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German Pages 228 [222] Year 2014
Christa Markom Rassismus aus der Mitte
Kultur und soziale Praxis
Jenen gewidmet, die Rassismen bekämpfen und erleben (müssen).
Christa Markom (Dr. phil.) lehrt Migrationsanthropologie am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Rassismus-, Migrations- und Bildungsforschung.
Christa Markom
Rassismus aus der Mitte Die soziale Konstruktion der »Anderen« in Österreich
Mit freundlicher Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien durch ein Dissertationsstipendium im Jahr 2006 und der Universität Wien durch ein Forschungsstipendium im Jahr 2009.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Danke | 9 Vorwort | 11
TEIL 1: F ORSCHUNGSMETHODISCHE UND -THEORETISCHE AUSGANGSPUNKTE Hypothesen und Forschungsfragen | 21
Sozialanthropologie „zu Haus“ | 23 Eigene Positioniertheiten | 25 Auswahl der Beziehungsnetze und Personen | 26 Interviews | 29 Beobachtungen | 31 Auswertung | 31 Diskursanalyse | 32 Theoretische Basis | 37
Rassismustheorie – Unterschiedliche Zugänge zu einer Ideologie | 37 Historische Zugänge | 38 Rassismus und Hierarchie | 42 Von der Natur zur Kultur | 44 Differenzierung – Ideologie, Struktur, Handlung | 45 „Rasse(n)“ – Zur Konstruktion | 48 Ausgangspunkte der linguistischen Anthropologie | 50 Aus der Mitte: Mehrheit – majorisiert – etabliert | 54 Konstitution der Beziehungsnetze über Speech Communities | 57 Soziales Kapital in den Beziehungsnetzen von etablierten Gruppen | 60
Die untersuchten Beziehungsnetze | 65
Beziehungsnetz A – Sportverein | 65 Beziehungsnetz B – Zivilgesellschaftliche NGO | 68 Beziehungsnetz C – Stammgäste einer Bar | 70 Beschreibung der Personen | 72 Profile – Beziehungsnetz A | 73 Richard (Jänner 2006) | 73 Marianne (März 2006) | 75 Susanne (März 2006) | 78 Profile – Beziehungsnetz B | 80 Thomas (April 2005) | 80 Eva (August 2005) | 82 Sonja (Jänner 2006) | 83 Profile – Beziehungsnetz C | 85 Maria (Juli 2007) | 85 Gerda (September 2007) | 87 Martin (August 2007) | 88
TEIL 2: DISKURSSTRÄNGE ZUM HERSTELLEN VON D IFFERENZ Legitim(iert)es Herstellen von Differenz | 93 Kultur und Multikulturalismus | 95
Multikulturalismus als „Pseudotrendwort“ und Multikulturalität als „Zwangsbeglückung“ | 95 Rücktritt oder Verweigerung? Multikulturalismus im Vergleich | 102
Essentialistische Kulturdiskurse – „Es ist einfach so“ und der Erhalt von Frieden in der Gesellschaft | 106 Zu viel Kultur für Multikulturalismus in Österreich | 110 Kultur und Gender – Vom Antirassismus bis zum Stammtischfeminismus | 113 Stammtischfeminismus | 115 Sexismuskritischer Antirassismus | 118 Rassistischer Sexismus | 123 Heimatverbundenheit und Grenzen | 127
Lokalpatriotismus und die „Heimat“ | 128 Lokalpatriotismus und Neonationalismus | 130 … oder einheimisch in der „Heimat“? | 134 Öffnung der Grenzen oder die Illusion einer Weltbürgerin | 136 Transnationale Beziehungsnetze als ökonomisches Mittel für „Sozialschmarotzer_innen“? | 139 Bedrohlicher Grenzübertritt – Der EU-Beitritt der Türkei | 142 Conclusio zum „Reizthema Türkei“ | 148 „Rasse“ und Rassismus | 151
Rassistische Grundtendenzen | 151 „Rasse(n)“ – doch real? | 158
TEIL 3: L EGITIMATIONSSTRATEGIEN UND ANTI/RASSISMUS IN GRUPPEN Drei Beziehungsnetze, drei Diskursstränge, mehrere Schlussfolgerungen | 163
Drei Diskursstränge und ihre Legitimationsstrategien von Differenz und Gleichheit | 168
Herstellen von Differenz und Rassismus als Gruppenphänomen | 171
Situation 1 (C) | 172 Analytische Betrachtung | 175 Situation 2 (C) | 177 Analytische Betrachtung | 178 Situation 3 (A) | 179 Analytische Betrachtung | 180 Situation 4 (A) | 182 Analytische Betrachtung | 182 Über die Akteur_innen des Rassismus: eine Zusammenfassung | 183 Herstellen von Political Correctness als Gruppenphänomen im Antirassismus | 191
Wiederkehrender Topos im Antirassismus – Politische Korrektheit | 191 „Wir sind so alternativ und so politisch korrekt und vor allem grenzenlos“ | 195 Jetzt deaf i nix Foisches sogn | 197 „Bemühn, dass’d pc bleibst“ | 198 Analytische Betrachtung | 200 Conclusio | 205 Literatur | 213
D ANKE Dieses Buch ist durch das Zutun und die Unterstützung von vielen unterschiedlichen Menschen entstanden. Ich möchte ihnen allen herzlich danken, ohne sie wäre diese Arbeit eine andere gewesen. Nicht unwesentlich haben die zur Verfügung gestellten Förderungen meiner Doktorarbeit beigetragen. Danken möchte ich in diesem Zusammenhang der Kulturabteilung (MA 7) der Stadt Wien für den Erhalt eines Dissertationsstipendiums im Jahr 2006 und der Universität Wien für das Forschungsstipendium 2009 zur Förderung meiner Dissertation. Meiner Betreuerin und Mentorin Dr.in Sabine Strasser, Univ. Prof. an der Universität Bern, herzlichen Dank für ihre Begleitung und Unterstützung auf so vielen Ebenen und nicht zuletzt für die gemeinsame Zeit. Zahlreiche Freund_innen, Kolleg_innen und meine Familie haben mich durch die Jahre hindurch begleitet und ob sie es wissen oder nicht, eines oder mehrere Steinchen des Mosaiks gelegt. Darunter unter anderen und vor allem Christoph Kirchengast, Verena Krausneker, Heidi Weinhäupl, Maria Schiller, Christian Würth, Petra Völkerer, Thomas König, Barbara Berghold, Christian Berghold, Sona Bauer, Doris Bammer und Ines Rössl – danke für zahlreiche inhaltliche Impulse und Rückmeldungen. An dieser Stelle sei ihnen aber auch für emotionale Kräftigungen und aufbauende Kritiken gedankt. Herzlichen Dank auch meinen Interviewpartner_innen für ihre Bereitschaft und ihr Vertrauen. Zuletzt noch eine Zeile meinem Gefährten Chris und unseren Kindern Rubi und Fredi: Danke für eure Geduld, Begleitung und Liebe.
Vorwort
In einer Bar: Maria, eine junge Frau, beschwert sich über die Brutalität „der Türken“ in ihrer „Heimatstadt“ 1. Ihren Ausführungen zufolge treten diese ausschließlich in Rudeln auf und verängstigen mit ihrem Verhalten die Einheimischen, ja sogar die Polizei. „De san glei vü brutaler und hobn a glei Messa bei da Hond“ (Maria). Weiters erzählt sie von einer Begebenheit, die verdeutlichen soll, dass diese Entwicklung am Eskalieren ist. Vor drei Jahren wurde ihr bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung die Nase gebrochen. Dabei erwähnt sie nicht ohne Stolz, dass sie es war, die die tätlichen Handlungen nach verbalen Entgleisungen ihres Kontrahenten initiiert hatte. Alle Anwesenden reagieren schockiert und fühlen sich bestätigt in ihrer schon zuvor gefestigten Annahme, dass „die Türken“ eine Gewaltbereitschaft an den Tag legen, die mit der von Einheimischen nicht vergleichbar ist. Sogar die jungen Männer in der Bar geben zu, dass sie sich mit „denen“ lieber nicht anlegen. Marias Erzählung wird zu keinem Zeitpunkt hinterfragt oder angezweifelt, wenngleich so manche ihrer Ausschmückungen in sich widersprüchlich sind. Maria hat in ihrer Wut scheinbar das Verständnis aller Zuhörenden. Der Unmut der Gruppe gegenüber „den Anderen“ 2 überträgt sich recht schnell auf weitere Barbesucher_innen und jeder und jede fühlt sich plötzlich dazu angehalten, eine ähnliche Geschichte, die er oder
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Unter Anführungsstriche werden vereinzelte Interviewaussagen, Literaturzitate aber auch Hinweise der Autorin auf soziale Konstrukte oder zu hinterfragende Begriffe bzw. Formulierungen gesetzt.
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Die Bezeichnung „das Andere“ oder „die Anderen“ betrifft unterschiedliche Konstellationen in denen es um die Konstruktion von Fremdheit geht mit dem Ausgangspunkt „des Eigenen“ als Norm.
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sie gehört hat, zum Besten zu geben, was die anfängliche Darstellung mehr als nur bestätigt. Keine dieser Folgeerzählungen wurde von den Berichtenden jedoch selbst erlebt oder konnte gar belegt werden. Marias Schilderung und die allgemeine Stimmung genügen bereits als „Beweis“. Zwei Tage nach dieser Begebenheit frage ich in einem Interview mit Maria genauer nach und es stellt sich heraus, dass es sich bei dem Täter um einen männlichen Jugendlichen gehandelt hat, dessen Familie bereits seit drei Generationen in Österreich lebt. Seine Großeltern waren auch nicht aus der Türkei nach Österreich gekommen, sondern aus dem ehemaligen Jugoslawien. Obwohl weder die Nationalität des Täters noch dessen Auftritt in einem Rudel und auch nicht der vermeintliche Waffeneinsatz der Wahrheit entsprechen, hält Maria an ihrer „Theorie“ über die Türken in der Kleinstadt fest. Im Mittelpunkt vorliegender Forschung steht die Analyse der Prozesse in so genannten Speech Communities 3 (Morgan 2004), um ein tieferes Verständnis für das Herstellen von Differenz zu entwickeln und damit der Verbreitung und Ausübung von Rassismen durch Teile der österreichischen Mehrheitsgesellschaft auf den Grund zu gehen. Mit den dabei gewonnenen Erkenntnissen soll außerdem ein Beitrag zur Erweiterung der anthropologischen Theorien zu Rassismus geleistet werden. Wie die einleitend wiedergegebene Situation in der Bar bereits zeigt, basiert ein (meinungsbildender) Prozess sehr oft auf nur wenig mehr als der Erfahrung eines einzelnen Menschen, oder entspringt der Haltung einer Einzelperson gegenüber Migrant_innen. Diese Person ist durch ihre Position und Einbettung in ihr soziales Umfeld, eine bestimmte Gruppe bzw. ihren Freund_innenkreis in der Lage, diese Erfahrungen oder dieses „Wissen“ weiterzugeben und gegebenenfalls auch zu multiplizieren. Wie wird also kulturelle und ethnische Differenz im Alltag hergestellt? Wie kann die Entstehung, Verbreitung und darauffolgende Ausübung (inkl. Äu-
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Unter Sprachgemeinschaften werden im Kontext dieser Forschung nicht Menschen gefasst die eine gleiche Erstsprache sprechen, sondern es werden darunter Gruppen verstanden die gleich oder ähnlich über bestimmte Themen sprechen und sich gleichartig ausdrücken.
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ßerung) von Rassismen in der österreichischen Mehrheitsgesellschaft neu betrachtet werden. Vor allem einzelne negative bzw. irritierende Erfahrungen mit „den Anderen“ bedienen das Bedürfnis einer Gruppe, sich nach außen hin abzugrenzen und sich in Abgrenzung zu „den Anderen“ zu definieren. Dies wiederum bedeutet, dass negative Assoziationen zu „den Anderen“ in Speech Communities leicht Gehör finden bzw. gerne aufgenommen werden. Eine solche Sprachgemeinschaft kann insofern auch verstärkend wirken, als sie ihren Mitgliedern sozialen Rückhalt gibt – getreu dem Motto „Dort kann ich sagen, was ich mir denke“. Nach „außen hin“ geben die Mitglieder von Sprachgemeinschaften dann die durch die Gruppe implizit bestätigten Ansichten gepaart mit ihrer eigenen Meinung (die unter Umständen sogar im Widerspruch zu diesen stehen kann) wieder und sie tun dies in einer mächtigeren und selbstbewussteren Art und Weise, als es ihnen als Einzelpersonen möglich wäre.
Ein Gespräch zwischen zwei Mitarbeiter_innen einer NGO Thomas, nach seiner eigenen Beschreibung ein weltoffener und liberaler Mensch, kritisiert, dass in der Stadt derzeit so viele Nigerianer [sic] als Drogendealer unterwegs sind: „Es konn ma neamt erzöhn, dass die olle zum Dealen zwungan werdn. Außadem is ma des wurscht, wenn’s den Stoff ois Asylwerber on Kinda und Jugendliche vatscheckn, donn homs in Östarreich nix valuan.“ Seine Gesprächspartnerin Sonja reagiert schockiert, ist überzeugt, dass man das so nicht sagen kann, und versucht ihm zu erklären, weshalb diese Aussage einer rassistischen Haltung nahekommt. Thomas will sich jedoch den Mund nicht verbieten lassen und besteht darauf, dass es kein Rassismus ist, wenn er solcherart „Tatsachen“ offen anspricht. Sonja gehen in der weiteren Diskussion schnell die passenden Argumente aus und schon nach kurzer Zeit gibt sie auf. Die Debatte endet ungeklärt. Was bleibt, ist Sonjas Eindruck, dass die Ansichten von Thomas manchmal wirklich „nicht okay“ sind. Für Thomas hingegen hat sich wieder einmal bestätigt, dass die Sinnhaftigkeit von politisch korrekter Sprache gar nicht hinlänglich argumentierbar ist und dass diese die offensichtlichen Probleme obendrein nur verschleiert, statt diese zu lösen.
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Diese Diskussion zwischen zwei Mitarbeiter_innen einer NGO ist ebenfalls bezeichnend für ein Phänomen in einem ähnlichen Kontext, über das nicht nur in der (antirassistischen) Gesellschaft, sondern auch in der Wissenschaft Uneinigkeit herrscht: den Sinn und Unsinn von Political Correctness. Im letzten Teil dieses Buches wird ein Gruppenphänomen im Antirassismus diskutiert, dabei wird auch nachvollzogen, wie in einem der beforschten Gruppen das Phänomen PC'ness verhandelt wird. NGOs stellen ein gutes Beispiel für Sprachgemeinschaften dar. Die Unsicherheit von Vertreter_innen in NGOs in Bezug darauf, was gesagt werden darf und was nicht, führt zu Irritationen, aber auch zu Zuschreibungen innerhalb der Beziehungsnetze. Einerseits wird davon ausgegangen, zur selben Sprachgemeinschaft zu gehören, und andererseits besteht die Speech Community auch darin, kritisch gegenüber Entwicklungen zu sein, die bloße Euphemismen darstellen und nicht dazu beitragen, gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Haben diese beiden Begebenheiten, die Szene in der Bar und das Gespräch der NGO Mitarbeiter_innen, etwas gemeinsam? Auf den ersten Blick möglicherweise nicht. Beides sind Momente aus Beobachtungen, die während meiner Feldforschungen angestellt wurden. An dieser Stelle wurden sie angeführt, da sie meiner Ansicht nach „typische“ Situationen darstellen. Typisch, da sie wohl jede und jeder in ähnlicher Form kennt oder bereits selbst erlebt hat. Typisch und repräsentativ auch für Vorgänge, die, wie im Laufe dieser Studie erläutert wird, für das Entstehen und Fortbestehen von Rassismus mitverantwortlich sind. Jedoch sind sie auch für die Entwicklungen im Antirassismus in unserer Gesellschaft von Bedeutung. Es stellt sich die Frage, inwiefern auch Gruppen die sich als antirassistisch verstehen, nach Klarheit und Sicherheit im Kontext der Differenzproduktion über „die Anderen“ suchen. Die hier beschriebenen Prozesse im Rahmen von Speech Communities reichen gewiss nicht aus, um einen durch die Mehrheitsgesellschaft gelebten Rassismus gänzlich erklärbar zu machen. Nach wie vor ist es wissenschaftlich nicht hinreichend erforscht, inwiefern Sprachgebrauch auch Handlungen und Denkweisen beeinflusst. Sozialwissenschaftler_innen und vor allem Linguist_innen gehen weitgehend von einer Wechselwirkung aus (Butler 1997; Fairclaugh/Wodak 1997; Jäger 2004; Link 1983, 2006; Reisigl/
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Wodak 2001). In der Öffentlichkeit wird die Interaktion von Sprache, Denken und Handeln nachhaltig und mitunter sogar erbost verleugnet und abgelehnt, vor allem in Bezug auf das Thema „Rassismus“. In den zahlreichen Workshops, die ich als freiberufliche Trainerin zum Thema „Sprache, Macht und Rassismus“ abgehalten habe, läuft die Diskussion immer wieder auf das selbe Thema hinaus: Einige Teilnehmer_innen sind stets der Ansicht, dass eine Aussage, die sie nicht böse gemeint haben, nicht kritisiert werden sollte. Denn: Sprachveränderungen bei Begriffen, die im Kontext von Migration oder Rassismen stehen, erfahren in der österreichischen Mehrheitsgesellschaft enormen Widerstand, nicht nur im Hinblick auf das Modifizieren von Begriffen, die die Gemüter erhitzen. Auch in Bezug auf die Frage nach Kritik an Migrant_innen und Migration an sich sowie bei Rassismusvorwürfen gestalten sich die Diskussionen emotional höchst aufgeladen. Ein Grund für diesen Widerstand besteht darin, dass mit dem Versuch, mit lang etablierten Vorurteilen zu brechen, nicht nur die persönliche Meinung und Einstellung von Einzelpersonen angegriffen werden. Beleuchtet man die Problematik nämlich im Kontext der Zugehörigkeit dieser Personen in den zuvor erwähnten Sprachgemeinschaften, wird deutlich, dass mit dem Ändern ihrer individuellen Aussagen auch eventuell ein Bruch mit ihrem sozialen Gefüge einhergeht bzw. sie eine Minderung ihres sozialen Kapitals nach Bourdieu (1992) riskieren. Dies mag einer der ausschlaggebenden Gründe dafür sein, weshalb es so schwierig ist, auf ideologischer, struktureller und alltagspraktischer Ebene in Bezug auf Rassismen Veränderungen anzustoßen. Im öffentlichen Raum finden sich zudem in Österreich nur wenige Institutionen bzw. Einrichtungen, welche eine eindeutige Position gegen Rassismus beziehen und auch die österreichische Politik kann sich auf keine antirassistische Sprache einigen. Obwohl versucht wird, über die Begriffe „Gleichbehandlung“, „Antidiskriminierung“ und „Diversität“ auch strukturelle Positionierungen durchzusetzen, ändert sich derzeit wenig an den irritierten oder manifestierten Sprachhandlungen der österreichischen Mehrheitsgesellschaft. „Es kann doch nicht sein, dass es gleich Rassismus ist, wenn ich sage, dass ich meinen türkischen Nachbarn nicht mag.“ So oder so ähnlich beginnen und enden viele Diskussionen, die bei Festen, während Vereinsabenden, an Stammtischen, beim gemeinsamen Sport und in Kaffeehäusern im Rahmen
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dieser Forschung geführt bzw. denen beigewohnt wurde. Zusammenfassend lässt sich quer durch alle befragten Gruppen und Personenkreise folgender Grundtenor feststellen: Einerseits besteht ein Bedürfnis nach einer Instanz, die uns „endlich“ wie in einem Kodex erklärt, was gesagt werden darf und was nicht, und andererseits taucht bei allen Befragten sofort der Eindruck auf, darüber hinaus ein Grundrecht auf Meinungsäußerung zu haben und „wohl noch sagen zu dürfen, was man denkt“. In diesem Buch werden ausgewählte Fragestellungen zum Problemfeld „Rassismus“ ausgehend von linguistisch-anthropologischen Ansätzen untersucht. Konkreter befasst sie sich grundlegend mit den sich permanent neu konstituierenden rassistischen Diskursen und Diskursen über Rassismus im Sinne einer Prüfung und Kontextualisierung rassistischer Argumentationsstrategien von Mitgliedern der österreichischen Mehrheitsgesellschaft. Dabei werden insbesondere Konstruktionen die „das Fremde“ beschreiben, sowie die Herstellungsmechanismen von Differenz und Gleichheit unter die Lupe genommen. Das Buch ist in drei Teile gegliedert, der erste Teil liefert zunächst Informationen zur Forschungsfrage und zu den aufgestellten Hypothesen und führt dann weiter zu den methodischen Aspekten und theoretischen Ausgangspunkten der Forschung. Er endet mit den einleitenden empirischen Ausführungen zu den untersuchten Beziehungsnetzen und den einzelnen Personen in diesen. Der Schwerpunkt des zweiten Teils liegt auf der Beantwortung der Frage, worauf sich rassistische Argumentationen inhaltlich beziehen und wie die Interviewpartner_innen kulturelle und soziale Differenz herstellen. Zu Beginn werden die drei in der Forschung dominierenden Diskursstränge im Kontext von Differenz näher betrachtet. Diese sind „Kultur und Multikulturalismus“, „Heimatverbundenheit und Grenzen“ und „Rasse und Rassismus“. In weiterer Folge werden die den Diskurssträngen zugehörigen Legitimationsstrategien von Differenz und Gleichheit dargestellt. Der abschließende Teil dieses Buches knüpft wieder an die Eingangserzählung („In einer Bar“) an und konzentriert sich auf das Verhandeln von Rassismus in der Gruppe. Dabei werden Analysen einzelner Situationen aus der Feldforschung herangezogen, um zu verdeutlichen, welche Rolle Einzelaussagen, die von Personen mit sozialem Kapital innerhalb einer Speech Community getätigt werden, spielen. In Folge wird auch über die Positio-
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nierung einzelner Akteur_innen im System „Rassismus“ resümiert, vor allem aber wird die Rolle der als rassistische Täter_innen handelnden Personen im Kontext bestehender theoretischer Konzepte hinterfragt. Im Kontext des Antirassismus findet sich indes ein ähnliches Phänomen, das letztendlich anhand von Political Correctness im Schlusskapitel ebenfalls als Gruppenphänomen diskutiert wird.
Hypothesen und Forschungsfragen
Diese Forschung widmet sich den Gemeinsamkeiten und Unterschieden verschiedener rassistischer Haltungen und Kommunikationsstrategien in Teilen der österreichischen Mehrheitsgesellschaft anhand von als „rassistisch“ und als „antirassistisch“ wahrgenommenen Gruppen. Im Zentrum steht dabei die Forschungsfrage, worin das individuelle und allgemeingültige „Wissen“ über „die Anderen“ innerhalb majorisierter Teile unserer Gesellschaft besteht und woraus es entsteht. Zum einen scheint es interessant, wie dieses Wissen im Rahmen von verbaler Kommunikation mitgeteilt und argumentiert wird, und zum anderen gilt es, zu hinterfragen, welche Funktionen dieses Wissen für die Konstituierung von Subjekten und Gruppen sowie für die Formierung der Gesellschaft einnimmt. Im Rahmen dieser Fragestellungen soll Rassismus als soziale Praxis in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt werden. Was den Aspekt der Kommunikation anbelangt, wird deutlich, worauf und auf wen genau sich rassistische Äußerungen bzw. die Gespräche darüber beziehen. Dabei werden Personen, Herstellungen „des Fremden“, dichotome Gegensatzkonstruktionen, reale Bedrohungen, individuelle Frustrationen oder fiktive Ängste als Ausdruck von Rassismen auf individueller Ebene analysiert. Die zentralen Fragen für die Forschung sind somit jene nach den unterschiedlichen rassistischen Argumentationsweisen und Erweiterungen auf andere Feindbilder, die sich innerhalb von Beziehungsnetzen etabliert haben und die damit wiederum im Detail legitimiert werden. Ebenso wird das miteinander verwobene Auftreten und Anwenden von Rassismen, (Neo-)Nationalismen und Sexismen bzw. die gegenseitige Bezugnahme aufeinander thematisiert. Diesbezüglich wird die Hypothese überprüft, ob Rassismen abseits von Sexismen überhaupt analysiert werden
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können, oder ob diese Überschneidung den drei ausgewählten, differenzgenerierenden Diskurssträngen in Österreich eingeschrieben ist. Als primäres Element der Forschungsfrage steht außerdem das Verhandeln von Rassismen in Gruppen im Vordergrund der Betrachtungen. Anhand der Aussagen von Interviewpartner_innen und deren relevante soziale Umfelder wird gezeigt, auf welche Weise Rassismus eine Rolle für die einzelnen Personen spielt und wie dieser Rassismus innerhalb einer Gruppe Bedeutung erhält. Durch das Identifizieren von Beziehungsnetzen als Speech Communities wird Rassismus (über die Beschreibung von Diskursen hinaus) als Gruppenphänomen analysiert. Vor dem Hintergrund dieses Ansatzes besteht die Hypothese darin, dass sich Aussagen über „die Anderen“ oder „das Fremde“, die von Einzelnen als Teil von bestimmten Gruppen der Mehrheitsgesellschaft in Österreich getätigt werden, immer wieder bestätigen und verstärken. Die enorme Sprachgewalt von Teilen der Mehrheitsgesellschaft beruht daher auf der Vervielfältigung von Meinungen und Einstellungen innerhalb ihrer Speech Communities, für die diese Definitionen zum Identitätsbild gehören, selbst wenn die einzelnen Mitglieder dieser Gemeinschaft diese Überzeugungen nicht teilen. Dies würde auch erklären, warum antirassistische Bemühungen, die auf die Meinung von Individuen abzielen, nur selten von Erfolg gekrönt sind, zumal eben diese Individuen ihre eigene Meinung gegebenenfalls der Haltung ihrer Speech Community unterordnen. Zudem beschäftigt sich die vorliegende Forschung mit dem Umstand, warum es (rechts-)populistische Parteien mitunter einfach haben, ihre Wähler_innenschaft zu erweitern, da ihre Strategie genau auf die Werte in der jeweiligen Sprachgemeinschaft abzielt und sich die Menschen mit diesen identifizieren. Zur Diskussion und Beantwortung der gestellten Forschungsfragen wurden drei Beziehungsnetze in Österreich untersucht (anhand von Feldforschungen, episodischen Interviews und teilnehmender Beobachtung) und analysiert (durch thematisches Kodieren und die Kritische Diskursanalyse). Im Lauf der vorliegenden Studie soll überprüft werden, ob diese drei Beziehungsnetze – mit sehr unterschiedlichen Hintergründen und stark differierenden Vorstellungen von Gesellschaft und deren Aufgaben – wirklich so unterschiedlich sind, wie von mir zu Beginn dieser Forschung angenommen wurde und auch wie die Mitglieder dieser Beziehungsnetze es (von sich) selbst behaupten würden.
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Die folgende Frage war einerseits in den letzten Jahren forschungsbegleitend und soll nun andererseits die Leser_innen durch die vorliegende Studie führen: „But if people are doing this thing called bounding and closure and essentialism, should this not be recognized as a real social phenomenon rather than shunned as a terrible mistake?“ (Friedman 2002: 30)
S OZIALANTHROPOLOGIE „ ZU H AUS “ „Auto-anthropology, that is anthropology carried out in the social context which produced it, in fact has a limited distribution. The personal credentials of the anthropologist do not tell us whether he/she is at home in this sense. But what he/she in the end writes, does.“ (Strathern 1986: 17)
„Anthropology at Home“ war laut Mariza Peirano (1998) lange Zeit ein Widerspruch in sich: „Throughout the twentieth century, however, the distances between ethnologists and those they observed – once seen as ,informants‘ – have constantly decreased“ (Peirano 1998: 105). Obgleich die Entfernungen geringer geworden sind und „das Fremde“ nicht mehr ausschließlich in die soziale und geografische Ferne gerückt werden kann, driften die Auffassungen über die Legitimation von anthropologischer Forschung „zu Hause“ auseinander. 1 Die verabsolutierte Trennung von „innen“ und „außen“ bzw. von „dem Fremden“ und „zu Hause“ ist jedoch auch für dieses Fach nicht haltbar, denn durch kulturelle Globalisierung, transnationale Identitäten und flexiblere Grenzziehungen, Zugehörigkeiten und Lebensweisen wird deutlich, dass es sozial- und kulturanthropologische Probleme überall zu erforschen gibt. 2 Die Entscheidung für eine „Anthropologie zu Hause“ stand aber auch in direktem Zusammenhang mit dem thematischen Schwerpunkt dieser Forschung, denn wie Werner Zips es auf den Punkt bringt:
1
Die Diskussion steht u.a. im Zusammenhang mit der Unterscheidung der Sozialund Kulturanthropologie von ihrer Nachbardisziplin, der Soziologie.
2
Siehe hierzu auch die Diskussionen in Giordano/Greverus/Röhmhild (1999) und Jackson (1987).
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„Wenn offener Rassismus und Fremdenhaß zu Beginn des dritten Jahrtausends Wahlplakate und andere öffentliche Diskurse in vielen Staaten Europas beherrschen, ,repatriieren‘ die anthropologischen Disziplinen zur Kulturkritik der ,eigenen‘ Gesellschaften.“ (Zips 2008: 139-140)
Meine eigene räumliche und soziale Nähe zum Forschungsinhalt brachten im Rahmen der temporär und lokal geprägten Prozesshaftigkeit des Feldes (Hastrup/ Olwig 1997: 9) zugleich Vor- und Nachteile mit sich. So einfach es häufig auch erschien, durch persönliche Positionierung zwischen den sozialen Schichten und auch zwischen Stadt und Land die Nähe zu den Personen zu erlangen, so schwierig war es indessen, die nötige Distanz zu Einzelnen und deren ideologischen Verortungen zu wahren, vor allem bei jenen Personen, die ideologisch als rassistisch und/oder sexistisch einzustufen waren. Gingrich (2006) sieht darin jedoch kein methodologisches Problem, da es seines Erachtens auch hilfreich für die Forschung sein kann, nicht einer Meinung mit den Beforschten zu sein. „Agreeing to disagree allows one to put some sceptical distance between ethnogra-
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pher and ‚natives‘. In turn, this allows us to understand the natives views, in a manner that Marcus Banks and I have characterised as ‚empathy but not sympathy‘.“ (Gingrich 2006: 209)
Die Bedingungen für einen solchen Ansatz sind allerdings das Explizitmachen und Reflektieren des eigenen Handelns außerhalb und innerhalb des Feldes – also eine autobiographische Reflexion (Amit 2000:5) von Feldforscher_innen. Denn die im obigen Zitat genannten Emotionen, Empathie und Sympathie 3, haben häufig fließende Grenzen. Diese verändern sich im Forschungsprozess und sind nicht immer einfach zu identifizieren – so auch im Fall dieser Forschung. Doch gerade diese Herausforderung war unter anderem ein Motor für das vorliegende Buch.
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Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Herausforderungen während Forschungen bei Täter_innen „zu Hause“ findet sich im Artikel „Culprits at Home“ (Markom 2012).
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Folgendes Zitat verdeutlicht den anthropologischen Ansatz der Feldforschung bei teilnehmender Beobachtung, welcher auch in dieser Studie verfolgt wurde: „As fieldwork ‚starts from below‘ and focuses on the ‚lives of ordinary people‘, […] participant-observation is an appropriate tool for analysing and critiquing inequalities of the new world order“ (Strasser 2008: 175).
Es wurden also nicht Medien, Politiker_innen oder andere Expert_innen bezüglich deren Einschätzungen zum Phänomen „Rassismus und Grenzziehungen“ beforscht 4, sondern drei unterschiedliche Beziehungsnetze und somit die Positionen eines Teils der „Mitte der Gesellschaft“ – also „ganz normale Leute“ und deren Alltag.
E IGENE P OSITIONIERTHEITEN „[…] the problem is that anthropological fieldwork at home interferes with and affects a very personal part of one's life: the permanent development of ideology, moral understanding and practice within social relations.“ (Markom 2012: 12)
Im Sinne einer reflexiven Forschung bin ich (als Forscherin, Frau und etablierte Österreicherin) ebenso als Teil des Feldes zu betrachten, da ich mit den jeweiligen Personen im Feld in eine wechselseitige Beziehung verstrickt bin. Die Mitglieder der Beziehungsnetze haben mich mitunter als „eine von ihnen“ betrachtet und nicht als Außenstehende und meine Anwesenheit wurde bisweilen von ihnen genutzt, um mir (als Expertin) Fragen zum Thema Rassismus oder „die Ausländer“ zu stellen. 5 Ich wurde gleichermaßen als verrückte Studentin/Wissenschaftlerin, Freundin, politische Aktivistin oder Botschafterin ihrer Aussagen wahrgenommen. Gleichzeitig
4
Zu Rassismus in der Politik siehe Reisigl/Wodak (2000); Fassmann/Stacher (2003); Grasl (2002); Ongan (2003); zu Rassismus in den Medien siehe Dorer/ Marschik (2006); Rummel (2004).
5
Caputo (2000: 27) spricht in diesem Zusammenhang von der Fragmentierung ihrer Person während der Feldforschung in der sie je nach Kontext ihre Teilidentitäten wechselte.
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blieb jedoch eine spezifische Distanz, angesichts der Vorstellung, dass ich über sie schreibe bzw. dass sich meine ideologische Verortung von einigen Interviewpartner_innen wesentlich unterschied. Die Beziehungsnetze, die ich im Rahmen meiner Dissertation befragt, beobachtet, beschrieben und analysiert habe, stehen nicht unwesentlich mit meiner eigenen gesellschaftlichen und politischen Positionierung im Zusammenhang. Dies ist insofern relevant, als ich durch meine eigene „antirassistische“ Haltung gewiss nicht gänzlich unvoreingenommen war, was Beobachtungen bzw. Interviews mit Personen betraf, die im klassischen Sinn als „rassistisch“ bzw. „antirassistisch“ bezeichnet werden. So fanden die Auswahl und Analyse der Personen und ihrer Aussagen nicht unabhängig von meinem eigenen Wertesystem, meinem Bildungshintergrund und meiner Vorannahmen statt. Zudem befanden sich viele der Befragten in unmittelbarer sozialer und räumlicher Nähe zu meinem eigenen Lebensbereich (dies betrifft beispielsweise mein Ausgeh- und Freizeitverhalten, aber auch meine unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten). Umso mehr war ich vor allem in den Interviews bemüht, auf eine „neutrale“ Ausgangsposition meinerseits zu achten, um die Ergebnisse nicht zu verfälschen oder gar vorwegzunehmen. Um dies zu gewährleisten, habe ich versucht, meine eigenen Positionen nicht in den Vordergrund zu stellen, sondern eine sachliche Haltung an den Tag zu legen und meine eigenen moralischen und gesellschaftspolitischen Anliegen in den Hintergrund zu rücken. Außerdem gestalteten sich in diesem Zusammenhang die zahlreiche Auseinandersetzungen (und gemeinsamen Analysen) im wissenschaftlichen Kollegium als besonders hilfreich.
Auswahl der Beziehungsnetze und Personen Ausgangspunkt der Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Argumentations- und Gesellschaftsstrukturen war der Großraum Wien. Da Wien eine Zuwander_innenstadt (Bauer 2008; John 1996; Lichtenberger 1995) ist, treffen hier verschiedene Nationalitäten und komplexere Gesellschafts- und Sprachstrukturen in zahlenmäßig ausgeprägterer Form aufeinander, als in den Bundesländern und in historisch weniger von Zuwanderung geprägten Städten. Dadurch treffen hier auch viel häufiger verschiedene Lebenswelten, Sprachen, Dialekte und Nationalitäten aufeinander, was
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zu unterschiedlich wahrgenommenen Auseinandersetzungen mit Migration in komplexeren Zusammenhängen führen kann. Im Großraum Wien wurden zwei Beziehungsnetze (A und B) ausgewählt. Im Lauf der Forschung wurde durch meine Mitarbeit in einem Projekt 6 noch zusätzlich ein drittes Beziehungsnetz (C) in einer Kleinstadt in einem westlichen Bundesland Österreichs erschlossen. Konkret hatte die empirische Forschung ihren Ursprung dort, wo Personen mit den gesuchten Kriterien am ehesten zu finden sind. In dem durchgeführten „Schneeballverfahren“ (Schnell/Hill/Esser 2008: 300) bildeten jeweils einzelne Personen den Ausgangspunkt, die mich zu weiteren Personen – meist Bekannten oder Verwandten – vermittelten, da sie der Ansicht waren, dass auch diese zu ihrem Umfeld gehören bzw. zur Thematik etwas beitragen könnten. Diese Personen vermittelten mich dann wiederum weiter. Das Kriterium für die engere Auswahl der zentralen Personen folgte dem der „maximalen Kontrastierung“. Bei diesem Verfahren wird versucht, Personen auszuwählen, die anhand von fixierten, für die Forschung relevanten Kriterien möglichst weit auseinanderliegen (Lamnek 1995: 113), um das Feld und dessen Eckpunkte annäherungsweise in einer Grundgesamtheit zu erfassen. Die diesbezüglichen Kriterien für diese Forschung konzentrierten sich (hierarchisch geordnet) auf die Kategorien „Herkunft“, „politische Einstellung“, „Geschlecht“, „ökonomische Privilegierung“, „Bildung“ und „Wohnort“. Ein wesentliches Merkmal für die weitere Auswahl der Personen waren die Reichhaltigkeit der jeweiligen Interviews und die Möglichkeiten der Beobachtung. Die Mitglieder innerhalb der drei analysierten Beziehungsnetze waren vor allem durch Beziehungsebenen miteinander verbunden, die auf Partner_innenschaft, Freund_innenschaft, sexuelle Beziehung, Freizeit und Beruf beruhen. Zunächst erfolgte die Kontaktaufnahme mit Einzelpersonen. Danach wurden mögliche weitere Interviewpartner_innen (Freund_innen, Familie, Arbeitskolleg_innen) gesucht und nach deren Bereitschaft für Interviews
6
Multikulturalismus im Widerstreit: Geschlechteregalität, kulturelle Diversität und Sexuelle Autonomie in der EU (www.univie.ac.at/NODE-CMC)
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befragt. Dadurch sollte eine Art soziales Netzwerk7 als Geflecht von Beziehungen ermittelt werden, um das Handeln von Akteur_innen in sozial strukturierten Zusammenhängen erfassen zu können. Dabei wurden die Argumentationen und das Verhalten Einzelner vor dem Hintergrund struktureller, sozialer und formaler Beziehungen betrachtet – insbesondere unter Berücksichtigung von Machtbeziehungen und Abhängigkeitsverhältnissen. Innerhalb jedes Beziehungsnetzes wurden Interviews und informelle Gespräche mit jeweils sechs bis acht Personen geführt, die aufgrund der Beobachtungen in diesen Beziehungsnetzen als repräsentativ erschienen. Jeweils drei der zentralsten Personen wurden dabei einer eingehenderen Analyse unterzogen. 8
7
Bei Hannerz (1980) ist von Netzwerken als Aushandlungsprozesse von sich verändernden Collagen an Menschen und Identitäten die Rede.
8
Diese Studie erhebt den Anspruch einer explorativen und qualitativen Forschung, deren Anliegen nicht darin besteht, für ganz Österreich quantitative bzw. repräsentative (General-)Aussagen über rassistische Sprache und Praktiken zu treffen.
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Tabelle 1: Erhebungen Beziehungsnetzwerke
A
B
C
2006 – 2008
2005 – 2008
2007 – 2008
Einzelinterviews 9
8
6
7
Spontane, aber themenzentrierte Gruppendiskussionen 10
3
2
4
Im Forschungstagebuch aufgezeichnete informelle Gespräche
26
15
18
Beobachtungen
Forschungstagebuchaufzeichnungen
340 Seiten (A5, handschriftlich) von 2005 – 2009
Interviews Für die vorliegende Forschung wurden episodische Interviews gewählt, da sich im Sinne der Forschungsfragen die Erfahrungen der Personen im Bereich von Kulturalisierungen und Rassismus in Form ihres abgespeicherten und erinnerten „narrativ-episodische[n]“ und „semantischen Wissen[s]“ (Flick 2007: 238) erheben lassen. Somit können sowohl Alltagssituationen und deren Umstände als auch abstrahierte Zusammenhänge erfasst werden (ebd.: 238f.). Daher wurde die Interviewführung bewusst sehr offen gestaltet und wenn nötig wurde regelmäßig zum Erzählen aufgefordert. In den In9
Die episodischen Interviews fanden im jeweiligen Beobachtungszeitraum statt und dauerten jeweils zwischen zwei und fünf Stunden.
10 Unter spontanen Gruppendiskussionen werden solche verstanden, die ungeplant, aber im Kontext der Forschungsfragen entstanden und sich auch spontan wieder auflösten. Diese hatten direkten Einfluss auf die Analyse und die Ergebnisse.
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terviews 11 wurde versucht, eine entspannte Atmosphäre herzustellen, was von einer Interviewten sehr direkt kommentiert wurde. Sie meinte: „Des is dei Taktik, gö? A halbe Stund interviewn und a Bier und dann kommen die ganzen oagen Aussagen“ (Sonja, B). Die Personen wurden entweder an den bereits bestehenden Treffpunkten der Beziehungsnetzwerke oder an anderen Orten, die die Personen selbst gewählt hatten, interviewt. Auf Wunsch der Befragten wurden alle Personen und Rahmenbedingungen für diese Publikation anonymisiert. Die Interviews und die teilnehmenden Beobachtungen fanden zwischen Jänner 2005 und Dezember 2008 statt – in intensiven, mehrere Monate andauernden Phasen gefolgt von punktuellen Treffen für Nachfragen. Für die Transkription wurde die literarische Umschrift (Dittmar 2009: 64f.) gewählt, die Dialekt bzw. Umgangssprache im gebräuchlichen Alphabet wiedergibt, um den Erhalt der Mundart zu gewährleisten. Durch das „Lesbarmachen“ von typischen phonetischen Merkmalen kann der Text unmittelbarer wahrgenommen werden (ebd.: 9f.). Es handelt sich dabei nicht um eindeutig differenzierbare Basisdialekte, sondern um schwer abgrenzbare sprachliche Varietäten und teilweise überregionale Umgangssprachen, die einerseits durch den zwischenzeitlichen Versuch entstanden sind, im Interview Standarddeutsch zu sprechen, aber andererseits auch dadurch, dass einige der Interviewpartner_innen nicht in Wien aufgewachsen sind und sich die Umgangssprachen längst vermischt haben. Es war im Fall der vorliegenden Forschung also durchaus üblich, dass die Inter-
11 In allen drei Netzwerken wurden vorab zur Überprüfung des Forschungsdesigns zwei Probeinterviews durchgeführt. Die Forschungsfragen wurden im Anfangsstadium des Projekts stetig weiterentwickelt und umformuliert, da erst durch diese Probeinterviews und deren erste Analysen erkennbar wurde, wo die relevanten Argumentationsstrategien der befragten Personen in ihrer Auseinandersetzung mit „dem Fremden“ liegen und wo somit die thematische Festlegung stattfinden konnte. An dieser Stelle möchte ich den Kolleginnen aus den von Sabine Strasser geleiteten Dissertationskolloquien danken, die durch zahlreiche Diskussionen und kritisches Nachfragen in diesem Prozess sehr hilfreich waren.
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viewpartner_innen innerhalb eines Interviews mehrmals zwischen Dialekt und Standarddeutsch wechselten. 12
Beobachtungen Zusätzlich zu den Einzel- und Gruppeninterviews wurden in den Beziehungsnetzwerken in unterschiedlicher Intensität (je nach Möglichkeit, die im Feld gegeben war) teilnehmende Beobachtungen (DeWalt 1998 u. 2002) durchgeführt. So konnten das Argumentations- und Handlungsverhalten über die Aussagen einzelner Personen hinaus im Rahmen der Beziehungsnetze erfasst werden. Diese Form der Erhebung reichte von persönlicher Interaktion im Feld bis hin zur „bloßen“ Präsenz an den Orten der Zusammenkünfte. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Material erfolgte durch die Analyse der regelmäßigen Einträge in das Forschungstagebuch während den jeweiligen Erhebungsphasen.
Auswertung Um fallübergreifende Vergleiche der Beziehungsnetze anzustellen, wurden die Transkriptionen aus den episodischen Interviews und die Aufzeichnungen der teilnehmenden Beobachtung mittels thematischen Kodierens (Flick 1996, 2007: 404ff.) analysiert, denn diese Methode eignet sich ausgezeichnet dazu, Grenzziehungen zwischen Gruppen zu identifizieren (Flick 2007: 408). Die Interviews wurden ergänzend mit ausgewählten Verfahren aus der kritischen Diskursanalyse nach Link (1983, 2006) und Jäger (2004), angewendet auf zentrale Sequenzen der Interviews, analysiert. Beide Analysemethoden wurden unterstützt vom Computerprogramm Atlas.ti durchgeführt. Durch eingehende komparative Analysen zwischen den Interviews und vor allem in weiterer Folge zwischen den Beziehungsnetzwerken erfolgte
12 Vor allem bei den Gesprächspartner_innen, die in ihrer Arbeit Standarddeutsch verwenden und in ihrer Freizeit dialektal sprechen, kam in der Interviewsituation eine Mischform zustande.
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eine sozialanthropologische und diskursanalytische Interpretation der empirischen Quellen. Die Zusammenführung der Daten in der Verknüpfung von Gesprächsanalyse und Thesenbeweisführung dient vor allem dazu, eine möglichst umfassende Analyse des Phänomens „Herstellen von kulturalistischer und rassistischer Differenz“ hinsichtlich der drei beforschten Beziehungsnetzwerke zu ermöglichen.
Diskursanalyse „Kultur und Multikulturalismus“, „Heimatverbundenheit und Grenzen“ und „Rasse und Rassismus“ sind gesellschaftlich verhandelte und mit Macht durchflutete Diskursstränge 13, die in Österreich immer wieder auf mehreren Diskursebenen 14 relevant werden. Sowohl die akademische, politische und mediale als auch die Alltagsebene wirken hier besonders gut sichtbar aufeinander ein und wirken entsprechend ineinander. Diese drei Diskursstränge wurden anhand der Analyse generiert und sind abgesehen von ihrem dominanten Auftreten im Material auch auf besondere Weise in- und miteinander verschränkt bzw. mit weiteren, ihnen untergeordneten Diskurssträngen verkettet, wie sich noch zeigen wird. Der Diskursstrang zur Kultur beispielsweise kann als Basis für das Verständnis von Multikulturalismus angesehen werden, während diese beiden Stränge wiederum den Diskurs über Rassismus speisen. Zunächst sollen einige grundlegende Begriffe erklärt werden, um den inflationär verwendeten Diskursbegriff in analysierbare Bestandteile zu zerlegen. Jäger bezeichnet Diskursstränge als Abfolgen von Diskursfragmenten mit gleicher Thematik und Diskursfragmente als Textteile, die ein bestimmtes Thema behandeln (Jäger 2004: 159 – 160). Diskursstränge bewegen sich auf verschiedenen Diskursebenen, wie beispielsweise Wissenschaft, Politik, Medien und Alltag (ebd.: 163). Die Menge der verschränk-
13 „Ein Diskursstrang besteht aus Diskursfragmenten gleichen Themas. Er hat eine synchrone und diachrone Dimension“ (Jäger 2004: 160). 14 Jäger beschreibt die Diskursebenen auch als soziale Orte, von denen aus „gesprochen“ wird (Jäger 2004: 163).
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ten Diskursstränge macht den Gesamtdiskurs einer Gesellschaft aus (ebd.: 117, 160ff.). Die einzelnen Gruppen oder auch Akteur_innen sind jedoch nie vollständig nur einem Diskursstrang zuzuordnen, der sie als Subjekte formt, sondern sie werden permanent von verschiedenen Diskursen geprägt. Vielfach diskutiert wurde in der Wissenschaft die Frage des Zusammenhangs zwischen dem einzelnen Diskursfragment oder dem Text als Diskursprodukt von Individuen und einem gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Die Diskursanalyse betrachtet solche Produkte „[…] als Bestandteile eines (sozialen) Diskurses. Da der Diskurs aber immer nur in Gestalt individueller Produkte in Erscheinung tritt, kann die Analyse solcher Produkte auch nicht umhin, sie zunächst als solche ernst zu nehmen. So kann z.B. von der Wirkungsabsicht eines Autors [sic] die Rede sein [...] Schon allein deshalb ist die Diskursanalyse auf die Analyse vieler individueller Produkte angewiesen, die – in ihrer qualitativen Gesamtheit – den Diskurs ausmachen.“ (Jäger 2004: 173)
Die kritische Diskursanalyse (KDA) analysiert sprachliche Texte in ihrem Bezug auf den sozialgeschichtlichen Hintergrund, aus dem sie gespeist werden und auf den sie sich beziehen bzw. auf den sie wiederum einwirken (Jäger 2004; van Dijk 1992; Link 1982; Wodak/Fairclough 1997). Die KDA der Duisburger Schule bezieht sich auf den französischen Philosophen Michel Foucault und ist ein Verfahren zur wissenschaftlichen Untersuchung von Diskursen: „Diskurse sollen hier [...] als eine artikulatorische Praxis begriffen werden, die soziale Verhältnisse nicht passiv repräsentiert, sondern diese als Fluß [sic] von sozialen Wissensvorräten durch die Zeit aktiv konstituiert und organisiert.“ (Jäger 2004: 23)
Diskurse repräsentieren die Wirklichkeit nicht, sie konstituieren diese. Damit sind Texte auch nie „etwas nur Individuelles, sondern immer auch sozial und historisch rückgebunden. […] Sie sind oder enthalten Fragmente eines (überindividuellen) sozio-historischen Diskurses“ (ebd.: 117). Die diskurstheoretischen Ansätze nach Jäger beruhen auf den Werken von Foucault, der vereinfacht dargestellt den Diskurs nur als sprachlichen Teil der „diskursiven Praxis“ versteht, in die er nicht sprachliche Aspekte
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mit einschließt. Dies knüpft auch an Aspekte der Performativität als Teil der diskursiven Praxis an (Butler 1997; Foucault 2001). „Ich setze voraus, daß in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.“ (Foucault 2001: 10)
Ausgehend von diesem grundsätzlichen Diskursverständnis werden für diese Forschung Teile des methodischen Werkzeugs der kritischen Diskursanalyse herangezogen, um aus dem akquirierten sprachlichen Material diskursives kulturalistisches und rassistisches „Wissen“ der Interviewpartner_innen zu erfassen und zu analysieren. Auch die in der KDA verwendete „Kollektivsymbolik“ 15 nach Jürgen Link (2006) trägt als Deutungsraster zur verbesserten Analyse von Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft bei, denn die Diskurse bedienen sich dieser Kollektivsymbolik. Das heißt, die Diskurse werden durch die Gleichzeitigkeit von semantischen und visuellen Kollektivsymbolen 16 verdichtet. Kollektivsymbole eignen sich deshalb für die Analyse von Rassismen besonders gut, da gerade in diesen Ausgrenzungsstrategien häufig rhetorische Bilder verwendet werden, die die meisten Mitglieder einer Gesellschaft kennen und die für viele unmittelbar nachvollziehbar sind. Sie wurden kollektiv gelernt, benutzt, tradiert und verstanden und entsprechen einem Großteil der „Bildlichkeit“ einer Gesellschaft in Form von rhetorischen Darstellungen und Stereotypen (Jäger 2004: 137). Wesentliche Kennzeichen von Kollektivsymbolen (ebd.: 140f.) unter vielen sind deren Mehrdeutigkeit und die Wahrscheinlichkeit der Bildung von Verknüpfungen. Auf Diskussionen über „das Kopftuch“ folgten in die-
15 Jürgen Link definiert Kollektivsymbolik als die „Gesamtheit der so genannten ,Bildlichkeit‘ einer Kultur […]“ (2006: 133), die von allen Mitgliedern einer Gesellschaft kollektiv gelernt, benutzt und verstanden wird. Diese ist historisch veränderbar und kulturell unterschiedlich. 16 Das Vorhandensein dieser Kollektivsymbole muss jedoch auch kritisch hinterfragt werden, statt diese als gegebene Bildlichkeit einer Kultur vorauszusetzen, um so der Heterogenität der Gesellschaft Rechnung zu tragen.
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ser Forschung beispielsweise Assoziationen mit dem EU-Beitritt der Türkei, Zwangsverheiratungen und Ehrenmorden. Die Analyse der sprachlich rhetorischen Mittel (ebd.: 179ff.) wurde nur selektiv durchgeführt, da sich m. E. die Sichtung der Verben, Adjektive und Adverbien für diese Studie als nur wenig ergiebig erwiesen hat. Aspekte der KDA, wie die Kollektivsymbolik und einzelne Fragen aus der Fein- und Kontextanalyse, sind dagegen äußerst hilfreich, um sprachliche und rhetorische Analysen oder Ergänzungen zum thematischen Kodieren durchzuführen. Da jedoch weitere relevante Phänomene eines Feldes durch die Diskursanalyse nicht erklärt werden können, wird diese nicht ausschließlich verwendet. Trotz des Anspruchs der Diskursanalyse, kontextuelle und historische Rückbindungen zu gewährleisten, braucht es die Erforschung der sozialen Praxis und das Verhandeln dieser, um gesellschaftliche Phänomene umfassender zu begreifen. Methoden der Feldforschung, wie etwa Beobachtungen, ermöglichen es Forscher_innen eher, sich dem gesamtgesellschaftlichen Kontext anzunähern. Ein Phänomen wie Rassismus bedarf einer stärkeren Einbindung der sozialen Praxis über Beobachtungsverfahren. Die diskursmethodischen und -theoretischen Betrachtungen führen für Anthropolog_innen unweigerlich zu der Frage, inwiefern Diskurse in der Lage sind, gesellschaftliche Vorgänge zu beschreiben, denn ob Diskurse oder deren Stränge, wie erwähnt, die soziale Praxis entsprechend erfassen können bzw. ob Denken und Handeln über Diskurse erfassbar werden, ist umstritten. Für die vorliegende Studie wird davon ausgegangen, dass es nicht „einen“ dominanten Diskurs gibt, der von allen Mitgliedern einer Gesellschaft geteilt wird. Vielmehr gibt es so etwas wie Stories (Sivaramakrishnan/ Agrawal 2003), die in bestimmen Zusammenhängen und Gruppenzusammensetzungen erzählt werden, von denen sich manche eher durchsetzen als andere und die verhandelt werden. 17
17 Der Diskurs wäre demnach allein zu wenig. Man muss die soziale Praxis im jeweiligen räumlichen und zeitlichen Kontext sehen – als soziales Handeln (Sivaramakrishnan/Agrawal 2003: 42).
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Der Mehrwert dieser Methodenkombination besteht darin, dass nicht nur über die Analyse von Text, sondern auch über Beobachtungen und die darauffolgenden Tagebuchaufzeichnungen Ungesagtes in den Blick genommen werden kann und somit durch genaue Beobachtung und Deutung eine dichtere Beschreibung (Geertz 1983) und Analyse möglich werden.
Theoretische Basis
R ASSISMUSTHEORIE – U NTERSCHIEDLICHE Z UGÄNGE ZU
EINER I DEOLOGIE
Der Raum, der hier der Auseinandersetzung mit der Konstruktion von „Rassen“ und der Entwicklung unterschiedlicher Theorien zu Rassismus gewidmet wird, zeigt die häufig sehr unterschiedlichen theoretischen Schwerpunktsetzungen von Sozialwissenschaftler_innen auf. Begründet in diesen liegt daher auch die Relevanz einer Trennung in Ideologie, Struktur und Praxis von Rassismus. Zudem wird darauf eingegangen, welche Akteur_innen des Rassismus benannt werden oder welche unbenannt bleiben. Die Sozial- und Kulturanthropologie ist eine Disziplin, die sich seit jeher mit der Darstellung und somit auch mit der Konstruktion „des/der Anderen“ befasst hat. Bereits durch die Unterscheidung von westlich und nicht westlich, industrialisiert und nicht industrialisiert, Natur und Kultur usw. wurden und werden sowohl das Eigene als auch „das Andere“ beschrieben, beobachtet und immer wieder neu erschaffen. Die jeweiligen Elemente der genannten Oppositionspaare kommen in dieser Form ohneeinander nicht aus und führen zu Generalisierungen, bei denen bestimmte Gruppen homogenisiert werden. Zusätzlich wird diesen Gruppen eine eigene Entwicklung abgesprochen, indem ihnen Zeitlosigkeit zugeschrieben wird (Abu Lughod 1991: 139f.). Erklärungsmodelle, die unterschiedliche Beziehungsverhältnisse zwischen dem „Eigenen“ und „Fremden“ nahelegen, sind in der sozialanthropologischen Rassismusforschung durchaus hilfreich, da ihre Ansätze häufig der Reflexionsebne der Disziplin entsprechen. So erklärt beispielsweise Schäffter:
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„Fremdheit ist ein relationaler Begriff, dessen Bedeutung sich nur dann voll erschließt, wenn man seine eigenen Anteile in diesem Beziehungsverhältnis mit zu berücksichtigen vermag. Es geht dabei um die Fähigkeit, seine eigene Position und Sichtweise als eine Möglichkeit u.a. zu erkennen und dabei zu sehen, daß das, was ich und wie ich es als fremd erlebe, sehr wesentlich von meiner eigenen Geschichte abhängt. Fremdheit ist somit ein historisch gebundenes Phänomen. Es ist die jeweilige personale und soziale Identität, die erst die Fremdartigkeit des Anderen hervorruft.“ (Schäffter 1991: 12)
Analysen des „Eigenen“ und des „Fremden“ werden unter Umständen auch zur Legitimation von Rassismen herangezogen, indem z. B. gemeint wird, dass Fremdheitsgefühle (und häufig auch Ressentiments) eine Sache der Identität sind und es nur verständlich ist, dass das Eigene auf das Fremde in dieser Art reagiert. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die immer wiederkehrende Frage, ob eine (möglicherweise unbewusste) rassistische Handlung zu setzen, etwas anderes ist, als (vorsätzlich) ein_e Rassist_in zu sein. Wo ist die Grenze zu ziehen? Wann setzen Menschen „rassistische Handlungen“ und wann „sind sie Rassist_innen“? Bedient sich nicht auch jemand, der/die eine rassistische Handlung setzt, wenn vielleicht auch nicht bewusst, des ideologischen Systems des Rassismus? In diesem Sinne geht es in der Diskussion häufig um den Unterschied zwischen dem (Un-) Bewusstsein, in dem Rassismus von Individuen oder Kollektiven realisiert wird, und dem politisch-gesellschaftlichen Anspruch dahinter.
