 Informationsmanagement

 Vergütung

 Schnittstellenmanagement

 Geschäftsmodelle

 Anforderungsmanagement

 Projektorganisation

Abb. 24 Bewertungskriterien der BIM Bereitschaft in Unternehmen. (Quelle: M+P, in ITGA 2017, S. 29)

Digitales Planen und Bauen

rücksichtigen wie etwa die Motivation der Mitarbeiter hinsichtlich der Einführung digitaler Projektabwicklungen oder auch evtl. bestehenden Befürchtungen, welche persönlichen Veränderungen diese neue Projektabwicklung mit sich bringen könnte. Damit ist auch die Bereitschaft der Mitarbeiter zu bewerten, die neuen Methoden und Prozesse anzugehen und sogar selbst aktiv voran zu treiben. Bei der Bewertung der Softwareausstattung werden vorhandene Tools, wie z. B. die Planungssoftware oder AVA Software auf BIM Kompatibilität geprüft. Bei der Bewertung der Hardwareausstattung werden z. B. die Prozessor- und Datenübertragungsleistungen, Speicherkapazitäten oder die Leistung von grafischen Hardwareelementen auf BIM Kompatibilität geprüft. Die Hardwareanforderungen sind dabei nach wie vor dynamisch und werden sich kontinuierlich verändern bzw. die Anforderungen werden zukünftig vermutlich weiter steigen. Daher sollte eine dynamische Weiterentwicklung der technischen Ausstattung bei der langfristigen Planung mitberücksichtigt werden. Zwingend erforderlich wird es für die Unternehmen sein, über eine 3D-fähige Modellierungssoftware zu verfügen, da davon auszugehen ist, dass die dreidimensionale Planung im Rahmen von Hochbauprojekten mit der Methode BIM gefordert wird. Dadurch ist das Unternehmen dann grundsätzlich fähig, Bauwerksmodelle zu bearbeiten. Es besteht zusätzlich die Möglichkeit in eine BIM Software zu investieren, um z. B. eigene Kollisionsprüfungen durchzuführen oder Termine und/oder Kosten modellbasiert zu erfassen und nachzuhalten. Prinzipiell kann die notwendige Softwareanschaffung dann gut bestimmt werden, wenn die unternehmensspezifischen Anforderungen und Ziele bekannt sind.

8.2

Erfolgsfaktoren bei der Einführung digitaler Methoden

Nach der Bewertung der Ausgangssituation sind die neuen Konzepte zu entwickeln, die realisiert werden sollen. Um die Konzepte zu realisieren ist zu analysieren, welche Fähigkeiten und Ausstattungen erforderlich sind. Diese beziehen sich ins-

387

besondere auf technische, emotionale und auf operative Aspekte sowohl in den am BIM Prozess beteiligten Unternehmen, als auch in der operativen Projektabwicklung (Abb. 25). Strategische Erfolgsfaktoren Die Einführung des digitalen Bauens muss konsequent und langfristig geplant werden. Unternehmen sollten bewerten, in welchen Bereichen sie bei der Anwendung oder Entwicklung digital ausgeprägter Geschäftsmodelle einen Wettbewerbsvorteil realisieren können bzw. wo Risiken bestehen wenn Wettbewerber digitale Lösungen und Angebote entwickeln. Dazu sollte eine strategische Diskussion angestoßen werden, die in einen konkreten strategischen Plan münden. Dieser strategische Plan muss dann auch die notwendigen Investitionen enthalten sowie die notwendigen Anforderungen an die Mitarbeiter und die Ausstattung im Unternehmen. Daraus kann anschließend der konkrete Business Plan abgleitet werden. Allen Beteiligten sollte klar sein, dass in die Digitalisierung investiert werden muss. Dies bedeutet auch, dass der Aufwand nicht im ersten Projekt sofort amortisiert werden kann oder einfach einem Projektbudget zugeschlagen werden kann. Vielmehr werden sich die Investitionen erst nach einer Reihe von Projekten amortisieren und dann positive Erträge bringen können. Aufgrund der anderen Projektgegebenheiten werden sich einige rechtliche Bedingungen anpassen. Dazu gibt es bereits intensive Diskussionen und Überlegungen der Baujuristen (vgl. beispielhaft Eschenbruch und Elixmann 2015, S. 249 ff.). Auf Basis der definierten Strategischen Ausrichtung des Unternehmens und des darauf aufbauenden Business Plans werde die Geschäftsprozesse angepasst. Wie bereits oben erläutert, sind die Prozesse bei digitalen Projekten umzustellen und anzupassen. Neben der Projektabwicklung sind aber auch die Prozesse in Vertrieb, Kundenbetreuung und insbesondere bei neuen auf digitalen Methoden neu aufzubauenden Geschäftsmodellen zu gestalten. Operative Erfolgsfaktoren Beabsichtigt ein Unternehmen die Methode BIM zukünftig einzuführen bedeutet dies aus techni-

388

A. Malkwitz und D. Schlüter

Operative Erfolgsfaktoren

Strategische Erfolgsfaktoren

Kooperationskultur

Strategischer Plan

Business Plan

Digitale Kompetenz

Erfolgsfaktoren für die Einführung digitaler Methoden

Mitarbeitermotivation

Kommunikationskultur

Bearbeitungsqualität

Investitionsbereitschaft

Rechtliche Anpassung

Geschäftsprozesse

Abb. 25 Herausforderungen für eine erfolgreiche Einführung von BIM im Unternehmen

scher Sicht, zunächst die Konfigurierung einer geeigneten Soft- und Hardwarearchitektur. Die Konfiguration der unternehmensspezifischen Softwarearchitektur ist insbesondere in Abhängigkeit von den strategischen Zielen eines jeden Unternehmens zu planen. Daneben ist die betriebliche Aufbau- und Ablauforganisation auf Vereinbarkeit mit Abläufen aus neuen Tools zu prüfen, da diese häufig stark in bestehende Prozesse eingreifen. Bei der Vielzahl an aktuell verfügbaren BIM Lösungen muss dabei genau der Nutzen der jeweiligen Software Lösungen analysiert sowie die Kompatibilität mit der bestehenden IT- Landschaft abgeglichen werden. Ein neue Kultur der Kooperation muss entwickelt werden. Planungen werden zyklischen Checks unterworfen und kontinuierlich mit anderen Planungen und Beteiligten abgestimmt. Dazu ist auch ein verändertes Verständnis und Verhalten aller Beteiligten erforderlich. Die Herausforderungen an die Bearbeitungsqualität steigen, denn durch die Model Checks

werden Unstimmigkeiten oder fehlende Überlegungen in einzelnen Planungen oder Modellierungen schnell festgestellt. Dies wird eine bessere Planung früher im Projekt ergeben. Darauf sollten sich die Beteiligten einstellen und auch den Aufwand je Projektphase entsprechend planen und kalkulieren. Auch hierbei wird ein Umdenken der Projektbeteiligten erforderlich werden. Daneben sollte die eigene Belegschaft für die neuartige Projektabwicklung mit der Methode BIM begeistert werden. Dies ist ureigenste Aufgabe der Geschäftsführung, die dabei auch demonstrieren muss, dass sie voll und ganz hinter dieser Einführung und der zukünftigen digitalen Ausrichtung des Unternehmens steht. Neben der rationalen Planung der konkreten Arbeitsschritte bei der Einführung digitaler Methoden und Geschäftsmodelle ist damit auch der emotionalen Seite der Einführung Beachtung zu schenken und diese hoch zu priorisieren. Dabei ist, wie bei der Einführung von anderen Neuerungen im Unternehmen auszuloten, mit welcher Geschwin-

Digitales Planen und Bauen

digkeit digitale Methoden eingeführt werden. Wird die Veränderung zu schnell voran getrieben, kann es sein das sich Mitarbeiter überfordert fühlen (Malkwitz 2016, S. 16). Wird die Einführung zu nachlässig geplant, kann es sein, das die Veränderungsdynamik zu gering ist und der Projekterfolg sich zu langsam einstellt, das Einführungsprojekt nicht mehr die volle Wahrnehmung hat und dann eventuell sogar versandet. Die Einführung digitaler Methoden parallel zum laufenden Geschäft stellt zusätzlich eine Herausforderung dar, denn natürlich darf das laufende, aktuelle Geschäft nicht negativ beeinträchtigt werden. Die daraus entstehende Übergangsphase erfordert eine hohe Koordinationsleistung sowohl für das Management, als auch für die Belegschaft.

Literatur Monografien Eschenbruch K, Elixmann R (2015) Auswirkungen auf das Bauvertragsrecht. In: Beetz (Hrsg) Building Information Modeling. Springer Vieweg, Wiesbaden, S 249 f Gantenbein K (2003) Immobilienrentabilisierung und Wertsteigerung. In: Schalcher (Hrsg) Immobilienmanagement: Finanzierung und Bewirtschaftung von Geschäftsliegenschaften. Wirtschafts-Medien, Zürich, S 91 Heinrich B, Linke P, Glöckler M (2017) Grundlagen Automatisierung: Sensorik, Regelung, Steuerung, 2. Aufl. Springer, Wiesbaden, S 29–115 Leimeister JM (2014) Collaboration Engineering: IT-gestützte Zusammenarbeitsprozesse systematisch entwickeln und durchführen, 1. Aufl. Springer, Heidelberg, S 6 Roth A (2016) Einführung und Umsetzung von Industrie 4.0, 1. Aufl. Springer, Heidelberg, S 5–6 Sendler U, Baum G, Borcherding H, Broy M, Eigner M, Huber AS, Kohler HK, Russwurm S, Stümpfle M (2013) Industrie 4.0 Beherrschung der industriellen Komplexität mit SysLM, 1. Aufl. Springer, Heidelberg, S 1 Schaper D, Tulke J (2015) BIM bei HOCHTIEF Solutions. In: Beetz J (Hrsg) Building Information Modeling. Springer Vieweg, Wiesbaden, S 425–438 Schapke SE, Beetz J, König M, Koch C, Borrmann A (2015) Kooperative Datenverwaltung. In: Beetz J (Hrsg) Building Information Modeling. Springer Vieweg, Wiesbaden, S 207–236 Spengler A, Malkwitz A, Ehlers J, Thesing A (2016) Supply Chain Tracking im BIM Modell: technische und betriebswirtschaftliche Aspekte. In: Fojcik (Hrsg) Innovative Produkte und Dienstleistungen in der Mobilität: Technische und betriebswirtschaftliche Aspekte, Universität Duisburg-Essen (23.06.2016), Essen

389 Tulke J, Schaper D (2015) BIM Manager. In: Beetz J (Hrsg) Building information modeling. Springer Vieweg, Wiesbaden, S 237–247 Van Treeck C, Elixmann R, Rudat K, Hiller S, Herkel S, Berger M (2016) Gebäude.Technik.Digital.: Building Information Modeling. Springer, Heidelberg

Zeitschriftenartikel Bruckmann T, Spengler A, Karl CK, Reichert, C, König M (2018) Process Analysis of Cable-Driven Parallel Robots for Automated Construction In: Ottaviano E, Pelliccio A, Gattulli V (Hrsg) Mechatronics for Cultural Heritage and Civil Engineering, S 63–83 Kassem M, Benomran L, Teizer J (2017) Virtual environments for safety learning in construction and engineering: seeking evidence and identifying gaps for future research. Vis Eng 5:16 Malkwitz A, Ehlers J (2014) Building Information Modeling: Dis Vision vom digitalen Bauen. Unternehmerbrief Bauwirtschaft 1:3–8 Malkwitz A, Spengler AJ, Bruckmann T (2019) Baubetriebliche Untersuchung von Robotersystemen im Mauerwerksbau, Bautechnik 96(5) Malkwitz A, Schneider CM, Fell I (2016) Potentiale von BIM im Facility Management. tHIS Tiefbau Hochbau Ingenieurbau Straßenbau 4/5:54–55 Malkwitz A, Schneider CM (2016) BIM im Computer Aided Facility Management. tHIS Tiefbau Hochbau Ingenieurbau Straßenbau 2:92–94 Zhang S, Teizer J, Lee JK, Eastman CM, Venugopal M (2013) Building Information Modeling (BIM) and safety: automatic safety checking of construction models and schedule. Autom Constr 29:183–195

Sonderfälle BIM Forum (2017), Level of Development Specification Guide Borrmann A (2012) Building Information ModelingDatenaustausch/Datenmanagement, Zusammenarbeit. Lehrstuhl für Computergestützte Modellierung und Simulation. Vorlesung, München British Standards Institution (2013) PAS 1192-2:2013, Specification for information management for the capital/delivery phase of construction projects using Building Information Modelling. London Bruckmann T et al (2018) Concept Studies of Automated Construction Using Cable-Driven Parallel Robots. In: Gosselin C, Cardou P, Bruckmann T, Pott A (Hrsg) Cable-Driven Parallel Robots. Mechanisms and Machine Science, Aufl. 53. Springer, Cham Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (2011) Die Auswirkungen von Building Information Modeling (BIM) auf die Leistungsbilder und Vergütungsstruktur für Architekten und Ingenieure sowie auf die Vertragsgestaltung, Forschungsinitiative

390 Zukunft Bau, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (2013) BIM-Leitfaden für Deutschland: Information und Ratgeber. Endbericht im Forschungsprogramm Zukunft Bau CIC Research Group (2010) Department of Architectural Engineering The Pennsylvania State University, BIM Project Planning Execution Guide, State College Deutsches Institut für Normung DIN EN ISO (2013) ISO 16739:2013, Industry Foundation Classes (IFC) for data sharing in the construction and facility management industries, Genf Egger M, Hausknecht K, Liebich T, Przybylo J (2013) BIMLeitfaden für Deutschland: Information und Ratgeber. Endbericht im Forschungsprogramm Zukunft Bau, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) International Organization for Standardization (ISO) 19650-2:2018, Organization and digitization of information about buildings and civil engineering works, including building information modelling (BIM) – Information management using building information modelling – Part 2: Delivery phase of the assets, Genf Industrieverband Technische Gebäudeausrüstung (ITGA) e.V. (2017) BIM: Building Information Modeling- Ein Leitfaden für TGA Unternehmen Schneider CM (2016) Effizienzsteigerungen im Lebenszyklus durch den Einsatz von Facility Information Management (FIM): Entwicklung eines Decision-Support-Guides, Dissertation, Essen Tulke J (2010) Kollaborative Terminplanung auf Basis von Bauwerksinformationsmodellen, Dissertation, Weimar

Online Dokumente Malkwitz A (2017) Einführung der Methode BIM, ISH 2017. http://btga.de/files/ISH%202017/1_170316_Ma lkwitz_BIM_Vortrag_ISH_published.pdf

A. Malkwitz und D. Schlüter

Weiterführende Links Bracht U, Geckler D, Wenzel S (2011) Digitale Fabrik: Methoden und Praxisbeispiele, 1. Aufl. Springer, Heidelberg Bormann A, Günther W (2011) Digitale Baustelle- innovativer Planen, effizienter Ausführen: Werkzeuge und Methoden für das Bauen im 21. Jahrhundert. Springer, Heidelberg Eschenbruch K, Grüner J (2014) BIM – Building Information Modeling, Neue Anforderungen an das Bauvertragsrecht durch eine neue Planungstechnologie, NZBau Eschenbruch K, Elixmann R (2015) Das Leistungsbild des BIM-Managers. BauR 5:745–753 Eschenbruch K, Malkwitz A, Grüner J, Poloczek A, Karl CK (2014) Maßnahmenkatalog zur Nutzung von BIM in der öffentlichen Bauverwaltung unter Berücksichtigung der rechtlichen und ordnungspolitischen Rahmenbedingungen. Gutachten zur BIM Umsetzung im Forschungsprogramm Zukunft Bau, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) Essig B (2017) BIM und TGA: Engineering und Dokumentation der Technischen Gebäudeausrüstung. Beuth, Berlin Malkwitz A (2016) BIM implementation and legal issues. Legal BIM, Mailand Pilling A (2017) BIM: das digitale Miteinander: Planen, Bauen und Betreiben in einer neuen Dimension. Beuth, Berlin Przybylo J (2016) BIM – Einstieg kompakt: Die wichtigsten BIM-Prinzipien in Projekt und Unternehmen. Beuth, Berlin Przybylo J, Bredehorn J, Heinz M (2016) BIM Einstieg kompakt für Bauherren: Mehrwerte und Potentiale für Bauherren, Investoren und Betreiber. Beuth, Berlin Rüppel U (2007) Vernetzt-kooperative Planungsprozesse im Konstruktiven Ingenieurbau: Grundlagen, Methoden, Anwendungen und Perspektiven zur vernetzten Ingenieurkooperation. Springer, Heidelberg Teizer J, Melzner J (2015) BIM im präventiven Arbeitsund Gesundheitsschutz. In: Beetz (Hrsg) Building Information Modeling. Springer Vieweg, Wiesbaden, S 305–320

Privates Baurecht Horst Franke, Claus Jürgen Diederichs, Michael Peine und Matthias Sundermeier

Inhalt 1 Bauvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 2 VOB/B, VOB/C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 3 Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 4 Leistungsbilder und Honorare für Architekten und Ingenieure . . . . . . . . . . . . . . . 450 5 Außergerichtliche Streitbeilegung in der Bau- und Immobilienwirtschaft . . . 476 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486

1

Bauvertragsrecht

Horst Franke

H. Franke HFK Rechtsanwälte LLP, Frankfurt am Main, Deutschland E-Mail: [email protected] C. J. Diederichs (*) Bauwirtschaft und Baumangement, Universität Wuppertal, München, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Peine Peine Sachverständige für Baubetrieb und Honorare, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Sundermeier Bauwirtschaft und Baubetrieb, TU Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]

1.1

Einführung und Abgrenzung zwischen Privatrecht, öffentlichem Recht und Kartellvergaberecht

Das Privatrecht regelt das Verhältnis von Bürger zu Bürger. Im Grundsatz sollen durch das Privatrecht Rechtsbeziehungen zwischen gleichberechtigten Rechtssubjekten bestimmt werden. Privatpersonen ist es grundsätzlich gestattet, mit anderen Personen in eine Rechtsbeziehung zu treten, beziehungsweise auf diese zu verzichten. Mitunter lässt aber auch das Privatrecht einer beteiligten Vertragspartei besonderen Schutz zukommen, wie beispielsweise beim Verbraucherschutz. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) ist die zentrale Kodifikation des deutschen allgemeinen Privatrechts. Zahlreiche Spezialgesetze regeln Rechtsbeziehungen zwischen Privaten in Sondersituationen. Beispielsweise enthält das Handelsgesetzbuch (HGB) Sonderregelungen für Rechtsgeschäfte

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. J. Diederichs, A. Malkwitz (Hrsg.), Bauwirtschaft und Baubetrieb, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27916-5_12

391

392

zwischen Kaufleuten. Zu beachten ist, dass nach § 1 Abs. 2 HGB jeder Gewerbetrieb als Handelsgewerbe eingestuft wird. Gerade die Vorschriften über die kaufmännischen Untersuchungs- und Rügepflichten nach § 377 HGB sollten beachtet werden. Die unterlassene unverzügliche Anzeige erkennbarer Mängel führt zum Anspruchsverlust (vgl. Abschn. 1.7). Das spielt bei „Werklieferungsverträgen“ gem. § 650 BGB eine große Rolle und betrifft insbesondere die Fertigteilindustrie, wenn sich deren Leistung auf die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen beschränkt, also gerade kein Einbau dieser Fertigteile als Teil der Leistungsverpflichtung übernommen wird. Das Öffentliche Recht regelt das Verhältnis vom Staat zu den Bürgern. Daneben umfasst das Öffentliche Recht alle die Organisation und Funktionalität des Staates betreffenden Vorschriften. Das Öffentliche Recht wird zunächst in supranationales öffentliches Recht, wie beispielsweise Völkerrecht, Europarecht und innerstaatliches Recht (Verfassungsrecht) unterteilt. Bestandteil des Verfassungsrechts sind die Grundrechte, welche als Rechte des Bürgers gegen den Staat und als Schutzpflichten des Staates anzusehen sind, aber auch das Staatsorganisationsrecht, welches Gesetzgebungsverfahren, den Aufbau des Staates sowie die Beziehungen seiner Organe untereinander regelt. Neben dem Verfassungsrecht steht das Verwaltungsrecht als Öffentliches Recht, welches die Verbindung zwischen der Öffentlichen Verwaltung und den Bürgern normiert. Außer dem Bund erlassen auch die Länder Gesetze, sofern das zu regelnde Rechtsgebiet in ihre Kompetenz fällt. Das Verwaltungsrecht ist aufgeteilt in Allgemeines Verwaltungsrecht, Besonderes Verwaltungsrecht, Sozialrecht und Steuerrecht. Vielfältige Regelungen gehören zum Öffentlichen Recht. Und schließlich ist auch das Strafrecht als ein Öffentliches Recht anzusehen. Aufgabe des öffentlichen Baurechts ist es, die bauliche Nutzung des Bodens im öffentlichen Sinn zu lenken. Grob kann das öffentliche Baurecht in Bauplanungsrecht und Bauordnungsrecht unterteilt werden. Das vom Bund erlassene öffentliche Baurecht umfasst Gesetze und Rechtsverordnungen mit planrechtlichem Inhalt, wie z. B.

H. Franke et al.

BauGB, Baunutzungsverordnung (BauNVO). Die Landesbauordnungen der 16 Bundesländer haben neben der Gefahrenabwehr, wie Standsicherheit und Brandschutz, auch Regelungen zu Bauprodukten zum Inhalt. Zudem verfolgen die Bauordnungen Ziele wie Verunstaltungsschutz, Umweltverträglichkeit und Verwirklichung sozialer Standards. Dem Bauordnungsrecht der einzelnen Länder liegt die Musterbauordnung (Fassung 2016) – MBO – zugrunde; diese bildet deshalb eine Schnittstelle zum Werk- und Bauvertragsrecht des BGB, weil deren § 3 MBO allgemeine Anforderungen formuliert, die bei der Errichtung, Änderung und Instandhaltung von Anlagen, wozu Gebäude und sonstige Bauwerke zählen, zu beachten sind. Die sog. Schutzziele sind die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen; zusätzlich sind die Grundanforderungen an Bauwerke gemäß Anlage I der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 zu berücksichtigen. Zu diesen Grundanforderungen gehören: Technische Festigkeit und Standsicherheit; Brandschutz, Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz, Sicherheit und Barrierefreiheit der Nutzung, Schallschutz, Energieeinsparung und Wärmeschutz sowie nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen. Die Verfehlung dieser Grundanforderungen kann nach § 633 BGB bzw. § 13 VOB/B einen Mangeltatbestand begründen, wobei freilich zu beachten ist, dass die dort genannten Sachmangelfreiheitskriterien nicht nur auf die gewöhnliche Verwendungseignung, sondern auch darauf abstellen, welche Verwendungseignungskriterien vorausgesetzt oder gar welche Beschaffenheiten vereinbart worden sind. Stellt demnach das Bauordnungsrecht auf das Allgemeine, nämlich die öffentliche Sicherheit und Ordnung, ab, geht es dem Werk- und Bauvertragsrecht um die Wahrung der Mangelfreiheit nach Maßgabe des Vertragsinhalts und lediglich sekundär darum, ob das Bauwerk den gewöhnlichen Anforderungen entspricht und damit die Beschaffenheiten aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich sind und die der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann. Für einige „Sonderbauten“ formuliert das Bauordnungsrecht besondere Anforderungen, z. B. unter dem Gesichtspunkt des Brandschutzes oder spezieller Nutzungsanforderungen. Dazu

Privates Baurecht

zählen z. B. die Versammlungsstättenverordnung, die Verkaufsstättenverordnung oder die Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen sowie über die Zahl der notwendigen Stellplätze. Teilweise enthalten einige Spezialgesetze sowohl öffentlich-rechtliche Normen als auch privatrechtliche Regelungen. Das Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen (BauFordSiG) gibt beispielsweise die Möglichkeit eines Haftungsdurchgriffs auf den Geschäftsführer oder Vorstand eines Generalunternehmers oder Bauträgers, sofern dieser Baugeldempfänger ist. Gleichzeitig regelt § 2 BauFordSiG die Strafbarkeit des Baugeldempfängers, wenn er infolge Zahlungsunfähigkeit seine Nachunternehmer und Lieferanten nicht mehr aus dem Baugeld bezahlen kann. Da nach § 1 Abs. 3 BauFordSiG alle Zahlungen eines Auftraggebers an den Unternehmer als Baugeld eingestuft werden, wenn eine Leistungskette durch Einschalten von Nachunternehmern oder Lieferanten entsteht, kann dieser Straftatbestand sehr schnell gegeben sein. Ein weiteres Beispiel ist die Baustellenverordnung. Die Baustellenverordnung (BaustellV) dient der Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten auf Baustellen. Die BaustellV weist im Kern drei Inhalte aus: • die Verpflichtung zur Übermittlung einer Vorankündigung gegenüber der zuständigen Behörde bei größeren Baustellen, • die Erstellung eines Sicherheits- und Gesundheitsplans bei größeren Baustellen und/oder bei besonders gefährlichen Arbeiten, • die Bestellung eines Koordinators, wenn mehrere Arbeitgeber auf der Baustelle tätig werden. Die Verordnung folgt weitgehend der Leitregel, dass der Umfang der Pflichten zur Durchführung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen vom Umfang der Pflichten nach jeweiligem Bauvorhaben abhängt. § 4 BaustellV weist sowohl dem Baustellenkoordinator als auch dem Bauherrn in Bezug auf den Arbeitsschutz umfassende Pflichten zu, die bei deren Verletzung zu einem Schadensersatz führen. Verstöße gegen die Übermittlung einer richtigen und vollständigen Vorankündigung wer-

393

den als Ordnungswidrigkeit eingestuft, bei Vorsatz liegt eine Straftat vor. Die Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten (EU-BauPVO) hat am 1. Juli 2013 die Bauproduktenrichtlinie aus dem Jahr 1988 abgelöst. Inhaltlich geht es um die Beseitigung von Handelshemmnissen im Binnenmarkt. Die Mitgliedstaaten haben die Zuständigkeit für die sich aus dem Bauwerk ergebenden Anforderungen an Bauprodukte. EU-rechtlich werden nur die Verfahren des Nachweises vereinheitlicht, dass ein Produkt diese Anforderungen auch erfüllt. Dies geschieht in harmonisierten technischen Normen oder durch einzelproduktbezogene technische Bewertungen, die ein Hersteller bei den von den Mitgliedstaaten eingerichteten Technischen Bewertungsstellen beantragen kann. Anschließend ist er befugt und verpflichtet, die CE-Kennzeichnung aufzubringen und genau anzugeben, welches Anforderungsniveau das jeweilige Produkt in Bezug auf bestimmte Merkmale erreicht. Durch einheitliche Anforderungen an notifizierte Prüf- und Zertifizierungsstellen sowie entsprechende Kontrollen soll deren Tätigkeit auf einem vergleichbar hohen Niveau gewährleistet werden. Marktüberwachungsbehörden prüfen in allen Mitgliedstaaten, ob die harmonisierten Bauprodukte zuverlässig sind, die deklarierten Leistungen erbracht und die Grundanforderungen an Bauwerke erfüllt werden. Damit sind für Bauprodukte, die von einer harmonisierten Norm erfasst sind oder einer Europäischen Technischen Bewertung entsprechen, Leistungserklärungen zu erstellen. Die CE-Kennzeichnung bescheinigt die Konformität des Bauprodukts mit der erklärten Leistung. Den Stellenwert dieser CE-Kennzeichnung hat der EuGH in seinem Urteil vom 16.10.2014 – C – 100/13 – (NZBau 2014, 692) mit der Feststellung feste Konturen gegeben. Danach ist es nämlich nicht zulässig, dass z. B. durch Bauregellisten für CE-gekennzeichnete Bauprodukte zusätzliche Anforderungen für den wirksamen Marktzugang und die Verwendung von Bauprodukten gestellt werden. Entspricht ein Bauprodukt harmonisierten Normen und hat es deshalb die CE-Kennzeichnung

394

erhalten, ist es nicht zulässig, hinsichtlich dieser erfüllten Verwendungsvoraussetzungen darüber hinausgehende Anforderungen zu stellen. Die MBO 2016 und die neugefassten Länderbauordnungen haben daraus die Konsequenz gezogen. Deshalb bestimmt § 16c MBO: „Ein Bauprodukt, das die CE-Kennzeichnung trägt, darf verwendet werden, wenn die erklärten Leistungen den in diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes festgelegten Anforderungen für diese Verwendung entsprechen. Die §§ 17 bis 25 Abs. 1 gelten nicht für Bauprodukte, die die CE-Kennzeichnung aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 303/2011 tragen.“ Das heißt, Verwendbarkeitsnachweise, deren Regelung Gegenstand der §§ 17 bis 25 MBO ist, sind darüber hinaus nicht erforderlich. In der Folge wurden die Bauregellisten durch die Musterverwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV-TB) abgelöst. Von den durch die Verordnung (EU) Nr. 303/ 2011 erfassten Bauprodukten sind Bauarten zu unterscheiden. Für Bauarten (vgl. § 2 Abs. 11 und § 16a MBO) kennt das Bauordnungsrecht eigenständige Anforderungen. Bezüglich der CE-gekennzeichneten Bauprodukte ist zu bedenken, dass gerade hinsichtlich ihrer Verwendung die vom Hersteller zu erstellenden Leistungserklärungen bedeutsam sind (Art. 6 Verordnung (EU) Nr. 303/ 2011). Architekten und Ingenieure sind ohne weiteres in der Lage, bezüglich der Verwendung besondere Anforderungen mit der Folge zu formulieren, dass die Verwendung eines CE-gekennzeichneten Produkt deshalb ausscheidet, weil es diese Anforderungen gerade nicht erfüllt. Die Formulierung derartiger spezieller Verwendunganforderungen ist legitim und steht im Einklang mit § 16c MBO, weil auch dort darauf abgehoben wird, dass ein CE-gekennzeichnetes Produkt, den in diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes festgelegten Anforderungen für diese Verwendung entsprechen muss; das führt zur Beachtlichkeit der MVV-TB, denn diese ist auf der Grundlage des § 85a MBO erlassen worden. Seit der durch das Vergaberechtsänderungsgesetz zum 01.01.1999 erfolgten Einführung eines neuen, vierten Teils in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sind die zentralen Vorschriften für die öffentliche Beschaffung ab den

H. Franke et al.

EU-Schwellenwerten nicht mehr im Haushaltsrecht, sondern im Wettbewerbsrecht verortet. Der vierte Teil des GWB dient mithin der Umsetzung der europäischen Vergaberichtlinien. Mit dem Modernisierungspaket (Richtlinie 2014/24/EU) hat der europäische Gesetzgeber das Regelwerk über die öffentliche Vergabe vollständig überarbeitet. Im Anschluss wurde der vierte Teil des GWB umfassend umstrukturiert (VergRModG, 2016). Der überarbeitete vierte Teil des GWB umfasst nun die wesentlichen Vorgaben zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen und von Konzessionen (vgl. Abschn. 3).

1.2

Abgrenzung des Bauvertrages vom VOB-Vertrag

Durch das neue Bauvertragsrecht sind spezielle gesetzliche Regelungen für den Bauvertrag in das BGB aufgenommen worden. Bislang wurde der Bauvertrag allein im Werkvertragsrecht, §§ 631 ff. BGB, abgebildet, dessen Regelungen aber nicht geeignet waren, die Vielschichtigkeit, die Komplexität und auch den im Allgemeinen vorliegenden Langzeitcharakter eines Bauvertrags zu erfassen. Da der Gesetzgeber nun spezielle Regelungen für den Bauvertrag erlassen hat, muss dieser gesetzlich definiert werden. § 650a BGB bestimmt, dass ein Bauvertrag ein Vertrag über die Herstellung, die Wiederherstellung, die Beseitigung oder den Umbau eines Bauwerkes, einer Außenanlage oder eines Teils davon ist. Ferner ist ein Vertrag über die Instandhaltung eines Bauwerks ein Bauvertrag, wenn das Werk für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung ist. Kein Bauvertrag, sondern ein allgemeiner Werkvertrag sind daher beispielsweise untergeordnete Reparaturarbeiten. Praxisprobleme werden entstehen, wenn „Bauverträge“ als Leistungsgegenstand die Instandsetzung, die Modernisierung oder die Sanierung bezeichnen. Im Streitfall zugezogene Sachverständige werden Einordnungen aus technischer Sicht u. a. nach Maßgabe der DIN 31051 vornehmen, was der Intention des Reformgesetzgebers deshalb nicht entspricht, weil die Instandhaltung für die Kon-

Privates Baurecht

struktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung sein muss. Die DIN 31051 untergliedert aber den Oberbegriff Instandhaltung in Wartung, Inspektion, Instandsetzung und Verbesserung. Die Hauptpflicht des Unternehmers – früher beim Werkvertrag und jetzt speziell auch beim Bauvertrag – ist die rechtzeitige mangelfreie Herstellung des Werkes. Der Besteller hat zwei Hauptpflichten, einerseits die Zahlung des Werklohnes, andererseits die Pflicht zur Abnahme. Der Besteller hat zusätzlich auch die Pflicht zur Gestellung von Sicherheiten, wenn diese vom Auftragnehmer verlangt werden (§§ 650e und 650f BGB). Die vom DVA entwickelte VOB/B ist ein Mustervertrag. Nach grundlegenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofes sind die Regelungen der VOB/B für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen. Die VOB/B ist daher kein Gesetz und deren Bestimmungen haben keinen Rechtsnormcharakter. Werden sie bei Abschluss des Vertrages von einer Partei der anderen Partei gestellt, so sind sie Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB mit der Folge der Inhaltskontrolle (vgl. BGH-Urt. v. 16.12.1983 – VII ZR 92/82; BGHZ 86, 140; Urt. v. 02.10.1997 – VII ZR 44/97; BGH-Urt. v. 24.07.2008 – VII ZR 55/07). Soweit die VOB/B jedoch gegenüber Unternehmern, juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtlichen Sondervermögens verwendet wird, schränkt § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB die Inhaltskontrolle ein. Sie findet hinsichtlich einzelner Klauseln nicht statt, wenn die VOB/B als Ganzes vereinbart ist (BGH, Urteil vom 15.04.2004 – VII ZR 129/02; Schulze-Hagen IBR 2004, 370). Die Allgemeinen Vertragsbedingungen der VOB/B gelten nämlich in ihrer Gesamtheit als ausgewogen. Bei den geringsten inhaltlichen Abweichungen von der VOB entfällt jedoch die Privilegierung. Einzelne Klauseln sind damit gerichtlich angreifbar und können sich als unwirksam herausstellen (vgl. KG-Urteil v. 10.01.2017 – 21 U 14/16: Förmliche Abnahme vorgesehen). Allgemeine Geschäftsbedingungen werden dann für unwirksam erklärt, wenn sie mit dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht

395

zu vereinbaren sind. Dies bedeutet, ab 01.01.2018 werden die einzelnen Regelungen der VOB/B an dem gesetzlichen Leitbild des neuen Bauvertragsrechts gemessen. Angesichts der eklatanten Unterschiede, beispielsweise bei den Nachträgen, erscheint es zumindest als zweifelhaft, dass §§ 1 Abs. 3, 4 und §§ 2 Abs. 5, 6 VOB/B weiterhin der Inhaltskontrolle entsprechen werden (vgl. Abschn. 2.2). Eine Inhaltskontrolle findet dagegen uneingeschränkt in Verträgen statt, in denen ein Vertragspartner die VOB/B gegenüber einem Verbraucher verwendet. Und zwar gleichgültig, ob die VOB/B als Ganzes vereinbart worden ist oder nur einzelne Bestimmungen der VOB/B Gegenstand des Vertrages sind. Insoweit ist von vornherein zu beachten, dass der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss (DVA) in der Fußnote 1 des Amtlichen Textes folgendes bemerkt: „Diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen werden durch den DVA ausschließlich zur Verwendung gegenüber Unternehmen, juristischen Personen des öffentlichen Rechts und öffentlich-rechtlichen Sondervermögen empfohlen (§ 310 BGB).“ Öffentliche Auftraggeber sind entweder durch das Gesetz oder durch verwaltungsinterne Dienstanweisung zur Anwendung der VOB/A verpflichtet. Aus der VOB/A folgt wiederum die Verpflichtung, dass die VOB/B und damit über § 1 Abs. 2 VOB/B auch die VOB/C Bestandteile des Bauvertrages werden. Auch im nicht öffentlichen Rechtsverkehr kommt der VOB/B große Bedeutung zu, da die VOB/B als zweckdienlich angesehen wird. Deshalb legen viele Unternehmen ihren Vertragsbedingungen die VOB/B – zumindest teilweise – zu Grunde.

1.3

Der Bauvertrag innerhalb der werkvertraglichen Vorschriften

Am 09.03.2017 hat der Bundestag das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung verabschiedet, welches am 01.01.2018 in Kraft getreten ist. Zu Recht wird das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts als Meilenstein in der Rechtsentwicklung bezeichnet. Erstmals sind spezielle

396

gesetzliche Regelungen für den Bauvertrag in das BGB aufgenommen worden. Da der Gesetzgeber nun spezielle Regelungen für den Bauvertrag erlassen hat, muss dieser gesetzlich definiert werden (Im BGB heißt der Auftraggeber Besteller und der Auftragnehmer Unternehmer. Der Verfasser hat zum besseren Verständnis aber die Begriffe der VOB verwendet, nämlich Auftraggeber und Auftragnehmer). § 650a BGB bestimmt: „Ein Bauvertrag ist ein Vertrag über die Herstellung, die Wiederherstellung, die Beseitigung oder den Umbau eines Bauwerkes, einer Außenanlage oder eines Teils davon . . .. Ein Vertrag über die Instandhaltung eines Bauwerks ist ein Bauvertrag, wenn das Werk für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung ist.“

Bei dieser gesetzlichen Definition orientierte sich der Gesetzgeber somit zunächst an § 2 HOAI. Auch wenn bei der Gesetzesbegründung auf die Rechtsprechung zum Begriff „Bauwerk“ Bezug genommen wird, hat der Gesetzgeber den Begriff des Bauwerks, den die Rechtsprechung bis dahin geprägt hatte, dagegen nicht vollständig übernommen. Unter einem Bauwerk wurde in der Rechtsprechung eine unbewegliche, durch Verwendung von Arbeit und Material in Verbindung mit dem Erdboden hergestellte Sache verstanden (vgl. BGH-Urt. v. 16.09.1971 – VII ZR 5/70, NJW 1971, 2219; BGH-Urt. v. 12.03.1986 – VIII ZR 332/84, NJW 1986, 1927). Wesentliches Merkmal war, dass die Sache durch eine feste Verbindung mit dem Grundstück hergestellt wird. Nach der Rechtsprechung lag eine Arbeit beim Bauwerk auch vor, wenn kein neues Gebäude errichtet wird, sondern im Bestand gearbeitet wird und zusätzlich die Arbeiten für den Bestand, die Konstruktion oder die Funktionsfähigkeit von wesentlicher Bedeutung sind (Kniffka 2018 Rz. 1). Der Gesetzgeber hat diese Definition nicht in das Gesetz übernommen, insoweit unterfallen die Arbeiten im Bestand, sofern nicht eine Instandhaltung nach § 650a Abs. 2 vorliegt, nicht dem Bauvertragsrecht. Dagegen sind jetzt Arbeiten zum Abbruch eines Bauwerks als Bauvertrag zu bewerten. Nach der bisherigen Rechtsprechung waren Abbrucharbeiten dagegen keine Arbeiten

H. Franke et al.

an einem Bauwerk (vgl. BGH-Urt. v. 09.03.2004 – X ZR 67/01). Auch die weiteren Varianten der HOAI (Erweiterungsbau, Modernisierung, Instandsetzung) sind nicht ausdrücklich aufgenommen. Möglicherweise fallen diese Arbeiten auch unter den Begriff des Bauvertrages, da die Instandhaltung in aller Regel der geringste Eingriff im Katalog des § 2 HOAI ist. Wenn insoweit allerdings auf die Materialien des Reformgesetzgebers – BT-Drs. 18/8486, S. 53 – abgehoben wird, bestehen diesbezüglich erhebliche Schwierigkeiten. Denn dort heißt es: „Unter Instandhaltung sind Arbeiten zu verstehen, die zur Erhaltung des Soll-Zustandes des Bauwerks dienen (s. auch § 2 Abs. 9 der HOAI; § 1 VOB/A). Instandhaltungsarbeiten, die für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Bauwerks von wesentlicher Bedeutung sind, können Pflege-, Wartungs- und Inspektionsleistungen sein, die der Erhaltung und/oder der Funktionsfähigkeit des Bauwerks dienen. Erfasst werden etwa Verträge zur Inspektion von Brücken oder zur Pflege und Wartung von tragenden oder sonst für den Bestand des Bauwerks wichtigen Teilen.“ Da die Modernisierung der nachhaltigen Erhöhung des Gebrauchswerts eines Objekts dient (§ 2 Abs. 6 HOAI), kann diese Maßnahme unter den genannten Voraussetzungen der Materialien nicht dem Bauvertrag zugeordnet werden. Modernisierung kann durchaus ein Umbau sein. Der Bauvertrag hat im Werkvertragsrecht ein eigenes Kapitel erhalten. Soweit die speziellen Vorschriften der §§ 650a ff BGB keine anderweitige Regelung treffen, gelten die allgemeinen Regelungen des Werkvertragsrechts (§§ 631 ff. BGB). Hinsichtlich des Zustandekommens des Bauvertrags gelten die allgemeinen Vorschriften des BGB. Der Vertrag über die Errichtung eines Bauwerks ist ein Werkvertrag und damit ein gegenseitiger entgeltlicher Vertrag. § 631 BGB bestimmt, dass der Unternehmer sich zur Herstellung des versprochenen Werkes verpflichtet, der Besteller zur Zahlung der vereinbarten Vergütung. Die Vergütungspflicht des Bestellers wird in § 632 Abs. 1 und 2 BGB geregelt. Damit schuldet der Auftragnehmer als Vertragsleistung einen Erfolg,

Privates Baurecht

nämlich die Herstellung des versprochenen Werks. Im Gegensatz dazu wird beispielsweise beim Dienstvertrag nur die Arbeit, – überspitzt ausgedrückt – also nur ein Bemühen, geschuldet. Der Auftraggeber oder der Besteller schuldet den Werklohn. Der Bauvertrag ist erfolgsorientiert; der Dienstvertrag ist tätigkeitsorientiert. Freilich knüpft § 631 Abs. 2 BGB an Arbeits- oder Dienstleitungen an, was in § 631 Abs.1 BGB nicht anders ist. Jedoch erschöpft sich die Leistungsverpflichtung nicht in der Handlung/Arbeit, sondern geschuldet ist ein Erfolg, beim Bauvertrag eben das Bauwerk oder z. B. dessen Abbruch. Unverändert ist, dass ein Kostenvoranschlag im Zweifel nicht zu vergüten ist. Begehrt der Auftragnehmer vom potenziellen Auftraggeber Vergütung für einen Kostenvoranschlag, ist dies im Vorfeld zu vereinbaren. Der Abschluss des Werkvertrages erfolgt nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen. Er kommt zustande durch Angebot und inhaltsgleiche Annahme, §§ 145 ff. BGB. Voraussetzung für ein Angebot ist ein Erklärungsbewusstsein mit dem Willen, sich rechtlich zu binden. Ob eine Erklärung als Antrag auf Abschluss eines Vertrags anzusehen ist oder eine rechtlich noch nicht bindende Anfrage oder Aufforderung an die Gegenseite, ein solches Angebot abzugeben, ist durch Auslegung der Erklärung zu ermitteln. Beispielsweise liegt in dem Versenden von Angebotsaufforderungen eines Auftraggebers kein Angebot an die Bieter, sondern nur die Aufforderung, ein Angebot abzugeben. Der Auftraggeber will schließlich nicht mit jedem Bieter, der ein Angebot abgibt, einen Bauvertrag schließen. Die Abgabe eines Angebots durch die Bieter mittels Rücksendung eines ausgefüllten Leistungsverzeichnisses ist dagegen ein Angebot. Regelmäßig wird daher ein Angebot im Sinne einer bindenden Erklärung erst dann bejaht werden können, wenn sich aus ihm ergibt, dass es nur noch angenommen werden muss. Nach § 145 BGB ist der Antragende grundsätzlich an sein Angebot gebunden (Palandt 2018, § 145 Rz. 2). Allerdings erlischt die Bindung an das Angebot, wenn der Gegenüber das Angebot abgelehnt oder wenn das Angebot nach den §§ 147 bis 149 BGB nicht rechtzeitig angenom-

397

men wird, § 146 BGB. Dies ist der Hintergrund von Bindefristen, innerhalb derer sich der Auftraggeber entscheiden kann, ob er das Angebot annimmt. Ist nämlich keine Bindefrist aufgenommen, bindet ein Angebot nur bis zu dem Zeitpunkt, bis zu dem der Anbietende „Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf“. Es erklärt sich von selbst, dass diese Definition nur schwer genau zu bestimmen ist. Die Rechtsprechung nimmt eine Spanne von wenigen Tagen an. Jenseits der Frage, dass dies im Einzelfall schwer zu bestimmen ist, sollte jeder Anbietende zur eigenen Sicherheit eine Bindefrist aufnehmen. Der Bauvertrag kommt zustande, wenn das Angebot angenommen wird. Auch die Erklärung, den Antrag auf Abschluss des Bauvertrags anzunehmen, ist eine Willenserklärung. Es gelten die allgemeinen Grundsätze. Daher kann die Annahme ausdrücklich oder konkludent, also durch schlüssiges Handeln, erklärt werden. Ob ein Vertrag angenommen worden ist, ist durch Auslegung des Verhaltens des Annehmenden zu ermitteln. Ein konkludentes Verhalten liegt regelmäßig in der Ausführung der Leistung in Kenntnis eines Angebots, das die ausgeführten Leistungen vorsieht. Die Annahmeerklärung muss deckungsgleich mit dem Angebot sein. Antwortet der Auftraggeber auf ein Angebot des Anbietenden mit „ja, aber“, liegt darin also keine Annahme. Eine von dem Angebot abweichende „Annahme“ ist vielmehr ein neues Angebot, das seinerseits angenommen werden muss, § 150 Abs. 2 BGB. Häufig werden andere Vorschläge bei der Vereinbarung von Fristen und Terminen, aber auch bei Nachlässen gemacht. Besonders ist auf sog. untergeschobene modifizierte Vertragsangebote zu achten. Dies ist beispielsweise dann gegeben, wenn der Empfänger eines schriftlichen Angebots anstelle des ursprünglichen Textes die von ihm vorgenommenen wesentlichen Änderungen mit gleichem Schriftbild so in den Vertragstext einfügt, dass diese nur äußerst schwer erkennbar sind, und in einem Begleitschreiben der Eindruck erweckt wird, er habe das Angebot unverändert angenommen. Ausnahmsweise kann dann der Vertrag doch zu den Bedingungen des unabgeänderten Angebots zu Stande kommen, wenn die Grundsätze

398

von Treu und Glauben erfordern, dass der Empfänger eines Vertragsangebots seinen davon abweichenden Vertragswillen in der Annahmeerklärung klar und unzweideutig zum Ausdruck bringt (vgl. BGH-Urt. v. 22.07.2010 – VII ZR 129/09, BauR 2010, 1929; BGH-Urt. v. 14.05.2014 – VII ZR 334/12). Beim öffentlichen Auftraggeber heißt die Annahme Zuschlag. Die Annahme des Angebots erfolgt hier also durch den Zuschlag. Besonderes Augenmerk sollen mögliche Vertragspartner immer dem kaufmännischen Bestätigungsschreiben zukommen lassen. Wird der Abschluss eines mündlich geschlossenen Vertrages unmittelbar nach den Vertragsverhandlungen schriftlich bestätigt, spricht man von einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben. Im Handelsverkehr und im geschäftlichen Verkehr unter Personen, die in erheblichem Umfang am Geschäftsleben teilnehmen, wie z. B. Architekten (vgl. BGH-Urteil v. 11.10.1973 – VII ZR 96/72), gilt die widerspruchslose Entgegennahme eines solchen Schreibens als Einverständnis (vgl. BGH, Urt. v. 14.12.2000 – I ZR 213/98). Das gilt sogar dann, wenn für den Empfänger des Schreibens bei den Vertragsverhandlungen ein vollmachtloser Vertreter aufgetreten ist (vgl. BGH-Urteil v. 10.01.2007 – VIII ZR 380/04 und Urt. v. 27.01.2011 – VII ZR 186/09). Grundsätzlich besteht für den Bauvertrag Formfreiheit. Dies bedeutet, dass der Bauvertrag mündlich oder durch schlüssiges Handeln zustande kommen kann. Nur in bestimmten Fällen muss der Bauvertrag in einer bestimmten Form abgeschlossen werden. § 311b BGB verlangt für Grundstückskaufverträge zwingend die notarielle Form. Wenn der Grundstückskauf und die Bauerrichtung wirtschaftlich eng verknüpft sind, muss daher der gesamte Vertrag notariell beurkundet werden. Die Schriftform wird zudem in § 7 Abs. 1 HOAI verlangt; dieses Schriftformgebot gilt jedoch ausschließlich für die Honorarvereinbarung und nicht für den Architekten-/ Ingenieurvertrag. Zudem ist zu beachten, dass diese schriftliche Honorarvereinbarung rechtswirksam nur bei Auftragserteilung geschlossen werden kann, also nicht danach. Mitunter gibt es spezielle Form- und Vertretungsregeln für öffentliche Körperschaften.

H. Franke et al.

Ist ein Bauvertrag geschlossen, haben die Vertragspartner ihre jeweiligen Pflichten zu erfüllen. Der Auftragnehmer oder der Unternehmer wird zur Herstellung des versprochenen Werkes verpflichtet. Der Umfang der übernommenen Pflichten richtet sich nach dem Vertrag. Maßstab ist der Werkerfolg, der darin besteht, das nach dem Vertrag geschuldete Werk funktionstauglich und zweckentsprechend zu errichten. Diesen Erfolg hat er herbeizuführen, um seine Herstellungspflicht zu erfüllen = „Funktionaler Herstellungsbegriff“. Ein 1999 vom BGH entschiedener Fall beschreibt eindrucksvoll diese Erfolgshaftung: Ein Unternehmer errichtete eine Lager- und Produktionshalle. Eine bestimmte Ausführung wird vereinbart, der der Auftragnehmer nachkommt. Nach Fertigstellung rügt der Bauherr, dass das Dach der gesamten Halle undicht sei. Schon bei normalen Niederschlägen kommt es zu Wassereintritten. Das OLG weist die Klage ab, weil eine vertragswidrige Errichtung des Daches nicht feststellbar sei. Dem trat der BGH mit sehr deutlichen Worten entgegen. Soweit das OLG ein Dach als vertraglich geschuldete Leistung ausreichen lassen will, das bei Regen mit starkem Wind undicht ist, fehlt für diese Auslegung jeglicher Anhaltspunkt. Das Bauwerk ist als Lager- und Produktionshalle beschrieben. Die Nutzung als Lager oder zur Produktion fordert in der Regel einen sicheren Schutz auch bei stärkerem Regen und Wind. Wassereinbrüche bei Platzregen stehen einer zweckentsprechenden Nutzung entgegen. Der Bauherr musste bei Vertragsschluss nicht besonders darauf hinweisen, dass er ein Dach wünsche, welches auch stärkerer Regenbelastung standhält. Das ergibt sich ohne weiteres aus der Funktion der errichteten Halle. Dass die vereinbarte Ausführung preisgünstig war, ändert daran nichts. Wenn der versprochene Erfolg, die Funktionstauglichkeit für den vertraglich vorausgesetzten oder gewöhnlichen Gebrauch, mit der vertraglich vereinbarten Ausführungsart nicht zu erreichen ist, schuldet der Unternehmer gleichwohl die vereinbarte Funktionstauglichkeit (Weyer IBR 2000, S. 65; Kommentierung BGH, Urt. v. 11.11.1999 – VII ZR 403/98). Die Problematik des funktionalen Mangelfreiheitsbegriffs und damit der geschuldeten Funk-

Privates Baurecht

tionalität besteht bei unterschiedlichen Funktionsqualitäten darin, welche Funktionalitätsstufe versprochen worden ist. Wird ein regendichtes Dach ausgeschrieben, ist die Regendichtigkeit die geforderte und versprochene Funktionalität; davon ist die Funktionalität „wasserundurchlässiges Dach“ zu unterscheiden. Wer Regendichtigkeit fordert, fordert keine Wasserundurchlässigkeit und kann deshalb die Tauglichkeit der Leistung nicht an der Funktionalität Wasserundurchlässigkeit messen. Nach Abschnitt 3.1.4 der ATV-DIN 18336 September 2016 muss die Dachdecke regensicher, die Dachabdichtung wasserdicht sein. Wer lediglich eine Dachdeckung und keine Dachabdichtung ausschreibt, kann nicht die Funktionalität Wasserdichtigkeit verlangen. Die Vergütungspflicht des Bestellers wird in § 632 Abs. 1 und 2 BGB geregelt, das heißt, dass der Auftraggeber durch den Bauvertrag zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet ist. Diese wird grundsätzlich erst mit der Abnahme der Bauleistung nach § 641 BGB fällig. Damit ist der Auftragnehmer vorleistungspflichtig. Konsequenz ist, dass der Auftragnehmer seine Leistung vorfinanzieren muss und zudem das Risiko trägt, mit seiner Werklohnforderung auszufallen, wenn der Besteller während oder nach Vollendung des Bauvorhabens insolvent wird. Das Gesetz versucht diese Vorleistungspflicht mit einigen Instrumenten abzumildern. Beispielsweise gibt § 632a BGB dem Auftragnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf Abschlagszahlungen. Nach der Fassung dieser Vorschrift bis Ende 2017 konnte der Unternehmer von dem Besteller für eine vertragsgemäß erbrachte Leistung eine Abschlagszahlung in der Höhe verlangen, in der der Besteller durch die Leistung einen Wertzuwachs erlangt hat. Der Auftragnehmer hatte einen Anspruch auf Abschlagszahlungen nur für die „erbrachten Leistungen“, die zu einem „Wertzuwachs“ beim Besteller führten. Das hat sich für die ab 01.01.2018 geschlossenen Werkverträge geändert; danach kann der Unternehmer vom Besteller eine Abschlagszahlung in Höhe des Werts der von ihm erbrachten und nach dem Vertrag geschuldeten Leistungen verlangen. Damit kommt es nunmehr auf einen Wertzuwachs nicht mehr an. Wegen unwesentlicher Mängel konnte

399

bis 31.12.2017 die Abschlagszahlung nicht verweigert werden. Das hat sich für die ab 01.01.2018 geschlossenen Verträge gleichfalls geändert, denn nunmehr kann der Besteller die Zahlung eines angemessenen Teils des Abschlags verweigern, wenn die erbrachten Leistungen nicht vertragsgemäß sind. Die Frage der Wesentlichkeit oder Unwesentlichkeit ist bedeutungslos. Damit unterscheiden sich Abschlagszahlungen von Vorauszahlungen, die bereits vor Erbringung entsprechender Werkleistungen geleistet werden. Erbracht ist eine Leistung, die der Unternehmer dem Besteller zur Vertragserfüllung zuwendet. Ein Wertzuwachs war dann gegeben, wenn die Teilleistung für den Besteller einen Wert darstellt und ihm dieser Wert in nicht entziehbarer Weise zur Verfügung gestellt wird (BT-Drucks. 16/511 S. 14; das Erfordernis betonend BGH v. 08.11.1012 – VII ZR 191/12). In Abgrenzung dazu bedeutet es, dass reine Vorbereitungsmaßnahmen ohne gegenständlichen Teilleistungserfolg nicht abschlagszahlungsfähig sind. Mit der Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB wurden die Möglichkeiten der Auftragnehmer zur Absicherung ihrer Forderungen effektiv umgesetzt. Auch in der Praxis hat sich dieses Sicherungsmittel bewährt. Dies beruht u. a. darauf, dass die Norm zwingend anzuwenden ist, also vertraglich nicht abbedungen werden kann. Der Auftragnehmer kann nach seiner Wahl auf Stellung einer Sicherheit klagen oder den Vertrag kündigen. Dem Auftragnehmer wird also ein echter einklagbarer Anspruch auf Stellung einer Sicherheit gewährt. Daneben hat der Auftragnehmer das Recht, die Arbeiten einzustellen, wenn der Auftraggeber trotz Fristsetzung zur Stellung einer Sicherheit und Androhung der Arbeitseinstellung keine Sicherheit gegeben hat. Sicherheit ist in Höhe der vereinbarten Vergütung zuzüglich Nebenforderungen zu leisten. Abzüge können nur bei unstreitigen oder rechtskräftig festgestellten Gegenforderungen gemacht werden. Einbehalte des Auftraggebers, etwa wegen Mängeln, bleiben unberücksichtigt. Die Sicherheit kann selbst nach erfolgter Abnahme noch verlangt werden. Kündigt der Auftragnehmer wegen nicht geleisteter Sicherheit, hat er neben dem Anspruch auf Vergütung der erbrachten Leistungen auch Anspruch

400

auf Schadensersatz. § 650f Abs. 5 S. 4 BGB erleichtert die Geltendmachung, indem dieser Anspruch 5 % der Vergütung betragen soll. § 650f gilt dagegen nicht bei Verbraucherbauverträgen und bei Verträgen, bei denen der Auftraggeber eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Im Gegensatz zu der effektiven Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB ist die Sicherungshypothek nach § 650e BGB in der Praxis oft nicht erfolgsversprechend. Der Auftragnehmer kann für seine Forderung die Einräumung einer Sicherungshypothek an dem Baugrundstück des Auftraggebers verlangen. Tatsächlich leidet dieser Anspruch aber daran, dass der Auftraggeber oft nicht der Eigentümer des bebauten Grundstücks ist. Zudem ist die Werthaltigkeit der Sicherungshypothek angesichts bereits eingetragener Belastungen oft sehr fraglich. Auch die Durchgriffsfälligkeit nach § 641 Abs. 2 BGB soll dem Auftragnehmer bei der Durchsetzung seiner Forderungen helfen. Durch § 641 Abs. 2 BGB soll sichergestellt werden, dass der Subunternehmer immer dann einen fälligen Vergütungsanspruch hat, wenn der Generalunternehmer vom Bauherrn seine Vergütung – auch teilweise – erhalten, der Bauherr das Werk abgenommen und der Subunternehmer dem Generalunternehmer erfolglos eine Frist zur Erteilung einer Auskunft über die beiden vorgenannten Punkte gesetzt hat. Die Einzelheiten der Vergütungsvereinbarung ergeben sich damit aus dem Vertrag. Insbesondere bestimmt der Vertrag auch die Art der Berechnung für die Vergütung, z. B. als Einheitspreisvertrag, Pauschalvertrag oder Stundenlohnvertrag (vgl. im Einzelnen Abschn. 2.3). Beim Einheitspreisvertrag vereinbaren die Parteien keine endgültig fixierte Auftragssumme. Da die Leistung in technische Teilleistungen aufgesplittet wird (sog. Positionen), werden nur Einzelpreise für Einzelleistungen vereinbart. Die endgültige Vergütung wird erst anhand der tatsächlich erbrachten Leistungen – in der Regel durch Aufmaß – ermittelt. Für einen VOB/ B-Bauvertrag enthalten die Allgemeinen Technischen Vertragsbestimmungen für Bauleistungen – ATV-DIN – ab der ATV-DIN 18300 im Abschnitt 5 im Detail Aufmaßregeln. § 1 Abs. 1 Satz

H. Franke et al.

2 VOB/B begründet die Maßgeblichkeit dieser Regeln; deren Übertragbarkeit auf einen reinen BGB-Bauvertrag ist mehr als fraglich, es sei denn, aus fachgewerkespezifischer Sicht besteht die allgemeine Überzeugung, dass es sich hierbei um anerkannte Regeln der Technik handelt oder um übliche Regeln, die bei der Bestimmung der üblichen Vergütung zu beachten sind (§ 632 Abs. 2 BGB). Beim Detailpauschalvertrag steht dagegen die Vergütung bereits bei Vertragsschluss fest. Die Vergütung ist unabhängig von der ausgeführten Menge. Nicht nach Leistung, sondern nach aufgewandter Zeit wird beim Stundenlohnvertrag abgerechnet. Beim Globalpauschalvertrag wird nicht nur die Vergütung pauschaliert, sondern auch die Leistung. Die Leistung wird nach ihrer Funktion bestimmt, detaillierte Einzelleistungen werden nicht vereinbart (vgl. Franke, VOB Kommentar § 2). Die Abnahme ist die Zäsur im Bauvertrag. Mit ihr verbunden sind zahlreiche Rechtsfolgen, die für den Auftragnehmer vorteilhaft sind. Die Abnahme ist grundsätzlich Fälligkeitsvoraussetzung nach § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Vergütung (vgl. BGH-Urteil v. 29.06.1993 – X ZR 60/92). Für den Bauvertrag gilt zudem ab 01.01.2018 § 650g Abs. 4 BGB. Da der Unternehmer vorleistungspflichtig ist, kann der auf Zahlung der Vergütung in Anspruch genommene Besteller grundsätzlich die Leistung verweigern. Bis zur Abnahme trägt der Unternehmer die Beweislast für die Mängelfreiheit (vgl. BGH-Urt. v. 23.10.2008 – VII ZR 64/07). Erst mit der Abnahme kehrt sich die Beweislast für behauptete Mängel um (vgl. BGH-Urt. v. 15.03.1973 – VII ZR 175/72; Urt. v. 29.06.1981 – VII ZR 299/80; Urt. v. 16.12.2003 – X ZR 129/01). Das gilt jedoch nicht im Falle eines Vorbehalts gemäß § 640 Abs. 2 BGB (vgl. BGH-Urt. v. 24.10.1996 – VII ZR 98/94; Urt. v. 23.10.2008 – VII ZR 64/07). Mit der Abnahme beginnt die Gewährleistungsfrist für alle Mängelansprüche. Und schließlich endet durch die Abnahme das vertragliche Erfüllungsstadium. Die Leistungsverpflichtung des Unternehmers konzentriert sich auf das abgenommene Werk. Abnahme bedeutet die Billigung des Werks durch den Auftraggeber als der Hauptsache nach vertragsgemäßer Leistungserfüllung. Die Abnahme ist demnach die mit der körperli-

Privates Baurecht

chen Hinnahme des Werks verbundene Billigung des Werkes als im Wesentlichen vertragsgemäße Leistung (vgl. BGH-Urt. v. 05.06.2014 – VII ZR 276/13, Rd. 21; BGH-Urt. v. 24.11.1969 – VII ZR 177/67; Urt. v. 15.11.1973 – VII ZR 110/71; Urt. v. 30. 06.1983 – VII ZR 185/81; OLG Stuttgart, Urt. v. 08.12.2010 – 4 U 67/10). Um das Bauwerk abzunehmen, bedarf es daher zwei Voraussetzungen, nämlich die Übernahme des Werks und dessen Billigung als im Wesentlichen vertragsgerecht. Daraus folgt, dass das Bauwerk nicht mängelfrei sein muss; entscheidend ist vielmehr, dass die Leistung im Wesentlichen mängelfrei ist, d. h. ihr bestimmungsgemäßer Gebrauch darf nicht eingeschränkt sein. Das Bauvertragsrecht sieht als Abnahmeform die ausdrückliche, die stillschweigende und die fiktive Abnahme vor. Die VOB/B ergänzt die Abnahmeformen noch um die förmliche Abnahme und regelt besondere Fälle der fiktiven Abnahme. Bei der stillschweigenden Abnahme gibt der Auftraggeber durch sein Verhalten zum Ausdruck, dass er die Leistung abnimmt, z. B.: Inbetriebnahme des fertig gestellten Bauwerks (vgl. Abschn. 2.3). Gemäß § 640 Abs. 2 BGB kann eine fiktive Abnahme dadurch erreicht werden, dass der Unternehmer dem Auftraggeber eine angemessene Frist zur Abnahme setzt und diese Frist fruchtlos abläuft. Verweigert allerdings der Auftraggeber die Abnahme unter Angabe mindestens eines Mangels, tritt die Abnahmewirkung nicht ein. Das Gesetz unterscheidet zwischen den Rechten des Auftraggebers in der Erfüllungsphase, d. h. vor der Abnahme, und der Nacherfüllungsphase, also nach der Abnahme. Vor der Abnahme steht dem Besteller der Erfüllungsanspruch nach § 631 Abs. 1 BGB zu (vgl. Urteilsbesprechung unter 2, Schwerpunktthemen). Nach der Abnahme kann der Besteller die in § 634 BGB aufgeführten Ansprüche geltend machen. § 633 BGB enthält die Grundregeln zur Mängelhaftung des Auftragnehmers. Nur soweit das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln vollständig erbracht ist, ist die Herstellungspflicht erfüllt. Die Leistung ist frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat. Ist keine Beschaffenheit vereinbart, ist die Leistung frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausge-

401

setzte, ansonsten für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art der Leistung erwarten kann. Rechtsmangel und Sachmangel werden gleich behandelt. Die Rechtsprechung definiert den Begriff des Sachmangels nach dem subjektiven Fehlerbegriff. Entscheidend ist somit die Vertragsauslegung nach der vereinbarten Beschaffenheit. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es im Baurecht regelmäßig keine Werke der gleichen Art gibt, kommt es auf die Vertragsauslegung hinsichtlich der Beschaffenheit an. Die dem Auftraggeber zustehenden Mängelrechte stehen in einem Stufenverhältnis zur Nacherfüllung und sind in den §§ 634 ff. BGB geregelt. Als erstes hat der Auftraggeber einen Nacherfüllungsanspruch. Bei der Nacherfüllung hat der Auftragnehmer das Wahlrecht, den Mangel zu beseitigen oder ein neues Werk herzustellen. Das heiβt der Auftraggeber muss dem Auftragnehmer die Gelegenheit geben, den Mangel selbst zu beurteilen und selbst zu beseitigen. Erst wenn eine angemessene Frist, die der Auftraggeber dem Auftragnehmer gesetzt hat, fruchtlos abgelaufen ist, können weitere Mängelrechte geltend gemacht werden. Bis auf den Schadensersatzanspruch sind diese Ansprüche verschuldensunabhängig, d. h. es ist unerheblich, ob der Auftragnehmer die Verursachung des Mangels verschuldet hat. Auch die Gründe, die zum Verstreichen der angemessenen Frist geführt haben, sind unerheblich. Wichtig ist deshalb, eine angemessene Frist zu setzen. Nach §§ 634 Nr. 2, 637 BGB hat der Auftraggeber das Recht, den Mangel auf Kosten des Auftragnehmers selbst zu beseitigen, sog. Selbstvornahme. Selbstvornahme bedeutet, dass der Auftraggeber die Mängel auch von einem Dritten beseitigen lassen kann. Er ist zudem berechtigt, einen Vorschuss in Höhe der voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten vom Auftragnehmer zu verlangen. Allerdings darf dieser Betrag nur für die Mangelbeseitigung verwandt werden, nach erfolgter Mangelbeseitigung ist abzurechnen. Als weitere Rechte kann der Auftraggeber vom Vertrag zurücktreten, die Vergütung mindern oder Schadensersatz bzw. Ersatz vergeblicher Aufwen-

402

dungen geltend machen. Rücktritt und Minderung sind Gestaltungsrechte. Allein durch die einseitige Ausübung des Rechts kommt es zu der Rechtswirkung, ohne dass es einer Reaktion des Vertragspartners bedarf. Beim erklärten Rücktritt erhalten die Vertragsparteien ihre Leistungen zurück. Für nicht rückgewährfähige Bauleistung bekommt der Auftragnehmer Wertersatz. Führt allerdings der Mangel zu einer Verschlechterung, erhält der Auftragnehmer nur einen Ausgleich, soweit er bereichert ist. Hat der Auftragnehmer bereits Teile seines Werkes erbracht, kann der Auftraggeber nur dann vom gesamten Vertrag zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Nach dem Gesetzeswortlaut kann der Auftraggeber mindern, statt zurückzutreten. Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass der Auftraggeber erst nach fruchtlosem Ablauf einer von ihm dem Auftragnehmer zur Nacherfüllung bestimmten angemessenen Frist mindern kann. Das Minderungsrecht steht dem Auftraggeber auch bei unerheblichen Mängeln zu. § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB, der den Rücktritt ausschließt, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist, findet keine Anwendung. Die Minderung konnte bisher regelmäßig nach den für die Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten bestimmt werden, es sei denn, dass die Mängelbeseitigung unmöglich war oder sie der Unternehmer wegen Unverhältnismäßigkeit der Mängelbeseitigungsaufwendungen verweigern durfte (§ 635 Abs. 3 BGB). Dies hat sich ebenso wie die Bestimmung der Höhe des Schadensersatzanspruchs durch die Rechtsprechung des BGH vom 22.02.2018 – VII ZR 46/17, BauR 2018, 815 geändert. Fiktive Minderungskosten nach Maßgabe der möglichen Mängelbeseitigungskosten scheiden aus. Es kommt auf den Vermögensvergleich an: Vermögensstand des Bestellers bei mangelfreier Leistung und Vermögensstand bei mangelbehafteter Leistung. Die deshalb gestörte Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung, die darin liegt, dass es bei der mangelhaften Leistung bleibt, ist durch den Vergleich der Vermögenslagen zu ermitteln und betragsmäßig auszugleichen. Gleiches gilt für den Schadensersatz, wenn der Besteller nicht dahin disponiert, den Mangel zu beseitigen. Eine Schadensberechnung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten bildet das Leis-

H. Franke et al.

tungsdefizit im Werkvertragsrecht bei wertender Betrachtungsweise nicht zutreffend ab, wenn der Besteller den Mangel gerade nicht beseitigt, es also bei der mangelhaften Leistung belässt. Eine Schadensbemessung in Ausrichtung an den Mängelbeseitigungskosten, die gerade nicht anfallen, würde zu einer Überkompensation führen. Entscheidend ist also die seitens des Bestellers getroffene Disposition. Praktisch und im Ergebnis wird der durch den Mangel – bei dem es verbleibt – verursachte Minderwert des Werks ausgeglichen. Dieser Minderwert ist ausgehend von der Vergütung als Maximalwert nach § 287 ZPO zu schätzen, wobei auch die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Macht der Auftraggeber einen Schadensersatzanspruch geltend, erlöschen damit die Nacherfüllungsrechte. Auch das Selbstvornahmerecht entfällt. Der Schadensersatz umfasst den Ersatz des in der mangelhaften Erfüllung begründeten Schadens (z. B. Nachbesserungskosten, Minderwert) und den Ersatz der weiteren Schäden, wie beispielsweise Kreditkosten, Mietausfallschaden, Nutzungsausfall. § 642 BGB regelt einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch für den Auftragnehmer bei Gläubigerverzug des Auftraggebers und hat weitreichende Bedeutung auch für den VOB/B-Vertrag (vgl. Abschn. 2.3). Beim Werkvertrag ist der Auftraggeber in unterschiedlicher Form bereits in den Herstellungsprozess eingebunden, z. B. Planungsvorgaben, Bereitstellung des Raumes oder Grundstücks. In dieser Einbeziehung des Auftraggebers in den Herstellungsprozess liegt der kooperative Charakter des Werkvertrags, der vor allem beim Bauvertrag erhebliche Bedeutung hat. Voraussetzung ist, dass der Auftraggeber eine Mitwirkungshandlung schuldet. In welcher Form der Auftraggeber an der Vertragserfüllung mitzuwirken hat, ergibt sich aus den Vorstellungen der Parteien, wobei es hierzu oft keine ausdrücklichen Regelungen, sondern nur stillschweigende Annahmen gibt. Die genaue Abgrenzung der Mitwirkungsschnittstelle ist durch Auslegung des Vertrags zu bestimmen. Die folgenden Beispiele verdeutlichen die Mitwirkungspflichten des Auftraggebers. Eine wichtige Mitwirkung des Auftrag-

Privates Baurecht

gebers besteht darin, dass er dem Auftragnehmer das für seine Leistung baureife Baugrundstück zur Verfügung stellt (vgl. BGH-Urteil vom 19.12.2002, VII ZR 440/01). Der Auftraggeber muss die ihm zufallenden Entscheidungen treffen, die für den Baufortschritt erforderlich sind, insbesondere: Abruf von Leistungen, Prüfung und Bescheidung von Mustern, Koordinierung unterschiedlicher Gewerke, Prüfung und Bescheidung von Nachtragsangeboten. Der Auftraggeber hat grundsätzlich die für die Leistung erforderlichen Genehmigungen zu beschaffen, hierzu gehört neben der Baugenehmigung auch eine erforderliche Sondernutzungserlaubnis für Baumaschinen im öffentlichen Straßenbereich. Weiter muss der Auftraggeber durch seine unterbliebene Mitwirkung in Annahmeverzug geraten. Die Mitwirkungshandlung für die Leistung des Auftragnehmers muss bereits fällig sein. Oft richtet sich dies nach dem Bauzeitenplan. Der Auftragnehmer muss seine Leistung tatsächlich anbieten. Der Auftragnehmer muss also die Durchführung der Bauleistung arbeitsbereit auf der Baustelle anbieten, um den Besteller in Annahmeverzug zu setzen. Der Auftraggeber kann jederzeit den Bauvertrag kündigen. Als Folge dieser freien Kündigung kann der Auftragnehmer die volle, vertragliche Vergütung verlangen. Er muss sich allerdings das anrechnen lassen, was er an Kosten erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft und seines Betriebs erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Nach § 648 S. 3 BGB wird vermutet, dass dem Auftragnehmer 5 % der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen, also dass der Auftragnehmer 95 % erspart hat. Beide Parteien können die Vermutung widerlegen. Auf den Bauträgervertrag findet diese Regelung keine Anwendung, d. h. er kann nicht gekündigt werden. Möglich ist nur der Rücktritt, der zur Rückabwicklung der Gesamtleistung führt. § 648a BGB gibt beiden Vertragsparteien das Recht zur außerordentlichen Kündigung. Die Kündigung hat nach § 650h BGB schriftlich zu erfolgen. Bei Verletzung einer wichtigen Pflicht ist die Kündigung nach erfolglosem Ablauf einer

403

zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Das Gesetz hat diese allgemeinen Begriffe gewählt, da es bei der Verletzung einer wichtigen Pflicht immer auf den Einzelfall ankommt. Beispielsweise wurde die Verletzung einer wichtigen Pflicht bejaht, wenn die vom Architekten erstellte Ausführungsplanung in mehrfacher Hinsicht mit Fehlern behaftet ist, z. B. im Widerspruch zur Baugenehmigung steht, und sich die Planungsfehler bereits im Bauwerk manifestiert haben (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 05.04.2017 – 4 U 112/14). In einem anderen Fall suggerierte der Unternehmer dem Besteller, dass die Leistung von einem bestimmten Nachunternehmer erbracht wurde. Erfolgt dies nicht, kann der Besteller den Vertrag aus wichtigem Grund kündigen, wenn der Unternehmer vertraglich verpflichtet war, die betreffende Leistung von diesem Nachunternehmer ausführen zu lassen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich um ein Geschäft handelt, bei dem es wesentlich auf die Person des Ausführenden ankommt und der Werkerfolg nicht unmittelbar einer Prüfung unterzogen werden kann (vgl. OLG Köln, Urteil vom 05.10.2016 – 8 U 58/14).

1.4

Spezielle Vorschriften für den Bauvertrag (§§ 650a ff.)

Diese Vorschriften gelten nur für den Bauvertrag. Ist nur ein Werkvertrag geschlossen, beispielsweise bei Instandhaltungsarbeiten, die nicht für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung sind, gelten diese Vorschriften nicht. Insbesondere kann der Auftragnehmer keine Bauhandwerkersicherung nach § 650f verlangen. Der Auftraggeber ist nicht berechtigt, vertragsändernde Anordnungen nach § 650b aussprechen. § 650a Bauvertrag Ein Bauvertrag ist in folgenden Varianten gegeben: • Neuherstellung eines Bauwerks oder einer Außenanlage oder eines Teils davon

404

• Wiederherstellung eines Bauwerks oder einer Außenanlage oder eines Teils davon • Beseitigung eines Bauwerks oder einer Außenanlage oder eines Teils davon • Umbau eines Bauwerks oder einer Außenanlage oder eines Teils davon • Instandsetzung eines Bauwerks, wenn das Werk für die Konstruktion, dem Bestand oder dem bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung ist Unterschiede zur Rechtslage vor dem 01.01.2018 ergeben sich beispielsweise bei Abbrucharbeiten. Nach bisherigem Recht waren Abbrucharbeiten keine Arbeiten am Bauwerk, weil sie nicht zur Errichtung eines Bauwerks dienten. Nunmehr bilden Abbrucharbeiten den Gegenstand eines Bauvertrags nach § 650a Abs. 1 BGB (vgl. Abschn. 1.3), was wohl auch zur Folge hat, dass sich die Verjährungsfrist für Sachmängelanspruch nach § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB bestimmt. Denn ist ein Abbruchvertrag nach § 650a Abs. 1 BGB ein Bauvertrag, weil darunter auch die Beseitigung eines Bauwerks fällt, hat der Abbruchvertrag ein Bauwerk zum Gegenstand. Da ein Bauvertrag auch dann vorliegt, wenn Vertragsgegenstand die Neuherstellung von Bauwerksteilen ist, stellt sich infolge des Reformwerks die Abgrenzung zum „Werklieferungsvertrag“ nach § 650 BGB neu. Stellt der Fensterbaubetrieb nach speziellen objektspezifischen Vorgaben „Fenster, Fenstertüren und Türen“ nach Maß her, die dieser Betrieb selbst nicht einbaut, stellt sich die Frage, ob es sich dabei um einen Bauvertrag nach § 650a Abs. 1 BGB oder um einen „Werklieferungsvertrag“ nach § 650 BGB handelt. Auf der Produktionsstufe des Betriebs bleiben die Fenster beweglich, was für die Anwendung von § 650 BGB spricht, andererseits könnten sie Teile eines Bauwerks angesehen werden, weil sie für ein ganz bestimmtes Objekt bestimmt und damit für ein anderes Objekt nicht verwendbar sind. § 650b Anordnungsrecht Der Gesetzgeber hat sich mit dem Anordnungsrecht von dem Konsensualprinzip des BGB verabschiedet, das in § 311 BGB seinen Ausdruck

H. Franke et al.

findet. Die werkvertraglichen Regelungen im BGB kannten bisher ein Anordnungsrecht des Bestellers – also eine einseitige Vertragsänderung nach Vertragsschluss – nicht. Das in das Bauvertragsrecht nun aufgenommene Anordnungsrecht ist damit vollkommen neu. Selten war ein Bestandteil eines neuen Gesetzes bereits im Vorfeld derart umstritten wie das nun eingeführte Anordnungsrecht. Als Gesetzesbegründung ist ausgeführt, dass das Werkvertragsrecht dem auf längere Erfüllungszeit angelegten Bauvertrag und dem komplexen Baugeschehen häufig nicht gerecht wird, insbesondere, wenn während der Ausführung des Baus Veränderungen eintreten. Allerdings verfolgt das Gesetz das Ziel, möglichst auf ein Einvernehmen der Vertragsparteien hinzuwirken, bevor der Besteller von seinem Anordnungsrecht Gebrauch macht (Güntzer und Hammacher 2018). Im Vergleich zur Regelung in § 1 Abs. 3, 4 VOB/B und § 2 Abs. 5, 6 VOB/B ist das Anordnungsrecht des Bestellers nach BGB deutlich sekundärer Natur. Denn dem gehen Einvernehmensbemühungen der Parteien voraus. Der Ablauf wird in § 650b wie folgt beschrieben: § 650b Abs. 1 Nr. 2 Änderungswunsch des Bestellers über notwendige Änderungsleistungen (Fall: keine Erfolgsänderung) – Auftragnehmer ist verpflichtet, ein Angebot über die Mehrvergütung zu machen, wenn die Planungsvoraussetzungen dafür vorliegen – Einigungsversuch über das Angebot – Im Falle des Scheiterns: Änderungsanordnung des Bestellers – Unternehmer muss Änderung ausführen § 650b Abs. 1 Nr. 1 Änderungswunsch des Bestellers über nicht notwendige Änderungsleistungen (Fall: Erfolgsänderung) – Unternehmer ist verpflichtet, ein Angebot zu erstellen, wenn die Planungsvoraussetzungen dafür vorliegen, es sei denn, er weist die Änderungsleistung wegen Unzumutbarkeit zurück – Einigungsversuch über das Angebot – Im Falle des Scheiterns: Änderungsanordnung des Bestellers

Privates Baurecht

Unternehmer muss Änderung ausführen, es sei denn, die Änderungsleistung ist unzumutbar. Auch wenn dies erst einmal leicht nachvollziehbar klingt, sind in diesem Zusammenhang mehrere Fragen noch nicht geklärt. Zu dem unbestimmten Begriff der Unzumutbarkeit führt die Gesetzesbegründung aus, dass die Schwelle für die Unzumutbarkeit einer Anordnung unterhalb des allgemeinen Leistungsverweigerungsrechts wegen Unzumutbarkeiten nach § 275 Abs. 2 und 3 liegt. Die Einzelfälle wird sicherlich die Rechtsprechung in den nächsten Jahren festlegen müssen. Wichtig ist auch, dass das Angebot sich nicht auf die Preisvorgaben des § 650c (tatsächliche erforderliche Kosten + Zuschläge oder Rückgriff auf die Urkalkulation) beziehen muss. Das Angebot unterliegt erst einmal freier Preisgestaltung. Bedeutsam ist der gesetzliche Hinweis, dass der Auftraggeber dem Unternehmer die Planung übermitteln muss, wenn die Änderung in der Planungsverantwortung des Auftraggebers liegt. Das heißt der Auftragnehmer ist erst dann verpflichtet, ein Nachtragsangebot vorzulegen, wenn ihm ein geänderter Ausführungsplan vorgelegt wird. Der Auftragnehmer kann also erst dann ein Nachtragsangebot vorlegen, wenn er die notwendigen Angaben aus der Planung hat, also weiß, wie die Änderungsanordnung planerisch umgesetzt wird. Wesentlich schwieriger ist jedoch die Ausnahme nach § 650c. Danach muss der Auftragnehmer kein Nachtragsangebot vorlegen, wenn ihm nach § 650c kein Mehrvergütungsanspruch zusteht. Dem Auftragnehmer steht nach § 650c Abs. 1 Satz 2 keine Vergütung für den vermehrten Aufwand zu, wenn die Leistungspflicht des Unternehmers auch die Planung umfasst. Ganz offensichtlich wollte der Gesetzgeber hier den Global-Pauschalvertrag umfassen. Nicht gerechtfertigt ist dies bei einem Detail-Pauschalvertrag oder Einheitspreisvertrag, wenn der Auftragnehmer die Ausführungsplanung in diesem Teil übernommen hat. Die fehlerhafte Ausführungsplanung rechtfertigt nicht, dass der Auftragnehmer

405

dann teurere zusätzliche oder geänderte Leistungen vergütungsfrei zu erbringen hat. Der insoweit einschlägigen BT-Drs. 18/11437, S. 48, ist freilich nicht zu entnehmen, wovon der Gesetzgeber im Detail ausgegangen ist. Denn dort heißt es lediglich, dass dem Unternehmer kein Mehrvergütungsanspruch zustehe, da die Planung und Ausführung eines mangelfreien Werks ohnehin bereits Gegenstand seiner Leistungspflichten seien. Den Begriff „Planung“ definiert § 650c Abs. 1 Satz 2 BGB nicht näher, so dass damit auch die Ausführungsplanung verstanden werden kann, die abweichend vom Üblichen – Leistungsphase 5 der Anlage 10 der HOAI: Werkplanung als Sache des Architekten oder Ingenieurs – z. B. dem Unternehmer überlassen werden kann. Die in § 650c Abs. 1 Satz 2 BGB enthaltene Regelungsfolge könnte auch sein, dass der Unternehmer Sowieso-Kosten nicht erstattet verlangen könnte. Die Einzelumstände und die präzise Sachverhaltsfeststellung werden bedeutsam, um unangemessene Vergütungsnachteile des Auftragnehmers zu vermeiden. Denn hat der Auftragnehmer auf der Basis der ihm obliegenden Ausführungsplanung auch das Leistungsverzeichnis erstellt, das Vertragsbestandteil geworden ist, ist nicht einzusehen, warum ein umständehalber erforderlich gewordener und kostenintensiverer Materialwechsel zu Lasten des Auftragnehmers gehen soll. Kommt nach Vorlage des Nachtragsangebots eine Einigung zustande, gilt das Vereinbarte. Mehrkosten können dann nicht mehr nachgeschoben werden. Erzielen die Parteien binnen 30 Tagen nach Zugang des Änderungsbegehrens keine Einigung, wird das Scheitern der Einigung fingiert. Nicht geklärt ist, ob der Auftraggeber die 30 Tage abwarten muss, bevor er anordnen kann oder ob der Auftraggeber bereits nach wenigen Tagen anordnen kann, wenn die Einigungsversuche gescheitert sind. Die Anordnung muss in Textform ergehen, vgl. § 126b BGB, also auch per E-Mail. Ebenfalls ungeklärt sind die Fälle, in denen die Textform nicht eingehalten worden ist, die Parteien aber möglicherweise Stillschweigen üben und konkludent die Textform abbedungen haben.

406

§ 650c Vergütungsanpassung bei Anordnungen Nach der Gesetzesbegründung soll sich die Vergütung primär an den tatsächlichen Mehrkosten orientieren. Der tatsächliche Zahlungsfluss soll dadurch gewährleistet sein, dass dem Auftragnehmer 80 % seiner im Nachtragsangebot enthaltenen Vergütung zustehen und er diesen Anspruch im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen kann. Damit sind 3 Schwerpunkte durch das Gesetz geschaffen worden: • Dem Unternehmer wird ein Wahlrecht eingeräumt, ob er die Mehr- und Minderkosten einer Leistungsänderung nach der hinterlegten aussagekräftigen Urkalkulation oder nach tatsächlich erforderlichen Kosten berechnet. • Ihm wird die Möglichkeit eingeräumt, eine Abschlagsforderung auf der Grundlage der Vergütung in Höhe von 80 % eines nach § 650b erstellten Nachtragsangebotes zu fordern. • § 650d ermöglicht durch einstweilige Verfügung eine rasche Klärung des Anspruchs auf Abschlagszahlung. Die Mehrkosten werden als Differenz der tatsächlich erforderlichen Kosten für die ausgeführte Leistungsänderung und der tatsächlich erforderlichen Kosten für die ursprünglich vorgesehene Leistung berechnet. Hier fallen auch die Baustellengemeinkosten (AGK) hinein, weil sie Kosten der Herstellung sind. Das Nachtragsangebot muss nur prüfbar sein. Interessant ist noch, dass im Falle einer Überzahlung der Unternehmer zur Verzinsung der Überzahlung verpflichtet ist. Hierbei handelt es sich um eine Art Strafzins. Eine Absicherung des Überzahlungsanspruchs ist dagegen gesetzlich nicht vorgesehen. § 650d Einstweilige Verfügung Will der Auftragnehmer die 80 %-Regelung in Anspruch nehmen und beantragt er hierfür eine einstweilige Verfügung, muss er immerhin noch folgendes darlegen (Oppler 2018, S. 67–72): • Wunsch des Auftraggebers nach einer geänderten Leistung

H. Franke et al.

• Nachtragsangebot des Auftragnehmers • Verstreichen der Einigungsfrist/Verweigerung der Einigung • Anordnung der geänderten Leistung • Ausführung der geänderten Leistung bis zum Leistungsstand der Abschlagsrechnung • den ihm zustehenden Vergütungsanteil nach Leistungsstand • die Reduzierung dieses Anteils auf 80 % des Nachtragsangebots § 650f Bauhandwerkersicherung § 650f hat § 648a BGB a. F. auf bis eine Veränderung übernommen. Früher fand § 648a keine Anwendung für alle Verträge über die Herstellung und Instandsetzung eines Einfamilienhauses mit oder ohne Einliegerwohnung. Jetzt ist der Verbraucher, der einen Verbraucherbauvertrag (zur Definition des Verbraucherbauvertrages vgl. Abschn. 1.3) oder einen Bauträgervertrag schließt, von der Pflicht zur Sicherheitsstellung befreit. Damit ist der Anwendungsbereich zum einen erweitert worden, da sich der Verbraucherschutz auf alle Gebäude bezieht; anderseits ist er auch eingeschränkt, da eine Ausnahme bei Instandhaltungsarbeiten nicht mehr vorgesehen ist. § 650g Zustandsfeststellung bei Verweigerung der Abnahme Da die Abnahme aufgrund ihrer weitreichenden Rechtsfolge für den Auftragnehmer ein strategisches Ziel ist, hat der Auftragnehmer ein besonderes Interesse an der Abnahme. Um nur die wichtigsten Rechtsfolgen der Abnahme zu nennen, kann der Auftragnehmer nach der Abnahme seine Schlussrechnung stellen, die Gewährleistungsfrist beginnt zu laufen und es tritt eine Beweislastumkehr bei den Mängeln ein (vgl. im Einzelnen Abschn. 1.3). In der Praxis verweigert der Auftraggeber jedoch oft die Abnahme. Der Auftragnehmer hatte danach nach dem alten Recht (§ 640 Abs. 1 Satz 3 a. F.) die Möglichkeit, eine sogenannte fiktive Abnahme herbeizuführen. Das Gesetz bestimmte, dass es der Abnahme gleichstehen würde, wenn der Besteller das Werk nicht innerhalb einer ihm vom Unternehmer bestimmten angemessenen Frist abnimmt, obwohl er dazu verpflichtet war. Diese Regelungen

Privates Baurecht

der fiktiven Abnahme sind nun etwas geändert worden. Der neue § 640 Abs. 2 sieht vor, dass eine Leistung als abgenommen gilt, wenn der Auftragnehmer dem Auftraggeber nach Fertigstellung der Leistung eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und der Auftraggeber die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert. Der Auftragnehmer hat also die Möglichkeit, den Auftraggeber anzuschreiben und ihm eine Frist zur Abnahme zu setzen. Reagiert der Auftraggeber hierauf nicht, gilt die Leistung als abgenommen. Will der Auftraggeber diese fiktive Abnahme verhindern, muss er Mängel rügen und hierauf gestützt die Abnahme verweigern. Bislang ungeklärt und sicherlich der Rechtsprechung vorbehalten ist, ob die Mängel eine gewisse Schwere haben müssen. Wesentlich müssen sie nicht sein, sonst hätte der Gesetzgeber dieses in das Gesetz aufgenommen. Allerdings ist fraglich, ob eine Verweigerung wegen kleinster unbedeutsamer Mängel die fiktive Abnahme verhindern kann (vgl. Kniffka 2018, Pause, Vogel zu § 650g Rz. 1 ff.) Wichtig ist ferner, dass gegenüber Verbrauchern ein Hinweis in Textform erfolgen muss, welche Rechtsfolgen die fiktive Abnahme hat. § 650g Abs. 2 ergänzt die fiktive Abnahme. Hat der Besteller die Abnahme unter Angabe von Mängeln verweigert, verpflichtet ihn nun § 650g Abs. 1 an einer gemeinsamen Feststellung des Zustands des Werkes mitzuwirken. Damit erfüllt die Zustandsfeststellung zwei Funktionen. Zum einen soll Klarheit über die behaupteten Mängel geschaffen werden, insbesondere ob diese wirklich vorliegen und wenn ja, wie diese zu bewerten sind. Ferner dient die Zustandsfeststellung der Dokumentation des Zustandes des Werkes, um so den Unternehmer zu schützen. Der Unternehmer kann nun darlegen, dass später auftretende Mängel bei der Übergabe nicht vorhanden waren. Rechtsfolge der Zustandsfeststellung ist ein beweiserleichterndes Anerkenntnis. Derjenige, der einen anderen als den festgestellten Zustand behaupten will, trägt die Beweislast. Ist beispielsweise in der Zustellungsfeststellung ein offenkundiger Mangel nicht angegeben, wird vermutet, dass dieser nach Zustandsfeststellung entstanden und

407

vom Besteller zu vertreten ist. Ausnahme ist nur dann gegeben, wenn der Mangel nach seiner Art nicht vom Auftraggeber verursacht worden sein kann. Bleibt der Auftraggeber dem Termin zur Zustandsfeststellung fern, kann der Unternehmer die Zustandsfeststellung auch einseitig vornehmen. Die Zustandsfeststellung unterscheidet sich von der Abnahme; die Zustandsfeststellung begründet keine Abnahme, sondern mit der Zustandsfeststellung ist die in § 650g Abs. 3 BGB näher beschriebene Vermutungswirkung verbunden. Beispiel: Der Besteller verweigert die Abnahme der Verglasungsarbeiten. In der Zustandsfeststellung sind Kratzer nicht aufgelistet. Später werden Kratzer festgestellt. Dann wird vermutet, dass diese vom Besteller zu vertreten sind. § 650h BGB § 650h BGB bestimmt, dass jede Kündigung eines Bauvertrages der schriftlichen Form bedarf.

1.5

Verbraucherbauvertrag (§§ 650i ff.)

Nach dem Gesetzgeber bedarf ein Verbraucher bei Abschluss größerer Bauverträge besonderen Schutzes, da er als Laie unter „Profis“ agiert. Bei einem Verbraucherbauvertrag ist ein Verbraucher Auftraggeber (Im BGB heißt der Auftraggeber Besteller). Ein Verbraucher ist eine natürliche Person, die überwiegend nicht im Rahmen ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Auch eine Wohnungseigentümergemeinschaft kann als Verbraucher eingestuft werden (vgl. BGH-Urt. v. 24.03.2015, VIII ZR 243/13). Eine Gesellschaft mit Außenwirkung, an der eine juristische Person und natürliche Personen beteiligt sind, kann nicht als Verbraucher behandelt werden (BGH-Urt. v. 30.03.2017, VII ZR 269/15, BauR 2017, 1365). Ein Verbraucherbauvertrag umfasst nur den Bau eines neuen Gebäudes oder erhebliche Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude. Dagegen fallen die Herstellung von anderen Bauwerken, Außenanlagen und unerhebliche Umbaumaßnahmen nicht unter den Verbraucherbauvertrag. Auch gewerke-

408

weise Sanierungen durch verschiedene Unternehmen sind einzelne Bauverträge und keine Verbraucherbauverträge. Damit ist die Definition eines Verbraucherbauvertrages eingeschränkter als die eines Bauvertrages. Zukünftig wird ein Bauunternehmer bei einem Vertrag mit einem Verbraucher als Besteller also unterscheiden müssen, ob er einen Verbraucherbauvertrag, einen Bauvertrag mit einem Verbraucher oder einen Werkvertrag mit einem Verbraucher schließt. (vgl. Retzlaff, Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, Heft 10a). Der Schutz des Verbrauchers setzt bereits vor Vertragsschluss an. Der Unternehmer ist verpflichtet, dem Verbraucher eine Baubeschreibung in Textform zur Verfügung zu stellen. Ausnahmsweise besteht diese Pflicht nicht, wenn der Verbraucher oder ein von ihm Beauftragter die wesentlichen Planungspunkte vorgegeben hat. Die Baubeschreibung muss klar, verständlich sein und die wesentlichen Eigenschaften wie Art, Umfang und Qualität der Bauleistung aufführen (Art. 249 § 2 EGBGB gibt eine ausführliche Auflistung der notwendigen Angaben vor) Lücken oder Unklarheiten in der Baubeschreibung sind durch Auslegung zu schließen. Bleiben dennoch Zweifel am Leistungsumfang, gehen diese nach § 650k zu Lasten des Unternehmers. Der Fertigstellungstermin ist zudem verbindlich anzugeben. Ist dies nicht möglich, muss die Dauer der Baumaßnahme angegeben werden. Diese Baubeschreibung wird, vorbehaltlich anderer vertraglicher Vorgaben, Inhalt des Bauvertrages. Der Verbraucherbauvertrag bedarf der Textform. Außer bei notariellen Verträgen hat der Verbraucher ein 14tägiges Widerrufsrecht, diese Frist beginnt jedoch nur zu laufen, wenn der Verbraucher – wieder in Textform (vgl. § 126b BGB) – über sein Widerrufsrecht belehrt wurde (Muster findet sich in Anlage 10 zu Art. 249 § 3 EGBGB). Spätestens nach einem Jahr und 14 Tage nach Vertragsschluss endet jedoch die Frist zum Widerruf. Zu beachten ist aber, dass bereits nach der bestehenden Rechtslage einem Verbraucher ein Widerrufsrecht zusteht, wenn der Vertrag entweder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde (§ 312b BGB: Ver-

H. Franke et al.

träge außerhalb Geschäftsräumen) oder aber ein Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB: Fernabsatzgeschäfte) vorliegt. Damit kann ein Verbraucher auch bei einem Bauvertrag oder einem Werkvertrag ein Widerrufsrecht haben. Entscheidender Unterschied ist, dass dem Unternehmer im Falle des Widerrufs eines Verbraucherbauvertrages Wertersatz für die erbrachten Leistungen zusteht, auch wenn die Belehrung fehlerhaft war und er den Verbraucher über diese Rechtsfolge nicht belehrt hat. Dies ist bei Bauverträgen oder Werkverträgen mit einem Verbraucher nicht der Fall. Hier steht dem Unternehmer nur dann ein Wertersatz im Falle des Widerrufs zu, wenn er den Verbraucher zuvor über diese Regelung belehrt hat. Der Verbraucherschutz wirkt sich besonders bei den Abschlagszahlungen aus. Der Gesamtbetrag der Abschlagszahlungen darf maximal 90 % der vereinbarten Vergütung einschließlich der Vergütung für Nachtragsleistungen betragen. Mit der ersten Abschlagszahlung ist dem Verbraucher eine Sicherheit von 5 % der vereinbarten Gesamtvergütung zu leisten. Liegt beispielsweise die Gesamtvergütung bei EUR 500.0000 und stellt der Unternehmer eine 1. Abschlagsrechnung in Höhe von EUR 75.000, muss der Verbraucher hierauf nur EUR 50.000 zahlen. Sämtliche Abschlagsrechnungen dürfen den Betrag von EUR 450.000 nicht übersteigen. Soweit Abschlagszahlungen verlangt oder vereinbart sind, sind Vereinbarungen unwirksam, die den Verbraucher zu einer 20 % der vereinbarten Vergütung übersteigenden Sicherheitsleistung verpflichten. Ist beispielsweise eine Gesamtvergütung von EUR 500.000 vereinbart, kann der Auftragnehmer vom Verbraucher nur eine Sicherheit von EUR 100.000 verlangen, falls er Abschlagszahlungen verlangt oder einen Zahlungsplan vereinbart hat. Der Unternehmer ist schließlich zur Erstellung und Herausgabe von Unterlagen verpflichtet. Bereits vor Beginn der Ausführung sind die Planungsunterlagen zu erstellen und herauszugeben, die der Verbraucher benötigt, um ggü. Behörden nachweisen zu können, dass das Bauvorhaben nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Ausnahme hiervon ist gegeben, wenn der Verbraucher oder ein von ihm

Privates Baurecht

Beauftragter die Planung erstellt hat. Diese Pflichten hat der Unternehmer, wenn ein Dritter, wie etwa ein Darlehensgeber oder Fördermittelgeber, Nachweise für die Einhaltung bestimmter Bedingungen verlangt und der Unternehmer die berechtigte Erwartung des Verbrauchers geweckt hat, diese einhalten zu können. Von diesen Schutzvorschriften darf nicht zu Ungunsten des Verbrauchers abgewichen werden. Angesichts dieser umfassenden Informationsund Schutzpflichten ist es zumindest bemerkenswert, dass über die Rechtsfolgen der Zustandsfeststellung nach § 650g keine Belehrung erfolgen muss. Immerhin ist die Zustandsfeststellung ein beweiserleichterndes Anerkenntnis über die festgestellten Zustände (vgl. Abschn. 1.4).

1.6

Bauträgervertrag (§§ 650u ff.)

Beim Bauträgervertrag verpflichtet sich der Bauträger gegenüber dem Käufer zur Eigentumsverschaffung an einem Grundstück bzw. an Miteigentumsanteilen hieran sowie zur Errichtung eines bestimmten Bauwerks auf diesem Baugrundstück. Im Hinblick auf den Grundstücksverkauf als Element des Bauträgervertrages bedarf dieser grundsätzlich der notariellen Beurkundung. Der Bauträgervertrag ist damit eine Mischung aus Kaufvertrag und Werkvertrag und unterliegt den strengen Regelungen der Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV). Die MaBV regelt die zu leistenden Abschlagszahlungen entsprechend dem aktuellen Bautenstand. Mit Wirkung vom 1. Januar 2018 ist ein Bauträgervertrag ein eigener Vertragstyp zur Errichtung oder zum Umbau eines Hauses oder eines vergleichbaren Bauwerks, der zugleich die Verpflichtung enthält, dem Besteller das Eigentum an dem Grundstück zu übertragen oder ein Erbbaurecht zu bestellen oder zu übertragen (§ 650u BGB). Das neue Bauvertragsrecht hat damit keine grundlegenden Änderungen des Bauträgerrechts vorgenommen. Normiert sind die notwendigen Klarstellungen und Anpassungen des Bauträgervertragsrechts an das geänderte Bauvertragsrecht und Verbraucherbauvertragsrechts. (vgl. Kniffka, Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, Heft 10a).