Historische Zugänge Ruth Benedict (1947) definierte „Rassismus“ als das „Dogma, wonach eine ethnische Gruppe von Natur aus zu erblicher Minderwertigkeit verdammt ist, während einer anderen erbliche Überlegenheit bestimmt ward [...]“ (Benedict: 1947: 98). Hierbei betont sie insbesondere die biologistische Komponente von Rassismus, die lange Zeit wohl eine der geläufigsten in den Sozialwissenschaften war. Die ursprüngliche Herkunft des Begriffs ist indes widersprüchlich: „Das Wort ‚Rassismus‘ entstand vor dem Zweiten Weltkrieg im demokratischen Westen als Protest gegen Theorie und Praxis des deutschen Nationalsozialismus, der
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sich im Dritten Reich positiv auf seine ‚Rassenlehre‘ berief und sich gegen die polemische Spitze im Wort ‚Rassismus‘ wehrte. Nach dem Untergang des Nationalsozialismus 1945 avancierte ,Rassismus‘ zu einer objektivierbaren Kategorie, obwohl es gleichzeitig auch politisch-ideologisches Schimpfwort wurde, um Andersdenkende zu diffamieren.“ (Geiss 1995: 91)
Der Historiker Imanuel Geiss trennt die politische Ebene von der wissenschaftlichen, indem er Rassismus einerseits als „theoretisches Gedankengebäude“ bezeichnet und sehr wohl als „objektivierbare Kategorie“ fasst, aber andererseits auch die politisch-ideologische Ebene benennt. Rassismus bezeichnet er als „handlungsleitende Theorie für rassistische Praxis“ (Geiss 1995: 91). Im 19. und 20. Jahrhundert wurde gesellschaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl häufig aufgrund von körperlicher Beschaffenheit konstruiert, was auch die Basis vieler Nationalismen darstellt(e). Rassismus bildete sich erst in der Neuzeit, wobei es schon davor Protorassismus in Form von Unterwerfung gab: „Proto-Rassismen blieben ohne intellektuelle Fixierung oder Systematisierung“ (Geiss 1995: 91). Die Anthropologie nahm in der Geschichte der Konstruktion und Verwendung der Begriffe „Rasse“ und „race“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die so genannte „Rassenforschung“ eine zentrale Rolle ein, sowohl in der wissenschaftlichen Betrachtung als auch in der sozialen Praxis von Rassismus (Harrison 1995: 50). Die Auseinandersetzung mit der Verantwortung der damaligen Völkerkunde in der NS-Zeit (in Österreich) fand bisher nur sehr zögerlich statt. 1 Ein prominenter physischer Anthropologe aus der NS-Zeit, der seinen Schwerpunkt jedoch auf ethnologische Forschungen gelegt hatte, war Eugen Fischer (1874 – 1967). Er war ein maßgeblicher Mitautor der Nürnberger „Rassen“gesetze und Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie und „Rassen“forschung. Im Rahmen der mendelschen Vererbungslehre vertrat er die Haltung, dass „Mischehen“ zu „Bastardisierung“ führen würden. Seine Gutachten fungierten als wissenschaftliche Entscheidungs-
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Von März 2008 bis Februar 2011 lief am Institut für Kultur und Sozialanthropologie dazu ein Forschungsprojekt mit dem Titel: „Rochaden-Systemerhalter, Überläufer und Verstoßene: Völkerkunde an der Universität Wien in der NS-Zeit“ unter der Leitung von Andre Gingrich www.univie.ac.at/vk3r/ home_de.shtml [18.9.2013].
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grundlage zur Bestimmung „unwerten Lebens“ (Gingrich 2005: 97ff.). Auch Eva Justin (1943 Absolventin bei Richard Thurnwald), Studentin der physischen Anthropologie (bei Eugen Fischer) und der Ethnologie, war persönlich für die Selektion von Roma und Sinti im Konzentrationslager verantwortlich (Gingrich 2005: 121ff.). In der Ethnologie wird im Zusammenhang mit den ersten Theorien gegen Rassismus häufig Franz Boas (*1858, †1942) genannt 2, der die Ansicht vertrat, dass es keine „reinen Rassen“ gibt und dass wissenschaftliche Urteile, die auf rassi(sti)schen oder biologischen Kriterien beruhen, niemals mit sprachlichen oder gar kulturellen Kriterien vermischt werden dürfen (Pöhl/Tilg 2009: 16-22). Aber auch Margret Mead und Ruth Benedict (1943) äußerten sich in „Race, Science and Politics“ kritisch gegenüber dem Begriff „Rasse“. In den 1960er-Jahren gingen Anthropolog_innen (wie beispielsweise Montagu 1964) einen Schritt weiter und kritisierten die Idee von „Rasse“ per se, d. h. die Möglichkeit einer Unterteilung in unterschiedliche „Menschenrassen“. 1991 definierte Claude Lévi-Strauss 3 Rassismus in einem Interview mit Didier Eribon als eine Doktrin, die sich in vier Punkten zusammenfassen lässt: Erstens bestehe ein Zusammenhang zwischen genetischem Erbe, intellektuellen Fähigkeiten und moralischen Neigungen, wobei zweitens dieses Erbe (auf dem die Fähigkeiten und Neigungen basieren) von einer bestimmten Gruppe geteilt würde. Diese Gruppen werden als „Rassen“ bezeichnet und könnten anhand ihres genetischen Erbes bewertet werden. Als Folge der qualitativen Unterschiede im genetischen Erbe sei es viertens den überlegenen „Rassen“ erlaubt, die anderen auszubeuten, sie sogar zu vernichten (Lévi-Strauss/Eribon 1991: 423). Lévi-Strauss diskutierte in diesem Interview aber auch die Frage, wann Rassismus beginnt: „Active hostility, yes. Nothing gives one culture the right to destroy or even oppress another“ (ebd.: 423). Trotzdem geht er davon aus, dass es Kulturen gibt, die sympathischer als andere sind: „It is the normal course of human conduct.“ Zudem warnt er davor, zu schnell von Rassismus zu sprechen. „By condemning it as racist, one runs the risk of
2
Er kritisierte, entgegen den meisten seiner wissenschaftlichen Zeitgenossen, beispielsweise den wissenschaftlichen Rassismus von Arthur de Gobineau und lehnte die Eugenik strikt ab.
3
Claude Lévi-Strauss schrieb bereits 1952 einen ethnologischen Beitrag mit politischer Perspektive mit dem Titel „Race and History“.
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playing into the enemy’s hand, for many naive people will say, if that’s racism, then I’m racist“ (ebd.: 423). Allerdings wurde in den 1980er-Jahren in der Anthropologie ohnehin stärker zu Ethnizität 4 geforscht als zu „race“. Aus diesem Grund wurden die direkten Auseinandersetzungen mit Rassismus auch eher rar. Michael Banton war einer der wenigen, die meinten, dass sowohl „ethnicity“ als auch „race“ weiterhin erforscht werden müssen (Banton 1983). Der Begriff „Rassismus“ unterlag im Lauf der Geschichte, speziell im Rahmen seiner wissenschaftlichen Verwendung, aber auch im Alltagsgebrauch, einem starken Wandel. Im Rassismusdiskurs dienten häufig biologische Eigenschaften als Kennzeichen zur Klassifizierung und Kategorisierung. Aus diesen somatischen Eigenschaften wurden jene ausgewählt, die Bedeutungsträger_innen von und für Differenz zwischen Menschen darstellen (Miles 1999: 95). Rassismus ist geprägt von einer Wertung und Zuschreibung von Eigenschaften aufgrund phänotypischer Merkmale. Dabei ist zu beachten, dass neben biologischen, je nach Kontext, auch kulturelle oder soziale Merkmale zur Unterscheidung herangezogen werden (können) sowie Kombinationen aus diesen.
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Frederic Barth (1969) definierte Ethnizität als soziale Beziehung zwischen Gruppen. Ohne eine Form der Beziehung kommt der Grenzziehung bzw. der Abgrenzung selbst keine Bedeutung zu. Kulturelle Unterschiede haben die Aufgabe der Markierung dieser Grenzziehungen. Daraus entwickelte sich die Frage nach den Grenzen zwischen sozialen und ethnisch-kulturellen Gruppen, wobei die Grenzziehungen zwischen ethnischen Gruppen nach Barth mehr über die hierarchische Einbindung und Ausgrenzung in einem politischen und ökonomischen System aussagen als über kulturelle Differenzen und Gemeinsamkeiten, den „cultural stuff“ (Barth 1969: 11). Damit wendete er sich gegen Ansätze, die von einer gemeinsamen Substanz, wie zum Beispiel Sprache oder Abstammung, von ethnischen Gruppen ausgingen.
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Rassismus und Hierarchie Robert Miles bezieht ein Machtgefälle 5 in seine Definition von biologischem Rassismus mit ein, denn: „Als Diskurs der Marginalisierung ist er [Anm. der Rassismus] Bestandteil eines Herrschaftsprozesses“ (Miles 1999: 11). Die Soziologin Karin Scherschel (2006) führt Rassismustheorien mit der Theorie sozialer Ungleichheit von Bourdieu zusammen und entwirft dabei ein dreidimensionales Modell von Rassismus: „Er [Anm. Rassismus] kann als Variante symbolischer Macht verstanden werden. Seine symbolische und strukturelle Dimension kann in einem Zusammenhang mit der nationalen und ethischen Strukturierung des sozialen Raumes gesehen werden. Als symbolisch flexible Ressource und habitualisierte Wahrnehmungsoption gewinnt Rassismus Bedeutung für den Akteur und seine Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen.“ (Scherschel 2006: 13)
Weiters definiert sie relevante Kennzeichen von Rassismus wie „Die Konstruktion als ethnisch Anderer“, welche „sich durch Selektion und Klassifikation“ auszeichnet. Ausgewählten Merkmalen werden dann Eigenschaften zugeschrieben. Dieser Prozess kann auch „Resultat nationalstaatlicher Konstruktionsprozesse sein“ (Scherschel 2006: 56f.). Das zweite Kennzeichen besteht in der Naturalisierung, indem eine „ontologische Differenz zwischen den konstruierten Gruppen behauptet“ (ebd.) wird. Inhärent ist dieser Naturalisierung auch eine Annahme von „unvereinbaren Lebens- und Wertvorstellungen“. Der dritte Aspekt besteht indes
5
Das den meisten Rassismusdefinitionen inhärente Machtgefälle ist nicht im Sinne einer dichotomen TäterInnen-Opfer-Beziehung zu vereinfachen, vielmehr soll hier, ausgehend von der feministischen Anthropologie, ein Identitätsbegriff verwendet werden, der multiple und auch kontradiktorische Subjektpositionen anerkennt (Strasser 2009: 44). Multiple Subjektpositionen beziehen sich auf die relative Anzahl von Achsen der Identität von Subjekten wie Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Religion, sexuelle Identität, soziale Schicht und Alter. Kontradiktorische Subjektpositionen sind solche, in denen Personen gleichzeitig minoritäre und hegemoniale Positionen einnehmen können (Strasser 2009: 44), was auf alle Personen und Gruppen innerhalb der Gesellschaft zutrifft.
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in verschiedenen Formen der Herabwürdigung, da die Eigenschaften, Lebensweisen und Anwesenheiten „der anderen“ als problematisch erachtet werden und dadurch herabwürdigende Zuschreibungen erfahren (ebd.). An einer umfassenden Definition von Rassismus versuchte sich auch Albert Memmi (1992) und bezog in seine Beschreibung auch den Schaden des Opfers mit ein sowie den Nutzen der Aggressor_innen, da diese ihre Privilegien damit rechtfertigen. Memmi bezeichnet Rassismus als die generalisierte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder angenommener Differenzen und spezifiziert vier konstitutive Elemente von Rassismus: (1) die Betonung von wirklichen oder vorgestellten Unterschieden zwischen Rassist_innen und Opfern, (2) die Bewertung der Unterschiede, die den Rassist_innen „nutzt“ und den Opfern schadet, (3) die Unterschiede, die durch Verallgemeinerung und die Erklärung als endgültig verabsolutiert werden, und (4) die „Legitimierung einer – tatsächlichen oder möglichen Aggression oder eines – tatsächlichen oder möglichen – Privilegs“ (Memmi 1992: 164f.). Ruth Wodak und Martin Reisigl beziehen in ihre Definition zwar nicht den Nutzen für die Täter_innen mit ein, gehen jedoch auf den hegemonialen Blickwinkel ein, der innerhalb einer hierarchischen Zuschreibung von negativen Eigenschaften als Ausgangspunkt dient: „Racism is based on the hierarchizing construction of groups of persons which are characterized as communities of descent and which are attributed specific collective, naturalized or biologized traits that are considered to be almost invariable. These traits are primarily related to biological features, appearance, cultural practices, customs, traditions, language or socially stigmatized ancestors. They are – explicitly or implicitly, directly or indirectly – evaluated negatively, and this judgment is more or less in accord with hegemonic views [...]. As an ideological mixtum compositum, racism combines different, and sometimes even contradictory, doctrines, religious beliefs and stereotypes, thereby constructing an almost invariable pseudo-causal connection between – more or less fictitious – biological (genetic and phenotypic), social, cultural as well as mental traits.“ (Reisigl/Wodak 2000: 275-276)
In diesem Zitat ist beispielsweise die Zuschreibung von Eigenschaften aufgrund so genannter phänotypischer und vermeintlich kultureller Merkmale zu finden.
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Dieses sich scheinbar verändernde Gesicht des Rassismus hat in die Theorie durch unterschiedliche Bezeichnungen Einzug gehalten, wie in Folge verdeutlicht werden soll.
Von der Natur zur Kultur Rassismus erwies sich im Lauf der Zeit als „flexibles“ Gedankengut der Ausgrenzung: Beispielsweise hat in Europa die offensichtlich auf biologische „Rassen“ bezogene rassistische Diskriminierung seit 1945 abgenommen, was jedoch nichts am Bestehen von Rassismus „in neuen Kleidern“ ändert. So etablierten sich Bezeichnungen wie „Neorassismus“ (Barker 1981), „Postrassismus“ (Kossek 1999), „Neuer Rassismus“, „Kulturrassismus“ (Hall 1989), „Differenzialistischer Rassismus“ oder „Kultureller Rassismus“ (Balibar/Wallerstein 1990, Çinar, 1999, Guillomin 1991). In seiner heutigen Gestalt benötigt Rassismus die Konstruktion unterschiedlicher „Rassen“ nicht zwingend. Er konzentriert sich ebenso und viel stärker sogar auf ein starres Kulturkonzept und konstruiert „Leitkulturen“, „Kulturkreise“ und „fremde Kulturen“. Rassismus kann als Ideologie betrachtet werden und als Teil eines komplexeren Systems von Ungleichheit und er kann deshalb auch nicht abgetrennt von anderen Herrschaftssystemen bekämpft werden, denn Rassismus dient meistens der (Ver-)Festigung bestehender Hegemonie- bzw. Machtansprüche der „eigenen Gruppe“. Dies trifft jedoch auch auf andere ungleichheitgenerierende Systeme wie den Kapitalismus und den (Hetero-)Sexismus zu. Die in diese flexible Ideologie des Rassismus eingelassenen Machthierarchien sind daher keinesfalls zu vernachlässigen. Kimberlé W. Crenshaw, eine US-amerikanische Juristin, spricht in solchen Zusammenhängen von Systemen bzw. einem Mechanismus von Ungleichheit, die sich überschneiden können, wie zum Beispiel von Unterdrückungssystemen wie Rassismus und Patriarchat (Crenshaw 1994). Ebenso überschneiden sich Formen des Nationalismus mit Rassismen oder weiteren Unterdrückungsideologien 6, deren Analyse unter Berücksichtigung ihrer
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Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Begriff der Intersektionalität siehe Verloo 2006, Klinger/Knapp 2005, Yuval-Davis 2006, Degele 2007.
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eigenen Geschichte (des Diskurses und der Unterdrückung) und im jeweiligen Kontext möglich und notwendig ist. Sozialanthropologische Beiträge zu Kultur und Rassismus konzentrieren sich häufig auf Phänomene der ethnischen Differenzierung und der gleichzeitigen Abwertung. So geht Verena Stolcke (1995) der These nach, dass die Konstruktion und Perpetuierung von starren Grenzen und kulturellen Differenzen im Europa der 1990er-Jahre als kultureller Fundamentalismus bezeichnet werden können, der sich unter anderem vom Rassismus insofern unterscheidet: „Instead of ordering different cultures hierarchically, cultural fundamentalism segregates them spatially, each culture in its place“ (Stolcke 1995: 8). Weiters lässt kultureller Fundamentalismus, im Gegensatz zum Rassismus, auch Raum für Migrant_innen, die sich kulturell anpassen und in „unserer Mitte“ leben. Ralf Grillo (2003: 158) spricht in diesem Zusammenhang von „essentialistischen Versionen von Kultur“, die durch ihre Relevanz im Alltag der Menschen in multikulturellen Gesellschaften sichtbar werden. Dort können kulturelle Zuschreibungen des Unbehagens und der Bedrohung als alltägliche Praktiken identifiziert werden. Zudem unterscheidet er zwischen Kulturrassismus und Kulturfundamentalismus, wobei bei ersterem Kultur „biologisiert“ und als „natürlich“ betrachtet wird. Die Kulturgemeinschaft bildet dabei eine geschlossene Einheit, die es „rein“ zu halten gilt. Im Kulturfundamentalismus hingegen ist kulturelle Differenz unüberbrückbar und es gibt eine „natürliche“ Feindschaft zwischen Kulturen, weshalb die verschiedenen Gruppen separiert werden müssen (Grillo 2003: 164f.).
Differenzierung – Ideologie, Struktur, Handlung Auch wenn bei neueren Formen von Rassismus nicht die Kategorie „Rasse“ im Vordergrund steht, handelt es sich doch um einen Ismus im Sinne eines ideologischen (mitunter auch fundamentalistischen) Systems. Um solch ein System von rassistischen Alltagshandlungen unterscheiden zu können und um sichtbar und nachvollziehbar zu machen, dass bestimmte individuelle und kollektive Handlungen auf einem solchen System basieren und darin verankert sind, werden von unterschiedlichen Autor_innen Differenzierungen vorgenommen.
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In vorliegender Studie wird eine Unterscheidung in Ideologie, Strukturen und soziale Praxis (Markom/Weinhäupl 2007) in Anlehnung an Philomena Essed (1991) getroffen, um bei den empirischen Analysen die Ebene der Ideologie und Wirkung von Rassismen 7 differenzieren zu können. Rassismus als Ideologie wird anhand von tatsächlichen oder imaginären Differenzen in Bezug auf so genannte phänotypische Merkmale, Ethnizität, kulturelle Elemente oder (nationale) Herkunft definiert. Gruppen werden über diese „Kennzeichen“ als „von Natur aus“ anders „geartet“ konstruiert, wobei ihnen negative Eigenschaften zugeordnet werden. Gleichzeitig wird die „Eigene“ Gruppe hierarchisch höher positioniert (Markom/Weinhäupl 2007: 113).
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Vor allem in der Politik, aber auch in der Wissenschaft wird anstatt von Rassismus häufig von Xenophobie gesprochen. In dieser Forschung wird Xenophobie als sozialpsychologischer und legitimierender Begriff abgelehnt, da die Bedeutung von phobia als „Angst“ oder „Furcht“ häufig Personen von ihrer aktiven Handlungsmacht freispricht und andererseits dazu benutzt wird, um pathologische Motive als Vorwand für Rassismus vorzuschieben. „Gar nicht oft genug kann hervorgehoben werden, daß Rechtsextremismus und Gewalttätigkeit keine Sozialpathologien, daß Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus keine Neurosen sind, die durch eine Psychotherapie zu heilen wären, sondern politische Phänomene, deren Ursache gesellschaftliche Machstrukturen und Herrschaftsverhältnisse bilden“ (Butterwegge 1996: 23). Für die Sozialanthropologin Verena Stolcke (1995) birgt der Begriff „Xenophobie“ eine Verharmlosung von Rassismus als natürliche Haltung und Prädisposition des Menschen in sich. Auf Basis der angenommenen Unmöglichkeit eines „Neben- oder Miteinanders“ würde dieser so der ideologischen Untermauerung von kulturellem Fundamentalismus dienen und zu einer Legitimierung der Exklusion anderer verleiten. „Contemporary cultural fundamentalism is based, then, on two conflated assumptions: that different cultures are incommensurable and that, because humans are inherently ethnocentric, relations between cultures are by ‚nature‘ hostile. Xenophobia is to cultural fundamentalism what the bio-moral concept of ‚race‘ is to racism, namely, the naturalist constant that endows with truth value and legitimates the respective ideologies“ (Stolcke 1995: 6f.). Insofern ist der Begriff „Xenophobie“ als analytische Kategorie wenig hilfreich, ja sogar irreführend. Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass es sich dabei vielmehr um einen Euphemismus handelt.
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Diese Ideologie unterscheidet sich vom strukturellen Rassismus insofern, als es bei letzterem um die Abbildung von rassistischen Weltanschauungen in gesellschaftlichen Strukturen geht. Dabei werden Menschen Ressourcen wegen ihrer (angeblichen oder tatsächlichen) Zugehörigkeit zu einer „Anderen“ Gruppe verweigert, beispielsweise durch Diskriminierung in der Arbeitswelt, im Rechts-, Bildungs- oder Gesundheitssystem. Rassistische Strukturen werden über (un-)bewusste Handlungen von Einzelpersonen und Repräsentant_innen der jeweiligen Institutionen reproduziert (oder aber auch verändert) (Markom/Weinhäupl 2007: 113). Rassismus in der sozialen Praxis umfasst Handlungen, in denen Menschen aufgrund ihrer (angeblichen oder tatsächlichen) Zugehörigkeit zu einer Gruppe diskriminiert werden oder eine (körperliche bzw. sprachliche) Aggression gegen sie damit legitimiert wird. Die Auswirkungen rassistischen Handelns sind unterschiedlich, je nachdem welche Position die Beteiligten in den gesellschaftlichen Strukturen einnehmen bzw. zugewiesen bekommen (Markom/Weinhäupl 2007: 113). Diese Dreiteilung bedeutet jedoch nicht, dass die Ebenen einander ausschließend auftreten, sondern im Gegenteil ineinandergreifen, einander bedingen und mitunter einander in der Praxis möglicherweise auch widersprechen. Der Vorteil dieser Dreiteilung liegt indessen in den präziseren (und weniger moralisierenden) Möglichkeiten für die Analyse von Rassismus, denn beim Vorkommen von Rassismus innerhalb von Gruppen zeigt sich, dass beispielsweise Rassismus als Ideologie nicht unbedingt die Bedingung für rassistisches Handeln sein muss, rassistisches Handeln aufgrund von Gruppenzusammenhängen deshalb aber nicht weniger rassistisch ist. Die dargestellten Theorien zu Rassismus verweisen darauf, dass die Auseinandersetzung einerseits auf die Differenzierung zwischen Unterbzw. Überlegenheit aufgrund biologischer oder kultureller Faktoren abzielt. Dabei steht „die Kultur“ oder „die Biologie“ der Anderen im Vordergrund und wird beschrieben, da sie der Ausschlussgrund sind. Die eigene Überlegenheit jedoch bleibt unhinterfragt. Sie ist einfach, auch in den Theorien, in denen der Faktor „Macht“ mit einbezogen wird. Die anderen Gruppen werden ausgebeutet und bewertet, aber von wem? Durch das Abstrakt-Bleiben der „Wir“-Gruppe wird selten erwähnt, dass auch die „eigene Gruppe“ „einen Phänotypus“ oder eine „Kultur“ besitzt, der implizit Eigenschaften, wenn auch gute, zugeschrieben werden. Auch dies ist Teil der Ideologie des
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Rassismus. Auch wenn dabei auf den Machtgewinn der Akteur_innen hingewiesen wird sowie auf den vermeintlichen Nutzen, den diese aus dem rassistischen System ziehen, bleiben die Handelnden als „Mitte der Gesellschaft“ dennoch im Dunkeln.
„Rasse(n)“ – Zur Konstruktion Medial und politisch wird offener Rassismus, sei es anhand von kulturellen Stereotypen oder biologistischen Zuschreibungen, in Österreich regelmäßig aufgefrischt. So weist etwa die Plakatserie der FPÖ (2010) mit Heinz Christian Strache als wiederkehrenden, inhaltlich provokativen Blickfang auf die Gefahr von Differenz und die Einheit bzw. Reinheit des „Österreichischen“ hin. Der Spruch „Mehr Mut für unser ,Wiener Blut‘ – Zu viel Fremdes tut niemandem gut“ 8 verdeutlicht die der FPÖ inhärente Botschaft, dass Vermischung und Fremdes negative Auswirkungen haben und „das Eigene“ gestärkt werden soll. Der Verweis auf den biologischen Unterschied „unser Blut“ im Gegensatz zu „deren Blut“ aktiviert zudem einen in Österreich bereits lange anhaltenden Diskurs zu „Rasse“. Die Begriffsgeschichte(n) von „Rasse“ und „Rassismus“ zeigen, dass in der europäischen Theorienlandschaft der Fokus seit den 1980ern zunehmend von biologischen Kriterien auf kulturelle Aspekte verschoben wurde. In der Anthropologie gab es eine Reihe von begrifflichen Schärfungen und Weiterentwicklungen, die in der Folge dargelegt werden. Die Begriffe „Rasse“ und „Race“ haben unterschiedliche Geschichten und Bedeutungen, stehen jedoch beide am Beginn jeder tiefer gehenden Auseinandersetzung mit Rassismus. „Unbestritten ist die Herkunft von Rasse aus romanischen Sprachen – spanisch „raza“, portugiesisch „raca“, italienisch „razza“, französisch „race“ – , von dort wurde der Begriff ins Englische und Deutsche übernommen. Alle weiteren Ableitungen sind umstrittene Hypothesen.“ (Geiss 1995: 92)
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Es handelt sich bei dem zitierten Slogan umd die Plakatkampagne der FPÖ zur Wien-Wahl mit dem Hauptprotagonisten Heinz-Christian Strache im August 2010.
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Nach der Erfindung der „Rassen“ (1684 von François Bernier) in Zeiten der europäischen Expansion und der Etablierung von „Rassen“konstruktionen verschiedener Art wurde dieses Konzept fast ein Jahrhundert danach für Einteilungszwecke, Hierarchien und Strukturen instrumentalisiert, die bald auch eine Weltordnung schufen. Dazu trug vor allem auch Carl von Linné mit seiner „Systema Naturae“ (1735) bei, da er im Gegensatz zu Bernier den „Rassen“ auch Eigenschaften und moralische Werte zuschrieb. „Linné hielt die weiße Rasse für schöpferisch, erfinderisch, ordentlich und von Gesetzen regiert […] im Gegensatz dazu waren die Neger mit allen negativen Eigenschaften begabt […] Sie wurden für faul, unaufrichtig und für unfähig gehalten, sich selbst zu regieren.“ (Mosse 1990: 45)
Ein mehrheitlicher Anteil der Wissenschaftler_innen aller Disziplinen ist sich derzeit darüber einig, dass der Homo sapiens nicht in sogenannte „Menschenrassen“ unterteilbar ist, da die für diese Unterteilung nötigen nachweisbaren biologischen Kriterien nicht gegeben sind. Daher entbehrt der Begriff im deutschsprachigen Raum und in Bezug auf Menschen (im Unterschied zur Tierwelt) jeglichen Wahrheitsgehalts. Dagegen ist „race“ im englischsprachigen Raum als Begriff gegenwärtiger, allerdings bezeichnet und impliziert er bereits den Aspekt der sozialen Konstruktion und die dem Begriff inhärenten Machtverhältnisse. Mukhopadhyay et al. erfassen diesen Umstand wie folgt: „[...] races are not biologically real but are cultural and social inventions created in specific cultural, historical, and political contexts“ (Mukhopadhyay et al. 2007: 1). Dabei wird die Verwendung dieses Begriffs auch innerhalb der USA stark differiert und ist zudem einem steten Veränderungsprozess unterworfen. Immer mehr Wissenschaftler_innen im englischsprachigen Raum plädieren mittlerweile jedoch ebenso gegen die Verwendung des Terminus „race“, da dieser immer wieder zu Verwirrung geführt hat und führt: „Historically it has referred to everything from one’s nationality, religion, ancestry, regional identification, or class status to biological subcategories within a species.“ (Mukhopadhyay et al. 2007: 1)
Die Mitverantwortung an der Konstruktion und sozialen Praxis der Distinktion von „Rassen“ und „races“ liegt sowohl in der Geschichte der Human-
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als auch der Sozial- und Kulturanthropologie und wurde viele Jahre nicht entsprechend aufgearbeitet und thematisiert. 9 „Anthropology, as a discipline, and cultural and biological anthropology, as subdisciplines, also participated actively in subsequent challenges to the racial worldview, collaborating to dismantle the very ideological edifice we helped create. These seemingly contradictory trends in anthropology, of course, reflect our immersion, like all scientific disciplines, in the debates and cultural ideologies of particular historical periods.“ (Mukhopadhyay 1997: 517)
Auch wenn Gingrich (2004) das Verschwinden des Begriffes „Rasse“ in deutschsprachigen Kontexten seit 1945 erkennt, ist „Rasse“ im Alltagsgebrauch in Österreich in Bezug auf Menschen längst nicht verschwunden.
AUSGANGSPUNKTE DER LINGUISTISCHEN ANTHROPOLOGIE Die theoretische Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang zwischen Sprache, Denken und Wirklichkeit geht auf Ansätze der anthropologischen Linguistik, geprägt durch dessen Hauptvertreter Franz Boas (1940), Edward Sapir (1972) und Benjamin Lee Whorf (1963), zurück. Allessandro Duranti (2003: 324) identifiziert in den Schwerpunkten der damaligen Forschungen ein erstes Paradigma 10 der anthropologischen Auseinandersetzung mit Sprache und Sprechen, in denen Grammatik, Vokabular und die Klassifikation von Sprachen unterschiedlicher Gesellschaften im Vordergrund stand (Duranti 2003: 326). Boas (1940) spricht in seiner Theorie (die vereinfacht ausgedrückt besagt, dass Denken die Sprache beeinflusst) allen Kulturen dieselbe kognitive Leistungsfähigkeit zu. Aus seinen Forschungen schloss er überdies, dass die Wahrnehmung von Wirklichkeit letztlich immer
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Eine aktuelle Diskussion die gegen die Dichotomie zwischen Sozialanthropologie und physikalische Anthropologie anschreibt, findet sich in dem Sammelband von Tim Ingold und Gisli Pallson (2013) „Biosocial Becomings“.
10 Zur Verwendung des Begriffes „Paradigma“ durch Duranti: „As I use the term here, paradigm is historically bound […] but not necessarily die out when a new one appears.“ (Duranti 2003: 323)
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grundlegend von der Sprache abhängt. Durch die Verwendung unterschiedlicher Sprachen kommt es demnach auch zu unterschiedlichen Betrachtungen der Welt. Ist es bei Franz Boas noch das Denken, das die Sprache beeinflusst, weshalb die Kultur nicht durch die Form ihrer Sprache eingegrenzt werden kann, so formulierte Edward Sapir (1972) die Hypothese, dass die Denkprozesse des Menschen durch die Eigenheiten der (jeweils verwendeten) Sprache wesentlich strukturiert werden. Demzufolge sind die Denkweisen und Einstellungen von Gesellschaften die Resultate von spezifischen (jeweils angewendeten) Sprechweisen. Benjamin Lee Whorf (1963) erweiterte diese Theorie und formulierte die These, dass sogar die grundlegendsten Begriffe der Menschen, wie Raum oder Zeit, von der verwendeten Sprache abgeleitet sind und so Sprache das Denken determiniert und nicht umgekehrt. Die linguistische Relativitätstheorie (Whorf 1963) geht davon aus, dass jede Sprache spezifische, ihr zugrunde liegende Elemente aufweist, die nicht in andere Sprachen übertragbar sind. Jede Sprache entwickelt in diesem Sinne eine ihr eigene Konstruktion von Wirklichkeit. 11 Diese Ansicht wurde später jedoch scharf kritisiert. So wendete Maurice Bloch ein, dass die Schranken der Sprache keineswegs auch die Grenzen des Denkens und der Vernunft darstellen, also kann Sprache nicht als ultimativer Ausdruck des Bewusstseins betrachtet werden. Maurice Bloch (1994) hält fest, dass Sprache nicht unwesentlich ist, jedoch ein wichtiger Teil von Kultur nicht linguistisch erlernt wird. Sprache und Begrifflichkeiten sind zwar relevant für das Denken von Lebenswelten, jedoch nicht ausschließlich für diese verantwortlich. Somit kann davon ausgegangen werden, dass Sprache, Denken und Handeln einander nicht eindirektional, sondern wechselseitig beeinflussen. Dies ist insbesondere auch für die hier diskutierten Themen des Herstellens von Differenz und Rassismus von entscheidender Bedeutung. Im zweiten Paradigma der linguistischen Anthropologie „[…] most researchers were busy identifying ways in which language use was culturally organized across social situations“ (Duranti 2003: 329). Es wurde nach
11 Maurice Bloch (1994) kritisiert hieran beispielsweise, dass Kultur nicht untrennbar mit Sprache verbunden ist. Ihm zufolge setzt sich Kultur in erster Linie aus erworbenem Wissen zusammen.
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identifizierbaren Mustern von Sprechakten und Sprachgemeinschaften gesucht, Ethnographien der Kommunikation durchgeführt (Hymes 1979) und soziale Dialekte und linguistischen Varianten (Ferguson/Gumperz 1960) erforscht. In das Dritte von Duranti (2003) beschriebene Paradigma reiht sich auch diese Studie ein, indem die Rolle der Sprache, des Sprechens und der Kommunikation in erster Linie in ihrem sozialen Umfeld und der sozialen Praxis analysiert wird. Die Ziele dieser Forschungen definiert Duranti folgendermaßen: „[…] the use of linguistic practices to document and analyze the reproduction and transformation of persons, institutions, and communities across space and time.“ (Duranti 2003: 333)
Unabhängig davon ob das Denken die Sprache beeinflusst oder umgekehrt, galt es in der Zusammenführung sozialanthropologischer und diskursanalytischer Methoden also zu hinterfragen und zu analysieren, wie auch andere Faktoren Einfluss auf den Zusammenhang zwischen Macht, Sprache, Denken und Handeln nehmen. Für Judith Irvine (1982; 1990) stehen beispielsweise die kulturellen Unterschiede des sprachlichen Ausdrucks von Emotionen – sie spricht von Affekt – bei der Analyse von Sprachverhalten im Vordergrund. In ihren Untersuchungen verdeutlicht sie, dass es in der Wahl und Möglichkeit der Ausdrucksweise von der sozialen Stellung der Sprecher_innen abhängen kann, ob bestimmte Ausdrucksweisen als angemessen wahrgenommen werden oder nicht (Irvine 1982). 12 Eine andere Möglichkeit, Sprachverhalten in einer Gesellschaft einzuordnen bzw. zu erfassen, stellt das durch Marcyliena Morgan (2004) reformulierte Konzept der Speech Community dar. Wie bereits angedeutet wurde, widmet sich dieser Ansatz dem Studium dessen, was Sprecher_innen im
12 Allerdings geht sie in „Shadow Conversations“ (1996) auch davon aus, dass in den 1980er-Jahren zu einseitig versucht wurde, Sprachverhalten und Diskurse aufzusplitten, um sie erfassbarer zu machen. Laut Irvine ist dies ein „Fass ohne Boden“, das Analysen fast unmöglich macht, da es ohnehin nie möglich ist, alles zu erfassen — so wie zum Beispiel Levinson (1983) den Sprechakt in 17 verschiedene Motive aufgedröselt hat.
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Kontext ihres alltäglichen Lebens mit Worten tun bzw. nicht tun können. 13 Marcyliena Morgan (2004) geht von dem soziopolitischen Standpunkt aus, dass eine Gruppe, die eine Sprachgemeinschaft darstellt, die Möglichkeit hat, die Identitäten, Zugehörigkeiten und Staatsbürger_innenschaften von Sprecher_innen zu definieren. Eine Sprachgemeinschaft ist laut Morgan (2004) über die Zirkulation der Diskurse und die Wiederholungen von Taten, Vorstellungen und Bewertungen der Themen, die permanent durch deren Mitglieder diskutiert, evaluiert, bestätigt, rekonstruiert und (selten) transformiert werden, erkennbar. Das bedeutet aber nicht gleichzeitig die Einigkeit der Mitglieder über die jeweiligen Themen. Derartige Auseinandersetzungen machen sichtbar, dass Sprache und in weiterer Folge Diskursstränge das Denken und Handeln von Menschen prägen und zu einer Vorstellung von lebensweltlichen Wirklichkeiten führen. Diese Diskurse sind aber auch maßgeblich an der Frage beteiligt, wie Zugehörigkeiten definiert, Grenzen konstruiert oder inwiefern multiple Zugehörigkeiten anerkannt werden. Dies weist bereits auf die gesellschaftspolitisch höchst brisante Fragestellung hin, wie Differenz eine Möglichkeit des Ausdrucks finden kann, ohne mit Kulturalisierungen einherzugehen. Sprache bildet ein starkes Medium, um Strukturen zu festigen und symbolische Bedeutungen zu prägen. Sie hat Anteil an kulturalistischen und rassistischen Konstitutionsprozessen von Wirklichkeit. Dabei findet häufig eine Unterschätzung alltäglicher (rassistischer) Aussagen von Individuen statt, obgleich diese durchaus Repräsentationswert in der Gesellschaft haben; das heißt, die Aussagen sind tatsächlich meinungsbildend, werden übernommen und perpetuiert (Butler 1997; Fairclaugh/Wodak 1997; Reisigl/Wodak 2001; Jäger 2004; Link 1983). Alltagsdiskurse sind demnach
13 Argumentationen bezogen auf Speech Communities betreffen zwei unterschiedliche Perspektiven bzw. Definitionen von den Begriffen „Sprache“ und „Diskurs“. Die erste stellt auf die Analyse und Beschreibung von linguistischen, semantischen und dialogorientierten Funktionen ab, die von einer Gruppe gesammelt werden und dadurch Indikatoren für eine Speech Community sein sollen. Die zweite Perspektive betrachtet indessen die Beziehung zwischen Sprache, Diskurs und Repräsentation (Hall 1996; Foucault 1969, 1976, 2001). Obwohl sich diese beiden Perspektiven ergänzen können, stehen sie oft im Widerstreit miteinander.
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prägend für die vorhandenen Annahmen, Meinungen und Emotionen, vor allem aber beeinflussen sie Vorurteile und strukturelle Ungleichheiten in der Gesellschaft. So bestehen beispielsweise wesentliche Zusammenhänge zwischen den in der österreichischen Gesellschaft gängigen Alltagsdiskursen über Rassismus in der so genannten „Mehrheitsgesellschaft“, den dadurch entstehenden strukturellen Bedingungen und den damit verbundenen realen Auswirkungen auf von Rassismus Betroffene.
AUS DER M ITTE : M EHRHEIT – MAJORISIERT – ETABLIERT Der Ausgangspunkt dieses Buches besteht darin, dass Rassismus auf der Ebene der sozialen Praxis kein Phänomen ist, das nur am Rande der Gesellschaft in bestimmten markierten Problemzonen auftritt, sondern einen „normalen“ und normierenden Bestandteil der Mehrheitsgesellschaft darstellt. Rassistische Denk- und Handlungsweisen werden dieser These nach innerhalb der Mitte einer Gesellschaft perpetuiert und reproduziert. Demgemäß wird der Blick auf ausgewählte Bereiche der „Mitte“ unserer Gesellschaft gerichtet, um dort das „legitime Herstellen von Differenz und Subordination“ darzulegen. Am Beginn der vorliegenden Studie stand die Idee, die Mehrheitsgesellschaft in Österreich in den Blick zu nehmen. Trotz und eben wegen meiner eigenen Involviertheit in genau diese Gesellschaft als Teil einer in dieser Forschung genannten „etablierten Mehrheit“ war eine Auseinandersetzung mit dieser Begrifflichkeit erforderlich. Mit dem Begriff „etabliert“ werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer lokalen Aufenthaltsdauer (zumeist über Generationen) eine Legitimation im Bereich von Zugehörigkeit beanspruchen und diese so gut wie selbstverständlich zugestanden bekommen. Mitglieder „etablierter Gruppen“ sind demnach (so wie auch zumeist ihre Vorfahren) in Österreich geboren und besitzen eine österreichische Staatsbürger_innenschaft. Über diesen längeren Zeitraum der Aufenthaltsdauer formieren sich bewusst und unbewusst Regeln und Normen, die von den Gruppenmitgliedern zumeist gekannt und eingehalten werden. Normbrüche passieren indes mit Absicht und werden auch sanktioniert. Neues bedroht i. d. R. vorhandene, etablierte Strukturen und stellt diese in Frage, was die Ursache für das Blockieren
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von Transformationen des bisherigen Gefüges sein kann. Die Bezeichnung „etablierte Gruppen“ soll indessen keine Schichtzugehörigkeit verschleiern oder unterschiedliche Positioniertheiten und Hierarchien im Bereich von Entscheidungsfindungen und Mitspracherecht in der Mehrheit leugnen, denn auch zugezogene Mehrheitsösterreicher_innen aus anderen Bundesländern können von diesen etablierten Gruppen ausgeschlossen sein, oder reiche Zugewanderte können rasch Zugang zu etablierten Gruppen finden. Seit einigen Jahrzehnten beobachten die Sozial- und Kulturwissenschaften ein zunehmendes Verschwimmen urbaner und ruraler Räume bzw. Lebensweisen (Borsdorf 2006; Sieverts 2001; Pohl 2009; Andexlinger et al. 2005). Nichtsdestoweniger sind gewisse historisch gewachsene Sozial- und Wirtschaftsstrukturen nach wie vor aufrecht. Darüber hinaus spielen bipolare Begriffspaare wie „Stadt“ und „Land“ nach wie vor eine wesentliche Rolle in der (politischen und medialen) Repräsentation und Strukturierung unseres Gesellschaftssystems. Auch in Bezug auf den Begriff der etablierten Gruppen sind gegenwärtig noch wesentliche Unterschiede zwischen „Stadt“ und „Land“ auszumachen. So unterscheiden sich etablierte Gruppen in ruralen Gebieten u. a. deshalb von urbanen, als der territoriale Besitzanspruch 14 (Grundbesitz) oft aufgrund von Vererbung (und teilweisen Veräußerungsverboten) den etablierten Gruppenmitgliedern über Generationen hinweg gesichert wird. Etablierte Gruppen entsprechen jedoch nicht unbedingt der Mehrheitsgesellschaft, denn „[m]ajorities are made, not born“, meint Dru C. Gladney (1998: 1) in den einleitenden Worten zu seinem Sammelband „Making and Marking Majorities“. Im Sinne von Andersons Imagined Communities (1998) meint Gladney, dass ebenso wie die Nation auch die Bedeutung von Majority eine vorgestellte und imaginierte ist und außerdem die Beschäftigung damit ein relativ neues Phänomen darstellt (Gladney 1998: 2). In der Sozial- und Kulturanthropologie wurde zwar ausgiebig diskutiert und kritisiert, dass während Mehrheiten in ihrer Differenz wahrgenommen werden, im Gegensatz dazu Minderheiten auf ihre Kultur fokussiert und homogen beschrieben werden (Caglar 1991). Trotzdem fand selbst in diesen Diskursen wiederum eine Homogenisierung der Mehrheit statt. Die jeder Mehrheit innewohnende Heterogenität und Konstruiertheit wurde in der
14 Territoriale Ansprüche werden auch über Beschreibungen „unserer Landschaft“ oder „unsere schönen Berge“ verdeutlicht.
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Theorie nicht in jener Deutlichkeit benannt, die in Folge im Hinblick auf Minderheiten vorausgesetzt worden war. Bestimmten Gruppen innerhalb der Mehrheit werden gewisse Charakteristika zugeschrieben. Dies sind Zuschreibungen, die über die Gemeinsamkeit der Privilegien aufgrund der vorgestellten Staatsbürger_innenschaft über Generationen hinausgehen. „Both minorities and majorities are socially constructed, contingent, and, above all, never homogeneous. Anthropological knowledge will never unproblematically represent ‚the‘ majority or minority position. Our work will always offend, contradict, or hurt some people, even some of those whose cause we believe is just.“ (Handler 1998: 263)
Versteht man majorisierte ebenso wie minorisierte 15 Gruppen grundsätzlich als konstruiert, darf dennoch der Blick auf bestehende Machtrelationen nicht verloren gehen, denn die Frage, ob eine Gruppe minorisiert oder majorisiert wird, hat sehr differente Auswirkungen auf deren Mitglieder. In wissenschaftlichen Studien dürfen daher die sozialen Unterscheidungskategorien nicht übersehen werden, die quer über minorisierte und majorisierte Gruppen hinweg wirksam sind. Ethnische Zugehörigkeit, soziale Schicht, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter usw. sind relevante Achsen, entlang derer die Gesellschaft insgesamt und hierarchisch strukturiert ist. Eine Interviewpartnerin hat dies sehr treffend beschrieben: „In Wien stehst an der untersten Stufe, wennst a lesbische, afrikanische Frau mit Behinderung bist. An der obersten Stelle bist, wennst a junger, männlicher, erfolgreicher Kärntner bist. Des stimmt zwoa, oba trotzdem wär des zu einfach, zu sagen, weil einfach die Diskriminierungsmechanismen unterschiedlich sind.“ (Sonja, B)
15 Minorisierte Gruppen bezeichnen ethnische, religiöse oder sexuelle Gemeinschaften, die häufig als stabil und unveränderbar konstruiert werden und deren (un-)freiwillige Mitglieder strukturell benachteiligt sind. Die Mitglieder dieser Gruppen teilen Erfahrungen und Wissen aufgrund von gemeinsamen gewählten oder zugeschriebenen Zugehörigkeiten, teilen aber weder eine homogene Weltanschauung noch eine stabile, von Kontinuität getragene „Kultur“.
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MacDonald (1997: 11) meint, dass es der Erforschung der Identitäten von majorisierten Gruppen bedarf, um minorisierte Gruppen besser zu verstehen. Verkuyten weist acht Jahre später jedoch auf die Gefahr hin, damit einen Dualismus zwischen Mehrheit und Minderheit zu konstruieren, der wiederum die Diversität innerhalb von minorisierten und majorisierten Gruppen verleugnet (Verkuyten 2005: 67). „Hence, it is important to examine the subject positions from which majority and minority group members can take up different stances on the issue of ethnic discrimination in society.“ (Verkuyten 2005: 68)
Auch diese Publikation erhebt durch die Forschung zu etablierten Gruppen aus der Mitte der Gesellschaft den Anspruch, sich in die Arbeiten zur so genannten Mehrheitsgesellschaft einzureihen. Autor_innen wie Marianne Gullestad (2007) und T. H. Eriksen (2007) geben zu bedenken, dass es nach wie vor von hoher Relevanz ist, Mehrheiten zu erforschen, wobei gerade Eriksen nachdrücklich auf deren Konstruiertheit und Flüchtigkeit hinweist. „Groups exist from a certain point of view, but from another point of view they vanish“ (Eriksen 2007: 1060).
K ONSTITUTION DER BEZIEHUNGSNETZE ÜBER S PEECH C OMMUNITIES Im Folgenden wird das in den 1930er-Jahren von Bloomfield entworfene und von Marcyliena Morgan 16 (2004) weiterentwickelte Konzept der Speech Community genauer erläutert und für das vorliegende Projekt adaptiert, um die drei beforschten Beziehungsnetze auch als Sprachgemeinschaften fassbar zu machen. Der Ansatz der Speech Community war in den letzten 70 Jahren häufigen Veränderungen unterworfen. Die anfängliche Definition lautete: „A group of people who use the same set of speech signals is a speech commu-
16 Marcyliena Morgan ist Professor of African and African American Studies an der Harvard University. Sie arbeitet im Bereich der linguistischen Anthropologie zu den Feldern „Kommunikationsethnografien“, „Sprachgemeinschaften“ und „Sprache im Kontext von Identität und Ideologie“.
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nity“ (Bloomfield 1933: 29). Der US-amerikanische Linguist William Labov, der sich intensiv mit Sprachwandel und Sprachvariation befasste, bestimmte den Begriff der Speech Communities 40 Jahre später folgendermaßen: „A speech community cannot be conceived as a group of speakers who all use the same forms; it is best defined as a group who share the same norms in regard to language.“ (Labov 1972: 158). Damit wird dieses Konzept vor allem in dem Spannungsfeld diskutiert, ob sich die Speech Community eher über Gemeinsamkeiten in der Gruppe oder über die gleiche Art, zu sprechen, definiert. Nach Morgans Definition (2004) konzentriert sich das Konzept der Speech Community jedoch nicht einfach nur auf Gruppen, die dieselbe Sprache sprechen: „Rather, the concept takes as fact that language represents, embodies, constructs, and constitutes meaningful participation in a society and culture. It also assumes that a mutually intelligible symbolic and ideological communicative system must be at play among those who share knowledge and practices about how one is meaningful across social contexts.“ (Morgan 2004: 3)
Jeder Mensch agiert in mehreren Speech Communities und variiert seine Auswahl der Begriffe und seine Art, zu sprechen, je nach Umfeld und Thema. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht nur, wie gesprochen wird (mit welcher Auswahl von Wörtern), sondern auch die Reaktion auf die getätigten Aussagen. Morgans Konzept der Speech Communities ist für die vorliegenden Ausführungen insofern zentral, als es für die Interpretation und Repräsentation von Gesellschaften und (Gesprächs-)Situationen, die von Diversität sowie gesellschaftlichen, technologischen und politischen Veränderungen geprägt sind, geeignet ist. Das Einbeziehen des Ansatzes der Speech Communities ist für das Verstehen von menschlicher Sprache und Meinungsbildung unabdingbar, da eine Speech Community ein Produkt einer anhaltenden Interaktion zwischen Menschen ist. Diese Interaktion vollzieht sich mittels der Kommunikation geteilter Glaubensvorstellungen und Wertesysteme in Bezug auf Kultur, Gesellschaft und Geschichte. Speech Communities konstituieren die grundsätzlichen Prinzipien des menschlichen Kontakts sowie die Relevanz von Sprache, Diskurs und verbalen Stilen in der Repräsentation und Bewältigung von Beziehungen, die (darauf) folgen.
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Innerhalb einer Speech Community werden Identität, Ideologie und Handlungskraft bzw. -möglichkeit hergestellt (Buchholtz/Hall 2004; Kroskrity 2004; Duranti 2004). Anders ausgedrückt werden Identität, Ideologien und Machtverteilungen durch die und innerhalb der Speech Community realisiert und aktualisiert. Obwohl es sehr viele soziale und politische Formen von Speech Communities gibt, ist eine von anderen Speech Communities durch eine Art von kollektivem Bewusstsein unterscheidbar. Dabei arbeitet das Konzept der Speech Communities keineswegs abgekoppelt von anderen linguistischen Theorien. Ganz im Gegenteil: „[...] the concept of speech community often incorporates shifts in attitudes and usage and that the notion of language that binds it is constructed around several major theories regarding language as a social construct. They include: language and representation, language and diversity, attitudes toward language use, and language and power.“ (Morgan 2004: 5)
Menschen können einer Speech Community angehören, wenn sie in derselben Art und Weise sprechen, das bedeutet auch, dass sich die Mitglieder einer Speech Community nicht zwingend kennen müssen. Speech Communities müssen laut Morgan auch nicht sprachlich unterscheidbar sein, sondern können über Politik, Kultur, soziale Bedingungen, Normen und/oder Verhalten in der Sprache geprägt und konstruiert sein (Morgan 2004: 6). Die linguistische Anthropologie widmet sich in diesem Zusammenhang dem Studium, was Sprecher_innen im Kontext ihres alltäglichen Lebens mit Worten tun bzw. nicht tun können, und geht von dem soziopolitischen Standpunkt aus, dass eine Sprachgemeinschaft die Möglichkeit hat, die Identitäten und Zugehörigkeiten ihrer Sprecher_innen zu definieren. Somit ist es relevant, welche konkreten Einflussmöglichkeiten die Sprecher_innen im Alltagsleben haben und ob sie in diesem Zusammenhang aus soziopolitischer Sicht in der Lage sind, Gruppierungen über Sprache zu definieren. Die Mitglieder einer Gemeinschaft werden dabei als Insiders oder Outsiders definiert oder können sich als solche auch am Rand einer Speech Community befinden bzw. als Verbindungsglied zu einer anderen Speech Community fungieren (Morgan 2004: 16.ff). Eine eindeutige Zuordnung von Sprecher_innen zu einer Speech Community ist nicht möglich, sondern die Speech Community ist in dieser Studie eine Gruppe, die an der richtigen, korrekten Sprache zweifelt, danach sucht
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oder geschlossen zu Themen schweigt oder lacht oder sich auch ähnlich bis gleich äußert. In Bezug auf die analysierten Beziehungsnetze ist zu betonen, dass sich die Personen aus diesen in unterschiedlichen Speech Communities zugleich befanden. Anders gesagt sind zahlreiche unterschiedliche Speech Communities vorhanden und je nach Situation passen sich die Personen mehr oder weniger an diese an – je nachdem wie ihr eigenes Wertesystem zu bestimmten Zeitpunkten darin Platz findet oder eben nicht. Es wird gezeigt, wie die vorgestellte kollektive Identität einer Speech Community über die Abgrenzung zu anderen, als different wahrgenommenen realen oder imaginierten Gruppen stattfindet. Weiters sind gemeinsam wirkende soziopolitische Standpunkte stark von den hierarchisch unterschiedlich positionierten Sprecher_innen abhängig.
S OZIALES K APITAL IN DEN BEZIEHUNGSNETZEN ETABLIERTEN G RUPPEN
VON
Die sozialen Netzwerke, die in Folge beschrieben werden, stellen eine (unscharf) abgegrenzte Menge von Personen dar, die über (soziale) Beziehungen unterschiedlicher Art miteinander verbunden sind. Die Mitglieder in diesen Netzwerken sind sowohl durch strong ties als auch durch weak ties (Granovetter 1973) miteinander verbunden. Einerseits verbinden manche Personen sogenannte schwache Beziehungen, da sie nur Bekannte sind, die keine starken Verbindlichkeiten eingehen, aber andererseits z. B. im Rahmen eines Vereins einen intensiven Informationsaustausch betreiben. Diese Beziehungen sind sehr offen, können Brücken bilden bzw. Kontakte herstellen und verändern sich ständig. Aber auch diese schwachen Bindungen zwischen Menschen haben starke Auswirkungen, wie der amerikanische Soziologe Mark Granovetter (1973) in seinem Artikel „The strength of weak ties“ beschreibt. In der vorliegenden Studie wird keine Netzwerkanalyse als Untersuchung von Beziehungsmustern (Lang 1997) durchgeführt, da das zentrale Forschungsinteresse nicht darin besteht, „soziale Beziehungen innerhalb einer abgegrenzten Gruppe oder das Netzwerk eines einzelnen Individuums“ (ebd.: 2) zu erforschen. Es werden keine Beziehungen innerhalb der Netzwerke analysiert, sondern Zuschreibungen im Sinne von „das Fremde“ und
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„das Eigene“ und Herstellungsmechanismen von Differenz und Rassismus durch Angehörige einer Gruppe, die auf unterschiedliche Art miteinander verbunden sind. „Das Beziehungsnetz ist das Produkt individueller oder kollektiver Investitionsstrategien, die bewusst oder unbewusst auf die Schaffung und Erhaltung von sozialen Beziehungen gerichtet sind, die früher oder später einen unmittelbaren Nutzen versprechen.“ (Bourdieu 1983: 192)
Im Gegensatz zu Granovetter betont Bourdieu in seinem gesellschaftstheoretischen Ansatz stärker die Relevanz enger sozialer Beziehungen für das Akquirieren von sozialem Kapital, da sich Verpflichtungsgefühle positiv auf die Reziprozität von Kapital auswirken. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe definiert sich, wie Pierre Bourdieu (1992) es ausführt, über das soziale und das symbolische Kapital von Personen, das etwa über Anerkennung angesammelt werden kann. Diese Anerkennung wird den jeweiligen Personen nicht nur aufgrund ihrer gewählten Worte zuteil, sondern auch aufgrund der Reaktionen auf diese (beispielsweise wird über sexistische oder rassistische Witze gelacht oder mit Empörung reagiert bzw. mit betretenem Schweigen oder Ignorieren). Bourdieu definiert jedes Sprachsystem zugleich als Mittel des Ausdrucks und der Zensur (ebd.: 19). Soziale Netzwerke oder Beziehungsnetze meinen im Kontext der vorliegenden Forschung lockere Formen von Beziehungen mit flachen Hierarchien, die beruflich, freizeittechnisch und emotional verankerte Gruppierungen einer Sprache und Sprechweise sind, jedoch unterschiedliche Dialekte und inhaltliche Wertesysteme betreffen. Diese Kooperationen beinhalten auch persönliche Vorteile, die durch den Begriff des „sozialen Kapitals“ von Bourdieu erklärbar gemacht werden können. Soziales Kapital beschreibt laut Bourdieu die Zugehörigkeit zu einer Gruppe (im Zusammenhang mit Bestätigung) als dauerhaftes Netz, „von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens“ (Bourdieu ebd.: 63). Dabei werden Struktur und Handlung sowohl in Bourdieus praxeologischem Ansatz als auch in dieser Forschung als konstitutiv für die Praxis verstanden, denn durch ihre Einbindung in solche Beziehungsnetze können Individuen auf deren Unterstützung und Ressourcen zurückgreifen.
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Eines seiner zentralsten und wohl das bekannteste seiner diesbezüglichen Konzepte ist das des Habitus: „[…] in den ‚Eigenschaften‘ und Objektivationen von ‚Eigentum‘, mit denen sich die Einzelnen wie die Gruppen umgeben […] ist Systematik nur, weil sie in der ursprünglichen synthetischen Einheit des Habitus vorliegt, dem einheitsstiftenden Erzeugungsprinzip aller Formen von Praxis.“ (Bourdieu 1987: 283)
Der Habitus ist ein Produkt gesellschaftlicher Sozialisation und beruht auf den Erfahrungen des Individuums. Anders ausgedrückt: „Als einverleibte, zur Natur gewordene und damit als solche vergessene Geschichte ist der Habitus wirkende Präsenz der gesamten Vergangenheit, die ihn erzeugt hat“ (ebd.: 105). Nach Bourdieu bildet die Sprache einen Teil des Habitus und stellt eine Handlung dar, die im Kontext der sozialen Herkunft betrachtet werden muss (Bourdieu 1990) 17. Im Kontext von Sprache hat aber auch das soziale Feld Bedeutung, denn es entspricht dem sprachlichen Markt, auf dem sich die Beziehungen zwischen den Gesprächsteilnehmer_innen, die die Mittel der Grammatik und Stilistik einsetzen, definieren (Bourdieu 1990). Jede (nicht nur sprachliche) Handlung ist „ökonomisch“ ausgerichtet und zielt auf die Maximierung materiellen oder symbolischen Gewinns ab. Dieser Gewinn drückt sich auch durch das Kapital aus, das nach Bourdieus Definition ökonomisch, kulturell, sozial und symbolisch sein kann. Die Sprache als Teil des Habitus wird daher bei Bourdieu und so auch in dieser Studie auf ihre sozialen Funktionen hin untersucht. Außerdem ist Sprache ein Symbol von Herrschaft, das als Teil des Habitus in der Sozialisation des Individuums verinnerlicht wird (ebd: 71ff.). In seinem Werk „Was heißt Sprechen?“ 18 (1990) definiert er die Sprache als sozial umkämpft. Dabei ist es für ihn entscheidend, wer aus welcher Position heraus (mit welchem Status) etwas sagt, denn Inhalte werden nur
17 Den Zusammenhang zwischen Sprache und Macht erklärt Bourdieu mit theoretischen Bezugnahmen auf die Autoren Karl Marx, Émile Durkheim und Claude Lévi-Strauss. 18 In diesem Buch untersucht Bourdieu u.a. den Gebrauch der „Hochsprache“ als Ausdruck der Zugehörigkeit zur sozialen und politischen Elite sowie der Distanz zu den „Beherrschten“.
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durch die soziale Macht legitimiert. Somit bezieht die Sprache ihre Wirkung und ihre Macht von außen, da nicht der Inhalt selbst entscheidend für die konkrete Machtwirkung ist. Viel ausschlaggebender dafür ist, durch welche (soziale) Institution oder durch welchen sozialen Status sie Rückhalt bekommt – oder eben ob die Reaktion des jeweiligen Gegenübers den Status des Sprechenden durch Bejahung des Gesprochenen bestätigt oder nicht. Demzufolge ist die Sprache nicht nur Ausdruck eines gewissen Status, sondern ein inhärenter Teil von dessen Herstellung. Im Fall dieser Forschung handelt es sich um drei Beziehungsnetze, deren sozial-institutioneller Kitt zum ersten ein Sportverein, zum zweiten eine NGO und zum dritten eine Bar bilden. Innerhalb dieser Beziehungsnetze sind die beteiligten Personen sowohl durch ideologische als auch durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden. Durch das Leisten permanenter „Beziehungsarbeit“ wird das Kapital erhalten bzw. erweitert (Bourdieu 1992: 66f.). Abgesehen vom Versuch der (un-/bewussten) Anhäufung von sozialem Kapital innerhalb eines solchen Beziehungsnetzes ist davon auszugehen, dass eine Positionierung in einem Beziehungsnetz immer nur einen Teilaspekt der Identität der Akteur_innen darstellt. Das heißt, dass die interviewten Personen ihre (Gesamt-)Identität durch multiple und kontradiktorische Subjektpositionen (Strasser 2003: 45-46) bilden. Auch in den Interviews wurde wiederholt sichtbar, dass die Personen sowohl hegemoniale und minoritäre Positionen simultan einnehmen als auch über unterschiedliche Kategorien, wie ethnische, soziale und geografische Herkunft, Religion, gesellschaftliche Positionierung und Geschlechterbeziehungen, identifizierbar sind. Soziales Kapital entsteht durch die Einbindung in Beziehungsnetze, aber auch durch das Verhalten und durch Positionierungen innerhalb der entsprechenden Beziehungsnetze. Daraus ergeben sich wiederum Ressourcen und Status bzw. auch negative Elemente, wie Normen oder der Einschluss in ein Beziehungsnetz bzw. der Ausschluss von einem Beziehungsnetz und damit von sozialem Kapital. Das aus diesen Kooperationen entstehende Kapital nützt Einzelnen und auch dem Kollektiv, kann aber bei nicht konformem Verhalten verloren werden.
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Die Theorie zum sozialen und symbolischen Kapital ermöglicht es, den Nutzen zu erfassen, den Personen innerhalb eines Beziehungsnetzs aus deren Beziehungen ziehen, und wird in der vorliegenden Studie innerhalb der Speech Communities und der Positionierung Einzelner in diesem Feld relevant sein.
Die untersuchten Beziehungsnetze
B EZIEHUNGSNETZ A – S PORTVEREIN Beziehungsnetz A besteht aus Mitgliedern eines Wiener Sportvereins. Dieses Beziehungsnetz wurde aus mehreren Gründen für die Analyse ausgewählt. Zunächst war es wichtig, ein Beziehungsnetz von Personen zu finden, das keiner expliziten Zugangsbeschränkung unterliegt und dessen Mitglieder verschiedenen sozialen, ökonomischen und politischen Schichten angehören. Ebenso ist eine Zugehörigkeit zu diesem Beziehungsnetz bzw. die Einbindung in dieses Netz nicht unbedingt an eine aktive Ausübung des Sports geknüpft, sondern bereits das Interesse daran bietet Möglichkeiten der Einbindung. Dadurch sind in diesem Verein auch Personen aus mehreren Generationen anzutreffen. Diese Rahmenbedingungen veranlassten mich zu der Annahme, dass dieses Beziehungsnetz ein Beispiel für die urbane, freizeitbewusste Gesellschaft Wiens ist. Trotz alledem findet sich keine einzige Person mit Migrationshintergrund in diesem theoretisch für jede und jeden zugänglichen Beziehungsnetz. Der Zugang zu diesem Sportverein erschloss sich über Richard, den ich in einem Wiener Lokal kennenlernte. Er ist einer der zentralen Akteure von Beziehungsnetz A, da er sich selbst nicht nur öffentlich, sondern auch sehr laut, auffallend und selbstbewusst als Rassist bezeichnet. Er ist ein extrovertierter und dadurch auffälliger Mann, der sich, wie er selbst sagt, „ka Blattl vorn Mund nimmt“ und auch keine Probleme damit hat, seine mitunter kontroversen Einstellungen lautstark zu thematisieren. Diese Äußerungen führen im Rahmen des Beziehungsnetzes und auch in halb öffentlichen Räumen zu komplexen Situationen und mitunter auch zu Konflikten. Be-
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reits bei unserer ersten Begegnung war es nicht möglich, seine rassistischen und sexistischen Aussagen zum Thema „Ausländer“ zu überhören. Seine ehemalige Partnerin, Marianne, litt laut eigenen Aussagen immer wieder unter seinen lauten und für alle deutlich vernehmbaren Kommentaren, da es sich dabei häufig um rassistische oder auch sexistische Haltungen handelte. Sie interpretiert die Ansichten, die hinter diesen Äußerungen stecken, allerdings als harmlos und führt sie auf seine Unsicherheit zurück die er verbergen muss bzw. auf seine Selbstzentriertheit, die er ihrer Ansicht nach zur Schau stellt. Beide sind Mitglieder eines Vereins, der sich einer männerdominierten Outdoorteamsportart widmet. Generell sind Kraft und Ausdauer in diesem Sport entscheidende Definitions- und Anerkennungskriterien. Wöchentlich finden Treffen in einem Vereinslokal statt, bei denen Informationen, Erlebtes und Privates ausgetauscht werden. Mariannes Schwester, Susanne, ist Pädagogin und verurteilt die Ansichten beider, wenngleich sie eine Auseinandersetzung als unangenehm empfindet, da es ihres Erachtens sinnlos ist, mit ihnen – insbesondere mit Richard – zu diskutieren. Susanne ist der Meinung, Richard sei ein Rassist und ihre Schwester mittlerweile durch ihn indoktriniert. Sie leidet unter den Aussagen von Richard und ist froh über deren Trennung. Trotzdem verbringt sie immer wieder Zeit innerhalb des Beziehungsnetzes, ohne dabei jedoch an dessen sportlicher Komponente teilzunehmen. Karl pflegt mit Richard und Marianne ein freundschaftliches Verhältnis, das sich seit deren Trennung jedoch verändert hat. Vor allem Marianne hat er sich seitdem sehr interessiert zugewendet und dadurch den Ärger Richards auf sich gezogen. Karl äußert sich in der Öffentlichkeit nicht gerne zu politischen Themen, fragte aber manchmal in Zweiergesprächen genauer nach, worum es bei meiner Forschung geht und ob diese nicht manchmal gefährlich (wegen der Migrant_innen) oder schwierig ist. Seine Position war bis zum Ende der Forschung indifferent, da er z. B. kein Interview, das auf Tonband aufgezeichnet wird, geben wollte, aber doch immer wieder Interesse daran zeigte und sich auch zu Einzelthemen äußerte. Es ist nicht in erster Linie Freund_innenschaft, die dieses Beziehungsnetz verbindet, sondern vor allem gemeinsame Interessen, aber auch persönliche Bindungen und Konflikte, die sich mit der Vereinsarbeit immer wieder vermischen.
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Im Zuge eines Gesprächs über einen sexistischen Zeitungsartikel hat sich gezeigt, dass in Beziehungsnetz A Rassismen und Sexismen als humorstiftend betrachtet werden. Fremde, Frauen und Homosexuelle sind Gruppen, auf deren Kosten sich die Vereinsmitglieder gerne lustig machen. Diesbezügliche Zuschreibungen geben entweder Anlass zu einer Reihe von Scherzen oder (in Zweiergesprächen) Anstoß für Diskussionen oder diskriminierende Aussagen über „die Anderen“ oder „die Frauen“. Während der teilnehmenden Beobachtung zeigte sich, dass diese Humorvariante nur bedingt Widerspruch erlaubt, denn lacht jemand nicht, wird stillschweigend angenommen, diese Person hätte keinen Humor. Auf eine solch „humorlose“ Haltung gibt es in der Regel zwei Reaktionen (je nach Situation und Lust auf Auseinandersetzung): Entweder werden von der witzerzählenden Person umso mehr Scherze dieser Art gemacht, um die schweigende Person zu provozieren, oder dieses Gesprächsthema wird vermieden, wenn die Person anwesend ist (Ausschluss), und die anderen amüsieren sich unter „ihresgleichen“ dann ein andermal. Gesellschaftspolitische Themen werden als mühsam und anstrengend empfunden, sofern sie nicht in Witze oder humorvolle Anspielungen verpackt sind. Auch mein Interesse an der von mir durchgeführten Forschung wurde häufig belächelt bzw. mit der Aussage „Wer braucht so wos eigentlich?“ (Karl, A) kommentiert. Weitere Personen aus diesem Beziehungsnetz sind zwei Akademiker – der eine aus dem Bereich der Naturwissenschaften und der andere aus dem Bereich der Technik – , die sich immer wieder zurückhaltend oder schweigend dem Thema gegenüber verhalten. Beide äußern sich in solchen Zusammenhängen kaum und schmunzeln maximal darüber, möchten aber „nicht anecken“, wenn es um sexistische, rassistische oder antisemitische Aussagen geht, wobei dies auch ihre grundsätzliche Strategie bei anderen – für sie uninteressanten – Themen ist. Mehrere – vor allem männliche – Personen über 50 in diesem Verein nehmen sich ebenfalls kein Blatt vor den Mund und, wie bereits zuvor erläutert, werden rassistische, sexistische und ähnliche Aussagen humoristisch abgehandelt oder stillschweigend übergangen.
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B EZIEHUNGSNETZ B – Z IVILGESELLSCHAFTLICHE NGO Da ich eine maximale Heterogenität im Untersuchungsfeld (Lamnek 2005: 192) anstrebte, suchte ich für mein zweites zu analysierendes Beziehungsnetz, ausgehend von der „rassistischen Position“ von Beziehungsnetz A, einen Personenkreis mit einer sehr konträren Geisteshaltung und wurde in logischer Konsequenz auf das Beziehungsnetz B, eine zivilgesellschaftliche NGO im Großraum Wien, im Kontext meiner eigenen „anti-rassistischen“ NGO-Arbeit aufmerksam. Dieses Beziehungsnetz ist ebenfalls in einem urbanen Umfeld situiert, besteht jedoch aus Mitgliedern, die sich von denen des ersten Beziehungsnetzs (zumindest auf den ersten Blick) auf ideologischer Ebene stark unterscheiden. Beziehungsnetz B scheint in diesem Zusammenhang näher an meiner eigenen Person zu sein, da es sich bei diesem um (scheinbar) „klassisch antirassistische“ Lebens- und Arbeitszusammenhänge handelt und auch die politische und berufliche Diskussion meinen eigenen Ansichten durchaus ähnelt. Dies betrifft sowohl die feministische Positionierung als auch die Migrations- und Integrationspolitik. Umso mehr war es in Bezug auf dieses Beziehungsnetz notwendig, ganz besonderes Augenmerk auf die Selbstreflexion und in gewisser Hinsicht auch auf die Distanzwahrung zu legen. Auch zu diesem Beziehungsnetz fand ich über einen zentralen Akteur, Thomas, Zugang, der sehr selbstbewusst seine politischen und (auf den ersten Blick) ideologisch ausschließlich antirassistischen Einstellungen darlegte, als ich ihn kennenlernte. Er war gerne bereit, sich für ein Interview Zeit zu nehmen, und erweckte nach außen hin den Eindruck, wissend und eloquent bzw. sehr selbstbewusst in seinen Einstellungen und Überzeugungen zu sein. Er stellte jedoch sofort klar (wie auch vier seiner Kolleg_innen), kein Experte bezüglich Rassismus zu sein und deshalb auch kein Expert_inneninterview 1 geben zu können. Alle Personen dieses Beziehungsnetzes weisen entweder ein berufliches oder freiwilliges Naheverhältnis zu einer österreichischen NGO auf, die sich u.a. mit den Themen „Migration“, „Rassismus“ und „Minderheitenpo-
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Diese Anmerkung und auch die Wortwahl zeigen bereits die mitunter akademische Prägung in diesem Netzwerk.
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litik“ beschäftigt. Ihre Positionen in der Organisation sind hierarchisch unterschiedlich und auch durch verschiedene Haltungen geprägt. Im Gegensatz zu Thomas, der nur sporadisch inhaltlich agiert, arbeitet Eva stärker themenvorgebend und -leitend. Auch sie wirkte zunächst sehr gefestigt in ihren Ansichten, wobei mir mit fortschreitendem Vertrauen zunehmend Unsicherheiten und indifferente Haltungen übermittelt wurden. Im Kontrast zu den beiden steht Sonja. Sie arbeitet nur von Zeit zu Zeit in der Organisation mit und identifiziert sich nur partiell auch inhaltlich mit dieser. Ihr inhaltlicher Zugang zur NGO besteht vor allem darin, zuzugeben, dass sie unsicher ist, und kein Hehl daraus zu machen, dass ihre Positionierungen zu Rassismus ständigen Veränderungen unterliegen. Alfred, der ebenso nur ab und zu in der NGO tätig ist und sich häufig im Ausland aufhält, nahm in dem einen Interview, das ich mit ihm durchführen konnte, eine sehr „korrekte“ und offizielle Haltung ein. Wie ein Politiker vertraute er der zugesagten Anonymisierung nicht und war deshalb auch sehr vorsichtig in seinen Aussagen. Er führte das Interview so, als ob es unter seinem Namen veröffentlicht werden würde. In diesem Beziehungsnetz stehen die einzelnen Personen durch ihre Arbeit sowie durch unterschiedliche persönliche Kontakte in Beziehung zueinander. Dabei bestehen durchaus Naheverhältnisse, die auch mit Konflikten verbunden sind, die sich auf privater wie beruflicher Ebene abspielen. Aktivistische Positionierungen stehen in diesem Beziehungsnetz im Vordergrund, die von innen und außen geforderten linken, basisdemokratischen und feministischen Ansprüche führen jedoch mitunter zu (inneren und äußeren) Spannungen. Auf den zweiten Blick erst offenbarten sich mir die persönlichen und beruflichen Haltungen zu Themen wie „Migration“ als durchaus sehr unterschiedlich, oft auch ambivalent. Deutlich zum Vorschein kam der eigene Anspruch, „korrekt zu sein“, und dieser wird auch intensiv reflektiert. Diesem Beziehungsnetz ist es aufgrund der öffentlichen und politischen Präsenz der NGO besonders wichtig, völlig anonymisiert zu erscheinen, weshalb den Daten bewusst Falschinformationen hinzugefügt wurden. Mein Kontakt mit den Personen des Beziehungsnetzes war davon geprägt, dass alle davon ausgingen, dass wir dieselbe Haltung zum Thema „Rassismus“ teilen. Grundsätzlich wurde also eine übereinstimmende Haltung imaginiert, allerdings mit einem kleinen hierarchischen Unterschied, nämlich jenem, dass die Interviewpartner_innen meinten, dass ich (als Ex-
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pertin) genau weiß, wie „korrekt“ gesprochen wird. Diese Haltung kam in Zwischenkommentaren, wie „du weißt sicher besser, wie man das ausdrückt“ (Eva, B) oder „Ich hab das ja nicht studiert, so wie du“ (Thomas, B), zum Ausdruck. Im Gegensatz zu Beziehungsnetz A zeigen die Personen in Beziehungsnetz B einen durchwegs positiven Zugang zu und großes Interesse an Forschungen wie dieser und niemand zweifelte an deren Sinnhaftigkeit.
B EZIEHUNGSNETZ C – S TAMMGÄSTE EINER B AR Nach dem weitgehenden Abschluss der empirischen Erhebungsarbeiten in den ersten beiden Beziehungsnetzen bot sich die Möglichkeit, ein weiteres Beziehungsnetz (C) in diese Dissertation mit einzubeziehen. 2 Das Ausdehnen der Feldforschung auf dieses dritte Beziehungsnetz gestattete neben einer breiteren Perspektive auch einen kritischen Vergleich, da diese Erweiterung auch einen Blick auf ein Beziehungsnetz außerhalb von Wien ermöglichte. Der Unterschied zur urbanen Gesellschaft zeigte sich dabei u. a. darin, dass in der Kleinstadt andere inhaltliche Wertigkeiten in Bezug auf die Konstruktion „des Fremden“ und die Kommunikation darüber relevant sind, die Gruppenprozesse in den Speech Communities jedoch gleich verlaufen. Auch in Beziehungsnetz C fiel die zentrale Akteurin, Maria, durch ihre dominante Rhetorik und ihr selbstbewusstes Auftreten im öffentlichen Raum auf. Das Umfeld, in dem ich sie kennenlernte, war die Bar, in der sie als Kellnerin arbeitet. In dieser trifft sich eine Gruppe von Personen unterschiedlichen Alters und diverser Berufsgruppen regelmäßig nach der Arbeit, in der Mittagspause und am Wochenende, um untereinander Berufliches, Politisches, Soziales und Privates auszutauschen. Der Kontakt mit Maria entstand bereits bei meinem ersten längeren Besuch in diesem Lokal, da sie sich nach ein paar Stunden zu mir setzte, mich auf ein Getränk einlud und fragte, was ich hier mache und wer ich sei.
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Der Zugang zu diesem Netzwerk in einer Kleinstadt in einem westlichen Bundesland Österreichs ergab sich durch die Mitarbeit in einem Forschungsprojekt der Universität Wien (2006 – 2008) unter der Leitung von Univ. Prof. Dr.in Sabine Strasser.
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Dieser Rahmen bot demnach eine einfache Möglichkeit zur Kontaktaufnahme und Maria vermittelte mich in Folge auch bereitwillig an Bekannte und Freund_innen. Durch regelmäßige, hitzige Diskussionen über „die Ausländer“ in meiner Anwesenheit entwickelte sich auch in diesem Beziehungsnetz sehr schnell eine persönliche Nähe, die es mir erlaubte, sehr tief in die einzelnen Anliegen und häufig in die in sich widersprüchlichen Motivationen für die rassistischen Haltungen der Personen zu blicken. Bei diesem Beziehungsnetz von Freund_innenschaften zu sprechen, würde allerdings nur teilweise zutreffen. Maria verbindet zwar eine enge Freund_innenschaft mit Gerda, einer Floristin, die in derselben Stadt wohnt, jedoch in einem Nachbarort arbeitet. Auch die heimliche Affäre von Maria mit dem verheirateten Hans führte zu einer intensiveren Beziehung zwischen Gerda als Mitwisserin und den beiden, da niemand sonst etwas davon wissen darf, zumal Hans seine Ehe nicht beenden möchte. Er arbeitet als Tischler, wobei er zusätzlich auch viele Arbeitsstunden in den heimatlichen landwirtschaftlichen Betrieb investiert. Seine spärliche Freizeit verbringt er gerne mit Freund_innen an der Bar, wo er reichlich Alkohol konsumiert, nicht selten bis zur Sperrstunde bleibt und schlafend an der Bar lehnt. Alle drei (und zumeist auch der gesamte Rest im Lokal) sind Migrant_innen gegenüber sehr negativ eingestellt, wehren sich jedoch vehement dagegen, als rassistisch eingestuft zu werden. Ihr Bild von Migrant_innen und vor allem von den „türkischen Frauen“ ist stark homogenisierend. Die Unvereinbarkeit der einheimischen und fremden Werte ist ihrer Ansicht nach eine Tatsache, die nur durch eine Trennung der Welten lösbar erscheint. Es besteht, wenn auch vage, die Hoffnung, dass die Politik zur Vernunft kommt und diejenigen, die sich nicht assimilieren (wollen oder können), „nach Hause schickt“, auch jene, die hier geboren sind und „sich nicht benehmen können“. Martin, ein Unternehmer, der täglich in das Lokal kommt, nimmt ebenso eine relevante Position in diesem Beziehungsnetz ein. Dadurch dass er älter als die anderen ist einerseits und durch seine berufliche Position andererseits wird ihm in vielerlei Bereichen ein Expertenstatus zuteil, den er sich auch selbst zuschreibt. In Liebesbelangen wird er zwar aufgrund seines Alters nicht konsultiert, aber vor allem was Gesellschaftspolitisches betrifft, hat seine Meinung großes Gewicht – auch aufgrund seiner Fähigkeit, sich gewählt auszudrücken.
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Norbert hingegen kann nur als guter Bekannter bezeichnet werden. Er arbeitet als Gärtner und trinkt jeden Tag nach der Arbeit „sein Bierchen“ an der Bar. Um private Angelegenheiten kümmert er sich nicht so sehr, denn er ist mehr an Geselligkeit interessiert, um nicht nach der Arbeit gleich allein nach Haus gehen zu müssen. Er diskutiert gerne und viel über Politik und Gesellschaft und findet sich mitunter in Selbstgesprächen wieder, da der Rest der Runde nicht in gleicher Intensität an „seinen“ Themen Interesse zeigt. Worüber indessen von allen gerne und viel gesprochen wird, ist das Problem der „Ausländer“ und im Speziellen „der Türken“. Es werden ebenso wie in Beziehungsnetz A immer wieder Scherze über „die Frauen“, „die Homos“ und „die Ausländer“ gemacht, aber im Unterschied zu Beziehungsnetz A fühlen sich die Personen in Beziehungsnetz C auch stärker im Alltag von der Anwesenheit und „Nähe der Ausländer“ betroffen und diskutieren deshalb intensiver und auch mit mehr Ernsthaftigkeit darüber. Die einzelnen Personen berichten bevorzugt von persönlichen Erfahrungen und alltäglichen Details des nicht Funktionierens einer multikulturellen Gesellschaft. So meinen sie beispielsweise, dass es ihn Wien mehr Möglichkeiten gibt, „den Ausländern“ aus dem Weg zu gehen, aber hier „leben sie mitten unter uns“ (Maria, C). Besonders erhellend für die Forschung in diesem Beziehungsnetz war der sehr einfache Zugang für mich im Feld, nachdem die erste Skepsis gegenüber meiner Person als Wienerin und Wissenschaftlerin überwunden war. Aufschlussreich und herausfordernd zugleich war zudem die stetige kurze Involvierung neuer Personen, die sich im Lokal ins Gespräch einmischten. Diese Bar war damit ein idealer Ort, da sie ein Kommen und Gehen erlaubte, aber auch reichlich Kontinuitäten bot, um die entsprechenden Beziehungen entstehen zu lassen.
B ESCHREIBUNG DER P ERSONEN Während der Interviews und anderer (informeller) Gespräche wurde den einzelnen Personen Raum gegeben, über (mehr oder minder pikante) Details aus ihrem Leben zu erzählen, was diese auch in unterschiedlichem Ausmaß taten. Ebenso wurde besprochen, welche Informationen von mir
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verwendet werden dürfen und welche nicht. Aus diesem Grund sind die Personenbeschreibungen nicht einheitlich. Ziel der folgenden Darlegungen ist es, ein möglichst markantes, zum Teil episodenhaftes, jedoch nicht zwingend umfassendes Bild der Befragten zu zeichnen.
P ROFILE – BEZIEHUNGSNETZ A Richard (Jänner 2006) 3 Richard (46 Jahre alt) wuchs in Laxenburg nahe Wien auf und hat in seinem Leben schon in mehreren Berufsfeldern gearbeitet, u. a. im Versicherungs- und Immobilienbereich. Dort hatte er mit Türk_innen Kontakt, die er „Kümmler“ nennt. Derzeit arbeitet er im Bereich der Gastronomie. Seiner Selbstbeschreibung nach hat er sich im Lauf seines Lebens sehr verändert. Im Alter von 19 bis 23 war er ein „Sunnyboy“ und sehr begehrt bei den Frauen. Mittlerweile hat er sich bewusst geändert, da er nicht mehr wusste, weshalb ihn Frauen begehrten – wegen materieller Vorteile oder innerer Werte. Das hat ihn laut eigenen Aussagen sehr verletzt und deshalb hat er das „abgestellt“. Richard ist, wie er selbst sagt, kein „echter Wiener“, aber seine Tante „ist einer“. Diese mittlerweile verstorbene Tante besaß in Wien ein Haus, das zur Hälfte im Besitz ihrer kanadischen Verwandtschaft war: „[...] do woan a irgendwie die Juden in da Verwondtschoft – die homs hoit net so lustig ghobt [...].“ Er kann sich erinnern, dass er in seiner Kindheit beschimpft wurde, wenn er mit Freunden in dieser Wohngegend Lärm machte oder mit dem Fahrrad fuhr. Heutzutage ist das anders. Geschimpft wird nicht mehr, was er bedauert und auf die abhandengekommene räumliche Aufteilung von Migrant_innen und Einheimischen zurückführt. „[...] weil da hat die Frau Konsul gewohnt [...] und so wos hots gebn, des gibts heit nimma – de traun si nimma aufregn.“ Wichtig in seinem Leben war und ist die jahrelange Beziehung zu Marianne. Auf deren Schwester ist er nicht gut zu sprechen, sie ist zu sehr „Psycho“ (er gibt u. a. Susanne die Schuld an der Trennung von Marianne).
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Die hier angegebenen Daten beziehen sich auf den Zeitpunkt des Erstkontakts.
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„[...] Kinda pock i anfoch net, i steh auf Kinda, owa monche pock i net [...]“ Seine eigene mittlerweile 17-jährige Tochter aus geschiedener Ehe bildet hier eine Ausnahme, wobei er sich selbst nicht als Familienmensch definieren würde. Als Weißer 4, österreichischer, heterosexueller und männlicher Mittelschichtbürger von 46 Jahren versteht er es, sich auszudrücken und die Aufmerksamkeit durch Lautstärke und „Kein-Blatt-vor-den–MundNehmen“ auf sich zu lenken, vor allem bei Aussagen in Bezug auf Migrant_innen und/oder Frauen. Als kontradiktorisch kann seine Position insofern gesehen werden, als er trotz seiner augenscheinlich kommunikativen (Laut-)Stärke sehr einsam ist – aufgrund der verlorenen Beziehung und auch der mangelnden Freund_innenschaften, wie er meint. Sein Habitus ist sehr dominant und führt im Rahmen des Beziehungsnetzes eher dazu, dass es anderen unangenehm ist, offen mit ihm zu diskutieren, da dies leicht zu Untergriffen seinerseits führt, was sich auch im Gespräch zwischen mir und ihm wiederholt deutlich zeigte. Seine Positionierung innerhalb des beschriebenen Beziehungsnetzes weist mehrere Identitäten auf. Richard beschreibt sich selbst folgendermaßen: „I bin a Kontrollmensch.“ Obwohl deutlich zum Ausdruck kommt, dass er sich immer wieder einsam fühlt, betont er: „I brauch a kane Freunde“, und erklärt dies damit, dass er sehr misstrauisch ist. Wichtiger als Freund_innenschaft ist ihm eine Partnerin: „I fühl mi sehr vü wohler mit an anzigen Partner, i brauch kane Freind, nix. I brauch grod a Freindin.“ Seine Haltung gegenüber anderen schätzt er als provokativ ein und er deutet an, dass ihm das Spaß macht, er es aber an sich nicht böse meint. „I provozier die Leut amal prinzipiell. Dass’s munta werdn. [...] Von mia nehmans imma on, dass i munta bin, oiso nim i ma des Recht, di ondan a munta zmochn. I bin a Aufwecker, jo, a Aufrührer [...] i bin im Prinzip a sehr verträglicher Mensch.“
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Die Bezeichnungen „Schwarz“, „Weiß“ und „Andere“ werden großgeschrieben, um auf die soziale Konstruktion mit entsprechenden Auswirkungen innerhalb einer rassistisch begründeten Dominanzkultur hinzuweisen. (Kritische Auseinandersetzungen mit „Weiß-Sein“ finden sich in Arndt 2005; Frankenberg 1993; 1996)
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Richard beschreibt auch den emotionalen Beweggrund hinter seinen Verallgemeinerungen: „I geh wo eine und do san Leit und i sog: ‚Lauter Oaschlecha.‘ Des is a Sicherheitsdenken füa mi.“ Richard hat eine spezielle Position im Verein inne. Auf der einen Seite ist er sehr anerkannt, aber durch seine unkonventionelle Art, sich auszudrücken, ist er zugleich auch ein Außenseiter. Seine Dominanz lässt wenig Widerspruch zu und er positioniert sich gerne im Mittelpunkt. Aufgrund seiner fachlichen und sportlichen Kompetenz wird er akzeptiert, ist aber nicht unbedingt ein Sympathieträger seitens der anderen Mitglieder.
Marianne (März 2006) Marianne (32 Jahre alt) wurde mir von Richard als seine Expartnerin vorgestellt. Der genaue Status ihrer (Ex-)Beziehung war zum Zeitpunkt der Interviews allerdings noch nicht eindeutig geklärt. Marianne wollte das Interview in ihrer Wohnung bei einem Glas Wein in entspannter Atmosphäre durchführen. Als ich zu ihr kam, war die Situation jedoch eher verkrampft und es dauerte eine Flasche Wein lang, bis sich die Lage entspannte. Zudem erfuhr ich erst nach meiner Ankunft, dass sie auch ihre Schwester zum Interview eingeladen hatte. Dies machte die Gesamtsituation komplexer, gleichzeitig aber auch interessanter, da die manchmal konträren Positionen der Schwester (Susanne) zu direkten Auseinandersetzungen und zu aufschlussreichen Diskussionen führten. Marianne hatte durch ihre Ausbildungsgeschichte und ihre Zeit im Wiener Wohnheim schon als Jugendliche eher viel Kontakt mit Migrant_innen: „[...] Ausländer generell ähm i bin im Jugendwohnheim, in dem i gwohnt hab, relativ viel in Kontakt kommen, da wars relativ einseitig, Türken, Iran, Irak.“ Sie wuchs im Waldviertel auf und die einzige Lehrstelle, die, als sie 15 war, für sie in Betracht kam, befand sich in Wien. Um nicht täglich pendeln zu müssen, wurde sie, da sie minderjährig war, an einem Ort untergebracht, an dem es Aufsichtspersonal sowie Schlaf- und Essensmöglichkeiten gab. Marianne hat diese Zeit sehr positiv in Erinnerung und fügte hinzu: „[...] das warn allerdings alles gut gesittete Personen, die von den Eltern finanziert wurden, hier zu leben und hier zu studieren, und das macht doch einen großen Un-
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terschied zu den Leuten, die zum Beispiel hier im Gemeindebau wohnen [...] denn die [...] sind doch generell eine komplett andere soziale Schicht, auch verhaltensmäßig komplett anders [...] die Türken vom Heim sind ganz andere Leute gwesen als die von hier, die kann man überhaupt net miteinander vergleichen.“
Marianne bezeichnet sich heute selbst als Wienerin, da sie sich in der Stadt mittlerweile „heimisch“ fühlt. In ihrem Berufsalltag in Wien ist sie täglich mit Menschen unterschiedlicher Herkunft konfrontiert. Auch ihr Chef, „ein multikulturell orientierter Franzose“, pflegt viele Auslandskontakte. Ihre Arbeitskollegin stammt aus Slowenien und ihre Kund_innen kommen häufig aus der Ukraine, der Slowakei, Polen u. a. m. Dass sie sich in diesem Umfeld wohlfühlt, stellt für sie den Beweis dar, dass sie nicht rassistisch denkt. Marianne identifiziert diskriminierende Aussagen in ihrem Umfeld als Möglichkeit, aufzufallen und die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, speziell wenn es um Richard (ihren Exfreund) oder um den Freund ihrer jüngsten Schwester geht. Ein Thema in der Familie ist Diskriminierung deshalb, da Susannes Freund Slowene ist und häufig mit abschätzigen Bemerkungen konfrontiert wird. Marianne versuchte, diskriminierende Aussagen von Richard über dessen Persönlichkeit zu erklären. „[...] ja, und der wollt si selber besser hinstelln, ois er is, des woa eigentlich des Hauptziel, ma muas im Mittelpunkt stehn und ich bin der Gute und Tolle und dich beschimpf ich jetzt und da schau ma mal, wie schnell sie klein wird [...] jo, die Beschränktheit im eigenen Kopf. Do lässt sich leider auch mit besten Diskussionen nix ändern, weil mit einer Frau diskutiert man generell nicht.“
Grundsätzlich versucht Marianne, kritische Situationen eher diplomatisch zu lösen beziehungsweise alternative Methoden auszuprobieren, als sich darüber lustig zu machen. „[...] es kummt drauf on, welche Situation es is – wors in den eignen Räumlichkeiten und er schimpft über was, weiß ich, dass er jetzt ausdrücken will, dass er frustriert is oder Sonstiges, dann loss i des im Sande verlaufen oder er plustert sich auf und unter anderem schimpft er über dieses und jenes und etc. do kummt olles, ob Frauen, Ausländer, wos auch immer, es wird generell über alles geschimpft [...] und eigentlich will ma ausdrücken, dass ma so arm is [...]“
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Die beiden Schwestern betonen, dass sie in Diskussionen nie auf den gleichen Nenner kommen, wobei sich die Uneinigkeiten hauptsächlich auf Rassismus und Migrant_innen in Österreich beziehen. Speziell in Bezug auf Diskriminierung meint Marianne: „jeder will seine Seite der Erfahrungen klarsetzen und da kummt des schon raus a bissl – ich ausländerfeindlich und sie verteidigt alles.“ Susanne bestätigte diese Aussage. Allerdings meinten beide, dass sie hinsichtlich Moral dieselbe Erziehung genossen und dadurch doch wieder sehr viel gemein hätten. Marianne sieht ihr eigenes Kommunikationsverhalten auch eher als hitzig: „Jo, i bin a bissl – do fong ma donn zum Streitn an, wo i sag, sie [Anm.: Susanne] würd gern alles [Anm.: Migrant_innen] einsammeln und alles verteidigen und i sog, i hob auch schon negative Erfahrungen gemacht. Ich stell das sehr wohl a bissl infrage […] da fong ma donn a bissl gegeneinander zum Ketschn on.“
Die These von Marianne besagt, dass sich Susanne als Älteste immer auch um die jüngeren Kinder kümmern musste und dadurch sehr früh soziale Interessen entwickelt hat. Sie selbst als zweites Kind musste eher lernen, sich gegenüber der großen Schwester durchzusetzen: „ma muss sich auch a bissl wehrn“ Sie schwächte diese Analyse allerdings ab, indem sie meinte: „ich hab auch eine kleinere Schwester, um die ich mich hab kümmern müssn […]“ Wieder in Bezug auf Migrant_innen wiederholte Marianne: „ich muss sagen, ich hab auch negative Erfahrungen gemacht – von ihr [Anm.: Susanne] kommt dann sofort: ,Ja, aber die sind ja alle arm‘.“ Von persönlichen negativen Erlebnissen berichtete sie in der Folge jedoch nicht. Vielmehr waren es Erzählungen, Medienberichte und Spekulationen über Beobachtungen, die sie unter die negativen Erlebnisse einreihte. Viel ausführlicher hingegen beschrieb sie positive Ereignisse, Freund_innenschaften in ihrer Jugend, die sie differenzierter in Zusammenhänge anderer Lebenswelten blicken ließen. Als intensiv erlebte Ereignisse in ihrer Biografie beschrieb sie unter anderem den Golfkrieg und den Fall der Berliner Mauer. In Bezug auf den Golfkrieg hatte sie schon damals große Skepsis aufgrund der einseitigen Berichterstattung in den Medien und sie bedauert auch, dass sie nicht zum kritischen Denken erzogen wurde: „Des hob i eben schon im Jugendwohnheim mitgekriegt durch die Medien. Dort warn die Amerikaner immer die Guten.“ Der Fall der Berliner Mauer wurde im Waldviertel besonders deut-
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lich durch den Eisernen Vorhang spürbar, den es noch gab, als die Schwestern klein waren. „[…] ich weiß es noch ganz genau, bis dorthin kommst du, weiter kommst du nicht, weil dort is der Drahtzaun, dort wirst du erschossen, wenn du drüberkommst und bla bla. Die Diskussion hats als Kind schon gegeben. Ich weiß noch, dann ist sie gefallen [Anm.: die Berliner Mauer] und wir hatten unseren ersten Wildschweinbraten. […] unter anderem dadurch, dass der Zaun weggeräumt wurde, sind die ganzen Wildschweine auch in Horden zu uns gekommen und die Jäger ham die Katastrophe ghabt, diese Wildschweine irgendwie zu vernichten, ohne dass sämtliche Felder komplett vernichtet san. So irgendwie in dieser Kombination kriegt man des dann auch ganz bewusst mit.“
Marianne versucht, sowohl ihr familiäres und berufliches Leben als auch ihr Leben im Freund_innenkreis so gut wie möglich zu verbinden. Im Beziehungsnetz nimmt sie vor allem deshalb eine wesentliche Position ein, weil sie als eine der wenigen Frauen mit den sportlichen Leistungen der Männer mithält. Dadurch wird sie mehr als andere Frauen in diesem Beziehungsnetz ernst genommen.
Susanne (März 2006) Susanne (34 Jahre) war zu Beginn sehr skeptisch, was das Interview betraf, doch ihr Misstrauen legte sich bereits nach der ersten halben Stunde. Die Interviewkonstellation führte zu angeregten Diskussionen, in denen vor allem die unterschiedlichen Standpunkte der beiden Schwestern zutage traten und auch intensivere private Gespräche stattfanden als in einem Zweiergespräch unter nicht so vertrauten Menschen. Susanne lebte bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr zu Haus bei den Eltern, da sie in einer Mittelschule maturierte. Es widerstrebt ihr, sich selbst als Wienerin zu bezeichnen, aber als Niederösterreicherin fühlt sie sich auch nicht: „Mensch, jo, noch der Identität suach i no imma [...] Jo natürlich bin i sehr stork zu Hause verwurzelt und i was anfoch, dass ich net in Wien bleibn möcht.“ Nach der Matura studierte sie Pädagogik in Wien und arbeitet derzeit als Kellnerin. Das Studium verstärkte ihre schon davor bestehende Haltung
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die Gesellschaft verändern zu wollen, wie es auch in Susannes Selbstbeschreibung zum Ausdruck kommt: „I hob an sehr hohen Anspruch on Gerechtigkeit und i hob überhaupt so eine große soziale Ader – oiso Minderheiten, olle Randgruppen, alle Benachteiligten, am liebsten würd i sie ja einsammeln und keine Ahnung, oiso seis jetzt Ausländergruppen, Ortstafelstreit, keine Ahnung, irgendwos an Chinesen, den ma wieda ah Blausäureflascherl ins Lokal reingworfen hot, egal wos, Zigeuner irgendwos, am liabstn würd i olle einsommln und won jemand diskriminiert wird aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer Randgruppe, könnt i explodieren – es gibt jo so vü Oame und so viele Benachteiligte in dieser Welt.“
Vielfach macht sie den Eindruck, dass sie, vor allem um „maximal sozial zu sein“, diese Einstellung aktiv und laut vor sich her trägt. „I bin afoch ane, die si denkt, jeda hot seine Geschichte und jeder is so aus am bestimmten Grund, so wie er is. [...] „Onkel Toms Hütte“ woa füa mi so – des kann doch wohl nicht wahr sein, dass dieser gute Mensch anfoch nua, weil er Schwoaz woa, so oam woa – oiso dieses, dieses, i würds jo fost ois Sucht bezeichnen – i man, des hot si schon gebessert, i kum scho a bissl weiter weg davon.“
Auf die Frage, warum sie so ist, meinte sie: „i bin hoit a guta Mensch [...] Die Kleineren und Schwächeren, oiso des is meins.“ Susanne empfindet diskriminierende Bemerkungen über ihren slowenischen Freund als sehr verletzend, hat aber eine Strategie entwickelt, diese Bemerkungen zu ignorieren bzw. wenig Kontakt mit Menschen dieser Einstellung zu haben. „Do is ma einfoch schon um jede Diskussion schod, triff eam donn anfoch ned. I was anfoch, dass er diese Einstellung hot, und wona wos sogt, donn ignorier is anfoch, weil i ma anfoch denk, des is ma zu blöd zum Diskutieren.“
Susanne arbeitet immer wieder als Kellnerin, da es ihr schwer fällt, in ihrem Interessengebiet und Fachbereich eine Arbeit zu bekommen. Derzeit ist es ihr von ihrem Freund aus allerdings nicht erlaubt, arbeiten zu gehen, da er selbst arbeitslos ist und es sein Stolz nicht zulassen würde, dass sie im Gegensatz zu ihm etwas verdient.
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Kontakte zu Migrant_innen, Fremden und Tourist_innen hat sie durch ehemalige Arbeitsplätze und auch im privaten bzw. im öffentlichen Raum. In der Diskussion wirkte es so, als würde sich Marianne eher einer kritischen Diskussion stellen können als Susanne, da sie persönlich nicht so befangen scheint. Susanne zieht sich dagegen eher in sich zurück und ist verletzt: „Oiso i hob anfoch gmerkt, wonn ma die Personen wichtig san, donn los i mi auf a Diskussion ein, wos ma einfoch wert is, dass do irgendwie a Meinungsumschwung kommt.“ Susanne ist deshalb für das Beziehungsnetz von Relevanz, da sie in Einzelgesprächen eine vehemente Gegenposition zu Rassismen einnimmt, jedoch von den anderen Mitgliedern weder ernst genommen noch wirklich gehört wird, zumal ihr auch meist die Argumente fehlen.
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Thomas (April 2005) Thomas ist ein 43-jähriger Angestellter im dokumentarischen Bereich der NGO. Neben dieser Tätigkeit engagiert er sich gegen die Diskriminierung von lgbtq 5-Personen und positioniert sich selbst grundsätzlich auf der reflektierenden, gerechten Seite der Gesellschaft. Er zeigte auffallend großes Interesse an meiner Arbeit und Forschung. Er selbst, wie schon sein Vater vor ihm, hat sich aus einer eher patriarchal geprägten Familie heraus emanzipiert: „A hoates Beispiel – es is Gott sei Dank nicht so gekommen. Unsere Großeltern hobn si füa uns gwünscht – drei Buam – ana muaß Oatzt werdn, ana Lehrer und ana Pforrer. [...] Meine Eltern hobn sie scheidn lossn, wie i neun Joah oit woa, und woan a von die ersten Paare in Österreich, die sich einvernehmlich hobn scheidn lossn – oiso woa i a Scheidungskind, und zwoa des anzige in da Gegnd.“
Im Interview meinte er, dass die hierarchischen Strukturen im väterlichen, kroatischen Teil seiner Familie stärker sind als „bei uns“, und scherzte über
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lesbian, gay, bisexual, transgender, questioning bzw. queer
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die Entscheidungen, die (angeblich) der Großvater getroffen hat, „wos jo net gstimmt hot, weil eigentlich hots die Großmutter gmocht, wia immer“. In seiner Argumentation schließt Thomas von seiner eigenen Familie auf alle Kroaten, bei denen der Vater als Familienoberhaupt fungiert, gefolgt von seinem ältesten Sohn. Thomas’ Bruder hat sich aber geweigert, diese Rolle zu übernehmen, so wie eigentlich sein Vater auch schon. Durch den Balkankrieg wurde die Familie in die ganze Welt zerstreut. Bei Zusammenkünften wie Hochzeiten oder ähnlichen Anlässen zeigt sich das hierarchische Familienverhältnis u. a. durch folgende Tischordnung: ein eigener Tisch, an dem die Männer sitzen, einer für Frauen und einer für die Kinder. Thomas schwächte diese Aussagen allerdings in weitere Folge ab, wenn er meinte: „[...] des woa ganz, ganz früher [...]“ Bemerkenswert in seiner Positionierung zu dieser bikulturellen Familiengeschichte ist seine Aussage, er hätte die Sprache „[...] genetisch glernt [...] i hob ois Kind bis zum Oita von fünf Joahn mit meinen Großötan kroatisch gsprochn und donn homma aufghört, dass, wenn i in die Schui kum, jo net ois Gastarbeiterkind gilt. Des woa jo domois die Tschuschenzeit, die Gastarbeiterzeit. Wos auf da ondan Seiten schod is, weil i merk, wenn i in Zagreb bin und die Leit redn am Nebentisch, was i, worüber die reden, oba i konn ned mitredn. Des is, weil i hobs genetisch glernt.“
In den letzten Jahren hat er immer wieder (u. a. aus beruflichen Gründen) mehrere Wochen in Zagreb verbracht. Er vertritt die Einstellung, dass durch bikulturelle Ehen dominante Strukturen aufbrechen können: „i konn mi net ois Hoibjugoslawe üba Jugoslawen aufregn – des konn i net mochn, weil i bin jo söwa ana, und i tuas a net.“ Einerseits identifiziert er sich mit Kroatien und den Kroaten: „Wia i des erste Moi noch Zagreb kumman bin, bin i duat am Bohnhof gstondn und hob zum ersten Moi des Gfühl gehabt, zu Haus zu sein.“ Andererseits positioniert er sich sowohl in Kroatien als auch in Wien als Österreicher. Einer seiner Brüder hat eine Afrikanerin geheiratet, was für die Großeltern trotz ihrer eigenen bikulturellen Beziehung zu Beginn eigenartig war. Erst durch gemeinsames Kochen und Erzählen wurde „das Fremde“ aufgebrochen. Er erwähnte in diesem Zusammenhang: „für uns ist es alltäglich, dass Schwarze auf der Straße gehen, aber für Großeltern (Pause) meine Großmutter hat sich nach dem Händeschütteln mit der Frau von meinem
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Bruder auf die eigene Handfläche gschaut, ob sie abfärbt.“ Die Großmutter war verwundert, dass „die“ ja so ist wie alle anderen Frauen. Allerdings meint Thomas auch, dass sich seine Schwägerin und seine Großmutter aufgrund ihrer beider Fluchterfahrung gut verstehen. Auch Thomas beschrieb den Fall des Eisernen Vorhangs als intensives Erlebnis. Er informiert sich in Bezug auf Politik und Weltgeschehen weitgehend über Agenturen und natürlich auch über die Medien (Print, Radio, Internet). Es ist ihm wichtig, informiert zu sein. Er bildet sich auch zu allen gesellschaftlichen Themen gerne eine Meinung und ist der Ansicht, dass die Informationen, die er gesammelt hat, zu einem umfangreichen und gesicherten Wissen geführt haben. Derart ist auch sein Auftreten im Beziehungsnetz. Sein Selbstbewusstsein irritiert andere mitunter, vor allem wenn es um provokante Aussagen geht. Gleichzeitig sind sich seine Kolleg_innen und Freund_innen bisweilen nicht sicher, wie sein Sarkasmus und sein Zynismus zu deuten sind.
Eva (August 2005) Eva ist 33 Jahre alt und wohnt in einem der Wiener Gemeindebezirke innerhalb des Gürtels. Auf die Frage, ob sie ihn Wien geboren wurde, antwortete sie humoresk: „Ja, i bin a echta Wiener“, ironisch gemeint in der männlichen Form, da sie ansonsten sehr auf geschlechtersensible Sprache bedacht ist. Im Folgesatz meint sie: „[...] a Wienerin, die im zwöftn Bezirk aufgwachsn is und des L net kann, des Meidlinger L.“ Sie absolvierte in Österreich ein geisteswissenschaftliches Studium und erlangte in Frankreich innerhalb eines Jahres einen sozialwissenschaftlichen Master zur Weiterbildung, in deren Rahmen sie immer wieder ihre Selbstpositionierung als „Weltenbürgerin“ oder „doch lieber Wienerin“ hinterfragt hat. Der Fokus ihrer derzeitigen Arbeit in einer in Wien ansässigen NGO liegt im Bereich der Minderheitenrechte. Ihre Beschäftigung mit Diversität und Geschlechtergerechtigkeit sensibilisiert sie aus wissenschaftlicher, aktivistischer und beruflicher Hinsicht für Themen wie „Rassismus“ und „Diskriminierung“. Eine Reihe relevanter politischer Ereignisse sowie Erfahrungen im familiären Bereich haben Eva, wie sie es selbst darlegte, geprägt. Einerseits
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war der Fall der Berliner Mauer eines der einschneidendsten Ereignisse und andererseits war es die Geschichte ihrer Familie im Zweiten Weltkrieg. Eva erweckt den Eindruck, als reflektierte sie besonders aufgrund dieser Familiengeschichte ihre Identität als Österreicherin und ihre generelle Positioniertheit in der Gesellschaft. Eva meinte während des Interviews einige Male, dass sie zunächst sehr vieles unreflektiert von ihren Eltern übernommen hatte, die nach der Devise leben: „Politik is net so wichtig und misch die net zvü ein.“ Sie hat aufgrund der Erlebnisse ihrer Eltern im Zweiten Weltkrieg auch Verständnis für deren Ansichten, beispielsweise Russen gegenüber, jedoch empfand sie die Schweigeposition bzw. Mitläufer_innenposition ihrer Eltern bereits in der Volksschule als belastend: „[...] das weiß ich noch, das war mir schon in der Volksschule ein Gräuel, weil es haben immer alle erzählt, entweder die Eltern waren Nazis oder sie waren im Widerstand [...] i hab mir immer dacht, meine warn immer – sagns zumindest – waren weder Nazis weder Widerstand, meine warn gar nix.“
Eva sieht sich selbst als privilegiert an. In unsere Gesellschaft ist sie eindeutig mit genügend Ressourcen, freiem Zugang zu Bildung und guter Gesundheitsversorgung eingebettet. Obwohl sich Eva im Lauf des Interviews entspannte und offener wurde, machte sie trotzdem den Eindruck, als würde sie in erster Linie versuchen, betont reflektiert und (über-)korrekt an meine Fragen heranzugehen. Eva begegnete mir als sehr bedachte Person und wirkte während des Interviews stets kontrolliert. Keine meiner Fragen waren ein neuer Gedanke für sie, sondern Themenfelder, die sie täglich beschäftigen. Auf eben diese Art wird sie auch im Beziehungsnetz wahrgenommen und so stellt sie aufgrund ihrer Integrität eine inhaltliche und persönliche Instanz für ihr Umfeld dar.
Sonja (Jänner 2006) Sonja war die einzige Interviewpartnerin, die die Transkription autorisieren wollte. Auch sie war zu Beginn sehr unsicher und hatte Angst, „schlecht auszusteigen“, was ihr Wissen und die Korrektheit ihrer Aussagen betraf.
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Diese Haltung veränderte sich im Lauf des Interviews jedoch stark und die Situation war mehr und mehr von Vertrauen geprägt. Sonja ist eine 26-jährige Frau, die aufgrund ihrer Art zu sprechen, fröhlich und kritisch wirkt. Sie hat in Wien ein sozialwissenschaftliches Studium abgeschlossen und arbeitet derzeit in Projekten mit einem inhaltlichen Schwerpunkt auf Diskriminierung und Minderheiten. Sie ist als freiberufliche Kollegin von Eva und Thomas beschäftigt und ist darüber hinaus mit beiden privat befreundet. Sie sieht die NGO und auch die Personen, die in dieser arbeiten, ein wenig stärker aus der Außenperspektive. Zudem spielt dieser Abstand insofern auch eine Rolle in den Gesprächen mit ihr, da sie durch ihre Position nicht befürchtet, eine Haltung der NGO zu repräsentieren bzw. zu brechen, sondern ihre persönliche Haltung im Vordergrund stand. Sonja wuchs in Oberösterreich im ländlichen Raum auf und kam aus ihrem kleinen Heimatdorf nach Wien, um zu studieren und aufgrund von Aus- bzw. Aufbruchsbedürfnissen. Sie setzt sich sowohl beruflich (theoretisch und praktisch) als auch privat sehr stark mit Minderheitenfragen auf sexistischer und rassistischer Ebene auseinander. In ihrer Kindheit hatte sie relativ wenige Berührungspunkte mit Migrant_innen und reflektiert die wenigen Begegnungen, die stattfanden, sehr kritisch: „Also des is mir vor Kurzem wieder eingfallen und mi hats ziemlich gschreckt, muss i sagen, wie also natürlich die erste Begegnung mit MigrantInnen war in der Schule, mit, was i net, elf, zwölf oder so. Da hats in unserm Dorf a Familie gebn (lacht), des war wirklich org, da hats a Familie gebn, die warn, glaub i, aus der Türkei, und es haben halt alle gwusst natürlich, dass die des sind, und i hab jetzt den Namen von der Familie vergessen und i kann mi noch erinnern, dass mei lieber Bruder und i genauso zu den Leuten ghört haben, die si über einen von denen ziemlich abpeckt [Anm.: amüsiert] haben, weil ma uns einbildet haben, dass er lustig ausschaut, und des is ma des letzte Mal, wie i zu Haus war, eingfalln. I hab ma dacht, bist du deppat, echt, so wies halt andere Außenseiter geben hat, über die i sicha a teilweise glacht hab.“
Sehr ausführlich beschrieb sie die Diskrepanz zwischen dem, was sie theoretisch und wissenschaftlich gelernt hat bzw. rational weiß, und dem, wie
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sie sozialisiert wurde. Dabei findet sie es schwierig, die eigene Sozialisation hinter sich zu lassen: „Wir haben ja in der Schule noch g’sungen ,Die zehn kleinen Negerlein‘. I hab jetzt die Mama mal gfragt, ob sie sich noch an den Text erinnern kann, wie der gangen is (lacht), und da hat sie gsagt: ,Zum Schluss warns dann eh wieder alle da‘ (lacht).“
Sonja sieht in ihrer Mutter ein Vorbild, an dem sie gelernt hat, dass es manchmal wichtiger ist, was Menschen tun, und nicht, was sie sagen. Im Gegensatz dazu kritisiert sie ihren Vater: „Da Papa, des is der, der auf super gebildet und liberal macht, aber urelitär is. Der Papa is rassistisch gegenüber den Bauern. Er hat mir erzählt von seinen Kolleginnen, weil die taugen ihm so, die sind so liab und die sind so brav und gehorsam und dann hat er gsagt [...] ,Die kummen direkt vom Misthaufn‘, i man, des is a a Form von Rassismus.“
In Bezug auf Information hat Sonja kontroverse Zugänge. Einerseits versucht sie, sich über Medien informiert zu halten, und hört auch regelmäßig das Mittagsjournal auf Ö1, „weil da relativ viel abdeckt wird, Zeitung täglich schaff i net“. Sie findet es auch spannend, mitzubekommen, was so passiert in der Welt. Gleichzeitig war es ihr mitunter unangenehm, wenn ich genauer nachfragte, weil ihr teilweise, wie sie auch selbst sagte, die Argumente und Begründungen für ihre Einstellungen fehlen. Nachdem ich das Aufnahmegerät ausgeschaltet hatte, betonte sie sehr nachdrücklich, dass es ihr bei aller Theorie und bei allem Verständnis für Diskriminierung persönlich am wichtigsten ist, wie viel Herz ein Mensch hat und was die Personen tun, und nicht deren Aussagen.
P ROFILE – BEZIEHUNGSNETZ C Maria (Juli 2007) Maria ist 21 Jahre alt und in der Kleinstadt aufgewachsen, in der sie geboren wurde. Sie hat Restaurantfachfrau als Beruf gelernt und bereits in diversen Hotels gearbeitet, bis sie dann in der Bar, in der sie jetzt seit zwei Jah-
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ren beschäftigt ist, eine fixe Stelle bekommen hat. Maria verbindet ein schwieriges Verhältnis zu ihren geschiedenen Eltern und ihrer Schwester, über das sie auch sehr offen berichtet, wie auch über andere, mit Problemen behaftete Bereiche ihres Lebens. So dominant und auffällig Marias Auftreten im öffentlichen Raum – sowohl über ihr lautes Sprechen als auch aufgrund ihrer extravaganten Kleidung – ist, so traurig und verzweifelt wirkt sie in ihren Erzählungen immer wieder. Ihre heimliche Affäre mit Hans belastet sie sehr und führt auch immer wieder zu Zusammenbrüchen und starkem Alkoholkonsum. Sie nimmt sich kein Blatt vor den Mund, sagt, was sie sich denkt, und spart mitunter nicht mit vulgären Ausdrücken, vor allem dann nicht, wenn es um Themen geht, die sie emotional betreffen oder aufregen. Sie fühlt sich von „den Ausländern“ stark bedrängt in „ihrer Heimat“, da diese ihrer Ansicht nach „tun und lassen können, was sie wollen“. Im Interview meinte sie, dass diese stärker in die Schranken gewiesen werden müssten und dass, wenn sie sich schon nicht unterordnen können, sie sich „zumindest anpassen“ sollten. Sie fühlt sich persönlich als Österreicherin und als Frau bedroht und kann dies mit eigenen Erfahrungen und Erzählungen ihrer Gäste im Lokal belegen. Vor allem ist sie erbost über die (vermeintlichen) Vergünstigungen, die türkische Familien in Österreich bekommen, die ihr selbst aber vorbehalten bleiben, denn ansonsten könnten „die Frauen von denen“ nicht „zehn Kinder kriegen und zu Hause bleiben und nix hackln“. Außerdem […] „[...] fahrn sie donn noch an fetten, neuen Mercedes! Warum geht des? Warum kennan si junge Ausländer – so blöd des klingt, i bin normalerweise wirklich ned ausländerfeindlich – , owa warum konn si a 20-jähriger Türk an nagelneuen BMW leisten, während si unsere jungen Leut Sorgen mochn miassn, wie sie sich irgendwonn moi einen Golf leisten solln. Des konns einfach ned sein. Woher haben die bitte das ganze Geld?“
Diese und andere Fragen stellt sich Maria immer wieder und auch mich konfrontierte sie im Lauf unserer gemeinsamen Zeit wiederholt mit Zweifeln dieser Art. Wie sie selbst sagte, empfand sie meine Anwesenheit in ihrer Nähe als angenehm und sie fragte mich auch immer wieder um Rat in persönlichen Belangen.