409

1.7

Spezielle Vorschriften der Nacherfüllung bei Lieferketten im neuen Bauvertragsrecht

Nach § 650 BGB finden auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, die Vorschriften über den Kauf Anwendung. Da das Kaufrecht im Gegensatz zum Werkrecht andere Regelungen hat, folgen hieraus zum Teil erhebliche Konsequenzen. Nach § 442 Abs. 1 BGB sind die Mängelrechte des Käufers nur ausgeschlossen, wenn er bei Vertragsschluss den Mangel kennt oder grob fahrlässig nicht kennt. Eine rügelose Entgegennahme der Kaufsache hat nach dem BGB demgegenüber keine Folgen. Da aber jeder Gewerbetrieb als Handelsgewerbe (§ 1 Abs. 2 HGB) gilt, finden die kaufmännischen Untersuchungs- und Rügepflichten nach § 377 HGB Anwendung. Die unterlassene unverzügliche Anzeige erkennbarer Mängel führt zum Anspruchsverlust. Nur bei einem versteckten Mangel ist eine rechtzeitige Mängelrüge noch nachträglich möglich (OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.07.2016 – 12 U 31/16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.05.2015 – 22 U 11/15; LG Dessau-Roßlau, Urteil vom 10.03.2016 – 7 S 167/15; BGH, Urteil vom 24.02.2016 – VIII ZR 38/15). Allerdings sind aufwändige Test nicht notwendig. Ist der Unternehmer nach dem Werkvertragsrecht zur Nacherfüllung verpflichtet, hat er alle Kosten zu tragen, die im Zuge der Nacherfüllung entstehen. Er muss beispielsweise sein Werk freilegen und nach Nacherfüllung den ursprünglichen Zustand wieder herstellen. Auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an. Nach der früheren Rechtslage kannte das Kaufrecht eine derartige Haftung für Mängelbegleitkosten nicht. Zwar konnte der Käufer vom Verkäufer Nacherfüllung verlangen und der Verkäufer hatte die zum Zweck der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen zu tragen. Dazu gehörten nicht aber die Kosten des Aus- und Wiedereinbaus. Ein – etwas überspitzt formuliertes – Beispiel soll die Unterschiede verdeutlichen: Ein Werkunternehmen kauft von einem Baustoffhändler Material für eine Frostschutzschicht. Das Material kostet EUR 10.000. Der Werkunternehmer trägt das Material als Straßenbelag auf. Da das Material mangelhaft ist, wird der Unternehmer verpflichtet, den

410

H. Franke et al.

Straßenbelag wieder aufzunehmen und neu mit einem mangelfreien Belag zu fertigen, Kosten ca. EUR 300.000. Der Werkunternehmer hatte nach der Rechtslage vor 01.01.2018 gegen den Verkäufer nur Anspruch auf Ersatz der Kosten für das mangelhafte Material. Auf die um ein Vielfaches höheren Kosten des Aus- und Wiedereinbaus hatte er keinen Anspruch. Da diese unterschiedliche Rechtslage zu Lasten von Handwerkern und Bauunternehmen ging, hat der Gesetzgeber in § 439 Abs. 3 BGB bestimmt, dass der Anspruch des Käufers auf Nacherfüllung auch den Ausbau der gekauften mangelhaften und den Einbau der nachzubessernden oder als Ersatz zu liefernden Sache umfasst. Der Verkäufer wiederum hat nun ein Rückgriffsrecht. Dies ist deshalb relevant, weil zwischen dem Hersteller und dem letztlich einbauenden Werkunternehmer mitunter 3 oder 4 Zwischenhändler eingeschaltet sind. § 445a BGB gibt dem (Letzt-)Verkäufer, der vom Käufer im Wege der Nacherfüllung in Anspruch genommen wurde, gegen seinen Lieferanten einen Anspruch auf Ersatz der Nacherfüllungsaufwendungen, wenn er diese Kosten zu tragen hatte. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass der vom Käufer geltend gemachte Mangel bereits bei der Übergabe vorhanden war. Nachteile aus der Mangelhaftigkeit sollen so möglichst bis zu dem Unternehmer weitergegeben werden, in dessen Bereich der Mangel entstanden ist. Konsequent hat der Gesetzgeber auch die Verjährungsregelung diesem Zweck angepasst. Die Verjährung der Ansprüche des Verkäufers gegen seinen Lieferanten tritt frühestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt ein, in dem der Verkäufer die Ansprüche des Käufers erfüllt hat. (vgl. Retzlaff, Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, Heft 10a)

2

VOB/B, VOB/C

Horst Franke

2.1

Zustandekommen der VOB/B (DVA)

Die VOB ist die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (ehemals „Verdingungsordnung für Bauleistungen“). Sie enthält in den

Teilen A, B und C unterschiedliche Regeln, die gezielt auf die Rechts- und Sachprobleme bei der Vergabe von Bauleistungen sowie der Herstellung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung baulicher Anlagen zugeschnitten sind. Die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) besteht aus drei Teilen: VOB/Teil A = DIN 1960 = VOB/A; Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen VOB/Teil B = DIN 1961 = VOB/B; Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen VOB/Teil C = ATV = VOB/C; Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen Das BGB als zentrale Kodifikation des deutschen allgemeinen Privatrechts ist zum 01.01.1900 in Kraft getreten. Seit diesem Zeitpunkt hat das Wirtschaftsleben eine Entwicklung erfahren, die 1900 nicht vorstellbar erschien. Viele Vorschriften des BGB sind deutlich verändert worden, zum Teil wurden Nebengesetze in erheblichem Umfang geschaffen (z. B. im Arbeitsrecht). Dagegen hat das Werkvertragsrecht wenige grundlegende Änderungen bis zum 01.01.2018 erfahren. Das BGB enthielt schon in seiner ursprünglichen Fassung die heute noch grundlegenden Regelungen zum Werkvertragsrecht, worunter auch der Bauvertrag fiel. Schnell erkannte schon damals die Praxis, aber auch der damalige Gesetzgeber, dass die allgemeinen Regelungen des Werkvertragsrechts für einen Bauvertrag nicht ausreichend waren. Insbesondere war das Werkvertragsrecht nicht geeignet, die Vielschichtigkeit, die Komplexität, aber auch die längere Erfüllungszeit zu erfassen. Ein Werkvertragsrecht, das gleichermaßen für das Besohlen eines Schuhes wie für den Bau eines Tunnels oder eines Hochhauses dieselben gesetzlichen Regelungen vorgab, konnte nicht ausreichend sein. Der damalige Gesetzgeber, der Reichstag, entschied sich jedoch nach langen Beratungen gegen die Verabschiedung eines Bauvertragsrechts. Es wurde der Reichsverdingungsausschuss gegründet, der die Aufgabe hatte, Regelungen für den Bauvertrag zu schaffen. Die erste Version der VOB stammt

Privates Baurecht

aus dem Jahr 1926, die vom damaligen Reichsverdingungsausschuss auf Ersuchen des Reichstages geschaffen wurde, um „... für die Vergebung von Leistungen und Lieferungen einheitliche Grundsätze für Reich und Länder zu schaffen“. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Arbeit des Reichsverdingungsausschusses von dem 1947 gegründeten Deutschen Verdingungsausschuss für Bauleistungen, dem DVA (seit 2002: Deutscher Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen) fortgesetzt. In diesem Ausschuss sind Auftraggeber und Auftragnehmer vertreten, insbesondere die mit dem Baugeschehen befassten Ministerien, öffentliche Verwaltungen sowie Wirtschafts-, Bauindustrie- und Berufsverbände. Der DVA hat die Aufgabe, Grundsätze für die sachgerechte Vergabe und Abwicklung von Bauaufträgen zu erarbeiten und weiterzuentwickeln. Dies erfolgt insbesondere durch die Erarbeitung und Fortschreibung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB). Der DVA überarbeitet die VOB laufend und passt sie den sachlichen und rechtlichen Entwicklungen an. Ordentliches Mitglied im DVA können werden: auf Auftraggeberseite Institutionen, die als oberste Bundes- oder Landesbehörden bzw. in sonstiger diesen vergleichbarer Organisationsform oder als bundesweit tätige Spitzenverbände unmittelbar an der Vergabe von öffentlichen Bauleistungen beteiligt sind (Bundes-, Landesministerien und kommunale Spitzenverbände); auf Auftragnehmerseite bundesweit tätige Institutionen, die als Spitzenorganisation die Interessen der Auftragnehmer im Bereich des öffentlichen Bauauftragswesens vertreten. Der Tätigkeit des Ausschusses liegt die Erwägung zugrunde, dass ein gemeinsam von Auftraggeber- und Auftragnehmerseite erarbeitetes Vertragswerk besser als ein Gesetz oder eine Verwaltungsanordnung geeignet ist, allgemeine Anerkennung und Anwendung zu finden und auch das erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen beiden Lagern anzubahnen. Der Ausschuss geht davon aus, dass er ein Vertragswerk erarbeitet, das die Interessen der Baubeteiligten ausgewogen berücksichtigt. Die VOB/A enthält die allgemeinen Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen, regelt

411

damit das materielle Vergaberecht, also den Ablauf bei einer Vergabe durch den öffentlichen Auftraggeber bis zum Abschluss des Bauvertrages. In der VOB/B finden sich die „Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen“. Die VOB/B ist damit ein Bauvertragsmuster, das die Vertragsparteien zum Vertragsinhalt machen können. Die öffentliche Hand ist auf Grund der Verweisung der Vergabeverordnung auf die VOB/A zur Anwendung der VOB/B verpflichtet. Die VOB/B regelt den Zeitraum der „Bauabwicklung“, also die Phase vom Vertragsschluss bis zur Erfüllung aller wechselseitigen Vertragspflichten. Dazu gehören auch Ansprüche aus dem Zeitraum nach Abnahme der Bauleistung, etwa (Schluss)Zahlungs- und Mängelansprüche oder Ansprüche auf Rückgabe von Sicherheiten. Die VOB/C enthält schließlich die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (ATV), gegliedert nach Gewerken in den DIN 18300 ff. In den ATV finden sich jeweils Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung sowie Regelungen über ihren jeweiligen Geltungsbereich, für Stoffe und Bauteile, die Ausführung, Neben-/Besondere Leistungen und für die Abrechnung des betreffenden Gewerks. Vorangestellt ist die DIN 18299, die als eine Art technische Generalnorm gemeinsame Grundregeln für sämtliche Gewerke enthält. (vgl. Beck’scher VOB-Kommentar VOB Teil C, Kommentierung zu DIN 18299) Liegt dem Bauvertrag die VOB/ B zu Grunde, gilt nach § 1 Abs. 1 Satz 2 VOB/B auch die VOB/C als Vertragsbestandteil. Mit dem neuen Bauvertragsrecht, das zum 01.01.2018 in Kraft getreten ist, hat nun erstmals der Gesetzgeber umfassende gesetzliche Regelungen zum Bauvertragsrecht erlassen. Bis zum neuen Bauvertragsrecht galt, dass die VOB/B eine dem dynamischen Baufortschritt adäquate Regelung darstellt, die dem Werkvertragsrecht des BGB überlegen ist. Zum 01.01.2018 hat der Gesetzgeber jedoch ein Bauvertragsrecht in das BGB aufgenommen. Es wird sich zeigen, wie das Verhältnis von der VOB/B zum neuen Bauvertragsrecht sich gestalten wird. Ganz erheblich wird es davon abhängen, wie der DVA die VOB ausgestalten wird.

412

2.2

H. Franke et al.

Die VOB/B als Allgemeine Geschäftsbedingung

Nach § 305 BGB sind „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei der anderen bei Abschluss des Vertrages stellt. §§ 305 ff. BGB enthalten zahlreiche Vorschriften zum Schutz des Vertragsgegners. Maßstab ist, wie weit die Klausel vom gesetzlichen Leitbild abweicht. Verstößt eine Klausel gegen die Schutzvorschriften der §§ 307 ff. BGB, ist sie unwirksam (Kniffka und Koeble 2014, S. 123 ff.). Die vom DVA entwickelte VOB/B ist ein Mustervertrag. Nach grundlegenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofes sind die Regelungen der VOB/B für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen. Werden sie bei Abschluss des Vertrages von einer Partei der anderen Partei gestellt, so sind sie Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB mit der Folge der Inhaltskontrolle (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.1983 – VII ZR 92/82, BGHZ 86, 140; Urt. v. 02.10.1997 – VII ZR 44/97; BGH, Urt. v. 24.07.2008 – VII ZR 55/07). Soweit die VOB/B jedoch gegenüber Unternehmern, juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtlichen Sondervermögens verwendet wird, schränkt § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB die Inhaltskontrolle ein. Sie findet hinsichtlich einzelner Klauseln nicht statt, wenn die VOB/B als Ganzes vereinbart ist (BGH, IBR 2007, 465; IBR 2004, 370; IBR 2004, 179). Dabei entfällt die Privilegierung bereits bei geringen inhaltlichen Abweichungen von der VOB/B (KG, Urteil vom 10.01.2017 – 21 U 14/16: Förmliche Abnahme vorgesehen). Eine Inhaltskontrolle findet dagegen uneingeschränkt in Verträgen statt, in denen ein Vertragspartner die VOB/B gegenüber einem Verbraucher verwendet. Unerheblich ist, ob die VOB/B als Ganzes vereinbart worden ist oder nur einzelne Bestimmungen der VOB/B Gegenstand des Vertrages sind. Wird die VOB/B vom Auftraggeber gestellt, sind folgende Regelungen (nur Beispiele, Liste ist nicht vollständig) bislang als unwirksam beurteilt worden (Zusammenstellung u. a. von SchultzeHagen IBR 2007, S. 465):

• § 2 Abs. 10 VOB/B: Danach werden Stundenlohnarbeiten nur vergütet, wenn sie als solche vor ihrem Beginn ausdrücklich vereinbart worden sind (OLG Schleswig, Urteil vom 02.06.2005 – 11 U 90/04, Groß, IBR 2005, S. 414). • § 8 Abs. 2 VOB/B: Ob das insolvenzbedingte Sonderkündigungsrecht des Auftraggebers in allen seinen Alternativen wirksam ist, ist sehr fraglich (OLG Karlsruhe, IBR 2006, S. 398; zuletzt: Franke, BauR 2007, S. 774 ff. • § 13 Abs. 5 Nr. 1 Satz 2 VOB/B, sog. QuasiUnterbrechung (LG Halle, IBR 2006, S. 1512). • § 16 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B: Zweimonatige Fälligkeitsfrist der Schlusszahlung (OLG München IBR 1995, S. 8). • § 16 Abs. 3 Nr. 2 – 5 VOB/B: Der Verlust nicht vorbehaltener Schlusszahlungsansprüche ist unwirksam (BGH, IBR 1998, S. 235). Ist die VOB/B vom Auftragnehmer gestellt, sind u. a. folgende Regelungen als unwirksam erachtet worden: • § 12 Abs. 5 VOB/B: Die Regelung der fiktiven Abnahme ist unwirksam (OLG Hamm, IBR 1995, S. 293). • § 13 Abs. 4 VOB/B: Die Verkürzung der Verjährung auf vier Jahre bzw. für wartungsbedürftige Anlagen unter Umständen sogar auf zwei Jahre. • § 15 Abs. 3 letzter Satz VOB/B: Die Anerkenntnisfiktion bei nicht fristgemäß zurückgegebenem Stundenlohnzettel. • § 16 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B: Die Regelung, wonach die Fälligkeit der Schlusszahlung erst nach Stellung der Schlussrechnung eintritt, ist unwirksam (OLG Naumburg, IBR 2005, S. 666). Mit dem neuen Bauvertragsrecht, das zum 01.01.2018 in Kraft getreten ist, hat nun erstmals der Gesetzgeber umfassende Regelungen zum Bauvertragsrecht erlassen. Diese unterscheiden sich gravierend von den Vertragsbedingungen der VOB/B. Beispielsweise hat der Auftraggeber nach § 650b BGB bereits ein Anordnungsrecht, wenn er eine beliebige Änderung des Werkerfolgs begehrt. Nach § 1 Abs. 3 VOB/B kann der Auf-

Privates Baurecht

traggeber nur Änderungen des Bauentwurfs anordnen. Bei den zusätzlichen Leistungen schränkt § 1 Abs. 4 VOB/A das Anordnungsrecht dahingehend ein, dass die zusätzliche Leistung zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich ist und der Betrieb des Auftragnehmers darauf eingerichtet ist. Bei der Berechnung der Höhe der Nachtragsforderung muss der Auftragnehmer nach § 2 Abs. 5, 6 VOB/B auf die Urkalkulation zurückgreifen. Diese Regelungen warfen zahlreiche ungelöste Rechtsfragen auf (Ingenstau et al. 2015, § 2 Abs. 5 Rz. 47 ff.). Beträgt beispielsweise die nach § 2 Abs. 6 VOB/B zu bestimmende Vergütung nahezu das Achtfache des ortsüblichen und angemessenen Preises, kann ein auffälliges Missverhältnis vorliegen. Ein auffälliges Missverhältnis ist nur dann wucherähnlich, wenn der aufgrund dieses auffälligen Missverhältnisses über das übliche Maß hinausgehende Preisanteil sowohl absolut gesehen als auch im Vergleich zur Gesamtauftragssumme in einer Weise erheblich ist, dass dies von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen werden kann. Unter diesen Voraussetzungen besteht eine Vermutung für ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben des Auftragnehmers. An die Stelle der nichtigen Vereinbarung über die Vergütung tritt die Vereinbarung, die Leistungen nach dem üblichen Preis zu vergüten. Der Gesetzgeber gibt dem Auftragnehmer nun ein Wahlrecht (BGH, Urt. v. 07.03.2013 – VII ZR 68/10 in Fortführung von BGH, Urt. v. 18.12.2008 – VII ZR 201/06). Der Auftragnehmer kann zur Berechnung der Nachtragsvergütung auf die Urkalkulation zurückgreifen. Er kann jedoch auch seine Nachtragsleistung nach den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für Wagnis und Gewinn ermitteln. § 650c Abs. 3 BGB räumt dem Auftragnehmer die Möglichkeit ein, Abschlagsforderungen auf Grundlage der Vergütung in Höhe von 80 % eines nach § 650b BGB erstellten Nachtragsangebots zu fordern. Die VOB/B sieht ein derartiges Recht überhaupt nicht vor. § 650d BGB ermöglicht eine Klärung des Anspruchs auf Abschlagszahlung mittels einer einstweiligen Verfügung. Auch hier sieht die VOB/B kein Instrument vor.

413

Die VOB/B wird bis auf Weiteres unverändert bleiben. Hierzu heißt es in der Pressemitteilung des BMUB Nr. 019/18 | Bauwesen vom 24.01.2018: „Das am 1. Januar 2018 in Kraft getretene Bauvertragsrecht im BGB soll zunächst keine Änderungen bei der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) nach sich ziehen. Das haben die Fachexperten der öffentlichen Auftraggeber aus Bund, Ländern und Kommunen sowie der Bauwirtschaftsverbände mehrheitlich beschlossen. Der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) hatte durch sein Arbeitsgremium untersuchen lassen, ob vor dem Hintergrund des neuen gesetzlichen Bauvertragsrechts die VOB/B aktualisiert werden sollte. Monika Thomas, Vorsitzende des DVA und Leiterin der Abteilung Bauwesen, Bauwirtschaft und Bundesbauten im Bundesbauministerium: „Die Empfehlung unseres Fachgremiums halte ich für sinnvoll. Bei dem großen Investitionsbedarf in Infrastruktur und Wohnen können wir uns Rechtsunsicherheit beim Bauen nicht leisten. Ich werde das Votum in die nächste Sitzung des DVA-Vorstands im Mai einbringen.“

Das Fachgremium des DVA bevorzugt zwar die Weiterentwicklung der VOB/B, doch müsse zunächst die aktuelle Diskussion zum BGB-Bauvertrag in der Fachwelt und die Rechtsprechung dazu beobachtet werden. Neuregelungen in der VOB/B wären zum aktuellen Zeitpunkt verfrüht: Die Praxis müsste sich zeitgleich zum Inkrafttreten des gesetzlichen Bauvertragsrechts im BGB auch auf eine veränderte VOB/B einstellen, die erforderliche Rechtssicherheit neuer VOB/B-Regelungen wäre mangels gesicherter Auslegung des BGBBauvertrags jedoch nicht gewährleistet. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum neuen gesetzlichen Bauvertragsrecht werde jedoch, insbesondere unter AGB-rechtlichen Aspekten, verfolgt und daraus gegebenenfalls Veränderungsbedarf in der VOB/B abgeleitet. Die VOB/B als Musterbauvertrag für die öffentliche Hand wird seit über 90 Jahren im paritätisch mit öffentlichen Auftraggebern und Bauwirtschaftsverbänden besetzten DVA erarbeitet. Sie ist Allgemeine Geschäftsbedingung, die sich nach den Regeln der §§ 305 ff. BGB am gesetzlichen Leitbild messen lassen muss.“ Wird zukünftig die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart, müssen m. A. die Vertragsbedingun-

414

H. Franke et al.

gen der §§ 1 Abs. 3, 4 und §§ 2 Abs. 5, 6 VOB/B für unwirksam erklärt werden, da sie dem nun erlassenen gesetzlichen Leitbild eklatant widersprechen. Der öffentliche Auftraggeber muss die VOB/B derzeit uneingeschränkt vereinbaren. Damit unterliegen die einzelnen Klauseln nicht der Inhaltskontrolle. Aber auch dann ist fraglich, ob es weiterhin eine Privilegierung der VOB/B gibt. In einer älteren Beschlussempfehlung (Bundestagsdrucksache 16/9787, S. 18) zur Änderung der §§ 308 ff. BGB heißt es, dass für den vereinbarten Anwendungsbereich dann, wenn die Vertragsparteien die VOB/B als Ganzes vereinbaren, keine individuelle Klauselkontrolle am Maßstab der §§ 307 bis 309 stattfindet. Möglich bleiben soll aber eine Kontrolle der VOB/B als Ganzes anhand § 307 Abs. 1 und 2 BGB. Danach hätte nach Inkrafttreten des BGB-Bauvertragsrechts eine Kontrolle der VOB/B als Ganzes anhand des neuen gesetzlichen Leitbildes stattzufinden.

2.3

Erläuterung der einzelnen Vorschriften der VOB/B

In § 1 VOB/B werden die Kriterien zur Bestimmung der vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen genannt: der Vertrag nebst der VOB/ C als Ausgangspunkt der Bestimmung (Abs. 1), die Rangfolge bei Widersprüchen zwischen einzelnen Vertragsbestandteilen (Abs. 2), die mögliche Änderung des Bauentwurfs durch den Auftraggeber (Abs. 3) sowie das Verlangen von zusätzlichen Leistungen durch den Auftraggeber (Abs. 4). Die Gegenleistung des Auftraggebers wird in § 2 VOB/B geregelt. Aus dem Zusammenspiel der beiden Regelungen werden die maßgeblichen Inhalte von Leistung und Gegenleistung beim VOB-Vertrag deutlich. § 1 Abs. 1 S. 1 VOB/B regelt etwas (nur) auf den ersten Blick Selbstverständliches: Art und Umfang der auszuführenden Leistung werden durch den Vertrag bestimmt. Heranzuziehen sind sämtliche Vertragsbestandteile, d. h. nicht nur der schriftliche Vertrag, sondern auch die zum Vertragsinhalt gemachten Leistungsbeschreibungen, Pläne, Technischen Vertragsbedingungen und schließlich die VOB/C. Sollten die Vertrags-

grundlagen nicht eindeutig sein, ist die auszuführende Leistung durch Auslegung zu ermitteln (Verständnis aller Bieter als maßgeblicher Empfängerhorizont u. a. BGH, Urteil v. 22.12.2011, VII ZR 67/11). Wie in § 7 VOB/A beschrieben, wird grundsätzlich zwischen Leistungsbeschreibungen mit einem Leistungsverzeichnis und der sog. funktionalen Leistungsbeschreibung unterschieden. Bei einem Leistungsverzeichnis wird der Inhalt der Leistung durch den Positionstext bestimmt, mitunter sind die Vorbemerkungen ergänzend heranzuziehen. In den Positionen sind konkrete Einzelleistungen beschrieben. Dagegen wird bei der funktionalen Leistungsbeschreibung der Leistungsinhalt durch den Erfolg global vorgegeben. Der Auftragnehmer hat alles das zu erbringen, was für den global beschriebenen Erfolg erforderlich ist. Damit verlagert sich das Vollständigkeitsrisiko auf den Auftragnehmer. Das einseitige Änderungsrecht des Auftraggebers ist in § 1 Abs. 3 VOB/B beschrieben. Durch eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung darf der Auftraggeber jederzeit Änderungen des Bauentwurfs anordnen. Bauentwurf ist die Bauleistung, wie sie durch die gesamte Leistungsbeschreibung, einschließlich aller textlichen und zeichnerischen Darstellungen definiert ist. Immer noch streitig ist, ob Anordnungen bezüglich der Bauzeit als Änderungen des Bauentwurfs möglich sind. Das Anordnungsrecht steht nur dem Auftraggeber zu. Der Auftragnehmer darf von sich aus nicht von der vertraglich vereinbarten Ausführung abweichen. Der vom Auftraggeber beauftragte Architekt ist, sofern er nicht eine ausdrückliche Bevollmächtigung hierzu hat, nicht bevollmächtigt, Änderungen anzuordnen. Als Willenserklärung ist die Anordnung gegenüber dem Auftragnehmer ausdrücklich oder konkludent abzugeben. Der Auftraggeber ist darüber hinaus auch berechtigt, die Ausführung von zusätzlichen Leistungen nach § 1 Abs. 4 VOB/B zu verlangen. Zusätzliche Leistung sind solche, die bisher nicht Gegenstand des Vertrages waren. Im Gegensatz zu der Anordnung von den Bauentwurf ändernden Leistungen ist der Auftragnehmer zur Ausführung von zusätzlichen Leistungen nur verpflichtet,

Privates Baurecht

wenn diese zur Ausführung der vertraglich geschuldeten Leistung erforderlich sind. Dies bedeutet, dass der Auftraggeber nicht jede beliebige Zusatzleistung verlangen kann, sondern nur solche, deren Ausführung notwendig ist, um die vertraglichen Leistung vollständig und mängelfrei erbringen zu können. Bei den zusätzlichen Leistungen kann der Auftragnehmer einwenden, dass sein Betrieb auf derartige Leistungen nicht eingerichtet ist. Es muss sich also um betriebsfremde Leistungen handeln, die der Auftragnehmer aufgrund seiner personellen und sachlichen Ausstattung nicht in der Lage ist auszuführen. § 2 VOB/B enthält die entscheidenden Vorschriften zur Vergütung für die erbrachten Leistungen. Die Regelungen stehen in Zusammenhang mit § 1 VOB/B insoweit, als mit der Verpflichtung zur Erbringung der vertraglichen Leistungen und den nachträglich vom Auftraggeber verlangten bzw. angeordneten Leistungen deren Gegenleistung bestimmt wird (vgl. Franke VOB Kommentar, § 2 ff.). § 2 Abs. 1 VOB/B enthält die Generalklausel bezüglich der Vergütung und legt fest, welche Gegenleistung dem Auftragnehmer für die Ausführung der vertraglich vereinbarten Leistungen zusteht. Die vertraglich vereinbarten Preise sind grundsätzlich unveränderlich, soweit nicht in den nachfolgenden Regelungen des § 2 etwas anderes geregelt ist. In § 2 Abs. 2 VOB/B sind die verschiedenen Vergütungsformen behandelt. § 2 Abs. 3 VOB/B regelt die Mengenabweichungen beim Einheitspreisvertrag. § 2 Abs. 5 und Abs. 6 regelt die Rechtsfolge bei den nachträglichen Eingriffen des Auftraggebers in das Leistungssoll. § 2 Abs. 7 VOB/B betrifft die Vergütung bei Vereinbarung eines Pauschalpreises. § 2 Abs. 2 VOB/B unterscheidet zwischen Einheitspreisvertrag, Pauschalpreisvertrag, Stundenlohn und Selbstkostenerstattung. Der am häufigsten vorkommende Vertrag ist der Einheitspreisvertrag. Die Leistung ist in einzelne Leistungen aufgeteilt, die in den jeweiligen Positionstexten konkret beschrieben sind. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sind die Mengenvordersätze nur vorläufig bestimmt. Im Rahmen des Angebotes gibt der Auftragnehmer für eine Mengeneinheit einen Einheitspreis ab. Aus der Multi-

415

plikation der vertraglich vorausgesetzten Menge, dem sog. Mengenvordersatz, und dem angebotenen Einheitspreis ergibt sich der vorläufige Gesamtpreis für die Position. Die Summe aller Positionspreise macht die vorläufige Auftragssumme aus. Am Ende des Bauvorhabens werden Auftragnehmer und Auftraggeber idealerweise gemeinsam ein Aufmaß vornehmen, um so die tatsächlich ausgeführten Mengen zu ermitteln. Anhand dieser tatsächlich ausgeführten Mengen ergeben sich dann die Gesamtpreise für die Positionen und wiederum aus der Addition die Schlussrechnungssumme. Beim Einheitspreisvertrag liegt somit das Mengenermittlungsrisiko beim Auftraggeber. Abweichungen von den vorläufig geschätzten Mengenvordersätzen wirken sich auf die Gesamtvergütung am Ende aus. Viele Auftraggeber wünschen jedoch bereits bei Vertragsschluss, einen endgültigen Preis für die gesamte Leistung zu vereinbaren. Diesem Zweck dient der Detailpauschalvertrag. Auch bei einem Detailpauschalvertrag ist die Leistung detailliert beschrieben. Das heißt, auch hier sind die Leistungen in einzelne kleine Einzelleistungen aufgeteilt. Die Parteien wollen allerdings bereits bei Vertragsschluss eine endgültige Auftragssumme vereinbaren. Hierfür pauschalieren die Parteien die Vergütung. Die Vergütung soll sich nicht an den tatsächlich ausgeführten Mengen orientieren. Die später tatsächlich ausgeführte Menge soll keinen Einfluss auf die Schlussrechnungssumme haben. Damit trägt der Auftragnehmer das Mengenermittlungsrisiko. Wichtig ist jedoch, dass nur die Vergütung pauschaliert ist. Nicht pauschaliert ist dagegen die Leistung. Das bedeutet, dass der Auftragnehmer wie beim Einheitspreisvertrag die konkret in den einzelnen Positionstexten beschriebene Leistung zu erbringen hat. Sollten später andere Leistungen notwendig werden, sind diese vom Auftragnehmer nicht zu der Pauschalvergütung zu erbringen. Hiervon ist der Globalpauschalvertrag zu unterscheiden. Die Bestimmung des Leistungsinhalts erfolgt nicht detailliert wie beim Einheitspreisvertrag oder beim Detailpauschalvertrag, sondern wird global auf den zu erzielenden Erfolg definiert. Ganz üblicherweise werden dem Auftragnehmer also auch Planungsleistungen übertra-

416

gen. Anders als beim Detailpauschalvertrag wird somit beim Globalpauschalvertrag nicht nur die Vergütung, sondern auch die Leistung pauschaliert. Damit trägt der Auftragnehmer neben dem Mengenrisiko auch noch das Risiko der Leistungsermittlung in qualitativer und quantitativer Hinsicht. Die Parteien können auch vereinbaren, dass die im Vertrag beschriebene Leistung nach ihrem zeitlichen Aufwand vergütet wird, sog. Stundenlohnvertrag. Hierfür ist eine gesonderte Vereinbarung erforderlich, die den Leistungsinhalt ebenso wie die Höhe des Stundensatzes pro geleistete Stunde festschreibt. Sehr geringe Bedeutung hat der Selbstkostenerstattungsvertrag. Die Leistung wird nach den Selbstkosten abgerechnet. Manche GMP-Modelle enthalten Elemente des Selbstkostenerstattungsvertrages. Beim Einheitspreisvertrag treffen die Parteien bei Vertragsschluss keine Vereinbarung über die abzurechnenden Mengen, sondern nur über den Einheitspreis unter Zugrundelegung der angenommenen vorläufigen Mengen. Die tatsächlich ausgeführten Mengen müssen nicht mit den vorläufig angenommenen Mengen übereinstimmen. Dennoch hat der Auftragnehmer auf Grundlage der vorläufig angenommenen Mengen seinen Einheitspreis kalkuliert. § 2 Abs. 3 VOB/B sieht deshalb detaillierte Regelungen hinsichtlich der Vergütung bei Mengenabweichungen gegenüber den vorläufig angenommenen Mengen vor. Toleranzgrenze sind jeweils 10 % nach oben und unten. Bei einer Überschreitung von mehr als 10 % gilt, dass für 110 % der Menge der alte Einheitspreis gilt. Für die über 110 % hinausgehende Überschreitung kann auf Verlangen des Auftragnehmers ein neuer Einheitspreis gebildet werden. Ob dieser neue Einheitspreis gegenüber dem alten höher oder niedriger liegt, ist anhand der Preiskalkulation festzustellen. In der Praxis ist dieser neue Einheitspreis jedoch oft etwas niedriger, da in dem alten Einheitspreis bereits die Baustellengemeinkosten und Allgemeinen Geschäftskosten (BGK und AGK) kalkuliert waren. Andererseits führen erhebliche Mehrmengen gerade bei Tiefbauleistungen häufig zu höheren Einheitspreisen. Bei Mengenunterschreitung von mehr als 10 % ist

H. Franke et al.

ein erhöhter Einheitspreis zu bilden. Werden weniger als 90 % der bei Vertragsschluss angenommenen Mengen ausgeführt, führt dies zu einer Unterdeckung der Baustellengemeinkosten und Allgemeinen Geschäftskosten (BGK und AGK). Durch eine entsprechende Erhöhung der Einheitspreise sind die AGK und BGK bis zu 100 % anzugleichen. Die Erhöhung der Einheitspreise soll allerdings ausgeschlossen sein, sofern der Auftragnehmer durch Mengenüberschreitungen in anderen Positionen oder auf andere Weise einen Ausgleich erhält. Bei einer Mengenreduzierung auf null wendete der BGH die Regelung über die Teilkündigung entsprechend an. Das heißt der Auftragnehmer behält den Anspruch auf die Vergütung; er muss sich aber das anrechnen lassen, was er infolge anderweitiger Tätigkeit erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen hat. § 2 Abs. 5 VOB/B bestimmt die Vergütung der nach § 1 Abs. 3 VOB/B angeordneten Änderung der Leistung. Es sind sämtliche Änderungen von Leistungen, die der Auftragnehmer aus dem Vertrag zu erbringen hat, betroffen. Während jedoch § 1 Abs. 3 nur von Änderung des Bauentwurfs spricht, gibt § 2 Abs. 5 VOB/B dem Auftragnehmer auch dann einen Anspruch auf Vergütung, wenn der Auftragnehmer einer anderen Anordnung des Auftraggebers gefolgt ist. Damit sind auch alle sonstigen Eingriffe des Auftraggebers in den Bauablauf erfasst. Selbst wenn der Auftraggeber nach § 1 Abs. 3 VOB/B nicht zu einer Einflussnahme berechtigt war, erhält der Auftragnehmer noch eine Vergütung, wenn der Auftraggeber eine solche Anordnung getroffen hat und der Auftragnehmer dieser Folge geleistet hat. § 2 Abs. 6 VOB/B knüpft an § 1 Abs. 4 an. Es muss sich daher um eine im Vertrag nicht vorgesehene Leistung, also um eine zusätzliche Leistung, handeln. Diese Leistung muss der Auftraggeber verlangen d. h. es muss eine eindeutige und bestimmte Erklärung des Auftraggebers vorliegen. Anders als bei der Änderung des Bauentwurfs verlangt § 2 Abs. 6 zusätzlich eine Ankündigung des Mehrvergütungsanspruchs. Die Rechtsprechung hat jedoch zahlreiche Ausnahmen von der Ankündigungspflicht gemacht. Beispielsweise ist dann die Ankündigung entbehrlich, wenn die Ankündigung für den Schutz des

Privates Baurecht

Auftraggebers entbehrlich und ohne Funktion war oder wenn die Versäumung der Ankündigung entschuldbar ist. Gibt es keine Alternative zur sofortigen Ausführung, ist ebenfalls die Ankündigung entbehrlich. Da es somit zahlreiche Ausnahmen von der Ankündigung gibt, ist die Abgrenzung zwischen der zusätzlichen und geänderten Leistung etwas in den Hintergrund gerückt. Denn diese Abgrenzung bereitet häufig Schwierigkeiten. Bei Unsicherheiten sollte deshalb ein Mehrvergütungsanspruch immer angekündigt werden. Sowohl bei § 2 Abs. 5 als auch bei § 2 Abs. 6 wird auf die Urkalkulation des Auftragnehmers Bezug genommen. Mit dem Rückgriff auf die Preisermittlungsgrundlagen soll das Äquivalenzprinzip infolge des Bestimmungsrechts durch den Auftraggeber gewahrt werden. Auf dieser Basis werden die im Wettbewerb zu Stande gekommenen Preise fortgeschritten. Hier hat sich der Grundsatz „guter Preis bleibt guter Preis, schlechter Preis bleibt schlechter Preis“ manifestiert. § 2 Abs. 7 beschreibt zunächst den Grundsatz der Unveränderlichkeit des Pauschalpreises. Wie aber bereits oben beim Pauschalvertrag dargelegt, beschränkt sich die Pauschalierung des Preises nur auf das Mengenrisiko. Damit kann mit Abschluss des Pauschalpreisvertrages nicht ohne weiteres angenommen werden, dass auch hinsichtlich der Leistung alles geschuldet sein soll, was der Auftraggeber begehrt. Insbesondere ist hier die Unterscheidung zwischen dem Detailund Globalpauschalvertrag wichtig. Ausgehend von dem Detailpauschalvertrag trägt der Auftragnehmer das Mengenermittlungsrisiko. Vom Grundsatz her soll der Pauschalpreis unveränderlich sein. Eine Ausnahme macht § 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 2 und S. 3. Sind die Parteien bei der Vereinbarung des Pauschalpreises von einer voraussichtlich auszuführenden Menge ausgegangen und ist diese Mengenvorstellung als Geschäftsgrundlage in die Preisbildung eingeflossen, kann das Festhalten an dem Pauschalpreis für eine Partei unzumutbar sein. Soweit sich während der Ausführung herausstellt, dass die Mengenvorstellungen unzutreffend waren, die tatsächlich zu erbringende Leistung erheblich davon abweicht und einer der Parteien das Festhalten am Pauschalpreis unzumutbar ist, ist ein Ausgleich zu gewähren. Die

417

obergerichtliche Rechtsprechung nimmt als prozentuale Grenze 20 % des Pauschalpreises an. Allerdings ist die Bezugsgröße keine Abweichung der Position, in der die Mengenabweichung auftritt, sondern der gesamte Pauschalpreis. Die Mengen müssen sich derart verändern, dass der Pauschalpreis sich um 20 % verändert. Rechtsfolge ist, dass ein neuer Pauschalpreis für die gesamte Leistung zu bilden ist. § 2 Abs. 7 Nr. 2 stellt klar, dass auch bei Pauschalpreisverträgen die Änderung des Bauentwurfs oder das Verlangen zusätzlicher Leistung zu Mehrvergütungsansprüchen führen kann. Die Vergütungsfolge des § 2 Abs. 8, wonach der Auftragnehmer keine Vergütung für ohne Aufforderung oder unter eigenmächtige Abweichung vom Vertrag ausgeführte Leistungen erhalten soll, gilt als gerechtfertigt, da der Auftraggeber eine von ihm nicht bestellte Leistung auch nicht vergüten soll. Allerdings bestehen hiervon einige Ausnahmen. Der Auftragnehmer erhält dann eine Vergütung, wenn der Auftraggeber die Leistung nachträglich anerkannt. Erforderlich ist aber ein eindeutiges ausdrückliches Anerkenntnis, mit der der Auftraggeber das Zeichen gibt, dass er mit der Ausführung unter Beachtung der Abweichung einverstanden ist und diese als vertraglich anerkennt. Die bloße Freigabe von Plänen reicht hierfür nicht aus. Weiter erlangt der Auftragnehmer dann eine Vergütung, wenn die Leistung für die Erfüllung des Vertrages notwendig war. Die Notwendigkeit bestimmt sich aber nach technischen Kriterien. Zudem muss die Leistung dem mutmaßlichen Willen des Auftraggebers entsprechen. Der mutmaßliche Wille ist objektiv zu bestimmen. Und drittens hat der Auftragnehmer dem Auftraggeber die von ihm abweichend vom Vertrag vorgenommene Leistung unverzüglich anzuzeigen. Die Bauzeit spielt bei Bauverträgen eine erhebliche Rolle. Die VOB/B hat deshalb an verschiedenen Stellen Regelungen zu der Bauzeit getroffen. § 5 und § 6 VOB/B enthalten angemessene detaillierte Regelungen zur Bauzeit. Während § 5 die Grundvoraussetzung für die Vereinbarung von Ausführungsfristen enthält, regelt § 6 die nachträglichen Störungen der vorgesehenen zeitlichen Abläufe. In Zusammenhang mit § 5 steht § 11 VOB/B, der Regelungen über die Vertragsstrafe

418

enthält. § 8 Abs. 3 VOB/B gibt dem Auftraggeber eine Kündigungsmöglichkeit, sofern der Auftragnehmer eine Verzögerung verursacht hat. Und schließlich können auch für eine mögliche Kündigung des Auftragnehmers nach § 9 die Vertragsfristen Bedeutung haben. § 5 VOB/B unterscheidet zwischen Vertragsfristen und unverbindlichen Ausführungsfristen. Vertragsfristen sind Ausführungsfristen, die verbindlich sind, also die Fälligkeit der Leistung begründen. Die Überschreitung einer Vertragsfrist löst sofort Rechtsfolgen aus. Vertragsfristen sind Fristen, die im Vertrag als verbindliche Fristen so gekennzeichnet sind. Fristen im Bauzeitenplan sind ohne besondere vertragliche Regelung nicht verbindlich. Üblicherweise werden der Beginn der Ausführung und die Fertigstellung als Vertragstermine vereinbart. Zwischenfristen dienen häufig lediglich der Terminkontrolle und gelten daher nicht als verbindliche Vertragsfristen, so lange hier nicht eine eindeutige vertragliche Regelung getroffen wurde. § 5 Abs. 2 enthält Regelungen, falls Vereinbarungen von Fristen und Terminen fehlen. Haben die Parteien den Beginn der Arbeiten nicht kalendermäßig bestimmt, hat der Auftraggeber zunächst dem Auftragnehmer auf Verlangen Auskunft über den voraussichtlichen Beginn zu geben. Nach Aufforderung hat der Auftragnehmer die Pflicht, innerhalb von zwölf Werktagen mit der Ausführung der Leistung zu beginnen. Fehlt es an verbindlichen Zwischenterminen, hat der Auftragnehmer dennoch die Pflicht zur angemessenen Förderung und zur baldigen Vollendung des Werkes. Erkennt ein Auftraggeber während der Bauausführung, dass die Arbeiten des Auftragnehmers sich verzögern, kann der Auftraggeber trotz fehlender verbindlicher Zwischenfrist handeln. Der Auftraggeber hat nach § 5 Abs. 3 einen konkreten Abhilfeanspruch. Wenn nämlich Arbeitskräfte, Geräte, Gerüste, Stoffe oder Bauteile so unzureichend sind, dass die Ausführungsfristen offenbar nicht eingehalten werden können, muss der Auftragnehmer auf Verlangen unverzüglich Abhilfe schaffen. Selbst wenn daher der Auftragnehmer also nur eine unverbindliche Zwischenfrist nicht einhält, spricht eine starke Vermutung dafür, dass der gesamte Terminplan

H. Franke et al.

gefährdet ist und die Fertigstellung nicht gehalten werden kann. Unter Fristsetzung ist der Auftragnehmer aufzufordern, konkret Abhilfe zu schaffen. Weiteres wichtiges Mittel, die Bauzeit zu steuern, ist die Vertragsstrafe. Die Vertragsstrafe hat zwei Funktionen: Einerseits soll sie eine Druckfunktion hinsichtlich der Hauptverbindlichkeit ausüben, andererseits soll sie dem Gläubiger bei verschuldeter Verletzung der Pflicht die Möglichkeit verschaffen, ohne konkreten Nachweis des entstandenen Schadens einen Ausgleich zu erhalten. Durch die Einbeziehung der VOB/B in das Vertragsverhältnis wird eine Vertragsstrafe nicht begründet. Es ist vielmehr eine konkrete vertragliche Abrede notwendig. Bei der Vertragsstrafe wird der Auftragnehmer verpflichtet, für den Fall der Nichterfüllung oder nicht gehörigen Erfüllung einer Pflicht einen bestimmbaren Betrag an den Auftraggeber zu zahlen. Beispielsweise können Wettbewerbsabreden Gegenstand von Vertragsstrafevereinbarungen sein. Der Hauptanwendungsfall ist aber der Verzug mit der Fertigstellung oder bestimmter Zwischenfristen. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen (§§ 339 ff.) muss der Auftragnehmer mit der Leistung im Verzug sein. Damit ist für die Verwirkung der Vertragsstrafe (= Anfall der Vertragsstrafe) immer ein Verschulden notwendig. Wird die Vertragsstrafe in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom Auftraggeber gestellt, dürfen die Berechnungsparameter nicht unverhältnismäßig hoch sein, ansonsten ist die Klausel unwirksam und der Vertragsstrafenanspruch ist insgesamt hinfällig. Die Höhe der Vertragsstrafe wird durch den Tagessatz bestimmt, gleichzeitig muss eine Begrenzung in der Höhe festlegt sein. Sowohl der Tagessatz als auch die Obergrenze einer prozentual an der Auftragssumme orientierten Vertragsstrafe müssen sich in wirtschaftlich vernünftigen Rahmen halten, wobei ein Tagessatz von 0,5 % der Auftragssumme auch bei einer Obergrenze von 5 % zu hoch sei, da bereits bei einem Verzug von 10 Werktagen die volle Vertragsstrafe verwirkt ist (BGH, Urteil vom 20.01.2000 – VII ZR 46/98). Eine Vertragsstrafe bis zu 0,3 % der Auftragssumme pro Arbeitstag für die Überschreitung des Fertigstellungstermins wird als zulässig erachtet. 0,5 % pro Arbeitstag ist dagegen unwirksam

Privates Baurecht

(BGH, BauR 2002, S. 1086). Hinsichtlich der Begrenzung der Höhe nach werden 5 % der Nettoabrechnungssumme als zulässig beurteilt (BGH, BauR 2003, S. 870). Wird die Vertragsstrafe an die Überschreitung mehrerer Fristen (Zwischenfristen und Fertigstellungstermin) geknüpft, kann sich der an sich ausreichend niedrige Tagessatz infolge einer Kumulation zu einem unangemessen hohen Tagessatz wandeln. In diesem Fall kann die Vertragsstrafe unwirksam sein (OLG Bremen, Urt. v. 07.10.1986 – 1 U 151/85; OLG Hamm, Urt. v. 10.02.2000 – 21 U 85/98, vgl. auch OLG Koblenz, Urt. v. 23.03.2000 – 2 U 792/99). Das kann der Fall sein, wenn die Zwischentermine so liegen, dass sie gleichzeitig überschritten werden. Denn hierdurch wirkt eine Verzögerungsursache mehrfach. Allerdings können Störungen hinsichtlich der Bauzeit auch aus der Sphäre des Auftraggebers kommen, denn den Auftraggeber treffen Mitwirkungspflichten. Die Behinderung ist eine unplanmäßige Störung des Bauablaufs. Die Behinderung kann vom Auftraggeber, vom Auftragnehmer oder von anderer Seite verursacht sein. Eine Behinderung kann zu einer vorübergehenden Unterbrechung der Arbeiten führen. Kommt es zu einem vorübergehenden Stillstand, wird dieser Tatbestand von § 6 Abs. 5, 7 VOB/B erfasst; der endgültige Stillstand ist von § 6 VOB/B nicht geregelt. Rechtsfolge ist, dass nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B es zu einer Fristverlängerung kommt. Hat der Auftraggeber zudem die Behinderung verschuldet, kann es auch zu einem Schadensersatzanspruch des Auftragnehmers führen. Voraussetzung ist die Behinderungsanzeige. Sofern sich der Auftragnehmer behindert glaubt, ist er nach § 6 Abs. 1 Satz 1 VOB/B verpflichtet, seinem Auftraggeber die Behinderung anzuzeigen (Motzko 2017). Die Behinderungsanzeige muss unverzüglich und in schriftlicher Form erfolgen und es müssen sich aus ihr die Gründe für die Behinderung ergeben. Durch die Mitteilung der hindernden Umstände soll der Auftraggeber gewarnt werden; es soll ihm ermöglicht werden, die Ursachen für die Störung zu klären, Beweise zu sichern und die Behinderung ggf. zu beseitigen (BGH, Urt. v. 21.10.1999 – VII ZR 185/98). Hat ein Vorunternehmer schlecht oder

419

zu langsam gearbeitet, scheiden Schadensersatzansprüche nach § 6 Abs. 6 aus, da dem Auftraggeber nicht das Verschulden des Auftragnehmers zuzurechnen ist. Der Auftraggeber kann dem Nachfolgeunternehmer aber aus § 642 BGB haften, wenn er durch das Unterlassen einer bei der Herstellung des Werkes erforderlichen und ihm obliegenden Mitwirkungshandlung in Verzug der Annahme kommt. § 642 BGB gilt nach der Rechtsprechung des BGH für den BGB- und den VOBVertrag und wird nicht durch § 6 Abs. 6 VOB/B verdrängt. § 642 BGB regelt einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch bei Annahmeverzug und knüpft an die Obliegenheit zur Mitwirkung bei der Herstellung des Werkes an. Bei Unterlassung einer solchen Mitwirkungshandlung gerät der Auftraggeber in Annahmeverzug (BGH, Urteil vom 21.10.1999 – VII ZR 185/98). In § 12 VOB/B ist die Abnahme geregelt. Die Abnahme stellt eine Zäsur des Bauvertrages da. Abnahme bedeutet die Billigung des Werks durch den Auftraggeber als der Hauptsache nach der vertragsgemäßen Leistungserfüllung. Die Abnahme hat zwei Elemente: Zum einen die körperliche Entgegennahme des Werks durch den Auftraggeber und zudem die Billigung der Leistung des Auftragnehmers durch den Auftraggeber als im Wesentlichen vertragsgemäß. Mit Ausnahme des Bauträgervertrages hat die erste Voraussetzung eine eher untergeordnete Rolle, weil der Auftraggeber ohnehin im Besitz des Baugrundstückes und damit auch im Besitz des Bauwerkes ist. Der Auftragnehmer muss dem Auftraggeber die Leistung als im Wesentlichen fertig gestellt überlassen und der Auftraggeber muss sie als im Wesentlichen vertragsgemäße Leistung akzeptieren. Die Abnahme stellt eine Mitwirkungspflicht des Auftraggebers dar. Sie ist eine Hauptpflicht. Die Abnahme kann nur vom Auftraggeber selbst erklärt werden. Das heiβt ein Bauleiter oder Architekt kann nicht ohne eine besondere Vollmacht des Auftraggebers die Abnahme erklären. Bei grundloser Verweigerung der Abnahme ist diese selbstständig einklagbar. Zu beachten ist, dass nach der Rechtsprechung auch beim gekündigten Vertrag der Auftragnehmer einen Anspruch auf Abnahme hat, wenn die

420

von ihm bis zur Kündigung erbrachten Leistungen die Voraussetzung für die Abnahme durch den Auftraggeber erfüllen. Damit hat die Abnahme im gekündigten Vertrag die gleiche Funktion wie im nicht gekündigten Vertrag. Sie dient also dazu festzustellen, ob die aufgrund der Kündigung beschränkte Werkleistung vertragsgemäß erbracht wurde. Die Abnahme hat mehrere entscheidende Wirkungen, die für den Auftragnehmer positiv sind. Zunächst wird der Werklohnanspruch erst mit der Abnahme fällig. (Zusätzlich muss beim VOB/BVertrag auch die Schlussrechnung gestellt werden). Mit der Abnahme tritt eine Beweislastumkehr bei Mängeln ein. Vor der Abnahme muss der Auftragnehmer die Mängelfreiheit seiner Leistung beweisen. Nach der Abnahme hingegen muss der Auftraggeber das Vorhandensein eines Mangels beweisen. Bis zur Abnahme ist der Auftragnehmer vorleistungspflichtig. Klagt der Auftragnehmer trotz fehlender Abnahme auf den Werklohn, wird die Klage abgewiesen. Zudem beschränkt sich der ursprüngliche Erfüllungsanspruch des Auftraggebers auf Mängelansprüche. Vor der Abnahme hat der Auftragnehmer ein mängelfreies Werk zu erstellen. Nach der Abnahme hat er nur noch die bei der Abnahme vom Auftraggeber gerügten Mängel zu beseitigen. Und schließlich geht mit der Abnahme der Leistung die Vergütungsgefahr auf den Auftraggeber über. Leistungsgefahr bedeutet, falls das Werk vor der Abnahme unverschuldet beschädigt wird, muss der Auftragnehmer es noch einmal errichten, ohne dass er eine zusätzliche Vergütung erhält. Vergütungsgefahr bedeutet dagegen, wenn das Werk nach Abnahme unverschuldet zerstört wird, braucht der Auftragnehmer es nicht noch einmal zu errichten und kann trotzdem Vergütung verlangen. Ausnahmen hiervon werden in § 7 VOB/B geregelt. Und schließlich beginnt die Verjährung sowohl des Vergütungsanspruchs für den Auftragnehmer als auch die Verjährungsfrist für die Mängelansprüche mit der Abnahme. Der Auftraggeber muss sich Ansprüche wegen bekannter Mängel bei der Abnahme vorbehalten. Der Auftraggeber verliert bei positiver Kenntnis und fehlendem Vorbehalt bei der Abnahme eines bestimmten Mangels die Mängelrechte nach § 634 Nr. 1–3 BGB,

H. Franke et al.

jedoch nicht den Schadensersatzanspruch. Zur Geltendmachung des Anspruchs auf Vertragsstrafe muss der Auftraggeber sich diesen grundsätzlich bei der Abnahme vorbehalten. Nach der VOB/B gibt es folgende Abnahmeformen. § 12 Abs. 1 regelt die ausdrückliche, aber formlose Abnahme. Auf Verlangen des Auftragnehmers ist der Auftraggeber verpflichtet, binnen zwölf Werktagen eine formlose Abnahme durchzuführen. In vielen gewerblichen Bauverträgen wird die in § 12 Abs. 4 beschriebene förmliche Abnahme vereinbart. Danach ist jede Seite berechtigt, auf ihre Kosten einen Sachverständigen hinzuzuziehen. Zusätzlich ist über die Abnahme ein Protokoll zu erstellen. In dieses Protokoll sind Mängel aufzunehmen. Die konkludente oder stillschweigende Abnahme ist gegeben, wenn der Auftraggeber seinen Abnahmewillen stillschweigend zum Ausdruck bringt, wie z. B. die Inbetriebnahme eines fertig gestellten Bauwerks. In Abgrenzung dazu steht die fiktive Abnahme, die in zwei verschiedenen Formen in § 12 Abs. 5 VOB/B geregelt ist. Voraussetzung ist jeweils, dass keine Abnahme verlangt wurde. Nach § 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B gilt mit dem Ablauf von zwölf Werktagen nach schriftlicher Mitteilung über die Fertigstellung der Leistung die Leistung als abgenommen. Nach § 12 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B gilt die Abnahme nach Ablauf von sechs Werktagen nach Beginn der Benutzung als erfolgt, wenn nichts anderes vereinbart ist. Der Unterschied zwischen einer fiktiven Abnahme und einer konkludenten Abnahme ist darin zu sehen, dass bei einer konkludenten Abnahme ein Abnahmewille des Auftraggebers vorhanden ist, der stillschweigend zum Ausdruck kommt. Bei der fiktiven Abnahme wird dagegen der Abnahmewille des Auftraggebers fingiert, er muss nicht vorhanden sein. Die Prüfung, ob ein Mangel vorliegt, ist nach § 13 Abs. 1 VOB/B in drei Stufen vorzunehmen. Auf der ersten Stufe wird die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit geprüft. Ob eine Leistung mangelhaft ist, entscheidet sich danach, ob die vereinbarte Beschaffenheit eingehalten ist. Damit ist eine Leistung bereits dann mangelhaft, wenn sie nicht die vereinbarten Beschaffenheitsmerkmale aufweist. Dies gilt auch dann, wenn ihre

Privates Baurecht

Gebrauchstauglichkeit nicht beeinträchtigt ist oder der Auftraggeber hierdurch keinen Nachteil erleidet. Zu den vereinbarten Eigenschaften können alle Merkmale des Bauwerks gehören, wie beispielsweise Fabrikat, Materialfarbe und so weiter. Ist keine Beschaffenheit vereinbart, ist die Leistung auf der zweiten Stufe mangelfrei, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Ist beispielsweise vereinbart, dass das Bauwerk als Maststall genutzt werden soll, muss dieser Maststall so errichtet werden, dass eine Kondenswasserbildung ausgeschlossen ist. Selbst wenn die Leistungsbeschreibung keine Abdichtung zwischen den einzelnen Dämmplatten vorsah, muss der Maststall aus funktionalen Gesichtspunkten so errichtet sein, dass die Kondenswasserbildung ausgeschlossen ist (OLG Oldenburg, Urt. v. 21.09.2004 – 8 U 182/06). Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung über den Verwendungszweck, ist dieser durch Auslegung zu ermitteln. Haben die Parteien keine Vereinbarung über den Verwendungszweck getroffen, muss die Leistung für die gewöhnliche Verwendung geeignet sein und eine Beschaffenheit aufweisen, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art der Leistung erwarten kann. Diese dritte Stufe ist allerdings nur ein Auffangtatbestand, da in der Regel die Auslegung zu einem bestimmten Verwendungszweck führt. Zusätzlich muss eine mangelfreie Leistung den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Zwar verpflichtet der Wortlaut des § 13 Abs. 1 VOB/B nur auf der ersten Stufe den Auftragnehmer zur Einhaltung der anerkannten Regeln. Anerkannt ist aber, dass der Auftragnehmer auf allen drei Stufen zur Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik verpflichtet ist. Im Baurecht spricht man dann von allgemein anerkannten Regeln der Technik, wenn diese in der Wissenschaft anerkannt sind und sich in der Praxis bewährt haben. Im Baubereich gehören zu den anerkannten Regeln der Technik die ATV der VOB/C. Bei den DIN-Vorschriften spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass es sich um anerkannte Regeln der Technik handelt. Mitunter können jedoch die DIN-Vorschriften hinter den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu-

421

rückbleiben. Denn oftmals erweisen sich die DIN-Normen im Hinblick auf die Langwierigkeit des Normungsverfahrens als überaltert. Beispielsweise ist in den vergangenen Jahren eine detaillierte Rechtsprechung zum Schallschutz ergangen. Der Auftragnehmer schuldet die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme. Ändern sie sich also zwischen Vertragsabschluss und Abnahme, hat der Auftragnehmer die Regeln einzuhalten, die zum Zeitpunkt der Abnahme gelten. Die richtige Vorgehensweise ist, dass der Auftragnehmer Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung anmeldet. Der BGH (Urt. v. 14.11.2017 – VII ZR 65/14, BauR 2018, 510) betont, dass der maßgebliche Zeitpunkt, der der Abnahme sei, was den Unternehmer bei sich andeutenden Änderungen der anerkannten Regeln der Technik zu entsprechenden Hinweisen verpflichtet. Entscheidet sich der Auftraggeber zugunsten der Beachtlichkeit des neues Standes können sich Nachträge aus § 1 Abs. 3, § 2 Abs. 5, 6 VOB/B ergeben. Besteht der AG auf einer Ausführung nach den alten anerkannten Regeln der Technik, wird der Auftragnehmer bei entsprechenden Bedenkenmitteilungen von seiner Mängelhaftung frei, § 13 Abs. 3 VOB/B. Die Ansprüche aus der Mängelhaftung aus § 13 VOB/B entstehen erst nach Abnahme. Für vor der Abnahme festgestellte Mängel ist § 4 Abs. 7 VOB/B maßgeblich. Nach der Abnahme hat der Auftraggeber während der Verjährungsfrist Ansprüche nach § 13 VOB/B. § 13 Abs. 5, 6 und 7 VOB/B regelt die Rechtsfolgen einer mangelhaften Leistung. Nach § 13 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B ist der Auftragnehmer zur Mangelbeseitigung verpflichtet. Diese Mangelbeseitigungsverpflichtung entspricht dem Recht des Auftragnehmers, von ihm zu verantwortende Mängel selbst zu beseitigen. Allerdings ist der Auftragnehmer nur innerhalb der ihm gesetzten Frist zur Mangelbeseitigung berechtigt. Nach fruchtlosem Fristablauf darf er die Mangelbeseitigung nur noch mit Zustimmung des Auftraggebers vorzunehmen. Der Auftraggeber ist nicht mehr zur Annahme der Mängelbeseitigung verpflichtet.

422

Voraussetzung ist zunächst eine schriftliche Mängelrüge. Der Auftraggeber hat entsprechend der Symptomtheorie nur die äußeren Erscheinungsmerkmale des Mangels zu schildern. Er ist insbesondere nicht verpflichtet, mögliche Ursachen oder Symptome des Mangels darzulegen. Schriftform bedeutet, dass der Mangel in einem Schreiben schriftlich festgehalten wird. Die Rechtsfolge der Mängelrüge ist, dass der Auftragnehmer ein Wahlrecht hat. Er kann entscheiden, in welcher Weise er die Nachbesserung durchführt. Ebenso kann der Auftragnehmer auch entscheiden, dass er eine Neuherstellung seiner Leistung anbietet. Parallel hat der Auftraggeber ein Leistungsverweigerungsrecht in Höhe des Doppelten der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten. Dies führt dazu, dass der Auftraggeber mit der Zahlung des offenen Werklohns in dieser Höhe nicht in Zahlungsverzug gerät. Nach § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B ist der Auftraggeber zur Selbstvornahme berechtigt, wenn der Auftragnehmer der Aufforderung zur Mängelbeseitigung in einer vom Auftraggeber gesetzten angemessenen Frist nicht nachgekommen ist. Das Erfüllungsrecht des Auftragnehmers ist nach Fristablauf erloschen und der Auftraggeber kann die Mängel durch eine Drittfirma beseitigen lassen. Er kann dann vom Auftraggeber Kostenerstattung begehren. Der Auftraggeber kann bereits vor der Mängelbeseitigung einen Kostenvorschuss verlangen. Dieser Kostenvorschuss muss innerhalb einer angemessenen Frist zur Mängelbeseitigung eingesetzt werden. Reicht der Kostenvorschuss nicht aus, hat der Auftraggeber ergänzend einen Anspruch auf Nachschuss. Nach § 13 Abs. 6 VOB/B kann der Auftragnehmer die Beseitigung des Mangels verweigern, wenn die Beseitigung unmöglich ist oder wenn sie einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordert. Rechtsfolge ist, dass der Auftraggeber anstatt Erfüllung nur eine Minderung verlangen kann. Zu beachten ist hier aber, dass entgegen gängiger Ansicht es für die Frage der Unverhältnismäßigkeit der Nachbesserungskosten nicht auf das Verhältnis dieser Kosten zu dem ursprünglichen Herstellungsaufwand ankommt, sondern auf das Wertverhältnis zwischen dem zur Beseitigung

H. Franke et al.

erforderlichen Aufwand und dem Vorteil aus der Mängelbeseitigung. Soweit die Funktions- oder Gebrauchstauglichkeit einer Werkleistung beeinträchtigt ist, kann von einer Unverhältnismäßigkeit der Mängelbeseitigung selbst dann nicht ausgegangen werden, wenn die Kosten der Mängelbeseitigung die Kosten der Herstellung der Werkleistung übersteigen. Daher scheidet beispielsweise eine Minderung wegen nicht erreichter Schallschutzwerte aus (OLG Naumburg, Urt. v. 26.11.1999 – 6 U 1476/97). Trifft den Auftragnehmer ein erhebliches Verschulden, kann ein hoher Kostenaufwand zur Beseitigung des Mangels zumutbar sein. Die Kosten sind dann unverhältnismäßig, wenn der damit durch Beseitigung des Mangels erzielte Erfolg oder Teilerfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür erforderlichen Aufwandes steht. Je erheblicher der Mangel ist, umso weniger Rücksicht ist auf das Kosteninteresse des Auftragnehmers zu nehmen. In die Gesamtabwägung ist auch ein Verschulden des Auftragnehmers einzubeziehen, wobei bereits ein grob fahrlässiges Verhalten entscheidend ins Gewicht fallen kann. Selbst wenn der Aufwand für den Auftragnehmer beträchtlich ist, hat der Auftraggeber gleichwohl einen Anspruch auf die Herstellung des geschuldeten Werks. Dass dies mit erheblichem Mehraufwand verbunden ist, hat allein der Auftragnehmer zu vertreten, sofern er – beispielsweise – grob fahrlässig falsche Wärmedämmplatten verwendet hat (OLG Frankfurt, Urteil vom 12.07.2013 – 24 U 143/12; BGH, Beschluss vom 24.09.2015 – VII ZR 214/13 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)). Und schließlich hat der Auftraggeber einen Schadensersatzanspruch nach § 13 Abs. 7 VOB/ B. Die VOB/B hat drei Schadensersatzansprüche geregelt. Alle Schadensersatzansprüche setzen neben dem Vorliegen eines Mangels voraus, dass durch den Baumangel ein Schaden verursacht wurde und dass den Auftragnehmer an dem Mangel ein Verschulden trifft. Nach § 13 Abs. 7 Nr. 1 VOB/B haftet der Auftragnehmer bei schuldhaft verursachten Mängeln für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit. Für Schäden an diesen besonderen Rechts-

Privates Baurecht

gütern genügt bereits leichte Fahrlässigkeit. Für alle Schäden an weiteren Rechtsgütern haftet der Auftragnehmer nur bei vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachten Mängeln. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, setzt der Schadensersatzanspruch voraus, dass der Mangel wesentlich ist und die Gebrauchsfähigkeit erheblich beeinträchtigt (§ 13 Abs. 7 Nr. 3 VOB/B). Ferner differenziert § 13 Abs. 7 Nr. 3 VOB/B zwischen dem Schaden an der baulichen Anlage, zu deren Herstellung, Instandhaltung oder Änderung die Leistung dient, und dem darüber hinausgehenden Schaden, den der Auftragnehmer nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 13 Abs. 7 Nr. 3 S. 2 VOB/B, wie Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik, Fehlen einer vertraglich vereinbarten Beschaffenheit oder versicherter oder versicherbarer Schaden, zu ersetzen hat. Durch diese Regelung erfasst die Schadensersatzhaftung nach § 13 Abs. 7 Nr. 3 VOB/B nahezu alle auf einen Mangel zurückzuführenden Schäden. Denn fast jeder Mangel ist auf das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit oder einen Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik zurückzuführen. Es bleiben lediglich noch die Fälle des § 13 Abs. 1 S. 3 VOB/B, also die Fälle, in denen die Beschaffenheit weder ausdrücklich noch stillschweigend vereinbart ist und daher auf die gewöhnliche Funktion und Beschaffenheit abzustellen ist oder der Mangel unerheblich ist. Der Schaden umfasst alle Aufwendungen, die für die ordnungsgemäße Herstellung des vom Auftragnehmer vertraglich geschuldeten Werkes erforderlich sind. Die häufigsten Schadenspositionen sind die Mangelbeseitigungskosten und die mit der Beseitigung des Mangels verbundenen Begleitkosten. Darunter fallen eventuell erforderliche Aus- und Einbaukosten einer Küche bei der Beseitigung von Mängeln eines Küchenbodens, die Kosten einer Hotelunterbringung, wenn das Haus während der Mängelbeseitigungsarbeiten unbewohnbar ist, und/oder die Kosten für die Einlagerung von Möbeln. All diese Kosten können vom Auftraggeber fiktiv geltend gemacht werden. Fiktive Kosten für ein Hotel, in das der Besteller umziehen muss, um die ordnungsgemäße Mängelbeseitigung zu ermöglichen, sind dann erstattungsfähig, wenn sie sicher anfallen (OLG Düsseldorf, Urteil vom

423

14.04.2015 – 21 U 162/14). Zum Schaden gehören auch die Folgen der entgangenen Nutzung des Bauwerks, wie beispielsweise Mietausfalls oder Mietminderung und erhöhte Finanzierungskosten wegen mangelbedingter verspäteter Fertigstellung. Nach BGH, Urt. v. 22.02.2018 – VII ZR 46/17, BauR 2018, 815, kann ein Schadensersatzanspruch nach fiktiven Kosten nicht berechnet werden. Disponiert der Besteller so, dass er das Werk mit dem Mangel hinnimmt, besteht der Schaden in dem Minderwert der Leistung. Dieser mangelbedingte Minderwert ist ausgehend von der Vergütung als Maximalwert nach § 287 ZPO unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu schätzen. Behält der Besteller das mangelhafte Werk und werden die Mängel nicht beseitigt, ist der Schaden so zu bemessen, dass ausgehend von der für das Werk vereinbarten Vergütung der Minderwert des Werks wegen des nicht beseitigten Mangels geschätzt wird, wobei die Störung des Äquivalenzverhältnisses den Maßstab bildet. § 13 Abs. 4 VOB/B enthält vom Gesetz abweichende Fristen für die Verjährung der Mängelansprüche. Grundsätzlich beträgt die Verjährungsfrist 4 Jahre für Leistungen an einem Bauwerk. Die VOB/B berücksichtigt darüber hinaus bei bestimmten Anlagen deren erhöhten Verschleiß. So gelten besondere Verjährungsfristen für die vom Feuer berührten Teile von Feuerungsanlagen, feuerberührte und abgasdämmende Teile von industriellen Feuerungsanlagen und wartungsbedürftige maschinelle und elektrotechnische/elektronische Anlagen. Eine weitere Ausnahme gilt für maschinelle oder elektrotechnische/elektronische Anlagen. Soweit Teile dieser Anlagen wartungsbedürftig sind, weil die Wartung Einfluss auf die Sicherheit oder Funktionsfähigkeit der Anlage hat und der Auftraggeber die Wartung nicht dem Auftragnehmer überträgt, verjähren die Mängelansprüche für die wartungsbedürftigen Teile in 2 Jahren. Damit soll der Streit darüber vermieden werden, in wessen Sphäre die Ursache eines später auftretenden Mangels fällt, also ob er auf einer mangelhaften Leistung des Auftragnehmers oder unzureichender Wartung beruht. Eine Besonderheit bietet § 13 Abs. 5 Nr. 1 S. 2, 3 VOB/B mit der Quasi Verjährungsunterbre-

424

chung. Der Anspruch auf Beseitigung der gerügten Mängel verjährt in 2 Jahren, gerechnet vom Zugang der schriftlichen Mängelrüge, jedoch nicht vor Ablauf der Regelfrist nach § 13 Abs. 4 VOB/B. Rügt beispielsweise der Auftraggeber 3,5 Jahre nach der Abnahme einen Mangel, so dehnt sich die Verjährungsfrist für diesen Mangel auf 5,5 Jahre aus. Allerdings führt nur die erste Mängelrüge zum Neubeginn der Verjährung. Die Mängelrüge per E-Mail erfüllt das Schriftformerfordernis (OLG Köln, Urteil vom 22.06.2016 – 16 U 145/15; a. A. OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.04.2012 – 4 U 269/11). Wie im Gesetz ist auch in der VOB/B verankert, dass der Auftragnehmer Abschlagszahlungen in Höhe des Wertes der jeweils nachgewiesen vertragsgemäßen Leistungen einschließlich der anteiligen Umsatzsteuer geltend machen kann. Im Gegensatz zur bis 31.12.2017 geltenden Regelung in § 632a BGB besteht nach § 16 Abs. 1 VOB/B ein Anspruch auf Abschlagszahlung in Höhe des Wertes der nachgewiesenen Leistungen. Gemeint ist die anteilige vertraglich vereinbarte Gegenleistung und nicht ein objektiv ermittelter Wert, wie ein Wertzuwachs i. S. d. § 632a BGB (alte Fassung). § 632a Abs.1 BGB in der Fassung ab 1.1.2018 entspricht der Regelung der VOB/B. Es bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder wird in möglichst kurzen Zeitabständen die Abschlagszahlung verlangt, also nach Baufortschritt oder zu den vereinbarten Zeitpunkten, dies ist dann der vereinbarte Zahlungsplan. Voraussetzung ist in beiden Fällen, dass der Auftragnehmer seine Leistung durch eine prüfbare Aufstellung nachweist, die eine rasche und sichere Beurteilung der Leistungen ermöglichen muss. Diesen Nachweis zu führen, kann bei Detailpauschalverträgen und bei einem Globalpauschalvertrag problematisch werden. Deshalb hat sich bei derartigen Verträgen die Vereinbarung von Zahlungsplänen durchgehend in der Praxis durchgesetzt. Anders als beim BGB-Werkvertrag ist die Abschlagszahlung beim VOB/B-Vertrag nicht sofort fällig, sondern erst 21 Kalendertage nach Vorlage der prüfbaren Aufstellung. Spätestens nach 30 Tagen gerät der Auftraggeber in Verzug mit der Folge, dass der Auftraggeber Zinsen zu zahlen hat. Die Höhe der Zinsen richtet sich nach § 288 Abs. 2 BGB und

H. Franke et al.

beläuft sich auf 9 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist. Nach Fertigstellung und Abnahme hat der Auftragnehmer gemäß § 14 Abs. 1 VOB/B die Pflicht, eine prüfbare Schlussrechnung zu erstellen. Die prüfbare Schlussrechnung ist neben der Abnahme Fälligkeitsvoraussetzung für die Vergütung. Die Einzelheiten für die Prüfbarkeit ergeben sich aus § 14 Abs. 1 S. 2 bis 4 VOB/B. Die Regelung ist weitgehend selbsterklärend. In formeller Hinsicht erforderlich ist die Einhaltung einer äußeren Übereinstimmung mit den einschlägigen Vertragsunterlagen, insbesondere einem Leistungsverzeichnis, an dessen Aufbau sich die Rechnung zu orientieren hat und aus dem bspw. Bezeichnungen und Positionsnummern zu übernehmen sind. Es ist zwar nicht erforderlich, dass die Abrechnung spiegelbildlich den Vertragsunterlagen und dabei insbesondere dem Leistungsverzeichnis entspricht (OLG Hamm, Urteil vom 22.01.2008 – 24 U 46/07). Vielmehr soll es genügen, wenn sich die Positionen der Schlussrechnung denen im Leistungsverzeichnis zuordnen lassen. Zweckmäßig und übersichtlich und damit zu empfehlen ist jedoch die Einhaltung der Reihenfolge der Posten und die Verwendung der in den Vertragsbestandteilen enthaltenen Bezeichnungen. Die erforderlichen Mengenberechnungen, Zeichnungen und andere Belege sind beizufügen, wie beispielsweise das Aufmaß. Aufgrund des besonderen Kontrollinteresses des Auftraggebers sind Änderungen und Ergänzungen des Vertrags gem. § 14 Abs. 1 Satz 4 besonders kenntlich zu machen. Hierzu gehören die geänderten und zusätzlichen Leistungen sowie die Mengenänderungen jenseits der 10 %. Ob eine Schlussrechnung prüfbar ist, richtet sich nach objektiven Kriterien. Letztlich ist Prüfbarkeit gegeben, wenn der Auftraggeber in die Lage versetzt wird, die Berechtigung der Forderung, gemessen an den vertraglichen Vereinbarungen, zu überprüfen. Allerdings hat die Rechtsprechung immer betont, dass die Prüffähigkeit kein Selbstzweck ist. Der Auftraggeber darf sich deshalb auf die fehlende Prüffähigkeit einer Rechnung nicht berufen, wenn seine Kontroll- und Informationsinteressen auch ohne Vorlage einer prüffähigen Rech-

Privates Baurecht

nung gewahrt sind. Hat beispielsweise der Auftraggeber die Rechnung tatsächlich geprüft und bestreitet er die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Schlussrechnung nicht, handelt er rechtsmissbräuchlich, wenn er sich auf mangelnde Prüfbarkeit beruft. Diese Rechtsprechung ist der Hintergrund von § 16 Abs. 3 Nr. 1 Satz 3 VOB/B. Danach kann der Auftraggeber sich nicht mehr auf die objektiv fehlende Prüfbarkeit der Rechnung berufen, wenn er entsprechende konkrete Einwände – die pauschale Rüge fehlender Prüfbarkeit ist nicht ausreichend – nicht binnen der Prüfungsfrist von 30 bzw. 60 Tagen geltend gemacht hat. Sinnvoll ist es, wie in § 14 Abs. 2 VOB/B vorgesehen, das Aufmaß gemeinsam vorzunehmen. Weigert sich der Auftraggeber, einen gemeinsamen Aufmaßtermin durchzuführen, kehrt sich die Beweislast zu seinen Lasten um, wenn im späteren Prozess ein Aufmaß nicht mehr möglich ist, etwa weil der Auftraggeber nach Kündigung das Werk durch einen Drittunternehmer fertig gestellt hat (BGH, Urteil vom 17.06.2004 – VII ZR 337/02). Ist die Schlussrechnung prüfbar, ist die Forderung nach der in § 16 Abs. 3 VOB/B genannten Frist fällig. Ist die Rechnung nur in Teilen prüffähig, kann der Unternehmer grundsätzlich die Zahlung desjenigen Guthabens verlangen, das unter Berücksichtigung der Abschlagszahlungen bereits feststeht. Ist dagegen die Schlussrechnung nicht prüfbar, wird die Forderung nicht fällig. § 8 VOB/B regelt die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Kündigung des Bauvertrags durch den Auftraggeber. Grob kann zwischen der freien Kündigung, der Kündigung wegen Insolvenz des Auftragnehmers und der Kündigung aus wichtigen Gründen unterschieden werden. Voraussetzung ist bei allen Kündigungen zunächst, dass der Auftraggeber die Kündigung schriftlich erklärt. Die Kündigungserklärung muss ergeben, dass der Auftraggeber sich vom Vertrag für die Zukunft lösen will, ohne dass eine Vertragsaufhebung für die Vergangenheit bezweckt ist. Die freie Kündigung nach § 8 Abs. 1 VOB/B bedarf keines Grundes. Der Auftraggeber ist sogar dahingehend frei, dass er nur einen Teil der Leistung kündigt. Rechtsfolge der freien Kündigung ist, dass der Auftragnehmer Anspruch auf die Vergütung hat. Er muss sich nur das anrechnen

425

lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrages an Kosten erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft und seines Betriebs erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Der Auftragnehmer wird wirtschaftlich so gestellt, wie er stünde, wenn der Vertrag durchgeführt worden wäre. Er soll durch die Kündigung weder Vor- noch Nachteile erfahren. § 8 Abs. 2 VOB/B räumt dem Auftraggeber ein außerordentliches Kündigungsrecht ein, das auf eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftragnehmers abhebt. Die Rechtsfolgen sind ähnlich der Kündigung aus wichtigem Grund und nicht der der freien Kündigung. Da allerdings der Auftraggeber selber es in der Hand hat, die Voraussetzungen der insolvenzbedingten Kündigung durch einen Antrag auf Insolvenzeröffnung herbeizuführen, ist sehr fraglich, ob das insolvenzbedingte Sonderkündigungsrecht des Auftraggebers in allen seinen Alternativen wirksam ist (OLG Karlsruhe, IBR 2006, 398; Franke, BauR 2007, 774 ff.). § 8 Abs. 3 VOB/B regelt die Kündigung des Auftraggebers aus wichtigem Grund. § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 VOB/B enthält drei spezielle Kündigungsgründe zur außerordentlichen Kündigung des Auftraggebers unter Verweis auf §§ 4 Abs. 7 (Kündigung wegen Mängeln während der Bauausführung) und Abs. 8 Nr. 1 (Kündigung wegen ungenehmigten Nachunternehmereinsatzes) sowie § 5 Abs. 4 VOB/B (Kündigung wegen Verzugs bei der Bauausführung). Ergänzt wird dies durch eine besondere Regelung der Teilkündigung unter § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 VOB/B. Eine wirksame Kündigung aus wichtigem Grund setzt neben der schriftlichen Kündigungserklärung die Androhung der Kündigung unter Fristsetzung voraus. Zudem muss ein wichtiger Kündigungsgrund und ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Kündigungserklärung und Kündigungsgrund gegeben sein. Rechtsfolge nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 VOB/B ist, dass der Auftraggeber berechtigt ist, den noch nicht vollendeten Teil der Leistung zulasten des gekündigten Auftragnehmers durch einen Dritten ausführen lassen (Selbstvornahme). Er hat Anspruch auf Erstattung der durch die Selbstvornahme entstandenen Mehrkosten (Anspruch auf Mehrkostenerstat-

426

H. Franke et al.

tung) sowie Anspruch auf Schadensersatz. Alternativ kann der Auftraggeber nach Satz 2 auf die weitere Ausführung der Leistung verzichten und wegen Nichterfüllung Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangen, wenn für ihn an der Ausführung aus den Gründen, die zur Kündigung geführt haben, kein Interesse mehr besteht.

2.4

Schwerpunktthemen

Nachfolgend wird auf einige grundlegende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) und der Oberlandesgerichte (OLG) hingewiesen, deren Leitlinien zu beachten sind. Auch wenn die vorgenommene Auswahl nur einen kleinen Ausschnitt wiedergibt, soll dieser einige Grundsätze des Baurechts praxisnah darstellen. Wesentliche Grundsätze zur Bestimmung des Umfangs des kleinen Schadensersatzes und der Minderung für den Fall, dass der Besteller die Mängel nicht beseitigt Mit der Entscheidung vom 22.02.2018 – VII ZR 45/17, BauR 2018, 815, hat der BGH im Bereich des Schadensersatzrechts und der Bestimmung des Umfangs der Minderung mit einer jahrzehntelangen Rechtsprechung gebrochen: Beseitigt der Besteller den gerügten Bauwerksmangel nicht, den er unter Fristsetzung gegenüber dem Auftragnehmer gerügt hat, und behält er das Werk, kann er der Berechnung des Schadensersatzanspruchs (kleiner Schadensersatz statt der Leistung) oder der Minderung nicht die fiktiven Mängelbeseitigungskosten zugrunde legen. Entscheidend ist, wie in einem solchen Fall der nach § 249 BGB zu ersetzende Vermögensschaden zu bestimmen ist. Bisher ging der BGH davon aus, dass der Mangel des Werks selbst unabhängig von dessen Beseitigung der Schaden sei und zwar in Höhe der für die Beseitigung anfallenden Kosten. Das wird nunmehr verneint: Im Mangel des Werks ist zunächst lediglich ein Leistungsdefizit zu sehen, weil das Werk hinter der geschuldeten Leistung zurückbleibt. Wenn die damit einhergehende Störung des Äquivalenzverhältnisses auch als Vermögensschaden zu bewerten ist, ist damit nach neuer Betrachtungsweise nicht geklärt, in welcher Höhe ein solcher Vermögensschaden besteht. Eine Scha-

densbestimmung nach Maßgabe fiktiver Mängelbeseitigungskosten bildet das Leistungsdefizit nicht zutreffend ab. Entscheidend wird nunmehr darauf abgehoben, welche Disposition der Besteller trifft. Entscheidet er sich für die Mängelbeseitigung, kann er die dafür entstandenen tatsächlichen Mängelbeseitigungskosten nach Maßgabe des § 637 BGB ersetzt verlangen; der Besteller kann hierfür auch einen Kostenvorschuss verlangen. Entscheidet er sich für das Behalten des mangelhaften Werks, das in diesem Zustand verbleibt, besteht der Vermögensschaden in der gestörten Äquivalenz, die ihren Ausdruck im mangelbedingten Minderwert der Leistung findet. Dieser mangelbedingte Minderwert ist ausgehend von der Vergütung als Maximalwert zu schätzen: Ist der Mangel so gravierend, dass die Leistung praktisch nichts wert ist, entfällt die Vergütung. Praktisch bestimmt sich der kleine Schadensersatz der Höhe nach entsprechend den Minderungsregeln des § 638 BGB. Eine Schadensbemessung kommt z. B. anhand der Vergütungsanteile in Betracht, die auf die mangelhafte Leistung entfallen. Ergeben sich die Vergütungsanteile nicht aus dem Vertrag, sind diese zu schätzen. Im Ergebnis geht es dem BGH darum, eine Überkompensation des Bestellers zu vermeiden, der mit dem Mangel lebt, sich also mit diesem abfindet. Diesem Besteller ist tatsächlich kein Vermögensschaden in Höhe der fiktiven Mängelbeseitigungskosten entstanden. Praktisch bestimmt sich damit der Schaden nach Maßgabe der Disposition, wobei bei der Minderung auf der Hand liegt, dass der Besteller sich mit dem Mangeltatbestand abfindet und die Abgeltung des Vermögensschadens fordert. Auch hier bestimmt sich die Höhe der Minderung nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten. Wenn sich nach BGH (Rn. 24) dann, wenn der Besteller das mangelhafte Werk in diesem Zustand behält, der Schaden am Leistungsinteresse des Bestellers zu orientieren hat, geht es im Hinblick auf die Disposition des Bestellers gerade nicht mehr allein um das durch den Vertrag bestimmte Leistungsinteresse, sondern um das Interesse, das nach Maßgabe der getroffenen Disposition zu bestimmen ist. Orientiert sich das vertragliche Leistungsinteresse am mangelfreien Werk und damit an dem hierfür erforderlichen Aufwand, bestimmt das Leistungs-

Privates Baurecht

interesse des Bestellers, der sich mit dem Mangel abfindet, die Tatsache, dass er für diese Leistung zu viel gezahlt hat. Diese Vermögensdifferenz ist zur Ausgleichung zu bringen. Der Besteller, der keine Aufwendungen zur Mängelbeseitigung tätigt, hat keinen Vermögensschaden in Form und Höhe dieser nur fiktiven Aufwendungen. Sein Vermögen ist im Vergleich zu einer mangelfreien Leistung nicht um einen Betrag in Höhe dieser lediglich fiktiven Aufwendungen vermindert. Im Ergebnis ist der Schaden damit nicht abstrakt/generell, sondern nach Maßgabe der Disposition des Bestellers nur konkret/ individuell bestimmbar. Änderung der anerkannten Regeln der Technik nach Vertragsschluss In der Entscheidung vom 14.11.2017 – VII ZR 65/14, BauR 2018, 510 hat der BGH zu diesem Fragenkreis folgende Leitsätze aufgestellt: Der Auftragnehmer schuldet gem. § 13 Nr. 1 VOB/B (2006) grundsätzlich die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme. Dies gilt auch bei einer Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme. In einem solchen Fall hat der Auftragnehmer den Auftraggeber regelmäßig über die Änderung und die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken für die Bauausführung zu informieren, es sei denn, diese sind dem Auftraggeber bekannt oder ergeben sich ohne Weiteres aus den Umständen. Der Auftraggeber hat sodann im Regelfall zwei Optionen. Der Auftraggeber kann zum einen die Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik verlangen mit der Folge, dass ein aufwändigeres Verfahren zur Herstellung erforderlich werden kann, als im Zeitpunkt des Vertragsschlusses von den Parteien vorgesehen. Der Auftragnehmer kann, soweit hierfür nicht von der Vergütungsvereinbarung erfasste Leistungen erforderlich werden, im Regelfall eine Vergütungsanpassung nach § 1 Nr. 3 oder Nr. 4, § 2 Nr. 5 oder Nr. 6 VOB/B (2016) verlangen. Der Auftraggeber kann zum anderen von einer Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik und damit von einer etwaigen Verteuerung des Bauvorhabens absehen.

427

§ 642 BGB umfasst nur Mehrkosten während des Annahmeverzugs Der BGH (BGH, Urt. v. 26.10.2017 – VII ZR 16/17) hat mit dieser Entscheidung das Urteil des Kammergerichts vom 10.01.2017 – 21 U 14/16, Baurecht 2017, 1202 – aufgehoben. Der BGH hat den seit Jahren bestehenden Meinungsstreit über den Anwendungsbereich des § 642 BGB zu Lasten der Unternehmer entschieden: § 642 BGB umfasst nur Mehrkosten, die innerhalb der Zeit des Annahmeverzuges entstanden sind. Umgekehrt: Mehrkosten, die erst nach Beendigung des Annahmeverzuges entstanden sind, werden nicht von § 642 BGB erfasst. Beispiel: Eine Baustelle rutscht über einen Annahmeverzug in den Winter hinein. Der Annahmeverzug ist schon vor dem Winter beendet. Die Winterbaukosten entstehen also erst nach dem Ende des Annahmeverzuges, freilich als Folge des Annahmeverzuges. Für diese Fälle, die früher über § 642 BGB als adäquat kausal verursacht erfasst wurden, gibt es nach dieser neuen Rechtsprechung keine Anspruchsgrundlage mehr. Da bei den Bauzeitennachträgen das meiste an Mehrkosten erst nach Beendigung des Annahmeverzuges, nach Beendigung der Behinderung, entsteht, kann nur noch versucht werden, Mehrkosten jetzt über Schadensersatz, § 6 Abs. 6 VOB/B, oder über Anordnung (zweifelhaft) zu erfassen. Sittenwidriger Einheitspreis für Nachträge (BGH, Urt. v. 18.12.2008 – VII ZR 201/06; BGH Urt. v. 07.03.2013 – VII ZR 68/10; BGH, Urt. v. 14.03.2013 – VII ZR 116/12) Ist der nach § 2 Abs. 3 oder § 2 Abs. 5 VOB/B zu vereinbarende Einheitspreis für Mehrmengen um mehr als das 800-fache erhöht, weil der Auftragnehmer in der betreffenden Position des Leistungsverzeichnisses einen ähnlich überhöhten Einheitspreis für die ausgeschriebene Menge angeboten hat, besteht eine Vermutung für ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben des Auftragnehmers (BGH, Urt. v. 18.12.2008 – VII ZR 201/06). Diese Vermutung wird nicht dadurch entkräftet, dass der Auftragnehmer in anderen Positionen unüblich niedrige Einheitspreise angesetzt hat. Ein derart spekulatives Verhalten des Auftragnehmers ist nicht schützenswert. An Stelle der nichtigen Vereinbarung oder

428

Bildung eines neuen Preises auf der Grundlage des überhöhten Einheitspreises tritt die Vereinbarung, die Mehrmengen nach dem üblichen Preis zu vergüten. Beträgt die nach § 2 Abs. 6 VOB/B zu bestimmende Vergütung nahezu das Achtfache des ortsüblichen und angemessenen Preises, kann ein auffälliges Missverhältnis vorliegen. Ein auffälliges Missverhältnis ist nur dann wucherähnlich, wenn der aufgrund dieses auffälligen Missverhältnisses über das übliche Maß hinausgehende Preisanteil sowohl absolut gesehen als auch im Vergleich zur Gesamtauftragssumme in einer Weise erheblich ist, dass dies von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen werden kann. Unter diesen Voraussetzungen besteht eine Vermutung für ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben des Auftragnehmers. An die Stelle der nichtigen Vereinbarung über die Vergütung tritt die Vereinbarung, die Leistungen nach dem üblichen Preis zu vergüten. Der Gesetzgeber gibt dem Auftragnehmer insoweit ein Wahlrecht (BGH, Urt. v. 07.03.2013 – VII ZR 68/10 in Fortführung von BGH, Urt. v. 18.12.2008 – VII ZR 201/06). Ein Verstoß gegen die Vorschriften des Vergaberechts hat auf die Wirksamkeit und den Inhalt eines geschlossenen Bau- oder Architektenvertrags keinen Einfluss Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A ist die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Unternehmen die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Zudem darf dem Auftragnehmer gem. § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann. Hält sich der öffentliche Auftraggeber nicht an diese Vorgaben – etwa weil er die Wasserhaltung in einer ansonsten detaillierten Leistungsbeschreibung lediglich funktional mit „1 psch. Wasserhaltung“ ausschreibt (BGH, IBR 1992, S. 349) – und wird der Vergaberechtsverstoß vom späteren AN nicht gerügt und ggf. mit einem Nachprüfungsverfahren angegriffen, stellt sich die Frage, ob – und wenn ja, wie – sich ein solcher Verstoß auf

H. Franke et al.

den geschlossenen Bau- oder Planervertrag auswirkt. Der BGH stellt hierzu fest, dass etwaige Verstöße gegen das Vergaberecht auf die Wirksamkeit eines (Architekten-)Vertrags keinen Einfluss haben (IBR 2017, S. 438; BGH, Urteil vom 01.06.2017 – VII ZR 49/16). Etwas anderes gilt nur, wenn sich der öffentliche AG in kollusivem Zusammenwirken mit dem AN bewusst über das Vergaberecht hinwegsetzt (OLG Saarbrücken, IBR 2017, S. 45). Vergaberecht ist kein Vertragsrecht (BGH, IBR 1992, S. 132). Eine mit § 7 VOB/A unvereinbare Ausschreibungstechnik führt deshalb nicht dazu, dass anstelle der ausgeschriebenen Leistung eine mit § 7 VOB/A übereinstimmende Leistungsbeschreibung Vertragsinhalt wird (BGH, IBR 1996, S. 488). Das bedeutet z. B., dass dem AN kein Anspruch auf Mehrvergütung zusteht, wenn der öffentliche AG eine unkalkulierbare Leistung ausgeschrieben und der AN gleichwohl ein Angebot abgegeben hat (BGH, IBR 1997, S. 181; IBR 1992, S. 349). Anders kann es ausnahmsweise aussehen, wenn im Rahmen der Ausführung völlig ungewöhnliche und von keiner Seite zu erwartende Änderungs- oder Zusatzleistungen erforderlich werden. Dann muss sich der öffentliche AG im Rahmen der Vertragsauslegung daran festhalten lassen, dass er dem AN nach eigenem Bekunden kein ungewöhnliches Wagnis auferlegen will (BGH, IBR 1994, S. 223). Nach Ansicht des OLG Köln soll das auch für den privaten AG gelten (OLG Köln, Urteil vom 16.01.2007, 3 U 214/05). Prüfung der Preisbildung bei ungewöhnlich niedrigem Angebot Zu einer Beschränkten Ausschreibung mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb, die schwerpunktmäßig die Gestellung von Notärzten zum Gegenstand hatte, hat der BGH entschieden, dass den Vorschriften über ungewöhnlich niedrige Angebote bieterschützende Wirkung zukommt (BGH, Beschluss vom 31.01.2017, Az.: X ZB 10/16). Erscheint ein Angebotspreis aufgrund des signifikanten Abstands zum nächstgünstigen Gebot ungewöhnlich niedrig, können die Mitbewerber verlangen, dass die Vergabestelle in die vorgesehene nähere Prüfung der Preisbildung eintritt. Jeder Bieter hat nach § 57 Abs. 6 GWB Anspruch auf

Privates Baurecht

die Einhaltung der entsprechenden Regelung, wonach der öffentliche Auftraggeber, wenn Preise oder Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen, vom Bieter Aufklärung zu verlangen hat. Der Anspruch der Mitbewerber ist im Falle möglicherweise unangemessen niedriger Angebotspreise darauf gerichtet, dass der Auftraggeber die nach den §§ 16 d Abs. 1, 16 d EU Abs. 1 VOB/ A und 60 VgV vorgesehene Prüfung vornimmt. Damit hat der BGH klargestellt, dass den Vorschriften über ungewöhnlich niedrige Angebote bieterschützende Wirkung zukommt. Zukünftig können Bieter fehlende oder unzureichende Aufklärung bei unangemessen niedrigen Angeboten monieren und ihren Anspruch auf die von der Vergabestelle geschuldete Prüfung geltend machen. Schwarzarbeit Bei anfänglicher „Schwarzarbeitsabrede“ oder „Ohne-Rechnung-Abrede“ ist der gesamte Vertrag nach § 138 BGB nichtig. Es gibt keinen Werklohnanspruch, keine Mängelrechte und keine Rückzahlungsansprüche aus Bereicherungsrecht wegen § 817 S. 2 BGB. Der Vorleistende verliert (BGH, Urt. v. 07.03.2013 – VII ZR 68/10). Aber auch ein zunächst nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstoßender Werkvertrag kann nichtig sein, wenn er nachträglich so abgeändert wird, dass er nunmehr von dem Verbot des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG erfasst wird (BGH, Urt. 16.03.2017 – VII ZR 197/16). Zur Schwarzarbeit zählt zudem die Erbringung von Werkleistungen, wenn der Auftragnehmer dabei eine sich aufgrund der Werkleistungen ergebende steuerliche Pflicht nicht erfüllt. Ein solche steuerliche Pflicht ergibt sich aus § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG, wonach über eine Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück innerhalb von 6 Monaten nach Leistungsausführung eine Rechnung durch den leistenden Unternehmer auszustellen ist (OLG Hamm, Urt. v. 07.06.2016 – 24 U 152/15). Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Ein Architekt beauftragte einen Handwerker mit der Installation von Sanitäreinrichtungen in einem Neubau. Bei Beginn der Arbeiten wurde ein Teil des Werklohns ordnungsgemäß gezahlt. Für die weiteren Leistungen zahlte der

429

Architekt einen Barbetrag in Höhe von EUR 15.000,00. Erst 17 Monate später stellte der Handwerker dem Architekten über diese Zahlung eine Rechnung aus und führte die anfallende Umsatzsteuer an das Finanzamt ab. Der Architekt zahlte den restlichen Werklohn nicht, so dass der Handwerker ihn hierauf verklagte. Das Oberlandesgericht hat den Werkvertrag insgesamt wegen des Verstoßes gegen das Schwarzarbeitsverbot für nichtig erklärt. Insbesondere ist der gesamte Vertrag wegen Verstoßes gegen das Schwarzarbeitsgesetz nichtig. § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG bestimmt, dass über eine bestimmte Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück innerhalb von 6 Monaten nach Leistungsausführung eine Rechnung durch den leistenden Unternehmer auszustellen ist. Weiter bestimmt das Umsatzsteuergesetz, dass die Vereinnahmung einer Vorauszahlung die Steuer bereits im Voranmeldezeitraum der Zahlung entstehen lässt und nicht erst bei Ausführung der Leistung. Daher sind Vorauszahlungen im Voranmeldungszeitraum ihrer Vereinnahmung anzumelden und zu versteuern. Eine verspätete Abführung der Umsatzsteuer führt zum objektiven Tatbestand der Steuerverkürzung. Der Umstand, dass die Ohne-RechnungAbrede sich nur auf einen Teil des vereinbarten Werklohns bezieht, ändert in der Regel an der Nichtigkeit des gesamten Vertrages nach § 134 BGB nichts. Die Parteien, die nachträglich eine Schwarzgeldabrede treffen, geben so regelmäßig zu erkennen, dass sie den ursprünglich geschlossenen Werkvertrag nicht mehr als legales Rechtsgeschäft wünschen. Kumulierungsverbot bei Sicherheiten Abschlagszahlungen, die vorsehen, dass der Auftraggeber trotz vollständig erbrachter Werkleistung einen Teil des Werklohns einbehalten darf, können zur Unwirksamkeit einer Sicherungsabrede betreffend eine Vertragserfüllungsbürgschaft führen, wenn sie in Verbindung mit dieser bewirken, dass die Gesamtbelastung durch die vom Auftragnehmer zu stellenden Sicherheiten das Maß des Angemessenen überschreitet (BGH, Urt. v. 16.06.2016 – VII ZR 29/13). Auch folgenden von einem Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellte Formularklauseln sind bei der gebotenen Gesamtbeurteilung wegen unan-

430

gemessener Benachteiligung des Auftragnehmers unwirksam (BGH, Urt. v. 30.03.2017 – VII ZR 170/16). (1) Die Parteien vereinbaren – unabhängig von einer Ausführungsbürgschaft – den Einbehalt einer unverzinslichen Sicherheitsleistung durch den Auftraggeber i.H.v. 5 % der BruttoAbrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen. (2) Der Auftragnehmer ist berechtigt, den Sicherheitseinbehalt gegen Vorlage einer unbefristeten, selbstschuldnerischen und unwiderruflichen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder Versicherung abzulösen; frühestens jedoch nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlender Leistungen.

Rechtsfolgen verspäteter Vergabe (OLG Dresden, Urteil vom 28.06.2012 – 16 U 831/11; BGH, Beschluss vom 21.03.2013 – VII ZR 211/12) Nach der Grundsatzentscheidung des BGH vom 11. Mai 2009 (BGH, Urteil vom 11.05.2009 – VII ZR 11/08) hat der öffentliche Auftraggeber künftig die Mehrkosten aus der Verzögerung zu tragen, wenn der Zuschlag auf einen ausgeschriebenen Bauauftrag erst nach Ablauf der Bindefrist für die Angebote erteilt wird. Die Bauzeit ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls anzupassen. Zugleich ist der vertragliche Vergütungsanspruch in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Abs. 5 VOB/B anzupassen. Die durch ein verzögertes Vergabeverfahren bedingte Änderung der Leistungszeit hat auch zur Folge, dass die Parteien redlicherweise vereinbart hätten, sich auf eine angepasste Vergütung zu verständigen. In mehreren Folgeentscheidungen hat der BGH die Grundsätze konsequent weiterentwickelt. Bleiben die Ausführungsfristen unverändert und muss die vertragliche Bauzeit den Umständen nicht angepasst werden, kommt ein Mehrvergütungsanspruch nicht in Betracht. Ein Mehrvergütungsanspruch kann nämlich nicht allein daraus hergeleitet werden, dass sich im Hinblick auf die spätere Zuschlagserteilung die Kalkulationsgrundlagen geändert hätten, wenn in einem Vergabeverfahren nach VOB/A der Zuschlag nach Verlängerung der Bindefristen durch die Bieter

H. Franke et al.

später als in der Ausschreibung vorgesehen erteilt wurde (BGH, Urt. v. 10.09.2009 – VII ZR 82/08). Ein Mehrvergütungsanspruch in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Abs. 5 VOB/B kann dem der Verlängerung der Bindefrist zustimmenden Auftragnehmer wegen einer verzögerten Vergabe grundsätzlich nur erwachsen, wenn dies eine Änderung der Leistungspflichten zur Folge hat (BGH, Urt. v. 10.09.2009 – VII ZR 152/08). Maßgeblich für die in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Abs. 5 VOB/B zu ermittelnde Höhe des Mehrvergütungsanspruchs, der auf einer durch eine verzögerte Vergabe verursachten Bauzeitverschiebung beruht, sind grundsätzlich nur diejenigen Mehrkosten, die ursächlich auf die Verschiebung der Bauzeit zurückzuführen sind. Mit einer weiteren Entscheidung überträgt der BGH die Grundsätze auf das vergaberechtlichen Verhandlungsverfahren (BGH, Urt. v. 10.09.2009 – VII ZR 255/08). Belässt es der Bieter in einem vergaberechtlichen Verhandlungsverfahren im Rahmen von Verhandlungen mit dem Auftraggeber über die durch eine Zuschlagsverzögerung bedingte Anpassung seines Angebots hinsichtlich der Bauzeit bei der Ankündigung von verzögerungsbedingten Mehrvergütungsansprüchen, so ist eine tatrichterliche Auslegung nicht zu beanstanden, die darin lediglich den Vorbehalt der Durchsetzung möglicher vertraglicher Ansprüche sieht, nicht jedoch eine Abstandnahme vom abgegebenen Angebot. Vertragliche Ansprüche können bei einer solchen Auslegung ausgeschlossen sein, wenn der Bieter die bestehende Möglichkeit nicht genutzt hat, den Abschluss des Vertrags von einer Anpassung des Preises für die durch die Bauzeitverschiebung entstandenen Mehrkosten abhängig zu machen. Durch zwei Urteile vom 22.07.2010 (BGH, Urt. v. 22.07.2010 – VII ZR 213/08 und VII ZR 129/09) hat der BGH diese Rechtsprechung weiter konkretisiert. Der Zuschlag in einem durch ein Nachprüfungsverfahren verzögerten öffentlichen Vergabeverfahren über Bauleistungen erfolgt im Zweifel auch dann zu den ausgeschriebenen Fristen und Terminen, wenn diese nicht mehr eingehalten werden können und der Besteller daher im Zuschlagsschreiben eine neue Bauzeit erwähnt.