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Trotz oder vielleicht auch wegen ihrer schroffen Art kommt Maria mit allen Gästen im Lokal gut zurecht, ob jung oder alt, Mann oder Frau. Migrant_innen „verirren“ sich nur ab und zu in die Bar und dann „trinken die ja nur Kaffee und gehn wieder“. Obwohl sie selbst einen Gutteil dazu beiträgt, steht Maria dem in der Kleinstadt kursierenden Klatsch und Tratsch äußerst kritisch gegenüber, denn dieser mache die Leute kaputt und übe über das Leben mancher Menschen (so auch über ihres) zu viel Macht aus. Immer wieder überlegt Maria, doch noch wegzuziehen oder zumindest zu verreisen, sich etwas anderes anzusehen. Sie entscheidet sich aber dann doch – bei aller Kritik an ihrer Heimatstadt – dagegen, diese Überlegungen auch in die Tat umzusetzen: „Was bringt mir das?“ Maria genießt ihr Ansehen in der Speech Community aufgrund der Bewunderung für ihre unerschrockene Art gegenüber unangenehm werdenden männlichen Gästen und aufgrund ihres attraktiven Aussehens. Sie stellt eine Art Drehscheibe für Informationen dar, da sie die Angewohnheit besitzt, alle Informationen, die sie an der Bar über andere erfährt, weiterzuerzählen, wenn sie sich davon einen persönlichen Vorteil verspricht.
Gerda (September 2007) Gerda ist 24 Jahre alt und in einem kleinen Dorf in der Nähe der Kleinstadt, in der sich das Lokal befindet, aufgewachsen. Dort kennt jede/r jede/n, was für sie nicht immer einfach war, aber ihrer Ansicht nach auch Vorteile hatte. Da die Trennung ihrer Eltern und deren Streitigkeiten für sie (und auch ihren Bruder) sehr belastend waren, sie hat ihr Elternhaus mit 17 Jahren verlassen, um in die Kleinstadt zu ziehen, in der sie als Floristin arbeitet. Sie wurde in einem kleinen Dorf sozialisiert und mag es, dass sich die Leute grüßen, was sie auch als Begründung ihrer Antipathie gegenüber Türk_innen sieht, denn diese grüßen auf der Straße nicht (zurück). Und wenn sie türkisch reden, hat Gerda nicht das Gefühl, in vertrauter Umgebung zu sein, und fühlt sich unsicher. Geprägt ist ihre negative Haltung auch durch eine Beziehung zwischen einer „österreichischen Freundin und ihrem türkischen Freund“. Sie beschreibt immer wieder die massiven Probleme des jungen Mannes, da seine Eltern gegen diese Beziehung sind.
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In erster Linie beschäftigen sie Fragen in Bezug auf die Geschlechtergerechtigkeit zwischen türkischen Männern und Frauen: „Warum sind türkische Männer mit österreichischen Frauen zusammen und nicht umgekehrt?“ Sie erzählte ebenfalls von negativen Erfahrungen mit jungen türkischen Männern auf dem Heimweg von einem Lokal und ist deshalb einerseits vorsichtig und andererseits sehr ablehnend ihnen gegenüber. In Österreich fühlt sie sich als Frau ansonsten nicht diskriminiert. Sie meinte, manchmal hätten es Frauen sogar leichter als Männer, beispielsweise wenn es darum geht, ob ein Strafzettel bezahlt werden muss oder nicht. Auch ihr Vater hat große Vorbehalte gegenüber Ausländer_innen und Gerda meinte, für ihn wäre es schlimmer, wenn sie mit einem Türken heimkäme, als wenn sie lesbisch wäre. So befremdlich dieser Vergleich zunächst wirkte, um so einleuchtender erschien er ein Jahr später, als ich erfuhr, dass sie in der Zwischenzeit mit einer Frau zusammen war. Gerda nimmt aufgrund ihrer eher introvertierten Art die Position einer Mitläuferin im Beziehungsnetz ein. Sie fällt kaum auf, ist aber immer dabei – und aufgrund ihrer langjährigen Freund_innenschaft mit Maria wird sie auch nicht das Opfer von Intrigen oder Übergriffen durch betrunkene Lokalbesucher.
Martin (August 2007) Martin (45 Jahre) ist verheiratet und hat zwei mittlerweile jugendliche Kinder. Seine Familie lebt seit Generationen in der Kleinstadt. Er fühlt sich mit den Menschen, der Umgebung, den Gebäuden und der Geschichte der Kleinstadt stark verbunden und versucht, auch junge Menschen „wieder dafür zu begeistern“. Er befürchtet jedoch, dass durch die hohe Anzahl von Ausländer_innen immer mehr Jugendliche abwandern, da es ihnen „zu eng wird“. Martin positioniert sich als Unternehmer auf der wirtschaftsliberalen Seite. Für ihn ist die Präsenz von Migrant_innen in Österreich und in der Kleinstadt in Ordnung, solange sie wirtschaftlich Profit erzielen und auch für die österreichische Bevölkerung „einen Mehrwert“ darstellen. Da sie dies seiner Ansicht nach jedoch nur in wenigen Bereichen tun, „sollte man sie aussieben“, sodass nur noch jene übrig bleiben, die „uns“ auch nützen, denn immerhin haben „die“ auch etwas davon, dass sie hier leben.
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Martin ist davon überzeugt, zu wissen, wie „die Ausländer“ leben und worin deren Probleme liegen, ohne allerdings mit einem/einer von ihnen tatsächlich in regelmäßigem Kontakt zu stehen. Seine Informationen entnimmt er den Medien, der Politik und dem, was Menschen einander erzählen. Eine seiner Überzeugungen, die zum Teil verschwörungstheoretische Dimensionen annehmen, besteht darin, dass „die Türken“ einen „größeren Plan“ haben. Er ist sich sicher, dass zwischen der Türkei und Österreich Gelder fließen, die illegal sind und zum Ziel haben, dass in Österreich muslimische Kräfte „stark werden und sich einnisten“. Martin ist nicht durch Lautstärke und Auftreten dominant, sondern zeichnet sich durch seine ruhige und selbstbewusste Art, etwas zu erklären, aus. Zumeist hört er zu, meldet er sich jedoch zu Wort, haben seine Aussagen Gewicht. Aufgrund seines Alters nimmt er eine generationenverbindende Position im Beziehungsnetz ein und Diskussionen, an denen er teilnimmt, führen daher auch häufig zu spannenden Kontroversen.
Legitim(iert)es Herstellen von Differenz
In den folgenden Abschnitten finden sich aus der Empirie abgeleitete Diskursstränge, die es den Akteur_innen erlauben, Differenz und Unterschiede zu „den Anderen“ herzustellen. Einerseits wurden die in der Feldforschung und in den Interviews dominanten Diskursstränge erfasst, die die Differenz zwischen dem Eigenen und dem Anderen kennzeichnen, um dann andererseits die argumentativen Legitimationsstrategien von Differenz und Gleichheit zu analysieren. Diese Strategien dienen Einzelpersonen in erster Linie als Begründung von homogenisierenden Argumenten sowie deren Legitimation. Die drei aus dem Material abgeleiteten bzw. in den Beziehungsnetzen immer wiederkehrenden Diskursstränge, die als Ausgangspunkte zum Herstellen von Differenz und Gleichheit herangezogen wurden, sind „Kultur und Multikulturalismus“, „Heimatverbundenheit und Grenzen“ und „Rasse und Rassismus“. Diese Diskurse werden einer genaueren Analyse unterzogen, bei der hinterfragt wird, in welcher Ausprägung sich diese im Alltagsdiskurs der Beziehungsnetze wiederfinden und wie sie argumentiert werden. In diesem Zusammenhang wird nicht nur die Diskursproduktion betrachtet, sondern auch die Diskursprodukte wie beispielsweise die Begriffe „Multikulturalismus“, „Heimat“ oder „Rasse“ in ihren unterschiedlichen Dimensionen und unter verschiedenen Blickwinkeln. Diese drei Diskursstränge existieren nicht unabhängig voneinander, sondern interagieren an vielen Stellen miteinander, wie sich in den Ausführungen zeigen wird. Bei der Darstellung der Diskursstränge zu „Kultur und Multikulturalismus“ und „Heimatverbundenheit und Grenzen“ werden speziell die Inhalte der Differenzproduktion und deren Argumentations- bzw. Legitimationsstrategien dargestellt. Der Diskursstrang zu „Rasse und Ras-
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sismus“ wird verdeutlichen, wie sich Personen als Individuen dieser Diskurse bedienen bzw. wie sie sie verändern oder für ihre Zwecke benutzen. Diskurse prägen die an ihnen Beteiligten zwar und werden von diesen übernommen, doch dies geschieht nicht vollständig. Vielmehr sind die Akteur_innen und deren Handlungsspielraum ausschlaggebend für die Entwicklung bzw. Entfaltung eines Diskursstrangs in Gruppen, zumal Personen Diskursstränge immer aktiv verhandeln. Dieses Aushandeln von Aussagen in den Beziehungsnetzen wird veranschaulichen, dass Diskurse vor allem davon abhängen, in welcher Position Akteur_innen sprechen und dass Phänomene wie Rassismus in hohem Maß von der jeweiligen Gruppensituation bestimmt sind.
Kultur und Multikulturalismus
Die Begriffe „Kultur“ und „Multikulturalismus“ wurden von den Interviewpartner_innen dieser Studie in unterschiedlichen Zusammenhängen eingebracht, kontextualisiert und reflektiert. In den Gesprächen offenbarte sich dabei die Unschärfe der Begriffe in ihrer alltäglichen Anwendung. Auch die Personen mit sozialwissenschaftlichem Hintergrund waren unsicher, wie sie diese Begriffe definieren soll(t)en. Deutlich wurde jedenfalls, dass die Interviewpartner_innen beziehungsnetzübergreifend völlig unterschiedliche Verwendungsweisen und Zugänge zu diesem haben. Dass diese Thematik im Allgemeinen Irritationen auslöst, wurde zweifelsohne in den durchgeführten Interviews transparent. Für das vorliegende Kapitel wurde das gängige Verständnis von Multikulturalismus als Begriff, als politisches Konzept, als Teil einer gesellschaftlichen Realität und moralischen Norm in der Mehrheitsgesellschaft analysiert. In diesem Kontext stellte sich ebenso die Frage, welche Rolle der Terminus „Kultur“ spielt, ob dieser an sich als Problem identifiziert wird und was damit benannt wird.
M ULTIKULTURALISMUS ALS „P SEUDOTRENDWORT “ UND M ULTIKULTURALITÄT ALS „Z WANGSBEGLÜCKUNG“ Als anschauliches Beispiel für das Spannungsfeld zwischen der alltäglichen und eher akademisch geprägten Verwendung des Begriffs „Multikulturalismus“ kann Evas (B) Auseinandersetzung mit diesem verstanden werden. Sie sieht den Begriff „Multikulturalismus“ tendenziell negativ, denn er ist
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„nicht für das brauchbar, was für mich wichtig is“ (Eva, B). Ihre Antwort auf die Nachfrage, ob sie diesen Begriff denn selbst verwenden würde, fiel so aus: „Den Begriff [verwende ich] überhaupt nicht. Also Menschen aus verschiedenen Ländern, die zusammenkommen und wie das funktioniert, ist sehr präsent, aber multikulturell als Begriff [verwende ich] seit einiger Zeit nicht mehr“ (Eva, B). Der Begriff besitzt für sie eine negative Konnotation und vor allem ist er ihr zu wenig politisch und konzentriert sich zu stark auf zwischenmenschliche Aspekte. „[…] also das ist dieses Multikulti, und damit verbind ich mittlerweile schon koch ma Speisen aus verschiedenen Ländern, so irgendwie die offene Schule, die so offen is, weil die Mamas aus allen Ländern Essen kochen, und dann wundert man sich, warum trotzdem nix weiter passiert. Drum is er bei mir, glaub ich, auch negativ belegt. Und in meiner Umgebung wird er eben fast nimmer verwendet.“ (Eva, B)
Aus wissenschaftlicher Perspektive meint Eva (B) hier viel eher Interkulturalität und nicht Multikulturalität, verwendet dafür den in Österreich gebräuchlichen (mittlerweile abgewerteten) Terminus „Multikulti“ und meint Maßnahmen im privaten, zwischenmenschlichen Bereich, die ihrer Meinung nach nur dazu führen, dass die auf diese Weise interkulturell geschulten einzelnen Ausländer_innen als „die Guten“ und „die Fleißigen“ bezeichnet werden und die Inländer_innen sich „gutmenschlicher“ (Eva, B) fühlen. Weitgehend konzentriert sich dieser Begriff ihres Erachtens zu wenig auf Strukturen. Sie priorisiert eine politische Auseinandersetzung, die eher mit Termini wie „Integration“ und „Asyl“ in Verbindung steht. Über diese Ablehnung des Begriffs definiert (und bewertet) sie auch ihr Umfeld, das den Begriff ebenfalls ablehnt und nicht (mehr) verwendet. Ähnliche Kontrastierungen werden auch bei ihrer Arbeitskollegin und Freundin Sonja (B) deutlich, die den Multikulturalismusbegriff mehreren Deutungen und Reflexionen unterzieht – ebenfalls bedingt durch ihren sozialwissenschaftlichen Hintergrund und die Rückfragen durch mich als Sozialwissenschaftlerin. Zuallererst geht sie auf die grundsätzliche Problematik der Verwendung von Begriffen ein: „Multikulturalismus, also i merk des bei mehreren Begriffen oft, dass i zwar einerseits weiß, was vielleicht PC wär, oder was PC gsehn wird, oder was i auf der Uni
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glernt hab, keine Ahnung in Gesprächen [...] und dann andererseits die Sachen, die i drunter versteh.“ (Sonja, B)
Sie weist häufig darauf hin, dass das, was sie sagt, und das, was sie wirklich denkt, aufgrund der Erwartungshaltung anderer nicht immer übereinstimmen: „Wenn i des Wort Multikulturalismus hör, muss i im Moment an London denken, ganz einfach weil sicher in London stark des vorhanden is, was viele Menschen unter Multikulturalismus verstehn, so einfach Leute aus den verschiedensten Teilen der Welt, aus verschiedensten Nationen, verschiedensten Religionen, verschiedensten Lebensideen, alles … Sexualitäten, Identitäten.“ (Sonja, B)
Diese Form des normativen und deskriptiven Multikulturalismus mit seiner spezifischen Geschichte in England hat für Sonja (B) eine Art Vorbildfunktion. In dieser Definition enthält der Multikulturalismusbegriff aber auch unterschiedliche Identitäten und Kategorien, die sich nicht nur auf phänotypische Merkmale oder die Herkunft beziehen, sondern auch auf sexuelle Identitäten oder Schichtzugehörigkeiten. Somit nähert sie sich mit ihrer Multikulturalismusbeschreibung viel stärker dem Begriff der Diversität 1, da dieser der Verbundenheit von unterschiedlichen Kategorien stärkere Aufmerksamkeit schenkt. Sonja (B) bezeichnet Multikulturalismus, der für sie prinzipiell nicht negativ besetzt ist, als „Pseudotrendwort“. Negativ ist der Begriff „Multikulturalismus“ höchstens dann: „[…] wenn er für etwas verwendet wird, was aber in Wahrheit ganz anders is, also wos waß i, wenn jetzt zum Beispiel Politiker hergehen und sagen Multikulturalismus
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Dies bedeutet jedoch nicht, dass im Diversitätskonzept auch Machtverhältnissen und deren Konsequenzen für Individuen genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Diversität betrifft zwar zumeist augenscheinlich wesentlich mehr Kategorien als Multikulturalität, in der Praxis wird jedoch häufig deutlich, dass dieser Begriff ebenfalls auf hauptsächlich kulturelle Unterschiede reduziert wird. Abgesehen davon ist Diversität nicht nur ein alltägliches Faktum einer heterogenen Gesellschaft, sondern auch ein politisches Konzept, das aus dem amerikanischen Unternehmenssektor als Alternative zur „affirmative action“ entwickelt wurde.
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für Wien, versteh i des jetzt ned so, weil es in Wahrheit ned zuglassen wird, dass wirklich Leut von verschiedensten Teilen der Welt einfach hierherkommen können und hier leben können, frei und ohne dass sie mindestens fünfmal am Tag schräg angschaut werdn.“ (Sonja, B)
Sonja (B) versteht unter Multikulturalismus die soziale Realität der Multikulturalität, die jedoch politisch nicht in einem tatsächlichen Bekenntnis zum Multikulturalismus umgesetzt wird. Sie wünscht sich viele Veränderungen in der Gesellschaft, unter anderem eine Haltungsänderung der österreichischen Mehrheitsgesellschaft, Gesetzesänderungen, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und eine diesbezüglich „liberalere“ Regierung. Damit bezieht sie in ihre Definition oder Beschreibung des Begriffs sowohl die zwischenmenschlichen als auch die politischen und strukturellen Aspekte mit ein, die sich dafür ändern müssten. Obwohl sie neben den Strukturen auch den zwischenmenschlichen Aspekt betont, vertritt sie ebenso wie Eva (B) eine sehr idealistische Haltung, ist überaus frustriert angesichts der Realität, ist aber nichtsdestoweniger motiviert, selbst etwas dazu beizutragen, um die Situation zu verändern. Alfred (B) reflektiert Multikulturalismus ebenso in einer Trennung der Bedeutung des Begriffs an sich – „Multikulturalismus ist ein Wort, das für Österreich nicht funktioniert“ (Alfred, B) – und in Phänomene, die bei ihm persönlich Unbehagen hervorrufen, wie „Zwangsverheiratungen, FGM und Gewalt und so weiter“ (Alfred, B). Thomas (B) beruft sich in seiner Einschätzung zum Thema „multikulturelle Gesellschaft“ fast ausschließlich auf seine persönlichen Erfahrungen, in denen er sein Auskommen mit „den Anderen“ oder seine Einschätzungen über „die Anderen“ schildert: „Mia is des jo wirklich wurscht, ob jetzt ana Serbe, Kroate, Mazedonier oder scheißegal wos a immer is. Allanich in Wien leben, glaub i, 157.000 Menschen, denen eana Abstammung aus dem ehemaligen Jugoslawien is. Oiso zöht zum Besipü mei Vota a dazua, wei der duat geborn is. I net, weil i bin jo do geburn. Und do [Anm.: in Österreich] hot ma hoit glernt, mitanonda umzugehn.“ (Thomas, B)
Seine Ablehnung reduziert er auf bestimmte Migrant_innen: „solong si die Leut benehmen kennan, ist jo olles in Ordnung.“ Dann ist ihm auch deren
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Herkunft einerlei. Da aber bei Menschen anderer Herkunft seines Erachtens nicht davon auszugehen ist, dass sie sich zu benehmen wissen, ist ein friedliches Zusammenleben eben nicht gewährleistet. Zudem gehen seiner Ansicht nach bestimmte Gruppen in Österreich einander auch bewusst aus dem Weg, damit die Situation nicht eskaliert. Er geht davon aus, dass es für die ersten Generationen von Gastarbeiter_innen und Zuwander_innen einfacher war, „von uns“ zu lernen, da es noch wenige waren. Diese konnten sich an der bereits „zivilisierten“ Mehrheitsgesellschaft orientieren. Durch die starke Zuwanderung orientieren sich Migrant_innen nun jedoch vermehrt auch aneinander, was dazu führt, dass sie sich „nicht benehmen“ können. Thomas (B) ist in Bezug auf die Einwanderungspolitik in Österreich kritisch und identifiziert die politische Forderung nach mehr Regulierungen von Migration auch in der Gesellschaft und den Medien. Er spricht sich für mehr Gesetze aus, die für stärkere Sicherheiten in der Gesellschaft sorgen, und meint, in den letzten zwei bis drei Jahren hätte auch eine Wende in der Berichterstattung stattgefunden: „[…] dass a linke Blattln a onfongen, i sog jetzt amoi, die Zuwanderungspolitik ondas zu beurteiln, ois mas gewohnt san. Weil i glaub, dass die Leut einsehn, oda eingsehn hobn, dass do irgenda Regulativ hermuass. […] und also der Falter schreibt heut sicha ondas ois vor fünf Johrn. Net linker ois vor fünf johrn, sondan rechter […] oiso do hot si sicha wos don. Owa mia san monche Dinge no imma vü zu links.“ (Thomas, B)
Das Problem läge in der ablehnenden Haltung der österreichischen Bevölkerung gegenüber „zu starker Zuwanderung“. Die frühere Bereitschaft der Österreicher_innen, beispielweise den Flüchtlingen aus Ungarn im Zuge der Revolution 1956 zu helfen und sie in ihrer Not zu unterstützen, sei durch die hohe Anzahl an Migrant_innen in den Jahrzehnten danach gesunken. Die „natürliche Abwehrhaltung“, die daraus entstehe, deutet Thomas (B) nicht als Rassismus, sondern als „nachvollziehbare Xenophobie“, da durch diesen Begriff die Angst, die mit „dem Fremden“ in Zusammenhang steht, besser beschreibbar sei. Im Gegensatz zu seinen Kolleg_innen verweist er keinesfalls auf Schwächen in den Strukturen, sondern relativiert feindliche Einstellungen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber „Fremden“ durch begründete Angst.
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Thomas (B) geht davon aus, dass Multikulturalität funktionieren könnte, wenn nicht zu viele Migrant_innen auf einmal in einem Land wären und gleichzeitig die Zuwanderung zahlenmäßig reguliert werden würde. Ebenso wie Marianne (A) befürchtet er, dass die bereits in Österreich lebenden „Ausländer“ schon eine ausreichend große Herausforderung für die Menschen darstellen. Richard (A) hingegen kritisiert ganz offen die Tatsache einer multikulturellen Gesellschaft, bewertet diese grundsätzlich als negativ und interessiert sich auch nicht für die Lebensweisen von Migrant_innen, soweit es keine Berührungspunkte gibt. Allerdings beginnt die multikulturelle Gesellschaft ihn dort zu stören, wo er sich belästigt fühlt. Dies passiert dann, wenn sein ohnehin schon kompliziertes Leben eine Störung bzw. Irritation durch dieses Phänomen erfährt. „Mi interessiert des gonze multikulturelle Problem überhaupt net. Weil i sog, wia konn i do wos bewirken, won i mit mia söwa net zrechtkum, weil i momentan private Probleme hob. Oiso i kum schon mit mia zrecht, sog i moi, owa i wü zeast amoi mei private Situation geklärt hom. Mia is dieses ,I bin multikulturell, in ana riesengroßen weiten Familie‘ zbled. Wia konn i wos bewirken, wos Positives, won i zdeppat bin, mi um a eigene Familie, die aus zwa Personen besteht und drei Meter von mir entfernt is, zu kümman und nix zombring. Oiso i hob net den Schedl dafia. Deshoib sog i: ,Wozu?‘ De soin mi olle in Ruah lossen, interessiern mi net, jo? Es reicht, dass i jedn Tog in da Zeitung les, dass si de auffian wia die Wahnsinnign.“ (Richard, A)
Als multikulturell definiert er eine Gesellschaft erst, wenn in vielen Lebensbereichen eine zwangsweise Auseinandersetzung mit „den Ausländern“ stattfindet. Im Lauf der Gespräche mit ihm bezog er die Themen „Migration“, „Rassismus“ und „Multikulturalismus“ vor allem auf seine persönliche Lebenssituation. Seine eigenen Probleme sind ihm näher als die „der Ausländer“. Multikulturelle Probleme betrachtet er nur auf der individuellen und persönlichen Ebene. Zumeist ist er selbst sein ausschließlicher Referenzpunkt für allgemeine Debatten und Fragen. Multikulturalismus und die Anwesenheit von Migrant_innen stellen grundsätzlich ein Problem für ihn dar, das er nicht zu lösen vermag – und er sieht dies auch nicht als seine Aufgabe an.
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Obwohl er beteuert, kein Interesse an Diskussionen darüber zu haben oder sich mit dieser Frage eingehender befassen zu wollen, beginnt er doch immer wieder von selbst, darüber zu sprechen, sei es in Interviews oder in informellen Gesprächen, vor allem aber in Anwesenheit mehrerer anderer Personen. Dabei wird überaus deutlich, dass ihn dieser Themenkomplex sehr wohl auf mehreren Ebenen intensiv beschäftigt. Die wichtigsten Angriffspunkte sind für ihn diskriminierte Gruppierungen jeder Art: an erster Stelle Frauen, dicht gefolgt von Menschen mit Migrationshintergrund. Aber auch Homosexuelle sind Ziel seiner Verbalattacken und Witze. Damit einher geht sein Konzept von Österreich, „Heimat“ und den (Vor-)Rechten, die hier geborene (und über mehrere Generationen hier „verwurzelte“) Menschen haben sollten. Die Einzige, die ihm von Zeit zu Zeit widerspricht, ist Marianne (A). Beim Thema „multikulturelle Gesellschaft“ ist sie in ihrer Position jedoch unsicher. Einerseits ist sie gegen das Ausnutzen des Sozialstaats durch Ausländer_innen und meint in diesem Zusammenhang, dass bereits genügend Ausländer_innen in Österreich leben und auf jeden Fall etablierte Österreicher_innen (nicht nur aufgrund ihrer Staatsbürger_innenschaft) mehr Rechte haben sollten. Andererseits wird in Gesprächen zwischen ihr und Susanne (A) oder Karl (A) ersichtlich, dass sie diese Haltung nicht starr vertritt. Erscheint ihr ein anderes Argument logisch, revidiert sie durchaus ihre Position. Susanne (A) positioniert sich weniger „der Gesellschaft“ gegenüber als multikulturell, sondern es sind eher Einzelpersonen, denen sie das Recht, hier zu leben, zuerkennt oder abspricht. Weder Maria (C) noch Gerda (C) oder Martin (C) verwenden den Begriff „Multikulturalismus“ in ihrem Alltag, sondern eher Begrifflichkeiten wie „Assimilation“ und „Integration“. Diese beiden Ausdrücke finden jedoch hauptsächlich im Hinblick auf deren mangelhafte Umsetzung in unserer Gesellschaft Verwendung. Sich zu assimilieren oder auch zu integrieren – ein inhaltlicher Unterschied ist kaum noch auszumachen –, seien Aufgaben, die seitens der Migrant_innen erfüllt werden müssten. In diesem Beziehungsnetz war kein Bewusstsein darüber vorhanden, dass sie selbst ebenfalls etwas zur Integration von Migrant_innen beitragen könnten. „Weil die san jo herkumman, wir hom sie jo ned einglodn, donn suin sa si a gfölligst integriern“ (Maria, C).
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Mit Hinweis auf die Gastarbeiter_innengeschichte in Österreich meinte Gerda (C) zu Maria (C): „Und wia miassn jetzt für den biaßn, dass die Politika domois de Leit herghoit hom, oda wia? Donn soin die doch des Problem beseitigen. Wia hom des ned entschieden.“ Das Faktum einer multikulturellen Gesellschaft wird nicht anerkannt bzw. ausschließlich negativ bewertet. Auch Martin (C) ist sich sicher, dass „die Einheimischen“ zu Unrecht für die Entscheidungen der Politiker_innen büßen müssen: „Der Strache hot scho recht, ana muass jo amoi sogn, wos si olle denkn. Nur weil a boa Politika oder Studierte sogn, dass es ohne Auslända in Österreich net geht, haßt des no long net, dass des stimmt. Es reicht jo a, wenn die Höfte z’ruckg’schickt wird.“ (Martin, C)
Beziehungsnetz C möchte kein Teil einer multikulturellen Gesellschaft sein. Anders zu sein als „das Eigene“, wird in diesem Beziehungsnetz nur dann positiv gesehen, wenn es etwas Bekanntes betrifft, das längst Teil „des Eigenen“ ist. Outet sich beispielsweise ein/e FreundIn als homosexuell, stellt dies kein Problem für die anderen Mitglieder dar – sofern er/sie zu diesem Zeitpunkt schon Teil des Beziehungsnetzs ist. Gleiches gilt für Einzelpersonen mit Migrationshintergrund. Sind diese seit der Volksschule assimiliert und „so wie wir“, dann können auch hier Freund_innenschaften entstehen. Dieser Ausgangspunkt des „So-wie-wir-Seins“ als unhinterfragte Norm steht in starkem Zusammenhang mit der Vorstellung territorialer Besitzansprüche der Mehrheitsgesellschaft in Beziehungsnetz C, die viel stärker erscheinen als bei den Beziehungsnetzen in der Wiener Großstadt. Im Beziehungsnetz C wurde auch nur auf den Zustand der Multikulturalität und nicht auf den Terminus selbst referiert, während in den Beziehungsnetzen A und B „Multikulturalismus“ auch begrifflich eingebracht wurde.
Rücktritt oder Verweigerung? Multikulturalismus im Vergleich Die Mitglieder von Beziehungsnetz B setzen sich mit Ausnahme von Thomas (B) mit dem Begriff „Multikulturalismus“ auseinander und lassen durch ihre Rhetorik eher auf einen beobachtenden Blick auf das Phänomen
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und die Gesellschaft an sich schließen. Trotz einer stark anti-rassistischen Haltung besteht eine große Unsicherheit, wie Phänomene, die „kulturelles Unbehagen“ auslösen, gehandhabt werden sollen. Thomas (B) knüpft in diesem Zusammenhang auch Bedingungen an den Zuzug und bringt sich und seine eher kritische Haltung gegenüber Zuwanderung ein. Die Beziehungsnetze A und C empfinden es größtenteils (mit Ausnahme von Susanne, A) als Zumutung, mit der multikulturellen Realität konfrontiert zu sein – einer unliebsamen Lebensrealität, die nicht ins eigene Leben integrierbar scheint. Zudem entsteht der Eindruck, als handle es sich bei allen nicht autochthonen Österreicher_innen um Eindringlinge, die nicht in die eigentliche eigene Gesellschaft gehören. Multikulturalismus scheint in diesem Zusammenhang also nicht Teil der Gesellschaft zu sein, sondern etwas, das in anderen Bezirken oder in einer von der eigenen abweichenden Gesellschaftsschicht passiert oder das einen Fremdkörper im eigenen Territorium darstellt. Den Terminus „Multikulturalismus“ und dessen Konnotationen im Alltagsdiskurs „nutzen“ Mitglieder der Beziehungsnetze A und B, um Differenz herzustellen oder zu diskutieren. Ebenso verhält es sich in Beziehungsnetz C, mit dem Unterschied, dass hier Termini wie „Interkulturalität“, „Integration“ oder „das Ausländerproblem“ für das Herstellen von Differenz verwendet werden. Dabei wird die Unmöglichkeit verdeutlicht, dass die „Eindringlinge“ so wie wir sein können oder ein Teil von uns sind. Indes scheint das einzige mögliche und vorstellbare Konzept die vollständige Assimilation von wenigen zu sein. Im Rahmen dieser Haltungen tauchen auch häufig Ideen auf, „die“ wieder nach Haus zu schicken. Multikulturalismus ist nicht nur in den Beziehungsnetzen A und B kein wertfreier Begriff, sondern eine politische Ideologie, die durch das Faktum einer sich kulturell vervielfältigenden Gesellschaftsstruktur entstanden ist, derzeit jedoch immer häufiger als gescheitert angesehen wird. In den letzten Jahren hat es in einigen Ländern (u. a. in Australien, Großbritannien und den Niederlanden) einen Rückzug von der multikulturalistischen Politik gegeben (Joppke 2004), zumindest in der Rhetorik (Bauböck 2003). Dieser „sharp retreat from the rhetoric of multiculturalism“, wie Anne Phillips (2007: 4) ihn nennt, birgt noch nicht erfassbare Konsequenzen für die Praxis. Aber nicht nur die (potenziellen) daraus resultierenden Konsequenzen, sondern auch die Ursachen dafür sind vielfältig:
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„Die globale Debatte um den Islam und die Anschläge in New York (2001), Madrid (2004) und London (2005), aber auch die Ermordung von )DGLPH ùDKLQGDO LQ Schweden (2002) und von Theo van Gogh in den Niederlanden (2004) haben zu einer verstärkten Skepsis gegenüber der ohnedies umstrittenen Politik des Multikulturalismus beigetragen. Ereignisse wie diese und die Angst vor sozialer Desintegration durch die Entstehung und Verfestigung von ‚Parallelgesellschaften‘ werden unter anderem als Erklärung für die wachsende Abwehrhaltung westlicher Industriestaaten gegenüber Immigration und ihre Hinwendung zu einer mit strikten Integrationsvorgaben verbundenen Wertegemeinschaftsrhetorik herangezogen. Der Multikulturalismus wurde für alle möglichen Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht.“ (Strasser/Holzleithner 2010: 28-29)
Multikulturalismus wird unterschiedlich definiert. In der Theorie finden sich zahlreiche Konzepte und Ansätze, die Multikulturalismus auf vielerlei Arten einteilen 2, und auch in der Praxis gehen die Definitionen und Einordnungen des Begriffs auseinander (Multikulti, Multikulturalität, Interkulturalität, Multikulturalismus). Kymlickas 3 ursprüngliche Idee der Freiheit des Individuums als Grundidee des Liberalismus oder des Schutzes kultureller Gruppen 4 vor der Einverleibung der Mehrheit im Sinne einer Assimilation scheint in der sozialen Praxis jedoch kaum Relevanz zu haben. Durch die Analyse der Interviews und Gespräche wurde, obwohl es in Österreich nie ein explizites Bekenntnis zur multikulturellen Politik gegeben hat, ebenso die grundlegende Tendenz des „Rücktritts vom Multikulturalismus“ deutlich. Und war es früher die Diskriminierung von Minderheiten, die zu Diskussionen geführt hat, so sind es nun verstärkt Verletzungen
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Für eine ausgiebige Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen des Multikulturalismus siehe Strasser/Holzleithner (2010).
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Will Kymlicka ist ein prominenter Vertreter eines differenzaffirmativen Multikulturalismus liberaler Prägung (Strasser/Holzleithner 2010), der 1995 in „Mulitcultural Citizenship“ das Problem zwischen gesellschaftlicher Vielfalt und Gruppenrechten diskutierte.
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Für Kymlicka (1995) ist Kultur eine moralische Ressource für das Individuum und deshalb von hoher Relevanz. Die Kritik an seiner Sichtweise besteht jedoch darin, dass er keinen Weg findet, den Kulturbegriff zu deessentialisieren bzw. auch nicht erklärt, wie man mit weniger liberal eingestellten Gruppen umgehen sollte.
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individueller Rechte durch und innerhalb von Minderheitengruppen (Eriksen 2006; 2007).5 Die Mitglieder der drei Beziehungsnetze ziehen hierfür unterschiedliche Begründungen und Beispiele heran. Gemeinsam ist ihnen jedoch die Kritik an den unterdrückten Positionen von Frauen in anderen Gruppen oder Gesellschaften. Abgesehen vom „Rücktritt vom Multikulturalismus“ konnte in den letzten Jahren eine Verlagerung der akademischen und öffentlichen Debatten über Multikulturalismus beobachtet werden. Häufig scheint es (zumindest in der Politik), als würde nicht Multikulturalismus das Konzept sein, mit dem bevorzugt agiert und argumentiert wird. Vielmehr wurde und wird Multikulturalismus nach und nach durch eine „Politik der Diversität“ ersetzt 6 (Titley/Lentin 2008; Schiller 2007). Wie die Analysen gezeigt haben, ist es in der Tat die etablierte Mehrheitsgesellschaft, die das Problem mit dem Multikulturalismus hat, und ein wichtiger Aspekt dieses Problems ist die fehlende Anerkennung, dass Menschen vor Jahrzehnten nach Österreich gekommen sind und auch heute noch kommen, um zu bleiben. Solange es die Illusion gibt, ein idealisiertes „früher, als die Anderen noch nicht da waren“ oder „früher, als es noch nicht so viele waren“ zurückzubekommen, wird sich an der Verweigerung
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Der Teil der folgenden Ausführungen wurde im Rahmen des Projekts „Contesting Multiculturalism“ (www.univie.ac.at/NODE-CMC) unter der Leitung von Sabine Strasser und unter Mitarbeit von Elisabeth Holzleithner, Ines Rössl und Christa Markom entwickelt. An dieser Stelle möchte ich dem Team für zahlreiche Diskussionen und Auseinandersetzungen danken. Nachzulesen sind die Projektergebnisse in dem Sammelband Multikulturalismus queer gelesen. Zwangsheirat und gleichgeschlechtliche Ehe in pluralen Gesellschaften, herausgegeben von Sabine Strasser und Elisabeth Holzeithner (2010).
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In den letzten Jahren wurde es zunehmend opportun, ausgehend vom Individuum einen stärker positivistischen Begriff von Unterschieden zu verwenden. Dieses Denken in einer Verbundenheit von Kategorien wie Geschlecht, Religion, Sexualität, ethnischer Zugehörigkeit, phänotypischen Merkmalen, Alter u. a. m. sowie die Komplexität und Gleichzeitigkeit von Zugehörigkeiten legen den Fokus auf soziale Kohäsion und Einheit in der Vielfalt, laufen aber dabei immer wieder Gefahr, Machtverhältnisse zu ignorieren bzw. zu negieren, denn trotz der Gleichzeitigkeit von Unterschieden ist die ungleiche Machtverteilung in diesem positiv gezeichneten Bild von Verschiedenheit eine gewichtige Konstante.
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von Multikulturalität nicht viel ändern. „Study your own tribe, for it may be they who are ‚the multicultural problem‘“, schlägt Gerd Baumann in seinem Werk „The Multicultural Riddle“ (1999: 147) vor und betont die Dominanz und Rolle der Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf das multikulturelle Problem in der Gesellschaft, denn es ist „largely a problem created by socalled majorities, not so-called minorities“ (Baumann 1999: 147).7
E SSENTIALISTISCHE KULTURDISKURSE – „E S IST EINFACH SO“ UND DER E RHALT VON F RIEDEN IN DER G ESELLSCHAFT Multikulturalismus steht mit Kultur sowohl in der Theorie als auch in der Praxis in direktem Zusammenhang, wobei folgende Erkenntnis vorausgeschickt werden kann: Je starrer die Konzepte zu Kultur in den Beziehungsnetzen sind, desto mehr Ablehnung gegenüber einer multikulturellen Gesellschaft herrscht(e). Für Richard aus Beziehungsnetz A stellt Kultur (oder auch Mentalität) eine fixe und unveränderbare Größe dar – etwas natürlich Mitgegebenes, fast schon Angeborenes oder Vererbtes. Er war auch der Einzige, der den Kulturbegriff auf sich selbst als Individuum anwendete und damit Grenzziehungen rechtfertigte: „[...] dass es gsellschaftliche Probleme gibt und dass die Mentalität von am Menschen gonz anfoch do is, so wia i a mei Mentalität hab, die ma oft des Gnack bricht und gegn die konn i ned wirklich wos duan, i versuchs jo oft.“ (Richard, A) Richard (A) ist zudem davon überzeugt, dass auch die Charaktereigenschaften eines Menschen stark mit seinen kulturellen Eigenschaften in Zusammenhang stehen, was er anhand meines Berufs erklärte: „Du konnst di jo net total ändan, so wiast bist, charakterlich, so bist du, und a dei Job is okay, mit oin möglichen Leuten zurechtzukommen, zommzkumman [Anm.: Er meint damit meinen Beruf als Wissenschaftlerin] oda wos waß i.“ (Richard, A) Diese Aussage lässt auf eine grundsätzliche Toleranz ge-
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Baumann geht von Nationalstaat, Ethnizität und Religion als drei unterschiedliche Machtpole aus, die in das multikulturelle Projekt involviert sind. Im Zentrum dieses Dreiecks befindet sich „Kultur“ (Baumann 1999).
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genüber unterschiedlichen Lebensweisen schließen, die jedoch nur besteht, solange er mit diesen nicht in Berührung kommt: „Oiso i hob mit mia gnuag ztuan, dass i mi moi drum kümmer. I kehr mein Dreck vor meinen eigenen Türdacken wegga und donn fong i an zum Schaun, ob die ondan a an Dreck drauf hobn“ (Richard, A). Diese Toleranz endet überdies bei gewissen Kulturen, die seiner Ansicht nach einfach eine zu unterschiedliche Mentalität haben. In diesem Zusammenhang vermischte er immer wieder die Begriffe „Mentalität“, „Kultur“ und „persönliche Charaktereigenschaften“. Richard (A) geht davon aus, dass (zumindest bestimmte 8) „Kulturen“ einander feindlich gegenüberstehen, und zwar von Natur aus. Aus diesem Grund ist es seiner Meinung nach auch besser, eine räumliche Trennung, also Segregation, zu erwirken (kultureller Fundamentalismus, Stolcke 1995; Grillo 2003). Früher hätte es diese noch durch die Bezirksgrenzen gegeben, meinte er, doch heute sei es leider so, „dass Ausländer schon nebn Diplomaten wohnen kennan“ (Richard, A). Im Fall von Richard (A) sind es verschiedene Kulturen und für Maria (C) zusätzlich die unterschiedlichen Religionen, die völlig unterschiedliche Welten darstellen, die aufeinanderprallen und dadurch die Konflikte vorprogrammiert sind. Immer wieder wiesen beide darauf hin, dass es ihnen in erster Linie um Konfliktfreiheit in ihrer eigenen Gesellschaft und nicht um die Ablehnung einzelner Personen geht. Richard (A) kritisiert nicht nur das „Scheitern der Integration“, sondern war immer schon gegen „die Ausländer“ und ist der Ansicht, dass Zuwanderung in diesem Ausmaß nie passieren hätte dürfen. In seiner Argumentation findet sich eine Extremvariante der ersten der drei Positionen zu Parallelgesellschaften von Werner Schiffauer (2008) wieder 9, die das Versagen
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Kulturen, die einander seiner Ansicht nach ähnlich sind, wie „die USA und Europa“, haben diesbezüglich kein Problem.
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Die zweite Position lehnt den Begriff „Parallelgesellschaften“ an sich und übertriebene Sorgen darüber ab. Räume von Immigrant_innen stellen eher „Orte sozialer Solidarität“ als Bedrohungen dar. Diese Position versucht, den (Mehr-) Wert der Vielfalt auf neoliberale Weise zu betonen. Die dritte Haltung betont indes vor allem die Verantwortung der Mehrheitsgesellschaft für das Scheitern von Integration. Strukturelle Diskriminierung und „ethnische Segregation“ füh-
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einer funktionierenden multikulturellen Gesellschaft lamentiert. Diese Position geht vom „Scheitern der Integration“ aus und sieht bedrohliche Stadtviertel mit Einwander_innen wachsen, die sich mit ihren eigenen – zumeist patriarchalen – Gesetzen von den Einheimischen abkoppeln (Schiffauer 2008: 7ff.). Maria (C) drückt ähnliche Überlegungen nicht in dieser Radikalität aus, meint aber auf Nachfrage ebenfalls, dass es an der Zeit wäre, jene, die nicht angepasst sind, „zurückzuschicken“ und vorerst auch keine mehr „hereinzulassen“. Eine wesentliche Position, die in Schiffauers aufschlussreicher Darstellung zu Parallelgesellschaften nicht zu finden ist, wird von jenen bezogen, die von dem bedrohlichen Begriff und Szenario, das durch „die Anderen Kulturen“ gezeichnet wird, in erster Linie verunsichert sind. Diese Menschen sind für Integration und gegen Rassismus, jedoch informiert (und dementsprechend auch irritiert) durch mediale Darstellungen und Berichterstattungen über Parallelgesellschaften und das Entstehen von radikalen Lagern in diesen. Ein Beispiel dafür ist Eva (B), die ihr Unbehagen über das „Isolieren und Einfrieren einer Kultur“ äußert, das sie in London bei der pakistanischen Community zu erkennen glaubte. Sie findet Mechanismen wie diese interessant und führt in diesem Zusammenhang ein Gedankenexperiment mit sich selbst als Österreicherin durch: „Das ist so, wie wenn ich jetzt auswander und ganz stark versuch, österreichische Kultur – was auch immer ich drunter versteh – zu leben in am anderen Land. Aber ich weiß ja gar nicht mehr, wie sich Österreich weiterentwickelt hat, und das heißt, ich hab eigentlich eine ganz konservative und veraltete Kultur irgendwann mal, die ich leb, und eine, die eben nicht mehr dem Kulturbegriff nach – nämlich sich weiterentwickelt – entspricht, sondern die eingefroren bleibt. Die ist dann irrsinnig starr dadurch und das hab ich ganz stark in England erlebt, das trifft dann plötzlich auf eine liberalere Gesellschaft, in manchen Bereichen wie Freizügigkeit und so weiter, und das kannst nicht mehr auf gleich kriegen. (Eva, B)“
ren zu Ausgrenzung, wobei die „Schuld“ dafür nicht bei den MigrantInnen allein gesucht werden dürfe (Schiffauer 2008: 7ff.).
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Eva (B) konstatiert ein Vorhandensein beider Aspekte von Kultur – sowohl Kultur als Essenz als auch Kultur als etwas Veränderbares. Erstere Sichtweise findet sie in der Realität vor und letztere stellt für sie ein Ideal dar. Eva (B) versteht Kultur als etwas, das sich weiterentwickelt und nicht starr verhaftet bleiben darf. Sie selbst möchte nicht von starren, unveränderbaren Kulturen sprechen, aber die Praxis macht auf sie den Eindruck, als würde es so etwas wie Kulturen doch geben bzw. als sei es unmöglich, Beobachtungen an etwas anderem als „Kultur“ festzumachen, wobei auch Religion, Phänotypus und Mentalität immer wieder damit im Zusammenhang stehen. Gewiss würden ihrer Ansicht nach ein fluides Kulturmodell, Hybridität und diasporische Identität der Existenz von Parallelgesellschaften widersprechen, doch beobachtet werden können letztere trotzdem. Zumindest im Hinblick auf Großbritannien nimmt Eva (B) ebenso die erste Position von Schiffauers Parallelgesellschaften ein und spricht von der „Isolation von Communities, die so extrem is“ (Eva, B). Sie identifiziert in diesen eine „abgeschlossene Gesellschaft, weil die vermischen sich nicht, und versuchen eben wirklich, ah obwohl sie schon lang Briten sind, dass des [Anm.: das Britische/die britische Kultur] völlig draußen halten“ (Eva, B). Eine ähnliche Entwicklung sieht sie auch auf Österreich zukommen: „Mir machts Angst, also was mir vorkommt […] ich hab das Gfühl, dass sich da am Brunnenmarkt auch ganz stark so ein sehr abgschlossener Kreis bildet, und wenn ma a Freundin erzählt, dass die Mädchen in ihrer Klasse plötzlich wieder anfangen, Kopftücher zu tragen, weil sie sagen ,Ich bin Türkin, ich möcht das auch zeigen‘ oder ,Ich heirate in die Türkei, mein Freund will, dass ich ein Kopftuch trag‘, dann denk ich mir, da funktioniert etwas mit Integration nicht, wenn ma Rückschritte macht. Rückschritte nicht, weil Kopftuch so etwas ganz tragisch Schlimmes is, sondern so ein Versuch, Identität zu finden, und dieses Problem der zwei Generationen, ‚wo ghör ich hin‘, also das is für mich ein Zeichen, dass da ein Mädchen einfach nicht weiß und wenns 16, 17 is, is das halt arg. Wenn sie sich fragt: ,Wer bin ich eigentlich? Österreicherin? Eigentlich, na.‘“ (Eva, B)
Im Gegensatz zu den Personen aus den Beziehungsnetzen A und C reflektiert Eva (B) auch die Rolle der Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf Parallelgesellschaften. Dabei verbindet sich bei ihr die erste mit der dritten Position von Schiffauer, die davon ausgeht, dass Kultur im Zusammenhang mit
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Macht steht und deshalb auch Majorisierte einen wesentlichen Teil der Verantwortung für die Entstehung von Parallelgesellschaften tragen. Eva (B) negiert oder verharmlost jedoch Phänomene wie traditionsbedingte Gewalt oder Ehrdelikte nicht. Im Gegenteil, sie sieht gerade in diesen Phänomenen die Verantwortung von Migrant_innen im Kontext von Integration.
Zu viel Kultur für Multikulturalismus in Österreich Im August 2008 versuchte Innenministerin Maria Fekter von der Österreichischen Volkspartei, „es endlich beim Namen zu nennen“. Mit „Kulturdelikt“ wollte sie jene Handlungen benennen, die angeblich im Verständnis von Migrant_innen zu deren „Traditionen“ gehören, aber nach österreichischem Gesetz illegal sind. „Und ich glaube, dass es notwendig ist, dass man das beim Namen nennt. Damit alle wissen, die bei uns hier leben: Wie ist unsere Wertordnung und woran müssen sie sich halten“. (Maria Fekter in: DiePresse.com am 07.08.2008). Am eindringlichsten wurde in diesem Zusammenhang über „Frauen als Opfer ihrer Kultur“ diskutiert. Kultur ist dabei keine bloße Deskription „des Anderen“ oder „Fremden“, sondern sie wird zur Bedrohung, wenngleich in diesem Kontext die eigene Kultur nur selten benannt wird. Sie ist einfach, unbenannt und vorgestellt als demokratisch und emanzipiert. Ähnlich wie der Begriff „Kulturdelikt“, nur schon viel länger, hält sich der Begriff „Kulturkreis“. Sowohl in den Medien als auch im Wortschatz der Mehrheitsgesellschaft wird dieser immer wieder bemüht, um Differenz herzustellen. Erst kürzlich meinte ein Kärntner Heimbetreiber für Asylwerber_innen nach einem Brand mit Todesfolge, „dass Afrikaner […] aufgrund des Kulturkreises, aus dem sie kommen, nicht in der Lage sind, auf Einrichtungen wie Fluchtwege und Feuerlöscher zu reagieren“ (Die Presse am 10.03.2010). Trotz seiner wissenschaftlichen Unhaltbarkeit 10 wird dieser
10 „Kulturkreis“ leitet sich von der Forschungsrichtung der „Kulturkreislehre“ ab, die mittlerweile in der deutschsprachigen Kultur- und Sozialanthropologie verworfen wurde. „Kulturkreise“ wurden als räumliche und auch zeitliche Konstrukte betrachtet, die jeweils einen vermeintlich gemeinsamen Ursprung haben (Markom/Weinhäupl 2007: 10). Durch das Buch von Samuel Phillips Hunting-
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Begriff heute umgangssprachlich häufig verwendet, um dann oft ein vermeintliches oder tatsächliches Merkmal einer Gruppe (Islam, Hautfarbe, …) als angeblich ausschlaggebend (für diverse Eigenschaften, Praktiken oder den Charakter von Menschen) in den Vordergrund zu stellen (Markom/Weinhäupl 2007: 10) oder aber um ganz allgemein die grundsätzliche Differenz zum „anderen Kulturkreis“ zu betonen: „I hob durt nix valurn, des san ondare Kulturkreise“ (Richard, A). Trotz der teilweisen Verwerfung von „Kultur“ im Rahmen der Sozialanthropologie 11 ist es dennoch sinnvoll, mit dem Terminus oder dem Konzept von Kultur, sowohl in seiner essentialisierenden als auch fluiden Form, in seiner Verwendung durch die Mitte der Gesellschaft in der alltäglichen sozialen Praxis zu arbeiten, da der Begriff „out there“ (Wikan: 2002: 3, 64) offensichtlich Relevanz hat. Die derzeit in der Gesellschaft kursierenden essentialistischen Bedeutungen von Kultur 12 beziehen sich in erster Linie auf die als minorisiert identifizierten Gruppen. Zugleich ermöglichen diese kulturellen Zuschreibungen an „die Anderen“ aber auch den Blick auf die Mehrheitsgesellschaft. Baumann schlägt hierbei vor, von „discourses of culture“ zu sprechen. Aufschlussreich erscheint auch sein Vorschlag, dass sich der essentialistische und der prozessuale Kulturbegriff nicht ausschließen müssen, sondern dass hinter deren Koexistenz eine Logik steckt, die sich in den Inter-
ton „Clash of Civilizations“ (1993) wurde der Terminus „Kulturkreis“ neu belebt, vor allem um Konflikte zwischen so genannten „verschiedenen Kulturkreisen“ zu benennen. 11 Populäre Konzepte von Kultur (beispielsweise von Boas oder Benedict) blieben bis Mitte der 1980er-Jahre sehr bekannt und setzten sich auch außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses durch. Durch poststrukturalistische und postmoderne Ansätze wurde in den 1990ern jegliche Annahme von Stabilität bestimmter kultureller Bedeutungen radikal infrage gestellt. Lila Abu-Lughod beispielsweise erkannte die wesentliche Bedeutung von Kultur als Werkzeug, um „das andere“ zu konstruieren (Abu-Lughod 1991). Andere WissenschaftlerInnen sehen Kultur nicht als fix, sondern als stetig im Werden begriffen und umkämpft. 12 Baumann (1999) beschreibt den essentialistischen Kulturbegriff als etwas, das jeder Mensch hat (im Sinne einer kulturellen Identität). Der prozessuale Kulturbegriff begreift Kultur demgegenüber als etwas, das dynmisch ist und gemacht wird.
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views (vor allem mit Personen aus Beziehungsnetz B) deutlich widerspiegelt. Baumann identifiziert als einen der Pole des Multikulturalismus die gängige Vorstellung, dass Ethnizität dasselbe wie kulturelle Identität ist. Im Gegensatz zum Staat als Konstrukt ist kein abstraktes Denken nötig, um die „eigenen Wurzeln“, nach Baumann die „natural identity“ (1999: 19), zu identifizieren, die nur in Relation zu Anderen existieren. 13 „Ethnic identities are thus nothing more than acts of ethnic identifications that are frozen in time. As the social climate gets colder, they can go into deep-freeze and harden; as the social climate gets warmer, they can unfreeze and melt into new forms. Analytically speaking, ethnicity is not an identity given by nature, but an identification created through social action.“ (Baumann 1999: 21)
In den untersuchten Beziehungsnetzen wurde Kultur höchst unterschiedlich konzipiert. Es lassen sich jedoch drei Grundtypen ausmachen. In Beziehungsnetz A herrscht(e) vor allem der essentialistische Kulturdiskurs vor, der Kultur im Sinne von mitgegebenen Eigenschaften bzw. Charaktereigenschaften beschreibt. In seiner Extremvariante wird von diesem Blickwinkel aus auch eine natürliche Feind_innenschaft zwischen unterschiedlichen Kulturen konstatiert. Ein zweiter Typus, der sich häufig mit dem ersten überschneidet, argumentiert gegen die territoriale oder auch biologische Vermischung mit anderen Kulturen und für eine „noble Idee“, nämlich den Erhalt von Frieden in der eigenen Gesellschaft. In Beziehungsnetz B findet sich der dritte Typus, in dem zwar versucht wird, Kultur dynamischer zu sehen, jedoch das Unbehagen über eine drohende Kulturvariante in der Praxis besteht, frei nach dem Motto „Wir glauben in der Theorie nicht daran, haben aber Angst davor in der Praxis“. Diese dritte Form arbeitet auch mit starken Gegensatzpaaren, um die Ängste in Bezug auf die andere Kultur deutlich zu machen und diese von der „unseren“ abzuheben. Abgesehen von der Gegenüberstellung von „fluid und starr“ finden sich
13 Die Idee der Naturgegebenheit ethnischer Identität wurde in den (Sozial-) Wissenschaften bereits vor Jahrzehnten widerlegt. Stattdessen wird u.a. von shifting identities gesprochen (Barth 1969).
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noch die Oppositionen „neu versus alt“, „liberal versus konservativ“ und „Diversität versus Homogenität“. Essentialistische und naturalisierende Positionen bezüglich Kultur werden im Folgenden anhand von Richard (A) und Maria (C) verdeutlicht, wobei gezeigt werden kann, dass sich beide Beziehungsnetze der Intersektion der beiden Kategorien „Kultur“ und „Gender“ bedienen, um ihre Argumente zu bekräftigen. Diese Überschneidung dient jedoch auch dem Beziehungsnetz B, um Zweifel über fluide Kulturkonzepte kundzutun. Die Mitglieder von Beziehungsnetz B suchen häufig nach einer adäquaten Form, um kulturell bedingte gesellschaftliche Probleme zu artikulieren, was ebenso durch die Überschneidung der Diskurse zu Gender und Kultur sichtbar gemacht wird. Am Beispiel von Eva (B) wird deutlich, dass die Vertreter_innen eines dynamischen Kulturbegriffs ebenfalls durch mediale Diskurse und deren Konstruktion von Parallelgesellschaften beeinflusst werden. Manche Befragten der vorliegenden Studie sind sowohl mit der statischen als auch mit der fluiden Konzeption von Kultur konfrontiert und mithin mit der Schwierigkeit, beide zugleich zu denken oder in ihr alltägliches Erleben einzupassen. Im Gegensatz zu den Mitgliedern von Beziehungsnetzen A und C hadern jene von Beziehungsnetz B in erster Linie nicht mit der Praxis, sondern damit, dass sie nicht genau wissen, was die adäquate Form darstellt, um kulturell bedingte gesellschaftliche Probleme zu artikulieren. Ähnlich wie beim Begriff „Multikulturalismus“ reflektiert Beziehungsnetz B den Ausdruck „Kultur“ im allgemeinen Sprachgebrauch, setzt ihn dann aber trotzdem auch selbst ein, um zu homogenisieren. Die Beziehungsnetze A und C hingegen wissen eindeutig, von welchen „Kulturen“ sie sprechen, und benennen Menschgruppen als Träger von Kulturen anhand von häufig negativen Zuschreibungen. Besonders deutlich wird dies bei der Überschneidung der Diskursstränge „Kultur“ und „Geschlechtergerechtigkeit“.