Privates Baurecht

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der öffentliche Auftraggeber das Risiko der Zuschlagsverzögerung trägt, wenn sich in der Folge der Zuschlagsverzögerung die Ausführungsfristen verschieben. Die Erklärung des Bieters, mit welcher er der Verlängerung der Bindefrist zustimmt, ist kein neues Angebot. An dem Inhalt des ursprünglichen Angebots ändert sich dadurch nichts. Der Bauvertrag wird mit Zuschlagserteilung zu den Bedingungen des ursprünglichen Angebots wirksam geschlossen. Daran ändert sich auch durch die zwischenzeitlich hinfällig gewordenen vereinbarten Ausführungsfristen nichts. Die vertraglichen Hauptleistungspflichten sind wirksam, unabhängig davon, inwieweit zeitliche Leistungsstörungen eintreten. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH ist dies über eine sogenannte ergänzende Vertragsauslegung zu lösen. Dies hat zur Konsequenz, dass die Bauzeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles anzupassen ist. Die vertragliche Vergütung ist nach den Grundsätzen des § 2 Abs. 5 VOB/B anzupassen. Bleiben dagegen die Ausführungsfristen unverändert und muss die vertragliche Bauzeit den Umständen nicht angepasst werden, kommt ein Mehrvergütungsanspruch nicht in Betracht. Mängelansprüche im Abrechnungsverhältnis (BGH, Urteil vom 19.01.2017 – VII ZR 235/15) Der Besteller kann berechtigt sein, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er nicht mehr die Erfüllung des Vertrags verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist. Das ist jedenfalls der Fall, wenn der Unternehmer das Werk als fertig gestellt zur Abnahme anbietet und der Besteller nur noch Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes geltend macht oder die Minderung erklärt. Der Bauunternehmer hat für den Auftraggeber einen Anbau errichtet. Die Bauleistung wird wegen gerügter Mängel nicht abgenommen. Der Bauunternehmer klagt restlichen Werklohn ein und der AG erklärt zunächst mit Schriftsatz vom 03.02.2005 (wirksam) die Minderung, bevor er dann mit Schriftsatz vom 31.12.2009 Widerklage erhebt, mit der er im Wesentlichen Schadensersatz statt der Leistung geltend macht. Das Landgericht

431

weist die Widerklage insoweit mit der Begründung ab, dass die wirksam erklärte Minderung Schadensersatzansprüche statt der Leistung wegen derselben Mängel ausschließe. Im Berufungsverfahren wird argumentiert, die erklärte Minderung sei unwirksam, insbesondere könnten vor Abnahme die Mängelrechte nach § 634 BGB (einschließlich der Minderung gem. § 634 Nr. 3 BGB) gar nicht geltend gemacht werden. Das Berufungsgericht erkennt auf eine wirksam erklärte Minderung, da eine Erfüllung des Vertrags nicht mehr in Betracht komme und eine allgemein anerkannte Ausnahme vom Grundsatz, dass diese Mängelrechte erst nach der Abnahme bestehen, vorliege. Davon sei jedenfalls dann auszugehen, wenn der Auftragnehmer das an ihn vor Abnahme gerichtete Begehren des AG nach Mängelbeseitigung endgültig ablehne und daraufhin der AG die Abnahme endgültig verweigere, so dass ein Abrechnungsverhältnis bestehe. Der BGH bestätigt die Entscheidung des Berufungsgerichts, betont aber noch einmal, dass der Besteller Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst nach Abnahme des Werks mit Erfolg geltend machen kann. Bislang hat der BGH diese Frage ausdrücklich offengelassen und entscheidet nunmehr, dass im Grundsatz Mängelrechte erst nach Abnahme geltend gemacht werden können. Dabei teilt der BGH explizit mit, dass er – soweit sich aus seinen Entscheidungen vom 11.10.2012 (BGH, VII ZR 179/11, IBRRS 2012, S. 4046, und VII ZR 180/11, IBRRS 2012, S. 4047) etwas anderes ergeben könnte – daran nicht festhält. Der BGH erkennt sodann aber auch ausdrücklich an, dass der Besteller ausnahmsweise berechtigt sein kann, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 – 4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen. Dies ist insbesondere zu bejahen, wenn der Unternehmer das aus seiner Sicht fertige Werk zur Abnahme anbietet, der Besteller nicht mehr die Erfüllung des Vertrags verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist. Mängel vor Abnahme im BGB Vertrag (BGH, Urteil vom 19.01.2017 – Az.: VII ZR 301/13) Der Besteller verlangt vom Unternehmer Vorschuss von 43.493,90 Euro für die Beseitigung von Fassadenmängeln. Die Arbeiten sind fertig

432

H. Franke et al.

gestellt, aber nicht abgenommen. Streitig ist, ob ein Kostenvorschuss vor Abnahme verlangt werden kann. Der BGH entscheidet diese lange offene und kontrovers diskutierte Frage dahingehend, dass ein Anspruch auf Vorschuss in der Ausführungsphase nicht besteht. In der Ausführungsphase sind die Interessen des Bestellers durch die allgemeinen Rechte gewahrt, ohne dass er jederzeit in das laufende Baugeschehen eingreifen kann. Das Gesetz unterscheidet zwischen Erfüllung und Nacherfüllung. Erst nach der Abnahme kann der Besteller die Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich geltend machen. Vor der Abnahme stehen dem Besteller der Anspruch auf Herstellung des Werks und die allgemeinen Leistungsstörungsrechte (Schadensersatz, Rücktritt und Kündigung aus wichtigem Grund) zu. Der Schadensersatzanspruch ist zwar verschuldensabhängig, das Verschulden kann aber auch darin liegen, dass der Unternehmer die ihm zur Erfüllung gesetzte Frist verstreichen lässt. Ein faktischer Zwang, die Abnahme zu erklären, um die Rechte wegen Mängel geltend machen zu können, besteht daher nicht, zumal der Besteller sich seine Rechte wegen erkannter Mängel vorbehalten kann. Erst wenn der Unternehmer seine Leistung als fertig gestellt zur Abnahme anbietet, kann der Besteller auch ohne Abnahme die Mängelrechte geltend machen, wenn der Erfüllungsund der Nacherfüllungsanspruch untergegangen sind und ein Abrechnungsverhältnis besteht (BGH, Urteil vom 19.01.2017 – Az.: VII ZR 235/15). Das Vorschussverlangen führt noch nicht zum Abrechnungsverhältnis, weil es den Erfüllungs- und Nacherfüllungsanspruch des Bestellers nicht untergehen lässt. Der Besteller kann das Abrechnungsverhältnis aber herbeiführen, wenn er ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt, weitere Arbeiten des Unternehmers am Werk unter keinen Umständen mehr zuzulassen.

2.5

VOB/C

Die VOB/C besteht aus den Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen, kurz ATV. Diese ATV gliedern sich in DIN 18299 bis 18459. Nach VOB/B § 1 Abs. 1 Satz

2 gilt die VOB/C als Vertragsbestandteil. Sofern die Parteien die Geltung der VOB/B vereinbaren, gehören hierzu somit auch die ATV. Beim VOB/B Vertrag gelten die Bestimmungen der VOB/C also „automatisch“. Da der öffentliche Auftraggeber nach § 8 Abs. 3 VOB/A verpflichtet ist, die VOB/B zur Vertragsgrundlage zu machen, gilt somit für ihn ausnahmslos die VOB/C. Wie die VOB/B sind die VOB/C Allgemeine Geschäftsbedingungen und unterliegen der Klauselkontrolle (Englert et al. 2014, Syst V). Die VOB/C besteht aus den DIN 18299 – 18459. Für die jeweiligen Einzelgewerke gelten die besonderen DIN 18300 ff, zum Beispiel DIN 18332 (Naturwerksteinarbeiten), DIN 18355 (Tischlerarbeiten), DIN 18360 (Metallbauarbeiten), DIN 18361 (Verglasungsarbeiten) DIN 18363 (Maler- und Lackierarbeiten – Beschichtungen), DIN 18385 (Aufzugsanlagen, Fahrtreppen und Fahrsteige, Förderanlagen), um nur einige Beispiele zu nennen. Den gewerkespezifischen Regelwerken ist die DIN 18299 als eine Art „Generalklausel“ vorangestellt, die „Allgemeine Regelungen für Bauarbeiten jeder Art“ enthält. Die Generalnorm DIN 18299 gilt immer dann, wenn entweder keine gewerkespezifische ATV in der VOB/C – DIN 18300 bis 18459 – für die betroffenen Arbeiten existiert oder eine gewerkespezifische ATV keine abweichende Regelung enthält. Nach dem Grundsatz, dass das Spezielle dem Allgemeinen vorgeht, haben die abweichenden Regelungen in den ATV-DIN 18300 – DIN 18459 Vorrang. Für Leistungen, für die es keine Spezialnorm gibt, wird die DIN 18299 ausschließlich herangezogen. Bei Widersprüchen zu Spezialnormen gilt die Spezialnorm vorrangig. Dies bezieht sich nur auf die konkreten Widersprüche, im Übrigen gilt nach wie vor DIN 18299 ergänzend. Jede ATV hat den gleichen Aufbau und Inhalt: 0. Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung (werden nicht Vertragsbestandteil) 1. Geltungsbereich 2. Stoffe, Bauteile 3. Ausführung 4. Nebenleistungen, Besondere Leistungen 5. Abrechnung

Privates Baurecht

VOB/C und Vergütungsfragen Beim VOB-Vertrag konkretisiert die VOB/C Vergütungsfragen. Insbesondere wird für die einzelnen Gewerke festgelegt, welche Leistungen vom Vertragspreis erfasst sind, indem konkret bestimmt wird, ob eine Nebenleistung oder eine Besondere Leistung vorliegt. Nebenleistungen sind Leistungen, die auch ohne (ausdrückliche) Erwähnung im Bauvertrag zur vertraglich geschuldeten Leistung (also zur „vertraglichen Leistung“ i. S. d. § 2 Abs. 1 VOB/B) gehören. Sie sind jeweils im Abschn. 4.1 der ATV zu finden. Vorbehaltlich einer – zulässigen und möglichen – abweichenden Vereinbarung zu einer separaten Vergütung löst das Erbringen solcher Leistungen keinen Mehrvergütungsanspruch aus. Die Geltendmachung eines Nachtrags (etwa nach § 2 Abs. 5 bis 8 VOB/B) kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Besondere Leistungen sind dagegen Leistungen, die nicht Nebenleistungen sind und nur dann zur vertraglich geschuldeten Leistung gehören, wenn sie in der Leistungsbeschreibung besonders erwähnt sind. Sie sind jeweils im Abschn. 4.2 der ATV aufgezählt. Werden entsprechende Leistungen erbracht, können sie (sofern die weiteren Voraussetzungen vorliegen) zu einem Anspruch auf zusätzliche Vergütung führen. Auch hinsichtlich dieser Leistungen gilt aber, dass die Parteien vereinbaren können, dass bestimmte Leistungen nicht gesondert vergütungspflichtig, mithin im Ergebnis wie Nebenleistungen zu behandeln sind. VOB/C und Mängelhaftung Ein Mangel einer Bauleistung ist gegeben, wenn die vereinbarte Beschaffenheit nicht gegeben, das Werk für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung nicht geeignet oder das Werk für die gewöhnliche Verwendung ungeeignet ist. Der Inhalt der VOB/C entspricht dem vertraglich vereinbarten Gebrauch. Werden somit die Vorgaben der VOB/C nicht eingehalten, liegt zudem ein Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik vor. Aufstellen des Leistungsverzeichnisses In der DIN 18299 Abschnitt 0 finden sich Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschrei-

433

bung. Diese Hinweise gelten für Bauarten jeder Art. Sie werden ergänzt durch die auf die einzelnen Leistungsbereiche bezogenen Hinweise in den ATV-DIN 18300 – DIN 18459 Abschnitt 0. Die Beachtung dieser Hinweise ist Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Leistungsbeschreibung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 7 VOB/A. Zu beachten ist aber, dass ein Verstoß gegen die Vorschriften des Vergaberechts auf die Wirksamkeit und den Inhalt eines geschlossenen Bau- oder Architektenvertrags grundsätzlich keinen Einfluss hat (BGH Urteil vom 01.06.2017 – Az.: VII ZR 49/16 – (IBR 2017, S. 419)).

3

Vergaberecht

Horst Franke

3.1

Struktur des Vergaberechts

Der Staat deckt seinen Beschaffungsbedarf grundsätzlich auf dem freien Markt. Das Volumen der im Bausektor durch Träger staatlichen Vermögens getätigten Investitionen ist erheblich. Das jährliche Einkaufsvolumen liegt bei bis zu 300 Mrd. (Schippel 2016, S. 434–442) Damit die öffentlichen Mittel wirtschaftlich verwendet werden und der Wettbewerb durch die öffentliche Hand nicht verzerrt wird, gibt es Regelungen für die öffentliche Auftragsvergabe. Das Vergaberecht findet Anwendung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen. Öffentliche Aufträge sind entgeltliche Verträge zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem privaten Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, welche die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Unter den Begriff Öffentlicher Auftraggeber fallen öffentliche Auftraggeber, Sektorenauftraggeber oder Konzessionsgeber. Das deutsche Vergaberecht ist nach dem Kaskadenprinzip aufgebaut. Hierbei setzt das deutsche Vergaberecht europäisches Recht um. Das Kaskadenprinzip beschreibt ein hierarchisch strukturiertes System von Gesetzen und Verordnungen. Welches vergaberechtliche Regelungs-

434

system im konkreten Fall anzuwenden ist, bestimmt sich nach dem öffentlichen Auftraggeber, nach dem konkreten Beschaffungsgegenstand (Bau-, Liefer- oder Dienstleistung) und, ob der jeweilige Schwellenwert überschritten ist (Abb. 1). Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen, die den Schwellenwert überschreiten und für die keine Ausnahmeregelung vorliegt, sind EU-weit auszuschreiben. Beispielsweise sind folgende Regelungen wie folgt anzuwenden: • Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsoder Lieferauftrags: GWB + VgV • Vergabe einer Bauleistung: GWB + VgV + VOB/A (EU) • Vergabe einer Leistung im Sektorenbereich: GWB + SektVO • Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Liefer- oder Dienstleistungen: GWB + VSVgV • Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Bauaufträgen: GWB + VSVgV + VOB/A (VS) • Vergabe einer Bau- oder Dienstleistungskonzession: GWB + KonzVgV Neben diesen Regelungssystemen enthält das VergStatVO (Verordnung zur Statistik über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen) bestimmte Pflichten des öffentlichen Auftraggebers zur Übermittlung von verfahrensbezogener Daten an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist berechtigt, diese Daten auszuwerten, zu speichern und nach Maßgabe dieser Verordnung zu Auswertungszwecken an Dritte zu übermitteln. Die VOB/A ist in Abschnitt 1 (Basisparagrafen), Abschnitt 2 (Basisparagrafen mit zusätzlichen Bestimmungen nach der EU-Vergabekoordinierungsrichtlinie) und Abschnitt 3 (Vergabebestimmungen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/81/EG (VOB/A – VS)) aufgeteilt. Die VOB/A hat demnach unterschiedliche Regelungen, die je nach dem Anwendung finden, ob es sich um Aufträge unterhalb oder oberhalb der Schwellenwerte handelt oder um Aufträge für Verteidigung und Sicherheit (VOB/A – VS).

H. Franke et al.

3.2

Schwellenwerte

§ 106 GWB legt die Schwellenwerte fest, ab deren Erreichen eine Pflicht zur Anwendung des europaweiten Ausschreibungsverfahren besteht, mit der Folge, dass dann der Teil 4 des GWB anzuwenden ist. Hieraus ergeben sich verschiedene Konsequenzen. Aufträge, bei denen der Auftragswert die Schwellenwerte übersteigt, müssen europaweit ausgeschrieben werden. Für den Rechtsschutz sind die Nachprüfungsbehörden bzw. die Vergabesenate bei den OLG zuständig. Der Verweis auf die geltenden Schwellenwerte erfolgt durch eine dynamische Verweisung auf die europarechtlichen Richtlinien 2014/ 23/EU, 2014/25/EU und 2009/81/EG. Damit gelten die von der EU ständig angepassten Schwellenwerte direkt im deutschen Recht, ohne dass es einer weiteren Umsetzung bedarf. Die Schwellenwerte des Vergaberechts ohne Umsatzsteuer betragen seit dem 01. Januar 2018: • EUR 144.000 für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen durch zentrale Regierungsbehörden • EUR 221.000 für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen durch sonstige Auftraggeber sowie für Lieferaufträge durch zentrale Regierungsbehörden im Verteidigungsbereich für Waren, die nicht in Anhang III der Richtlinie 2014/24/EU aufgeführt sind • EUR 750.000 für Dienstleistungsaufträge betreffend soziale und andere besondere Dienstleistungen von Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU • EUR 5.548.000 für die Vergabe von Bauaufträgen Die Schwellenwerte im Sektorenvergaberecht betragen: • EUR 443.000 für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen von Sektorenauftraggebern zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit • EUR 1.000.000 für Dienstleistungsaufträge betreffend soziale und andere besondere Dienstleistungen von Anhang XVII der Richtlinie 2014/24/EU

VOB/A 1.Abschnitt

Landesvergabegesetze

Abb. 1 Vorschriften für Vergaben öffentlicher Auftraggeber

1. Abschnitt UVgO VOL/A

§ 30 HGrG + Haushaltsordnungen

Vergaben unterhalb der Schwellenwerte

Rechtsmitterlrichtlinie 89/665/EWG und 2007/66/EG

VOB/A 2.Abschnitt

VgV

Sektorenrichtlinie 2014/25/EU

Sekt VO

Verteidigungsrichtlinie 2009/81/EG und 2009/340/EG

VergStatVO

Konzessionsrichtlinie 2014/23/EU

KonzVgV

VOB/A 3.Abschnitt

VSVgV

GWB 4. Teil (Stand April 2016)

Vergaberichtlinie 2014/24/EU

Vergaben oberhalb der Schwellenwerte

Privates Baurecht 435

436

H. Franke et al.

• EUR 5.548.000 für die Vergabe von Bauaufträgen von Sektorenauftraggebern zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit Die Schwellenwerte bei der Vergabe durch zentrale Regierungsbehörden sind also deutlich vermindert, hierzu gehören u. a. die obersten und oberen Bundesbehörden, wie z. B. das Bundeskanzleramt, Auswärtige Amt oder das Bundesamt für Justiz. Die Schwellenwerte sind die geschätzten Auftragswerte ohne Umsatzsteuer. Die ordnungsgemäße Auftragswertschätzung ist allein entscheidend. Spätere tatsächliche Abweichungen sind unerheblich. Selbst wenn beispielsweise alle eingegangenen Angebote den geschätzten Auftragswert nicht erreichen, bleibt der 4. Teil des GWB bei einem ordnungsgemäß geschätzten Auftragswert oberhalb des Schwellenwertes anwendbar.

3.3

Zwecke und Grundsätze des GWB-Vergaberechts

§ 98 GWB regelt, welche verschiedenen Auftraggeber es im Oberschwellenbereich gibt. Sie werden unterteilt in öffentliche Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber. Im Einzelnen werden die Auftraggeberbegriffe in den §§ 99–101 GWB definiert. Hiermit wird also der subjektive Anwendungsbereich festgelegt. Besteht keine Auftraggebereigenschaft nach diesen Vorschriften, ist der Teil 4 des GWB nicht anzuwenden. Der Auftraggeberbegriff in § 99 GWB orientiert sich an den wahrgenommenen Aufgaben und der organisatorischen Abhängigkeit. Nicht entscheidend ist die Rechtsform der handelnden Einrichtung. Klassisch gehören hierzu zunächst die Gebietskörperschaften wie Länder, Kreise, Gemeinden und Gemeindeverbände. Aber nicht nur die staatlichen Stellen unterliegen dem Vergaberecht, sondern nach § 99 Nr. 2 GWB auch andere Einrichtungen, die eine besondere Staatsnähe aufweisen. Erfasst werden juristische Personen, die zur Erfüllung im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art gegründet wurden und die zusätzlich eine besondere Staatsnähe aufweisen, die entweder durch eine

finanzielle Abhängigkeit oder durch Beherrschung vermittelt wird. Beispielsweise fallen hierunter Museen, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und gesetzliche Krankenkassen. Der Sektorenauftraggeber wird in § 100 GWB beschrieben. Es werden verschiedene private und öffentliche Einrichtungen zu Sektorenauftraggebern bestimmt. Für die Einordnung ist entscheidend, ob es sich um Sektorentätigkeiten nach § 102 GWB handelt. Sektorentätigkeiten sind solche in den Bereichen Wasser, Elektrizität, Gas und Wärme, Verkehrsleistungen, Häfen und Flughäfen sowie fossile Brennstoffe. Entscheidend ist, ob die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung stehen. Beispielsweise hat das OLG Düsseldorf auch Abschleppmaßnahmen im Flughafenbereich zu Sektorentätigkeiten erklärt (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.03.2010 – VII-Verg 58/09). § 101 GWB beschreibt den Konzessionsgeber als einen weiteren Auftraggeberbegriff des Vergaberechts. In § 105 GWB werden die verschiedenen Konzessionen beschrieben. Eine Konzession ist dann gegeben, wenn die Gegenleistung für Bau- oder Dienstleistungen nicht (nur) in einem Entgelt, sondern in einem Recht auf Nutzung der baulichen Anlage oder der Dienstleistung besteht. In § 97 GWB werden die Vergabegrundsätze festgelegt. Unterteilt werden die Vergaberegeln in drei Abschnitte. Im Abschnitt 1 (§§ 97–114 GWB) sind die für alle Vergaben geltenden Grundsätze, Definitionen und Anwendungsbereiche des Vergabeverfahrens beschrieben. Im Abschnitt 2 (§§ 115–135 GWB) sind alle wesentlichen Vorschriften für die klassische öffentliche Auftragsvergabe, d. h. für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber, bestimmt. Der Abschnitt 3 (§§ 136–154 GWB) enthält die wesentlichen Vorgaben für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen in besonderen Bereichen sowie für die Vergabe von Konzessionen (vgl. Willenbruch, Wieddekind, § 97 Rz. 11 ff.). Das Wettbewerbsprinzip ist das zentrale Element der öffentlichen Auftragsvergabe. Vergabeverfahren sind so zu gestalten, dass Angebote von möglichst vielen verschiedenen Bewerbern miteinander konkurrieren können. Grundsätzlich müssen mindestens drei Bewerber beteiligt werden. Denn dem

Privates Baurecht

Gesetzgeber ist es wichtig, dass größtmöglicher Wettbewerb und eine breite Beteiligung der Wirtschaft die Beschaffung von Leistungen gewährleistet. Insbesondere durch rechts- oder sachwidrige Anforderungen darf der Wettbewerb nicht eingeschränkt werden. Der Vergabegrundsatz Wirtschaftlichkeit soll sicherstellen, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag erhält. In die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung können jedoch auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte einbezogen werden. Architektenleistungen werden im Leistungswettbewerb vergeben. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die gewählten Anforderungen und Kriterien im Vergabeverfahren sowohl angemessen als auch erforderlich sind. Dies bedeutet, dass der Auftraggeber solche Vergabemodalitäten wählt, die der Besonderheit und der Bedeutung des jeweiligen Vergabegegenstandes angemessen sind. Deshalb darf der Auftraggeber bei der Auswahl der Bieter keine fachlichen, finanziellen oder technischen Anforderungen stellen, die in Bezug auf den Gegenstand der Vergabe unverhältnismäßig sind. Für die Vergabe von Architektenleistungen nach der VgV ist damit gemeint, dass die Eignungskriterien zur Prüfung der Leistungsfähigkeit von Bewerbern mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen. Unzulässig ist somit, überzogene Eignungskriterien zu fordern. Vergabeverfahren sind transparent durchzuführen (§ 97 Abs. 1 GWB). Aus diesem Transparenzgrundsatz ergibt sich für die Auftraggeber die Pflicht zu einer umfassenden Information der Bieter, zum Beispiel über die zu erbringenden Eignungsnachweise, die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung sowie über die Vertragsbedingungen. Aus dem Transparenzgebot resultiert auch die verpflichtende Führung eines Vergabevermerks, der die Schritte des Vergabeverfahrens nachvollziehbar dokumentiert. Und schließlich sind nicht erfolgreiche Bewerber und Bieter mit einer aussagekräftigen und anhand der angegebenen Kriterien nachvollziehbaren Mitteilung über die Gründe der Nichtberücksichtigung zu unterrichten.

437

Wichtiger, wenn nicht der wichtigste, Grundsatz des deutschen und europäischen Vergaberechts ist der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter (§ 97 Abs. 2 GWB). Die Bieter müssen die gleichen Auftragschancen bei der Zuschlagserteilung haben. Für alle müssen dieselben Regeln gelten. Es darf eine Auswahl nur anhand vorher festgelegter objektiver Kriterien erfolgen. Eine wie auch immer gestaltete Bevorzugung eines Bieters ist zu unterlassen. Das heißt u. a., dass allen Bewerbern, Teilnehmern und Bietern die Entscheidungswege bekannt sein müssen und diese in gleicher Art und Weise zu behandeln sind. Und schließlich sollen die mittelständischen Interessen vorrangig beachtet werden, indem beispielsweise öffentliche Aufträge in Form von Teil- und Fachlosen vergeben werden müssen, sofern nicht eine Gesamtvergabe aus wirtschaftlichen und technischen Gründen notwendig ist (§ 97 Abs. 4 GWB). Auftraggeber sind damit verpflichtet, mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Bauaufgaben, die Leistungen der Stadt- und Freiraumplanung oder der Innenarchitektur umfassen, können in eigenen Verfahren vergeben werden. Aus diesem Grundsatz folgt auch, bei geeigneter Aufgabenstellung die Eignungskriterien so zu wählen, dass sich kleinere Büroorganisationen und Berufsanfänger am Vergabeverfahren beteiligen können. § 97 Abs. 3 GWB legt die entscheidenden Kriterien für die Auftragsvergabe fest. Das sind Aspekte der Qualität, der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte. Mit der Neufassung der VOB/A 2016 wurde der dahin geltende Vorrang des offenen Verfahrens aufgehoben. Nach § 119 Abs. 2 S. 1 GWB stehen öffentlichen Auftraggebern nunmehr das offene Verfahren und das nichtoffene Verfahren, das stets einen Teilnahmewettbewerb erfordert, nach ihrer Wahl zur Verfügung. Im Unterschwellenbereich wurde in Abschnitt 1 VOB/A nach § 3a Abs. 1 VOB/A der Vorrang des offenen Verfahrens beibehalten. Beim offenen Verfahren fordert der öffentliche Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe eines Angebots auf und stellt die Vergabeunterlagen gemäß

438

§ 41 VgV elektronisch oder auf einem anderen geeigneten Weg bereit. Die Aufforderung zur Abgabe von Angeboten erfolgt dabei grundsätzlich durch Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung nach § 37 VgV. Bei einem nichtoffenen Verfahren fordert der öffentliche Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen im Rahmen eines Teilnahmewettbewerbs öffentlich zur Abgabe von Teilnahmeanträgen auf. In der EU-Bekanntmachung oder in den Teilnahmeunterlagen benennt der Auftraggeber die Anforderungen an den Teilnahmeantrag, wozu auch die Eignung des Unternehmens gehört, §§ 44 ff. VgV. Jedes Unternehmen kann einen Teilnahmeantrag abgeben und so die geforderten Informationen für die Prüfung ihrer Eignung übermitteln. Der öffentliche Auftraggeber prüft danach die Unterlagen und fordert die geeigneten Bieter auf, ein Angebot abzugeben. Beim Verhandlungsverfahren – mit oder ohne vorangegangenen Teilnahmewettbewerb – wendet sich der Auftraggeber an ausgewählte Unternehmen, um mit ihnen über die Auftragsbedingungen und Preise zu verhandeln. Aufgrund der Flexibilität ist der Auftraggeber besonders zur Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verpflichtet. Das Verhandlungsverfahren gliedert sich in drei Phasen. Den Beginn bildet die Auswahlphase, die als Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden kann und dann in die Angebotsphase mündet. In der sich dann anschließenden Verhandlungsphase besprechen Auftraggeber und potenzielle Auftragnehmer den Auftragsinhalt und Vertragsbedingungen auf Basis der Erst- und Folgeangebote. Das Angebot wird während des Verhandlungsverfahrens dynamisch entwickelt. Der wettbewerbliche Dialog wird als ein Verfahren mit dem Ziel der Ermittlung und Festlegung der Mittel definiert, mit denen die Bedürfnisse des Auftraggebers am ehesten erfüllt werden können. Entscheidendes Kriterium des wettbewerblichen Dialogs ist die fehlende Beschreibbarkeit der Leistung. Der wettbewerbliche Dialog und das Verhandlungsverfahren mit vorangegangenem Teilnahmewettbewerb stehen gleichrangig nebeneinander. Der wettbewerbliche Dialog wird in 3 Abschnitte aufgeteilt. Nach der Auftragsbekanntmachung mit Teilnahmewettbewerb eröffnet

H. Franke et al.

der Auftraggeber mit ausgewählten Unternehmen den Dialog zur Erörterung aller Aspekte der Auftragsvergabe. Hierbei erarbeiten Auftraggeber und Bieter Lösungskonzepte, die Grundlage für die späteren Angebote werden. Der Dialog wird geführt, bis der Auftraggeber Lösungen hat, die seine Anforderungen erfüllen. Der Auftraggeber schließt dann die Dialoge ab und leitet die Angebotsphase ein. Hierbei fordert er die Unternehmen auf, auf Grundlage der in der Dialogphase erarbeiteten Lösungen ihr endgültiges Angebot einzureichen. Das Verfahren endet mit dem Zuschlag an den Bieter, der das wirtschaftlichste Angebot unterbreitet. Mit der Innovationspartnerschaft ist ein neues Verfahren in die VOB/A EU unter § 3b Abs. 5 aufgenommen worden. Hierbei handelt es sich um eine Kombination von Forschungs- und Entwicklungsleistungen. Die Innovationspartnerschaft ist zur Entwicklung innovativer, noch nicht auf dem Markt verfügbarer Bauleistungen und zum anschließenden Erwerb der daraus hervorgehenden Leistungen gedacht. Bei Bauleistungen dürfte dieses Verfahren eine untergeordnete Rolle spielen. Oberhalb der Schwellenwerte hat der Auftraggeber die freie Wahl zwischen offenen und nicht offenen Verfahren. Das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb und der wettbewerbliche Dialog sind nur zulässig, wenn besondere Voraussetzungen erfüllt sind, § 3a VOB/A EU.Dies kann beispielsweise die Notwendigkeit innovativer oder konzeptioneller Lösungen sein oder wenn ein vorangegangenes offenes oder nicht offenes Verfahren keine annehmbaren Angebote erbracht hat. Das Verhandlungsverfahren ohne vorangegangene Teilnahmewettbewerb ist nur unter besonders engen Voraussetzungen zulässig, § 3a Abs. 3 VOB/A EU. Die auszuschreibenden Leistungen sind in der Menge, sog. Teillose, und getrennt nach Art und Fachgebiet, sog. Fachlose, aufzuteilen (§ 15 Abs. 2 VOB/A EU). Zweck dieser Loslimitierung ist neben der besonderen Berücksichtigung mittelständischer Interessen auch die Minimierung des Ausfallrisikos für den Auftraggeber. Die Ausschreibung als Gesamtauftrag ist rechtfertigungspflichtig.

Privates Baurecht

Aufgrund der Umsetzung europäischer Richtlinien sind Pflichten bezüglich elektronischer Verfahrensschritte begründet worden, sog. eVergabe. Hiermit ist die Digitalisierung der Beschaffungsprozesse gemeint. Sie beschreibt die elektronische Durchführung des Verfahrens von der Ausschreibung über die Einreichung der Angebotsunterlagen bis hin zum Zuschlag und der anschließenden Bekanntmachung, vgl. § 9 VgV. Beim offenen Verfahren hat der Auftraggeber die Eignung der Bieter zu prüfen. § 16b VOB/A EU beschreibt diese Eignungsprüfung. Der Auftraggeber hat das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen nach § 6e VOB/A EU und das Vorliegen der erforderlichen Fachkunde und Leistungsfähigkeit zu prüfen (§ 2 Abs. 3 VOB/A EU). Die Eignung betrifft nicht das Angebot, sondern ausschließlich das Unternehmen. Mit dieser Prüfung soll sichergestellt werden, dass dieses überhaupt in der Lage ist, den Auftrag auszuführen, denn die Auftragsvergabe darf nicht an ungeeignete Unternehmen erfolgen. Bei der Eignungsprüfung handelt es sich somit um eine prognostische Einschätzung vor Vertragsschluss. Deshalb ist die Eignungsprüfung eine eigene Wertungsstufe. Es wird geprüft, ob das Unternehmen die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung hat, wirtschaftlich und finanziell leistungsfähig ist und die technische und berufliche Leistungsfähigkeit besitzt, vgl. § 122 GWB. Der Auftraggeber hat zu entscheiden, welche Eignungsanforderungen er stellt. In § 122 Abs. 3 GWB ist vorgesehen, dass der Nachweis der Eignung auch durch Teilnahme an Präqualifizierungssystemen erbracht werden kann. Zur Verfahrensvereinfachung kann der öffentliche Auftraggeber zudem vorsehen, dass für einzelne Angaben Eigenerklärungen ausreichend sind. Eigenerklärungen, die als vorläufiger Nachweis dienen, sind von den Bietern, deren Angebote in die engere Wahl kommen, durch entsprechende Bescheinigungen zu belegen (EEE – Einheitliche Europäische Eigenerklärung). Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Grundlage für die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots ist die Bewertung des Auftraggebers, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt. Das wirtschaftlichste Angebot bestimmt sich nach

439

dem besten Preis-/Leistungs-Verhältnis. Hierbei können neben dem Preis auch andere Kriterien, wie Qualität, Zweckmäßigkeit, technischer Wert, Ausführungszeit oder umweltbezogene und soziale Kriterien herangezogen werden (Amtliche Begründung zu § 122 GWB, BR-Drs. 367/15 vom 14.08.15, S. 141). Weiteres Zuschlagskriterium kann die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung betrauten Personals sein, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung hat. Damit wird die Eignung des Bieters als ein Zuschlagskriterium wertungsfähig. Es dürfen nur Zuschlagskriterien und deren Gewichtung berücksichtigt werden, die in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen genannt sind. Zudem müssen sie mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Dies wird dann bejaht, wenn sie sich in irgendeiner Hinsicht und in irgendeinem LebenszyklusStadium auf diesen beziehen, auch wenn derartige Faktoren sich nicht auf die materiellen Eigenschaften auswirken. Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit sind ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert und der Wert der Änderung die jeweiligen Schwellenwerte nicht übersteigt und nicht mehr als 15 % des ursprünglichen Bauauftragswertes beträgt. Darüber hinausgehende Änderungen sind unter bestimmten Voraussetzungen möglich, müssen aber im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gemacht werden. Beispielsweise ist eine Auftragserhöhung um bis zu 50 % zulässig, wenn zusätzliche Leistungen erforderlich werden, die wegen zu großer wirtschaftlicher und technischer Gründe oder sonstiger Schwierigkeiten für den Auftraggeber nicht durch einen anderen Auftragnehmer durchgeführt werden können (§ 132 Abs. 2 GWB). Außerhalb dieses Rahmens sind Auftragsänderungen unzulässig und damit rechtswidrig. Derartige „rechtswidrige“ Anordnungen geben dem öffentlichen Auftraggeber ein Kündigungsrecht, falls der Auftragnehmer diese befolgt (vgl. §§ 132, 133 GWB sowie § 22 VOB/A-EU in Verbindung mit § 8 Abs. 4 Nr. 2 b) VOB/B)

440

H. Franke et al.

(M. E. bestehen erhebliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung. Eine rechtswidrige Anordnung des AG führt zum Kündigungsgrund für den AG, d. h. eine Vertragspartei kann ihr eigenes Kündigungsrecht schaffen).

3.4

Rechtsschutz im Vergaberecht

Beim Rechtsschutz im Vergaberecht ist zunächst zwischen dem Primärrechtschutz und dem Sekundärrechtsschutz zu unterscheiden. Mit dem Primärrechtsschutz möchte ein Mitbieter verhindern, dass der Zuschlag an einen anderen Bieter erteilt wird. Ferner sollen aber auch Fehler im laufenden Vergabeverfahren beseitigt werden. Mittels des Sekundärrechtsschutzes sollen die negativen Vermögensnachteile, die ein Bieter aus einem abgeschlossenen rechtswidrigen Vergabeverfahren erfahren hat, geltend gemacht werden. Hintergrund dieser Zweiteilung ist, dass ein einmal zustande gekommener Vertragsschluss grundsätzlich nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Ist nämlich einmal der Zuschlag erteilt, der Vertrag also geschlossen, können in den ganz überwiegenden Fällen mögliche rechtswidrig übergangene Mitbieter den Vertragsschluss nach § 168 Abs. 2 S. 1 GWB nicht mehr rückgängig machen. Der jeweilige Rechtsschutz, sowohl Primär – als auch Sekundärrechtsschutz – richtet sich danach, ob die Schwellenwerte erreicht sind. Sind die Schwellenwerte überschritten, gilt der Rechtsschutz des GWB. § 155 GWB legt den Grundsatz fest, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge der Nachprüfung durch die Vergabekammern unterliegt. Damit ist das Vergabenachprüfungsverfahren das zentrale Instrument des Vergaberechtsschutzes oberhalb der Schwellenwerte. Unterhalb der Schwellenwerte hat das BVerfG die Erforderlichkeit eines speziellen Rechtsschutzes, wie dem Nachprüfungsverfahren, verneint und auf den allgemeinen Rechtsschutz verwiesen. Dies hat nicht unbedingt zu Rechtssicherheiten geführt. Geklärt ist nur, dass die Rechtsstreitigkeiten den Zivilgerichten zugewiesen sind, da die Tätigkeiten letztlich der Anbahnung eines Vertragsschlusses dienen (BVerwG, Beschl,

v. 02.05.2007, NZBau 2007, S. 389). Darüber hinaus lässt das Vergaberecht viele Fragen ungeklärt und eindeutige Leitlinien vermissen. Der Rechtsschutz ist eher von Einzelfallentscheidungen geprägt. Handelt der öffentliche Auftraggeber willkürlich oder bewusst diskriminierend, kann der Bieter Unterlassungsansprüche geltend machen. Diese sind auf Unterlassung des Zuschlags gerichtet. In den wenigsten Fällen wird aber einem Bieter ein solcher Nachweis gelingen. Kann der Bieter ein derartiges Verhalten des Auftraggebers nicht nachweisen, kann ein Unterlassungsanspruch noch in Betracht kommen, wenn sich der Auftraggeber nicht an die Vergaberegeln hält. Denn die tatsächliche Vergabepraxis führt zu einer Selbstbindung des Auftraggebers und gibt jedem Bieter das Recht, eine faire Chance zu erhalten, bei der Auftragsvergabe berücksichtigt zu werden. Allerdings müssen für einen solchen vorbeugenden Unterlassungsanspruch die abzuwehrende Gefahr hinreichend konkretisiert sein und eine Abwägung der Interessen des Bieters mit denjenigen des Auftraggebers zu einem überwiegenden Schutzbedürfnis des Bieters führen. Liegt dagegen eine Vergabe oberhalb der Schwellenwerte vor, gilt ein spezieller Rechtsschutz, der gesetzlich im GWB verankert ist. Als Primärrechtsschutz hat der Bieter die Möglichkeit, ein Nachprüfungsverfahren anzustreben. Dieses Nachprüfungsverfahren ist geprägt von strengen Fristvorgaben, die sowohl der Bieter als auch die ausschreibende Stelle einzuhalten haben. Hintergrund ist, dass das Vergabeverfahren nicht zu lange dauern soll, um möglichst schnell Rechtssicherheit für den öffentlichen Auftraggeber, aber auch für die übrigen Bieter zu erlangen. Das Nachprüfungsverfahren wird erstinstanzlich bei den Vergabekammern und nur auf Antrag eines Bieters durchgeführt. Hierzu muss der Bieter darlegen, dass er ein Interesse an dem Auftrag hat und ihm durch die behauptete Nichtbeachtung von Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Konsequenz ist, dass mögliche Subunternehmer oder Lieferanten kein Antragsrecht haben, jedoch das Unternehmen, das geltend machen kann, nur aufgrund eines Vergabefehlers an der Angebotsabgabe verhindert worden zu sein.

Privates Baurecht

Voraussetzung ist, dass der Antragsteller die behaupteten Vergabeverstöße dem Auftraggeber innerhalb von 10 Kalendertagen ab Kenntnis angezeigt hat. Vergabeverstöße, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar waren, müssen bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder bis zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber angezeigt werden. Sind die Verstöße aus den Vergabeunterlagen erkennbar, müssen sie spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gerügt werden. Hilft der Auftraggeber nicht binnen 15 Kalendertagen der Rüge ab, hat der Bieter das Vergabenachprüfungsverfahren einzuleiten. Andernfalls ist sein Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein Nachprüfungsverfahren bei bereits erteiltem Zuschlag unwirksam ist, sind die sog. De-facto-Vergaben. Ein Nachprüfungsverfahren kann dann eingeleitet werden, wenn der Auftraggeber entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung kein Vergabeverfahren durchgeführt hat. Ausnahmsweise ist dann der Vertrag von Anfang an unwirksam. Um die Bieterrechte zu gewährleisten, hat der Auftraggeber die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Unternehmers, dessen Angebot den Zuschlag erhalten soll, über die Gründe der Nichtberücksichtigung und über den frühesten Zeitpunkt des Zuschlags zu unterrichten. Der Vertrag darf erst 15 Kalendertage nach Absendung der Bieterinformationen abgeschlossen werden. Die Informationspflicht entfällt nur bei besonderer Dringlichkeit oder besonderen Verteidigungs- oder Sicherheitsinteressen. Erst wenn die Wartefrist abgelaufen ist, kann der Zuschlag erteilt werden. Der Nachprüfungsantrag ist schriftlich mit einer Begründung, die eine Sachverhaltsdarstellung und die behauptete Rechtsverletzung enthält, bei der Vergabekammer einzureichen. Die Vergabekammer prüft nach Eingang die Formalien und die offensichtliche mögliche Rechtsverletzung. Hält die Vergabekammer den Antrag nicht für offensichtlich unzulässig oder unbegründet, informiert sie die vergebende Stelle hierüber. Folge ist, dass der Auftraggeber bis zur Entscheidung der

441

Vergabekammer und dem anschließenden Ablauf der Beschwerdefrist, den Auftrag nicht vergeben darf. Ein nach der Zustellung erteilter Auftrag ist nichtig. Im Nachprüfungsverfahren herrscht Untersuchungsgrundsatz, d. h. die Vergabekammer ist nicht an den Vortrag der Parteien gebunden. Hierzu werden die Akten der Vergabestelle angefordert, die dann umgehend zur vollständigen Übergabe der Vergabeunterlagen, also sämtlicher Dokumentationen, Korrespondenz, Teilnahmeanträge usw. verpflichtet ist. Bereits ein Vorsortieren ist unzulässig. Neben dem Antragsteller sind die Rechte des Bieters betroffen, der ansonsten den Zuschlag erhalten hätte. Dieser ist beizuladen. Wie jeder andere Verfahrensbeteiligte erhält er rechtliches Gehör und damit den gesamten Schriftverkehr. Und wie in jedem Verfahren beinhaltet der Rechtsschutz auch das Recht auf Akteneinsicht. Allerdings sind in den Vergabeunterlagen äußerst schützenswerte Daten der Mitbieter enthalten, wie Referenzen, Preiskalkulationen, Nebenangebote mit technisch besonderen Lösungen etc. Insoweit gewährt § 165 Abs. 2 GWB nur einen Anspruch auf Akteneinsicht in dem Umfang, wie er zur Durchsetzung der subjektiven Rechte notwendig ist. Nach § 165 Abs. 3 GWB kann jeder Beteiligte auf seine Geheimnisse hinweisen. Mit dem Nachprüfungsantrag wird das laufende Vergabeverfahren gestoppt. Auf Antrag der Vergabestelle und des für den Zuschlag vorgesehenen Bieters kann die Vergabekammer den Zuschlag vorab gestatten, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen sowie dem Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe überwiegen. In der Praxis haben derartige Anträge angesichts der ohnehin kurzen Fristen allerdings selten Aussicht auf Erfolg. In den überwiegenden Fällen findet nur eine mündliche Verhandlung statt, zu dem auch der Beigeladene geladen wird. Die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen. Die Vergabekammer entscheidet binnen 5 Wochen, gerechnet ab Antragseingang. Mitunter kann der Vorsitzende die Frist verlängern. Diese Frist ist deshalb bedeutsam, da –

442

H. Franke et al.

selbst wenn keine Entscheidung fällt, nach 5 Wochen der Nachprüfungsantrag als abgelehnt gilt mit der Folge, dass binnen 2 Wochen der Antragsteller Rechtsmittel einlegen muss. Ergeht eine Entscheidung, kann auch diese binnen 2 Wochen mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden. Rechtsmittelgericht ist das jeweilige Oberlandesgericht (OLG). Das gesetzliche Zuschlagsverbot entfällt 2 Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Auf Antrag kann deshalb das OLG die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung verlängern. Eine weitere Instanz zur Sachentscheidung ist nicht vorgesehen. Die Vorlage an den Bundesgerichtshof ist nur zulässig, wenn ein OLG von einer Entscheidung eines anderen OLG abweichen möchte. Wenn der Auftraggeber gegen eine bieterschützende Vorschrift verstoßen hat, kann der Bieter vom Auftraggeber nach § 181 GWB im Rahmen des Sekundärrechtschutzes die Kosten der Vorbereitung des Angebots und der Teilnahme an dem Vergabeverfahren verlangen. Voraussetzung ist neben dem Verstoß gegen bieterschützende Vorschriften, dass der Bieter eine „echte Chance“ auf den Zuschlag gehabt hätte. Verschulden des Auftraggebers ist nicht erforderlich. Daneben kommen die allgemeinen Schadensersatzansprüche in Betracht. Relevant sind insbesondere §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. Danach hat der Bieter, der ohne Verletzung seiner Rechte den Zuschlag erhalten hätte, Anspruch auf den entgangenen Gewinn aus dem Auftrag. Dieser Anspruch ist nicht auf die Verfahren oberhalb der Schwellenwerte begrenzt, sondern gilt für alle Vergabeverfahren.

3.5

Abgrenzung Bau- und Lieferleistungen in der VgV

Mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2016 wurde die VgV deutlich erweitert. Für Vergaben von Liefer- und Dienstleistungen oberhalb der Schwellenwerte finden nur noch die Regelungen des GWB und der VgVAnwendung (VOL/A und VOF sind in der VgV aufgegangen). Lieferaufträge sind nach § 103 Abs. 2 GWB Verträge zur Beschaffung von Waren, z. B. Kauf, Leasing, Miet- und Pachtver-

hältnisse. Die konkrete Ausgestaltung ist unerheblich, entscheidend ist allein, ob der öffentliche Auftraggeber am Ende die Verfügungsgewalt an dem zu beschaffenen Gegenstand erhält, sei es durch Erwerb oder Gebrauchsüberlassung (VK Südbayern, Beschl. v. 08.10.2001 28-08/01). Auch der Begriff „Ware“ ist weit zu fassen; unter Waren fallen beispielsweise Software, Energie, Wasser, Strom. Dienstleistungsaufträge werden vom Gesetz negativ definiert. Danach sind dies solche Verträge über Leistungen, die keine Lieferaufträge, Bauaufträge und keine Auslobungsverfahren sind. Beispielsweise fallen hierunter Entsorgungsleistungen, Betrieb eines Breitbandnetzes, betriebliche Altersversorgung.

3.6

Vergabe von Bauleistungen, § 2 VgV

Während für Vergaben von Liefer- und Dienstleistungen oberhalb der Schwellenwerte nur die VgV anzuwenden ist, ist die VOB/A geblieben. Oberhalb der Schwellenwerte findet über die Verweisung in § 113 S. 1 GWB i.V.m. § 2 VgV der zweite Abschnitt der VOB/A (= EU VOB/A) Anwendung. Nach § 2 VgV sind für die Vergabe von Bauaufträgen die Abschnitte 1 und 2 und der Unterabschnitt 2 der VgV anzuwenden. Für die Regelungen der VOB/A, Abschnitt 2, besteht Anwendungspflicht. § 103 Abs. 3 GWB definiert den Bauauftrag in zwei Unterfällen. Nach § 103 Abs. 3 Nr. 1 GWB sind dies die Bauleistungen und Bauwerke als Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten zur Erfüllung einer wirtschaftlichen oder technischen Funktion (Anhang II der Richtlinie 2014/ 24/EU sowie Anhang I der Sektorenauftragsrichtlinie). Ein Bauauftrag liegt auch dann vor, wenn ein Dritter eine Bauleistung gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber vorgegebenen Erfordernissen erbringt und die Bauleistung dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt. Ausschlagend ist, dass der Auftraggeber einen entscheidenden Einfluss auf die Art und Planung der Bauleistung hat (Hintergrund für diese Vorgabe ist die Ahlhorn Rechtsprechung des OLG Düsseldorf). Bauwerke sind unbewegliche, durch Verwendung von Arbeit und Material in Verbindung mit

Privates Baurecht

dem Erdboden hergestellte Sachen. Wenn die ausgeschriebenen Leistungen sowohl Positionen enthalten, die als Bauarbeiten zu fassen sind, als auch Positionen, die unter Dienstleistungen fallen, kommt es für die Einordnung auf den Schwerpunkt der Auftragsleistungen an. Dabei ist in der Regel maßgebend, welcher Anteil deutlich überwiegt. Ein reiner Instandsetzungsanteil von 25 % rechtfertigt jedenfalls noch nicht die Annahme eines Bauauftrags (VK Berlin, Beschluss vom 26.04.2011 – VK B 2-3/11: Straßenbeleuchtungswartung ist Dienstleistung und kein Bauauftrag). Für die Beurteilung ist auch entscheidend, ob die im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben bestehenden Liefer- oder Dienstleistungsaufträge auch einzeln ausgeschrieben werden könnten oder sie zusammen mit dem Bauwerk eine funktionale Einheit bilden (OLG Dresden, Beschluss vom 02.11.2004 – WVerg 11/04). Beispielsweise ist die Lieferung von Maschinen und Werkzeugen zur Erstausstattung eines Berufsschulneubaus dann ein Bauauftrag, wenn die Lieferung zur vorgesehenen Nutzung des Gebäudes in seiner technischen und wirtschaftlichen Funktion erforderlich ist. Auch der Begriff Bauleistung ist weit zu fassen, nämlich Arbeiten jeder Art, durch die eine bauliche Anlage hergestellt, in Stand gehalten, geändert oder beseitigt wird. Beispielsweise wurde eine Bauleistung bei der Lieferung und dem Einbau von Küchengeräten für eine Mensa bejaht (2. VK Brandenburg, Beschl. v. 28.06.2005 – VK 20/05), abgelehnt aber bei Gartenpflegearbeiten ohne ein konkretes Bauprojekt (VK Bund, Beschl. v. 29.03.2006 – VK 3-15/16). Ferner liegt ein Bauauftrag vor, wenn eine Bauleistung durch Dritte ausgeführt wird, diese aber den Erfordernissen des Auftraggebers entspricht (z. B.: sale and lease back – Verfahren). Ein Vertrag über die Anmietung eines nach den Erfordernissen des öffentlichen Auftraggebers noch zu errichtenden oder umzubauenden Gebäudes kann sich im Ergebnis insgesamt als Bauauftrag darstellen, wenn der Mietvertrag mit den Bauleistungen „steht und fällt“ und ohne diese nicht realisiert würde (VK Sachsen, Beschluss vom 19.06.2015 – 1/SVK/009-15). Schließlich muss das Bauwerk für den Auftraggeber erstellt

443

werden, d. h. die Bauleistung muss dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen. Beispielsweise ist die Veräußerung eines Grundstücks mit Bauverpflichtung im Rahmen der Wohnraumförderung ohne weitergehende Verpflichtung des Erwerbers kein öffentlicher Bauauftrag (OLG München, Beschluss vom 27.09.2011 – Verg 15/11).

3.7

Allgemeine Vorschriften für Planungswettbewerbe

Wettbewerbe zielen darauf, alternative Ideen und optimierte Konzepte für die Lösung von Planungsaufgaben und den geeigneten Auftragnehmer für die weitere Planung zu finden. Sie können auch auf die Lösung konzeptioneller Aufgaben ausgerichtet sein. Öffentliche Auftraggeber gem. § 98 GWB sind bei Vergaben von öffentlichen Aufträgen, die den Schwellenwert von derzeit 221 000 € erreichen, an die Verfahrenswege des GWB und der VgV gebunden. Der Planungswettbewerb wird in § 103 Abs. 6 GWB und § 69 Abs. 1 VgV beschrieben (zur Erinnerung: eine Pflicht zur Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahrens besteht erst bei Erreichen des maßgeblichen Schwellenwerts nach § 106 Abs. 1 Nr. 1 GWB von derzeit EUR 221.000,00). Die von den Wettbewerbsteilnehmern zu erbringende Leistung besteht allein darin, einen Plan oder eine Planung vorzulegen. Da also die Wettbewerbsleistung in der Erstellung einer Planung besteht, sind Wettbewerbe nur bei Dienstleistungsaufträgen denkbar. Ein Preisgericht wertet dann die Wettbewerbsarbeiten aus und verteilt die Preise. Der Planungswettbewerb dient damit zur Ermittlung planerischer Lösungen und daher letztlich zur Auswahl der geeigneten Bieter, er führt jedoch nicht unmittelbar zur Beauftragung der Dienstleistung. Diese erfolgt erst durch das anschließende Verhandlungsverfahren. Der Gesetzgeber hat eine allgemeine Definition des Wettbewerbs in § 103 Abs. 6 GWB und § 69 Abs. 1 VgV getroffen. In der Praxis kommen allerdings fast ausschließlich Planungswettbewerbe zur Anwendung, vgl. §§ 78 ff. VgV. In

444

einer Wettbewerbsbekanntmachung (Muster gemäß IX der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2015/ 1986) teilt der öffentliche Auftraggeber gemäß § 70 VGV seine Absicht mit, einen Planungswettbewerb auszurichten. Zweck ist die europaweite Publizität für den Planungswettbewerb, damit ein umfassender und transparenter Planungswettbewerb stattfindet. Wenn der Auftraggeber beabsichtigt, im Anschluss an den Planungswettbewerb einen Dienstleistungsauftrag im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zu vergeben, sind schon in der Wettbewerbsbekanntmachung die Eignungskriterien und die zum Nachweis der Eignung erforderlichen Unterlagen für das Verhandlungsverfahren in der Bekanntmachung des Planungswettbewerbes nach § 70 Abs. 2 VgV bereits zu benennen. Wenn das Ergebnis des Planungswettbewerbs realisiert werden soll, muss der öffentliche Auftraggeber gemäß § 80 Abs. 1 VgV in der Aufforderung zur Teilnahme an den Verhandlungen, die zum Nachweis der Eignung erforderlichen Unterlagen für die in der Wettbewerbsbekanntmachung genannten Eignungskriterien verlangen. Selbstverständlich hat der öffentliche Auftraggeber die Nachweise zu prüfen und die Eignung der Preisträger für das Verhandlungsverfahren festzustellen, bevor er in die Verhandlungen eintritt. Die Ergebnisse des Planungswettbewerbs sind bekannt zu machen. Bei einem Planungswettbewerb mit beschränkter Teilnehmerzahl hat der öffentliche Auftraggeber gemäß § 71 Abs. 3 VgV eindeutige und nicht diskriminierende Auswahlkriterien festzulegen. Für die Teilnehmer am Planungswettbewerb ist keine Eignungsprüfung durchzuführen. Dies erfolgt nur für die Preisträger. Sofern genügend geeignete Bewerber zur Verfügung stehen, kann der öffentliche Auftraggeber die Zahl der geeigneten Bewerber, die zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden, begrenzen. In der Auftragsbekanntmachung sind die von dem Auftraggeber vorgesehenen objektiven und nicht diskriminierenden Eignungskriterien für die Begrenzung der Zahl, die vorgesehene Mindestzahl und gegebenenfalls auch die Höchstzahl der einzuladenden Bewerber anzugeben (§ 51 Abs. 1 VgV). Wenn der öffentliche Auftraggeber es sich

H. Franke et al.

vorbehält, den Auftrag, ohne in Verhandlungen einzutreten, auf der Grundlage der Erstangebote zu vergeben, muss dies bereits in der Auftragsbekanntmachung erklärt werden (§ 17 Abs. 11 VgV). Fehlende, unvollständige oder fehlerhafte Erklärungen und Nachweise können nachgereicht werden. Der öffentliche Aufraggeber ist jedoch berechtigt, in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen festzulegen, dass er keine Unterlagen nachfordern wird. Das Preisgericht, das über die Bewertung der anonym vorgelegten Wettbewerbsarbeiten und deren Prämierung entscheidet, wird vom Auftraggeber bestimmt. Bei der Auswahl der Preisrichter hat der Auftraggeber deren Unabhängigkeit zu wahren. Es dürfen keine persönlichen oder geschäftlichen Beziehungen zwischen den Preisrichtern und den einzelnen Teilnehmern bestehen. Im Gegenzug ist das Preisgericht unabhängig und unterliegt nicht den Weisungen des Auftraggebers. Das Preisgericht darf seine Entscheidungen nur auf Grundlage der Kriterien treffen, die in der Wettbewerbsbekanntmachung genannt sind. Aus der Dokumentationspflicht folgt, dass alle wesentlichen Entscheidungen des Preisgerichts festgehalten und nachvollziehbar begründet werden. Im Anschluss an einen Planungswettbewerb kann der Auftrag nach den Bedingungen dieses Wettbewerbs an den Gewinner oder an einen der Preisträger vergeben werden (Angebotsphase). Im letzteren Fall müssen alle Preisträger des Wettbewerbs zur Teilnahme an den Verhandlungen aufgefordert werden.

3.8

Besondere Vorschriften für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen, §§ 73 bis 77 VgV

Eine sorgfältige, umfassende und mit allen Beteiligten gut abgestimmte Projektvorbereitung ist die Grundvoraussetzung für das Gelingen eines Bauprojekts. Werden die Vorgaben des Bauherrn im Vorfeld der Planung nicht genau ermittelt, sind Fehlplanungen vorprogrammiert, die später nur unter Aufwendung hoher Planungs- und Baukos-

Privates Baurecht

ten revidiert werden können. Vergabeverfahren, die nach der besten Lösung und dem am besten geeigneten Partner für die anstehende Bauaufgabe suchen, schaffen die Voraussetzung für erfolgreiche Planungs- und Bauprojekte. Dementsprechend hat der Gesetzgeber die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen eigenständig geregelt (vgl. hierzu Architektenkammer BadenWürttemberg, Merkblatt 891). Für Architekten- und Ingenieurleistungen ist ein eigenständiger Abschnitt der VgV (Abschnitt 6, §§ 73 ff.) geschaffen worden. Dieser Abschnitt gilt ergänzend zu den übrigen Regelungen der VgV. Diese Sonderregelungen ergänzen und ersetzen teilweise die allgemeinen Vorschriften. Bei Widersprüchen haben sie Vorrang vor den allgemeinen Regelungen. In den §§ 78 ff. VgV werden die Planungswettbewerbe, die nun in §§ 69 ff. VgV für alle Dienstleistungsarten geregelt sind, für die besonderen Leistungen der Architekten und Ingenieure konkretisiert und zum Teil verändert, z. B. bei den Bestimmungen über das Preisgericht. Erfasst werden alle Leistungen, auf die die HOAI Anwendung findet, sowie Leistungen, für die die berufliche Qualifikation eines Architekten oder Ingenieurs erforderlich ist oder wenn diese Qualifikation vom Auftraggeber gefordert wird. Leistungen außerhalb des Anwendungsbereichs der HOAI, wie Beratungsleistungen, Besondere Leistungen nach § 3 Abs. 3 HOAI, gutachterliche Tätigkeiten, Projektmanagementleistungen, die Planung des Abbruchs von Gebäuden und andere Leistungen, für die die Qualifikation eines Architekten oder Ingenieurs erforderlich ist oder vom Auftraggeber gefordert wird, fallen also gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 2 VgV ebenfalls in den Anwendungsbereich des Abschnitts 6 der VgV. Diese speziellen Vorschriften sind vorrangig zu beachten und die allgemeinen ergänzend heranzuziehen. Grund für diese Sonderregelung ist, dass die Lösung der Aufgabe vorab nicht hinreichend und erschöpfend beschreibbar war. Es handelt sich in aller Regel um kreative Leistungen, die sich dem einfachen Angebotsvergleich entziehen, weil die Leistungen nicht gegenständlich sind und nicht unmittelbar dem Preis gegenübergestellt werden können.

445

Architektenleistungen sollen nach § 74 VgV in der Regel im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb oder im wettbewerblichen Dialog vergeben werden. Durch die Einschränkung „in der Regel“ hat der Gesetzgeber dem Auftraggeber allerdings die Wahl zwischen allen Verfahrensarten gelassen. Öffentliche Auftraggeber können bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen neben dem Verhandlungsverfahren und dem wettbewerblichen Dialog somit auch das offene und das nicht offene Verfahren wählen. Entscheidet sich der Auftraggeber jedoch für eines der beiden Regelverfahren, ist er nicht gehalten, diese Auswahl zu begründen. Bei der Wahl einer anderen Verfahrensart hat er dies zu begründen. Die Entscheidung über die Verfahrensart und die Zuschlagserteilung auf die Angebote im Verhandlungsverfahren unterfällt dem Verfahrensgestaltungsrecht des öffentlichen Auftraggebers. Solange die übergeordneten Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung eingehalten werden, können Bieter jedenfalls keine bestimmte Verfahrensart für sich beanspruchen. Das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb (im Einzelnen unter Abschn. 3.9) zeichnet sich dadurch aus, dass die Bewerber, die ihre Eignung gemäß den festgelegten Eignungskriterien nachgewiesen haben, vom öffentlichen Auftraggeber aufgefordert werden, vor der Verhandlung ein Erstangebot abzugeben. Es folgt dann regelmäßig ein dynamischer Prozess, in dem Auftraggeber und Bieter so lange über die Angebote verhandeln, bis die Erwartungshaltung des Auftraggebers und das Leistungsversprechen der Bieter sich derart angeglichen haben, dass das Verfahren durch Zuschlagserteilung beendet werden kann. Der wettbewerbliche Dialog (vgl. im Einzelnen Abschn. 3.9) ist ein Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge mit dem Ziel der Ermittlung und Festlegung der Mittel, mit denen die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers am besten erfüllt werden können. Der wettbewerbliche Dialog als Vergabeverfahren ist daher dafür Aufgabenstellungen geeignet, bei denen der Auftraggeber seinen Bedarf und seine Anforderungen an die zu erbringende Leistung beschreiben, jedoch

446

noch nicht beurteilen kann, welche technischen, finanziellen oder rechtlichen Lösungen der Markt bietet. Da bei der Vergabe von Architektenleistungen der Auftraggeber dagegen zu Beginn einschätzen kann, welche technischen Lösungen der Markt bietet, wird der wettbewerbliche Dialog nahezu nie gewählt. § 75 Abs. 1 – 3 VgV stellt Vorgaben hinsichtlich der Eignung auf, wenn der Auftraggeber von Bewerbern eine berufliche Qualifikation als Architekt, Ingenieur oder beratender Ingenieur fordert. Im Anschluss daran stellt § 75 Abs. 4 VgV klar, dass der Auftraggeber nur dann die Eignungsnachweise fordern kann, wenn sie sich auf den konkreten Auftrag beziehen. Dies folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Auftraggeber hat daher bei jedem Verfahren zu prüfen, welche Nachweise notwendig sind. Die §§ 45 und 46 VgV enthalten eine Auflistung möglicher Nachweise zur Eignung der Bewerber. Diese Nachweise können auch Grundlage für die Anwendung der Auswahlkriterien sein. Zudem sollen zu den geforderten Nachweisen Kriterien mit einer abgestuften Bewertungsmatrix entwickelt werden. Als besondere Ausprägung des übergeordneten Wettbewerbsgebots, des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, aber auch des Grundsatzes mittelstandsfreundlicher Vergabe sind die Eignungskriterien bei geeigneten Aufgabenstellungen so zu wählen, dass auch kleinere Büroorganisationen und Berufsanfänger teilnehmen können. § 75 Abs. 5 VgV normiert die Zulässigkeit der Präsentation von Referenzobjekten. Da die allgemeinere Vorschrift des § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV keine Vergleichbarkeit von Referenzobjekten fordert, stellt § 75 Abs. 5 VgV mit der Forderung der Vergleichbarkeit eine nur für Architekten- und Ingenieurleistungen geltende zusätzliche Vorgabe an die Referenzen auf. Vergleichbarkeit bedeutet allerdings nicht, dass die Referenzleistungen identisch sein müssen. Sie ist vielmehr gegeben, wenn die Referenzleistungen der ausgeschriebenen Leistung der Art und dem Umfang nach ähnlich sind. Ausreichend für den Nachweis der Eignung eines Bieters sind Referenzen, die den hinreichend sicheren Schluss zulassen, dass er über die für eine ordnungsgemäße Durchführung

H. Franke et al.

des ausgeschriebenen Auftrags erforderliche Fachkunde und Leistungsfähigkeit verfügt. Es ist nicht erforderlich, dass der Bieter schon Aufträge in einem ähnlichen Auftragsvolumen ausgeführt hat (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.02.2003 – Verg 58/02). Es ist beispielsweise vergaberechtlich auch nicht zu beanstanden, wenn in den Vergabeunterlagen lediglich beschrieben wird, dass die zu benennenden Referenzen in den letzten drei Jahren erbracht worden sein sollen, diese inhaltlich (von der Aufgabenstellung her) mit den nach der Leistungsbeschreibung zu erbringenden Leistungen vergleichbar sein sollen, sie ein vergleichbares Maß an Wissen und Erfahrung bedingen sollen und sodann im Einzelnen näher ausgeführt wird, was der Auftraggeber mit den zu den Referenzprojekten im Einzelnen angeforderten Daten bezweckt bzw. daraus für die Eignungsprüfung abzuleiten beabsichtigt (VK Bund, Beschluss vom 30.05.2017 – VK 2-46/17). Ergänzend bestimmt § 75 Abs. 5 S. 3 VgV, dass es für die Vergleichbarkeit von nachzuweisenden Referenzprojekten „nicht zwangsläufig“ darauf ankommen soll, dass das Referenzprojekt die gleiche Nutzungsart wie das zu planende Projekt aufweist. Danach ist es zwar nicht verboten, auf die Nutzungsart abzustellen. Da die Nutzungsart von Referenzprojekten in der Regel jedoch keinen Aufschluss darüber gibt, ob ein Bewerber mit Blick auf das zu planende Vorhaben die erforderliche Fachkunde und Leistungsfähigkeit aufweist, bedarf es einer besonderen Rechtfertigung, wenn die Nutzungsart gleichwohl maßgeblich sein soll. Die Begründung ist in der Vergabeakte zu dokumentieren. In § 75 Abs. 6 VgV ist die Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Losverfahren in das Gesetz aufgenommen worden. Ein Losverfahren zur Ermittlung derjenigen Bewerber, die der öffentliche Auftraggeber zu Verhandlungen auffordern will, ist nur dann zulässig, wenn eine rein objektive Auswahl nach qualitativen Kriterien nicht mehr möglich ist (OLG Rostock, Beschluss vom 01.08.2003 – 17 Verg 7/03). Die Architekten- und Ingenieurleistungen sind im Leistungswettbewerb zu vergeben. Dies bedeutet, dass das wesentliche Zuschlagskriterium die Qualität ist. Der Auftraggeber hat Aus-

Privates Baurecht

wahlkriterien auszuwählen, mittels derer der Bieter ausgewählt werden soll, der eine sachgerechte qualitätsvolle Leistungserfüllung bietet. Bei dem Kriterium Preis bestimmt § 76 Abs. 1 S. 2 VgV bei der Anwendbarkeit der HOAI, dass der Preis nur in dem vorgeschriebenen Rahmen berücksichtigt wird. Soll eine Leistung vergeben werden, für die die HOAI kein Honorar festlegt, ist der Preis ein zulässiges Auswahlkriterium. Das Kriterium Preis soll aber hinter das Kriterium Qualität zurücktreten, da es sich bei den auszuschreibenden Leistungen um intellektuelle Tätigkeiten handelt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.10.2003 – Verg 48/03). Findet die HOAI Anwendung besteht für den Bieter nur ein sehr eingeschränkter Preisbildungsspielraum. Insoweit kommt dem Kriterium auch nur eine sehr eingeschränkte Rolle zu. Bei haushaltsrechtlich gebundenen Auftraggebern kann sich aus dem Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Mittelverwendung eine Pflicht ergeben, der Zuschlagsentscheidung preisliche Aspekte zugrunde zu legen. In diesem Fall ist der durch die HOAI vorgeschriebene Rahmen zu berücksichtigen, soweit für die ausgeschriebenen Leistungen das Preisrecht der HOAI gilt. Gleichzeitig darf ein der HOAI nicht entsprechendes Angebot nicht den Zuschlag erhalten. Allerdings ist der Auftraggeber gehalten nach § 57 VgV bei derartigen honorarwidrigen Angeboten die fehlenden Preisangaben nachzufordern. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Europarechtswidrigkeit der HOAI eingeleitet und am 17. November 2016 Klage zum EuGH erhoben hat. Die EU-Kommission sieht in den Regelungen der HOAI Verstöße gegen die Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 2006/123/ EG), gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 Abs. 1 AEUV und die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 AEUV. Solange der EuGH allerdings nicht festgestellt hat, dass die HOAI gegen höherrangiges EU-Recht verstößt, sind Angebote, die die durch die HOAI vorgegebenen Mindest- und Höchstsätze unterschreiten, zwingend auszuschließen. § 77 Abs. 1 VgV legt fest, dass eine Kostenerstattung für Bewerbungs- oder Angebotsunter-

447

lagen nicht erfolgt. Abs. 2 bestimmt für Lösungsvorschläge außerhalb der Planungswettbewerbe eine Ausnahme. Ergänzend verweist Abs. 3 VgV auf die zwingende Anwendung der HOAI. Der Auftraggeber darf also im Rahmen von Planungswettbewerben, Verhandlungsverfahren und wettbewerblichen Dialogen Lösungsvorschläge in Form von Entwürfen, Plänen, Zeichnungen, Berechnungen und anderen Unterlagen fordern. Macht er von dieser Möglichkeit Gebrauch, muss er gemäß § 77 Abs. 2 VgV hierfür eine für alle Bewerber einheitliche angemessene Vergütung festlegen. Die Unterlagen müssen allerdings, um einen vergaberechtlichen Kostenerstattungsanspruch auszulösen, von einer Qualität sein, die über das hinausgeht, was Dienstleister im Rahmen einer rein werbenden Tätigkeit an Angebots- und Bewerbungsunterlagen üblicherweise erstellen. Es muss sich also um eine (teilweise) vorweggenommene Leistungserbringung handeln (OLG München, Urteil vom 21.07.2015, 9 U 1676/13). Unterlagen, die Bieter eigeninitiativ erstellen und mit dem Angebot einreichen, lösen keine vergaberechtlichen Kostenerstattungsansprüche aus. Wenn Bieter der Ansicht sind, dass die gewährte Kostenerstattung unangemessen ist, müssen sie die Festlegung rügen und ggf. Nachprüfung beantragen. Versäumt der Bieter die Festlegung der Kostenerstattungshöhe zu rügen und ggf. Nachprüfung zu beantragen, ist er an die tatsächlich festgelegte Höhe gebunden und eine spätere Klage vor den Zivilgerichten hat keine Aussicht auf Erfolg (BGH, Urteil vom 19.04.2016, X ZR 77/14).

3.9

Besondere Vorschriften für Planungswettbewerbe für Architekten- und Ingenieurleistungen, §§ 78 bis 82 VgV

Der Öffentliche Auftraggeber ist gem. § 98 GWB an die Verfahrenswege des GWB und der VgV gebunden, wenn der Schwellenwert erreicht ist. Der geschätzte Auftragswert entspricht der Höhe des Architektenhonorars einschließlich der Ne-

448

benkosten (OLG Brandenburg, Beschluss vom 08.05.2006 – Verg W 2/06), welches sich nach HOAI auf Basis der anrechenbaren Kosten des Objekts berechnen lässt. Hierbei sind Architektenleistungen grundsätzlich als Einheit zu sehen. Alle Leistungsphasen (Phasen 1 bis einschließlich 9, § 34 HOAI) werden berechnet, auch wenn der Auftraggeber beabsichtigt, z. B. zunächst nur die Leistungsphasen 1 bis 5 zu vergeben (stufenweise Beauftragung). Lediglich in Ausnahmefällen, z. B. wenn von vornherein feststeht, dass Teile der Gesamtleistung vom Auftraggeber selbst erbracht werden, es sich hierbei also um keinen zu vergebenden Auftrag handelt, kann aufgeteilt werden. Abweichend von dem allgemeinen Grundsatz nach § 72 VgV, wonach mindestens ein Drittel der Preisrichter über dieselbe oder eine gleichwertige Qualifikation verfügen muss wie die von den Wettbewerbsteilnehmern verlangte, muss die Mehrheit der Preisrichter über dieselbe oder eine gleichwertige Qualifikation verfügen, wie sie von den Teilnehmern verlangt wird. Auch muss die Mehrheit der Preisrichter unabhängig vom Ausrichter sein. In der Praxis hat sich das Verhandlungsverfahren für die Vergabe von Architektenleistungen bewährt. Verhandlungsverfahren sind Verfahren, bei denen der Auftraggeber nach öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme sowie nach Prüfung der Eignung und Leistungsfähigkeit der Bewerber (Teilnahmewettbewerb) mit einem oder mehreren Bietern über die Auftragsbedingungen verhandelt. Da im Anwendungsbereich der HOAI sich der Preis (Honorar) nach dem dort vorgeschriebenen Rahmen bestimmt, soll das wesentliche Zuschlagskriterium ihre Qualität sein. Deshalb ist das wichtigste Wesensmerkmal dieser Vergabeverfahren die Aufstellung und Beurteilung von Qualitätskriterien. Verhandlungsverfahren können mit oder ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden. Daraus ergeben sich für die Vergabe von Architektenleistungen zwei mögliche Formen von Verhandlungsverfahren: • Verhandlungsverfahren mit vorgelagertem Planungswettbewerb finden ohne Teilnahmewettbewerb statt.

H. Franke et al.

• Verhandlungsverfahren ohne vorgelagerten Planungswettbewerb finden mit Teilnahmewettbewerb statt. Bei Aufgabenstellungen im Hoch-, Städte- und Brückenbau sowie der Landschafts- und Freiraumplanung prüft der Auftraggeber, ob diese im Planungswettbewerb umgesetzt werden können. Diese Entscheidung ist zu dokumentieren. Das Verhandlungsverfahren und der vorgelagerte Planungswettbewerb sind zwei getrennte, nacheinander durchzuführende Verfahren. Im Planungswettbewerb entwickeln Architekten im fachlichen Leistungsvergleich verschiedene Lösungen. Aus diesen Vorschlägen ermittelt ein qualifiziertes Preisgericht anhand objektiver fachlicher Kriterien – etwa wirtschaftliche, funktionale, technische, ökologische und gestalterische Aspekte – das beste Lösungskonzept. Der Planungswettbewerb dient zur Ermittlung planerischer Lösungen und daher letztlich zur Auswahl der geeigneten Bieter, er führt jedoch nicht unmittelbar zur Beauftragung der Architektenleistung. Diese erfolgt erst durch das anschließende Verhandlungsverfahren. Der vorgelagerte Planungswettbewerb tritt an die Stelle des Teilnahmewettbewerbs und ermittelt die geeigneten Bieter (Gewinner und Preisträger) anhand der Lösungsvorschläge. Der Gewinner oder alle Preisträger werden zur Teilnahme an den Verhandlungen aufgefordert. Der vorgelagerte Planungswettbewerb kann als offener oder nichtoffener Planungswettbewerb organisiert werden. Der Unterschied liegt darin, dass es beim offenen Planungswettbewerb keine Begrenzung der Teilnehmerzahl gibt. Beim nichtoffenen Planungswettbewerb werden die Teilnehmer des Planungswettbewerbs anhand eindeutiger und nicht diskriminierender Auswahlkriterien In einem vorgeschalteten Bewerbungsverfahren (Teilnahmewettbewerb) ausgewählt. Der Planungswettbewerb kann zweiphasig durchgeführt werden. Die Vorteile des zweiphasigen Planungswettbewerbs werden darin gesehen, dass das kreative Potenzial vieler Architekten im Sinne eines offenen Wettbewerbs genutzt werden kann. In der ersten Phase werden nur grundsätzliche Ansätze zur Lösung der Bauaufgabe bewertet und die zu erbringende Wettbewerbsleistung auf das notwendige Maß

Privates Baurecht

449

beschränkt. In der zweiten Phase wird dann eine durch die Preisgerichtsentscheidung der ersten Phase reduzierte Anzahl von Teilnehmern miteinander verglichen. Schematischer Verfahrensablauf (vgl. Architektenkammer Baden-Württemberg, Merkblatt 891): 1. EU- Wettbewerbsbekanntmachung: Nichtoffener Planungswettbewerb Zwingende Angaben: Auswahlkriterien Eignungskriterien mit Mindestanforderungen für spätere Teilnahme am Verhandlungsverfahren Gesetzte Teilnehmer Entscheidungskriterien Nicht zwingende Angaben: Zuschlagskriterien und deren Gewichtung

Offener Planungswettbewerb Zwingende Angaben: Eignungskriterien mit Mindestanforderungen für die spätere Teilnahme am Verhandlungsverfahren Entscheidungskriterien Nicht zwingende Angaben: Zuschlagskriterien und deren Gewichtung

2. Teilnahmewettbewerb zur Auswahl der Teilnehmer bei nichtoffenem Planungswettbewerb Auswahl anhand von Auswahlkriterien Losverfahren, wenn die Anzahl der geeigneten Bewerber die in der Auslobung angegebene Höchstzahl überschreitet 3. Information über die Auswahl der Bewerber bei nichtoffenem Planungswettbewerb 4. Planungswettbewerb und Preisgerichtssitzung: nichtoffener oder offener Planungswettbewerb, ein- oder zweiphasig 5. Information über Planungswettbewerb an die Teilnehmer 6. Aufforderung zur Auftragsverhandlung: Gewinner (gem. Bekanntmachung) oder alle Preisträger Eignungsprüfung des Gewinners oder der Preisträger mit Nachweisen 7. Auftragsverhandlung mit Zuschlag Auftragsverhandlungen mit Gewinner bzw. allen Preisträgern Verhandlungen über den gesamten Angebotsinhalt; ausgenommen sind Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien nach Abschluss der Verhandlung (einphasig empfohlen) Aufforderung zur Einreichung überarbeiteter Angebote mit Fristangabe

Zuschlag auf Basis veröffentlichter Zuschlagskriterien 8. Information über Auftragsverhandlung Beim Verhandlungsverfahren ohne vorgelagerten Planungswettbewerb werden in der Regel keine Lösungsvorschläge für die anstehende Bauaufgabe vorgelegt; die künftig zu erbringenden Planungsleistungen können anhand von in der Vergangenheit erbrachten Leistungen (Referenzen) und projektbezogenen Aussagen abgeschätzt werden. Die Qualität der Planung wird somit auf Basis von Prognosen abgeschätzt und entschieden. Verfahrensablauf Verhandlungsverfahren ohne vorgelagerten Planungswettbewerb 1. Begründungs- und Dokumentationspflicht zur Wahl des Verfahrens 2. EU-Auftragsbekanntmachung Veröffentlichung mit EU-Formblatt: Eignungskriterien und Mindestanforderungen geplante Anzahl der Bewerber Vorbehalt des Zuschlags ohne Verhandlung Zuschlagskriterien mit Gewichtung Aufgabenstellung, Beurteilungskriterien und deren Gewichtung sowie Honorierung, wenn Lösungsvorschläge verlangt werden Hinweis, wo die Vergabeunterlagen zu erhalten sind 3. Teilnahmewettbewerb zur Auswahl der Bieter Auswahl anhand der Eignungskriterien auf Basis der Eigenerklärung Reduktion der Bewerberanzahl, ggf. durch Losverfahren 4. Information über Auswahl an die Bewerber 5. Aufforderung zu einem Angebot Aufforderung zu Erstangebot auf Basis der Zuschlagskriterien, ggf. Ausarbeitung von Lösungsvorschläge 6. Auftragsverhandlung mit Zuschlag Verhandlungen über den gesamten Angebotsinhalt; davon ausgenommen sind Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien nach Abschluss der Verhandlung (einphasig empfohlen) Aufforderung zur Einreichung neuer oder überarbeiteter Angebote mit Fristangabe

450

H. Franke et al.

Zuschlag anhand der veröffentlichten Zuschlagskriterien 7. Information über Auftragsverhandlung § 58 Abs. 2 S. 3 VgV stellt für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen ausdrücklich klar, dass es zulässig ist, auf eine Preiswertung vollständig zu verzichten und den Zuschlag ausschließlich aufgrund qualitativer Kriterien zu erteilen. Hierzu zählen gemäß § 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 VgV auch die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann (Richtlinie 2014/24/EU). Auftraggeber sollten aber gerade bei nur eingeschränkt planerischen Tätigkeiten, speziell ab Leistungsphase 6, genau prüfen und begründen, ob und inwieweit der Architekt oder der Ingenieur tatsächlich eine geistig-schöpferische Tätigkeit schuldet, wenn sie die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals bewerten wollen. Darüber hinaus sind Doppelbewertungen zu vermeiden. Auftraggeber müssen sich entscheiden, ob sie die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung betrauten Personals der Eignungsprüfung oder der Angebotswertung zugrunde legen wollen.

4

Leistungsbilder und Honorare für Architekten und Ingenieure

Claus Jürgen Diederichs und Michael Peine

4.1

Architekten- und Ingenieurvertragsrecht

Seit dem 01.01.2018 gibt es in Deutschland mit der Novelle des Werkvertragsrecht erstmals ein eigenes Architekten- und Ingenieurvertragsrecht. Im BGB Buch 2 Abschnitt 8 Titel 9 Werkvertrag und ähnliche Verträge, §§ 631 bis 650v, wird differenziert: Untertitel 1 Werkvertragsrecht §§ 631 bis 650v

Kapitel 1 Kapitel 2 Kapitel 3 Kapitel 4

Allgemeine Vorschriften §§ 631 bis 650 Bauvertrag §§ 650a bis 650h Verbraucherbauvertrag § 650i bis 650n Unabdingbarkeit § 650o

Untertitel 2 Architekten- und Ingenieurvertrag §§ 650p bis 650t Während durch vorrangige Vereinbarung der Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen DIN 1961 – Ausgabe September 2016 (VOB/B) die Regelungen des gesetzlichen Bauvertragsrechts geändert werden können, fehlt es im Bereich des Architekten- und Ingenieurvertragsrecht an damit vergleichbaren Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Erbringung von Planungsleistungen. Die öffentliche Hand kennt im Bereich der Durchführung von Bauaufgaben des Bundes Richtlinien mit darin enthaltenen Vertragsmustern und Allgemeinen Vertragsbestimmungen (RBBau). Damit werden im Einzelfall bei der Beauftragung von Planungsleistungen die beauftragten Architekten-/ Ingenieurleistungen vertragsrechtlich beschrieben, was ansonsten aus der gesetzlichen Regelung, insbesondere § 650p und § 631 BGB abzuleiten ist. Im Übrigen sind die Vertragsparteien entsprechend dem Grundsatz der Vertragsabschluss- und Vertragsinhaltsfreiheit durchaus in der Lage, dem jeweiligen Vertrag einen besonderen Charakter zuzuweisen, also z. B. einen Stufenoder Optionsvertrag abzuschließen. Die Neuregelung in §§ 650p bis 650t BGB lässt also durchaus Raum, um den jeweiligen Besonderheiten ausreichend Rechnung zu tragen. Untertitel 2 hat folgenden Inhalt: § 650p Vertragstypische Pflichten aus Architekten- und Ingenieurverträgen (1) „Durch einen Architekten- oder Ingenieurvertrag wird der Unternehmer verpflichtet, die Leistungen zu erbringen, die nach dem jeweiligen Stand der Planung und Ausführung des Bauwerks oder der Außenanlage erforderlich sind, um die zwischen den Parteien vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele zu erreichen.

Privates Baurecht (2) Soweit wesentliche Planungs- und Überwachungsziele noch nicht vereinbart sind, hat der Unternehmer zunächst eine Planungsgrundlage zur Ermittlung dieser Ziele zu erstellen. Er legt dem Besteller die Planungsgrundlage zusammen mit einer Kosteneinschätzung für das Vorhaben zur Zustimmung vor.“

§ 650p Anwendbare Vorschriften

(1) „Für Architekten- und Ingenieurverträge gelten die Vorschriften des Kapitels 1 des Untertitels 1 sowie die §§ 650b, 650e bis 650h entsprechend, soweit sich aus diesem Untertitel nichts anderes ergibt. (2) Für die Vergütungsanpassung im Fall von Anordnungen nach § 650b Abs. 2 gelten die Entgeltberechnungsregeln der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure in der jeweils geltenden Fassung, soweit infolge der Anordnung zu erbringende oder entfallende Leistungen vom Anwendungsbereich der Honorarordnung erfasst werden. Im Übrigen ist die Vergütungsanpassung für den vermehrten oder verminderten Aufwand auf Grund der angeordneten Leistung frei vereinbar. Soweit die Vertragsparteien keine Vereinbarung treffen, gilt § 650c entsprechend.“

§ 650r Sonderkündigungsrecht § 650s Teilabnahme § 650t Gesamtschuldnerische Haftung mit dem bauausführenden Unternehmer In § 650p BGB werden die vertragstypischen Leistungspflichten genannt, die sich aus einem wirksam geschlossenen Architekten-/Ingenieurvertrag ergeben, der diesbezüglich Näheres nicht enthält. Soweit wesentliche Planungs- und Überwachungsziele noch nicht vereinbart sind, werden folgende Arbeitsschritte gefordert: Schritt 1: Erstellen einer Planungsgrundlage mit Kosteneinschätzung Schritt 2: Vorlage beim Besteller und Vereinbarung der Planungs- und Überwachungsziele Schritt 3: Leistungen zur Einhaltung der Planungs- und Überwachungsziele Mit § 650q Abs. 2 nimmt das BGB für die Vergütung von Planungsleistungen im Falle von Anordnungen nach § 650b Abs 2 BGB erstmals

451

direkt Bezug auf die HOAI in der jeweils geltenden Fassung. Wenn die HOAI nicht gilt, ist die Vergütung frei vereinbar, ohne Vereinbarung gilt § 650c. Die Besonderheit eines Planervertrags, dessen Leistungspflichten sich mangels vereinbarter wesentlicher Planungs- und Überwachungsziele zunächst in einem ersten Schritt auf die Schaffung einer Planungsgrundlage und einer Kosteneinschätzung beschränken, besteht darin, dass dem Besteller wie auch dem Planer selbst unter den in § 650r BGB genannten Voraussetzungen ein Sonderkündigungsrecht zusteht. Selbst wenn also die Parteien sich über die Übertragung aller Leistungsphasen eines Leistungsbildes einig sind, kommt dieses Sonderkündigungsrecht zum Tragen, wenn die Parteien die wesentlichen Planungs- und Überwachungsziele nicht vereinbart haben. Dann betrifft dieser Vertrag trotz seines Auftragsumfangs die Zielfindungsphase, weswegen erst Grundlagen für diese Zielfestlegung geschaffen werden müssen. Die Grundlage bezeichnet § 650p Abs. 2 BGB im Unterschied zur Planung als Planungsgrundlagen und im Unterschied zur Kostenschätzung als Kosteneinschätzung. Für die Praxis kann diesbezüglich die DIN 18205, Bedarfsplanung im Bauwesen, Bedeutung erlangen. Was wesentliche Planungs- und Überwachungsziele im Einzelfall sind und unter welchen Umständen solche ausreichend vereinbart sind, ist wohl Sache der Parteien und wird vom Grundsatz der Vertragsfreiheit gedeckt. Die Materialien – BT-Drs. 18/8486, S. 67, liefern mit dem Hinweis auf „Art des Daches, die Zahl der Geschosse oder ähnliche für die Planung grundlegende Fragen“ kaum brauchbare Anhaltspunkte. Der Zweck allein genügt nicht; in der Vertragspraxis werden als wesentliche Planungs- und Überwachungsziele angeführt: Vorgaben zur Quantität, zur Qualität, zur Gestaltung, zu Funktionalitäten, zur Konstruktion und wirtschaftliche Vorgaben. Das lässt sich so auch aus der DIN 18205 anhand der dort eingeführten informatorischen Anhänge ableiten. Dabei muss nicht der gesamte Katalog vereinbart worden sein. Im Zuge der Umsetzung der Neuregelung wird es für Projektsteuerer und Projektleiter bedeutsam sein, ob auf deren Vertragsbeziehungen die §§ 650p bis 650t BGB zur Anwendung kommen oder lediglich das allgemeine Werkvertragsrecht

452

H. Franke et al.

bzw. gar nur das Recht der Geschäftsbesorgung auf Dienstvertragsbasis (§ 675 BGB). Das wird maßgeblich davon abhängen, welche Leistungen in Ausrichtung am Heft 9 des AHO „Projektmanagementleistungen in der Bau- und Immobilienwirtschaft“ Vertragsgegenstand sind und ob diese Leistungen vertragstypische Architekten- und Ingenieurleistungen darstellen. Lechner/Stifter neigen in ihrem „Kommentar zum Leistungsbilde Architektur (HOAI 2009-20xx), 2. Aufl., 2012, S. 37, der Auffassung zu, dass Projektsteuerer keine Planungsgrundleistungen erbringen, und schließen dies daraus, dass die Leistungen der Projektsteuerer, die vormals in § 31 HOAI geregelt worden sind, in der HOAI nicht mehr erfasst werden. Ob das allein als Argument ausreicht, ist zu bezweifeln; es wird darauf ankommen, ob das jeweils – regelmäßig in Ausrichtung an dem Heft 9 des AHO – übertragene Leistungsbild Planungsleistungen beinhaltet und ein ausreichender Bezug zu einem Bauwerk besteht.

4.2

Einleitung HOAI

Die HOAI trat erstmalig nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 17.09.76 (BGBl I S. 2805) am 01.01.1977 in Kraft. Seit dem 17.07.2013 gilt die 7. Novelle der HOAI (HOAI 2013 ≙ HOAI n. F., BGBl. I S. 2276). Dennoch führen viele Vorschriften der HOAI immer wieder zu zahlreichen Streitigkeiten. Dies zeigt sich auch in der Fülle der dazu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen. Kritisch zu bewerten ist der Drang der Streitbeteiligten, Juristen und Sachverständigen, ständig Urteile von Obergerichten einzubeziehen. Es gibt nur eine umfassende Rechtsprechung zu Honorarstreitigkeiten über Architektenleistungen von Wohngebäuden. Zu oft wird diese unreflektiert auf Verkehrsanlagen und komplexe Ingenieurbauwerke übertragen.

4.3

Rechtsgrundlage der HOAI/ Kopplungsverbot/Änderungen

Rechtsgrundlage der HOAI ist Art. 10 Gesetz zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen

(GIA) i. d. F. vom 12.11.1984 (BGBl I S. 1337) des Artikelgesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstieg sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen (MRVG) vom 04.11.1971 (BGBl I S. 1745). Nach den §§ 1 und 2 des Artikelgesetzes wird die Bundesregierung „ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates eine Honorarordnung für Leistungen der Ingenieure (bzw. der Architekten) zu erlassen. In der Honorarordnung sind Honorare für Leistungen bei der Beratung des Auftraggebers, bei der Planung und Ausführung von Bauwerken und technischen Anlagen, bei der Ausschreibung und Vergabe von Bauleistungen sowie bei der Vorbereitung, Planung und Durchführung von städtebaulichen und verkehrstechnischen Maßnahmen zu regeln“. Mit dem Architekten- und Ingenieurvertragsrecht wird die HOAI erstmals im BGB genannt, und zwar in § 650q Abs. 2 BGB als Entgeltberechnungsregel bei Vergütungsanpassung im Fall von Anordnungen nach § 650b Abs. 2 BGB. Artikel 10 § 3 MRVG enthält auch das sog. „Kopplungsverbot“. Es besagt: „Eine Vereinbarung, durch die der Erwerber eines Grundstücks sich im Zusammenhang mit dem Erwerb verpflichtet, bei der Planung oder Ausführung eines Bauwerks auf dem Grundstück die Leistungen eines bestimmten Ingenieurs oder Architekten in Anspruch zu nehmen, ist unwirksam. [. . .]“. Die Diskussion über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Kopplungsverbotes wurde durch Urteil des BGH vom 22.07.2010, AZ VII ZR 144/09 entschieden. In der Randnummer 24 des Urteils heißt es u. a.: „(1) Bei dem Koppelungsverbot handelt es sich in erster Linie um eine Berufsausübungsregelung. Das Koppelungsverbot gilt nur für freie Architekten und nicht für Architekten, die gewerbsmäßig als Bauträger oder Baubetreuer tätig sind (BGH-Urteil vom 29. September 1988 – VII ZR 94/88, BauR 1989, 95 = ZfBR 1989, 29)“. Mit diesem Urteil wurde die Revision gegen das Urteil des OLG Düsseldorf vom 25.06.2009, AZ 21 U O 239/06 zurückgewiesen. Dem voraus gingen das Urteil des OLG Düsseldorf vom 21.08.2007, AZ 21 O 239/06, und das BGHUrteil vom 25.09.2008, AZ VII ZR 174/07.

Privates Baurecht

Im ersten Leitsatz des Urteils des OLG Düsseldorf vom 21.08.2007 heißt es: „Art. 10 § 3 MRVG verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Soweit die Regelung zu einer Ungleichbehandlung von freiberuflichen Architekten und Bauunternehmen führt, liegt aufgrund der unterschiedlichen Berufsbilder schon kein vergleichbarer Sachverhalt vor. Aber auch die Ungleichbehandlung von freiberuflichen Architekten, die sich über ihr eigentliches Berufsbild hinaus als Generalunternehmer, Generalübernehmer oder Bauträger betätigen und Unternehmen, die die Leistungen anbieten, ist nicht willkürlich, sondern zur Sicherung des freien Wettbewerbs unter Architekten und Ingenieuren zum Schutze von Bauwilligen sowie von Mietern sachlich gerechtfertigt.“

Mit dem BGH-Urteil vom 25.09.2008, AZ VII ZR 174/07 wird das Kopplungsverbot jedoch dann eingeschränkt, wenn der Bauwillige selbst die Initiative ergreift. Im Leitsatz dieses Urteils heißt es dazu: „Tritt ein Bauwilliger an einen Architekten mit der Bitte heran, ein passendes Grundstück für ein bestimmtes Projekt zu vermitteln, und stellt er ihm gleichzeitig in Aussicht, ihn im Erfolgsfall mit den Architektenleistungen zu beauftragen, ist der in der Folge abgeschlossene Architektenvertrag nicht nach Art. 10 § 3 MRVG unwirksam.“

Seit 1977 wurde die HOAI mehrfach geändert. Vom 11.08.2009 bis 16.07.2013 galt die 6. ÄndVO vom 11.08.2009 (BGBl I S. 2732) (HOAI a. F.).

4.4

Rechtsnatur der HOAI/ Anwendungsbereich

Die Bestimmungen der HOAI sind bisher nahezu ausschließlich öffentliches Preisrecht [Locher et al. 2017, § 1 Rd. 14]. Lediglich § 15 Zahlungen greift in das Vertragsrecht des BGB (§ 631 ff.) ein. Dennoch wurde diese Regelung als § 15 erstmals in die 6. Novelle der HOAI fast unverändert übernommen. Die Leistungsbilder der HOAI dienen allein zur Ermittlung der Honorare als Gebührentatbestände und nicht als normative Leitbilder. Die HOAI regelt nicht, welche Leistungen der Architekt bzw. der Ingenieur zu erbringen hat. Deren Umfang bestimmt sich allein nach dem geschlos-

453

senen Werkvertrag auf der Basis von §§ 631 – 650 und §§ 650p bis 650t BGB. So haben z. B. die in Anlage 10, Abschn. 10.1 zu § 34 Abs. 4 HOAI aufgelisteten Grundleistungen der Objektplanung für Gebäude nur preisrechtliche Bedeutung. Anerkannt ist jedoch, dass die HOAI durchaus eine Auslegungshilfe sein kann (BGH, Urt. v. 26.07.2007 – VII ZR 42/05, BauR 2007, 1761). Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 22.11.2013 – I-22 U 57/13, BauR 2014, 569, 570) weist der HOAI eine Ausstrahlungswirkung zum Zeck der Inhaltsbestimmung eines Architekten-/Ingenieurvertrags zu. Wird ein Planervertrag „in Anlehnung an die HOAI“ geschlossen, sind die Grundleistungen der jeweiligen Leistungsbilder, die in den Anlagen 10 bis 15 beschrieben werden, sogar geschuldete Teilerfolge, die neben dem geschuldeten Gesamterfolg – Bewirken eines durch Dritte herzustellenden mangelfreien Bauwerks mittels der vom Planer zu erbringenden Planungs-, Koordinierungs- und Überwachungsleistungen – zu erreichen sind (BGH, Urt. v. 11.11.2004 – VI ZR 128/03, BauR 2005, 400, 405), Wenn nunmehr § 650p Abs. 1 BGB den Architekten oder Ingenieur zur Erbringung vertragstypischer Leistungen verpflichtet, ohne diese Pflichten näher zu bestimmen, erweisen sich die Leistungsbilder der HOAI mit den in den Anlagen 10 bis 15 phasenspezifisch aufgeführten Grundleistungen als Konkretisierungshilfe. Ist die HOAI mit ihren Leistungsbildern, Leistungsphasen und Grundleistungen ein Leistungs- oder Strukturmodell (vgl. Lechner/Stifter, Kommentar zum Leistungsbild Architektur HOAI 2013 LM. VM. 2014, 3. Aufl., 2015), dann ist es nur konsequent, auf dieses Leistungs-/Strukturmodell zur Beschreibung der vertragstypischen Leistungen eines inhaltlich näher nicht bestimmten Architekten-/Ingenieurvertrags zurückzugreifen. Etwas anderes gibt es nicht, abgesehen von einschlägiger technisch geprägter Literatur. Ergänzend zu §§ 631 ff. BGB werden durch § 15 HOAI Fälligkeitsvoraussetzungen für das Honorar geschaffen. Gemäß Abs. 1 ist dies erst fällig, wenn • die Leistung abgenommen worden ist und • eine prüffähige Honorarschlussrechnung erstellt und dem Auftraggeber überreicht worden ist.

454

§ 15 HOAI gilt gemäß BGH-Urteil von 1981 [BauR 1981, S. 582] automatisch, auch bei einem mündlichen Vertrag ohne Verweis auf die HOAI. Damit geht § 15 HOAI der Fälligkeitsvorschrift des § 641 BGB vor, die nur die Abnahme der Leistung und keine Schlussrechnung verlangt. Für die seit 01.01.2018 geschlossenen Architekten- und Ingenieurverträge begründet der in § 650q Abs. 1 BGB enthaltene Verweis auf § 650g Abs. 4 BGB Konkordanz mit der HOAIRegelung und geht teilweise sogar darüber hinaus. Denn danach verlangt auch die BGBRegelung für die Fälligkeit der Schlussrechnung die Erstellung einer prüffähigen Schlussrechnung. Außerdem gilt die Schlussrechnung als prüffähig, wenn der Besteller nicht innerhalb von 30 Tagen nach Zugang der Schlussrechnung begründete Einwendungen gegen ihre Prüffähigkeit erhoben hat. Eine solche Regelung fehlt in § 15 HOAI. Die HOAI ist auch nicht abdingbar. Ein Verstoß gegen die HOAI zieht zwar keine straf- oder bußgeldrechtlichen Konsequenzen nach sich. Es liegt aber ein Wettbewerbsverstoß im Sinne des UWG vor. Die Architekten und Ingenieure werden von den Berufsgerichten der Kammern mit Verweisen und Geldbußen belegt. Beruft sich jedoch eine der Parteien im Zivilprozess auf die HOAI, so muss das Gericht diese zugrunde legen. Stellen die Parteien eine nach dem System der HOAI unwirksame Honorarvereinbarung im Prozess unstreitig, so kann das Gericht wegen des Verhandlungsgrundsatzes nicht von sich aus die Wirksamkeit der Vereinbarung nach HOAI überprüfen. Zu einer Prüfung der Wirksamkeit einer Honorarvereinbarung kommt es nur, wenn sich aus dem Vortrag der Parteien der Verstoß gegen zwingendes Preisrecht ergibt (BGH, Urt. v. 13.09.2001 – VII ZR 380/00, BauR 2001, 1926, 1927). Die Darlegungslast für einen Verstoß gegen das Preisrecht trägt nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der aus diesem Verstoß günstige Rechtsfolgen für sich ableitet. Als Preisrecht legt die HOAI gemäß § 7 HOAI verbindlich sowohl den nach den Anforderungen der HOAI berechneten Mindestsatz als auch den Höchstsatz fest. Nach § 7 Abs. 1 richtet sich das Honorar nach der schriftlichen Vereinbarung, die die Vertragsparteien bei Auftragserteilung im

H. Franke et al.

Rahmen der in der HOAI festgesetzten Mindestund Höchstsätze treffen. Sofern nicht bei Auftragserteilung etwas anderes schriftlich vereinbart worden ist, gelten die jeweiligen Mindestsätze als vereinbart (§ 7 Abs. 5). Die Mindestsätze sind nicht als übliche Vergütung anzusehen. Fehlt es an einer schriftlichen Vereinbarung, so erscheint es zumindest auch zweifelhaft, ob man ohne weitere Anhaltspunkte vom Mittelsatz ausgehen kann [Locher et al. 2017, § 7 Rd. 96]. Derlei Erwägungen erübrigen sich auch, weil § 7 Abs. 5 HOAI ausdrücklich eine gesetzliche Vermutung des Inhalts aufstellt, dass bei Fehlen einer anderweitigen schriftlichen Vereinbarung unwiderleglich vermutet wird, dass die jeweiligen Mindestsätze gemäß Abs. 1 vereinbart sind. Nach § 7 Abs. 3 können die Mindestsätze nur „in Ausnahmefällen“ durch schriftliche Vereinbarung unterschritten werden. Hierzu hat der BGH mit Urteil vom 22.05.1997 zur alten HOAI 1992, § 4 Abs. 2, u. a. entschieden (VII ZR 290/95): „Ein Ausnahmefall, in dem die Unterschreitung der Mindestsätze zulässig ist, liegt vor, wenn aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Zwecks der Mindestsatzregelung ein unter den Mindestsätzen liegendes Honorar angemessen ist“. Ein solcher Ausnahmefall könne z. B. bei engen Beziehungen rechtlicher, wirtschaftlicher, sozialer oder persönlicher Art oder sonstigen besonderen Umständen gegeben sein, die etwa in der mehrfachen Verwendung einer Planung liegen. Vereinbare ein Architekt zunächst ein Honorar, das die Mindestsätze in unzulässiger Weise unterschreite, so verhalte er sich widersprüchlich, wenn er später nach den Mindestsätzen abrechnen wolle. Dieses widersprüchliche Verhalten stehe nach Treu und Glauben einem Geltendmachen der Mindestsätze entgegen, sofern der Auftraggeber auf die Wirksamkeit der Vereinbarung vertraut habe und vertrauen durfte und er sich darauf in einer Weise eingerichtet habe, dass ihm die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem vereinbarten Honorar und den Mindestsätzen nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden könne. Ablehnend hat der BGH mit Urteil vom 27.10.2011 entschieden (VII ZR 163/10): „Ein

Privates Baurecht

Ausnahmefall in Form enger wirtschaftlicher Beziehung kann nicht allein daraus hergeleitet werden, dass ein Ingenieur als Nachunternehmer über längere Zeit eine Vielzahl von Aufträgen zu einem unter dem Mindestsatz liegenden Pauschalhonorar ausführt.“ Die Höchstsätze dürfen gemäß § 7 Abs. 4 HOAI nur bei außergewöhnlichen oder ungewöhnlich lange dauernden Grundleistungen durch schriftliche Vereinbarung überschritten werden.