K ULTUR UND G ENDER – V OM ANTIRASSISMUS BIS ZUM S TAMMTISCHFEMINISMUS Geschlecht in Verbindung mit „dem Fremden“, sei es in Form von Kultur, Religion oder Tradition, nimmt in den Medien, der Politik und in den letzten Jahren auch in der Wissenschaft einen zentralen Stellenwert ein. Auch
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in der Mitte der Gesellschaft spiegelt(e) sich diese Thematik vielfach wider, die in den untersuchten Beziehungsnetzen in drei Positionen unterschieden werden können. Das erste hier dargestellte und sehr gängige Phänomen lässt sich unter dem Terminus „Stammtischfeminismus“ fassen, bei dem es sich um eine „nominelle Sexismuskritik“ und nicht um realen Feminismus 14 handelt. Ebenso wenig wie üblicherweise an klassischen Stammtischen feministische Positionen zu erwarten sind, geht es auch hier nur dem Namen nach um Feminismus. Vorgeblich werden die Interessen von Frauen vertreten, aber im Grunde genommen werden damit nur Vorbehalte gegenüber „den/dem Anderen“ untermauert. Dieses Phänomen tritt daher besonders dann in Erscheinung, wenn Personen (bevorzugt Männer), die Feminismus grundsätzlich eher ablehnen, im Kontext von Migrant_innen plötzlich die Rechte von Frauen in anderen Gesellschaften oder von Migrantinnen verteidigen. Dabei wird die Frau zumeist passives Opfer ihrer per se unterdrückenden Kultur und Männer werden zu gewalttätigen Aggressoren im Namen der jeweiligen Kultur oder Religion. Die Frauen der eigenen Gesellschaft werden indessen als emanzipiert und selbstbestimmt (dies sind dann plötzlich und unerwarteterweise positive Eigenschaften) imaginiert. Eine Variation dieses Stammtischfeminismus benutzt sexismuskritische Argumente, um Nationalismen und Rassismen zu bekräftigen. Die Interessen von Frauen stehen dabei nur vordergründig im Zentrum der Kritik, während Aussagen wie „Bei ihnen zhaus könnens machen, was sie wollen“ deutlich machen, dass es nicht um die Gleichberechtigung von Frauen geht, sondern um den Erhalt des „Eigenen“ in geografischer und sozialer Abgrenzung zum „Anderen“. Eine zweite, zum Stammtischfeminismus konträre Position ist der sexismuskritische Antirassismus, der sich durch ein selbst- und gesellschaftskritisches Bewusstsein gegenüber Kulturalisierungen und Diskriminierung
14 Ich gehe nicht von einem Feminismus aus, sondern verstehe unter diesem Begriff heterogene, manchmal einander sogar widersprechende Konzepte. Ihnen gemeinsam ist jedoch der Grundgedanke, die Interessen von Frauen und deren Rechte in verschiedenen Gesellschaften zu thematisieren. Trotz der unterschiedlichen Konzepte ist der Begriff hier dennoch passend, da es sich bloß um einen nominellen Feminismus handelt, der Teile des feministischen Diskurses gezielt übernimmt, aber eigentlich die Ausgrenzung von Migrantinnen meint.
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auszeichnet, jedoch durch sexistische Erfahrungen mit „Männern anderer Kulturen“ in einem Dilemma steht. Durch den Anspruch des Antirassismus und Feminismus zugleich ist es ausgehend von dieser Position schwierig, auf von Männern mit Migrationshintergrund ausgeübten Sexismus adäquat zu reagieren, denn es wird befürchtet, dass Widerstand gegen Belästigungen als Rassismus wahrgenommen werden könnte und nicht als Kritik an patriarchalen Systemen, die eben nicht nur national sind. Innerhalb dieses sexismuskritischen Antirassismus sind auch Haltungen zu finden, die dem schon erwähnten multikulturellen Feminismus zuzuordnen sind. Hier diskutieren vor allem Frauen in unterschiedlicher Radikalität bzw. Intensität aus den drei Beziehungsnetzen ihre Probleme mit der Anerkennung mancher Kulturen aufgrund der Gefahren durch „Zwangsverheiratungen“ oder „Genitalverstümmelungen“ für Frauen oder die Diskriminierung von Homosexuellen. Die letzte identifizierte Haltung besteht im rassistischen Sexismus, und kann durch die Aussage „Die Frauen aus dieser Kultur sind faul und wehren sich nicht“, welche ohne einen weiteren Kontext oder ein weiteres Argument auskommt verdeutlicht werden. Darunter fällt ebenso die grundsätzliche Ablehnung von bikulturellen Partner_innenschaften. Rassistischer Sexismus bezieht sich demnach sowohl auf Männer als auch auf Frauen und steht in starkem Zusammenhang mit Exotismus (Markom/Weinhäupl 2007: 127ff.).
Stammtischfeminismus Einhelliger als bei der Debatte über das Kopftuch sind die Meinungen und Einstellungen zur Praktik der Zwangsverheiratung, die gemeinhin als exemplarischer Extremfall herangezogen wird, der nun „wirklich“ abzulehnen ist. Der Zwang zur Ehe ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, wie die Ablehnung von Migrant_innen über das Frauenthema transportiert wird. Marianne (A) versucht, eine explizit abwertende Sprache zu vermeiden, und bringt vorhandene Probleme mit Österreicher_innen in Verbindung, die eben nicht „damit umgehen könnten“. Sie bezieht also die Rolle der Mehrheitsgesellschaft mit ein. Diese Argumentation dient jedoch in erster Linie der Legitimation von rassistischen Einstellungen. So muss sie nicht die „Schuld“ von Türk_innen an „eigenartigen Bräuchen wie Zwangsverheira-
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tungen“ benennen, und kann doch die Problematik ihrer Ablehnung von Türk_innen deutlich machen. Anders argumentiert Thomas (B) in Bezug auf den EU-Beitritt der Türkei, wenn er meint, dass wir in Österreich nicht so lange gegen Diskriminierung gekämpft haben, um uns all das jetzt wieder „hereinzuholen“. Er vergleicht die Position von Frauen von vor 50 Jahren mit heute und befürchtet, dass Österreich wieder in ein „altes Patriarchat“ zurückfallen könnte, wenn plötzlich frauenverachtende Praktiken „wieder möglich sind“. Eva (B) identifiziert bei FGM und Zwangsverheiratung die Tradition und das Patriarchat, aber nicht Kultur als Ursache für Gewalt: „[…] da gehts um Macht, die Männer über Frauen ausüben, und auch wenn Frauen selber Beschneidungen machen, ist es ein ‚wunderbares‘ System, wenn die Unterdrückten Unterdrückung selber mit verbreiten. Also das ist für mich einfach über einer Grenze, wo ich nicht wegschaun will und sagen will, da muss ich eine andere Kultur respektieren, ich glaub, es is die Frage, wie ma damit umgeht, und es is, glaub ich, viel wirksamer, wenn Leute aus der Kultur – mit dem Wort hab ich eh a bissl Schwierigkeiten – aber aus dem Bereich kommend auch versuchen, dagegenzuarbeiten, was auch genug machen, dass ma die dann stärkt. […] was ich nicht mag, is, dass ich daherkomm und sag, wie die Welt funktioniert. Zu mir hat amal eine unglaublich kluge Frau, die Kopftuchträgerin aus religiösen Motiven war, g’sagt: ‚Glaubst du eigentlich nicht, dass in unseren eigenen Kreisen genug Diskussionen stattfinden und sich genug Frauen auflehnen, glaubst du eigentlich, wir brauchen euch von außen, die uns sagen, wie die Welt rennt? Wir wissen das schon selber auch und tun da einiges.‘ Wo ich ma denk, ja dann stärk ich Leut, die was tun, und frag sie: ,Was brauchst du? Kann ich da was tun?‘, aber versuch nicht immer, die Welt zu erklären und zu sagen, bei uns is alles ganz supa. Es gibt Grenzen, wo ich schon sag, okay, da muss ma was dagegen tun, aber […].“ (Eva, B)
Auch Marianne (A) kritisiert Zwangsverheiratungen als Praxis in Österreich und meint, dass es nun genug Ausländer_innen sind, mit denen man hier zu kämpfen hat. Sie bedauert auch den uneindeutigen Zusammenhang mit der österreichischen Staatsbürger_innenschaft, da solche Praktiken nichts mehr mit der nationalen Zugehörigkeit zu tun hätten: „Wir habn auch jetzt Türken in Österreich, die mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft haben, die von ihren Eltern zwangsverheiratet werden, mit dem
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eigenen Cousin zum Beispiel.“ Sie erzählt von zwei Fällen, die sie in ihrer Berufsschulzeit erlebt hat und die sie damals sehr schockiert haben: „[…] und die woa glücklich, die is in Österreich aufgewachsen, bin ma net sicha, obs net sogoa in Österreich geboren woa, so genau weiß ichs nicht mehr, ist zwangsverheiratet wordn. Mit ihrem Cousin is kummen zum Schulabschluss und hat sich verabschiedet, heulend, und hat gsagt: ,Ich weiß nicht, ob ich zur Gesellenprüfung kommen darf oder nicht, ich werde verheiratet in zwei Wochen‘, und hot keine Ahnung, was danach is, sagts, und genau mit einem Cousin, was ja in Österreich nicht sein darf.“ (Marianne, A)
Vor allem kritisiert sie, dass solche Ehen in Österreich Gültigkeit besitzen. „Ich finde es schlimm, dass des a für Österreicher in Österreich dann gültig is und wir überhaupt nicht damit umgehn können. Und solang wir des net in Griff kriegn, is immer des Problem. Die is zwar gekommen zur Gesellenprüfung, hot uns auch die Hochzeitsfotos gezeigt, verheult bis zum Gehtnimma, sie hot gesogt, sie is froh und glücklich, man hat es ihr gestattet, weiterhin arbeiten zu gehn. Wos für sie acht Stunden Glück am Tag bedeutet – weil die acht Stunden muss sie ihren Ehemann nicht sehn.“ (Marianne, A)
Sie ist der Überzeugung, dass die meisten Frauen isoliert werden und weder Deutsch lernen noch Kontakt zu anderen Menschen außer „zur selben Sippe“ haben dürfen. In diesem Zusammenhang erwähnt Susanne (A) eine weitere Ebene: die schwierige ökonomische Situation für Migrant_innen. „Es nutzt anfoch nix, an Deutschkurs anzubieten, der 250 Euro kost, weil de müassn an oin Eckn und Endn spoan. Die san meistns Familien mit keine Ahnung zwa, drei, vier Kindern, wo nur einer arbeiten geht, keine Ahnung, wo man da richtig ansetzt, um die zu erreichen. Man muss da wahrscheinlich in die Familie gehen.“ (Susanne, A)
Trotzdem Susanne (A) versucht für Menschen mit Migrationshintergrund Partei zu ergreifen, reduziert sie die Positionierung von Frauen auf deren Isolierung: „I was es jo ned, owa i bin sicha, die san anfoch isoliert, wos suin si tuan.“
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Aus den oben genannten Gründen, also solange rechtliche Probleme in Bezug auf Zwangsverheiratungen nicht gelöst sind, ist Marianne (A) gegen eine weitere Zuwanderung und auch gegen die Osterweiterung. Es ist ihr jedoch gleichgültig, ob eine Frau ein Kopftuch trägt. Während Marianne (A) von Menschen, die sie persönlich kennt (oder kannte), und von deren Schicksalen in Bezug auf Zwangsverheiratungen erzählte, beriefen sich die Mitglieder von Beziehungsnetz C ausschließlich auf Vermutungen und Erzählungen von Dritten. Trotzdem erwecken sie den Eindruck, überzeugter zu sein als jene, die solche Fälle selbst in ihrem direkten Umfeld erleben oder erlebt haben. Die konkretesten Aussagen beginnen mit: „Wos ma so waß, werdn die [Anm.: Frauen] ja wie im Mittloita ghoitn teilweise. Die werdn gschlogn und verheirat, wias den Ötan passt.“ (Martin, C) Ihre Informationen beziehen sie in erster Linie aus Medienberichten und „Heansogn“ 15.
Sexismuskritischer Antirassismus Anders als in den öffentlichen Diskursen über so genannte „kulturell bedingte Gewalt gegen Frauen“, wurde in den Interviews jedoch nicht hauptsächlich oder nur Gewalt gegen Frauen thematisiert, sondern auch der Umgang mit Männern aus afrikanischen oder osteuropäischen Ländern. Ebenso wie Sonja (B) brachte auch Eva (B) ein Beispiel mit Männern, wobei die beiden Kolleginnen jedoch unterschiedlich mit dem Problem umgehen bzw. es anders beschreiben. Eva (B) sieht einen Zusammenhang zwischen „[…] der Belästigung durch afrikanische Männer und deren Kultur“, entdeckt darin aber auch eine Reaktion auf ihr eigenes Verhalten. „Zum Beispiel in der U-Bahn, da sitzt irgendein Mensch mit dunkler Hautfarbe und meilenweit amal gar niemand und dann irgendwo anders wer. Ich setz mich dann extra in die Nähe hin und bin extra freundlich und signalisiere mit Blickkontakt ein Willkommen und dass ich nicht rassistisch bin. Das löst manchmal auch dieses ‚Hi, how are you? Let’s go, let’s have a drink‘ aus. Und ich so ‚Na, danke‘ und dann nachher hat man oft ka Ruhe, wo i ma denk, okay, ahm des is massiv zurückgegan-
15 Umgangssprachliche Bezeichnung für Informationsverbreitung von „Wissen“, das nicht selbst erlebt, sondern über Dritte vermittelt wurde.
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gen, dadurch dass ich jetzt eher versuch, nimma doppeltfreundlich zu lächeln, weil ich wieder gutmachen will, dass 30 andere si net dort hinsetzen. I versuch eben, sie ernst zu nehmen, mich normal zu verhalten, wie es eigentlich normal wäre, nämlich da sitzt halt jemand und ich setz mich dort hin oder wenn ichs grauslich find, weil die Person stinkt oder sonst was, was überhaupt nix mit Ausländern zu tun hat, sondern einfach mit Menschen, dann setz i mi halt net hin, wurscht wer das is.“ (Eva, B)
Hier schilderte sie eine Situation, in der sie selbst aus einer antirassistischen Haltung heraus agiert und dadurch für sie ein Dilemma entsteht. Sie fühlt sich durch die Reaktionen auf ihr Verhalten als Frau bedrängt, das Nichtannehmen dieser Einladung jedoch kann zum Rassismusvorwurf führen. „Aba ich möchte einfach was sagen können, ‚Du lass mich bitte in Frieden, i wü von dir nix‘. Einmal bin i dann beschimpft wordn als ‚Racist‘. Das möchte ich dann ernst nehmen als na, da is a Mann und er stänkert mi blöd an und der muss respektieren, ich will das nicht, und der soll das bleiben lassen und das darf ich zu am Menschen mit dunkler Hautfarbe genauso sagen wie zu am Menschen mit heller Hautfarbe, völlig irrelevant, und da hab i manchmal eben des G’fühl, dass die NGO-Szene so versucht, einen Gegenschwenk zu machen so wie ich. Dass ma dann vielleicht im Privaten mit diesem b’sonders freundlichen Lächeln vielleicht auch falsche Signale send. Oder wo ich manchmal das G’fühl hab, die haben das Recht, zu sagen, alles ist gleich rassistisch. Das stimmt halt oft nicht, es ist nicht alles rassistisch, es ist genug rassistisch, aber man muss sichs anschaun.“ (Eva, B)
Auch Sonja (B) erwähnte Situationen wie diese, beleuchtete sie jedoch noch einmal aus einem anderen Blickwinkel. Ihre eigenen Erfahrungen im Hinblick auf Diskriminierung lassen sie U-Bahn-Situationen folgendermaßen darstellen: „Na logisch krieg i mit, dass MigrantInnen anders behandelt werden, durch Dinge, die du siehst, oder durch Dinge, die, i glaub, dass i seh, oder die i denk, dass is sowieso weiß, dass mia immer oder so gut wie immer so vorkommt, wenn i in der U-Bahn sitz und a MigrantIn kommt rein, dass die Leut schaun. Des is genau des, dass ma Leut nur unta am Aspekt sicht. Weil genau so wies mi stört, wenn mi Leut als lesbische Sonja sehn, i will das mi die Leut als Sonja sehn. Genau so seh i aber andere Leute als so und so ausschauende oder ausländische oder ausländischer oder sonst irgendwas.“ (Sonja, B)
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Aus diesem Grund schilderte sie auch die Situation in U-Bahnen etwas anders. Auch sie nimmt wahr, dass sich Leute manchmal wegsetzen, „Wenn da zum Beispiel a schwarzer Mann sitzt, des denk i sofort, a wenns überhaupt net so is, und dann setz i mi hin“ (Sonja, B). In Bezug auf diese Handlung ist sie jedoch unsicher, denn „I hab a oft des Gfühl, dass manche des nervt und das manche si denken ‚Lass mi in Ruh‘“ (Sonja, B). Ihr Problem damit ist vor allem, dass ihr dadurch bewusst wird, dass sie ebenfalls einteilt in: „MigrantIn, also freundlich sein, um anders zu sein als wie die meisten Leute in Wien. Und dann denk i ma aber oft ‚Typ‘, also Abwehrhaltung, und dann is ma aba wurscht woher der is. Und da is halt die Frage, wie wehrst dich gegen männliche Migranten, die di angehn. Sagst jetzt einfach ,Du Oaschtyp‘, wosd weißt, des kratzt den überhaupt ned. Du weißt aba, dass du aufgrund von dem, dass du Österreicherin bist, andere Macht hättest, die du ausnutzen könntest, und da is dann die Frage, wie weit schaffst es dann net, des zu benutzen […] wenn i sag ,Du Oaschtyp, du bist sexistisch‘, dann würd er sich abhaun, aba wenn i ausländerfeindlich reagier und sei Kultur ansprech, dann trifft des an ganz anderen Punkt.“ (Sonja, B)
Beide Gesprächspartnerinnen reflektieren anhand von ähnlichen Situationen die Wahrnehmung des Phänotypus und den daraus folgenden Umgang damit in Überschneidung mit ihrem eigenen Geschlecht. Dabei macht es ihnen ihre Positionierung als Feminist_innen und auch als Antirassist_innen nicht leichter, die kontradiktorischen Verteilungen (Strasser 2002) von Täter_innen und Opfer einzuordnen. Im vorliegenden Fall handelt es sich vielmehr um doppelt umgekehrte Machtverteilungen durch „den migrantischen Mann als Täter“ gegenüber „den Frauen“ und gleichzeitig als Opfer von Rassismus durch die österreichische Mehrheitsgesellschaft. Parallel dazu ist jedoch die mehrheitsösterreichische Frau Opfer sexistischer Übergriffe durch Männer und auch Rassist_in gegenüber Migrant_innen. Sichtbare, aber auch unsichtbare Marker im Bereich von Kultur und Religion führen zu Zuschreibungen und Selbst- und Fremdpositionierungen. Eva (B) setzt sich in diesem Sinne nicht nur mit dem Verhältnis zwischen sich selbst, Kultur und Männern auseinander, sondern zieht auch das Beispiel des Kopftuchs heran, vor allem um die Schieflage in der Verhältnismäßigkeit zwischen der großen öffentlichen Ablehnung von Kopftüchern
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und kopftuchtragenden Frauen und deren symbolischen Bedeutung zu erklären. „Darf ich zum Beispiel den Frauen jetzt Kopftücher runterreißn, weil ich find, oh Gott, das stört meine Kultur so massiv? Das is nicht verhältnismäßig. Wenn Frauen mit Burkas kommen, überleg ichs mir schon anders, da hab ich so das Gfühl, dass es für mich irgendwann verhältnismäßig ist, zu sagen: ,Das geht nicht, das verletzt Frauenrechte so massiv und das is in dem Land so nicht möglich oder darf nicht möglich sein.‘ Da würd ich schon einschreiten und da hab ich das Gfühl, da gehts in an Bereich rein, wo ich andere Rechte so verletzt fühl. Aber nur weil ma oder i a Kopftuch net mag oder als Symbol für was seh, des zu verbieten, steht für mich in keinem Verhältnis.“ (Eva, B)
Eva (B) kritisiert Haltungen, die in Beziehungsnetz C gang und gäbe sind und bei dessen Mitgliedern teilweise schon der Anblick eines Kopftuchs zu Unwohlsein führt. Gleichzeitig teilt Eva (B) die Position von Martin, Gerda und auch Maria (C) im Hinblick auf die Burka 16: „Des schreckt mi scho, ma siagt teilweise verschleierte Fraun, oiso komplett verschleiert, und des bei uns do im Westn, und des kapier ich net, das des do zuaglossn wird. I hob a glesn, dass des eigentlich die vulle Obwertung der Frau im Islam is, nua hoit do bei uns.“ (Martin, C)
Sonja (B) betrachtet das Kopftuch als Ausdruck des Privaten. Ihr Wissen dazu stammt aus ihrem Studium: „Oiso i bin absolut dagegen, dass des Kopftuch verboten wird […] Des Kopftuch konn genauso gut für Frauen auch bedeuten, anfoch an gewissen Freiraum zu haben. Vielleicht wirds a oft als kulturelle Unterdrückung verwendet, aber viele Frauen empfindens als was anderes, des is so wie mit Prostituierten. Aus großer feministischer Sicht heraus is für mi Prostitution schirch und sexistisch und Ausdruck einer patriarchalen Gesellschaft. Aber andererseits gibts viele Frauen, die sagen: ,I wähl des wirklich als des is mei Beruf und i will des so.‘ Und es is a freie Entscheidung und die haben überhaupt nix davon, oder auch die, für die des a weniger freie Ent-
16 Die Personen unterscheiden ebenso wenig wie in den meisten Fällen Österreichs Politiker_innen und Medien zwischen Burka- und Niqab-Träger_innen.
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scheidung is, habn überhaupt nix davon, wenn Leute jetzt aus Prinzip hergehn und sagen: ,Prostitution is scheiße.‘ [Und ebenso wie Eva meint sie:] ,Besser is es, für Empowerment für Frauen zu sorgen‘.“ (Sonja, B)
Hier kommt ein grundsätzliches Dilemma der feministischen Herangehensweise zum Vorschein. Einerseits möchte Sonja (B) Frauen keinesfalls deren Autonomie und aktiven Status nehmen, für sich selbst zu entscheiden, doch andererseits möchte sie auch die strukturellen Bedingungen nicht außer Acht lassen, die zu solchen Entscheidungen führen und die auch sozialisieren. Sowohl Sonja (B) als auch Eva (B) befinden sich damit in jenem berühmten Dilemma, das Susan Moller Okin (1999) mit der Frage „Ist Multikulturalismus schlecht für Frauen?“ auf den Punkt gebracht hat. Dabei hebt die Autorin die Gefahren für Frauen und vulnerable (verletzbare Mitglieder) innerhalb bestimmter Gruppen oder, wie sie es bezeichnet, „Kulturen“ hervor. 17 Aber auch andere feministische Kritiker_innen wie Ayelet Shachar 18 (2000) oder Unni Wikan (2002) warnen vor der Blindheit multikultureller Theorien gegenüber kulturell legitimierten Geschlechterhierarchien (Markom/Rössl 2008: 78). In diesem Zusammenhang werden von politischer sowie medialer Seite häufig Probleme sogenannter „traditionsbedingter Gewalt“ genannt. Auch die Mehrheitsgesellschaft äußert primär anhand von öffentlich und politisch debattierten Themen wie „Zwangsverheiratung“, „Genitalbeschneidung“ oder „Ehrenmord“ Zweifel am multikulturellen Miteinander. Ausgehend von der Frage, ob Multikulturalismus generell schlecht für Frauen ist, ergeben sich folgende Probleme für den Kontext Österreich/ Wien: Die Tatsache, dass die Schwierigkeit der Integration vs. Assimilation immer wieder über die Akzeptanz bzw. Ablehnung des Kopftuchs debat-
17 Okin vertritt eben in diesem Sinne einen sehr reduktionistischen Kulturbegriff, da sie ihn mit Gewalt (und in diesem Zusammenhang Frauen als passive Opfer dieser Gewalt) gleichsetzt. 18 Shachar (2000) fordert ein neues Modell für Umsetzungen von Multikulturalismus und Kultur, das Platz für multiple Zugehörigkeiten bietet (Shachar 2000: 70, 86f.) und auch eine Neukonzeption des Verhältnisses von Individuum, Staat und Gruppe beinhalten sollte.
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tiert wird, ist kein Zufall. Auch „liberale NGO-Intellektuelle“ sind mitunter der Meinung, dass es schwierig ist, sich entweder zugunsten der Frau und ihrer Rechte oder der kulturellen Eigenheiten von Migrant_innen der ersten, zweiten oder dritten Generation zu entscheiden.
Rassistischer Sexismus Gerda (C) zieht ihre Schlüsse aus ihren eigenen Beobachtungen im Alltag und meint, dass es vor allem die Verantwortung der türkischen Frauen ist, sich zu wehren. „I bin sicha, die san einfoch a faul, die Fraun. Vasteh mi net foisch, oba die lebn scho so long do und wenns nu imma net checkt hom, dass Fraun in Östarreich mehr Rechte hom wia bei eana daham, donn sans söwa schuid. I glaub, des is so wia mitn Deitschleana und mitn Hacklngehen, i bin ma net sicha, obs echt eanare Mona san, dis net lossn, oda obs die Fraun e a net gfreit und eana des guat passt. Sunst tatns sa si jo wean.“ (Gerda, C)
In dieser Aussage wird eine eher selten kommunizierte Position deutlich: Gerda (C) schreibt den Frauen keinen Opferstatus zu und solidarisiert sich auch nicht mit ihnen als Frau. Männer mit Migrationshintergrund (in erster Linie „die Türken“) werden als Täter gegenüber Österreicher_innen in Form von körperlicher Gewalt gegenüber Männern und sexuellen Übergriffen gegenüber Frauen identifiziert. Frauen sind aktiv handelnde Akteurinnen in ihrer Vorstellung. Thomas (B) meint, dass die Vorstellung, Töchter zu verheiraten, sogar biologisch vererbt wird: „Won die Mutta a Türkin is, des haßt in da Türkei geboren is, und da Vota in Österreich geboren, donn kriagt sie des genetisch mit, die Struktur“ (Thomas, B). Hier bezieht er sich auf Ehearrangements, von denen er der Meinung ist, dass sie genetisch weitergegeben werden. An diesem Beispiel wird allerdings deutlich, dass er mit „genetisch gelernt“ eigentlich sozialisiert meint und dass sich junge Frauen durch ihre Sozialisation den Forderungen der Eltern anpassen.
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„Dass si zum Beispiel Töchter aus ana gemischten Familie ohne Weiteres, sog i jetzt, gezwungen wern, […] dieser extrem hierarchischen Gschicht onpassen. Des man i damit, des hast, dass es anfoch kane Diskussionen gibt, wenn die Ötan sogn ‚Tuast schnö heiratn‘, wos waß i.“ (Thomas, B)
Thomas (B) beschreibt kulturelle Unterschiede im Zusammenhang mit Frauen insbesondere über seine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse, vor allem im Kontext seines familiären Hintergrunds. Ähnlich wie Richard (A) nimmt er primär auf sein näheres Umfeld Bezug und geht nur vereinzelt auf gesamtgesellschaftliche Themenbereiche ein. Auf einer völlig anderen Ebene spricht sich Richard (A) von dieser Thematik frei, indem er die Frage der Geschlechter in Verbindung mit Kultur wiederum auf sein persönliches Desinteresse gegenüber Frauen mit Migrationshintergrund reduziert. Obwohl er sich häufig selbst als Rassist bezeichnet, weist er diese Titulierung in diesem Zusammenhang jedoch von sich: „Na oiso so gsegn bin i ka Rassist, oba des is gonz afoch, warum soi i mi mit wos belostn. Füa di is des wos ondas, weil des is dei Orbeit. Oba i sog, wonn i in ana gewissen Situation, in am gewissen Bildungskreis, an gewissen Menschnschlog ausn Weg geh, die Ihres machen lasse, und ich Meines mache, donn gibts do kane Berührungspunkte. Warum muass i zu die Tiakn renna und de vasteh leana? Wei a Tschuschnoide greif i net o. Interessiert mi net, red net mit ia. Ich hab dort nichts verlurn, des san ondare Kulturkreise, des Anzige, wos mia gemeinsam hom, is, dass den sei Oide rülpst und pfurzt und i tuas a. Ansonst – der sauft an ondan Schnops wia i, der red ondast, der is 25 Joah bei uns und hot nu imma an Akzent, dassd glaubst, ea hots nie glernt, und won i die Leit in Ruah los und nua des moch mit eana, wos i muass, donn passt des a. Wos sui i ma do depat üba den Scheiß den Kopf zabrechn und die suin mi oglant lossn, genauso ihre Hosn, des interessiert mi net. I pass mi on mein Schoinsitz im Auto an.“ (Richard, A)
Wie schon mehrfach gezeigt wurde, ist für Richard (A) in dieser Situation erneut seine persönliche „Kosten-Nutzen-Rechnung“ von Relevanz. Dabei kommt allerdings nicht zum Ausdruck, ob sich seine Ablehnung gegenüber Frauen mit Migrationshintergrund durch diese Haltung erklärt oder umgekehrt.
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In die Haltung des rassistischen Sexismus reiht sich auch die von Maria und Gerda beschriebene Erfahrung ein, im Speziellen von türkischen jungen Männern belästigt zu werden, wenn sie mit einem Minirock gekleidet abends unterwegs sind. „Unsre Männa mochn des mit Stil, die Pfeifn da noch, und gebn da des Gfühl a fesche Frau zu sein. Oba die Türkn schrein glei ‚gemma fickn‘, des hob i wirklich net notwendig, des soins amoi mit ihre eigenen Fraun mochn, oda in da Türkei, weil do bringens di eh glei um wennst an Minirock onhost.“ (Maria, C)
Das Nachpfeifen der „eigenen“ Männer wird nicht als Belästigung wahrgenommen, sondern als Bestätigung der eigenen Attraktivität und ist durchaus gewünscht. Bei meiner Nachfrage, ob es gewollt wäre, wenn „die Türken“ ihnen nachpfeifen, verneinten beide junge Frauen. Sie könnten sich ohnehin in keinem Fall vorstellen mit einem Türken zu flirten oder eine Beziehung einzugehen.
Heimatverbundenheit und Grenzen
Dieses Kapitel diskutiert vor allem die Frage, wie unterschiedliche Positionierungen und Unsicherheiten zum Thema sozialer in Verbindung mit territorialen Grenzziehungen durch Mitglieder der analysierten Beziehungsnetze zum Vorschein treten. Aus sozial- und kulturanthropologischer Perspektive stellt sich hierbei die Frage, inwiefern das Bedürfnis nach der Auflösung von Grenzen oder im Gegensatz dazu die (Über-)Betonung nationaler und regionaler Werte bzw. Identitäten Prozesse wie Migration, Integration und die Erweiterung der EU betreffen, ermöglichen oder zulassen kann (bzw. konnte). Die Debatten in der österreichischen Öffentlichkeit waren in den letzten Jahren geprägt – und sind es heute noch – von Bedrohungsszenarien über Grenzöffnungen (Schengener Abkommen), territoriale Besitzstreitigkeiten, nationale Unabhängigkeitsbestrebungen und die zunehmende Bewachung der EU-Außengrenzen, die politisch gezeichnet und medial verbreitet wurden und werden 1. Eine steigende Unsicherheit in Verbindung mit Schlagwörtern wie „Kriminalität“ und „Asylmissbrauch“ nehmen auch die Mitglieder der drei Beziehungsnetze wahr, die in der Diskussion unterschiedli-
1
Die erste Ecke des multikulturellen Dreiecks nach Baumann (1999) ist der Staat, v. a. der sogenannte moderne, westliche Nationalstaat, der durch regierende Eliten die hegemonialen Medien und die dominante Zivilkultur dahin gehend beeinflusst, wer als Minderheit oder als Mehrheit erachtet wird. Dafür werden Kriterien wie ethnische und religiöse Zugehörigkeit herangezogen, aber auch „peculiar amalgam of two seemingly irreconcilable philosophies: rationalism [...], the appeal to purpose and efficiency; and romanticism [...], the appeal to feelings as the basis of action“ (Baumann 1999: 18).
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che, aber dennoch auch einander ähnliche Positionen einnehmen. In den folgenden Ausführungen soll daher aufgezeigt werden, welche unterschiedlichen Strategien der Grenzziehungen bzw. -auflösungen – national, regional oder lokal – verfolgt bzw. vorgestellt werden.
L OKALPATRIOTISMUS UND DIE „HEIMAT “ Ein positiver Bezug zur Einheit oder auch Reinheit der Nation findet sich kaum in den Alltagsargumentationen der befragten Beziehungsnetze, jedoch kommen durchaus Zweifel hinsichtlich der Öffnung von Grenzen und der Vermischung unterschiedlicher Gruppen in der Gesellschaft auf – sei es auf territorialer oder auch auf sozialer und biologischer Ebene, d. h. im Hinblick auf Partner_innenschaften. Marianne (A) ist im Gegensatz zu ihrer Schwester Susanne (A) der Ansicht, dass Migrant_innen bereit sein müssen, Österreich als ihre neue „Heimat“ im Sinne von „zu Haus“ anzuerkennen. Diese Anerkennung führt allerdings nicht dazu, dass sie zu Österreicher_innen werden, sondern bloß zu akzeptierteren Ausländer_innen. Das Thema „Heimat“ spielt für beide Frauen eine entscheidende Rolle, da sie selbst nach wie vor einen probaten Umgang mit ihrem eigenen Umzug nach Wien vor Jahren suchen und Vergleiche anstellen. Susanne (A) empfindet es dabei nicht als problematisch, Wien im Vergleich zu dem Bundesland, aus dem sie stammt, abzulehnen. Sie gesteht es im Gegensatz zu Marianne (A) auch Migrant_innen zu, „ihr Land, und ihr zu Hause“ zu vermissen und Österreich auch nach Jahren nicht als ihr Zuhause anzuerkennen. Marianne (A) hält diese Einstellung indessen für „destruktiv“, sieht darin die Ursache für viele Konflikte und schiebt damit einmal mehr „den Anderen“ die Verantwortung zu. Beide grenzen sich selbst nur im Ausland anhand ihrer Nationalität ab, und sehen keinen Grund dafür, sich im Inland anhand ihrer Nationalität zu definieren. Marianne (A) kennt etwa Erzählungen, in denen man sich als Touristin im Ausland beispielsweise von „den Deutschen“ abgrenzen muss.
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„I hob zum Glick no nia sogn miassn: ‚He, ich bin Österreicher und nicht Deutscher‘, und diese Gschichtln, die ma so hört und ma donn sogt: ,Ich bin stolz, Österreicher zu sein und nicht einer anderen Nationalität angehörig.‘“ 2 (Marianne, A)
Interessant war die Reaktion ihrer Schwester darauf, die meint, dass der Grund für die unhinterfragte Norm im eigenen Land darin liegt, „[w]eils anfoch so is“ (Susanne, A). Susanne (A) bezieht sich mit dieser Aussage auf „Weiß-Sein“ oder „Österreichisch-Sein“ als Norm und das Nichthinterfragen der Zugehörigkeit zur dominanten Mehrheitsgesellschaft. „WeißSein“ nimmt sie damit auch als Ausgangspunkt für die Zuordnung „des Eigenen“ und „des Anderen“ in „[…] nationale und globale Ordnungssysteme“ (Frankenberg 1996: 54). Unterschwellig kritisiert Susanne (A) mit ihrer Haltung in der Diskussion, dass Marianne (A) ihre eigene Position nicht genug hinterfragt. Marianne (A) geht auf diese Kritik jedoch nicht ein und meint: „Jo, ma fühlt si wohl.“ Susanne (A) darauf: „Owa des hast net du geschaffen.“ In diesem Moment relativiert Marianne (A) ihre vorhergehenden Aussagen: „Ahm, da bin i ehrlich zu mir selbst, i kann nix dafür, dass i Österreicherin bin. Also brauch i a net stolz drauf sein.“ Weiters führte sie aus, dass es wohl in jedem Land positive und negative Aspekte des Lebens gibt, aber sie froh ist, dass es ihr in Österreich so gut geht. Deshalb sollte es das Ziel aller sein, diesen Lebensstandard beizubehalten. Maria, Gerda und Martin (C) sind sehr wohl stolz auf „ihre Heimat“ und darauf, „Österreicher“ (von den Befragten männlich formuliert) zu sein. Ihre Abgrenzung erfolgt allerdings stärker über Territorien wie das Land (im Sinne der regionalen Landschaft), die Berge und die Kleinstadt, in der sie leben, als über das „österreichisch sein“ wie dies in Beziehungsnetz A sichtbar wurde. Schon das Bundesland wäre ein zu großer Bezugsrahmen, da es innerhalb dessen Gegenden gibt, die sich von der eigenen Region stark unterscheiden würden. Den einzigen Bezug zum Bundesland im positiven Sinn erklärte mir Martin (C):
2
Auch in Netzwerk B findet sich dieses Bedürfnis nach Abgrenzung zu „den Deutschen“: „‚You are from Germany?‘ – ‚No, I’m Austrian!‘ Mir war’s immer irrsinnig wichtig, klarzustellen, dass ich keine Deutsche bin“ (Eva, B).
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„Des sich i bei meine Vawondten, je tiafa ins Laund eini, desto echta die Leit. I man, die san einfoch no ehrlicha und net so von da Zivilisation betroffn. De legn no Wert auf Trochtn und Brauchtum, des gibts bei uns jo nua no ois Show oda bei die Oidn.“ (Martin, C)
Martin (C) idealisiert die von ihm wahrgenommenen Werte in diesen Regionen und verbindet sie auch mit dem dazugehörenden, für ihn positiv besetzten Lokalpatriotismus: „De vateidigen des a, do kummt eana nix drüwa“ (Martin, C). Obwohl er selbst und seine Generation insgesamt die von ihm angesprochenen Werte und Bräuche der vorangegangenen Generationen kaum hochhalten, romantisiert er sie stark und beklagt den Verlust von Werten in der heutigen Jugend und Gesellschaft im Allgemeinen. Dieses Fehlen und Schwinden von Werten setzt er dabei immer wieder in direkte Verbindung mit der steigenden Anwesenheit von Migrant_innen. Dass es in stärker ländlichen Gebieten „noch“ Werte und Brauchtum gibt, steht in engem Zusammenhang damit, dass sich dort nicht so leicht „Ausländer“ ansiedeln. Das würden seiner Ansicht nach die Leute dort auch nicht so einfach zulassen, weil „duat gibts anfoch ondare Gesetze, die [Anm.: Einheimischen] lossn si a net so leicht wos aufdruckn“ (Martin, C). Dieser stärker praktizierte Lokalpatriotismus führt in Martins (C) Idealvariante zu einer ethnischen und kulturellen Reinheit und Einheit, die dem Staat und dessen Vorstellungen über die Öffnung von Grenzen widersprechen, jedoch die Kultur- und Volksnation erhalten.
Lokalpatriotismus und Neonationalismus Negative Reaktionen auf Themen wie „Immigration“ oder „Entscheidungen der EU“ finden nicht selten ihren Ausdruck in populistischen Appellen an die (Mehrheits-)Gesellschaft. Daher erscheint in der Analyse die Identifikation von Neonationalismus nicht nur als Ideologie von Bedeutung, sondern auch als soziales Phänomen, das einen analytischen Fokus auf Interaktion, soziale Praxis und damit einhergehende Diskurse erfordert und somit auch nach Kontextabhängigkeit verlangt: „neo-nationalism is neither an isolated phenomenon, nor is it internally coherent“ (Banks/Gingrich 2006: 3).
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Neonationalist_innen 3 behaupten häufig von sich, nach ewig währenden und einzigartigen Werten zu leben, während sie in ihren tatsächlichen Handlungen eher dazu tendieren, sehr gegenwartsbezogene und „gewöhnliche“ Ziele zu verfolgen. Ebenso findet eine aggressive Konstruktion eines emotionalisierten „Wir“ statt, während alle internen Konflikte und Uneinigkeiten heruntergespielt werden: „[…] usually defined along narrow and rigid cultural lines“ (Gingrich 2006: 199). Solch eine emotionalisierte Version eines „Wir“ trat auch bei den Argumenten von Beziehungsnetz C konstant auf und spielte interne Kontroversen nur in der jeweiligen Bezugsgröße (Region oder Bundesland) herunter. Vom Dorf bis zur Stadt und bis zur Bezirksgrenze verlaufen die ersten eng gefassten Linien und danach erst folgen als Bezugsgrenzen das Bundesland und die Staatsgrenzen, wobei letztere im Sinne von „Österreichisch-Sein“ in sämtliche kleinere Bezugsgrößen hineinwirken. Auch das enge Verständnis einer Praxis von „Recht und Ordnung“ und eine negative Haltung zur EU sind wiederkehrende Aspekte des Neonationalismus (Gingrich 2006: 214). Vor allem letzteres findet sich im Beziehungsnetz C wieder, denn der Versuch eine supranationale europäische Einheit herzustellen ist aufgrund der fehlenden Rückbindung auf lokaler Ebene (Kleinstadt) sowie auf nationaler Ebene nicht nachvollziehbar. Entscheidungen in Bezug auf die EU werden mit der Hauptstadt und dem Regierungssitz Wien assoziiert, während das eigene Bundesland davon freigespielt wird. „De tuan so, ois ob wia irgendwos mit de ondan Lända gemeinsom hättn. Dabei kennan sa se net amoi im eigenen Lond aus. De Weana hom jo a ka eigene Kultur, weils anfoch a Schmöztiegl san und sie damit obgfundn hom. Wia miassn drunta leidn. Dabei was vü gscheida füa uns do, wenn so bleibn tarat, wias woa. Die Schweiza kennan des jo a, wieso mia net?“ (Maria, C)
3
Ebenso wie Gellner (1983) und Hobsbawm (1990) ein Ansteigen des Nationalismus identifizieren, erkennen Banks und Gingrich diese Entwicklung auch beim Neonationalismus. Ihre Arbeitsdefinition für Neonationalismus besteht in dem Wiederauftauchen von Nationalismus unter veränderten globalen und transnationalen Vorzeichen, auf die es für NeonationalistInnen zu reagieren gilt (Banks/Gingrich 2006: 2).
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Insgesamt zeigt sich, dass speziell in Beziehungsnetz C das Modell der „tripartite hierarchy“ (Gingrich 2006) zum Tragen kommt, sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene. In der Mitte des „tripartite hierarchical ideological pattern“ ist eine kohärente, kulturell essentialisierte Form eines „Wir“ positioniert, die mit zwei Gruppen „der Anderen“ kontrastiert wird. „One group of ,them ދis constructed, in terms of power, as being ,above usދ: the EU authorities in Brussels and their mysterious associates elsewhere. A second stratum of ,them ދis perceived as being ranked, in terms of status, ,below usދ: local immigrants and other cultural and linguistic minorities living in the EU, plus their ,dangerous ދassociates in Africa, Asia and elsewhere.“ (Gingrich 2006: 199)
Die Diskussionen und Beobachtungen in Beziehungsnetz C zeigten deutlich, dass Wien und Brüssel als machtvolle Gefahr gesehen werden, da sie nicht im Sinne der „einfachen Leute“ (Gerda, C) agieren. Türkische Migrant_innen und deren transnationale Beziehungsnetze hingegen werden mit wenig Rechten versehen und in der Hierarchie niedriger positioniert, aber trotzdem mit Gefahr assoziiert. Zugehörigkeit beruht in erster Linie nicht auf Staatsbürger_innenschaft, sondern diese stellt (oft) nur eine formale Anerkennung dar. Anhand des Themas „Heimat“ wird die Zweischneidigkeit einer gängigen Argumentationslinie der Mehrheitsgesellschaft augenscheinlich: Einerseits besteht die vehemente Forderung von „Hiesigen“, dass sich „Fremde“ solidarisch, integriert (sprich assimiliert) und heimatverbunden zeigen. Andererseits bleibt der Status als „Ausländer_in“ bestehen, selbst wenn diese Forderungen erfüllt scheinen. Das „Anderssein“ lässt sich eben nicht so einfach ablegen – es bleibt über Generationen hinweg bestehen. Welche Werte Ausländer_innen konkret vertreten müssten, um als Österreicher_innen anerkannt zu werden, wird von den Mitgliedern der Beziehungsnetze nicht näher definiert 4. Allerdings ist es eine unhinterfragte Norm, dass in einer „österreichische Familie“ geboren zu sein (im Sinne
4
Auch die in den Beziehungsnetzen häufig problematisierten Deutschkenntnisse nützen – wenn vorhanden – Einzelpersonen lediglich, um Ausnahmen der im Allgemeinen integrationsunwilligen „Ausländer_innen“ darzustellen, aber nicht um als Österreicher_in zu gelten.
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der Volksnation nach Yuval-Davis 5), dazu führt, „das Österreichische“ in sich zu tragen, auch bei antinationaler Gesinnung. Im Ausland nicht als Deutsche(r) gelten zu wollen, ist Teil des Systems einer kategorischen Zuordnung, die sich in allen drei Beziehungsnetzen findet. Zudem kann eine Idee von Zugehörigkeit zu einer imaginierten Nation 6 (Anderson 1998) ausgemacht werden, die in Kurzform als „die Österreicher“ bezeichnet wird, die offensichtlich ist, aber nicht näher beschrieben werden muss und in Verbindung mit „dem guten und richtigen Leben“ per se steht. Diese territorialen Begrenzungen sind, wie aufgezeigt wurde, nicht nur national, sondern können sich auch in erster Linie auf ein lokales Territorium beziehen und erst in einem zweiten Schritt auf die Kultur, Volksoder Staatsnation (Yuval-Davis 1997) abzielen.
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Nira Yuval-Davis (1997) unterscheidet verschiedene Formen von Nationen, wie die Kulturnation (mit einem gemeinsamen Kulturmythos), die Volksnation (in der die mythologische Idee einer gemeinsamen Herkunft eine große Rolle spielt) und die Staatsnation (als Vorstellung einer Nation auf Basis einer gemeinsamen StaatsbürgerInnenschaft). Sie versucht, mit dieser Typologisierung die Grundkonzepte der damit verflochtenen Nationalismen aufzuzeigen (Yuval-Davis 1997: 12), und warnt vor einer fundamentalistischen Politik der Identität, die dazu neigt, Gruppen zu homogenisieren und zu naturalisieren, Veränderungen zu leugnen sowie interne Machtstrukturen und Interessenkonflikte zu verschleiern. In der Konstruktion von Nationen und Nationalismen stellt Gender eine nicht wegzudenkende Kategorie dar. Yuval-Davis streicht es als Ziel des „nation building process“ heraus, eine Gesellschaftshierarchie zu essentialisieren und naturalisieren. Dadurch werden die Zugehörigkeit zu einem ideologischen Apparat und dessen Akzeptanz kreiert, die wiederum in engem Zusammenhang mit Rassismus und Nationalismus stehen. Automatisch werden damit „das Ei(ge)ne“ und „das Andere“, Minderheiten und Mehrheiten, konstruiert und dadurch Grenzen geschaffen (Yuval-Davis 1997).
6
Benedict Anderson (1998) betont in „Imagined Communities“ den Mechanismus der politischen Imagination. Er ist dafür, Nationalismus als kulturelles System zu betrachten und nicht als Ideologie. Die Nation ist demnach eine vorgestellte politische Gemeinschaft, da die darunter gefassten Individuen einander zwar nicht tatsächlich kennen, sie aber eine Idee von gemeinsamer Zugehörigkeit teilen. Diese geteilte Idee von Gemeinschaft ist dabei eng mit den Konzepten von Begrenztheit und Souveränität verbunden (Anderson 1998: 14f.).
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… oder einheimisch in der „Heimat“? Einheimisch beschreibt u. a. die Vorstellung, sich mit Emotionen hinsichtlich der eigenen Herkunft bzw. Geburt auf einen geografischen Ort berufen zu können. Diese Gefühle der Verbundenheit können einen relevanten Teil der Selbstpositionierung in der Gesellschaft ausmachen, weshalb der Bezug darauf häufig mit einem Sicherheitsgefühl verbunden ist. Wird dieses Gefühl durchbrochen, etwa durch gesellschaftliche Veränderungen, kann dies Unbehagen, Konflikte oder sogar Kriege auslösen (Appadurai 2003). „Gebürtig“ oder „einheimisch“ wird einerseits von den etablierten Gruppen selbst verwendet. Auch wenn nicht alle Interviewten den Begriff im Alltag verwenden, wird mit „Ich als [Stadt]er“ (wie [Wien]er, [Mödling]er) oder „Ich als Einheimischer“ sinngemäß eine Differenz zu anderen Individuen oder Gruppen konstruiert, die nicht erklärt werden muss, sondern eine unhinterfragte, etablierte Norm darstellt und einen Anspruch auf „das unveränderte Einheimische“ geltend macht. Auf normativer Ebene sind in der Alltagsanwendung der Begriff „einheimisch“ und dessen Inhalt somit schwer zu differenzieren. Die Unterscheidung in Einheimische und Ausländer_innen erfährt auch anhand der Verleihung der Staatsbürger_innenschaft Bedeutung. Beispielsweise kann einer Familie mit türkischem Migrationshintergrund, die schon in dritter Generation an einem österreichischen Ort lebt und deren Mitglieder vor dem Gesetz Österreicher_innen sind, noch sehr viel länger der soziale Status als „einheimisch“ verwehrt bleiben. Je nach Instrumentalisierung sind es Elemente von Kultur, Tradition, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, sichtbarem Anderssein wie Kleidung oder phänotypische Merkmale, die im negativen Sinne herangezogen werden, um „das Fremde“ beschreibbar und ausgrenzbar zu machen. In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff „Heimat“ verwendet, der mitunter auf einen Besitz referiert. Anhand der Interviews wird deutlich, das „Heimat“ von der etablierten Bevölkerung nach wie vor als Merkmal der Unterscheidung zu den Zugewanderten (regional und international) herangezogen wird. „Heimat is a mythical bond rooted in a lost past, a past that has already disintegrated: ,we yearn to grasp it, but it is baseless and elusive; we look back for something solid to lean on, only to find ourselves embracing ghosts( ދBerman, 1983:
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333). It is about conserving the ,fundamentals ދof culture and identity. And, as such, it is about sustaining cultural boundaries and boundedness. To belong in this way is to protect exclusive, and therefore excluding, identities against those who are seen as aliens and foreigners.“ (Morley/Robins 1995: 89)
Der Heimatbegriff hat vor allem im deutschen Sprachgebrauch eine spezifische Geschichte und kann durch dessen Instrumentalisierung für die NSPropaganda im deutschen Sprachraum nicht wertfrei verwendet werden. Trotz dieser in der Sozialwissenschaft weitgehend ablehnenden Haltung gegenüber dem „Heimat-Begriff“, fand in den 1970ern in Österreich eine bis heute andauernde Enttabuisierung und „Reinwaschung“ des Begriffs statt und mittlerweile erlebt er eine Renaissance und wird seit einigen Jahren wieder vor allem von der politischen Rechten, aber auch von anderen Parteien bemüht und beansprucht (dazu Pasqualoni 2007; Bausinger 1980; Kirchengast 2008; Morley/Robins 1995). Durch diesen geschichtlichen Hintergrund kann/soll Heimat auch nicht in andere Sprachen übersetzt werden. 7 Im Bewusstsein der Erkenntnisse aus der Transnationalismusforschung und deren Kritik an der Gegenüberstellung von Mobilität und Verwurzelung 8 zeigt die vorliegende Forschung auf, dass dem Verbleiben in der „Heimat“ über Generationen eine wesentliche Bedeutung zukommt. Demnach ist es für Zugewanderte jeglicher Herkunft besonders schwierig, als Einheimische zu gelten, denn es ist seitens vieler Teile der Mehrheitsgesellschaft auch nicht erwünscht, dass sie diesen Status erreichen. Die „Einheimischen“ von Beziehungsnetz C können und wollen sich die positive Bewertung einer multikulturellen Gesellschaft nicht vorstellen und würden es begrüßen, so der Tenor ihrer Aussagen, wenn der Ort, in dem sie leben, möglichst einheimisch bliebe, wobei die Anwesenheit von ein paar „angepassten Fremden“ durchaus „vertretbar“ sei.
7
Home im Englischen etwa kann nicht mit Heimat übersetzt werden, sondern hat eine wesentlich differenziertere Bedeutung (siehe Blickle 2002: 4).
8
„Being grounded is not necessarily about being fixed; being mobile is not necessarily about being detached“ (Ahmed et al. 2003: 1).
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Ö FFNUNG DER G RENZEN EINER W ELTBÜRGERIN
ODER DIE I LLUSION
„Früher wars mir total wichtig, zu sagen, dass ich mich selbst als Weltbürgerin sehe, heut tu ich das nimmer so einfach.“ (Eva, B)
Obwohl in Beziehungsnetz B versucht wird, die eigene Position als Weltbürger_in und das Streben nach kosmopolitischem Leben zu reflektieren, sind es doch Migrant_innen einer spezifischen Bildungsschicht und sozialen Stellung, die einhergehend mit dem (möglichen) EU-Beitritt der Türkei kritisch betrachtet werden: „Ich musste auch ehrlich eingestehn, dass das nicht ganz stimmt. Also ich hab auch von mir immer das Bild ghabt, ich bin völlig offen“ (Eva, B). Der Grund für das Hinterfragen der eigenen Position als Weltbürgerin bei Eva (B) liegt in der Irritation in Bezug auf ihre eigene Verwurzelung. So sehr sie sich nicht auf Österreich als „Heimat“ und Ort der Verbundenheit beziehen möchte (da dies ihren Idealen widerspricht), so sehr hat sie auch in den letzten Jahren und im Zuge ihrer Tätigkeiten gemerkt, dass es durchaus einen positiven nationalen Bezug gibt, der über die Abgrenzung zu „den Deutschen“ hinausgeht. Sie ist sich nicht mehr sicher, ob ihre Zugehörigkeitsgefühle zu Österreich ihrem eigenen kosmopolitischen Anspruch widersprechen. Das eigene Bedürfnis nach Reisen, Ausbildungen im Ausland und einem grundlegendem Verständnis für andere kulturelle Zusammenhänge sind positiv assoziierte Eigenschaften einer sozioökonomischen Elite, der das Beziehungsnetz B angehört. Ebenso selbstverständlich werden den Migrant_innen der Unterschicht aber auch das Fehlen von weltoffenen und aufgeschlossenen Lebenszusammenhängen und eine Statik in ihrer Entwicklung zugeschrieben. Sogar den Verwandten dieser Auswander_innen im jeweiligen Herkunftsland wird oft mehr Entwicklung – im Sinne von Fortschritt – zugetraut als den hier lebenden Migrant_innen. Pnina Werbner beschreibt Kosmopolitismus als einen über die Grenzen von unterschiedlichen Kulturen hinausreichenden Dialog: „Cosmopolitanism, derived from the Greek conjunction of ,world( ދcosmos) and ,city( ދpolis), describes a ,citizen of the worldދ, member in a ,universal circle of belonging that involves the transcendence of the particular and blindly given ties of
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kinship and country( ދCheah 2006: 487). Against ,globalizationދ, a term implying the free movement of capital and the global (mainly Western) spread of ideas and practices, cosmopolitanism is a word used by the new cosmopolitans to emphasise empathy, toleration and respect for other cultures and values.“ (Werbner 2008: 2)
Für Werbner besteht Kosmopolitismus darin, über kulturelle Grenzen hinweg Unterschieden in Form eines Dialogs zu begegnen. Dies beinhaltet auch Respekt, damit ein gemeinschaftliches Leben innerhalb einer internationalen Community ermöglicht wird. 9 Friedman identifiziert demgegenüber „Cosmopolitanism“ als einen von vier Prozessen der Fragmentierung und verbindet damit die Fraktion der intellektuellen Elite (Friedman 1997: 72). „It is also a normative dicourse in so far, as it claims that essentialism must be replaced by concepts of hybridisation and cultural creativity that realise, in the vast array of world cultures, a kind of storehouse of knowledges, foods, clothing, art forms, which are a source of our enrichment. This is a multicultural and constantly mixing world, and those who master it culturally are the cultural ,theorists ދwho have now begun to define this world for the rest of us.“ (Friedman 1997: 73)
9
Werbner meint, dass Kosmopolit_innen zu Unrecht vorgeworfen wird, sie seien ohne Wurzeln, Verpflichtungen und (Ver-)Bindungen: „the new post-1990s cosmopolitanism attempts to theorise the complex ways in which cosmopolitans juggle particular and transcendent loyalities — morally, and inevitably also, politically“ (Werbner 2008: 2). Egal ob es sich um eine verwurzelte, einheimische oder elitäre Definition des Begriffs handelt, vertritt Werbner die Ansicht, dass Kosmopolitismus als „ethical horizon — an aspirational outlook and mode of practice“ (Werbner 2008: 2) verstanden werden muss. Kosmopolit_innen insistieren auf die menschliche Fähigkeit, sich die Welt aus einer anderen Perspektive vorstellen zu können, sowie auf die Imagination einer Welt kultureller Pluralität ohne Grenzen. „We are often labeled as cosmopolitan individuals with a certain subjective capacity to enjoy cultural diversity and travel; but because cosmoplitanism is itself a product of creativity and communication in the context of diversity, it must ultimately be understood not merely as individual, but as collective, relational and thus historically located“ (Werbner 2008: 2).