4.5

Inländer-HOAI/Klage der EU-Kommission gegen die HOAI

Der Anwendungsbereich der HOAI ist in § 1 geregelt. Danach gelten die Bestimmungen der HOAI für „die Berechnung der Entgelte für die Leistungen der Architekten und der Ingenieure (Auftragnehmer oder Auftragnehmerinnen) mit Sitz im Inland, soweit die Grundleistungen durch diese Verordnung erfasst und vom Inland aus erbracht werden“. Auf Leistungen deutscher Architekten und Ingenieure für Bauvorhaben im Ausland ist die HOAI nicht anzuwenden, sofern sie weder ihren Sitz im Inland haben noch die Leistungen vom Inland aus erbracht werden. Die HOAI ist bereits seit der 6. Novelle im Jahr 2009 eine Inländer-HOAI. Strittig ist die Honorierung von ausländischen Architekten und Ingenieuren durch inländische Auftraggeber bei Bauvorhaben im Inland. Am 23.06.2017 hat die Europäische Kommission (KOM) die Klageschrift im HOAI-Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eingereicht. Der Rechtsstreit wird unter dem AZ C-377/17 geführt. Die EU-Kommission hält der Bundesrepublik Deutschland vor, dass die HOAI mit dem System von Mindest- und Höchstpreisen die Niederlassung von Architekten und Ingenieuren erschwere, die mit Angeboten außerhalb des zugelassenen Preisrahmens mit etablierten Anbietern in Wettbewerb treten wollen. Diese Anbieter würden daran gehindert, Leistungen gleicher Qualität zu niedrigeren Preisen und Leistungen höherer Qualität zu höheren Preisen zu erbringen. Dies beschränke nicht nur die Niederlassung

455

ausländischer Architekten und Ingenieure in Deutschland, sondern auch die Erstniederlassung inländischer Büros und verstoße gegen Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG. Die HOAI stelle damit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar gemäß Art. 15 Abs. 2 lit. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG und auch gemäß Art. 49 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU AEUV (2008, 2012). Diese Beschränkung sei nicht gerechtfertigt, insbesondere nicht durch das Interesse an der Wahrung der Qualität der Dienstleistungen, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Preis stehe. Nach dem Austausch mehrerer Schriftsätze ist das schriftliche Verfahren abgeschlossen worden. Eine Entscheidung des EuGH ist am 04. Juli 2019 erfolgt. Im Urteil C-377/17 heißt es auf S. 20 unter Nr. 1: „Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/ 123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt verstoßen, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat.“

Am 28.02.2019 hat der zuständige Generalanwalt seine Schlussanträge gestellt und im Ergebnis zwingende Gründe des Allgemeininteresses nach Art. 15 Abs. 3 lit. b der Dienstleistungs-Richtlinie verneint. Das betrifft die Gewährleistung der Bausicherheit, der Erhaltung der Baukultur und die Wahrung der Ziele ökologischen Bauens. Soweit seitens der Bundesrepublik auf die Wahrung des Verbraucherschutzes und die Gewährleistung eines hohen Qualitätsniveaus abgestellt wird, fehle es an der Darlegung der Geeignetheit wie auch an der Verhältnismäßigkeit des Erfordernisses, Mindest- und Höchstsätze einzuhalten. Den Generalanwalt überzeugt auch nicht das Argument, dass die HOAI einschließlich der verfolgten Einhaltung von Mindest- und Höchstsätze geeignet ist, der im Bereich der Planungsleistungen regelmäßig vorliegenden asymmetrischen Information wirksam zu begegnen, was die Qualitätssicherung beeinflusst. Der Generalanwalt formuliert in Rn. 101: „Sie (Verf.: die Bundesrepublik Deutschland) hat dem

456

Gerichtshof technische Expertisen zur Festsetzung der Honorare in der HOAI vorgelegt. Diese belegen jedoch nicht ihre Argumentation (59). Nirgendwo wird nachgewiesen, dass ein System ohne Mindestpreise zu einem Marktversagen führen würde(60), bei dem Dienstleistungen guter Qualität den Markt verlassen und durch solche niedrigerer Qualität ersetzt würden. Nirgendwo wird nachgewiesen, dass gute Qualität nicht durch das übliche System von Angebot und Nachfrage gewährleistet werden kann.“ Nach Auffassung des Generalanwalts (Rn. 106) gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die sowohl die Qualität der Dienstleistungen als auch den Schutz der Verbraucher sicherstellen können: Berufsethische Normen, Haftungsregeln und Versicherungen, Informationspflichten, Pflichten zur Veröffentlichung von Tarifen oder zur Festlegung von Richtpreisen durch den Staat. Die Bundesrepublik habe nicht nachgewiesen, dass die Wirkung der in Rede stehenden Bestimmungen zu Mindestsätzen die Qualität einer Dienstleistung und den Schutz der Verbraucher besser gewährleistet. Insbesondere die Aussage, dass die Einführung einer Zugangsregelung zu den betreffenden Berufen eine wesentlich stärkere Beschränkung der Niederlassungsfreiheit als die geltende HOAI darstellen würde, sei eine bloße Behauptung, die nicht auf Beweise gestützt wird. Der Art. 15 der Richtlinie 2006/123/EEG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen betrifft die Niederlassungsfreiheit; dessen Abs. 1 gibt den Mitgliedstaaten auf zu prüfen, ob ihre Rechtsordnungen die in den Absätzen 2 und 3 genannten Anforderungen erfüllen. Hinsichtlich der Auseinandersetzungen um die Europarechtskonformität der HOAI bzgl. der Mindest- und Höchstsatzregelung geht es in Abs. 2 um die in Buchstabe g) angeführte nicht diskriminierende Anforderung „Beachtung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer“ und in Abs. 3 darum, ob diese Anforderung nach Buchstabe b) durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und Buchstabe c) ob diese Anforderung zur Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels geeignet und verhältnismäßig ist.

H. Franke et al.

Das ist der Prüfungskanon im bereits genannten Verfahren vor dem EuGH. In Artikel 16 Dienstleistungsfreiheit der Richtlinie 2006/123/EEG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Dienstleistungsrichtlinie 2006) wird hierzu folgendes geregelt: (1) „Die Mitglieder achten das Recht der Dienstleistungserbringer, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedsstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu erbringen.

Der Mitgliedsstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, gewährleistet die freie Aufnahme und freie Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten innerhalb seines Hoheitsgebiets. . . . (2) Die Mitgliedsstaaten dürfen die Dienstleistungsfreiheit eines in einem anderen Mitgliedsstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers nicht einschränken, indem sie diesen einer der folgenden Anforderungen unterwerfen: . . . d) der Anwendung bestimmter vertraglicher Vereinbarungen zur Regelung der Beziehungen zwischen dem Dienstleistungserbringer und dem Dienstleistungsempfänger, die eine selbstständige Tätigkeit des Dienstleistungserbringers verhindert oder beschränkt; . . .“

Diese Regelungen schützen danach Dienstleistungserbringer im grenznahen Bereich, die Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedsstaat als demjenigen ihrer Niederlassung, d. h. ihres Bürositzes, erbringen. Das Behinderungsverbot schützt damit Planer mit Bürositz vor allem im grenznahen Ausland. In der amtlichen Begründung zur 6. Novelle der HOAI 2009 heißt es unter A. I. dazu: „Unbestritten ist, dass Artikel 16 der Dienstleistungsrichtlinie auf die HOAI anwendbar ist und dass staatliches Preisrecht die Dienstleistungsfreiheit grundsätzlich beschränkt. Die jüngsten Feststellungen des EuGH im Cipolla-Urteil (vom 05.12.2006) untermauern, dass Mindest- und Höchstsätze Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit darstellen.“

Da die Klage der EU-Kommission erfolgreich war, mag die HOAI zwar als öffentliches Preisrecht ausgedient haben, als Orientierung für die übliche Vergütung wird sie aber weiterhin zur Anwendung kommen.

Privates Baurecht

4.6

Sachliche und persönliche Anwendungsbereiche der HOAI

Der sachliche Anwendungsbereich der HOAI betrifft die Regelung der Honorare für alle Architekten- und Ingenieurleistungen, die Bauwerke aller Art betreffen. Sofern weder ein Leistungsbild noch eine andere Bestimmung der HOAI die konkreten Leistungen erfasst, ist die HOAI nicht anwendbar und damit eine freie Honorarvereinbarung möglich und erforderlich. Dies gilt z. B. für Planungsleistungen der Architekten und Ingenieure zur Sanierung von Altlasten und den Abbruch von Gebäuden, für Projektentwicklungs- und Projektsteuerungsleistungen sowie für Gutachten. Der persönliche Anwendungsbereich der HOAI erstreckt sich auf Leistungen der Architekten und Ingenieure, unabhängig davon, ob diese von freiberuflichen oder baugewerblich tätigen, angestellten oder beamteten Personen erbracht werden. Auf das angestellten- oder arbeitnehmerähnlich ausgestattete freie Mitarbeiter- und Beamtenverhältnis ist die HOAI jedoch nicht anwendbar. Gemäß BGH-Urteil vom 22.05.1997 – VII ZR 290/95 ist sie auch nicht anwendbar auf Anbieter, die neben oder zusammen mit Bauleistungen auch Architekten- oder Ingenieurleistungen erbringen, wie Bauträger und andere Anbieter kompletter Bauleistungen, welche die dazu erforderlichen Ingenieur- und Architektenleistungen einschließen. Dies wurde durch Urteil des OLG Köln vom 27.01.2014 – 11 U 100/13 erneut bestätigt. Darüber hinaus ist durch das BGH-Urteil VII ZR 290/95 entschieden, dass die HOAI auch für Nicht-Architekten und Nicht-Ingenieure gilt. Nach herrschender Meinung und BGH-Entscheidung ist die HOAI nicht berufsbezogen, sondern leistungsbezogen ausgestaltet, so dass sie auch für die von der HOAI erfassten Leistungen gilt, die von Personen oder Institutionen erbracht werden, die nicht zur Führung der Berufsbezeichnungen „Architekt“ oder „Ingenieur“ berechtigt sind (z. B. Geowissenschaftler). Nach dem Prinzip der Leistungsorientierung steht einem Architekten oder Ingenieur auch dann ein Honorar nach HOAI zu, wenn er in einem anderen Leistungsbereich aus der HOAI tätig wird (z. B.: Bauingenieur erbringt Leistungen der Objektplanung).

457

4.7

Preisrechtlich geregelte Leistungen in der HOAI

Die seit dem 17.07.2013 geltende 7. Novelle der HOAI enthält in Teil 1 Allgemeine Vorschriften (§§ 1–16), in den Teilen 2 bis 4 preisrechtliche Vorschriften zu verschiedenen Planungsleistungen und im Teil 5 §§ 57–58 Übergangs- und Schlussvorschriften. Gem. § 3 Abs. 1 HOAI sind Honorare für die Grundleistungen der Teile 2 bis 4 verbindlich geregelt. Die Teile 2–4 sind wiederum in folgende Abschnitte unterteilt. Teil 2, Abschnitt 1, §§ 17–21: Bauleitplanung Teil 2, Abschnitt 2, §§ 22–32: Landschaftsplanung Teil 3, Abschnitt 1, §§ 33–37: Gebäude und Innenräume Teil 3, Abschnitt 2, §§ 38–40: Freianlagen Teil 3, Abschnitt 3, §§ 41–44: Ingenieurbauwerke Teil 3, Abschnitt 4, §§ 45–48: Verkehrsanlagen Teil 4, Abschnitt 1, §§ 49–52: Tragwerksplanung Teil 4, Abschnitt 2, §§ 53–56: Technische Ausrüstung In der Regel enthält jeder Abschnitt den Anwendungsbereich, die besonderen Grundlagen des Honorars, ein oder mehrere Leistungsbilder und Honorare für die Grundleistungen mit zugehörigen Honorartafeln. In den Anlagen 2 bis 15 der HOAI sind der oder die zugehörigen Leistungsbilder mit Grundleistungen und Besonderen Leistungen sowie Objektlisten enthalten.

4.8

Grundschema der Honorarberechnung nach HOAI

Das Honorar wird in folgenden Schritten berechnet: Schritt 1: Ermittlung der Größe der Planungsfläche bzw. der anrechenbaren Kosten (vgl. § 4) des Objekts auf der Grundlage der Kostenberechnung. Gem. § 4 Abs. 1 ist, wenn auf die DIN 276 Bezug genommen wird, immer die Fassung vom Dezember

458

2008 (DIN 276-1: 2008-12) gemeint, also auch bei der Ermittlung der anrechenbaren Kosten. Wenn die Kostenberechnung nicht vorliegt, ist die Kostenschätzung anzuwenden (vgl. § 6 Abs. 1). Nach § 6 Abs. 3 kann das Honorar auch nach den anrechenbaren Kosten einer Baukostenvereinbarung ermittelt werden (jeweils ohne Umsatzsteuer). Diese Regelung ist jedoch unwirksam, weil sie von der gesetzlichen Ermächtigung in Art. 10§§ 1 und 2 MRVG (Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 04.11.1971) nicht gedeckt ist (BGH, Urt. v. 24.04.2014 – VII ZR 164/13, BauR 2014, 1332).

Schritt 2: Ermittlung der Honorarzone (abhängig vom Schwierigkeitsgrad) gem. § 5. Die Honorarzone wird in Abhängigkeit von den Bewertungsmerkmalen der Leistungsbilder der Teile 2 bis 4 ermittelt. Weiterhin sind die Objektlisten der Anlagen 2 bis 15 zur HOAI zu berücksichtigen. Die Teile 2 bis 5 enthalten meistens 5 Honorarzonen, nur die Landschaftsplanung und die Technische Ausrüstung nur 3 Honorarzonen.

Schritt 3: Ermittlung des Grundhonorars anhand der Honorartafeln der Teile 2 bis 4 in Abhängigkeit von Planungsfläche oder anrechenbaren Kosten sowie der Honorarzone. Das Grundhonorar entspricht einer Erfüllung von 100 % aller Grundleistungen. Für jede Honorarzone gibt es einen Mindest- und Höchstsatz. Die Höchstsätze einer Honorarzone sind jeweils identisch mit den Mindestsätzen der nächsthöheren Honorarzone. Die Honorartafeln sind stark degressiv. So gilt für das Grundhonorar gemäß Honorarzone III Mindestsatz, jeweils bezogen auf die anrechenbaren Kosten, gemäß Honorartafel zu § 44 Abs. 1 HOAI für Ingenieurbauwerke bei 100.000 € ein Grundhonorar von 13.932 € bzw. 13,9 % der anrechenbaren Kosten, bei 1 Mio. € ein Grundhonorar von 81.924 € bzw. 8,2 % und bei 10 Mio. € ein Grundhonorar von 480.461 € bzw. 4,8 %.

H. Franke et al.

Schritt 4: Ermittlung des abzurechnenden Leistungsstands = prozentualer Anteil des Grundhonorars. Dieser richtet sich nach den Leistungsphasen in den Teilen 2 bis 4. Die Leistungsbilder haben jeweils 6 oder 9 Leistungsphasen. Die Summe der Prozentsätze der Leistungsphasen beträgt 100 % für die Erfüllung aller Grundleistungen. Diese sind in den Anlagen 2 bis 15 zur HOAI mit den einzelnen Leistungsphasen aufgelistet (Tab. 1). Schritt 5: Berechnung des Honorars für die abzurechnende Leistung als Produkt von Grundhonorar x Prozentsatz bei vollständiger Erfüllung der Teilleistungen der jeweiligen Leistungsphasen. Den Parteien steht es frei, das Honorar im Rahmen der Mindest- und Höchstsätze der jeweils zutreffenden Honorarzone zu vereinbaren. Sofern nicht bei Auftragserteilung etwas anderes schriftlich vereinbart wurde, gelten die jeweiligen Mindestsätze als vereinbart (§ 7 Abs. 5 HOAI).

4.9

Beispiel Honorarermittlung nach HOAI für Objektplanung Gebäude

Bauvorhaben: Lückenbebauung in historischer Altstadt, 3-geschossig, Grundstücksfläche 400 m2, BGF: 800 m2, BRI: 3200 m3. EG mit Ladenlokal, sonst Arztpraxen, mit Aufzug. Investitionskosten gesamt ohne Baugrundstück: netto 1,5 Mio. € gem. Kostenberechnung. Der Architekt soll bis zur Genehmigungsplanung beauftragt werden. Schritt 1: Ermittlung der anrechenbaren Kosten. Die Kosten der KGR 300 (Baukonstruktion) betragen 800.000 €, die Kosten der KGR 400 (Technische Anlagen) 200.000 €. Gem. § 33 Abs. 1 HOAI sind die Kosten der KGR 300 voll anrechenbar. Die Kosten der Technischen Anlagen betragen in diesem Beispiel genau 25 % der Kosten der Baukonstruktion. Sie sind damit gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 HOAI voll anrechenbar. Insgesamt betragen die anrechenbaren Kosten 800.000 + 200.000 = 1.000.000 €.

Privates Baurecht

459

Tab. 1 Honorarprozentsätze der Leistungsphasen nach HOAI 2013

Leistungsphasen 1 Grundlagenermittlung 2 Vorplanung 3 Entwurfsplanung 4 Genehmigungsplanung 5 Ausführungsplanung 6 Vorbereitung der Vergabe 7 Mitwirkung bei der Vergabe 8 Objektüberwachung und Dokumentation/ Bauoberleitung 9 Objektbetreuung

Prozentsätze der Honorare nach HOAI (Summe = 100) Objektplanung § 34 § 39 § 43 § 47 Gebäude Ingenieur- VerkehrsInnenräume Freianlagen bauwerke anlagen 2 3 2 2 7 10 20 20 15 16 25 25 3 4 5 8 25 25 15 15 10 7 13 10

§ 51 Tragwerksplanung 3 10 15 30 40 2

§ 55 Technische Ausrüstung 2 9 17 2 22 7

4

3

4

4

5

32

30

15

15

35

2

2

1

1

1

Schritt 2: Ermittlung der Honorarzone gem. § 35 Abs. 2 und 4 HOAI. Die Verteilung der Bewertungspunkte auf die Bewertungsmerkmale wird in der Kommentierung kontrovers behandelt. Das Bewertungsschema von Klocke/Arlt (1976) (Quelle: u. a. in Fuchs et al. 2016, S. 1642 Tab. 2) zu § 35 HOAI Rn. 48 ist am weitesten verbreitet: Nach dem Bewertungsschema, Spalte 9, ergeben sich 34 Punkte. Damit ist das Objekt gem. § 35 Abs. 6 HOAI der Honorarzone IV zuzuordnen (Korridor: 27 bis 34 Punkte). Die Vertragspartner vereinbaren nicht den Mindest-, sondern den Mittelsatz. Schritt 3: Das Grundhonorar wird anhand der Honorartafel zu § 35 Abs. 1 HOAI ermittelt. Das Honorar für den Mittelsatz ist der Mittelwert aus Mindestund Höchstsatz. Bei anrechenbaren Kosten von 1.000.000 € beträgt das Grundhonorar für Honorarzone IV, Mindestsatz, 144.268 € und für den Höchstsatz 162.464 €. Daraus ergibt sich ein Mittelsatz von (144.268 + 162.464)/2= 153.366 €. Schritt 4: Der Architekt wird mit den Lphn. 1 bis 4 beauftragt. Gem. § 34 Abs. 3 HOAI beträgt das anteilige Honorar bei Erfüllung aller Grundleistungen

gemäß Anlage 10 § 34 Abs.1 HOAI (2 % + 7 % + 15 % + 3 %=) 27 % des Grundhonorars. Schritt 5: Das Honorar für die beauftragte Leistung wird aus dem Produkt von Grundhonorar x Prozentsatz berechnet und beträgt 153.366 € x 27 % = 41.408,82 €.

4.10

Honorarrelevante wesentliche Vorschriften der HOAI

Nachfolgend werden die wesentlichen Besonderheiten der Honorarermittlung nach HOAI benannt: (1) Grundleistungen und Besondere Leistungen Gemäß § 3 Abs. 2 und 3 HOAI gliedern sich die in Leistungsbildern erfassten Planungsaufgaben in Grundleistungen und Besondere Leistungen. Grundleistungen umfassen gemäß Abs. 2 die Leistungen, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags im Allgemeinen erforderlich sind. Sachlich zusammengehörende Grundleistungen sind zu jeweils in sich abgeschlossenen Leistungsphasen zusammengefasst. Die nach HOAI

460

H. Franke et al.

Tab. 2 Bewertungsschema zur Honorarzonenermittlung nach § 35 HOAI lfd. Nr. [1] 1.

2. 3. 4. 5. 6.

Bewertungsmerkmale gem. § 35 Abs. 2+4 HOAI [2] Anforderungen an die Einbindung in die Umgebung Anzahl der Funktionsbereiche gestalterische Anforderungen konstruktive Anforderungen Technische Ausrüstungen Ausbau

rechnerische Summe

Bewertungsschema nach Klocke/Arlt durchsehr gering gering schnittlich [3] [4] [5] 1 2 3–4

1–2

3–4

5–6

1–2

3–4

5–6

1

2

1

2

3–4 X 3–4

1

2

3–4

6–8

14–16

22–28

Beispiel

max. Punkte HOAI [8] 6

[9] 6

9

9

7

9

9

7

6

6

4

6

6

5

6

6

5

42

42

34

Überdurchschnittlich [6] 5

sehr hoch [7] 6 X

7–8 X 7–8 X 5 5 X 5 X 34–36

Quelle: u. a. in Fuchs et al. 2016, S. 1642

zu berechnenden Honorare gelten für die Grundleistungen. Für Grundleistungen sieht die HOAI keine eigenständige Gebühreneinheit vor. Nur Leistungsphasen wird ein Honorarprozentanteil von insgesamt 100 % zugewiesen. Eine solche prozentuale Bewertung einzelner Grundleistungen erfolgt nicht. Die damit verbundene Problematik berührt § 8 HOAI. Nach Abs. 3 ist die Aufzählung der Besonderen Leistungen in den Leistungsbildern nicht abschließend. Die Besonderen Leistungen können auch für Leistungsbilder und Leistungsphasen, denen sie nicht zugeordnet sind, vereinbart werden, soweit sie dort keine Grundleistungen darstellen.

chung des BGH (Urteile vom 09.06.1986, AZ VII ZR 260/84, und vom 27.02.2003, AZ VII ZR 11/02) berücksichtigt. Es werden die Empfehlungen des BMWi-Gutachtens vom Dezember 2012 „Aktualisierungsbedarf zur Honorarstruktur der HOAI“ aufgegriffen, Abschn. 6.2.1 Die mitzuverarbeitende Bausubstanz als Honorarbemessungsgrundlage, S. 225–252.

(2) Mitzuverarbeitende Bausubstanz

Schritt 2: Ermittlung des Zustandsfaktors ZF  1. Dieser berücksichtigt den tatsächlichen Erhaltungszustand. Der Zustandsfaktor kann z. B. mit 0,6 angesetzt werden, wenn von einer Außenwand nur das Mauerwerk stehen bleibt, die Wand von außen aber neu zu dämmen und von Innen zu verputzen ist. Bei KKW werden einheitliche ZF empfohlen bei Gebäuden, Innenräumen, Freianlagen, Verkehrsanlagen von 0,8 bis 1,0, bei Ingenieurbauwerken und Tragwerken von 0,6 bis 1,0 und bei der Technischen Ausrüstung von 0,5 bis 1,0.

Gemäß § 4 Abs. 3 ist der Umfang der mitzuverarbeitenden Bausubstanz (mvB) bei den anrechenbaren Kosten angemessen zu berücksichtigen. Umfang und Wert der mvB sind zum Zeitpunkt der Kostenberechnung (Ergebnis der Entwurfsplanung, Lph. 3), oder, sofern diese nicht vorliegt, zum Zeitpunkt der Kostenschätzung objektbezogen zu ermitteln und schriftlich zu vereinbaren. Für die Ermittlung der mvB wird auf AHO-Heft Nr. 1 (Oktober 2018) verwiesen, das die Rechtspre-

Schritt 1: Ermittlung der Neubaukosten der mitzuverarbeitenden Bausubstanz, z. B. über Kostenkennwertkataloge (KKW) oder über die 2. Ebene der Kostengliederung DIN 276-1 (2008) (Grobelemente, wie KG 330 Außenwände).

Privates Baurecht

461

Schritt 3: Ermittlung des Leistungsfaktors L  1. Die vorhandene Bausubstanz löst bei den Grundleistungen unterschiedlichen Zusatzaufwand aus. Bei der Prüfung der Baufirmenschlussrechnungen besteht z. B. kein Zusatzaufwand. Der AHO empfiehlt mit Verweis auf das BMWi-Gutachten 2012 einheitliche Leistungsfaktoren für das gesamte Leistungsbild, damit die anrechenbaren Kosten nur einmal und nicht für jede Leistungsphase gesondert ermittelt werden müssen (Tab. 3). Schritt 4: Berechnung der anrechenbaren Kosten der mvB = Menge x KKW x ZF x LF Beispiel Der Umfang der mvB kann sich auch während der Planungs- und Bauzeit ändern, wenn die Bausubstanz sich nach Baubeginn als unzureichend erweist und ggf. abgerissen werden muss oder wenn der Besteller den Planungsauftrag erweitert. Dann greift § 650q Abs. 2 BGB. Jede nachträgliche Vereinbarung des Umfangs der Anrechnung erst im Zusammenhang mit der Schlussrechnung ist aber nach Möglichkeit zu vermeiden, da sie sonst häufig zu umfangreichen gutachterlichen Untersuchungen führt, die aus prozessökonomischen Gründen für beide Seiten nicht vertretbar sind. (3) Mindest- und Höchstsätze Gemäß § 7 Abs. 1 richtet sich das Honorar nach der schriftlichen Vereinbarung, die die Vertragspar-

teien bei Auftragserteilung im Rahmen der durch die HOAI festgesetzten Mindest- und Höchstsätze treffen. Die Mindestsätze können gemäß Abs. 3 durch schriftliche Vereinbarung in Ausnahmefällen unterschritten werden. Die festgesetzten Höchstsätze dürfen gemäß Abs. 4 nur bei außergewöhnlichen oder ungewöhnlich lange dauernden Leistungen durch schriftliche Vereinbarung überschritten werden. Sofern nicht bei Auftragserteilung etwas anderes schriftlich vereinbart worden ist, wird gemäß Abs. 5 unwiderleglich vermutet, dass die jeweiligen Mindestsätze vereinbart sind. (4) Honoraranpassung bei Leistungsänderungen Wenn sich auf Veranlassung des Auftraggebers i. S. v. § 650b BGB der beauftragte Leistungsumfang ändert und dadurch Mehrleistungen des Auftragnehmers erforderlich werden, so sind diese zusätzlich zu honorieren (§ 650q BGB), gemäß § 10 HOAI jedoch nur, wenn sich dadurch auch die anrechenbaren Kosten oder Flächen ändern. Der Satz 3 aus § 4 a HOAI 2002 wurde weder in die HOAI 2009 noch in die HOAI 2013 übernommen: „Verlängert sich die Planungs- und Bauzeit wesentlich durch Umstände, die der Auftragnehmer nicht zu vertreten hat, kann für die dadurch verursachten Mehraufwendungen ein zusätzliches Honorar vereinbart werden.“ In der Amtlichen Begründung zur HOAI 2009 heißt es unter Abschn. 5. Gestrichene Vorschriften zu Satz 3 nur lapidar: „Der bisherige § 4a wird gestrichen.“

Tab. 3 Gewichtete Leistungsfaktoren für Leistungen bei Gebäuden Lph 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Bezeichnung Grundlagenermittlung Vorplanung Entwurfsplanung Genehmigungsplanung Ausführungsplanung Vorbereitung der Vergabe Mitwirkung bei der Vergabe Objektüberwachung Objektbetreuung Summe Leistungsfaktor gewichtet

Bewertung Gebäude 2,00 % 7,00 % 15,00 % 3,00 % 25,00 % 10,00 % 4,00 % 32,00 % 2,00 % 100,00 % 0,78

Quelle: AHO Nr. 1 (2018), Seite 40, Tabelle oben

Leistungsfaktoren 0,90 0,90 0,90 0,90 0,90 0,90 0,30 0,60 0,50

Gewichtete Leistungsfaktoren 0,02 0,06 0,14 0,03 0,23 0,09 0,01 0,19 0,01

462

(5) Teilgrundleistungen der Leistungsphasen § 8 HOAI enthält Vorschriften für die Berechnung des Honorars in besonderen Fällen, wenn • nicht alle Leistungsphasen eines Leistungsbildes übertragen werden (Abs. 1), • nicht alle Grundleistungen einer Leistungsphase übertragen werden (Abs. 2). Für Koordinierungs- oder Einarbeitungsaufwand kann ein schriftliches Zusatzhonorar vereinbart werden (Abs. 3). Ein wesentlicher Streitpunkt hinsichtlich der Höhe des Honorars ergibt sich immer wieder daraus, dass vom Auftragnehmer ganze Teilleistungen oder eine ganze Leistungsphase nicht oder nicht vollständig erbracht werden, obwohl sie ihm übertragen waren. Dazu hat das Urteil des VII. Zivilsenates des BGH vom 24.06.2004, AZ VII ZR 259/02, durch folgende Leitsätze Klarheit geschaffen: a) Erbringt der Architekt eine vertraglich geschuldete Leistung teilweise nicht, dann entfällt der Honoraranspruch des Architekten ganz oder teilweise nur dann, wenn der Tatbestand einer Regelung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts des BGB oder des werkvertraglichen Gewährleistungsrechts erfüllt ist, die den Verlust oder die Minderung der Honorarforderung als Rechtsfolge vorsieht. b) Der vom Architekten geschuldete Gesamterfolg ist im Regelfall nicht darauf beschränkt, dass er die Aufgaben wahrnimmt, die für die mangelfreie Errichtung des Bauwerks erforderlich sind. c) Umfang und Inhalt der geschuldeten Leistung des Architekten sind, soweit einzelne Leistungen des Architekten, die für den geschuldeten Erfolg erforderlich sind, nicht als selbstständige Teilerfolge vereinbart worden sind, durch Auslegung zu ermitteln. d) Eine an den Leistungsphasen des § 15 HOAI (a. F. 2002) orientierte vertragliche Vereinbarung begründet im Regelfall, dass der Architekt die vereinbarten Arbeitsschritte als Teilerfolg des geschuldeten Gesamterfolges schuldet.“

Mit diesem Urteil machte der BGH deutlich, dass es nicht darauf ankommt, die übertragenen Grundleistungen in zentrale Leistungen und nicht zentrale Leistungen aufzuteilen. Der Auftragge-

H. Franke et al.

ber kann nun durch Auslegung vom Auftragnehmer eine Vielzahl einzelner Leistungen verlangen, die bisher als nicht zentrale Leistungen eingestuft wurden. Exkurs zu: Teilhonoraren für einzelne Grundleistungen

Zur HOAI 2013 liegen verschiedene Teilleistungsbewertungen der Grundleistungen vor. Die Summe der Grundleistungen einer Leistungsphase entspricht den Prozentsätzen der Leistungsphase nach HOAI. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden genannt: a) FBS-Tabellen in Fuchs/Berger/Seifert, HOAI-Kommentar, 2016, 4. Teil Anhang C. Jeder Grundleistung wird ein fixer Prozentsatz zugewiesen. b) Tabelle zur Bewertung von Teilgrundleistungen in Locher/Koeble/Frik, HOAIKommentar, 13. Aufl., 2017, Anhang 3. Jeder Grundleistung wird ein fixer Prozentsatz zugewiesen. c) Siemon-Tabelle auf http://www.architek tenhonorar.de. Jeder Grundleistung wird ein Korridor zugewiesen.

(6) Erfolgs- und Malus-Honorar Gem. § 7 Abs. 6 HOAI kann für Planungsleistungen, die technisch-wirtschaftliche oder umweltverträgliche Lösungsmöglichkeiten nutzen und zu einer wesentlichen Kostensenkung ohne Verminderung des vertraglich festgelegten Standards führen, ein Erfolgshonorar schriftlich vereinbart werden, das bis zu 20 Prozent des vereinbarten Honorars betragen kann. Falls schriftlich festgelegte anrechenbare Kosten überschritten werden, kann auch ein Malus-Honorar in Höhe von bis zu 5 Prozent des Honorars schriftlich vereinbart werden. In der amtlichen Begründung zum § 5 Abs. 4a HOAI (2002) hieß es dazu, dass der wirtschaftliche Anreiz zu einer besonders kostengünstigen Planung auf diese Weise verstärkt werde. Als Beispiele wurden Varianten der Ausschreibung,

Privates Baurecht

die Konzipierung von Alternativen, die Reduzierung der Bauzeit, die systematische Kostenplanung und -kontrolle, die verstärkte Koordinierung aller Fachplanungen, die Analyse zur Optimierung der Energie- und sonstigen Betriebskosten genannt. Bemessungsgrundlage des Erfolgshonorars seien die vom Auftragnehmer durch seine Leistungen eingesparten Kosten. Dabei bleibe es den Vertragsparteien überlassen, den Ausgangswert zur Ermittlung der Einsparung aufgrund von realistischen Kostenschätzungen selbst zu bestimmen. In der Begründung zu § 7 Abs. 7 HOAI (2009) hieß es: „In Abs. 7 wird eine optionale Bonus-Malus-Regelung, wie sie vom Bundesrat in seiner Entschließung vom 06.06.1997 (BR Drs. 399/95) gefordert wurde, eingeführt. Deshalb sieht die Vorschrift vor, dass die Parteien ein Bonus-Honorar bis zu 20 % des vorab festgelegten Honorars vereinbaren können, wenn die Ermittlungsgrundlage des Honorars unterschritten wird. Das Malus-Honorar bis zu 5 % des Honorars orientiert sich an der zulässigen Höhe einer Vertragsstrafe nach den Regelungen für Allgemeine Geschäftsbedingungen. Änderungen der anrechenbaren Kosten aufgrund der Baupreisindizes bleiben hiervon unberührt.“

In der Begründung zum geltenden § 7 Abs. 6 HOAI 2013 heißt es, dass klargestellt werde, „dass die schriftliche Vereinbarung eines Erfolgshonorars sich auf Planungsleistungen bezieht, die zu Kostensenkungen führen“ (vorher: Besondere Leistungen). Der neue § 650p BGB, Abs. 2, sieht vor, dass die Planungs- und Überwachungsziele vertraglich zu vereinbaren sind. Dazu muss der Planer als Entscheidungsvorlage eine Planungsgrundlage erstellen und diese zusammen mit einer Kosteneinschätzung dem Besteller zur Zustimmung vorlegen. Damit würde, was in der Praxis noch zu beweisen ist, die Kosteneinschätzung die Bemessungsgrundlage für das Erfolgs- oder Malushonorar. Der Planer muss dann die Parameter seiner Kosteneinschätzung sehr genau fixieren (enthaltene Kostengruppen der DIN 276-1:2008-12, Flächenarten und -größen, Qualitätsstandards, Planungs- und Bauzeit, Preisstand aktuell und bei Fertigstellung). Der Planer muss auf etwaige Risiken der Belastbarkeit der Kosteneinschätzung

463

hinweisen. Es empfiehlt sich, einen Kostenkorridor festzulegen, innerhalb dessen die ErfolgsMalus-Regelung nicht zur Anwendung kommt. Zwingend ist diese Beurteilung jedoch deshalb nicht, weil die Vereinbarung eines Erfolgshonorars auch nach Auftragserteilung erfolgen und deshalb auf die Kostenbasis abgehoben werden kann, die zu diesem Zeitpunkt vorliegt. Denn § 7 Abs. 6 HOAI stellt nicht auf den Zeitpunkt bei Auftragserteilung ab. In einer öffentlichen Anhörung der Fachkommission Architektenrecht der ARGEBau am 08.09.1983 in der Obersten Baubehörde in München wurde bereits ein ähnlicher Passus zur Ergänzung der HOAI zur Diskussion gestellt. Seitens des Autors wurde gefragt, die eine Bemessungsformel zur Honorierung von besonderen Leistungen zur Kosteneinsparung für Investitionen und Folgekosten gefunden werden könne, die • den Ausgangswert zutreffend bestimme, • einen Leistungsansporn biete, d. h. ein angemessenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung sichere, und • eine verursachungsgemäße und Leistungskurse Aufteilung des Erfolgshonorars (bzw. der Honorarkürzung) auf alle Beteiligten gewährleiste. Seinerzeit konnte von der ARGEBau keine Antwort auf diese Frage gegeben werden. Sie ist bis heute unbeantwortet geblieben. Daher ist diese alte und neue Regelung aus der HOAI zu entfernen, da sie nur zu Streitigkeiten über die Ursachen der Kostensenkung (bzw. -erhöhung), den Änderungsaufwand und die Erfolgshonorar- bzw. Honorarkürzungsverteilung führen wird. Von Architekten und Ingenieuren wird erwartet, dass ihre Leistungen bereits im ersten Anlauf im allgemeinen Stand der einschlägigen Wissenschaft, den allgemein anerkannten Regeln der Technik, dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen entsprechen (vgl. Abschn. 1.1 der AVB zu den Verträgen für freiberuflich Tätige). Die vorgenannten HOAI-Regelungen bieten dazu allerdings keine praktikablen Anreize (Diederichs 2003, S. 357).

464

(7) Anzahl der Objekte für die Honorarberechnung Gem. § 11 Abs. 1 HOAI ist bei einem Auftrag für mehrere Objekte das Honorar für jedes Objekt getrennt zu berechnen. Durch die Tatbestände der Abs. 2 und 3 kann das Honorar jedoch erheblich gemindert werden: Abs. 2: „Umfasst ein Auftrag mehrere vergleichbare Gebäude, Ingenieurbauwerke, Verkehrsanlagen oder Tragwerke mit weitgehend gleichartigen Planungsbedingungen, die derselben Honorarzone zuzuordnen sind und die im zeitlichen oder örtlichen Zusammenhang als Teil einer Gesamtmaßnahme geplant und errichtet werden sollen, ist das Honorar nach der Summe der anrechenbaren Kosten zu berechnen.“ Abs. 3: „Umfasst ein Auftrag mehrere im Wesentlichen gleiche Gebäude, Ingenieurbauwerke, Verkehrsanlagen oder Tragwerke, die im zeitlichen oder örtlichen Zusammenhang unter gleichen baulichen Verhältnissen geplant und errichtet werden sollen, oder mehrere Objekte nach Typenplanung oder Serienbauten, so sind die Prozentsätze der Leistungsphasen 1 bis 6 für die erste bis vierte Wiederholung um 50 Prozent, für die fünfte bis siebte Wiederholung um 60 Prozent und ab der achten Wiederholung um 90 Prozent zu mindern.“

Zur Vermeidung von Missverständnissen und Streitigkeiten bei der Schlussabrechnung empfiehlt sich bei Vertragsabschluss eine unmissverständliche Festlegung im Vertrag, von welcher Anzahl von Objekten bzw. welcher Anzahl von Anlagen auszugehen ist. Aus dieser Frage ergeben sich auch sehr häufig Honorarstreitigkeiten, wenn dazu im Vertrag keine eindeutige Regelung getroffen wurde, da das Honorar wegen der Degression der Honorartafeln mit jeder Objektteilung beträchtlich steigt. Vertragliche Vereinbarungen verhindern aber nicht, dass der Auftragnehmer den Vertrag mit Verweis auf die Unterschreitung der HOAI-Mindestsätze für unwirksam erklärt und die Objekte „atomisiert“, weil die vertragliche Objekteinteilung nicht konform mit der HOAI war. Grundsätzlich gilt, dass es sich bei einem Objekt um eine konstruktive und funktionale Einheit handeln muss. In der amtlichen Begründung zu § 51 HOAI 2002 hieß es zur Objekteinteilung erläuternd:

H. Franke et al. „Dabei sind jeweils die Bauwerke oder Anlagen, die funktional eine Einheit bilden, als ein Objekt anzusehen. . . . Werden einem Auftragnehmer die Planung einer Abwasserbehandlungsanlage und eines Abwasser-Kanalnetzes in einem Auftrag übertragen, so handelt es sich hier um die Übertragung der Leistungen nach Teil VII für 2 Objekte mit jeweils einer eigenen funktionalen Einheit. Das Abwasser-Kanalsystem erfüllt die TransportFunktion für das Abwasser, die Abwasserbehandlungsanlage erfüllt die Reinigungsfunktion für das Abwasser.“

(8) Anzahl der Anlagen bei der Technischen Ausrüstung Häufiger Streitpunkt ist bei der Abrechnung von Honoraren für Leistungen bei der Technischen Ausrüstung nach Teil IX HOAI 2002 bzw. Teil 4 Abschnitt 2 HOAI 2013 die Anzahl der Anlagen in den nun acht Anlagengruppen, sofern sich diese Anlagen über mehrere Gebäude erstrecken. Eindeutige Regelungen hierzu fehlen in der HOAI, in der Amtlichen Begründung und auch in den HOAIKommentaren. Im BGH-Urteil vom 24.01.2002, AZ VII HR 461/00, heißt es im Leitsatz: „Für die Frage, ob mehrere Anlagen im Sinne von § 69 Abs. 7 in Verbindung mit § 22 Abs. 1 HOAI vorliegen, kommt es darauf an, ob die Anlagenteile nach funktionellen und technischen Kriterien zu einer Einheit zusammengefasst sind. Nicht entscheidend ist, ob die Leistung für mehrere Gebäude erfolgt.“ In den Entscheidungsgründen heißt es unter III. 3.a): „Durch das Trennungsprinzip des § 22 Abs. 1 HOAI soll erreicht werden, dass ein Architekt, der aufgrund eines Auftrages mehrere Gebäude für einen Vertragspartner plant, bei der Abrechnung nicht schlechter gestellt wird, als wenn er dieselben Leistungen für verschiedene Bauherren erbringen würde. Daraus lässt sich als Maßstab für die Beurteilung der Einheitlichkeit ableiten, dass mehrere Gebäude dann vorliegen, wenn diese verschiedenen Funktionen zu dienen bestimmt sind und sie vor allem unter Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit je für sich genommen betrieben werden könnten. . . .“ Unter b) heißt es weiter: „Übertragen auf den Bereich der Technischen Gebäudeausrüstung bedeutet dies, dass mehrere Anlagen dann vorliegen, wenn sie getrennt an das öffentliche Netz angeschlossen und allen betrieben werden könnten . . . Dagegen kommt es grundsätzlich nicht darauf an,

Privates Baurecht ob die Leistungen für mehrere Gebäude erbracht worden sind. Das zeigt sich schon daran, dass eine einheitliche Anlage wie etwa eine Heizungsanlage nicht deshalb honorarrechtlich in mehrere Anlagen aufgeteilt werden kann, weil sie mehrere Gebäude versorgt. Umgekehrt ist es auch einleuchtend, dass mehrere Anlagen in einem Gebäude honorarrechtlich nicht als eine Anlage eingeordnet werden können, wenn sie verschiedenen Funktionen zu dienen bestimmt sind. Für die Beurteilung des Honorars eines Ingenieurs ist somit entscheidend, ob die Anlagenteile nach funktionellen und technischen Kriterien zu einer Einheit zusammengefasst sind.“

Gem. § 54 Abs. 1 HOAI 2013 sind die anrechenbaren Kosten der Anlagen einer Anlagengruppe zusammenzufassen, bei Anlagengruppe 7 Nutzungsspezifische Anlagen nur, wenn diese funktional gleichartig sind. Gem. § 54 Abs. 2 sind die anrechenbaren Kosten mehrerer Anlagen einer Anlagengruppe für unterschiedliche Objekte zusammenzufassen, wenn diese unter funktionalen und technischen Kriterien eine Einheit bilden. Die nutzungsspezifischen Anlagen sind in Anlage 15,2 Objektliste Technische Ausrüstung Abschn. 7.1 mit Zuordnung zu den Honorarzonen I bis III aufgeführt, u. a. küchentechnische Anlagen, Wäscherei- und Reinigungsanlagen, medizinoder labortechnische Anlagen, Feuerlöschanlagen, bühnentechnische Anlagen, badetechnische Anlagen, technische Anlagen für Tankstellen, lagertechnische Anlagen, Enteisungsanlagen. Für die Abgrenzung der Kosten ist die fundierte Kenntnis der DIN 276-1 (2008-12) erforderlich, die trotz der Neufassung der DIN 276 (2018-12) nach § 4 Abs. 1 HOAI unverändert maßgeblich ist. In DIN 276-1 (Abb. 2) werden die nutzungsspezifischen Anlagen in der 3. Ebene in die Kostengruppen (KG) 471 bis 479 untergliedert: Bei den bühnentechnischen Anlagen ist z. B. die Abgrenzung zwischen der Anlagengruppe 4 des § 53 HOAI Starkstromanlagen und der KG 440 DIN 276-1 Starkstromanlagen zu beachten, wenn die Kosten der Bühnenbeleuchtung abgegrenzt werden müssen. Zur KG 440 gehört KG 445 Beleuchtungsanlagen (Ortsfeste Beleuchtung/Sicherheitsbeleuchtung). Gem. Bildkommentar DIN 276/277, BKI, 4. Aufl. Juli 2016, S. 266 + 267: KG 479, enthalten

465

die bühnentechnischen Anlagen als Nr. 27 die Bühnenbeleuchtung und Beleuchterbrücken. Eine ähnliche Regelung wie für Anlagengruppe 7 wäre auch für die anderen Anlagengruppen wünschenswert. Besonders nachteilig ist die HOAI für Generalplaner. Im Regelfall werden z. B. die anrechenbaren Kosten für Anlagengruppe 5 Fernmelde- und informationstechnische Anlagen für die Abrechnung des Generalplaners gegenüber dem Auftraggeber zusammengefasst. Der Generalplaner wird für die Planungsleistungen der Anlagengruppe 5 aber meistens verschiedene Subplaner einschalten (z. B. bei einem Theaterbau mit Tiefgarage: Telefonanlage (KG 451), Beschallung/Lautsprecher (KG 454) und Parkleitsystem (KG 459)). Aufgrund der Degression der HOAI wird die Summe der Grundhonorare, die die Subplaner abrechnen, höher sein als das Grundhonorar, das der Generalplaner zugrunde legen kann. (9) Umbauzuschlag In § 6 Abs. 2 HOAI heißt es u. a.: „Der Umbau- oder Modernisierungszuschlag ist unter Berücksichtigung des Schwierigkeitsgrads der Leistungen schriftlich zu vereinbaren. Die Höhe des Zuschlags auf das Honorar ist in den jeweiligen Honorarregelungen der Leistungsbilder der Teile 3 und 4 geregelt. Sofern keine schriftliche Vereinbarung getroffen wurde, wird unwiderleglich vermutet, dass ein Zuschlag von 20 Prozent ab einem durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad vereinbart ist.“ Für die durchschnittlichen Schwierigkeitsgrade werden für die Leistungsbilder der Teile 3 und 4 folgende Obergrenzen genannt: § 36 Abs. 1 i.V.m. § 40 Abs. 6: Gebäude und Freianlagen bis 33 % und § 36 Abs. 2: Innenräume bis 50 %, § 44 Abs. 6: Ingenieurbauwerke bis 33 %, § 48 Abs. 6: Verkehrsanlagen bis 33 %, § 52 Abs. 4 Tragwerke bis 50 %, § 56 Abs. 5 Technische Anlagen bis 50 %. Zur Ermittlung der Umbauzuschläge wird auf AHO-Heft Nr. 1 (2018) verwiesen (dort Abschn. 2.7.2.10) (Tab. 4). Demnach sind die Kategorien Integration, Flexibilität, Risiko, Komplexität und Organisation zu berücksichtigen. Diese haben für jedes Leistungsbild unterschied-

466

H. Franke et al.

Abb. 2 Auszug aus DIN 276-1 (2008-12), Abschn. 4.3, Tab. 1, KG 470

liche Gewichtungen. Die Einzelkriterien werden erläutert. Unter Organisation wird auch die gegenüber dem Neubau längere Bauzeit eingeordnet. Bei nachvollziehbarer Kalkulation des Umbauzuschlags inkl. Bauzeit lässt sich damit bei Verlängerung der Bauzeit durch die Umbaumaßnahmen ein erhöhter Umbauzuschlag begründen. Beispiel Umbauzuschlag bei Leistungen bei Gebäuden, AHO Nr. 1, Seite 130–131: Die Summe des Mehraufwands „viel“ für die 5 Kategorien ergibt (6+6+6+6+9=) 33 %. (10) Nebenkosten Nebenkosten wie Versandkosten, Kosten von Datenübertragungen, Kosten für Vervielfältigungen von Zeichnungen und schriftlichen Unterlagen

sowie für die Anfertigung von Filmen und Fotos, für ein Baustellenbüro, Fahrtkosten und Spesen können gemäß § 14 Abs. 3 HOAI pauschal oder nach Einzelnachweis abgerechnet werden. Zur Vereinfachung der Abrechnung empfiehlt sich in jedem Fall eine Pauschalvereinbarung, die aber bereits bei Auftragserteilung schriftlich vorgenommen werden muss. Empfohlen werden 3 % bis 8 % des Honorars. (11) Umsatzsteuer Nach § 16 HOAI hat der Auftragnehmer Anspruch auf Ersatz der gesetzlichen Umsatzsteuer. In § 4 Abs. 1 ist ferner geregelt, dass die anrechenbaren Kosten für die Honorarbemessung ohne Umsatzsteuer anzusetzen sind. Dies ist wegen der Degression der Honorartabellen eine für die Auftragnehmer günstige Vorschrift.

Privates Baurecht

467

Tab. 4 Mehraufwand der Planung durch Umbauten und Modernisierungen Gewichtung 6%

6%

6%

6%

9%

33 %

Gebäude Mehraufwand Kategorie/Begründung klein wenig Üblich viel Integration 0 4 5 6 z. B.: Auseinandersetzung mit/Berücksichtigung von vielfältigen Bedingungen und Zwängen durch Bestand; Berücksichtigung von Fördermitteln; Einbindung, Anpassung oder Übernahme von Vorgaben aus Konstruktion, Technik und Gestaltung; mehrere Maßnahmen an einem Objekt; zusätzliche Fachplanungen/Gutachten; zusätzliche Maßnahmen aufgrund behördlicher Auflagen; Änderung der Anforderung/Nutzung; Anpassung heutiger Anforderungen an den Bestand Flexibilität 0 4 5 6 z. B.: Diskontinuierlicher Planungsablauf durch Terminbindungen und mögliche Unterbrechungen; Ergänzung der Ausführungsplanung aus Anforderungen im Bestand (z. B. aus Mängeln oder Schäden); substanzbedingt ungebräuchliche Konstruktionen; substanzbedingt ungebräuchliche Details; alternative Bauausführungen; Anpassung der Substanz an gültige Vorschriften und Normen Risiko 0 4 5 6 z. B.: Haftungsrisiko; Verkehrssicherung; Schutz und Sicherung von fertiggestellten Teilbereichen; Kostenermittlungsrisiko mit bestandsbedingten Unwägbarkeiten; Terminplanung mit bestandsbedingten Unwägbarkeiten; Vorschädigung der Substanz Komplexität 0 4 5 6 z. B.: Erschwernisse bei den Kostenermittlungen; Erschwernisse bei der Kostenkontrolle; zusätzliche Aufmaßkontrolle überdeckter Bauteile; Mehraufwand LV-Wertung; Mehraufwand Rechnungsprüfung Organisation 0 4 6,5 9 z. B.: Laufender Betrieb; Realisierung in Abschnitten; temporäre Zwischenlösungen und deren Rückbau; längere Bauzeit als Neubau; hohe Baustellenpräsenz; erhöhter Dokumentationsaufwand Max. Zuschlagshöhe in Honorarzone I, II und III: 33,00 % Zuschlagshöhe in Honorarzone IV und V: nach oben offen

sehr viel >6

Vereinbarte Zuschläge

>6

>6

>6

>9

Quelle: AHO Nr. 1 (2018) S. 130–131

4.11

Anforderungen an die Aufstellung und Prüfbarkeit von Honorarrechnungen nach HOAI

Gem. § 15 Abs. 1 HOAI werden Honorare fällig, wenn die Planungsleistungen abgenommen und eine prüffähige Honorarschlussrechnung überreicht worden ist. Honorarrechnungen und insbesondere Honorarschlussrechnungen müssen zur Durchsetzung der geltend gemachten Forderungen grundsätzlich fünf Kriterien erfüllen, die Gegenstand der Über-

prüfung durch den Auftraggeber oder seiner Bevollmächtigten sind: • eine vorhandene Anspruchsgrundlage für das Honorar, • die Prüffähigkeit, • die sachliche Richtigkeit, • die rechnerische Richtigkeit und • die nicht gegebene Mehrfachabrechnung. Die Anspruchsgrundlage für das Honorar ist vorzugsweise ein abgeschlossener Planervertrag.

468

Die Wirksamkeitsvoraussetzung der Honorarvereinbarung ist in § 7 Abs. 1 HOAI geregelt: „Das Honorar richtet sich nach der schriftlichen Vereinbarung, die die Vertragsparteien bei Auftragserteilung im Rahmen der durch diese Verordnung festgesetzten Mindest- und Höchstsätze treffen.“

Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, so ist die Honorarvereinbarung unwirksam, nicht jedoch der Architekten- oder Ingenieurvertrag (zur HOAI 2002 in Pott et al. 2006, § 4, Rd. 4). Die Rechtsfolgen unwirksamer Honorarvereinbarungen sind vielfältig und hängen vom Einzelfall ab. So entstehen Streitigkeiten häufig aus der Vereinbarung von Honorarpauschalen, die sich nicht im Rahmen der Mindest- und Höchstsätze bewegen. Rügt der Rechnungsempfänger die Rechnung nicht, so „kann auch eine objektiv nicht der HOAI entsprechende Rechnung fällig werden, ohne dass diese Rechtsfolge vom Gericht zu korrigieren ist“ (Pott et al. 2006, § 4 Rd. 38). Nach Pott et al. 2006, § 8 Rd. 8 hat der BGH für die Prüffähigkeit einen objektiven Mindeststandard festgeschrieben, dessen Einhaltung die Prüffähigkeit stets begründet. Dieser umfasst: • die Angabe des richtigen Leistungsbildes, • die Angabe der anrechenbaren Kosten nach der Gliederung der DIN 276-1:2008-12, • die Honorarzone, • den Honorarsatz und die Honorartafel, • den Umfang und die Bewertung der nachweislich erbrachten Leistungen, • etwaige Zuschläge, z. B. für Umbauten und Modernisierungen sowie für Instandhaltungen und Instandsetzungen (Leistungen im Bestand), • erhaltene Abschlagszahlungen. Zwischen der Prüffähigkeit und der sachlichen Richtigkeit der Honorarschlussrechnung ist streng zu unterscheiden. Hinsichtlich der Anforderungen an die Prüffähigkeit fordert § 650g Abs. 4 BGB, auf den § 650q Abs. 1 BGB verweist, eine übersichtliche Aufstellung der erbrachten Leistungen, damit die Nachvollziehbarkeit gesichert ist. Nach § 650g Abs. 4 BGB gilt die Schlussrechnung als

H. Franke et al.

prüffähig, wenn der Besteller nicht innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt der Schlussrechnung begründete Einwendungen erhoben hat. Mit dieser Regelung ist klargestellt, dass die Frage, ob eine Rechnung prüffähig ist, letztlich eine Rechtsfrage darstellt, die durch das Gericht zu entscheiden ist (OLG Stuttgart, BauR 1999, 514; Kniffka/ Koeble, Kompendium, Teil 12 Rd. 296). Das schließt für technisch besetzte Vorfragen die Einschaltung eines Sachverständigen nicht aus. Einwände gegen die sachliche Richtigkeit können nach Pott et al. 2006, § 8 Rd. 11 folgende Punkte sein: • unzutreffende Ermittlung/Zusammenstellung der anrechenbaren Kosten, • falsche Honorarzone, • unzutreffende Bewertung der erbrachten Leistungen, • Abrechnung eines unberechtigten Zuschlags. Bei der Überprüfung der rechnerischen Richtigkeit geht es darum, ob in den Honorarermittlungen Rechenfehler oder Interpolationsfehler bei der Anwendung der Honorartafeln enthalten sind. Aber: wenn die rechnerische Richtigkeit überprüft werden kann mit Honorarkürzung nach unten, ist die Rechnung auch prüfbar. Der in § 650g Abs. 4 BGB enthaltene Einwendungsausschluss durch Fristablauf gilt für Einwendungen gegen die sachliche Richtigkeit nicht. Bei der Überprüfung ggf. vorhandener Mehrfachabrechnung einzelner Leistungen ist zu fragen, ob seitens des Erstellers für ein und dasselbe Objekt Mehrfachabrechnungen vorgelegt wurden.

4.12

Übersicht der nicht von der HOAI abgedeckten Planungsleistungen

Die Honorare für Besondere Leistungen können frei vereinbart werden. Gem. § 3 Abs. 3 HOAI ist die Aufzählung der Besonderen Leistungen nicht abschließend. Gem. § 7 Abs. 2 HOAI ist das Honorar auch für die preisrechtlich geregelten Leistungen frei vereinbar, wenn die anrechenbaren Kosten oder Flä-

Privates Baurecht

chen außerhalb der in den Honorartafeln festgelegten Honorarsätze liegen. Gem. § 3 Abs. 1 HOAI sind die Honorare für folgende Beratungsleistungen der Anlage 1 HOAI nicht verbindlich geregelt. 1.1 Umweltverträglichkeitsstudie 1.2 Bauphysik (mit Wärmeschutz- und Energiebilanzierung, Bauakustik (Schallschutz) und Raumakustik) 1.3 Geotechnik (Beschreibung und Beurteilung von Baugrund- und Grundwasserverhältnissen für Gebäude und Ingenieurbauwerke) 1.4 Ingenieurvermessung (Planungsbegleitende Vermessung und Bauvermessung) Folgende exemplarischen Planungs- und Ingenieurleistungen unterliegen nicht dem Preisrecht der HOAI: • Abbruch (ohne Neubau) • Gleis- und Bahnsteiganlagen mit mehr als zwei Gleisen oder Bahnsteigen (vgl. § 46 Abs 5 Nr. 2 HOAI). • Projektsteuerung • Sanierung von Altlasten • Brandschutz (vgl. Anlage 10 Nr. 10.1, Lph 2, rechte Spalte, letzter Spiegelstrich und BGH, Urt. v. 26.01.2012 – VII ZR 128/11, BauR 2012, 979). • Ausstattung von Straßen-, Schienen- und Flugplatzanlagen (z. B. Ampeln, Signale, Oberleitungsanlagen, Anlagen der Zugbeeinflussung, Leitsysteme)

4.13

Anrechenbare Kosten außerhalb der Tafelwerte der HOAI

Die Honorartafeln sind nach oben und unten begrenzt, bei Über- und Unterschreitung können die Honorare frei vereinbart werden (Quelle: HOAI 2013, § 7 Abs. 2 Tab. 5). Etabliert haben sich die Richtlinien der Staatlichen Vermögens- und Hochbauverwaltung Baden-Württemberg für die Beteiligung freiberuflich Tätiger – RifT, aktuell Stand Juli 2013

469 Tab. 5 Obergrenzen der Honorartafeln Gebäude, Innenräume Freianlagen Ingenieurbauwerke Verkehrsanlagen Tragwerksplanung Technische Ausrüstung

§ 35 Abs. 1 § 40 Abs. 1 § 44 Abs. 1 § 48 Abs. 1 § 52 Abs. 1 § 56 Abs. 1

25,0 Mio. € 1,5 Mio. € 25,0 Mio. € 25,0 Mio. € 15,0 Mio. € 4,0 Mio. €

Quelle: HOAI 2013, § 7 Abs. 2

(u. a. veröffentlicht in LKF, 13. Aufl. 2017, Anhang 2) mit anrechenbaren Kosten von bis zu 500 Mio. €. Weiterhin liegt AHO-Heft Nr. 14 (2016) mit von den RifT abweichenden Tafelfortschreibungen vor. Auf diese „FortschreibungsTabellen“ darf nur zurückgegriffen werden, wenn die Parteien dies so vereinbart haben (BGH, Urt. v. 24.06.2004 – VII ZR 259/02, BauR 2004, 1640, 1642). Andererseits sind die „FortschreibungsTabellen“ hilfreich für die Ermittlung des üblichen Honorars. Die Honorartafeln der HOAI sind wie die RifTTabellen stark degressiv. So gilt für das Grundhonorar gemäß Honorarzone III Mindestsatz, jeweils bezogen auf die anrechenbaren Kosten, gemäß Honorartafel zu § 44 Abs. 1 HOAI für Ingenieurbauwerke bei 10 Mio. € ein Grundhonorar von 480 461 € bzw. 4,8 % des Grundhonorars. Bei 100 Mio. € beträgt das Grundhonorar nach der erweiterten Honorartabelle der RifT 2,419 Mio. € bzw. 2,4 % des Grundhonorars, bei 500 Mio. € nur noch 6,183 Mio. € bzw. 1,2 %. Bei Anwendung der RifT werden meistens die Leistungsbilder der HOAI übernommen. Es gibt darin kein Mindesthonorar analog HOAI. Bei Streitigkeiten über die übliche Vergütung finden die RifT-Tabellen breite Akzeptanz, auch in Gerichtsverfahren.

4.14

Honorare für Besondere Leistungen

Die Honorare für Besondere Leistungen können frei vereinbart werden (§ 3 Abs. 3 HOAI), i. d. R. als Pauschale, nach Zeitaufwand oder mit Prozentsätzen des Grundhonorars, analog zu den Grundleistungen nach HOAI.

470

H. Franke et al.

Seit der 6. Novelle der HOAI werden in der HOAI keine Stundensätze für eine Honorierung nach Zeitaufwand mehr genannt. In der Amtlichen Begründung zur HOAI 2009 heißt es dazu unter Abschn. 3.5., „um den Planern mehr Flexibilität bei der Vertragsgestaltung zu ermöglichen“. Die Vertragsparteien sind daher aufgefordert, übliche und auskömmliche Stundensätze zu vereinbaren, die differenziert werden können z. B. für Studentische Hilfskräfte, Bauzeichner, Projektbearbeiter, Projektleiter oder Büroinhaber. Ein Zwischenschritt zur Pauschale ist die Vereinbarung von (vorläufigen) Honorarobergrenzen bei Abrechnung nach Zeitaufwand.

4.15

Ermittlung von Stundensätzen

Auf den Herbsttagungen des AHO wird regelmäßig der Gesamtbericht des Instituts für Freie Berufe (IFB) zur wirtschaftlichen Lage von Ingenieur- und Architekturbüros vorgelegt, etwa am 23.11.2017 für das Jahr 2016. Zum einen wird abgeglichen, ob die Tafelhonorare nach HOAI noch die tatsächlichen Bürokosten decken. Zum anderen werden Methoden zur Berechnung des Bürostundensatzes vorgestellt, mit dem Besondere Leistungen abzurechnen sind. Der Bürostundensatz wird in Abschn. 2.3.29 wie folgt berechnet: Bruttojahresgehalt=12 Monate  Gemeinkostenfaktor  ð1 þ 5 % Wagnis þ 5 % Gewinn  þ 10 % Unternehmerbedarf  =monatliche Arbeitszeit Die Bruttojahresgehälter hängen gem. Abschn. 2.3.11 ab von der Ausbildung und der Berufserfahrung. Im Mittel beträgt das Bruttojahresgehalt 2016 ohne Sozialkassenbeiträge des Arbeitgebers bei mehr als 10 Jahren Berufserfahrung für Ingenieure 60.000 €, Architekten 54.000 € und Technische Mitarbeiter 41.000 €. Gem. Abschn. 2.3.15a ist der Gemeinkostenfaktor abhängig von der Bürogröße, den Fachgebieten und der Rechtsform der Büros. Überschlä-

gig kann ein Gemeinkostenfaktor zwischen 2,5 und 3,0 angesetzt werden. Für ein größeres Büro mit ca. 80 Mitarbeitern ergibt sich für den Projektbearbeiter, Bauingenieur, 12 Jahre Berufserfahrung, folgender Bürostundensatz: 60:000 €=Jahr  3,0  1 þ 5 % þ 5 %   þ 10 % ÞÞÞ=12 Monate=Jahr =169 Stunden Monat ¼ 106;51 €=Stunde: Analog beträgt der Bürostundensatz für einen Technischen Mitarbeiter mit 41.000 € Jahresgehalt 72,78 €/Stunde.

4.16

Anwendung der AHO-Schriften

Der Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung e. V. (AHO) hat in mehreren Arbeitskreisen eine umfangreiche Schriftenreihe mit 38 Heften (Stand Mai 2020) entwickelt, in der u. a. Arbeitshilfen zur Anwendung der HOAI gegeben werden, aber auch für in der HOAI nicht behandelte Leistungen. Die nachfolgenden Erläuterungen geben hierzu einen Überblick. In folgenden Heften wird die Anwendung der HOAI erläutert: • Heft 1: Planen und Bauen im Bestand – Arbeitshilfen zur Bestimmung der anrechenbaren Kosten aus mitzuverarbeitender Bausubstanz und des Zuschlags für Umbauten und Modernisierungen, Oktober 2018. • Heft 36: Bewertungsmerkmale für die Ermittlung der Honorarzone in der Bauleitplanung, September 2017 Die Hefte 8, 9, 18 und 37 werden exemplarisch hervorgehoben: Heft 8: Untersuchungen zum Leistungsbild und zur Honorierung für den Planungsbereich, „Altlasten“, 2. Aufl. November 2010 Für bisher in der HOAI unzureichend beschriebene Leistungen der Sanierung von Altlasten wurde durch die Fachkommission „Baufeldfrei-

Privates Baurecht

machung/Altlasten“ unter Abschn. 2 Heft 8 ein in vier Leistungsstufen gegliedertes Leistungsbild Altlastensanierung erarbeitet. Dieses gliedert sich in einen Bereich mit Leistungen für frei zu vereinbarende Honorierung und einen Bereich mit Leistungen nach dem Preisrecht der HOAI. Unter Abschn. 3 werden diese Grundleistungen erläutert und unter Abschn. 4 ein Honorarmodell entwickelt, das sich für die frei zu vereinbarende Honorierung am angemessenen Aufwand orientiert (Leistungsstufen Historische Erkundung und Technische Untersuchung). Für die Sanierungsplanung und -überwachung wurde das Leistungsbild Ingenieurbauwerke gem. § 42 HOAI 2009 (jetzt § 43 HOAI) verwendet mit den entsprechenden Tafelwerten. Heft 9: Projektmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft, 5. Aufl., März 2020 Für die in § 31 HOAI 1976 (seit HOAI 2009 nicht mehr enthaltenen) nur unzureichend beschriebenen Leistungen der Projektsteuerung (fehlende Einteilung in Grund- und Besondere Leistungen, fehlende Differenzierung nach Leistungsphasen, fehlende Gliederung nach Handlungsbereichen bzw. Tätigkeitsschwerpunkten) wurde mit den §§ 2 und 6 von der Fachkommission „Projektsteuerung/Projektmanagement“ eine seit 1996 im deutschsprachigen Raum weit verbreitete und angewandte Leistungsbeschreibung und Honorartafel für die Projektsteuerung und auch die Projektleitung geschaffen . Auch öffentliche Auftraggeber schreiben „Leistungen nach AHO-Heft Nr. 9“ EU-weit aus. Das zeugt von der hohen Akzeptanz der AHO-Arbeitshefte auf Seiten der Auftraggeber. Heft 18: Leistungsbild und Honorierung Planungsbereich „Baufeldfreimachung/Rückbau“, 2. Aufl., Oktober 2014 Von der Fachkommission „Baufeldfreimachung/Altlasten“ wurde ferner mit Nr. 18 der Schriftenreihe des AHO (AHO Nr. 18 2014, 2. Aufl.) unter Abschn. 3 ein in vier Leistungsstufen gegliederter Leistungskatalog für Planer- und Gutachterleistungen bei der Baufeldfreimachung und Rückbau erarbeitet. Unter Abschn. 5 wird die Honorierung von Planungsleistungen bei der Baufeldfreimachung nach HOAI vorgeschlagen. Maßgeblich ist gem. Abschn. 5.2.4 für Planungs-

471

leistungen für den Rückbau von Gebäuden die Honorartafel § 34, für Leistungen für Ver- und Entsorgungsnetze § 44, für Verkehrsanlagen § 47 und für Freianlagen § 39 HOAI. Gem. Abschn. 5.3 sind von den anrechenbaren Kosten unabhängige Leistungen nach Zeitaufwand abzurechnen (Beratung zur Bedarfsplanung, Planung vorbereitender Maßnahmen, örtliche Bauüberwachung). Heft 37: Konfliktmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft, 1. Aufl., März 2018 Der gleichnamige AHO-Arbeitskreis ist interdisziplinär zusammengesetzt und besteht aus Richtern, Fachanwälten für Baurecht, Bausachverständigen und Universitätsprofessoren für Bauwirtschaft und Baubetrieb, die z. T. Mitglieder der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS), der Deutschen Gesellschaft für Baurecht (DGfB) und der Deutschen Gesellschaft für Außergerichtliche Streitbeilegung in der Bau- und Immobilienwirtschaft (DGA-Bau) sind. Behandelt werden Leistungen der Fachanwälte für Baurecht und der Bausachverständigen a) als Prozessbegleiter bei der Öffentlichkeitsbeteiligung (nicht zu verwechseln mit dem Leistungsbild Bauleitplanung) b) als Streitlöser in der Projektabwicklung c) als Berater der am Streitlösungsverfahren (außergerichtlich oder gerichtlich) beteiligten Parteien und Das Leistungsbild Öffentlichkeitsbeteiligung ist in sechs Projektstufen gegliedert: 1. Raumordnungsverfahren/Bauleitplanung 2. Bedarfsermittlung bis Freigabe der Finanzierung für die Planung (vor Lph. 1 bis Lph. 2) 3. Entwurfsplanung (Lphn. 2 bis 3) freiwillige, konsultative Bürgerbeteiligung 4. Genehmigungsverfahren/Planfeststellung (Lph. 3 bis Lph. 4) 5. Ausschreibungs- und Bauphase (Lphn. 5 bis 8) 6. Eröffnung und Betriebsphase (Lph. 9 und später) Die Teilleistungen werden folgenden Handlungsbereichen zugeordnet:

472

A. Beratung Auftraggeber intern, B. Öffentlichkeit informieren, C. Mit Öffentlichkeit arbeiten, D. Auftraggeber bei Umsetzung unterstützen und E. Wiederholung/Dokumentation Die Verfahren der außergerichtlichen Streitbelegung und ihre Kombinationen sind vielfältig. In Deutschland haben sich vor allem fünf Verfahren vorrangig etabliert (Mediation, Schlichtung, Adjudikation, Schiedsgutachten und Schiedsgericht). Für diese Streitlöserverfahren wurden Leistungsbilder entwickelt. Diese sind zeitlich in vier Konfliktlösungsstufen untergliedert, 1 Konfliktprävention, 2 Vorbereitung Konfliktbearbeitung, 3 Konfliktbearbeitung und 4 Konfliktnachbehandlung. Diese Untergliederung soll eine stufenweise Beauftragung sowie Teilbeauftragung ermöglichen. Die Leistungen der Öffentlichkeitsbeteiligung sollten fast immer nach Stundensätzen abgerechnet werden. Beratungsleistungen der Parteivertreter in der Öffentlichkeitsbeteiligung werden überwiegend von Sachverständigen und Rechtsanwälten erbracht. Es sind folgende Stundensätze marktüblich: Parteivertreter (Rechtsanwalt): 150 € bis 350 € Privatsachverständige: 150 € bis 350 € Der Streitlöser soll nur nach Eingang der Vorschusszahlungen der Parteien tätig werden. Der Streitlöser muss dazu regelmäßig prüfen, ob die geleisteten/angeforderten Vorschusszahlungen der Parteien noch ausreichen. AHO-Heft 37 enthält Untersuchungen für Stundensätze. Die Stundensätze orientieren sich zum einen an der Höhe des Streitwerts, aber auch an den Erfahrungen der Streitlöser. Die nachfolgenden Stundensätze bilden einen Konfidenzbereich von 95 % ab: • Streitlöser: 250 € bis 450 € sowie vom Streitlöser beauftragte technisch-wirtschaftliche und juristische Sachverständige: 200 € bis 350 € • Für Zuarbeiten/Parteivorträge: Parteivertreter (Rechtsanwalt): 150 € bis 350 €, Privatsachverständige:150 € bis 350 € sowie Architekten/ Ingenieure/Projektmanager: 100 € bis 200 € Die oberen Stundensätze werden auch für DIS-Verfahren angegeben. Sie entsprechen auch denen für Sachverständige bei Abrechnung nach JVEG (2013) bei Beachtung des Justizrabatts und

H. Franke et al.

des Inflationsausgleichs von 2010 (Zeitpunkt der Umfragen für die JVEG-Novelle) bis 2018. Gesamtübersicht In der Schriftenreihe des AHO sind aktuell (Stand 31.03.2019) folgende Veröffentlichungen mit Leistungsbildern/Besonderen Leistungen erschienen, die fortlaufend aktualisiert werden (Tab. 6): Obwohl inzwischen 37 Hefte des AHO vorliegen, sind damit noch nicht alle Besonderen Leistungen abgedeckt. Von der Deutschen Lichttechnischen Gesellschaft e. V. (LiTG) wurde als erste Veröffentlichung mit dem Schwerpunkt „Arbeitspraxis“ im Januar 2019 die LiTG-Publikation 38 „Leistungsbilder Lichtplanung – Teil 1 Tagesund Kunstlicht“ veröffentlicht, deren Aufbau sich an der HOAI 2013 orientiert.

4.17

Vertrags- und Honorarvereinbarungen für BIM-Leistungen

Die Beschreibung des Building Information Modeling (BIM) ist Gegenstand von Abschn. 2.6. Die Leistungsbilder müssen noch erarbeitet werden, u. a. über Förderprojekte des BMVI für Verkehrsprojekte und das BMWi und das BMUB für den Hochbau. Gem. dem Stufenplan Digitales Planen und Bauen des BMVI (Hrsg., 2015) soll BIM schrittweise im Infrastrukturbau und Hochbau als Modell eingesetzt werden. Die Vorbereitungsphase begann 2015, seit 2017 bis 2020 läuft eine Erweiterte Pilotphase mit 4 Projekten des Verkehrswegebaus. Ab 2020 soll BIM für neu zu planende Projekte eingesetzt werden. Weil die aktuelle Fassung der HOAI von 2013 datiert, sind die neuen Planungsleistungen im Zusammenhang mit BIM noch nicht in der HOAI genannt. Im Rahmen des Förderprojektes BIM in Deutschland (BIMiD), gefördert vom BMWI, wurde von den Projektpartnern Fraunhofer IBP und AEC3 Deutschland GmbH ein BIM-Referenz-Bau-Prozess erarbeitet und mit dem BIM-Arbeitskreis im AHO abgestimmt. Der ReferenzBau-Prozess wird mit den tatsächlichen Prozessen bei zwei BIM-Referenzobjekten im Hochbau

Privates Baurecht

473

Tab. 6 Vorhandene Hefte der AHO-Schriftenreihe, Stand März 2019 Heft 1 2 3 4 5 6 7

8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Titel HOAI Planen und Bauen im Bestand – Arbeitshilfen zur Bestimmung der anrechenbaren Kosten aus mitzuverarbeitender Bausubstanz und des Zuschlags für Umbauten und Modernisierungen Leistungsbild und Honorierung Örtliche Bauüberwachung bei Ingenieurbauwerken und Verkehrsanlagen HOAI – Besondere Leistungen bei der Tragwerksplanung, Besondere Leistungen zur HOAI 2013 Teil 4 Abschnitt 1, § 51 mit Anlage 14 Besondere Leistungen bei der Planung von Objekten der Wasser- und Abfallwirtschaft nach Teil 3 Abschnitt 3, § 41 HOAI 2013 HOAI – Entwurf zur Fortschreibung von Teil VIIa – Verkehrsplanerische Leistungen HOAI – Besondere Leistungen bei der Planung von Anlagen der Technischen Ausrüstung nach Teil 4 Abschnitt 2, Anlage 15, Nr. 15.1 HOAI 2013 HOAI Besondere Leistungen bei der Planung von Ingenieurbauwerken nach Teil 3 Abschnitt 3 § 41 Nr. 6 (konstruktive Ingenieurbauwerke für Verkehrsanlagen) und Nr. 7 (sonstige Einzelbauwerke, ausgenommen Gebäude und Freileitungsmaste) HOAI 2013 Untersuchungen zum Leistungsbild und zur Honorierung für den Planungsbereich „Altlasten“ Leistungsbild und Honorierung, Projektmanagementleistungen in der Bau- und Immobilienwirtschaft Leistungsbild und Honorierung GIS-Dienstleistungen, Teil A: Leistungsphase nach GIS-Basissystemen Leistungen Building Information Modeling – Die BIM-Methode im Planungsprozess der HOAI HOAI Arbeitshilfen zur Vereinbarung von Ingenieurverträgen für die Bearbeitung von Generalentwässerungsplänen (GEP) HVA F-StB – Benutzerhinweise zur Verhandlung und Abfassung von Ingenieurverträgen (Straßen- und Brückenbau) HOAI-Tafelfortschreibung, Erweiterte Honorartabellen §§ 20.1, 21.1, 28.1, 29.1, 30.1, 31.1, 32.1, 35.1, 40.1, 44.1, 48.1, 52.1, 56.1, Anlage 1 Abs. 1 und 2 Leistungen nach der Baustellenverordnung (Korrigierter Nachdruck 2013) Untersuchungen zum Leistungsbild und zur Honorierung für das Facility Management Consulting Leistungsbild und Honorierung Leistungen für Brandschutz Leistungsbild und Honorierung Planungsbereich „Baufeldfreimachung/Rückbau“ Leistungsbild und Honorierung Ergänzende Leistungsbilder im Projektmanagement für die Bau- und Immobilienwirtschaft Abgrenzung der Vergütung von Objektplanungsleistungen der Freianlagen zu Ingenieurbauwerken und Verkehrsanlagen nach Teil 3 der HOAI 2009 Interdisziplinäre Leistungen zur Wertoptimierung von Bestandsimmobilien Untersuchungen zum Leistungsbild Interdisziplinäres Projektmanagement für PPP-Hochbauprojekte Wärmeschutz und Energiebilanzierung

Auflage 2.

Datum Oktober 2018

1.

Oktober 2014

5.

März 2017

3.

Juni 2017

2.

März 2018

3.

Mai 2014

2.

April 2015

2. 5.

November 2010 März 2020

1.

Oktober 2017

1.

Januar 2019

2.

Oktober 2014

1. 3.

November 2000 August 2016

2.

März 2011

5.

März 2020

3. 2. 2.

Juni 2015 Oktober 2014 Januar 2018

3.

März 2018

1. 1.

Leistungsbild und Honorierung für die Planung von Lichtsignalanlagen Leistungsbild und Honorierung Leistungen für Baulogistik, Leistungsbild und Honorierung Planungsleistungen im Bereich der Oberflächennahen Geothermie Leistungsbild und Honorierung Umweltbaubegleitung

1. 1. 1.

Juni 2006 November 2006 September 2015 Oktober 2008 März 2011 September 2011 Mai 2018 (Fortsetzung)

2.

2.

474

H. Franke et al.

Tab. 6 (Fortsetzung) Heft 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Titel Leistungsbild und Honorierung Fachingenieurleistungen für die Fassadentechnik Leistungsbild und Honorierung Frei zu vereinbarende Leistungen zum Leistungsbild Objektplanung Freianlagen Leistungsbild und Honorierung Planungsleistungen im Bereich der Tiefen Geothermie Leistungsbild und Honorierung Ingenieurvermessung Anwendbare Fortschreibung der Anlage 1, Nr. 1.4 HOAI 2013 HOAI Besondere Leistungen bei der Planung von Verkehrsanlagen nach Teil 3 Abschnitt 4; § 45 HOAI 2013 Leistungen für Nachhaltigkeitszertifizierung Beispielhafte Betrachtung für das Leistungsbild Objektplanung Gebäude und Innenräume HOAI Besondere Leistungen bei der Objektplanung Gebäude und Innenräume Leistungsbild und Honorierung Vergabe freiberuflicher Leistungen im Bauwesen Bewertungsmerkmale für die Ermittlung der Honorarzone in der Bauleitplanung

Auflage 2. 1.

Datum August 2017 März 2013

1.

Mai 2014

1.

Oktober 2013

1.

April 2015

1.

Februar 2016

1. 2. 1.

Konfliktmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft Architekten- und Ingenieurvertragsrecht - Anwendungshilfe zu Vergütungsfolgen und Verträgen

1. 1.

Januar 2016 März 2018 September 2017 März 2018 November 2019

(Financial Service Braunschweig und OfficeCenter Pionierkaserne Ingolstadt) abgeglichen, praktisch erprobt und ggf. weiter angepasst. Der BIM-Referenz-Bau-Prozess baut auf den Leistungsbildern und Leistungsphasen der HOAI auf. Vorgeschaltet ist eine „Phase 0 – Strategische Planung, Bedarfsformulierung.“ Beschrieben werden die Leistungen der an der Planung Beteiligten (Objekt- und Tragwerksplaner, Planer Technische Ausrüstung, Sonderfachleute, Bauunternehmen, BIM-Manager, Bauherr, Behörden). Inzwischen liegt auch die Veröffentlichung „BIM für Architekten Leistungsbild, Vertrag, Vergütung“ (2017) als Empfehlung der Bundesarchitektenkammer vor. http://www.aknw.de/ fileadmin/user_upload/Publikationen-Broschue ren/BIM-BAK-Broschuere-WEB.pdf. Auf Seite 7, Einführung, wird klargestellt, „dass diese Vorschläge keine inhaltlichen Änderungen zum [..] Leistungsbild der Objektplanung nach der HOAI begründen wollen. [..] In welcher Form Architektenleistungen erbracht werden, ob mit Zeichenstift, 2D-Werkzeugen oder mit der BIMArbeitsmethode, ist hierfür grundsätzlich gleichgültig. Wohl können sich durch zusätzliche Anwendungen besondere Anforderungen ergeben, die dann aber nur im Rahmen vereinbarter Besonderer Leistungen bearbeitet werden müssen.“ Das Leistungsbild der Objektplanung Ge-

bäude, Anlage 10.1 HOAI, wird deshalb auf Seite 11 bis 21 erweitert um die besonderen Anforderung von BIM. Auf Seite 30 bis 40 werden die Besonderen Leistungen für die Planung mit BIM erläutert. Es wird fast immer empfohlen, die Besonderen Leistungen nach Zeitaufwand zu honorieren (vgl. auch Seite 77 bis 79). Auf S. 71 wird betont, dass die Anpassung der Ausführung an das tatsächlich Gebaute in „as-built-Stand“ in keinem Fall eine Grundleistung des Architekten sei. Die „as-built-Modelle“ nutzen die Lebenszyklusbetrachtung der Gebäude. Es wird dafür die Abrechnung nach Zeitaufwand empfohlen. Analog fallen auch bei den Fachplanern Besondere Leistungen bei der Planung mit BIM an, die nach Zeitaufwand vergütet werden sollen. Neu sind die Leistungen des BIM-Managers als Teilleistung des Projektsteuerers und des BIM-Koordinators (wenn nicht vom Architekten übernommen), vgl. Abschn. 2.6. Bisher werden die Leistungen meistens nach Aufwand abgerechnet. Dieser Aufwand ist maßgeblich von der Projektlaufzeit abhängig. Die Leistungen und Pflichten des BIM-Managers wurden bereits im Schlussbericht zum Forschungsprogramm Zukunft Bau/BIM-HOAI (2011) des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumentwicklung (BBR) ausgearbeitet, dort in Anlage 3, Vertrags-

Privates Baurecht

muster Vertragliche Bestimmungen über BIM-Leistungen, Abschn. 2.4. In AHO-Heft Nr. 9 (2014) wird das BIMManagement bisher nur am Rande behandelt in Projektstufe 2. Planung, Handlungsbereich B Qualitäten und Quantitäten, als Besondere Leistung „Steuern der Planung bei 3- bis n-dimensionaler Gebäudemodellbearbeitung sowie BIM-Administration.“ Erstmals erschien im Januar 2019 AHO-Heft Nr.11 (2019) Leistungen Building Information Modeling – Die BIM-Methode im Planungsprozess der HOAI.

4.18

Systemverträge der Deutschen Bahn AG

Bei Systemverträgen der Deutschen Bahn mit Ingenieurbüros kommt ein Honorarmodell zur Anwendung, das Aufwandsgrößen für jedes in der Planung mögliche Planungselement zugrunde legt. Dieses Honorarmodell ist unabhängig von Baukosten und zu beplanenden Flächen. Es entspricht den bahnspezifischen Planungsanforderungen, die in der HOAI nur unzureichend berücksichtigt werden. Aufgrund von Erfahrungswerten der Deutschen Bahn sind den zu beplanenden Elementen bzw. Teilleistungen je nach Zeitintensität unterschiedliche Aufwandsgrößen zuzuordnen (Planungseinheiten PE). Die Summe der Planungseinheiten ist das Maß für den Gesamtaufwand des Planungspakets. Umso größer ein Projekt, umso größer sind die Synergien. Deshalb sind in das Honorarmodell Rabattierungen auf die Summe der abzurechnenden PE eingebaut, ähnlich § 11 Abs. 3 HOAI. Für die PE wiederum werden Einheitspreise vereinbart (z. B. 90 €/PE). Anwendungsbereiche: • Planungsleistungen Leit- und Sicherungstechnik (LST; z. B. Signale, Geschwindigkeitsprüfabschnitte, technische Sicherung Bahnübergänge) • Planungsleistungen Telekommunikationsanlagen (z. B. TK-Grundausstattung für Eisenbahnstellwerk-Modul; Neubau Lichtwellenleiter, Neubau Beschallungsanlagen)

475

• Planungsleistungen Elektrotechnische Anlagen (z. B. Bahnübergang-Schalthaus, Energiebereitstellung Oberleitung, Elektronische Weichenheizung Verteilung) • Planungsleistungen Baubegleitende Maßnahmen (z. B. Kabeltiefbau, Signal-brücken mit Fundamenten, Bahnübergänge)

Darüber hinaus können auch Leistungen, die in der HOAI bepreist werden, über PE abgerechnet werden (z. B. Ortstermine, Kostenermittlungen, Bauzeitenpläne).

4.19

Planungsleistungen der bauausführenden Gewerke

Anhand der VOB/B und VOB/C wird deutlich, welche Planungsleistungen vom Planer des Bauherrn/Auftraggebers und welche vom bauausführenden Unternehmen zu erbringen sind. Die vom bauausführenden Unternehmen zu erbringenden Planungen werden nicht nach der HOAI honoriert. Gem. Anlage 10 HOAI, Abschn. 10.1, Leistungsbild Gebäude und Innenräume, ist z. B. die Prüfung der Werkstattzeichnungen von Unternehmen eine Besondere Leistung zu Lph. 5. Gem. § 3 Ausführungsunterlagen, Abs. 1 VOB/B sind „die für die Ausführung nötigen Unterlagen dem Auftragnehmer unentgeltlich und rechtzeitig zu übergeben“. Das sind die Planunterlagen, die das vom Auftraggeber erwartete Bau soll abbilden. Gem. Abs. 5 sind „Zeichnungen, Berechnungen, Nachprüfungen von Berechnungen oder andere Unterlagen, die der Auftragnehmer nach dem Vertrag, besonders den Technischen Vertragsbedingungen, oder der gewerblichen Verkehrssitte oder auf besonderes Verlangen des Auftraggebers (§ 2 Abs. 9 VOB/B) zu beschaffen hat, dem Auftraggeber nach Aufforderung rechtzeitig vorzulegen.“ In der VOB/C mit den ATV wird für die Einzelgewerke geregelt, welche Planunterlagen vom ausführenden Unternehmen für die speziellen Gewerke zu liefern sind. Beispiele:

476

H. Franke et al.

DIN 18331, Betonarbeiten: Gem. Abschn. 4.1.8 sind vertragliche Nebenleistungen „Erstellen von statischen Verformungsberechnungen und Zeichnungen für Hilfskonstruktionen, soweit diese für die eigene Leistung notwendig sind.“ DIN 18335, Stahlbauarbeiten: Gem. Abschn. 3.1.4 hat „der Auftragnehmer auf der Basis der vom Auftraggeber zu übergebenden Ausführungsunterlagen die erforderlichen Herstellungsunterlagen vor Fertigungsbeginn zu erstellen.“ DIN 18379, Raumlufttechnische Anlagen: Gem. Abschn. 3.1.2 hat der Auftragnehmer „nach den Planungsunterlagen und Berechnungen des Auftraggebers die für die Ausführung erforderlichen Montage- und Werkstattzeichnungen zu erbringen . . .“. Die Planungsleistungen der Unternehmer werden nicht über die HOAI abgerechnet. Je nach Gewerk wird die interne Planung mit prozentualen Zuschlägen auf die Baukosten, in Abhängigkeit vom Bauteilgewicht oder nach Zeitaufwand kalkuliert. Besonders für Nachträge ist es wichtig, dass die Planungsleistungen nachvollziehbar kalkuliert werden. Eine Besonderheit ist die Montageplanung bei Großprojekten und im Anlagenbau. Planerteams sind jahrelang tätig (Beispiele: Komplettaustausch Traggerüst Wuppertaler Schwebebahn, Kraftwerksbau, Eisenbahnbau unter lfd. Betrieb). Oft sind es mehrere externe Ingenieurbüros, die als Nachunternehmer für die bauausführenden Unternehmen arbeiten. Allein aufgrund der hohen Baukosten oberhalb der Tafelwerte der HOAI kommt die Honorarabrechnung nach HOAI häufig nicht in Betracht. Es wird nach Zeitaufwand oder Teilpauschalen abgerechnet.

5

Außergerichtliche Streitbeilegung in der Bau- und Immobilienwirtschaft

Claus Jürgen Diederichs und Matthias Sundermeier Es besteht ein dringender Bedarf für die alternative Beilegung von Streitigkeiten in der Bau- und Immobilienwirtschaft bei jährlich mehr als

100.000 (2016) gerichtlichen Streiterledigungen und weniger als 2000 außergerichtlichen Streitlösungen, dies insbesondere auch durch die gesetzlichen Vorschriften des seit dem 01.01.2018 geltenden Architekten-, Ingenieur- und Bauvertragsrechts bei vorläufiger Beibehaltung der Regelungen der VOB/B 2016. Angesichts der Effizienzvorteile außergerichtlicher Streitbeilegung (Zeit- und Kostenersparnis, Vertraulichkeit, Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen, Auswahl kompetenter Streitlöser durch die Parteien selbst) liegt eine wesentliche Ursache für die geringen Fallzahlen neben traditionellen Partikularinteressen an der noch weit verbreiteten Unkenntnis über die Möglichkeiten alternativer Streitbeilegung. Mit der AHO-Schrift Nr. 37 (März 2018) wurde erstmals ein Kompendium mit den verschiedenen Verfahren der Konfliktprävention und außergerichtlichen Streitbeilegung im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung und der Projektabwicklung bei Bauvorhaben vorgelegt.

5.1

Bedarf nach außergerichtlicher Streitbeilegung

Das Planen, Bauen und Betreiben von Hochbauund Infrastrukturobjekten ist mit erheblichen technischen und wirtschaftlichen Risiken verbunden. Dort, wo Bauwerke als ‚Unikate‘ in arbeitsteiliger Projektorganisation erstellt oder bewirtschaftet werden müssen, bleiben Konflikte zwischen den beteiligten Akteuren deshalb nicht aus. Die Quellen solcher Streitigkeiten sind vielfältig und liegen bereits in den gesetzlichen Grundlagen des Planens und Bauens begründet, die angesichts immer komplexerer Projektanforderungen in der Praxis auch nach Aufnahme spezifischer Bauvertragsregelungen in das BGB weithin als unzureichend erachtet werden. In der Rechtswirklichkeit werden Planungs-, Bau- und Betreiberverträge in ihrer Regelungsgestaltung deshalb ganz maßgeblich von den Individualinteressen der Akteure und ihrer individuellen Markt- bzw. Verhandlungsmacht geprägt. Oftmals steht nicht so sehr das Gelingen des gemeinsamen Projekts im Fokus, sondern das

Privates Baurecht

Bestreben einer weitgehenden Überwälzung von Leistungspflichten und Risiken auf die jeweils andere Partei. Wenn hierbei Vertragsbedingungen einseitig diktiert, Risiken verschleiert oder Rechte und Pflichten nicht klar definiert werden, sind spätere Streitigkeiten zwischen den Parteien und damit einhergehende Verzögerungen bzw. Kostensteigerungen des Projekts meist unvermeidlich. Sind zusätzlich auch Belange der Allgemeinheit von einem Bauprojekt betroffen, so potenziert sich die Probleme. Konjunkturell bedingte Marktmachtungleichgewichte zwischen der Nachfrager- und Anbieterseite oder projektfremde Einflussfaktoren wie z. B. ‚politische Kostenaussagen‘ zur Durchsetzung von Bauvorhaben sind hierbei nur ein Aspekt von vielen. Die Konfliktursachen liegen strukturell schon in der Natur der Sache des Planens, Bauens und Betreibens angelegt: Die Leistungsbeziehungen der Parteien beschränken sich nicht auf einen punktuellen Austausch; sie sind vielmehr als Langfristverhältnisse angelegt, in denen die Parteien temporär z. T. beträchtliche Vorleistungen zu erbringen haben. Schon aus der Zeitdimension des Leistungsaustausches heraus lassen sich überdies nicht alle relevanten Gegebenheiten ex ante zutreffend voraussehen. Nahezu bei jedem Projekt sind die Parteien deshalb gefordert, ihren Vertrag an dynamisch veränderliche Umstände anzupassen – seien es unvermutet angetroffene Baugrund- oder Bestandsverhältnisse, außergewöhnliche Witterung und nicht zuletzt Leistungsmodifikationen auf Veranlassung des Auftraggebers. Es liegt auf der Hand, dass die nötigen Vertragsanpassungen nicht selten und besonders dann in Konflikten münden, wenn eine Vertragspartei zur Vorleistung verpflichtet ist und sich deshalb in der schwächeren Verhandlungsposition befindet. Nur folgerichtig zeigt sich die Bau- und Immobilienwirtschaft vor diesem Hintergrund durch eine besondere Streithäufigkeit und hohe Streitintensität geprägt: Nach Schätzungen folgt in der Praxis auf knapp ein Drittel aller Konflikte eine gerichtliche Auseinandersetzung der Beteiligten – in der vergangenen Dekade waren deshalb jährlich bei den deutschen Zivilgerichten jeweils über

477

100.000 (2016) Verfahren in Bau- und Architektensachen anhängig. Dennoch sind die Beteiligten weit verbreitet unzufrieden mit der Leistungsfähigkeit der staatlichen Ziviljustiz für die Lösung von Baustreitigkeiten: Nach empirischem Befund wird der Gerichtsweg von den Streitparteien mit jeweils großer Mehrheit als zu langwierig, zu aufwändig in der Prozessbegleitung, zu teuer und letztlich als zu wenig prognosesicher eingeschätzt. Neben justizstrukturellen Problemfeldern wie der oftmals fehlenden Spezialisierung der Gerichte in Baukammern und -senaten und verfahrensrechtlichen Herausforderungen liegt ein ganz wesentlicher Grund hierfür in der hohen technischen und organisatorischen Komplexität des Konfliktstoffs. Streitfälle in Bau- und Architektensachen betreffen zumeist eine Vielzahl von Beteiligten mit eigenem Kenntnishorizont, individuell abzugrenzenden Verantwortlichkeiten und heterogener wirtschaftlicher Stärke. Die staatliche Gerichtsbarkeit stößt mit den ihr verfügbaren Methoden hier oft an ihre Grenzen – schon heute werden deshalb viele Entscheidungen faktisch weniger vom erkennenden Richter als von gerichtlich bestellten Sachverständigen beeinflusst. Alternative Verfahren erscheinen angesichts dieser Verhältnisse als eine Option, Konflikte aus dem Planen, Bauen und Betreiben von Bauobjekten deutlich schneller, kostengünstiger, weniger aufwändig und schlussendlich auch wirtschaftlich effizienter zu lösen als im Gerichtsprozess. In der Praxis findet sich zu diesem Zweck ein reichhaltiges Angebot außergerichtlicher Verfahren und entsprechender Verfahrensordnungen.

5.2

Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung

Die verschiedenen Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung setzen an unterschiedlichen Punkten in der Konfliktentwicklung an und weichen hinsichtlich ihres Interventionsmaßes, ihrer Eingriffsintensität in den Lösungsprozess und in der Verbindlichkeit der Konfliktlösung z. T. deut-

478

lich voneinander ab. Mit zunehmender Eskalationsstufe erhöht sich ferner das Erfordernis, die Auseinandersetzung mit dem Konflikt aktiv durch Dritte zu steuern und Lösungswege zu kanalisieren (Abb. 3):

5.2.1 Moderation Die Moderation dient in erster Linie der Streitvermeidung und setzt als Instrument zur Problemlösung und Entscheidungsfindung bereits vor Entstehung eines Konfliktes an. Im Beisein eines Moderators wird auf dem Verhandlungsweg vor allem eine Strukturierung des Diskussionsstoffes erreicht und das Auffinden von Lösungsoptionen begünstigt. Die Parteien können hierbei autonom über die Kriterien der Lösungsfindung entscheiden. Der Moderator führt zu diesem Zweck durch die Verhandlung, ohne diese aktiv zu beeinflussen oder gar inhaltlich zu prägen. Ziel ist es, den Verhandlungsverlauf von einer Konfliktsituation weg hin zur Lösungsfindung zu lenken. In einer Erweiterungsform der klassischen Moderation kann der Moderator überdies mit eigenen Impulsen eine Verbesserung der Kommunikation der Parteien fördern. 5.2.2 Mediation Die Mediation zielt auf eine einvernehmliche Streitlösung, die mit den Parteien freiwillig und eigenverantwortlich in einem sachlichen Dialog unter Zutun eines oder mehrerer unabhängiger und neutraler Personen ohne Entscheidungsbefugnis (Mediatoren) erarbeitet wird. Das Verfahren untergliedert sich i. A. in fünf Phasen: • • • • •

Sachverhaltsermittlung, Interessensammlung, Erarbeiten von Lösungsideen, Bewertung der Ideen, Erarbeitung einer Einigung

Abb. 3 Eskalationsstufen der ADR-Verfahren. (Quelle: AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 66)

H. Franke et al.

Die Mediation zeichnet sich als Verfahren insbesondere dadurch aus, dass die Interessen und Motive der Parteien, die nicht zwangsläufig mit ihren Positionen identisch sein müssen, herausgearbeitet und möglichst auf einer gemeinsamen Basis zum Ausgleich gebracht werden sollen (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 63). Eine Konkretisierung des Verfahrensablaufs findet sich in verschiedenen Mediationsordnungen. Darüber hinaus normiert das MediationsG mit den Regelungen der §§ 2 und 3 das Verfahren und den Tätigkeitsrahmen für den Mediator. Es steht den Parteien jedoch grundsätzlich frei, Ablauf und Inhalt des Verfahrens eigenständig zu gestalten und jederzeit einvernehmlich zu verändern, sodass sie zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens die volle Kontrolle über den vom Mediator begleiteten Verhandlungsprozess behalten (AHOHeft Nr. 37 2018, S. 63). Eine Mediation kann sowohl zur Unterstützung eines planungs- und baubegleitenden Konfliktmanagements als auch der ad-hoc-Bewältigung konkret auftretender Konflikte vor und nach Fertigstellung des Bauvorhabens zweckdienlich sein.

5.2.3 Schlichtung Auch das Schlichtungsverfahren basiert auf einer privatrechtlichen Vereinbarung, die dem freien Willen der Parteien entspringt und keinen starren Gestaltungsregelungen unterliegt. Als Grundlage für einen normierten Ablauf können verschiedene Schlichtungsordnungen herangezogen werden. Unter Einbeziehung einer unabhängigen und neutralen dritten Person ohne Entscheidungsbefugnis (Schlichter) wird der Streitstoff mit den Parteien erörtert und eine Lösung erarbeitet. Hierbei nimmt der Schlichter eine aktiv vermittelnde, einigungsorientierte Rolle ein (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 64). Mit dem Schlichterspruch kann er, soweit es die Parteien wünschen, einen konkreten

Privates Baurecht

Lösungsvorschlag unterbreiten, der im Sinne einer Dokumentation des Verfahrensstandes und einer Beurteilung der Rechtspositionen von entscheidungsähnlicher Relevanz ist, jedoch von den Parteien nicht angenommen werden muss (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 64). Die Schlichtung erfolgt zumeist planungs- und baubegleitend durch Einzel-Schlichter und begünstigt mit einer demgemäß zeitnahen Konfliktbeilegung einen ungestörten Projektfortgang.

5.2.4 Adjudikation Wie die vorstehend beschriebenen Verfahren wird auch die Adjudikation individualvertraglich vereinbart und erhält ihren Gestaltungsrahmen im Einzelfall durch Einbeziehung einer entsprechenden Verfahrensordnung. Ein oder mehrere unabhängige qualifizierte Dritte (Adjudikatoren) erörtern hierbei fristgebunden den Konfliktstoff und fällen auf Basis dessen eine vorläufig verbindliche Entscheidung zur Konfliktbeilegung. Der zumeist vor Vertragsschluss gemeinsam bestimmte Adjudikator wird i.A. auf Antrag einer Partei aufgerufen, innerhalb kurzer Verfahrensfristen den Sachverhalt selbstständig unter Einbeziehung der parteilichen Stellungnahmen zu ermitteln und ggf. im Zuge einer oder mehrerer Verhandlungen mit den Parteien abschließend zu erfassen. Dabei kann er sich zur Klärung spezifischer Fach- und Rechtsfragen der Hilfe sachverständiger Dritter bedienen. Das Resultat wird aufgrund der engen Fristen zumeist eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage sein, deren Ergebnis im Regelfall erst nach Projektabschluss auf dem ordentlichen Gerichtsweg einer erneuten Überprüfung unterzogen werden kann. Zunächst wiederum müssen die Konfliktparteien der Entscheidung, ggf. gegen Sicherheitsleistungen, Folge leisten. Ein Adjudikationsverfahren kann unter Aufstellung eines Dispute Adjudication Boards (DAB) vereinbart werden, welches von Beginn an das Projekt begleitet und im Bedarfsfall streitlösend tätig wird. Ein solches Gremium entfaltet zumeist allein durch seine Existenz eine konfliktpräventive Wirkung und kann im Streitfall unverzüglich aktiv werden, da der Kenntnisstand zu den Gegebenheiten des Projektes stetig aktualisiert wird. Alternativ zu diesem sog. ‚Stand-by-

479

Modell‘ können Konflikte im Falle ihres Auftretens auch im Zuge einer Ad-hoc-Adjudikation beigelegt werden. Bei diesem Verfahrensmodell wird der Adjudikator von den Parteien im Einzelfall und ggf. nach den besonderen Umständen des Streitfalls bestellt.

5.2.5 Schiedsgutachten Beim Schiedsgutachten handelt es sich eine spezielle Form des Sachverständigengutachtens, welches sich einer konkreten, abgrenzbaren Sachfrage widmet und als Resultat eine verbindliche Lösung vorgibt, die nur bei offenbarer Unbilligkeit gerichtlich anfechtbar ist. Demgemäß eignet sich dieses Instrumentarium insbesondere für Konflikte, die lediglich Einzelpunkte betreffen oder durch die Abarbeitung solcher sinnvoll reduziert werden können. Bei einem Schiedsgutachten beauftragen die Parteien auf der Grundlage einer Vereinbarung einen gemeinsam ausgewählten Sachverständigen, den strittigen Sachverhalt nach eigener Analyse und Bewertung zutreffend – im Zweifel nach „billigem Ermessen“ gemäß § 317 Abs. 1 BGB (Leistungsbestimmung durch einen Dritten) – für beide Parteien verbindlich und endgültig innerhalb von den Parteien vorgegebener Fristen festzustellen (wörtliches Zitat, AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 66). 5.2.6 Schiedsgerichte Schiedsgerichte fungieren als private Spruchkörper und können individualvertraglich vereinbart werden. Mit einer schiedsgerichtlichen Entscheidung (Schiedsspruch) wird eine endgültige und verbindliche Lösung vorgegeben, die auf einer Stufe mit einem rechtskräftigen staatlichen Gerichtsbeschluss steht und somit vollstreckbar ist. Da mit der Vereinbarung eines Schiedsgerichtsverfahrens bis auf Ausnahmefälle der ordentliche Gerichtsweg ausgeschlossen wird, kommt der Schiedsspruch einem letztinstanzlichen Urteil nahe. Die Verfahrensgestaltung ist grundsätzlich frei und kann durch die Einbindung einer der bestehenden Schiedsgerichtsordnungen unterstützt werden. Gleichermaßen frei können die Parteien die schiedsrichterliche Besetzung wählen, die aus einem Einzelschiedsrichter oder einem Dreiergremium bestehen kann. Der Ablauf eines Schiedsgerichtsverfahrens orientiert sich an

480

einem ordentlichen Gerichtsverfahren, ist jedoch auf eine Instanz beschränkt und gewährt den Verfahrensbeteiligten mehr Verfahrensfreiheit und -flexibiliät.

5.2.7 Kriterien für die Verfahrenswahl Der Entschluss der Parteien für eine alternative Streitbeilegung kann aus zwei Situationen heraus gefasst werden: Entweder kann bereits zu Projektbeginn eine Vereinbarung über die vertragliche Einbindung eines solchen Verfahrens getroffen werden, oder es entscheiden sich die Parteien ggf. erst bei Auftreten einer konkreten Konfliktsituation für diese Option. Je nach Ausgangslage differieren demgemäß auch die Anforderungen an ein Verfahren und die entsprechenden Kriterien zur Verfahrenswahl. Verfahrenswahl zu Beginn der Zusammenarbeit Erfolgt die Auswahl eines Verfahrens zu Beginn einer Zusammenarbeit der Parteien, d. h. ohne speziellen Konflikthintergrund, sind zunächst grundlegende Parameter und Verfahrenscharakteristika von Belang. Die AHO-Schrift Nr. 37 führt diesbezüglich die folgenden Auswahlkriterien auf, die, neben weiteren konfliktspezifischen Aspekten, gleichermaßen die Entscheidung im konkreten Streitfall prägen (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 72–79): • Notwendigkeit der Einbindung Dritter in den Konfliktbeilegungsprozess • Grad der Verbindlichkeit der Entscheidung/des Verfahrensresultats • Vertraulichkeit des Verfahrens • Verfahrensdauer • Verfahrenskosten (Honorar des Streitlösers, ggf. Beweiserhebungskosten, ggf. Kosten für eine juristische Begleitung bzw. anwaltliche Vertretung, interne Aufwendungen) • Eigenverantwortung der Parteien bzw. Maß an Parteiautonomie für den weiteren Konfliktbewältigungsprozess • Verfahrensflexibilität (Wechsel der Sachlage, Erweiterung des Streitstoffs, Einbeziehung Dritter, Austausch des Streitlösers etc.)

H. Franke et al.

Verfahrenswahl im Konfliktfall Erfolgt die Auswahl eines Verfahrens bei Vorliegen eines konkreten Konfliktfalls, wird ergänzend zu den vorstehend aufgeführten Entscheidungsparametern auch der Konflikthintergrund von Belang sein. Neben Art und Gegenstand des Konfliktes sind dann insbesondere der Grad der Eskalation sowie die Konfliktbeteiligten und ihre Interessenslagen bedarfsentscheidend (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 76).

5.3

Hinweise zur Ausgestaltung von Verfahrensordnungen

Die Entwicklung von Verfahrensordnungen schafft den Rahmen für die Anwendung der verschiedenen Konfliktbeilegungsinstrumente, in dem die Parteien sowie alle weiteren Streitbeteiligten agieren können. Zugleich schafft die Verhandlungsordnung eine Grundlage für das Vertrauen in ein Verfahren sowie für die Akzeptanz der letztlich aus dem Verfahren hervorgehenden Konfliktlösung bzw. Streitentscheidung. Unter dieser Zielsetzung bieten verschiedene Institutionen (DGfB, DIS, ARGE Baurecht, Deutscher Baugerichtstag, VdBauImm) Musterverfahrensordnungen an, die den Anwendern zumeist unentgeltlich zur Verfügung stehen. Grundsätzlich sind bei der Ausgestaltung von Verfahrensordnungen im Wesentlichen die nachfolgend aufgeführten Regelungspunkte zu beachten. Dabei sind Interdependenzen der einzelnen Regelungsinhalte zu berücksichtigen (Tab. 7).

5.4

Qualifikation der Prozessbegleiter und Streitlöser

Mit der Benennung und Bestellung eines Prozessbegleiters für die Öffentlichkeitsbeteiligung bzw. eines Streitlösers zur Konfliktbeilegung zwischen den (internen) Projektbeteiligten wird der Grundstein für das weitere Verfahren gelegt. Demgemäß ist der Auswahl des Prozessbegleiters bzw. der (s) Streitlöser(s) besonderes Augenmerk zu schenken. Dies sollte gleichermaßen für eine konfliktfallunabhängige Festlegung zu Beginn einer

Privates Baurecht

481

Tab. 7 Regelungsinhalte für Verfahrensordnungen Regelungspunkt Anwendungsbereich

Auswahl des Streitlösers Verfahrensorganisation

Streitentscheidung

Verfahrensabschluss

Regelungsinhalte • persönlicher Anwendungsbereich: • Akteure des Verfahrens • sachlicher Anwendungsbereich: • Streitgegenstände, Regelungen zur Verfahrenseinleitung (Voraussetzungen und Fristen) • Benennung des Streitlösers: • Benennungszeitpunkt, -befugnisse • Verfahren zur Bestellung des Streitlösers • Wechselwirkungen mit anderen Verfahren • Mitwirkungspflichten der Parteien und ggf. Sanktionen bei Verletzung dieser • Befugnisse der Streitlöser: • Bzgl. der Klärung der maßgeblichen Umstände und ggf. weiterführender Tatsachenermittlungen, bzgl. der Verfahrensleitung, ggf. bzgl. der Setzung von Zwischenfristen und weiterer formaler Anforderungen • Vertraulichkeit des Verfahrens (Öffentlichkeitsausschluss) • Gewährleistung rechtlichen Gehörs: • Rechtzeitiges Inkenntnissetzen der Parteien über Termine, Schriftsätze und weitere relevante Dokumente • Zulässigkeit von Teilentscheidungen • Verfahrens-, Streitlösungs-, Entscheidungsfristen, ggf. Fristverlängerungsoptionen • Entscheidungsmaßstab und Formanforderungen • Kostenentscheidung: • Art, Höhe und Ermittlung der zu berücksichtigenden Kosten, Verteilungsmaßstab für die Kostenentscheidung • Haftung des Streitlösers: • Aufklärungs- und Informationshaftung, ggf. Einigungshaftung, ggf. Spruchhaftung • rechtliche Bindungswirkung der Entscheidung • Stellung von Sicherheiten: • Höhe und Art der Sicherheitsleistungen • Aufhebung der Streitentscheidung: • Widerspruchsform und -fristen • Nutzung erhaltener Informationen: • Weiterverwendungsbefugnisse für nachfolgende Verfahren • Hemmung der Verjährung

Quelle: AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 81–96

Zusammenarbeit wie auch für die Bestellung im Zuge eines Ad-hoc-Verfahrens gelten. Kriterien zur Auswahl eines Prozessbegleiters oder Streitlösers betreffen zum einen dessen Eignung und können zum anderen in Form von Wertungsparametern z. B. im Zuge eines Wettbewerbes zwischen mehreren Anbietern manifestiert werden. Eignungskriterien dienen in erster Linie zur Beurteilung der Fachkunde und ggf. weiterer streitstoffoder verfahrensspezifischer Erfahrungswerte sowie ggf. zu einer Beurteilung auf Basis von Aus- oder Fortbildungsnachweisen. Darüber hinaus sind Unabhängigkeit und Allparteilichkeit essenzielle Anforderungen an den Prozessbegleiter bzw. Streitlöser, der zudem als Persönlichkeit bei allen Konfliktbeteilig-

ten Akzeptanz finden muss. Elementar ist außerdem eine Überprüfung seiner Leistungsfähigkeit – der Prozessbegleiter bzw. Streitlöser muss hinreichende, bedarfsgerechter Kapazitäten bereithalten und im konkreten Streitfall auch zeitlich verfügbar sein. Wertungskriterien können insbesondere die persönlichen Fähigkeiten des Prozessbegleiters bzw. der Streitlöser betreffen oder auf individuelle Verfahrenskonzepte für den konkreten Anwendungsfall abzielen. Überdies dürfte stets auch die Vergütung entscheidungsrelevant sein. Die Qualifikation eines Prozessbegleiters bzw. Streitlösers lässt sich nach AHO-Schrift Nr.37 grundsätzlich anhand der folgenden Kriterienkataloge bewerten (Tab. 8 und 9):

482

H. Franke et al.

Tab. 8 Qualifikationen der Prozessbegleiter Fachkompetenz

Methodenkompetenz

Sozialkompetenz

fachliche Kenntnisse in Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung bei Industrie- und Infrastrukturprojekten, durch Schulungen oder in langjähriger Erfahrung als Moderator, Mediator oder Kommunikator erworben (Schulungsinhalte vgl. VDI-Richtlinie 7001 Blatt 1) Fähigkeiten zur Erfüllung der in den 4 Phasen der operativen Umsetzung nach VDI-Richtlinie 7000 genannten Aufgaben u. a. anhand Beachtung der 10 Grundregeln für gute Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung nach VDI 7001 Abschn. 2.3

Quelle: AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 45–46 Tab. 9 Qualifikationen der Streitlöser Fach- und Branchenkenntnisse

Verfahrenssteuerungsund Ablaufkompetenz

Methodenkompetenz

Sozialkompetenz

hinsichtlich der Vertragsbeziehungen der Konfliktparteien (juristisch) und bzgl. des Konfliktstoffs (technisch-wirtschaftlich) Hinsichtlich Einleitung, Ablauforganisation, Verfahrensgrundsätzen, Rahmenkenntnissen, Ergebnisbehandlung Beherrschen elementarer Kommunikations- und Problemlösungstechniken, ggf. verfahrensspezifische Methodenkenntnisse Soft Skills z. B. für den Umgang mit schwierigen Parteien

Quelle: AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 100–104

5.5

Vertragsvereinbarungen zwischen den Parteien zur Einbeziehung von Prozessbegleitern bzw. Streitlösern

Bei der Konzeptionierung der vertraglichen Einbeziehung von Prozessbegleitern bzw. Streitlösern sind die Parteien im Rahmen der allgemeinen

gesetzlichen Regelungen grundsätzlich frei in der Ausgestaltung der Inhalte. Um bestehende Gesetzeslücken zu schließen, sind spezifische Vereinbarungen insbesondere hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Verfahrensbeteiligten zu integrieren. Als Orientierungshilfe für dieses Unterfangen enthält die AHO-Schrift Nr. 37 Leitfäden für die Entwicklung von Verträgen zwischen den Parteien zur Einbeziehung von Prozessbegleitern bzw. Streitlösern (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 47–53 und 105–108). Sowohl für die Beteiligung von Prozessbegleitern als auch von Streitlösern sind demnach bei der Ausgestaltung des vertraglichen Rahmens insbesondere die folgenden Punkte zu berücksichtigen: • Präambel und allgemeine Projektbeschreibung, Vertragsbestandteile • Benennung der Vertragsparteien und des Verfahrens sowie des Verfahrensgegenstands und der -zielsetzung • Festlegung der Verfahrensgrundsätze, Einbeziehung einer konkreten Verfahrensordnung • Bezeichnung der am Verfahren beteiligten Institutionen/Personengruppen und deren vertretungsberechtigter Personen • Festlegung darüber, ob als Prozessbegleiter bzw. Streitlöser eine Person oder ein Team beauftragt wird, bzw. durch welche Institution ggf. eine spätere Benennung erfolgt • Festlegung bzgl. der Möglichkeit fachkundige Dritte und Sachverständige hinzuzuziehen, ggf. Regelung zur Kostentragung durch die Parteien • zeitlicher Rahmen des Verfahrens, Kündigungsoptionen • dilatorischer Klageverzicht zur Unterbindung des Anrufens eines staatlichen Gerichts für die Zeit des Verfahrens • Ort des Verfahrens, Gerichtsstand, anwendbares Recht, Rangfolgeregelungen, salvatorische Klausel Darüber hinaus sind für die Einbeziehung eines Prozessbegleiters bei der Vertragsgestaltung die folgenden spezifischen Regelungsfelder von Bedeutung (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 47–53):

Privates Baurecht

• Aufgaben, Pflichten und Rechte des Prozessbegleiters: – Leitungsfunktion – Verantwortung für die Einhaltung der vereinbarten Verfahrensprinzipien – Recht, Einzelgespräche mit Verfahrensbeteiligten zu führen – Mitwirkung an der gütlichen Beilegung bestehender Konflikte – Entscheidungsumfang des Prozessbegleiters • Aufgaben, Pflichten und Rechte der Parteien: – Informationspflichten der Parteien gegenüber dem Prozessbegleiter – Einbindung in (behördliche) Verfahren – Zugangsrechte zum Projekt – Vertraulichkeits- und Verschwiegenheitspflichten über Inhalt/Stand des Verfahrens – Verzicht der Parteien auf präjudizierende Maßnahmen – Pflicht, keine mit dem Verfahren befassten Personen für Tatsachen, die im Verfahren bekannt werden, in einem späteren Verfahren als Zeugen zu benennen – Verpflichtung, im Rahmen des Verfahrens getroffene Vereinbarungen zu (vorläufigen) Maßnahmen unverzüglich einzuhalten – Pflicht, die vereinbarten Informationswege und -mittel einzuhalten – Beachtung der Vertraulichkeit von als „vertraulich“ gekennzeichneten Unterlagen • Honoraranspruch des Prozessbegleiters einschließlich entsprechender Kostenübernahmeregelungen • formale und organisatorische Vorgaben zu Ortsterminen, Verhandlungen etc. im Zuge des Verfahrens • ggf. Regelungen zur Einrichtung von Arbeitskreisen/Projektgruppen • Teilnahmeverpflichtungen konkreter Funktionsträger • Voraussetzungen für das Ausscheiden von Parteien/Beteiligten • formale Anforderungen an die Verfahrensgestaltung • Art und Umfang der Dokumentation des Verfahrens • Vorgaben für die Informationsweitergabe an Presse und Öffentlichkeit

483

Wiederum erfordert die Einbeziehung eines Streitlösers in die Vertragsvereinbarungen zwischen den Parteien sowohl hinsichtlich der parteilichen Pflichten als auch bezüglich der Kostenregelungen die nachstehend aufgeführten spezifischen Regelungsinhalte (AHO-Heft Nr. 37, 2018, S. 105–108): • Aufgaben, Pflichten und Rechte der Parteien: – Informationspflichten der Parteien gegenüber dem Prozessbegleiter – Zugangsrechte zum Projekt – Vertraulichkeits- und Verschwiegenheitspflichten über Inhalt und Stand des Verfahrens – Pflicht, keine mit dem Verfahren befassten Personen für Tatsachen, die im Verfahren bekannt werden, in einem späteren Verfahren als Zeugen zu benennen • Verfahrenskosten sowie ggf. entsprechende Kostenübernahmeregelungen, ggf. Kostenvorschussregelung • Möglichkeit eines vollstreckbaren Anwaltsvergleichs als streitbeendende Vereinbarung • Einleitung eines (Schieds-)Gerichtlichen Verfahrens für den Fall eines Scheiterns des ADR-Verfahrens • Hemmung der Verjährung aufgrund des laufenden Verfahrens

5.6

Vertragsvereinbarungen der Parteien mit den Prozessbegleitern bzw. Streitlösern

Der Vertrag zwischen den Parteien und dem unparteiischen Dritten – dem Prozessbegleiter bzw. Streitlöser – muss zunächst grundsätzlich die Vereinbarungen aufnehmen, die die Parteien bereits untereinander für das Verfahren und die Verfahrensgestaltung geschlossen haben. Für die Ausgestaltung der erforderlichen Regelungen bestehen im Rahmen der Vertragsfreiheit weitreichende Spielräume. Die AHO-Schrift Nr. 37 bietet interessierten Anwendern deshalb Orientierungshilfen für die Vertragsgestaltung. Analog der Vertragsvereinbarung zur Einbeziehung des Prozessbegleiters bzw. Streitlösers

484

sind demnach neben einer Präambel, einer allgemeinen Projektbeschreibung und Angaben zu den Vertragsparteien und Vertragsbestandteilen einige grundlegende Regelungen zur Art, zum Gegenstand und zu den Zielsetzungen des Verfahrens zu treffen (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 53–56 und 108–110). Darüber hinaus wird empfohlen, Verfahrensgrundsätze festzulegen, die Einbeziehung einer konkreten Verfahrensordnung zu regeln sowie die Bezeichnung der am Verfahren beteiligten Institutionen bzw. Personengruppen und deren vertretungsberechtigter Personen klarzustellen. Im Speziellen sind für die Beauftragung eines Prozessbegleiters im Speziellen darüber hinaus folgende Vertragsinhalte zu berücksichtigen (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 53–56): • Umfang der Verfahrensleitung durch den Prozessbegleiter und ggf. Vertretungsbefugnisse diesbezüglich, Recht auf Einbindung weiterer Prozessbegleiter/Fachleute • Aufgaben, Pflichten und Rechte des Prozessbegleiters (analog den Vertragsvereinbarungen zur Einbeziehung des Prozessbegleiters) • Zeugnisverweigerungsrecht des Prozessbegleiters, seiner Mitarbeiter sowie beigezogener fachkundiger Dritter • Honorarregelungen: Art, Höhe und Grundlage der Vergütung, ggf. Vorschussregelungen, Art und Umfang der Nachweispflichten, ggf. Abrechnungsvorgaben, Haftung der Parteien für Honoraransprüche • Haftung und ggf. Haftungsbegrenzung des Prozessbegleiters • Art und Weise der Kommunikation der Verfahrensbeteiligten, Dokumentation der Ergebnisse, zu beachtende Aufbewahrungspflichten • Kündigung des Vertrags • Ort des Verfahrens, Verfahrenssprache, Gerichtsstand, anwendbares Recht, salvatorische Klausel, Form Über diese Regelungen hinaus muss sich die Ausgestaltung der Vertragsvereinbarungen zur Beauftragung des Streitlösers im Wesentlichen an den vertraglichen Regelungen der Parteien zu dessen Einbeziehung orientieren (vgl. Abschnitt 0). Die vertraglichen Aufgaben, Pflichten und Rechte

H. Franke et al.

des Streitlösers sind mithin um folgende Aspekte zu ergänzen (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 109): • Informations- und Beteiligungspflichten • Verpflichtungen zur Offenlegung bisheriger Beratungs- und Vertretungsverhältnisse mit den Parteien • Verbot, in Angelegenheiten des Verfahrens während und nach Abschluss des Verfahrens für eine der Parteien tätig zu werden (Verpflichtung des Prozessbegleiters zur Unparteilichkeit, Unabhängigkeit, Neutralität) • Pflicht zur Verschwiegenheit (während/nach Abschluss des Verfahrens) Mit der vertraglichen Vereinbarung einer Verfahrensordnung werden weiterführende Bestimmungen zu Verfahrensablauf und -struktur einbezogen, die für die Parteien und den Prozessbegleiter bzw. Streitlöser den vertraglichen um den ordnungsrechtlichen Rahmen erweitern.

5.7

Leistungsbilder

Mit der Formulierung von Leistungsbildern für Prozessbegleiter und Streitlöser sowie Parteiberater findet sich in der AHO-Schrift Nr. 37 ein Katalog an Aufgabenbereichen, der im Ganzen oder in Teilen der vertraglichen Vereinbarung zu Grunde gelegt werden kann und gleichzeitig Transparenz und Honoraraufschluss für alle Verfahrensnutzer, Verfahrensbeteiligten und Verfahrensinteressierten schafft.

Öffentlichkeitsbeteiligung – Prozessbegleiter und Parteiberater Die Tätigkeitsfelder des Prozessbegleiters ergeben sich in erster Linie aus dem Fortschritt eines Projekts und können demnach den Leistungsphasen der HOAI angelehnt werden. Mit Bezug auf die Arbeitsaufgaben der VDI-Richtlinie 7001 und die von Keim (Keim 2015, S. 122) beschriebenen Betätigungskomplexe formuliert die AHO-Schrift Nr. 37 ein Leistungsbild als Vorschlag für die vertragliche Verwendung. Die inhaltliche Struktur orientiert sich am AHO-Heft Nr.9 und umfasst 5.7.1

Privates Baurecht

sechs Projektstufen (mit Bezug zu den Leistungsphasen der HOAI), die wiederum in fünf Handlungsbereiche untergliedert sind (Tab. 10 und Tab. 11): Denselben Projektstufen 1 bis 6 folgt das Leistungsbild für beratende Parteivertreter, wie Rechtsanwälte, Sachverständige, Architekten und Ingenieure, die als externe Dienstleister die Parteien unterstützen (vgl. AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 125–127).

Projektabwicklung – Streitlöser und Parteiberater Die Tätigkeitsbereiche eines Streitlösers unterscheiden sich zwangsläufig in Abhängigkeit vom jeweils angewendetem Streitbeilegungsverfahren. Demgemäß umfasst die AHO-Schrift Nr. 37 differenzierte Leistungsbilder zu den fünf elementaren Konfliktlösungsverfahren (sog. „big five“), die je nach Stand im Streitbewältigungsprozess weiter in vier Konfliktstufen untergliedert werden (Tab. 12): Das Leistungsbild für die fachliche Beratung der Parteien zur alternativen Streitbeilegung während der Projektabwicklung wird in der AHO-Schrift Nr. 37 zunächst in die vorstehenden vier Konfliktlösungsstufen gegliedert, die, wenngleich im Grunde gleichartig, je nach Streitbeilegungsverfahren verschieden ausgestaltet werden können (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 127–128). 5.7.2

5.8

Honorare

485 Tab. 10 Projektstufen der Öffentlichkeitsbeteiligung Projektstufe 1. Raumordnungsverfahren/ Bauleitplanung 2. Bedarfsermittlung bis Freigabe der Finanzierung für die Planung 3. Entwurfsplanung, freiwillige, konsultative Bürgerbeteiligung 4. Genehmigungsverfahren/ Planfeststellung 5. Ausschreibungs- und Bauphase 6. Eröffnung und Betriebsphase

HOAIPhase

vor Lph.1 bis 2 Lph.2 bis 3 Lph.3 bis 4 Lph.5 bis 8 Lph.9 und später

Quelle: AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 112–118 Tab. 11 Handlungsbereiche der Öffentlichkeitsbeteiligung A B C D E

Beratung Auftraggeber intern Öffentlichkeit informieren Mit Öffentlichkeit arbeiten Auftraggeber bei Umsetzung unterstützen Wiederholung/Dokumentation

Quelle: AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 112–118

Tab. 12 Leistungsbilder und Konfliktlösungsstufen der Außergerichtlichen Streitbeilegung Leistungsbilder der „big five“ 1. Mediation 2. Schlichtung 3. Adjudikation 4. Schiedsgutachten 5. Schiedsgericht

Konfliktlösungsstufen 1. Konfliktprävention 2. Vorbereitende Konfliktbearbeitung 3. Konfliktbearbeitung 4. Konfliktnachbehandlung

Quelle: AHO-Heft Nr. 37, 2018, S. 118–125

Wie für die vertraglichen Regelungen von Aufgaben, Pflichten und Rechten der Verfahrensbeteiligten gilt auch für die Ausgestaltung von entsprechenden Honorarvereinbarungen im Rahmen des geltenden Rechts grundsätzlich Vertragsfreiheit. Die AHO-Schrift Nr. 37 empfiehlt in diesem Kontext generell eine Abrechnung nach tatsächlichem Personalaufwand mit ‚markt- und leistungsgerechten‘ Stunden- oder Tagessätzen, die auch Reise- und Wartezeiten einschließen (AHOHeft Nr. 37 2018, S. 143). Für Prozessbegleiter können im Fall einer Beauftragung kleinteiliger Leistungspakete auch Pauschalaufträge in Betracht kommen.

Die Verrechnungssätze umfassen für Prozessbegleiter wie Streitlöser im Wesentlichen direkte Personalkosten aus Gehalt, Soziallöhnen und Sozialkosten sowie indirekte Personalkosten für Geschäftsführung und Sekretariat, ferner Allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn. Hinzu kommen auftragsbezogene Nebenkosten, die entweder als Zuschlag auf die Verrechnungssätze kalkuliert werden oder gegen Nachweis abrechenbar sind. Darüber hinaus können Zuschläge für flexible Arbeitszeiten (z. B. Abend- und Wochenendarbeit) erforderlich sein (vgl. AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 143–144).

486

Die Honorarhöhe bemisst sich in erster Linie an der Qualifikation des beanspruchten Personals (im Sinne der Eignung gemäß Abschnitt 0), für den Streitlöser in der Projektabwicklung ist weiterhin auch die Höhe des Streitwerts als Kriterium heranzuziehen. Vorschusszahlungen sind für Beratungsleistungen der Parteien sowie im Fall einer Beauftragung neutraler, sachverständiger Dritter üblich. Die Vergütung des Prozessbegleiters erfolgt i. d. R. monatlich gegen Stundennachweis, während die Tätigkeit des Streitlösers generell nur auf Basis eines Kostenvorschusses beginnen sollte (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 144). Die Honorarvereinbarungen orientieren sich an bereits bestehenden Vergütungsregelungen und weiterführenden Bestimmungen. Eine Grundlage dafür bieten u. A. die folgenden Empfehlungen (AHO-Heft Nr. 37 2018, S. 145–150): • Honorarempfehlungen nach SOBau und SL Bau • Honorarempfehlungen für DIS-Verfahren • Gesetzliche Regelungen des Gerichtskostengesetzes (GKG) • Gesetzliche Regelungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) • Gesetzliche Regelungen des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes (JVEG) • Honorar für Bereithaltung (=Grundvergütung) • Stundensätze aus der Liste der Mediatoren des VdBauImm • Stundensätze gemäß Fachgruppe öbuv Sachverständige im VBI • Stundensätze aus der AHO-Schriftreihe • Honorar nach Streitwert bzw. Gegenstandswert • Erfolgshonorar für Streitlöser • Nebenkosten • Honorargleitklausel nur bei Vertragsdauern von min. 10 Jahren

Literatur Gesetze/Verordnungen/Vorschriften Architektenkammer Baden-Württemberg, Merkblatt 891 BGB (2018) Bürgerliches Gesetzbuch DIN 276-1:2008-12 Ermittlung und Gliederung von Kosten im Hochbau. Beuth, Berlin

H. Franke et al. DIN 276-1:2018-12 Kosten im Bauwesen. Beuth, Berlin Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) (2017) in der Fassung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das zuletzt durch Artikel 10 Abs. 9 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist GIA (1984) Gesetz zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen HOAI (2002, 2009, 2013) Honorarordnung für Architekten und Ingenieure JVEG (2013) Justizvollzugs- und Entschädigungsgesetz MietRVerbG (1971, 2006) Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen Richtlinie 2006/123/EEG (2006) des Europäischen Parlaments und Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt UWG (2004, 2016) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb VOB/A (2019) Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen VOB/B (2016) Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen VOB/C (2019) Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen

Gutachten BMWi (2012) Aktualisierungsbedarf zur Honorarstruktur der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure. Berlin Institut für Freie Berufe (IFB) zur wirtschaftlichen Lage von Ingenieur- und Architekturbüros für das Jahr 2016, vorgelegt auf der Herbsttagung des AHO e. V. am 23.11.2017

Kommentare AHO e. V. (Hrsg) Schriftenreihe, Nrn. 1 bis 37 BKI Baukosteninformationszentrum (2016) Bildkommentar DIN 276/277, 4. Aufl. Stuttgart Englert K, Katzenbach R, Motzke G (2014) Beck’scher VOB-Kommentar VOB Teil C, 3. Aufl. C.H. Beck, München Franke H, Kemper R, Zanner C, Grünhagen M (2017) VOB Kommentar, 6. Aufl. Werner, Köln Fuchs H, Berger A, Seifert W (2016) Kommentar zur HOAI, 1. Aufl. C.H. Beck, München Ingenstau H, Korbion H, Leupertz S, Wietersheim M (2015) VOB Kommentar Teile A und B, 19. Aufl. Werner, Köln LiTG e. V. (Hrsg) LiTG-Publikation 38 „Leistungsbilder Lichtplanung – Teil 1 Tages- und Kunstlicht“ Locher H, Koeble W, Frik W (2017) Kommentar zur HOAI, 13. Aufl. Werner, Köln Palandt (2018) Beck’scher Kurzkommentar. 77. Aufl

Privates Baurecht Pott W, Dahlhoff W, Kniffka R, Rath H (2006) HOAIKommentar, 8. Aufl. Hubert Wingen, Essen Willenbruch K, Wieddekind K (2017) Vergaberecht Kompaktkommentar, 4. Aufl. Werner, Köln

Bücher und Zeitschriften Diederichs, NZBau (2003) 353–359. Die Vermeidbarkeit gerichtlicher Streitigkeiten über das Honorar nach der HOAI, C. H. Beck, München Franke BauR (2007) 774 ff. Spannungsverhältnis InsO und § 8 Nr. 2 VOB/B – Ende der Kündigungsmöglichkeit bei Vermögensverfall des Auftragnehmers? Güntzer K-H, Hammacher P (2018) Einführung in das Bauvertragsrecht, 1. Aufl. Werner, Köln Keim B (2015) Einvernehmlich planen und bauen. In: Barth/Böhm (Hrsg) Schriftenreihe des Fachmagazins Die Wirtschaftsmediation Kniffka R, Koeble W (2014) Kompendium des Baurechts, 4. Aufl. C.H. Beck, München Motzko C (2017) Festschrift für Prof. Lang (Hrsg: Rasch D, Zacharias M). id-Verlag, Mannheim Oppler PM (2018) Die einstweilige Verfügung im neuen Bauvertragsrecht. In: NZBau. C.H. Beck, München, S 67–72 Schippel R (2016) Vergaberecht Heft 4. Werner, Köln Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, BauR (2017) Heft 10a, Kniffka, Retzlaff BGB § 126b: Abgabe einer lesbaren Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger Weyer F (2000) Auch das Dach einer preisgünstigen Lagerund Produktionshalle muss regendicht sein! In: IBR 2000, S 65; Kommentierung BGH, Urt. v. 11.11.1999 – VII ZR 403/98

487

Links AHO Pressemitteilung vom (2018). http://www.aho.de/ aktuelles/pressemitteilungen.php3 Architektenkammer Baden-Württemberg, Merkblatt 891. https://www.akbw.de BIM für Architekten Leistungsbild, Vertrag, Vergütung (2017) Bundesarchitektenkammer. http://www.aknw. de/fileadmin/user_upload/Publikationen-Broschueren/ BIM-BAK-Broschuere-WEB.pdf. Zugegriffen am 06.02.2019 BIMID-Referenz-Bau-Prozess(2018). http://www.aho.de/ pdf/bim_download_referenzprozess.pdf. Zugegriffen am 06.02.2019 Die Auswirkungen von Building Information Modeling (BIM) auf die Leistungsbilder und Vergütungsstruktur für Architekten und Ingenieure sowie auf die Vertragsgestaltung (2011) BMVI. http://www.bmvi.de/Shared Docs/DE/Anlage/Digitales/bim-auswirkungen-schluss bericht.pdf?__blob=publicationFile. Zugegriffen am 06.02.2019 Kniffka R (Hrsg) (2018) ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht 2018. C.H. Beck, München. Zugegriffen am 06.02.2019 Siemon K (2018) Siemon-Tabellen zur Teilleistungsbewertung der Grundleistungen. www.architektenhonorar.de. Zugegriffen am 06.02.2019 Stufenplan Digitales Planen und Bauen (2015) BMVI. http:// www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/DG/stufen plan-digitales-bauen.pdf?__blob=publicationFile. Zugegriffen am 06.02.2019

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik Christoph Motzko, Eberhard Petzschmann, Holger Kesting, Manfred Helmus, Peter Böttcher, Marco E. Einhaus, Hendrikje Rahming, Olaf Leitzbach, Dietrich Stein, Robert Stein und Jörg Fenner

Inhalt 1 Baustellenorganisation, Baustellenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 2 Arbeitsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 3 Baustelleneinrichtung, Arbeitsschutz und Unfallverhütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 4 Traggerüste, Schalungen, Arbeits- und Schutzgerüste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 5 Bauverfahren und Maschineneinsatz im Hoch- und Tiefbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 6 Baulogistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 7 Leitungsbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 8 Halboffene Bauweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610

Abkürzungen

DIN

DIN-Norm (DIN Deutsches Institut für Normung) DN Nennweite eines Rohres EN Europäische Norm VOB Verdingungsordnung für Bauleistungen

C. Motzko (*) · J. Fenner Institut für Baubetrieb, Technische Universität Darmstadt, Darmstadt, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] E. Petzschmann Baubetrieb und Bauwirtschaft, BTU Cottbus, Dortmund, Deutschland E-Mail: [email protected] H. Kesting · M. Helmus Lehr- und Forschungsgebiet Baubetrieb und Bauwirtschaft, Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]

1

Baustellenorganisation, Baustellenmanagement

1.1

Allgemeines

Holger Kesting und Manfred Helmus

P. Böttcher Baubetrieb und Baumanagement, htw saar, Saarbrücken, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. J. Diederichs, A. Malkwitz (Hrsg.), Bauwirtschaft und Baubetrieb, Handbuch für Bauingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27916-5_13

489

490

Um die von der Unternehmensleitung gesteckten Ziele auf den Baustellen in die Tat umzusetzen, bedarf es einer entsprechenden Organisation dieser vorübergehenden Fertigungsstätten. Die Organisation setzt sich aus der Aufbauorganisation und der Ablauforganisation zusammen. Die Aufbauorganisation gibt im Wesentlichen an, welche Stellen es in der Organisation gibt, welche Aufgaben diese Stellen zu erfüllen haben und wie diese Stellen mit den anderen Stellen innerhalb der Organisation zusammenarbeiten. Dagegen gibt die Ablauforganisation an, wann und wie bestimmte Aufgaben zu verrichten sind, d. h. nach welchem Schema Prozesse innerhalb der beschriebenen Organisation abzulaufen haben. Die Aufbau- und die Ablauforganisation der typischen Baustelle sind nach wie vor hierarchisch geprägt; sie werden im Folgenden beispielhaft beschrieben. Eine besondere Situation entsteht auf vielen Baustellen dadurch, dass es nicht nur ein Bauunternehmen mit einer in sich geschlossenen, konsequenten Aufbauorganisation gibt. Hier gibt es häufig zusätzlich mehrere Nachunternehmer, Nebenunternehmer oder Partner einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE). Diese zusätzlichen Unternehmen, mit ihren eigenen spezifischen Interessenlagen, bringen auch ihre eigenen Aufbauorganisationen mit ein. Hierdurch entstehen gegenseitige Behinderungen, und das führt wiederum zu einem ganz erheblichen Potenzial an Verlustquellen.

M. E. Einhaus Fachbereich Bauwesen, Sachgebiet Hochbau, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V., München, Deutschland E-Mail: [email protected] H. Rahming Fachbereich Bauwesen, Sachgebiet Hochbau, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V., Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] O. Leitzbach MEVA Schalungs-Systeme GmbH, Haiterbach, Deutschland E-Mail: [email protected] D. Stein · R. Stein Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, Bochum, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]

C. Motzko et al.

Um aus Sicht der gesamten Baustelle positive Ergebnisse zu erzielen, die auch dem Arbeitsschutz genügen, sind die Aufbau- und die Ablauforganisation der Baustelle so zu gestalten, dass eine ganzheitliche Betrachtungsweise möglich ist.

1.2

Aufbauorganisation der Baustelle

Um Organisationseinheiten mit Hilfe von Beziehungen zu einem hierarchisch gegliederten Organisationssystem zu verbinden, werden Ansätze der Aufbauorganisation angewendet. Über die vertikale Verknüpfung der verschiedenen Hierarchieebenen, auch Stellen genannt, entsteht die als Liniensystem bezeichnete Form der Aufbauorganisation (vgl. Abb. 1). In Abhängigkeit der Baustellengröße und der einzelnen Unternehmensgrößen der Projektbeteiligten variiert die Aufbauorganisation auf Baustellen. Das Liniensystem besteht aus klaren, einheitlichen Weisungsbefugnissen und dem zugehörigen Berichtsweg. Jeder Mitarbeiter weist eine Verknüpfung zu einer direkt übergeordneten Ebene auf. Hierbei erhalten die einzelnen Mitarbeiter von der übergeordneten Stelle die Weisungen. Dies entspricht einem sogenannten Einliniensystem, welches eine klare Festlegung von Anordnungsrecht und Verantwortung aufweist. In der erweiterten Form des Einliniensystems werden neben den zuvor genannten linienförmig angeordneten Stellen vertikal auf gleicher Ebene noch beratende bzw. maximal fachlich weisungsbefugte Stellen angeordnet. Diese beratenden Stellen werden als Stabstellen und somit das System als Stabliniensystem bezeichnet (vgl. Abb. 1). Die Stabstellen beraten den weisungsbefugten Vorgesetzten und entlasten diesen. Oberbauleitung Die Oberbauleitung ist i. d. R. direkt der Geschäftsleitung oder bei größeren Unternehmen mit Niederlassungen den Niederlassungsleitungen als Linienstelle unterstellt. Ein Oberbauleiter betreut meist mehrere Baustellen gleichzeitig. Die betreuten Baustellen verfügen jeweils über eine eigene örtliche Bauleitung, welche der Oberbau-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

491

Abb. 1 Aufbauorganisation der Baustelle als Linien- oder Stabliniensystem

leitung unterstellt ist. Die Oberbauleitung ist für den technischen und wirtschaftlichen Erfolg ihrer betreuten Baustellen verantwortlich. Oberbauleiter und örtliche Bauleitung müssen eine Zusammenarbeit anstreben, bei der sie einander möglichst gut ergänzen. Die Hauptaufgaben der Oberbauleitung sind u. a.: • detailliertes Studium der Baugenehmigung, der Pläne bzw. des Gebäudedatenmodells, des Leistungsverzeichnisses (LV), der Gutachten (Boden-, Brandschutzgutachten etc.) • der Verträge und der sonstigen Unterlagen, • regelmäßige Kontrolle der Kosten- und Leistungssituation (Mitkalkulation) auf den betreuten Baustellen, • bei Abweichungen Erarbeiten von (Gegen-)Steuerungsmaßnahmen gemeinsam mit der örtlichen Bauleitung, • Durchführen von Nachkalkulationen, • Kontrolle des Bauablaufs im Hinblick auf die Einhaltung relevanter Termine, • bei Sonderproblemen ggf. Mitwirkung an der Erstellung von Feinablaufplanungen, • Verhandlungen mit dem Bauherrn und seinen Vertretern, • Vergabeverhandlungen mit Nachunternehmern, • Schriftverkehr von besondere Relevanz, • Vertretung des Unternehmens in einer ARGE. Bauleitung Die Bauleitung ist normalerweise nur für eine Baustelle oder bei sehr großen Baustellen nur für Teilbereiche von Baustellen verantwortlich. Sie

ist als Linienstelle der Oberbauleitung unterstellt. In Unternehmen ohne Oberbauleitung ist die Bauleitung im Sinne des Liniensystems unmittelbar unter der Geschäftsleitung angeordnet. Der moderne Bauleiter muss sich vom Selbstverständnis her als Mitunternehmer im Bauunternehmen verstehen. Er kann durch sein Tun und Handeln den wirtschaftlichen Erfolg einer Baustelle ganz wesentlich beeinflussen. Die Hauptaufgaben der Bauleitung entsprechen bis auf den Detaillierungsgrad denen der Oberbauleiter oder sie arbeiten diesen zu. Die Aufgaben, die darüber hinausgehen, sind u. a.:

• Führen eines Bautagebuches und des gesamten Berichtswesens inklusive Regieberichte, • Erstellen und Führen eines Bauablaufplans, Personaleinsatzplans, • Betriebsleitung der Baustelle, • Überwachen und Prüfen der Qualität der Bauausführung, • Gewährleisten des sicheren Betriebs der Baustelle sowohl nach innen als auch nach außen, • Klären von Personalangelegenheiten auf der Baustelle, • Feststellen und kostenmäßiges Erfassen von Behinderungen sowie Nachträgen, • Erstellen einer separaten Fotodokumentation • Abgleich der dokumentierten (Tagesberichte – Fotodokumentation) Leistungen mit dem Leistungsverzeichnis, • Erstellen von Abrechnungsunterlagen und Leistungsmeldungen,

492

• Durchführen von Aufmaß und Abnahmen sowie Teilabnahmen, • Lösen von Aufgabenstellungen, z. B. mit Nachunternehmern, Nachbarn und Behörden. Polier Die Poliere sind auf den Baustellen häufig die Beteiligten mit dem höchsten Maß an praktischen Fähigkeiten und Erfahrungen. Zusätzlich fungieren sie im Regelfall als unmittelbares Bindeglied zwischen den gewerblichen Mitarbeitern und der Bauleitung. Obwohl sie der Bauleitung faktisch als Linienstelle nachgeordnet sind, ist es unerlässlich für die Bauleitung, ein kooperatives und kommunikatives Verhältnis zu den Polieren zu pflegen. Besonders jüngere Bauleiter oder Bauleiter mit geringer Berufspraxis müssen das Wissen und die Erfahrungen der Poliere für sich erschließen und nutzen. Der Berufsstand der Poliere leidet schon längere Zeit an Nachwuchsschwierigkeiten, die größtenteils aus vermeintlich schlechten Arbeits- und Arbeitsumfeldbedingungen herrühren. Wie der Bauleiter dem Oberbauleiter, so arbeitet der Polier dem Bauleiter zu oder ergänzt dessen Tätigkeiten. Zusätzlich hat er u. a. noch folgende Aufgaben: • Einteilung des Personals, Zuweisung der jeweiligen Arbeiten und ggf. Unterweisung in der Arbeit, • u. U. praktische Mitarbeit, • Überwachen der Tätigkeit der Nachunternehmer und Einweisen neuer Nachunternehmer, • Einmessen und Maßkontrolle bei Bauteilen, • Führen und Kontrollieren der Tages- und Wochenstundenberichte, • Erstellen der täglichen Fotodokumentation. Kolonne Unter einer Kolonne versteht man eine Gruppe von gewerblichen Mitarbeitern, die nach bestimmten Kriterien zusammengestellt ist. Sie realisiert also eine Form von Gruppenarbeit. Die Kolonnen sind dem Polier unterstellt und verfügen meist über einen Vorarbeiter oder einen Sprecher. Die Kolonnen führen die eigentlichen Bauarbeiten aus. In der Regel sind die Kolonnen auf bestimmte Tätigkeiten spezialisiert (z. B. Schalar-

C. Motzko et al.

beiten, Bewehrungsarbeiten). Die Leistungsfähigkeit der Kolonnen hängt neben der vorherrschenden Witterung von dem Können, der Motivation und der Erfahrung der einzelnen Kolonnenmitglieder ab, aber auch sehr stark von deren Zusammenspiel. Die geschickte Zusammenstellung der Kolonnen ist das leistungsprägende Element. Arbeitsvorbereitung, Baukaufmann, Geräteverwaltung und Kalkulation Die Funktionen Arbeitsvorbereitung, Baukaufmann, Geräteverwaltung, Kalkulation und andere Stellen im Unternehmen sind oft als Stabsstellen ausgebildet und sollen die Bauleitung bei den planmäßigen Aufgaben, aber auch bei besonderen Schwierigkeiten unterstützen. Diese Stellen sind meist nicht auf den Baustellen, sondern zentral in der Niederlassung oder der Verwaltung zu finden. Die Aufgaben v. a. der Arbeitsvorbereitung werden in Abschn. 2 beschrieben.

1.3

Berichtswesen

Das Berichtswesen sorgt für die Dokumentation der anfallenden Daten der umzusetzenden Baumaßnahme. Nur wenn das Berichtswesen sorgfältig und korrekt geführt wird und keinen Manipulationen unterliegt, ergeben sich zuverlässige Daten, die einer aussagekräftigen Auswertung zugeführt werden können. Die gebräuchlichsten Elemente des Berichtswesens sind das Bautagebuch, die Tages- und Wochenstunden-, Maschinentages- und Materialberichte sowie die Fotodokumentation. Diese Dokumentationen ermöglichen es, die z. T. sehr komplexen Vorgänge auf der Baustelle bei Bedarf zu rekonstruieren. Das kann z. B. nötig sein bei der Anerkennung von gestellten Nachträgen und erstellten Aufmaßen oder zum Nachvollziehen eines Arbeitsunfalls sowie der Behinderung der Baumaßnahme. Bautagebuch Das Bautagebuch wird täglich geführt und sollte entsprechend EDV-mäßig formalisiert werden. Es muss Angaben enthalten zu

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

• Firmenkopf, Bezeichnung Bauvorhaben, Datum und laufender Berichtsnummer • Wetter, Außentemperaturen, sonstigen äußeren Einwirkungen, • Anzahl der für das Bauunternehmen tätigen Unternehmen, Arbeitskräfte mit Zuordnung zu Qualifikationen (Polier, Facharbeiter etc.), Krankenstand und Einsatz von Leistungsgeräten. • durchgeführte Arbeiten mit Bezug zum Leistungsverzeichnis sowie evtl. Behinderungen oder Qualitätsproblemen, • Besuche und Anordnungen des Bauherrn, seiner Vertreter oder sonstiger Stellen, • Planeingängen, Planungs- bzw. Datenmodelländerungen und Ausführung außervertraglicher Leistungen. Das Bautagebuch wird vielfach dem Bauherrn oder der Bauherrnbauleitung zur Kontrolle und Unterzeichnung/Anerkennung vorgelegt. Es dient als zentrales Kommunikationsmittel zwischen den Baubeteiligten. Tages- und Wochenberichte Die Tages- und Wochenstundenberichte dienen als Grundlage für das Bautagebuch, die Mitkalkulation, Lohnabrechnung, Leistungslohnabrechnungen und für die Nachkalkulationen. Sie müssen besonders korrekt geführt und von den Polieren – Bauleitern geprüft werden. Notwendige Angaben sind: • Firmenkopf, Bezeichnung Bauvorhaben, Datum, Wetter, Außentemperaturen, • Name der beschäftigten Personen und, falls vorhanden, deren Personalnummer, • für jeden einzelnen Beschäftigten die am jeweiligen Tag geleisteten Gesamtarbeitsstunden sowie • eine Aufschlüsselung der im Einzelnen durchgeführten Arbeiten (auf 0,25 h gerundet) mit Bezug zum Leistungsverzeichnis, • für die Erstellung der Leistungslohnabrechnung sind zusätzlich die verwendeten Materialien und Geräte mit den Einsatzdauern zu erfassen, • für die Anerkennung der Leistungslohnabrechnungen sind die Berichte zeitnah, innerhalb von

493

3 Tagen nach erbrachter Leistung, dem Bauherrn oder seinen Vertretern zur Anerkennung und Unterzeichnung in 2-facher Form zu senden Die Tages- und Wochenstundenberichte werden vom Aufsteller abgezeichnet. Maschinen- und Materialberichte Der Maschinentagesbericht unterliegt der gleichen Systematik, jedoch beziehen sich die Angaben auf den Einsatz von Leistungsmaschinen. Die Gesamtstunden werden nach der Art der Arbeit unterteilt, zudem werden die Stunden nach Betriebs-, Wartungs- und Stillstandsstunden aufgeschlüsselt. Der Materialbericht hält Zugang und Abgang von Baumaterialien und Bauproduktionsmitteln auf der Baustelle täglich fest. Es werden sowohl die Zu- und Abgänge von betriebsfremden Firmen als auch des eigenen Unternehmens dokumentiert. Festgehalten werden bei Zugängen der Lieferant und bei Abgängen der Empfänger des Materials, die Lieferscheinnummer, die Bezeichnung des Materials, die genaue Mengenangabe und die Einheit zur Mengenangabe.

1.4

Lohndifferenzierung

Die Gestaltung der Entlohnung ist für die Sicherung eines – möglichst gleichbleibend – hohen Leistungsniveaus auf der Baustelle von besonderer Bedeutung. Grundsätze der Entlohnung müssen immer sein: • gerechte Entlohnung, die vom Entlohnten gut nachvollzogen und verstanden werden kann, und • den Leistungsstand widerspiegelnde Entlohnung. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Leistungs- und Zeitlohn. Beim Leistungslohn ist die Vergütung abhängig von der erbrachten Leistung, während beim Zeitlohn die Leistung keinen unmittelbaren Einfluss auf die Lohnhöhe hat. Hier wird die Anwesenheitszeit auf der Baustelle vergütet. Ein beschränkter Zusammenhang zur durch-

494

schnittlich erbrachten Leistung kann beim Zeitlohn indirekt über außertarifliche Zulagen und die Eingruppierung in bestimmte Lohngruppen hergestellt werden. Beim Leistungslohn unterscheidet man zusätzlich zwischen Akkord- und Prämienlohn. Beim Akkordlohn besteht eine unmittelbare Proportionalität zwischen der erbrachten Leistung, erfasst z. B. über die Menge, und dem erzielten Lohn. Grundvoraussetzung für Akkordlohn ist eine ausreichend große Menge gleichgearteter Arbeiten. Beim Akkordlohn besteht die Gefahr, dass • die Qualität der ausgeführten Arbeiten nicht ausreichend beachtet wird, • nur die eigene Arbeit forciert wird und die ganzheitliche Betrachtung des Baustellengeschehens verloren geht und • die Bauproduktionsmittel übermäßig beansprucht werden. Ein weiteres Problem des Akkordlohns ist die wesentlich aufwändigere Lohnabrechnung und die schwierige und personalpolitisch delikate Ermittlung der Vorgabewerte. Daneben ist die Prämienentlohnung entschieden einfacher in ihrer Anwendung. Bei Erreichen eines vorgegebenen Zieles fällt eine Prämie an, die sowohl fix als auch variabel in Abhängigkeit vom Zielerreichungsgrad sein kann. Denkbare Prämienformen sind: • Mengenprämie für das Erreichen bestimmter Mengenleistungen, • Qualitätsprämien für das Einhalten von Qualitätsstandards, • Betriebsmittelnutzungsprämien für das Unterschreiten bestimmter Stillstandszeiten, • Terminprämien für das Einhalten vorgegebener Zwischen- oder Endtermine. Beide Leistungslohnarten – Akkord- und Prämienlohn – lassen sich bei Einzelpersonen, Gruppen und ganzen Baustellenbelegschaften anwenden. Beim Leistungslohn müssen alle Vorgaben und Randbedingungen vor Ausführung der Arbei-

C. Motzko et al.

ten exakt definiert, von beiden Seiten anerkannt und schriftlich dokumentiert werden.

1.5

Mitarbeiterführung

Auf den heutigen Baustellen ist ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Baustellenbelegschaft durch ausländische Mitarbeiter besetzt. Diese verfügen oft nur über unzureichend deutsche Sprachkenntnisse. Diese Tatsache erschwert die Einführung eines Führungsstiles. Hinzu kommt, dass viele der Beschäftigten auf einer Baustelle organisatorisch den Nachunternehmern zuzuordnen sind und sich daher den eigenen direkten Befugnissen entziehen. Insofern wird der Bauleiter um ein hohes Maß an Improvisation und Sensibilität bei der Führung von Mitarbeitern bzw. der Baustellenbelegschaft nicht herumkommen. Unter Mitarbeiterführung ist vereinfacht ausgedrückt zu verstehen, dass eine Person in irgendeiner Weise auf eine andere Person einwirkt, um ein abgestimmtes Ziel zu erreichen. Anders ausgedrückt bedeutet das: „Führung ist die Art und Weise, wie man sich verhält, wenn man versucht, die Leistung eines Mitarbeiters positiv zu beeinflussen.“ (Fritzsche 2017) Hierbei ist von der Führungsperson bei der Zielformulierung zu beachten, nicht zu definieren, was Mitarbeiter unterlassen sollen, sondern es gilt vielmehr herauszuarbeiten, was sie stattdessen tun sollten. Die abzustimmenden Ziele sind stets positiv zu formulieren. Arbeiten Sie aus, was Sie möchten und nicht, was Sie nicht möchten. Ungeachtet der Zieldefinition und dem Umgang damit, greifen wir auf drei klassische Führungsstile zurück. Führungskräfte, die alleine, in Bezug auf die Formulierung der Ziele wie auch in der Art und Weise des Vorgehens zur Erreichung der Ziele entscheiden, bezeichnet man als autoritär. Führungspersonen, die ihre Entscheidungen auf Basis von vorangegangen Diskussionen mit den Mitarbeitern transparent und nachvollziehbar treffen, benennt man als demokratisch. Die Führungskräfte, die den Weg zu Erreichung des von der Führungskraft definierten Zieles offen lassen, oder auch das Ziel und die Art und Weise der Umsetzung offen lassen, werden als laisserz-faire bezeichnet. Alle drei Führungsstile haben ihre eigenen Vor- und Nachteile,

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

können aber je nach Situation variabel genutzt werden, ohne sich dauerhaft auf einen einzelnen einzulassen. Bei dieser Art der modernen Mitarbeiterführung spricht man vom Situativen Führen, was für die Anforderungen an die heutige Bauleitung unumgänglich ist.

2

Arbeitsvorbereitung

Holger Kesting und Manfred Helmus Man unterscheidet grundsätzlich die Arbeitsvorbereitung des Bauherrn und die des Bauunternehmens. Die Arbeitsvorbereitung des Bauherrn beschäftigt sich damit, alle Randbedingungen für ein geplantes Bauvorhaben so zu gestalten, dass die Bauausführung ohne Störungen beginnen kann. Innerbetriebliche Abläufe der Beteiligten bleiben hierbei unberücksichtigt, während die Arbeitsvorbereitung eines Bauunternehmens sich intensiv mit den innerbetrieblichen Prozessen befasst. Im Folgenden wird die Arbeitsvorbereitung des Bauunternehmens behandelt.

2.1

Prozesse

Um die relevanten Daten und Informationen für den gesamten Bauprozess zusammentragen zu können, ist es unerlässlich, zunächst Prozesse zu beschreiben. Prozesse stellen kompakte Beschreibungen eines Ablaufs vom Anfang bis zum Ende

495

dar. Diese werden im Weiteren durch einzelne Arbeitsschritte näher beschrieben. Für die Darstellung der Informationen im gesamten Bauprozess bedarf es der vorherigen Aufbereitung. Die Zurverfügungstellung und Darstellung von Informationen erfolgt über die Modellierung von Prozessen. Hierbei wird zwischen verschiedenen Blickwinkeln, sogenannten Prozessbetrachtungen, unterschieden. Wir unterscheiden zwischen strategischen und operativen Prozessmodellen (vgl. Abb. 2). Die kompakte Beschreibung eines Ablaufs vom Anfang bis zum Ende wird als strategisches Prozessmodell verstanden. Die Abbildung von Prozessflüssen wird als operatives Prozessmodell interpretiert. Die Prozessmodelle dienen den Beteiligten als Orientierung und Hilfestellung bei der Arbeit. Darüber hinaus bilden sie die Grundlage für Prozessanalysen und können der technischen Prozessumsetzung dienen. Bei dem vorgenannten Prozessfluss differenzieren wir zwischen dem fachlichen und dem technischen Prozessfluss. Der fachliche Prozessfluss beschreibt auf einer rein fachlichen Ebene, unabhängig von den zur Verfügung stehenden technischen bzw. nicht-technischen Hilfsmitteln, die umzusetzende Tätigkeit. Der fachliche Prozessfluss beschränkt sich auf die von Menschen durchgeführten Schritte, wie zum Beispiel die Erstellung einer Bauablaufplanung, Baustellenbelegschaftsplanung etc. Der technische Prozessfluss beschreibt die zu übernehmende Tätigkeit von Maschinen als Ergänzung zu dem fachlichen Prozessfluss.

Abb. 2 Schichtenmodell Prozessmodelle und -flüsse (Kesting et al. 2017)

496

C. Motzko et al.

Ein Prozess lässt sich wie folgt beschreiben und zusammenfassen (vgl. Abb. 3): Übergeordnet wird ein Prozessziel festgelegt. Hierfür werden die nachfolgenden Fragestellungen beantwortet und zusammengefasst: WANN startet der Prozess, WER ist verantwortlich, WARUM wird der Prozess benötigt, WAS wird an Informationen als „Input“ (Voraussetzung) benötigt, WIE kann die Prozessbeschreibung erfolgen, WONACH muss sich gerichtet werden (Mitgeltende Informationen), WOMIT wird der Prozess gestaltet (Hilfsmittel), WAS soll das Ergebnis sein (Output) und WANN endet der Prozess (Kesting et al. 2017). Zu Beginn der Prozesserarbeitung wird ein Input benötigt. Dieser besteht aus den Ergebnissen anderer, ausgearbeiteter Prozesse (Prozessoutputs) oder aus „Mitgeltenden Informationen“. Hierdurch erhalten wir somit Abhängigkeiten der Prozesse untereinander und der Anfang bzw. das Ende eines jeden Prozesses kann genau dargestellt werden.

2.2

Prozess Arbeitsvorbereitung

Das anhaltend hohe Lohnkostenniveau, die hohe Geräteintensität sowie die Komplexität moderner Baustellen machen ein möglichst präzise vorbereitetes und gut geplantes Arbeiten zwingend erforderlich. Was so einleuchtend und selbstverständlich klingt, hat sich aber noch nicht in allen Bereichen

der Bauindustrie und des Baugewerbes durchgesetzt. Besonders in eher handwerklich orientierten kleineren, aber auch in mittelständisch geprägten Bauunternehmen sind häufig Defizite bezüglich eines vorbereiteten Baugeschehens auf Baustellen festzustellen. Im Gegensatz zu anderen Industriezweigen, in denen die Arbeitsvorbereitung schon lange ein fester Bestandteil der Betriebsorganisation und der betrieblichen Prozesse ist, ist die Arbeitsvorbereitung insgesamt noch nicht so ausgeprägt. Stellung der Arbeitsvorbereitung im Bauunternehmen Im Allgemeinen ist die Arbeitsvorbereitung eine Stabsstelle (vgl. Abb. 1), die – wie z. B. auch die Qualitätssicherung – der Geschäftsleitung direkt unterstellt ist. Bei größeren Bauunternehmen mit Niederlassungen wird die jeweilige Niederlassung eine Arbeitsvorbereitung haben, und u. U. wird die Hauptverwaltung über eine zusätzliche Arbeitsvorbereitung verfügen, die bei Sonderfällen oder bei Engpässen der Niederlassungen eingesetzt wird. Für das Funktionieren einer Arbeitsvorbereitung ist es wichtig, dass die sachliche Unabhängigkeit innerhalb des Unternehmens gewahrt bleibt. Die Arbeitsvorbereitung muss zu einem möglichst frühen Zeitpunkt vor der Bauausführung zu folgenden Stellen im Unternehmen engen Kontakt haben:

Abb. 3 Zusammensetzung des Prozesses (Kesting et al. 2017)

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

• • • • •

der Baustellenleitung, der Kalkulationsabteilung, der Maschinen- und Geräteverwaltung, Personalverwaltung, den eingebundenen technischen Abteilungen.

Die Arbeitsvorbereitung muss nicht notwendigerweise eine eigenständige Abteilung sein. Sie sollte in größeren Unternehmen mit schlanker Struktur aufgebaut sein und kann in einem kleinen Bauunternehmen in Personalunion mit einer anderen Stelle, z. B. der Bauleitung, ausgeführt werden. Wichtig ist, dass die Prozesse der Arbeitsvorbereitung klar definiert sind und dass auf deren Einhaltung stringent geachtet wird. Arbeitsvorbereitung des Bauunternehmens Eine systematisch umgesetzte Arbeitsvorbereitung kann in die beiden Hauptbereiche Fertigungsplanung und Fertigungssteuerung aufgegliedert werden. Fertigungsplanung Der Hauptbereich Fertigungsplanung (vgl. Abb. 4) befasst sich im Wesentlichen mit • • • • •

Informationsbeschaffung, der Bauablaufplanung, der Mittelplanung, der Baustelleneinrichtungsplanung und der Dokumentation der Fertigungsplanung.

Hierbei wird das Ziel verfolgt, das Baugeschehen mit ausreichendem Vorlauf so zu planen, dass unter Berücksichtigung der jeweils speziellen Randbedingungen • ein Leistungsmaximum der Baustellenbelegschaft und der eingesetzten Bauproduktionsmittel, • ein Minimum aller auf der Baustelle und in vor- bzw. nachgelagerten Bereichen entstehenden Kosten erreicht wird. Durch eine vorbereitende Planung der Bauausführung ist also ein möglichst reibungsloser, termingerechter und somit ein sich ergebender wirtschaftlicher Bauablauf anzustreben.

497

Die Arbeitsvorbereitung muss für jede Baustelle aufs Neue durchgeführt werden. Darüber hinaus ist sie im Detail auch jeden Tag zu überdenken und mit einem ausreichenden Vorlauf den aktuellen Geschehnissen anzupassen. Bei sorgfältiger Dokumentation der Planungsergebnisse sowie einer optimalen Aufbereitung der gesammelten Daten lassen sich Erfahrungen aus vorhergehenden Bauausführungen auf geplante Objekte übertragen. Fertigungssteuerung Der zweite Hauptbereich der Arbeitsvorbereitung ist die Fertigungssteuerung. Sie soll mit möglichst einfachen Mitteln die Umsetzung der Fertigungsplanung sicherstellen. Bei Abweichungen vom Planungssoll (z. B. durch unvorhersehbare Ereignisse oder Planungsänderungen) muss die vorhandene Fertigungsplanung den neuen Randbedingungen und Verhältnissen so angepasst werden, dass in dieser neuen Situation wiederum das erreichbare Leistungsmaximum sowie das Kostenminimum angestrebt wird.

2.3

Fertigungsplanung

Informationsbeschaffung Der Initialschritt bei der Arbeitsvorbereitung ist das Einholen von wesentlichen Informationen, die für die geplante Bauausführung von Interesse sind. Versäumnisse oder Mängel bei diesem Schritt können u. U. zu nicht mehr korrigierbaren Fehlentwicklungen auf der Baustelle führen. Dies kann gravierende terminliche und wirtschaftliche Auswirkungen nach sich ziehen. Zunächst hat sich die Arbeitsvorbereitung sorgfältig mit dem Studium der Planunterlagen bzw. Gebäudedatenemodelle, des Leistungsverzeichnisses, der Vertragsbedingungen, der zugrunde liegenden Auftragskalkulation sowie des Schriftverkehrs und sonstiger zur Verfügung stehender Unterlagen zu beschäftigen. Diese ersten Schritte können übersichtlich mit Checklisten, Fragebögen oder anderen Formblättern systematisch durchgeführt und aufbereitet werden. Bei einer zugrunde liegenden Prozesslandschaft erhält man hierüber die Möglichkeit der Darstellung aller benötigten Zusammenhänge.

498

C. Motzko et al.

Abb. 4 Aufgaben der Fertigungsplanung

Darauf aufbauend hat eine Baustellenbegehung mit entsprechender Dokumentation (z. B. Fotodokumentation, Begehungsprotokoll etc.) zu erfolgen. Wichtig für die weitere Fertigungsplanung ist es, den Stand und die Vollständigkeit der Ausführungs- und Genehmigungsplanung festzustellen und fortzuschreiben. Ebenso sind die internen Informationen bezüglich des zur Verfügung stehenden Personals, Maschinen, Geräte und am Lager befindlichen Materials zu ermitteln und abzugleichen. In einem weiteren Schritt werden allen Beteiligten, ihre Adressen sowie Kommunikations-

verbindungen dokumentiert, fortgeschrieben und vermittelt (vom Bauherrn bis zum Unfallarzt). Bauablaufplanung Die Bauablaufplanung ist eine der wichtigsten Schritte in der Arbeitsvorbereitung einer Baustelle. Sie umfasst folgende wesentlichen Aufgaben: • Recherche aller den Bauablauf und die Terminsituation betreffenden Randbedingungen, z. B. vom Bauherrn geforderte Anfangs-, Zwischen und Endtermine,

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

• genaue Ermittlung der auszuführenden Leistungsmengen – genaue Ermittlung von Lieferzeiten besonderer Bauteile einschließlich zugehöriger Zeitaufwendungen für die Erstellung von Mustern, Freigaben, Einbindung externer Fachingenieure (Prüfstatiker etc.) • Auswahl der wirtschaftlichsten Bauverfahren, ggf. mit Hilfe eines kalkulatorischen Verfahrensvergleiches, • Festlegen und hinreichend genaues Beschreiben der auftretenden Arbeitsvorgänge, • Bestimmen des Gesamtlohnaufwandswertes aller einzelnen Arbeitsvorgänge auf der Grundlage der auszuführenden Leistungsmengen mit aus der Vergangenheit bekannten Erfahrungswerten oder mit systematisch ermittelten Arbeitszeitrichtwerten (Nachkalkulation) • Festlegen der Reihenfolge der Arbeitsvorgänge, • ggf. Festhalten der Ergebnisse der vorangegangenen Schritte in einem Arbeitsverzeichnis, • Festlegen der Abhängigkeiten der Arbeitsvorgänge untereinander, • Errechnen der Vorgangsdauern mit einer sinnvollen Annahme der Personal- und Gerätekapazitäten sowie Entwickeln des Gesamtbauablaufs.

499

An diesem Gesamtablauf wird überprüft, ob alle Randbedingungen eingehalten werden und ob der Kapazitätsverlauf über die Bauzeit sinnvoll ist. Bei Abweichungen muss mit geänderten Vorgaben iteriert werden (vgl. Abb. 5). Der endgültige Bauablauf kann mit verschiedenen Darstellungsformen optisch aufbereitet werden (vgl. Abb. 6). Je nach Planungshorizont werden Grob-, Mittelund Feinplanung unterschieden. Kapazitätsplanung Bei der Planung der erforderlichen Kapazitäten unterscheidet man im Wesentlichen die Bauproduktionsmittelplanung und die Baustellenbelegschaftsplanung. Bauproduktionsmittelplanung Nach Auswahl der Bauverfahren werden die Anzahl, die Art, die Leistungsfähigkeit, die Dauer des Einsatzes sowie die Einsatzzeitpunkte der Bauproduktionsmittel festgelegt. Hierbei müssen die im Bauzeitenplan vorhandenen Randbedingungen, die Wirtschaftlichkeit und die im Unternehmen zu den jeweiligen Zeitpunkten zur Verfügung stehenden Bauproduktionsmittel berücksichtigt werden.

Abb. 5 Zusammenspiel der Arbeitsplanung und Arbeitssteuerung in der Arbeitsvorbereitung

500

C. Motzko et al.

Abb. 6 Darstellungsformen des geplanten Bauablaufs

Gegebenenfalls ist zu prüfen, ob und inwieweit eine Anmietung von Bauproduktionsmitteln wirtschaftlicher oder aus anderen Gründen sinnvoller ist. Baustellenbelegschaftsplanung Ebenso wird die Belegschaftsstärke in Übereinstimmung mit dem Bauzeitenplan bestimmt. Die Belegschaftsstärke muss einen über die gesamte Bauzeit gesehen sinnvollen Verlauf haben. Im Hinblick auf die verfügbare Baustelleninfrastruktur sollten Belegschaftsspitzen vermieden werden. Hierdurch können gegenseitige Behinderungen auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben. Die gleichen Überlegungen gelten für den Einsatz von Nachunternehmen. Die gegenseitige Behinderung der Nachunternehmer und Einschränkungen z. B. infolge einer zu geringen Anzahl Krane lassen sich schon im Vorfeld vermeiden. Die Belegschaftsstärke über die Bauzeit kann beispielsweise anhand eines Balkenplan sehr anschaulich mit dargestellt werden.

Ausfall von Arbeitskräften Der Ausfall von Arbeitskräften, der Umgang damit sowie die Findung einer geeigneten Lösung ist ebenfalls Bestandteil der Arbeitsvorbereitung. Für eine zielführende Suche nach Lösungen steht an oberster Stelle, Informationen über die Abwicklung der Baumaßnahme einzuholen (vgl. Abb. 7). Eine sauber geführte Baustellendokumentation bildet die Grundlage. Zum einen wird eine Übersicht über die Anzahl sowie der Fehlzeiten der Arbeitskräfte, die für die Baumaßnahme eingeplant wurden, notwendig. Hieraus kann abgeleitet werden, welche Kapazitäten und Qualifikationen aufgrund des Personalausfalls nicht verfügbar sind. Im Weiteren wird der aktuelle Stand der Baumaßnahme dem geplanten Baustellenablauf gegenübergestellt. Hieraus lässt sich die Größe des Zeitpuffers oder der des Rückstandes feststellen. Wird ein ausreichender Zeitpuffer ausgewiesen, kann mit den vorhandenen Ressourcen, unter

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

501

Abb. 7 Ablaufdiagramm zum Vorgehen der Ermittlung fehlender Kapazitäten (Kesting et al. 2017)

dem Ansatz ausreichend vorhandener Qualifikationen, weitergearbeitet werden. Ist der Zeitpuffer nicht ausreichend, oder liegt ein Zeitdefizit vor, sind die benötigten Kapazitäten und Qualifikationen im Detail zu ermitteln. Für den Ersatz der fehlenden Arbeitskräfte stehen drei wesentliche Möglichkeiten zur Verfügung: • Mehrarbeit anordnen • Einsatz von MA anderer Baustellen des Unternehmens • Einsatz von NU-Leistungen Analog kann ebenfalls bei dem Ausfall von Maschinen und Geräten vorgegangen werden. Differenzierte Bauablaufplanung Eine übersichtliche Darstellung und Koordination mehrerer Baustellen bzw. parallel ablaufender Teilabschnitte einer Baustelle sowie die Aufholung von Terminverzug ist unter dem Ansatz einer differenzierten Darstellung der Ablaufplanung umsetzbar. Hierbei unterstützt die 5-Tagesplanung und die darauf aufbauende Wochenplanung. Die differenzierte Bauablaufplanung dient im Sinne der Mitarbeiterführung (vgl. Abschn. 1.5) zum einen der Informationsvermittlung und zum anderen zu einem

Einbinden der Mitarbeiter in die geplanten Abläufe. Hierdurch werden das Vorausdenken der Mitarbeiter gefördert, Terminverzug aufgeholt und Mitarbeiter bzw. Nachtunternehmer besser koordiniert. Die 5-Tagesplanung ist vom Polier zu erstellen und zur Abstimmung an den Bauleiter zu übergeben. Die Darstellung der 5-Tages-Planung hat die aufeinanderfolgenden fünf Arbeitstage zu beinhalten. Die weiteren Informationen, • die Art der auszuführenden Tätigkeiten • die benötigten Mitarbeiter, ggf. mit Namensnennung, in Anzahl und Qualifikation • die benötigten Materialien • die benötigten Maschinen – Geräte • und eine letzte Spalte für Diverses sind ebenfalls ein wichtiger Bestandteil. Bei auftretenden Änderungen/Abweichungen innerhalb der fünf Tage ist die Vorgehensweise für die nächsten Tage aufs Neue durchzuführen. Die Wochenplanung stellt Informationen aus einer Kalenderwoche dar und bedient sich der Grundlageninformationen aus der 5-Tagesplanung und wird durch den (Ober-)Bauleiter erstellt. Hierdurch erhält der (Ober-)Bauleiter einen Gesamtüberblick und kann die vorgenannten Infor-

502

mationen der Fertigungsplanungen übersichtlich zusammenführen. Zur Vermeidung von Fehlinformationen ist die Kalenderwoche als Gültigkeitszeitraum, ähnlich Planindizes, vorzusehen. Die Wochenplanung wird nach der Fertigstellung den Polieren zur Beachtung und Umsetzung zur Verfügung gestellt. Die Auflistung einzelner Bauvorhaben bzw. Teilabschnitte eines Bauvorhabens sollten in Zeilen untereinander erfolgen. Hier sind die Informationen von • • • •

Bauvorhaben Ort bzw. Örtlichkeit Kurztitel der Gesamttätigkeit Beschreibung der geplanten Wochentätigkeit

aufzuführen. In den Feldern der darauffolgenden Wochentagesspalten sind je Zeile die Kolonnennamen, Mitarbeiternamen oder Nachunternehmer mit dem für sie vorgesehenen Beginn dargestellt. Das geplante Ende kann mit einem Verbindungspfeil visualisiert werden. Informationen aus Baubesprechungen wie • Fertigstellungstermine • Bemusterungstermine • Bestelltermine (Vorlaufzeiten für lange Lieferzeiten) • Lieferung/Abholung von Materialien • Lieferung/Abholung von Geräten • Bereitstellung von Planunterlagen • Einsatz von Fremdunternehmen, die nicht Ihrer Koordination obliegen etc. können hier aufgegriffen und den Arbeitnehmern mitgeteilt werden. Baustoffbereitstellungsplanung Die Baustoff- und Bauproduktmengen lassen sich aus den genau ermittelten Leistungsmengen und den zugehörigen technischen Unterlagen zusammenstellen. Die Bereitstellungstermine ergeben sich aus den Bauablaufplänen unter Berücksichtigung der Lieferzeiten sowie der zugehörigen Vorabstimmungen und Freigaben. Bedingt durch die geringen Lagerflächen auf den meisten Baustellen wird bei der Versorgung

C. Motzko et al.

von Baustellen mit Baumaterialien häufig auf das Just-in-time-System zurückgegriffen. Hierbei werden die erforderlichen Baumaterialien in der geforderten Güte und Menge zu einem Zeitpunkt auf der Baustelle angeliefert, der mehr oder weniger unmittelbar vor dem Einbauzeitpunkt der Materialien in das Bauwerk liegt. Dieses Vorgehen setzt ein entsprechendes logistisches System bei den Baustoffzulieferunternehmen voraus. Verzögerungen bei der Materialversorgung oder Qualitätsmängel bezüglich der geforderten Baustoff- und Bauproduktgütern führen auf der Baustelle sofort zu Stillstandszeiten und zu wirtschaftlichen Einbußen. Die Auswahl der Baustofflieferanten darf also keineswegs nur unter Preisgesichtspunkten geschehen. Die Qualitätseinhaltung und die Termintreue müssen als weitere Auswahlkriterien einfließen. Sie werden von den Qualitätsmanagementsystemen genauso gefordert und lassen sich über systematisch dokumentierte Lieferantenbewertungen festhalten. Informationsplanung Ein wesentlicher Gesichtspunkt der Fertigungsplanung, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist die Informationsplanung. Hierzu ist zunächst eine umfassende, gesamtheitliche EDV-Lösung zur Erfassung und Verarbeitung des umfangreichen Datenmaterials zu finden. Anstreben sollte man hierbei eine Vernetzung der am Baugeschehen beteiligten innerbetrieblichen und externen Stellen. Als Konsequenz ergibt sich zwingend die Notwendigkeit, den Informationsfluss möglichst effizient und umfassend zu planen und als Prozessdiagramm (vgl. Abschn. 2.1) zu modellieren. Dies beinhaltet auch die Planung des Bedarfs an Zeichnungen und deren Fluss zwischen den Beteiligten. Jedoch sollte bei allen Informationssystemen als wichtiger Grundsatz gelten, gerade so viel Information wie nötig in Umlauf zu bringen und auch nur an die Beteiligten zu verteilen, die diese sinnvoll einsetzen können. Baustelleneinrichtungsplanung Die Baustelleneinrichtungsplanung ist auch eine der wesentlichen Säulen der Arbeitsvorbereitung. Im Gegensatz zu anderen Industriezweigen gibt es in der Bauindustrie kaum stationäre Ferti-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

gungen ihrer Produkte. Bei jeder neuen Baustelle muss also die Frage nach der Einrichtung dieser vorübergehenden Fertigungsstätte gestellt werden. Der wirtschaftliche Erfolg einer Baustelle hängt in hohem Maße von einer effizienten Baustelleneinrichtung ab. Dokumentation der Fertigungsplanung Die Dokumentation der Ergebnisse der Fertigungsplanung verfolgt zwei Ziele: Zum einen sollen die Planungsergebnisse allen Beteiligten in möglichst überschaubarer Form zugänglich gemacht werden, und zum anderen sollen die Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Bauausführung unabhängig von zu diesem Zeitpunkt eingesetzten Personal für künftige Projekte nutzbar gemacht werden. Die wichtigsten Dokumentationshilfen und ihre jeweilige Bedeutung sind • Fotodokumentationen, Protokolle, Aktennotizen, Schriftverkehr, • Bauablaufpläne, Arbeitsverzeichnisse, • Bereitstellungs- und Mittelpläne, • Personalkapazitätsverlauf (in Bauablaufplanung integriert) und Zahlungsplan (Liquiditätsplanung), • Geräteliste, • Baustelleneinrichtungsplan. Diese Unterlagen sowie die Ergebnisse der Fertigungssteuerung (z. B. Soll/Ist-Vergleiche, Mitkalkulationen, Nachkalkulationen, Arbeitssystemstudien) müssen gesammelt und über einen bestimmten Zeitraum aufbewahrt bleiben.

2.4

Fertigungssteuerung

Die Fertigungssteuerung verwendet die Ergebnisse der Fertigungsplanung und setzt sie während der Bauausführung um. Die Aufgaben der Fertigungssteuerung werden i. Allg. von der Bauleitung, der Oberbauleitung und der Arbeitsvorbereitung gemeinsam erfüllt. Dabei folgt man der Logik des einfachen Regelkreismodells. In diesem Modell werden die Aufgaben der Fertigungssteuerung aufgeteilt in Fertigung veranlassen, überwachen und sichern.

503

Die Fertigung veranlassen bedeutet, dass der Anstoß für die Bereitstellung des Materials, des Personals und der Bauproduktionsmittel gegeben wird und dass die Bauausführung beginnt. Während der Bauausführung wird die Ist-Mengenleistung erfasst. Die Fertigung überwachen beinhaltet ein regelmäßiges Vergleichen der Ist-Leistung mit der Sollleistung. Bei Abweichungen müssen die Ursachen analysiert werden. Ursachen für Abweichungen können z. B. unrealistische Sollvorgaben, unqualifiziertes Personal, mangelhafte oder falsch dimensionierte Bauproduktionsmittel, äußere Einwirkungen (extreme Wetterlagen) oder Behinderungen durch andere am Bau beteiligte sein. Das Sichern der Fertigung schließt den Kreis, indem durch Eingreifen in die Fertigung die Ist-Leistungen wieder auf die Sollvorgaben gebracht werden. Bei unerreichbaren Sollvorgaben oder sonstigen gravierenden Abweichungen muss die Fertigungsplanung der aktuellen Situation angepasst werden. Der oberste Grundsatz der Steuerung ist, so rechtzeitig Daten zu erfassen und bei Abweichungen in die Fertigung einzugreifen, dass die Prozesse noch beeinflussbar sind. Wird hiermit zu lange gezögert, sind die kostenrelevanten Vorgänge u. U. bereits abgeschlossen, wenn die Abweichungen erkannt sind. Ebenso wie bei der Fertigungsplanung ist es bei der Fertigungssteuerung von hohem Wert, die Ergebnisse der Steuerung zu dokumentieren und für zukünftige Bauausführungen auszuwerten und vorzuhalten. So kann man z. B. die Kalkulationssicherheit durch Einbringen von verifizierten Kostenund Leistungsansätzen wesentlich verbessern.

3

Baustelleneinrichtung, Arbeitsschutz und Unfallverhütung

3.1

Baustelleneinrichtung

Peter Böttcher Die Baustelleneinrichtung ist der Übergang zwischen Planung und Bauausführung. Bereits bei der Planung müssen die Rahmenbedingungen

504

der Ausführung beachtet werden und die Ausführung muss sich an die Rahmenvorgaben der Planung halten. Dieses Zusammenspiel findet in der Planung der Baustelleneinrichtung statt. Daher sind in der Regel drei Bau-Beteiligte an der Planung und Umsetzung der Baustelleneinrichtung beteiligt und der Geschäftsprozess „Planung der Baustelleneinrichtung“ ist ein Interationsablauf zwischen dem Ausführungskonzept des Bauherrn, der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanung und der Ausführung der Baufirmen.

3.1.1

Planung der Baustelleneinrichtung Im Ausführungskonzept legt der Bauherr die wesentlichen Meilensteine für die Bauausführung fest und definiert somit auch das Grundkonzept der Baustelleneinrichtung. Der Koordinator für den Sicherheits- und Gesundheitsschutz auf der Baustelle verfeinert das Grundkonzept der Baustelleneinrichtung und die vollständige detaillierte Planung der Baustelleneinrichtung erfolgt über die ausführenden Firmen. Digitales Gebäudemodell Die Basis der Baustelleneinrichtung ist das Produktionskonzept und dieses ist mit seinen Bauphasen und Bauabschnitten im digitalen Gebäudemodell mit dem Objekttyp „Baubetrieb“ hinterlegt. In der Regel gibt es bereits ein digitales Gebäudemodell mit dem Objekttyp „Konstruktion“. Dieses digitale Gebäudemodell wird um Abb. 8 Objekt Bauwerk mit seinen Unterobjekten

C. Motzko et al.

den Objekttyp „Baubetrieb“ erweitert, in dem die Objekte Bauphasen und Bauabschnitte eingefügt werden und diesen Objekten werden die auszuführenden Bauteile zugeordnet. Im Weiteren wird die technologische Abhängigkeit zwischen den Objekten (Bauabschnitten) festgelegt und damit eine Reihenfolge der Ausführung definiert (Abb. 8 und Tab. 1). Anforderungen der Bauabschnitte Ein Bauabschnitt beschreibt das Arbeitspaket von Leistungen, die in einem zusammenhängenden Ausführungsprozess auf der Baustelle umgesetzt werden können. Im digitalen Gebäudemodell ist der Bauabschnitt ein Objekt mit Eigenschaften wie Dauer, Kapazitäten, Kostenvorgaben usw., mit Methoden wie Arbeitsverzeichnis erstellen, Kapazitätsplanung durchführen, Terminplanung durchführen usw. und mit Unterobjekten wie Betriebsmittel, Bauteile und Arbeitsplätzen. Im Planungsschritt „Anforderungen der Bauabschnitte erfassen“ müssen im wesentlichen die Unterobjekte mit deren Eigenschaften (Kennzahlen) erfasst und strukturiert werden. Für die Ausführung eines Bauabschnittes wird Material benötigt, das auf der Baustelle gelagert bzw. vorbereitet werden muss. Im weiteren werden Betriebsmittel benötigt, um die erforderlichen Bauteile herstellen zu können. Entsprechend muss für jeden Bauabschnitt eine Liste mit den wesentlichen Betriebsmitteln und den wesentlichen Materialien erstellt werden. Innerhalb dieser Liste sind notwen-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

505

Tab. 1 Steckbrief der Objekte Bauwerk und Erdgeschoss 1 Objekt Objekttyp

Bauwerk Werkhalle Baubetrieb Unterobjekte Bodenplatte, EG 1, EG 2, OG 1, OG 2, Dach Eigenschaften Geometrie Leistungsverzeichnis Terminplan SiGe-Plan, Baustelleneinrichtungsplan . . . Methoden Planung Baustelleneinrichtung Planung Sicherheit . . .

dige Kennzahlen wie Traglastmoment des Krans, Auslegerlänge des Krans, Höhe des Krans, Reichweite des Baggers oder Lagermenge von Steinen, Schalung, Bewehrung festzulegen. In einem zweiten Planungsschritt ist der Arbeitsplatz des Bauabschnittes einzurichten, d. h. für die ausgewählten Unterobjekte müssen die Positionen innerhalb des Arbeitsplatzes festgelegt werden. Dies kann zum Beispiel mithilfe einer dreidimensionalen Darstellung des digitalen Gebäudemodells durchgeführt werden, dadurch würden die Unterobjekte und deren Eigenschaften in das digitale Gebäudemodell eingebunden. Bei der Einrichtung des Arbeitsplatzes für einen Bauabschnitt sollte auf folgende Faktoren geachtet werden: • unveränderliche Bestandteile Objekte, die innerhalb des Arbeitsplatzes nicht verändert werden können, sollten zunächst erfasst und (soweit nicht schon geschehen) eingezeichnet werden. Dazu gehören Bauteile, Gruben und Gräben, Bäume und andere Bauwerke. • Bewegungsraum Betriebsmittel In der Regel gibt es ein Betriebsmittel, das den wesentlichen Bauablauf beeinflusst. Für dieses Betriebsmittel muss der Standort, mit seinem Bewegungsprofil, gewählt und daraus das Arbeitsfeld entwickelt werden. Bei einem feststehenden Kran gibt es einen Standort, kein Bewegungsprofil und das Arbeitsfeld definiert sich über die Länge des Auslegers. Bei einem Bagger gibt es einen veränderlichen Standort, dieses ist sein Bewegungsprofil und das Arbeitsfeld definiert sich über die Reichweite

Objekt Objekttyp

EG 1 – Erdgeschoss 1 Baubetrieb Unterobjekte Aussenwand, Innenwand, Decke . . . Eigenschaften Arbeitsverzeichnis Fertigungsverfahren Arbeitseinrichtung Gefährdungsbeurteilung Methoden

Fertigungsverfahren wählen Kapazitätsplanung Arbeitsplatz einrichten

des Greifers. Entsprechende Bewegungsprofile und Arbeitsfelder können für Betonpumpen, Straßenfertiger und weitere Betriebsmittel angelegt werden. • Verkehrswege Für weitere Betriebsmittel, wie zum Beispiel LKWs, werden innerhalb des Arbeitsfeldes, des wesentlichen Betriebsmittels, Verkehrswege festgelegt. • Lager- und Bearbeitungsflächen Für die Lagerung und Bearbeitung von Material werden entsprechende Flächen innerhalb des Arbeitsfeldes ausgewählt (Abb. 9). Diese beiden Planungsschritte werden für jeden Bauabschnitt einzelnen durchgeführt (Tab. 2). Zusammenführen der Teileinrichtungen Über alle Bauabschnitte haben sich nun eine Vielzahl von Arbeitsplätzen entwickelt. Sie zeigen das vielfältige und sich verändernde Bild der Baustelleneinrichtung auf. Auf der anderen Seite werden sich die Einrichtungsanforderungen von Bauabschnitten wiederholen. Entsprechend müssen die Arbeitsplätze gemäß ihren Anforderungen in Teileinrichtungen der Baustelle zusammengeführt werden. Das Ordnungsmerkmal ist dabei das wesentliche Betriebsmittel jedes einzelnen Bauabschnittes. Bei Bauabschnitten, bei denen das wesentliche Betriebsmittel identisch ist, kann eine Überlagerung der Arbeitsplätze und damit eine gemeinsame Nutzung der Ressourcen umgesetzt werden. Diese Bauabschnitte werden zu einer Teileinrichtung zusammengefasst und grafisch dar-

506

C. Motzko et al.

Abb. 9 3D Modell Arbeitsplatz eines Bauabschnittes Tab. 2 Liste der Anforderungen Objekt Erdgeschoss 1

Leistungen Wände herstellen

Betriebsmittel Kran

Decke herstellen

Schalung Betonpumpe Fahrmischer

gestellt. Dadurch ergeben sich mehrere Teileinrichtungen der Baustelleneinrichtung, die durch den zeitlichen Ablauf der Bauabschnitte strukturiert sind (Abb. 10).

Sonstige Elemente Neben den bisher ausgewählten Betriebsmitteln und Materialien werden für den Betrieb einer Baustelle weitere Elemente wie Strom- und Wasserversorgung, Sicherung der Baustelle, Abfallentsorgung und die Sozialeinrichtungen benötigt. Zum einen müssen die Elemente ausgewählt und für den Bedarf der Baustelle dimensioniert werden, zum zweiten müssen Standorte gefunden werden, die im Schnittbereich der Teileinrichtungen und deren Arbeitsfeldern liegen (Tab. 3).

Ausleger 25 m

Material Steine Mörtel

Lager 12 m2 Lager 4 m2

Ausleger 25 m

Plan der Baustelleneinrichtung Der Plan der Baustelleneinrichtung ist je nach Umfang der Baustelle eine Sammlung von Teileinrichtungen und deren grafische Darstellung. In einem Masterplan werden die zentralen Einrichtungen, die während der gesamten Bauzeit unveränderlich bleiben, dargestellt und in den Teileinrichtungsplänen die entsprechenden Anforderungen der Bauabschnitte. Auf der Basis des digitalen Gebäudemodells können die Pläne zweidimensional oder dreidimensional dargestellt werden (Abb. 11).

3.1.2

Auswahl der Einrichtungselemente Beim Betrieb einer Baustelle sind der Massenschwerpunkt des Bauwerks, das Arbeitsfeld und die Baustraße die wesentlichen Elemente. Die

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

507

Abb. 10 Grafische Modell der Teileinrichtungen Tab. 3 Liste der sonstigen Elemente Objekt Werkhalle

Leistungen Teileinrichtung 1

Arbeitsmittel Container

Teileinrichtung 2

Strom Wasser Fahrweg Sicherung

Abb. 11 Plan der Baustelleinrichtung

Magazin Personal WC Büro 1 Verteiler Anschluss Straße Zufahrt 2,5  6 m Bauzaun

Material Lager Schalung

6 m2

Lager Steine Lager Mörtel Lager Deckenschalung Lager Holz/Dach

12 m2 4 m2 20 m2 20 m2

508

Anordnung dieser drei Elemente zueinander und die Zuordnung der weiteren Baustelleneinrichtungselemente kann den Baustellenbetrieb vereinfachen oder behindern. Die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften für die einzelnen Betriebsmittel und die besonderen Betriebsbedingungen der Betriebsmittel sind zu beachten. Krane Problem jeder Baustelle ist der Transport von Gütern. Es muss ein waagerechter und senkrechter Transport möglich gemacht werden. Dies erfolgt i. d. R. mit dem Kran. Die Merkmale zur Auswahl eines Kranes sind seine Auslegerlänge und die Tragfähigkeit an der Spitze des Auslegers. Das Arbeitsfeld eines Kranes wird durch die Auslegerweite und die Kranbahnlänge bestimmt. Es sollte darauf geachtet werden, dass dieses Arbeitsfeld mit der Gliederung des Bauwerks in Teilabläufe oder Ablaufstufen übereinstimmt. Bagger Im Tief- und Straßenbau ist der Einsatz eines Kranes als Transportmittel nicht sinnvoll. Hier ist der Bagger das wesentliche Gerät zur Bearbeitung des Bauwerks. Die Auswahl eines Baggers richtet sich nach seiner Löffelgröße, der Reichweite des Baggerarmes, dem Fahrwerk (Raupe oder Reifen) und der Tragfähigkeit des Baggerarms. Das Arbeitsfeld eines Baggers wird bestimmt von der Reichweite des Baggerarms und der Fahrweglänge. Werkplätze und Lagerflächen Der wesentliche Arbeitsplatz ist das Bauwerk. Hier werden die Arbeiten an den Bauteilen direkt durchgeführt. Trotzdem kann es erforderlich sein, dass eine Vormontage von Schalungsteilen oder Bewehrungskörben erforderlich ist. In diesem Fall sind Werkplätze einzurichten. Dabei ist darauf zu achten, dass die Werkplätze in der Abschätzung der Größe und der Lage zum Bauwerk optimal angeordnet werden. Die Lagerung von Schalung, Steinen sowie sonstigen Geräten und Verbrauchsmaterialien ist auf der Baustelle notwendig. Bei der Wahl der Lagerfläche müssen die Größe der Fläche und der Zeitraum der Nutzung beachtet werden. Beim Betrieb der Baustelle ist es wichtig, das einmal gewählte Ordnungs-

C. Motzko et al.

schema auch einzuhalten. Für eine kurzfristige Zwischenlagerung (zwei bis fünf Stunden) sollte eine gesonderte Fläche immer vorgehalten werden, damit Störungen im Betriebsablauf durch Zwischenlagerungen abgefangen werden können. Baustellenverkehr Wie soll die Anlieferung von Material zur Baustelle erfolgen? Die Art, wie der Verkehr über die Baustelle geführt wird, kann dazu beitragen, dass Behinderungen im Produktionsablauf verhindert werden. Inwieweit können die Fahrzeuge das Material selber auf den Lagerflächen abladen? Wird der baustelleninterne Transport durch die Verkehrsführung behindert? Die Verkehrswege sind so anzulegen, dass alle Lagerflächen mit einem Lkw-Kran erreicht werden können und die Fahrzeuge das Gelände wieder einfach verlassen können. Den wichtigsten Lieferanten sollte eine Anfahrtsskizze zur Baustelle zur Verfügung gestellt werden. Sozial- und Büroeinrichtungen Für die Mannschaften sind Tagesunterkünfte und WC-Anlagen bereitzustellen. Die Anforderungen sind in den Bestimmungen der Arbeitsstättenverordnung geregelt. Im Sinne einer guten Arbeitsmoral sollte auf Sauberkeit und ausreichenden Platz geachtet werden. Auch das Bild einer Bauunternehmung nach außen und zum Kunden wird oft über die Sozialeinrichtungen der Baustelle geprägt. Beim Aufbau der Sozialeinrichtungen ist darauf zu achten, dass diese nicht im Einfahrtsbereich der Baustelle stehen und somit die Zufahrt zur Baustelle behindern. Für die Bauleitung und die Poliere sollten entsprechende Büroräume vorgesehen werden. Hier ist es wichtig, aus dem Büro einen guten Überblick über die Baustelle und die Einfahrt zur Baustelle zu haben.

3.2

Arbeitsschutz und Unfallverhütung

Marco Einhaus und Hendrikje Rahming Arbeits- und Gesundheitsschutz wurden in Deutschland bereits 1884 mit dem Unfallversicherungsgesetz verabschiedet. Es regelte erstmals die

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

Unfallrente, die medizinische Heilbehandlung sowie die Unfallverhütung und legte die neu gegründeten Berufsgenossenschaften als Träger der Unfallversicherung fest. Damit wurde die private Haftpflicht des einzelnen Unternehmers durch eine „kollektive Haftpflichtversicherung“ der Unternehmer abgelöst. Mit dem Arbeiterschutzgesetz von 1891 wurde dann der Unternehmer in die Pflicht genommen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Ein Unfall wurde nun nicht mehr als Preis des Fortschritts oder individuelles Verschulden gesehen, bei dem der Verunfallte für einen Anspruch auf Entschädigung seinem Arbeitgeber ein Verschulden am Unfall nachweisen muss. Heute ist die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren ein integraler Bestandteil der Arbeitswelt, welche den Beschäftigten schützt. Wenn dieser Schutz versagt, entstehen neben dem Leid des Betroffenen auch Opfer für seine Familienangehörigen sowie Schäden für die Unternehmen und damit auch der Volkswirtschaft. Das deutsche Arbeitsschutzsystem gehört zu den sichersten der Welt. Dennoch sind jedes Jahr tödliche Arbeitsunfälle zu beklagen, wenn sich auch die Anzahl stetig verringert hat. Arbeitgeber müssen daher die Beschäftigten vor schädigenden Einwirkungen bei der Arbeit aktiv schützen. Im Bauwesen ist dies insbesondere auf Baustellen ein wichtiges Thema. Denn Baustellen sind europaweit die vergleichsweise gefährlichsten Arbeitsbereiche, mit einem hohen Anteil von Unfallursachen, die bis in die Planungsphase zurückverfolgt werden können. Die häufigsten tödlichen Arbeitsunfälle sind Absturzunfälle. Denn bei Absturzunfällen ist der Grad der Verletzungsschwere tendenziell hoch, auch bei geringen Absturzhöhen unter 2 m. Unfallursächlich für tödliche Unfälle sind vor allem fehlende Sicherungsmaßnahmen bei z. B. Dächern oder Lichtkuppeln. Aber auch bei Tätigkeiten mit bzw. auf Arbeitsmitteln wie Leitern und Gerüste passieren überdurchschnittlich viele schwere und tödliche Absturzunfälle. Aus diesem Grund muss Absturzgefahren jedweder Form besondere Aufmerksamkeit schon bei der Planung und der Arbeitsvorbereitung als auch bei den ausführenden Bauarbeiten vom Unternehmer sowie den Beschäftigten zukommen.

509

3.2.1

Arbeitsschutzsystem in Deutschland Seit der gesetzlichen Verankerung der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes im 19. Jh. in Deutschland werden die Anforderungen des Arbeitsschutzes im Zusammenwirken aller Beteiligten immer wieder der sich laufend ändernden Arbeitswelt angepasst. Auch die Europäische Union hat den Arbeitsschutz zu einem Ziel ihrer Politik erklärt und hierzu entsprechende Richtlinien erlassen, die in nationales Recht umzusetzen sind. Für die Beachtung, Anwendung und Durchsetzung des aktuellen Regelwerks trägt der Unternehmer die originäre Verantwortung in seinem Betrieb. Die staatlichen Arbeitsschutzbehörden und die gesetzlichen Unfallversicherungsträger beraten und beaufsichtigen den Unternehmer bei dieser verantwortungsvollen Tätigkeit. Staatliche Arbeitsschutzbehörden und Berufsgenossenschaften In Deutschland prägt der Dualismus von Staat und Unfallversicherung das außerbetriebliche Arbeitsschutzsystem; er bezieht sich sowohl auf die Rechtsetzung als auch auf die Aufsichtstätigkeit. So haben die Unternehmen der Bauwirtschaft nicht nur die Gesetze und Verordnungen des Staates zu beachten, sondern auch das von den gesetzlichen Unfallversicherungsträgern erlassene und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales genehmigte Regelwerk zum Arbeitsschutz. In der Ausübung der Aufsichtstätigkeiten arbeiten die staatlichen Aufsichtsbehörden eng mit den gesetzlichen Unfallversicherungsträgem zusammen, stimmen sich ab und ergänzen einander. Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) Die Leitlinie „Gemeinsam Handeln – jeder in seiner Verantwortung“ prägt das deutsche Arbeitsschutzsystem. Vor diesem Hintergrund haben Bund, Länder und Unfallversicherungsträger unter Beteiligung aller relevanten Arbeitsschutzakteure, insbesondere der Sozialpartner, ein abgestimmtes Konzept für eine „Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie“ (GDA) erarbeitet. Es hat das Ziel, die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit zu erhalten, zu verbessern und zu fördern. Zur langfristigen Kostenentlastung der

510

C. Motzko et al.

Unternehmen und der sozialen Sicherungssysteme wurden gemeinsame Arbeitsschutzziele und Handlungsfelder unter Federführung der DGUVerarbeitet und von den Trägern der GDA (Bund, Länder und Unfallversicherungsträger) festgelegt. Gemäß Artikel 74 des Grundgesetzes liegt die Rechtsetzungskompetenz für den Arbeitsschutz beim Bund. Aus Sicht des betrieblichen Arbeitsschutzes im Bauwesen finden v. a. folgende Gesetze und Verordnungen Anwendung:

alle amtlichen Befugnisse der Ortspolizeibehörden zur Durchsetzung der Vorschriften. So haben sie das Recht, unangemeldet und jederzeit Betriebsbesichtigungen und -prüfungen vorzunehmen, sowie Einsicht in Betriebsunterlagen zu nehmen. Bei Verstößen gegen Arbeits- und Gesundheitsschutzbestimmungen haben sie Anordnungs-, Untersagungs- und Stilllegungsbefugnisse. Sind bußgeldbewehrte Tatbestände betroffen, können diese mit entsprechendem Bußgeld geahndet werden.