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Die Logik dieses Diskurses besteht für Friedman darin, dass die Mehrheitsgesellschaft zu einer ethnischen Gruppe wie alle anderen wird und nationale Identität durch Pluralismus ersetzt wird (Friedman 2004: 64). „Cosmopolitanism, in this sense, implies the capacy to distance oneself from one’s place of origin, and to occupy a higher place above a world in which indigenous, national, and migrant populations all inhabit an enriched cultural territory. This cultural difference is consumed in the form (Friedman 2004: 64) of cultural products, from cuisine to art, and is, of course, the stuff for innumerable festivals. Difference is consumed in the lives of the élites and becomes a kind of furnishing of their existences. The embodiment of the world’s diversity becomes a new kind of selfrepresentation.“ (Friedman 2004: 65)
Eva (B) und Sonja (B) erkennen die Pluralität der Gesellschaft an, ihre kosmopolitische Haltung schließt jedoch mittlerweile das Bedürfnis nach territorialen Grenzen nicht mehr aus. Die völlige Öffnung von Grenzen stellt ihrer Meinung nach keine probate Lösung für gesellschaftspolitische Probleme im Kontext von Migration und Flucht dar. „Was ich vor ein paar Jahren noch gsagt hätt, is, einfach Grenzen öffnen und wer kommen mag, kommt, und wer nicht will, kommt eh nicht, würd ich jetzt so nimma sehn. I glaub, du brauchst viel System dahinter, kommt ma vor. Also ich glaub nicht, dass ma überrollt werden würd […] von den Milliarden Leuten, die alle nur nach Österreich wollen, ahm, aber ich glaub, man muss sich ziemlich gut anschaun, wie nimmt ma Leute auf, wo nimmt ma sie auf, ah, und wie integrierst du die Leut. Dieses ,einfache Komme-wer-wolleދ, das war zwar früher mal mein Bild, so auf die Art, das regelt sich alles von selber, glaub ich so jetzt nicht mehr, und schon gar nicht, so wie die Gesellschaft jetzt drauf ist.“ (Eva, B)
Auch Sonja (B) denkt nicht, dass die Grenzen geöffnet werden können oder sollten, hat aber ebenfalls keinen „Alternativvorschlag für ein besseres System“. Im Vergleich zu Beziehungsnetz B sind die Mitglieder der Beziehungsnetze A und C eher lokal ausgerichtet, zumal sie betonen, dass Reisen für sie keine große Bedeutung hat, vor allem deshalb, weil es „z’haus auch schön ist“ (Gerda, C). Sie sehen Differenz aus unterschiedlichen Gründen zunehmend als Bedrohung, vor allem dann, wenn sie in ihre Nähe rückt.
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Wird von den einen in der Differenz in erster Linie ein ökonomischer Vorteil für Migrant_innen gesehen (A), indem sie den Zugewanderten unterstellen, das Sozialsystem auszunutzen, so meinen die anderen (C), eher einen Wertverfall zu bemerken, da, begünstigt bzw. verstärkt durch die Anwesenheit „der Anderen“, das „Sich-Besinnen auf eigene Traditionen“ verloren ginge. Ähnlich wie im Diskursstrang zu „Kultur und Multikulturalismus“ finden sich im Kontext von territorialen Grenzziehungen einerseits essentialisierende Vorstellungen vom „Eigenen“ in Form von Lokalem, Regionalem oder Nationalem (Beziehungsnetze A und C) und auf der anderen Seite jene Einstellungen, die eigentlich starre Grenzen ablehnen und sich mit Menschen in und aus aller Welt verbunden fühlen, jedoch irritiert davon sind, dass sie keine Lösungen im Zusammenhang mit der Durchlässigkeit von Grenzen sehen (können) (Beziehungsnetz B). Ideologisch wäre für die zweite Position zwar eine Auflösung nationaler Grenzen durchaus denkbar, jedoch praktisch betrachtet werden dennoch bedrohliche Szenarien imaginiert.
T RANSNATIONALE BEZIEHUNGSNETZE ALS ÖKONOMISCHES M ITTEL FÜR „S OZIALSCHMAROTZER _INNEN “? Nicht nur die eigene Mobilität und internationale Verbundenheit wurden in den Beziehungsnetzen reflektiert, sondern auch die grenzüberschreitenden Handlungen von Migrant_innen. Dabei kann einleitend vorweggenommen werden, dass einige der Mitglieder der analysierten Beziehungsnetze zwar transnational agieren, aber keineswegs kosmopolitisch handeln bzw. denken. Und umgekehrt ist es auch möglich, dass kosmopolitisch eingestellte Personen keineswegs transnational agieren (können). Auswirkungen transnationaler Beziehungen von Migrant_innen werden seitens der Mehrheitsgesellschaft mit gemischten Gefühlen betrachtet. Die vielfältigen Aspekte dieser Verbindungen und die grenzüberschreitenden Beziehungen scheinen – so eine gängige Wahrnehmung – für Migrant_innen positive Auswirkungen zu haben, die für Einheimische gefährlich sein könnten oder ihnen ökonomisch zum Nachteil gereichen können. Eine andere Perspektive stellt dagegen das Ideal der Internationalität dar, jedoch
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nur in ganz bestimmten Schichtzugehörigkeiten der Befragten. Den ökonomischen und sozialen Möglichkeiten von Einzelpersonen, werden in theoretischen Ansätzen zu Kosmopolitismus und Transnationalismus manchmal wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Transnationalismusforschung beruht auf Ansätzen, die sich mit Identitäten, Globalisierung und der Entstehung von (neuen) sozialen Räumen durch Migration beschäftigten, wobei es in den letzten Jahrzehnten zu einem Paradigmenwechsel kam, durch den historische, globale und politische transnationale Prozesse und Aspekte zunehmend Gegenstand von Forschungen wurden (Strasser 2009). Seit den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren wird Transnationalismus als Konzept verstärkt angewendet und in der Praxis erforscht. Die Kulturanthropologinnen Glick-Schiller et al. haben ein Rahmenwerk für die Transnationalismusforschung entwickelt und definieren ihn als einen Prozess, in dem Migrant_innen „forge and sustain multi-stranded social relations that link together their societies of origin and settlement“ (Basch et al. 1994: 7). Somit werden über geografische, kulturelle und politische Grenzen hinweg neue soziale Räume und damit verbunden auch vielfältige Beziehungen aufgebaut (Markom 2009). Transnationale Ansätze gehen davon aus, dass Migrant_innen ihre Beziehungen zum Herkunftsland nicht aufgeben, sondern zunehmend in transnationalen sozialen Formationen leben und agieren. Durch vielfache Zugehörigkeiten und Loyalitäten entstehen somit komplexe soziale und politische Herausforderung für Nationalstaaten und deren Institutionen (Strasser 2009: 20). Ähnlich wie sich im vorangegangenen Kapitel gezeigt hat, herrscht in Beziehungsnetz B das Bedürfnis vor, als weltoffen zu gelten und sich auch so zu fühlen. Dieser Wunsch drückt sich auch in einer entsprechenden nationalen Vielfalt im Freund_innenkreis aus sowie in einem gewissen Maß an Reisen und dem kosmopolitischen Zugang zum eigenen Leben. Diese multikulturelle, kosmopolitische und transnationale Praxis konzentriert sich allerdings in erster Linie auf jene Schicht, in der sich die Mitglieder von Beziehungsnetz B selbst bewegen. Es handelt sich dabei um universitäre oder berufliche Kontakte, Freund_innenschaften aus der Studienzeit oder Hobbys, denen im Urlaub oder aus beruflichen Gründen nachgegangen wird. Transnationale Beziehungen von oder mit „Türken vom Brunnenmarkt“,
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wie Eva (B) sie nennt, kommen in diesem Zusammenhang nicht vor. Wenn Beziehungen von Zuwander_innen aus der Gastarbeiter_innengeneration mit ihrem Herkunftsland diskutiert werden, dann in erster Linie im Kontext von so genannten „Importbräuten“ oder nationalistischen Verbindungen. In Beziehungsnetz A dominiert diesbezüglich ein völlig anderer Zugang. Die in Beziehungsnetz B genannten Werte der Internationalität haben hier keinen Stellenwert im eigenen Leben. Auch Reisen finden vergleichsweise selten statt und werden auf spätere Lebensphasen verschoben. Marianne (A) bemerkt aber, dass es „Gruppen und Kulturkreise“ gibt, die sich untereinander stärker organisieren als die Österreicher_innen, und sieht darin einen „weiteren [unlauteren] Vorteil“ gegenüber den Einheimischen. „Die Shiva hot gsogt, gleich wia sie noch Österreich kommen is, noch bevor du dein Visum kriegst, um dorthin zu fliegen, kriegst eine Telefonnummer und einen Namen von an Typen, an den du dich wendest. Der organisiert dir alles: Adressen, Förderungen, sämtliche Informationen, Telefonnummer und Namen. Füa des host damals voa 17 Joa deine 10.000 Schilling zahlt.“ (Marianne, A)
Marianne (A) und auch Susanne (A) sehen darin etwas „Kulturelles“ und meinen, „die Österreicher_innen“ könnten und sollten von diesem Zusammenhalt etwas lernen, denn „andere Kulturen pflegen andere Kontakte“ (Susanne, A). Marianne (A) schloss aus dieser Aussage, dass es möglicherweise sinnvoller ist, nicht immer nur über „die Ausländer zu schimpfen“, sondern dass durchaus die Möglichkeit besteht, auch etwas von ihnen zu lernen. Was transnationale Beziehungen betrifft, so interessieren und pflegt Richard (A) nur welche in die USA oder innerhalb von Europa, mit Ausnahme von osteuropäischen Ländern, die er prinzipiell kategorisch ablehnt. Maria (C) ist sich sicher, dass hinter der „Masseninvasion“ nach Österreich durch türkische Migrant_innen noch andere Interessen stecken, als das bloße Bedürfnis hier zu leben. Die vielen Verbindungen ins Herkunftsland, die (laut Hörensagen) auch politisch-nationalistischer Natur sein sollen, deuten für sie und andere in ihrem Umfeld auf eine Art Konspiration hin: „Die Türken hom an greßan Plan dahinta, die kafn ollas auf und woin die Stodt üwanehma“ (Maria, C). Dieser Schluss liegt für sie deshalb nahe, weil sie den Eindruck hat, dass sich „die Türken net onpassn, und won i wo seit Joan leb, donn kapsl i mi net nua ob, sondan pass mi a bissl on, owa de tuan des net und miassn des a net“ (Maria, C). Es kursieren viele mehr oder
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weniger konkrete Verschwörungstheorien in der Stadt, die alle darauf hinauslaufen, dass die etablierte Mehrheitsgesellschaft befürchtet, in Zukunft minorisiert zu werden, sollte noch mehr Zuwanderung ermöglicht werden. Während Mariannes (A) Einstellung zum „Organisiert- oder VernetztSein“ von Migrant_innen noch eher positiv konnotiert (wobei es auch kippen kann, wenn nicht mehr klar ist, ob das Sozialsystem genutzt oder ausgenutzt wird), so stellt es im Fall von Beziehungsnetz C von Beginn an eine veritable Bedrohung dar, wobei diese Befürchtung auch hier in enger Wechselwirkung mit den diesbezüglich kursierenden Verschwörungstheorien steht. Obwohl angepasst und assimiliert zu sein, von der Mehrheitsgesellschaft nicht „belohnt“ und entsprechend anerkannt wird, ist es für die Befragten nicht nachvollziehbar, warum dieses „Wie-wir-Sein“ nicht zumindest ein anstrebenswerteres Ziel für Zuwander_innen ist, als die „Rückständigkeit“ der Herkunftsgesellschaft. Aber auch das Ausdehnen von einander sonst sozial und geografisch fernen Räumen wird von der Mehrheitsbevölkerung als unangenehm und bedrohlich wahrgenommen und es scheint für sie kein Mehrwert daraus zu entstehen. Die vielfache Zugehörigkeit von Migrant_innen zu mehreren Nationen ist nicht vorstellbar und ebenso wenig erstrebenswert. Auch die geteilten nationalen Loyalitäten werden von den Interviewpartner_innen angezweifelt. Ein Beispiel, anhand dessen Grenzüberschreitungen ebenfalls häufig diskutiert werden, ist der EU-Beitritt der Türkei.
B EDROHLICHER G RENZÜBERTRITT – D ER EU-BEITRITT DER T ÜRKEI Wenig überraschend stellte sich der mögliche EU-Beitritt der Türkei im Rahmen dieser Forschung als ein brisantes Thema heraus, zumal in den vergangenen Jahren in den Medien und der Politik heftig darüber debattiert wurde. Hinter dieser Brisanz verbirgt sich zum einen sehr viel Unsicherheit und zum anderen offene Ablehnung. In Relation zu Debatten wie beispielweise über den Asylmissbrauch, gab es in den Interviews häufigere Bezugnahmen auf einen möglichen EUBeitritt der Türkei. Zumeist wurde dieses Thema auch ungefragt zur Sprache gebracht, was darauf schließen lässt, dass es für viele Mitglieder der
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drei Beziehungsnetze im Alltag präsent und relevant ist. Dass der EU Beitritt der Türkei sehr unmittelbar als Thema auftauchte, wenn von Migration oder Rassismus im allgemeinen gesprochen wurde, weist außerdem darauf hin, dass die Debatte eine dominante Assoziationsfläche zu Themen wie „Rassismus“ und „Migration“ bildet. Der EU-Beitritt der Türkei existiert in Österreich mittlerweise als spezieller Diskursstrang mit zahlreichen Assoziationsketten wie Zwangsverheiratung, Kopftuch, Moscheenbau u. v. a. m. Viele Mitglieder der Gesellschaft kennen das Spektrum an Assoziationen, das damit im Zusammenhang steht, und aus diesem Repertoire formt die Gesellschaft ein Bild von einer Wirklichkeit, das zu „kollektivem Wissen“ (Jäger 2004: 133) führt. Die Topoi des EU-Beitritts der Türkei lassen ein System von Interpretationsoptionen entstehen, die kollektiv erlernt und angewendet werden. So hat der potenzielle EU-Beitritt der Türkei eine indirekte Bedeutungsfunktion für die bereits in Österreich lebenden Türk_innen, aber auch für die Bedrohungsszenarien über noch migrierende Türk_innen. Dies wurde in den Interviews u.a. visuell, über Symbole wie das Kopftuch oder türkische Fahnen versinnbildlicht. Seit der Europäische Rat im Dezember 2004 auf Empfehlung der Kommission beschlossen hat, die Beitrittsverhandlungen im Oktober 2005 mit der Türkei aufzunehmen (Europäisches Parlament 10) wurde auf vielen Ebenen die Einstellung der Mitte der Gesellschaft zum EU-Beitritt der Türkei öffentlich diskutiert. Wie sich in den folgenden Ausführungen zeigt, werden diesbezüglich semantische Ketten gebildet und Analogiebeziehungen hergestellt. Dabei wird in diesem Abschnitt einerseits beschrieben, über welche Diskursstrategien zum Thema eines potenziellen Beitritts der Türkei zur EU Differenz hergestellt wird, sowohl zwischen der Türkei und Österreich als auch zwischen Türk_innen und Österreicher_innen. Andererseits wird durch Beispiele aus der Analyse der Feldforschung deutlich gemacht, worin diese Legitimationsstrategien in der sozialen Praxis durch die Mitglieder der erforschten Beziehungsnetze bestehen. In den Argumentationen werden drei Ebenen regelmäßig vermischt: erstens die Türk_innen, die bereits in Österreich leben, zweitens jene, die
10 www.europarl.europa.eu/parliament/expert/displayFtu.do?language=de&id= 73&ftuId=FTU_6.3.1.html [16.2.2011]
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noch kommen werden, und drittens die Optionen, die Türk_innen erhalten würden, wenn sie Teil der EU wären. In Beziehungsnetz C ist das Thema des EU-Beitritts der Türkei geprägt und dominiert von der Wahrnehmung türkischer Migrant_innen im unmittelbaren geografischen und sozialen Umfeld der Befragten. Nur Maria (C) erwähnt auch den Aspekt von Menschen-, Religions- und Frauenrechten: „Wia sui bitte a Lond in die EU kumman, wo i hamdraht oda vagewoitigt werdn darat, won i an Minirock anhob“ (Maria, C). Aber auch in diesem Zusammenhang geht sie von belästigenden Erfahrungen in ihrer Heimatstadt mit „den Türken“ aus oder von Vermutungen über die „Zustände in der Türkei“. Konkretes Wissen über die Türkei hat sie keines und will sie auch nicht haben, wie sie selbst meint. An den Beitritt und an das Leben von Türk_innen in Österreich knüpft sie indessen Bedingungen, die zuvor erfüllt werden müssten: „Solong wir kane Kirchn in da Türkei baun dürfn, soin die a kane Moscheen in Österreich baun.“ Hier setzt sich ebenfalls die identifizierte Haltung „Jede/r an seinen/ihren Platz“ durch. Überdies kann das Bedürfnis, den Beitritt zu verhindern, als symbolische Haltung gegen die Anwesenheit von Türk_innen in der Stadt interpretiert werden: „I mogs afoch net, es san zvü vo eana do […] Si san laut und stean mi voi oft. Deshoib brauch is a in da EU net. Se passn sowieso net dazua“ (Gerda, C). Martin (C) bringt indes eine weitere Komponente zur Ablehnung „der Türken“ und eines möglichen EU-Beitritts ein: den wirtschaftlichen Aspekt. Er geht davon aus, dass der EU-Beitritt der Türkei „uns“ nichts bringt, da ohnehin nur türkische Arbeitskräfte unseren Arbeitsmarkt überschwemmen würden. „Wenns uns a wos bietn, kemma weidaredn“ (Martin, C). Thomas aus Beziehungsnetz B meint im Gegensatz dazu, dass es vom wirtschaftlichen Standpunkt aus durchaus gut wäre, wenn die Türkei der EU beiträte und bedient sich dabei ebenfalls eines Nützlichkeitsdiskurses (Hintermann 2010). Außerdem ist er der Meinung, dass wirtschaftliche Motivationen für einen starken gemeinsamen Markt beispielsweise nichts damit zu tun hätten, dass „olle auf an Kontinent lebn und olle so guate Freind san. Oiso des is a wirtschaftliche Gschicht“ (Thomas, B). Aber auch aus militärisch-strategischer Perspektive denkt er, dass ein Beitritt auch für Österreich und die anderen Länder der EU von Vorteil sein könnte, ideologisch jedoch verortet er hier ein größeres Problem.
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„Die Türkei ist insofern a Sonderfoi, dass der größte Teil des Landes nicht in Europa liegt, und damit würde Europa in oide imperialistische Traditionen verfallen und einen Teil Asiens okkupieren. Und donn hättn ondare Lända in Asien a des Recht, sie do anzuschliaßn, de jo schon goa nimma in Europa san, und donn wern oba die ondan asiatischen Länder wos dagegn hom in Europa und des is a bissl gfährlich.“ (Thomas, B)
Abgesehen von dieser Sorge auf globaler Ebene ist er auch der Ansicht, dass die Türkei auf anderer Ebene noch nicht weit genug ist. Deshalb spricht er sich auch vehement gegen einen Beitritt aus: „Solongs soiche Verhötnisse gibt in da Türkei, wies jetzt gibt, was Menschenrechte betrifft, brauchts mit mia net üba an EU-Beitritt der Türkei diskutieren. Oiso die suin duat bleibn, wos san. […] menschrechtlich kennans bleibn, wos san, i brauchs net und a die Traditionen. Do samma donn wie am Onfong donn mit den familiären Traditionen. Wia ma mit Frauen umgeht, wia ma mit Minderheiten umgeht, do soins wirklich draußn bleibn, des brauch ma uns net importiern, do homma eh schon genug. Es hot 20 Joa mehr oda weniger braucht, um Diskriminierung hoibwegs wegzumkriangn, und jetzt hui ma uns an Riesenbotzn wieda eina?“ (Thomas, B)
Zu den bereits in Österreich lebenden Türk_innen meint er, dass diese durch einen EU-Beitritt der Türkei nur in ihrer Lebensweise bestärkt werden würden, was zum Beispiel den Umgang mit Frauen betrifft. Derzeit sei es noch klar, dass sich in Österreich lebende Türk_innen an Österreich anpassen müssen, zumindest fordert er auf folgender Ebene deren Anpassung: „No jo, Onpassung, wos menschenrechtliche Standards betrifft, auf jedn foi, des miassns. Damit man i jetzt net des Kopftuch oda soiche Gschichtn, do wü i mi net einmischn, oba zum Beispü die Gschicht mit de Ehrenmorde, des is inakzeptabel. Oba wia gsogt, des wärn donn Traditionen, die wia uns donn zigmillionenfach einhondln.“ (Thomas, B)
Ähnlich sieht auch Sonja (B) den EU-Beitritt der Türkei. Allerdings bezieht sie sich bewusst nur auf die menschenrechtliche Perspektive, da sie sich wirtschaftlich nicht auskenne:
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„Also i seh überhaupt kan Grund, warum ka Osterweiterung stattfinden soll [...] aba egal um welche Länder es geht, es müssn einfach westliche Standards sein in Bezug auf Frauenrechte etc. I finds wichtig, wenns da jetzt irgendwie a große Union gibt, dass ma da einfach rechtliche Standards voraussetzt und erwartet. [...] Sollt es jetzt wirklich in der Türkei gang und gäbe sein, dass – weiß i net – Frauen rechtlich massiv benachteiligt werden, net dass des bei uns net werden, dann find i schon richtig, des zu fordern für an EU-Beitritt.“ (Sonja, B)
Sie fügte hinzu, dass sie nicht weiß, wie es tatsächlich um die Frauenrechte in der Türkei bestellt ist, und deshalb nur schwer dazu Position beziehen kann. 11 Eva (B) drückte sich in Bezug auf den Beitritt der Türkei subtiler aus und nahm wieder Bezug auf Entwicklungen hin zu Parallelgesellschaften. Sie meinte, ihr würde die Entwicklung von türkischen Communitys in Österreich Angst machen, und berief sich dabei auf Aussagen von Freund_innen und Bekannten, durch die sie ihre Annahmen und Befürchtungen bestätigt sieht. Einen möglichen EU-Beitritt macht sie von Sorgen dieser Art jedoch nicht abhängig. Marianne aus Beziehungsnetz A beschrieb die Situation mit den Türk_innen in Österreich als problematisch und schwierig zu handhaben. Für sie ist die Lösung des „Türk_innenproblems“ ein „gemeinsames Projekt“, bei dem sich auch Migrant_innen zu ihrem Aufnahmeland bekennen und den Willen zeigen müssen, Österreich als ihr neues Zuhause anzuerkennen. Trotzdem schätzt sie, dass es noch eine Weile dauern wird, bis ein EU-Beitritt der Türkei sinnvoll ist: „Wos so weit weg is“ und „mit dem kömma nicht umgehen“ (Marianne, A) sind Aussagen, die nicht nur auf eine geografische, sondern auch auf eine soziale und kulturelle Distanz zur
11 Die häufige Annahme, es gäbe in der Türkei keine strukturellen Veränderungen mit dem Ziel der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen kann mit den „Änderungen des Zivilrechts 2001 (in Kraft seit 2002) beziehungsweise des Strafrechts 2004 (in Kraft seit 2005)“ (Strasser et al. 2010: 209) im türkischen Rechtssystem widerlegt werden. „Zur Umsetzung der Reformen kooperierten 154 Frauenorganisationen […] Nicht nur die weitreichenden Gesetzesänderungen sind bemerkenswert, sondern auch die sprachliche Abfassung der Gesetze in einem leicht verständlichen Türkisch. Offensichtlich ist es der politische Wille des Gesetzgebers, dass die Reformen tatsächlich zur Anwendung kommen“ (Strasser et al. 2010: 209-210).
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Türkei hinweisen. Marianne (A) bemüht sich allerdings, die „Schuld“ nicht nur auf „die Anderen“ zu schieben. Ihre Strategie besteht vielmehr darin, die Probleme der Österreicher_innen mit „dem Fremden in Form von Türk_innen“ in den Vordergrund zu stellen. Dieser Zugang kann als eine Externalisierungsstrategie betrachtet werden. Die Türk_innen sind demnach nur implizit „schuld“, da sie eigenartige Bräuche haben wie beispielsweise die Zwangsverheiratungen. Susanne (A) meinte, dass es nichts zu verhindern gibt, da sowohl Türk_innen als auch Migrant_innen aus anderen östlichen Ländern schon längst hier sind. Auch ohne weitere Osterweiterung seien bereits sehr viele Türk_innen in Österreich, weshalb die Angst vor einem EU-Beitritt der Türkei auch nicht nachvollziehbar sei. Diese Ansicht wurde von Marianne (A) bestätigt: „Ja, wir ham auch jetzt Türken in Österreich, die mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft ham, die von ihren Eltern zwangsverheiratet werdn mit dem eigenen Cousin zum Beispiel. Da brauch ma net drüber diskutieren, was die Türken machen würden, wenn sie in der EU wären.“ (Marianne, A)
Ihre Befürchtungen bestehen darin, dass ein EU-Beitritt der Türkei einen noch legitimeren Aufenthaltsstatus der Türken in Österreich herbeiführen würde, der auch umstrittene Praktiken verstärken könnte. Ähnlich argumentierte Thomas aus Beziehungsnetz B, für den zwar eher die diskriminierenden und unterdrückenden kulturellen Elemente der Türk_innen der Stein des Anstoßes sind, doch trotzdem betonte auch er die Rolle der etablierten Mehrheitsgesellschaft in Österreich, die in Bezug auf Homophobie, Sexismus und das Patriarchat „rückfällig“ werden könnte. Marianne (A) wünscht sich für den Fall eines EU-Beitritts der Türkei mehr Regeln für Einheimische und Migrant_innen, damit die österreichische Gesellschaft auch in der Praxis gut funktioniert. Diese Regeln beinhalten auch eine Obergrenze für Zuwanderung, die den Bedürfnissen der Mehrheitsgesellschaft angepasst ist. Für Marianne (A) ist die Diskussion über die EU-Erweiterung nicht neu, nur weil die Türkei neuerdings anstrebt, der EU beizutreten. „Überbevölkern kömma Österreich eh net, es konn ein Schwung mehr kommen, owa es konn net aus jedm Lond, des zu der EU dazukommt, zehn Prozent von denen zu
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uns kommen. Des geht gonz anfoch net. Es wird amal a Schwung kommen und donn werdn sa si wieder verziehn miassn, weil si kan Arbeitsplatz finden, weil si ka Wohnung finden, weil sie sonst nix finden.“ (Marianne, A)
Zudem ist sie der Ansicht, dass es eine „Österreich(er_innen) zuerst!“ Politik geben müsste. In ihren Augen ist es nicht in Ordnung, auch besser qualifizierte Neuankömmlinge gegenüber Österreicher_innen zu bevorzugen. Dass in solchen Zusammenhängen dann sehr schnell von Rassismus und Diskriminierung gesprochen wird, stört sie, da dies Menschen daran hindert, ehrlich ihre Meinung zu sagen. In der für sie schlimmsten Form der Einschränkung der persönlichen Meinungsfreiheit passiert Folgendes: „der Österreicher, der zu seim eigenen Land sagt: ,Wia san rassistisch und wir müssen zu allem Ja und Amen sagen‘“ (Marianne, A). Bei Marianne (A) findet sich ebenso wie bei Maria (C) und Gerda (C) die Tendenz, dass das Verhindern eines Beitritts der Türkei zur EU als ein Zeichen der Gesellschaft gegen das Verhalten und Leben von türkischen Migrant_innen in Österreich gewertet werden kann. Darüber hinaus ist in den Beziehungsnetzen A und C vor allem die Frage danach präsent, wie viele Türk_innen nach einem EU-Beitritt noch nach Österreich migrieren würden. In Beziehungsnetz B macht man sich darüber jedoch ebenfalls Sorgen, denn nach Ansicht der Befragten steht die Menge der zugewanderten Türk_innen in Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen, die bei einer steigenden Migrant_innenzahl noch schlechter in den Griff zu bekommen wären.
Conclusio zum „Reizthema Türkei“ In allen drei Beziehungsnetzen findet sich kultureller Rassismus gegenüber „den Türk_innen“. Obwohl in Beziehungsnetz B grundsätzlich versucht wird, zu differenzieren, kommt es beim „Reizthema Türkei“ 12 dennoch zu vielen Verallgemeinerungen und Zuschreibungen hinsichtlich einer Gruppe von Menschen, wobei weder zwischen Regionen in der Türkei noch zwi-
12 Zur Auseinandersetzung mit dem Geschichtsbild der so genannten „Türkenbelagerungen“ in Österreich siehe Witzeling (2013).
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schen unterschiedlichen Gruppen in Österreich oder auch verschiedenen Schichten unterschieden wird. Die in allen Beziehungsnetzen beobachteten Haltungen verdeutlichen, dass, ohne diesen zu benennen, ein klarer Unterschied zum Eigenen gemacht und eben dieses Eigene dabei überhöht dargestellt wird. Dabei wird nicht etwa thematisiert, dass auch in Österreich menschenrechtliche Standards nicht immer eingehalten/durchgesetzt werden oder es auch unter autochthonen Österreicher_innen familiäre Gewalt gegen Frauen und Kinder gibt. Aber auch der Aspekt der Verantwortung Österreichs gegenüber Migrant_innen und der „eigenen“ Verantwortung aufgrund der Gastarbeiter_innengeschichte wird ausgespart. Obwohl in Beziehungsnetz A von Regeln die Rede ist, deren Einhaltung aufseiten der Mehrheit und der Minderheit gefordert wird, wird doch kaum von Forderungen an die Mehrheitsgesellschaft – sprich „die Einheimischen“ – gesprochen. Die „Türk_innen“ – sozial, religiös, kulturell und traditionell in weiter Ferne – scheinen auch nach Anpassungsleistungen noch immer problematisch für die unterschiedlichen Mehrheiten zu sein. Sind es für die einen die Menschenrechtsverletzungen von Türk_innen, so ist es für andere deren bloße Anwesenheit, die optisch, sprachlich und habituell nicht zum „Eigenen“ (dazu-)passt. Die Beitrittsdiskussion in unterschiedliche Stränge: Erstens wird ein möglicher Beitritt auf europäisch–globaler Ebene als ökonomischer Vorteil wahrgenommen, für die Arbeitsplatzkonkurrenz innerhalb Österreichs, d. h. auf der individuellen Ebene, jedoch als Nachteil empfunden. Zweitens scheint der Beitritt geohistorisch belastet durch die Zugehörigkeit der Türkei zu Asien, aber auch durch die sich unterscheidenden Entwicklungen bezüglich der verschiedenen Religionen und den damit in Zusammenhang stehenden (unterstellten) Traditionen. Als dritter Aspekt sind die Menschenrechte bzw. deren Nichteinhaltung ein zentraler Argumentationsschwerpunkt gegen einen potenziellen Beitritt. Während sich dieses Problem in den Beziehungsnetzen A und C in erster Linie auf die türkische Diaspora in Österreich bezieht, spielt in Beziehungsnetz B auch die Umsetzung von Antidiskriminierungsstandards innerhalb der Türkei eine zentrale Rolle für die Skepsis gegenüber einem EU-Beitritt. Als vierter und letzter Strang kann eine gleichgültige Position genannt werden, die sich zu Entwickeln vermag bis hin zur Wahrnehmung der „türkischen Kultur“ als Bedro-
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hung. Migrant_innen aus anderen östlichen europäischen Ländern werden kulturell als ähnlicher wahrgenommen als Türk_innen, was auch als ein Grund für deren bessere sprachliche und soziale Integration betrachtet wird. 13
13 Zu dieser „qualitativen“ Beurteilung verschiedener MigrantInnen hinsichtlich ihrer „Integrationswillig- und Fähigkeit“ finden sich innerhalb der Beziehungsnetze sehr unterschiedliche, zum Teil kontrastierende Positionen wieder.
„Rasse“ und Rassismus
„Rasse und Rassismus“ sind das dritte Begriffspaar innerhalb eines großen Diskursstranges, auf dem der Schwerpunkt dieser Forschung liegt, zumal Konzepte zur negativen Markierung von „Andersartigkeit“ wiederkehrende Themen im empirischen Material der Studie bilden. Im Rahmen der geführten Interviews und Diskussionen kam es dabei sowohl auf biologistischer/naturalistischer als auch auf kulturalistsicher/ethnisierender Ebene zu abwertenden Konstruktionen „des Anderen“. Auch wenn im folgenden Abschnitt keine exakte aus- oder einschließende Typologie über unterschiedliche Ausprägungen des Rassismus bei den Interviewpartner_innen oder in den Beziehungsnetzen erstellt wird, da sich viele Abgrenzungsstrategien überschneiden (wie in den weiteren Kapiteln ersichtlich wird), wird erkennbar sein, dass sowohl biologistischer als auch kultureller Rassismus zum kommunikativen Repertoire aller drei Beziehungsnetze – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität – gehört.
R ASSISTISCHE G RUNDTENDENZEN Richard (A) weist sowohl unterschiedlichen „Rassen“ als auch „Kulturen“ und „Menschenschlägen“ allgemeingültige (negative) und im Fall seiner „eigenen Rasse“ positive Eigenschaften zu. Hinzu kommt die Zuschreibung eines niedrigen (Aus-)Bildungsgrades bei, wie er es ausdrückt, „Tschuschn“ oder „Tiakn“. Eine weitere relevante Ebene sind die Frauen anderer „Kulturen“ oder „Rassen“, die für ihn trotz deren physischer Attraktivität nicht interessant sind: „A Tschuschnoide greif i net on, interes-
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siert mi net, red net mit ia. Ich hab dort nichts verlurn, des san ondare Kulturkreise“ (Richard, A). Er bezeichnet sich selbst vor allem als „Weinrassisten“, da er der Ansicht ist, dass sich anhand der Ablehnung österreichischer Weine Rassismus am besten zeigen lässt. Dies verdeutlicht er durch folgende Erzählung: „Mein Rassismus geht so weit, dass ich sage, der Österreicher ist so ein Typ, die Weiber fahren fort, nach Südafrika, die kommt heim und sagt (Anm.: verstellt die Stimme): ‚Diese südafrikanischen Weine sind so gut.‘ Dann sag ich: ,Ja, den und den hätten wir, nehmens doch den Cabernet vom XX (Anm.: österreichischer Weinproduzent). Der ist viel besser.‘ (Anm.: verstellt wieder die Stimme) ‚Der war so gut dort.‘ Na und ich kann ihr ja nicht darauf sagen, da hat dich der Bimbo angerüsselt auf der Terrasse und hats dir besorgt – jetzt haben wir November, kein Bimbo da, der Wein wird dir nicht schmecken. Da sitzt du nicht auf der Terrasse und da kann dich der Bimbo nicht anschieben. Das ist der Grund, warum dir der Wein nicht mehr schmeckt.“ (Richard, A)
Gemein ist Frauen und Afrikanern seines Erachtens, dass diese triebgesteuert seien. Die österreichischen Frauen würden – in der Erinnerung an eine (fiktive) sexuelle (Kurz-)Beziehung mit einem Afrikaner schwelgend – denken, dass der Wein in Südafrika besser geschmeckt hat. An dieser wie auch an zahlreichen anderen Stellen wird seine Haltung deutlich, dass es nicht erstrebenswert ist, dass Männer und Frauen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit sexuellen Kontakt haben. Deutlich wird dabei, dass Richards (A) Rassismus, verbunden mit sexistischen Zuschreibungen, nicht nur die Frauen „der Anderen“ betrifft, sondern auch österreichische Frauen. Sind es bei obigem Zitat die Überschneidungen von Sexualität und „race“ im Sinne des Klischees des potenten Afrikaners, so überlappen sich bei folgendem Beispiel die Herkunft und der Bildungsgrad: „Und domois der Ausspruch, a Bosnier sogt zu mia ‚Nua tote Serben sind gute Serben‘, und donn sui in net sogn ‚Nua tote Tschuschen sind gute Tschuschen?‘ De zwa Trotteln, fia mi ois Ungebildete san de Jugos. Da Serbe wü an Bosnier umbringen, der Bosnier wü die Serben umbringen, die Trotteln kumman jo untaranonda net zrecht und füa mi schauns a olle gleich aus. Des is genau so wia bei die Neger, dea is füa uns schworz, jo? Wos waß i, ob der aus Westafrika oder Südafrika oder Ostaf-
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rika oder Zentralafrika kummt. Und außadem fian die Trotteln untaranonda Kriag, do gibts in jedem Lond an Bürgerkrieg.“ (Richard, A)
Bei Richard (A) werden Ablehnungen und Markierungen anhand von phänotypischen Merkmalen auf biologistische, rassistische oder kulturfundamentalistische Weise (nach Grillo 2003) deutlich. Er setzt eine naturgegebene Feind_innenschaft bestimmter Gruppen voraus und wählt – ebenso wie Maria (C) – immer wieder Beispiele und Begriffe, die Aggressionen ausdrücken und in direktem Zusammenhang mit Gewalt stehen. Auch Martin (C) und Maria (C) stoßen sich stark am andersartigen äußerlichen Aussehen und Auftreten von „Anderen“/„Ausländer_innen“, beziehen sich dabei aber in erster Linie auf kulturelle oder religiöse Symbole. Dies liegt möglicherweise aber auch daran, dass die relevante Bezugsgruppe, auf die sie als „Ausländer“ referieren, vor allem „die Türken“ sind. „Des steat mi anfoch, wenn nua no Kopftiacha im Ort herumrennan. De kennan e daham (Anm.: in der Türkei) mochn, wos wolln, oba wenns in Östarreich lebm, donn miassn sa se onpassn. I ko ma schon vuastön, dass de goa net ondast kennan, ois ihre eigenen komischen Werte vatretn, oba des passt hoit net zu unsare.“ (Martin, C)
Ebenso stört die beiden die von ihnen als laut wahrgenommene türkische Sprache und die ihrer Meinung nach bei „den Türken“ kulturell verankerte Diskriminierung von Frauen. Positive Eigenschaften werden Türk_innen indessen keine zugeschrieben und nur ganz wenige Ausnahmen werden benannt, die jedoch nicht dazu verwendet werden, um die Vorurteile einer Gruppe gegenüber zu relativieren, sondern vielmehr um zu belegen, dass sie selbst keine Rassist_innen sind. Obwohl die beiden Interviewten auch Migrant_innen unterschiedlicher Herkunft hierarchisch unterteilen, kann in ihrem Fall von einem kulturellen Fundamentalismus (Stolcke 1995) insofern ausgegangen werden, als vor allem die Wunschvorstellung vorherrscht: „De suin bleibn, wos san“ – jede Kultur also an ihren eigenen Platz. Kultureller Fundamentalismus ohne Hierarchisierung findet sich bei den Interviewten nicht. Findet die Hierarchisierung von Menschen mit Migrationshintergrund nicht hinsichtlich Phänotypus und kulturelle Elemente statt, so handelt es sich um
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Hierarchisierungen und Homogenisierungen aufgrund von Armut, oder auch um Menschenrechtsverletzungen durch Gesellschaften, aus denen sie stammen. Diese finden sich auch in Beziehungsnetz B: „Kulturell onpassn, is ma wurscht, ob die des tuan, des is ma egal, oba rechtliche Standards miassns eihoidn. Ob er jetzt auf der Donauinsel sein Lamm grillt, is ma wurscht. Wonn a sei Tochta oda sei Frau schlogt, is ma des net wurscht.“ (Thomas, B)
Über Richards (A) biologistische und Marias (C) und Martins (C) kulturalistische Argumentation hinaus werden in allen Fällen Unterschiede essentialisiert und naturalisiert, was eine wesentliche Komponente von Rassismus ist. Häufig wird dies verbal manifestiert mit der Aussage „Des is afoch so, de konnst net ändan“ (Martin, C), wenn es um „die Anderen“ in Form von Personen geht, und mit „Des konnst net ändan“ (Richard, A), wenn die unveränderliche Tatsache von Unterschieden zwischen verschiedenen Gruppen betont wird. Doch auch Thomas (B) konstatiert unveränderbare Merkmale: „Des komma schon beobachten, dass do die Leit des genetisch glernt hobn, diese Strukturen.“ Damit spricht er vor allem patriarchale hierarchische Strukturen in Migrant_innenfamilien an, wobei er sich insbesondere auf türkische Mädchen und Frauen bezieht. „Won die Mutta a Türkin is, des haßt, in da Türkei geboren is, und da Vota in Österreich geboren, donn kriagt sie des genetisch mit, die Struktur“ (Thomas, B). Auch auf eine genauere Nachfrage hin beharrte er darauf, dass es sich in seiner Argumentation nicht um Sozialisation handelt, sondern um biologisch-genetische Determinanten. Marianne (A) bemüht sich indessen, in ihrer Kritik an „Ausländern“ nicht zu verallgemeinern, meint allerdings, dass der Versuch der Individualisierung schwierig für sie ist. „Wos mi an die Auslända im Gemeindebau a bissl steat, is, dass die glei zum Schrein und zum Schlägan onfongan, a Diskussion is do net möglich. Meistns hob i mit denan oba eh kan Kontakt.“ (Marianne, A) Sie wehrt sich dagegen, als ausländer_innenfeindlich oder rassistisch bezeichnet zu werden, wenn sie Missstände im Gemeindebau aufzeigt. Ihre Schwester reagierte darauf mit dem Generalvorwurf „Natürlich ist der Österreicher ausländerfeindlich und rassistisch“ (Susanne, A), woraufhin eine Diskussion entflammte:
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M: „Wenn ich sag, ich mag den Typen auf der Tür Nummer 25 nicht, weil der lasst seine Kinder da draußen spielen zwischen Autos und Fensterscheiben und beides ist dann hin, obwohl wir 50 Meter weiter drei verschiedene abgesicherte Ballspielplätze ham, wanns di da net aufregen darfst, dass des net in Ordnung is, dass der seine Kinder nicht im Griff hat, und dir 15 Leute sagen, du bist ausländerfeindlich, dann frag i mi, was verkehrt is. Wenn du sogst, du wüst einen Gemeindebau zum Beispiel irgendwie organisieren, dass der halbwegs steht und du musst net alle fünf Jahr alles generalsanieren, musst du die Leute irgendwie erziehn. Es gibt a paar Regeln.“ S: „Aber des betrifft net nur die Ausländer, des betrifft genauso die Österreicher.“ M: „Richtig, aba ma deaf net generell sagen, alle sind ausländerfeindlich, nur weil sie sich etwas zu sagen traun.“ S: „Nein, Kritik ist gut, konstruktive Kritik. Aber Österreich is hoit nun moi so, die fürchten sich vorm schwoazn Monn, voa Ausländer, und dann wird wieder a Unterschied gmocht, wer Ausländer is und wea a Gast is oder wer Tourist is.“ M: „Jo oba.“ S: „Leute werden in der U-Bahn angangen, weil sie an Bart habn, weil die Frau a Kopftuch trogt, es wird ja net die auftoupierte Amerikanerin anpöbelt.“ M: „Es werden auch blonde Herren mit langer Mähne ongschrien und verprügelt, es werden Mädels mit an Bart angepöbelt.“ S: „Eh, des is genauso schlecht, oba trotzdem gibts Rassismus und wia san intolerant, wia san gegenüber vielen, vielen intolerant und unter anderem auch gegen Ausländer – Fremde.“ M: „Sprichst du jetzt von dir und mia oder unterstellst du des den Österreichern, weil du unterstellst mia zum Beispiel, dass i rassistisch bin oder ausländerfeindlich.“ S: „Nein, ich unterstells ganz generell den Österreichern und do nehm i mi goa net aus.“ (Susanne/Marianne, A)
Susanne (A) nimmt Differenzierungen nur bei den Migrant_innen vor, bei „den Österreicher_innen“ hingegen nicht. Diese homogenisiert sie und wirft ihnen vor, Rassist_innen zu sein. Auch wenn sie sich selbst vom Rassismusvorwurf nicht ausnimmt, ärgert diese Einstellung ihre Schwester Marianne (A), die an die Selbstverantwortung der Migrant_innen glaubt, wenn diese in Schwierigkeiten geraten. Ihrer Ansicht nach greift es zu kurz alles auf Rassismus zurückzuführen. Im folgenden Beispiel zeigt sich der aufschlussreiche Versuch, ein kulturrelativistisches Verständnis aufzubringen, mit dem Effekt der starren Grenz-
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ziehung zwischen Kulturen. Marianne (A) erzählte von ihren Einschätzungen: M: „Wenn die Slowaken kommen oder sogar die Zigeuner, die bei uns leben, und sehen, dass etwas offen auf der Straße liegt – das würde sofort mitgenommen werden, denn das ghört niemanden. Für uns ist es klipp und klar, das gehört jemanden, das darfst du nicht mitnehmen, weil da eine Kette rundherum is. Für die is des offen, des is so quasi ,Nimms doch mit, des braucht kein Mensch‘.“ S: „Jo, die hom so gonz ondare Onsichten.“ (Susanne/Marianne, A)
Susanne (A) bestätigt die homogenisierende Zuschreibung an „die Slowaken“ oder „die Zigeuner“. Die dahinter liegende Haltung besteht jedoch darin, dass die differierende Ansicht gegenüber Besitz und Diebstahl „der Zigeuner oder Slowaken“ entschuldigend betrachtet wird. Bestätigung findet Marianne (A) in den Zuschreibungen an „die Zigeuner“ durch eine befreundete Slowakin: „Sie hot gsogt, dass sie (Anm.: die Slowak_innen) schon nicht damit umgehn können. ‚Wie wollt ihr mit den Zigeunern, die bei uns umgehn, zurechtkommen?‘, hots gsogt. ‚Wir hobns in Gettos verbannt, damit ma sie dort irgendwie in Schach halten kann, und wenn jetzt die EU-Erweiterung kommt.‘ Und des woa kurz danach oder kurz davor, hat sie mir erklärt: ‚Wir haben gelernt, damit umzugehn. Ihr werdet das nicht so schnell, ihr könnt das gar nicht lernen.‘“ (Marianne, A)
An dieser Stelle zeigt sich einmal mehr Mariannes (A) Strategie, ihre Befürchtungen und Zweifel in Bezug auf „Differenzen“ zu externalisieren und zu delegieren. Sie verlagert dabei die Zuschreibungen an das „Andere“ an „Expert_innen von innen“, die ihre Aussagen bestätigen und verdeutlichen. Insofern gibt sie nur Informationen weiter. Dies ist eine der Strategien, die aus der Angst resultieren (können), als Rassist_in bezeichnet zu werden. Dieses Externalisieren findet sich auch bei Maria (C) und Gerda (C) aus der Kleinstadt, die vor allem migrantische Bekannte und deren Aussagen als Beweisführungen für Homogenisierungen und Zuschreibungen heranziehen. In deren Fall steckt jedoch nicht die Angst, als Rassist_in bezeichnet zu werden, dahinter, sondern die Befürchtung, dass ihre Erzählungen allein nicht glaubwürdig genug sind.
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Obwohl Susanne (A) inhaltlich anders argumentiert als Eva (B) und Sonja (B), so haben die drei doch im Gegensatz zu allen anderen das Benennen von Machtrelationen als relevante Ebene in den Verhältnissen zwischen majorisierten und minorisierten Gruppen gemeinsam. Zugleich steht bei Sonja (B) und Eva (B) als erste Bezugsebene der selbstreflexive Zugang im Vordergrund, bei dem es primär um deren eigenen Umgang mit ihren persönlichen Vorurteilen und, wie sie es sogar selbst nennen, „eigenen Rassismen“ geht. Als zweite relevante Ebene stellt sich die Positionierung als Antirassist_innen in der Gesellschaft dar. Auch innerhalb dieser Haltung reflektieren sie immer wieder ihre persönliche Sozialisation und Bilder, die ihnen beim Versuch antirassistisch zu sein in die Quere kommen. „Was i von mir volle rassistisch find, des is des genau Scheißargument, i meins natürlich überhaupt net so, aber dadurch, dass i eben auf da Uni woa und dass i ma eben so oft denk, i deaf überhaupt net so sein und muass selbstreflexiv sein, mit den ansozialisierten Rassismen, die ma halt selber hat.“ (Sonja, B)
Sie unterscheidet das Ideal, „nicht rassistisch sein zu wollen“, und die Praxis, in der eben solche Gedanken auftauchen wie „Ich seh wen mit dunkler Hautfarbe und denk: ‚Drogendealer.‘ Und frag mich, warum denk ich so?“ (Sonja, B) Sie gesteht sich ein, nicht „besser“ zu sein als Rassist_innen, betont jedoch, es zu versuchen. „Ich denk mir, vieles hab ich selber vielleicht noch nicht gecheckt, und das will ich möglichst stark hinterfragen und auch hinterfragt wissen von anderen.“ Vor allem Sonja (B), aber auch Eva (B) beschreiben ihre alltäglichen Probleme im Umgang mit ihrem eigenen Antirassismus. „I bin überall damit konfrontiert, auch oft von Leuten, wo i ma denk: ,Grad ihr solltets es besser wissen. ދUnd dann wirst veroascht, wennst sagst, des sollt ma aba net sagen. Sogoa auf da Uni von Profs, die von Negern oder unterschiedlichen Rassen reden. I man, okay, da brauch ma net lang darüber redn, des is afoch brutal. Owa a privat, Leut die i gern mag, einerseits die Ur-angeblich-Linken und dann wieder extremst sexistisch und rassistisch drauf.“ (Sonja, B)
Diese fortwährenden Konfrontationen im beruflichen und auch privaten Bereich führen zu Frustration und Erschöpfung und in weiterer Folge auch zu
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sehr wohlüberlegten Entscheidungen, ab wann interveniert wird. Sonja (B) beschreibt auch die Schwierigkeit, immer diejenige zu sein, die negativ auf problematische Aussagen reagiert, wodurch sie oft als überkritisch wahrgenommen wird. „Des geht ma einfoch am Oasch, dass i dann immer die Deppate bin und die Überempfindliche oder die Feministin oder die übertriebene Antirassistin.“ Eva (B) hat sich im Gegensatz dazu schon sehr früh überlegt, dass es entscheidend ist, sich in diesem Zusammenhang klar zu positionieren. Sie meint dazu: „In der Volksschule haben alle erzählt, entweder waren die Eltern Nazis oder sie waren im Widerstand. Und meine warn immer – sagns zumindest – waren weder Nazis weder im Widerstand. Meine warn gar nix“ (Eva, B). Dies hat unter anderem dazu geführt, dass es für Eva (B) heute von Bedeutung ist, sich klar gegen Rassismus zu positionieren, ohne jedoch zu viktimisieren. Auch Susanne (A) sieht sich von ihrer eigenen Familie, wie sie sagt, dazu veranlasst und „motiviert“, sich zu positionieren, indem sie eine opponierende Haltung einnimmt. In ihrem Fall führt dies jedoch in erster Linie zu Viktimisierungen und Mitleid. Aus ihrer Perspektive sind Migrant_innen vor allem Opfer des rassistischen österreichischen Systems und verfügen über keine aktive Handlungsmöglichkeit. Aussagen wie „Am liabstn würd i sie alle bei mir z’haus aufnehmen“ (Susanne, A) verdeutlichen diesen Blickwinkel.
„R ASSE ( N )“ – DOCH
REAL ?
Im Rahmen dieser Forschung zeigte sich, dass die rassistische Unterteilung in und Zuordnung nach „Menschenrassen“ noch in den 1980er-Jahren an österreichischen Schulen im Biologieunterricht 1 gelehrt wurde und sich einige Interviewpartner_innen nicht darüber im Klaren sind, welche Konnotationen damit einhergehen bzw. es für sie nicht ungewöhnlich ist, dass der
1
Das jüngst durchgeführte Projekt „Migration(en) im Schulbuch“ konnte belegen, dass es auch heute noch in österreichischen Schulen dazu kommen kann, dass die Einteilung in „Menschenrassen“ unterrichtet wird bzw. der Begriff „Rasse“ unhinterfragt in Schulbüchern verwendet wird (Hintermann/Markom/Weinhäupl 2013).
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Begriff selbst oder durch Menschen in ihrem Umfeld, ja sogar im universitären Kontext verwendet wird: „Die echte Welt is einfach a bissl anders als in da Theorie, find i. Mia begegnen genug Leut in Wien, aber auch in die Bundeslända, die nu imma von Rassen redn und übahaupt ka Ahnung ham, was sie da sagn. Egal wie alt dass sind. Sogar auf der Uni is ma des scho passiert.“ (Sonja, B)
Auch in der Lehre an Schulen und Universitäten ist rassistischer Biologismus somit nicht unbedingt das Tabu, von dem manche Wissenschaftler_innen ausgehen. Meine zahlreichen Diskussionen mit Studierenden in von mir geleiteten Seminaren an der Universität Wien, aber auch mir mitgeteilte Erfahrungen von Teilnehmer_innen an Fortbildungsworkshops zeigten auf, dass es nicht selten der Fall ist, dass Einzelne erstaunt sind, dass es keine „Menschenrassen“ gibt, denn sie hätten es doch in der Schule so gelernt. Eine Interviewpartnerin (Sonja, B) erzählte in diesem Zusammenhang, dass es in ihrem Studium durchaus vorkam, dass Lehrende von den „Negern“ als sehniger und muskulöser aufgrund ihrer „Rasse“ sprachen. Aber auch in der Beziehungsnetzen selbst (vor allem A und C) wird der Begriff „Rasse“ wie selbstverständlich weitertransportiert. „Ich glaub, dass des afoch an Sinn hot, dass es untaschiedliche Rassen gibt. Des is jo nix Schlechtes on sich. Ich glaub nua, dass die net imma zompassn, und des miassn die Leit vasteh.“ (Maria, C) In einem anderen Zusammenhang fragte mich Marianne (A) bezüglich der unterschiedlichen Ressourcenverteilung weltweit: „Glaubst du eigentlich, dass alle Rassen gleich san? I mein in Bezug auf des, wos sie kennan, weil sonst hättens jo wohl in Afrika den gleichen Fortschritt wie bei uns, oder?“ Richard (A) betrachtet den Unterschied von „Kulturen als unterschiedliche Rassen“ als unüberwindbar; sie prallen aufeinander, wenn sie einander begegnen. Besonders augenscheinlich wird dies bei bikulturellen Beziehungen. Richard ist der Ansicht, dass „diese Menschen“ nicht über die Folgen ihres Handelns nachdenken. Einerseits assoziiert er mit Beziehungen zwischen Menschen verschiedener Herkunft die Zeit des Nationalsozialismus, in der bikulturelle Beziehungen weitreichende Folgen hatten, und andererseits gibt es für ihn keine sinnvolle Version einer multikulturellen Gesellschaft, da durch verschiedene Kulturen und unterschiedliche
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Welten, die aufeinandertreffen, Konflikte vorprogrammiert seien. Allerdings gibt es seiner Meinung nach auch einander ähnlichere Kulturen wie beispielsweise „die USA“ und „Europa“. „Des is gonz anfoch zu am Prinzip von mir wordn, weil i draufkommen bin, des san zwa vaschiedene Wölten, die do aufanondaproin. Jetzt stö da des amoi fua – so siaß, wias ausschaun, Frauen denkn nun amoi über an Mischling, total schwoaz und total weiß, die Kinda liab jo. Mia foilt imma wieder ein, do hats an Typn geben, der hot, glaub i, Adolf ghaßn und Schicklgruber, no, wos is, won so ana wiedakummt, wia homsn donn die Kinda? Wo gheantn de hi? […] Und i tua mein Teil dazu beitragen, dass i nie Rassen vermisch, i hoit des Zumpfal nirgens eine, a won i sog, hob i eh verhütet und und und!“ (Richard, A)
Obwohl das Konzept der unterschiedlichen „Menschentassen“ wissenschaftlich sowohl im englisch- als auch im deutschsprachigen Raum mittlerweile obsolet ist, findet er in der Alltagskommunikation in Österreich immer noch Anwendung. Dabei sind auch mediale und politische Kontexte nicht frei von diesem Begriff. So ist immer noch von „Rassenunruhen“, „Rassenspannung“ und „Rassenkonflikten“ 2 in den Zeitungen zu lesen und in den Nachrichten zu hören. Aber auch die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ und die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU haben es nicht geschafft, ohne den „Rassen-“Begriff auszukommen. Umso weniger verwunderlich ist es, dass sich der Begriff in der „Mitte der Gesellschaft“ mehr oder weniger, aber eben immer noch hält.
2
Zum Beispiel: derStandard.at, derstandard.at/1269449369133/Die-Hassredenmuessen-verboten-werden [16.2.2011], NZZ online, www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur_und_kunst/furcht_vor_neuen_rassenkonflikten_in_suedafrika _1.5373648.html [16.2.2011] oder Zeit online, www.zeit.de/newsticker/2010/ 4/4/iptc-hfk-20100404-73-24414758xml [16.2.2011]
Drei Beziehungsnetze, drei Diskursstränge, mehrere Schlussfolgerungen
Bei den hier analysierten Diskurssträngen handelt es sich um relevante Topoi der österreichischen Gesellschaft in der Auseinandersetzung mit „dem Fremden“, die stark geprägt von sozialwissenschaftlichen und historischen Spezialdiskursen sowie von den medialen und politischen Inter- und Gegendiskursen sind. Auch die soziale Praxis der „Mitte der Gesellschaft“ ist informiert durch diese Spezial- und Interdiskurse 1 und verhandelt und beeinflusst wiederum die Spezialdiskurse über die empirische Forschung. In der Debatte über Political Correctness werden diese Verschränkungen stetig sichtbar. In der bisherigen Darstellung wurde der Fokus auf Protagonist_innen der etablierten Mehrheitsgesellschaft gelegt. Über das thematische Kodieren und die weiterführende Analyse ausgewählter Sequenzen aus den Interviews durch die kritische Diskursanalyse wurde der Frage nachgegangen, wie sich die Diskurse über „Kultur und Multikulturalismus“, „Heimatverbundenheit und Grenzen“ und „Rasse und Rassismus“ in den befragten etabliert-majorisierten Beziehungsnetzen vollziehen und wie das Herstellen von Differenz anhand dieser Diskursstränge legitimiert wird. Die bisher vorliegende Auseinandersetzung mit dem Thema hat dabei zwei sehr häufige Fallgruben der Rassismusforschung gemieden, die bereits von Marianne Gullestad (2002) aufgezeigt wurden: Es wurde weder alles zu rassistischen Aussagen gemacht, indem kulturelle Muster zur Grundlage der Differenzierung erklärt wurden, noch wurde versucht, Alltagsrassismen 1
Bei Interdiskursen handelt es sich in der Kritischen Diskursanalyse im Gegensatz zum Spezialdiskurs um alle nicht-wissenschaftlichen Diskurse.
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zu verharmlosen, um die jeweiligen Mehrheiten vom Vorwurf des Rassismus freizusprechen. Wie schmal der Grat zwischen diesen beiden Polen ist, haben die Ausführungen bereits gezeigt – sowohl in Bezug auf die Theorie als auch auf die gelebte Praxis. Aus den empirischen Daten konnten indes folgende (Grund-)Positionen innerhalb von (anti-)rassistischen Haltungen herausgearbeitet werden: In allen Beziehungsnetzen finden sich Konstruktionen eines „Wir“ versus „die Anderen“, sei es auf abwertende, oder aufwertende Weise. Dieses Herstellen von Differenz dient unter anderem dazu, den mittel- oder unmittelbar erlebten Alltag der Personen zu erschließen. So manche komplexe und verunsichernde gesellschaftliche Vorgänge lassen sich dabei auf die Formel „Die Ausländer sind schuld“ reduzieren. Beispiele dafür sind Kriminalität, Gewalt gegen Frauen und Kinder, Veränderungen und Probleme am Wohnungs- und Arbeitsmarkt, religiöse Zweifel oder der Status und die Rolle von heterosexuellen Paarbeziehungen im eigenen Umfeld. Die Argumente gegen die Anwesenheit von Migrant_innen im Kontext der genannten Beispiele wiederholen sich immer wieder. Informationen von Quellen wie Massenmedien oder Aussagen von Bekannten oder Freund_innen werden häufig unhinterfragt übernommen. Im seltenen Fall einer positiven Erfahrung mit Migrant_innen wird eine Einzelfall- bzw. Ausnahmeargumentation herangezogen, die die anderen Logiken nicht außer Kraft setzt (evtl. sogar noch nach dem Motto „Die Ausnahme bestätigt die Regel“ festigt). Einzelne Migrant_innen, die die Befragten persönlich kennen und „die in Ordnung sind“, „sich benehmen können“ und „ein Beispiel für die anderen sein sollten“, verhindern nicht die Einschätzung, dass die Mehrheit der Menschen mit Migrationshintergrund gut in das gesellschaftlich erzeugte Feindbild passen. In den drei beforschten Beziehungsnetzen traten große Verunsicherungen im Diskurs über „die Anderen“ zutage. Sei es beim Benennen der Anderen oder beim Sprechen über die Anderen: Die Aussagen einzelner Personen widersprachen einander häufig und in Diskussionen veränderten sich die Positionen sehr schnell. Eine Konstante in allen drei Beziehungsnetzen bildet indessen die Abneigung dagegen, als rassistisch oder ausländer_innenfeindlich „missverstanden“ zu werden. Die Angst vor der Anschuldigung rassistisch zu sein, führt in der Ausdrucksweise häufig zu
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Umwegen in den Erklärungen und zur weitverbreiteten Ablehnung einer politisch korrekten Ausdrucksweise. In den Beziehungsnetzen findet sich sowohl biologischer als auch kultureller Rassismus. Nichts spricht aufgrund der Erhebungen dafür, dass auf biologischen Kriterien beruhender Rassismus vollständig vom kulturellen Rassismus abgelöst wurde. Vielmehr treten beide Formen des Rassismus (auch in Kombination) auf, wobei die Entscheidung, welche verwendet wird, eher vom jeweiligen Bewusstsein abhängt, ob die biologistische Variante des Rassismus gesellschaftlich obsolet bzw. wissenschaftlich widerlegt ist oder nicht. Trotzdem kommt deutlich zum Ausdruck, dass nach wie vor sowohl biologistisch als auch kulturalistisch rassistische Positionierungen anzutreffen sind. Zudem plädieren quer durch alle Beziehungsnetze Befragte in bestimmten Fällen explizit für eine räumliche Trennung von Gruppen oder Kulturen. Dies impliziert, dass auch Aspekte eines kulturellen Fundamentalismus zur Anwendung kommen. Aber wie bereits erwähnt inkludiert dieser entgegen der eigentlichen Definition auch rassistische Hierarchisierungen, und dessen Überschneidung mit anderen Unterdrückungssystemen bzw. -ideologien. Vor allem Schnittpunkte zwischen Sexismus und klassenhierarchischen Wertungen im Sinne von Bildung, Schichtzugehörigkeit und Einkommen finden sich wieder – sprich die klassische Kategorientriade aus „race“, „gender“ und „class“. Kategorien wie Alter und physische oder psychische Beeinträchtigungen wurden nicht benannt. Auch die Ausrichtungen der antirassistischen Haltungen unterscheiden sich in den Beziehungsnetzen. Eva und Sonja aus Beziehungsnetz B nehmen in erster Linie eine Position als reflexive Antirassist_innen ein, die sich gegenüber Rassist_innen nicht überhöhen wollen und sich selbst auch als rassistisch sozialisiert bezeichnen. Gelernte (negative) Stereotypisierungen werden im Alltag vor allem dann zur Last, wenn sich diese in Einzelsituationen in der Realität wiederfinden und dennoch gleichzeitig hinterfragt werden sollen. Diese Form der bewussten und reflexiven Haltung inkludiert ebenfalls den Versuch, die von Rassismus Betroffenen nicht zu viktimisieren, so wie dies bei Susanne (A) der Fall ist, sondern ihnen aktive Handlungsmöglichkeiten zuzugestehen. Eva (B) und Sonja (B) nehmen primär eine „Antihaltung“ ein und formulieren keine Ideen oder alternativen Ansätze in Bezug auf den EU-Beitritt der Türkei oder die Asyldebatte. Im täglichen Umgang mit Menschen, die von Rassismus betroffen sind, vertreten
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sie dagegen durchaus konkrete, proaktive Ansätze (wie zum Beispiel Zivilcourage im öffentlichen Raum). Auch wenn sich viele differenzherstellende Haltungen in allen drei Beziehungsnetzen finden, ist die Bandbreite von Zustimmung über Skepsis bis hin zu eindeutiger Ablehnung bei Beziehungsnetz A und C wesentlich größer, als dies in Beziehungsnetz B der Fall ist. Wie sich zeigt, hängt dies jedoch nicht nur von den scheinbar klaren Positionen und Haltungen der Personen ab, sondern auch davon, wer bei den Gesprächen sonst noch zugegen ist. In Beziehungsnetz C überwiegt die Ablehnung kultureller Elemente anderer Gesellschaften und einer multikulturellen Gesellschaft an sich bei Weitem. Anpassungsleistungen werden gefordert, jedoch nicht honoriert, da sie ohnehin längst – wie eine Art Bringschuld – fällig seien. Von der Politik wird eine explizite Abkehr von Integration und Zuwanderung erwartet, was in steigenden Wahlerfolgen rechter Parteien auch deutlich zum Ausdruck kommt. In allen drei Beziehungsnetzen wird die Position zum Ausdruck gebracht, dass die hohe Anzahl von Migrant_innen in Österreich bzw. im jeweiligen Umfeld für die gegen sie gerichtete Aggression eine entscheidende Rolle spielt. Auch wenn bei Beziehungsnetz B nur indirekt von „den Menschen“ gesprochen wird, so wird zumindest bei Thomas (B) deutlich, dass er der Meinung ist, dass man nicht „alles hereinlassen“ bzw. „herinnen lassen“ soll und kann. Hervorzuheben ist, dass für Beziehungsnetz B der Begriff „Multikulturalismus“ ebenso wie auch „Kultur“, wissenschaftlich informierte Begriffe sind, wenn auch nicht explizit. Aus diesem Grund wird hier eher zwischen einem normativen, also an dieser Stelle politischen Multikulturalismus und einem deskriptiven Multikulturalismus, also die gelebte Multikulturalität, unterschieden. Im Gegensatz dazu finden die diesbezüglichen Reflexionen in den Beziehungsnetzen A und C eher auf einer individuellen Erfahrungsebene statt. Die Beispiele verdeutlichen, dass Menschen in einer multikulturellen Gesellschaft nicht nur zwei Diskurse über Kultur verwenden, wie bereits darlegt wurde, sondern dass zum verdinglichenden Diskurs absoluter Differenzen und zum prozessualen Diskurs relationaler Unterscheidungen noch jener hinzukommt, der beide vereint. Die Diskurse treten nicht zwingend als Entweder-oder auf, sondern auch simultan in einem Sowohl-als-auch.
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Die jeweilige Wahl des einen oder des anderen Diskurses ist jedoch in hohem Maße kontext- und situationsabhängig. Um die multikulturelle Praxis zu verstehen, ist es demnach erforderlich, „to examine precisely when people shift from their one discourse to their other discourse“ (Baumann 1999: 132), aber auch zu untersuchen, ab wann beide Diskurse gleichzeitig Platz bekommen, wie dabei mit den (scheinbaren) Widersprüchen umgegangen wird und welche Folgen dies hat, denn möglicherweise birgt diese unmittelbare Verschmelzung der beiden Diskurse das Potenzial in sich, einen neuen Kulturdiskurs hervorzubringen – einen hybriden, mutationsfähigen postmodernen Kulturbegriff, der viele Gesichter hat und sich um seine inneren Widersprüchlichkeiten bzw. Paradoxien „nicht kümmert“. Die multikulturelle Geschlechterdiskussion berührt auch die Frage nach Vermischung und Hybridität, der Durchlässigkeit und Zugehörigkeit von und zu Kulturen, die argumentativ häufig in Zusammenhang mit Nationalstaatlichkeit und der Definition von Heimat steht. Das Nachdenken über das Eigene, d. h. die Frage, was es bedeutet, Wiener_in, Österreicher_in oder auch EU-Bürger_in zu sein, scheint hier von Bedeutung. Im Vordergrund steht dabei das Thema der (Um-)Verteilung aufgrund von Zugehörigkeit, die nicht von der Staatsbürger_innenschaft abhängt, sondern von der Zuschreibung, „einheimisch“ zu sein. Relevant und von Unsicherheit und Angst besetzt erscheinen in allen Beziehungsnetzen die Öffnung von Grenzen und die (nötige) Regulierung von Zuwanderung. Sowohl die Mitglieder der NGO als auch das Sportler_innen- und Lokalnetzwerk stehen – durchaus mit unterschiedlichen Bewertungen – der Frage nach nationalen oder supranationalen Grenzen unsicher gegenüber. Die diskursiven Legitimationsstrategien und das Herstellen von Differenz verdeutlichen zwar, wie Diskurse derzeit verlaufen und argumentiert bzw. untermauert werden, und dass diese auch ineinandergreifend sind, sie zeigen jedoch nicht hinreichend auf, wie die Akteur_innen mit Differenzdiskursen wirklich umgehen. Denn Menschen verhandeln diese Diskurse in entsprechenden Kontexten, in lokalen Rahmen bzw. in ihren jeweiligen Speech Communities unterschiedlich, wie das Kapitel zu Rassismus als Gruppenphänomen zeigt. Deutlich wurde in der vorliegenden Forschung jedenfalls, dass einerseits ein großes Bedürfnis danach besteht, über Werte zwischen richtig und falsch zu diskutieren, und dass dabei drei verschiedene Beziehungsnetze ähnliche Unsicherheiten im Sprechen über „die anderen“ bzw. „die Frem-
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den“ aufweisen. Die Ideologien und Motivationen dahinter erweisen sich jedoch als verschieden. So gestaltet sich beispielsweise die inhaltliche Argumentation bezüglich des EU-Beitritts der Türkei zwischen den drei Beziehungsnetzen völlig verschieden. Dennoch ist der Großteil der Befragten klar gegen den Beitritt. Es finden sich zwar in den drei Beziehungsnetzen unterschiedliche Einstellungen zu Asyl und einer damit verknüpften Assoziation mit Drogen, nichtsdestoweniger verbinden doch alle damit Grenzüberschreitungen und Regelbrüche, denen Einhalt geboten werden soll/muss. Sprechen sich zwar alle gegen die Unterdrückung von Frauen aus, sind die damit zusammenhängenden Argumente zu Zwangsverheiratungen oder zum Kopftuch als Marker höchst unterschiedlich und werden je nach Beziehungsnetz für oder gegen andere sexistische oder feministische Argumente nutzbar gemacht.
D REI D ISKURSSTRÄNGE UND IHRE L EGITIMATIONSSTRATEGIEN D IFFERENZ UND G LEICHHEIT
VON
Aus der vorliegenden Forschung können vier der zentralen Legitimationsstrategien für das Herstellen von Differenz hergeleitet werden. Unter Legitimationsstrategien verstehe ich durch Akteur_innen angewandte Diskursstrategien 2, die dazu dienen, inhaltliche Argumente zum Herstellen von Differenz durch Bekräftigung zu legitimieren. Hierfür werden sowohl primäre als auch sekundäre Referenzen benutzt, auf die sich die Befragten im Zuge der „Beweisführung“ ihrer Differenzargumentation berufen. Wird Differenz hergestellt, bedeutet dies jedoch nicht zwingend, dass die Argumentationen rassistisch verlaufen, da nicht unbedingt homogenisierende und (negativ) wertende Zuschreibungen von Eigenschaften damit einhergehen. Die erste hier vorgestellte Strategie ist eine Sekundärargumentation und ich bezeichne sie als „externalisierten Empirismus“. Bei dieser ersten Legi-
2
Die hier analysierten und kategorisierten Herstellungsmechanismen befinden sich ausschließlich auf der diskursiven Ebene. Identitätsprozesse der Konstruktion des Selbst (selfing) und des anderen (othering) werden indes beispielsweise bei Baumann (2004) über die drei Grammatiken der Identität dargestellt.
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timationsstrategie werden die persönlich gemachten Erfahrungen anderer Personen (z. B. „Expert_innen“) herangezogen, um die eigenen Argumente zu bekräftigen. Diese so genannten Expert_innen können sowohl mehrheitsösterreichische Spezialist_innen der täglichen Arbeit mit Migrant_innen wie Lehrer_innen und Sozialarbeiter_innen sein, aber auch Migrant_innen aus dem persönlichen Umfeld, die alle scheinbar eine besondere Beweiskraft und Verbindlichkeit für Differenzargumentationen besitzen. „[…] und wenn ma a Freundin erzählt […] dass die Mädchen in ihrer Klasse […]“ (Eva, B) „[…] Sie [Anm.: die befreundete Slowakin] hot gsogt.“ (Marianne, A) „[…] Zu mir hat amal eine unglaublich kluge Frau, die Kopftuchträgerin aus religiösen Motiven war, gsagt […]“ (Eva, B) „[…] Die Shiva hot gsogt […]“ (Marianne, A)
Demgegenüber existiert auch eine Primärargumentation, die durch individualisierten Empirismus gekennzeichnet ist. Dieser liegt vor, wenn die eigenen Erfahrungen als Quelle für das Herstellen von Differenz dienen. „[…] das hab ich ganz stark in England erlebt […]“ (Eva, B) „[…] Einmal bin ich dann beschimpft worden […]“ (Eva, B) „[…] Wenn i in der U-Bahn sitz und a Migrantin kommt rein […]“ (Sonja, B) „[…] Des schreckt mi scho, ma siagt teilweise […]“ (Martin, C)
Häufig bleibt es aber nicht bei der reinen Darstellung einer erlebten Situation, sondern von dem Erlebten wird in essentialisierender und pauschalisiernder Weise auf eine gesamte Gruppe geschlossen. Ebenso wie empirische Befunde der Legitimation dienen, tun dies auch Thesen, die ohne jegliche persönliche oder ausgelagerte Erfahrungen untermauert werden. Diese können als individualisierte oder externalisierte Thesen zu Tage treten. Erstere sind „bloße“ Behauptungen, die „scheinbar“ keiner Bestätigung oder Nachvollziehbarkeit durch andere bedürfen. Sie werden in den Raum gestellt und es scheint, als würde dieses dargestellte „Wissen“ der Person selbst entspringen. „[…] Weil die vermischen sich nicht […]“ (Eva, B) „[…] Wos ma so waß […]“ (Martin, C)
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„I bin sicha, die san einfoch […]“ (Gerda, C) „Des san ondare Kulturkreise.“ (Richard, A) „Die […] hom an greßan Plan […]“ (Maria, C)
Zweitere berufen sich wiederum auf Quellen unterschiedlicher Art und Herkunft. Sowohl Medien wie Zeitungen oder das Internet als auch Aussagen von Politiker_innen und Wissenschaftler_innen oder „die Geschichte“ werden herangezogen, um die eigene Argumentation zu stützen bzw. um den Ursprung der eigenen Ansichten darzustellen. „[…] was i auf der Uni glernt hab.“ (Eva, B) „[…] dass a linke Blattln […] und also der Falter schreibt […]“ (Thomas, B) „[…] Es reicht, dass i jedn Tog in da Zeitung les […]“ (Richard, A) „[…] Der Strache hot scho recht […]“ (Martin, C) „ […] I hob a glesn […]“ (Martin, C) „[…] Aus großer feministischer Sicht heraus […]“ (Sonja, B)
Das Herstellen und Legitimieren von Gleichheit im scheinbaren Gegensatz zu Differenz sind analytisch ähnlich der Theorie zum Weiß-Sein (Frankenberg 1993). Weiß-Sein ist einfach, ebenso wie (reale oder vorgestellte ethnische oder phänotypische) Gleichheit. Demgegenüber wird Differenz benannt, argumentiert und legitimiert. Gleichheit wird folglich häufig passiv, also über eine Nicht-Differenz konstruiert. Die Kriterien für Gleichheit werden nur selten direkt benannt. Sofern sie dennoch geäußert werden, dann zumeist indirekt über eine implizite Erhöhung des „Eigenen“ einhergehend mit einer expliziten Abwertung des „Anderen“. Diese zentrale Legitimationsstrategie besteht darin, dass sie unausgesprochen bleibt und letztlich nicht benötigt wird.
Herstellen von Differenz und Rassismus als Gruppenphänomen
In den folgenden Ausführungen wird der Versuch unternommen, einige in der Wissenschaft bisher wenig untersuchte Entstehungs- und Reproduktionsprozesse von Rassismen und die damit einhergehende Konstruktion von Differenz näher zu ergründen. Da in den Definitionen von Rassismus bisher weitgehend die Idee hinter einer rassistischen Handlung oder die Ideologie selbst thematisiert wurde, jedoch nicht die als Täter_innen handelnden Akteur_innen des Rassismus, konzentriert sich vorliegende Studie auf eben diese durch das Handeln und Interagieren von Einzelpersonen geprägten Prozesse. Bislang wurden in erster Linie Forschungen über Rassismen innerhalb rechtsradikaler Gruppen (u. a. Butterwegge 1993, 1996; Tajfel 1) durchgeführt, doch nur wenige Arbeiten befassten sich mit der „Mitte der Gesellschaft“, wie z. B. jene von Marianne Gullestad (2002). Dies ist erstaunlich, zumal nicht nur die steigende Anzahl an rassistischen Übergriffen, sondern insbesondere auch die zunehmenden Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien und Politiker_innen in ganz Europa ein Ausschließen der Beteiligung eines großen Anteils der etablierten Mehrheitsgesellschaft an diesen Vorgängen nicht mehr zulassen. Daher liegt der Fokus meiner Forschung auf der Interaktion zwischen Angehörigen der etablierten österrei1
Henri Tajfel (1982) erklärt u. a. rechtsextreme Fremdenfeindlichkeit durch eine verstärkte Identifikation mit der „eigenen Gruppe“ und die gleichzeitige Abwertung der anderen Gruppe. (Wagner, van Dick, Zick 2001: 69f) Speech Communities sind zwar komplexer in deren Zusammensetzung als explizit rechtsradikale Gruppen, da sie vielfältige Zugehörigkeiten betonen, aber umso aussagekräftiger im Kontext der „Mitte der Gesellschaft“.
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chischen Mehrheitsgesellschaft bzw. den Diskussionen zwischen diesen Personen innerhalb ihrer sozialen Beziehungsnetze bzw. Speech Communities. Dabei zeigt sich, dass es sich bei Rassismus auf der Ebene des sozialen Handelns in Speech Communities um ein spezifisches Gruppenphänomen handelt. Zugleich wird illustriert, wie die Mitglieder dieser Beziehungsnetze in Gruppen „funktionieren“, wenn es um das Herstellen von Differenz oder um Rassismus geht. Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, wie sich die jeweiligen Positionen und Aussagen auf das Gruppengeschehen bzw. das Diskussionsverhalten und somit auf das Verhandeln von Differenzdiskursen auswirken. In diesem Abschnitt werden exemplarisch vier Begebenheiten aus den Beziehungsnetzen A und C herausgegriffen, die aufzeigen, wie meinungsbildende Prozesse durch die Einbettung in ein soziales Umfeld, eine bestimmte Gruppe bzw. einen Freund_innenkreis, stattfinden. Auffallend dabei ist, dass in solch einem Kontext getätigte Aussagen bzw. vertretene Meinungen nicht zwingend mit der Einzelerfahrung oder Einstellung der jeweiligen Personen korrelieren, würden diese außerhalb ihrer Speech Communities dazu befragt werden. Bei den anschließend dargelegten Episoden handelt es sich um konzentriert dargestellte Feldtagebuchaufzeichnungen, die noch am Tag der jeweiligen Ereignisse niedergeschrieben wurden. Zunächst möchte ich nochmals auf die Eingangserzählung der Dissertation „In einer Bar“ zurückgreifen und diese zum tieferen Verständnis etwas detaillierter ausführen.
S ITUATION 1 (C) Wie fast jeden Abend sitze ich in einem Lokal an der Bar, in der ich die zentralen Personen von Beziehungsnetz C regelmäßig vorfinden kann, ohne mich mit ihnen verabreden zu müssen. Im Kontext der gastronomischen Feierabendatmosphäre gelingt es sehr schnell, Themen anzusprechen oder Schlagwörter als Impuls für weiterführende Diskussionen entweder selbst einzuwerfen oder einfach zu beobachten, wie sich Gespräche und Diskussionen über „die Ausländer“ von selbst ergeben. Die folgende Beobachtung
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bezieht sich auf eine solche Situation, die sich ohne mein aktives Zutun ergab. Es ist eine von vielen Begebenheiten, in denen die „zentrale Akteurin“ des Beziehungsnetzs, eine Frau namens Maria, den Ton angab: Maria beschwert sich über „die Brutalität der Türken“ in ihrer „Heimatstadt“. Ihren Ausführungen zufolge treten diese ausschließlich in Rudeln auf und verängstigen mit ihrem Verhalten die Einheimischen, ja sogar die Polizei. „De san glei vü brutaler und hobn a glei Messa bei da Hond.“ Weiters erzählt sie von einem Vorkommnis, das beweisen soll, dass diese Entwicklungen derzeit zunehmend eskalieren. In einer Auseinandersetzung (die drei Jahre zurückliegt) wurde ihr in einem Konflikt die Nase gebrochen. Dabei erwähnt sie mit Stolz, dass sie selbst es war, die nach verbalen Entgleisungen ihres Kontrahenten als erste gewalttätig wurde. Die in der Bar Anwesenden reagieren schockiert auf Marias Erzählung und fühlen sich bestätigt in ihrer bereits existierenden Annahme, dass „die Türken“ eine Gewaltbereitschaft an den Tag legen, die mit der von Einheimischen nicht vergleichbar ist. Sogar die jungen Männer in der Bar geben zu, sich mit „denen“ nicht anlegen zu wollen. Die Erzählung von Maria wird zu keinem Zeitpunkt hinterfragt oder angezweifelt, auch wenn so manche Ausschmückung auf Widersprüche schließen lässt. Maria hat in ihrer Wut scheinbar das Verständnis aller Zuhörenden. Der Unmut der anwesenden Gruppe gegenüber „den Anderen“ überträgt sich recht schnell auf weitere Barbesucher_innen. Jeder und jede gibt sogleich eine ähnliche Geschichte, die er oder sie gehört hat, zum Besten, was wiederum auf die Verbindlichkeit der Eingangserzählung bestätigend und festigend wirkt. Gerda kennt die Geschichte von Maria schon und meint: „Du bist ja nicht die Einzige, der so was passiert. Eine Freundin von mir traut sich schon gar nicht mehr, am Abend alleine von ihrem Lieblingsbeisl nach Hause gehen, weil die Türken ihr immer nachrufen: ,Gemma fickn!‘“ Sie fürchtet, von ihnen irgendwann einmal vergewaltigt zu werden, weil „[a]n die eigenen Frauen dürfen sie ja nicht dran, solang sie nicht verheiratet sind, also müssen sie es sich irgendwo anders holen. Und freiwillig schläft sicher keine mit einem Türken.“ (Gerda, C) Auch die Männer in der Runde bringen sich ein, nachdem die Frauen ihre Schilderungen beendet haben. Sogar Martin, der sich sonst eher bei anderen Themen wie Arbeitsplatzproblemen und politischen Strukturen einbringt, gibt der Situation entsprechend eine Einschätzung ab: „Ich würd mich mit den Typen nicht einlassen, ich hab
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gehört, dass die immer gleich Waffen bei der Hand haben. Damit rechnest ja nicht. Eine Schlägerei, okay, aber a Messer und a Puffn brauch i net dabei.“ Norbert ergänzt: „Und außerdem hast allein sowieso ka Leiberl, weil die ja andauernd im Rudel auftreten. Da schaust arm aus.“ Keine dieser Folgeerzählungen wurde von den Erzählenden jedoch selbst erlebt oder kann gar belegt werden. Marias erste Schilderung und die sich dadurch entwickelnde allgemeine Stimmung scheinen bereits „Beweis“ genug für den Wahrheitsgehalt der Erzählung zu sein. Situationen wie diese, bei denen auch noch weitere Lokalbesucher_innen involviert sind bzw. ihre Ansichten auf ähnliche Weise austauschen, sind in dem Lokal keine Seltenheit. Zwei Tage nach dieser Begebenheit komme ich in einem Interview mit Maria auf ihre Geschichte zu sprechen und frage genauer nach. Dabei stellt sich heraus, dass es sich bei dem Täter um einen männlichen Jugendlichen gehandelt hat, dessen Familie bereits seit drei Generationen in Österreich lebt. Außerdem waren seine Großeltern nicht aus der Türkei eingewandert, sondern aus dem ehemaligen Jugoslawien. Obwohl weder die Nationalität des Täters, noch dessen Auftritt in einem „Rudel“ und auch nicht der behauptete Waffeneinsatz zutreffen, hält Maria an ihrer rassistischen „Theorie“ über die Türken in der Kleinstadt fest. Eine Woche später werde ich persönlich in eine ähnliche Diskussion involviert, indem mich Martin in Bezug auf Arbeitsplatzprobleme in Österreich fragt, was ich – quasi als Expertin – davon hielte, dass die Ausländer_innen „uns“ die Arbeitsplätze wegnehmen. Ich versuche, ausweichend zu antworten, indem ich erwidere, dass es „die Ausländer“ und „uns“ als Gruppe ja eigentlich nicht gibt. Maria reagiert darauf lachend: „Ja kloa, du bist a andere Gruppe, weil dein Job auf da Uni nehmans da sicha net weg, weils ned Deutsch kennan und deshoib eh ka Matura hobn (lacht).“ Auch diese Behauptung wird von keinem/keiner der Anwesenden hinterfragt oder angezweifelt.
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Analytische Betrachtung Die beschriebenen Situationen verdeutlichen Marias Positionierung als Agendasetterin innerhalb der Gruppe. Häufig sind es ihre Beiträge, die Diskussionen in Richtung Rassismus leiten. Ihre dominante Position verteidigt sie, indem sie Haltungen, die von ihrer eigenen Meinung abweichen, zu zerschlagen versucht – unter anderem indem sie Personen mit anderer Gesinnung ins Lächerliche zieht. Dabei entscheidet Maria je nach Sympathie und Zugehörigkeit der jeweiligen Person zu ihrem engsten Umfeld, wie sie mit Menschen und deren abweichenden Meinungen verfährt. Gruppenmitglieder, die sich den Ansichten Marias dauerhaft oder wiederholt widersetzen, haben in der Regel mit negativen Konsequenzen zu rechnen, Diese reichen von der Ausgrenzung von bestimmten Diskursen, über dauerhaftes verhöhnt werden bis hin zum Ausschluss aus der Speech Community. Ihr wird daher kaum direkt widersprochen. Und ihr Ruf in der Gruppe als couragierte Frau, die sich zu wehren weiß und trotzdem noch weiblich genug bleibt, um begehrenswert zu sein, steigt mit jeder einzelnen dieser Erzählungen. Dessen ist sich Maria auch durchaus bewusst. Erst in Zweiergesprächen, in denen mir Maria mehr von sich selbst erzählt, wird deutlich, worauf ein Teil ihres Grolls gegenüber „den Ausländern“ zurückzuführen ist. Begründungen sind beispielsweise im Zusammenhang mit empfundenen Entbehrungen in ihrer eigenen Kindheit oder Jugend zu finden, die sie in einen (häufig wenig stringent konstruierten) Zusammenhang mit Migrant_innen stellt. Ein Beispiel dafür: „Meine Mama is a orbeitn gangen und i woa vü allan. Die Auslända kriegn zehn Kinda und hackln nix, ich vasteh net, wia des geht, und donn kriagn die Kinda a no an BMW gschenkt, des is mia nie passiert, obwohl mei Mama ghacklt hot.“ (Maria, C)
Im Kontext ihrer Arbeit und ihres Freund_innenkreises nimmt Maria zwar eine sehr dominante Haltung ein, sie selbst jedoch fühlt sich im Zusammenhang mit ihrer Familiengeschichte und als Frau in der Gesellschaft durchwegs diskriminiert: „Ois Frau muast di sowieso imma hintn anstön, deswegn bin i einfoch laut und aggressiv wia a Typ. Donn geht mi kana on.“
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Maria nutzt ihre Gruppenposition für mehrere Zwecke, wobei sie selbst im persönlichen Interview folgende aufzählt: Einerseits sei es wichtig für das Lokal, dass die Besucher_innen der Bar das Gefühl haben, unterhalten zu werden, wenn sie das möchten. Zweitens sind die meisten Barbesucher_innen Männer und diese schätzen auch den „Flirtfaktor“, den Maria für sie erfüllt. Und drittens müsse doch jemand die Wahrheit über „die Türken“ sagen dürfen. Darüber hinaus würde sie nur laut aussprechen, was sich ohnehin alle dächten. Dies würde immerhin dazu führen, dass sich auch andere Personen trauen, ihre Meinung zu äußern. Damit betont sie, dass sie den anderen hilft, da diese sonst zu viel Angst hätten, die Wahrheit zu sagen. Darüber hinaus nimmt sie mithin implizit für sich in Anspruch, Zivilcourage zu beweisen, indem sie sich dem ihrer Meinung nach dominanten Medien/Intellektuellen-Diskurs widersetzt. Eine zentrale Strategie, die Maria hier anwendet, um ihre Aussagen zu bekräftigen, ist die Primärargumentation des individualisierten Empirismus. Maria punktet in ihren Erzählungen in erster Linie mit der Darstellung des Selbst-Erlebten. Wie realitätsgetreu oder adäquat diese Erzählungen tatsächlich sind, ist weder für die jeweils Anwesenden noch für mich als Forscherin letztgültig zu überprüfen. Persönlich erlangtes Wissen und Erfahrungen, die im Zusammenhang mit Gewalt stehen, werden, wenn sie von einer Frau geäußert werden, meist nicht infrage gestellt. Vor allem dann nicht, wenn es sich bei den Anwesenden zum Teil um „Vertreter_innen“ des Stammtischfeminismus handelt. Das in der obigen Beschreibung (Situation 1) fett gedruckte Diskursfragment beinhaltet mehrere rassistische Botschaften: Insbesondere die Gewalttätigkeit „der Türken“, die sich sowohl gegen österreichische Frauen als auch Männer richtet kommt dabei zum Tragen. Erstere sehen sich mit der Angst vor sexualisierter körperlicher Gewalt konfrontiert und Zweitere mit körperlicher Gewalt durch zahlenmäßig überlegene Gruppen und höheres Aggressionspotential. Dazu kommt noch die Angst vor dem Einsatz von Waffen. Aus den sprachlich-rhetorischen Mitteln geht dabei deutlich die Sicherheit hervor, mit der propagandistische Behauptungen angestellt werden: „ihr immer nachrufen“, „Sie hat Angst“, „An die eigenen Frauen dürfen sie ja nicht dran“, „müssen sie es sich irgendwo anders holen“, „freiwillig schläft sicher keine mit einem Türken“, „dass die immer gleich Waffen bei der Hand haben“, „weil die ja andauernd im Rudel auftreten“.
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Obwohl alle Mitglieder dieses Beziehungsnetzs im Zweiergespräch die Aussagen von Maria belächeln oder zumindest ihre dominante Art ein wenig relativieren, so wagt es in Gruppensituationen selbst nie jemand, ihr zu widersprechen. Außerdem steht sie mit ihren Aussagen ja auch nicht alleine da, denn, so wie es Gerda ausdrückt, „[i]n der Zeitung (Anm. Kronen Zeitung) steht des jo a so drinnen. I bin mir zwar net immer so sicher, ob wirklich olle Auslända so san, oba die Maria hot do sicher mehr erlebt ois i.“
S ITUATION 2 (C) Wir sitzen an einem gewöhnlichen Abend zusammen im Lokal an der Bar. Gerda und Martin kommen nach der Arbeit vorbei, um Maria noch einen Besuch abzustatten, bevor sie nach Hause gehen. Eigentlich hätten sie schon vor einer halben Stunde aufbrechen wollen, als sich eine hitzige Diskussion über die Arbeitsplatzvergabe in Gerdas Geschäft und anschließend auch im Allgemeinen entwickelt. Martin hat in der Zeitung gelesen, dass mehr Ausländer_innen benötigt werden, um den Arbeitsmarkt in Österreich abzudecken, und bezweifelt, dass dies die richtige Strategie darstellt, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen. Vor allem stört ihn daran, dass so viele österreichische Jugendliche einen Lehrplatz suchen und womöglich Ausländer_innen der Vorzug gegeben wird. Gerda erzählt von einer serbischen Kollegin, die sehr nett sei und mit der sie sich gut verstehe, „obwohl sie Ausländerin ist“. Zu Beginn verläuft die Diskussion weithin tolerant jenen gegenüber, „die eh arbeiten wollen“ (Martin). In den Wortmeldungen überwiegen positive Erfahrungen mit migrantischen Kolleg_innen. Auch Martin meint, dass ausländische Arbeiter_innen sich oft viel sagen lassen und aus Angst, den Job zu verlieren, auch bereitwilliger Überstunden leisten. Als Maria sich in einer Zigarettenpause zu der Runde gesellt, ändert sich das Gesprächsklima. Sie betont, dass sie mit einem „Tschuschen“ niemals zusammenarbeiten würde, da sie ihm nicht vertrauen könnte: „Do konn mia neamt wos erzöhn. Die san immer drauf aus, sich des Beste aussazumschlogn. Und außerdem dan sa si imma wos auf die Seitn und donn woas neamt. Wennst wos sogst, donn bist glei ausländafeindlich. Außadem, wer geht
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in a Lokal, wo du von ana Türkin, vielleicht no mit am Kopftuach, bedient wirst?“ (Maria lacht, die anderen schmunzeln)
Martin bringt sich unerwartet ein und überlegt laut, dass es möglicherweise sinnvoll wäre, nur jene Ausländer_innen arbeiten zu lassen, die in Österreich geboren sind. Denn so wäre eher gewährleistet, dass sie sich nach „unseren“ Vorstellungen benehmen. Dieser Vorschlag wird allerdings von Maria niedergeschmettert. Sie entgegnet, sie sei sicher, dass „denen“ nicht zu trauen ist, egal wo sie geboren sind, denn es läge in deren Mentalität sich anders zu verhalten. Gerda stimmt ein: „Stimmt, bei meiner Kollegin bin ich mir eigentlich auch nie so sicher, woran ich bin.“ Daraufhin Maria: „Siehst, eigentlich wüs eh neamt do, die Tschuschn, oiso suin sa si schleichn. Prost!“ (Sie stößt mit Norbert, Martin und Gerda auf diese Aussage an, alle lachen.) In meine Richtung meint Gerda anerkennend über Maria: „Die ist halt so. Sie sagt, was sie sich denkt, und lasst sichs ned vorschreiben.“
Analytische Betrachtung Wieder ist es Maria, die als dominante Person im Beziehungsnetz beeinflussend und themenführend agiert. Ab dem Zeitpunkt, zu dem sie zu der Gruppe stößt, ändern sich sowohl die Art als auch der Inhalt des Gesprächs. Ist zuvor noch eine inhaltliche Diskussion geführt worden, in der unterschiedliche Positionierungen zu einem Thema Raum gefunden haben, verändert Maria die Rhetorik hin zu einer Polemik über „die Ausländer, die uns die Arbeit wegnehmen und nicht vertrauenswürdig sind.“ Um mit ihrer Botschaft auf Zustimmung zu stoßen, argumentiert sie entweder aggressiv und/oder benutzt Humor. Beides scheint zu funktionieren, denn sie erhält sowohl inhaltliche Zustimmung als auch persönliche Anerkennung für ihre Courage, sich so offen zu äußern. Damit ist vor allem gemeint, dass Maria keine Angst davor hat, als Rassistin zu gelten indem sie „Dinge beim Namen nennt“. Das hervorgehobene Diskursfragment wurde ausgewählt, weil es ein zentrales und häufig wiederkehrendes Kollektivsymbol enthält: das Kopftuch. Es vernetzt an dieser Stelle verschiedene Diskursstränge, vor allem jene zu „Multikulturalismus und Kultur“ in Konnex zu Ausländer_innen-
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kriminalität. Dabei kristallisiert sich innerhalb dieses Diskurses wiederum das Ineinanderwirken von Kultur und Gender im Sinne der Rolle „der Türkin“ im privaten Bereich (und keinesfalls als Kellnerin). Auf diese Weise wird symbolisch verdichtet und damit auch simplifiziert: Das bei vielen Menschen in der österreichischen Gesellschaft (durch Medien, Alltagsgespräche und Strukturen gestützte) gängige Bild „der Türkin“ wird aktiviert und benutzt, um eine vereinfacht argumentierte Ablehnung bis hin zu Rassismus zu rechtfertigen, auch wenn es bereits nicht mehr um „die Türkin“ geht oder ursprünglich auch nie gegangen ist.
S ITUATION 3 (A) Eine bezeichnende Situation für die Reaktion in Beziehungsnetz A auf rassistische Äußerungen ergibt sich während eines gemeinsamen Vereinsausflugs. Circa 20 Personen des Beziehungsnetzes sitzen an einem Tisch bei einem gemütlichen Miteinander. Das Gesprächsthema sind wie so häufig „die Ausländer“. Richard positioniert sich ungefragt und mit sehr lauter und den Raum dominierender Stimme in der Runde: „Wenn ana zu mia sogt, i bin a Rassist, donn sog i: ,Schauts euch die Kärntner o, de lossn si nix gfoin.‘ I sog eana oiwei: ,Schickts mia die Südtiroler noch Wien, dafia kriagts ihr die Tschuschen, Nega, Zigeina, Polaken.‘ Do schauns oiwei bled, wenn i eana des sog.“ (Richard, A)
Bemerkenswert an dieser Situation ist vor allem, dass niemand der Anwesenden auf diese Aussage reagiert – jedenfalls nicht verbal. Manche richten ihren Blick betreten in eine andere Richtung, manche schmunzeln bestätigend. Richard erweckt indessen den Eindruck, als würde er versuchen, zu testen, wie weit er gehen kann, bis jemand ihm widerspricht. Er geht dazu sogar so weit, danach auch antisemitische Kommentare einfließen zu lassen, indem er Anspielungen folgender und ähnlicher Art macht: „A Jud müsst ma sein, dann könnt ma sich was Besseres leisten.“ Aufgrund dieser Aussage fühlen sich vor allem zwei Männer über 60 bemüßigt, ebenso antisemitische Bemerkungen zu äußern („Sogoa wenns tot san schoffn’s no a Göd einzutreibn.“ und „Stimmt, de hom do kan Skrupl, homs no nia ghobt“).
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Im Gegensatz zu den rassistischen Aussagen davor, bei denen noch ein Großteil der Anwesenden zumindest geschmunzelt oder sich durch Lachen über Witze offen amüsiert hat, sind die Reaktionen auf den Antisemitismus different. Diese Aussagen sind weniger scherzhaft ausgeführt als jene davor. Niemand erwidert etwas darauf, die meisten Anwesenden tun so, als ob sie nichts gehört hätten. Dies trifft auch auf jene zu, von denen ich aus Einzelgesprächen und Interviews weiß, dass sie Haltungen wie diese dezidiert ablehnen (beispielsweise Susanne und Karl). Nach Situationen wie dieser, die mitunter kurzfristig zu einer betretenen Stimmung führen, ist jedoch alles wie vorher. Es wird ein freundlicher und kollegialer Umgang gepflegt, bei dem die Gemeinsamkeiten der Freizeitbeschäftigung im Vordergrund stehen.
Analytische Betrachtung Richard schätzt Zusammenkünfte wie diese, denn er setzt sich gerne in Szene und provoziert bevorzugt dort, wo das Publikum am größten ist. „Dass’s munta werdn. […] I bin a Aufwecker, jo, a Aufrührer.“ Seine Sprechweise ist laut und übertönt zumeist alle anderen Gespräche in seiner Nähe. Seine Aussagen zeichnen sich indes meist durch (negative) Wertungen einer Person oder Personengruppen gegenüber aus. Auch Aussagen Anwesender, die ihm falsch erscheinen, kommentiert er aggressiv herabwürdigend. Im Einzelgespräch verhält er sich ähnlich und sucht im Lokal nach weiteren Zuhörer_innen. Nur bei persönlichen Belangen verringert sich seine Lautstärke und die habituelle Überlegenheit lässt sichtlich nach. Richard greift vor allem auf Lautstärke und die Erniedrigung anderer zurück, um seine Positionen zu verdeutlichen. Anwesende nehmen seine Aussagen eher hin, als dass sie sich seinen rhetorischen Bosheiten aussetzen, indem sie ihm widersprechen. Richard wendet in erster Linie die individualisierte Legitimationsstrategie an und stellt Behauptungen auf, die u.a. als Resultat seines dominanten Auftretens, keiner Überprüfung bedürfen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Richard nie auf Rassismen und Antisemitismen anderer Anwesender eingeht. Auch wenn diese ihn bestätigen, greift er diese Aussagen nicht auf, sondern konzentriert sich ausschließlich darauf, ob er Widerstand wahrnimmt. Damit
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macht er den Eindruck, als ginge es ihm nicht primär um die Inhalte seiner Aussagen, sondern tatsächlich um die Provokation und den Status in der jeweiligen Bezugsgruppe. Dies mag möglicherweise einen Teil seiner Motivation bilden, jedoch erklärt es nicht ausreichend, weshalb andere Personen des Beziehungsnetzs sich nicht zu Provokationen wie diesen äußern, während sie in Einzelgesprächen konträre Haltungen zur Sprache bringen. Susanne beispielsweise argumentiert ihr Schweigen damit, dass sie sich den Kränkungen nicht aussetzen und sich vor persönlichen Angriffen schützen möchte. Ihre Schwester Marianne wiederum ist überzeugt von ihrer Hypothese, dass Richard eigentlich aus anderen Gründen so handelt: nämlich seines mangelnden Selbstwertes wegen. Deshalb mache es keinen Sinn, mit ihm über dieses Thema zu sprechen. Karl wiederum beruft sich auf seine eigene Unwissenheit und befürchtet, zu wenig über „die Ausländer“ zu wissen, um etwas zu entgegnen. Was den Antisemitismus der zwei älteren Herren betrifft, entschuldigt Karl diesen folgendermaßen: „Das ist eine andere Generation, die denken eben anders.“ Zwei weitere Anwesende, beide Mitte 30 und beide Akademiker im naturwissenschaftlichen Bereich, entgegnen desinteressiert, dass sie diese Aussagen ohnehin nicht ernst nehmen und deshalb auch nichts sagen, denn das würde nur Streit und Unfrieden provozieren. Das fett markierte Diskursfragment verdeutlicht anhand Richards Begriffswahl, dass er bevorzugt polemisierende Ausdrücke verwendet, um seine Aussagen radikaler zu gestalten. So sind allein in diesem kurzen Abschnitt die Begriffe Rassist, Kärntner, Südtiroler, Wien, Tschuschen, Nega, Zigeina und Polaken zu finden, mit denen bestimmte soziale Gruppen im Kontext der Aussage angesprochen werden sollen, um auf etwas Spezifisches hinzuweisen. „Rassist“ deutet in dieser Aussage darauf hin, dass sich Richard einer Gruppe von Menschen zugehörig fühlt, die bestimmte andere Gruppen, wie Menschen mit südosteuropäischem Migrationshintergrund („Tschuschen“), Menschen dunklerer Hautfarbe („Nega“), ursprünglich fahrende Gesellschaften („Zigeina“) und Personen polnischer Herkunft („Polaken“) ablehnt und Kärntner, Südtiroler, Wien[er] entweder als Menschengruppen bevorzugt oder als in der Hierarchie höher stehend identifiziert, da sie entscheiden können (sollten), welche der abgelehnten Gruppen wo zu leben haben. Des Weiteren wählt er bei den negativ assoziierten Gruppen Bezeichnungen, die als Schimpfwörter gelten oder zumindest bei den meisten Menschen in Österreich negativ konnotiert sind.
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S ITUATION 4 (A) Ein gemütlicher Abend am Küchentisch, eine Flasche Rotwein, ein nettes Gespräch und ein unerwarteter Besuch von Richard. Marianne hat mich zu ihr nach Haus eingeladen und wir möchten „bloß“ ein wenig Zeit miteinander verbringen. Als Richard erfährt, dass ich Marianne besuche, taucht er eine Stunde später „überraschend“ auf, weil er angeblich etwas vorbeibringen wollte, und gesellt sich zu uns. Bevor er eintrifft, unterhalten Marianne und ich uns über „die Türken“. Marianne äußert zunächst nur vorsichtige Bedenken gegenüber einem EUBeitritt der Türkei und meint, sie kenne sich nicht genug aus, um Aussagen über die Auswirkungen auf Österreich treffen zu können. Der „türkischen Kultur“ steht sie jedoch sehr skeptisch gegenüber. Vor allem „deren“ Umgang mit Frauen hält sie für sehr kritisierenswert. Sie beruft sich in ihren Zweifeln der „türkischen Kultur gegenüber“ insbesondere auf Berichterstattungen aus der Tagespresse (Kronen Zeitung), aber auch auf persönliche Alltagsbeobachtungen. Diese verunsichern sie im Hinblick auf die Möglichkeit, mit „anderen Kulturen“ friedlich zusammenleben zu können. Als Richard in das Gespräch einsteigt, erfährt dieses eine deutliche Wendung. Die Art zu diskutieren wird spontan lauter und aggressiver. Hat Marianne zuvor noch Gegenargumente zu meinen Ansichten geäußert und auch ihre eigenen Aussagen mitunter relativiert, so widerspricht sie nun den Kommentaren von Richard nicht im Geringsten. Im Gegenteil, sie bestätigt seine ablehnenden und abwertenden Aussagen (non-)verbal und passt sich auch seinem hitzigen Sprachverhalten an. Sogar als er meint: „Die Türken san anfoch olle mitanond Schmarotzer, bei eana daham und bei uns is des ned ondas. Des mocht eana Kultur aus, und a ondara Menschnstomm sans a“, kommentiert dies Marianne nur mit den Worten „Jo, des stimmt schon“.
Analytische Betrachtung Auch in dieser beobachteten Situation nimmt Richard eine Rolle ein, in der er den Gesprächsinhalt und –verlauf steuern kann. Da Marianne in meiner Anwesenheit oder in der ihrer Schwester wesentlich moderater argumentiert und durchaus reflektierter wirkt, wird in dieser Situation auch deutlich,
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dass es in entscheidendem Maß von den der Situation beiwohnenden Personen abhängig ist, wie reagiert und agiert wird. Richard legt einen sehr angriffslustigen Gesprächsstil an den Tag und auch seine Auswahl der Begriffe ist häufig diskriminierend und vulgär. An den nonverbalen Reaktionen seines Umfelds (Gesichtsausdruck, Abwenden, Ignorieren) ist durchaus zu erkennen, dass zumindest seine Art des Sprechens als unangenehm wahrgenommen wird. Was den Inhalt von Richards Aussagen betrifft, kann aus nonverbalen Reaktionen seines Umfelds jedoch weder Ablehnung noch Zustimmung mit Sicherheit gelesen werden. Richard versucht einerseits, mit seinen extremen Aussagen zu provozieren, da er Diskussionen und Auseinandersetzungen sehr schätzt. Wird ihm jedoch von Beginn an zugestimmt, verstärkt er die Provokation, um dieses Ziel der Konfrontation und Aufmerksamkeit zu erreichen. Andererseits nimmt er rassistische und sexistische Positionen nicht nur zum Zweck der Herausforderung ein, sondern er scheint wirklich überzeugt von diesen, da es ihm auch wichtig ist, sein Umfeld zu dieser Haltung umzustimmen. Gegenteilige Meinungen werden mit Aussagen wie „San lauter Trotteln“, „Du host jo ka Ahnung“ abgetan und gehen mit einer Abwertung der einzelnen Personen einher.
Ü BER DIE AKTEUR _ INNEN DES R ASSISMUS : EINE Z USAMMENFASSUNG Zu Beginn der Feldforschung war das in den beschriebenen Situationen beobachtete Dominanzverhalten noch nicht in markanter Weise aufgefallen. Erst nachdem sich Konstellationen wie diese regelmäßig wiederholten, und zwar mit den gleichen Opinion Leaders, aber unterschiedlichen Beteiligten, richtete sich meine Aufmerksamkeit stärker auf die Mechanismen hinter solchen Begebenheiten. Was haben die Beobachtungen in Beziehungsnetz A und C nun gemeinsam? In den Diskussionen agieren immer jene Personen richtungsweisend und die anderen in ihren Meinungen beeinflussend, die auch die zentralen Rollen bezüglich Status und Anerkennung der untersuchten Beziehungsnetze einnehmen und damit, wie eingangs erwähnt, als Opinion Leaders bezeichnet werden können. Richard (A) und Maria (C) sind sich in dieser
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Rolle auch insofern ähnlich, als sie ihre Meinungen und Einstellungen unverblümt und lautstark ausdrücken. Für diesen scheinbaren „Mut zur Wahrheit“, erhalten sie von den anderen Mitgliedern der jeweiligen Speech Community Anerkennung, d. h. soziales Kapital. Hier aktualisieren sich somit ständig das von Bourdieu diskutierte Kennen und Anerkennen in Beziehungen. Ein wesentlicher Ausgangspunkt meines Forschungsinteresses besteht darin, dass Verbote von Aussagen und Meinungen zu erheblichem (individuellen und kollektiven) Unmut führen. Viele Menschen scheinen das Gefühl zu haben, nicht sagen zu dürfen, was sie denken. Diese erzwungene Zurückhaltung macht die einzelnen Personen wütend. Dies ist auch der Grund dafür, dass Maria und Richard so viel Bewunderung ernten, zumal sie dieses Tabu nicht akzeptieren. Es erinnert an die Anerkennung, die Politiker_innen wie Heinz-Christian Strache oder Jörg Haider erhalten/ erhielten, wenn sie gesellschaftlich tabuisierte, aber in der Gesellschaft dennoch brisante Themen öffentlich ansprechen/ansprachen. Baukje Prins (2002) beschreibt ein ähnliches Phänomen in den Niederlanden, das sich vor allem nach der Ermordung des niederländischen rechts-außen Politikers Pim Fortyn am 6. Mai 2002 verstärkte und nennt es „New Realism“ (Prins 2002). Sie charakterisiert diesen „neuen Realismus“ mit fünf Eigenschaften: Neuer Realismus beinhaltet die Notwendigkeit der „Mitte der Gesellschaft“ und vor allem auch den unteren Schichten und Klassen in den städtischen Außenbezirken zuzuhören, bzw. auf sie zu hören. Diese Menschen wüssten aus erster Hand und auf Basis täglich erlebter Nachbar_innenschaft, wie es ist mit den Migrant_innen zu leben. Sie seien außerdem nicht geblendet von „politisch korrekten“ Ideen. (Prins/Saharso 2008: 367) Ein_e „neue_r Realist_in“ stellt sich selbst dar als jemand, der_die es wagt, den „Tatsachen“ ins Gesicht zu sehen, Tabus zu brechen und offen Wahrheiten auszusprechen, die der dominante Diskurs verdecken würde. (Prins/Saharso 2008: 367) „Neue Realist_innen“ sind außerdem der Meinung, es sei an der Zeit die Macht der Elite zu brechen, denn sie hätte bereits zu lange die Politik der korrekten Sensibilität dominiert, und einen relativistischen Ansatz im Kontext der Werte verschiedener Kulturen und ihrer nachlässige Strategien der Toleranz verfolgt. „New Realists“ wollen im Gegensatz zu diesem Relativismus eine Zustimmung zu den Werten der westlichen Zivilisation abseits des Islam, sowie die Trennung von Staat und Kirche, Meinungsfreiheit
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und die Gleichheit von Frauen und Männern (Prins/Saharso 2008: 367f). Ein weiterer Aspekt ist das Insistieren auf die nationale Identität. Es handelt sich dabei um ein Wiederaufleben des Patriotismus und eine Neuerfindung der niederländischen Leitkultur. Und als letzter Aspekt ist zu zeigen, dass der „New-Realist“ Diskurs stark gegenderd ist. „From the very beginning, when participants in the debate on multiculturalism wanted to prove the relevance of the issue at hand, they referred to issues of gender and sexuality, such as the headscarf, arranged or forced marriage, female genital mutilation (FGM), honour killing, the cultus of virginity, domestic violence and homophobia.“ (Prins/Saharso 2008: 368)
Die genannten Eigenschaften eines „neuen Realismus“ treffen in den Beziehungsnetzen A und C zwar zu, jedoch sind die dominanten Gruppenpositionen bestimmter Personen und deren reine Lautstärke und Unverblümtheit ihrer Äußerungen kaum Erklärung genug für die beobachtete Auswirkung auf die kollektive Meinung. Im Zuge meiner Feldforschung wurde deutlich, dass negative Assoziationen zu „den Anderen“ in Speech Communities leicht Gehör finden bzw. gerne aufgenommen werden. Darüber hinaus zeigt sich, dass negative bzw. irritierende Erfahrungen mit „den Anderen“ oder Vermutungen über „die Anderen“ das Bedürfnis dieser Gruppen stillen, sich nach außen hin abzugrenzen und so auch „das Selbst“ zu definieren – wenn auch nur implizit bzw. passiv. Denn Behauptungen wie „deren schlechter Umgang mit Frauen“ implizieren, dass dies bei uns nicht der Fall ist. Wenn „denen nicht zu trauen ist“, dann trifft dies auf Einheimische, also sie selbst bzw. die Gruppe, offensichtlich nicht zu. Die sehr weite Definition von Birgit Rommelspacher (1993) zu Rassismus und der von ihr eingeführte Begriff der Dominanzkultur sind hier aufschlussreich. In beiden sind der Aspekt der Rechtfertigung von Privilegien durch die Mehrheitsgesellschaft und jener der Abwertung von anderen Menschen, um den eigenen Status zu legitimieren, integriert. Gruppenprozesse dieser Art innerhalb der Mehrheitsgesellschaft wurden bereits von Marianne Gullestad (2002) beschrieben, auf deren Forschungen ich später noch genauer eingehe. Grenzziehungen und die Herstellung von Mehrheiten gegenüber Minderheiten, wie sie auch in den beschriebenen Beziehungsnetzen stattfinden, sind Prozesse, die Baumann mit dem Modell von selfing und othering be-
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schreibt (Baumann 2004: 19). Beide Prozesse spielen bei der Herausbildung von Rassismus eine entscheidende Rolle und machen dieses Phänomen analytisch greifbarer. Es geht dabei um eine Art der Identitätsbildung durch Aus- und/oder Abgrenzung, wofür drei „Grammatiken“ unterschieden werden, sprich Formen bzw. Strukturen, wie in gesellschaftlichen Diskursen Eigenheit und Fremdheit konstruiert werden. Die drei Grammatiken 2 orientalism, segmentation und encompassment, die er als Klassifikationsschemata in diesem Zusammenhang vorstellt, unterliegen einem Prozess von othering und selfing und sollen einen theoretischen Rahmen für soziokulturelle Phänomene darstellen. Somit können Einschluss und Ausschluss beschrieben werden. Dieses „Bedürfnis nach Abgrenzung“ wäre demnach eine plausible Erklärung für die Leichtigkeit, mit der rassistisches oder diskriminierendes Gedankengut Eingang in den Meinungsbildungsprozess der beforschten Gruppen findet, und auch dafür, warum die dies aussprechenden Personen dafür Anerkennung erfahren. Sie fungieren sozusagen als Wächter_innen über die „Einheit der Gruppe“, indem sie das „Bedrohliche von außen“ anprangern bzw. abwehren. Erwähnenswert ist in diesem Kontext, dass den jeweiligen Opinion Leaders dabei selten bis nie widersprochen wird und sich auch die restlichen Mitglieder eines Beziehungsnetzes auffallend meinungshomogen präsentieren, zumindest in Gruppensituationen. Auch noch so heftige Ausfälligkeiten Einzelner werden nur selten kommentiert oder gar sanktioniert, auch nicht von Personen, die in Einzelinterviews eine gegenteilige Haltung glaubhaft machen konnten. Wie oben angemerkt beschränkt sich dieses Verhalten jedoch auf Themen der „Abgrenzung nach außen“. Bei anderen Themen ist dies nicht beobachtbar, beispielsweise wenn der in Beziehungsnetz A ausgeübte Sport debattiert wird. In solchen Fällen gestaltet sich die Auseinandersetzung wesentlich offener und differenzierter. Meinungsverschiedenheiten werden gerne und gelegentlich auch lautstark ausgetragen. Richtet sich die Diskussion dann jedoch wieder gegen „die Anderen“ oder
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Der Autor besteht nicht auf die jeweilige Exklusivität dieser drei Grammatiken, da für eine soziale Situation des selfing und othering häufig mehrere Grammatiken gleichzeitig benutzt werden (können). Es handelt sich vielmehr um konkurrierende (teils auch komplementäre) Varianten von Identitäts- bzw. Alteritätskonstruktionen (Baumann 2004: 25ff).