• • • • • • • •

Berufsgenossenschaften Die gesetzliche Unfallversicherung ist ein Zweig der Sozialversicherung. Wie bei den anderen Sozialversicherungen, der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, handelt es sich um eine Pflichtversicherung, d. h. kraft Gesetzes sind die Beschäftigten eines jeden Unternehmens gegen die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten versichert. Träger der Unfallversicherung für die gewerbliche Wirtschaft sind die nach Branchen gegliederten neun gewerblichen Berufsgenossenschaften (BG). Als Körperschaften des öffentlichen Rechts führen sie die ihnen durch Gesetz übertragenen Aufgaben in eigener Verantwortung und unter staatlicher Aufsicht durch. Die Verwaltung obliegt den paritätisch mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzten Selbstverwaltungsorganen. Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der gesetzlichen Unfallkassen ist die „Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung“ (DGUV). Er nimmt die gemeinsamen Interessen seiner Mitglieder wahr und vertritt die gesetzliche Unfallversicherung gegenüber Politik, Bundes-, Landes-, europäischen und sonstigen nationalen und internationalen Institutionen sowie Sozialpartnern. Gesetzliche Grundlage der Unfallversicherung ist das Sozialgesetzbuch (SGB). Die im SGB VII aufgeführten Aufgaben der Berufsgenossenschaften lassen sich unter den drei Hauptaufgaben Prävention, Rehabilitation und Entschädigung zusammenfassen. Prävention beinhaltet die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie von

Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) Baustellenverordnung (BaustellV) Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) Biostoffverordnung (BioStoffV) Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV) • Produktsicherheitsgesetz (PSG) • Gefahrguttransportverordnungen Mit dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) vom 20.08.1996 und den darauf basierenden Rechtsverordnungen wurde die EG-Arbeitsschutzrahmenrichtlinie 89/391-EWG in nationales Recht umgesetzt. Auf dieser Grundlage sind Arbeitsund Gesundheitsschutzmaßnahmen gesetzlich verankert und Arbeitgeber zur frühzeitigen Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsplätze genauso verpflichtet wie zur Sicherstellung einer geeigneten innerbetrieblichen Arbeitsschutzorganisation. Darüber hinaus ist den arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren wie beispielsweise von Gefährdungen durch Gefahrstoffe, Staubbelastungen oder Lärm Beachtung zu schenken. Staatliche Arbeitsschutzbehörden Die Einhaltung dieser Gesetze und Verordnungen des Staates wird von den staatlichen Arbeitsschutzbehörden der Bundesländer überwacht. Vor allem durch Besichtigungen, Unfalluntersuchungen, aber auch durch Prüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Anzeigen nimmt die Gewerbeaufsicht ihre Überwachungs- und Kontrollaufgaben wahr. Dabei verfügen die Gewerbeaufsichtsbeamten über

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren. Rehabilitation und Entschädigung erfordern nach Eintritt von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die Wiederherstellung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit der Versicherten sowie die Entschädigung durch Geldleistungen. Erfolgreiche Präventionsarbeit beeinflusst den Leistungsumfang der Rehabilitation und Entschädigung entscheidend und wird von den Berufsgenossenschaften intensiv gepflegt. Zeitgemäße Prävention folgt einem ganzheitlichen Ansatz, der sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Maßnahmen genauso einschließt wie den Gesundheitsschutz. Diese vielfältigen Aufgaben obliegen in erster Linie den Präventionsabteilungen der Berufsgenossenschaften und hier besonders den Aufsichtspersonen (früher: TAB Technische Aufsichtsbeamte) der BG: • Beratung der Mitgliedsunternehmen in allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit, – Überwachung der betrieblichen Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren auf den Baustellen und in den Betrieben, – Ermittlung möglicher Ursachen und Begleitumstände für Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten oder arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren einschließlich erforderlicher Messungen, – Aus- und Weiterbildung, Vorträge, Veranstaltung von Fachtagungen, – Unterstützung bei Produktprüfungen von z. B. Baumaschinen und Geräten sowie Beratung der Hersteller, – Erarbeitung und Aktualisierung von Vorschriften und Regeln (z. B. DGUV-Regeln) sowie digitalen Medien und Praxishilfen (z. B. Bausteine-App der BG BAU) für die Arbeitssicherheit und den Schutz vor arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren, – Mitwirkung bei der Erarbeitung des staatlichen Vorschriften- und Regelwerkes und von arbeitsschutzrelevanten Normen auf nationaler und internationaler Ebene,

511

– enge Zusammenarbeit mit Arbeitsmedizinern, – Initiierung und Betreuung von Forschungsvorhaben. Die Unfallversicherungsträger können gemäß dem Sozialgesetzbuch VII Unfallverhütungsvorschriften erlassen, um die Sicherheit und Gesundheit in den Unternehmen durch verbindliche Schutzziele zu gewährleisten und Arbeits- und Gesundheitsschutzaufgaben zuzuweisen. Die Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (BGV A1 bzw. GUV-V A1) ist die zentrale Vorschrift der Unfallversicherungsträger, die inhaltlich das Satzungsrecht der Unfallversicherungsträger mit dem staatlichen Arbeitsschutzrecht verzahnt und für alle Unternehmen verbindlich anzuwenden ist. Wie die Gewerbeaufsichtsbeamten haben auch die Aufsichtspersonen der BG hoheitliche Befugnisse, um die erforderlichen Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes durchzusetzen. Bei Betriebs- und Baustellenbesichtigungen werden die Unternehmer und Versicherten in erster Linie beraten und unterstützt. Es können aber auch Auflagen erteilt oder im Ausnahmefall sofort vollziehbare Anordnungen erlassen werden. Bei gravierenden oder wiederholten Verstößen gegen Vorschriften oder erteilte Anordnungen können Bußgelder bis zu 10.000,- € gegen Unternehmer oder Versicherte verhängt werden.

3.2.2

Planung und Organisation des Arbeitsschutzes im Betrieb und auf Baustellen Arbeiten sind gemäß Arbeitsschutzgesetz (§ 4) grundsätzlich so zu planen und zu gestalten, dass eine Gefährdung der Beschäftigten möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung gering gehalten wird. Hierbei sollen Gefahren an der Quelle bekämpft werden. Sowohl für die Planung vorhersehbare spätere Arbeiten als auch für die Bauwerkserstellung gilt der Grundsatz: „Technische Maßnahmen haben Vorrang vor personenbezogenen Schutzmaßnahmen!“

Dies ist das sogenannte „TOP-Prinzip“ (technisch – organisatorisch – persönlich) und beschreibt eine Maßnahmenhierarchie, welche bei Gefähr-

512

dungsbeurteilungen und dem Festlegen von Maßnahmen zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz anzuwenden ist. Linienverantwortung Der Unternehmer bestimmt die Produktionsziele, er verfügt über die Mittel und die betrieblichen Einrichtungen und er legt die Geschäftspolitik fest. Infolge dieses weitreichenden Einflusses trägt er vor allen anderen die Verantwortung für den Arbeitsschutz im Betrieb. Dies ist ihm durch die Rechtsordnung verbindlich auferlegt (z. B. in § 618BGB und in § 3 ArbSchG). Demnach hat er die Pflicht, die Arbeitsplätze und die Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass die Beschäftigten gegen Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt sind. Hierzu gehört eine geeignete Organisation mit eindeutigen Regelungen der Aufgaben, Zuständigkeiten und Verantwortungen auf allen Hierarchieebenen des Unternehmens. Sollen Aufgaben des Arbeitsschutzes auf Beschäftigte übertragen werden, so hat sich der Unternehmer von der Eignung und der Befähigung des ausgewählten Beschäftigten für diese Aufgabe zu überzeugen. Die Pflichtenübertragung ist schriftlich vorzunehmen. Davon abgesehen sind Vorgesetzte und Aufsichtführende schon aufgrund ihres Arbeitsvertrags verpflichtet, im Rahmen ihrer Befugnisse erforderliche Anordnungen und Maßnahmen zur Arbeitssicherheit zu treffen und dafür zu sorgen, dass sie befolgt werden. Auch die nicht in Führungsverantwortung stehenden Beschäftigten haben alle dem Arbeitsschutz dienenden Maßnahmen zu unterstützen. Sie sind z. B. verpflichtet Weisungen des Arbeitgebers zum Zwecke des Arbeitsschutzes zu befolgen und haben die zur Verfügung gestellten persönlichen Schutzausrüstungen zu benutzen. Auf erkannte sicherheitstechnische Mängel von Maschinen, Geräten oder sonstigen Arbeitsmitteln und Einrichtungen haben sie hinzuweisen. Betriebliche Arbeitsschutzexperten Das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) fordert vom Arbeitgeber die Bestellung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit (FaSi). Diese Arbeitsschutzexperten sollen den Unter-

C. Motzko et al.

nehmer in allen Fragen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes sowie der menschengerechten Gestaltung der Arbeit unterstützen und beraten. Sie haben keine Entscheidungsbefugnisse zur Anordnung von Arbeitsschutzmaßnahmen und tragen keine Führungsverantwortung. Es handelt sich vom Ansatz her also um klassische Stabsstellen mit gesetzlich vorgegebenen Anforderungs- und Qualifikationsprofilen. Auch die Mindesteinsatz-Zeiten dieser Arbeitsschutzexperten sind in der Unfallverhütungsvorschrift DGUV V2 vorgegeben. Sie hängen ab von der Unternehmensgröße und der Gefährlichkeit der im Betrieb zu verrichtenden Arbeiten. Die Unternehmen haben die Wahl, ob sie einen geeigneten Beschäftigten zur Fachkraft für Arbeitssicherheit ausbilden lassen oder ob sie eine externe FaSi mit der entsprechenden Dienstleistung beauftragen. In kleinen Unternehmen kann der Unternehmer unter bestimmten Voraussetzungen nach DGUV Vorschrift 2 ein alternatives Betreuungsmodell wählen und sich dabei soweit schulen lassen, dass er eventuellen Beratungsbedarf selbst rechtzeitig erkennt und auf eine Regelbetreuung verzichtet werden kann. Das Leistungsspektrum der Betriebsärzte reicht von der Untersuchung der Arbeitnehmer über Schulungsangebote bis hin zur Beratung und deckt damit das Anforderungsprofil des Arbeitssicherheitsgesetzes ab. Neben der Fachkraft für Arbeitssicherheit und dem Betriebsarzt sind gemäß § 22 Sozialgesetzbuch VII (SGB-VII) in Unternehmen mit regelmäßig mehr als 20 Beschäftigten Sicherheitsbeauftragte auszubilden und zu bestellen. Sie werden in ihrem unmittelbaren Arbeitsbereich tätig und unterstützen den Unternehmer, indem sie z. B. auf die ordnungsgemäße Benutzung der vorgeschriebenen Schutzeinrichtungen achten sowie auf Unfall- und Gesundheitsgefahren aufmerksam machen. Die genannten Arbeitsschutzexperten beraten mindestens einmal vierteljährlich gemeinsam mit dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat die aktuellen Anliegen des betrieblichen Arbeitsschutzes im Arbeitsschutzausschuss, der gemäß Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) ebenfalls vom Arbeitgeber zu bestellen ist.

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

3.2.3 Gefährdungsbeurteilung Um Gefahren bei der Arbeit präventiv entgegenwirken zu können, bedarf es einer frühzeitigen und regelmäßigen Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz. Diesem grundlegenden Gedanken folgend, werden durch § 5 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) vom 07.08.1996 alle Arbeitgeber verpflichtet, „durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.“ Die Beurteilung ist dabei je nach Art der Tätigkeiten vorzunehmen, wobei bei gleichartigen Arbeitsbedingungen die Beurteilung eines Arbeitsplatzes bzw. einer Tätigkeit ausreichend ist. Insbesondere werden im ArbSchG folgende Gefährdungen angeführt: • die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes, • physikalische, chemische und biologische Einwirkungen, • die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit, • die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken, • unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten, • psychische Belastungen bei der Arbeit.

513







Das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, die vom Arbeitgeber festgelegten Arbeitsschutzmaßnahmen sowie das Resultat der Überprüfung der ergriffenen Vorkehrungen sind zu dokumentieren. Zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung ist folgendes Schema anzuwenden: • Festlegen von Arbeitsbereichen und Tätigkeiten: Hier gilt es, den Geltungsbereich der aufzustellenden Gefährdungsbeurteilung örtlich, zeitlich, nach Tätigkeit etc. abzugrenzen. Die Gefährdungsbeurteilung kann arbeitsbereichs-, tätigkeits- oder personenbezogen erstellt werden. Bei werdenden und stillenden Müttern und bei Jugendlichen ist gemäß des §1 der





Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (MuSchArbV) bzw. des § 28a des Jugendarbeitsschutzgesetzes (JuArbSchG) zwingend eine personenbezogene Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Ermitteln der Gefährdungen: Die Gefährdungen innerhalb des ermittelten Geltungsbereichs sind zu ermitteln. Hilfestellungen bietet die BG BAU für alle bauwirtschaftlichen Gewerke und baunahen Dienstleistungen. Informationen und weitere Angebote sind unter www.bgbau.de verfügbar. Beurteilen der Gefährdungen Zur Beurteilung der Gefährdungen wird das jeweils davon ausgehende Risiko, also die Kombination von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensschwere, abgeschätzt. Dazu existieren sowohl qualitative Verfahren, wie die Risikomatrix nach Nohl, als auch qualitative Verfahren, wie die Gefährdungsbaumanalyse. Festlegen von Arbeitsschutzmaßnahmen Auf Basis der Beurteilung der im Geltungsbereich auftretenden Gefährdungen sind dementsprechende Maßnahmen abzuleiten. Gemäß dem TOP-Prinzip sind zuerst technische Maßnahmen (als Absturzsicherungen z. B. Seitenschutz, Schutznetze etc.) einzusetzen. Ist dies nicht umsetzbar, werden organisatorische Maßnahmen ergriffen. Darunter fallen beispielsweise eine spezielle Unterweisung der Mitarbeiter oder eine Beschränkung der Arbeiten auf den Zeitraum des Tageslichts. Sollten auch diese Maßnahmen nicht ausreichend sein, so sind als letzte Möglichkeit personenbezogene Schutzmaßnahmen festzulegen. Hierunter fallen z. B. persönliche Schutzausrüstungen wie Gehörschutz oder Absturzsicherungsgurte, sogenannte PSA gegen Absturz. Durchführen der festgelegten Maßnahmen Die festgelegten Maßnahmen sind dann entsprechend der baustellenbezogenen Gefährdungsbeurteilung umzusetzen. Dazu ist eine verantwortliche Person zu benennen und eine Frist zur Durchführung festzulegen. Durchgeführte Maßnahmen auf Wirksamkeit überprüfen

514

Es ist zu prüfen, ob die beschlossenen Maßnahmen fristgerecht umgesetzt wurden. Weiterhin ist festzustellen, ob die festgelegten Schutzziele damit erreicht wurden und ob dadurch gegebenenfalls neue Gefährdungen entstanden sind. • Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung Aufgrund der Überprüfung der Wirksamkeit ist zu entscheiden, ob die ursprünglich festgelegten Maßnahmen ausreichend sind, nachgebessert werden müssen oder ob neue ergriffen werden müssen. Des Weiteren ist die Gefährdungsbeurteilung anlassbezogen, z. B. bei einer wesentlichen Änderung der Arbeitsbedingungen und in regelmäßigen Abständen erneut durchzuführen und fortzuschreiben. Projektabhängig kann eine frühzeitige Gefährdungsbeurteilung entscheidende Erkenntnisse für die Angebotskalkulation ergeben. Je nach Bauvorhaben und Tätigkeiten kann es ausreichen, die Gefährdungsbeurteilung im Rahmen der Arbeitsvorbereitung baustellenbezogen vorzunehmen und die entsprechenden Sicherheitseinrichtungen und persönlichen Schutzausrüstungen vor Baubeginn zu planen und bereitzustellen. In der Ausführungsphase muss der Unternehmer bzw. der von ihm beauftragte Bauleiter dann für die Anwendung sorgen und bei unvorhergesehenen Änderungen der Arbeitsbedingungen die Gefährdungsbeurteilung überprüfen.

3.2.4

Arbeitsschutzmanagement systeme (AMS) Ebenso wie das Qualitätsmanagement ist ein effizient organisierter Arbeitsschutz für viele Unternehmen ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. Nicht zuletzt, weil die Produktivität und Qualität auch von der Gesundheit und Motivation der Menschen abhängt, die im Betrieb arbeiten. Das Arbeitsschutzgesetz bezeichnet es in § 3 als eine Grundpflicht des Arbeitgebers für eine geeignete Organisation zur Planung und Durchführung des Arbeitsschutzes zu sorgen sowie die erforderlichen Mittel hierfür zur Verfügung zu stellen. Damit sollen die Grundlagen für funktionierenden Arbeitsschutz geschaffen werden. Gleichlautende

C. Motzko et al.

Forderungen enthalten die ISO-9000 ff. für das Qualitätsmanagement und ISO-14000 ff. für das Umweltmanagement: • klare Organisationsstrukturen mit eindeutigen Weisungsbefugnissen sowie geregelten Zuständigkeits- und Verantwortungsbereichen, • geregelte Informationswege von der Leitung zu den Beschäftigten und umgekehrt, • strenge Dokumentations- und Nachweispflichten, • frühzeitige Fehlererkennung und – beseitigung (Audits, Gefährdungsbeurteilung, Toolbox Meetings), • rasch greifende Korrekturmaßnahmen (Follow up, Unfallanalyse, Beachtung von BeinaheUnfällen), • Einbeziehung und Qualifikation aller Beschäftigten (Unterweisung, Schulung, Beteiligung der Beschäftigten).

3.2.5 AMS BAU Die vorhandenen Arbeitsschutz-Managementsysteme berücksichtigen oft nicht die Besonderheiten des Baugewerbes. AMS BAU ist ein branchenspezifisches Arbeitsschutzmanagementsystem der BG BAU, welches die betrieblichen Belange der Bauwirtschaft aufgreift. Es berücksichtigt die schwierigen Randbedingungen, wie ständig wechselnde Arbeitsplätze oder die besonderen Vertragsformen der kleinen und mittleren Baubetriebe. AMS BAU ermöglicht der Unternehmensführung in Eigenregie, den Arbeitsschutz in die betriebliche Organisation einzubinden. Neben der Verringerung des Unfallrisikos entsteht für diese Betriebe höhere Rechtssicherheit, mehr Kompetenz, Professionalität und Effizienz – und damit ein wichtiger Image-Zugewinn. Die 11 Arbeitsschritte zum sicheren und wirtschaftlichen Baubetrieb des AMS BAU-Konzeptes beruhen zu 80 % auf gesetzlichen Forderungen. Neben der Förderung von Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten spielt auch der betriebswirtschaftliche Aspekt eine große Rolle. Das Konzept AMS BAU basiert auf dem in der Bundesrepublik Deutschland im Juni 2002 beschlossenen Nationalen Leitfaden für Arbeitsschutzmanagementsysteme (NLF). Gemäß diesem Konzept ist die Anwendung von AMS BAU freiwillig.

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

3.2.6

Arbeits- und Gesundheitsschutz auf Baustellen Eine gute Arbeitsvorbereitung ist für eine gut funktionierende Baustelle und damit für die effektive Projektabwicklung essenziell. Neben benötigten Personal, Material und Maschinen sind ebenfalls Maßnahmen und Einrichtungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz zu planen. Dabei ist die Maßnahmenhierarchie (TOP-Prinzip) anzuwenden. Koordination des Arbeitsschutzes Auf Baustellen kommen oft mehrere Gewerke gleichzeitig zum Einsatz. Um gegenseitige Gefährdungen der Beschäftigten unterschiedlicher Unternehmen auszuschließen, müssen die jeweiligen Arbeitgeber gemäß § 8 ArbSchG und § 6 der Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (BGV A1) zusammenarbeiten und Maßnahmen zur Verhütung dieser Gefahren abstimmen. Soweit es zur Vermeidung einer möglichen gegenseitigen Gefährdung erforderlich ist, haben sie eine Person zu bestimmen, die die Arbeiten aufeinander abstimmt. Zur Abwehr besonderer Gefahren ist sie mit entsprechender Weisungsbefugnis auszustatten. Die Baustellenverordnung (BaustellV) fordert für Bauvorhaben auf Baustellen unabhängig von Größe, Umfang und Dauer des Bauvorhabens bereits in der frühen Planungsphase die Bestellung eines Koordinators (SiGeKo) durch den Bauherrn. Entscheidend ist lediglich das Tätigwerden verschiedener Unternehmen, also von Beschäftigten mehrerer Arbeitgeber. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese gleichzeitig oder mit zeitlichem Abstand auf der Baustelle tätig werden. Die BaustellV soll wesentlich zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei der Ausführung von Baumaßnahmen beitragen. Die BaustellV verlangt, dass „für Baustellen, auf denen Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber tätig werden, ein oder mehrere geeignete Koordinatoren zu bestellen sind“. Der Bauherr oder ein von Ihm beauftragter Dritter kann die Aufgaben des Koordinators wahrnehmen. Auf eine separate Beauftragung kann der Bauherr jedoch nur verzichten, wenn er selbst über die erforderlichen Kenntnisse und Qualifikationen sowie zeitlichen Kapazitäten verfügt, um die Leistungen als Koordinator für

515

Sicherheit- und Gesundheitsschutz auf Baustellen zu erbringen. Mit den Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen (RAB) werden die Bestimmungen der Baustellenverordnung (BaustellV) konkretisiert. Sie beschreiben den Stand der Technik bezüglich Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen. Vom Ausschuss für Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (ASGB) sind bislang sieben Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen verabschiedet worden: • RAB 01 – „Gegenstand, Zustandekommen, Aufbau, Anwendung und Wirksamwerden der RAB“, • RAB 10 – „Begriffsbestimmungen“, • RAB 25 „Arbeiten in Druckluft“, • RAB 30 – „Geeigneter Koordinator“, • RAB 31 – „Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan – SiGePlan“, • RAB 32 – „Unterlage für spätere Arbeiten“, • RAB 33 – „Allgemeine Grundsätze nach § 4 des Arbeitsschutzgesetzes bei Anwendung der Baustellenverordnung“. Die für die Eignung abzuverlangenden Kenntnisse und Erfahrungen richten sich nach den spezifischen Anforderungen des konkreten Bauvorhabens. Erforderlich sind insbesondere jeweils ausreichende und einschlägige • • • •

baufachliche Kenntnisse, arbeitsschutzfachliche Kenntnisse, spezielle Koordinatorenkenntnisse sowie berufliche Erfahrung in der Planung bzw. Ausführung von Bauvorhaben.

Damit ist die Eignung des Koordinators von Art und Umfang des Bauvorhabens abhängig. Der Koordinator hat für jedes Bauvorhaben bei der Planung der Ausführung und der Ausführung von Bauvorhaben die Grundsätze des Arbeitsschutzgesetzes zu berücksichtigen und zu koordinieren. Die Bauunternehmen sind durch den Koordinator jedoch nicht von ihren vorgenannten und allen anderen Arbeitsschutzverpflichtungen entbunden.

516

Der für die Baustelle zu erstellende Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan (SiGePlan nach RAB 31) soll die räumlichen und zeitlichen Arbeitsabläufe sowie Gewerke übergreifenden Gefährdungen mit den daraus resultierenden erforderlichen Sicherungsmaßnahmen und Verantwortlichkeiten darstellen und den Beschäftigten auf der Baustelle als Hilfestellung dienen.

3.2.7 Unfallverhütung durch Planung Durch Effizienzanforderungen in Bezug auf Kosten und Zeit finden die Erfordernisse des Arbeitsschutzes sowohl in der Bauphase als auch in der späteren Nutzungsphase von Bauwerken sinnvollerweise immer häufiger Berücksichtigung bereits in der Planung. Denn die bei Bauwerken immer notwendigen Instandhaltungsarbeiten (z. B. Reinigung, Reparatur) können mit explizit geplanten Zugängen und Sicherheitseinrichtungen oftmals wesentlich kostengünstiger bezogen auf die Nutzungsdauer des Bauwerkes und mit geringerem Risiko für die Ausführenden durchgeführt werden. Auch hier gilt das TOP-Prinzip - technische Maßnahmen und permanente Systeme sind für wiederkehrende und vorhersehbare Arbeiten zu bevorzugen. Aufgaben des Bauherren Sämtliche Arbeiten, die mit der Erstellung des Bauvorhabens einhergehen, orientieren sich an den Wünschen und Vorstellungen des Bauherrn. Je nach Größe und Umfang der Baumaßnahmen kann der Bauherr die Arbeiten selbst planen und koordinieren oder die Planungsleistungen vergeben. Der Bauherr oder sein beauftragter Dritter geben dem Unternehmer planerische und organisatorische Vorgaben zum geplanten Bauvorhaben. Diese Angaben beziehen sich zum Beispiel auf das Vorhandensein von nicht belastbaren Deckenund Dachflächen, gefährlichen Arbeitsstoffen oder auf brandschutztechnische Belange wie Fluchtwege und Notausgänge. Unterlage für spätere Arbeiten Der Bauherr und der Planer der Baumaßnahmen haben erhebliche Einflussmöglichkeiten auf die Sicherheit bei Bauarbeiten. Die Unterlage für spätere Arbeiten nach der Regel zum Arbeitsschutz

C. Motzko et al.

auf Baustellen (RAB 32) kann insbesondere bei Instandhaltungsarbeiten unterstützen, den Arbeitsschutz als integralen Bestandteil des Bauwerkes zu berücksichtigen. Die Erstellung ist eine Leistung, die vom Koordinator bei jedem Bauvorhaben zu erbringen ist. Er hat eine Unterlage mit den erforderlichen, bei vorhersehbaren späteren Arbeiten an der baulichen Anlage zu berücksichtigenden Angaben zur Sicherheit und Gesundheitsschutz zusammen zu stellen. Hier zeigt sich, dass es sich bei der Koordination um eine Planungsleistung handelt, die bereits vor Beginn der Baumaßnahme einsetzen muss. Denn die getroffenen Maßnahmen haben maßgeblich auch über die Errichtung des Bauwerks hinaus, mitunter während der gesamten Nutzungsphase bis hin zum Rückbau und der Entsorgung des Bauwerkes Einfluss. Welche Arbeiten später anstehen, ergibt sich aus der vorgesehenen Nutzung und technischen und anlagentechnischen Ausstattung, die erwartungsgemäß regelmäßig gewartet werden muss. Beispiele sind die Grünpflege bei Flachdächern, die Reinigung von Dachabläufen, die Reinigung oder Wartung von Oberlichtern, Fotovoltaik- oder Solarthermieanlagen, technischer Gebäudeausrüstung wie Rauch- und Wärmeabzugs-Anlagen. Des Weiteren müssen alle Bauwerke und ihre Teile gewartet und mit fortgeschrittener Lebensdauer auch instandgesetzt oder erneuert werden. Dazu gehören beispielsweise Arbeiten an der Dachabdichtung und der Austausch von Fenstern. Es müssen erforderliche Angaben über die Merkmale des Bauwerks wie Zugänge, Außenanlagen, Gas-, Wasser- und Stromleitungen, Gerüstverankerungspunkte oder Anschlageinrichtungen enthalten, die bei späteren Arbeiten zu berücksichtigen sind. Die Unterlage nach BaustellV soll bereits vor der Ausschreibung der jeweiligen Bauleistungen vorliegen. Denn es ergeben sich bei der Erstellung meist noch wichtige Hinweise für die Ausschreibung bzw. Vergabe, z. B. welche Sicherheitseinrichtungen am Dach erforderlich sind und ausgeschrieben werden müssen oder ob eine Befahranlage geplant und ausgeschrieben werden muss, da die geplante Fassade regelmäßige Reinigung benötigt. Hinweise hierzu enthält DIN 4426 „Einrichtungen

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

zur Instandhaltung baulicher Anlagen – Sicherheitstechnische Anforderungen an Arbeitsplätze und Verkehrswege – Planung und Ausführung“, auf die die Regel zum Arbeitsschutz auf Baustellen (RAB 32) zur Unterlage für spätere Arbeiten verweist. Nach Abschluss der Bauarbeiten bzw. erfolgter Übergabe ist der Bauherr dafür verantwortlich, dass die Unterlage für die Dauer des Bestandes des Bauwerks in geeigneter Weise aufbewahrt und berücksichtigt wird. Die Unterlage ist fortzuschreiben, wenn nach deren Zusammenstellung relevante Planungsänderungen vorgenommen werden.

3.2.8 Zusammenfassung Arbeitsschutz ist Führungsaufgabe! Baustellen sind europaweit die gefährlichsten Arbeitsbereiche in denen Menschen beschäftigt werden. Sicherheitstechnik, Arbeitsschutz, Ergonomie entwickeln sich ständig mit dem technologischen Fortschritt weiter. Auch der arbeitsmedizinische Erkenntnissstand erweitert sich. Doch die Anwendung der in den Vorschriften gesammelten Erfahrungswerte ist nur sichergestellt, wenn dem Arbeitsschutz ein angemessener Stellenwert im Unternehmen zugebilligt wird. Auf Baustellen im Spannungsfeld zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Rechtspflichten können betriebliche Abläufe nur störungsfrei laufen, wenn Sicherheit und Gesundheitsschutz praxisgerecht berücksichtigt werden und Fehler in der Planung und Durchführung so nicht zu Katastrophen führen.

4

Traggerüste, Schalungen, Arbeits- und Schutzgerüste

Christoph Motzko und Olaf Leitzbach

4.1

517

Anforderungen bezüglich Konstruktion, Arbeitssicherheit und Bauökonomie. Sie sind notwendig für die Formgebung und für die Unterstützung von Bauteilen bis zum Zeitpunkt, an dem diese in der Lage sind, die entsprechenden Einwirkungen mit der vorgeschriebenen Sicherheit aufzunehmen. Sie dienen ferner der Gestaltung und der Sicherung von Arbeitsplätzen, sind relevant für den Baufortschritt und damit für die Termintreue sowie die Baukosten des Bauprojekts, beeinflussen die Qualität der Bauleistungen sowie die Arbeitssicherheit. Die aufgeführten temporären Bauhilfsmittel und die damit zusammenhängenden Arbeitsprozesse begleiten ein Bauwerk sowohl in der Phase der Bauwerkserrichtung als auch im Betrieb bei eventuellen Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten sowie beim Abbruch. Neben den Traggerüsten, Schalungen sowie Arbeits- und Schutzgerüsten sind bestimmte Herstellverfahren im Brücken-, Hoch- und Tiefbau wie Klettergerüste und Gleitschalungen für die Errichtung von vertikalen Bauteilen, Vorschubrüstungen für die Fertigung von waagerechten Brückenüberbauten und Tunnelschalwagen für den Bau unterirdischer Bauwerke in die Betrachtungen einzubeziehen. Eine mögliche Systematik des zusammengefasst genannten Bereichs der temporären Bauhilfsmittel ist in Abb. 12 dargestellt. Im Rahmen dieses Kapitels werden ausgewählte Aspekte des Bereichs der temporären Bauhilfsmittel in einer Übersicht dargelegt, denn es handelt sich um ingenieurtechnisch komplexe Systeme, welche bezüglich ihrer Konstruktion und Anwendung besonderer Sorgfalt und des Einsatzes von Experten und von Fachkräften bedürfen. Es wird insbesondere auf die notwendige Zusammenarbeit zwischen dem Management der Baustelle, den entwerfenden Ingenieuren sowie den Prüfingenieuren hingewiesen.

Einführung

Traggerüste, Schalungen sowie Arbeits- und Schutzgerüste sind temporäre Konstruktionen für Bauwerke (nachfolgend temporäre Bauhilfsmittel) und Arbeitsmittel, welche ein integrales und aus mehreren Gründen relevantes Element des Bauens bilden. Diese temporären Bauhilfsmittel befinden sich in einem permanenten Spannungsfeld zwischen

4.2

Normative Grundlagen und Definitionen

Normen für Traggerüste, Schalungen sowie Arbeits- und Schutzgerüste Die nachfolgend genannten Normen für temporäre Bauhilfsmittel sind und werden im Europä-

518

C. Motzko et al.

Temporäre Bauhilfsmittel

Arbeits- und Schutzgerüste

Traggerüste

Schalungen

Soderbauweisen

Arbeitsbühnen Hochbau

Traggerüst Brückenüberbau

Wandschalung

Gleitbauverfahren

Abb. 12 Temporäre Bauhilfsmittel – Systematik. (nach Hertle und Motzko 2007)

ischen Normengremium CEN/TC 53 „Temporäre Bauhilfsmittel“ („Temporary works equipment“) erarbeitet. Nachfolgend werden einige relevante Normen im Zusammenhang mit Traggerüsten aufgelistet. • DIN EN 12812:2008-12 Traggerüste – Anforderungen, Bemessung und Entwurf. Berlin, 2012. Die allgemeinen Regeln für die Bemessung und für die Konstruktion von Traggerüsten sind normativ in der DIN EN 12812:2008-12 definiert. Von Relevanz für das Management von Baustellen ist der Anhang A (informativ), welcher die Koordination der Traggerüstarbeiten präzisiert und damit den Aspekt der Sicherheit regelt. • DIN EN 12813:2004-09 Temporäre Konstruktionen für Bauwerke – Stützentürme aus vorgefertigten Bauteilen – Besondere Bemessungsverfahren. Bedingt dadurch, dass Stützentürme nach DIN EN 12812 [R1] entworfen und bemessen werden können, wurde diese Norm bauaufsichtlich nicht eingeführt (Hertle und Linhard 2015, S. 424). • DIN EN 1065:1998-12 Baustützen aus Stahl mit Ausziehvorrichtung – Produktfestlegung,

Bemessung und Nachweis durch Berechnung und Versuche. Längenverstellbare Stahlstützen bilden ein wichtiges Element der Traggerüstkonstruktionen. Die Produktnorm behandelt ein temporäres Bauhilfsmittel, welches im zeitlichen Verlauf der Anwendung wesentliche Modifikationen erfahren hat. Im Regelungsbereich der deutschen Bauaufsicht mussten daher die allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen durch das DIBt wieder erlangt werden (Hertle und Linhard 2015, S. 429). • DIN EN 16031:2012-09 Baustützen aus Aluminium mit Ausziehvorrichtung – Produktfestlegungen, Bemessung und Nachweis durch Berechnung und Versuche. Diese Norm ergänzt die DIN EN 1065:1998-12, indem für die längenverstellbaren Stützen der Werkstoff Aluminium behandelt wird. • DIN EN 13377:2002-11 Industriell gefertigte Schalungsträger aus Holz – Anforderungen, Klassifikation und Nachweis. Ergänzend zu den längenverstellbaren Stützen werden Vollwand- und Gitter-Holzschalungsträger genormt. Der Versuchsaufbau zur Bestimmung der charakteristischen Werte der Tragfähigkeit geht von einer Lasteinleitung durch Stahlplatten

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

mit einer Mindestlänge von 200 mm aus. Mit dieser Norm wird unter anderem der Einsatz von industriell hergestellten Holzschalungsträgern als Jochträger möglich (Hertle und Linhard 2015, S. 431). • DIN 20000-2:2013-12 Anwendung von Bauprodukten in Bauwerken – Teil 2: Industriell gefertigte Schalungsträger aus Holz. Diese Norm ergänzt die DIN EN 13377:2002-11, regelt unter anderem den Bereich von Stapelkonstruktionen (sich kreuzende Holzschalungsträger) und beinhaltet Klarstellungen zu den Anforderungen an die Fremdüberwachung (Hertle und Linhard 2015, S. 433). • DIN 18216:1986-12 Schalungsanker für Betonschalungen – Anforderungen, Prüfung, Verwendung. Die Norm befindet sich gegenwärtig in Überarbeitung, um den aktuellen Werkstoffen und den Schalungsankerkomponenten gerecht zu werden. • DIN 18218:2010-01 Frischbetondruck auf lotrechte Schalungen. Auf diese Norm wird nachfolgend eingegangen, denn sie ist für den alltäglichen Einsatz von lotrechten Schalungen von besonderer Relevanz bezüglich Qualität und Arbeitssicherheit. Nachfolgend werden einige relevante Normen im Zusammenhang mit Arbeits- und Schutzgerüsten aufgelistet: • DIN EN 12811-1:2004-03 Temporäre Konstruktionen für Bauwerke – Teil 1: Arbeitsgerüste – Leistungsanforderungen, Entwurf, Konstruktion und Bemessung. Damit liegt eine europäisch harmonisierte Grundnorm für Arbeitsgerüste vor, in der die konstruktiven Anforderungen sowie die Nachweise und Bemessungsformate festgelegt sind. • DIN EN 12811-2:2004-04 Temporäre Konstruktionen für Bauwerke; Informationen zu den Werkstoffen. Bei dieser Norm gilt es zu beachten, dass Neuentwicklungen im Bereich der Werkstofftechnik voranschreiten und damit die Notwendigkeit der Anwendung aktualisierter Materialnormen außerhalb der hier angegebenen auslösen können (Hertle und Linhard 2015, S. 446).

519

• DIN EN 12811-3:2003-02 Temporäre Konstruktionen für Bauwerke – Teil 3: Versuche zum Tragverhalten. Es ist ein weiteres wichtiges Dokument, in dem die Grundlagen für die Planung, Durchführung und Auswertung von Versuchen an Bauteilen von Traggerüsten und Fassadengerüsten angegeben sind (Hertle und Linhard 2015, S. 443). • DIN EN 12811-4:2014-03 Temporäre Konstruktionen für Bauwerke – Teil 4: Schutzdächer für Arbeitsgerüste – Leistungsanforderungen, Entwurf, Konstruktion und Bemessung des Produkts. Diese Norm ist für den Bereich des Arbeitsschutzes besonders relevant. • DIN EN 12810-1:2004-03 Fassadengerüste aus vorgefertigten Bauteilen; Produktfestlegungen. Die Norm legt die Leistungsanforderungen, die Entwurfs- und Bemessungsmethoden sowie die Nachweisverfahren für Fassadengerüste aus vorgefertigten Bauteilen fest. • DIN EN 12810-2:2004-03 Fassadengerüste aus vorgefertigten Bauteilen; Besondere Bemessungsverfahren und Nachweise. Die Norm beinhaltet Informationen zu den zulässigen Berechnungsmethoden und den Versuchen für Gerüstsysteme. • DIN EN 13374:2019-06 Temporäre Seitenschutzsysteme; Produktfestlegungen. Diese Norm ist für den Bereich des Arbeitsschutzes besonders relevant. Zu beachten ist, dass bei Arbeits- und Schutzgerüsten im Falle besonderer konstruktiver und gründungstechnischer Anforderungen die Regelungen der DIN EN 12812:2008-12 heranzuziehen sind. Bei Traggerüsten sind bezüglich der arbeits- und gesundheitsschutzbezogenen Anforderungen die Bestimmungen der DIN EN 128111:2004-03 zu berücksichtigen (Hertle und Linhard 2015, S. 414). In diesem Zusammenhang geht es um die Anwendung von adäquat überwachten und zertifizierten Systemen. Definitorische Abgrenzung Traggerüste, Schalungen, Arbeits- und Schutzgerüste Zur Begriffsabgrenzung von Schalungen und Traggerüsten kann die Norm DIN EN 12812 herangezogen werden:

520

C. Motzko et al.

3.3 Traggerüst temporäre Unterstützung für einen Teil eines Bauwerks, solange dieses nicht ausreichend tragfähig ist, sowie für die zugehörigen Verkehrslasten 3.4 Schalung Teil der temporären Konstruktion, die dem Frischbeton die erforderliche Form gibt und ihm als Auflager dient

Relevant im Zusammenhang mit der Anwendung von Traggerüsten, Schalungen sowie Arbeits- und Schutzgerüsten sind deren Kennzeichnung, Prüfung und Dokumentation, dies auch im Kontext der Einführung der MusterVerwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB). In Tab. 4 sind exemplarisch Elemente von Traggerüsten, Schalungen sowie Arbeits- und Schutzgerüsten einschließlich der angesprochen Merkmale aufgelistet. Bei der Leistungsbeschreibung von Traggerüsten ist zu beachten, dass die Angabe einer bestimmten Bemessungsklasse nicht immer zielführend ist. Wie bereits ausgeführt wurde, wird die Einstufung vom entwerfenden Ingenieur vorgenommen und kann nicht grundlegend als Gegenstand einer Vereinbarung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer fungieren (Hertle und Linhard 2015, S. 417/418).

4.3

Besonderheiten temporärer Bauhilfsmittel in Abgrenzung zu permanenten Konstruktionen

Temporäre Bauhilfsmittel sind bezüglich der konstruktiven und der einsatzspezifischen Randbedingungen anders strukturiert als permanente Bauwerke. Nachfolgend werden einige Differenzierungsmerkmale aufgeführt (auf Basis von Hertle und Linhard 2015; Hertle und Motzko 2007), die bei der Planung und bei der Ausführung von Bauprojekten zu beachten sind, wobei nochmals darauf verwiesen wird, dass der Gerüstbereich eine hohe ingenieurtechnische Komplexität aufweist und daher das Heranziehen von Experten dieses Fach- und Sachgebiets erforderlich macht:

• Temporäre Bauhilfsmittel unterliegen nicht dem Geltungsbereich der Bauproduktenverordnung, da sie nicht permanent in der Baukonstruktion des Bauwerks verbleiben. • Temporäre Bauhilfsmittel weisen eine ungünstigere Lage der Verteilungsdichte von Widerstands- und Einwirkungsseite auf, als das der Fall bei permanenten Bauwerken ist (Nather et al. 2005). Der relativ großen Streuung der Einwirkungen bei Hoch- und Brückenbauteilen in Verbindung mit einer geringen Anzahl von Extremlasten stehen die Einwirkungen auf Traggerüste mit einer geringen Streuung, jedoch mit entsprechend häufiger Ausnutzung der Bemessungsansätze gegenüber. Auf der Widerstandsseite ergibt die wesentlich breitere und auch unterschiedlich für den Neu- und Gebrauchtzustand ausgeprägte Verteilungsdichte bei Traggerüsten einen deutlich vergrößerten Überschneidungsbereich von Einwirkung und Widerstand. Im Vergleich mit permanent genutzten Bauteilen indiziert dies ein größeres Schadensrisiko, das jedoch bei bestimmungsgemäßer Anwendung und unter Einhaltung der Voraussetzungen in der Baupraxis nicht eintritt. • Die Konstruktion von Schalungen und Gerüsten wird unter den Prämissen einer vielfachen und effizienten Montage und Demontagemöglichkeit am wechselnden Einsatzort und unter wechselnden Einsatzbedingungen sowie unter Erfüllung wechselnder Aufgaben vorgenommen. Dieses ist verbunden mit den konstruktiven Zielen der Materialminimierung sowie mit der Erfüllung der Anforderungen der stationären Fertigung (gegebenenfalls Robotereinsatz). Die Konstruktion und die Errichtung von Bauwerken folgen üblicherweise den Grundsätzen der (lokalen) Optimierung des Werkstoffeinsatzes, der Baukosten, der Bauzeit und der Qualität unter Würdigung des Lebenszyklusansatzes in einem einmaligen Herstellprozess und beziehen sich auf ein Unikat, welches durchaus standardisiert gestaltet werden kann (Systembau). • Den vielfach wiederholten Anwendungen unter Bemessungslasten der temporären Bauhilfsmittel stehen permanente Bauwerke ge-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

521

Tab. 4 Normative Grundlage und Dokumentation von Schalungs- und Gerüstprodukten (GSV 2017a) Produktgruppe Wand- und Deckenschalung (MVV TB D 2.2.1.9) Schalungsanker (Ankerstab) (MVV TB D 2.2.1.9) Ankerstab als Abspannung in Traggerüsten Holzschalungsträger Seitenschutz(-system) Baustützen, Stahl Baustützen, Aluminium Baustützen, StahlAluminiumMischbauweise Traggerüst (aus vorgefertigten Gerüstbauteilen) Traggerüst (normativ nicht rechenbare Teile, z. B. Rahmenanschluss) Kletterkonus zur Verankerung von Konsolgerüsten Arbeits- und Schutzgerüst Lastaufnahmemittel (bspw. produktspezifische Kranhaken, Versetztraverse) Lagergeräte (Gitter-/ Kleinteileboxen, etc.) Selbstständige Maschinen Trennmittel Zurrkette für Ladungssicherung

DokumenGrundlage tation DIN EN 12812 AuV

Nachweis (opt.=optional) opt. GSV-Zeichen

Kennzeichnung opt. GSV-Zeichen

Quelle GSV-Richtlinie

DIN 18216

AuV Wandschalung

abZ

AuV

ÜZ

Ü-Zeichen

MVV TB C 2.16

DIN EN 13377 oder abZ DIN EN 13374 DIN EN 1065 oder abZ DIN EN 16031 oder abZ abZ auf Basis DIN EN 1065 bzw. DIN EN 16031 DIN EN 12812

AuV

ÜZ opt. FSC, PEFC

Ü-Zeichen

MVV TB C 2.16.10

AuV AuV

nach DIN EN 13374 ÜZ Ü-Zeichen opt. Typenprüfung ÜZ Ü-Zeichen opt. Typenprüfung ÜZ Ü-Zeichen zusätzlich opt. Typenprüfung

MVV TB C 2.16.1 MVV TB C 2.16.13 MVV TB C 2.16

ÜH Ü-Zeichen opt. Typenprüfung

MVV TB C 2.16.7

DIN EN 12812 AuV oder abZ

ÜZ

Ü-Zeichen

MVV TB C 2.16

abZ

ÜZ

Ü-Zeichen

MVV TB A 1.2.3.8 und Anhang 2 MVV TB C 2.16.15 MRL

AuV AuV

AuV

AuV Klettersystem DIN EN 12811 AuV oder abZ MRL BA DIN EN 13155 (an jedem Produkt)

MRL

BA

MRL

BA

GefVO MRL

SDB BA

nach DIN 18216

ÜZ Ü-Zeichen opt. Typenprüfung CE-HerstellerCE, dauerhaftes Schild, erklärung s. MRL

CE-Herstellererklärung Kettenbuch

Hersteller, Tragfähigkeit, Stapelhöhe CE

MRL, WG-2006.13rev2 MRL

Spezifische Gefahrensymbole GefVO Traglast, Güte MRL

Soweit Produkte über Europäische Verordnungen oder Direktiven geregelt sind, gelten in dieser Aufstellung die nationalen deutschen Regelungen. Für alle Produktgruppen gilt grundsätzlich das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) Grundsätzlich gilt für alle Arbeitsmittel die Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung – BetrSichV. Diese schreibt unter anderem vor, dass der Anwender vor jedem Gebrauch das Arbeitsmittel „in Augenschein nimmt“ und schadhafte Arbeitsmittel nicht verwendet Abkürzungen: abZ allgemeine bauaufsichtliche Zulassung, AuVAufbau- und Verwendungsanleitung, BA Betriebsanleitung, BetrSV Betriebssicherheits-Verordnung (Richtlinie 2009/104/EG, Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer bei der Arbeit), FSC Forest Stewardship Council (DE: Zertifizierung nachhaltiger Forstwirtschaft), GefVO Gefahrstoff-Verordnung (EG), LTB Liste der Technischen Baubestimmungen, MRL Maschinen-Richtlinie (Richtlinie 2006/42/EG über Maschinen), MVV TB Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (Nachfolgedokument der BRL), PEFC Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes (DE: Zertifizierungssystem für nachhaltige Waldbewirtschaftung), ProdSG Produktsicherheitsgesetz (EG), SDB EG-Sicherheitsdatenblatt (für Gefahrstoff), ÜH Übereinstimmungserklärung des Herstellers, ÜHP Übereinstimmungserklärung des Herstellers nach vorheriger Prüfung des Bauprodukts durch eine anerkannte Person, ÜZ Übereinstimmungszertifikat durch eine anerkannte Zertifizierungsstelle

522

genüber, welche nur selten, in der Mehrzahl aller Fälle wahrscheinlich nie, bis an die Auslegungsgrenzen hin belastet werden. Daraus resultieren signifikante Unterschiede beim Entwurf von Detaillösungen wie beispielsweise bei Knotenpunkten oder bei Baugruppen sowie bei der Entwicklung eines übergreifenden konstruktiven Konzepts. • Die Gründung von temporären Bauhilfsmitteln wird in der Regel einfacher ausgeführt als bei permanenten Konstruktionen. Der Gründung von Traggerüsten sowie von Arbeits- und Schutzgerüsten ist seitens der Bauleitung vor Ort besondere Aufmerksamkeit zu widmen, denn Fehler in der Konstruktion, Ausführung und Wartung können zum Versagen der Systeme führen (Äußerer Versagenszustand). DIN EN 12812 definiert verschiedene mögliche Arten von Gründungen mit Gültigkeit der Eurocodes wie eine spezifische Unterkonstruktion, Direktgründung auf einem tragfähigen Baugrund wie Fels, Gründung auf einem vorhandenen Bauwerk respektive nach Abs. 7.5.2. Gründung ohne Einbindetiefe im Baugrund. Zur Gewährleistung einer ausreichenden Standsicherheit sind umfangreiche rechnerische Nachweise zu führen, welche sich nicht nur auf die lokale Lasteinleitung in den Baugrund beschränken, sondern auch die Interaktion mit dem darauf aufgebauten Traggerüst berück-

Abb. 13 Baukastensystematik einer Rahmentafelschalung für Wände (Hertle und Motzko 2007)

C. Motzko et al.









sichtigen, zum Beispiel die Reaktion des Traggerüstes bei Setzungen des Baugrunds. Für das Management eines Bauprojektes sind neben der Befolgung der konstruktiven Regeln gleichwertig die Anforderungen an den Arbeits- und Gesundheitsschutz von Relevanz. Durch die Erfordernis Schalungs- und Gerüstsysteme leicht zu montieren und zu demontieren, werden in vielen Fällen Spielpassungen an den Verbindungsstellen erforderlich. Die Überlegungen zu den Maßabweichungen sind sowohl für die montagetechnischen als auch für die statischen Überlegungen von Relevanz und sollten in engen Grenzen gehalten werden. Insbesondere bei Traggerüsten mit hoher Normalkraftbeanspruchung sind die zutreffenden Imperfektionsannahmen für die statische Berechnung von den Systemtoleranzen abhängig. Im Falle von Bauwerken wird ein einmaliger und normierter Vorgang der Berücksichtigung von Toleranzen zur Anwendung kommen. Schalungen und Gerüste weisen einen hohen Grad der Elementierung und Standardisierung auf und werden zum Teil als Baukastensysteme (dadurch auch Kompatibilität verschiedener Produktgruppen) entwickelt (s. Abb. 13), während permanente Bauwerke als Prototypen konzipiert sind. Temporäre Bauhilfsmittel werden bei besonderen Aufgaben um mechanische oder hydraulische Manipulationshilfen ergänzt, im Ge-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

523

gensatz zum zweckgebundenen Entwurf von permanenten Konstruktionen. • Je nach Erfordernis ist beim Einsatz von Traggerüsten eine Ausführungsplanung notwendig, welche die für den vorliegenden Fall gültigen Bemessungsparameter bzw. Klassen ausweist sowie das komplette Montage- und Demontageverfahren beschreibt. Weiterhin sind die Bestimmungen der DIN EN 13670, Abs. 5, zu beachten. Analoges gilt für Schalungen, bei denen gegebenenfalls die Art und Weise der Abstützung, des Zusammenbaus, der Ankerlagen, des Ausschalens einschließlich der eventuell erforderlichen Notunterstützung präzise anzugeben ist.

4.4

Einsatz- und Bemessungsaspekte

Einsatzaspekte Schalungen, Traggerüste, Arbeits- und Schutzgerüste bilden relevante Kostengrößen bei der Realisierung von Bauwerken. In Tab. 5 sind die Kostenanteile von Stahlbetonarbeiten im Hochbau erfasst. Sie belegen die Dominanz der Schalungskosten im Bereich der Lohnkosten und damit die Notwendigkeit einer soliden Arbeitsvorbereitung. Schalungen können in drei Verwendungsarten gegliedert werden (Hoffmann et al. 2012): • Universalschalungen: das sind objekt- und bauteilunabhängige Einzelgeräte und Gerätegruppen, die objekt- und bauteilübergreifend zur Anwendung kommen (zum Beispiel lose Kantholz- und lose Trägerschalungen).

• Standardschalungen: bestehen aus Einzelgeräten, die heute in der Regel baukastenartig zusammengehörige Gerätegruppen bilden. In der Anwendung ebenfalls objekt- und bauteilübergreifend (zum Beispiel Rahmentafelschalungen). • Spezialschalungen und objektgefertigte Sonderschalungen: speziell für ein bestimmtes Bauwerk gefertigte Schalungen wie z. B. Freiformschalungen oder individuelle Brückenpfeilerschalungen. Ferner Spezialschalungen, bei denen jeweils eine spezielle Schalungsoder sogar Bauverfahrenstechnik zum Einsatz kommt (zum Beispiel Selbstkletterschalung oder Gleitschalung). Eine solche Systematik ermöglicht die Bildung von Parametern für den Einsatz und den damit erzielbaren Nutzen in den verschiedenen Anwendungsbereichen. Wird eine bestimmte Schalung selten eingesetzt, wie das der Fall bei objektgefertigten Sonderschalungen ist, umso höher ist der Aufwand für Nebenleistungen (Montage- und Demontagearbeiten, Lade- und Transportanteile). Daher sollten im Zuge der Kalkulation von Schalungsarbeiten unter anderem folgende Einflüsse berücksichtigt werden: • das zu kalkulierende Projekt in eine nach dem Schwierigkeitsgrad orientierte Größenordnung und Struktur kategorisieren, • den Leistungsinhalt (Bau-Soll, Sichtbetonanforderungen u. a.) und die Bauumstände (Bauzeit, Einrichtungsmöglichkeiten der Baustelle u. a.) aus den Ausschreibungsunterlagen präzise bestimmen, • etwaige Hauptleistungen, Nebenleistungen, Besondere Leistungen bestimmen,

Tab. 5 Kostenanteile der Stahlbetonarbeiten im Hochbau (Hoffmann 1993)

Prozesse Schalung Bewehrung Beton Andere Summe 

Anteil an Gesamtkosten [%] 35 25 15 25 100

ausgenommen Betonnachbehandlung

davon Lohnkosten [%] 28 8 5 9 50

davon Stoffkosten [%] 7 17 10 16 50

Kostenanteil Gesamtlöhne [%] 56 16 10 18 100

Kostenanteil Gesamtstoffe [%] 14 34 20 32 100

Schalungen: -Universalschalungen oder StandardSchalungen (z. B. Rahmenschalungen und vorkonfektionierte GF-Schalungen) mit Anpassungselementen geringen Umfangs -Einsatzzahl  10.

Kategorie 2 Bauwerke mit normalem Schalungsaufwand Gebäude des Hochbaus mit gering veränderlichen Geschoßhöhen und Bauteilquerschnitten. Geometrisch einfache Ingenieurbauwerke (Stützmauern, einfache Unterführungen).

Stundenaufwand über alles: i. M. 0,75–1,15 Std./m2 (über alle Anwendungsbereiche). Arbeits- und Schutzgerüste sind individuell zu kalkulieren.

Stundenaufwand über alles: i. M. 1,20–1,50 Std./m2 (über alle Anwendungsbereiche). Arbeits- und Schutzgerüste sowie Traggerüste sind individuell zu kalkulieren. Zulagen beachten (z. B. besondere Bauteilhöhen, Auf- und Abladen, Einbauteile etc.)

Kategorie 1 Bauwerke mit geringem Schalungsaufwand Wohngebäude und Gebäude des Hochbaus: -geometrisch klare Formen (rechtwinklige Anordnung) -gleichbleibende geschoßhöhe h  3,25 m -gleichbeliebende Betonquerschnitte der Bauteile. Schalungen: -Universalschalungen oder StandardSchalungen (z. B. Rahmenschalungen und vorkonfektionierte GF-Schalungen) -Einsatzzahl  10.

Stundenaufwand über alles: i. M. 1,50–2,50 Std./m2 (über alle Anwendungsbereiche). Arbeits- und Schutzgerüste sowie Traggerüste sind individuell zu kalkulieren.

Schalungen: Überwiegend Spezial-Schalungen (objektgefertigte Schalungen) in Kombination mit Universalschalungen oder Standard-Schalungen -Einsatzzahl  5.

Gebäude des Hoch- und Industriebaus mit individuellen Grundrissen, wechselnden Geschoßhöhen und stark veränderlichen Bauteilquerschnitten. Ingenieurbauwerke (Brückenbauwerke, Unterführungen, U-Bahnbau).

Kategorie 3 Bauwerke mit hohem Schalungsaufwand

Tab. 6 Kategorisierung von Bauwerken nach dem Schalungsaufwand (Hoffmann et al. 2012)

Schalungen: Überwiegend Spezial-Schalungen (objektgefertigte Schalungen) mit besonderen technologischen Anforderungen in Kombination mit Universalschalungen oder StandardSchalungen -Einsatzzahl 1 bis 5. Stundenaufwand über alles: i. M. > 2,50 Std./m2 (über alle Anwendungsbereiche). Arbeits- und Schutzgerüste sowie Traggerüste sind individuell zu kalkulieren.

Kategorie 4 Bauwerke mit außergewöhnlichem Schalungsaufwand Sonderbauwerke wie Museumsbauten, Sakralbauten oder anspruchsvolle bauliche Adaptionen sowie Freiformen.

524 C. Motzko et al.

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

• die werkvertragliche und die arbeitstechnische Sicht der Schalungsarbeiten differenzieren, • die Abrechnungsmodalitäten erkennen, • die Einsatzhäufigkeit der zu wählenden Schalungsarten und – systeme bestimmen, • die unternehmensspezifischen Geräteausstattungen und deren Anzahl mit einbringen bzw. die aktuellen Konditionen der Schalungslieferanten kennen. Bei der Entwicklung von Bauwerkskonzepten kann die in Tab. 6 dargestellte und auf der Grundlage von Nachkalkulationen erstellte Kategorisierung von Bauwerken nach dem Schalungsaufwand behilflich sein: Bauwerkskategorie 1: Bauwerke mit geringem Schalungsaufwand, Bauwerkskategorie 2: Bauwerke mit normalem Schalungsaufwand, Bauwerkskategorie 3: Bauwerke mit hohem Schalungsaufwand, Bauwerkskategorie 4: Bauwerke mit außergewöhnlichem Schalungsaufwand.

525

Bei der Herstellung von Bauteilen der Kategorie 4 in Sichtbeton als Freiformen können Stundenaufwände von über 8 Std./m2 kalkuliert werden. Für die Schätzung der Anteile von Hauptleistungen, Nebenleistungen und Besonderen Leistungen bei Bauwerken der Kategorien 1 und 2 können die in Tab. 7 angegebenen Richtwerte angesetzt werden. In Bezug auf die Kalkulations- und Ausführungsrichtwerte wird auf die Fachliteratur (ARH 2015; Hoffmann et al. 2012) verwiesen. In diesem Zusammenhang ist auf die Relevanz des Einarbeitungseffektes bei Schalungsarbeiten hinzuweisen. Das wiederholte Ausführen einer bestimmten Schalungsaufgabe und das damit verbundene Überwinden von Anlaufschwierigkeiten führt üblicherweise zu einer Reduktion der Auftragszeiten. In Abb. 14 sind die Zuschläge für die Einarbeitung bezogen auf den Aufwandswert für verschiedene Schalungen dargestellt. Der Effekt der so genannten Ereignisdichte ist hierbei nicht berücksichtigt (Motzko 1989).

Tab. 7 Stundenanteile bei Schalungsarbeiten bei Bauwerken der Kategorien 1 und 2 (Hoffmann et al. 2012)

Pos. Nr. 1.

2.

3.

4.

Gegenstand Hauptleistungen (Schalungen gemäß Traggerüste Bemessungsklasse A nach DIN EN 12812:2008-12) Vorbereiten, Einmessen, Einschalen, Trennmittel aufbringen, Ausrichten Ausschalen, Zwischentransporte, Zwischenlagerung Reinigen, Entnageln, Grobreinigung Arbeitsplatz Nebenleistungen Auf-/Abladen = Schal- und Rüstmaterial Einrichtung Abbundplatz, Montage/Demontage Schlussreinigung Besondere Leistungen Aussparungen, Nischen, Schlitze, Traggerüste sofern nicht Klasse B, Arbeits- und Schutzgerüste für andere besonders Leistungen ausgeschrieben Besondere Nachbehandlung, Abdeckungen, Absperrungen Profilierungen, Vouten, Konsolen Einbauteile, Fugenausbildung Leistungen im Rahmen der Baustelleneinrichtung und Arbeitsvorbereitung Sonstige Leistungen

Einzelanteile in % je Einzelpos.

Anteile in % je Pos. von 1–4 ca. 50–70

ca. 50–65 ca. 20–30 ca. 15–30 ca. 10–20

ca. 10–25

ca. 10–20

526

C. Motzko et al.

100 % 90

Spezialschalungen

70 60

Standardschalungen

50 40 30

Universal (Standardschalung)

20 10

21

20

19

18

17

16

15

14

13

12

11

10

9

8

7

6

5

4

3

2

Konstant eingearbeitetet Kolonnen

0

0

1

Zuschlage für Einarbeitung (in %)

80

Anzahl der Einsätze

Abb. 14 Zuschläge für die Einarbeitung (Hoffmann et al. 2012)

Bemessungsaspekte Arbeits- und Schutzgerüste werden bezüglich der Standsicherheit sowie der Gebrauchstauglichkeit auf der Grundlage von gekoppelten versuchstechnischen und analytischen Verfahren nachgewiesen. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Biegebeanspruchung der Ständerrohre im verankerungsfreien Bereich gelegt (Hertle und Motzko 2007, S. 666). Zu erwähnen ist, dass die Nachweisführung bei Modulgerüsten, die gegenwärtig im Trend der Neuentwicklungen liegen, erheblich aufwendiger ist als bei Rahmengerüstsystemen. Im Falle von Traggerüsten sowie Schalungen gestalten sich die Nachweise komplexer. Insbesondere bezüglich des Grenzzustandes der Gebrauchstauglichkeit sind sowohl das Abbild der Einwirkungen als auch die richtigen Annahmen hinsichtlich der Systemmodellierung, hier unter anderem Steifigkeiten, elastische Einspannung, Spiele in den Verbindungsmitteln oder Setzungen, erforderlich. Im Bereich der Schalungen spielt der Frischbetondruck in den Prozessen auf der Baustelle eine außerordentlich wichtige Rolle, daher wird dieser nachfolgend genauer beschrieben.

Nach DIN EN 12812 werden für Traggerüste die Bemessungsklassen A und B definiert, die vom entwerfenden Ingenieur zu wählen sind. Bei den Traggerüsten der Bemessungsklasse A handelt es sich um in der Praxis bewährte Konstruktionen, welche bestimmte Querschnittsflächen, Spannweiten und Höhen nicht überschreiten dürfen. Mit der Bemessungsklasse B sind Traggerüste erfasst, welche vollständig auf der Grundlage der entsprechenden Eurocodes zu bemessen sind und differenziert nach der Bemessungsklasse B1 und B2 zusätzlichen Randbedingungen und Spezifikationen unterliegen. Dem Management einer Baustelle sollten die in der Regel anzusetzenden vier maßgeblichen Lastfälle für die Bemessung von Traggerüsten bewusst sein, die nach individuellen Gegebenheiten anzupassen sind: • Lastfall 1: Traggerüst ohne Last, z. B. vor dem Betonieren bzw. vor dem Belasten; • Lastfall 2: Traggerüst während des Aufbringens der Last, z. B. während des Betonierens; • Lastfall 3: Traggerüst mit Last, z. B. nach dem Betonieren;

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

• Lastfall 4: Traggerüst mit Last unter Erdbebenbelastung (im Bereich signifikanter Erdbebengefährdungen). Frischbetondruck auf lotrechte Schalungen Bei der Herstellung von vertikalen Elementen der Konstruktionen aus Beton wird auf Baustellen beobachtet, dass der Anstieg des Frischbetonspiegels in der Schalung keiner Kontrolle unterzogen wird und dadurch Frischbetondrücke generiert werden, denen mindestens die Gebrauchstauglichkeit der Schalungskonstruktionen nicht gewachsen ist. Dieses führt zu übermäßigen Verformungen mit der Folge starker Unebenheiten der Betonflächen bis hin zum kompletten Versagen der Schalungskonstruktion. Insbesondere beim Einsatz fließfähiger Betone sind eine adäquate Sorgfalt bei der Planung und ein Monitoring bei der Ausführung der Produktionsprozesse erforderlich (Schuon und Leitzbach 2008). Exemplarisch werden nachfolgend zwei Methoden der Bestimmung des Frischbetondrucks bei lotrechten Schalungen in den Grundzügen dargestellt. Die DIN 18218 gilt für vertikale Schalungen, das heißt mit einer maximalen Abweichung von  5 von der Lotrechten, und baut für den Bereich der Frischbetone der Konsistenzklassen F1 bis F4 auf der Norm aus dem Jahr 1981 auf, ergänzt diese um die fließfähigen Betone der Konsistenzklassen F5, F6 sowie den selbstverdichtenden Beton SVB. Aus baupraktischer Sicht gilt es zu beachten, dass die neue Generation der F4-Betone unter Umständen höhere Frischbetondrücke erzeugen kann als in der Norm angegeben. Die Norm ermöglicht, den Frischbetondruck als charakteristischen Wert der Einwirkung σhk zu ermitteln. Für die Bemessung der Schalungskonstruktionen und deren Abstützungen sowie der Schalungsanker ist es erforderlich, den Bemessungswert des Frischbetondrucks σhd = γF  σhk anzusetzen. Der Teilsicherheitsbeiwert γF sollte der Norm entnommen werden und wird in der Praxis beim Nachweis im Grenzzustand der Tragfähigkeit bei ungünstiger Einwirkung des Frischbetondrucks γF = 1,5 und für den Gebrauchstauglichkeitsnachweis γF = 1,0 angesetzt. Für die Bemessung der Schalung mit einer Höhe H im Grenzzustand der Tragfähigkeit ist eine

527 Tab. 8 Charakteristische Werte des maximalen horizontalen Frischbetondrucks nach DIN 18218

1 2 3 4 5 6 7 8

Maximaler horizontaler Frischbetondruck bei Einbau gegen die Steigrichtung (von oben) Konsistenzklasse σhk,max [kN/m2] F1 (5  v + 21)  K1  25 F2 (10  v + 19)  K1  25 F3 (14  v + 18)  K1  25 F4 (17  v + 17)  K1  25 F5 25 + 30  v  K1  30 F6 25 + 38  v  K1  30 SVB 25 + 33  v  K1  30

Dabei ist v die Steiggeschwindigkeit (Betoniergeschwindigkeit) in m/h; K1 der Faktor zur Berücksichtigung des Erstarrungsverhaltens nach Tab. 9

ungünstige Laststellung anzusetzen. Im Falle, wenn H größer als hE = v  tE ist, wird das Frischbetondruck-Verteilungsdiagramm als Wanderlast über die Schalungshöhe angesetzt. Unter den Randbedingungen, dass die Rohwichte des Frischbetons γc 25 kN/m3 beträgt, das tatsächliche Erstarrungsende des in die Schalung eingebauten Frischbetons den Wert von tE nicht überschreitet, der Frischbeton mit Innenrüttlern verdichtet wird, die Schalungskonstruktion dicht ist, die mittlere Steiggeschwindigkeit v bei Verwendung der Betone der Konsistenzklassen F1 bis F4 an jedem Punkt höchstens 7,0 m/h beträgt und der Beton gegen die Steigrichtung, das heißt von oben in die Schalung, eingebracht wird, kann die Berechnung der charakteristischen Werte des maximal möglichen Frischbetondrucks σhk,max nach den Formeln in Tab. 8 (die Faktoren K1 sind in Tab. 9 erfasst) vorgenommen werden. Der maximale charakteristische Wert des Frischbetondrucks beim Einbau von oben ist der hydrostatische Wert σ hk,max,hydr = γc  H. Es ist zu beachten, dass verschiedene Einflussgrößen das Erstarrungsende und damit den anzusetzenden Frischbetondruck erhöhen oder reduzieren können wie zum Beispiel das Kühlen des Betons, die Art der Verdichtung, die Betonrezeptur, der Bewehrungsanteil, etwaige Erschütterungen während des Erstarrungs- und Erhärtungsvorgangs, die Relation der Frischbetoneinbautempera-

528

C. Motzko et al.

Tab. 9 Faktoren K1 zur Berücksichtigung des Erstarrungsverhaltens nach DIN 18218 1 2 3 4 5 6 7 a

1 Konsistenzklasse

F1a F2a F3a F4a F 5, F6, SVB

2 Faktoren K1 Erstarrungsende tE = 5 h 1,0 1,0 1,0 1,0 1,0

3

4

5

Erstarrungsende tE = 10 h 1,15 1,25 1,40 1,70 2,00

Erstarrungsende tE = 20 h 1,45 1,80 2,15 3,10 4,00

Allgemeinesb 1 + 0,03  (tE – 5) 1 + 0,053  (tE – 5) 1 + 0,077  (tE – 5) 1 + 0,14  (tE – 5) tE/5

Gilt für Betonierabschnitte mit einer Höhe H bis 10 m Gilt für 5 h  tE  20 h; tE in h

b

tur Tc,Einbau zur Referenztemperatur Tc,Ref oder die Außentemperatur, wenn die Frischbetontemperatur Tc während der Erstarrungszeit unter die Einbautemperatur Tc,Einbau sinkt. Das Erstarrungsende tE kann über den Knetbeuteltest nach DIN 18218 oder mit moderner Sensorik (MEVA 2016) bestimmt werden. Beim Befüllen der Schalung mit SVB von unten beträgt die maximale Pumphöhe 3,50 m, und der hydrostatische Frischbetondruck ist für die Bemessung der Schalungskonstruktion anzusetzen. Die Details der Nachweisführung sind der Norm zu entnehmen und entsprechend anzuwenden. Abschließend sei darauf zu verweisen, dass Schalungsanker die aus der Schalungskonstruktion übertragenen Einwirkungen des Frischbetondrucks übernehmen. Bezüglich des Frischbetondrucks bei geneigten Schalungen wird auf die Angaben in (Freund et al. 2014) verwiesen. Auftrieb aus dem Frischbetondruck Bei der Bemessung von Schalungskonstruktionen, insbesondere bei geneigten Schalungen (Konterund Deckelschalungen) sowie bei Einbauteilen, sind weiterhin Auftriebskräfte zu beachten. Ferner ist die Reibungskraft zwischen Schalungshaut und Frischbeton zu berücksichtigen. Dabei ist neben den Einzelteilen ebenso die Auftriebssicherheit der gesamten Schalung zu überprüfen (GSV 2007). Reicht das Eigengewicht des betreffenden wirksamen Schalungsbereiches zur Auftriebssicherung nicht aus, sind Zusatzmaßnahmen wie zum Beispiel das Verankern der Schalung mit der Aufstandsfläche oder

das Ballastieren erforderlich. Die auftretenden Kräfte müssen genau ermittelt und abgeleitet werden. Besonders beim Einsatz von SVB ist zu beachten, dass in Fällen, wenn die Schalung geringfügig angehoben wird, der Frischbeton an der undichten Stelle ausfließen kann. Ausschalfristen von Betonbauteilen Die Bestimmung des Ausschalzeitpunktes ist sowohl aus technologischer als auch aus bauökonomischer Sicht von hoher Relevanz. Aus technologischer Sicht ist sicherzustellen, dass das Traggerüst, die Schalung und die Hilfsunterstützung erst dann entfernt werden, wenn das Bauteil ausreichend tragfähig ist, das heißt, der Beton die notwendige Festigkeit erreicht hat respektive die Unterstützung durch ein Traggerüst nicht mehr notwendig ist. Beim Ausschalen und Ausrüsten ist unter anderem zu beachten, dass keine Beschädigungen der Betonflächen, keine unzulässigen Durchbiegungen und keine nachteiligen Witterungseinflüsse entstehen. Details können DIN EN 13670 entnommen werden. Den Zeitpunkt des Ausschalens und Ausrüstens bestimmt die Bauleitung, was die Verantwortung für die Sicherheit der Prozesse auf der Baustelle, für die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit der ausgeführten Bauteile sowie für den ökonomischen und terminlichen Erfolg des Bauprojekts unterstreicht. Für die Ausschalfristen biegebeanspruchter Bauteile gibt das DBV-Merkblatt Betonschalungen und Ausschalfristen (DBV 2013) drei Methoden an:

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

• Bestimmung des Ausschalzeitpunktes nach Erfahrung. Die Bestimmung des Ausschalzeitpunktes nach Erfahrung ist von der Qualifikation der Bauleitung respektive des Unternehmens abhängig. Stand der Technik, anerkannte Regeln der Technik sowie das gültige Normenwerk sind anzuwenden. • Tabellarische Anhaltswerte für den üblichen Hochbau. Für Beton- und Stahlbetonbauteile im üblichen Hochbau und ohne besondere Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit (zum Beispiel Durchbiegungsbeschränkung), eingeschränkt auf Balken und Platten bis 6 m Spannweite sowie für Stürze und Ringbalken wurden im DBV-Merkblatt Betonschalungen und Ausschalfristen (DBV 2013) Anhaltswerte für Ausschalfristen t0 publiziert. Dabei wird angenommen, dass die Einwirkungen zum Ausschalzeitpunkt t0 nur aus Eigenlasten und überwiegend lotrechten Nutzlasten bestehen, was bei biegebeanspruchten Bauteilen zu einer Belastung von ca. 70 % des Endzustandes mit Ed0 = 0,70 Ed28 (Lastausnutzungsfaktor α0 = 0,70) führt. So beträgt beispielsweise die Ausschalfrist bei einer Bauteiltemperatur von ϑ  15  C und einer mittleren Festigkeitsentwicklung des Betons (r  0,30; r = fcm2/ fcm28) etwa 8 Tage. Die Anhaltswerte gelten auch für die Standzeiten von Hilfsstützen, zum Beispiel bei Anwendung von Modul-Deckenschalungen mit Fallkopfsystemen. • Bestimmung der Ausschalfrist mit Nachweis der Ausschalfestigkeit. Sind die zuvor angegebenen Methoden nicht anwendbar, ist der Ausschalzeitpunkt t0 über die erforderliche Ausschalfestigkeit fcm0 respektive über die Mindestbetonfestigkeitsklasse im Planungsprozess (Mitwirkung von Tragwerksplanung, Arbeitsvorbereitung und Bauleitung) zu definieren. Die Ausschalfestigkeit fcm0 ist auf Basis von Erhärtungsprüfungen oder Reifegradprüfungen nachzuweisen, wobei moderne Sensorsysteme zum Einsatz kommen können (Beispiel s. Doka 2014).

529

4.5

Schalungstechnische Aspekte der Sichtbetontechnologie

Sichtbar bleibende Betonflächen (nachfolgend Sichtbeton) bilden ein wichtiges Element der architektonischen und der funktionalen Gestaltung von Bauwerken sowohl des Hochbaus als auch des Tief- und Ingenieurbaus. Eine Präzisierung der Merkmale von Sichtbetonflächen und der Prozesse, welche mit der Ausschreibung, der Ausführung, der Abnahme und gegebenenfalls der Mängelbeseitigung von Sichtbeton zusammenhängen, wurde mit der Publikation des Merkblatts Sichtbeton (DBV/VDZ 2015), welches sich seit der Erstpublikation im Jahr 2004 mit der novellierten Klassifizierung zu einem Standard in der Baupraxis entwickelt hat, vorgenommen. Zur Entschlüsselung der Sichtbetontechnologie wurden mehrere Forschungsprojekte durchgeführt, welche sich unter anderem mit der Fragestellung der Wechselwirkungen in den Produktionsprozessen beschäftigten. Die Details können im Rahmen des vorliegenden Aufsatzes nicht erläutert werden, daher wird auf publizierte Forschungsberichte sowie Buchpublikationen verwiesen (Motzko et al. 2006; Lohaus et al. 2011; Peck et al. 2016). Das Merkblatt definiert vier Sichtbetonklassen (s. Tab. 10) sowie dazugehörige Anforderungsklassen, welche über die Merkmale Textur, Porigkeit, Farbtongleichmäßigkeit, Ebenheit, Arbeitsfugen und Schalungsstöße sowie Schalungshautklassen quantifiziert sind. Für die Baupraxis ist der Prozess der Abnahme relevant, in dessen Rahmen die Beurteilung der Sichtbetonflächen erfolgt. Das grundlegende Abnahmekriterium für die vereinbarte Sichtbetonklasse bildet nach Abschn. 7.1 des Merkblatts der Gesamteindruck, welcher nach Abschn. 7.2 aus angemessenem Betrachtungsabstand und unter üblichen Lichtverhältnissen gewonnen wird. Für den Fall, dass der Gesamteindruck von den vertraglichen Vereinbarungen abweicht, werden die Einzelmerkmale geprüft. Der technologische Fortschritt im Bereich der Schalungs- und Gerüsttechnik ermöglicht die Formgebung des Betons in Spektren einerseits

1

2 3 4 5 6 Anforderungen an geschalte Sichtbetonflächen nach Klassen bezüglich FartongleichArbeitsfugen und Porigkeit1 mäßigkeit1,2 Schalungsns s ns Ebenheit stöße Textur s T1 P1 FT1 E1 AF1

8

Weitere Anforderungen

7

9

HerErprobungen3 Schalungshaut4 stellkosten Z Sichtbetonklasse Beispiele freigestelt SHK1 niedrig 1 Sichtbeton geringen SB 1 Betonflächen mit mit Anforderungen gestalterischen Anforderungen, z. B. Kellerwände oder Bereiche mit gewerblicher Nutzung P2 P1 FT2 FT2 E1 AF2 empfohlen SHK 2 mittel 2 normalen SB 2 Betonflächen mit normalen T2 Anforderungen gestalterischen Anforderungen, z. B. Treppenhausräume, Stützwände 3 SB 3 Betonflächen mit T2 P3 P2 FT2 FT2 E2 AF3 dringend SHK2 hoch gestalterischen empfohlen Anforderungen, z. B. Fassaden 4 SB 4 Betonflächen mit besonders T3 P4 P3 FT3 FT2 E3 AF4 erforderlich SHK3 sehr hoch hohen gestalterischen besonderen Anforderungen, Anforderungen repräsentative 1 s = saugende bzw. ns = nicht saugende Schalungshaut gemäß Tab. 4 2 Der Gesamteindruck einer Sichtbetonfläche ist i. d. R. erst nach längerer Standzeit (u. U. nach mehreren Wochen) beurteilbar. Die Farbtongleichmäßigkeit ist aus dem üblichen Betrachtungsabstand gemäß Abschn. 7 zu beurteilen 3 Anforderungen an Erprobungen siehe auch Tab. A.6 4 Anforderungen an Schalungshaut siehe Tab. 3 Hinweis für alle Sichtbeton- und Anforderungsklassen: Im Sinne dieses Merkblattes ist der Gesamteindruck einer Sichtbetonfläche das grundlegende Beurteilungskriterium für die vereinbarte Sichtbetonklasse. Die gestalterische Wirkung der Sichtbetonfläche ist grundsätzlich nur in ihrer Gesartwukung angemessen beurteilbat, d. h. nicht nach Maßgabe absolut erklärter Einzelmerikmale. Die Verfehlung von vertraglich vereinbarten Einzelmerkmalen soll nur dann zu einer Nachbesserungspflicht führen, wenn der Gesamteindruck des betroffenen Bauteils in seiner Gestaltungswirkung gestört ist. Bei der Beurteilung ist neben den Abschn. 5.1.2 und 7 dieses Merkblattes auch zu beachten, dass jedes Bauteil als Unikat zu sehen ist. Geringe Unregelmäßigkeiten, z. B. der Textur und des Farbtons, sind in allen Sichtbetonklassen charakteristisch

S

Tab. 10 Sichtbetonklassen und zugehörige Anforderungsklassen (DBV/VDZ 2015)

530 C. Motzko et al.

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

zwischen einfachen geometrischen Körpern bis hin zu räumlich gekrümmten Freiformen und anderseits, in Bezug auf die Gestaltung, ohne Anforderungen bis hin zu glatten pigmentierten Betonflächen mit höchsten Sichtbetonanforderungen. Aus der Komplexität der Sichtbetontechnologie wird die Notwendigkeit der Bildung von auf streng kooperativen Arbeitsformen basierenden Arbeitssystemen abgeleitet. Grundlegend ist die Auswahl der beteiligten Personen nach Qualifikation, begründete Selektion von Betriebsmitteln sowie präzise Definition von Arbeitsabläufen. Ergebnis sind Unikate. Eine präzise vertragliche Vereinbarung der Sichtbetonklasse ist von Relevanz sowohl für die bauherrenseitige Kostenplanung als auch für die bauunternehmerseitige Kalkulation und Preisbildung. Zu beachten ist, dass die Ästhetik des Sichtbetons nicht ausschließlich auf den Hochbau begrenzt ist, sondern ein wichtiges Gestaltungselement von Ingenieurbauwerken im Kontext der Präzisierungen der gegenwärtigen ZTV-ING (2014) bildet. Hier werden zum Teil sehr detaillierte Anforderungen im Teil 3 Massivbau, Abschn. 2 Bauausführung, Abschn. 4 Traggerüste und Schalungen mit Bezug zur Klassifizierung im Merkblatt Sichtbeton (DBV/ VDZ 2015) definiert, welche in der Leistungsbeschreibung zu artikulieren sind. Bemerkenswert ist, dass für alle sichtbar bleibenden geschalten Betonflächen die Sichtbetonklasse SB2 als Standard definiert ist (s. Abschn. 7.4 Sichtflächen und Oberflächenbearbeitung): (1) Alle sichtbar bleibenden geschalten Flächen sind als Sichtbeton der Sichtbetonklasse SB2 nach DBV/VDZ-Merkblatt Sichtbeton auszuführen. Abweichend zur Sichtbetonklasse SB2 gilt als Anforderung an die Ebenheit der Betonfläche E2 anstelle der Ebenheit E1. (2) Bei besonderen Anforderungen an die Gestaltung der Sichtflächen ist in der Regel die Sichtbetonklasse SB3 zu vereinbaren. Dies ist in der Leistungsbeschreibung vorzusehen. ... (4) Für alle sichtbar bleibenden Betonflächen gelten folgende Anforderungen: - fluchtgerechte, einheitliche, geschlossene, ebene und porenarme Oberfläche ohne Mörtelwülste und -grate, - kein Abmehlen oder Absanden der Oberfläche,

531 - einheitliche Farbtönung aller Sichtflächen einzelner Bauwerksteile, - Maßhaltigkeit und fehlerfreie Kanten der Bauwerksteile und - zweckmäßige, unauffällige Anordnung und einwandfreie Ausführung von Arbeitsfugen. ...

4.6

BIM-Fachmodell Schalungstechnik (Ortbetonbauweise)

Die Schalungstechnik befindet sich seit geraumer Zeit auf dem Weg der Digitalisierung, denn der technologische Diskurs um schalungstechnische Lösungen für architektonisch und bautechnisch anspruchsvolle Aufgaben erfordert den Einsatz rechnergestützter Methoden (bereits in Motzko 1989 entwickelt). In Abb. 15 ist ein Workflow bei der Fertigung und beim Einsatz von Schalungskörpern für eine räumlich gekrümmte Freiform in Sichtbeton dargestellt. Die Freiformgeometrie wird auf dem Pfad von der CAD-Bauteilmodellierung über die rechnergestützte Modellierung der Negativform der Schalungsfläche für die Schalungshaut sowie der dazugehörigen Knaggen erzeugt, deren Abmessungen einer CNC-Fräse zugeführt werden. Das Zusammenfügen der Komponenten zu Schalungskörpern, welches in der Regel in Werkmontage erfolgt, sowie die Schalungsarbeiten auf der Baustelle erfordern den Einsatz hoch qualifizierter Arbeitsbrigaden. Die Planungsprozesse verlaufen vollständig in der digitalen Welt, während die Fertigungsprozesse durch manuelle und maschinelle Tätigkeiten durchwoben sind und somit digital-unterstützt verlaufen. Die Teilprozesse beider Sphären greifen auf ein zentrales Datenmodell zu, um die Inputdaten für ihre Verarbeitungsprozesse zu gewinnen (z. B. Plan- und Planungsgrößen) und liefern Ergebnisdaten (z. B. Bauteildokumentation) zurück. Zur Systematisierung und Standardisierung des Daten- und Informationsflusses im Kontext des sich in einer rasanten Entwicklung befindenden Building Information Modeling (BIM) wurde das BIM-Fachmodell Schalungstechnik entwickelt (GSV 2017b), ein Datenaustauschmodell zum Einsatz von BIM-Methoden in der Schalungsplanung

532

C. Motzko et al.

Abb. 15 Digitalisierter Workflow bei Schalarbeiten einer Freiform in Sichtbeton. (nach Motzko und Löw 2017)

in der Struktur von fünf Level of Development. Das Modell entspricht gemäß den buildingSMARTStandards dem Status des IDM (Information Delivery Manual). In den Strukturen der IDM-Beschreibungen werden die Anforderungen zum Datenaustausch zusammengefasst. Sie definieren grundlegend den Umfang und die Spezifikationen der Informationen, die eine bestimmte Rolle

(Anwender) zu einem bestimmten Zeitpunkt bzw. in einem bestimmten Arbeitsprozess innerhalb eines BIM-Projektes zur Verfügung stellen muss (buildingSMART 2017). Das Fachmodell würdigt sowohl die Unikatfertigung im Bauwesen als auch die Tatsache, dass durch die gegenwärtige Arbeitsteilung in Bauprojektorganisationen die Schalungslieferanten und die Schalungsplaner zum Kern der

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

Bauprojektbeteiligten gehören. Die Weiterentwicklungen in die Model View Definition (MVD) sind zu beachten.

4.7

Aspekte des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in der Schalungstechnik

Grundlegende Angaben zum Arbeits- und Gesundheitsschutz sind in Abschn. 2 enthalten. Bezüglich der Aspekte des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Bereich der Schalungstechnik wird konstatiert, dass der Europäische Normenausschuss CENTC/53 „Temporary works equipment“ (Temporäre Bauhilfsmittel) bei der Erstellung von Normen selbstverständlich die Prinzipien der Arbeitssicherheit berücksichtigt, beispielsweise in DIN EN 13374 bezüglich der Anforderungen an Bordbretter und Seitenschutzeinrichtungen, analog zu den Anforderungen bei Arbeits- und Schutzgerüsten. Grundsätzlich wird vorausgesetzt, dass die temporären Bauhilfsmittel den Regelwerken entsprechen und damit eine ausreichende Gebrauchstauglichkeit für die baustellenspezifischen Aufgabenstellungen und für die sichere Verwendung besitzen. Für bestimmte temporäre Bauhilfsmittel sind in Deutschland zusätzliche Maßnahmen erforderlich (s. Tab. 4), um die Sicherheit dieser Produkte zu gewährleisten. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn Bemessungsnormen keine Beanspruchbarkeiten vorgeben, sondern diese aus Versuchsdaten ermittelt werden müssen – beispielsweise bei Gerüstknoten aus Gusswerkstoffen. Der Bereich Traggerüste, Schalungen und Gerüste, für den mehrere Europäische Verordnungen und Direktiven gelten, zählt zu den temporär eingesetzten Arbeitsmitteln oder temporären Bauhilfsmitteln und unterliegt nicht, wie bereits ausgeführt wurde, der Bauprodukteverordnung (BauPVO 2011). Der Hersteller temporärer Bauhilfsmittel ist für die sach- und fachgerechte Bemessung seiner Produkte verantwortlich und ebenso für deren Fertigung vor dem Inverkehrbringen (Bereitstellung auf dem Markt). Hierfür gilt die Europäische Verordnung in Form des Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG 2011), welches ausdrücklich weitergehende Regelungen über andere

533

Gesetze zulässt – beispielsweise zur Konformitätserklärung mit CE-Zeichen. Mit den Produkten ist eine Gebrauchsanleitung – bei temporären Bauhilfsmitteln oft Aufbau- und Verwendungsanleitung genannt – in der Sprache des EU-Verwendungslandes zu liefern. Im Zusammenhang mit Traggerüsten und Schalungen sowie deren Zubehör werden häufig spezifische Lastaufnahmemittel als Kranhaken für Schalungselemente oder Versetztraversen für Deckentische verwendet (s. Abb. 16). Diese Lastaufnahmemittel unterliegen der Maschinen-Richtlinie (MRL 2006) und sind mit einem CE-Zeichen sowie weiteren produktspezifischen Angaben dauerhaft zu kennzeichnen. Des Weiteren werden vorwiegend für längliche Produkte wie Baustützen und Holzschalungsträger Stapelgestelle als Aufbewahrungs- und Transportmittel verwendet, die als sogenannte Lagergeräte nicht der CE-Kennzeichnung unterliegen (Leitzbach 2010). Die Bereitstellung und Verwendung temporärer Bauhilfsmittel als Arbeitsmittel ist über die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV 2017) geregelt. Neben verschiedenen anderen Vorgaben muss der Unternehmer als Arbeitgeber eine Montageanweisung für die zu verwendenden Arbeitsmittel in allen Nutzungsphasen (Montage, Nutzung, Wartung, Demontage, etc.) erstellen. Diese Montageanweisung basiert auf einer Gefährdungsbeurteilung unter Berücksichtigung der Baustellenrandbedingungen sowie der Aufbau- und Verwendungsanleitungen des verwendeten Arbeitsmittels. In der BetrSichV sind im Anhang 1 Kap. 3 „Besondere Vorschriften für die Verwendung von Arbeitsmitteln bei zeitweiligen Arbeiten auf hoch gelegenen Arbeitsplätzen“ Gerüste explizit erwähnt und in TRBS 2121-1 (TRBS 2019) näher geregelt. Anzuwenden ist die SchutzmaßnahmenKaskade nach dem T-O-P-Prinzip. Zuerst sind technische, dann organisatorische und, wenn diese nicht möglich sind respektive wenn ergänzende Maßnahmen erforderlich sind, die personenbezogenen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Weiterführende Regelungen und Informationen befinden sich in verschiedenen Dokumenten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. wie die Branchenregel für Rohbauarbeiten (DGUV 2017). Für die Nutzung auf den Baustel-

534

C. Motzko et al.

Abb. 16 Beispiele für Lastaufnahmemittel und Lagergeräte. (nach Leitzbach 2010)

len ist eine übersichtliche BG Bau-Applikation für PC oder für mobile Endgeräte verfügbar. Eine letzte Anmerkung gilt dem Einsatz von Betontrennmitteln auf Schalungen: Diese Trennmittel sind als Gefahrstoff klassifiziert. Damit sind dessen Sicherheitsdatenblatt und die Anwendungshinweise zu beachten. Aus Umweltschutzgründen ist ein möglichst sparsamer Einsatz anzustreben, um das Eindringen von überflüssigen, nicht aufgetragenen Trennmitteln in den Boden wegen der Grundwassergefährdung zu vermeiden. Die meisten Trennmittel sind über einen definierten Zeitraum biologisch abbaubar, d. h., im bestimmten Umkreis um und für Trinkwasser führende Bauwerke verboten, da die Bakterien, die den biologischen Trennmittelabbau ermöglichen, an der Betonoberfläche verbleiben und die Trinkwassereigenschaften negativ beeinflussen.

5

Bauverfahren und Maschineneinsatz im Hoch- und Tiefbau

5.1

Erdarbeiten

Eberhard Petzschmann und Christoph Motzko

Allgemeine Grundlagen der Erdarbeiten Die Erdarbeiten umfassen die bei der Errichtung von Bauwerken erforderlichen Vorgänge der Veränderung der Lage, der Form respektive der Lagerungsbeschaffenheit von Boden und Fels. Aus baubetrieblicher Sicht handelt es sich im Allgemeinen um den Aushub von Baugruben für Bauwerke, um den Bodenabtrag (Ein-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

535

schnitte) sowie um die Anwendung von Boden und Fels als Werkstoffe für den Bau von Erdbauwerken oder von Teilen davon (Dammbau, Tragschichten für den Straßenbau). Die im Bereich der Erdarbeiten auszuführenden Tätigkeiten umfassen die Teilvorgänge des Lösens und Ladens, des Transportierens, des Einbauens und des Verdichtens mit dem gegebenenfalls erforderlichen Ausgleichen und Planieren von Boden- und Felsmassen. Die zur Verfügung stehenden Erdbaumaschinen können je nach Bauart für einzelne oder mehrere dieser Teilvorgänge verwendet werden. Durch den hohen Mechanisierungsgrad von Erdarbeiten ist eine möglichst präzise Auswahl der Erdbaumaschinen sowie die Entwicklung von baulogistischen Konzepten für das Zusammenwirken dieser untereinander und mit den Transportgeräten erforderlich. Hierfür sind im Rahmen der Arbeitsvorbereitung die Maschineneinsatz- und die Betriebsplanung auf der Grundlage begründeter Werte über Geräteleistungen, Gerätekosten und Einsatzbedingungen vor Beginn der Arbeiten anzufertigen. Durch den Fortschritt in der Digitalisierung wurden Telematik-Systeme zur Verwaltung, Überwachung und koordinierten Einsatzplanung der Maschinen aus der Ferne entwickelt. Diese Systeme generieren Daten und Informationen, welche in Echtzeit abgerufen werden können wie zum Beispiel Meldungen von Betriebszuständen und Betriebszeiten, Positionsbestimmung zur räumlichen Steuerung und Kontrolle sowie durch die Erfassung des gesamten Maschinenparks eine Harmonisierung des Maschineneinsatzes. Von besonderer Relevanz für den Arbeits- und Gesundheitsschutz sind Warnsysteme, welche bei beschränkten Sichtverhältnissen durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln (Sensoren) Personen und Objekte im Gefahrenbereich erkennen lassen.

und des Ladens, des Transportierens, des Einbauens und des Verdichtens mit dem gegebenenfalls erforderlichen Ausgleichen und Planieren, für die Befahrbarkeit des Geländes sowie für die vorübergehende Standfestigkeit von Böschungen oder ähnlichen Bereichen entscheidend sind. Den Bauverträgen wird im Allgemeinen die ATV DIN 18300 zugrunde gelegt. Zu beachten ist, dass mit der Novellierung des Normenwerks im Bereich der Erdarbeiten die bisherige Differenzierung zwischen der Bodenklassifikation für bautechnische Zwecke (nach DIN 18196:2011-05) und der Einstufung von Boden und Fels beim Lösen (Bodenklassen 1 bis 7 nach DIN 18300:2012-09) aufgehoben wurde. Gemäß den novellierten Normen der VOB Teil C (Allgemeine Technische Vertragsbedingungen, Ausgabe September 2016) für die Bereiche des Erdbaus, des Tiefbaus und der Spezialtiefbauarbeiten ist der Baugrund in Homogenbereiche einzuteilen. Grundlage der Ausschreibung ist daher eine Baugrunderkundung, welche in einem Geotechnischen Bericht nach EC 7 dokumentiert ist. In der Regel wird auftraggeberseitig eine Klassifizierung in Homogenbereiche vorgenommen und auftragnehmerseitig die Auswahl der Bauverfahren und der Geräte durchgeführt. Analog zur bisherigen Praxis der Klassifizierung in sieben Bodenklassen bilden die Parameter der Homogenbereiche die Basis für die Auswahl der Erdbaugeräte und für die Bewertung der Erdbauprozesse im Kontext der Kalkulation, der Preisbildung, der Ressourcenzuordnung und der Terminplanung für die Auftragnehmerseite. Daher ist die Angabe der für den Baubetrieb relevanten Parameter in den Daten und Informationen der Homogenbereiche notwendig. Gemäß DIN 18300:2016-09 sind Homogenbereiche wie folgt definiert:

Bodenzustände und Bodeneigenschaften Bei den Bodenzuständen wird unterschieden zwischen natürlicher Lagerung (gewachsener Boden), aufgelockerter Lagerung (gelöster Boden, Volumenzunahme) und verdichtetem Boden. Wichtige Voraussetzung für die Maschineneinsatzplanung bei Erdarbeiten sind genaue Kenntnisse der Bodeneigenschaften, die für die Art des Lösens

2.3 Einteilung von Boden und Fels in Homogenbereiche Boden und Fels sind entsprechend ihrem Zustand vor dem Lösen in Homogenbereiche einzuteilen. Der Homogenbereich ist ein begrenzter Bereich, bestehend aus einzelnen oder mehreren Boden- oder Felsschichten, der für Erdarbeiten vergleichbare Eigenschaften aufweist. Sind umweltrelevante Inhaltsstoffe zu beachten, so sind diese bei der Einteilung in Homogenbereiche zu berücksichtigen.

536

C. Motzko et al.

Hieraus kann baubetrieblich bezüglich der Gestaltung von Arbeitssystemen unter anderem abgeleitet werden:

• Ein Homogenbereich umfasst Boden- und Felsschichten und ermöglicht eine Zuordnung von Qualifikationen von Arbeitskräften, Bestimmung von Betriebsmitteln und deren notwendigen Leistungswerten (z. B. Erdbaumaschi-

Ortsübliche Bezeichnungen Korngrößenverteilung mit Körnungsbändern nach DIN 18123 Massenanteil Steine, Blöcke und große Blöcke nach DIN EN ISO 14688-1 und -2 Mineralogische Zusammensetzung Steine und Blöcke nach DIN EN ISO 14689-1 Bodengruppe nach DIN 18196 Bodengruppe nach DIN 18915 Dichte nach DIN EN ISO 17892-2 oder DIN 18125-2 Kohäsion nach DIN 18137-1 bis -3 undränierte Scherfestigkeit nach DIN 4094-4, 18136 oder 18137-2 Sensitivität nach DIN 4094-4 Wassergehalt nach DIN EN ISO 17892-1 Plastizitätszahl nach DIN 18122-1 Konsistenzzahl nach DIN 18122-1 Konsistenz nach DIN EN ISO 14688-1 Durchlässigkeit nach der Normenreihe DIN 18130 Lagerungsdichte D Def. n. DIN EN ISO 14688-2, Best. s. MEH, Kap. 2.6.1 Sondierwiderstände mit Angabe des Sondierverfahrens Kalkgehalt nach DIN 18129 Organischer Anteil nach DIN 18128 Benennung und Beschreibung organischer Böden nach DIN EN ISO 14688-1 Abrasivität nach NF P18-579 Sulfatgehalt nach Handbuch EC 7, Band 2, wasserlöslich Korndichte nach DIN 18124 Schalenanteil

1) 2)

1)

2) 2) 1)

2)

Für mobile Böden ausreichende Angaben für Erdarbeiten der Geotechnischen Kategorie 1 nach DIN 4020 ausreichende Angaben

Nach VOB/C Kap. 2.3 erforderliche Angaben

zusätzliche Angaben

Leitparameter

Landschaftsbauarb. DIN 18320

Horizontalspülbohra. DIN 18324

Düsenstrahlarbeiten DIN 18321

Rohrvortriebsarb. DIN 18319

Schlitzwandarbeiten DIN 18313

Nassbaggerarbeiten DIN 18311

Ramm-, Rüttel-, Pressarb. DIN 18304

Bohrarbeiten DIN 18301

Erdarbeiten DIN 18300

Tab. 11 Kennwerte und Eigenschaften für die Beschreibung einer Bodenschicht (gem. BAW 2017)

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

537

Ortsübliche Bezeichnung Benennung nach DIN EN ISO 14689-1 Dichte nach DIN EN ISO 17892-2 oder DIN 18125-2 Verwitterung und Veränderungen, Veränderlichkeit nach DIN EN ISO 14689-1 Kalkgehalt nach DIN 18129 einaxiale Druckfestigkeit des Gesteins nach DIN 18141-1, (DGGT Empfehlung Nr. 1 des AK 3.3) Spaltzugfestigkeit nach DGGT –Empfehlung Nr. 10 des AK 3.3 Trennflächenabstand nach DIN EN ISO 14689-1 Trennflächeneinrichtung , Gesteinskörperform nach DIN EN ISO 14689-1 Öffnungsweite und Kluftfüllung von Trennflächen nach DIN EN ISO 14689-1 Gebirgsdurchlässigkeit nach DIN EN ISO 14689-1 und DIN EN ISO 22282-4 Abrasivität nach NF P94-430-1 Sulfatgehalt nach Handbuch EC 7, Band 2, wasserlöslich 1)

Horizontalspülbohrarb. DIN 18324

Düsenstrahlarbeiten DIN 18321

Rohrvortriebsarbeiten DIN 18319

Schlitzwandarbeiten DIN 18313

Nassbaggerarbeiten DIN 18311

Ramm-, Rüttel-, Pressarb. DIN 18304

Bohrarbeiten DIN 18301

Erdarbeiten DIN 18300

Tab. 12 Kennwerte und Eigenschaften für die Beschreibung einer Felsschicht (gem. BAW 2017)

1)

1)

1)

1)

für Erdarbeiten der Geotechnischen Kategorie 1 nach DIN 4020 ausreichende Angaben Nach VOB/C Kap. 2.3 erforderliche Angaben

nen) sowie die Verbindung dieser Elemente über adäquate Arbeitsabläufe. • Üblicherweise wird eine weiterführende Zusammenfassung von Homogenbereichen für ein spezifisches Gewerk nicht erfolgen. Dieses trifft für den Fall nicht zu, wenn die Homogenbereiche für unterschiedliche Gewerke bereits aufgestellt wurden oder eine solche Individualisierung erforderlich respektive zweckmäßig ist. • Umweltrelevante Inhaltsstoffe wie zum Beispiel Schadstoffbelastungen sind anzugeben. In der Praxis wird es, bedingt durch die spezifischen geologischen Formationen und Schwierigkeiten, unter Umständen notwendig werden, eine vollständige bautechnische Beschreibung zu erarbeiten, die anstehenden Boden- und Fels-

Leitparameter

schichten in einem Homogenbereich zusammenzufassen, obwohl eine bauverfahrenstechnische Differenzierung erforderlich wäre (BAW 2017). Die zu definierenden Arbeitssysteme sind in solchen Fällen im Zuge der Konzeptionierung und der Kalkulation der Arbeiten auf die schwierigsten Bedingungen abzustimmen (BAW 2017). In den Tab. 11 und 12 sind die Kennwerte und Eigenschaften für die Beschreibung von Bodenund Felsschichten gemäß VOB/C DIN 18300: 2016-09 aufgelistet. Es wird eine zusätzliche Kennzeichnung sogenannter Leitparameter gemäß BAW vorgenommen, welche eine besondere Bedeutung für die Verfahrensauswahl haben respektive welche die Wirtschaftlichkeit beeinflussen. Grundsätzlich gilt, dass die für den jeweiligen Leistungsbereich gültigen ZTV anzuwenden sind.

538

C. Motzko et al.

Tab. 13 Beispiele für die Zuordnung in die Geotechnischen Kategorien (GK) (Große und Borchert 2015) Bauwerk

Baugrund Grundwasser Beispiele

GK 1 - geringe Lasten - setzungsunempfindliches Tragwerk einfache Verhältnisse nicht relevant - Einfamilienwohnhaus - Rohrgräben bis 2 m Tiefe

GK 2 - übliche Lasten - unterschiedliche Verformungen können vom Tragwerk aufgenommen werden durchschnittlich beherrschbar - Hoch- und Ingenieurbauten mit Einzel- oder Streifenfundamenten bzw. Platten- oder Pfahlgründung - Leitungsgräben bis 5 m Tiefe

So ist zum Beispiel bei der Anwendung der ZTV E-StB 17 (ZTV E-Stb 2017) zu beachten, dass die Homogenbereiche die Schichten des Unterbaus und Untergrunds beschreiben. Die Grenze bildet das Planum, denn der Oberbau (z. B. Frostschutzschichten) unterliegt anderen Regelungen. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass in Deutschland die Verwendung von Geotechnischen Kategorien (GK 1 bis GK 3) verbindlich vorgeschrieben ist. Im Falle von Bauwerken der Geotechnischen Kategorie GK 1 handelt es sich um Bauwerke mit geringen Lasten, welche in einfachen Baugrundverhältnissen errichtet werden. Hier wird üblicherweise die Beschreibung von Homogenbereichen nicht erforderlich. In Tab. 13 sind Beispiele für die Zuordnung von Bauwerken in Geotechnische Kategorien dargestellt. In den nachfolgenden Ausführungen werden Parameter und Richtwerte zur Ermittlung der Nutzleistung von Erdbaumaschinen angegeben. Bedingt dadurch, dass diese Werte bisher auf die Homogenbereiche nicht angepasst wurden, weisen sie den Bezug zu den Bodenklassen 1 bis 7 nach DIN 18300:2012-09 auf. Im Kontext der angesprochenen Novellierung der Normen wird davon ausgegangen, dass die Anwendung von Homogenbereichen sowohl auf Auftraggeberseite als auch auf Auftragnehmerseite umfangreiche Kenntnisse in den theoretischen und praktischen Grundlagen der Geotechnik erfordert (ZDB 2016). Leistung von Erdbaumaschinen Die Grundbegriffe zur Leistungsermittlung von Erdbaumaschinen sind in DIN ISO 9245 festgelegt und werden nachfolgend aufgeführt. Leistung Q

GK 3 - hohe Lasten - setzungsempfindliches Tragwerk schwierig problematisch - Hochhäuser, Türme - Brücken mit großer Spannweite

Leistung Q [m3fest/h] ist das pro Zeiteinheit bewegte Materialvolumen. Grundleistung (theoretische Leistung) QB Grundleistung (theoretische Leistung) QB [m3fest/h] ist diejenige Leistung, welche mit der jeweiligen Arbeitseinrichtung bei einer bestimmten Einsatz- und Materialart kurzzeitig erreichbar ist und bei der leistungsmindernde Einflüsse aus Gerätezustand, Baustellenorganisation und Witterung unberücksichtigt sind. Ein eingearbeiteter Baumaschinenführer wird vorausgesetzt. Nutzleistung QA Nutzleistung QA [m3fest/h] ist diejenige Leistung, welche mit der jeweiligen Arbeitseinrichtung bei einer bestimmten Einsatz- und Materialart unter Berücksichtigung aller leistungsbeeinflussenden Größen wie Gerätezustand und -bedienung, Baustellenorganisation und Witterung auf Dauer erreicht wird. Nutzleistungsfaktor fE Der Nutzleistungsfaktor fE ergibt sich aus der Relation der Nutzleistung zur Grundleistung: fE ¼

QA : QB

Auflockerungsfaktor fS Der Auflockerungsfaktor fS gibt das Verhältnis des Volumens des Bodens nach dem Lösen respektive nach dem Aufnehmen zum Volumen vor dem Lösen respektive vor dem Aufnehmen an: fS ¼

Volumen der losen Masse ðnach dem LösenÞ  1: Volumen der festen Masse ðvor dem LösenÞ

Verdichtungsfaktor fV

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

539

Der Verdichtungsfaktor fV quantifiziert die Relation des Volumens der verdichteten zur unverdichteten Bodenmasse: fV ¼

oder

Volumen der verdichteten Masse : Volumen der unverdichteten Masse

f L ¼ f F =f S:

Füllungsfaktor fF Der Füllungsfaktor fF gibt das Verhältnis des Volumens je Arbeitsspiel nach dem Lösen respektive nach dem Aufnehmen zum Nenninhalt der Arbeitsausrüstung VR an: Volumen je Arbeitsspiel der losen Masse ðnach dem LösenÞ : fF ¼ Nenninhalt V R der Arbeitsausrüstung Ladefaktor fL Neben dem Füllungsfaktor fF ist der Begriff Ladefaktor fL gebräuchlich. Er bezeichnet das Verhältnis des Füllungsfaktors fF zum Auflockerungsfaktor fS. Dieses Verhältnis ist identisch mit dem Verhältnis des Volumens vor dem Lösen bzw. Aufnehmen zum Nenninhalt der Arbeitsausrüstung:

t1 t2 t3 t4 t5 t6

t1 t2 t3

Volumen je Arbeitsspiel der festen Masse ðvor dem LösenÞ fL ¼ Nenninhalt V R der Arbeitsausrüstung

Nenninhalt VR Der Nenninhalt VR [m3] ist der Wert, welcher das normativ ermittelte Fassungsvermögen der Arbeitsausrüstung angibt. Arbeitsspiel Das Arbeitsspiel definiert einen mehrfach wiederholten Vorgang mit gleicher Ablauffolge der Teilvorgänge. Spielzeit t Die Spielzeit t gibt die Dauer eines Arbeitsspiels an, bei Erdarbeiten üblicherweise in Sekunden [s] oder Minuten [min]. In Abb. 17 ist das Beispiel der Struktur eines Arbeitsspiels dargestellt. Die Spielzeit t kann über die in Tab. 14 erfasste Spielzahl in Abhängigkeit von der Bodenklasse nach DIN 18300:2012-09 sowie von der Art des Grabgefäßes ermittelt werden:

Zeit für das Füllen des Grabwerkzeugs (Lösen des Bodens) Zeit für das Heben des Hauptauslegers Zeit für das Schwenken Zeit für das Entleeren Zeit für das Rückschwenken (leer) Zeit für das Senken des Hauptauslegers

t4 t5

t01 Überllappung t2–t3 t02 Überllappung t3–t4 t03 Überllappung t5–t6

t6

t01

t02 t

Abb. 17 Spielzeit t [s]: Dauer eines Arbeitsspiels

t03

540

C. Motzko et al.

Tab. 14 Spielzahl n [h 1] VR in m3 0,5 0,75 1,0 1,25 1,5 1,75 2,0 2,25 2,5

Bodenklasse nach DIN 18300:2012-09 3 4 TL LS KS TL LS 238 212 225 217 198 217 215 209 192 205 205 200 200 184 193 196 194 194 177 183 190 188 188 172 175 185 183 183 165 168 178 178 159 162 174 172 154 155

KS 200 191 182 175 168 162

5 TL 212 198 192 184 177 172 165 159 154

LS Es liegen bisher keine Werte vor.

KS 200 191 182 175 168 162

6 TL Es liegen bisher keine Werte vor.

LS 157 155 152 150 148 145 142

KS 160 155 151 150 148 148



TL Tieflöffel LS Ladeschaufel  KS Klappschaufel 



3600 ½s: n

In Tab. 15 sind mittlere Richtwerte für den Auflockerungsfaktor fS sowie für den Füllungsfaktor fF für verschiedene Erdbaugeräte in Abhängigkeit von den Boden- und Felsklassen nach DIN 18300:2012-09 angegeben. Die tatsächlichen Werte hängen vom Feuchtigkeitsgehalt, von der Korngröße und der Verdichtung ab. Zur Bestimmung genauerer Werte sind Versuche erforderlich. Kosten von Baumaschinen und Baugeräten Die Kosten von Bauleistungen werden im Rahmen der Kosten- und Leistungsrechnung einer Bauunternehmung, dort im Bereich der Bauauftragsrechnung, mithilfe unterschiedlicher Kalkulationsverfahren ermittelt (Girmscheid und Motzko 2013). Die zu bestimmenden Kosten für Baumaschinen und Baugeräte (Gerätekosten) setzen sich in der Regel zusammen aus: • Kosten der Gerätevorhaltung: Abschreibung und Verzinsung (Kapitaldienst) sowie Reparaturkosten, • Kosten der Bedienung, • Kosten der Betriebs- und Schmierstoffe sowie für Wartung und Pflege, • Kosten für Auf- und Abbau, Verladung und Transporte sowie für Lagerung auf dem Bauhof, • Kosten für Geräteversicherungen und Steuern,

• etwaige Anteile der allgemeinen Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn, • betriebsindividuelle Kosten, • Kosten für Sonderausstattungen; moderne Erdbaugeräte sind in der Regel mit umfangreichen Steuerungssystemen als Hilfsmittel für den Geräteführer sowie mit Sensorsystemen zur Erfassung der geografischen Lage, der Betriebszustände sowie zum Anzeigen von Personen und Gegenständen im Gefahrenbereich ausgestattet. Das Standardwerk für die Ermittlung der Kosten der Gerätevorhaltung bildet die Baugeräteliste. Sie enthält technische und wirtschaftliche Daten der für die Bauausführung und für die Baustelleneinrichtung gängigen Gerätearten und Gerätegrößen. Die Daten sind produktneutral und systematisiert über einen Geräteschlüssel. Sie wird verwendet unter anderem als: • Grundlage für die innerbetriebliche und zwischenbetriebliche Verrechnung von Gerätekosten, • Grundlage für die Organisation und Disposition von Geräten in Bauunternehmen, • Hilfsmittel für die Beurteilung von Geräte- und Maschinenkosten, • Hilfsmittel für die Betriebsplanung und die Arbeitsvorbereitung hinsichtlich Wahl und Beurteilung von Geräteeinsätzen, • Hilfsmittel für die Investitionsplanung, Bilanzierung und steuerliche Bewertung,

0,98 0,93

0,87 0,89

0,80 0,72

0,90 –

0,87 –

0,80 0,72

0,72

0,80

0,89

0,99

1,02

0,60

0,80

0,85 0,85

0,95

0,95

1,00 1,00 1,00 –

0,86 0,87 0,97 –

0,73 0,77 0,91 –

0,86 0,87 0,95 –

1,00

erdfeucht 1,00

trocken 0,90

nass 1,00

Planierraupe fF

Radlader

0,95

1,00

0,89 1,00



1,02

0,92 0,95 0,98 –

trocken 1,00

0,95

1,06

1,00 1,05

1,08

1,12

1,08 1,05 1,12 –

erdfeucht 1,10

Transportfahrzenge fF

höchstens 30,Gew. % Steine bis 0,01 m3 nach ATV DIN, 18300 mehr als 30,Gew. & Steine bis 0,01 m3 nach ATV DIN 18300 c höchstens 30,Gew. % Steine zwischen 0.01 m3 und 0,1 m3 nach ATV DIN,18300 d Steine mit mehr als 0,1 m3 nach ATV DIN, 18300 (0,01 m3 entspricht etwa 25 cm Kanlenlänge; 0,1 m3 ca. 50 cm) e jeweils für lockere, mitteldichte und dichte Lagerung

b

a

Boden- und Felsklasse nach ATV DIN 18300:2012-09 Hydraulikbagger Bodenarten nach DIN 18196:201105 1 Oberboden 1,20 (Mutterboden) 2 Fließende Bodenarten: flüssige bis breiige Beschaffenheit 3 Leicht lösbare Bodenarten: Sand, Kiessand (nicht bindig) 1,13 Kies, Schotter (nicht bindig) 1,13 Sand, Kies (schwach bindig) 1,13 Torf, Mudden (schnittfest) – 4 Mittelschwer lösbare Bodenarten: Sand-Kies-Gemisch (bindig) mit 1,20 kleinen Steinena, Mergel, Schutt lehm- und tonhaltige Böden mit 1,20 kleinen Steinena 5 Schwer lösbare Bodenarte: Gesteinsschotter, Geröllb 1,15 fest zusammenhängende Böden mit 1,15 Geröll und großen Steinenc 6 Leicht lösbarer Fels und vergleichbare Bodenarten: Gesprengter oder gerissener 0,95 feinstückiger Felsd 0,92 grobstückiger Felsd 7 Schwer lösbarer Fels: Felsarten. die nur wenig klüftig oder verwittert sindd 0,95

1,06

1,00 1,02

1,05

1,05

1,10 1,03 1,10 –

nass 1,10

1,70/–/2,26

1,55/–/2,60

1,45/1,73/2,11 1,66/1,87/2,02

1,47/1,75/1,84

1,33–/2,00

1,00/–/1,33

1,00/–/1,67

1,00/1,19/1,45 1,00/1,12/1,22

1,00/1,19/1,25

1,00/1,26/1,43

1,00/1,26/1,43

0,95/1,13/1 ,37

1,34/1,70/1,92

1,00/1,14/1,23

1,00/1,19/1,45

Auflockerungsfaktor fse

1,51/1,72/1,86

[t/m] 0,95/1,13/1,37

Lagerungsdichte ρe

Tab. 15 Auflockerungsfaktor fS sowie Füllungsfaktor fF in Abhängigkeit von den Boden- und Felsklassen nach DIN 18300:2012-09 im Zusammenhang mit den Bodenarten nach DIN 18196:2011-05

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik 541

542

• Hilfsmittel für die Bewertung bei Versicherungsfällen, Sachverständigengutachten und gerichtlichen Entscheidungen. Im Rahmen der Angebotskalkulation werden Erfahrungswerte der Bieter zur Anwendung kommen respektive die Werte der BGL den Bedingungen des Wettbewerbs entsprechend angepasst. Vorbereitende Arbeiten Zu den vorbereitenden Arbeiten auf Auftraggeberseite zum Aufstellen der Ausschreibungsunterlagen (Leistungsbeschreibung und Vertragsbedingungen) gehören Geländeaufnahmen und alle geologischen sowie boden- und felsmechanischen Untersuchungen zur Beurteilung und Klassifizierung der anstehenden Böden (Bestimmung der Homogenbereiche), vor allem die Entwurfspläne einschließlich Längs- und Querprofilen, die Mengenberechnung einschließlich der Angabe von Seitenentnahmen und -kippen sowie die Förderwege und -weiten. Die im Rahmen der Betriebsplanung auf Auftragnehmerseite zu erbringenden Vorleistungen bestehen im Wesentlichen aus der Ermittlung der

Abb. 18 Übersicht verschiedener Baggerarten

C. Motzko et al.

Nutzleistung der als Einzelgeräte oder in Arbeitsketten einsetzbaren Baumaschinen, der Ermittlung der Gerätekosten einschließlich der Preisbildung auf der Grundlage von kalkulatorischen und technologischen Analysen sowie einer präzisen Definition und Dokumentation der angesetzten Randbedingungen. Lösen und Laden von Boden- und Felsmaterial Je nach Festigkeit des anstehenden Bodens erfolgt das Lösen und Laden üblicherweise mit Baggern oder Ladegeräten. Eine Übersicht über verschiedene Baggerarten ist in Abb. 18 dargestellt. Reichen die Reißkräfte eines Hydraulikbaggers für schwer lösbare Bodenarten oder Fels nicht aus, muss der Boden durch Sprengen oder mittels adäquater Anbaugeräte wie Reißzahn oder Meißel vor dem eigentlichen Ladeprozess gelöst werden. Leistung von Baggern Leistung von Hydraulikbaggern Für die baubetriebliche Konzeption von Arbeitssystemen integriert der Arbeitsablauf den Menschen und die Betriebsmittel. Bei der Bestimmung der Leistung von Hydraulikbaggern bildet die Nutzleis-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

543

tung QA die gesuchte Größe. Sie kann mithilfe der nachfolgend angegebenen Formel berechnet werden:

mit fH1 = Schwenkfaktor (s. Tab. 16) fH2 = Grabfaktor (s. Tab. 17) fH3 = Entladefaktor (s. Tab. 18) fH4 = Einsatzartfaktor (s. Tab. 19) fB = Betriebsfaktor (s. Tab. 20).

  QA ¼ QB  f E m3 fest =h : Die Grundleistung QB kann mithilfe der nachfolgend angegebenen Formeln berechnet werden:   QB ¼ VR  f F  3600=f S  t m3 fest =h ðbeachte t½sÞ

Leistung von Seilbaggern Die Entwicklung der Hydraulikbagger hat dazu geführt, dass sich die Einsatzbereiche der Seilbagger auf spezielle Greifer- und Schleppschaufelarbeiten beschränken. Die Nutzleistung von Seilbaggern lässt sich analog der von Hydraulikbaggern unter Berücksichtigung spezieller Einflussfaktoren ermitteln.

oder QB ¼ VR  f L  3600=t



 m3 fest =h ðbeachte t½sÞ:

Für die Tieflöffelausrüstung wird der Ladeinhalt nach DIN ISO 7451:1985-11, für Hochlöffelausrüstung (Ladeschaufel) nach DIN ISO 7546: 1983-11 oder nach SAE/CECE berechnet. Der Nutzleistungsfaktor fE eines Hydraulikbaggers wird nach folgender Formel berechnet:

Leistung von Ladegeräten Ladegeräte arbeiten als Fahrbagger und zeichnen sich deshalb gegenüber Standbaggern durch hohe Beweglichkeit aus; sie verfügen jedoch über geringere Reißkräfte für das Lösen des Bodens. Lade-

f E ¼ f H1  f H2  f H3  f H4  f B

Tab. 16 Schwenkfaktor fH1 = Berücksichtigung des Schwenkwinkels (f1 nach (Hoffmann 2006)) Schwenkwinkel fH1

30 1,12

45 1,08

60 1,05

90 1,00

120 0,96

150 0,92

180 0,88

Tab. 17 Grabfaktor fH2 = Berücksichtigung der Grabtiefe bzw. -höhe (f2 nach Hoffmann 2006) Grabtiefe in m Bodenklasse nach DIN 18300 3 bis 4 5 bis 6

1

2

3

4

5

1,00 1,00

0,93 0,95

0,87 0,91

0,84 0,87

0,82 0,85

Werte gelten nur für Grabgefäß mit VR = 0,5 . . . 1,0 m3 Bei Grabgefäßen > 1,0 m3 Leistung nur mindern, wenn die vorhandene Grabtiefe bzw. -höhe die günstige Grabtiefe bzw. -höhe unter- oder überschreitet. Günstige Grabtiefe bzw. -höhe in m: (1 bis 2)  VR.

Tab. 18 Entladefaktor fH3 = Berücksichtigung der Entleerung (f3 nach Hoffmann 2006) ungezieltes Entleeren (z. B. Halde) gezieltes Entleeren in Lkw auf Baggerplanum Volumenverhältnis Lkw/Grabgefäß fH3

fH3 = 1,00 2 3 0,69 0,73

4 0,76

5 0,79

6 0,81

>6 0,83

544

C. Motzko et al.

Tab. 19 Einsatzartfaktor fH4 = Berücksichtigung der Einsatzart (f4 nach Hoffmann 2006) behinderungsfreies Arbeiten Aushub mit häufigem Umsetzen des Gerätes Grabenaushub, unverbauter Graben Grabenaushub, verbauter Graben (ohne Verbauarbeiten) Grabentiefe in m 2,00 2,50 Boden kurzfristig standfest 0,55 0,51 Boden nicht standfest 0,47 0,45

3,50 0,46 0,41

fH4 = 1,00 fH4 = 0,73 fH4 = 0,90 fH4: 4,00 0,44 0,39

mittelmäßig 0,76 0,71 0,65 0,57

schlecht 0,70 0,65 0,60 0,52

3,00 0,49 0,43

Tab. 20 Betriebsfaktor fB (fE nach Hoffmann 2006) Baustellenbedingungen sehr gut gut mittelmäßig schlecht

Betriebsbedingungen sehr gut 0,83 0,78 0,72 0,63

geräte werden nach der Bauart ihres Fahrwerks als Raupen- oder Radlader eingesetzt. Sie arbeiten als Front- oder Schwenklader und können mit Ladeschaufel, Klappschaufel, Staplergabel und weiterem Sonderzubehör ausgerüstet werden. Als Sonderbauart verfügt der Baggerlader am Heck über eine schwenkbare Tieflöffelausrüstung. Raupenlader Das Grundgerät des Raupenladers entspricht dem der Planierraupe. Raupenlader erreichen Fahrgeschwindigkeiten bis 12 km/h und füllen die Schaufel bei der Vorwärtsfahrt. Die erforderlichen Drehungen für den Beladevorgang eines Förderfahrzeugs wirken sich besonders auf den Verschleiß der Ketten aus. Radlader Grundgerät des Radladers ist ein Radfahrwerk, mit dem Fahrgeschwindigkeiten über 60 km/h erreicht werden. Wegen der höheren Beweglichkeit sind Radlader nicht nur auf Baustellen zu finden, sondern auch in Betonmischwerken, Kiesgruben und Steinbrüchen. Wesentliches Merkmal heutiger Radlader ist die Knicklenkung, die sich v. a. bei großen Geräten durchgesetzt hat. Die Grundleistung von Radladern mit Ladeund Klappschaufel kann nach folgenden Formeln ermittelt werden:

gut 0,81 0,75 0,69 0,60

Grundleistung QB   QB ¼ VR  f F  3600=f S  t m3 fest =h ðbeachte t ½sÞ   QB ¼ VR  f L  3600=t m3 fest =h ðbeachte t ½sÞ   VR ¼ Nenninhalt des Grabgef äßes m3 : Spielzeit t t ¼ tF þ tE þ tFA ½s tF = Füllzeit [s] (nach Tab. 21) tE = Entleerzeit [s] (nach Tab. 22) tFA = Gesamtfahrzeit [s] (nach Tab. 23). Die Nutzleistung wird nach der Formel ermittelt: QA ¼ QB  f E mit dem Nutzleistungsfaktor fE = fL1  fL2  fB fL1 = Entleerungsfaktor (Tab. 24) fL2 = Einsatzfaktor = tFA / tFA + Δt (Δt = Zeitzuschlag nach Tab. 25) fB = Betriebsfaktor (s. Tab. 20). Fördern von Bodenmaterial Bodenmaterial wird in der Regel mit normalen oder geländegängigen Lastkraftwagen (Lkw), Schwerlastkraftwagen (Skw) bzw. Muldenkip-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

545

Tab. 21 Füllzeit tF [s] nach (Hoffmann 2006) Bodenklasse nach ATV DIN 18300 1 und 3 dicht mitteldicht locker 4 dicht mitteldicht locker 5 dicht mitteldicht locker 6 gelöst, feinstückig LS und FS 7 gelöst, grobstückig LS FS gelöst, feinstückig LS FS LS Ladeschaufel mit Zähnen FS Felsschaufel

Ladeschaufel-Neninhalt VR in m3 bis 1,0 2,0 3,0 4,0 7,1 8,4 9,7 11,0 5,3 6,2 7,1 8,0 4,2 4,5 4,8 5,1 9,6 10,3 11,0 11,7 7,0 7,5 8,0 8,5 5,1 5,4 5,7 6,0 14,1 14,8 15,5 16,2 7,0 7,5 8,0 8,5 5,1 5,4 5,7 6,0 8,5 8,0 7,5 7,0 18,9 17,9 16,9 15,9 16,3 15,3 14,3 13,3 14,3 13,3 12,3 11,3 11,7 10,9 10,1 9,3

5,0 12,3 8,9 5,4 12,4 9,0 6,3 16,9 9,0 6,3 6,5 14,9 12,3 10,3 8,5

6,0 13,6 9,8 5,7 13,1 9,5 6,6 17,6 9,5 6,6 6,0 13,9 11,3 9,3 7,7

Tab. 22 Entleerzeit tE [s] nach (Hoffmann 2006) Bodenklasse n. ATV DIN 18300 1 und 3

4 und 5

6 und 7

Entleerungsstelle Halde Muldenkipper 10 bis 15 m3 Lkw (6 bis 8 m3) Halde Muldenkipper 10 bis 15 m3 Lkw (6 bis 8 m3) Halde Muldenkipper 10 bis 15 m3

I.adeschaufel-Nenninhalt VR in m3 bis 1,0 2,0 3,0 4,0 5,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 2,0 2,7 3,4 4,1 4,8 2,7 4,1 5,5 6,9 8,3 1,3 1,5 1,7 1,9 2,1 1,8 2,5 3,2 3,9 4,6 2,5 4,0 5,5 7,0 8,5 1,8 1,9 2,0 2,1 2,2 3,0 3,6 4,2 4,8 5,4

6,0 2,2 5,5 9,7 2,3 5,3 10,0 2,3

Tab. 23 Gesamtfahrzeit tFA [s] nach (Hoffmann 2006) Mittlere Transportentfernung in m 5 10 20 40 60 80 100 

Beschaffenheit des Fahrwegs wellig, weich wellig, mittelfest 12 10 18 16 27 23 41 35 55 44 69 54 84 63

leicht wellig, fest 9 14 20 31 39 48 56

glatt, fest 8 12 17 27 34 42 50

mittlere Transportentfernung = Abstand der Ladestelle von der Entladestelle

pern und Dumpern transportiert. Nach der Art des Entleerens wird zwischen 2- bzw. 3-Seiten-Kippern sowie Hinter- und Vorderkippern unterschieden. Für flächige Bodenabträge können je nach Transportent-

fernung Fahr- und Flachbagger wie Planierraupen, Schürfkübelraupen, Rad- und Raupenlader sowie Motorschürfwagen (Scraper) wirtschaftlich sein. Diese Geräte übernehmen neben dem Lösen und

546

C. Motzko et al.

Tab. 24 Entleerungsfaktor fL1 = Berücksichtigung der Entleerungsart nach (Hoffmann 2006) Halde oder Übergabetrichter Fahrzeug

1,00 0,93

Tab. 25 Zeitzuschlag Δt [s] für Radlader zur Berücksichtigung der Einsatzart (Hoffmann 2006) Beschaffenheit des Fahrwegs wellig, weich wellig, mittelfest leicht wellig, fest glatt, fest

Entleerung auf Halde oder in Übergabetrichter 3 3 3 3

in Fahrzeuge 6,0 6,5 7,0 7,5

mit tB = Beladezeit [min] tF,voll = Fahrzeit für Lastfahrt [min] tE = Entladezeit [min] tF,leer = Fahrzeit für Leerfahrt [min] tW = Wagenwechselzeit am Ladegerät [min]. Die Fahrzeiten ergeben sich aus der Länge der Transportstrecke und den durchschnittlichen Geschwindigkeiten für die Lastfahrt bzw. Leerfahrt. Die Geschwindigkeiten können geschätzt (Erfahrungswerte) oder auf der Grundlage fahrdynamischer Ansätze berechnet werden. Nutzleistung QA:

Laden auch das Fördern des Bodenmaterials. Für die Einsatzplanung und Gerätewahl sind folgende Kriterien von Bedeutung: • Tragfähigkeit und Beschaffenheit der Förderstrecke, • Rollwiderstände der Förderstrecke, • Witterungsempfindlichkeit der Förderstrecke, • Förderweite zwischen den Betriebspunkten Entnahme (Beladen) und Kippe (Entladen), • Förderstreckenprofil hinsichtlich Steigung bzw. Gefälle. Da der Transportbetrieb in der Regel den höchsten Kostenanteil im Erdbau verursacht, kommt dem Aufbau und der Unterhaltung der Förderstrecke durch Einbau ausreichend starker Tragschichten und der Pflege durch Planieren und Abziehen der Fahrspuren besondere Bedeutung zu. Förderleistung von Transportfahrzeugen:   QB ¼VR f L 60=tU m3 fest =h ðbeachtetU ½minÞ mit   VR ¼ Nenninhalt des Transportfahrzeugs m3 f L ¼ Ladefaktor tU ¼ Umlaufzeit ½min: Umlaufzeit tU: tU ¼ tB þ tF,voll þ tE þ tF,leer þ tW ½min

  QA ¼ QB  f E m3 fest =h fE = fB Betriebsfaktor gemäß Tab. 20. Leistung eines Bagger-Lkw-Betriebes Beim so genannten Bagger-Lkw-Betrieb können als Ladegeräte Bagger sowie Lader eingesetzt werden und als Förderfahrzeuge Lkw, Muldenkipper oder Dumper. Bezüglich der Nutzung öffentlicher Straßen gelten für Förderfahrzeuge die Vorschriften der StVO insbesondere für Abmessungen, Achslasten und Gesamtgewicht. Über Gerätetyp, Größe, Anzahl und weitere Parameter der Förderfahrzeuge sollte entsprechend dem jeweiligen Baubetrieb entschieden werden. Das Verhältnis von Fahrzeuggröße zu Grabgefäßgröße soll aus wirtschaftlichen Gründen bei 3 bis 5 liegen. Bei einem Verhältnis von 1:1 entstehen hohe spezifische Rangierverlustzeiten für das Ladegerät, bei einem Verhältnis von 10:1 reduziert sich durch hohe Beladestillstandszeiten die Förderleistung. Die Wahl größerer Förderfahrzeuge reduziert in der Regel die Lohnkostenanteile. Die spezifische Leistung je m3 Lademöglichkeit wird dabei verringert und das Risiko infolge Fahrzeugausfälle erhöht. In der Produktionskette BaggerLkw-Betrieb ist in der Regel der Bagger durch seine höheren Kapitalkosten das Leitgerät, d. h. die Leistung des Baggers sollte voll ausgenutzt werden. Um Wartezeiten des Baggers gering zu hal-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

ten, ist die Anzahl der Lkw so zu bestimmen, dass jeweils nach dem Füllen eines Lkw der nächste unmittelbar zur Verfügung steht. Die Anzahl z der erforderlichen Lkw ergibt sich aus der Division der Nutzleistung des Baggers durch die Nutzleistung des Lkw, wobei eine Reservekapazität von 15 % vorgehalten werden sollte: z ¼ 1,15  QA,L =QA,F z ¼ erforderliche Anzahl Lkw   QA,L ¼ Nutzleistung des Ladegerätes m3 fest =h  3  QA,F ¼ Nutzleistung des Förderfahrzeuges m fest =h :

Die Nutzleistung eines Bagger-Lkw-Betriebes ist beim Bagger als Leitgerät und bei genügender Anzahl von Förderfahrzeugen gleich der Nutzleistung des Baggers. Sind durch eine zu geringe Anzahl von Förderfahrzeugen diese als Leitgeräte anzusehen, so sind für die Gesamtleistung adäquate Betriebszeitbeiwerte einzubeziehen.

547

Planierraupe als Mehrzweckgerät und übernimmt die Teilprozesse Lösen, Laden, Transportieren und Einbauen. Das vorgesehene Einbaumaterial muss auf Eignung geprüft und zum Verdichten geeignet sein, damit eine planmäßige Lagerungsdichte erreicht wird. Alle Bodenarten sind in Lagen einzubauen und zu verdichten. Bindige Böden sind unmittelbar nach dem Schütten zu verdichten und dürfen in aufgeweichtem Zustand nicht von einer neuen Lage überschüttet werden. Beim Einsatz von Schürfkübelraupen oder Motorschürfwagen (Scrapern) entfällt der Verteilvorgang mittels Planierraupe. Ein Sonderfall im Erdbau ist der maschinelle Transport und Einbau von Bodenmaterial mit Spülrohren (hydraulische Rohrförderung), der bei der Gewinnung von Sand und Kies unter Wasser mithilfe von Saug- oder Schneidkopfbaggern Anwendung findet. Grundleistung QB:

Einbauen und Verdichten von Bodenmaterial Der Prozess des Einbauens von Bodenmaterial zur Herstellung tragfähiger, standfester Erdkörper umfasst das Schütten, Verteilen und Planieren in Verbindung mit der Verdichtung. Nach dem Abkippen des Bodenmaterials vom Transportfahrzeug übernehmen Planiergeräte das Verteilen und den lagenweisen Einbau zur Herstellung eines profilgerechten Erdkörpers. Einbauleistung von Planierraupen Der lagenweise Einbau des Schüttgutes erfolgt im Regelfall mit Planierraupen, die für den Einbau aller Boden- und Felsarten geeignet sind. Für spezielle Einbauaufgaben kommen auch Raddozer wegen ihrer hohen Beweglichkeit und Grader zur Feinplanierung in Betracht. Bei gut organisiertem Schüttbetrieb und großflächigem Einbau ist im Allgemeinen nur noch ein geringer Teil (30 % bis 40 %) des abgeschütteten Bodenmaterials zu bewegen, so dass für das Verteilen kleinere Planierraupen genutzt werden können und die Planierraupe wechselweise auch als Zugmaschine für ein Verdichtungsgerät (Anhängewalze) dienen kann. Bei kurzen Entfernungen zwischen Entnahme- und Kippstelle arbeitet die

  QB ¼ VR  f L  n  f P1  f P2 m3 fest =h : Schildkapazität VR nach SAE (Standard of Automotive Engineers, s. Abb. 19): für Brustschild und Schwenkschild VR = 0,8  B  H2 [m3], für Universalschild VR= VR = 0,8  B  H2 + H  C  (B-B´) [m3]. Ladefaktor fL gemäß Tab. 15. Spielzahl n [h 1] gemäß Tab. 26. Einsatzfaktoren fP1 und fP2: fP1 Schildformfaktor (gemäß Tab. 27) fP2 Neigungsfaktor (gemäß Tab. 28). Nutzleistung QA:   QA ¼ QB  f E m3 fest =h fE = Nutzleistungsfaktor = fB fB = Betriebsfaktor (gemäß Tab. 20).

548 Abb. 19 Parameter zur Berechnung der Schildkapazität nach SAE

C. Motzko et al.

a

b

B'

C

C H

H 0,4B

0,4B 2H

B

2H

B

Brust- und Schwenkschild

Universal- (U-) Schild, Semi-U-Schild

Tab. 26 Spielzahl n [h 1] nach (Hoffmann 2006) mittlere Förderweite in m Spielzahl n in h 1

20 100

30 78

40 63

Tab. 27 Schildformfaktor fP1, nach (Krause und Ulke 2015) Schildform U-Schild S-Schild A-Schild

fP1 1,10 bis 1,25 1,00 0,70 bis 0,85

Bodenverdichtung Ziel der Bodenverdichtung ist die Überführung der lockeren Boden- oder Felsmasse in einen standfesten und porenarmen Zustand. Bei der Auswahl des adäquaten Bodenverdichtungsgerätes kommt es auf die Bodenart, die Kornform, die Kornrauigkeit, den Wassergehalt und die Korngrößenverteilung an. Der von der Tragwerksplanung vorgegebene respektive der vertraglich vereinbarte Verdichtungsgrad ist zu erreichen. Gleichzeitig ist die Erfordernis der Wirtschaftlichkeit zu erfüllen. Bei der Geräteauswahl ist zunächst zu prüfen, ob es sich um einen nichtbindigen (körnigen) oder um einen bindigen Boden handelt. Nichtbindige Böden werden üblicherweise mithilfe der Vibration (Zusammenwirken von dynamischen Kräften in einer definierten Frequenz) verdichtet. Durch Vibration werden der Reibungswiderstand zwischen den einzelnen Bodenkörnern

50 50

60 42

70 36

80 31

90 27

100 24

Tab. 28 Neigungsfaktor fP2, nach (Krause und Ulke 2015) Neigung: + Steigung/ Gefälle +30 % +20 % +10 % 0% 10 % 20 % 30 %

fP2 0,40 0,65 0,85 1,00 1,15 1,22 1,25

reduziert und durch Aufschlag der Porenraum reduziert sowie die Wasser- und Lufteinschlüsse verdrängt. Die Lagerungsdichte (Trockendichte) des Bodens wird erhöht. Die Vibration erhöht die Tiefenwirkung der Aufschlagenergie. Als Verdichtungsgeräte werden üblicherweise Vibrationsplatten oder Vibrationswalzen eingesetzt. Bindige Böden werden üblicherweise durch das Zusammenwirken von Knet- und Schlagarbeit verdichtet. Mithilfe der Schlagarbeit werden die Haftfestigkeit der einzelnen Körner zueinander überwunden und die Korn-zu-Korn-Reibung reduziert. Luft- als auch Wassereinschlüsse können an die Oberfläche verdrängt und eine dichtere Lagerung erzielt werden. Hierbei sind eine

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

große Hubhöhe beispielsweise eines Vibrationsstampfers sowie eine hohe Schlagfolge im Bereich von ca. 700 Schlägen/Minute (Angaben Wacker Neuson) zu empfehlen. Universell einsetzbare Vibrationswalzen mit Noppen- oder Stampffuß-Bandagen (auch Schaffuß-Bandagen genannt) eignen sich besonders aufgrund der knetenden Tätigkeit bei gleichzeitiger Vibration mit hoher Frequenz (Angaben Wacker Neuson). Bestimmung der Verdichtungsleistung für eine Vibrationswalze Grundleistung – Flächenleistung QB,A = b´v/z [m2/h], – Mengenleistung QB,V = QB,AhfV [m3fest/h] mit b´ wirksame Arbeitsbreite [m] (etwa 0,8Walzenbreite). v Arbeitsgeschwindigkeit [m/h]. z Anzahl der Übergänge über die gleiche Fläche, h Schütthöhe des unverdichteten Bodens [m], fV Verdichtungsfaktor. Nutzleistung – Flächenleistung QA,A=QB,AfE [m2/h], – Mengenleistung QA,V=QB,VfE [m3fest/h]. Nutzleistungsfaktor fE=fB, mit fB Betriebsfaktor (gemäß Tab. 20). In Tab. 29 sind Anhaltswerte für den Geräteeinsatz bei Verdichtungsarbeiten angegeben.

5.2

549

bei Schalungs- und Rüstungsarbeiten, Bewehrungs- und Betonierarbeiten, Mauerarbeiten sowie Fertigteilmontagen zu erbringen sind, werden auf den Baustellen des Hoch- und Ingenieurbaus meist Turmdrehkrane verwendet. Dabei sind die Arbeitsplätze z. B. bei höheren Gebäuden nicht nur mit den Arbeitsgegenständen, d. h. den Baustoffen und Baumaterialien, mittels Hebezeuge zu versorgen. Vielmehr müssen auch die Arbeitskräfte und die Betriebsmittel, z. B. Geräte und Werkzeuge, als Aufgabe der Versorgungslogistik und die Abfälle im Rahmen der Entsorgungslogistik transportiert werden. Neben den Turmdrehkranen werden für besondere Aufgaben sowie besondere Transport- und Montagebedingungen Fahrzeugkrane, Portalkrane sowie verschiedene sonstige Bauarten von Hebezeugen, z. B. Bauaufzüge, eingesetzt. Eine beispielhafte Gliederung von Hebezeugen wird durch die Baugeräteliste (BGL) vorgenommen. Hier werden folgende Gruppen differenziert (Hauptverband 2015): • • • • • • • • •

Turmdrehkrane, Sonstige stationäre oder gleisgebundene Krane, Mobil-, Auto- und Raupenkrane, Förderkübel und sonstige Lastaufnahmemittel für Krane, Winden und Elektrozüge, Material- und Personenaufzüge, Fassaden-Befahrgeräte, Arbeitsbühnen, Gabelstapler, Teleskoparmstapler.

Turmdrehkrane Turmdrehkrane werden nach folgenden Merkmalen unterschieden:

Auswahl und Einsatz von Hebezeugen

Eberhard Petzschmann und Jörg Fenner

Bauarten von Hebezeugen Die auf Baustellen zu bewegenden Lasten unterscheiden sich erheblich hinsichtlich Art, Gewicht und Abmessungen. Für Transporte, die

• die Anordnung des Drehwerks: Untendreher oder Obendreher; • die Bauart bzw. der Typ des Auslegers (s. Abb. 20): Nadelausleger (Wippausleger) oder Laufkatzausleger, letzterer kann auch als Biegebalkenausleger (Waagebalkenausleger), Teleskopausleger oder Knickausleger konstruiert sein;

+ gut geeignet • bedingt geeignet nicht geeignet

Bodengruppen I II III Grobkörnige Böden (nicht bindigGemischtkörnige Böden (schwach schwach bindig) bindig – bindig) Feinkörnige Boden (bindig) Zonen und Art der Betriebsgewicht Schütthöhe Zahl Schütthöhe Zahl Schütthöhe Zahl Verdichtungsgeräte kg Eignung cm Überg. Eignung cm Überg. Eignung cm Überg. 1. Leichte Verdichtungsgeräte (vorwiegend für die Leitungszone) Vibrationsleicht bis 25 + bis 15 2–4 + bis 15 2–4 + bis 10 2–4 Stampfer mittel 25–60 + 20–40 2–4 + 15–30 3–4 + 10–30 2–4 Explosionsleicht bis 100 • 20–30 3–4 + 15–25 3–5 + 20–30 3–5 Stampfer Vibrationsleicht bis 100 + bis 20 3–5 • bis 15 4–6 Platten mittel 100–300 + 20–30 3–5 • 15–25 4–6 Vibrationsleicht bis 600 + 20–30 4–6 • 15–25 5–6 Walzen 2. Mittelschwere und schwere Verdichtungsgeräte (oberhalb der Leitungszone) Vibrationsmittel 25–60 + 20–40 2–4 + 15–30 2–4 + 10–30 2–4 Stampfer schwer 60–200 + 40–50 2–4 + 20–40 2–4 + 20–30 2–4 Explosionsmittel 100–500 • 20–40 3–4 + 25–35 3–4 + 20–30 3–5 stampfer schwer über 500 • 30–50 3–4 + 30–50 3–4 + 30–40 3–5 Vibrationsmittel 300–750 + 30–50 3–5 • 20–40 3–5 Platten schwer über 750 + 40–70 3–5 • 30–50 3–5 Vibrations600–8000 + 20–50 4–6 + 20–40 5–6 Walzen • Die Richtwerte der Tabelle sind abhängig u. a. von der Korngrößenverteiliung und dem Wassergehalt des zu verdichtenden Bodens und wurden in Anlehnung an das „Merkblatt für das Zufüllen von Leitungsräben“. herausgegeben von der Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen, Köln, erstellt.

Tab. 29 Anhaltswerte für den Geräteeinsatz bei Verdichtungsarbeiten (Wacker 1992)

550 C. Motzko et al.

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

551

Abb. 20 Auslegertypen bei Turmdrehkranen (Liebherr 1995)

• die Bauart bzw. die Ausbildung des Turms: Fachwerkkonstruktion, Vollwandkonstruktion, beide können ggf. teleskopierbar konstruiert sein; • die Art der Aufstellung: stationär (d. h. ortsfest) oder fahrbar (auf Gleis- bzw. Schienenfahrwerk oder auf Raupenfahrwerk); • die Art des Aufbaus: selbstaufrichtend (Schnelleinsatzkran), Auf- und Abbau mit Hilfskran (Fahrzeugkran), selbstkletternd durch Klettervorrichtung (Kletterkran). Beim Nadelausleger ist der Seilführungspunkt fix am Auslegerende angeordnet. Unterschiedliche Schwenkradien werden durch ein Verändern des Anstellwinkels des Auslegers (ca. zwischen 15 und 85 zur Horizontalen) realisiert. Dies ermöglicht neben einer zusätzlichen Hubhöhe ein Ausweichen vor Hindernissen. Typisches Einsatzgebiet des Nadelauslegers ist der Bau von Hochhäusern. Der auf den Baustellen dominierende Auslegertyp ist jedoch der Laufkatzausleger. Bei diesem sind der Lastanschlagpunkt und damit auch die Last durch ein Fahren der Laufkatze entlang des Auslegers in horizontaler Richtung beweglich; unterschiedliche Schwenkradien werden dadurch erzielt. Leichte Schnelleinsatzkrane sind als Untendreher konstruiert (s. Abb. 21), d. h. der Drehkranz ist am Fußpunkt des Turms auf einem Unterwagen

montiert, so dass sich Turm, Ballast und Ausleger gemeinsam drehen. Zu den Oberdrehern gehören die schweren Laufkatzausleger, bei denen der Drehkranz am Kopfpunkt des feststehenden Turms angeordnet ist und sich nur der Ausleger dreht (s. Abb. 22). Die Aufstellung von Turmdrehkranen erfolgt auf einem Einzelfundament durch Lasteinleitung mittels Fundamentanker oder auf einem Fundamentkreuz (ggf. mit aufliegendem Ballast) oder auf einem Unterwagen mit Plattenabstützung bzw. auf einem Gleisfahrwerk oder auf individuellen Sonderkonstruktionen für den Einzelfall. Die wesentliche technische Kenngröße von Turmdrehkranen ist das Lastmoment [tm]. Weitere Kenngrößen sind die Ausladung [m], die Hubhöhe [m], die Traglast bzw. Tragkraft [t], die Arbeitsgeschwindigkeiten für Heben und Senken [m/s], Laufkatzfahren [m/s] und Drehen [U/s] sowie die Fahrgeschwindigkeit [m/s] bei Gleisbetrieb.

Fahrzeugkrane Fahrzeugkrane sind fahrbare Drehkrane, die einen auf dem Unterwagen drehbaren Oberwagen haben. Sie haben den Vorteil großer Beweglichkeit und hoher Traglasten bei steilen Anstellwinkeln im fahrzeugnahen Bereich. Der Kranstandort kann für die konkrete Transportaufgabe jeweils

552

C. Motzko et al.

Abb. 21 Schnelleinsatzkran (Untendreher) mit Laufkatz-Knickausleger (Liebherr 1995)

individuell festgelegt werden. Es wird jedoch im Vergleich zu stationären Turmdrehkranen eine größere Stellfläche benötigt. Fahrzeugkrane werden häufig für Montageaufgaben genutzt, zudem als Ergänzung zu Turmdrehkranen, zur Bedienung isolierter Bauabschnitte und Bauteile sowie zum Ausgleichen von Belastungsspitzen eingesetzt. Die wesentliche technische Kenngröße ist die Traglast [t] in Abhängigkeit von dem durch die Ausladung [m] und die Hubhöhe [m] definierten Arbeitsbereich (s. Abb. 23). Zur genauen Beurteilung eines Fahrzeugkrans dienen die Lastdiagramme bzw. Traglasttabellen der Hersteller. Bei den Fahrzeugkranen lassen sich in Abhängigkeit des Fahrwerks und der Motorisierung Mobilkrane, Autokrane und Raupenkrane unterscheiden (Hauptverband 2015).

• Mobilkrane sind selbstfahrend; sie sind mit einem gemeinsamen Motor für den Fahrbetrieb und Kranbetrieb ausgestattet; ihre Motorleistung ist für den Kranbetrieb bemessen (s. Tab. 30). • Autokrane haben straßentaugliche Unterwagen mit separatem Führerhaus für den Fahrbetrieb. Die Motorleistung ist für diesen bemessen; sie verfügen ggf. über getrennte Motoren

für den Fahr- und den Kranbetrieb (s. Abb. 23 und Tab. 31). • Raupenkrane entsprechen Raupenbaggern und werden v. a. bei schwierigem Gelände, z. B. im Rohrleitungsbau, eingesetzt. Portalkrane Eine Portalkrankonstruktion setzt sich aus zwei i. d. R. schienenfahrbaren Stützen (Fest- und Pendelstütze) und einer Kranbrücke mit Laufkatze zusammen (s. Abb. 24). Portalkrane kommen für besondere Bauaufgaben, z. B. im Bereich der Schächte von Tunnelbaustellen, sowie in Fertigteilwerken und auf Bauhöfen, d. h. in stationären Werk-, Lager- und Fabrikationsstätten, zum Umschlagen schwerer Lasten zum Einsatz. Sonstige Bauarten von Hebezeugen Als sonstige Bauarten von Hebezeugen sind Derrickkrane – z. B. für das Bewegen schwerer Lasten bei Stahlbaumontagen und für Turmdrehkrandemontagen bei hohen Gebäuden – sowie Kabelkrane für weiträumige Baustellen (z. B. Flusskraftwerke, Staudämme) zu benennen. Daneben kommen Bauaufzüge – reine Materialaufzüge oder kombinierte Personen- und Materialaufzüge, z. B. zur Versorgung der Ausbaugewerke im Hochbau – und Arbeitsbühnen

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

553

Abb. 22 Kletterkran (Obendreher) mit Lastmomentverlauf (Liebherr 1995)

(Hubbühnen), Winden sowie Gabelstapler und Teleskoparmstapler zum Einsatz. Bestimmen der erforderlichen Krankapazität Im Rahmen der Arbeitsvorbereitung und Baustelleneinrichtungsplanung sind Anzahl, Größe, Standorte und Einsatzdauer der Krane anhand baubetrieblicher und bauwirtschaftlicher Kriterien festzulegen. Einfluss auf diese Entscheidung nehmen Faktoren, die aus der zur Verfügung stehenden Bauzeit, der Größe der Baumaßnahme, den eingesetzten Bauverfahren und Baumethoden sowie Sicherheitsanforderungen resultieren, wie Massen, Massenschwerpunkte und Abmessungen der zu bewegenden Transportgüter, die Bauwerksgeometrie (z. B. die Höhe, auch die der Nachbarbebauung), die Anzahl der zu bedienenden Arbeitskräfte sowie die Notwendigkeit alle Arbeits-, Lager- und ggf. erforderlichen Lastübernahmebereiche mit dem Kran zu überstreichen.

Krankapazität nach der Bauleistung Die erforderliche Krankapazität bzw. Krananzahl für Rohbauarbeiten im Hochbau (Ortbetonbau) kann überschlägig über den umbauten Raum, d. h. den Brutto-Rauminhalt (BRI), die zur Verfügung stehende Bauzeit und die durchschnittliche monatliche Bauleistung bei Einsatz eines Krans ermittelt werden. Erforderliche Krankapazität GKr:

GKr ½  ¼

BRI ½m3   3  m D ½Mon  LKr Mon

mit: GKr BRI D

erforderliche Krankapazität [-] Brutto-Rauminhalt [m3] Bauzeit [Mon=Monat]

554

C. Motzko et al.

Abb. 23 Diagramm für den Arbeitsbereich eines Autokrans mit 70 t Traglast (Liebherr 1994)

Tab. 30 Mobilkran Baureihe 15-80 t max. Traglast (Liebherr 1994) max. Traglast 3 m Ausladung 15

max. Hubhöhe ca. m 16

max. Ausladung ca. m 15

max. Fahrgeschwindigkeit km/h 25

Motorleistung kW Fahr- und Kranmotor 80

30

30

25

40

120

40

40

35

40

160

50

50

40

35

160

80

50

40

30

190

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

555

Abb. 24 Bauteile eines Portalkrans (Aumund 1995)

Tab. 31 Autokran Baureihe 25-400 t max. Traglast (Liebherr 1994) max. Traglast t 3m Ausladung 25

max. Hubhöhe ca. m 40

max. Ausladung ca. m 30

max. Fahrgeschwindigkeit km/h 70

Motorleistung kW Fahrmotor Kranmotor 170 –

40

45

35

70

220



50

55

40

70

260



70

60

45

70

260

115

90

65

50

70

320

115

120

70

50

70

320

120

140

75

55

70

320

130

200

95

70

70

390

150

300

110

85

70

390

210

400

130

100

70

390

260

556

LKr

C. Motzko et al.

durchschnittliche monatliche Bauleistung bei Einsatz eines Krans [m3/Mon].

Bei Rohbauarbeiten im Hochbau (Ortbeton) beträgt die durchschnittliche Bauleistung LKr bei einem Einschichtbetrieb, Einsatz eines Krans, Verwendung von Großflächenschalung und einer Frischbetonförderung • mittels Pumpe 3000 bis 4000 m3/Mon • mittels Kran und Kübel ca. 2000 m3/Mon. Zur überschlägigen Ermittlung der erforderlichen Krankapazität für die Montage von Fertigteilen (Fertigteilbau) kann von folgenden Kennzahlen für die durchschnittliche Bauleistung bei Einsatz eines Krans ausgegangen werden: • 50 bis 80 t Fertigteile je Schicht von 8 Zeitstunden, • 8 bis 15 Stück Fertigteile je Schicht von 8 Zeitstunden. Somit ist im Fertigteilbau eine durchschnittliche Bauleistung von 1000 bis 1400 t/Mon zu erzielen. Krankapazität nach der Arbeitskräfteanzahl Die für ein Bauvorhaben erforderliche Krankapazität bzw. Krananzahl lässt sich aus der Anzahl der durch Krane zu bedienenden Arbeitskräfte ableiten. Erforderliche Krankapazität GKr:

GKr

Amax ½AK  ½  ¼ n ½AK 

mit: GKr Amax n

erforderliche Krankapazität [ ] maximale Anzahl der zu bedienenden Arbeitskräfte [AK] maximale Arbeitskräfteanzahl, die durch einen Kran bedient werden kann [AK].

Die maximale Anzahl an Arbeitskräften n, die durch einen Kran sinnvoll und produktiv bedient werden kann, beträgt

• 15 bis 20 AK für den Ortbetonbau bei einer Frischbetonförderung mittels Kran und Kübel, • 20 bis 30 AK für den Ortbetonbau bei einer Frischbetonförderung mittels Pumpe, • 3 bis 5 AK für den Fertigteilbau. (Girmscheid 2010) Dabei ist die maximale Anzahl der durch Krane zu bedienenden Arbeitskräfte Amax um den Potenzialfaktor ψ (mit ψ = 1,3 bis 1,5) größer als die durchschnittliche Anzahl der zu bedienenden Arbeitskräfte AØ. Krannutzleistung nach der Kranspielzeit Die Berechnung der Krannutzleistung nach der Kranspielzeit ist zur Kranbemessung kompletter Baustellen mit Schwierigkeiten verbunden, da beim Einsatz mehrerer Krane diese unterschiedliche Kenndaten aufweisen. Zudem verhindert der Transport verschiedenartiger Materialien und unterschiedlicher Lasten ein Ausnutzen der zur Verfügung stehenden Tragkraft. Das Vorgehen ist jedoch für das Ermitteln von Zeitansätzen und das kritische Überprüfen von konkreten Transportvorgängen (z. B. Fertigteilmenge oder Frischbetonmenge je Schicht) geeignet. Nutzleistung QN eines Krans: QN

hti h

¼ M ½t  

3600  η ½   η2 ½   ηG ½  T 0 ½s 1

mit: QN M T0 η1 η2 ηG

Nutzleistung des Krans [t/h] geförderte Last je Kranspiel [t] Grundspielzeit des Krans [s] Bedienungsfaktor [-] Faktor der Einsatz- und Betriebsbedingungen [-] Geräteausnutzungsgrad [-].

Die Kranspielzeit setzt sich aus den Zeiten der Vorgangselemente des Hebens, Senkens, Drehens und Laufkatzfahrens für den Last- und Leerweg sowie aus den Zeiten für das An- und Abhängen der Last zusammen. Die Grundspielzeit des Krans T0 beträgt im üblichen Hochbau (Ortbetonbau) für die Betonförderung mit Kran und Kübel und für

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

557

Tab. 32 Bedienungsfaktor η1 Bedienugsfaktor η1 Motivation des Bedienungspersonals

sehr gut gut mittelmäßig schlecht

Qualifikation des Bedienugspersonals sehr gut gut mittelmäßig 1,00 0,95 0,85 0,95 0,90 0,80 0,85 0,80 0,70 0,75 0,60 0,55

schlecht 0,65 0,60 0,55 0,50

Tab. 33 Faktor der Einsatz- und Betriebsbedingungen η2 Faktor der Einsatz und Betriebsbedingungen η2 Baustellen- und sehr gut witterungsspezifische gut Einsatzbedingungen mittetmäßig schlecht

Gerätespezfische Betriebsbedingungen (Alter, Wartang, Reparatur) sehr gut gut mittelmäßig schlecht 0,85 0,81 0,76 0,70 0,78 0,75 0,71 0,65 0,72 0,69 0,65 0,60 0,63 0,61 0,57 0,52

die Förderung von Bewehrungsstahl in Abhängigkeit des Förderwegs, der Fördermasse und der Lastaufnahmeeinrichtung zwischen 150 und 300 s. Mit Hilfe der Faktoren η werden Einflüsse berücksichtigt, die eine Abminderung der Technischen Grundleistung eines Krans zu dessen Nutzleistung erfordern. Dabei beschreibt der Bedienungsfaktor η1 (s. Tab. 32) den Einfluss der Qualifikation und der Motivation des eingesetzten Bedienungspersonals und der Faktor der Einsatz- und Betriebsbedingungen η2 (s. Tab. 33) den Einfluss des Zustands des Krans (Alter, Wartung, Reparatur) und der Baustellenorganisation und Witterung. Turmdrehkrane werden wegen der Vielfalt ihrer Transportaufgaben zur Versorgung einer Baustelle nicht als Leistungsgeräte, sondern als Bereitstellungs- bzw. Vorhaltegeräte eingesetzt. Daher hat die Nutzungszeit (Haupt- und Nebennutzung) inklusive der Rüstzeit eines Turmdrehkrans im üblichen Hochbau meist einen Anteil von maximal 50 % der Vorhaltezeit. Dies wird durch den Geräteausnutzungsgrad ηG beschrieben. Die weiteren Bestandteile der Vorhaltezeit sind die Brachzeit, die Betriebsmittelverteilzeit, die Stillliegezeit und die Reparaturzeit (Künstner 1984; Hauptverband 2015). Bei einer Kombination von Ortbeton- und Mauerarbeiten im üblichen Hochbau ist folgende Zusammensetzung der Nutzungszeit typisch (Krause und Oettel 2016):

Betonieren (ca. 4=9 ), Mauern (ca. 3=9 ), Schalen und Bewehren (ca. 2=9 ). Krankapazität nach der Geometrie des Bauvorhabens Bei der Festlegung der Standorte und der Dimensionierung der Hebezeuge ist zu beachten, dass sich aus der Art der Baustelle (Punkt-, Flächen-, Linienbaustelle) unterschiedliche Transportbedingungen und Anforderungen an die Krankapazität hinsichtlich der erforderlichen Ausladung und der benötigten Hakenhöhe ergeben. Grundsätzlich gilt, dass die Bauwerksgrundflächen, die Lagerflächen für Arbeitsgegenstände und Betriebsmittel sowie sonstige Bearbeitungsflächen, z. B. für eine Vorfertigung auf der Baustelle, von mindestens einem Hebezeug erreicht werden müssen; Baustellenunterkünfte sollten dagegen nicht überstrichen werden. Daneben müssen Krane an mindestens einer Stelle über die Bauwerksgrundfläche hinausreichen und eine Baustraße überschwenken, um überhaupt Lasten von den Transportfahrzeugen aufnehmen zu können. Beim Einsatz mehrerer Hebezeuge sind gegenseitige Behinderungen sowie eine Übergabe der Lasten von einem zum benachbarten Kran zu vermeiden. Zudem sollten die von den einzelnen Kranen jeweils überstrichenen Flächen mit einer Technischen Grundleistung entsprechend der dort benötigten Krankapazitäten bedient werden. Dies ermöglicht eine gleichmäßige Auslastung der Krane.

558

5.3

C. Motzko et al.

Bauverfahren und Maschineneinsatz im Betonund Stahlbetonbau



Eberhard Petzschmann und Christoph Motzko Vorbereitende Arbeiten im Beton- und Stahlbetonbau Bei der Realisierung von Bauprojekten handelt es sich um komplexe, arbeitsteilige Vorgangsstrukturen, welche unter Würdigung der technischen und rechtlichen, der ökonomischen und ökologischen, der sozio-kulturellen und weiteren projektspezifischen Randbedingungen im Ergebnis die Projektziele umsetzen sollen. Für die Ausführung von Beton- und Stahlbetonbauteilen sind die Industrienormen DIN EN 1992-1-1, DIN EN 13670, DIN EN 206-1 und DIN 1045 von herausragender Relevanz. Ferner ist auf die Merkblätter des Deutschen Beton- und Bautechnik-Vereins zu verweisen, welche die für die Praxis relevanten Angaben beinhalten. In den nachfolgenden Ausführungen werden daher ausgewählte baubetriebliche Aspekte des Beton- und Stahlbetonbaus angesprochen. Die individuellen Anforderungen sowie Randbedingungen eines Bauprojektes sind zu würdigen. Im Rahmen der Arbeitsvorbereitung sollen alle Teilvorgänge der Planung und Ausführung ganzheitlich betrachtet und behandelt werden. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Entwurf, Tragwerksplanung, Arbeitsvorbereitung, Bauleitung, Einkauf und Baulogistik ist erforderlich. Bezogen auf Beton- und Stahlbetonarbeiten umfasst die Arbeitsvorbereitung neben der Verfahrenswahl, der Baustelleneinrichtungsplanung und der Bauablaufplanung unter anderem folgende Arbeitsschritte:

• Dekomposition der Bauaufgabe in Arbeitssysteme, in denen Menschen und Betriebsmittel über den Arbeitsablauf in Relationen zueinander gesetzt werden. • Wahl von geeigneten Betriebsmitteln wie zum Beispiel von Schalungssystemen unter Berücksichtigung der Projektziele (Wirtschaft-



• • • • •

• •

lichkeit, Bauzeit, Qualität u. a.) sowie der erforderlichen Krankapazität. Bestimmung von realistischen Auftragszeiten (nach REFA 1993), wie zum Beispiel für die Schalungsarbeiten, mit adäquaten Aufwandswerten und Einarbeitungszuschlägen. Dekomposition des Bauwerks mit Festlegung der Ablauffolge der Herstellung der Bauteile in Abstimmung mit der Tragwerksplanung unter Beachtung besonderer Elemente der Konstruktion wie Bauwerks- und Arbeitsfugen. Taktplanung beispielsweise zur Ermittlung der Einsatzhäufigkeit der Schalsätze und Bestimmung der Vorhaltemenge der Schalung. Festlegung der Bewehrungsart und -führung (Betonstabstahl, Baustahlmatten) in Abstimmung mit der Tragwerksplanung. Prüfung der Planunterlagen in Bezug auf die für die Bauausführung notwendigen Angaben wie Betonieröffnungen sowie Rüttelgassen. Wahl des Betonierverfahrens unter Berücksichtigung der erforderlichen Krankapazität. Abstimmung zwischen den Schalungs-, Bewehrungs- und Montagearbeiten, bedingt durch die Integration von Komponenten der Technischen Gebäudeausrüstung in die Stahlbetonkonstruktion. Abstimmung zwischen dem Gewerk Rohbau und den weiteren Gewerken an der Schnittstelle wie zum Beispiel mit dem Gewerk Fassade. Ausarbeitung von Sondervorschlägen für Nebenangebote.

Die Bereiche der Arbeitsvorbereitung mit den erforderlichen Unterlagen und Arbeitsergebnissen sind in Abb. 25 dargestellt. Zu beachten ist, dass die dargestellten Teilvorgänge gegenwärtig höchst digitalisiert ablaufen. Planung und erforderliche Planungsunterlagen Ausgangspunkt der Angebotsbearbeitung und Arbeitsvorbereitung ist die Ausschreibung der Bauleistung, in der die Art sowie die Randbedingungen der auszuführenden Arbeiten und die geforderten Qualitätsmerkmale im Vordergrund stehen. Nach VOB Teil A § 7 (VOB 2016) ist

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

559

Arbeitsvorbereitung im Betonbau

erforderliche Unterlagen: Leistungsverzeichnis, Ausschreibungspläne, Technische Auszüge, Terminablauf usw.

Arbeitsschritte: Mengenkontrolle, Materialauszüge, NU-Angebote,

Ergebnisse: Mengenauszug n. Bauabschnitten, Materialbedarf, NU-Liste

Schalungs- und Rüstungspläne

Sondervorschläge, Nebenangebote

Bauablauf- und Bauzeitplanung

Schalungspläne, Schalungsbedarf, Gerüstpläne, Rüstungsbedarf, Arbeitstakte

techn. Konzepte, baubetriebliche Konzepte, Ablaufvorschläge Einsparungen

Planvorlaufzeiten u. Bauablaufplan, Planlieferungstermine

Personal- und Geräteeinsatzplanung

Baustelleneinrichtungsplanung

BE-Plan, Personalbedarf, Gerätestandorte, Gerätebedarf, Lagerflächen, Leistungsverlauf, Ver- und EntsorKostenverlauf gungspläne

Abb. 25 Arbeitsvorbereitung mit erforderlichen Unterlagen und Arbeitsergebnissen (Petzschmann 1998)

die geforderte Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Unternehmer die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und die Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Auf besondere Anforderungen wie Oberflächengestaltung, Sichtbetonklassen oder Toleranzen ist in der Ausschreibung hinzuweisen, damit die Aufwandswerte sowie die Auftragszeiten adäquat bemessen werden. Um eine Ordnung in der Definition der Bauleistung einzuhalten, wird zum Beispiel in VOB Teil A § 7 b vorgegeben, dass im Falle der Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis die Leistung derart zu gliedern ist, dass unter einer Ordnungszahl (Position) nur solche Leistungen aufgenommen werden, die nach ihrer technischen Beschaffenheit und für die Preisbildung als in sich gleichartig anzusehen sind. Von besonderer Bedeutung für die termingemäße Ausführung der Beton- und Stahlbetonarbeiten auf der Baustelle ist die rechtzeitige Übergabe der geprüften und freigegebenen Schalpläne und Bewehrungszeichnungen.

Schalpläne und Bewehrungszeichnungen DIN 1356-1:1995-02 definiert in Abschn. 3.2 Schalpläne als Bauzeichnungen des Beton-, Stahlbeton- und Spannbetonbaus mit Darstellung der einzuschalenden Bauteile (in der Regel Grundrisse und Schnitte im Maßstab 1:50) auf der Grundlage der Ausführungszeichnungen des Objektplaners und unter Würdigung der Ergebnisse der Tragwerksplanung. In Abschn. 3.4 dieser Norm werden Bewehrungszeichnungen als Bauzeichnungen mit allen zum Biegen und Verlegen der Bewehrung erforderlichen Angaben definiert, deren Maßstab je nach Art und Schwierigkeit des Tragwerks 1:50, 1:25 oder 1:20 beträgt. Neben den normativen Grundlagen sind die Leistungsbilder gemäß HOAI (HOAI 2013) zu betrachten. Nach HOAI § 64 Leistungsbild Tragwerksplanung sind Bestandteile der Grundleistungen in der Leistungsphase 5 Ausführungsplanung das Durcharbeiten der Ergebnisse der Leistungsphasen 3 und 4 unter Beachtung der durch die Objektplanung integrierten Fachplanungen, das Anfertigen von Schalplänen in Ergänzung der fertiggestellten Ausführungspläne des Objektplaners sowie die zeichnerische Darstel-

560

C. Motzko et al.

Abb. 26 Planumlaufschema Ausführungsplanung (Petzschmann 1994)

lung der Konstruktionen mit Einbau- und Verlegeanweisungen, zu denen die Bewehrungszeichnungen gehören. Ferner ist das Aufstellen detaillierter Stahl- oder Stücklisten als Ergänzung zur zeichnerischen Darstellung der Konstruktionen mit Stahlmengenermittlung erforderlich. Planvorlauffristen Für einen planmäßigen Ablauf der Beton- und Stahlbetonarbeiten auf der Baustelle ist unter anderem erforderlich, dass Schalpläne und Bewehrungszeichnungen sowie, im Falle der Anwendung von Betonfertigteilen, die Fertigteil-Montagepläne so rechtzeitig vorliegen, dass adäquate Dispositionszeiten für die Organisation von Arbeitskräften, Baumaterialien und Betriebsmitteln dem ausführenden Bauunternehmen zur Verfügung stehen. Daher sind die Vorlauffristen für Schalpläne, für Bewehrungszeichnungen sowie für Fertigteil-Montagepläne zu bestimmen und vertraglich zu vereinbaren. Für Hochbauten kann von folgenden baubetrieblich

erforderlichen und in der Praxis bestätigten Mindestvorlauffristen ausgegangen werden: • Schalpläne Vorabzüge: 6 Wochen vor Beginn der Arbeiten, • Schalpläne freigegeben einschließlich Aussparungen: 4 Wochen vor Beginn der Arbeiten, • Bewehrungszeichnungen geprüft und freigegeben: 3 Wochen vor Beginn der Arbeiten, • Fertigteil-Montagepläne: 2 Wochen vor Beginn der Montagearbeiten. Die Vorlauffrist von 6 Wochen im Bereich der Schalungsarbeiten wird unter anderem dafür benötigt, um die Arbeitsvorbereitung mit der notwendigen Optimierung der Schalungsvorhaltemenge durchzuführen, die gegebenenfalls erforderliche Grundmontage der Schalungselemente auszuführen sowie die Aussparungskörper und etwaige Einbauteile zu disponieren.

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

561

Abb. 27 Balkenplan des zeitlichen Ablaufs der Ausführungsplanung (Petzschmann 1998)

Die Vorlauffrist von 3 Wochen für die geprüften Bewehrungszeichnungen ergibt sich aus der Lieferzeit von Bewehrung und Einbauteilen sowie aus Zeitanteilen für das Schneiden, Biegen und Herstellen von Bewehrungskörben. Es ist zu beachten, dass im Falle besonderer Einbauteile mit längeren Lieferfristen die Vorlauffrist entsprechend zu verlängern ist.

Planung der Planung Die Dauer der einzelnen Planbearbeitungen bestimmt den zeitlichen Ablauf der Ausführungsplanung (Abb. 26 und 27). Maßgebend für den erforderlichen Zeitbedarf des Planungsvorlaufs insgesamt sind die Bearbeitungsdauern der Ausführungsplanung für alle Gewerke. Um an der Schnittstelle zwischen Planung und Ausführung die rechtzeitige Bereitstellung der Planunterlagen sicherzustellen, ist eine Abstimmung der Fertigungsabschnitte mit der Ausführungsplanung

zur Festlegung der Vorlauffristen unbedingt erforderlich. Im Kontext der Planung der Planung ist zu vermerken, dass die Arbeitsmethode Building Information Modeling (BIM) künftig die Planungsprozesse erheblich verändern wird. In Abb. 28 ist eine prozessorientierte Planungsstruktur mit den logischen Input-Output-Beziehungen der Projekt- und Objektphasen dargestellt. Die Verläufe sind dynamisch-iterativ sowohl innerhalb der Phasen (im Wesentlichen Verbesserung der Zielerreichungsgrade) als auch zwischen den Phasen (z. B. Lerneffekte oder Nachkalkulationen). Die untere Bildhälfte zeigt schematisch den Ablauf eines Planungsprozesses der Gegenwart, bei dem die Fachplanungen parallel zur Objektplanung verlaufen. Diese können die Objektplanung stark beeinflussen. Teilweise geben die Ergebnisse der Fachplanungen die Parameter für den Entwurf vor. Durch diesen verstärkten Einfluss der Fachplanungen kommt es vermehrt zu

562

C. Motzko et al.

Abb. 28 Schematischer Prozessablauf in den Projekt- und Objektphasen (Motzko et al. 2013)

Iterationsschleifen, die in der Planung durchlaufen werden müssen. Zeitlich gesehen kann dies zu einer Verlängerung des Planungszeitraums führen. Zu erkennen ist der starke Verbund der Projekt- und Objektphasen, der den Nutzwert der Anwendung von Bauwerksinformationsmodellen grundsätzlich bestätigt.

Bewehrungsarbeiten im Stahlbetonbau Basisanforderungen an die Bewehrungsarbeiten Die Bewehrungsarbeiten umfassen im Allgemeinen die Vorgänge Schneiden, Biegen, Transportieren, gegebenenfalls Zwischenlagern, und das Verlegen. Die Grundlage für die Bewehrungsarbeiten bilden sach- und fachgerecht angefertigte

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

Bewehrungszeichnungen sowie die dazugehörigen Stahllisten. Die Bewehrung kann auf der Baustelle oder werkmäßig gefertigt werden. Damit der Stahlbeton respektive ein Stahlbetonbauteil als Verbundbaustoff seine Tragwirkung entfaltet, besteht die Notwendigkeit, die Bewehrung präzise nach den aus der Tragwerksplanung abgeleiteten Bewehrungszeichnungen zu verlegen. Aus baubetrieblicher Sicht ist unter anderem zu beachten: • Das Verlegen der Bewehrung ist auf der Grundlage von geprüften und freigegebenen Bewehrungszeichnungen durchzuführen, so unter anderem unter Anwendung der definierten Betonstahlsorte, der Stabdurchmesser und -form, der Lage einschließlich der Bewehrungsstöße sowie der Werk- und Verarbeiterkennzeichen. • Nach ZTV-ING – Teil 1 Allgemeines – Abschn. 2 Technische Bearbeitung (ZTV-ING 2017) sind in Bezug auf die Bewehrungszeichnungen zu beachten:

563

• •

Zit.



(15) In den Bewehrungszeichnungen sind in Ergänzung zu DIN EN 1992-1-1 auch die Hauptschalmaße darzustellen. Die erforderliche Feuchtigkeitsklasse gemäß Teil 3 Abschn. 1 Nr. 3.1 ist anzugeben. Die Größe von Betonieröffnungen und Rüttelgassen ist besonders hervorzuheben. (16) Für Bauteile mit hohem Bewehrungsgrad ist die gesamte Bewehrung im vergrößerten Maßstab als Einzelheit darzustellen und durch Einbauanweisungen zu erläutern. Zit. Ende



• Die Mindestbetondeckung cmin darf an keiner Stelle unterschritten werden. Die Einhaltung der Mindestbetondeckung cmin ist zur Sicherstellung der Übertragung von Verbundkräften zwischen Bewehrung und Beton (Verbund), zum Schutz des einbetonierten Stahls vor Korrosion (Dauerhaftigkeit) und zum Schutz der Bewehrung gegen Brandeinwirkung unter Berücksichtigung von DIN EN 1992-1-2 (Feuerwiderstand) erforderlich. Das für die Bauausführung relevante Verlegemaß cv gibt in der Bewehrungszeichnung den Wert für eine ausreichende Betondeckung für jedes einzelne Bewehrungselement an und ist im Regelfall der Sollabstand zwischen den äußeren Beweh-

• •

rungsstäben und der Betonoberfläche. Das vorgeschriebene Nennmaß der Betondeckung ist durch geeignete Abstandhalter und ihre Anzahl sowie durch geeignete Unterstützungen zur Lagesicherung der Bewehrung sicherzustellen. Eine Sauberkeitsschicht von mindestens 50 mm Dicke ist bei der Errichtung von Bauteilen unmittelbar auf dem Baugrund (z. B. Fundamentplatte) vorzusehen. Die Bewehrung darf während des Transports, der Lagerung, der Verarbeitung und des Einbaus nicht beschädigt werden. Gemäß DIN 1045-3:2012-03, Abschn. 2.6.5, ist die Bewehrung in der Weise einzubauen, dass der Beton ordnungsgemäß eingebracht und verdichtet werden kann. Die Stababstände nach DIN EN 1992-1-1 in Verbindung mit DIN EN 1992-1-1/NA sind einzuhalten. Von besonderer Relevanz ist die Angabe von Rüttelgassen und von Betonieröffnungen. Diese sind Gegenstand der Planung, d. h. sie sind in den Bewehrungszeichnungen anzugeben. Gemäß DIN 1045-3:2012-03, Abschn. 2.6.5, ist die Hauptbewehrung (Zug- und Druckbewehrung) mit der Querbewehrung, den Verteiler- oder Montagestäben oder Bügeln durch Bindedraht zu einem steifen Gerippe zu verbinden und so zu befestigen, dass sie sich beim Einbringen und Verdichten des Betons nicht verschieben. Die Zulässigkeit von Heftschweißung ist zu prüfen. Die obere Bewehrungslage ist in der vorgesehenen Höhenlage unverschieblich einzubauen und gegen Herunterdrücken respektive gegen das Aufschwimmen zu sichern. In Auflagerbereichen, bei auskragenden Platten und bei geringen Konstruktionshöhen wirken sich Ungenauigkeiten besonders nachteilig aus. Die Bewehrung ist vor schädlichen Einflüssen wie Schmutz, Fett, Eis oder losem Rost zu schützen respektive zu befreien. Die Lagerung sollte ohne Bodenberührung erfolgen.

Schneiden, Biegen und Verlegen von Bewehrung Der Betonstabstahl wird als Einzelstab oder als Stabbündel (zwei oder drei unmittelbar neben-

564

bzw. übereinanderliegende Einzelstäbe) verlegt und zur Minimierung des Verlegeaufwands zum Teil zu Bewehrungskörben verbunden. Beispiele hierfür sind Bewehrungskörbe für Stützen und balkenartige Querschnitte wie Unterzüge, Brüstungen und Überzüge sowie komplette Bewehrungskörbe für Fundamente, Bohrpfähle und Schlitzwandlamellen, die auch über größere Entfernungen (200 bis 300 km) wirtschaftlich transportiert werden können. Beim Einbau auf der Baustelle ist darauf zu achten, dass der lichte Stababstand von gleichlaufenden Bewehrungsstäben außerhalb von Stoßbereichen mindestens 2 cm beträgt und nicht kleiner ist als der Stabdurchmesser sowie als der Größtdurchmesser der Gesteinskörnung. Dies ist auch die Voraussetzung für einen ausreichenden Verbund zwischen Beton und Bewehrung. Der Aufwandswert ist im Wesentlichen vom Stabdurchmesser und von der Biegeform abhängig. In Abb. 29 ist die Verteilung der Stabstahlbewehrung in Abhängigkeit vom Bauwerkstyp als Richtwert angegeben. Geschweißte Betonstahlmatten sind eine werkseitig vorgefertigte Bewehrung aus einander kreuzenden, kaltverformten, gerippten Stä-

C. Motzko et al.

ben, die an den Kreuzungsstellen durch Widerstandspunktschweißung scherfest miteinander verbunden sind. Es ist grundsätzlich zwischen Lager- und Listenmatten zu differenzieren. Lagermatten sind standardisiert und werden durch Schneiden und Biegen bearbeitet und anschließend verlegt. Listenmatten werden nach Angaben des Konstrukteurs gefertigt. Das Verlegen von Betonstahlmatten erfolgt auf der Grundlage von geprüften und freigegebenen Bewehrungszeichnungen. Auf Bestellung gelieferte bauteilspezifische Listenmatten werden verlegefertig auf die Baustelle geliefert und erzeugen wegen des Wegfalls von Schneiden und Biegen auf der Baustelle eine geringere Auftragszeit. Mit Lagermatten wird häufig abschnittsweise überbewehrt, oder sie müssen durch Schneiden und Biegen angepasst werden. Während Lagermatten jederzeit kurzfristig vom Stahlhandel bezogen werden können, sind für Listenmatten bei der Festlegung der insgesamt erforderlichen Planvorlaufzeiten die Fertigungszeiten von mindestens zwei Wochen zu berücksichtigen. Wie beim Betonstabstahl wird die ausreichende Betondeckung bei Betonstahlmatten durch adäqua-

Abb. 29 Richtwerte für die Verteilung der Stabstahlbewehrung nach Bauwerkstyp (VÖBV 2010)

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

te Abstandhalter gewährleistet. Betonstahlmatten erfordern den Einsatz von Hebezeugen, die den Transport vom Lagerplatz zum Einbauort übernehmen. Die Lohnentwicklung in der Bauwirtschaft hat dazu geführt, dass die Bewehrungsarbeiten heute in der Regel von auf diese Arbeiten besonders spezialisierten Betrieben als Nachunternehmerleistung ausgeführt werden. Diese Betriebe können mit ihren leistungsfähigen, rechnergesteuerten Anlagen für das Schneiden und Biegen des Betonstahls die Arbeiten einschließlich der Verlegearbeiten auf der Baustelle besonders rationell durchführen. Aus diesem Grund befinden sich auf den Baustellen heute lediglich kleinere Schneide- und Biegemaschinen für die Bearbeitung der noch vor Ort anfallenden Bewehrungsbearbeitung. Voraussetzung für den reibungslosen Ablauf der Bewehrungsarbeiten auf der Baustelle ist ein nach Positionen sortiertes, übersichtliches Betonstahllager. Bei Verwendung von Innenrüttlern für das Verdichten des Betons ist die Bewehrung in der Weise anzuordnen, dass die Innenrüttler an allen erforderlichen Stellen eingetaucht werden können. Hierfür notwendige Rüttelgassen sind in den Bewehrungszeichnungen anzugeben (DIN EN 13670). Die Konstruktion von schlanken, hoch bewehrten Elementen der Baukonstruktion hat zur Entwicklung von fließfähigen Betonen der Konsistenzklassen F5 und F6 sowie von selbstverdichtenden Betonen (SVB) geführt. Die Regeln hierzu können dem DBV-Merkblatt „Selbstverdichtender Beton (SVB)“ (DBV-SVB 2004) entnommen werden. Beim Rückbiegen von Bewehrungsstahl sind die adäquaten Regeln zu beachten, so zum Beispiel im DBV-Merkblatt „Rückbiegen von Betonstahl und Anforderungen an Verwahrkästen nach Eurocode 2“ (DBV-EC2 2011). Nach dem Verlegen ist der Schutz der Bewehrung zu gewährleisten. Bei mächtigen Stahlbetonplatten ist die obere Bewehrung gegen das Herunterdrücken durch Montageböcke zu sichern. Beim Betonieren sind Laufbohlen zu verwenden, damit die Bewehrung im Arbeitsbetrieb nicht aus ihrer Lage verschoben wird. Betonkübel, Abstützun-

565

gen für Pumpleitungen, andere Geräte respektive schwere Komponenten der Technischen Gebäudeausrüstung, welche in den Betonkörper zu integrieren sind, dürfen aus diesem Grund nicht auf der Bewehrung abgestellt werden. Ferner ist zu beachten, dass durch die Integration von Komponenten der Technischen Gebäudeausrüstung in die Betonkonstruktion die Bewehrungsarbeiten komplexer geworden sind. Eine Abstimmung zwischen den Leistungsbereichen sowie der Schutz der eingebauten Komponenten sind zu gewährleisten. Mögliche baubetriebliche Fehler bei der Vorbereitung und beim Einbau der Bewehrung sowie die empfohlenen Abhilfemaßnahmen sind in Tab. 34 zusammengestellt. Zu beachten sind die Regelungen der jeweiligen Landesbauordnungen bezüglich der Abnahmedokumente für die Bewehrung. Das bedeutet, dass das Betonieren erst dann begonnen werden darf, wenn die Bauaufsichtsbehörde oder eine von ihr beauftragte Institution nach Prüfung die eingebaute Bewehrung abgenommen hat. Adäquate Vorlauffristen sind zu berücksichtigen. Betonarbeiten Prozessstruktur der Betonarbeiten Für die Realisierung von Betonarbeiten muss der fertiggemischte Frischbeton so beschaffen sein, dass er am Einbauort adäquat den gewählten Verfahren verarbeitet und verdichtet werden kann. Ziel ist, dass das fertiggestellte Bauteil die geforderten technischen, rechtlichen und, sofern vorgegeben, ästhetischen Eigenschaften aufweist. Aus baubetrieblicher Sicht sind die rheologischen Eigenschaften des Frischbetons und seine Verarbeitbarkeit von ausschlaggebender Relevanz. Als Beispiel kann das ungewollte Frühansteifen des Frischbetons aufgeführt werden, welches durch den Zement, erhöhte Frischbetontemperatur oder durch bestimmte Zusatzstoffe oder Zusatzmittel ausgelöst werden kann. In Abb. 30 ist die Prozessstruktur der Betonarbeiten dargestellt, die nachfolgend in den Grundzügen diskutiert wird. Betonbereitung Bestellung und Herstellung von Frischbeton. Frischbeton wird durch das Mischen von

566

C. Motzko et al.

Tab. 34 Fehlerquellen bei Vorbereitung und Einbau der Bewehrung und Gegenmaßnahmen Fehler Bewehrungssläbe liegen zu dicht

Rüttelgassen fehlen oder zu klein

Biegerollendurchmesser zu klein

Bewehrungsgeflecht verschiebt sich

Bügel in Stützen verschieben sich oder fehlen ganz

Betondeckung zu klein

Ursache Querschnitt zu schmal, zu wenig Bindestellen, Toleranzen nicht berücksichtigt Querschnitt zu schmal, Bewehrungsanhäufung

Biegerolle wurde nicht gewechselt, Angabe in Zeichnung wurde nicht beachtet Geflecht ist nicht stabil genug, Abstützungen fehlen beim Betonieren kein Fallrohr benutzt, Bügel wurden nicht nach Bewehrungszeichnung eingeflochten zu wenig Abstandhalter angeordnet, Bewehrung beim Verlegen oder Betonieren verschoben, Unterschied zwischen Nenn- u. Mindestmaß nicht beachtet

Zement, Gesteinskörnung und Wasser sowie mit eventuellem Einsatz von Zusatzmitteln und Zusatzstoffen in Betonbereitungsanlagen (Betonmischanlagen) auf der Baustelle (Baustellenbeton) oder im Transportbetonwerk außerhalb der Baustelle (Transportbeton) hergestellt. Die mit der Herstellung verbundenen Vorgänge beinhalten den Transport, das Entladen, das Lagern und das Abmessen der Ausgangsstoffe sowie das Mischen und das Beladen der Förderfahrzeuge. Das Normenwerk klassifiziert Betone unter anderem nach folgenden Merkmalen und Parametern: • nach der Rohdichte in Leichtbeton (Trockenrohdichte bis 2,0 kg/dm3), Normalbeton (Trockenrohdichte über 2,0 kg/dm3 bis 2,6 kg/dm3) und Schwerbeton (Trockenrohdichte über 2,6 kg/dm3);

Auswirkung Entmischung des Betons, Fehlstellen. Verbund beeinträchtigt Beton ist schwer einzubringen, Verdichtung nicht möglich. Dauerfestigkeit beeinträchtigt Brechen des Stahls, Überbeanspruchung des Betons, Rissbildung. fehlende Tragfähigkeit Bewehrung liegt auf der Schalung, Korrosionsschutz fehlt Tragfähigkeit der Stütze beeinträchtigt, Risse im Lasteintragungsbereich

dauerhafter Korrosionsschutz fehlt (Rostfahnen), Zugkräfte können nicht im Beton verankert werden, Rissbildung, Tragfähigkeit herabgesetzt

Maßnahmen zur Vorbeugung oder Abhilfe mehr Bindestellen, mehr Montagebewehrung, Stabbündelung Änderung der Bewehrungsführung, Stabbündclung. Verringerung des Größtkorns. Fließbeton beschädigte Stäbe auswechseln, bei geringfügiger Unterschreitung mehr Querbewehrung mehr Bindestellen, mehr Montagebewehrung, mehr Abstützungen und Abstandhalter Fallrohr beim Betonieren verwenden, Bügel nach Zeichnung einflechten, u. U. Steckbügel anordnen Nennmaß der Betondeckung vergrößern. Abstandhalter in ausreichender Zahl einbauen, Betondeckung kontrollieren

• nach der Konsistenz in sehr steife, steife, plastische, weiche, sehr weiche, fließfähige und sehr fließfähige Betone; • nach der Druckfestigkeit; • nach der Verfahrenssystematik in Pumpbeton, Spritzbeton, Unterwasserbeton u. a.; • nach der Betonzusammensetzung in Kiessandbeton, Splittbeton, Faserbeton, Basaltbeton u. a.; • nach der Bewehrungsart in unbewehrten Beton, Stahlbeton, Spannbeton, u. a.; • nach dem Ort der Herstellung in Baustellenbeton, Transportbeton, Betonfertigteil u. a.; • nach bautechnischen Eigenschaften wie Betone mit hohem Widerstand gegen chemischen Angriff, mechanischen Angriff und Frost, wasserundurchlässiger Beton; • nach ästhetischen Merkmalen wie Sichtbeton;

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

567

Abb. 30 Vorgangsstruktur der Betonarbeiten

• nach der Rezeptur und Bestellung in Standardbeton, Betone nach Eigenschaften und Betone nach Zusammensetzung. Diese Merkmale und Parameter sind allesamt baubetrieblich relevant. So werden Standardbetone in begrenzten Bereichen der Expositionsklassen sowie Druckfestigkeitsklassen angewendet. Betone nach Eigenschaften werden durch das Bauunternehmen auf Grundlage der festgelegten Frisch- und Festbetoneigenschaften sowie der geforderten Expositionsklassen beim Betonlieferanten bestellt. Der Betonlieferant bestimmt die Betonzusammensetzung und gewährleistet die bestellten Betoneigenschaften. Im Falle der Betone nach Zusammensetzung gibt der Besteller dem Betonlieferanten die Betonrezeptur vor. Der Besteller ist für das Erreichen der geplanten Betoneigenschaften verantwortlich. Diese Form der Betonverwendung erfordert den Einsatz von besonders betontechnologisch geschultem Personal sowie entsprechend ausgerüsteter Prüflabore für die Durchführung der Erstprüfung und der weiteren erforderlichen Prüfungen. In Tab. 35 ist die Verantwortlichkeit bei der Herstellung und Verarbeitung von Beton dargestellt.

Die Arbeitsgänge bei der Betonbereitung (Herstellen von Frischbeton) gliedern sich in • Lagerung der Mischungskomponenten im Verbrauchslager: Beschickung der Verbrauchslager, Lagerhaltung und Füllstandskontrolle, • Dosierung: Entnahme der Ausgangsstoffe aus den Verbrauchslagern, Abmessen bzw. Dosieren, Entleeren der Dosierungseinrichtungen, • Transport der dosierten Materialien zum Mischer, • Mischen. Die aufgeführten Vorgänge stehen in unmittelbarem betrieblichem Zusammenhang. Da jeder Teilprozess besondere bauliche und gerätetechnische Einrichtungen erfordert, sind diese baubetrieblich genau aufeinander abzustimmen. Die teiloder vollautomatischen Betonmischanlagen werden klassifiziert in Vertikal- und Horizontalanlagen und bezüglich ihrer Leistung in Kleinanlagen (bis 100 m3/h), mittlere Anlagen (100 bis 150 m3/h) und Großanlagen (>150 m3/h). DIN 459 unterteilt die Bauarten der Mischer für Beton und Mörtel in absatzweise arbeitende Mischer (Mischung einzelner Chargen) und stetig arbeitende Mischer. Bei

568

C. Motzko et al.

Tab. 35 Verantwortlichkeit bei der Herstellung und Verarbeitung von Beton (IZB-MB8 2014) Beton nach Eigenschaften Verfasser der Festlegung legt Betoneigenschaften fest.

Hersteller (TB)1) ist verantwortlich für Erfüllung der Betoneigenschaften (führt Konformitäts- und Produktionskontrolle durch). Verwender (BU)2) ist verantwortlich für Überprüfung maßgeblicher Frisch- und Festbetoneigenschaften auf der Baustelle und Einbau (Überwachungsprüfung/ Identitätsprüfung).

Beton nach Zusammensetzung Verfasser der Festlegung legt Zusammensetzung fest und ist verantwortlich für beabsichtigte Leistungsfähigkeit des Betons (Betoneigenschaften). Hersteller (TB)1) ist verantwortlich für das Einhalten der vorgegebenen Zusammensetzung des Betons.

Verwender (BU)2) führt auf der Baustelle Konformitäts- und Produktionskontrolle sowie den Einbau des Betons durch.

Standardbeton Nur  C16/20 XO, XC1, XC2

Erfüllung der Eigenschaften ist hinreichend durch die Vorgaben dar Norm abgedeckt. Verwender (BU)2): Lieferscheinkontrolle, Gleichmäßigkeit, ggf. Konsistenzprüfung, Einbau.

1)

Transportbetonhersteller Bauunternehmer

2)

ersteren ist zwischen Freifall- und Zwangsmischern zu unterscheiden. Eine Zusammenstellung von technisch-wirtschaftlichen Parametern von Betonmischanlagen ist in Tab. 36 dargestellt. Zu beachten sind folgende Einflüsse: • Ausreichende Vorhaltemengen der Ausgangsstoffe sowie der Zusatzstoffe und Zusatzmittel, • Getrennte Lagerung der Ausgangsstoffe, • Vermeidung von Verschmutzungen, • Vorliegen der Mischanweisung, • Geeichte Wiege-respektive Messvorrichtungen, • Anwendung einer adäquaten Mischzeit. Bedingt durch die unterschiedlichen Anforderungen an Betonbauteile sind zur Qualitätssicherung des Betons nach DIN EN 13670 in Verbindung mit DIN 1045-3 die Überwachungsklassen 1, 2 und 3 definiert (s. Tab. 37). Füllungsgrad des Mischers. Mit den Vorgabemengen an Betonausgangsstoffen für eine Mischercharge (Mischanweisung) wird der Füllungsgrad der Mischmaschine festgelegt. Um diesen hinsichtlich der Mischwirkung zu gestalten, sind die Vorgabemengen nach dem Nenninhalt des Mischers zu ermitteln. Nach DIN 459 ist das Volumen der Trockenfüllmenge für Kiesbeton mit dem 1,5-fachen und für Splittbeton mit dem 1,62-fachen des Nenninhalts anzu-

setzen. Der Nenninhalt des Mischers Vnenn ist gleich dem Volumen des verdichteten Frischbetons Vb. Bei der Berechnung der Stoffmenge für eine Mischerfüllung wird von der Rezeptur für 1 m3 Festbeton ausgegangen: mM ¼ mR  V nenn mit mM = Stoffmenge für eine Mischerfüllung [kg/Mischung] mR = Stoffmenge laut Rezeptur für 1 m3 Festbeton [kg/m³] Vnenn = Nenninhalt des Mischers [m³]. Berechnung der Mischerfüllung Für einen 500-l- bzw. 750-l-Mischer (Nenninhalt nach DIN 459) ist mM1= mR  0,5 m3 bzw. mM2 = mR  0,75 m3 anzusetzen (Tab. 38). Bestimmung der Mischergröße. Unter der theoretischen Mischleistung Qth (Herstellerangabe) wird das Volumen des verdichteten Frischbetons je Stunde, das maximal (technisch begründet) vom Mischer abgegeben werden kann (Verdichtungsmaß 1,45), verstanden. Für

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

569

Tab. 36 Technisch-wirtschaftliche Parameter von Betonmischanlagen (Grundtypen) Prinzip des Materialdurchlaufes Anordnung der Lager Lagerart für die Zuschläge Lagervolumen für Zuschläge in m3 Bevorratungsdauer insges. Bevorratungsdauer aktiv Komponentenanzahl Anordnung der Dosiermittel Bedarf an Grundstücksfläche Bedarf an Bauinvestionen Bedarf an Ausrüstungen Schutz vor Witterung Umweltbelastung

Vertikalanlagen Horizontalanlagen vertikal über den horizontal neben den Mischmaschinen Dosier- und Mischeinrichtungen Hochsilo Sternlager Hochsilo Taschensilo 360

800. . .1800

1. . .2 Schichten

4. . .5 Schichten 1. . .2 Schichten 0,6. . .1,2 h

1,5. . .3,5 h

1. . .2 Schichten

1,5. . .3 h

1. . .2 Schichten 0,6. . .1,2 h

1,5. . .3,5 h

4. . .8 zentral/in Reihe

4. . .6 in Reihe

3. . .6 zentral

3. . .4 zentral

2/4/6/8 in Reihe

sehr gering

groß

gering

am geringsten

gering

mittel

gering

mittel

gering

gering

am höchsten

gering

hoch

gering

hoch

sehr gut

schwierig

gut

mittel

mittel

gering

mittel

gering

mittel

meist stationär meist kein Vorratslager erforderlich

stationär oft ein Vorratslager erforderlich

hoch (häufige Beschickung) stationär Vorratslager immer erforderlich, sehr hohe Beschickungskosten

Mobilität der Anlage stationär Besonderheiten oft ein Vorratslager erforderlich

160. . .460

Reihensilo

mit Spielzahl n = 3600/tS (Anzahl der Arbeitsspiele pro Stunde). Unter einem Arbeitsspiel wird der Vorgang, der mit gleicher Ablauffolge der Teilvorgänge Füllen, Mischen, Entleeren und Rückstellen mehrfach wiederholt wird (Unterbrechungen wie Stillstands- und Fahrzeiten werden nicht berücksichtigt), verstanden. Die Spielzeit tS ist die Zeit zwischen dem Beginn zweier unmittelbar aufeinanderfolgender Einfüllvorgänge (Dauer eines Arbeitsspiels).

40/80/120

leicht umsetzbar Vorratslager immer erforderlich; hohe Beschickungskosten

Spielzeit t S ¼ t F þ t M þ t L þ t R ½s

absatzweise arbeitende Mischer (Chargenmischer) gilt:   Mischleistung Qth ¼ V nenn  n m3 =h

30

mit tF = Einfüllzeit [s] tM = Mischzeit [s] tL = Entleerungszeit [s] tR = Rückstellzeit [s]. Nutzleistung Mischer Qn. Die Nutzleistung des Mischers Qn ist die Leistung, die im praktischen Betrieb unter Berücksichtigung von leistungsmindernden Faktoren erreicht werden kann:   Qn ¼ nL  Qth m3 =h :

570

C. Motzko et al.

Tab. 37 Überwachungsklassen für Beton (IZB-MB5 2014) Gegenstand Druckfestigkeitsklasse für Normal- und Schwerbeton Druckfestigkeitsklasse für Leichtbeton der Rohdichteklassen D1,0 bis D1,4 Druckfestigkeitsklasse für Leichtbeton der Rohdichteklassen D1,6 bis D2,0 Expositionsklasse

Überwachuungsklasse 1 C25/302)

Überwachuungsklasse 21) C30/37 und C50/60

Überwachuungsklasse 31) C55/67

nicht anwendbar

LC25/28

LC30/33

LC25/28

L30/33 und LC35/38

LC40/44

X0, XC, XF 1



Besondere Betoneigenschalten4)

Stahlfaserbeton der Leistungsklasse LK  LI-1,2

XS. XD, XA, XM3), XF2, XF3, XF4 Beton für wassenrundurchlässige Baukörper (z. B. Weiße Wannen)5), Unterwasserbeton, Beton für hohe Gebrauchstemperaturen T250  C, Strahlenschutzbeton (außerhalb des Kernkraftwerkbaus), FD-/FDEBetone gemäß Richtlinie des DAfStb, Stahlfaserbeton der Leistungsklasse LK>L1-1,2, Selbstverdichtender Beton (SVB), Verzögerter Beton gemäß Richtlinie des DAfStb, Spirtzbeton



1)

Das Bauuneternehmen muss im Rahmen der Eigenüberwachung über eine ständige Betonprüfstelle verfügen. Fremdüberwachug durch anerkannte Überwachungsstelle erforderlich 2) Spannbeton C25/30 ist stets in Überwachungsklasse 2 einzuordnen 3) Gilt nicht für übliche Industrieböden 4) Ggf. entsprechende Richtlinie des DAfStb beachten 5) Beton mit hohem Wassereindringwiderstand, z. B. für Waße Wannen, darf in die Überwachungsklasse 1 eingeordnet werden, wenn der Baukörper maximal nur zeitweilig aufstauendem Sickerwasser ausgesetzt ist und wenn in der Projektbeschreibung nichts anderes festgelegt ist

Tab. 38 Beispiele zur Berechnung von Mischerfüllungen Ausgangstoffe Konsistenz Zement Zuschlagstoffe Wasser Summe

Rezept. 1, Massen mR kg/m3 F3 335 1815 200 2350

Mengen f. 500-1Mischer mM1 kg F3 167,5 907,5 100,0 1175,0

Der Betriebszeitwert nL (im Mittel 0,8) berücksichtigt die Zeiten für Pflege und Wartung, Transport sowie Wartezeiten und die Qualifikation des Bedienpersonals.

Rezept. 2, Massen mR kg/m3 F1 250 1950 150 2350

Mengen f. 750-1Mischer mM2 kg F1 187,5 1462,5 112,5 1762,5

Erforderliche Mischleistung Qerf. Die erforderliche Mischleistung Qerf ist die Leistung, die der Mischer unter Berücksichtigung von Bedarfsspitzen abdecken sollte:

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

  Qerf ¼ M  QØ m3 =h mit QØ = durchschnittlicher Bedarf M = Ungleichmäßigkeitsfaktor (MBaustelle = 1,5. . .3,0; MBetonwerk = 1,2. . .1,5). Befördern von Frischbeton zur Baustelle Unter dem Begriff Befördern wird die Überwindung der Distanz zwischen dem Ort der Herstellung des Frischbetons und dem Ort der Entladung verstanden. Grundsätzlich ist der Frischbeton beim Befördern vor schädlichen Witterungseinflüssen wie Hitze, Kälte, Niederschlag oder Wind zu schützen. Dazu kann beispielsweise das Isolieren der Trommel des Betonmischfahrzeugs bei Arbeiten in Regionen mit sehr tiefen Lufttemperaturen gehören. Der Beton darf sich nicht entmischen. Frischbetone der Konsistenzklassen F2 (plastisch) bis F6 (sehr fließfähig) dürfen ausschließlich in Betonmischfahrzeugen oder Transportfahrzeugen mit Rührwerk befördert werden. Das Behältermaterial darf mit dem Frischbeton nicht reagieren. Frischbetone steifer oder sehr steifer Konsistenz dürfen auch mit Transportfahrzeugen ohne Rührwerk befördert werden. Die Betonmischfahrzeuge sollten spätestens 90 Minuten, Fahrzeuge ohne Mischeinrichtung spätestens 45 Minuten nach der ersten Wasserzugabe vollständig entladen sein. Diese Zeiten sind in Abhängigkeit von der Betonrezeptur und von den Witterungsbedingungen entsprechend anzupassen. In Tab. 39 sind Richtwerte für die Verarbeitungszeiten von Frischbeton nach DIN 1045 zusammengestellt. Annahme von Frischbeton auf der Baustelle

571

Die Annahme des Frischbetons auf der Baustelle bildet einen wichtigen Vorgang, denn mit dem Beginn des Entladens und des Förderns wird festgestellt, dass der gelieferte Frischbeton die notwendigen Verarbeitungseigenschaften aufweist. Dazu sind die normativen Prüfungen durchzuführen. Ferner ist vor Beginn des Entladens dem Verwender ein Lieferschein für jede Betonlieferung mit folgenden Mindestangaben zu übergeben (IZB-MB6 2013): • Name des Transportbetonwerkes, • Lieferscheinnummer, • Datum und Zeit des Beladens, d. h. Zeitpunkt des ersten Kontaktes zwischen Zement und Wasser, • Kennzeichen des Lkw oder Identifikation des Fahrzeugs, • Name des Käufers, • Bezeichnung und Lage der Baustelle, • Einzelheiten oder Verweise auf die Festlegung, z. B. Nummer im Listenverzeichnis, Bestellnummer, • Menge des Betons in Kubikmetern, • bauaufsichtliches Übereinstimmungszeichen unter Angabe von DIN EN 206-1 und DIN 1045-2, • Name oder Zeichen der Zertifizierungsstelle, • Zeitpunkt des Eintreffens des Betons auf der Baustelle, • Zeitpunkt des Entladebeginns, • Zeitpunkt des Entladeendes. Je nachdem, ob ein Standardbeton, Beton nach Eigenschaften oder Beton nach Zusammensetzung zum Einsatz kommt, sind weitere Angaben erforderlich. Zu beachten ist ferner, dass vor dem Entladen der Beton nochmals durchzumischen ist.