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wird sie gar bewusst in diese Richtung gelenkt, ist Widerspruch erneut tabu bzw. wird stark sanktioniert. In Zweiergesprächen im Rahmen meiner Interviews konnte ich sehr wohl auch feststellen, dass es den einzelnen Personen durchaus wichtig erschien, mir gegenüber eine differenziertere Haltung einzunehmen, als sie es in der Gruppensituation taten, und sich nicht als rassistisch oder unkritisch zu positionieren. Dieses Verhalten lässt sich ebenfalls mit dem Streben nach Anerkennung bzw. sozialem Kapital erklären, zumal den Personen meine eigene Einstellung zu diesem Thema ja bewusst war und sie daher annahmen, durch rassistische oder unkritische Äußerungen ihr soziales Kapital im Kontext meines Feldes zu schmälern. Dieses Verhalten legt den Rückschluss nahe, dass es stark vom jeweiligen Kontext abhängt, wie sich Personen positionieren bzw. in welche Richtung sie, wenn überhaupt, ihre persönliche Meinung äußern. Die Feldforschung legte offen, wie groß dieser Unterschied im Beziehen von Positionen sein kann, wie spontan von der einen in eine entgegengesetzte Position gewechselt werden kann und wie mächtig daher der Einfluss einer sozialen Gruppe auf die Meinungsbilder und Weltsichten ihrer Akteur_innen sein muss. Wie ist es nun erklärbar, dass Personen innerhalb ihrer Speech Communities teilweise völlig diametrale Haltungen zu ihren persönlichen Gedanken und Meinungen einnehmen? Obwohl die Personen innerhalb der jeweiligen Beziehungsnetze nicht immer einer Meinung sind, was Rassismen betrifft, teilen sie doch eine Speech Community aufgrund von Gemeinsamkeiten auf anderen, nicht „das Fremde in der Gesellschaft“ betreffenden Ebenen. Eine Speech Community kann insofern auch verstärkend wirken, als sie ihren Mitgliedern sozialen Rückhalt gibt – nach dem Motto „Dort kann ich sagen, was ich mir denke“. Nach „außen hin“ geben die Mitglieder von Sprachgemeinschaften dann die durch die Gruppe implizit bestätigten Ansichten gepaart mit ihrer eigenen Meinung (die unter Umständen sogar im Widerspruch dazu stehen kann) non-/verbal wieder. Dies tun sie in einer mächtigeren, selbstbewussteren Art und Weise, als es ihnen als Einzelpersonen möglich wäre. Dies führt zu der Frage, wer nun die Akteur_innen von Rassismus sind? Rassistische Haltungen und Handlungen werden (mit) geprägt durch Politik, rechtliche Strukturen, Schule, Medien und soziales Umfeld. Diese Positionierungen äußern sich in mehr oder weniger argumentierten Kategorien und Kollektivsymbolen – etwa anhand von Konzepten wie „Heimat“, „Na-
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tion“ und „Wir“. Die aktiv oder passiv rassistisch Handelnden der „Mitte der Gesellschaft“ wurden bisher aber kaum in eine Theorie zu Rassismus mit einbezogen. Marianne Gullestad (2002) ist eine der wenigen, die ein ähnliches Phänomen auf Basis ihrer Forschungen in der Mehrheitsgesellschaft in Norwegen diskutiert. Dafür verwendet sie den Begriff imagined sameness. Sie geht davon aus, dass Vorstellungen über Gleichheit (equality) zu einem Identifikationsprozess führen, durch den Menschen nach Gemeinsamkeiten suchen, um sich gleichwertig zu fühlen. Dieser Prozess ist in jeder Gesellschaft verschieden und zielt darauf ab, Spannungen innerhalb einer Gesellschaft zwischen Individuum und Gruppe auszugleichen. „When they thus manage to establish a definition of the situation focusing on sameness, each of the parties – paradoxically – also gains confirmation of their individual value“ (Gullestad 2002: 46f).
Durch eine derartige Identifikation über Gleichheit bzw. Gemeinsamkeit erlangen die Betroffenen laut Gullestad eine Bestätigung ihrer eigenen Wertigkeit. Um ihre eigenen Identitäten auf diese Art bezeugt zu bekommen, brauchen Menschen jedoch für sie relevante „Andere“, die zudem bereit und fähig dazu sind, sie zu beachten und zu unterstützen. Dahinter steckt die Logik, dass eine relevante Bestätigung nur von Menschen kommen kann, die als „gleich(-artig bzw. -wertig)“ angesehen werden. Das wiederum führt zu einer Art der Interaktion, in der Gemeinsamkeiten hervorgehoben, während Unterschiede herabgespielt werden. Dabei steht eine tatsächlich beobachtbare Gleichheit nicht im Vordergrund, sondern es geht eher um einen „Stil“ und/oder eine „Lebensart“. Diese Gesetzmäßigkeit findet sich sowohl in egalitären als auch in hierarchischen Gesellschaftsmodellen und impliziert bereits Probleme, wenn beispielsweise Migrant_innen als „zu anders“ wahrgenommen werden. Ist dies der Fall, so Gullestad, werden diese „Anderen“ oft gemieden. Denn ein offener Konflikt (etwa über das „Anderssein“) wird als Bedrohung für erwünschte Grundwerte wie Frieden und Ruhe gesehen. Dieses Meiden kann zeitlich sowohl vor dem Prozess einer konstruierten Gleichheit 3 zur Anwendung
3
Gleichheit ist hier in der Bedeutung von sameness gemeint und nicht im Sinne von equality.
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kommen als auch danach, wenn dieses Konstrukt nicht mehr einfach aufrechtzuerhalten ist. Das Resultat ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Menschen in Bezug auf ihre sozialen Schichten, während gleichzeitig die Differenzen zwischen Mehrheitsgesellschaft und Immigrant_innen hervorgehoben werden (Gullestad 2002: 46f). Die imagined sameness, eine vorgestellte Gleichheit, war auch in den Beziehungsnetzen der vorliegenden Forschung zu beobachten: Obwohl sich die Mitglieder der Beziehungsnetzwerke in Bildungsgrad, Geschlecht, sexueller Identität, Status, Alter und auch in Einstellungen und Ideologien unterscheiden, so sind sie doch über eine Speech Community verbunden, welche vor allem durch vorgestellte gemeinsame Werte und Gemeinsamkeiten ihren Ausdruck findet. Unterschiede werden im Rahmen der Speech Community indes kaum relevant bzw. heruntergespielt oder übergangen; außer diese betreffen sportliche Leistungen in Beziehungsnetz A oder beispielsweise die „Leistungen“ beim Alkoholkonsum in Beziehungsnetz C. Einer möglichen Antwort auf die oben gestellte Frage nach den eigentlichen Akteur_innen von Rassismus bringt uns die Betrachtung von Prozessen in Speech Communities insofern näher, als dadurch deutlich wird, dass Personen durch ihre Einbindung in solche Beziehungsnetze in ihren Meinungen und Handlungen nicht als isolierte Individuen agieren, sondern stark durch ihr soziales Umfeld geprägt werden. Die Täter_innen sind zwar die jeweiligen rassistisch sprechenden respektive handelnden Personen, doch eine rassistische Äußerung oder Handlung, wenn auch nur von einer Einzelperson getätigt, ist als ein diskursives Produkt dieser (Gruppen-) Prozesse zu verstehen. Auf diese Weise betrachtet wird nicht nur, wie bereits erläutert, die Aufnahmebereitschaft der Mehrheitsgesellschaft, was rassistisches oder ausgrenzendes Gedankengut anbelangt, erfassbarer. Sondern es werden die Schwierigkeiten diesen Rassismus zu bekämpfen deutlich, denn es bedarf dazu weit mehr, als die persönliche Meinung einzelner Menschen zu ändern. Sind diese in einem sozialen Netzwerk eingebunden in dem eine andere „Gruppenmeinung“ vorherrscht, bzw. müssen sie fürchten, für ihre abweichende Sichtweise mit Entzug von sozialem Kapital „abgestraft“ zu werden, kann dies dazu führen, die Ansichten und Meinungen der Gruppe über die eigenen zu stellen.
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Um zu verdeutlichen, dass dieser Prozess der Meinungsbildung durch Speech Communities nicht nur im Kontext von Rassismus der Mehrheitsgesellschaft relevant ist, beleuchte ich nachfolgend ein Phänomen näher, das auf den ersten Blick nur wenig mit den Prozessen in den Beziehungsnetzen A oder C gemein hat, aber doch Ähnlichkeiten in der Gruppendynamik aufweist: das Herstellen politischer Korrektheit.
Herstellen von Political Correctness als Gruppenphänomen im Antirassismus
Im Rahmen der Forschung fiel nicht nur das Herstellen von Differenz und Rassismus als Gruppenphänomen auf, das im Rahmen von Speech Communities beobachtet werden konnte, sondern auch ein Phänomen, das „typischerweise“ dem Antirassismus zugeordnet wird und auf die Meinungsbildung der Mitglieder dieser Beziehungsnetze auf ähnliche Weise Einfluss nimmt: die Political Correctness, kurz PCness oder übersetzt politische Korrektheit. Um die Bedeutung dieses Phänomens in dem von mir untersuchten Beziehungsnetz B, zusammengesetzt durch Mitarbeiter_innen einer österreichischen NGO, erklärbar zu machen, möchte ich einleitend kurz näher auf die Bedeutung und die Entstehungsgeschichte des Begriffs PCness eingehen.
W IEDERKEHRENDER T OPOS P OLITISCHE KORREKTHEIT
IM
ANTIRASSISMUS –
Immer wieder führen Debatten über die (Un)Korrektheit des Kinderlieds „Zehn kleine Negerlein“, das Logo des Meinl Mohren oder jenes von der Biermarke Mohrenbräu, Zigeunerräder oder Eis von Eskimo, aber auch Krankheiten wie die „Mexikogrippe“ zu ausführlichen und polarisierenden Auseinandersetzungen in der österreichischen Medienlandschaft und dadurch auch im öffentlichen Raum.
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Im Juli 2009 war die Werbekampagne von Eskimo „I will mohr“ 1 von einer hitzigen Debatte in Österreich über Sprache und Diskriminierung begleitet. Simon Inou 2, der meint, das M-Wort sei im deutschsprachigen Raum eine Beleidigung, wurde in Medienberichten, Leser_innenbriefen und in Onlineforen eine übertriebene Reaktion vorgeworfen. Nicht nur im wissenschaftlichen Kontext haben Sprache und Ausdrucksweise prägende Relevanz beim Formen von Gesellschaft. Sprache ist auch ein bedeutungsvolles und mächtiges Mittel, um Diskriminierung zu manifestieren, zu verbreiten und zu materialisieren. Ebenso vielschichtig wie die Wirkungsweise ist daher auch das Bedürfnis nach Veränderung von Sprachgebrauch bzw. zumindest nach dessen „korrekter“ Verwendung (PCness), das aus den unterschiedlichsten Motivationen hervorgehen kann: z. B. um Diskriminierung zu verhindern, Systeme zu verändern, aufgrund von wissenschaftlichem Interesse oder um eigene sozialisierte Denkmuster zu durchbrechen. In meiner Vorlesung im Jahr 2005 an der Universität Wien mit dem Titel „Reflexionen über diskriminierenden Sprachgebrauch“ war PCness auch für die Studierenden eines der wichtigsten Themen. Viele von ihnen besuchten die Lehrveranstaltung eben aus dem Grund, um Rezepte und Anleitungen zu der schwierigen Frage zu bekommen, „wie etwas gesagt werden sollte, könnte, dürfte“, damit nicht Ungleichheiten in der Sprache perpetuiert werden. Waren diese Studierenden nun von Moral motiviert oder von einem Erkenntnisinteresse und davon, Begriffe wissenschaftlich korrekt zu prägen? Die Ergebnisse der empirischen Arbeit weisen darauf hin, dass dabei wohl beide Aspekte eine wesentliche Rolle spielen. PCness stellt weiters ein Ideal, aber auch eine Form imaginierter Kontrolle durch eigene Reflexivität dar, wobei es im Rahmen dieser Forschung besonders interessant erscheint, dass PCness für viele Gruppen, wie z. B. NGOs, eines der zentralsten Identifikationsmerkmale, was die Gruppenzugehörigkeit anbelangt, darstellt. Mehr dazu gleich.
1
Diskussionen zu der Kampagne u.a. unter www.pi-news.net/2009/07/aus-fuer-iwill-mohr [2.3.2011] oder http://derstandard.at/1246542755878/EskimoWerbung-regt-auf-I-will-mohr-Werberat-prueft [2.3.2011]
2
Simon Inou ist Redakteur und Projektleiter von M-MEDIA, einem Verein zur Förderung interkultureller Medienarbeit (www.m-media.or.at).
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Der Begriff PCness ist in seiner Geschichte und Bedeutung vielschichtig und problembehaftet. Die ursprüngliche Prägung des Begriffs fand in den USA der 1960er statt, wobei die damalige Verwendung sich in einer Form von Selbstironie der politischen Linken zeigte. Politically correct zu sein war demnach eine „Selbstkritik an anderen Gleichgesinnten“. Erst in einem weiteren Schritt in den 1980ern wurde der Begriff durch seine massenmediale Verwendung zur Fremdbezeichnung und hierbei als Kritik an Linken, Feminist_innen und Antirassist_innen benützt. In den 1990ern kam es dann zu einer Verwendung und Übernahme des Begriffs durch Konservative und rechtsgerichtete Gruppen, was eine ausschließlich negative Konnotation mit sich brachte (Auer 2002). In Summe war dieser Diskurs akademisch und medial geprägt. In der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wurde zu diesem Zeitpunkt der Begriff „Political Correctness“ übernommen, mit direktem Bezug auf die USDebatten, in denen PCness als Gefährdung der Demokratie thematisiert wurde. Hier waren es in erster Linie neokonservative und rechtsextreme Autor_innen, die sich in Büchern und bundesdeutschen Medien dazu zu Wort meldeten. In Österreich stellte sich die Situation dagegen anders dar. Mitte der 1990er etablierten sich in Tageszeitungen in der Form von Kommentaren und Leser_innenbriefen Bezug nehmend auf PCness sexistische, homophobe, rassistische und antisemitische Formen von Provokationen (Auer 2002: 292ff). Heute ist PCness als alltagssprachliche und spezialisierte Form der Ausdrucks- oder Lebensweise vor allem im sprachlichen Alltag von sogenannten (politisch) Liberalen, Linken, Grünen und/oder NGO-Mitarbeiter_innen relevant, die sich mit der sensiblen Verwendung von Sprache auseinandersetzen (möchten). In diesen Umfeldern wurden zugleich aber auch das sarkastische und bisweilen zynische Potential sowie die negativen Zuschreibungen zu Political Correctness erkannt. Diese werden (situationsbezogen) in den jeweiligen Sprachgebrauch mit eingebunden, wenngleich die positive und konstruktive Beschäftigung damit im Mittelpunkt steht. Obwohl die „Gruppe der PCs“ nur als eine fiktive homogene Gruppe anzusehen ist, werden darüber Oppositionen hergestellt wie zum Beispiel PCs vs. Rassist_innen vs. Migrant_innen vs. Sexist_innen (diese Gegensätze enthalten ebenfalls Zuschreibungen und Wertungen).
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In seiner weiteren Verwendung bezieht sich Political Correctness mittlerweile nicht nur noch auf den Sprachgebrauch, sondern auch auf Dinge, Situationen und Ereignisse, so z. B. „Wie politisch korrekt ist Öl aus Österreich?“ oder „Computerspiele werden politisch korrekt“ (ORF 3). Was bedeutet, politically correct zu sein? Was ist politisch fehler- oder einwandfrei und richtig? Was nicht? Die Frage, was genau mit der Wortkombination aus politisch und korrekt 4 gemeint ist, wird hier nicht zum ersten Mal gestellt 5. „Der Begriff ‚korrekt‘ beschreibt die Möglichkeit oder gar die Realisierung der Übereinstimmung eines Geschehens, oder einer Feststellung, eines Verhaltens mit einer identifizierbaren Regel, […] kurz, einer Norm. ‚Korrekt‘ ist man nur in Kongruenz mit dieser Norm. Die geringste Abweichung ist eine oder führt zu einer Unkorrektheit. […] Der Begriff ‚politisch‘ beinhaltet öffentlich ausgetragene Interessenkonflikte von überindividueller, gegebenenfalls gesamtgesellschaftlicher Bedeutung, die aber oft mit individuellen Motiven unterfüttert sind.“ (Erdl 2004: 207f)
Doch wer oder welche Insitution hat nun die Definitionsmacht über politische Korrektheit oder Unkorrektheit? Im Zuge meiner Forschungen verwiesen zahlreiche Befragte diesbezüglich auf „die Wissenschaft“. Die Disziplin der Sozial- und Kulturanthropologie – in der das Umbenennen von Phänomenen und das Umdeuten von Begriffen zum Wissenschaftsalltag zählt – hat immer wieder dazu beigetragen, vorhandene Konzepte (innerhalb unterschiedlicher Denkrichtungen) neu zu prägen (siehe „Kultur“, „Rasse“, „Ethnie“, „Stamm“). Bis heute gibt es jedoch nicht annähernd einen Konsens über die adäquate Verwendung von vielen zentralen Begrifflichkeiten. Auf wissenschaftliche Publikationen, die historisch genaue Ableitungen von negativ konnotierten Begriffen erklären und auch Alternativen anbieten (zum Beispiel Arndt 2004), wird mitunter auch von Wissenschaftler_innen mit sehr starker Ablehnung reagiert, obwohl diese
3
http://news.orf.at [3.2.2009]
4
Ähnliche Wortkombinationen wie „moralisch korrekt“ oder „juristisch korrekt“ haben sich nicht nachhaltig durchgesetzt (Erdl 2004: 311).
5
Ausführliche Auseinandersetzungen mit dem Phänomen finden sich bei Auer (2002), Diederichsen (1996) und Erdl (2004).
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Arbeiten meist nicht mit Moral, sondern mit (Begriffs-)Geschichte und Ideologiekritik argumentieren. Meine Erhebungen haben ergeben, dass selbst innerhalb spezialisierter Gruppen wie NGOs nicht (mehr) klar ist, wie die „Anderen“ benannt, beschrieben und bezeichnet werden können, sollen und dürfen bzw. welche Empfehlungen im (sprachlichen) Umgang mit anderen gegeben werden können. Vielfach geht es den zweifelnden Sprecher_innen dabei auch nur um die Fremd- bzw. Selbstpräsentation, das heißt darum, was andere von ihnen denken, wenn sie bestimmte Begriffe schon, noch nicht, noch immer oder nicht mehr verwenden. Unter den befragten Personen der NGO (Beziehungsnetz B) herrschen zunehmend Unsicherheit und Zögern, eine klare Meinung zu vertreten; vor allem in Bezug darauf, was gesagt werden darf bzw. wie „Andere“ bezeichnet werden dürfen. Demzufolge stellt sich die Frage, welche Begriffe aufgrund welcher Kriterien „korrekt“ in ihrer Anwendung sind und welche eben nicht. Dabei ist aber auch zu hinterfragen, ob und worin ein Unterschied zwischen „wissenschaftlich“ und „politisch korrekt“ besteht. Beispiele für derartige Irritationen und Unsicherheiten zeigten sich in den durchgeführten Interviews und im Zuge der Feldforschung. Beispielsweise wurde in der Diskussion um die EU-Osterweiterung und im Speziellen anhand der öffentlichen Diskussion über einen möglichen EU-Beitritt der Türkei eine zunehmende Verunsicherung erkennbar, wenn es darum ging, eine öffentliche Meinung in Bezug auf die Türkei, Türk_innen und den Islam kund zu tun. Die Interviewpartner_innen beklagten sich, dass es ohnehin schon schwer ist, sich eine Meinung zu bilden, geschweige denn eine zu vertreten, ohne dabei ins Kreuzfeuer der politisch Rechten, der Linken und sogar der Mitte zu geraten. Der öffentliche Diskurs ist dermaßen polarisiert und ihr Bedürfnis, korrekt zu sein, hemmt sie mitunter, kritische Sachfragen aufzuwerfen und zu diskutieren.
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SIND SO ALTERNATIV UND SO POLITISCH KORREKT UND VOR ALLEM GRENZENLOS “ Eva (B) spricht im Zusammenhang mit PCness etwa von einem Bild, das wir in „unseren Umgebungen“ gerne von „uns“ haben. Sie bezieht mich als Interviewerin in dieses „Wir“ mit ein und meint demzufolge Mitarbei-
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ter_innen von NGOs sowie Sozialwissenschaftler_innen. Später führt sie dieses „Wir“ noch konkreter aus: „wir, sag ich jetzt mal, diese was auch immer PCs und cool.“ Dieses Bild beschreibt sie ironisch als „Wir sind eigentlich super“, „Wir sind so ganz anders“, „Wir finden den Brunnenmarkt chic und lässig“ und als Abschluss „wir sind so alternativ und so politisch korrekt und vor allem grenzenlos“. „Ich glaub aber, die Substandardwohnungen find ma weniger lässig, in die manche Leut dann wohnen.“ In dieser Aussage werden eine fiktive Gruppe, die Bezugnahme auf eine Speech Community sowie die Idee einer Gemeinsamkeit auf der Ebene von PCness spürbar. Eva bezieht sich zunächst auf Mitarbeiter_innen oder Mitglieder von NGOs. Aber die PCs haben bei ihr noch etwas Anderes gemeinsam: nämlich den, sich politisch korrekt zu fühlen und dies als Teil der eigenen Identität zu definieren. Hieran zeigt sich eine Homogenisierung hinsichtlich der Interaktion zwischen Menschen mit gleichen Wertvorstellungen. Evas Perspektive ist geprägt durch ihre Mitarbeit in einer NGO. Sie ist selbst Sozialwissenschaftlerin und schon sehr lange im Bereich der Menschenrechts- und Antidiskriminierungsarbeit tätig. Wie bereits erläutert beziehen sich ihre Vorannahmen, die sie im Interview zum Ausdruck bringt, auf ein „Wir“ und sie nimmt an, dass klar ist, wer damit gemeint ist. Zudem geht sie von einer relativen Abgeschlossenheit und Homogenität dieser Wir-Gruppe aus. Wären privilegierte Menschen bereit ihre Normen und Werte zu verändern, würde sich der Komfort in ihrem Leben zum Negativen verändern, vermutet Eva. Der Hauptwert dieses „Wir“-Gefühls liegt daher – im Rahmen einer von Eva geäußerten Selbstkritik darin, „lässig, cool und pc“ zu sein. Allerdings existiert dieser Wert lediglich an der Oberfläche, da die definierte Gruppe dazu den vorhandenen eigenen Luxus benötigt. Insofern spricht sie von einer „linken Bildungselite“. Was Eva (B) vor allem glaubt zu sehen, ist, dass politisch korrektes Sprechen sich stark von den konkreten gelebten Realitäten unterscheidet. Denn vor diesen würden sehr viele zurückschrecken. Mit dem ihrerseits verwendeten „Wir“ impliziert sie auch eine kollektive Verantwortung. Durch ihre Aussagen deutet sie an, „die Migrant_innen“ seien arm und wir reich. Dieses „Wir“ bleibt also in bestimmten Aspekten unreflektiert. Eva erkennt dies zwar, verharrt aber trotzdem in dieser Position. Weiters bedient sie Klischeevorstellungen, etwa jene von „Großfamilien in kleinen Wohnungen“. Dabei ist es bemerkenswert, dass sie sich durch ihre intensiven Auseinandersetzungen mit der Thematik sowohl in
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einer Beobachtungs- als auch in einer Handlungsfunktion befindet. Sie beobachtet von außen und sieht sich gleichzeitig außerhalb und innerhalb des „Wir“. Auffällig ist, dass sie einen direkten Zusammenhang zwischen der Abschottung von Kulturen und Armut herstellt. Eine weitere Opposition, die bei ihr zu finden ist, bildet nicht „wir versus Rassist_innen“ oder „Rassist_innen versus türkische Community“, sondern „Wir, die PCs“ im Kontrast zur „türkischen Community“. Da sie ausschließlich von den türkischen Communitys spricht und diese in Österreich als das größte Problem sieht (etwa wie die „Bangladeschis in London“), schafft sie damit ein außergewöhnliches oppositionelles Spezifikum. Ein solches kommt auch in Interviews mit anderen Personen zum Ausdruck, in denen es allerdings verstärkt um die Gegensätze „türkische Community versus Feminist_innen“ geht, also auch darum, Sexismus mit Rassismus zu bekämpfen. Eva schwächt ihre Aussagen allerdings immer wieder durch vage Quantifizierungen ab, die keine Eindeutigkeit zulassen („manches“, „was ich immer mehr sehe“, „machen Leute“). Durch derartige ungenaue Angaben lässt sie vieles offen und vermeidet so, sich festlegen zu müssen. Dadurch kann sie ihre PCness weiter leben, obwohl sie diese gleichzeitig kritisiert. Hierbei wird der Unterschied zwischen PCness und politischer Aktivität oder konkreter wissenschaftlicher Standpunktbeziehung deutlich.
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Bei einem weiteren Interviewpartner wird ebenfalls der schmale Grat zwischen der Korrektheit und Unsicherheit von Aussagen sichtbar: „[…] Und donn glaub i, weil a söwa betroffen bin – davon – i man des im durchaus positiven Sinn, owa des kon leida monchmoi negative Auswirkungen hobn, nämlich die Durchmischung von – jetzt deaf i nix Foisches sogn – owa von Kulturen vielleicht.“ (Thomas, B)
Hier dient der erste Satz dazu einerseits die darauf folgende Aussage legitimieren, indem er durch seinen persönlichen Bezug sich selbst das Recht zuerkennt, diese zu tätigen. Es fällt auf, dass dabei durch gewisse (willkürliche und individualisierte) Ausnahmearrangements die legitimierte Möglichkeit geschaffen wird, temporär für eine Aussage aus dem PC-Talk aus-
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zusteigen. Andererseits soll sie gleichzeitig relativieren, da er versucht, die anschließende Aussage von vornherein abzuschwächen. Überdies impliziert er auch, er dürfe vor mir (als Instanz) nichts Falsches sagen, und baut somit eine hierarchische Stufe zwischen uns ein. Zugleich zeigt er durch das „jetzt deaf i nix Foisches sogn“ auch ein Bewusstsein dafür, dass seine Aussage problematisch/kritisch ist und er sich damit gegen gewisse Meinungen/Erkenntnisse stellt, z. B. gegen jene, die er mir als Interviewende unterstellt. Mir wird dabei die Rolle der Entscheidenden über Korrektheit und Unkorrektheit zugeschrieben, was nebenbei bemerkt nicht nur die Situation dieses Interviews beeinflusst haben mag. Thomas (B) nimmt an, es gäbe (moralisch) Falsches und Richtiges, denn inhaltlich ist er sich sicher, dass er im Recht ist. Auch er definiert abgeschlossene Kulturen und meint, die Vermischung dieser bzw. bikulturelle Beziehungen hätten sowohl positive als auch negative Auswirkungen in der Geschichte und Gegenwart gehabt. Bei ihm bezieht sich diese Befürchtung etwas Falsches zu sagen auf den Kulturbegriff und sein Verständnis dessen. Ihm ist bewusst, hätte er eine andere Ausdrucksweise gewählt, hätte er etwas Falsches gesagt – etwas, das ich als sein Gegenüber wahrscheinlich nicht goutiert hätte, jemand anders (etwa aus seinem familiären Umfeld) hingegen möglicherweise durchaus. Er verbindet also „moralisch richtig“ mit „korrekt“ und „moralisch falsch“ mit „nicht korrekt“, und betrachtet demnach „moralisch richtig“ und somit „korrekt“ als gesellschaftlich definiert und akzeptiert. Dennoch gibt er zu verstehen, dass dieses „richtig“ bzw. „korrekt“ nicht unbedingt auch wahr sein muss, etwas „Falsches“/ „Nichtkorrektes“ hingegen auch wahr sein kann. Das bedeutet für ihn: Moral ist nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern sozial konstruiert und konventionalisiert. Dahinter liegt für ihn aber noch eine essentialistische Wahrheit, die zwar derzeit unkonform, aber eben wahr ist.
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PC BLEIBST
Sonja (B) zeigt grundsätzlich einen selbstreflexiven Zugang, innerhalb dessen sie aber PCsein stark idealisiert. Sie meint, dass sie es auch nicht immer schafft, pc zu sein, und dass dieser Anspruch ein hierarchisches Verhältnis beinhaltet. Im Hinblick auf PC sei sie nicht „ganz oben auf dem Thron“, denn sie hätte „auch noch nicht alles gecheckt“. Dabei definiert sie politi-
3 2/,7,&$/& 255(&71(66ALS G RUPPENPHÄNOMEN IM ANTIRASSISMUS | 199
sche Korrektheit mit dem entsprechenden Wissen und Verständnis dahinter als Ideal. Interessant in diesem Interview ist die weiter oben bereits erwähnte Frustration hinsichtlich sexistischer Diskriminierung. Wenn Sonja beispielsweise von türkischen Jugendlichen sexistisch diskriminiert wird, müsse sie ihrem Anspruch nach noch zusätzlich die Stärke aufbringen, pc zu sein, was im Rahmen ihrer eigenen Prinzipien, die feministisch dominiert sind, eine Herausforderung darstellt. In ihren diesbezüglichen Erläuterungen kommt eine (subjektiv erlebte) Fremdbestimmtheit zum Vorschein, die letztlich in ein Dilemma führt. Sie meint etwa, sie müsse Kraft aufbringen um in solchen Situationen politisch korrekt zu bleiben. Dies legt den Schluss nahe, dass sie selbst nicht die einzige Instanz ist, die ihr dieses Verhalten abverlangt. „Also überlegt hab i ma des ganz sicher oder mi mit anderen unterhalten, dass des irgenwie so oag is, dass’d jetzt irgendam Scheiß ausgesetzt bist und di aber no bemühn musst, dass’d PC bleibst.“ Dabei trennt sie jedoch sehr stark Beruf von der Freizeit. In der Arbeit hat sie (mehr oder weniger) den Auftrag, PCness zu vermitteln, während es sie in ihrer Freizeit mitunter stört, dass sie ihre Haltung vermitteln und rechtfertigen muss und trotzdem oft als Übertreibende abgestempelt wird. Als überempfindlich abgetan zu werden, bedeutet hier auch, dass ihr Anspruch nicht als Teil ihrer Kompetenzen angesehen wird. Daraus folgen häufig Stigmatisierungen als „überempfindliche Feministin“ und „Moralisiererin“. „[…] oba es geht mir genauso am Oasch, dass i dann immer die Deppate bin und ,die Überempfindliche‘ oder ,die Feministin‘ oder […] ,Antirassistin‘, ja genau, aber i sag immer, des sollt ma net so sagen. I weiß eh, dass si alle am Tisch denken, was i ma jetzt denk, des wissen eh alle. Aber i versuchs trotzdem, immer zu sagen, und sonst halt auf der Uni, i versuch immer, zu sagen, sowieso i man gegenüber Profs sowieso und hamma eh scho oft gredet, dann bin i halt da dann die Überempfindliche und Deppate und sicha geht ma des am Oasch.“ (Sonja, B)
Sonja (B) sieht ihre Sozialisation als Ursache für dieses Denken, gegen das sie ankämpfen müsse. Sie verbindet PCsein auch damit, sich selbst im Griff zu haben, also die prägende Sozialisation zu unterdrücken. Zugleich assoziiert sie PCness durchaus auch mit Arroganz – aus der Haltung heraus, dass sie nicht annimmt, dass die wirkliche PCness zu erreichen ist und sie deshalb „nur“ ein Ideal darstellt.
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Ihr liegt es fern, Hierarchien zwischen Rassist_innen und ihr selbst zu konstruieren, denn auch dies empfindet sie als diskriminierend. Beruflich sieht sie die Arbeit mit und über Rassist_innen herausfordernd und sie macht ihr auch Spaß. Die Grenze zwischen moralisch korrekt und trotzdem nicht beleidigend zu sein deutet sie als fließend. Den beliebten Scherz in ihrem Freund_innenkreis „A: Wieso kannst du so gut trommeln? B: Weil ich in meinem früheren Leben ein Neger war!“ interpretiert sie als politisch nicht korrekt. Das Sich-lustig-Machen kombiniert mit Rassismus im Sinne des Zuschreibens von Eigenschaften aufgrund von Herkunft hält sie für sehr problematisch (in diesem Fall: musikalisch zu sein aufgrund der dunklen Hautfarbe bzw. afrikanischen Herkunft).
ANALYTISCHE BETRACHTUNG Die Einhaltung der PCness in Bezug auf Rassismen und Sexismen ist innerhalb von Speech Communities besonders komplex, da sie von vielen Faktoren abhängig ist. Wenn beide Aspekte in ein und demselben Setting zum Tragen kommen, so eröffnen sich für PCs oft dilemmatische Situationen. Welche Bedeutung ein Begriff in seiner Anwendung erhält, ist vor allem von Geschlecht, Herkunft, Situation und Position der sprechenden Person abhängig. Außerdem handelt es sich hierbei nicht um ein stabiles System, sondern um eines, das sich ständig verändert und diversen situationsspezifischen (An-)Forderungen unterliegt. Für eine nähere Betrachtung erweist sich Pierre Bourdieus Antwort auf die Frage, ob Sprache im Zentrum der Analyse von Politik stehen sollte, als aufschlussreich: „[…] Entweder spricht man von der Sprache so, als hätte sie keine andere Funktion als die der Kommunikation; oder man macht sich daran, in den Worten das Prinzip der Macht zu suchen, die in bestimmten Fällen, durch Worte ausgeübt wird […]. Tatsächlich üben Worte eine typisch magische Macht aus: sie machen sehen, sie machen glauben, sie machen handeln. Aber wie im Fall der Magie muß man sich fragen, worin das Prinzip dieses Vorganges besteht; oder genauer welche die sozialen Bedingungen sind, die die magische Wirksamkeit der Worte möglich machen. Die Macht der Worte wirkt nur auf diejenigen, die disponiert sind, sie zu verstehen und auf sie zu hören, kurz ihnen Glauben zu schenken.“ (Bourdieu 1992: 83)
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Aus der Analyse des empirischen Materials lassen sich in Verbindung mit den theoretischen Erkenntnissen der Speech Community Theorie Ebenen herausfiltern, die darauf hinweisen, dass es nicht zwingend relevant ist, was mehrheitsgesellschaftlich politisch korrekt ist, sondern was in der jeweiligen Speech Community als politisch korrekt erachtet wird. Alle Interviewpartner_innen sind sich gewahr, dass Sprache und Diskriminierungen verschiedener Art in engem Zusammenhang stehen und fühlen sich im Rahmen ihrer eigenen Kreuzungspunkte von Kategorien (beispielsweise soziales Geschlecht, sexuelle Identität, ethnische, geografische und soziale Herkunft u. a. m.) auch davon betroffen bzw. sind betroffen durch Gegebenheiten in der Gesellschaft, durch die sich wiederum andere diskriminiert fühlen. All diese persönlichen Betroffenheiten sowie die beruflichen und politischen Ausrichtungen der Befragten führen zu einer verbalen Ausdrucksweise, die nicht eindeutig ist; sei es in der Verwendung von Begriffen oder bei der Formulierung von Inhalten. Innerhalb der jeweiligen Speech Community ist der unmittelbarste Referenzrahmen für PCness zu finden. Aber auch außerhalb dieser wird nach positiver und negativer Resonanz diesbezüglich gesucht. Da sich eine Speech Community über die gleiche Art, zu sprechen, definiert, betrifft dies auch das, was (nicht) gesagt werden darf. Somit ist es nicht nur relevant, wie gesprochen wird (mit welcher Auswahl von Wörtern), sondern auch die Reaktion auf Aussagen ist von Bedeutung. Das zeigt das empirische Material dieser Forschung: Denn wenn sich beispielsweise Mitarbeiter_innen einer NGO pc ausdrücken, erfahren sie verschiedene Reaktionen, nämlich Ablehnung oder Zustimmung, darauf. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe definiert sich laut Bourdieu über das soziale und das symbolische Kapital von Personen, das über Anerkennung angehäuft werden kann. Diese Anerkennung kommt jedoch nicht nur aufgrund der gewählten Worte zum Ausdruck, sondern auch durch die Reaktionen auf Aussagen anderer (beispielsweise wird über sexistische oder rassistische Witze gelacht oder auf diese mit Empörung reagiert bzw. mit betretenem Schweigen oder Wegsehen). Aus den in Beziehungsnetz B geführten Interviews lassen sich folgende gruppenimmanente Forderungen ableiten: PC Talk als Ideal soll nicht soziale Realitäten verschleiern, im Sinne des Nicht-mehr-Benennens. Den Mit-
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gliedern ist bewusst, dass Diskussionen vonnöten sind, um Klarheit zu erlangen, und dass Neologismen und Euphemismen zu keiner Lösung führen. Allerdings soll Anti-PC-Talk historische Machtbeziehungen auch nicht verfestigen, indem diskriminierende Begriffe mit Wurzeln in der Geschichte legitimiert werden. Zwei weitere Aspekte lassen sich aus dem erhobenen Material ableiten: erstens jener der politisch korrekten Sprache bzw. Ideologie und deren Zielsetzung und Sinnhaftigkeit. Und zweites jener der wissenschaftlich korrekten Sprache und dem Potential für gesellschaftliche Veränderungen. Ersterer bezieht sich einerseits auf Wissenschafter_innen, die in NGOs arbeiten und auf deren Probleme in der Anwendung (sozial-)wissenschaftlicher Erkenntnisse; und andererseits auf die anzusprechende Klientel, welche die jeweilige NGO erreichen möchte. Wissenschaftliche Korrektheit meint indessen, dass es in den Sozialwissenschaften keine einheitliche Begriffsdefinition gibt und sich die qualitative Forschung ohnehin mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, keine „korrekten“ – sprich repräsentativen - Ergebnisse liefern zu können. Hierbei stellt sich auch die schwierige Frage, ob sich NGOs eher an der Wissenschaft oder an der Politik orientieren sollten. Im Hinblick auf das Konzept der Meinungsprägung durch Speech Communities kann festgehalten werden, dass es zwar eine relativ große PCSpeech-Community unter den Mitarbeiter_innen der österreichischen NGO-Szene gibt, diese aber nicht durch eine einheitliche Wahl von Begriffen geprägt ist, sondern vielmehr durch das Bedürfnis und die Suche nach diesen. Wie schon in den Analysen der Beziehungsnetze A und C, die sich hauptsächlich der Reproduktion rassistischer Inhalte widmen, ist auch im NGOBeziehungsnetz (B) das Phänomen zu beobachten, dass die persönliche Meinung bzw. Einstellung jener der Gruppe untergeordnet und an diese angepasst wird. Der Prozess dahinter unterscheidet sich kaum von jenem in den anderen beiden Beziehungsnetzen: Auf der individuellen Ebene bestehen starke Unsicherheiten bezüglich des Sprachgebrauchs an der Grenze zwischen dem, was (mit welchen Worten) auszusprechen erlaubt ist und was eben nicht. Nur die Referenzgrößen unterscheiden sich. Denn, wie bereits ausgeführt, sind es im Kontext von PCness imaginierte Instanzen im Bereich der Wissenschaft, Politik oder anderer NGOs. Innerhalb der Speech Community erhalten die Personen dann Rückhalt und soziales Kapital in
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Form von Anerkennung, wenn sie dem Gruppenideal besonders entsprechen. Aus der Analyse des empirischen Materials lassen sich in Verbindung mit den theoretischen Erkenntnissen zu Speech Communities Bezugnahmen von mir als solche bezeichnete „Imagined Speech Community (ISC) der PC`s“ herausfiltern. Mit dieser Begrifflichkeit lehne ich mich an die von Anderson eingeführte Imagined Community in Bezug auf die Nation an. Ebenso wie für die Nation gilt auch hier, dass manche Speech Communities aufgrund imaginierter Gemeinsamkeiten konstruiert werden, weil „[...] the members of even the smallest nation will never know most of their fellowmembers, meet them, or even hear of them, yet in the minds of each lives the image of their communion. [...] The nation is imagined as limited because even the largest of them, encompassing perhaps a billion human beings, has finite, if elastic boundaries, beyond which lie other nations. No nation imagines itself coterminous with mankind. The most messianic nationalists do not dream of a day when all the members of the human race will join their nation in the way that it was possible, in certain epochs, for, say, Christians to dream of a wholly Christian planet. It is imagined as sovereign because the concept was born in an age in which Enlightenment and Revolution were destroying the legitimacy of the divinely-ordained, hierarchical dynastic realm. Coming to maturity at a stage of human history when even the most devout adherents of any universal religion were inescapably confronted with the living pluralism of such religions, and the [direct relationship] between each faith's ontological claims and territorial stretch, nations dream of being free, and, if under God, directly so. The gage and emblem of this freedom is the sovereign state. Finally, it is imagined as a community, because, regardless of the actual inequality and exploitation that may prevail in each, the nation is always conceived as a deep, horizontal comradeship. Ultimately it is this fraternity that makes it possible, over the past two centuries, for so many millions of people, not so much to kill, as willingly to die for such limited imaginings.“ (Anderson 1991: 6-7)
Ausgangspunkt sind Personen, Institutionen und Politiken die Political Correctness mit Inhalt füllen oder im Laufe der Zeit gefüllt haben. Diese sind NGO’s, Medien, Wissenschaft, MultiplikatorInnnen und LinksIntellektuelle. Drei weitere Ebenen scheinen ebenso relevant zu sein: Erstens der soziolinguistische Aspekt, welcher den Ausdruck durch Sprache
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und die aktive Wahl von Begriffen meint. Diese können einerseits bedingt sein durch eine bewusste Entscheidung in der Auswahl von Begriffen „korrekter“ oder „nicht korrekter“ Art, oder geprägt sein durch Sozialisation im entsprechenden Umfeld. Diese Sozialisation wird speziell sichtbar durch, rurale und urbane Differenzen. An Menschen, die im Dialekt sprechen wird ein anderer Anspruch in Bezug auf PC gestellt als an solche die eher Standarddeutsch sprechen. Eine zweite Ebene betrifft die Instanz der Ansprüche und Erwartungen. Denn verschiedene Personen und Personengruppen (NGO’s, Mitglieder dieser, Mehrheiten, Wissenschaft) haben unterschiedliche Ansprüche und Erwartungen an die „Imagined Speech Community der PC’s“. An dritter Stelle ist die Instrumentalisierungsebene zu nennen, welche Reaktionen auf (nicht-)korrekten Ausdruck in Medien, Alltag und Beruf usw. durch Zustimmung und Ablehnung darstellen. Die „Imagined Speech Community der PC’s“ wird dazu benutzt um zu definieren „diese Aussage ist nicht/korrekt“. Am Ende dieser Ebenen stehen die Effekte. Denn Zugehörigkeit zu einer ISC der PC’s kann sich auf die Meinungsfreiheit auswirken, aber auch auf die kritische Auseinandersetzung mit problematisierten Begrifflichkeiten. Andererseits kann die Auseinandersetzung auch einen Prozess des Umdenkens beeinflussen und Menschen sensibilisieren. Weiters kann je nach Umfeld und Relevanz das verweigern oder anwenden von PC-Talk soziales und kulturelles Kapital anhäufen oder verringern und damit auch die Positioniertheiten Einzelner innerhalb einer Gruppe oder eines Beziehungsnetzes.
Conclusio
In der vorliegenden Studie wurde der Fokus auf Protagonist_innen der „Mitte der Gesellschaft“ in Österreich gelegt. Über zwei als rassistisch identifizierte Beziehungsnetze und ein als antirassistisch wahrgenommenes Beziehungsnetz wurden dafür mittels mehrmonatiger teilnehmender Beobachtung und teilstrukturierter wie auch informeller Interviews Daten generiert. Über das thematische Kodieren und die weiterführende Analyse ausgewählter Sequenzen der Interviews mithilfe der kritischen Diskursanalyse wurde der Frage nachgegangen, wie sich die aus der Feldforschung entwickelten dominanten Diskurse über Kultur/Multikulturalismus, Heimat/Grenzen und „Rasse“/Rassismus in den befragten etabliert-majorisierten Beziehungsnetzen vollziehen und wie das Herstellen von Differenz und Gleichheit entlang dieser Diskursstränge legitimiert wird. Zumeist handelt es sich bei diesen Diskurssträngen um brisante Teilbereiche bzw. Fragmente öffentlicher Diskurse, die v.a. auf den Ebenen Politik, Wissenschaft und Medien verhandelt werden. Die Forschung zeigt, dass in Österreich v.a. als ethnisch anders konstruierte Personengruppen und umstrittene Praktiken dieser Anderen die Irritationen und Ablehnung auslösen. Zwangsverheiratungen, das Tragen eines Kopftuches, befürchtete Ereignisse und gesellschaftliche Veränderungen wie der EU-Beitritt der Türkei oder auch territoriale Besitzansprüche auf (das Konstrukt von) Heimat sind Beispiele hierfür. Die bearbeiteten Diskursstränge fungieren dabei als Arenen der Auseinandersetzung mit „dem Fremden“. Kulturalistische und rassistische Diskurse der Differenz werden in den erforschten Speech Communities erzeugt und/oder beobachtet (in einem Prozess permanenter Rückkoppelung auch mit anderen Speech Communities). Im Zuge dessen werden sie positiv, negativ oder dem Anschein nach
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gar nicht bewertet. Diese Bewertungen werden unterschiedlich, je nach Situation und Position der Akteur_innen und Zusammensetzung der Gruppe, legitimiert. Aus den empirischen Daten konnten folgende (Grund-)Positionen abgeleitet werden, die auf rassistische und antirassistische Haltungen gleichermaßen zutreffen: In allen Beziehungsnetzen finden sich Konstruktionen eines „Wir versus die Anderen“ wenn auch auf unterschiedlicher Weise. Dieses Herstellen von Differenz dient unter anderem dazu, den erlebten oder gehörten Alltag der Personen erklärbarer zu machen. Anhand des Diskursstrangs zu „Kultur und Multikulturalismus“ konnte dokumentiert werden, dass in den beiden als rassistisch interpretierten Beziehungsnetzen (A, C) ein essentialistischer Kulturbegriff vorherrscht, der im Gegensatz zum antirassistischen Beziehungsnetz (B) nicht hinterfragt wird. Dabei muss erwähnt werden, dass Kultur auch im Sprachgebrauch der Mitglieder von Beziehungsnetz B – abseits der Dekonstruktion des Terminus – für homogenisierende Vorstellungen und Beschreibungen verwendet wird, auch wenn versucht wird, Kultur als fluides, nicht starres Konstrukt zu betrachten. In der sozialen Praxis findet das offene Kulturkonzept somit keine Anwendung. Ebenso verhält es sich mit dem Konzept des Multikulturalismus, das in Beziehungsnetz A vermehrt abgelehnt wird, in Beziehungsnetz C überhaupt keine Anwendung erfährt und in Beziehungsnetz B zwar als Begriff kritisch hinterfragt wird, doch in der Praxis zugleich Unsicherheiten und Irritationen im Kontext von multikulturellem Zusammenleben vorherrschen. Trotz der Befürwortung von Integration und Kampf gegen Rassismus besteht eine bedeutsame Unsicherheit im Zusammenhang mit „kulturellen Praktiken der Anderen“ sowie mit Parallelgesellschaften und deren Folgen. Hier beantwortet sich auch die zu Beginn der Studie gestellte Frage, ob Rassismen abseits von Sexismen analysiert werden können oder ob deren Überschneidungen den relevanten Themenbereichen oder Diskurssträngen in Österreich eingeschrieben ist. Beispiele für Beklommenheiten in diesem Zusammenhang tauchen dabei vor allem in Bezug auf die Verwobenheit der Kategorien „Kultur“ und „Gender“ auf. Der sogenannte Stammtischfeminismus als nominelle Sexismuskritik beruht auf dem vorgeblichen Interesse, migrantische Frauen zu unterstützen, da sie im Multikulturalismus besonders gefährdet seien. Vielmehr wird
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damit jedoch eine grundsätzliche Ablehnung von Migration kaschiert und gleichzeitig legitimiert. Eine gegensätzliche Position dazu wird vor allem in Beziehungsnetz B eingenommen: der sexismuskritische Antirassismus, der Diskriminierungen jeder Art zwar ablehnt, jedoch den Rassismus nicht über den Sexismus migrantischer Männer stellen möchte. Eine dritte Haltung vereint rassistische und sexistische Positionen und betrifft sowohl Männer als auch Frauen. Einer der auffälligsten Aspekte im Kontext von territorialen Besitzansprüchen und der Vorstellung von „Heimat“ zeigte sich indessen am Beispiel der Debatte zu einem (möglichen) EU-Beitritt der Türkei. In allen Beziehungsnetzen findet sich Skepsis bis offene Ablehnung gegenüber den Beitrittsverhandlungen. Auch wenn die Vorstellungen von „Heimat“ und die Assoziationen dazu sich von Beziehungsnetz zu Beziehungsnetz unterscheiden, so scheint Einhelligkeit darüber zu herrschen, dass „Heimat“ als Ort des Vertrauens und der Sicherheit nicht mit Irritationen durch das Verletzen von Menschenrechten oder durch die gänzlich andere Lebensweise einer fremden Gruppe gefährdet werden soll. In allen Beziehungsnetzen trifft man sowohl auf biologistischen als auch kulturellen Rassismus. Nichts spricht aufgrund der Erhebungen dafür, dass auf biologischen Kriterien beruhender Rassismus vollständig vom kulturellen Rassismus abgelöst wurde. Vielmehr treten beide Formen des Rassismus (auch in Kombination) auf. Welcher verwendet wird, hängt dabei eher von einem Bewusstsein ab, ob die biologistische Variante in der jeweiligen Speech Community obsolet und wissenschaftlich widerlegt ist oder nicht. Auch kultureller Fundamentalismus konnte in allen drei Beziehungsnetzen ausgemacht werden. Dieser inkludiert hier jedoch, wie schon erwähnt, entgegen seiner eigentlichen Definition auch Hierarchisierungen, und zwar nicht nur in Bezug auf Rassismus, sondern auch in dessen Überschneidung mit anderen Unterdrückungssystemen bzw. -ideologien. Vor allem Schnittpunkte zwischen Rassismus, Sexismus und klassenhierarchischen Wertungen im Sinne von Bildung, Schichtzugehörigkeit und Einkommen sind hier zu finden. Sowohl Rassismus als auch Antirassismus sind in unterschiedlichsten Abstufungen in allen Beziehungsnetzen anzutreffen und können in den Argumentationen der Mitglieder der Beziehungsnetze als eine äußerst flexible Form der Kommunikation betrachtet werden.
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Für das Herstellen von Differenz in den drei Diskurssträngen konnten indes vier zentrale Legitimationsstrategien bzw. durch die Akteur_innen angewendete Diskursstrategien entwickelt werden, die als „externalisierter Empirismus und individualisierter Empirismus“ und als „externalisierte und individualisierte These“ bezeichnet wurden. Es handelt sich bei diesen Legimitationsstrategien sowohl um primäre als auch um sekundäre Referenzen durch die Mitglieder der jeweiligen Beziehungsnetze. Die dargelegten diskursiven Legitimationsstrategien und das Herstellen von Differenz verdeutlichen zwar, wie Diskurse derzeit verlaufen und argumentiert bzw. untermauert werden und dass diese auch prägend ineinandergreifen. Sie zeigen jedoch nicht hinreichend auf, wie Akteur_innen mit Differenzdiskursen im gelebten Alltag umgehen, denn Menschen verhandeln diese Diskurse in entsprechenden Kontexten, im lokalen Rahmen bzw. in ihren jeweiligen Speech Communities unterschiedlich, wie im Kapitel zu Rassismus als Gruppenphänomen verdeutlicht wurde. Dabei kann beobachtet werden, dass sich rassistische Haltungen und Handlungen innerhalb von Speech Communities verstärken und dadurch die Bedingungen für das Perpetuieren und Verfestigen von Rassismus begünstigen. Für die vorliegende Studie wurde für die Rassismusanalyse im Kontext von Gruppen das flexible und offene Modell der Speech Communities gewählt. Mit diesem konnte verdeutlicht werden, dass in rassistischen und antirassistischen Gruppen ähnliche Strategien angewandt werden, um sich in der jeweiligen Gruppe zu positionieren. Einzelpersonen nehmen dabei je nach Kontext und Umfeld und vor allem je nach Speech Community verschiedene Positionen ein. Dies betrifft sowohl Zweifel im Rahmen des Antirassismus als auch Zweifel am Rassismus. In Einzelinterviews relativieren sich indessen die Zugehörigkeiten zu den jeweiligen Gruppen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass rassistische Phänomene und Prozesse stark von sozialwissenschaftlichen und historischen Spezialdiskursen sowie von medialen und politischen Inter- und Gegendiskursen geprägt sind. Auch die soziale Praxis der „Mitte der Gesellschaft“ ist informiert durch diese Spezial- und Interdiskurse und verhandelt und prägt wiederum die Spezialdiskurse über die empirische Forschung. Insbesondere in den Debatten über Political Correctness werden diese Verschränkungen sichtbar.
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Im theoretischen Teil dieser Studie wurde die von Heidi Weinhäupl und mir (2007) entwickele Dreiteilung von Rassismus als Ideologie, strukturellen Rassismus und Rassismus in der sozialen Praxis erläutert. Dieses Modell geht davon aus, dass diese drei Ebenen interagieren und nicht isoliert voneinander funktionieren. Trotzdem ist es sinnvoll, diese drei Bereiche analytisch zu trennen, um Details ihrer Funktionen besser erfassen zu können. In diesem Modell kommen Menschen als Akteur_innen in zweierlei Form vor: Menschen, die aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe diskriminiert werden, und jene Menschen, die diskriminieren und sich in superiorer Position wähnen. Da die zweite Gruppe, sprich rassistische Täter_innen (aus der „Mitte der Gesellschaft“), in den meisten vorliegenden Studien nicht näher betrachtet wird, plädiert die vorliegende Studie abschließend nochmals dafür, diese Lücke mit weiteren Forschungen zu schließen, um das Phänomen „Rassismus“ in seiner Gesamtheit zu begreifen. Bezugnehmend auf die eingangs gestellte Frage nach den Ähnlichkeiten zwischen den Akteur_innen der auf den ersten Blick so verschieden positionierten Gruppen, möchte ich hier Folgendes noch einmal festhalten: Trotz aller Unterschiede bezüglich Bildungsgrad, sozialer Schicht und auch persönlicher Einstellung, agieren die Personen dennoch nach den selben Schemata, was ihr Streben nach sozialer Anerkennung (sozialem Kapital) durch die Mitglieder ihrer Speech Community anbelangt. Sowohl die Meinungsbildungsprozesse innerhalb dieser sozialen Gruppen, als auch die Verstärkung gewisser, für diese Gruppen relevanter Topoi durch ihre Mitglieder, funktionieren in allen Beziehungsnetzen nach ähnlichen Mustern. Eine weitere Konstante wurde im Kontext des Schlagwortes „Meinungsfreiheit“ deutlich. Sei es der Widerstand gegen ein Sprachverbot, der Versuch einer Sprachregelung oder beides zugleich, in allen drei Beziehungsnetzen spielt neben der inhaltlichen Ebene das Ausverhandeln „der adäquaten Ausdrucksweise“ im Kontext von Rassismus, Kultur und Migration eine zentrale Rolle. In der Debatte über die Pluralität der Gesellschaft versus die Schließung von Grenzen zeigen sich deutlich die Unterschiede zwischen Beziehungsnetz A/C und Beziehungsnetz B. Der Anspruch auf Diversität in der Gesellschaft (C) führt zu Spannungen und Irritationen ob der Schwierigkeiten in
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der sozialen Praxis. Der Versuch der gelebten Diversität führt häufig zu einer Komplexität in der sozialen Realität, die in dem Versuch mündet, bestehende Spannungen mit Political Correctness wegzureden. Es zeigt sich, dass politisch korrekte Ansätze einer Bildungselite (vertreten durch Beziehungsnetz B) ebenso in Schließungen durch diskursive Ausgrenzungen sozialer Probleme führen können, wie rassistische Ansätze (auffindbar in den Beziehungsnetzen A und C). Die Grenzziehungen derer, die sich als PC identifizieren richten sich vor allem gegen Rassist_innen. PC’s fühlen sich kosmopolitisch und einer Imagined Speech Community of PC’s verbunden. Diese Form der Selbsterhöhung wird selten hinterfragt, auf keinen Fall aber durchbrochen. Die Imagination dieser Verbundenheiten ist die Voraussetzung für die Grenzziehung und ein Muster der Differenzierung. Im Gegensatz dazu erlangen die Beziehungsnetze A und C in den Separationen, Essentialismen und diskursiven Schließungen der Gesellschaft die Lösung für soziale Probleme im Kontext von Migration und manifestieren somit ihre Haltungen, die stark auf Differenzierungen und Hierarchisierungen basieren. Einerseits wird dies von als antirassistisch identifizierten Gruppen und Personen deutlich abgelehnt und kritisiert, andererseits wird die Kluft jedoch nicht überwunden. Umgekehrt sehen rassistische Personen und Gruppierungen keine Notwendigkeit der näheren Beschäftigung mit PCness, abgesehen von strikter Ablehnung. Zwischen diesen beiden Positionen tut sich eine diskursive Lücke auf, welche auf die fehlende Auseinandersetzung und Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Schichten und Gruppen in der Gesellschaft mit Blick auf Integration und Migration hinweist. Zwischen den Beziehungsnetzen besteht also eine erfassbare Kluft, die auf fehlender Auseinandersetzung zwischen zum Beispiel Beziehungsnetz B und Beziehungsnetz A/C basiert. Allerdings zeigt sich, dass es sich nicht bloß um die Auseinandersetzung zwischen realen Personen geht, denn die Personen befinden sich möglicherweise in unterschiedlichen Lebenssituationen in allen drei Speech Communities. Es sind die Speech Communities selbst, also die Idee von Gruppen, die es ermöglicht sich permanent effektiv gegen die jeweils anderen Speech Communities abgrenzen. Interessant wäre es der Frage nachzugehen, wie sich nicht nur Beziehungsnetze, sondern einander unbekannte Menschen der Mitte der Gesellschaft im öffentlichen Raum diskursiv anti/rassistisch verhalten und welche Aus-
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wirkungen dies auf Speech Communities hat oder auf die gesamtgesellschaftliche Situation. Die vorliegende Forschung zeigt, dass spannende Anknüpfungspunkte in der Mehrheitsgesellschaft für weitere Forschungszusammenhänge zu Rassismus gegeben sind. Aus meiner Forschung ergeben sich weitere offene Fragen, deren Beantwortung einen wichtigen Beitrag zur Rassismusforschung darstellen würde. Insbesondere interessant wären Forschungen zur Entstehung und Erhaltung bzw. Veränderung von Imagined Speech Communities und die damit verbundenen Dominanzgesellschaften innerhalb majorisierter wie auch minorisierter Gruppen.
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Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kultur und soziale Praxis Heidrun Friese Grenzen der Gastfreundschaft Die Bootsflüchtlinge von Lampedusa und die europäische Frage April 2014, ca. 200 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2447-2
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Tatjana Thelen Care/Sorge Konstruktion, Reproduktion und Auflösung bedeutsamer Bindungen April 2014, ca. 330 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2562-2
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