Tab. 39 Verarbeitungszeiten von Frischbeton nach DIN 1045 Betonart Baustellenbeton

Fahrzeugart

ohne Rührwerk Misch- oder Rührfahrzeug werkgemischter Transportbeton ohne Rührwerk Misch- oder Rührfahrzeug

Zulässige Verarbeitungszeiten in min nach Konsistenz F1 F2 F3 F5 45 20 20 20 90 90 90 90 45 Fahrzeuge ohne Rührwerk nicht zulässig 90 90 90 90

572

Fördern und Einbringen von Beton auf der Baustelle Die Methode des Förderns und des Einbringens des Frischbetons ist auf die gewählte Konsistenzklasse abzustimmen. Folgende Aspekte sind zu beachten (DBV 2014): • Einbaurohre und Einbauschläuche dimensionieren, • Betonierleistung festlegen, • Führung der Rüttler vorbereiten, insbesondere bei geneigten Bauteilen, • Betonieröffnungen und Rüttelgassen prüfen, • Witterungsverhältnisse beachten, • wenn erforderlich, „Puffermischungen“ als Anschluss und Vorlaufmischungen vorsehen, • loses Material im Bereich von Arbeitsfugen entfernen. Beim Einbringen des Frischbetons in die Schalung ist auf das Entmischen zu achten. Bei vertikalen Bauteile (Wände, Stützen) sollten bei Fallhöhen über 2 m (bei Sichtbeton über 0,5 m) Fallrohre bzw. Schläuche verwendet werden (IZB-MB7 2013). Das Fördern des Betons auf der Baustelle beginnt mit der Übergabe des Transportbetons bzw. bei Baustellenbeton mit dem Entleeren des Betonmischfahrzeugs und endet mit dem Einbringen des Frischbetons in die Schalung. Bei der Frischbetonförderung und dem Einbringen darf keine Entmischung des Frischbetons eintreten. Die Wahl des Fördermittels (Auslaufschurre, Krankübel, Förderband, Pumpe) hängt von den Bedingungen der jeweiligen Baustelle (Bauwerksgeometrie), der Einbauleistung, der Förderweite und -höhe, den Bauteilabmessungen und der einzubringenden Menge ab. Einbringen vom Transportfahrzeug. Die Frischbetonabgabe direkt vom Betonmischfahrzeug oder vom sonstigen Transportfahrzeug findet dort Anwendung, wo sich die zu betonierenden Bauteile und die Schalung (z. B. Streifenfundamente, Bodenplatten) unterhalb der Transportebene befinden und die Transportfahrzeuge unmittelbar an die Einbaustelle andocken können. Die unmittelbare Betonabgabe vom Transportfahrzeug in die Schalung ist besonders wirtschaftlich,

C. Motzko et al.

weil keine zusätzlichen Fördergeräte für den Frischbeton erforderlich sind. Der Beton kann jedoch wegen der begrenzten Reichweite der Auslaufschurren nur in Ausnahmefällen direkt eingebracht werden. Um eine Entmischung zuverlässig zu verhindern, darf die zulässige freie Fallhöhe von 1,50 m dabei nicht überschritten werden. Fördern und Einbringen mit Kran und Betonkübel. Das Betonieren mit Kran und Betonkübel ist besonders bei kleinen Einbauleistungen bis 15 m3/h wirtschaftlich wie sie z. B. beim Betonieren von aufgehenden Bauteilen mit kleinen Abmessungen (Stützen, Wände) auftreten. Beim Betonieren mit Betonkübeln wird vorwiegend Beton mit plastischer Konsistenz (F2) oder weicher Konsistenz (F3) verwendet. Um die Betonmischfahrzeuge nur für eine kurze Zeit auf der Baustelle zu binden, kann der Frischbeton zunächst an Zwischensilos oder Betonübergabestationen übergeben werden, die den gesamten Inhalt eines Transportfahrzeugs aufnehmen. Die Gefahr der Entmischung tritt bei Förderung mit Betonkübeln erst auf, wenn der Beton in die Schalung eingebracht wird. In Abb. 31 ist die Auswertung der Förderleistung einer Kran-Betonkübel-Gerätekombination beim Bau turmartiger Bauwerke dargestellt. Fördern und Einbringen mit Förderband. Das Fördern und Einbringen von Frischbeton über ein am Förderfahrzeug angebautes Förderband gestattet es, Beton mit plastischer Konsistenz (F2) bis 7 m hoch und 14,5 m weit zu fördern. Die teleskopierbaren und mehrfach abknickbaren Förderbänder sind mit Prallblech und Zementleimabstreifer und ggf. Fallrohren für das Zusammenhalten des Betons ausgerüstet. Besonders für kleinere Bauvorhaben bei begrenzten Förderleistungen ist dieses Verfahren wirtschaftlich (s. Abb. 32). Fördern mit Betonpumpen. Betonpumpen ermöglichen im Gegensatz zur absatzweisen Förderung mit Betonkübeln einen kontinuierlichen Förderprozess. Zusätzlich wird der Kran entlastet und steht für die notwendigen Umsetzvorgänge der Schalung und für den Transport der Bewehrung sowie weiterer Baustoffe zur Verfügung. Voraussetzung für den Einsatz einer Betonpumpe ist ein entsprechender Mischungsent-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

573

Abb. 31 Förderleistung einer Kran-Betonkübel-Gerätekombination in Abhängigkeit von der Bauwerkshöhe (Motzko 2006)

Abb. 32 Aktionsbereich eines FahrmischerVerteilerbands (Riker 1996)

Reichweite 7m

10 25 5

10

5

0

5 25

10

0 15 5

Reichweite 14,5 m

15 240

gI

I

llun

gI lun

el St

Ste

m 10

240 5

0 Bedienstand

St

el

g lun

III

5 Vergleichweise Schurrenverteilung 10

15

574

wurf des Frischbetons, der die Pumpfähigkeit des Frischbetons gewährleistet. Sie ist gegeben, wenn der Zementleim an der Wandung der Förderleitung einen ausreichend mächtigen Gleitfilm bildet und die Betonmischung beim Pumpen stabil bleibt. Sollte der Frischbeton beim Pumpen entmischen, besteht die Gefahr der Verstopfung der Förderleitung. Beim Einsatz von stationären Betonpumpen wurden bisher Förderhöhen von etwa 600 m ohne Zwischenstationen erreicht. Die Anwendung von stationären Betonpumpen mit Förderleitung und Verteilermast charakterisiert sich unter anderem durch folgende Merkmale: • geringer Platzbedarf auf der Baustelleneinrichtungsfläche, • permanente Verfügbarkeit, • definierte Betonübergabestelle, • sehr hohe Vertikal- und Horizontalförderung möglich, • lange Vorhaltezeiten, • hoher Reinigungsaufwand. Bei den Förderleitungen gilt es zu beachten: • Einbau von Schiebern in der Leitung, um bei einem Verstopfer leicht reinigen zu können, • Zwischenentnahmestellen einplanen, • Leitung befestigen und im Bereich von Richtungswechseln gesondert sichern und überwachen, • wegen auftretender Druckstöße die Rohrleitung nicht an der Schalung befestigen, • Verwertung von Restbeton festlegen. Der Einsatz von Autobetonpumpen zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: • kurze Vorhaltezeit, • exakte Terminierung, • Betonübergabestelle abhängig von der Betonierstelle, • geringer Reinigungsaufwand. Es werden maximale Reichhöhen von ca. 70 m erreicht (s. Abb. 33).

C. Motzko et al.

Bei größeren Bauwerkshöhen und bei großflächigen Bauteilen werden Autobetonpumpen mit Förderleitungen oder mit stationären oder mitkletternden Verteilermasten kombiniert. Für die Belange der Praxis wurde ein Nomogramm entwickelt, welches die Ermittlung des Förderdrucks (Motorleistung) in Abhängigkeit von der angestrebten Fördermenge (s. Abb. 34) erlaubt. Für die effektive Fördermenge ist ein sogenannter Einschaltfaktor zu bestimmen (reine Pumpzeit innerhalb der Einsatzzeit, z. B. 40 Minuten Pumpzeit innerhalb 1 Stunde Einsatzzeit ergeben einen Einschaltfaktor von etwa 67 %). Weiterhin ist der Leitungswert [m] als Addition der gesamten Rohrleitungslänge zuzüglich etwaiger Bögen, Reichweite des Betonverteilermastes sowie des Leitungswertes der Bögen des Betonverteilermastes zu bestimmen. Ferner ist die Konsistenz des Frischbetons festzulegen. Der hieraus ermittelte Förderdruck ist mit 0,25 bar/m Höhenunterschied für die Hochförderung zu beaufschlagen. Da die Förderleitungen nicht vollständig gefüllt sind, sollte ein Abschlag von 10 % vorgenommen werden. Im Bereich von Ingenieurbauwerken, zum Beispiel im Tunnelbau, wird, bedingt durch die Bauteilgeometrie, der Frischbeton gelegentlich mithilfe von Einfüllstutzen mit Schlagschiebern eingebaut. Die Frischbetonverdichtung kann in einem solchen Fall durch Außenrüttler erfolgen. Verdichten von Frischbeton Ziel der Frischbetonverdichtung. Durch das Verdichten soll das Frischbetongefüge in die dichteste Packung gebracht werden, und gleichzeitig sollen die eingeschlossenen Luftpartikel entweichen und ein dichter Anschluss an die Schalung sowie an die Bewehrung erzielt werden. Dabei darf der Frischbeton nicht getrieben werden, d. h. der Verdichtungsvorgang dient nicht der Verteilung des Frischbetons. Einflussfaktoren auf die Frischbetonverdichtung. Die Qualität der Frischbetonverdichtung hängt ab von der Verarbeitbarkeit bzw. Verdichtungswilligkeit des Betons, der Ausbildung der Schalung und der Bewehrung, der gewählten Verdichtungsart sowie der Fach- und Sachkunde der Arbeitskräfte auf der Baustelle. Die Verdichtungswilligkeit des Frischbetons wird im Wesent-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

575

Abb. 33 Reichweiten- und Leistungsdiagramm, Abstützung einer Autobetonpumpe (Putzmeister 2010)

lichen von der Gesteinskörnung, der Zementart und der Zementmenge, vom Wasserzusatz und von der Anwendung von Zusatzstoffen und Zusatzmitteln bestimmt. So führt beispielsweise die Anwendung von Fließmitteln zur Reduktion der Oberflächenspannung des Wassers, was wiederum ein intensiveres Benetzen der Gesteinskörnung und der Zementpartikel zur Folge hat. Der Frischbeton lässt sich dadurch besser verdichten. Ausbildung der Schalung und Bewehrung. Schalung und Bewehrung sollen so ausgebildet werden, dass ein vollständiges Ausfüllen der Schalung und die Ummantelung der Bewehrung mit Beton gewährleistet sind. Der Schalungsaufbau einschließlich der Einbauteile und der Schalungsanker sowie die Bewehrungsführung sollen aufeinander abgestimmt werden, damit das Einbringen und das Fließen des Frischbetons mög-

lichst behinderungsfrei ablaufen können. In den Bereichen sehr schlanker und hoch bewehrter Bauteile kann es sinnvoll sein, das Größtkorn zu reduzieren respektive Betone mit fließfähiger Konsistenz bis hin zum selbstverdichtenden Beton (SVB) anzuwenden. Verdichtungsarten. Frischbeton wird durch Rütteln, Stochern, Klopfen an der Schalungskonstruktion, Stampfen oder Walzen, im Wesentlichen in Abhängigkeit von der Konsistenz, verdichtet. Besondere Verdichtungsarten sind mit der Herstellung von Vakuumbeton und von Schleuderbeton verbunden. Ferner ist das Schocken in Fertigteilwerken zu nennen. Die gegenwärtig dominierende Verdichtungsart ist das Rütteln, bei dem Schwingungen in den Frischbeton eingeleitet werden. Von einem Schwingungserreger, der in den Frischbeton eingeführt (Innenrüttler)

576

C. Motzko et al.

Abb. 34 Nomogramm zur Ermittlung der Motorleistung von Betonpumpen (Riker 1996)

oder an der Schalungskonstruktion (Außenrüttler, Tischrüttler) angebracht wird respektive über die Betonfläche gleitet (Rüttelbohlen), wirkt Vibrationsenergie auf den Frischbeton und dessen Fließfähigkeit wird durch Reduktion der inneren Reibung gesteigert. So kann die Gesteinskörnung in die dichteste Packung gebracht werden, der Umschluss des Zementleims und das Entweichen der Luftpartikel kann in Richtung Oberfläche respektive in Richtung Schalungshaut erfolgen. In Abhängigkeit von der Frischbetonkonsistenz sind unterschiedliche Intensitäten der Verdichtungsenergien anzuwenden (IZB-MB7 2013): Konsistenzklasse F1: Stampfen, Konsistenzklasse F2: Starkes Verdichten,

Konsistenzklasse F3: Normales Verdichten, Konsistenzklasse F4: Wenig Verdichten, Konsistenzklasse F5: Leichtes Verdichten (Stochern, Klopfen), Konsistenzklasse F6: Leichtes Verdichten (Schwabbeln), SVB: kein Verdichten. Im Bereich der Sichtbetone ist die Anwendung systemgerechter Schalungstrennmittel erforderlich, so dass das Entlüftungsverhalten entlang der Schalungshaut gewährleistet ist (AiF-DBV 2006). Innenrüttler. Zur Erzielung eines sach- und fachgerechten Verdichtens soll beim Rüttelvorgang die Rüttelflasche zügig senkrecht in den

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

Beton eingetaucht werden, im Tiefpunkt kurz verharren und langsam von unten nach oben gezogen werden, sodass sich der Beton hinter der Rüttelflasche schließt. Zur Vermeidung des Entmischens durch zu lange Rütteldauer respektive nicht ausreichender Verdichtung kann die Rütteldauer tV je Tauchstelle nach folgender Formel ermittelt werden: tv ¼ 2  ðs þ bÞ=v½s mit s = Schütthöhe [cm] b = Einbindetiefe in die bereits verdichtete Schicht [cm] v = mittlere Geschwindigkeit [cm/s]. Eine ausreichende Rütteldauer ist im Allgemeinen gegeben, wenn eine mittlere Geschwindigkeit von v = 5 bis 8 cm/s beim Bewegen der Rüttelflasche im Frischbeton eingehalten wird. Die Rüttelflasche soll in die bereits verdichtete Schicht mindestens 10 bis 20 cm tief eindringen, um eine gute Verbindung beider Schichten zu gewährleisten (DBV 2014). Die minimale Schütthöhe soll mindestens 30 cm betragen, da erst dann eine ausreichende Menge an Frischbeton unter der notwendigen Auflast steht. Diese Schütthöhe wird ebenfalls für das Herstellen von Sichtbetonflächen empfohlen. Die maximale Schütthöhe soll 50 cm, auch bei hohen Wänden und Stützen, nicht übersteigen, da sonst die Luft zum Entweichen aus den unteren Lagen einen zu langen Weg hat und die Gefahr besteht, dass der Beton vor seiner vollständigen Verdichtung bereits erstarrt. Arten von Innenrüttlern. Die Klassifizierung der Innenrüttler erfolgt entsprechend DIN 4235 Teil 1 nach Antriebsart, Art des Tragschlauches und der Anordnung des Antriebsmotors, Art der Unwucht und Größe der Fliehkraft. Die speziellen maschinentechnischen Kennwerte sind den Unterlagen der Hersteller zu entnehmen. Hierzu gehören neben Rüttlergruppe, Fliehkraft, Durchmesser des Rüttlers und Masse der Unwucht auch die Motorleistung, Motordrehzahl und Anschlussleistung.

577

Auswahl von Innenrüttlern. Form und Abmessungen der herzustellenden Bauteile bestimmen die Art und die Abmessung der Rüttler. Zum Verdichten von Bauteilen mit großen Abmessungen und bei weitmaschiger Bewehrung empfiehlt sich der Einsatz mittlerer und schwerer Innenrüttler (Rüttlergruppe 2 und 3). Zur Verdichtung feingliedriger Bauteile und bei enger Bewehrungsführung eignen sich wegen ihres geringen Durchmessers leichte Innenrüttler der Gruppe 1. Da auf Baustellen in der Regel Elektroanschlüsse vorhanden sind, werden üblicherweise Elektro-Innenrüttler eingesetzt. Der Einsatz von hochfrequenten Rüttlern erfordert z. T. Frequenzumformer, die zusätzlich zu den Rüttelflaschen vorgehalten werden müssen. Wirkungsbereich von Innenrüttlern. Der Abstand der Eintauchstellen ist so zu wählen, dass sich die Wirkungsbereiche überschneiden. Für die Baustelle gilt vereinfacht: der Abstand der Eintauchstellen sollte 5 bis 10 cm kleiner als der 10-fache Durchmesser des Innenrüttlers sein. Die Anwendung von Markierungen für die Eintauchtiefe sowie die Anwendung von Rüttlerbatterien wird empfohlen (s. Abb. 35). Der Wirkungsbereich von Innenrüttlern kann der Tab. 40 entnommen werden. Außenrüttler. Außenrüttler werden an Schalungen befestigt (Schalungsrüttler) oder als Oberflächenrüttler (Rüttelbohlen) eingesetzt. In Betonfertigteilwerken kommen Außenrüttler an Rütteltischen, Rüttelböcken oder auch an den Schalungsformen zum Einsatz. Schalungsrüttler werden an den Knotenpunkten der Schalungsaussteifung angebracht und erzeugen damit eine gleichmäßige Schwingungsverteilung über eine größere Fläche. Der Schalungsrüttler und die Steifigkeit der Schalungskonstruktion müssen aufeinander abgestimmt werden. In Abhängigkeit von den Bauteilabmessungen sowie von der Bewehrungsführung werden Kombinationen von Innen- und Außenrüttlern verwendet. Oberflächenrüttler werden zur Verdichtung von waagerechten, geneigten oder zu profilierenden flächigen Betonbauteilen wie Brückenfahrbahnen oder Geschossdecken in Gestalt von Rüttelplatten, Rüttelbohlen oder Abgleichbohlen verwendet, die zum Teil über Lehren oder Schienen geführt werden. Mit der nachträglichen Vakuumbehandlung der Ober-

578

C. Motzko et al.

Abb. 35 Einsatz von Innenrüttlerbatterien im Hochbau

Tab. 40 Kenndaten von Rüttlergruppen [DIN 4235] Rüttlergruppe Fliehkraft N Durchmesser mm Masse kg bei Elektroantrieb bei Druckluftantrieb Durchmesser des Wirkungsbereiches cm Abstande der Eintauchstelle cm

1 60

0,5. . .6,5 3,5 80 70

fläche können durch Wasserentzug Betoneigenschaften wie Druckfestigkeit, Dichtigkeit und Schwindverhalten verbessert werden. Nachverdichten. Unter bestimmten Umständen kann das Nachverdichten als Maßnahme zur Qualitätsverbesserung der betonierten Bauteile eingesetzt werden. Der Zeitpunkt des Nachverdichtens ist abhängig von der Verarbeitbarkeit des Betons. Erkennbar ist dieses

am Schließen der Betonoberfläche, nachdem der Innenrüttler herausgezogen wurde. Durch das Nachverdichten werden Fehlstellen eliminiert, so zum Beispiel Hohlräume unter der Längsbewehrung bei Platten oder unter Einbauteilen. Im Kontext von Sichtbetonbauteilen kann die Porigkeit im Bereich von Wandkronen oder an Stützenköpfen reduziert werden. Bei waagerechten flächigen Bauteilen wird die Be-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

tonrandzone durch Oberflächenbearbeitung mit Hilfe von Flügel- oder Scheibenglättern verbessert, was die Gefahr von Frühschwindrissen vermindern lässt. Ausschalfristen und Nachbehandlung von Beton Ausschalfristen. Siehe Abschn. 4.4 Einsatzund Bemessungsaspekte. Nachbehandlung. Die Nachbehandlung soll adäquat den normativen Vorgaben der DIN EN 13670 in Verbindung mit DIN 1045-3 erfolgen, um das Frühschwinden gering zu halten, eine ausreichende Festigkeit und Dauerhaftigkeit der Betonrandzone sicherzustellen, den Beton vor schädlichen Witterungsbedingungen zu schützen, das Gefrieren zu verhindern und schädliche Erschütterungen, Stoß oder Beschädigungen zu vermeiden. Die Nachbehandlung kann in Methoden der Reduktion der Austrocknung und wasserzuführende Methoden gegliedert werden. Zu den ersteren Methoden zählt das Belassen des Betons in der Schalung, das Abdecken der Betonoberflächen mit dampfdichten Materialien oder der Auftrag von geeigneten Nachbehandlungsmitteln. Zu den wasserzuführenden Methoden zählt der Schutz mit Hilfe von wasserspeichernden Abdeckungen oder das Vorhalten eines Wasserfilms auf der Betonoberfläche. Die Nachbehandlungsdauer richtet sich nach der Betonzusammensetzung, nach den Temperaturverhältnissen infolge des Hydratationsprozesses, nach den Umweltbedingungen sowie nach der Beanspruchung des Bauteils in der Nutzungsphase. Die Nachbehandlungsdauern sind dem Normenwerk zu entnehmen.

Baubetriebliche Leistungswerte und Kennzahlen im Beton- und Stahlbetonbau Arbeitsverzeichnis und Bauarbeitsschlüssel (BAS) Arbeitsverzeichnis. Zur Strukturierung der Ausführungsprozesse ist im Rahmen der Arbeitsvorbereitung auf Grundlage der maßgebenden Projektunterlagen ein Arbeitsverzeichnis aufzustellen, in dem alle zu erbringenden Teilleistungen nach Art und Reihenfolge einschließlich Materialaufwand, Personal- und Geräteeinsatz erfasst sind. Eine

579

zweckmäßige Form für ein Arbeitsverzeichnis zeigt Tab. 41. Ein derartiges Arbeitsverzeichnis erfordert eine Gliederung der einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses in baubetrieblich sinnvolle Vorgänge wie Einschalen, Bewehren, Betonieren und Ausschalen sowie die Zuordnung der Auftragszeit und der Aufwandswerte. Die Auftragszeit beinhaltet die Ausführungszeit, welche aus dem Aufwandswert und der Ausführungsmenge gebildet wird, sowie die Rüstzeit. Der Aufwandswert kann auftragsunabhängig angesetzt werden, während die Rüstzeit die individuellen Bedingungen der auszuführenden Arbeiten würdigt. Unter Berücksichtigung der Kolonnenstärke sowie der täglichen Arbeitszeit ergeben sich die Ausführungsdauern der Einzelvorgänge und die Gesamtdauer der Vorgangskette. Moderne EDV-Systeme integrieren die Prozesse innerhalb des internen Rechnungswesens von Bauunternehmen. Auftragskalkulation und Arbeitskalkulation werden durchgängig bearbeitet, ohne dass Systembrüche stattfinden. Damit die einzelnen Vorgänge eines Bauprojektes für Zwecke der Planung und Steuerung (Kosten, Termine, Quantitäten, Qualitäten) identifiziert werden können und maschinenlesbar sind, werden diese kodiert. Die Kodierung kann mittels des Bauarbeitsschlüssels (BAS) erfolgen. Bauarbeitsschlüssel (BAS). Der Bauarbeitsschlüssel bildet ein System der Kodierung für die preis- und zeitbestimmenden Leistungen nach fertigungstechnischen Merkmalen. Unter einer Schlüsselnummer werden Leistungen erfasst, die hinsichtlich des Aufwandswertes als gleichartig anzusehen sind. Der BAS dient der systematischen Bearbeitung für die Vorgabe (Arbeitskalkulation), Erfassung (Stundenberichte), Kontrolle und Steuerung (Soll-Ist-Vergleiche), Nachkalkulation sowie Datensicherung (BAS-Datei) der Aufwands- respektive der Leistungswerte. Zudem dient die aktualisierte BAS-Datei als Grundlage für die Bearbeitung nachfolgender Angebote. Die Positionen im Leistungsverzeichnis des Auftraggebers sind vielfach nicht für ausführungsbezogene Zuordnungen geeignet. Abb. 36

BAS 331 415 433 331

321 411 443 321

Pos. 116

117

Bauteil/Abschnitt Decke EG

Wände OG

Menge E 250 m2 3.15 t 45 m3 250 m2

360 m2 1,62 t 32,4 m3 360 m2

Tab. 41 Arbeitsverzeichnis (Auszug)

einschalen bewehren betonieren ausschalcn

Tätigkeit/Leistung einschalen bewehren betonieren ausschalen 0,40 14,0 0,75 0,15

Aufwand h/E 0,50 12,0 0,60 0,10 144,0 22,7 24,3 54,0

Gesamt h 125,0 37,8 27,0 25,0 6 4 4 6

AK/Kolonne 6 3 4 6

Arbeitstaged 2,31 1,40 0,75 0,46 4,92 2,67 0,63 0,68 1,00 5,01

Takt 2 9 h/d

Bemerkung Takt 1 9 h/d

580 C. Motzko et al.

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

Gliederung Ausschreibungsunterlagen Leistungsverzeichnis Titelgruppe Position Pos.–Nr. 116 [m2] Stahlbetondecke, B25, d=18 cm einschließlich Schalung und Bewehrung

Abrechnung

581

Gliederung nach Bauarbeitsschlüssel (BAS)

Zuordnung der Aufwandswerte

BAS 330 [m2] Einschalen, Ausschalen einschließlich Vorbereiten, Reinigung

WA = 0,50...0,80 h/m2

BAS 392 [Stück] Aussparungen

WA = 0,25...0,65 h/St.

BAS 394 [m2] Randschalung

WA = 0,80...1,50 h/m2

BAS 415 [t] Verlegen von Betonstahlmatten

WA = 12...16 h/t

BAS 433 [m3] Betonieren

WA = 0,50...0,60 h/m3

Abb. 36 Bezugsgrößen im Leistungsverzeichnis und Arbeitsbereich (Petzschmann 1998)

zeigt die möglichen Beziehungen zwischen der Position eines Leistungsverzeichnisses und der Gliederungsstruktur des BAS. Der BAS wird den Bedürfnissen und besonderen Gegebenheiten der Bauunternehmung angepasst, in der Regel dreistellig verwendet und kann zur Identifikation von Fertigungsabschnitten um weitere Stellen ergänzt werden. Die folgende Aufstellung zeigt die Struktur eines möglichen BAS: 0 Baustelleneinrichtungs- und Randarbeiten, 1 Transport- und Umschlagarbeiten, Stundenlohnarbeiten und Gerätebedienungstunden, 2 Erd-, Entwässerungs- und Abbrucharbeiten, 3 Schal- und Rüstarbeiten, 4 Beton- und Stahlbetonarbeiten, 5 Mauer- und Putzarbeiten, 6 Straßenunterbau- und Deckenarbeiten, 7 Straßenbauarbeiten an Nebenanlagen, 8 Grundbau- und Wasserbauarbeiten, 9 Sonder- und Spezialarbeiten. Aufwandswerte typischer Leistungen Für die Kalkulation und die Arbeitsvorbereitung von Schalungs-, Bewehrungs- und Betonarbeiten ist die Kenntnis von Aufwandswerten

von Bedeutung. Neben den Aufwandswerten des gewerblichen Personals (Arbeitsstunden pro Mengeneinheit) sind die Leistungswerte der erforderlichen Maschinen und Geräte zu bestimmen. Aufwandswerte für Beton- und Stahlbetonarbeiten sind von vielen Einflussfaktoren wie Bauwerksgeometrie, Art des Bauteils, Qualifikation des Personals und Anzahl sich wiederholender Abschnitte (Einarbeitungseffekt) abhängig. Wegen dieser vielfältigen Randbedingungen findet man sowohl bei Angaben in der Literatur als auch bei Erfahrungswerten der Praxis für die Aufwandswerte erhebliche Spannweiten. Im Folgenden wird ein Überblick über die Aufwandswerte typischer Beton- und Stahlbetonarbeiten nach der Literatur gegeben (Hoffmann 2006). Diese Werte müssen den spezifischen Bedingungen des zu kalkulierenden Bauvorhabens angepasst werden. Ferner sind, wie bereits ausgeführt wurde, die Rüstzeiten zu bestimmen. Aufwandswerte für Schalarbeiten. Der BASgeordnete Arbeitszeitbedarf für Schalarbeiten enthält alle Haupt- und Nebenleistungen bei der Ausführung der Arbeiten mit Kran und durch erfahrene Facharbeiter (s. Tab. 42).

582

C. Motzko et al.

Tab. 42 Aufwandswerte für Schalarbeiten nach BAS (Hoffmann 2006) BAS 30 300 301 302 303 304 31 310 311 32 320 321 322 32-1 33 331 332 333 33-1 34 341 342 34-1 35 351 352 35-1 36 361 362 36-1 39 390 391

Vorgang Gerüstarbeiten (bis 20 m Höhe) Stahlrohrgerüst Rahmengerüst b = 0,7 m/200 kg Rahmengeüst b = 1,0 m/300 kg Ausleger-Fanggerüst b = 1,0 m Schutzgeländer Fundamente schalen Streifenfundamente konventionell schalen Streifenfundament Systemschalung Wände schalen (Höhe  3,0 m) Wände konventionell Schalen Wände schalen, Rahmenschahmg Wände schalen, Großflächenschalung Zulage für Höhen > 3,0 m Decken (Höhe  3,0 m. Dicke  25 cm) Decken konventionelle schalen Decken schalen, Holzträgersystemschalung Decken schalen, Rahmentafeln + Fallkopf Zulage für Höhen > 3,0 m Unterzüge und Balken schalen (Querschnitt > 0,15 m2) Unterzüge + Balken, konventionell schalen Unterzüge + Balken schalen, Systemschalung Zulage für Querschnitt 0.05. . .0.15 m2 Überzüge und Brüstungen schalen (Höhe 0,50. . .1,40) Überzüge + Briistg konventionell schalen Überzüge + Brüstg schalen, Systemschalung Zulage für Höhe  0,5 m Stützen schalen, (Querschnitt > 0,25 m2) Stützen konventionell schalen Stützen schalen, rechteckig, Systemschalung Zulage für Querschnitt 0,25. . .0,10 m2 Sonstige Schalarbeiten Aussparungen schalen, alle Größen Laibungen schalen, alle Größen

Aufwandswerte für Bewehrungsarbeiten. Bei der Planung und der Kalkulation von Bewehrungsarbeiten ist zu berücksichtigen, dass das Vorbereiten, Schneiden und Biegen in der Regel in zentralen Biegebetrieben durchgeführt wird und auf der Baustelle der Stundenaufwand ausschließlich für den Transport und das Verlegen entsteht. Sach- und fachgerechte Arbeitsvorbereitung und Vorfertigung der Bewehrung tragen zum

Einheit

Stundensatz

m3 m2 m2 m m

0,20. . .0,30 0,05. . . 0,15 0,10. . .0,20 0,20 . . .0,30 0,30. . .0,50

m2 m2

0,60. . .0,80 0,30. . .0,50

m2 m2 m2 m2

0,70. . .1,20 0,30. . .0,60 0,20. . .0,50 0,20. . .0,40

m2 m2 m2 m2

0,80. . .1,00 0,45. . .0,65 0,40. . .0,60 0,10. . .0,30

m2 m2 m2

1,50. . .2,00 0,90. . .1,30 0,10. . .0,20

m2 m2 m2

1,10. . .1,30 0,70. . .1,05 0,25. . .0,40

m2 m2 m2

1,30. . .1,80 0,90. . .1,40 0,20. . .0,30

St. m2

0,25. . .0,65 0,30. . .0,50

Teil zu einer erheblichen Reduzierung dieser Werte bei. In Tab. 43 sind die Einflüsse auf den Aufwandswert bei Bewehrungsarbeiten aufgelistet. Tab. 44 gibt einen Überblick über den mittleren Aufwandswert bei Bewehrungsarbeiten. Aufwandswerte für Betonierarbeiten. Tab. 45 gibt Aufwandswerte für den Betoneinbau mit Auslegerpumpe nach BAS an.

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

583

Tab. 43 Einflüsse auf den Verlegeaufwand von Bewehrung. (Petzschmann 2012) Einflüsse auf den Verlegeaufwand aus Betonstahlmaterial Bauwerk Betonstabstahl Art und Form der Bauteile Durchmesser Abmessungen der Bauteile Durchmesserverteilung Bewehrungsführung Betonstahlmatten Bewehrungsdichte Mattenart, Mattengewicht Biegeformen Lager-, Nichtlagermatten Stäblängen, Bügel Bewehrungsstöße Bewehrungsanteile

Tab. 44 Aufwandswerte für Bewehrungsarbeiten nach BAS (Hoffmann 2006) BAS 4 40 400 401 402

402.1 402.2 402.3 41 410 410.1 410.2 410.3 411 411.1 411.2 411.3 412 412.1 412.2 412.3 413 413.1 413.2 413.3 414 414.1 414.2

Vorgang Einheit Stundensatz Beton- und Stahlbetonarbeiten Bewehrungarbeiten Betonstahl laden und verarbeiten Auf- und Abladen, t 0,5. . .0,7 unbearbeiteter Stahl bearbeitet und positioniert t 0,9. . .1,0 Schneiden und Biegen t 4. . .11 von Stabstahl auf mittleren bis großen Anlagen für alle Ø Ø 20 mm t 4. . .6 Betonstahl verlegen Betonstabstahl einbauen in Fundamenten, alle Ø t 8. . .21 Ø m3 200 m2 435 d = 31. . .50 cm> m3 0,35. . .0,55 200 m2 436 d > 50 cm > m3 0,30. . .0,50 2 500 m 44 Wände betonieren 441 Wände 5 m m3 0,35. . .1,40 Höhe, alle Dicken 1,00. . .1,40 442 d = 10. . .15 cm m3 443 d = 16. . .25 cm m3 0,80. . .1,20 444 d = 26. . .40 cm m3 0,60. . .1,00 445 d = 41. . .60 cm m3 0,40. . .0,80 446 d > 60 cm m3 0,35. . .0,60 45 Balken und Unterzüge betonieren 450 alle Querschnitte m3 0,50. . .1,00 2 451 bis 0,1 m m3 0,70. . .1,00 452 >0,1 m2 m3 0,50. . .0,80 46 Stützen betonieren (mit Krankübel) 461 alle Querschnitte m3 1,20. . .2,80 462 bis 0,1 m2 m3 2,00. . .2,80 462 >0,1 m2 m3 1,20. . .2,00 47 Sonderbauteile betonieren 471 Treppenlaufplatten m3 1,60. . .2,00 mit Stufen

geplante Produktionsunterbrechung (Winterpausen), Schutz der Arbeitsabschnitte vor Witterungseinflüssen (Einhausungen) oder Verwendung von spezifisch aufbereiteten Baustoffen wie zum Bei-

C. Motzko et al. Tab. 46 Kranaufwandswerte Vorgang Schalen in h/m2 – konv. Deckenschalung – Deckentische – Stützen – Großflächen Wände – konv. Wandschalung – Unterzüge – Fundamente Bewehrung in h/t – Matten – Rund-. Stabstahl – Bewehrung gesamt Betonieren in h/m3 – Decken – Fundamente – Wände – Stützen

Untergrenze

Obergrenze

0,020 0,020 0,020 0,040 0,020 0,025 0,010

0,090 0,030 0,045 0,080 0,045 0,040 0,020

0,30 0,20 0,24

0,55 0,35 0,40

0,060 0,050 0,080 0,120

0,120 0,090 0,150 0,260

Tab. 47 Minderleistung in % der Normalleistung für gewerbliches Personal (Vygen et al. 2008)

Tätigkeiten

Minderleistung in % der Normalleistung für Vollschutz geschl. Teilschutz Einzelschutz Gebäude Schutz des oder einzelner Arbeitsplatzes Hallen Bauteile im Freien

Transportarbeiten Betonarbeiten Schalungsarbeiten Bewehrungarbeiten Maurerarbeiten Fertigteilmontage

2. . .4 2. . .4 4. . .8 6. . .10 5. . .8 –

4. . .6 5. . .8 10. . .18 12. . .24 8. . .12 –

6. . .10 10. . .16 20. . .30 20. . .35 16. . .22 5. . .10

spiel die Anwendung von Warmbeton. Durch gestörte Bauabläufe kann es zur Verschiebung der Bauarbeiten in eine ungünstige Jahreszeit mit der Folge entsprechender Mehrkosten aus reduzierter Produktivität der Produktionsmittel, zu Bauzeit-

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

verlängerung sowie zur Notwendigkeit der Einrichtung von Winterbaumaßnahmen kommen. Nach (Vygen et al. 2008) können die Minderleistungen des gewerblichen Personals in Abhängigkeit von der Art des Witterungseinflusses die in Tab. 47 genannten Größenordnungen erreichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Arbeiten nicht in jedem Fall vor Witterungseinflüssen voll oder auch teilweise geschützt werden können. Wie die Praxis zeigt, erreichen Minderleistungen in außergewöhnlichen Wintern mindestens Werte von 50 %. Hinzu kommt, dass nach einer Unterbrechung bei Wiederaufnahme der Arbeiten infolge des Einarbeitungsverlusts die volle Produktivität nicht sofort wieder erreicht wird.

5.4

Bauverfahren und Maschineneinsatz im Stahlbetonfertigteilbau

585

• Regelaussparungen für gebäudetechnische Installationen, • Standardquerschnitte und möglichst einfache Ausbildung der Knotenpunkte. Ausführungsplanung Die Realisierung eines Bauvorhabens in Fertigteilbauweise erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Architekten, Fachingenieuren, Tragwerksplanern und Fertigungsingenieuren, damit dem erhöhten Planungsaufwand und Planungsvorlauf der Vorfertigung ausreichend Rechnung getragen wird. Dabei soll die Ausführungsplanung alle Randbedingungen aus Herstellung, Transport und Montage der Fertigteile erfüllen. Für die Ausführungsplanung von Stahlbetonfertigteilen sollen außerdem alle planerischen Vorgaben für Aussparungen, Durchbrüche, Befestigungen und Einbauten aus Gebäudetechnik, Fördertechnik und Fassadenplanung rechtzeitig bekannt sein, damit diese vollständig in den Planungsprozess einfließen können.

Eberhard Petzschmann und Christoph Motzko Vorbereitende Arbeiten im Stahlbetonfertigteilbau Stahlbetonfertigteile sind Bauteile, die – im Gegensatz zu Ortbetonbauteilen – in stationären Anlagen hergestellt, zur Baustelle transportiert und dort montiert werden. Der Transportvorgang ist elementar, daher wird die Gliederung der Konstruktion in einzelne Fertigteilelemente durch diesen Parameter maßgeblich beeinflusst. Um die Vorteile der stationären Fertigung und Baustellenmontage von Stahlbetonfertigteilen sicherzustellen, sollen folgende Grundsätze bei der Planung berücksichtigt werden: • Wahl geeigneter Bauweisen (Wandtafel-, Stützen-, Deckensysteme), • modularer Aufbau des Tragwerkrasters, • Anpassung aussteifender Bauteile (Kerne, Schächte usw.) an das Planungsraster, • Anpassung von Deckendurchbrüchen an das Planungsraster, • hohe Elementhäufigkeit der Fertigteile (Serien),

Fertigungsplanung und Arbeitsvorbereitung Fertigungsplanung und Arbeitsvorbereitung erstrecken sich auf den Prozess der Herstellung von Fertigteilen im Fertigteilwerk, die Zwischenlagerung fertiger Teile sowie den Transport und die Montage. Herstellung und Montage der Fertigteile stehen in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang und sollen eng aufeinander abgestimmt sein. Die Fertigungsplanung berücksichtigt die Auslastung der Fertigungsplätze im Werk durch langfristige Belegungspläne und sichert damit den Produktionsrhythmus der Herstellung. Dies erfordert eindeutige Festlegungen hinsichtlich Formenbau, Schalungsvorbereitung, rechtzeitigem Bestellen, Vorbereiten und Bereithalten von Bewehrung und Einbauteilen sowie Verfügbarkeit von Zuschlagstoffen und Zement. Zwingende Voraussetzung für einen störungsfreien Produktionsablauf sind geprüfte und freigegebene Schalpläne und Bewehrungszeichnungen, die alle Informationen wie Abmessungen, Aussparungen, Durchbrüche, Einbauteile und Installationen enthalten. Dabei sind hinsichtlich des

586

C. Motzko et al.

zeitlichen Vorlaufs alle Bestell-, Liefer- und Vorlaufzeiten zu berücksichtigen. Im Rahmen der Arbeitsvorbereitung wird die Montagefolge auf der Baustelle festgelegt und auf dieser Grundlage der Formenbau und die Fertigungsreihenfolge im Fertigteilwerk festgelegt. Fertigteilbauweisen. Nach Art der verwendeten Fertigteile wird unterschieden zwischen: • Skelettbauweisen (Abb. 37), bei denen stabförmige Fertigteilelemente wie Stützen, Riegel, Binder, Pfetten und Unterzüge als tragende Bauteile verwendet werden. • Großtafelbauweisen (Abb. 38), bei denen die tragenden vertikalen Bauteile plattenförmig sind (Wandplatten). • Mischbauweisen, bei denen die Vorteile der Fertigteilbauweise mit den Vorteilen einer Ortbetonlösung, z. B. durch Verwendung von

nge der

Gesamtlä

Halle

Fertigteildecken, -unterzügen, -treppenläufen, -podest- und -balkonplatten kombiniert werden.

Montagearten. Aus den verschiedenen Fertigteilbauweisen ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten der Montage, wobei zwischen vertikalem und horizontalem Montageablauf unterschieden wird. Transport- und Montagegeräte. Im Rahmen der Arbeitsvorbereitung sind entsprechend der gewählten Bauweise, der Elementgewichte und -abmessungen, der Montageart sowie der Straßenund Baustellenverhältnisse auch die Transportfahrzeuge und Montagekrane auszuwählen und zu dimensionieren. Herstellung von Stahlbetonfertigteilen Stahlbetonfertigteile werden in der Regel in stationären Fertigteilwerken hergestellt und zur Baustelle transportiert. In Ausnahmefällen (z. B. bei

smaß)

m (Ach

Ges

amtl

änge

m (A

Felder =

der H

chsm

aß)

alle

Binder Giebel– Attika

Unterzug Decken– Tragplatte Giebel– stütze

Betonfußboden Außen– stütze

Streifen– fundament Köcher– fundament

Abb. 37 Typisches Bauwerk in Skelettbauweise (Gerne 1999)

Fensterband Brüstungsplatte Dachhaut Gasbeton–Dachplatten

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

587

Abb. 38 Typisches Bauwerk in Großtafelbauweise (Gerne 1999)

großen Baumaßnahmen und ausreichenden Platzverhältnissen) kann die Fertigteilproduktion auch in zeitlich begrenzt eingerichteten Feldfabriken in unmittelbarer Nähe des Bauwerks erfolgen mit dem organisatorischen und kostenseitigen Vorteil, dass der Transportweg zwischen Herstellungs- und Montageort der Fertigteile kurz ist oder entfällt. Fertigungsverfahren. Bei der Herstellung von Stahlbetonfertigteilen wird grundsätzlich zwischen Standfertigung und Umlauffertigung unterschieden. Kennzeichen der Standfertigung ist die Herstellung eines Fertigteils mit allen Arbeitsgängen von der Schalungsvorbereitung über das Verlegen des Betonstahls und die Montage der Einbauteile bis zum Betonieren und Ausschalen am gleichen Ort (Arbeitsplatz). Die Arbeitsgruppen für die einzelnen Fertigungsprozesse wechseln jeweils zum nächsten Fertigungsstandort. Das Standverfahren eignet sich für die Herstellung stabförmiger Fertigteile (Stützen, Bal-

ken, Pfetten) und für schwere Elemente wie Binder, Stegplatten und Kranbahnträger, die auch vorgespannt im Spannbett hergestellt werden können (Abb. 39). Zur Standfertigung gehört auch die Herstellung von Decken- und Wandelementen in Batterieformen (Abb. 40), von mehrschaligen Wandelementen auf Kipptischen und von räumlichen Fertigteilen (Sanitärzellen, Treppenläufe usw.). Bei der Umlauffertigung bewegen sich die Formen (Schalungen) im Takt von Fertigungsort zu Fertigungsort. An jedem Fertigungsort (Arbeitsplatz) werden jeweils die gleichen Arbeiten ausgeführt mit dem Vorteil, dass spezialisierte Arbeitskräfte gleichbleibende Arbeitsprozesse ausführen und damit eine qualitativ hochwertige Leistung erzielen sollen. Darüber hinaus können die Materialzuführung und die maschinelle Einrichtung beim Fließbandverfahren optimal gestaltet werden, weil immer der gleiche Fertigungsort versorgt werden muss (Abb. 41).

588

C. Motzko et al.

B

c d

e

c

c d

e

c

B

b

a

Schnitt A–A d e A

c

Schnitt B–B

c

a Widerlager b vertikale Stützenprofile c Querbalken

A

b d Pressen zum Nachlassen der Vorspannkraft e Spannstähle

Abb. 39 Schema eines Spannbetts (Kaymer 1999)

Anordnungen der Hilfsbetriebe, innerbetriebliche Transporte und Lagerung Die Herstellung von Stahlbetonfertigteilen in stationären Anlagen erfordert eine abgestimmte Organisation des Materialflusses von der Anlieferung, Vorbereitung und Bereitstellung der Baustoffe und Einbauteile über die Arbeiten an der Fertigungsstelle bis zu den Nacharbeiten und der Einlagerung der fertigen Elemente. Hierfür ist die räumliche Zuordnung für folgende Hilfsbetriebe räumlich und transporttechnisch sach- und fachgerecht zu gestalten: • Schalung. Die Schalungsformen werden üblicherweise für Großserien aus Stahl, für Kleinserien oder Sonderteile aus Holz oder Kunststoff hergestellt. Hierfür sind der Flächenbedarf, die Flächenzuordnung und der Materialfluss für Schalungslager, Schalungsbau und Schalungsbereitstellung zu ermitteln bzw. zu gestalten. • Betonstahl und Spannstahl. Die Vorbereitung der Bewehrung erfordert Biege- und Flecht-

plätze mit Zwischenlager- und Bereitstellungsflächen. • Einbauteile. Einbauteile wie Leerrohre, Anker, Ankerschienen und -hülsen, Einlagen für Aussparungen und Durchbrüche, Gleitschutzkanten, Transportanker sind zu lagern und zuzuführen. • Beton. Der Beton wird in der geforderten Qualität in einer werkseigenen Mischanlage hergestellt und mit dem vorhandenen Transportsystem in Kübeln zur Einbaustelle transportiert. Für die innerbetrieblichen Transporte und zum Lagern der Fertigteilelemente werden im Allgemeinen Brückenlaufkräne innerhalb der Fertigungshalle und Portalkräne außerhalb der Halle (Lagerplatz) benutzt. Die beim Entwurf von Baumaßnahmen genutzten computergestützten Methoden können für Verlegepläne im Fertigteilbau verwendet werden. Gegenwärtig ist die Produktion im Betonfertigteilbau automatisiert und computerunterstützt über Computer Aided Manufacturing (CAM) gesteuert mit entsprechenden Auswirkungen auf

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

589

f

e

a

b g

c

g

d

d

a

c g b

e

a Stützrahmen b Endschalungsplatten

c Trennschaft als Rüttelelement d Trennschaft als Heizelement

e Spindeln oder Pressen f Rollelager g Fertigteile

Abb. 40 Batterieform mit aufgehängten Trennschotten (Kaymer 1999)

Verschiebebahn

Wärmetunnel Erhärten

Fertigteillager

g

h

a

b

c

d

e

Kippstation

f

Betonaufgabe Schalungen

Bewehrung Einbauteile

Zement

Verschiebebahn

Lagerflächen Mischanlage a b c d e f g h

Reinigen Seiten- und Einbauschalungen Trennmittel Einbauteile und Installationen Bewehren Betonieren und Verdichten Nacharbeiten Entformen Aufrichten und Abheben

Abb. 41 Schema eines Herstellungsprozesses beim Fließbandverfahren (Brandt et al. 1995)

Zuschläge

590

die Gestaltung von Konstruktion und Entwicklung (CAD), von Produktionsplanung und Fertigung einschließlich der Materialwirtschaft (Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme PPS) und des Prozessablaufs mit zugeordneter Betriebsdatenerfassung (BDE). Die Arbeitsmethode Building Information Modeling (BIM) hat im Betonfertigteilbau ebenfalls Einzug gehalten. Transport von Fertigteilen Der Fertigteilbau ist wie kein anderer Bereich im Bauwesen unabdingbar mit dem Transport der Fertigteile vom Fertigteilwerk zur Baustelle gekoppelt. Hohe Gewichte und große Abmessungen der Fertigteile erfordern eine sorgfältige Transport- und Montageplanung. Daraus resultiert, dass sich der Transport ebenso wie der Einsatz kostenintensiver Hebezeuge zum Leitbetrieb entwickelt hat. Dies gilt insbesondere für Fertigteilmontageabläufe ohne Zwischenlager im Just-in-timeBetrieb. Die Organisation des Transportwesens erfordert gute Kenntnisse der Transportmöglichkeiten und -einrichtungen, die von den Verkehrsträgern für Straßen-, Schienen- und sonstige Transporte bereitgehalten werden. Die Transportplanung umfasst und berücksichtigt im Einzelnen: • • • • • • • • • •

die örtliche Lage der Baustelle, die vorhandenen Transportwege zur Baustelle, die Transportentfernung, die Abmessungen und Gewichte der Fertigteile, die verfügbaren Hebezeuge bzw. Montagegeräte, die Ladungssicherung der Fertigteile auf den Transportmitteln, besondere Sicherungsmaßnahmen beim Transportvorgang, die Entladung auf der Baustelle, die gesetzlichen Bestimmungen der StVO und die Transportkosten.

Straßentransporte Das flächendeckende Straßennetz in Europa hat dazu geführt, dass der Transport über die Straße

C. Motzko et al.

im Allgemeinen dominiert. Es ist grundsätzlich zu differenzieren zwischen Ladung und Fahrzeug. Die StVO regelt die maximal zulässigen Abmessungen von Fahrzeug und Ladung (ladungsbedingte Grenzwerte), die StVZO gibt Auskunft über die maximal zulässigen Abmessungen sowie die zulässigen Achslasten und Gesamtmassen von Fahrzeugen (fahrzeugbedingte Grenzwerte). Für den Transport von Stahlbetonfertigteilen sind daher die jeweils gültigen Werte zu ermitteln. Die Stahlbetonfertigteile sind während des Transports sach- und fachgerecht zu lagern und zu sichern unter Berücksichtigung der Brems- und Manövrierfähigkeit des Förderfahrzeugs. Durch kraft- oder formschlüssige Verladung sind sie gegen Schwanken, Umfallen, Verschieben, Herabfallen und Beschädigen zu schützen. Die Verantwortung ist zu klären zwischen (BDBF 2001): • Absender: ist der Auftraggeber des Frachtführers. Er ist verantwortlich für die beförderungssichere Verladung. • Verlader: übergibt das Fertigteil dem Frachtführer. • Frachtführer: ist der Auftragnehmer des Absenders. Er wird durch den Frachtvertrag verpflichtet, das Transportgut mit geeigneten Fahrzeugen in verkehrssicherem Zustand zum Bestimmungsort zu befördern und dort an den Empfänger abzuliefern. Er ist verantwortlich für die betriebssichere Verladung.

Tab. 48 Beförderungsmittel für den Transport von Stahlbetonfertigteilen auf Straßen nach Bauteilart (Steinle et al. 2016) Bauteilart Stützen und Binder bis 16 m Länge Stützen und Binder ab 16 m Länge Fassadenplatten Bodenplatten und Fundamentbalken Brückenträger

Beförderungsmittel Sattelzug mit ggf. ausziehbarem Sattelaufleger Zugmaschine mit Nachläufer Innenlader Sattelzug mit ggf. Tieflader Zugmaschine mit Nachläufer

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

591

Tab. 49 Anhänger für Fertigteile (Unruh 2008) Nutzlast t 2 14–20

Ladelänge m 3 7,7–9,0

Höhe der Ladefläche m 4 0,9–1,0

Tiefladeanhänger

20–40

5,0–10,0

0,7–0,8

Pritschenauflieger

20–40

10,0–20,0

1,5–1,6

Sattelplattformanhänger

30–40

8,0–15,0

0,9–1,0

Satteitiefladeanhänger

20–40

6,0–15,0

0,5–0,6

Nachläufer

20–50



1,5–1,6

Prinzipskizze 1

Typ Plattformanhänger

Tab. 50 Zulässige Abmessungen und Gesamtgewicht für Straßentransporte (individuell zu prüfen) (Steinle et al. 2016)

Breite Höhe Länge Gesamtgewicht

Ohne besondere Genehmigung (nach StVZO § 32) 2,55 m 4,00 m 15,50 m 40 t (nach § 34)

• Fahrzeugführer (Fahrer): ist der Erfüllungsgehilfe des Frachtführers und somit für die verkehrssichere Verladung nach StVO während des gesamten Transportes verantwortlich. In den Tab. 48 und 49 sind die im Straßentransport üblicherweise eingesetzten Fahrzeuge und Anhänger aufgelistet (Steinle et al. 2016). Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen, deren Abmessungen, Achslasten oder Gesamtgewichte die nach den §§ 32 und 34 StVZO zulässigen Grenzen überschreiten, bedürfen einer Ausnahmegenehmigung nach § 70 StVZO. In der nachfolgenden Tab. 50 sind die zulässigen Abmessungen und das Gesamtgewicht für Straßentransporte angegeben (Steinle et al. 2016). Bei auf Biegung beanspruchten Stahlbetonfertigteilen wie Hallenbinder und Brückenträger kann unter Umständen dieses selbst ein tragendes Teil des Fahrzeugs sein. Der vordere Teil des Trägers ruht dann auf dem Drehschemel der Zugmaschine, der hintere Teil auf dem Drehschemel des Nachläufers.

Mit Jahresdauergenehmigung (StVO § 29 und StVZO § 70) 3,00 m 4,00 m 24,00 m 48 t (Zugmaschine mit Selbstlenk-Anhänger

Schienentransporte Die steigenden Anforderungen bezüglich des Umweltschutzes führen zum Anstieg der Transporte auf der Schiene und zu Wasser. Schienentransporte sind aus Kostengründen nur dann sinnvoll, wenn Herstellungsort und Baustelle über Gleisanschlüsse verfügen. Die Deutsche Bahn AG offeriert in einem Spektrum von Rohstoffen bis hin zu komplexen Baukomponenten und Stahlbetonfertigteilen logistische Leistungen. Bei der Verladung dieser ist darauf zu achten, dass die beim Transport entstehenden dynamischen Kräfte keine Seitenbewegungen und kein Kippen oder Schwingen der Teile verursachen.

Sonstige Transporte Wasser- und Lufttransporte sind derzeit bei der Anlieferung von Stahlbetonfertigteilen Ausnahmen. Der Wassertransport ist an die schiffbaren Binnengewässer gebunden. Im Gegensatz zu Straßen- und Schienentransporten, die eine wesentlich höhere Flexibilität auszeichnet, schränkt dies die

592

Nutzbarkeit des Transports zu Wasser stark ein. In seltenen Fällen wird der Transport von Stahlbetonfertigteilen mit Lasthubschraubern durchgeführt. Diese Transportalternative kommt in beengtem oder schwer zugänglichem Gelände (Hochgebirge) in Betracht. Montage von Fertigteilen Bei der Montage von Betonfertigteilen sind die Grundsätze des Arbeits- und Gesundheitsschutzes anzuwenden (s. Abschn. 2). Es gilt das TOP-Prinzip des Arbeitsschutzes. Der Montagevorgang ist in der Regel komplex, daher sind eine sorgfältige Arbeitsvorbereitung, eine adäquate Arbeitsplatzgestaltung sowie ein intensives Controlling der Prozesse auf der Baustelle erforderlich. Nachfolgend werden ausgewählte Sicherheitshinweise der BG BAU in Stichpunkten aufgelistet (BG BAU 2018): Gefährdungen • Bei Montagearbeiten von hoch gelegenen Arbeitsplätzen aus, kann es durch fehlende Sicherungsmaßnahmen zu Absturzunfällen kommen. • Bei unsachgemäßer Montage oder Lagerung können Personen durch umstürzende oder kippende Teile verletzt werden. Schutzmaßnahmen Lastaufnahmeeinrichtungen • Nur auf das Fertigteil abgestimmte Transportankersysteme, Lastaufnahmemittel und Anschlagmittel verwenden. • Bei Transportankersystemen Verwendungsanleitung des Herstellers beachten. Die Tragfähigkeit muss nachgewiesen sein. Lagerung • Fertigteile nur auf ebenen und tragfähigen Lagerplätzen kipp- und rutschsicher absetzen. • Sicherheitsabstand von mindestens 0,50 m zu beweglichen Teilen, z. B. zu Kranen, einhalten. Montage • An der Baustelle muss eine Montageanweisung vorliegen.

C. Motzko et al.

• Fertigteile möglichst nicht über Personen schwenken. • Hebezeuge mit geringer Hub- und Senkgeschwindigkeit verwenden. • Sicherheitsabstände zu elektrischen Freileitungen einhalten. • Großflächige bzw. lange Fertigteile mit Leitseilen führen. • Fertigteile vor dem Lösen der Lastaufnahmemittel so sichern, dass sie nicht umkippen, abstürzen oder sonst ihre Lage verändern können. Wechselnde Stabilitätsbedingungen berücksichtigen. • Anzahl der erforderlichen Montagestreben statisch nachweisen. Mindestens 2 Streben je Fertigteil anbringen. • Neigung der Montagestreben zwischen 30 und 60 . • Nicht an übereinander liegenden Stellen gleichzeitig arbeiten. Gefahrbereiche unterhalb der Montagestelle absperren und kennzeichnen. • Werkzeuge und Kleinmaterial in Behältern mitführen. • Witterungsverhältnisse (z. B. Wind, Gewitter) beachten, um die sichere Montage zu gewährleisten.

Absturzsicherung • Absturzsicherungen, z. B. Seitenschutz, nach Gefährdungsbeurteilung ermitteln und vor der Montage anbringen. • Auf Seitenschutz bzw. Absperrungen kann nur verzichtet werden, wenn sie aus arbeitstechnischen Gründen nicht möglich und stattdessen Auffangeinrichtungen (Fanggerüste / Dachfanggerüste / Auffangnetze) vorhanden sind. Nur wenn auch Auffangeinrichtungen unzweckmäßig sind, darf persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) verwendet werden. • PSA gegen Absturz nur an Anschlageinrichtungen befestigen, die DIN EN 795 entsprechen. Anschlagmöglichkeiten an Teilen baulicher Anlagen können zur Befestigung genutzt werden, wenn deren Tragkraft für eine Person nach den technischen Baubestimmungen mit einer Fangstoßkraft von 9 kN einschließlich

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

den für die Rettung anzusetzenden Lasten nachgewiesen ist. • Der Vorgesetzte hat die Anschlageinrichtungen festzulegen und dafür zu sorgen, dass die PSA gegen Absturz benutzt wird.

6

Baulogistik

Christoph Motzko

6.1

Begriff und Relevanz der Baulogistik

Die Planung und die Realisierung von Bauprojekten sowie der Betrieb und die Veränderung einschließlich des Abbruchs von Bauobjekten sind mit dem Transfer von großen Mengen an Daten, Informationen, Baustoffen, Betriebsmitteln, Finanzmitteln und Personen sowie weiteren projektnotwendigen Größen verbunden. Unter der Prämisse des Prozessdenkens für die Planung und Realisierung von Bauprojekten ist daher das Attribut des angesprochenen Transfers in den InputOutput-Relationen sowie in den eigentlichen Transformationsvorgängen der Prozesse oder Prozessketten selbst von vorrangiger Relevanz und adäquat zu würdigen (Motzko et al. 2013). Dieses Attribut wird durch die Technologie und die Methoden der Baulogistik erfüllt, welche aus der Verbindung der grundständigen Logistik mit der Baubetriebswissenschaft generiert werden. Die Baulogistik bildet daher einen der Erfolgsfaktoren für die effiziente, effektive und sichere Durchführung von Bauvorhaben. Gleichwohl ist anzumerken, dass gegenwärtig die Aktivierung der Baulogistik in Bauprojektorganisationen zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt der Bauprojektrealisierung erfolgt, so dass die Rationalisierungspotenziale nicht mehr oder nur im reduzierten Umfang erschlossen werden können. Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Hinweise zu den grundlegenden Aufgaben der Bauprojektbeteiligten bezüglich der Baulogistik, welche mithilfe der Struktur eines Baulogistikprozessmodells

593

(Ruhl 2016) erläutert werden. Ziel ist, die Baulogistik sowohl als Basiselement der Planung als auch als eine Querschnittsfunktion über die gesamte Bauprojektrealisierung zu statuieren. Logistik. Logistik kann wie folgt definiert werden: • Zur Logistik gehören alle Tätigkeiten, durch die die raum-zeitliche Gütertransformation und die damit zusammenhängenden Transformationen hinsichtlich der Gütermengen und -sorten, der Güterhandhabungseigenschaften sowie der logistischen Determiniertheit der Güter geplant, gesteuert, realisiert oder kontrolliert werden. Durch das Zusammenwirken dieser Tätigkeiten soll ein Güterfluss in Gang gesetzt werden, der einen Lieferpunkt mit einem Empfangspunkt möglichst effizient verbindet. (Pfohl 2010) • Zur Logistik gehören alle Tätigkeiten, durch die Bewegungs- und Speichervorgänge in einem Netzwerk gestaltet, gesteuert und kontrolliert werden. Durch das Zusammenspiel soll ein Strom von Objekten durch das Netzwerk in Gang gesetzt werden, [. . ., so dass] Raum und Zeit möglichst effektiv überbrückt werden. Ziel der Logistik ist es, den Kunden mit den richtigen Objekten im richtigen Zustand zur richtigen Zeit und am richtigen Ort zu versorgen. (Krauß 2005) Die Logistik beinhaltet demnach das Element der Bildung von Strukturen und Prozessen zum räumlichen und zeitlichen Transfer von Objekten jeder Art. Ferner die Elemente der Planung und der Realisierung von Logistiksystemen, deren Steuerung und Kontrolle (Logistik-Management, Schnittstellen und Wechselwirkungen) sowie die Kundenorientierung. Synonym im europäischen Verständnis wird der Begriff der Supply Chain verwendet (Goldenberg 2005, S. 67). Im Kontext der Digitalisierung ist der Begriff der Logistik 4.0 aufgekommen. Baulogistik. Im Zentrum der Betrachtung steht der Produktionsort – die Baustelle. Es gilt, die Arbeitssysteme der Baustelle durch adäquate Versorgungs- und Entsorgungsströme zu bedienen unter Würdigung zumindest der Projektziele einschließlich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes,

594

der behördlichen Genehmigungen sowie der Anlieger- und Nachbarschaftsbelange. Neben der in der Vergangenheit geforderten rechtzeitigen Bereitstellung von Personal und Betriebsmitteln, der fristgerechten und vollständigen Materialversorgung sowie Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft von Maschinen und Geräten auf der Baustelle (Bauer 2007, S. 632) haben sich gegenwärtig Dienstleistungen aus der Integration verschiedener Leistungsbereiche im Schlüsselfertigbau (Boener und Blömke 2003, S. 277) sowie, durch Impulse aus der Lean Construction, Konzepte des Baulogistikmanagements zur Reduktion der Verschwendung auf Baustellen entwickelt (Girmscheid und Etter 2012). Im Bereich des Baubetriebs wurde beispielsweise ein Planungsmodell zu projekt- und fertigungsspezifischen Baulogistikprozessen entwickelt, welches auf einer Integration des Ablaufplans der Fertigungsprozesse, der Flächenbelegungspläne, der Pläne über den Bedarf sowie die Belegung von Materialflussmitteln respektive Anlieferstellen und die statistische Auswertung von für die Baulogistik relevanten Projektdaten aufbaut (Berner 2011). Die gegenwärtig durch spezialisierte Unternehmen im Bereich der Baulogistik angebotenen Leistungen erfassen unter anderem folgende Bereiche: Baulogistikplanung: • Untersuchung der Randbedingungen für die Ausführung durch die einzelnen Gewerke und Gewerkegruppen, • Untersuchung der Verkehrsflüsse von Personen und Geräten (Pkw, Lkw, Baugeräte), • Plausibilitätsprüfungen zur Anzahl und Beschaffenheit von Warte- und Ladezonen, • Konzepte zur Anzahl und Positionierung von Hebezeugen, • Generierung von Baulogistikhandbüchern als Grundlage für die Pflichten und Rechte für die Bauprojektbeteiligten in Bezug auf die baulogistischen Aspekte, • Generierung von Leistungsbeschreibungen für die baulogistischen Leistungen. Baulogistikkoordination: • Umsetzung des Baulogistikhandbuchs.

C. Motzko et al.

Versorgungslogistik: • Einrichtung von Warte- und Ladezonen, • Buchungssysteme für alle logistischen Ressourcen, • Lieferverkehrssteuerung, • Etagenlogistik. Entsorgungslogistik: • Gestellung von Abfallbehältern für die Gewerke/einzelne Unternehmen auf der Baustelle, • Kontrolle und Abrechnung der Abfallbehälter, • Transport des Abfalls innerhalb und von der Baustelle, • Einrichten und Betreiben eines Wertstoffhofs nach Bedarf, • Baureinigung nach Bedarf. Baustelleneinrichtung: • Gestellung der Elemente der Baustelleneinrichtung, • Flächenmanagement auf der Baustelle. Daneben werden Leistungen aus den Bereichen Sicherheit wie Zutrittskontrolle und Wachschutz sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz angeboten. Bedingt durch ihre Querschnittsfunktion kann die Baulogistik als Supportprozess aufgefasst werden, welcher substanziell in die Kernprozesse eingreift und neben dem oben aufgezeigten Leistungsspektrum zusätzlich den Komplex der Informationslogistik umfasst. Sie kann wie folgt definiert werden: • Baulogistik: Umsetzen der Baulogik unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten hinsichtlich Zeit und Mengen bei vorhandenen Flächenressourcen. (AHO 2011, S. 34) • Baulogistik ist, ausgehend von der Flussanalyse und -prognose der erforderlichen Transfers für den Produktionsprozess, die Initiierung, Planung, Integration sowie Ausführung der erforderlichen Leistungen für die Ver- und

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

595

Entsorgung der Baustelle und gleichzeitig der Rahmen der Produktionsbedingungen (Baustellenlogistik). Dabei berücksichtigt die Baulogistik unter der Prämisse der Wertschöpfung in der Regel neben den Hauptattributen Transfer, Transport und Flächen weitere Attribute wie Flächen- und Containermanagement, Abfallbewirtschaftung, Medienversorgung, Sicherheit und Schutzleistungen und Baugeräte. Die übergeordnete Informationslogistik durch die Baustelleninformation und zentralisierte Organisation vervollständigt diesen Rahmen. Ferner kann es zur Erfassung weiterer projektindividueller Produktionsbedingungen im Rahmen der Baulogistik als Supply Chain kommen. (Ruhl et al. 2018)

6.2

Das Baulogistikprozessmodell

Basismodell Zuvor wurde ausgeführt, dass die Baulogistik ein wertschöpfungsorientiertes und auf den funktionalen Bausteinen Beschaffungslogistik, Baustellenlogistik, Entsorgungslogistik und Informationslogistik basierendes Prozesskonzept ist. Ziel ist der transparente, effektive und effiziente Transfer der Projektgrößen sowie die Bereitstellung von Grunddaten für die genehmigungskonforme Bemessung von Planungs- und Produktionssystemen. Es ist notwendig, für jedes Bauprojekt eine individuelle Baulogistik systematisch aufzubauen, d. h. es sind projektindividuelle Baulogistikattribute zu definieren, zu planen und in der

Umsetzung zu steuern. Einige Baulogistikattribute werden im folgenden Unterkapitel angegeben, wobei die individuellen Werte eines jeden Bauprojektes zu anderen Baulogistikattributen führen können. Unter der Prämisse einer frühen Einbindung der Baulogistik in ein Bauprojekt kann diese in die Entwicklungsstufen (nach Ruhl 2016): • • • •

Baulogistikinitiierung, Baulogistikplanung, Baulogistikorganisation, Baulogistikrealisierung

gegliedert werden (s. Abb. 42). Die Entwicklungsstufe Baulogistikinitiierung erfasst die frühe Planungsphase und kann simultan mit der Leistungsphase 1 Grundlagenermittlung nach HOAI verlaufen. Hierbei sollte eine individuelle Definition von Baulogistikattributen vorgenommen und eine Bewertung in Bezug auf ihre Komplexität durchgeführt werden. Das Ergebnis wird im Baulogistikbericht dokumentiert und ist von Relevanz für die weitere Entwicklung von Logistikmaßnahmen im Bauprojekt. In dieser frühen Projektphase soll entschieden werden, ob neben der Objektplanung eine gesonderte Instanz der Baulogistikplanung eingerichtet wird. Der Baulogistikbericht schafft eine Entscheidungsgrundlage für die Bauherrschaft zur Ausrichtung und Beauftragung einer gegebenenfalls erforderlichen Baulogistikplanung. Für den Fall, dass eine bestimmte Komplexität eines Bauprojektes in Bezug auf die Baulogistik festgestellt wird, sollte der Übergang in die Ent-

BAULOGISTIK BAULOGISTIKINITIIERUNG  Individuelle Definition der Baulogistikattribute  Bewertung Komplexität  Entscheidung Planungsinstanz für Baulogistik

BAULOGISTIKPLANUNG  Bestimmung der Baulogistikattribute  Analyse der Einflussfaktoren  Festlegung der finalen Baulogistikvariante

BAULOGISTIKORGANISATION  Grundlagen der Vergabe Baulogistikleistungen  Ausschreibungsunterlagen  Zunahme Komplexität der Bauprojektorganisation  Vertrag

BAULOGISTIKREALISIERUNG  Umsetzung Baulogistikhandbuch  Koordination und Steuerung Versorgungsund Entsorgungsströme  Modifikation

Anfangsparameter BAULOGISTIKBERICHT

Übergabeparameter BAULOGISTIKKONZEPT

Übergabeparameter BAULOGISTIKHANDBUCH

Realparameter BAULOGISTIKCONTROLLING

Abb. 42 Prozesskonzept der Baulogistik (nach Ruhl 2016)

596

wicklungsstufe der Baulogistikplanung folgen. Andernfalls sollte die Verantwortung für die dann in der Regel einfachen baulogistischen Leistungen in das Spektrum der Objektplanung übertragen werden. Im Rahmen der Baulogistikplanung wird in iterativen und phasenübergreifenden Vorgängen das Baulogistikkonzept erarbeitet. Das Baulogistikkonzept dokumentiert das Ergebnis der Analyse verschiedener Einflussfaktoren aus den zu ermittelnden Randbedingungen sowie den festgelegten Baulogistikattributen des geplanten Bauprojektes und kann gegebenenfalls ein Element der Genehmigungsunterlagen werden. Diese Entwicklungsstufe kann sich bis zur Leistungsphase 4 Genehmigungsplanung nach HOAI erstrecken. Die endgültige Ausführungsvariante und die projektindividuelle Situation in Bezug auf die Baulogistikattribute sowie die logistischen Ströme werden hierbei festgemacht und geklärt. Das Baulogistikkonzept sollte für alle Projektbeteiligten verbindlich sein und die notwendigen Organisationsstrukturen für die Bewältigung der baulogistischen Aufgaben festlegen sowie die etwa erforderlichen Infrastrukturelemente definieren. In der Entwicklungsstufe der Baulogistikorganisation werden die Grundlagen für die Vergabe der Baulogistikleistungen aufbereitet und das Baulogistikhandbuch generiert. Diese Entwicklungsstufe kann simultan mit der Leistungsphase 6 Vorbereiten der Vergabe nach HOAI verlaufen und ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass die Komplexität der Bauprojektorganisationen durch die Präsenz der Bieterseite (Bauunternehmen, Anlagenbauer, Baulogistiker) zunimmt. Damit keine Informationsasymmetrien bezüglich der zu erbringenden baulogistischen Leistungen entstehen, wird das Baulogistikhandbuch in das Konvolut der Ausschreibungsunterlagen aufgenommen. Die abschließende Entwicklungsstufe der Baulogistikrealisierung integriert die Ergebnisse der vorgelagerten Entwicklungsstufen der Baulogistikinitiierung, der Baulogistikplanung und der Baulogistikorganisation mit der realen Bauleistung auf der Baustelle. Damit die Prozesse der Baulogistikrealisierung stabil ablaufen, sind adäquate Instrumente der Baulogistiksteuerung zu implementieren. In dieser Entwicklungsstufe sind daher

C. Motzko et al.

die Vorgaben des Baulogistikhandbuchs auf der Baustelle real umzusetzen. Bedingt dadurch, dass das Baulogistikhandbuch ein Element der Ausschreibungsunterlagen bildet, wird der Bieterseite die Möglichkeit gegeben, im Rahmen der Kalkulation und Preisbildung sowie, im Auftragsfall, in der Arbeitsvorbereitung die Einflüsse der Baulogistik angemessen zu berücksichtigen. Auf die herausragende Stellung des Baulogistikhandbuchs sei nochmals verwiesen. Durch die Würdigung der Baulogistik in den Planungsprozessen (Evolution des Baulogistikhandbuchs) sowie die Verarbeitung der darin enthaltenen Daten und Informationen in der Bauauftragsrechnung und in der Arbeitsvorbereitung werden ein projektbezogener Mehrwert generiert und die sensiblen Schnittstellen zwischen Technik und Recht verbessert (Girmscheid und Motzko 2013). In dieser Entwicklungsstufe werden erst die bekannten Elemente der Versorgungslogistik, der Baustellenlogistik, der Entsorgungslogistik sowie der Informationslogistik aktiviert. Baulogistikattribute Nachfolgend werden einige ausgewählte Baulogistikattribute beschrieben. Sie sind für jedes Bauprojekt zu definieren und auf ihre Komplexität zu bewerten. Das Baulogistikattribut Transport beschreibt die Situation des Bauprojektes in Bezug auf die Anbindung an das bestehende Straßennetz, die Verkehrssicherung und die Transportwege innerhalb des Baustellenraums selbst. Sorgfältig sind gegebenenfalls erforderliche Sondergenehmigungen zu prüfen, die in der Regel Auswirkungen auf Kosten und Termine ausüben. Weiterhin sind Emissionen aus den Transportprozessen zu untersuchen. Das Baulogistikattribut Flächenmanagement beschreibt die Nutzungsmöglichkeiten des Baustellenraums selbst bezüglich der raum-zeitlichen Anordnung von Baustelleneinrichtungselementen und deren Auf- und Abbaurestriktionen. Besonders zu beachten sind die Flächenbedarfe für den Katastrophenschutz wie Zufahrten und Bewegungsflächen für die Feuerwehr. Ein in der Baupraxis unterschätztes Element sind der erforderliche Platzbedarf respektive die Einwirkungen auf die Umgebung durch Parkverkehr der auf der Baustelle tätigen Arbeitskräfte.

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

Das Baulogistikattribut Containermanagement bezieht sich auf die Bedarfsermittlung, die Vorhaltung sowie die Belegungssteuerung der Büro-, Sozial- und Magazinräume einer Baustelle. Bei der Planung und beim Betrieb dieser Baustelleneinrichtungen sind die gesetzlichen Vorschriften wie das Arbeitsschutzgesetz, die Baustellenverordnung sowie die Arbeitsstättenverordnung (Technische Regeln für Arbeitsstätten ASR) einschließlich der besonderen Regelungen der DGUV (so abweichende/ergänzende Anforderungen für Baustellen für die ASR A4.1 Sanitärräume) einzuhalten. Das Baulogistikattribut Abfallbewirtschaftung statuiert die Verantwortung dafür, dass in einem Bauprojekt im Sinne des § 3 (19) KrWG (Vermeidung und Verwertung von Abfällen) (KrWG 2017) zu handeln ist und dass die Ziele der Abfallbewirtschaftung zu befolgen sind. In den Bau- und Rückbauprozessen entstehen Baurestmassen- und Rückbauentsorgungsmassenströme, die zusammen einen der umfangreichsten Massenströme und etwa 25 % bis 30 % der gesamten Abfallströme der EU ausmachen (EU 2017). Insofern ist die Komplexität eines Bauprojekts in Bezug auf diese Massenströme sorgfältig zu analysieren. Unter dem Baulogistikattribut Organisation und Information sind die organisatorischen Regelungen sowie die Informationsdistribution zu verstehen. Hierbei sind unter anderem die Kompetenzverteilung, die Regelungen zu den Baustellenbetriebszeiten, die Einrichtungen der Information und Kommunikation (zum Beispiel eine Baulogistik-Hotline) sowie Kontrollen, Sanktionen, Haftung zu würdigen. Das Baulogistikattribut Medienversorgung umfasst die für den Betrieb einer Baustelle erforderliche Ver-respektive Entsorgung mit Medien wie elektrischer Strom, Wasser, Druckluft, Treibstoffe, Kommunikationsnetze und andere. Diese sind für den Betrieb einer Baustelle grundlegend und kostenrelevant, denn für die Einrichtung sowie den Unterhalt der Baustellenstromversorgung kann ein Wert von ca. 0,6 % der Baukosten angesetzt werden (Schach und Otto 2017). Im Kontext des Baulogistikattributs Sicherheit und Schutzleistungen gilt für Baustellen eine Viel-

597

zahl von Gesetzen und Regeln. Herausragend sind das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchutzG 1996/ 2015), die Baustellenverordnung (BaustellV), die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), das Arbeitszeitgesetz (ArbZG), das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und das Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG). Besondere Sorgfalt ist bei der Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht anzulegen. Die Ziele sind unter anderem die Sicherung der Baustelle gegen unbefugten Zutritt, Fluchtwege im Katastrophenfall sowie Zufahrten und Bewegungsflächen für die Feuerwehr, Zutrittskontrollen zur Baustelle einschließlich der Kontrolle der PSA oder Auswirkungen der Baustelle auf umliegende Verkehrssysteme, so auf Fußgänger, Radfahrer und den übrigen Straßenverkehr. Im Rahmen des Baulogistikattributs Geräte werden die geplanten Bauverfahren und Arbeitsabläufe, die zu erwartenden physikalischen, sozialen und organisatorischen Umwelteinflüsse, die Nutzungsbedingungen sowie die gegenseitigen Abhängigkeiten der maschinellen Ausstattung abgeschätzt. Für sonstige baulogistische Leistungen wie zum Beispiel für die Einrichtung eines Winterdienstes kann ein gesondertes Baulogistikattribut definiert werden. Für die Ermittlung und zur Visualisierung der Komplexität von Baulogistikattributen kann die Methodik des Entscheidungsnetzes zur Anwendung kommen. Ein Beispiel ist in Abb. 43 dargestellt. Mit einer Bewertungsskala von 1 bis 5 werden die einzelnen Baulogistikattribute bezüglich ihrer Komplexität im gegebenen Bauprojekt individuell eingestuft und in das Entscheidungsnetz eingetragen. • Zu erwartende Komplexität dieser Kategorie = keine (entspricht 0 Punkten) • Zu erwartende Komplexität dieser Kategorie = sehr gering (entspricht 1 Punkt) • Zu erwartende Komplexität dieser Kategorie = gering (entspricht 2 Punkten) • Zu erwartende Komplexität dieser Kategorie = durchschnittlich (entspricht 3 Punkten)

598

C. Motzko et al.

Abb. 43 Visualisierung der Ergebnisse der Komplexität von Baulogistikattributen im Entscheidungsnetz (Ruhl 2016)

• Zu erwartende Komplexität dieser Kategorie = hoch (entspricht 4 Punkten) • Zu erwartende Komplexität dieser Kategorie = sehr hoch (entspricht 5 Punkten). Die dunkelgraue Fläche repräsentiert niedrige Komplexitätsgrade, die hellgraue Fläche repräsentiert hohe Komplexitätsgrade. Durch den Eintrag der Ausprägung der Baulogistikattribute in das Entscheidungsnetzes kann die Komplexität des Bauprojektes in Bezug auf die baulogistischen Leistungen visualisiert werden. Aus der Abb. 43 kann abgeleitet werden, dass das analysierte Bauprojekt in Bezug auf die Baulogistik eine hohe Komplexität aufweist und die Einrichtung einer Baulogistikinstanz neben der Objektplanung als sinnvoll eingestuft werden kann. Baulogistikcontrolling Die Umsetzung der Regeln der Baulogistik im Bauprojekt, wie sie im Baulogistikhandbuch dokumentiert sind, soll gewährleisten, dass deren operative Basiselemente in den Sphären der Versorgungs-, Baustellen-, Entsorgungs- und Informationslogistik einen effizienten und effektiven Transfer der prozessnotwendigen Größen gewährleistet. Die dokumentierten Entwicklungsstufen

der Baulogistikinitiierung, der Baulogistikplanung und der Baulogistikorganisation sollten zu einer sach- und fachgerechten Zuordnung der baulogistischen Verantwortlichkeiten innerhalb der Bauprojektorganisationen geführt haben. Ein Muster einer solchen Zuordnung ist in Abb. 44 dargestellt. Die Analyse der Baulogistikkomplexität eines Bauprojektes kann zu unterschiedlichen Organisationsformen der baulogistischen Leistungen führen. Im Falle einer geringen baulogistischen Komplexität werden die Anfertigung eines Baulogistikkonzepts und eines Baulogistikhandbuchs sowie eine gesonderte Vergabe von baulogistischen Leistungen an Sonderfachleute nicht erforderlich. Erst mit durchschnittlicher und vereinzelt hoher Komplexität der Baulogistikattribute sind strukturierte Überlegungen zur Baulogistik erforderlich, die im Baulogistikkonzept respektive im Baulogistikhandbuch ihr Abbild finden. Mit steigenden Komplexitätsgraden wird ein Gewerk Baulogistik mit Einschaltung einer Baulogistikplanung und einer Baulogistikdienstleistung eingeführt. Die Trennung beider Bereiche kann aus vergaberechtlichen Gründen erforderlich sein und ist jeweils zu prüfen. Die daraus resultierenden

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

599

Abb. 44 Zuordnung baulogistischer Verantwortlichkeiten im Bauprojekt (Ruhl 2016)

Schnittstellen zwischen der Bauherrschaft, den Genehmigungsinstanzen, der Objektplanung, den ausführenden Unternehmen und der Baulogistikplanung sowie der Baulogistikdienstleistung sind sorgfältig zu formulieren und die Daten-, Informations- sowie Entscheidungsflüsse einem Controllingsystem zu unterziehen, dieses insbesondere unter Beachtung des Einflusses der Unternehmereinsatzformen auf die Funktion des gesamten Baulogistiksystems im Baustellenraum. Es kann nicht erwartet werden, dass im Falle des Einsatzes von Einzelunternehmen diese die baulogistischen Belange aller im Baustellenraum tätigen Unternehmen respektieren. Diese Unternehmen werden zunächst ihre singulären Unternehmensinteressen bezüglich der Baustellenlogistik unter Anwendung der Regeln des Baulogistikhandbuchs verfolgen. Anders wird die Einstellung eines Generalunternehmers sein, der für die Durch-

führung der Arbeiten auf der Baustelle hauptverantwortlich ist. Dieser wird ein grundlegendes Interesse daran haben, dass alle im Baustellenraum tätigen Unternehmen mit adäquater Rücksichtnahme auf die weiteren tätigen Unternehmen die Grundsätze des Baulogistikhandbuchs befolgen.

6.3

Entwicklungspotenziale der Baulogistik

Die fortschreitende Digitalisierung im Bauwesen wird eine weitere Entwicklung des Stellenwertes der Baulogistik sowie eine weitere Integration der Baulogistikleistungen in Bauprojekten bewirken. Im Bereich der Baumaschinen ist eine digitalisierte Steuerung der Produktivität mithilfe von Informationen über die Maschinennutzung und den Auslastungsgrad wie zum Beispiel durch Pro-

600

tokollierung der Leerlauf-, Arbeits- und Fahrzeiten heute üblich. Individuelle Festlegung der erlaubten Arbeitszeiten pro Maschine respektive pro Baustelle, räumliche Überwachung durch abgrenzbares Gebiet und Benachrichtigung bei Grenzverletzungen sind möglich. Es werden GPS-Position, Betriebsstunden, Kraftstoffverbräuche über Webservices an bestimmte Abnehmer übertragen. Mit dem Aufkommen der digitalen, vernetzt-kooperativen Arbeitsmethode Building Information Modeling (BIM) wird die Möglichkeit der Attribuierung von Objekten mit Daten und Informationen zu den baulogistischen Parametern erweitert. Hier ist unter anderem an die Entwicklung von baulogistischen Simulationssystemen zu denken, welche eine Integration von Daten und Informationen aus den Materialströmen, der Baustelleneinrichtungsstruktur, den Produktionsprozessen in ihrer zeitlichen und ressourcenmäßigen Ausprägung sowie der Baustellenumgebung ermöglicht, um daraus unterschiedliche Szenarien der Realisierung zu generieren. Auf Basis der Ergebnisse solcher Simulationen können Potenziale der Verbesserung erschlossen und für das Bauprojekt selbst oder seine Nachbarschaft nachteilige Situationen untersucht werden. In Analogie zur Entwicklung von BIM-Fachmodellen in den Bereichen Rohbau (GSV 2017b), TGA, Raumausbau und Fassade werden Überlegungen in Richtung der Schaffung eines BIM-Fachmodells Baulogistik angestellt. Die Zielsetzung sollte sein, eine normierte Schnittstelle für die Daten- und Informationstransfers zwischen den Bauprojektbeteiligten in den verschiedenen Bauprojektphasen im Bereich Baulogistik zu definieren.

C. Motzko et al.

7

Leitungsbau

Dietrich Stein und Robert Stein

7.1

Allgemeines

Zuverlässig funktionierende Leitungssysteme für die Ver- und Entsorgung sind ein wesentlicher Bestandteil von Siedlungsstrukturen. In Deutschland sind die Leitungen unterirdisch im Straßenkörper, durch DIN 1998 nach Lage und Tiefe geregelt, untergebracht. Versorgungsleitungen für z. B. Wasser, Gas, Strom und Kommunikation liegen i. d .R. in Gehwegen, Radwegen, Parkbuchten oder Grünstreifen (ohne Baumpflanzungen) – Abwasserkanäle in der Fahrbahn. Die Leitungen werden in offener, geschlossener und halboffener Bauweise verlegt.

7.2

Offene Bauweise

Die offene Bauweise wird charakterisiert durch das Ausheben eines Grabens, Verlegen der Leitung im Schutze einer Böschung oder eines Verbaus und anschließendes Verfüllen des Grabens (Grabenleitung). Je nach Erfordernis sind bei dieser Bauweise unterschiedliche Grabenquerschnitte vom geböschten Graben bis zu Gräben mit senkrechten Wänden möglich. Daneben kommen auch Kombinationen vor, wie Stufengräben mit senkrechten, geböschten oder teilweise geböschten Grabenwänden (Abb. 45).

Abb. 45 Grabenquerschnitte in Anlehnung an ATV-A 127 [Bilder: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH]. a) mit parallelen Wänden. b) mit geböschten Wänden. c) Stufengraben

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

Mit dem Grabenaushub ergeben sich unterschiedliche Baugrundzonen: der anstehende Boden und der gestörte Baugrund im Bereich des Grabenquerschnitts bzw. in der Dammschüttung. Dabei bestimmen die Grabentiefe und -breite die Abmessungen des gestörten Baugrundbereichs. Bei Gräben bis zu einer Tiefe von 1,25 m, die zwar betreten werden, aber keinen betretbaren Arbeitsraum zum Verlegen oder Prüfen von Leitungen haben müssen (z. B. bei Erdkabelgräben), sind in Abhängigkeit von der Regelverlegetiefe mindestens die in Tab. 51 angegebenen lichten Grabenbreiten einzuhalten. Die Mindestgrabenbreite von Rohrgräben mit betretbarem Arbeitsraum in Abhängigkeit der Nennweite DN enthält Tab. 52. Gräben und Baugruben bis höchstens 1,25 m Tiefe dürfen ohne besondere Sicherung mit senkrechten Wänden hergestellt werden, wenn die sich anschließende Geländeoberfläche bei nichtbindigen und weichen bindigen Böden nicht stärker als 1:10 und bei mindestens steifen bindigen Böden nicht stärker als 1:2 geneigt ist [DIN 4124].

Tab. 51 Lichte Mindestgrabenbreiten für Gräben ohne Arbeitsraum (Angaben gelten nicht für Abwasserkanäle und -leitungen nach DIN EN 1610) (DIN 4124) Regelverlegetiefe h [m] h  0,7 0,7 < h  0,9 0,9 < h  1,00 1,00 < h  1,25

Lichte Mindestgrabenbreite b [m] 0,30 0,40 0,50 0,60

601

In mindestens steifen bindigen Böden sowie bei Fels darf bis zu einer Tiefe von 1,75 m ausgehoben werden, wenn der Wandbereich, der mehr als 1,25 m über der Sohle liegt, unter einem Winkel β  45 abgeböscht wird und die Geländeoberfläche nicht steiler als 1:10 ansteigt. Nicht verbaute Leitungsgräben, die tiefer als 1,25 m bzw. 1,75 m sind, müssen in Abhängigkeit von den bodenmechanischen Gegebenheiten mit abgeböschten Wänden hergestellt werden [DIN 4124]. Ohne rechnerischen Nachweis der Standsicherheit dürfen folgende Böschungswinkel nicht überschritten werden: • bei nichtbindigen oder weichen bindigen Böden β = 45 , • bei mindestens steifen bindigen Böden β = 60 , • bei Fels β = 80 . In allen davon abweichenden Situationen ist der Leitungsgraben zu verbauen. Als Verbau kommen im Wesentlichen die folgenden Verkleidungs- und Aussteifungs- bzw. Verankerungskonstruktionen in Frage [DIN 4124]: • Für Baugruben mit geringen Abmessungen sowie Gräben – Grabenverbaugeräte, – waagerechter Grabenverbau sowie – senkrechter Grabenverbau. • Für Baugruben oder Gräben, bei denen die erforderlichen steifenfreien Räume, die Anfor-

Tab. 52 Mindestgrabenbreiten in Abhängigkeit von der Nennweite [DIN EN 1610]

DN DN  225 225 < DN  350 350 < DN  700 700 < DN  1200 1200 < DN 1)

Mindestgrabenbreite (ODh + x)1) [m] Unverbauter Graben Verbauter Graben β > 60 ODh + 0,40 OD + 0,40 ODh + 0,50 ODh + 0,50 ODh + 0,70 ODh + 0,70 ODh + 0,85 ODh + 0,85 ODh + 1,00 ODh + 1,00

β  60 ODh + 0,40 ODh + 0,40 ODh + 0,40 ODh + 0,40

Bei den Angaben ODh + x entspricht x/2 dem Mindestraum zwischen Rohr und Grabenwand bzw. Grabenverbau Dabei ist: ODh der horizontale Außendurchmesser des Querschnitts [m] β der Böschungswinkel des unverbauten Grabens, gemessen gegen die Horizontale

602

C. Motzko et al.

derung nach Wasserdichtheit oder geringer Verformbarkeit der Baugrubenwand, die Bodenverhältnisse oder andere Gründe die Anwendung der Verbauarten für Baugruben mit geringen Abmessungen sowie Gräben nicht zulassen oder unzweckmäßig erscheinen: – Spundwände, – Trägerbohlwände, – Schlitzwände, – Pfahlwände, – durch Injektion, im Düsenstrahlverfahren oder Vereisung verfestigte Erdwände sowie – Unterfangungswände nach DIN 4123. Im Grabenquerschnitt unterscheidet man zwischen der Leitungszone, bestehend aus Bettungszone, Seitenverfüllung und Abdeckzone, und der Hauptverfüllung. Rohrleitungen und zugehörige Bauwerke sind im Wesentlichen technische Konstruktionen, bei denen das Zusammenwirken von Bauteilen, Einbettung und Verfüllung die Grundlage für die Stand- und Betriebssicherheit ist. Vor Beginn der Bauausführung muss die Tragfähigkeit einer Rohrleitung in Übereinstimmung mit DIN EN 1295 Teil 1 nachgewiesen, entschieden oder vorgegeben sein [DIN EN 1610]. Die Verlegung und Prüfung von Rohrleitungen, die unter Freispiegelbedingungen oder unter Druck betrieben werden, sind in DIN EN 1610 geregelt. Zu beachten sind weiterhin die in der Literatur angeführten Normen und Regelwerke.

7.3

Geschlossene Bauweise

Die geschlossene Bauweise ist durch die unterirdische Verlegung der Leitungen gekennzeichnet. Sie wird immer dann gewählt, wenn diese Ausführungsart aus verkehrstechnischen, baulichen und wirtschaftlichen Gründen oder wegen ihrer geringen Umweltbeeinflussung erforderlich ist bzw. besondere Vorteile bietet [DWA-A 125]. Neben den heute im Leitungsbau vornehmlich angewandten grabenlosen Vortriebsverfahren ge-

hören auch Tunnel- und Stollenvortriebsverfahren zu dieser Verfahrensgruppe. Zur unterirdischen Verlegung von Kabeln und Druckleitungen werden auch Horizontal-Spülbohrverfahren angewandt. Bei den Verfahren des grabenlosen Leitungsbaus durch Vortrieb unterscheidet man zwischen bemannt und unbemannt arbeitenden Verfahren (Stein 2003; Stein und Brauer 2005). Bemannt arbeitende Verfahren Der bislang häufig pauschal für alle Verfahrenstechniken verwendete Begriff Rohrvortrieb darf seit Erscheinen der Europanorm DIN EN 12889 nur noch für die zur bemannt arbeitenden Verfahrenshauptgruppe zählende Verfahrensgruppe „Rohrvortrieb“ (engl. Pipe Jacking) benutzt werden. Beim Rohrvortrieb werden Vortriebsrohre  DN 1200 von einem Startschacht aus mit Hilfe einer hydraulischen Presseinrichtung bzw. Hauptpressstation unter Zuhilfenahme von Zwischenpressstationen durch den Baugrund bis in einen Zielschacht vorgetrieben (Abb. 46). Gleichzeitig wird der Boden an der Ortsbrust abgebaut und durch den vorgetriebenen Rohrstrang entfernt. Der o. a. Innendurchmesser darf in Ausnahmefällen in Abhängigkeit der Vortriebsstrecke reduziert werden (Tab. 53) [DWA-A 125]. Die wichtigsten Funktionsteile beim Rohrvortrieb sind (Abb. 46): • Schildmaschine, • Vortriebsrohre, • Pressstation bzw. Hauptpressstation (bestehend aus Führungsrahmen, Vorschubzylinder, Druckring und Widerlager), • Zwischenpressstationen (bei Vortriebslängen > 100 m), • Fördersystem mit dazugehörigen Fördereinrichtungen (für den Abtransport des abgebauten Bodens an der Ortsbrust nach über Tage), • Kran(bahn) für Montage und Demontage der Schildmaschine sowie das Ablassen der Vortriebsrohre in den Startschacht, • Hydraulikaggregat,

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik

603

Abb. 46 Rohrvortrieb mit Schildmaschine – Prinzipskizze [Bild: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH]

Tab. 53 Zulässige Mindestlichtmaße nach DGUV Vorschrift 38 für den Personaleinsatz im grabenlos verlegten Rohrstrang in Abhängigkeit der Vortriebslänge Mindestlichtmaße (MLM) [mm]

Vortriebslänge L [m] 0  L < 50 50  L < 100 100  L < 250 L  250

MLM (Durchmesser) 800 1000 1200 1400

MLM (Höhe) 800 1000 1200 1400

Breite 600

Nennweite DN 1000 1200 1400 1600

DN/OD 100 (DN/OD 150)1)

15 (30)1)

20

Werte in Klammern geben Erfahrungen im asiatischen Raum, insbesondere in Japan wieder

1)

Verfahren und Arbeitsweise Systemskizze Verfahren mit Verdrängungshammer Selbsttätiger Vortrieb eines druckluftbetriebenen Verdrängungshammers mit Hilfe von Rammenergie und sofortiges Einziehen oder Einschieben der Leitung(en) in das durch Verdrängen des Bodens hergestellte Bohrloch. Verfahren mit Horizontalramme und geschlossenem vorderen Rohrende (Horizontalramme mit geschlossenem Rohr) Vortrieb eines geschlossenen Stahlrohrstranges durch Einrammen bei gleichzeitigem Verdrängen des Bodens. HorizontalPressbohrverfahren mit Aufweitungsteil Vortrieb eines starren Pilotbohrstrangs durch Verdrängen des Bodens und anschließendes Einziehen oder Einpressen der Leitung(en) hinter einem am Pilotbohrgestängestrang montierten Aufweitungsteil. 1 bis 8 (bis 40)1)

1 bis 10

Erfahrungswerte für den Anwendungsbereich Bohrlochdurchmesser bzw. Vortriebslänge Vortriebsleistung Rohrnennweite [m] [m/h] 45 mm bis 180 mm I. d. R. 25 20 (bis 300 mm mit Aufweitungshülse)

Tab. 54 Übersicht der unbemannt arbeitenden, nichtsteuerbaren Bodenverdrängungsverfahren (Stein 2003)

10 x DN/OD, jedoch 1 m

12 x DN/OD

Mindestüberdeckungshöhe I. d. R. 10 x DN/OD; bei DB AG 12 x DN/OD, jedoch mind. 1,50 m

Geradlinige Bohrungen, verdrängungsfähiges Lockergestein (N-Wert = 0 bis 30)1) der Bodenklassen LNE/ LNW 1 und 2 sowie LBO/ LBM 1 und 2, auch im Grundwasser

Geradlinige Bohrungen, verdrängungsfähiges Lockergestein der Bodenklassen L, auch mit Grundwasser

Einsatzbereich bzw. Bodenklasse nach DIN 18319 Geradlinige Bohrungen; trockene oder erdfeuchte verdrängungsfähige, homogene Lockergesteine der Bodenklassen L, ohne Grundwasser

604 C. Motzko et al.

HorizontalPressbohrverfahren Vortrieb einer Stahlrohrleitung bei gleichzeitigem Abbau der Ortsbrust durch einen rotierenden Bohrkopf und kontinuierlicher Bohrgut-/ Bohrkleinabförderung durch einen Schneckenbohrgestängestrang.

Verfahren und Arbeitsweise Systemskizze Verfahren mit Horizontalramme und offenem Rohr Vortrieb eines vorne offenen Stahlrohrstranges durch Einrammen. Der in das Rohr eintretende Erdkern wird kontinuierlich, in angemessenen Intervallen oder nach beendetem Vortrieb entfernt. Horizontal-Erdbohrverfahren (Schneckenbohren ohne Verrohrung) Herstellung einer Bohrung mit Hilfe eines Schneckenbohrstranges bei gleichzeitiger Abförderung des gelösten Bohrgutes aus dem unverrohrten Bohrloch in den Startschacht. 20

100

90 mm bis 220 mm

 DN/OD 1600

Erfahrungswerte für den Anwendungsbereich Bohrlochdurchmesser bzw. Rohrnennweite Vortriebslänge [m]  DN/OD 2000 100 (im Ausnahmefall auch bis DN/OD 3000)

1 bis 12

1 bis 15

2 x DN/OD, jedoch mind. 0,80 m; bei DB AG 2,5 x OD/DN + 0,70 m, jedoch mind. 1,5 m

1,0 m

Vortriebsleistung [m/h] Mindestüberdeckungshöhe 5 bis 20 I. d. R. 2 x DN/OD, jedoch mind. 1,0 m; bei DB AG 2,5 x DN/OD + 0,70 m, jedoch mind. 1,50 m

Tab. 55 Übersicht der unbemannt arbeitenden, nichtsteuerbaren Bodenentnahmeverfahren (Stein 2003)

(Fortsetzung)

Geradlinige Bohrungen; homogenes, standfestes Lockergestein der Bodenklassen LBO 2 und 3 bzw. LBM 2 bis 3 sowie LNE 2 und 3 bzw. LNW 2 und 3, ohne Grundwasser Geradlinige Bohrungen; Lockergestein der Klassen L und Festgestein der Klassen F, ohne Grundwasser

Einsatzbereich bzw. Bodenklasse nach DIN 18319 Geradlinige Bohrungen; Lockergestein der Bodenklassen LNE/LNW 1 bis 3, LBM 2 und 3 sowie LBO 2 und Fels (Klassen F), ohne Grundwasser

Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik 605

HorizontalPressbohrverfahren mit Räumer Herstellung einer ungesteuerten Pilotbohrung durch Bodenverdrängung und anschließender ungesteuerter Aufweitbohrung durch Vortrieb der Rohrleitung(en) durch Einpressen oder Einziehen hinter einem rotierenden Räumer bei gleichzeitigem Herauspressen oder Herausziehen des Pilotbohrgestängestranges.

Verfahren und Arbeitsweise Hammerbohrung Herstellung einer verrohrten Bohrung mit Hilfe eines im Bohrkopf installierten, druckluftbetriebenen Schlaghammers (Imlochhammer). Der gelöste Boden wird mechanisch über Förderschnecken und/oder Druckluft als Spülmittel entfernt.

Tab. 55 (Fortsetzung)

Systemskizze

I. d. R. 150  DN/ ID  400

80

Erfahrungswerte für den Anwendungsbereich Bohrlochdurchmesser bzw. Rohrnennweite Vortriebslänge [m] DN/OD 1140 100 (max. DN/OD 1080) (im Ausnahmefall bis 300)

1. Phase: 5 bis 10 2. Phase: 2 bis 3

DN/OD, jedoch mind. 1,0 m

Vortriebsleistung [m/h] Mindestüberdeckungshöhe 6 bis 15 Keine Angabe

Einsatzbereich bzw. Bodenklasse nach DIN 18319 In wenig standfestem und sehr häufig inhomogenem Lockergestein mit Einlagerungen von extremer Härte, von Geröllteilen, von Konglomeraten mit weichen Bindemitteln sowie Fels der Klassen F, ohne Grundwasser Geradlinige Bohrungen, verdrängungsfähiges Lockergestein der Bodenklassen L, ohne Grundwasser

606 C. Motzko et al.

Verfahren und Arbeitsweise Pilotrohrvortrieb Herstellung einer gesteuerten Pilotbohrung, entweder nach dem Bodenverdrängungs- oder dem Bodenentnahmeprinzip, und anschließender ungesteuerter Aufweitbohrung(en) mittels Bodenverdrängung oder -entnahme und Vortrieb der Rohrleitung(en) durch Einpressen, Einschieben oder Einziehen im letzten Arbeitsschritt bei gleichzeitigem Herauspressen, Herausschieben oder Herausziehen des Pilotbohr(gestänge)stranges oder Interimsrohrstranges. Mikrotunnelbau Unbemannt, ferngesteuert arbeitendes, einphasiges oder zweiphasiges Verfahren, bei dem nichtbegehbare Vortriebsrohre unmittelbar hinter einer Vortriebsmaschine von einem Startschacht aus durch Einpressen oder Einschieben in den Baugrund bis zu einem Zielschacht vorgetrieben werden. Die Abförderung des Bohrgutes/ Bohrkleins erfolgt hierbei entweder mit Schneckenförderung, mit hydraulischer Förderung, mit pneumatischer Förderung oder mit mechanischer Förderung.

Systemskizze

Lichter Rohrdurchmesser 27 m; trockene oder erdfeuchte verdrängungsfähige, homogene Lockergesteine der Bodenklassen L, ohne Grundwasser

Einsatzbereich bzw. Bodenklasse nach DIN 18319 Geradlinige und Bohrungen mit Kurvenradien 35 m; Locker- und Festgestein der Klassen L und F, ohne und mit Grundwasser

608 C. Motzko et al.

2)

1)

Keine Angabe

Bis 60

100

250

DN/ID 300 und DN/ID 400 für Einpressen, max. DN/OD 300 für Einziehen

252 bis 665 mm (DN/ID 200 bis DN/ID 500)

Japanische Verfahren auch im Grundwasser bis 6 m und im Lockergestein mit N-Werten von 0 bis 50 Einsatz nur im asiatischen Raum, insbesondere in Japan

Pilotrohr-Vortrieb mit Bodenverdrängung (zweiphasig) Herstellung einer gesteuerten Pilotbohrung durch Bodenverdrängung mit einem hydraulisch ausfahrbaren Verdrängungs- und Steuerkopf und anschließender ungesteuerter Vortrieb der Rohrleitung(en) durch Einpressen oder Einziehen bei gleichzeitiger Aufweitung der Pilotbohrung mit Hilfe eines Aufweitungsteiles. Mikrotunnelbau mit Bodenverdrängung Einphasiger, gesteuerter Vortrieb von Vortriebsrohren bei gleichzeitiger Verdrängung des Bodens durch eine Vortriebsmaschine mit Verdrängungs- und Steuerkopf. Keine Angabe

2 m

Je nach Verfahren verdrängungsfähige Lockergesteine mit N-Werten 150 m; sandige bzw. tonige Böden mit N-Werten